Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Ulrich Klinkert und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Gerhart Rudolf Baum und der Fraktion der FDP
Reaktorsicherheit in den Staaten Mittel- und Osteuropas
— Drucksache 12/1906 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
b) Beratung und Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 08/836/EURATOM über die Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen im Hinblick auf die vorherige Genehmigung der Verbringung radioaktiver Abfälle
— Drucksachen 12/350 Nr. 12, 12/1752 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Harries Reinhard Weis Gerhart Rudolf Baum
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Ich gehe davon aus, das Haus ist damit einverstanden. — Das scheint der Fall zu sein. Dann haben wir dies beschlossen und können mit der Debatte beginnen. Zunächst erteile ich dem Abgeordneten Klinkert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen zur Reaktorsicherheit in den Staaten Mittel- und Osteuropas regelt ein Spannungsfeld, das sich aus mehreren, den Staaten Osteuropas innewohnenden Widersprüchen ergibt. Der katastrophale Sicherheitsstandard der Kernkraftwerke in Mitteleuropa, der jeden Tag zu einem neuen Tschernobyl führen kann, gebietet normalerweise ein sofortiges Abschalten der meisten der Reaktoren. Dies würde allerdings zu einem Zusammenbruch der Energieversorgung und damit der Wirtschaft dieser Lander führen und eine vollständige Verelendung des Volkes nach sich ziehen.Ohne ausreichende Energie ist der notwendige wirtschaftliche Aufschwung in diesen Ländern nicht machbar. Kraß formuliert, stehen die Regierungen dieser Länder vor der Entscheidung, das Volk entweder erfrieren zu lassen oder der weiteren Gefahr, die von den Reaktoren ausgeht, auszusetzen.Die zur Nachrüstung oder zum Ersatz der gefährlichen Reaktoren erforderlichen Finanzmittel sind so hoch, daß sie derzeit von den betroffenen Ländern nicht annähernd aufgebracht werden können. Nebenbei bemerkt, würde der vollständige Ausstieg aus der Kernenergie in diesen Ländern und deren Ersatz durch Wärmekraftwerke, sofern das technisch überhaupt machbar ist, zu einem erheblichen Ansteigen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre führen.Der hier zu beratende Antrag enthält daher folgende Forderungen an die Bundesregierung:Erstens ist es notwendig, sich zunächst einmal aktiv an der Entwicklung multilateraler Hilfsaktionen für die Staaten Mittel- und Osteuropas zu beteiligen und so weit wie möglich durch bilaterale Unterstützungsmaßnahmen zu flankieren. Dies gilt insbesondere für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion.Die zweite Forderung lautet, auf eine bessere Koordinierung und schnellere Realisierung von internationalen Unterstützungsprogrammen hinzuarbeiten und dabei die Beteiligung von internationalen Institutionen wie der EG, der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau anzustreben.Als dritte Forderung haben wir formuliert, bei der Erarbeitung der Europäischen Energiecharta den Rahmen dafür zu schaffen, daß nicht nur die Versorgungssicherheit erhöht wird, sondern in gleichem Maße auch Umweltschutz und Anlagensicherheit verbessert werden.Kernkraftwerke wurden in den ehemaligen RGW- Staaten seit 1950 errichtet. In der Zwischenzeit ergibt
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Ulrich Klinkertsich folgender Stand der Versorgung dieser Staaten durch Kernenergie: in Bulgarien 35 %, in der ehemaligen Sowjetunion 23 %, in der CSFR 28 % und in Ungarn gar 50 %.
Bei fast allen diesen Kraftwerken sind Schutz- und Vorsorgemaßnahmen, die erst in ihrem Zusammenwirken eine ausreichende Sicherheit ergeben würden, durch Mängel und Defizite behaftet, Defizite vor allen Dingen bei der sicherheitstechnischen Auslegung von Systemen und Komponenten. Hier ist es so, daß kein Kernkraftwerk westdeutschem Sicherheitsstandard entsprechen würde. Es gibt Abweichungen vom auslegungsgemäßen Zustand. Die Dokumentation und Sicherheitsnachweise sind unvollständig. Die Qualitätssicherung ist unzulänglich. Defizite bei Wartung, Reparatur und Instandhaltung führen zu einer zusätzlichen Erhöhung des Risikos.Gefährdungen für die Reaktorsicherheit ergeben sich aber nicht nur aus unzureichender Technik, sondern durchaus auch aus der im Moment nicht recht zu kalkulierenden politischen Entwicklung.Dabei ist die Situation im Energiebereich dieser Staaten insgesamt gekennzeichnet durch eine geringe Effizienz beim Energieeinsatz und einen vergleichsweise hohen Energieverbrauch. Der durchschnittliche Osteuropäer verbraucht trotz eines wesentlich niedrigeren Lebensstandards etwa genauso viel Primärenergie wie der Westeuropäer, nämlich ca. 4,7 t Öläquivalent pro Einwohner. In Rußland ist der Einsatz von Energie in der Industrie, bezogen auf ein gleichwertiges Produkt, etwa viermal so hoch wie in den Ländern der alten Bundesrepublik. Die Energieintensität, d. h. der Primärenergieverbrauch pro Einheit Bruttosozialprodukt, in den Staaten Mittel- und Osteuropas ist etwa doppelt so hoch wie in den westlichen Staaten.Schlechte Wirkungsgrade der Kraftwerke, ineffiziente industrielle Produktion und unzureichender Wärmeschutz an Gebäuden tun das Ihre zu dieser Bilanz.Nachrüstungen für Atomreaktoren werden nur in den wenigsten Fällen für möglich gehalten, so daß neue Reaktoren gebaut werden müßten. Hierfür wäre ein Finanzbedarf von mindestens 100 Milliarden DM notwendig, im übrigen auch für den Neubau von Wärmekraftwerken, falls man diesen ins Auge fassen sollte.
Sofern Nachrüstung überhaupt möglich ist, ergibt sich dabei folgendes Bild. Ich nenne zunächst die RBMK-Reaktoren, von denen 20 allein in der Sowjetunion in Betrieb oder im Bau sind. Hier ist eine sofortige Stillegung der älteren Anlagen notwendig. Eine Sicherheitsbewertung der neueren Anlagen durch westliche Experten steht noch aus, jedoch kann schon jetzt abgeschätzt werden, daß sie, wie ich bereits erwähnte, nach westlichen Maßstäben insgesamt nicht genehmigungsfähig wären. Kosten für eineUmrüstung liegen im Moment nicht vor und sollten von vornherein nicht ins Kalkül gezogen werden.Dann gibt es die sogenannten WWER-Reaktoren, die in verschiedenen Generationen gebaut wurden. Die Reaktoren der ersten Generation werden mit einem Nachrüstbedarf von 80 Millionen DM pro Block für einen befristeten Weiterbetrieb von ca. fünf Jahren für möglich gehalten. Der Importbedarf für diese Nachrüstung betrüge ca. 30 Millionen DM pro Block. Bei der zweiten Generation wären umfangreiche Nachrüstmaßnahmen in einer Größenordnung von 300 Millionen DM pro Block erforderlich. Auch hier müßten Importe in einer Größenordnung von etwa 100 Millionen DM pro Block getätigt werden; so viel ist jedenfalls veranschlagt.Die dritte Generation, die mit einer Leistung von 1 000 MW ausgelegt war, könnte in etwa auf westliches Sicherheitsniveau ertüchtigt werden. Allerdings betrügen die Kosten hier 200 Millionen DM pro Block; der Importanteil betrüge 60 Millionen DM.Auch Nachrüstmaßnahmen würden zu einem erheblichen Mittel- und Devisenbedarf führen, der auf Grund der wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten von den betroffenen Ländern nicht aufgebracht werden kann. Ohne Berücksichtigung nationaler Leistungen, von Stillegungskosten sowie Stillstandszeiten usw. ergäbe sich ein Devisenbedarf für Importe von ca. 4 Milliarden DM, davon allein 2,7 Milliarden DM für in Betrieb befindliche und 1,4 Milliarden DM für im Bau befindliche Anlagen.Ich habe diese Zahlen so ausführlich gebracht, um zu verdeutlichen, daß ein einzelnes westliches Land — beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland — bei weitem überfordert wäre, hier allein in Verantwortung zu gehen.Aber an die Bundesregierung ist die Bitte auszusprechen, in der westlichen Staatengemeinschaft die Sensibilität für die Probleme in Osteuropa zu schärfen. Die Hilfe für Osteuropa darf sich allerdings nicht auf die Kernenergie beschränken; denn in den Ländern, wo die akute Gefahr des Hungers besteht, wird man für die Probleme der Reaktorsicherheit wenig Sensibilität entwickeln.Danke schön.
Nun hat der Abgeordnete Lennartz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Reaktorsicherheit in den Staaten Mittel- und Osteuropas heißt unser Thema. Reaktorsicherheit in diesen Staaten ist nur auf einem Weg zu erreichen: Die Atomkraftwerke Osteuropas müssen schrittweise abgeschaltet werden. Dies ist nach Meinung der SPD die zwingende Konsequenz aus dem Bericht des Bundesumweltministers zur Sicherheit der Atomkraftwerke und zu Umweltfragen der Energieversorgung in den Staaten Mittel- und Osteuropas. Dieser Bericht bietet, so der „Spiegel" korrekt, wahrhaftig „Stoff zum Gruseln", obwohl für bestimmte östliche Reaktortypen noch gar keine umfassenden Sicherheitsanalysen vorliegen. Was das
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Klaus Lennartzin der Endkonsequenz heißt, muß man sich auf der Zunge zergehen lassen.Noch Anfang der 80er Jahre haben uns internationale Reaktorexperten — wohlgemerkt: Experten —, auch aus der IAEO, aber auch deutsche Befürworter weismachen wollen, daß die russischen Reaktoren etwa unser Sicherheitsniveau haben. Anlaß zur Sorge bestehe nicht. So ändern sich die Einschätzungen; die Experten ändern sich nicht.Nachdem Umweltminister Töpfer im Herbst letzten Jahres auch den letzten Block des Atomkraftwerks Greifswald stillgelegt hat, haben mein Kollege Volker Jung und ich im September 1991 den jetzt vorliegenden Bericht erbeten. Uns war schon damals klar: Wer Greifswald stillegen muß, weil gravierende Sicherheitsmängel bestehen, die nicht zu adäquaten Kosten beseitigt werden können, muß auch bei allen in Osteuropa und der GUS laufenden Reaktoren zu ähnlichen Konsequenzen kommen.Der Töpfer-Bericht zeigt auch auf, daß neben katastrophalen sicherheitstechnischen Mängeln nun auch die Aufsichtsprobleme wachsen. Die Aufsicht über kerntechnische Sicherheit von Anlagen geht von den Zentralbehörden auf die Republiken über, und das in dem Zustand, in dem sich die Republiken zum gegenwärtigen Zeitpunkt befinden.Herr Kollege Klinkert, lesen Sie bitte einmal nach, daß Töpfer selber in seinem Bericht formuliert hat, daß Auflagen, die durchgeführt werden sollten, bis zum heutigen Tage nicht durchgeführt worden sind. Ich glaube, daran erkennen wir, daß wir über etwas reden, dessen Dimension wir überhaupt nicht erkennen können. Die einzelnen Republiken verfügen gegenwärtig kaum über die erforderlichen administrativen und personellen Voraussetzungen. Technische Mängel und Aufsichtsprobleme bilden ein brisantes Gemisch, das jederzeit explodieren kann, meine Damen und Herren. Ich hoffe, daß wir in diesem Hohen Hause darüber Einigkeit erzielen, daß es nicht mehr um die Frage geht, ob diese Reaktoren abgeschaltet werden müssen, sondern nur noch um die Frage, wie die Umstrukturierung der Energieversorgung zu bewerkstelligen ist.
Die SPD wird keinen Maßnahmen zustimmen, die im Ergebnis verzögern, daß diese Schrottreaktoren so schnell wie möglich abgeschaltet werden. Ich kann dem Vorstandsvorsitzenden der deutschen Asea Brown Boveri, Eberhard von Koerber, nur zustimmen, wenn er die osteuropäischen Atomkraftwerke als Zeitbomben bezeichnet. Mindestens 25 Reaktoren des Typs Tschernobyl sind nicht einmal theoretisch nachrüstbar. Sie müssen vom Netz, und zwar ganz schnell.Die SPD wendet sich im übrigen nicht gegen kurzfristige Sicherheitsmaßnahmen, die das jetzige unabsehbare Risiko so schnell wie möglich verringern. Dies sage ich sehr bewußt, um bestimmten Legendenbildungen vorzubeugen. Wir wenden uns aber dagegen, daß mit Milliardenaufwand Atomkraftwerke saniert werden sollen, die strukturell so vieletechnische Mängel haben, daß sie nach unserer Sicherheitsphilosophie nicht betreibbar sind.
Ich weiß, meine Damen und Herren, daß wir hier über die Abschaltung von 50 000 MW in Osteuropa sprechen. Dessen bin ich mir bewußt. Gerade wegen dieser Zahlen müssen wir jetzt die Weichen für eine Energieversorgung ohne Atomkraft in Osteuropa stellen.Die SPD wird eine Politik ablehnen, die über die Ertüchtigung bzw. den Export westeuropäischer Kernkraftwerke versucht, die Renaissance der Atomkraft bei uns wieder einzuleiten. Vielmehr besteht in der GUS und in Osteuropa jetzt die Möglichkeit, eine ökologisch verträgliche Energieversorgung einzuleiten; zugegebenermaßen, meine Damen und Herren, über einen langen Zeitraum. Dafür werden wir uns mit aller Kraft einsetzen. Und die ist bitter nötig.Allein die mangelhafte Energieinfrastruktur führt in Osteuropa zu 01- und Gasverlusten bis zu 30 %. Die Energieintensität, d. h. der Primärenergieverbrauch, gemessen am Bruttosozialprodukt, ist doppelt so hoch wie im Westen.
Herr Abgeordneter Lennartz, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Ja.
Herr Kollege Lennartz, ich glaube, ich habe Sie richtig verstanden, daß Sie einen vollständigen und dauerhaften Ausstieg aus der Kernenergie in Osteuropa fordern. Wie stehen Sie dann zu der von mir gemachten Aussage, daß dies zu einem unvertretbar hohen Anwachsen der CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre führen würde, vorausgesetzt, Wärmekraftwerke treten an die Stelle von Atomreaktoren?
Verehrter Herr Kollege Klinkert, sehen Sie, Sie vereinfachen die Problematik. Ich will versuchen, Ihnen das mit einigen Worten zu erklären.
— Ich kann es, Sie müssen es nur verstehen.
Herr Kollege Klinkert, die erste Maßnahme, die getroffen werden muß, ist Energie einzusparen. Wir wissen, daß wir ca. 50 % der gesamten Energie, auch bei uns, einsparen können. Das ist das erste Gebot. Der zweite Punkt, mit dem wir uns ebenfalls beschäftigen müssen, sind die regenerativen Energien. Drittens müssen wir noch moderne Kraftwerkstechnologien einsetzen.Demzufolge können uns Energieersparnis, moderne Kraftwerkstechnologien und regenerative Energien schrittweise zu dem bringen, was wir weltweit haben müssen, um die CO2-Problematik zu bekämpfen,
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Klaus Lennartzund nicht, wie Sie es hier vorschlagen, wiederum der Einsatz von Atomkraft.Ist Ihnen auf Grund der Situation, die wir in der GUS und in Osteuropa haben, nicht klargeworden, welches Gefahrenpotential weltweit auf uns zukommt, wenn Sie die Erde mit Atomkraftwerken bepflastern wollen? Ist Ihnen das immer noch nicht klargeworden?
Sie sehen, meine Damen und Herren — und das ist genau der entscheidende Punkt —: Das knappe Geld ist besser bei nichtatomaren Energietechnologien angelegt. Dort hinein muß investiert werden. Es geht um dreistellige Milliardenbeträge, und zwar, meine Damen und Herren, nicht mit einer Eins an der ersten Stelle. Sie dürfen demzufolge nicht für den Neubau von Atomkraftwerken verschleudert werden. Es geht um die ökologische Sanierung der osteuropäischen Energieversorgung im ganzen.Das ist ein gigantisches Problem, weil es, wie in der ehemaligen DDR, die Überführung der zentralen Verwaltungswirtschaft in die ökologische Marktwirtschaft bedeutet.Wie in der ehemaligen DDR sind in ganz Osteuropa uns heute noch gar nicht bekannte ökologische Verheerungen und Verwüstungen festzustellen. Dort ist mit Energie in beispielloser Weise verschwenderisch umgegangen worden — die Energieverluste bei Exploration und Verteilung sollen in Rußland fast 50 % ausmachen —, und es ist über Jahrzehnte nichts für den Erhalt der Versorgungsstrukturen investiert worden.Wir müssen deshalb nicht nur die Energiesysteme selbst sanieren, Herr Kollege, mit westlicher Technologie helfen und die Energieverschwendung beseitigen, nein, wir müssen gleichzeitig die ökologischen Verwüstungen und Zerstörungen beseitigen helfen.
—Ja, manchmal sagen Sie auch etwas Richtiges, aber nur manchmal.Es darf kein Umweltdumping zwischen Ost und West geben. Die Menschen im Osten Europas und in der GUS haben einen Anspruch darauf, daß wir ihnen bei der Erlangung ökologisch verträglicher Lebensbedingungen helfen.Im Grundsatz unterstützt deshalb die SPD den Ansatz der europäischen Energie-Charta, wobei wir besonderes Gewicht auf die Sanierung der zerstörten Umwelt legen. Es geht aber nicht allein um den Transfer der westeuropäischen Energieversorgungsstruktur nach Osteuropa, Herr Kollege Baum, nein, es geht um den Aufbau einer ökologisch verträglichen Energieversorgungsstruktur.Denn auch der Westen hat, wie wir alle wissen, ökologisch über seine Verhältnisse gelebt. Er lebt heute noch über seine Verhältnisse. Das dürfen Sie nicht verschweigen.Die Welt verbraucht heute viermal soviel Energie wie vor 40 Jahren. Dabei steht das vereinte Deutschland ganz vorn, nämlich an fünfter Stelle in der Welt und weit an der Spitze der EG.Auch die Bundesrepublik als eine der stärksten Industrienationen der Welt ist mitschuldig an der drohenden ökologischen Katastrophe. Wir als Staat versagen bisher beim Energiesparen und auch beim Klimaschutz. Unser Energieverbrauch erreichte im letzten Jahr den bisher absoluten Höchststand von 1979, dem Jahr vor der zweiten Ölpreisexplosion.Wir sind also keine Musterknaben. Der ökologische Strukturwandel, den wir vom Osten fordern, hat auch bei uns noch nicht stattgefunden. Es sind leider, leider keinerlei Ansätze erkennbar, daß die Bundesregierung in dieser fatalen Verbrauchspolitik irgendwie umsteuern will.
— Doch, Herr Kollege. Wir können uns ja gerne auch darüber streiten. Sie haben die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. Ich beantworte sie Ihnen gerne.
Deshalb lehnt die SPD den reinen Transfer unserer Strukturen ab.Zur Privatisierung der Energieversorgung müssen auch in Osteuropa die Dezentralisierung und ökologische Vertretbarkeit moderner Versorgung gehören. Nur wenn wir diesen Grundsatz einhalten, können wir die effizientesten Energietechnologien exportieren, z. B. mit Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen. Damit können wir die beste Energieausbeute erringen, weit über westeuropäischem Niveau. Nur dann können wir Erfolg haben, wenn wir Umweltschutztechnologien in gleicher Weise wie Energietechnologien exportieren. Ganz Osteuropa braucht Entschwefelungs- und Entstickungstechnologien, ganz Osteuropa braucht moderne Wärmeschutztechniken, Meß- und Regeltechniken zur Energieeinsparung im Gebäudebestand und vieles, vieles mehr.Die Gretchenfrage bei der Sanierung der osteuropäischen Energieversorgung ist, wie ich hoffe, Herr Kollege, nicht die Kooperation, sondern die Finanzierung. Hier habe ich von Ihnen leider nichts vernommen.
Es dreht sich um gigantische Summen. Deshalb ist eine projektbezogene Partnerschaft zwischen der öffentlichen Hand, der Industrie und internationalen Bankenkonsortien dringend notwendig.Wir brauchen langfristige Joint-ventures mit den osteuropäischen Staaten, damit sich eine Energiepartnerschaft, die Jahrzehnte Bestand hat, entwickeln kann. Ohne einen sehr langfristigen Finanz-, Knowhow- und Technologietransfer wird dies aber nicht gehen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 6193
Klaus LennartzWenn ich richtig unterrichtet bin, ist die westeuropäische Energiewirtschaft bereit, solche Kooperationen einzugehen. Gegenwärtig scheut sie aber den Abschluß solcher Projekte, weil die Finanzierungsfragen völlig ungeklärt sind.Der Kollege Schäfer, der Kollege Jung und ich hatten vergangene Woche ein Gespräch mit Vertretern der westdeutschen Industrie. Uns ist dargelegt worden, daß man bereit ist, derartige Joint-ventures, derartige projektbezogene Partnerschaften einzugehen. Nur fehlt es wirklich an der Unterstützung durch die Bundesregierung, an der Bereitschaft, nicht nur zu reden, sondern auch wirklich zu handeln. Man wartet förmlich darauf, daß man helfen kann.
— Das ist eine Verkennung der Tatsachen. Es geht nicht um das Geld der Bundesregierung, sondern einfach darum, zu dokumentieren, daß über Hermes-Bürgschaften das eine oder andere erledigt werden kann, das noch dahintersteht.
— Ich komme dazu. Die Bundesregierung hat es doch bisher versäumt, auch nur einen einzigen konkreten Vorschlag — das ist doch der entscheidende Punkt —, sei es national, sei es im europäischen Konzert, vorzulegen. Lesen Sie sich den Bericht doch einmal durch. Was steht da drin? Nichts! Reine Absichtserklärungen, ohne daß konkret ein Handlungsbedarf, der ja vorliegt, nachgewiesen und angegangen wird.
Statt dessen stritten sich der Finanz- und der Wirtschaftsminister noch bis vorgestern über das Volumen von 5 Milliarden DM Hermes-Absicherungen für deutsche Exporte in GUS-Länder.
— Wissen Sie eigentlich, wovon Sie bei 5 Milliarden DM reden, Herr Kollege?
Hier geht es um dreistellige Milliardensummen, nicht mit einer Eins vorweg. Und Sie reden von 5 Milliarden DM, die bereits anderweitig, an SKL oder wohin auch immer, vergeben sind.
— Mit uns gemeinsam, da haben Sie recht.Meine Damen und Herren, ein Grobkonzept für die Hilfe fehlt nach wie vor. Das ist sicher ein falsches Signal in Richtung Osteuropa, aber auch in Richtung der westeuropäischen Wirtschaft. Man kann nicht andere zu risikoreichen Investitionen auffordern und gleichzeitig eine auch nur geringfügige Absicherungdurch die öffentliche Hand verweigern. Das ist nicht machbar.
Herr Kollege Baum, Sie machten soeben eine Zwischenbemerkung zur Energie-Charta. Wer die europäische Energie-Charta mit Leben erfüllen will, muß seine Bereitschaft zu finanziellem Engagement gegenüber den europäischen Staaten klipp und klar erklären. Sonst geht es nicht.Dies wäre nicht nur ein Geben. Wir alle wissen, daß hier eine enorme Chance für die westlichen Industrienationen besteht, Umwelt- und Energiespartechnologien zu exportieren, damit im heimischen Markt Arbeitsplätze zu sichern und sinnvolles Wachstum im Osten wie im Westen zu ermöglichen.Da die Staaten der GUS allein über mehr als 20 % der Weltenergiereserven verfügen, werden sie den Finanz- und Technologietransfer mit Rohstofflieferungen bezahlen können. Hier haben Sie eine Antwort auf die Frage, die Sie eben gestellt haben.
