Rede von
Willi
Eichler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon viele kurze Antworten des Herrn Bundeskanzlers gehört. Aber s o kurze und trotz der Kürze s o nichtssagende haben wir hier noch nie vernommen.
Ich glaube, daß der Gegenstand, der hier zur Verhandlung steht, doch eine etwas eindeutigere Stellungnahme sowohl der Bundesregierung, als auch des Herrn Bundeskanzlers notwendig gemacht hätte, um so mehr, als sich doch hier auf eine geradezu beschämende Weise zeigt, wie eine Politik, die im gesamtdeutschen Interesse hätte geführt werden müssen und auch hätte geführt werden können, endgültig gescheitert ist.
Der Herr Bundeskanzler hat gemeint, auf die angeblichen Anwürfe des Herrn Kollegen Mommer nicht antworten zu sollen. Ich habe sehr genau zugehört, was der Kollege Mommer gesagt hat, und hätte vom Herrn Bundeskanzler gern gehört, was er darin als einen Anwurf angesehen hat.
Die Frage, wo die Regierung protestiert hat, ist nicht einmal so weit beantwortet worden, daß herauszubekommen war, auf welche Weise und bei wem protestiert worden ist
und — was wichtig ist — wie die Antwort auf diese Proteste gewesen ist.
Meine Damen und Herren, die Geschichte unserer Saarpolitik, oder sagen wir die Geschichte der Saarpolitik des Herrn Bundeskanzlers und der Bundesregierung ist eine Fülle von Niederlagen, gerade ganz im Gegensatz zu dem konsequenten Fortschreiten Frankreichs in der Erreichung seiner Ziele in diesem Teil Deutschlands. Ich glaube kaum, daß wir hier zu einer Besserung, zu irgendwelchen entschiedenen Schritten auf unserer Seite kommen w' rden, wenn wir uns nicht entschließen, nun gegen die Politik der vollzogenen Tatsachen auch unsererseits politische Tatsachen zu setzen.
Aber — ich habe schon vor einigen Monaten hier darauf hingewiesen — es war ja geradezu das Programm des Herrn Bundeskanzlers, das er in einer Rede vor etwa zwei Jahren hier im Bundestag verkündet hat. Es besagt, daß all das, was an der Saar geschehe, so bedauerlich es sei und für so bedauerlich auch er selber es halte, das gute Verhältnis zu Frankreich nicht stören dürfe, da die Integration Europas allen anderen Bemühungen in Europa und allen anderen Schwierigkeiten und deren Lösung vorzugehen habe. Nun, wenn das das Programm ist, dann braucht man sich natürlich nicht zu wundern, wenn der Gegner sagt: Nun also, wenn das nicht das Wichtigste für Deutschland ist, für uns ist es das Wichtigste, und wir werden versuchen, auf jede Weise das zu erreichen, was zu erreichen ist.
Ich glaube, Herr Bidault, dem ja in den ersten Jahren nach 1945 nach seinem eigenen Eingeständnis 14 Versuche der Annexion von seiten der Alliierten abgelehnt worden sind, hat dann versucht, auf eine ungewöhnliche Weise zu erreichen, was
er mit den sonst unter freien Völkern üblichen Methoden niemals hätte erreichen können.
Wir sind selbstverständlich weit davon entfernt, eine Politik vorzuschlagen, die uns absichtlich in Gegensatz zu dem französischen Volk bringen würde. Ganz im Gegenteil! Wir begrüßen jede Möglichkeit, eine Verständigung und eine Annäherung zwischen französischer und deutscher Politik herzustellen. Aber das geht nicht durch eine Politik der Tricks und der Überredungen, durch eine Politik des Junktim, des milden oder auch härteren Zwanges. Auf diese Weise wird kein Europa zustande kommen. Das kann ja nur durch die solidarische Pflege und die gemeinsame Vertretung der Interessen auf rechtlicher und moralischer Grundlage, durch Abwägung der vorhandenen Interessen in sauber durchgeführten Verhandlungen geschehen. Das hat es bisher, soweit es das Saarproblem betrifft, nicht gegeben. Wir haben fortwährend eine Politik des Junktim erlebt, vom Europarat über die Montanunion bis zum Verteidigungsbeitrag.
Wenn der Herr Bundeskanzler sagt, es sei nie ein Zusammenhang zwischen Saarabkommen, EVG-
Vertrag und Generalvertrag behauptet worden, so ist dazu zu sagen, daß praktisch sowohl die französische Kammer als auch der französische Außenminister und sogar der französische Ministerpräsident sich in dieser Weise geäußert haben, und diese drei Institutionen und Personen haben natürlich nicht nur ihre Privatmeinung zum besten gegeben.