So weit muß man ab und zu auch einmal denken. Man muß vernetzt, ganzheitlich denken.Damit die Staaten der GUS dies können, müssen wir ihnen helfen, ihre Öl- und Gasversorgungsstrukturen zu sanieren. Ich glaube, daß die Bundesrepublik hier eine besondere Verpflichtung hat, weil bisher die fünf neuen Bundesländer ganz wesentlich von der GUS beliefert worden sind. Wir haben ein fundamentales Interesse daran, daß dies so bleibt.Herr Klinkert, sollten Sie als ein Abgeordneter aus den fünf neuen Bundesländern vergessen haben, daß 90 % der Ölversorgung der fünf neuen Bundesländer aus der ehemaligen Sowjetunion bzw. aus den GUS-Ländern kommen? Sollten Sie vergessen haben, daß 20 % unserer gesamten Erdgaslieferungen aus diesen Ländern kommen? Haben Sie das vergessen?
Es ist doch zwingend notwendig, daß man dort zu einer anderen Systematik kommt, so wie es soeben von mir beschrieben worden ist, daß die Möglichkeit der Refinanzierung besteht, ohne daß die öffentliche Hand jedesmal Milliardenbeträge zur Verfügung stellt.
— Ja, das scheint wirklich der Fall zu sein, Frau Kollegin. Dem kann ich mich nahtlos anschließen.
— Also hören Sie einmal! Herr Kollege Klinkert, ist es bei Ihnen nicht mehr möglich, daß man einen vernünftigen Vorschlag einer Kollegin, gleich, wo sie politisch steht, unterstützt? Sind Sie bereits so intolerant, das
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Klaus Lennartzder Dame vorzuwerfen? Sie sollten sich schämen, Herr Kollege! Sie sollten sich schämen!
So viel Toleranz muß man noch besitzen, das Wissen anderer zu akzeptieren und darauf einzugehen. Auch das macht eine parlamentarische Demokratie aus.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung muß endlich ein konkretes Programm zur Modernisierung und Sanierung der osteuropäischen Energieversorgung vorschlagen und insbesondere ihren finanziellen Beitrag dazu hier offen darlegen. Wir alle wissen, daß ohne westliches Know-how und westliches Kapital, privat oder öffentlich, weder die GUS- Staaten noch die anderen osteuropäischen Länder es schaffen werden, in der notwendigen Kürze ihre Energieversorgung ökologisch umzustrukturieren. Westeuropa ist gefordert.Wir werden auch von den Vereinigten Staaten von Amerika immer dringlicher aufgefordert, Osteuropa endlich in angemessenen finanziellen Dimensionen zu helfen. Der gegenwärtige Attentismus darf so nicht weitergehen. Westeuropa wäre sonst mitverantwortlich, daß die ökologisch krisenhafte Entwicklung in der Welt, z. B. bei der CO2-Frage, keiner Lösung näherkommt. Westeuropa wäre empfindlich mitbetroffen — man wagt es kaum, es auszusprechen —, wenn sich Tschernobyl wiederholen oder die Energieversorgung in den osteuropäischen Staaten auch nur teilweise zusammenbrechen würde — mit den entsprechenden katastrophalen Auswirkungen auf die labilen Volkswirtschaften in Osteuropa.Wie kann die Bundesregierung diesen Herausforderungen gerecht werden? Nicht, indem der Bundesumweltminister die Probleme bloß beschreibt, publikumswirksame Tschernobyl-Besuche vor Ort durchführt, dort den Kopf schüttelt und uns einen Bericht vorlegt. Auch nicht, Herr Kollege Klinkert, indem die Regierungskoalition in einem Begleitantrag sorgsam vermeidet, vom Abschalten nichtsanierungsfähiger Reaktoren auch nur zu sprechen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.Was not tut, ist internationale Hilfe, ein moderner Marshall-Plan moderner Art unter Beteiligung der westeuropäischen Staaten, von Wirtschaft und Banken.
— Herr Kollege, Sie scheinen nur partiell zuzuhören. Ich habe beides angesprochen: Hilfe von uns, aber auch internationale Hilfe. Ich habe gerade noch einmal konkretisiert, was darunter zu verstehen ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme noch ganz kurz zum Tagesordnungspunkt 13b. Hier geht es darum, daß radioaktive Abfälle von der Entstehung bis zur Endlagerung im Transport- und Lagerstadium besser als bisher kontrolliert werden müssen. Gott sei Dank ist im Umweltausschuß auf Antrag der SPD-Bundestagsfraktion derBundesregierung empfohlen worden, bei den weiteren Verhandlungen auf EG-Ebene dem Beschluß des Bundestages vom 9. November 1990, der in der Bundesratsdrucksache 595/90 dokumentiert ist, Rechnung zu tragen. Insbesondere sollte die Richtlinie der EG so gefaßt werden, daß alle radioaktiven Abfälle oder Reststoffe aufgenommen sind und effektive Kontrollbefugnisse und Berichtspflichten der zuständigen Behörden vorgesehen werden.Meine Damen und Herren, die Erfahrungen mit den „Mol-Fässern", die wir leider Gottes machen mußten, zeigen, daß es keine Lücken in der Erfassung, Begleitung und Kontrolle von radioaktiven Abfällen geben darf. Die SPD-Bundestagsfraktion erwartet, daß man sich in der Europäischen Gemeinschaft dieser Auffassung anschließt.Meine Damen und Herren, ich möchte mich bei Ihnen, insbesondere bei den Koalitionsfraktionen, dafür bedanken, daß Sie diesem Anliegen der SPD- Bundestagsfraktion auch im Ausschuß gefolgt sind. Wir erwarten — diese Bitte richte ich an Sie, Herr Laufs —, daß wir dies entsprechend auch auf EG- Ebene einbringen. Das wäre ein Stück Sicherheit, das uns allen weiterhelfen würde.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat der Abgeordnete Gerhart Rudolf Baum das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lennartz, Ihr Vortrag war erstens widersprüchlich und in der Einschätzung falsch. Ich kenne keine westliche Regierung, die in ähnlicher Intensität Initiativen zur Verbesserung der Situation ergriffen hat wie unsere. Ich kenne keine; nennen Sie mir eine.
Wir haben das sogar in einer Form getan, die mich manchmal besorgt gemacht hat, daß wir uns eigentlich zuviel Verantwortung aufladen.Eine zweite Bemerkung zu Ihnen: Unser Antrag baut darauf auf, daß wir Deutschen allein das nicht schaffen können. Das geht nur in einer internationalen Kraftanstrengung!
— Nein, Sie wollen die Bundesregierung in die Pflicht nehmen, ein Energieprogramm für Osteuropa vorzulegen.
Das kann nicht allein Aufgabe der Bundesregierung, der Bundesrepublik Deutschland, sondern nur eine internationale Aufgabe sein.
Die dritte Bemerkung zu Ihnen: Sie fordern eine internationale Energiepartnerschaft; das ist richtig.
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Gerhart Rudolf BaumSie haben sich zu meiner Freude sogar positiv zur europäischen Energiecharta geäußert, die übrigens eine Liberalisierung der Energieversorgung beinhaltet. Glauben Sie eigentlich im Ernst, Herr Schäfer, daß eine internationale Energiepartnerschaft oder eine europäische Energiecharta ohne Kernenergie möglich ist? Glauben Sie das im Ernst?
— Ach, Sie isolieren sich.
Ich gehöre wahrlich nicht zu denen, die in der Kernenergie — um es zu präzisieren: im Leichtwasserreaktor — eine Zukunftsenergie sehen.
Aber Sie erwähnen z. B. überhaupt nicht den Hochtemperaturreaktor und andere Reaktorlinien. Selbst Herr Fischer in Hessen diskutiert darüber heute. Sie haben sich völlig abgeschottet. Sie halten immer noch an Ihrem Abschaltprogramm fest.
Damit kommen Sie nicht zu einer internationalen Zusammenarbeit.Wie wollen Sie denn selbständigen Republiken in Ostdeutschland einfach Ihr Parteikonzept überstülpen?
Glauben Sie, das geht so einfach? Das sind souveräne Staaten.
Herr Abgeordneter Lennartz, Sie haben zwanzig Minuten gesprochen. Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie jetzt auch einmal jemand anderen zu Wort kommen ließen.
Das gilt für den Kollegen Schäfer ebenfalls.
Ich habe nur noch sechs Minuten und bitte, daß ich jetzt ungestört reden darf.
Sie glauben doch wohl auch nicht, Herr Lennartz und die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß Sie eine Energiepartnerschaft europäisch und international ohne eine Energiepartnerschaft im eigenen Lande — die wir nicht mehr haben — in die Wege leiten können. Wir müssen zu einer Zusammenarbeit zurückfinden. Dies gilt etwa für den Bereich derEntsorgung. Es geht doch nicht an, daß die Energiepolitik durch erzwungene Weisungen des Bundesumweltministers vorangetrieben wird.Ich fordere Sie also auf, Ihre Politik zu überprüfen und zu der alten Kooperation zurückzukehren.
Das ist doch eine der Grundvoraussetzungen dafür, daß wir nach außen, insbesondere in die frühere Sowjetunion und in das übrige Osteuropa hinein, handlungsfähig sind. Wir sind es aber nicht einmal im eigenen Lande. Wie sollen wir es denn nach außen werden, Herr Lennartz?
Das ist wirklich eine dringend umzusetzende Konsequenz aus der Analyse, die uns hier vorliegt, und diese ist erschreckend genug.
Wir unterhalten uns heute über eines der größten globalen Risikopotentiale. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Schock von Tschernobyl mit zum Zusammenbruch der früheren Sowjetunion beigetragen hat. Tschernobyl war ein tiefgreifender Schock für die Sowjetunion. Er hat ihr die Grenzen ihrer Möglichkeiten, auch ihrer technologischen Möglichkeiten, aufgezeigt.Ich bedauere etwas, daß bei der internationalen Diskussion über die Risiken des militärischen Nuklearpotentials dieses Gefährdungspotential im zivilen Sektor in den Hintergrund tritt. Es gehört zum Nichtverbreitungsthema.
Ich könnte mir z. B. vorstellen, daß die Personen, die jetzt durch die Reduzierung des militärischen Nuklearpotentials freiwerden, hier eingesetzt werden, um bei der Wartung dieser Anlagen und bei zukünftigen Verbesserungen einen Beitrag zu leisten.Natürlich sehe ich überhaupt keine Schwierigkeit, Herr Lennartz, Ihrer Forderung entgegenzukommen. Wenn wir es verantwortlich könnten,
würden wir natürlich sagen: Sofort abschalten! Das kann aber niemand verantwortlich sagen; denn das würde die Energieversorgung in Osteuropa in eine Katastrophe führen. Deshalb müssen wir an kurzfristigen Verbesserungen und natürlich an einer künftigen Energiestruktur mitwirken,
die ohne die Kernkraftwerke auskommt, die gebaut worden sind und die noch im Bau sind.
Es ist also ein Problem, das mit einer durchgreifendenökologischen und ökonomischen Erneuerung in Mit-
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Gerhart Rudolf Baumtel- und Osteuropa unmittelbar zusammenhängt und nicht isoliert betrachtet werden kann.
Man kann hier nicht die populäre Forderung aufstellen, alle Kernkraftwerke müßten jetzt abgeschaltet werden. Das geht einfach nicht,
und das wird niemand drüben verantwortlich tun können.
Nach Auffassung des Deutschen Bundestages können — so unser Antrag — die Probleme des Umweltschutzes und der kerntechnischen Sicherheit eben nur mit internationalen, langfristig angelegten Unterstützungsaktionen angegangen werden. Herr Töpfer hat sich sehr engagiert. Es sind endlich Analysen und Diagnosen auf dem Tisch, die die ganze Dimension des Problems aufzeigen. Wir müssen helfen beim Aufbau einer unabhängigen, leistungsfähigen Verwaltung, bei der Durchführung von Sicherheitsanalysen, bei der Durchführung von Musterlösungen, bei der Nachrüstung für den begrenzten Weiterbetrieb — Herr Schäfer und Herr Lennartz, das steht auch in unserem Antrag —, nicht für den unbegrenzten, bei der Schaffung von Möglichkeiten für Ersatzlieferungen, bei der Schaffung eines leistungsfähigen europäischen Verbundes leitungsgebundener Energieträger und bei der Neustrukturierung der Energiewirtschaft ganz generell.Übrigens ist im Bereich der Entsorgung in der Sowjetunion ebenfalls ein Riesendefizit festzustellen. Wir haben auch noch nicht über die Schnelle-BrüterTechnologie in der früheren Sowjetunion und über ihre Auswirkungen gesprochen. Es gibt also ein gewaltiges Feld ungelöster Probleme.
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Lennartz.
Herr Kollege, Sie sind in Ihrer Rede schon weiter fortgeschritten. In bezug auf die Entsorgung sind wir uns einig. Fragen möchte ich aber: Ist Ihnen vielleicht entgangen, Herr Kollege Baum, daß ich von einem schrittweisen Abschalten gesprochen habe? Ich lasse Ihnen meine Rede gerne geben.
Na gut. Dann ist mir aber völlig unverständlich, Herr Kollege Lennartz, daß Sie uns vorwerfen, daß wir in unserem Antrag nicht fordern, daß sozusagen eine Garantie dafür gegeben wird, daß die Kernkraftwerke nicht weiter betrieben werden, und so tun, als würden wir nicht sensibel sagen: Im Grunde müßten sie abgeschaltet werden.
Herr Kollege Lennartz, machen Sie hier doch keine Klimmzüge. Sie können unserem Antrag zustimmen. Tun Sie es doch!
Es gibt keine Alternative zu den Maßnahmen, die wir in unseren Antrag geschrieben haben.
In bezug auf die Richtungen gibt es keine Alternative, auch wenn man sich über die eine oder andere Formulierung noch einigen kann. Aber Sie haben hier einen künstlichen Gegensatz konstruiert, den es so, wie Ihre Zwischenfrage es zum Ausdruck bringt, offenbar gar nicht gibt.Der Deutsche Bundestag bittet die Bundesregierung, sich an der Entwicklung von multilateralen Hilfsaktionen zu beteiligen. Eine bessere Koordinierung und schnellere Realisierung der internationalen Unterstützungsprogramme ist notwendig. Ich sehe mit Sorge, Herr Kollege Töpfer, daß andere Regierungen des Westens diesen Problemen nicht das nötige Interesse entgegenbringen. Ich möchte Sie bitten — Sie tun das ja auch schon —, den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel in München zu nutzen, um für eine internationale Unterstützung zu werben. Die Kooperation in der EG ist angelaufen. Die Kooperation der G-24-Staaten ist angelaufen. Überall ist eine Initiative der Bundesregierung Ausgangspunkt der Maßnahmen.Diese internationale Zusammenarbeit und auch die weitere Zusammenarbeit in der IAEA ist dringend notwendig. Wir brauchen eine internationale Konvention zur Sicherheit kerntechnischer Anlagen. Der deutsche Vorschlag dazu muß endlich realisiert werden.Ich möchte noch eine Bemerkung machen, die eine aktuelle Diskussion in unserem eigenen Lande betrifft. Wir diskutieren über die MOX-Anlagen in Hessen.
— Ja, ja, wir diskutieren darüber. — Ich will zu den einzelnen Dingen gar nicht Stellung nehmen;
es gab bisher ja auch keine ausreichende Gelegenheit, hier darüber zu diskutieren. Ich will nur eines sagen, Herr Kollege Schäfer: In der Sowjetunion gibt es ein großes Problem bei der Entsorgung von spaltbarem Material, insbesondere von Plutonium.
Die MOX-Verarbeitung ist dafür eine technische Lösung. Dabei hat die Bundesrepublik einen technischen Vorsprung. Es ist eine Lösung. Ich kenne im übrigen keine andere, die dazu beitragen könnte, mit dem Riesenproblem des spaltbaren Materials aus dem militärischen Bereich in der Sowjetunion fertigzuwerden.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 6197
Gerhart Rudolf BaumMeine Damen und Herren von der Opposition, die neuen internationalen Entwicklungen, die tiefgreifenden Veränderungen in Europa haben auch Einfluß auf uns, sie haben auch Einfluß auf alte Positionen. Einiges muß neu überdacht werden, nicht nur bei Ihnen, sondern auch bei uns, aber hier insbesondere bei Ihnen. Ich möchte Sie daher auffordern: Nehmen Sie Abschied von Ihrer alten, festgefügten Position eines zeitlich befristeten Abschalt-Konzepts! Kehren Sie zurück zu einer Kooperation im Bereich der Energiepolitik und der Entsorgung, auch zu einer Kooperation im Bereich von MOX!Mit der Koalition können Sie sich offen über die direkte Endlagerung unterhalten. Das ist kein Problem mehr. Wenn sie technisch möglich ist, ist sie eine Option. Aber lassen wir diese Schaukämpfe angesichts der gravierenden Probleme, über die wir heute sprechen! Es gibt einen Themenwechsel. Vieles sieht anders aus, nachdem die Sowjetunion zusammengebrochen ist und nachdem wir wirklich wissen, welch katastrophale Situation dort herrscht. Das muß zu Konsequenzen führen. Dafür plädiere ich heute. Ich habe die Bundesregierung nicht zu kritisieren. Sie hat hier ihre Pflicht getan.
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Enkelmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Herr Birkhofer, Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, vor kurzem vor der Presse erklärte, ist mit Nachrüstungskosten in Höhe von 500 Millionen bis 2 Milliarden DM pro Reaktorblock in Osteuropa zu rechnen. Den Tschernobyls und Kozlodujs soll also viel Geld nachgeworfen werden. Hintergrund dieser Aktion ist keinesfalls die Sorge urn die Sicherheit der Reaktoren im Osten. Nein, es geht vor allem um die Sicherheit der Gewinne der bundesdeutschen Atomindustrie.
Auf der anderen Seite hat die westliche Atomlobby offenbar auch eine panische Angst davor, die Länder Osteuropas könnten mit dem Ausstieg aus der Atomenergie beginnen. Möglicherweise sieht sie ihre Felle schon davonschwimmen.Wir fordern, dieses Geld nicht in die atomare Nachrüstung zu stecken, sondern Osteuropa ausschließlich Hilfe zur Selbsthilfe für den konventionellen Kraftwerkspark zur Verfügung zu stellen. Es ist sinnvoller, kurzfristig die vorhandenen konventionellen Kraftwerke in einem Notprogramm zu modernisieren. Langfristig müssen alternative Energiekonzepte umgesetzt werden. Es geht nicht an, daß z. B. Bulgarien zugunsten der Investitionen in den Nuklearbereich die Modernisierung der konventionellen Kraftwerke seit Beginn dieses Jahres ausgesetzt hat. Obendrein gibt es bisher noch keine ausreichende Energiebilanz, die die Auswertung von Greenpeace widerlegt hätte, daß nämlich Bulgarien auch ohne Atomstrom über den Winter kommen könnte.Nachrüstungsgeschäfte für Atomkraftwerke sind tödlich, und deshalb dürfen auch keine Ersatzteile zum Weiterbetrieb aus Greifswald nach Kozloduj geliefert werden. Kozloduj muß ebenso wie Greifswald sofort endgültig stillgelegt werden. Jede Mark, die in die marode Atomwirtschaft investiert wird, ist eine Mark zuviel. Wenn trotz des Wissens um die akute Gefährdung durch Kozloduj Ersatzteile aus Greifswald für den Weiterbetrieb geliefert werden und diverse Firmen mit diesen Reaktoren ihre Geschäfte machen, wirft das ein bezeichnendes Licht auf die hierfür Verantwortlichen, also auch auf Sie, Herr Töpfer. Es sind die gleichen Leute, die uns in der Öffentlichkeit weismachen wollen, daß die Atomkraftwerke in den westlichen Ländern sicherer seien, weil sie, die Verantwortlichen, verantwortungsvoller damit umgingen.Der letzte Brand in Tschernobyl beweist: Nur die sofortige Stillegung aller Reaktoren des TschernobylTyps RBMK kann weitere Katastrophen verhindern. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß andere Bauarten ihr eigenes, spezifisches Störfallprofil haben. Sie sind deshalb nicht wesentlich sicherer, auch nicht im Westen. Westliche Sicherheitstechnik wird keinen schweren Störfall im AKW Kozloduj in Bulgarien verhindern können. Auch in Druckwasserreaktoren sind Störfälle möglich, siehe Harrisburg, siehe Biblis A. Alle Atomanlagen müssen stillgelegt werden. Es gibt keine absolut sicheren Atomkraftwerke, nur unsichere und solche, die noch unsicherer sind.Natürlich würde ein Energie-Crash-Programm die Länder Osteuropas in Schwierigkeiten bringen, so wie auch Frankreich Probleme mit der Stromversorgung bekommen würde. Eine verfehlte Energiepolitik, das Setzen auf die mit der militärischen Nutzung untrennbar verbundene Atomenergie, zeitigt hier ihre Folgen. Die Katastrophe in Tschernobyl, die 1986 stattgefunden hat, beweist jedoch: Dieses Thema kann niemandem egal sein. Allen, die ausstiegswillig sind, jedoch durch diesen Schritt massive wirtschaftliche und soziale Schwierigkeiten bekommen, sollte geholfen werden. Insbesondere die reichen EG-Staaten sind hier in der Pflicht.Eine Energiesparcharta muß Osteuropa den Ausstieg aus der Atomenergie ermöglichen. Statt Geld für weitere, fragwürdige Sicherheitstechnik auszugeben, sollte umgehend im Rahmen einer europäischen Energiesparcharta — ich wiederhole diesen Begriff extra — der Ausstieg aus der Atomenergie in Angriff genommen werden. Durch effiziente Energienutzung und Energieeinsparung kann eine umweltfreundliche, sozialverträgliche und ressourcenschonende Energieversorgung in Ost- und Westeuropa verwirklicht werden. Die Technologien sind vorhanden. Allein der politische Wille fehlt.Die PDS/Linke Liste fordert daher von der Bundesregierung und der EG, keine weiteren Gelder mehr für die Förderung der Atomenergie auszugeben. Wir werden deshalb gegen den Antrag der Koalition stimmen.
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6198 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992
Dr. Dagmar EnkelmannIch danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat der Abgeordnete Schulz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im vergangenen Jahr ist uns wieder einmal überdeutlich gezeigt worden, wie nahe wir täglich einem weiteren atomaren Super-GAU sind. Der Katastrophenreaktor von Tschernobyl und das schrottreife Atomkraftwerk in Kozloduj sind eindringliche Warnungen. Sämtliche Reaktortypen baugleicher Art in Ost- und Mitteleuropa sind eine allgegenwärtige Bedrohung von Menschenleben und Umwelt. Nach Monaten von Untersuchungen und Berichten über die Sicherheit in diesen Kernkraftwerken — hier zumindest hat sich auch Bundesumweltminister Töpfer hervorgetan — müßten die Gefährdungen durch die Atomkraftnutzung in den ehemaligen RGW-Staaten doch allgemein bekannt sein. Die Zeit zum Handeln, zur aktiven Vorbeugung gegen weitere Katastrophen müßte für alle hier Versammelten gekommen sein. Doch dem ist offenbar nicht so.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen zur Reaktorsicherheit in den Staaten Mittel- und Osteuropas offenbart, wie lernunfähig die Regierung in Sachen Atomenergie bleibt. Da wird zwar ein internationales Sofortprogramm unter Beteiligung internationaler Finanzierungsinstitutionen eingefordert, aber alles nur, um weiterhin den Erhalt von Atomkraftwerkskapazitäten zu sichern. Statt ein sofortiges Abschalten der Baulinie à la Tschernobyl und Kozloduj anzumahnen, drängt die Koalition nur auf ein sukzessives Abschalten, wobei die übrigbleibenden Druckwasserreaktoren nach sicherheitstechnischen Auf- und Nachrüstungen noch lange in Betrieb gehalten werden sollen. Die dafür erforderlichen 15 Milliarden DM werden die westliche Atomindustrie massiv subventionieren. Der wirtschaftlichen Entwicklung des Ostens werden sie keine Impulse geben können. Über den Umweg Ost- und Mitteleuropa versucht die Atomlobby, eine Renaissance der Kernenergie herbeizuführen. Der vorliegende CDU-FDP-Antrag unterstützt dieses Anliegen nach Kräften.
Die Argumente der Atomlobby — das hat die madiskussion deutlich gezeigt — sind kurzsichtig und falsch. Statt weiterhin der Atomlobby aufzuhelfen, sollte die Bundesregierung Hilfe zur Selbsthilfe für Osteuropa bei den westeuropäischen Nachbarn einfordern und selbst bereitstellen. Diese Länder benötigen Hilfen, die den Aufbau eines wirklich ökologieverträglichen und der Wirtschaftsentwicklung dauerhaft zuträglichen Energiesystems erleichtern.
15 Milliarden DM lassen sich wirklich sinnvoller verwenden, als damit die Auftragsbücher der Atomkraftwerksbauer zu füllen, z. B. für die Ausgestaltung einer hocheffizienten dezentralen Energiestruktur. Dies wäre der Weg für eine zunehmende selbständige Entwicklung. So ließe sich der ungeheure Rückstand in der wirtschaftlichen Entwicklung zu den westlichen Industrienationen schneller verkürzen. Überdies würde ein ökologischer Aufbau der Energiewirtschaft in Osteuropa richtungweisend für den bislang ausgebliebenen ökologischen Umbau auch im Westen sein.
Konstitutiv für den ökologischen Aufbau in Osteuropa, ebenso in der ehemaligen DDR, und für den ökologischen Umbau des Westens ist aber weiterhin der Ausstieg aus der Atomenergie in Ost und West. Nötiger denn je ist heute auch der Einstieg in die dezentrale Sonnenenergiewirtschaft. In diesen 90er Jahren werden entscheidende Weichen für das Überleben der Menschheit gestellt.
Es ist an uns Politikern, einen geeigneten Rahmen für den Erhalt und die Rückgewinnung einer lebenswerten Umwelt zu sichern. Weder der Koalitionsantrag zur Reaktorsicherheit in Ost- und Mitteleuropa noch der vom Umweltausschuß unterstützte Vorschlag des Rates zur Änderung der EURATOM- Richtlinie über radioaktive Transporte führen auf den richtigen Weg. Beide halten krampfhaft an der Atomenergie fest und suggerieren den Bürgern deren Machbarkeit und weitere Notwendigkeit.
Da die Atomenergie nun einmal die Fessel ist, die umweltvergiftende Energiesysteme zusammenhält, lehnen wir beide Vorlagen ab.
Nun erteile ich dem Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Klaus Töpfer, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Zusammenbruch des Marxismus-Leninismus als Ordnungsideologie praktisch der Hälfte dieser Welt hat alle Politikbereiche — ich betone: alle Bereiche — vor völlig neue Dimensionen des Handelns gestellt. Dies gilt auch für die Energiepolitik, und es gilt für die Reaktorsicherheit.Bei diesen Veränderungen der Dimensionen ist — allein in Kenntnis des Gefahrenpotentials — die Frage der Reaktorsicherheit natürlich eine der ganz zentralen, eine der herausragenden Fragen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, daß die Bundesregierung, unmittelbar nachdem Möglichkeiten, umfassende Informationen zu erreichen, geschaffen worden waren, gehandelt hat.Wir haben dort gehandelt, wo wir unmittelbar Entscheidungsmöglichkeiten hatten, nämlich in Greifswald, in Rheinsberg, wo wir nach einer Sicherheitsanalyse die dort betriebenen Kernkraftwerke stillgelegt haben; sie werden auf Dauer stilliegen bleiben.Wir haben auch unmittelbar die Möglichkeiten genutzt, durch vielfältige Gespräche mit den jetzt Verantwortlichen in den Nachfolgerepubliken der Sowjetunion, aber auch in den anderen Staaten Mittel- und Osteuropas Informationen über den Sicherheitsstandard der dort betriebenen Kernkraftwerke sowjetischer Bauart zu bekommen und alles daranzusetzen, um durch Sofortmaßnahmen Risiken zumindest zu mindern.Ergebnis dessen ist ein Bericht, den wir dem Ausschuß vorgelegt haben, ein Bericht, der ganz ohne
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Bundesminister Dr. Klaus TöpferZweifel weltweit die beste Zusammenstellung, den besten Überblick über die Situation von Kernkraftwerken in den Staaten Mittel- und Osteuropas bietet. Er ist international zu einem wirklich sehr gefragten Papier geworden.Wir haben einen Überblick über die Zahl und die Struktur der Kernkraftwerke gegeben. Über 60 Kernkraftwerke sind es, über die es zu diskutieren und zu entscheiden gilt, die meisten davon in Rußland, in der Ukraine und in Litauen. Das sind Schwerpunkte, die sich natürlich auch in der Bedeutung für die Energieversorgung niederschlagen. Auch Ungarn und Bulgarien haben hohe Versorgungsanteile, nämlich 50 bzw. 35 %.Dieser Bericht, meine Damen und Herren, konnte nur die Fakten aufzeigen und eine erste Bewertung der Sicherheitsstandards ermöglichen. Er hat noch nicht einmal dies umfassend machen können, denn er bezieht sich noch nicht auf die gesamten Fragen des Entsorgungsbereichs. Wir werden ihn daher fortschreiben. Wir konnten das noch nicht tun, weil die Arbeiten daran in Zusammenarbeit mit den dort Verantwortlichen noch nicht zu weit vorangebracht worden sind.Wir wissen, daß gerade im Entsorgungsbereich große Aufgaben auf uns warten. Deswegen bin ich dem Kollegen Baum sehr dankbar, daß er den Blick auf diese Fragen erweitert hat. Viele von denen, die so vordergründig jeglichen Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft bei uns gefordert haben und glauben, damit auch Technologien, die wir brauchen, um Plutonium wirklich zu vernichten, ablehnen zu müssen, werden dies jetzt zu überprüfen haben.
Wir fordern oder erwarten von der SPD doch wirklich nichts anderes.Nicht Stellung nehmen will ich zu dem, was Frau Enkelmann gesagt hat. Kollege Waigel würde sagen: Das war noch nicht mal wert, ignoriert zu werden. Es wäre gut, wenn man sich das an anderer Stelle wirklich überlegen würde. Aber wir erwarten und bitten Sie doch wenigstens darum, daß man, wenn wir neue Dimensionen politischen Handelns haben, dann nicht mit den alten Rezepten weiterarbeitet. Das ist doch die ganze Kunst!
Lassen Sie uns doch einmal weggehen von der Grundverdächtigung, es ginge dieser Bundesregierung und den sie tragenden Parteien darum, die „Atomlobby" zu unterstützen. Was ist das eigentlich für eine Gedankenkategorie? Das Entscheidende ist, daß wir nicht aus der Plutoniumwirtschaft aussteigen, sondern daß es in diesem historischen Prozeß vergleichsweise viel Plutonium gibt und wir uns gemeinsam die Frage stellen müssen: Was machen wir damit, und wie können wir das so entsorgen, daß damit für die Menschheit keine Probleme verbunden sind?
Das sind die Fragen!Wenn Sie, Herr Kollege Lennartz, dazu hier nicht sprechen wollen, dann lassen Sie uns das zumindest als einen Punkt mit weiter verfolgen, von dem wir sagen: Er ist bedeutsamer als irgendwelches Fingerhakeln aus dem Ende der 80er Jahre, wo wir vor ganz anderen Problemen standen, als wir sie jetzt zu bewältigen haben. Darüber müssen wir sprechen.
Daß die Bundesregierung das sehr ernst nimmt, zeigt ihr Handeln. Der Kollege Genscher ist gegenwärtig in Washington. Dort wird mit einer Vielzahl von Staaten die Frage erörtert, wie wir ein Sofortprogramm der Hilfe für die GUS-Staaten bekommen. Zwei Arbeitsgruppen — vielleicht ist Ihnen das entgangen — beschäftigen sich mit Energie und mit technischer Hilfe, und in beiden Bereichen ist die Bundesregierung sehr deutlich und klar an der Spitze derer, die gesagt haben: Hier muß etwas getan werden. Kollege Genscher hat natürlich auch darauf hingewiesen, daß wir die Kernkraftwerke abzustellen haben, und wir haben das mit in den Bereich der Energiepolitik in diesen Ländern eingebunden.Wir haben von Anfang an das gleiche getan, indem wir auf unsere Initiative hin eine Überprüfung der Kernkraftwerke in Mittel- und Osteuropa durch die IAEA in die Wege geleitet haben. Das ist durch unsere Initiative möglich geworden. Wir sind es gewesen, die die Sonderkonferenz in Wien in die Wege geleitet haben, wir sind es gewesen, die die Voraussetzungen geschaffen haben, daß es zu einer Sicherheitskonvention für den Betrieb von Kernkraftwerken kommt. Wer diese ganzen Fakten nicht zur Kenntnis nimmt, den muß man wirklich fragen, ob er sich eigentlich aus der Bewältigung der Probleme ausklinken will, denen wir uns gegenübersehen, und ob er wirklich nur noch mit plakativen Sätzen die Diskussion der 80er Jahre weiterführen will.
Wir sind für den Antrag der Koalitionsfraktionen deswegen so dankbar, weil er nicht ein „Weiter so" bedeutet, sondern eine Nachdenklichkeit zur Behandlung der Probleme mitbringt, die wir — ich sage es noch einmal — gar nicht mehr wegdenken können, sondern die uns schlicht und einfach gestellt sind.Wir wissen, daß in vielen Fällen nur das Abschalten hilft. Wir haben uns massiv dafür eingesetzt. Es ist Ihnen vielleicht entgangen, daß im Nachgang zu meinem Besuch in Tschernobyl, also in der Ukraine, der Oberste Sowjet der Ukraine beschlossen hat, Tschernobyl innerhalb der Zeit bis 1993 vom Netz zu nehmen. Das ist aber eine Entscheidung, die wir nicht mit Joint-ventures erreichen können,
denn da geht es nicht um den Neubau eines Kraftwerks, sondern darum, daß wir gemeinsam Abschaltkonzepte entwickeln und klären, wie man ein Kernkraftwerk wie Tschernobyl sicher vom Netz nehmen kann und wie man dies auch mit finanziellen und technischen Hilfen, die wir mit einbringen,
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6200 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992
Bundesminister Dr. Klaus Töpfermachen kann. Das kann ich nicht tun, indem ich eineHermes-Bürgschaft gebe, sondern nur dadurch — —
— Es ist nicht billig,
aber es ist eine der durchgehenden Verfahrensweisen, daß Sie in dem Moment, wo eigentlich die Logik der Argumentation dazu führen würde, daß Sie sagen „Jawohl, da hat er recht", versuchen, durch wirklich nicht mehr sachliche Zwischenrufe die Argumentation zu unterbrechen.
Das ist der Punkt!
Also, wir sind ungleich weiter, als Sie sich das im Augenblick vorstellen können. Ich sage noch einmal: Überprüfen Sie Ihre Positionen jetzt! Denn Sie werden eine Veränderung der Energiepolitik in Europa mitzutragen haben, wenn Sie weiterhin wirklich Gesprächspartner bleiben wollen; das ist die Situation.Ich nehme nachhaltig das auf, was Herr Kollege Baum gesagt hat. Wir haben intensiv mit daran gearbeitet, eine europäische Energiecharta zu machen. Aber wer in einer europäischen Energiecharta eine Zukunft sieht, wird sich damit abzufinden haben, daß dies eine Zukunft mit Kernenergie ist.
Sie werden die Franzosen in einer Energiecharta für Europa doch nicht mit hineinnehmen können, wenn Sie vorher gesagt haben, man muß aus der Kernenergie ausgestiegen sein. Von daher sollte man alle Verdächtigungen, hier werde eine Politik gemacht, die über den Problemen in Mittel- und Osteuropa eine Entlastung für die Kernenergie in der Bundesrepublik fahren wolle, nun wirklich wegnehmen. Es ist wirklich so vordergründig, daß man sich damit eigentlich gar nicht mehr auseinanderzusetzen braucht.
Wenn wir weitergehen, meine Damen und Herren, ergeben sich für uns Notwendigkeiten der Hilfe auf drei Ebenen: zum ersten auf der Ebene des Aufbaus administrativer Strukturen. Ich sage das sehr nachdrücklich. Denn es ist ein zunehmendes Risikopotential darin zu sehen, daß es keine Verwaltungsstrukturen gibt, die sicherstellen, daß die Sicherheit und die Genehmigungsfragen im Zusammenhang mit Kernkraftwerken wirklich unabhängig geregelt werden können. Deswegen haben wir uns dieser Frage angenommen. Wir haben die Kollegen aus Rußland und der Ukraine in München gehabt, gemeinsam mit denfranzösischen, schwedischen und finnischen Kollegen. Wir sind nun dabei, diese administrativen Strukturen gemeinsam aufzubauen. Die GUS wird in Kiew und in Moskau eigene Büros einrichten, um ganz konkrete, ganz unmittelbare Arbeit zur Erhöhung der Sicherheit in diesem Bereich zu ermöglichen.Zweitens. Wir brauchen die Erstellung von Sicherheitsanalysen. Auch dazu hat die Bundesregierung in ganz besonderer Weise Anstoß gegeben. Wir haben die Sicherheitsanalysen für den älteren WWER-Typ — Beispiel Greifswald — gemacht. Wir haben dasselbe bei den jüngeren WWER-Reaktoren getan. Wir machen es bei den 1 000-Megawatt-Blöcken. Und wir sind dabei, zusammen mit anderen, dies auch für den RBMK, also für den Tschernobyl-Reaktor zu tun.Dadurch ist zumindet der Ansatz für eine gezielte Nachbesserung gegeben. Das ist der dritte Teilbereich, also Nachrüstung für begrenzten Weiterbetrieb von Kernkraftwerken und — in einigen Fällen — auch für Dauerbetrieb bei den neuesten Anlagen. Auch das ist eine wichtige Aufgabe, der wir uns nicht verschließen. Wir tun das mit dem Ziel, die sichere Umstrukturierung der Energieversorgung in diesen Ländern zu ermöglichen,
ohne dabei abrupte Brüche zu machen. Aber wenn wir das tun wollen, müssen wir jetzt dort nachrüsten, wo durch Nachrüstung noch ein vernünftiger, zumindest verantwortlicher Betrieb gewährleistet werden kann.
Also, meine Damen und Herren, drei wichtige Aufgabenfelder: administrative Strukturen aufbauen — wir tun es —, Entwicklung von Sicherheitsanalysen — das ist weitgehend vorangeschritten — und Nachrüstung für den begrenzten Weiterbetrieb.Dies alles ist natürlich in eine Weiterentwicklung der Energieversorgungsstrukturen in diesen Ländern eingebunden. Wir brauchen eine Stromsubstitution als Folge einer notwendigen Stillegung von Kernkraftwerken. Es ist gar keine Frage, daß wir Kernkraftwerke stillzulegen haben und deswegen an anderen Stellen wieder aufbauen müssen. Auch hier gibt es — gar keine Frage — gute Bereiche der energiepolitischen Zusammenarbeit. Auch hier ist die Bundesregierung tätig. Kollege Möllemann wird in wenigen Tagen in diese Staaten fahren. In Gesprächen dort werden wir gerade auch Fragen der Energiepolitik in den Mittelpunkt stellen. Denn vieles wäre sicherlich besser zu machen, wenn etwa die Technologien der Gewinnung und der Verteilung von Energie in diesen Staaten verbessert würden, um auf diese Weise Verluste zu vermeiden. Die eingesparten Kosten könnten dann an anderer Stelle zur Refinanzierung von Investitionen eingesetzt werden.
Insgesamt also nicht nur ein Beklagen einer schlechten Situation, sondern ein in sich geschlossenes Konzept, das nur möglich wurde — auch das möchte ich unterstreichen —, weil die Bundesregie-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 6201
Bundesminister Dr. Klaus Töpferrung nicht, wie ihr immer wieder anempfohlen wurde, den Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland gemacht, sondern hier Know-how entwickelt hat, das sie überhaupt erst zum Sicherheitspartner, zusammen mit anderen, hat werden lassen. Wären wir auf Ihren Wunsch hin ausgestiegen, so hätten wir gar nicht das Know-how und die Kenntnisse, die jetzt notwendig sind, um mit diesen Risiken in Mittel- und Osteuropa umzugehen.
Auch das bestätigt, daß wir einen außerordentlich richtigen Kurs in der gesamten Energiepolitik gefahren sind und daß wir der Tatsache, mit moderner Technik sicher leben zu können, Rechnung getragen haben.Ich bin ganz sicher, daß auch die Opposition sehr bald einsehen wird, daß dieses Verfahren verantwortlich ist und daß wir auf dieser Basis wieder einen Konsens auch in der Energiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland gewinnen können. Ich bin sehr gewiß, daß diese Erkenntnisse über die Zwänge und Notwendigkeiten der energiepolitischen Zusammenarbeit in Europa die Nachhilfe im Denken auch bei der SPD beflügeln wird.
Wir sind am Ende der Aussprache über diesen Tagesordnungspunkt.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zur Reaktorsicherheit auf der Drucksache 12/1906 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. — Weitere Vorschläge aus dem Haus werden nicht gemacht. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf der Drucksache 12/1752 ab. Es handelt sich um die Änderung einer EG-Richtlinie zum Schutz gegen Strahlungen.
Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der SPD bei Enthaltung der Gruppe der PDS/Linke Liste angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Adam, Anneliese Augustin, Dietrich Austermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gisela Babel, Günther Bredehorn, Dr. Olaf Feldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Förderung des Fremdenverkehrs in den neuen Ländern
— Drucksache 12/1323 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Fremdenverkehr
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen eine Debattenzeit von eineinhalb Stunden. — Einwendungen dagegen erheben sich nicht. Damit ist dies beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst erteile ich dem Abgeordneten Dr. Olderog das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen heute die erste tourismuspolitische Debatte in dieser Wahlperiode. Sie soll deutlich machen: Die für uns Tourismuspolitiker im Bundestag mit Abstand wichtigste Aufgabe ist der Aufbau des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern. Hier können mit vergleichsweise wenig Kapital besonders viele Arbeitsplätze geschaffen werden.Dies sind die zehn wichtigsten Aufgaben:Erstens. Alle geeigneten, noch nicht für den Tourismus geöffneten Gästezimmer sind so rasch wie möglich auf den Markt zu bringen. Die Treuhandanstalt, leider allzu oft einseitig nur kritisiert, arbeitet unter extrem schwierigen Bedingungen. Sie hat — das möchte ich betonen — mit der Privatisierung fast aller großen Hotels sowie aller Gaststätten bereits Respektables geleistet. Jetzt muß sie in einer konsequent verstärkten Anstrengung die Privatisierung von Ferienheimen der Betriebe und des ehemaligen FDGB sowie der Gästehäuser von NVA, Stasi und Partei vorantreiben.Zweitens. Die Ausstattung von Hotels, Pensionen und auch Gaststätten liegt meist weit hinter dem westlichen Standard zurück. Vor allem kleine und mittlere Betriebe und auch Besitzer von Privatquartieren ermutigen wir, kräftige Anstrengungen für eine Rundummodernisierung zu unternehmen. Die Bundesregierung bietet Förderprogramme an.Drittens. Zu einem modernen touristischen Angebot zählen auch naturnah und landschaftsbezogen gestaltete Anlagen für Spiel und Spaß, für Gesundheit und Sport. Hier gibt es einen erheblichen Nachholbedarf.Viertens. Auf längere Sicht zweifellos das Wichtigste ist eine gute Landes-, Regional- und Ortsplanung. Sie muß sorgfältig durchdacht sein. Denn hier können die größten, später irreparablen Fehler gemacht werden. Es geht um die notwendige Balance zwischen arbeitsplatz- und einkommenschaffenden Investitionen einerseits und dem Erhalt von möglichst viel Natur andererseits. Die Regionalplanung sollte koordinierend sicherstellen, daß jeder Fremdenverkehrsort sein charakteristisches Gesicht erhält, bewahrt und nicht alle eintönig das gleiche bieten.Fünftens. Wir wollten einen sanften Tourismus, Tourismus mit Einsicht. Natur und Landschaft sind das Fundament des Fremdenverkehrs. Aber die Erfahrungen in den alten Bundesländern rechtfertigen keines-
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6202 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992
Dr. Rolf Olderogfalls, touristische Konzentrationen, Großprojekte generell abzulehnen, vorausgesetzt, diese passen sich architektonisch anspruchsvoll der Landschaft an. Besonders wichtig: Zum Ausgleich dafür müssen dann aber an anderer Stelle große Naturräume völlig freigehalten werden.Sechstens. Zum touristischen Kapital der neuen Länder zählen herrliche Baudenkmäler und phantastische historische Bausubstanz. Sie zu erhalten ist kulturelle Verpflichtung, zugleich ein Gebot des Fremdenverkehrs.Siebtens. Früher wurde Tourismus verwaltet, heute müssen ihn die Touristiker verkaufen. Deswegen ist der rasche Aufbau örtlicher und überregionaler Fremdenverkehrs- und Marketingorganisationen besonders wichtig.Achtens. Auch diejenigen, die in der früheren DDR eine gute touristische Fachausbildung erfahren haben, müssen in einer Wettbewerbswirtschaft dazulernen. Deswegen wollen wir die Vermittlung von Know-how, wollen wir Schulung und Training verstärkt fördern. Den vielen ABM-Kräften, die jetzt Pionierarbeit leisten, sollten wir durch eine qualifizierte Fachausbildung langfristig eine berufliche Perspektive sichern.Neuntens. Die reizvollsten Feriengebiete erreichen nicht die gewünschte Gästezahl, wenn die Urlauber nur unter Mühen und Strapazen dorthin kommen. Unverzichtbar sind deshalb gute Fernstraßen und Zugverbindungen.Zehntens. Noch fehlt es an einer erfahrenen und eingespielten Verwaltung. Auch im Fremdenverkehr läuft vieles noch zu mühsam und schwerfällig. Wir unterstützen deshalb den Wunsch aus den neuen Bundesländern, daß die Bundesregierung bei der Koordinierung der Tourismuspolitik sowie bei der Erstellung touristischer Konzeptionen tatkräftig hilft. Weil das ordnungspolitisch und insbesondere von den verfassungsmäßigen Zuständigkeiten her allerdings problematisch ist, darf und soll das nur für eine Übergangszeit geschehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die neuen Lander mit ihren herrlichen Landschaften, historischen Städten und ihrem reichen Schatz an Kultur- und Baudenkmälern haben alle Chancen, wieder attraktive Reise- und Urlaubsziele für in- und ausländische Gäste zu werden. Das versichern wir unseren Landsleuten: Wir im Bundestag stützen sie nach besten Kräften.Danke schön.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Kuessner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tendenz des Antrages der Koalition ist gut und sinnvoll. Ich frage mich dennoch: Warum stellt die Koalition diesen Antrag?
Sie regiert in Bonn und sogar in vier der neuen östlichen Länder. Ob es bei vier bleibt, muß man sehen.
Sie kann handeln und muß nicht wie die Opposition auf die Schwächen dieser Regierung hinweisen, um sie zu wirkungsvollem Handeln zu bewegen. Aber die Koalition ist wohl mit uns der Meinung, die Regierung tut zuwenig, ihre politischen Vorgaben sind nicht richtig.