Wir haben am 30. November die Wahlen im Saargebiet erlebt; am 18. November und schon früher hat dieser Bundestag gegen die Wahlen protestiert und erklärt, was aus diesen Wahlen hervorgehen werde, könne kein freier Landtag sein, und die Regierung, die er etwa berufen werde, könne also nicht als eine Regierung anerkannt werden. Wir sehen dabei ganz ab von der Tatsache, daß auch eine heute frei gewählte Regierung des Saargebiets in Anbetracht unserer Ablehnung der Vorstellung einer Autonomie des Saargebiets keine Regierung in dem Sinne wäre, in dem mau sonst davon spricht.
Der Herr Bundeskanzler hat geglaubt, auf die vielen Pressemeldungen nicht eingehen zu müssen, die zum Teil sehr substantiiert sind und die erklären, was alles Herr Professor. Süsterhenn tut, um die Möglichkeiten der Vermittlung auszuschöpfen. Z. B. hat der „Rheinische Merkur", ein dem Herrn Bundeskanzler ganz gewiß nicht unbekanntes Blatt, das ihm auch politisch in den meisten Dingen ziemlich nahesteht, so etwas erklärt. Wir behalten uns vor, in den dafür zuständigen Ausschüssen Unterlagen, die wir über diese Frage zur Verfügung haben, vorzulegen und darüber genauere Auskünfte einzuholen. Denn selbst wenn der Herr Bundeskanzler nicht unmittelbar solche Dinge erlebt und darüber Berichte erhält, so ist es doch möglich, daß die Verbindungen bis in die Regierung gehen, und wir glauben, daß diese Angelegenheit absolut klargestellt werden muß, damit wir sehen, wer in der Saarpolitik miteinander am gleichen Strang zieht und wer nicht.
So weit sind wir heute gekommen durch unser Entgegenkommen in der Saarfrage! Wir von der SPD bezeichnen das aber nicht als ein Entgegenkommen, sondern als eine Politik, die trotz der Versuche, durch Vorleistungen den politischen Gegner zu besänftigen, nichts weiter erreichen wird als die famose Appeasement-Politik Mr. Chamberlains seinem damaligen politischen Gegner gegenüber, — womit ich nicht behaupten möchte, daß die heutige französische Regierung der damaligen deutschen Regierung ähnelt. Ich rede über die formale Ähnlichkeit der Methoden.
Man hat der SPD immer vorgeworfen, daß sie zu oft nein sage.
Jetzt erleben wir, daß Frankreich nicht nur der Saarpolitik Deutschlands gegenüber nein sagt, sondern auch durch seine Zusatzprotokolle zur Integration. Wir haben vergeblich darauf gewartet, daß dieses Anathema gegen die Neinsager sich nun auch einmal auf die französischen Neinsager erstreckt. Aber siehe da, ein Schweigen im Blätterwald und bei der Regierung.
Wer tadelt Frankreich dafür? Ich möchte sagen, daß mir bei der Betrachtung unserer gegenseitigen Haltungen in Deutschland und Frankreich das Beispiel von der Ehe eingefallen ist, in dem der Mann erklärt, er habe sich mit seiner Frau darüber verständigt, wie man einen Streit zwischen ihnen verhüten könnte, nämlich durch eine einfache Abmachung: Wenn sie beide das gleiche wollten, dann geschehe immer das, was er wollte, und wenn seine Frau Marianne etwas anderes wollte, dann geschehe das, was sie wollte.
Das scheint mir in etwa die Position zu sein, in die wir uns hier hineingeritten haben, und ich glaube nicht, daß die Rolle des Pantoffelhelden als politisches Ideal aufgestellt werden könnte.
Meine Damen und Herren, drei Dinge scheinen uns notwendig zu sein, und zwar erstens: Der Protest vor dem Ministerrat, der jetzt seit seinem Vorbringen dort beinahe schon so alt ist, daß er einen Bart hätte, muß unbedingt vorgebracht werden. Er ist das erstemal auf eine Bitte des Herrn Bundeskanzlers selber verschoben worden, weil er sich damals, wie er glaubte und uns sagte, „in erfolgversprechenden Verhandlungen mit seinem Anti-Saar-Partner" befand.