Zu Recht wird die Bundesregierung in Nr. 6 des Antrages aufgefordert, „darauf hinzuwirken, daß die Treuhand und die Bundesvermögensverwaltung die Objekte unter Beachtung der Umwelt- und Sozialverträglichkeit schnellstmöglich einer Nutzung zuführen." Von den rund 700 bis 800 Ferienheimen des ehemaligen FDGB sind bisher drei privatisiert. Nur ein Drittel dieser Heime ist verpachtet, ein Drittel wird notbewirtschaftet, und das letzte Drittel ist geschlossen.
— Das ist sehr schlimm. Von den 3 600 Betriebsferienobjekten wurden von der Treuhand 3 000 als tourismusfähig eingeschätzt. Im November 1991 waren nur rund 500 Objekte verpachtet oder privatisiert.Aber noch nicht einmal diese Zahlen scheinen gesichert zu sein. Aus den verschiedenen Papieren der Treuhand sind unterschiedliche Zahlen zu entnehmen, je nachdem, welcher Ausschuß die Zahlen anfordert: der Unterausschuß Treuhand, aus dem ich komme, oder der Unterausschuß Fremdenverkehr.Der Kreistag in Wolgast — das ist eine Stadt im Nordosten Deutschlands — wollte am 13. Januar mit einem Vertreter der Treuhand über die Privatisierung reden. Aber der erschienene Vertreter war zu einer Aussage nicht in der Lage. Das ist leider kein Einzelfall.Die Zeit läuft. Die Saison 1992 steht vor der Tür. Ostseebäder wie Zinnowitz, Ahlbeck und Heringsdorf leben von dem Urlauberbetrieb.Eine Ursache für diese zögerliche Arbeit der Treuhand ist die unklare Struktur der Treuhandarbeit auf diesem Gebiet. Es gibt einen Koordinator und vier Abteilungen, die sich mit der Privatisierung von Herbergseinrichtungen befassen. Klare Zuordnungen scheinen zu fehlen.Aber die Hauptursache für dieses negative Ergebnis liegt vor allem bei den falschen politischen Vorgaben. Die SPD hat in diesem Hause schon oft gefordert: An erster Stelle sollte die Entschädigung der Alteigentümer stehen und nicht die Rückgabe der Grundstücke.
In diesem Ausschuß scheint das ja Konsens zu werden. Ich zitiere meinen Vorredner aus seiner letzten Pressemeldung: „Dieser Zustand ist aber nicht in dieser Form der Treuhandanstalt anzulasten. Die GründeDeutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Borm, Freitag, den 24. Januar 1992 6203Hinrich Kuessnerliegen insbesondere in gesetzlichen Vorgaben. " — Eben. Es geht um Entschädigung statt Rückgabe.Der Bedarf an Hotel- und Ferienplätzen ist an der Ostseeküste groß. Aber die Bereitschaft der Menschen vor Ort, selbst aktiv zu werden, wird behindert. Die Klärung der Eigentumsverhältnisse ist sicher kompliziert. Bei den Menschen im Osten setzt sich immer mehr fest: Die Politik in den östlichen Ländern ist an den Interessen der Menschen aus den westlichen Ländern ausgerichtet. Sie können Eigentümer werden; die Menschen im Osten werden wenig beteiligt, sie befinden sich in der Rolle des Zuschauers. Wenn sie einmal aus dieser Rolle herauskommen, begegnet man ihnen mit Mißtrauen. Banken bezweifeln teilweise ihre Kreditwürdigkeit, weil sie Ostdeutsche sind.
— Das ist nicht genauso. Kommen Sie einmal vor Ort, und sprechen Sie mit den Leuten. Das ist ein erheblicher Unterschied.
Gerade der Fremdenverkehr wäre ein Bereich, wo es anders sein könnte. In diesem Wirtschaftsbereich ist — wie es in dem Antrag richtig heißt — der Kapitalbedarf je Arbeitsplatz relativ gering. Hier könnten Einheimische aktiv werden. Im Handel beispielsweise ist dies praktiziert worden. 70 % des Handels wurden an Einheimische verkauft.Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern, einer der schönen Gegenden Deutschlands. Ich will nur auf die Inseln Hiddensee, Rügen und Usedom, die Mecklenburgische Seenplatte und die Mecklenburgische Schweiz hinweisen. Die Baumalleen an den Straßen prägen die Landschaft ebenso wie der Wildreichtum in den Wäldern. Unberührte Natur, klassische Seebäder, weite und zum Teil einsame Strände und sauberes Wasser sind ein wichtiges touristisches Potential. Naturschutzgebiete und Naturparks nehmen 27 % der Fläche des Landes ein. Die vielgestaltige Ostseeküste ist 340 km lang. Dazu kommen 1 160 km Boddenküste.Für den Fremdenverkehr müssen Konzepte entwikkelt werden, die die Schönheit und Besonderheit des Landes erhalten. Dazu ist eine planende Vorausschau notwendig.Es wird sicher Eingriffe in die Natur geben. Man wird nicht alles erhalten können. Die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern wollen in ihrer Heimat leben, d. h. auch arbeiten. Sie wollen nicht schlechter leben als die Menschen in Schleswig-Holstein oder in Niedersachsen. Dies zu ermöglichen, ohne daß die Landschaft zerstört oder das Land zu einem unansehnlichen Wohlstandsland wird, ist die Aufgabe unserer Generation.
Dies erreicht man nicht im Hauruckverfahren, wie es Minister Krause will. Gegen die Ost-West-Autobahn gibt es in Mecklenburg-Vorpommern kaumWiderstand. Die Infrastruktur muß verbessert werden.
Für den Tourismus gilt: Ohne Verkehr kommt keiner, bei zuviel Verkehr kommt keiner wieder. Darum sind manche Forderungen, daß die Autobahn bis vor die Haustür gehen soll, für die Entwicklung des Fremdenverkehrs nicht richtig.
Wenn man nicht überall an der Ostsee den Massentourismus haben will, muß man sich auch mit der Verkehrsplanung darauf einstellen. Öffentliche Verkehrsmittel können die Touristenströme besser lenken und begrenzen als eine Autobahn.Für die Insel Usedom ist darum ein Konzept für die Erschließung mit öffentlichen Verkehrsmitteln wichtig. Das traditionelle Quellgebiet ihrer Urlauber ist für die Insel Usedom der Großraum Berlin. Um dieses Gebiet nicht durch Autos vollzustopfen, müssen jetzt Schienenwege und Nahverkehrssysteme ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang kann auch die Wiedereröffnung der Eisenbahnstrecke Ducherow-Usedom von Interesse sein. Die Planung in dieser Region sollte darüber hinaus zusammen mit den Polen erfolgen. Usedom-Wollin ist ein einzigartiges Gebiet für vielseitige Tourismusangebote. Eine gemeinsame Vermarktung kann für die gesamte Region von Nutzen sein. Die Polen sind daran interessiert. Wir sollten es ebenfalls sein, da wir nur gemeinsam die notwendigen Maßnahmen zur Reinerhaltung der Oder durchführen können.Unser Ziel ist nicht der Ausbau des Massentourismus, sondern eine naturverträgliche touristische Nutzung; denn Mecklenburg-Vorpommern wird in Zukunft nur eine Chance haben, wenn die typische Landeschaftsform als Erlebnis- und Erholungsraum erhalten bleibt. Mecklenburg-Vorpommern darf auch nicht mißbraucht werden für die Lösung von Problemen, die sich die Menschen in den westlichen Ländern nicht mehr gefallen lassen.
Truppenübungsplätze dürfen nicht zu Lasten der Entwicklung des Fremdenverkehrs gehen. Auch das immer wieder aufflackernde Gerede über die Errichtung eines bundesweiten Atommüllzwischenlagers in Greifswald gehört hierher. Die Menschen vor Ort müssen mitbestimmen können, ob Tiefflüge und Schießübungen bei ihnen durchgeführt werden.Fremdenverkehr hat in Mecklenburg-Vorpommern Bedeutung nicht nur als Haupterwerb, sondern auch als Nebenerwerb. Gerade bei den Problemen der Landwirtschaft kann der Fremdenverkehr eine wichtige wirtschaftliche Ergänzung sein. Ferien auf dem Lande können interessant für die ganze Familie gestaltet werden. Dazu gehören die Anlage von Rad-, Reit- und Wanderwegen, familienfreundliche Unterkünfte zu angemessenen Preisen und vor allem ein Dorferneuerungsprogramm. Zum letzteren gehört auch der Umweltschutz. In die Trinkwasserversorgung, Abwasserableitung und Abfallbeseitigung ist jetzt zu investieren. Unterlassene Umweltschutzbemühungen kosten in Zukunft Gäste.
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6204 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992
Hinrich KuessnerRund ein Viertel der Bevölkerung in den östlichen Ländern lebt auf dem Land. Die bauliche Substanz in den Dörfern ist in der Regel besser als in den Städten, und die Eigentumsfragen sind klarer. Hier ließe sich der Aufschwung schneller sichtbar gestalten.Für zwei Dörfer aus Mecklenburg-Vorpommern war gestern ein großer Tag, für Wollin im Kreis Pasewalk und in Bernitt im Kreis Bützow. Sie wurden ausgezeichnet im Bundeswettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden" . Die Zahl der Teilnehmer aus den östlichen Ländern war bei diesem Wettbewerb noch gering.Das Dorferneuerungsprogramm kann ein wichtiger Motor für die Entwicklung im ländlichen Raum werden. Für uns in den östlichen Ländern ist wichtig, daß der politische Wille nicht nur zu Papier gebracht wird. Es muß gehandelt werden. Wenn der Antrag Hemmnisse beseitigt und Aktivitäten der Menschen bei uns freisetzt, dann ist er ein gutes Stück Papier. Er wird dann unsere Unterstützung finden.Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Olaf Feldmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entwicklung des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern war Schwerpunkt der Arbeit des Fremdenverkehrsausschusses 1991 und wird es auch 1992 bleiben. Aber es ist höchste Zeit, daß wir uns im Deutschen Bundestag hier im Plenum mit diesem Thema beschäftigen; denn Fremdenverkehr ist wirtschaftlich ein Riese und schafft Arbeitsplätze, vor allem in strukturschwachen Regionen.
— Wollen Sie das bestreiten?
— Gut, dann sind wir uns wenigstens bei diesem Thema alle einig.Die neuen Bundesländer bieten gute Voraussetzungen für den Fremdenverkehr und haben auch in der Saison 1991 erhebliche Fortschritte gemacht. Im Sommer waren die Ostseeküste von Mecklenburg-Vorpommern und zum Jahreswechsel der Harz und der Thüringer Wald gut ausgebucht. Auch die Zahl der ausländischen Besucher hat in den neuen Bundesländern gegenüber 1990 um fast 50 % zugenommen. Es geht aufwärts, das kann man sagen. Die FDP- Fraktion bekundet großen Respekt vor den vielen Existenzgründern in Ostdeutschland, die mit großer Begeisterung und Mut zum Risiko ihre Chance ergriffen haben.Trotzdem ist das Bild alles andere als rosig. Wir sollten hier und heute auch die Möglichkeit nutzen, die Dinge beim Namen zu nennen, denn wir wollen die Dinge zum Besseren wenden. Nach wie vor läuft die Privatisierung im Beherbergungsbereich nur schleppend. Haupthindernisse sind die bekanntenschwierigen Eigentumsfragen und die Verzögerungen im Verwaltungsvollzug. Es ist richtig — die Treuhand verdient Lob —, daß es trotz dieser Schwierigkeiten gelungen ist, den größten Teil, vor allem der Stadthotels, zu privatisieren. Auch das Programm „Mittelstandsexpreß 2000", mit dem die Privatisierung der Betriebsferienheime schnell realisiert werden soll, verdient unsere volle Anerkennung.
Aber wir sind enttäuscht — und ich möchte das hier auch in aller Deutlichkeit sagen —, daß immer noch kein Weg gefunden wurde, die 600 FeDi-Heime, die ehemaligen FDGB-Erholungsheime, zu privatisieren oder wenigstens langfristig zu verpachten.
Daß erst drei von 600 verkauft wurden, ist — gelinde gesagt — fast ein Skandal. Ich will das vorsichtiger ausdrücken, als Sie von der Opposition es gesagt haben.Auch die aus Stasi-, NVA- und Parteivermögen stammenden Objekte sind immer noch blockiert. Hier wird der touristische Aufschwung Ost behindert. Hier ist der beste Fremdenverkehrskoordinator, den wir wollen und den wir unterstützen, überfordert. Denn hier ist Politik gefordert. Die Politik muß die Vorgaben geben. Und deshalb muß der verantwortliche Finanzminister als oberster Dienstherr der Treuhand dafür sorgen, daß das Zuständigkeitswirrwarr bei der Privatisierung von Beherbergungsbetrieben schleunigst beendet wird.
Meine Damen und Herren, der Fremdenverkehrsausschuß hat dafür gesorgt, daß ein Koordinator für Fremdenverkehr eingesetzt wurde. Der Deutsche Bundestag fordert jetzt mit seinem Entschließungsantrag, daß dieser Koordinator auch mit den erforderlichen Kompetenzen ausgestattet wird, um die Privatisierung von Beherbergungsobjekten durchzusetzen. Dort, wo eine allzu enge und dogmatische Auslegung des Prinzips Rückgabe vor Entschädigung massiv die wirtschaftliche Entwicklung der davon abhängigen Region behindert, ist in Einzelfällen mehr investitionsorientierte Flexibilität gefordert. Aber dazu wird meine Kollegin Frau Leutheusser-Schnarrenberger noch Stellung nehmen.Meine Damen und Herren, Tourismus — das wissen wir — ist Ländersache. Als gute Föderalisten achten wir das Subsidiaritätsprinzip auch und vor allem im Fremdenverkehr.
Trotzdem sollte der Bund bei der Koordinierung der Fremdenverkehrspolitik in den neuen Ländern helfen, soweit die Lander dies wünschen. Zum Beispiel brauchen wir ein abgestimmtes, länderübergreifendes, touristisches Gesamtkonzept für den Harz.
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Dr. Olaf Feldmann— Ich sehe, hier sind lauter Harzer Lobbyisten.
— Ich freue mich über die Unterstützung, die diese Forderung in diesem Hause hat, denn hier zeigen sich exemplarisch auch im Verkehrs- und Umweltbereich die Probleme des deutsch-deutschen Zusammenwachsens. Hier ist aktive Koordinierung seitens des Bundes gefordert, damit nicht aneinander vorbei- oder gar gegeneinander geplant wird.Ein erster Koordinierungsschritt zum Pilotprojekt Harz wäre eine Harzkonferenz der Vertreter aller betroffenen Landes- und Bundesministerien unter Einbeziehung der politischen Instanzen auf Kreis- und Gemeindeebene. Auch im Spreewald sollte der Bund stärker zur Koordinierung und Unterstützung bereit sein.Ich darf schließen mit dem Dank an alle, die mitgearbeitet haben, dem Tourismus Ost auf die Beine zu helfen, denn Fremdenverkehr ist nicht nur ein wichtiger Wirtschaftszweig, Fremdenverkehr bedeutet auch ein Stück Freiheit. Nicht ohne Grund wurde „Reisefreiheit" zum Wort des Jahres 1989 gewählt. Dem zuständigen Staatssekretär Beckmann — unserem Tourismus-Staatssekretär — mit seinem engagierten Fremdenverkehrsreferat, mit der Abteilung Ost in Berlin sowie dem Direktorat „Hotels und Gasthäuser" in der Treuhandanstalt, vor allem aber den Fremdenverkehrsmitarbeitern vor Ort
sowie den Geschäftsführern der Landesfremdenverkehrsverbände aus den neuen Bundesländern, die heute hier im Bundestag anwesend sind
und diese Debatte verfolgen, und den touristischen Fachverbänden, die sich in den neuen Ländern engagiert haben, will ich im Namen des Fremdenverkehrsausschusses des Deutschen Bundestages ausdrücklich für ihre Pionierarbeit Danke sagen.
Nunmehr hat die Frau Abgeordnete Dr. Höll das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abgeordnete Angela Stachowa, die Vertreterin unserer Abgeordnetengruppe der PDS/Linke Liste im Ausschuß für Fremdenverkehr ist, mußte aus unaufschiebbaren Gründen heute Bonn verlassen, so daß sie ihre Rede nicht selbst halten kann. Deshalb werde ich sie verlesen.„Reisen bildet" — so ein altes Sprichwort. Reisen, Tourismus, Fremdenverkehr — in unserer heutigen gestreßten Welt ein wichtiger Bestandteil des Lebens unserer Menschen. Ein bestimmter Wohlstand und ein Quantum an Freizeit machen es möglich, die Welt, andere Völker und Kulturen kennenzulernen.Aber viele Menschen hatten auch nach der Schaffung der deutschen Einheit das Bedürfnis, den bisher „verborgenen" Teil ihrer Heimat zu besuchen. Immerhin waren im vergangenen Jahr über eineMillion Menschen aus den alten Bundesländern als Touristen in die neuen Länder gereist. Sicher spielt hierbei die Neugier eine Rolle, ein so nahes und dennoch über viele Jahre hinweg fernes Gebiet zu erkunden.Viele Touristen werden dabei eine widersprüchliche Erfahrung gemacht haben. Einesteils viel Sehenswertes, sehr schöne Landschaften, historische Denkmäler, aber zugleich mangelhafte touristische Möglichkeiten, unbefriedigende Qualität der Hotels, der Dienstleistungen, des Service und ein Mißverhältnis im Preis-Leistungsverhältnis.Wenn man den Ausgangspunkt betrachtet — zwei Fünftel aller touristischen Übernachtungen früher in betrieblichen Erholungseinrichtungen, einschließlich Dauercamping, einige wenige erstklassige Interhotels und sehr wenige Ferienheime des Feriendienstes der Gewerkschaften und der Betriebe, die internationalem Standard entsprachen, sowie Zigtausende Übernachtungen in Privatquartieren ohne den heute üblichen Standard —, dann dürfte jedem klar sein, um welchen Nachholbedarf es sich hier handelt. Heute geht es um die Vermarktung von Produkten im Konkurrenzkampf, oft gegenüber Gebieten in Deutschland, wo allein der Name für Qualität bürgt.Natur und kulturhistorische Stätten, dies mag zwar ein Magnet sein, reicht aber allein nicht aus. Ausbildung und Qualifikation, Fremdsprachenkenntnisse, Verkaufspsychologie, Technik und Service — all das sind Bereiche, wo unsere Menschen nur mit gutem Willen allein nicht vorankommen werden.Damit bin ich beim Thema des vorliegenden Antrages, den ich generell befürworte. Was gebraucht wird, ist eine Förderung des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern, ist Kapital, sind Investitionsmöglichkeiten und sind Förderungen im weitesten Sinne des Wortes, die nicht immer nur mit Geld aufgewogen werden können. Aber ohne Geld geht natürlich auch nichts.Viele potentielle Investoren scheitern heute noch an den ungeklärten Eigentumsverhältnissen. Wer investiert denn in größerem Maße, wenn die Pachtdauer bei einem bis zu fünf Jahren liegt, wenn Restitutionsansprüche ungeklärt sind, wenn z. B. bei Villen aus der Gründerzeit an der Ostsee eine lückenlose Klärung der Eigentumsverhältnisse bis zum Jahre 1933 zurück erfolgen soll
und die damit beauftragten Behörden gänzlich überfordert sind?
Hinzu kommt, daß die Antragsverfahren für die Schaffung von Beherbergungskapazitäten kompliziert sind, eine Vielzahl von Förderprogrammen die Übersicht erschwert, die Gesetzes- und Rechtskenntnisse der ehemaligen DDR-Bürger nicht dem heute geforderten Standard entsprechen und nicht entsprechen können und sie oft verzweifeln lassen. Gerade das brauchen wir heute: die Initiative von vielen Kleinunternehmern.
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Dr. Barbara HöllDie großen Hotels, z. B. in Dresden, sind fast ständig ausgebucht, allerdings durch Geschäftsreisende. Der Verkauf der teuren und ertragsträchtigen Interhotels und der Neubau von Superhotels in den Städten wird sich nach Klärung bestimmter Fragen in Sachen Grundstücke wohl schon regeln.Notwendig ist aber jetzt der Bau von kleinen Hotels, von Pensionen mit entsprechendem Niveau in landschaftlich schönen Gegenden, außerhalb der Großstädte, aber mit Verkehrsanbindung. Die Länder sind gefordert, Verkehrskonzepte vorzulegen, um den Autotourismus in gewisse Schranken zu weisen. Im Spreewald beispielsweise, wo der Tagestourismus überwiegt, müßten autoarme Zonen im Interesse der Natur geschaffen werden. Gebraucht werden niveauvolle Privatunterkünfte und das dazugehörige Umfeld in Form von kulturellen und anderen Freizeitmöglichkeiten.Umfragen zeigen, daß sich der Kurzurlaub bis zu vier Tagen wachsender Beliebtheit erfreut. Und auch das Urlaubsziel Deutschland ist laut Statistik die Nummer eins für viele unserer Menschen. Das ist eine Herausforderung für den Fremdenverkehr in den neuen Bundesländern.Von vielen Fachleuten ist zu hören, daß der sanfte Tourismus und darunter der Urlaub auf dem Lande eine gute Perspektive haben. Das ist eine Chance für die neuen Bundesländer.Urlaub auf dem Lande ist umwelt- und familienfreundlich, schafft Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen, trägt zur Vermarktung einheimischer Produkte bei — an Stelle von Kiwi frisches Obst aus dem Garten — und verlegt den Tourismus aus den Ballungsgebieten heraus.Aber auch hier zeigen sich die leider üblichen Probleme: keine Tradition und damit keine Erfahrung im Osten Deutschlands, wenig zur Verfügung stehendes Kapital, Qualität der Objekte, Freizeitgestaltung. Wer macht denn Urlaub auf dem Bauernhof, wenn weit und breit kein Telefon existiert, wenn bei schlechtem Wetter keine Schwimmhalle in der näheren Umgebung ist, wenn Wander- und Radwege nur ungenügend ausgebaut bzw. ausgeschildert sind, wenn keine Pferde zum Reiten und kein Golfplatz zum Spielen vorhanden sind?Laut Statistik gab es 1990 in Deutschland 1 577 geprüfte Ferienhöfe in den alten Bundesländern. Bis zum September 1990 wurde aber kein einziger Antrag aus den neuen Bundesländern bestätigt. Neue Zahlen sind uns leider nicht bekannt. Aber dieser Fakt zeigt ganz einfach, wie schwer es ist, das entsprechende geforderte Niveau zu schaffen. Aber ohne Geld geht es nicht. Wenn dann noch ein williger Ossi den Banken Sicherheiten garantieren soll: Ja, wie denn?Der Fremdenverkehr kann natürlich keine wirtschaftlichen Wunder vollbringen. Das produzierende Gewerbe im Osten Deutschlands muß entwickelt werden. Aber er kann Arbeitsplätze schaffen; er kann helfen, daß sich die Menschen näherkommen. Er kann dazu beitragen, daß auch andere Dienstleistungsbranchen sich entwickeln können. Ob er zum Motor des Aufschwungs wird, wie im vorliegenden Antrag charakterisiert, wagen wir zu bezweifeln.Auf jeden Fall kann die derzeitige Notbewirtschaftung von Ferien- und Tourismusobjekten, die nur Geld kostet und nichts bringt, so nicht weitergehen. Auch wenn der Fremdenverkehr Ländersache ist: Bund und Treuhand sind gefordert. Insofern hätte der vorliegende Antrag ruhig noch weiter gehen können. Die direkte Partnerschaftshilfe zwischen den alten und den neuen Bundesländern hat ja schon Erfolge gezeitigt. Auch die Bundesregierung sollte jetzt ein Signal setzen.Ich danke Ihnen.
Nun erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Klaus Beckmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt es sehr, daß sich der Deutsche Bundestag heute mit der Situation des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern befaßt. Ich werte dies auch als Anerkennung der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung, die Sie diesem Wirtschaftszweig beimessen.Zwei Jahre im Prozeß des Umbaus der Tourismuswirtschaft in den neuen Ländern vom sozialpolitisch determinierten, aber auch deformierten Verteilungs- und Verschickungssystem zum marktwirtschaftlich strukturierten Fremdenverkehrsgewerbe liegen hinter uns. Es ist Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen, neue Aufgaben zu erkennen und auch neue Schwerpunkte zu definieren.Dieser Veränderungsprozeß verläuft in mancher Beziehung komplizierter, als von uns vorauszusehen war. Der desolate Zustand der touristischen Strukturen, die zum Teil sehr komplizierten Eigentumsprobleme ebenso wie die mangelnde Erfahrung der Menschen gegenüber marktwirtschaftlichen Anforderungen markieren noch heute den Ausgangspunkt beim Start des Fremdenverkehrs in den neuen Ländern.Es kann daher niemanden verwundern, daß sich viele der hochgespannten Erwartungen des Jahres 1990 nicht oder nicht so schnell erfüllt haben. Das hat aber Gott sei Dank nicht zur Resignation geführt, sondern zu verstärkten Anstrengungen.Die Saison 1991 ist besser verlaufen als vielfach erwartet. Die Tourismuswirtschaft in den neuen Bundesländern ist in Gang gekommen. Besonders hervorzuheben sind erstens die Privatisierung mittelständischer Unternehmen im Gaststätten-, Hotel- und Reisebürogewerbe und dessen Förderung im Rahmen der Bund-Länder-Programme, zweitens der Aufbau und die inzwischen weitgehende Handlungsfähigkeit der Länder- und Kommunalverwaltungen, drittens die Schaffung von leistungsfähigen Tourismusorganisationen auf Landes- und kommunaler Ebene. Die Landesfremdenverkehrsverbände sind gebildet. Zahlreiche regionale und örtliche Verkehrsverbände haben ihre Arbeit aufgenommen. Ihnen gilt mein ganz besonderer Dank und meine Anerkennung für die Wahrnehmung der Aufgaben in dieser schwierigen Zeit.
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Parl. Staatssekretär Klaus BeckmannDie Bundesregierung kann für sich in Anspruch nehmen, daß ihre wirtschafts- und tourismuspolitischen Maßnahmen einen wesentlichen Anteil daran haben, daß heute mit Optimismus der Saison 1992 entgegengesehen wird.
Zu der Kritik des Kollegen Kuessner möchte ich nur folgendes sagen: Ich glaube, am deutlichsten sprechen in diesem Zusammenhang die Zahlen. Im Rahmen des ERP-Kreditprogrammes sind bis Ende 1991 rund 1 400 Vorhaben mit einem Gesamtbetrag von rund 1,3 Milliarden DM und im Rahmen des Eigenkapitalhilfeprogramms 14 165 Vorhaben mit einem Gesamtbetrag von 294 Millionen DM bewilligt worden. Die dadurch angestoßene Gesamtinvestitionssumme dürfte rund 2 Milliarden DM erreichen, Herr Kollege Kuessner. Der größere Teil der Mittel geht an die Existenzgründer. Nach Schätzung der Deutschen Ausgleichsbank sind bzw. werden damit knapp 60 000 neue Arbeitsplätze geschaffen und rund 10 000 erhalten.Meine Damen und Herren, wo sieht nun die Bundesregierung die Schwerpunkte für den weiteren Aufbau der Tourismuswirtschaft in den neuen Bundesländern? Meine Antwort lautet: zum einen Fortführung des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost, um der gewerblichen Wirtschaft weitere Marktchancen zu eröffnen und das erforderliche Umfeld mit touristischen Infrastrukturmaßnahmen zu komplettieren, zum zweiten ein Mehr an Investitionen durch verstärkte Investorenwerbung und die Schaffung des notwendigen Investitionsklimas in den Kommunen und drittens Unterstützung der Treuhandanstalt bei der Beschleunigung des Privatisierungstempos im Beherbergungssektor. Das ist von den Kollegen hier soeben mehrfach angesprochen worden. Dies wird von der Bundesregierung nachhaltig unterstützt.
Was bedeutet das nun im einzelnen?Erstens. Der erkennbare Durchbruch in Teilbereichen des Fremdenverkehrs ist weiter zu stabilisieren. Ich stehe selber im Gespräch mit der Tourismuswirtschaft, um das Angebot des ostdeutschen Fremdenverkehrsgewerbes in den westlichen Ländern noch intensiver zu vermarkten. Ich bin auf die Darbietungen gespannt, die wir auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin zu sehen bekommen. Es kommt darauf an, die 1991 erkennbar gewordene Nachfrage zu verstetigen.Soll die Motorfunktion des Tourismus in den neuen Ländern wirklich zum Tragen kommen, müssen die Teilerfolge in ein wirkungsvolles Gesamtkonzept für jedes Land eingebettet werden.
Die konzeptionelle Arbeit auf diesem Gebiet — das möchte ich unterstreichen — steht erst am Anfang. Sie sollte mit Nachdruck beschleunigt werden.
Herr Kollege Dr. Olderog, die Bundesregierung ist bereit, die neuen Länder bei der Erarbeitung vonEntwicklungskonzepten zu unterstützen, damit vor allen Dingen die Planungsdefizite beseitigt und langfristige Voraussagen für touristische Entwicklungen ermöglicht werden. Wir kommen Ihrem Anliegen gerne entgegen.
Zweitens. Der erfolgreiche Aufschwung im Tourismus setzt mehr Investitionen als bisher voraus. Insofern kann ich nur sagen: Die Bundesregierung ist sehr froh darüber, daß wir uns in diesem Politikbereich auf eine breite Unterstützung dieses Hauses stützen können. Wir freuen uns darüber, daß es in der Tourismuspolitik ein gemeinsames Interesse gibt, die Dinge nach vorn zu bringen. Ich bedanke mich insoweit auch für die sehr konstruktive Zusammenarbeit mit dem Ausschuß für Fremdenverkehr und den Fraktionen.Ich sagte: Wir brauchen mehr Investitionen, um den Aufschwung zu sichern. Neuinvestitionen, Modernisierungs- und Erweiterungsinvestitionen sind aus wettbewerbspolitischen Gründen dringend erforderlich, besonders in der Hotellerie — vor allem in den größeren Städten — und in der Gastronomie.
Die Beratungsförderung des Bundesministers für Wirtschaft wird sich, so hoffe ich, hier als hilfreich erweisen.Drittens. Wir brauchen mehr und bessere Kapazitäten. Die Bemühungen der Treuhandanstalt zur Entflechtung der ehemaligen touristischen Staatsbetriebe zugunsten von mittelständischen Existenzgründungen müssen intensiviert werden. Nach der raschen Privatisierung der ehemaligen HO-Gaststätten und Hotels müssen nun für die touristische Nutzung geeignete Beherbergungsprojekte von Betrieben, Parteien, der Einheitsgewerkschaft und anderer Institutionen der DDR in den Markt gebracht werden. Hier bestehen in der Tat noch ungenutzte Reserven für die schnelle Erweiterung des Angebots.Lassen Sie mich noch kurz auf das Verhältnis von Tourismus und Umweltschutz eingehen, und zwar speziell im Blick auf die neuen Länder. In der Diskussion um die Grundsätze und in den Bemühungen um ein konstruktives Miteinander sind wir, so glaube ich, ein gutes Stückchen weitergekommen. Gerade unter den Bedingungen in den neuen Ländern, wo die Herausbildung bzw. Umstrukturierung der touristischen Grundlagen oft erst am Anfang steht, werden vielfach sich gegenseitig ausschließende Standpunkte eingenommen. Es gilt auch hier zu vernünftigen Kompromissen zu kommen.In der Tourismuswirtschaft der neuen Länder wächst auch die Einsicht, daß notwendige Investitionen unter der Wahrung berechtigter Belange des Natur- und Umweltschutzes durchgeführt werden müssen, weil auf Dauer die Angebote der Fremdenverkehrswirtschaft nur dann ihren Platz im Markt einnehmen bzw. behaupten können, wenn sie die
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Parl. Staatssekretär Klaus Beckmannintakte Umwelt als Verkaufsargument auf ihrer Seite haben.Andererseits sind die sozial-ökonomischen Probleme vielfach noch so gravierend, daß bei möglichen Lösungen durch touristische Projekte, die dringend erwünscht sind, das Blockieren arbeitsplatzschaffender Investitionen aus Umweltschutzgründen sehr genau abgewogen werden muß.Die im Entschließungsantrag entwickelten Vorstellungen zur Tourismuspolitik in den neuen Ländern entsprechen weitgehend den Maßnahmen der Bundesregierung. Deswegen bedankt sie sich für diesen Antrag. Ich bitte aber auch zu bedenken, daß Tourismuspolitik vorangig in die Zuständigkeit der Länder fällt, die Bundesregierung also nur mittelbar Gestaltungsmöglichkeiten hat. Diese Möglichkeiten allerdings wollen und werden wir gemeinsam mit den Politikern des Ausschusses für Fremdenverkehr, mit den Gemeinden und den Ländern nutzen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Brähmig.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wichtig erscheint mir zunächst einmal die Feststellung, daß die heutige Debatte über die Förderung des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern stattfindet. Ich denke, sie ist ein wichtiger Schritt auf einem sehr komplexen, sich entwickelnden Wirtschaftssektor, der in den alten Bundesländern immerhin 5 % des Bruttosozialproduktes ausmacht und uns nicht nur deswegen noch sehr viel beschäftigen wird.16 Monate staatliche Einheit Deutschlands geben die Gelegenheit für die Fremdenverkehrspolitik, Rückschau und Ausblick zu halten. Bedeutend erscheint mir, im Zusammenhang mit der Beurteilung der Entwicklung des Fremdenverkehrs in Mitteldeutschland auch das Thema Treuhandanstalt anzusprechen.
— Ja, das ist richtig, Herr Feldmann.Wie bekannt, besteht Fremdenverkehr vor allem aus Hotels, Gaststätten, Pensionen und Reisebüros, und die eben befanden bzw. befinden sich zu einem großen Teil in treuhänderischer Verwaltung. Nun muß man natürlich auch wissen, daß diese Masse von einigen tausend Beherbergungseinrichtungen zuerst einmal erfaßt und zugeordnet werden mußte. Die Problematik der zu erbringenden Eigentumsnachweise und Grundbuchauszüge ist uns allen hinreichend bekannt.Hinzu kommt die Entscheidung „Rückgabe von Objekten und Liegenschaften vor Entschädigung", und dies bei einem fehlenden Entschädigungsgesetz. Auch nicht genügend erschlossener Baugrund ist ein sehr großes Hemmnis bei der Aktivierung von Fremdenverkehrsobjekten.An Ideen, wie diese komplizierte Aufgabe bei Anwendung aller durch den Gesetzgeber vorgegebenen Möglichkeiten zu lösen ist, hat es im vergangenen Jahr nicht gemangelt. Dies schließt nicht aus, daß neue Erkenntnisse und Erfahrungen eingebracht werden können. Praxis und Theorie sind, wie bekannt, zwei Seiten einer Medaille.Ein wichtiger Schritt war die Einführung eines Koordinators für den Fremdenverkehr bei der Treuhandanstalt, der maßgeblich durch die Initiative des Ausschusses eingesetzt worden ist.
Doch wissen wir alle, daß dieser Koordinator bisher keinerlei Koordinierungskompetenz von der Treuhandspitze erhalten hat. Das kann so nicht richtig sein und bedarf dringend einer Änderung.
Allen Widerständen zum Trotz konnte die Sommersaison 1991 von der Sächsischen Schweiz, meinem Wahlkreis, bis zur Ostsee als erfolgreich eingeschätzt werden, was auch von regionalen Fremdenverkehrsverbänden bestätigt worden ist. Ich möchte es nicht versäumen, hier auch im Namen der CDU/CSU- Fraktion den engagierten Mitarbeitern aller Landesfremdenverkehrsverbände und regionalen Fremdenverkehrsverbände meinen herzlichen Dank auszusprechen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bedarf und die Nachfrage konnten bei weitem nicht befriedigt werden. Bei einem jetzt zu erwartenden Wachstum der Fremdenverkehrsbranchen können wir langfristig von einem stabilisierenden Element auf den regionalen Arbeitsmärkten ausgehen. Die Vorgabe für 1992 muß heißen: Durch die Aktivierung aller noch verwert- und verwendbaren Objekte in den Ferienregionen muß von der Treuhandanstalt ein entscheidender Durchbruch erzielt werden, wenn diese Aufgabe nicht gar 1992 abgeschlossen sein muß.
Als ein nicht zu unterschätzendes Element im Zuge der Privatisierung von ehemaligen Betriebsferienheimen hat der Vorstand der Treuhandanstalt im Dezember 1991 nunmehr ein Paket unkonventioneller Maßnahmen unter der Bezeichnung „Mittelstandsexpreß 2000" aufgelegt. Dieses umfaßt immerhin weit über 2 000 Objekte mit mehr als 60 000 Zimmern, die 1992 privatisiert, verpachtet oder verkauft werden sollen.
Ich selbst bin froh darüber, daß diese Entscheidung, für die ich mich bereits seit Anfang des letzten Jahres immer wieder eingesetzt habe, getroffen worden ist. Dieses Programm bietet die Gelegenheit, sich durch die Mitwirkung der Regionen sowie der Verantwortlichen vor Ort für den Erhalt bzw. den Aufbau der touristischen Infrastruktur einzusetzen.Die erstmals durchgeführten Regionalkonferenzen in Sachsen im November und Dezember des letzten Jahres und die in Aussicht genommenen Regional-
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Klaus Brähmigkonferenzen in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Brandenburg zwischen den Kommunen, Landkreisen und Vertretern der regionalen Fremdenverkehrsverbände sowie der Treuhandanstalt stellen einen wichtigen Schritt auf dem Wege der gemeinsamen Anstrengungen für einen einheitlichen Privatisierungskurs dar.Nun ist es leider inzwischen eine große Mode geworden, die Treuhandanstalt zu kritisieren. Vergessen wird hierbei oft, daß die Mitarbeiter der Treuhandanstalt unter extrem schwierigen Bedingungen zu arbeiten haben. Insgesamt gesehen ist die Leistungskraft der Treuhandanstalt sicher nicht ausreichend; aber es sollte ihr meines Erachtens zugute gehalten werden, daß auch sie erst Erfahrungswerte sammeln mußte.Die Treuhandanstalt sollte in intensiver Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen ihre Anstrengungen verstärken und in den nächsten Wochen und Monaten gleiche und unkomplizierte Aktivitäten einleiten, um die über 700 FeDi-Objekte, vor allem die oft attraktiveren Objekte des Sondervermögens, bestehend aus insgesamt 387 Häusern, zu privatisieren, damit sie dem touristischen Markt uneingeschränkt zur Verfügung gestellt werden können.
Dieses ist aus meiner Sicht nicht nur wichtig, weil die Kapazitäten gebraucht werden; es stellt vielmehr auch im Bereich der Modernisierung von Objekten ein wichtiges Element für die Entwicklung des regionalen Handwerks und des Mittelstandes in oft strukturschwachen Regionen der fünf neuen Bundesländer dar,
wo für viele politisch Verantwortliche, hier vor allem die Landräte und die Bürgermeister, der Tourismus das einzige Standbein jeglicher vorhersehbaren weiteren Entwicklung ist.Ich bin der festen Überzeugung, die Entwicklung des Fremdenverkehrs als ein Teil des Programms Aufschwung Ost, das die Bundesregierung aufgelegt hat, hat in den fünf neuen Bundesländern Tritt gefaßt und ist in vollem Gange. Vor allem aber müssen wir uns darum bemühen, Fehler der Tourismusentwicklung, die in den alten Bundesländern gemacht worden sind, zu vermeiden.
Als wichtig erscheint mir bei der Entwicklung und dem Ausbau der Fremdenverkehrswirtschaft in den neuen Bundesländern auch, daß Projekte, die auf einen ökologisch und sozial verträglichen Tourismus abzielen, in Betracht gezogen werden. Dabei sollte die Natur für den Menschen und nicht vor den Menschen geschützt werden. Dies ist eine Kernaussage der tourismuspolitischen Leitlinien der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Darüber, ob dies gelingt, entscheidet nicht zuletzt die Treuhandanstalt mit ihren Erfolgen bei der Aktivierung der vorhandenen touristischen Substanz, Objekte und Liegenschaften, vor allem in landschaftlich sensiblen Regionenund hier ganz besonders in Natur- und Nationalparks der neuen Bundesländer.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Gleicke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir über die Förderung des Fremdenverkehrs in den neuen Bundesländern. Als Südthüringer Abgeordnete bin ich froh darüber, daß es zu dieser Debatte gekommen ist, wenn auch die Zeit schon weit fortgeschritten ist und viele Versäumnisse zu beklagen sind. Aber besser spät als nie.Bei uns im Thüringer Raum wird es in Zukunft nur wenige Orte geben, die allein und ausschließlich vom Fremdenverkehr leben können. Das ist in vergleichbaren Regionen in den alten Ländern nicht anders. Aber der Fremdenverkehr muß — wie dort — auch für viele Orte und Regionen Thüringens ein wirtschaftliches Standbein sein. Wir wissen doch, daß nicht nur Hoteliers und Gastwirte vom Feriengeschäft leben, sondern daß auch viele Dienstleistungsbetriebe und der Handel davon profitieren. Auf eine einfache Formel gebracht: Wo Touristen hinkommen und ihr Geld ausgeben, da wächst der Wohlstand.
Der Tourismus könnte Thüringen eine Menge Wohlstand bringen.Aber der Fremdenverkehr in den neuen Bundesländern liegt fast am Boden. Das hat verschiedene Gründe.Zum einen fehlt es an der Infrastruktur, und zwar nicht nur im Bereich der Verkehrswege. Es war in vielen Fremdenverkehrsorten üblich, daß die Gäste in Privatzimmern Quartier nahmen. Gegessen wurde in größeren Ferienheimen oder einzelnen Gaststätten. Aus diesem Grunde gibt es kaum kleinere Pensionen, Hotels und Ferienwohnungen; auch an Gaststätten mangelt es.Sport- und Freizeiteinrichtungen gehören in den alten Ländern wie selbstverständlich zu einem Ferienort; bei uns müssen sie erst noch gebaut oder den neuen Erfordernissen entsprechend hergerichtet werden, denn die Ansprüche der Reisenden haben sich seit der Wende gründlich verändert.Das bedeutet beispielsweise für den kleinen Ort Steinbach in der Nähe von Bad Liebenstein, daß im vergangenen Jahr fast überhaupt keine Feriengäste kamen. Dabei waren sie einmal fester Bestandteil des Erscheinungsbildes dieses Ortes. Als dann auch noch die beiden einzigen Industriebetriebe schließen mußten, waren im Juli 1991 fast alle Einwohner arbeitslos.Aber die fehlende Infrastruktur ist nur das eine Problem. Noch größere Schwierigkeiten entstehen beim Aufbau des Tourismus durch die vielfach ungeklärten Eigentumsverhältnisse. Wir haben eine Bundesregierung, die schon fast wider besseres Wissen
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6210 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992
Iris Gleickemit Klauen und Zähnen am Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" festhält.[Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]:Machen Sie sich mal sachkundig! Das stimmtnicht! Lesen Sie mal das Gesetz! — WeitereZurufe von der FDP)Es ist einfach nur noch lächerlich, was sich in dieser Frage in den Reihen der Koalition mittlerweile abspielt. Der Kollege Solms möchte das hausgemachte Problem dadurch lösen, daß er ausgemusterte Bundeswehrangehörige erst zu Fachleuten ausbilden lassen und dann gen Osten schicken will. Er glaubt nämlich, daß eine Umkehrung des Grundsatzes in „Entschädigung vor Rückgabe" heute nicht mehr möglich sei. Das sind die Worte Ihres Kollegen Solms.
— Dann hätten Sie es von vornherein andersherum machen müssen.Der Kollege Kriedner aus meinem Nachbarwahlkreis sieht das Problem grundsätzlicher. Er glaubt nicht, daß es mit dem Grundgesetz vereinbar sei, dem Verlangen der SPD endlich zu folgen und das Prinzip „Entschädigung vor Rückgabe" einzuführen. Es hindert ihn nicht daran — ich möchte das nicht so vorsichtig formulieren wie der Kollege Feldmann —, das jämmerliche Scheitern der Bundesregierung öffentlich einzugestehen, wenn er sagt, es sei bei dem Versuch geblieben, die Fragen von Entschädigung und Restitution über § 3 a Vermögensgesetz zu lösen.Die Sturheit der Koalition wirkt sich auf die Entwicklung des Fremdenverkehrs in geradezu verheerender Weise aus. Nicht nur, daß die mit Restitutionsansprüchen belasteten Objekte nur schwer langfristig verpachtet werden können und daß deshalb die dringend notwendigen Investitionen nicht getätigt werden, sondern auch die Privatisierung gestaltet sich schwierig.„Rückgabe vor Entschädigung": Dieses Prinzip ist mittlerweile in aberwitziger Weise pervertiert. Es gibt nämlich einen florierenden Handel mit Restitutionsansprüchen.
Makler werben um den Kauf von Rückübertragungsansprüchen; Finanzhaie wittern ihre Chance, das große Geld zu machen. Laut den Buchstaben des Gesetzes ist das ganz legal, und es entspricht letztlich ja auch der Maxime der Koalition, die immer wieder betont, daß der Markt es schon richten werde. Der Markt richtet aber nicht alles.Dieser Schacher mit Restitutionsansprüchen kann schlimme Folgen haben. Die Treuhand versucht ja bekanntlich, mehrere Hotels im Paket an einzelne Interessenten zu verkaufen. Die Verhandlungen laufen an und machen Fortschritte, und ganz plötzlich taucht ein Makler auf, der einen Rückübertragungsanspruch — natürlich für eines der Filetstücke aus der Kette — aus der Tasche zieht wie ein Kaninchen aus dem Zylinder.Ein weiterer schwerwiegender Nachteil ergibt sich aus diesem schändlichen Handeln: Laut Gesetz ist der Alteigentümer ja nicht daran gebunden, eine Investitionsverpflichtung abzugeben, und er braucht auch keine Arbeitskräfte zu übernehmen. Das gilt dann ja wohl auch für den, der sich ganz legal eingekauft hat. Ich möchte diese seltsame Spezies gern als „Neualteigentümer" bezeichnen.Welchen Sinn macht die Arbeit der Treuhand denn eigentlich noch, wenn sie so billig und dazu noch ganz legal ausgetrickst werden kann? Von den Verlusten für den Staatshaushalt will ich gar nicht reden. Eine Regelung ist hier überfällig.Ein paar Worte zur Verantwortung der Landesregierungen. Es ist in der Tat beachtlich, daß eine Fraktion einen Antrag zur Förderung des Fremdenverkehrs einbringt, die im Bund und auch in vier der fünf neuen Länder Regierungsgewalt hat, so auch in meiner Heimat Thüringen.