Inzwischen ist der 30. November vorbei, inzwischen häufen sich die Verfolgungen an der Saar. Sie sind nicht etwa sanfter geworden, sondern gröber. Vor einigen Tagen hat man die vier Rohlinge, die während des Wahlkampfes in die Wohnung eines Saaroppositionellen eindrangen und dort seinen Tod verursachten, amnestiert —
eine Affäre, die mich an unsere unglückselige Potempa-Affäre in der Deutschen Bundesrepublik vor zwanzig Jahren erinnert. Man nimmt die Konvention über die Menschenrechte offenbar weniger ernst als die Konvention über die Saarkohle. Offenbar schätzt man die Saarkohle mehr als Menschenrechte, und in unserem materialistischen Zeitalter sind Menschenrechte im allgemeinen auch billiger. Es zeigt sich hier, was für alle Vertragsverhandlungen gilt, daß Proteste hinterher immer sehr viel weniger wirkungsvoll sind als Proteste, die erhoben werden, bevor man seine Unterschrift unter einen Vertrag gesetzt hat. Wir glauben, daß man diese allgemeine Lehre auch für die kommenden Unterschriften beherzigen sollte, auch für die Ratifizierung bereits geleisteter Unterschriften.
Das zweite: Die Bundesregierung und der Bundestag sollten klar und eindeutig erklären, daß das Gerede über Möglichkeiten bestimmter Kompromisse verschwindet, daß nämlich Autonomie und Konventionen auf der heutigen Basis im Saargebiet keine Grundlage für Diskussionen mittelbarer oder unmittelbarer Art über das Saargebiet sind,
auch dann nicht, wenn die Institution der Rechtsverwahrung aufrechterhalten wird. Wir halten die Rechtsverwahrungen in diesem Falle, bei diesem Gegner und über diesen Gegenstand für leere Proteste, bei denen von Anfang an klar ist, daß sie einen politischen Effekt nicht haben.
Das dritte ist, daß man versuchen sollte, ernsthafte und gediegene Verhandlungen über einen Gegenstand mit Frankreich aufzunehmen, über den es wirklich Verhandlungen gibt, wie wir bereits oft erklärt haben. Die besonderen Interessen Frankreichs an der Saarkohle und an anderen wirtschaftlichen Gegebenheiten des Saargebiets sind anerkannt und anzuerkennen und sollten in einem frei ausgehandelten Vertrage so niedergelegt und gesichert werden, daß es Gründe zu Beschwerden darüber nicht gibt. Auf diese Weise und durch sie allein ist es möglich, mit Frankreich in ein Verhältnis zu kommen, bei dem man davon reden kann, daß es sich hier um freiwillig übernommene Verpflichtungen handelt, die die deutsche Bundesrepublik selbstverständlich so ernst nehmen sollte, wie jede andere ihrer Verpflichtungen, die sie anderen Staaten gegenüber übernommen hat.
Besonders beschämend ist die Situation in Hinsicht auf den deutschen Osten; denn es ist klar, daß der Mensch im Osten sagen wird: Wenn das geschieht am grünen Holz des demokratischen Westens, was soll am dürren des kommunistischen Ostens werden!
Wir müssen die Bevölkerung im Westen und im Osten vor der Verzweiflung bewahren, daß sie alleingelassen wird; denn Rechtsverwahrungen sind keine Hilfe für die Bevölkerung, weder im Osten noch im Westen. Eines der großen Ideale, um derentwillen der zweite Weltkrieg geführt worden ist, war; die Bevölkerung dahin zu bringen, daß sie endlich die „vier Freiheiten" genießen kann, und dazu gehört auch die Freiheit von Furcht. Im Saargebiet ist die Furcht so radikal und heftig wie im Osten, wenn wir auch selbstverständlich wissen, daß zwischen der politischen Situation im Saargebiet und in der Ostzone ein Unterschied ist.
Aber der Sache nach ist die Familie nicht nur durch Arbeitslosigkeit, sondern auch durch den politischen Terror der Ausweisung, des Verlusts der Stelle durch Denunziation genau so bedroht wie der Mann im Osten, auch wenn man ihm nicht unmittelbar den Totschlag oder den Genickschuß androht, den er dort zu erwarten hat.
Meine Damen und Herren! Wir dürfen uns nicht durch freiwilligen Verzicht in einer Situation mitschuldig machen,
in der Europa und Europa als Grenzfall auf dem
Spiele steht. Wir können uns nicht der Tatsache
verschließen, daß Schweigen in dieser Situation ein halbes Zugeständnis ist.
Die Menschen im Westen und im Osten brauchen eine Hoffnung, und sie kann ihnen nur dadurch erwachsen, daß sie sehen: Hier wird Widerstand geleistet gegen die Unterdrückung.
Wir haben, glaube ich, wie in kaum einer Sache so in dieser das Recht, uns darauf zu verlassen, daß es sich um einen Kampf um Recht und Menschlichkeit handelt. Aber freilich, meine Damen und Herren, die Betonung liegt auf „Kampf".