Die thüringische Landesregierung bekommt vom Präsidenten des Thüringer Verbandes der Hoteliers und Restaurantbesitzer allerdings ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Er kritisiert nämlich nicht nur die Kommunen, sondern vor allen Dingen die Landesregierung und stellt fest, daß es auch auf der Landesebene an Konzeptionen und gezielten Förderprogrammen mangelt. Ihm liegt nach eigenen Angaben ein Schreiben der Europäischen Gemeinschaft vor, wonach aus diesem Grunde Thüringen für den Ausbau des Tourismus nichts aus dem EG-Topf erhalten wird. Auch die Fördermittel des Bundes fließen nach Angaben des Verbandspräsidenten nur schleppend.Warum bemüht sich die Landesregierung nicht darum, in enger Kooperation mit den Kommunen, mit den anderen Ländern und dem Bund ein vernünftiges Förderkonzept auf die Beine zu stellen? Es hat doch wirklich keinen Sinn, auf jeder Ebene fröhlich vor sich hin zu wurschteln. Aber wenn die Thüringer Koalition nicht gerade damit beschäftigt ist, dem Ministerpräsidenten das Vertrauen auszusprechen und ihn einen Monat später zu stürzen,
— so wie gestern —, dann kümmert sie sich um den Fremdenverkehr. Neulich erst hat die Landesregierung das Hotel „Haus Suhl" in Oberhof übernommen. Das ist ein Hotel, das seit zwei Jahren schwarze Zahlen schreibt. Die Landesregierung will diese Nobelherberge, der ein Fünf-Sterne-Niveau bescheinigt wird, in ein Bürohaus für das Landwirtschaftsministerium umbauen. „Neue Betten braucht das Land" hatte der Herr Feldmann vorhin gesagt.
Da sage nun einer, daß die Landesregierung in Thüringen nichts für den Fremdenverkehr tut!
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Iris GleickeMeine Damen und Herren, lassen Sie uns zusammenarbeiten, damit die Hemmnisse, die der Entwicklung des Fremdenverkehrs im Wege stehen, schleunigst beseitigt werden können! Es ist noch gar nicht lange her, daß wir vom Fremdenverkehr als einem Motor des wirtschaftlichen Aufschwungs im Osten gesprochen haben. Dieser Motor ist mittlerweile ins Stottern geraten. Wenn nicht bald etwas geschieht, geht er kaputt.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Leutheusser-Schnarrenberger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Einschätzung sind wir uns nach dem Verlauf dieser Debatte alle einig: daß der Fremdenverkehr ein wichtiger Wirtschaftszweig ist, daß er Arbeitsplätze schafft, zum Umsatz der heimischen Gastronomie, Hotellerie und Fremdenverkehrseinrichtungen wesentlich beiträgt und das gegenseitige Kennenlernen und Verstehen fördert. Gerade in der Phase des wirtschaftlichen Umbruchs in den neuen Ländern, dem notwendigen Aufbau wirtschaftlicher Strukturen und konkurrenzfähiger Unternehmen kommt dem Fremdenverkehr eine herausgehobene Rolle beim Aufschwung Ost zu.Aber was alle Fremdenverkehrsgebiete in den neuen Ländern brauchen, sind Hotels, Pensionen, Gaststätten und Restaurants. Ohne ein vielfältiges, qualitativ gutes und preislich angemessenes Übernachtungsangebot kann sich der Fremdenverkehr nicht entwickeln. Im Gegenteil: Es besteht die Gefahr, daß die Saison 1992 für viele Beherbergungs- und Verpflegungsbetriebe das Aus bedeutet, wenn nicht die rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten zur Modernisierung, Renovierung und für den erforderlichen Ausbau gegeben sind. Auf eine kurze Formel gebracht, die heute in der Debatte schon mehrfach genannt wurde: Mehr neue und bessere Betten brauchen die neuen Länder.Woran liegt es, daß in den Geschäftszentren wie z. B. Schwerin, Potsdam, Dresden oder Leipzig und in den wichtigen Fremdenverkehrsregionen über 200 000 Hotelbetten fehlen, daß die Ferienheime des ehemaligen Feriendienstes und die Betriebsferienheime bisher nur in unzureichendem Umfang genutzt und bewirtschaftet werden?Ich mache es mir nicht so leicht, pauschal den Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung dafür verantwortlich zu machen. Denn diese Entscheidung ist aus wohlüberlegten rechtlichen und tatsächlichen Gründen getroffen. Auch geht es bei der Behandlung von Eigentumsansprüchen um die Rückgabe von enteignetem Besitz. Die von der SPD geforderte Umkehr dieses Grundsatzes in einen ausschließlichen Entschädigungsanspruch ist rechtlich äußerst bedenklich und politisch nicht gewollt.
— Ich sage Ihnen nur einen Grund dazu: Wir bekennen uns zur Eigentumsordnung des Grundgesetzes. Daraus folgt diese Weichenstellung.
Die geforderte Umkehr ist nicht das suggerierte Allheilmittel, das man uns hier vormachen möchte. Erst recht kann es nicht nur für einen Teilbereich, nämlich für die Ferienheime und die Betriebsferienheime, dazu kommen.
Eine Umkehr ist auch nicht nötig; wie immer bei schwierigen Problemen ist Differenzieren gefordert,
Detailarbeit und nicht die ideologische Überfrachtung und Glaubensbekenntnisse.
—Ja, die baut genau darauf auf. Ich werde Ihnen jetzt konkrete Vorschläge unterbreiten,
wie man auf Grund des bestehenden Systems, auf Grund des Vermögensgesetzes und den dort geschaffenen Möglichkeiten hier vorgehen kann.
Ich mache Ihnen jetzt Vorschläge.Wir müssen die Verwaltungsverfahren und wir müssen die Verwaltungswege entlasten und vereinfachen.
— Ich komme darauf.Wir müssen die Fristen mit einer Ausschlußwirkung gesetzlich vorschreiben, d. h. mit der Folge, daß nach Ablauf einer Frist z. B. Angebote des Alteigentümers im Rahmen der Vorfahrtsregelung nicht mehr berücksichtigt werden können. Damit beschleunigen wir die notwendige Entscheidung.
— Es ist nicht zu spät.
Beim Handel mit Restitutionsansprüchen muß Mißbrauch und Zweckentfremdung dadurch entgegengewirkt werden, daß bei der Vorfahrtsregelung nach dem Vermögensgesetz der Erwerber von Restitutionsansprüchen nicht mehr wie der Alteigentümer behandelt wird;
denn mit dem Verkauf oder der Abtretung der Ansprüche hat der Alteigentümer ja zum Ausdruck gebracht, daß es ihm nicht um das Grundstück, sondern um Geld geht.
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Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerDamit das eindeutig festgelegt ist, sollte das auch notariell beurkundet und festgehalten werden.Zum Schluß, speziell bezogen auf die Ferienheime: Warum sollen nicht auch für die Restitutionsansprüche bei Ferienheimen die Vermögensämter zuständig sein? Wir sollten die Auseinandersetzung, ob Treuhandanstalt oder Vermögensämter, beenden;
denn mit Vorliegen eines Negativentscheids des Vermögensamtes kann dann von der Treuhandanstalt die Privatisierung vorgenommen werden.Ich darf noch auf einen Punkt hinweisen, den das Vermögensgesetz schon vorsieht: Wir sollten viel stärker die Vorschrift anwenden, die einen Ausschluß des Rückübertragungsanspruches vorsieht, nämlich dann, wenn Grundstücke und Gebäude mit erheblichem baulichen Aufwand in ihrer Nutzungsart geändert wurden und ein öffentliches Interesse an der Nutzung besteht. Das wird auf die Ferienheime in der Regel zutreffen. Wenn man diese Frage vorab klärt, braucht man keine langen Auseinandersetzungen mehr über Restitutionsansprüche, sondern kann zügig handeln und vorgehen.
Das heißt, mit einer konsequenten Anwendung der bestehenden Möglichkeiten und einer Weiterentwicklung des von uns geschaffenen Systems kommen wir einer schnelleren Privatisierung nahe. Ich glaube, das ist genau das, was Sie in den neuen Bundesländern brauchen, damit alle die landschaftliche Schönheit und die kulturellen Denkmäler bei Ihnen genießen können.
Frau Abgeordnete, sind Sie, wenngleich Ihre Redezeit abgelaufen ist, bereit, noch eine Frage des Abgeordneten Ewen zu beantworten?
Ja.
Bitte schön.
Frau Kollegin, ist damit zu rechnen, daß die Koalition oder die von ihr getragene Regierung in absehbarer Zeit eine solche Novellierung des Gesetzes vorsieht? Sie hätten unsere volle Unterstützung.
Ich habe hier konkrete Vorschläge gemacht und Anregungen gegeben. Es gibt Überlegungen, dieses entsprechend dem Vermögensgesetz den notwendigen Gegebenheiten anzupassen. Wie das dann aussehen wird, werden wir bestimmt im Fremdenverkehrsausschuß und natürlich in anderen Ausschüssen überlegen und beraten.
Nunmehr hat der Abgeordnete Dr. Päselt das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die fünf neuen Länder haben touristisch viel zu bieten: historische Altstädte, Residenzen mit Kunstschätzen, wunderschöne, bisher fast unberührte Landschaften, Wälder und Seen, eine schöne, reichgegliederte Ostseeküste und die Mittelgebirge Harz, Erzgebirge und Thüringer Wald.
In einem Reisebericht schreibt ein Bundesbürger 1991 über seine Eindrücke: „Ich habe noch nie ein Land gesehen, das mitten im Frieden von seiner Regierung so heruntergewirtschaftet und zugrunde gerichtet wurde wie die ehemalige DDR. Das Land sah noch vor einem Jahr so aus, als ob man soeben einen Krieg verloren hätte." Weiter heißt es: „Der Straßenverkehr ist zweifellos dichter geworden, und das Straßennetz ist dem nur schlecht gewachsen. Überall trifft man auf Straßenbaustellen. Die Nebenstraßen sind oft in einem abenteuerlichen und eines zivilisierten Landes unwürdigen Zustand." Dies ist der Eindruck, den ein Bundesbürger aus den alten Bundesländern gewinnt. Das ist durchaus keine Werbung für den Fremdenverkehr.Eine Debatte über den lohnenden Erwerbszweig Fremdenverkehr in den neuen Bundesländern darf die zu schaffenden Voraussetzungen und deren konstruktives Verhältnis zueinander nicht außer acht lassen. Fremdenverkehr ist undenkbar ohne entsprechende Voraussetzungen. Dazu gehören u. a. eine verkehrsmäßige Anbindung und umweltverträgliche Erschließung, eine intakte Umwelt und ein entsprechender Qualitätsstandard in Beherbergung und touristischer Versorgung, in Management und Marketing.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den fünf neuen Ländern die einmalige Chance, aus den Fehlern der alten Länder zu lernen und Verkehr, Umwelt und Tourismus in Einklang zu bringen.
Wenn der Tourismus funktionieren soll, brauchen wir eine überzeugende Verkehrspolitik. Mängel in der Verkehrsanbindung und den Kommunikationsmöglichkeiten sind zu beseitigen. Es muß für eine schnelle Verbindung zwischen den Ballungsgebieten gesorgt werden, und die entsprechenden Städteanbindungen müssen erfolgen.Überhaupt kann es bei der Verkehrspolitik nicht darum gehen, auf das Fortbewegungsmittel Auto zu setzen, sondern es geht darum, die Bahn in einem ausgewogenen Verhältnis mit auszubauen. Zur Verkehrskonzeption gehört aber auch die Realisierung von Ortsumgehungen, Verbesserung der Qualität der Zufahrtsstraßen zu den Ferienorten, der Aufbau des öffentlichen Personennahverkehrs und die Parkplatzsituation.Es ist sicher in diesem Hause unstrittig, daß der Umweltaspekt zum Fremdenverkehr gehört. Er ist
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Dr. Gerhard Päseltheute für ein Drittel aller Urlauber ausschlaggebend bei der Wahl ihres Reiseziels, und diese Tendenz ist noch steigend. Bundesumweltminister Töpfer hat auf dem Bundesumweltkongreß der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausgeführt: „Eine intakte Natur ist das größte Kapital des Fremdenverkehrs." Es ist deshalb die zentrale Frage: Wie kann Fremdenverkehr umweltverträglich organisiert werden? Schließen sich nicht beide auf den ersten Blick aus? Beispiele von Fehlentwicklungen in der Vergangenheit lassen sich für beide Teile Deutschlands aufzählen und mahnen uns.Was finden wir nun in den fünf neuen Bundesländern vor? Zum einen eine einigermaßen erhaltene Natur, die wir erhalten müssen, und zum anderen eine vollständig beschädigte oder zerstörte Umwelt, die saniert werden muß, um den dort lebenden Menschen entsprechende Lebensbedingungen zu gewähren und den Fremdenverkehr zurückzugewinnen bzw. zu ermöglichen.40 Jahre SED-Diktatur haben unsere Umwelt in meinem Heimatland Thüringen und dem angrenzenden Sachsen schwer belastet und geschädigt: ein rücksichtsloser Raubbau der Uranerze und Kalisalze, eine unsinnige Massentierhaltung ohne Rücksicht auf die Langzeitfolgen des Gülleanfalls sowie eine ressourcenvergeudende Energiewirtschaft und eine sträfliche Vernachlässigung der Kläranlagennachrüstung.
Unüberschaubarer Schadstoffeintrag auf Truppenübungsplätzen und militärischen Lagern ist heute neben vielen lokalen Umweltproblemen eine schwere Belastung für den Fremdenverkehr. Die Mittelgebirgslandschaften, besonders das Erzgebirge und das Zittauer Gebirge, die unmittelbar durch das sogenannte schwarze SO2-Dreieck beeinflußt werden, sind schwer geschädigt.Die zuständigen Bundes- und Landesminister stellten fest: Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in den neuen Ländern bedürfen dringend umfassender Sanierung. Bedarfsschätzungen beziffern das erforderliche Investitionsvolumen auf weit über 100 Milliarden DM. In einer dpa-Meldung fordert der DGB-Bundesvorstand in den nächsten zehn Jahren jährlich 20 Milliarden DM zur Umweltsanierung. Bund, Länder und Kommunen, aber auch die Wirtschaft seien gefordert, sich finanziell angemessen am ökologischen Wiederaufbau Ostdeutschlands zu beteiligen.Nun ist es sicher leichter, dieses Geld zu fordern, als den ökologischen Wiederaufbau zu verwirklichen.In meinem Wohnort, um ein Beispiel zu bringen, ist das Trinkwasser so schlecht, daß mein Enkel davon krank geworden ist. Auf ärztliche Anordnung dürfen Kleinstkinder in diesem Ort nur mit Mineralwasser versorgt werden.Sie können sich vorstellen, daß derjenige, der über seinen Urlaubsort, über seine touristischen Ziele frei entscheiden kann, belastete Orte und Regionen auf Dauer meidet. Das heißt: Sanierung der Umwelt kommt dem Fremdenverkehr zugute.Vor Ort wird gegenwärtig viel getan; Konzepte werden erarbeitet. Dazu gehört aber auch — das darf nicht außer acht gelassen werden —, daß gemeinsame ökologische Probleme durch eine entsprechende Nachbarschaftspolitik mit Polen und der CSFR geklärt werden.Nun wissen wir, daß Sanieren gut ist. Aber intakte Regionen intakt zu lassen ist noch wichtiger, weil das unter dem Strich am billigsten ist. Ich kann mich hier also nicht der Auffassung anschließen, daß man Umweltschäden um des Tourismus willen notfalls neu in Kauf nehmen muß.Es geht um einen sinnvollen, schonenden, zweckmäßigen Tourismus. Aus der Sicht des Umweltschutzes sollten drei Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden: zum ersten die touristische Nutzung, die auch eine wetterunabhängige Nutzung ermöglicht, so daß Großprojekte nicht auszuschließen sind. Allerdings ist auszuschließen, daß bemerkenswerte Gebiete zersiedelt oder zubetoniert werden.
Zweitens. Eine naturnahe Erholung mit Erhaltung der Natur und Landschaft muß gewährleistet werden.Drittens wird es in den neuen Ländern Gebiete geben, die für Tourismus, für touristische Nutzung überhaupt nicht zur Verfügung gestellt werden dürfen, damit die Natur erhalten bleibt.
Am umstrittensten sind bei Umweltschützern Großprojekte, wobei sie von vielen heute schon bejaht werden. Etwas anderes ist es, daß diese Einrichtungen nicht von allen Touristen angenommen werden. Da ich auf den Fremdenverkehr als Wirtschaftsfaktor für die fünf neuen Länder nach raschem Aufleben große Hoffnung setze, sollten wir alle Kraft daran setzen, daß entsprechende Konzepte erarbeitet und umgesetzt werden.Es sollte der Vergangenheit angehören, daß Bürger der alten Bundesländer stolz darauf sind, noch nie in den fünf neuen Ländern gewesen zu sein, dies auch nicht beabsichtigen und ihre Mitbürger am liebsten in dieser Richtung beeinflussen.
Ich lade alle Bürger der alten Bundesrepublik ein, sich in den fünf neuen Bundesländern umzusehen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Eckardt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Täglich kommen 5 000 Besucher auf den höchsten Berg meiner Heimat. Massenhaft ist das Gedränge auf dem Marktplatz in Wernigerode, auf dem Fußweg zur Stiftskirche in Quedlinburg, kilometerlange Autoschlangen vor dem Wintersportort Schierke. Zu Walpurgis können es
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Dr. Peter Eckardtauch mal 50 000 sein, die nachts auf den Brocken steigen.
— So ist es.
— Nein, nicht in Thüringen.Dieses Bild aus einem der bekanntesten Fremdenverkehrszentren Deutschlands, das jetzt wieder eine Touristenregion ist, trügt. Das Gegenteil gibt es auch: leerstehende Betten, schlechte Qualität der Bausubstanz und des Service in den Gaststätten. Mancher Wirt hat es leider immer noch nicht begriffen: 22 Uhr schließt er das Lokal, und zwei Ruhetage in der Woche gönnt er sich auch. Einzelfälle zeigen den Kontrast. Besucher werden manchmal noch als lästige Bittsteller behandelt, die sogenannten Luxushotels haben unsittlich hohe Preise,
viele ehemalige Ferienheime des FDGB, der SED und des MfS sind geschlossen und darben vor sich hin. Eine späte Rache des Herrn Mielke!Das Bild des neuen Privatunternehmers, der sich redlich abmüht — oft mit großem Erfolg —, eine touristische Infrastruktur unter Marktgesichtspunkten aufzubauen, sollte Mut machen. Ihn sollten wir tatkräftig unterstützen.
Der Antrag von FDP und CDU/CSU greift ein Thema auf, das für viele Menschen, Regionen und Landschaften in den neuen Bundesländern von existentieller Bedeutung ist. Die politische Zielrichtung begrüßen wir Sozialdemokraten ausdrücklich, wenn sie mithilft, den Wirtschaftspolitikern zu verdeutlichen, daß auch Tourismus ein Gewerbe wie jedes andere ist.Allerdings werden nicht alle Landschaften in den neuen Bundesländern für den Tourismus geeignet sein. Im Zittauer Gebirge z. B. ist die Zahl der Arbeitsplätze in der Textilindustrie, im Fahrzeugbau und im Maschinenbau z. T. erheblich gesunken. Der Fremdenverkehr ist in den Gebirgsdörfern Lückendorf, Oybin, Jonsdorf und Waltersdorf zur unverzichtbaren Einnahmequelle geworden, soll eine ganze Region nicht verarmen und sich entvölkern. Landschaftsschutz und mittelständische Wirtschaftsstruktur können hier durch den Fremdenverkehr wiederhergestellt und ausgebaut werden. Soweit sind wir einig. Ich betone das.Dem Antrag der CDU/CSU und der FDP hätten freilich wirtschaftspolitische Taten der Regierung folgen sollen.
Wir erwarten auch eine bessere Koordination dieser Politik.Der Westharz — heute nur durch einen kleinen Bach vom Ostharz getrennt — boomt seit der Grenzöffnung. Attraktive Kuranlagen, volle Hotelbetten,guter Service und eine steigende Nachfrage schaffen zum Ostharz einen bedrohlichen Gegensatz, der das Zusammenwachsen Deutschlands gefährlich behindert.
Das Verkehrschaos auf den engen Straßen von Ost nach West zeigt, was sich entwickelt, wenn sich nichts entwickelt oder wenn sich etwas zu langsam entwikkelt. Hier müssen wir helfen. Ein konkretes ,,Tourismus-Modell Harz", wie es von allen Beteiligten gewünscht und vom Wirtschaftsministerium auch vorangetrieben werden soll, wird über Tourismus die deutsche Einheit mehr befördern als ein gutes Papier.
— Ich bin in Thüringen geboren, Herr Kollege! Das ist kein schlechter Tag für mich heute, an dem ich rede. Deshalb ist das vielleicht auch alles ganz gut so.
— Ich weiß. Das ändert sich manchmal, Herr Päselt. Aber heute, denke ich, sind wir mal im Vorsprung. Ja? Und das ist ganz gut so. Daß wir so weitergehen, denke ich.
Das Zusammenwachsen entscheidet sich dort, wo an der ehemaligen Grenze hoher westlicher Standard und östliches Bemühen einander hart gegenüberstehen. Daß dieser Gegensatz schnell abgebaut wird, ist, glaube ich, unsere wichtigste Aufgabe. Der Ostharz muß wie alle touristischen Regionen schnell auf westlichen Standard gebracht werden.Das gilt übrigens auch für Bereiche, die in dem Antrag nicht erwähnt werden. Als Themen vermisse ich z. B. Wohnmobil-, Camping- und Jugendherbergstourismus.
Ich denke, der Tourismus wird in vielen Regionen auch dadurch indirekt gefördert, daß in den neuen Bundesländern der soziale Wohnungsbau nun endlich angekurbelt wird, um viele Pensionen und Bereiche, die für den Tourismus geeignet sind, freizubekommen.Volksfeste, ein wichtiges Element des Brauchtums und der Kultur, werden als städtetouristische Elemente mit hoher Drittwirkung, z. B. auf Einzelhandel und Übernachtung, in dem Antrag nicht einmal erwähnt, obwohl sie es verdient hätten. Das unter DDR-Zeiten fast zu 100 % privatwirtschaftliche Schaustellergewerbe z. B. hat sich ohne finanzielle Hilfen umstrukturiert und die Zahl seiner Beschäftigten erheblich erhöht. 25 Millionen Menschen haben jährlich diese Feste besucht. Förderung des Tourismus
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Dr. Peter Eckardtwäre es auch, wenn man dort Neuinvestitionen bei angespannter wirtschaftlicher Lage besonders fördern und die Städte und Gemeinden auffordern würde, nicht jeden attraktiven innerstädtischen Platz für andere Wirtschaftszwecke zu nutzen und die Volksfestplätze nicht an den Rand der Städte zu drängen.
In dem Antrag steht kein Wort über die Bedeutung des Tourismus als Begegnung von Menschen zum Kennenlernen und Verstehen und über die Förderung dieses Aspekts. Als jemand, der an der ehemaligen Grenze gewohnt hat, würde ich gern ein paar Worte dazu sagen. Bei der Bundesregierung ist z. B. eine Broschüre einzufordern, die diesen Stellenwert des Tourismus hervorhebt. Sozialdemokraten legen auf diese Funktion des Tourismus schon aus Erfahrungen in vergangenen Zeiten erheblichen politischen Wert.Volks- und Heimatfeste haben unter geringem Einsatz öffentlicher Mittel z. B. kulturelle und regionale Bedeutung bei gleichzeitiger Stabilisierung des urbanen Lebens. Wer wollte z. B. bei der Überwindung der sozialistischen Bau- und Wohnungspolitik der letzten 40 Jahre dies nicht?Begegnung von Ost- und Westdeutschen, Besuche von Ost- und Westeuropäern in den Ländern von Mecklenburg bis Thüringen haben große politische Bedeutung für das Zusammenwachsen Europas. Auf dieses Ziel sollten wir uns gemeinsam konzentrieren. Die Entdeckung der Welt durch die ehemaligen DDR-Bürger selbst wird sich ohne allgemeine Förderung entwickeln; der „Katastrophen-Tourismus" kurz nach der Wende gehört nach meiner Einschätzung der Vergangenheit an. Jetzt gilt es Qualität zu begründen. Nur qualitativ guter Tourismus kann in den neuen Bundesländern eine Vorreiterrolle in der Wirtschaftsdynamik spielen.
Dies läßt sich im Prozeß der Entwicklung organisieren, aber nicht allein durch Tourismus schaffen. Wir sollten hier etwas bescheiden sein.Bei dieser Gelegenheit sollte erwähnt werden, daß ABM-Kräfte möglichst in dem Bereich eingesetzt werden sollten, wo es notwendig ist, die Tourismusinfrastruktur durch Verbände und Organisationen zu stärken. Sie sollten nicht dort eingesetzt werden, wo sie der kommerziellen Konkurrenz ungerechtfertigte Vorteile bzw. Nachteile verschaffen.
Ich denke, ich sollte zum Abschluß ein paar Punkte nennen, auf die es uns Sozialdemokraten bei diesem Antrag ankommt. Erstens. Die Qualifikation des Gaststätten- und Hotelpersonals muß schnell und erheblich verbessert werden. Ansätze sind sichtbar. Die neuen Bundesländer werden sonst bei der Vergabe von „Sternen" noch lange ausgespart bleiben.Zweitens. Die Bereitstellung von Fördertöpfen und Fördermitteln allein ist natürlich noch keine Strukturpolitik und garantiert auch keinen Aufschwung. Strukturelle Entscheidungen sind nötig. Das langeHinziehen einer Entscheidung z. B. über den Betrieb der Harzquerbahn durch das Verkehrsministerium und die Treuhand ist an sich schon skandalös, schadet möglichen Investoren im Ostharz und macht den Menschen keinen Mut, den sie brauchen.Drittens. Die natürlichen und kulturellen Schätze der ostdeutschen Bundesländer müssen erhalten werden. Sie sind die Attraktion des deutschen Tourismus in der Zukunft.Viertens. Den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern müssen übrigens auch Finanzmittel zum Verreisen bleiben. Bei Inlandsreisen sind erste Erfolge sichtbar.Fünftens. Auch das Auslandsinteresse an den neuen Bundesländern ist stabil und groß. Wir sollten uns im übrigen nicht nur auf die Top-Lights der Landschaft und der Städte konzentrieren.Sechstens. Kläranlagen, Wasseraufbereitungen, renaturierte Erholungsflächen, Parkplätze und vor allen Dingen saubere Heizungsanlagen sind für den Fremdenverkehr genauso wichtig wie Ortsumgehungen und nicht gefällte Alleebäume. Man glaubt es nicht, aber bei den Alleen war sogar der ADAC vorbildlich.
Weitere Einzelprojekte haben hier, denke ich, Vorbildfunktion.Zusammengefaßt: Wir begrüßen den Antrag der Koalitionsfraktionen. Er kann bei Ergänzung und konzeptioneller Strukturierung ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung eines freiheitlichen Tourismusverständnisses in den neuen Bundesländern werden. Erholung, Freizeit, Muße und Begegnung, Aktivität und Faulheit dürfen allerdings nichts Verordnetes sein. Fremdenverkehr ist mehr als Übernachtung und Frühstück in einem Ferienheim.In diesem Sinne und mit diesen Zielen werden die Sozialdemokraten an die Diskussion des Antrags in den Ausschüssen gehen.Ich bedanke mich.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Dörflinger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Fremdenverkehr kann ... zu einem Motor des Aufschwungs in den neuen Bundesländern werden" — so steht es in dem Antrag, über den wir heute beraten und den wir dann nach doch breiter Übereinstimmung in dieser Debatte in den zuständigen Ausschüssen gedanklich und auch vom Konzept her noch vertiefen werden.
Was berechtigt zu dieser optimistischen Prognose?
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Werner DörflingerDas erste: Ich glaube, wir können trotz aller Schwierigkeiten, die genannt worden sind, und trotz gravierender Mängel etwa — das ist auch angesprochen worden — bei der Zahl und der Qualität der vorhandenen Unterkünfte positive Ansätze feststellen. Wir können auch feststellen, daß die umfangreiche Förderung, die die Bundesregierung auf diesem Gebiet anbietet, zieht, daß sie wirkt, daß sie Menschen in ihrer Initiative beflügelt.
Der zweite Punkt: Der Tourismus, der Fremdenverkehr hat nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen in den alten Bundesländern endlich auch den politischen Stellenwert bekommen, der ihm gebührt; und das, obwohl der Bundeswirtschaftsminister beispielsweise in seinem Bericht zum zweiten Jahr Aufschwung Ost dem Fremdenverkehr nur einen kleinen Absatz widmet.
Der dritte Punkt: Wir können, ohne daß man alles schematisch überträgt, sagen, daß auch die Erfahrungen aus den alten Bundesländern zu dieser optimistischen Prognose berechtigen, z. B. Erfahrungen aus dem Land, aus dem ich komme, aus Baden-Württemberg. Baden-Württemberg zeigt, daß das Miteinander von Industrie, von gewerblichem Besatz und Fremdenverkehr durchaus funktionieren kann. Trotz der industriellen Spitzenposition von Baden-Württemberg nimmt der Fremdenverkehr dort am Bruttoinlandsprodukt mit 4,6 % teil. Das ist eine Spitzenposition.
Meine Damen und Herren, es zeigt sich: Der Fremdenverkehr ist ein wichtiger Faktor für eine ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung. Er ist entscheidend für den ländlichen Raum. Er gibt — das ist hier mehrfach betont worden — wichtige Impulse für andere Wirtschaftsbereiche. Ich komme aus einem Gebiet, das vor 30 Jahren teilweise noch Notstandsgebiet war.
In demselben Gebiet hat der Fremdenverkehr heute einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 60, 80 oder 100 %.Was hat dazu beigetragen? Es sind zu nennen: die Verkehrserschließung, der Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur, die Bündelung der öffentlichen und privaten Initiativen. Dabei kommt — es ist mehrfach gesagt worden — der Gastronomie eine Schlüsselrolle zu.Die Landesförderung in Baden-Württemberg geht auch heute noch davon aus, daß die Ansprüche steigen und daß Stillstand Rückschritt ist. Ein Spezifikum baden-württembergischer Förderung besteht z. B. darin, daß ein Umweltbonus gewährt wird. Umweltfreundliche Investitionen werden stärker gefördert als andere.
Lassen Sie mich noch drei Punkte präzisieren, erstens die Verkehrserschließung. Liebe Kolleginnenund Kollegen von der SPD, wenn es wirklich so ist, daß der Verkehrserschließung eine wichtige Aufgabe zukommt, dann ist mir Ihr Widerstand gegen das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz völlig unverständlich.
Sie sollten uns z. B. dabei helfen, die 73 Ortsumgehungen, die jetzt vorzeitig geplant werden, zügig durchzusetzen, und darauf verzichten, vor Ort irgendwelche Bürgerinitiativen gegen solche sinnvollen Projekte zu mobilisieren.
Der zweite Punkt ist die Infrastruktur und die Verbesserung der Umweltsituation. Wir stimmen dem Bundeswirtschaftsminister zu, wenn er sagt, daß die Regionalförderung stärker auf diejenigen Sektoren konzentriert werden muß, die schnell Arbeitsplätze schaffen und schnell Beschäftigung ermöglichen, weil auch kein hoher Kapitalbedarf besteht.Zur Umwelt: Wir sollten begreifen, daß verstärkte Anstrengungen im Osten der Umweltgesamtsituation in Deutschland und in Europa mehr nützen, als wenn wir auf den verfeinerten Status der Bundesrepublik Deutschland noch einmal etwas draufpacken, meine Damen und Herren.
Es geht drittens um die Bündelung der öffentlichen und der privaten Investitionen. Wir sind uns alle einig, daß der privaten Initiative der Vorrang gebührt. Trotzdem gilt für die fünf neuen Bundesländer, daß für eine gewisse Zeit die öffentliche Hand eine stärkere Rolle übernehmen muß als in den alten Bundesländern, weil wir sonst nicht in dem gebotenen Tempo zu Ergebnissen kommen.Meine Damen und Herren, wir haben in dem Antrag eine ganze Reihe von Punkten genannt: Schulung, Förderung usw. Wir sollten diese Vorstellungen präzisieren. Wir gehen davon aus: Wir haben in den fünf neuen Bundesländern fleißige und kreative Menschen, denen wir für jede ergriffene Initiative dankbar sein müssen.
Wir haben wunderschöne Landschaften. Die Deutschen sind nach wie vor reiselustig. Unseren ausländischen Gästen sollten wir sagen: Wir zeigen euch ein Stück Deutschland, das jung und alt zugleich ist.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Herrn Abgeordneten Simon Wittmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf einen meiner Ansicht nach wichtigen Aspekt des Denkmalschutzes in den neuen Bundesländern zu sprechen komme, gestatten Sie mir drei Vorbemerkungen.
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Simon Wittmann
Erstens. Heute ist wiederum sehr häufig die Treuhand erwähnt worden. Es erfolgten viele Schuldzuweisungen,
natürlich auch an den obersten Chef, den Bundesfinanzminister. Ich habe das mit sehr großer Gelassenheit entgegengenommen. Man kann sich ja erstens nur dann profilieren, wenn man sich an einem bedeutenden Mann reibt.
Zweitens wissen wir — das war auch koalitionsintern bisher die Übung —: Die FDP kann sich am besten an der CSU profilieren.
Insofern sehen wir dem mit Gelassenheit entgegen. Ich bin überzeugt: So, wie trotz aller Unkenrufe die Treuhand und der Finanzminister viele Probleme gemeistert haben und gute Ergebnisse herbeiführten, wird das auch hier geschehen.Ein Zweites. Auch wir von der CSU unterstützen diesen Antrag, weil es hier um eine unbürokratische Umsetzung von in der Koalition vereinbarter Hilfe für den Fremdenverkehr zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern geht. Ich sage aber bewußt: Wir unterstützen das nur für einen überschaubaren Zeitraum; denn ich glaube, unser föderales Prinzip darf auf Dauer nicht ausgehöhlt werden. Es muß jetzt eine Hilfe zur Selbsthilfe sein, eine Anfangsfinanzierung mit zusätzlichen Mitteln.Ein Drittes, und das geht an die SPD. Unser Umweltminister Töpfer hat ein hervorragendes Programm zur Sanierung der Umweltbelastungen in den neuen Bundesländern entwickelt. Sie brauchen ihm bloß zuzustimmen; dann kommen wir auch hier im Interesse des Fremdenverkehrs schneller voran.Lassen Sie mich jetzt auf den Aspekt des Denkmalschutzes eingehen. Bei der Urlaubsentscheidung der Reisenden spielt in den letzten Jahren der Aktivurlaub — und hier vor allem der Städtetourismus — eine immer bedeutendere Rolle. Der Deutsche Reisemonitor hat im Jahre 1990 eine Untersuchung gemacht, die ergeben hat, daß der Städtetourismus gegenüber reinem Strandurlaub ohne Programm, ohne Besichtigungsaktivitäten zunimmt. Die Entwicklung in Bayern — ich darf das als Beispiel nehmen — hat das gleiche deutlich gemacht. Wir haben im Städtetourismus bei der Zahl der Gästeankünfte eine Zunahme um 9,4 %, und zwar nicht nur in den Paradebeispielen München, Nürnberg und Regensburg, sondern auch in den kleineren Städten Ostbayerns in einer strukturschwachen Region. Ich glaube, diese Zahlen zeigen, daß auch im Städtetourismus eine der großen Chancen für die neuen Bundesländer liegt. Dazu ist es natürlich notwendig, daß wir bei dem, was diese Städte attraktiv macht, zusätzliche Maßnahmen ergreifen, nämlich zur Sanierung und Erhaltung der Kulturdenkmäler; denn es sind allzu viele der Kulturdenkmäler in den neuen Ländern marode und vom Verfall bedroht. Diese äußerst bedenkliche Situation drückt sich in Zahlen z. B. so aus. Von 45 000 Denkmälern in den neuen Ländern, die in der Denkmalsliste stehen, sind 18 % ohne kurzfristige Sicherungsmaßnahmen akut gefährdet. In den denkmalgeschützten Stadtkernen sind 25 % der Gebäude sofort zu sichern, in Städten wie Bautzen und Görlitz sogar, habe ich mir sagen lassen, 65 %. Eine generelle Gefährdung der Substanz von Baudenkmälern bei öffentlichen Bauten existiert bei 50 % der Objekte, bei Schlössern und Burgen bei 65 % der Objekte und bei kirchlichen Bauten bei 55 % der Objekte und bei Wohnungsbauten bei bis zu 85 %.Ich glaube, das zeigt sehr deutlich, daß hier auch im Interesse des Fremdenverkehrs gehandelt werden muß. Aufgefordert sind hier Bund, Länder und Gemeinden, die historische Substanz in den Städten und Dörfern zu erhalten, natürlich aber auch der Bürger. Ich glaube, deshalb müssen wir hier unbürokratisch handeln. Wir müssen dafür sorgen, daß der Bürger dazu bereit ist, im Bereich des Denkmalschutzes mitzugehen, damit wir hier auch im Fremdenverkehr neue Chancen haben.Die Sanierung der Baudenkmäler wird uns letztlich in doppelter Weise dafür entlohnen, durch neue qualifizierte Arbeitsplätze bei Sanierungsmaßnahmen. Gerade dort, wo Altstädte saniert wurden, kann das Handwerk davon berichten, wie hier neue qualifizierte Arbeitsplätze entstehen, und zusätzliche qualifizierte Arbeitsplätze in einem aufblühenden Fremdenverkehr.Unser Antrag soll dazu dienen, daß wir hier ein weiteres Stück nach vorne kommen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, damit ist die Aussprache beendet.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 12/1323 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Wir kommen zum letzten Punkt der heutigen Tagesordnung, zu dem Zusatzpunkt:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
zu dem Antrag der Abgeordneten Gernot Erler,Hans Gottfried Bernrath, Lieselott Blunck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDSoforthilfsprogramm für die Sowjetunion und ihre Republikenzu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDPHilfe zur Selbsthilfe für die Sowjetunion und ihre Republiken— Drucksachen 12/1321, 12/1580, 12/1975 —Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung
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6218 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992
Vizepräsident Helmuth BeckerNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort als erstem unserem Kollegen Herrn Abgeordneten Dr. Sprung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen das Thema der Hilfen für die Länder der ehemaligen Sowjetunion behandeln, so geschieht dies vor dem Hintergrund einer sich weiter veschlechternden Lage in den neuen Republiken. Ich meine, es ist eine gute Sache, daß sich im Wirtschaftsausschuß des Bundestages eine fraktionsübergreifende gemeinsame Haltung in dieser Frage herausgebildet hat. Die uns heute vorliegende Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses ist Ergebnis dieses Konsenses, ein Ergebnis, das wir alle mittragen und das zeigt, daß wir in der Frage, wie Deutschland den neuen Republiken Hilfe gewähren kann, in Übereinstimmung sind. Ich möchte an dieser Stelle allen Kollegen herzlich danken, die an der Erarbeitung dieses Konsenspapieres maßgeblichen Anteil hatten.Meine Damen und Herren, die zu selbständigen Staaten gewordenen Republiken der ehemaligenSowjetunion stehen am Beginn ihrer nationalenSouveränität vor tiefgreifenden Umwälzungen und schier unüberwindlich erscheinenden Problemen. Es ist nicht nur die akute Versorgungskrise, die derzeit im Mittelpunkt des Interesses steht und zu einer beispielhaften, an Bemühungen des vergangenen Winters anknüpfenden Solidaritätsaktion der deutschen Bevölkerung geführt hat — und diese Hilfsaktionen laufen weiter —, es sind auch die Devisen- und Zahlungsschwierigkeiten, die Sorgen bereiten und die Umstrukturierung der GUS-Republiken erheblich behindern.Meine Damen und Herren, in dieser Situation sind alle westlichen Industrienationen zur Hilfeleistung aufgefordert. Es muß verhindert werden, daß der Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft von den Menschen in den neuen Republiken als Abgleiten in wirtschaftliche Unsicherheit oder gar Hunger und Not erfahren wird. Es kann dabei jedoch nicht darum gehen, neue Abhängigkeiten mit immer neuen Zahlungsverpflichtungen zu schaffen. Die Hilfe zum Wandel in den neuen Republiken darf nicht zum Faß ohne Boden werden.
Worauf es neben der Soforthilfe zur Sicherung der Versorgung der Bevölkerung vor allem ankommt, ist Hilfe zur Selbsthilfe. Dieser Grundsatz, meine Damen und Herren, zieht sich wie ein roter Faden durch die Ihnen vorliegende Beschlußempfehlung und sollte auch im internationalen Rahmen Richtschnur bleiben.Wir begrüßen es, daß der Abstimmungsprozeß auf internationaler Ebene angelaufen ist und bei wichtigen internationalen Konferenzen in der ersten Hälfte dieses Jahres auf der Tagesordnung steht. Die Washingtoner Konferenz, die in dieser Woche zur Koordinierung der verschiedenen nationalen Hilfen für die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion stattgefunden hat — sie ist gestern abgeschlossen worden —, war ein hoffnungsvoller Auftakt, aber auch leider noch nicht mehr. Die Hilfe für die Republiken der ehemaligen Sowjetunion geht alle westlichen Industrienationen an; denn die Gefahr, die Zahlungsunfähigkeit, soziale Unruhen und innenpolitische Instabilität zur Folge hätten, würde die Industrienationen in ihrer Gesamtheit treffen.Doch, meine Damen und Herren, auch angesichts der Größenordnung der Aufgabe, ist ein international abgestimmtes Verhalten unumgänglich. Führen Sie sich vor Augen, welcher Investitionsbedarf für die neuen Bundesländer veranschlagt wird und setzen Sie dies in Relation zur Größe der anderen ehemaligen RGW-Staaten und zu der Tatsache, daß in der ehemaligen Sowjetunion die sozialistische Mißwirtschaft nicht gut 40, sondern mehr als 70 Jahre dauerte! Wenn man dies tut, dann kann man ermessen, welch gewaltiger Kapitalbedarf besteht, um die östlichen Volkswirtschaften an die Marktwirtschaft heranzuführen.
Die westliche Welt wird nicht umhin kommen, mit erheblichen Investitionen den Aufbau der Wirtschaften in den Staaten der GUC im Baltikum, in Mittel- und Südosteuropa mit zu finanzieren.Die Bundesrepublik ist bereit, sich über den Beitrag hinaus — er ist doch schon bisher beträchtlich gewesen — am Aufbau in den ehemaligen RGW-Staaten zu beteiligen. Wir dringen jedoch auch darauf, daß in der westlichen Welt möglichst schnell ein Gesamtkonzept für die Hilfsmaßnahmen erarbeitet wird, das eine der jeweiligen Leistungsfähigkeit angemessene Verteilung der Lasten vorsieht. Es darf nicht weiterhin so sein, daß die übrigen Staaten vollmundige Solidaritätsbekundungen von sich geben und Deutschland zum größten Teil diese Hilfen, die dort angekündigt werden, trägt.Meine Damen und Herren, wir begrüßen, daß die Bundesregierung sich multilateral wie bilateral intensiv um eine wirksame Unterstützung der Republiken der ehemaligen Sowjetunion bemüht. Im Bereich der zügigen Umsetzung der beschlossenen Lieferungen von Lebensmitteln, Medikamenten und anderen dringend benötigten Hilfsgütern wird bereits Beachtliches geleistet. Eine Reihe von Anfangsschwierigkeiten sind inzwischen beseitigt worden, dennoch sind weitere internationale Anstrengungen dringend nötig. Dabei sollte darauf hingewirkt werden, daß Hilfsgüter, wie im Rahmen der EG-Hilfsprogramme vorgesehen, soweit es möglich ist, auch in den ost- und südosteuropäischen Ländern angekauft werden.Auf die großzügige Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung habe ich bereits hingewiesen. Zu danken ist darüber hinaus auch den karitativen Verbänden, die sich vorbildlich in Hilfeleistungen engagieren. Erwähnung finden müssen auch die Hilfen, die
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Dr. Rudolf Sprungauf der Grundlage der bestehenden Städtepartnerschaften gewährt werden. Was hier an persönlichem Einsatz und Opferbereitschaft von unzähligen freiwilligen Helfern gezeigt wird — in meiner Heimatstadt Goslar gibt es zur Zeit eine wahre Welle der Hilfsbereitschaft für die Stadt Beresniki im Ural —, kann nicht oft genug erwähnt und hervorgehoben werden.
Meine Damen und Herren, nicht vergessen werden darf auch, welche logistischen Meisterleistungen bei der Organisation und Durchführung dieser Maßnahmen vollbracht werden. Das dabei erworbene Wissen und die vor Ort gewonnenen Erfahrungen können übrigens sehr nutzbringend beim Aufbau des EG- Expertenteams zur logistischen Unterstützung der Hilfslieferungen genutzt werden.Worauf es mittel- und langristig ganz entscheidend ankommt, ist, den Republiken dabei zu helfen, die Voraussetzungen für einen zügigen Übergang zur marktwirtschaftlichen Ordnung zu schaffen und sich in die Weltwirtschaft zu integrieren. Dies setzt viel voraus.Die dafür nötigen Maßnahmen sind in der vorliegenden Entschließung genannt. Hervorheben möchte ich insbesondere die Notwendigkeit von intensiver Beratung und Know-how-Transfer auf allen Ebenen. Hier ist nicht nur die deutsche Wirtschaft aufgefordert, sich neben Investitionen auch durch Ausbildungshilfen aktiv zu beteiligen. Wirtschaftspolitische Beratung muß in Zukunft auch auf staatlicher Ebene einen Schwerpunkt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bilden. Deutsche Hilfe könnte gerade hier besonders wirkungsvoll sein, verfügen wir doch über lange und erfolgreiche Erfahrungen mit der Sozialen Marktwirtschaft ebenso wie über praktische Erfahrungen beim Umbau einer ehemals sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.Bei der dringend erforderlichen Privatisierung könnten die Republiken der ehemaligen Sowjetunion auf die in Deutschland bewährte Einrichtung der Treuhandanstalt zurückgreifen. Auch bier können wir mit unseren Erfahrungen, eventuell auch mit bewährtem Personal, aushelfen.Um ein investitionsfreundliches administratives und legislatives Umfeld zu schaffen, ist auch die Politikberatung von entscheidender Bedeutung. Die Information der Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung über die grundlegenden Zusammenhänge der Sozialen Marktwirtschaft, ihre gesetzlichen und institutionellen Voraussetzungen, muß — die Erfahrungen in den neuen Bundesländern zeigen dies — vom ersten Augenblick an intensiv und langfristig ausgerichtet betrieben werden, um Fehlentwicklungen zu vermeiden. Denn — auch das haben wir in den neuen Bundesländern gespürt — der Umstrukturierungsprozeß hin zur Marktwirtschaft kann nur dann in Gang kommen, wenn ein positives Wirtschaftsklima herrscht, wenn als Folge politischer und rechtlicher Beständigkeit bei den Unternehmen Vertrauen in die künftige Entwicklung hergestellt wird.Die Integration in die Weltwirtschaft setzt voraus, daß wir unsere Märkte für Produkte aus den neuen Republiken öffnen. Zum anderen — und hier sehe ich allerdings das noch viel größere Problem — müssen sie in die Lage versetzt werden, möglichst schnell Waren zu produzieren, mit denen sie auf unseren Märkten wettbewerbsfähig sind. Daneben gilt es, die traditionellen Wirtschaftskontakte und Absatzwege zwischen den Republiken und innerhalb der Staaten des ehemaligen RGW zu nutzen und auszubauen.Ein Beitrag dazu ist, so meine ich, auch der vorgestrige Kabinettsbeschluß, für Exportlieferungen in die GUS-Länder Hermes-Bürgschaften zur Verfügung zu stellen. Auch die dafür beschlossenen Kriterien, nämlich Konzentration auf Lieferungen, die zu einer unmittelbaren Steigerung der Deviseneinnahmen führen, zielen in diese Richtung.Das gleiche gilt im übrigen — ein weiteres Beispiel — für die Errichtung einer Vermittlungs- oder Kontaktstelle für Barter-Geschäfte, also für Geschäfte Ware gegen Ware, mit den GUS-Mitgliedstaaten durch das Bundeswirtschaftsministerium, normalerweise, so möchte ich sagen, eine Horrorvorstellung für die Anhänger eines freien Handelsverkehrs. Doch außergewöhnliche Situationen erfordern auch außergewöhnliche Maßnahmen.Einen bedeutenden Beitrag zur Hebung der Deviseneinnahmen könnte ferner ein steigender Export von Erdöl und Erdgas leisten, bei dem vor allem Rußland über umfassende Reserven verfügt. Doch nicht nur zum Export, sondern auch zur Sicherung einer ausreichenden Versorgung der eigenen Bevölkerung ist eine grundlegende Modernisierung der Fördereinrichtungen und Raffinerien dringend erforderlich. Neben einer gemeinsamen Energiepolitik der Staaten der GUS könnte hier eine gemeinsame Energieagentur oder eine gemeinsame Energiebehörde als Koordinator und Ansprechpartner für westliche Hilfe für die erforderlichen schnellen Fortschritte sorgen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns alle gemeinsam die große Chance, die das Ende des real existierenden sozialistischen Alptraums, den die Auflösung des Warschauer Paktes und der Sowjetunion darstellt, ergreifen und uns am Aufbau demokratischer Republiken beteiligen, die künftig ebenfalls ihren Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker in Europa und der Welt leisten werden!Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Dr. Uwe Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, das hat es bisher selten gegeben, daß die Opposition mit der Regierungskoalition aus je einem eigenen Antrag einen gemeinsamen Antrag macht.Der Antrag, den wir jetzt akzeptieren, zielt aus unserer Sicht in die richtige Richtung. Wichtig ist, daß
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Dr. Uwe Jensdie Hilfe für die sogenannten GUS-Staaten schnell anläuft, daß sie koordiniert wird und daß sie kein Strohfeuer entfacht, sondern langfristig wirksam ist. Natürlich darf sie nicht etwa zu Lasten der Länder der Dritten Welt gehen. Auch das möchte ich betont haben.
Im Zuge der Verhandlungen über unseren Antrag, den vor allem mein Kollege Gernot Erler initiiert hat, hat es verständlicherweise Kompromisse gegeben. Wir Sozialdemokraten konnten unsere Vorstellungen nicht völlig verwirklichen; das liegt auf der Hand. Jetzt heißt es z. B., daß die Bundesregierung um eine wirksame Unterstützung der Republiken der ehemaligen Sowjetunion bemüht sein soll. Das ist sicherlich eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Natürlich muß es wirksame Hilfe geben. Aber es muß nach unserer Auffassung auch ausreichende Hilfe geben.
Wirksam und ausreichend muß die Hilfe sein, damit wir verhindern, daß es dort zur Verarmung breiter Massen kommt.Darüber hinaus ist vorgesehen, daß die Hilfsgüter zu günstigen Preisen gegen ziemlich wertlose Rubel verkauft werden. Ein Teil dieser eingenommenen Gelder soll einem Sozialfonds zugeführt werden. Auch das ist grundsätzlich richtig, nicht etwa falsch. Wir wollten jedoch noch etwas konkreter das hereinkommende Geld zur Verbesserung der Agrarproduktion und zur Verbesserung der Distribution in diesem Bereich verwenden. Es sollte in Form von Krediten sowohl an junge Landwirte zur Steigerung der Agrarproduktion als auch an junge Unternehmer zur Verbesserung der Verteilung der Agrarprodukte vergeben werden.Dieser Gedanke stand bei dem ERP-Programm Pate, als es um den Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland ging. Ich bin immer noch davon überzeugt: Das war ein guter Gedanke. Auch den sollten wir unserer Meinung nach auf die Entwicklung in den GUS-Staaten anwenden.
Wir hatten schließlich gefordert, unter bestimmten Bedingungen die sogenannten Joint-ventures verstärkt zu fördern. Gerade durch solche Gemeinschaftsunternehmen mit den GUS-Staaten kann und wird ein wesentlicher Beitrag zum Erfahrungsaustausch und zum Technologietransfer geleistet. Es wäre schlimm, wenn die vorhandenen Joint-ventures, die zum Teil recht vernünftige, gute Arbeit geleistet haben, eingestellt werden müßten. Es wäre sinnvoll, dafür zu sorgen, daß es hiervon mehr gibt und nicht etwa weniger. Um dies zu erreichen, sind sicherlich in erster Linie die deutschen Unternehmen gefordert; auch das gebe ich gerne zu. Aber auch die Bundesregierung sollte, glaube ich, durch Rat und Tat zum Erhalt bestehender und zur Förderung weiterer Joint-ventures beitragen.
Besonders wichtig ist uns — das ist in dem Antrag festgehalten — das Anliegen, die eigenen Märkte derIndustrienationen, also auch der Bundesrepublik Deutschland, zu öffnen. Will man den neuen marktwirtschaftlichen Ländern wirklich helfen — Herr Kollege Sprung, Sie hatten das angedeutet —, dann benötigen sie die Chance, selbst hergestellte Produkte im Ausland zu verkaufen. Das sind zunächst Agrar- und Textilprodukte. Das sind auch Rohstoffe, und das sind vor allem fossile Energieträger. Also etwas mehr Kompromißbereitschaft bei den anstehenden GATT- Verhandlungen mahnen wir einmal mehr bei dieser Gelegenheit hier an; sie scheint mir dringend notwendig zu sein.Zubilligen muß man, glaube ich, den Republiken der ehemaligen Sowjetunion, da sie noch nicht voll entwickelt sind, einen gewissen selektiven Protektionismus à la Friedrich List. Auch wir haben am Anfang der industriellen Entwicklung bestimmte Märkte geschützt und sie nicht der weltwirtschaftlichen Konkurrenz ausgesetzt. Einen selektiven Protektionismus — dafür müssen wir Verständnis haben — dürfen sie praktizieren, um ihre eigene Entwicklung voranzubringen.Wir begrüßen die Bemühungen um eine Vermittlung von marktwirtschaftlichem Know-how ausdrücklich. Dies ist für den Aufbau der neuen GUS-Staaten genauso wichtig wie eine finanzielle Hilfe. Leider haben aus unserer Sicht in der nahen Vergangenheit wohl mehr — Sie kennen den Begriff — die Chicago-Boys als Berater in Osteuropa zur Verfügung gestanden
als jene, die Erfahrung mit dem Aufbau einer wirklich sozialen Marktwirtschaft haben.Ich weise deshalb noch einmal darauf hin: Nur die Freigabe der Preise, so wie es zur Zeit praktiziert wird, reicht nicht aus.
Es gehört ein bißchen mehr dazu. Es gehört dazu z. B. erstens die Schaffung von Vertrauen in die neue Währung, zweitens die sofortige Einstellung der Notenpresse, was Helmut Schmidt einmal mehr angemahnt hat, drittens eine geldmengenorientierte Geldpolitik durch eine zentrale Institution, viertens die Finanzierung des Haushaltes über ein solides Steuersystem und fünftens ein positiver Realzins. Das heißt, das Sparen muß sich lohnen. Unter dem Strich muß einer, wenn er spart, mehr hereinbekommen, als durch Geldentwertung verschwindet. Ein positiver Realzins scheint mir dringend notwendig zu sein.Notwendig ist aus unserer Sicht ebenfalls, daß man die Erfahrungen, die wir mit der Institutionalisierung des Arbeitsmarktes gemacht haben, nicht vergißt. In Ungarn hat man mittlerweile an die 1 000 Gewerkschaften gegründet. Das ist eine verhängnisvolle Entwicklung.
—1 000 Gewerkschaften. — Wir haben Erfolg mit demIndustrieverbandssystem, mit der Einheitsgewerkschaft gehabt. Deshalb fordern wir, daß sie diese
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Dr. Uwe JensErfahrung berücksichtigen: Eine Gewerkschaft für ein Unternehmen.
Hinzu kommen muß, glaube ich, wie das auch die Bundesrepublik Deutschland gemacht hat, der Versuch, einen Überschuß in der Leistungsbilanz zu verwirklichen. Ja, selbst bei niedriger Produktivität in den neuen GUS-Staaten gibt es irgendwo einen Wechselkurs, der diese Wirtschaft weltweit dann doch wieder rentabel macht.
Das scheint mir wichtig zu sein. Dann lebt das Volk zwar für eine gewisse Zeit unter den Verhältnissen; aber das ist eine elementare Voraussetzung dafür, eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung aufzubauen.Schließlich will ich erwähnen, daß sich auch unser Ausbildungssystem hervorragend bewährt hat. Die Lander, die es versäumen, ein entsprechendes Ausbildungssystem — wie vielleicht die vier kleinen Tiger — aufzubauen, werden in Schwierigkeiten kommen. Die GUS-Staaten haben zum Teil ein gutes Ausbildungssystem. Aber sie müssen es behalten und versuchen, hochqualifizierte Arbeitskräfte auszubilden. Das scheint mir eine wesentliche Voraussetzung dafür zu sein, daß es ihnen gelingt, ihre Entwicklung wirklich auf eigene Beine zu stellen.
Passen wir jedoch auf, daß wir keine falschen Hoffnungen wecken! Die Angleichung der Lebensverhältnisse in der ehemaligen DDR wird, glaube ich, noch mindestens zehn Jahre dauern und vielleicht noch ein bißchen länger. Die Umstrukturierung der ehemaligen Staaten der Sowjetunion und die deutliche Anhebung des Lebenshaltungsniveaus gegenüber dem jetzigen Zustand ist sicherlich eine Generationenaufgabe.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Heinrich Leonhard Kolb.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kaum mehr als ein Jahr nach Vollzug der deutschen Einheit erlebt die Welt in den letzten Monaten eine noch gravierendere Neuentwicklung: Die Sowjetunion hat sich aufgelöst, und auf ihrem riesigen Gebiet entstehen neue staatliche Strukturen. Man kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, daß dieser Wandel bisher weitgehend ohne Blutvergießen und nur mit geringen Unruhen möglich war.
Unser Ziel muß es sein, einen Beitrag zu leisten, daß dies so bleibt. Unser Handeln muß sich dabei auf zwei Ebenen bewegen, zum ersten Stabilisierung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, man kann auch härter formulieren: die Vermeidung des wirtschaftlichen und in der Folge auch politischen Zusammenbruchs, zweitens Entwicklung tragfähiger politischer und marktwirtschaftlicher Strukturen in den einzelnen Staaten und ihrer Gemeinschaft.Ich will gleich vorausschicken — hierin besteht auch Konsens zwischen den Fraktionen —, auch wenn wir heute hier über spezifisch deutsche Beiträge debattieren: Die deutsche Partnerschaft und Hilfe allein können für die Staaten der GUS vor dem Hintergrund der Dimension der zu lösenden Aufgabe bei weitem nicht ausreichend sein. Die Aufgabe erfordert vielmehr internationale Bemühungen, bei denen sich neben den europäischen Nachbarn vor allen Dingen auch die Vereinigten Staaten und Japan nicht zurückhalten dürfen.Schließlich kann alle Hilfe nur erfolgreich sein, wenn der Reformprozeß in den GUS-Staaten selbst nachhaltige Unterstützung findet. Dort muß der Boden bereitet werden, der unseren Hilfsangeboten überhaupt erst ihren Sinn gibt. Dazu zähle ich Währungsreformen, Bankenreformen und die konsequente Auflösung staatswirtschaftlicher Strukturen in Industrie und Gewerbe.Meine Damen und Herren, ich sprach von Stabilisierung und Entwicklung als zentralen Aufgabenfeldern. Zum ersten Bereich, der Stabilisierung, gehört die schnelle humanitäre Hilfe, die zunächst über diesen Winter hilft. Wir nehmen mit Freude und Dankbarkeit zur Kenntnis, mit welchem Engagement die Bürger unseres Landes private Initiativen organisieren bzw. sich daran in bemerkenswertem Maße beteiligen.
Erst gestern, so war zu hören, hat sich wieder ein Konvoi des Roten Kreuzes auf den Weg nach Königsberg gemacht — eine Region übrigens, die als Exklave der neurussischen Verwaltung mit besonderen Erwartungen auf Deutschland schaut.Für eine Stabilisierung sind daneben kurzfristige und sichtbare Erfolge von großer Bedeutung. Der Handwerker in St. Petersburg muß konkrete Hoffnung schöpfen, indem ihm zu Aufträgen verholfen wird. Die Krankenschwester in Kiew muß neuen Mut gewinnen, indem sie ohne Verluste durch Organisation und Transport Medikamente und medizinische Geräte erhält. Der Maschinist in Nowosibirsk muß den Glauben an die Zukunft seines Arbeitsplatzes durch einen neuen Auftrag seines Betriebes erhalten.Viele kleine Schritte führen hier weiter als der Versuch des großen Sprungs. Wir sollten aus Fehlern der Entwicklungspolitik in der sogenannten Dritten Welt lernen. Es nützt überhaupt nichts, aber es schadet unserer eigenen ohnehin angespannten Situation, wenn wir große Geldsummen in das derzeit bodenlose Faß der GUS hineinschütten. Weniger ist dann mehr, wenn es gezielt eingesetzt wird und beim Adressaten vor Ort ankommt.Wir müssen auch erkennen: Schon die Chance zur Stabilisierung steht und fällt mit dem Aufbau einer provisorischen Infrastruktur. Ohne Transportwege und Fahrzeuge nützt die beste Nahrungsmittelhilfe wenig, genauso wenig wie auf längere Sicht der
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Dr. Heinrich L. KolbAufbau von Handelskontakten gelingt, wenn die Ware nicht oder zu spät ans Ziel gelangt.Zum zweiten von mir genannten Bereich, der geduldigen, aber zielstrebigen Entwicklung marktwirtschaftlicher Strukturen, gibt es gleichfalls eine Reihe von Aufgabenfeldern. Dazu zählt die kontrollierte Fortsetzung der Hermes-Deckungspolitik. Doch so wichtig diese ist, beim Aufbau neuer Wirtschaftsbeziehungen müssen wir zuallererst an die deutsche Wirtschaft appellieren, auf eigenes Risiko zu handeln. Wer jetzt in der nach wie vor größten Staatengemeinschaft der Welt investiert, sich dort Kooperationspartner sucht und ihnen über die schwere Aufbauphase hinweghilft, wird später sicher davon profitieren.Die Bundesrepublik Deutschland kann nicht auch noch das Exportgeschäft mit immer neuen Mitteln subventionieren. Deshalb war — so denke ich — die Notbremse beim Hermes-Programm, das sonst zu einem Subventionsmittel zu verkommen drohte, unumgänglich.Überhaupt liegt, was Hermes anbelangt, eine Gratwanderung vor uns. Was Einbrüche in diesem Bereich insbesondere für die Betriebe in den neuen Bundesländern bedeuten, spüren wir schon jetzt. Auch müssen wir die möglichen Folgen des Scheiterns der Reformpolitik, welches zu ungeahnten Flüchtlingsströmen führen könnte, ins Kalkül ziehen. Auf der anderen Seite dürfen wir unseren eigenen Haushalt nicht durch Hermes-Risiken überfordern. Wer einem ins Eis Eingebrochenen helfen will, muß vorsichtig sein, damit er nicht selber einbricht.
Doch zurück zur Entwicklung tragfähiger marktwirtschaftlicher Strukturen. Zur Verbesserung der Perspektiven dienen neben materiellen Hilfen Beratung und Informationen aller Art, Seminare für Angehörige aller Verwaltungen, Selbständige, Selbstverwaltungsorganisationen, Kommunalpolitiker und andere. Deutschland hat zwar durch die nationale Vereinigung Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht wie kein zweites Land der Welt; unsere Erfahrungen mit der Vermittlung eines ganz neuen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems an Millionen von Menschen sind dennoch nicht einfach auf die GUS übertragbar. Ihr Gebiet ist ungleich größer, was nicht nur den Transport von Waren, sondern eben auch den Transport von Dienstleistungen und Informationen erschwert.Wir dürfen auch nicht vergessen, daß es in Rußland und anderen Staaten der GUS nicht etwa eine oder mehrere Generationen lang, sondern tatsächlich noch nie Demokratie nach unseren heutigen Maßstäben und noch nie moderne, menschenfreundliche Marktwirtschaft gab.Zum Schluß: Ich verstehe die gute Absicht und die — sagen wir — Ungeduld all derer, die die gemeinsame Beschlußempfehlung noch verbessern wollen. Aber ich bitte auch zu bedenken: Der vorliegende Beschlußvorschlag beschreibt die ersten einer ganzen Reihe von notwendigen Schritten. Es kommt darauf an, unsere Hilfe zur Selbsthilfe überhaupt erst einmal auf den Weg zu bringen. Darauf aufbauen und daran feilen können wir zukünftig noch genug, wenn die Zusammenarbeit erst einmal läuft und sich die politischen und wirtschaftlichen Strukturen in den Staaten der GUS weiterentwickeln.Aber nicht nur der Bundestag wird weitere Entscheidungen in den kommenden Jahren folgen lassen. Die Washingtoner Konferenz hat vielmehr den Weg zur Internationalisierung der Hilfen gewiesen und hat deutlich gemacht, wo erkannte Verantwortung noch stärker in tatsächliche Hilfsmaßnahmen umgesetzt werden kann. Im Mai werden sich die Wirtschafts- und Handelsminister und dann im Juli in München der Weltwirtschaftsgipfel mit der Situation in der GUS befassen.Ich bin sicher, die großen Anstrengungen werden sich für alle Beteiligten lohnen. Die Überwindung des zurückliegenden Kalten Krieges und der Friede in der Welt sind es allemal wert.Danke.
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Dr. Fritz Schumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bleibt eine nicht auslöschbare Tatsache, daß die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg für das Schicksal aller Völker Historisches geleistet hat. Im besonderen gilt das für das deutsche Volk. Folglich wird alles, was wir heute gegenüber den Nachfolgestaaten der Sowjetunion tun oder nicht tun, in diesem Zusammenhang gesehen. Mit anderen Worten: Es geht um uneigennützige, umfängliche und sofort wirksame Unterstützung. Denn wann und wie in diesem Lande die tiefe ökonomische und soziale Krise überwunden wird, ist auch für Deutschland von Bedeutung, vor allen Dingen für die Zukunft. Insofern kann man das Anliegen der Beschlußempfehlung, die uns heute hier vorliegt, nur unterstützen.Die konkreten Schritte, um die es nun aber geht, kommen im Antrag doch eher etwas spärlich zur Sprache, und die Wirklichkeit sieht auch nicht viel anders aus.Die bisherigen knapp 10 Milliarden DM HermesBürgschaften und die 400 Millionen DM Überfälligkeiten im Rahmen dieses Programms sind sicher ein finanzielles Risiko; das haben die Vorredner hier betont. Insofern verstehe ich auch Minister Waigel, der eine große Verantwortung für Stabilität trägt. Trotzdem muß man gerade in diesem Fall politische Maßstäbe anlegen und echte Unterstützung gewähren. Das muß nicht alles über das Hermes-Programm laufen; auch das ist hier zum Ausdruck gekommen.Auch unsere Nachbarn, besonders die EG, sind gefordert. Wenn ich mir konkret die Nahrungsmittelhilfe ansehe, dann stelle ich fest, man kann daran nicht erkennen, daß es wirklich schon so ernst ist. Die EG gewährte den Ländern der GUS einen Kredit in Höhe von 450 Millionen ECU. Davon sollen 1 Million t Weizen und 1,5 Millionen t Gerste eingekauft werden. Angesichts eines Getreideüberschusses der EG von etwa 30 Millionen t ist das geradezu eine groteske
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 6223
Dr. Fritz Schumann
Größenordnung, die Soforthilfe doch gewähren könnte.Ein letztes Beispiel. In Berlin entsorgt der Senat zur Zeit die Reservelagerbestände der sogenannten Berlin-Reserve. Die Sowjetarmee, die ja noch da ist, fährt die Bestände ab, die auf dem Markt ohnehin nicht absetzbar wären. Es entstehen keinerlei Auslagerungskosten. Der frei werdende Lagerraum bringt, wenn er an Industrie und Handel vermietet wird, sofort sagenhaften Gewinn. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Natürlich begrüßen wir diese Hilfe, denn jede Hilfe tut not, und wir übersehen nicht bestimmte Anstrengungen dieser Bundesregierung, aber es sollten weder Almosen noch Eigennutz im Spiele sein. Es geht vor allem um echte vorbehaltlose Hilfe und Zusammenarbeit, die in langfristige Beziehungen münden sollten.Wir schlagen deshalb vor, als Akt der Wiedergutmachung für das Leid, das Deutschland den sowjetischen Völkern in diesem Jahrhundert zugefügt hat, auf die Rückzahlung aller Schulden zu verzichten. Das wäre ein wichtiges Signal des vereinten Deutschland. Es würde den GUS-Staaten den Start in die neue Phase der Entwicklung erleichtern, und es läge im Interesse der Menschen.In Ergänzung zu Nr. 6 der vorliegenden Beschlußempfehlung wiederhole ich ferner unseren Vorschlag zur Bildung eines Projektförderrates vor allem zur Wiederbelebung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den ostdeutschen Bundesländern und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Selbst zurückhaltende Schätzungen sprechen von mindestens 700 000 Arbeitsplätzen, die damit in den neuen Bundesländern gesichert werden könnten.Ebenso überfällig wäre ein Auftrag an die Treuhand, ohne weiteren Zeitverlust ein umfassendes Programm zur gezielten Sanierung und Förderung von ostdeutschen Betrieben vorzulegen, die im Handel und in der Wirtschaftskooperation mit der ehemaligen UdSSR über Tradition, Erfahrung und Potenzen verfügen.Ich fordere die Bundesregierung erneut auf, endlich ernsthaft das Problem der Umschulung sowjetischer Militärangehöriger, solange sie noch auf deutschem Boden stationiert sind, aufzugreifen. Meine Vorredner haben ja schon auf das hervorragende Bildungssystem hingewiesen. Nur mit solchen konkreten Schritten kann die Bundesregierung beweisen, daß sie der allseitigen Zusammenarbeit und dem friedlichen Zusammenleben mit der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten wirklich verpflichtet ist.Danke.
Ich erteile jetzt unserem Kollegen Gernot Erler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich begrüße eingangs, daß wir in guter Zusammenarbeit — in diesem Zusammenhang möchte ich besonders Herrn Dr. Sprung danken — zu einem gemeinsamen Antrag in dieser Frage gekommen sind. Dieser Antrag enthält zwei Elemente: Daseine Element ist die Anerkennung dessen, was die Bundesregierung, aber auch die deutsche Öffentlichkeit bisher an Hilfsleistungen für die GUS und ihre Länder erbracht haben. Das ist nicht unerheblich, wenn man sich überlegt, daß allein die Bundesrepublik 57 % aller Hilfsleistungen — aufgerechnet auf alle denkbaren Lieferländer — erbringt. Ich glaube, ich kann hinzufügen, daß das, was die Vereinigten Staaten mit einem Anteil von bisher 6,5 % und Japan mit einem Anteil von 3,1 % geleistet haben, zu wenig ist und erhöht werden müßte.
Ich möchte aber auch auf die Hilfe hinweisen, die nicht von der Regierung geleistet worden ist. Es ist schon beeindruckend zu sehen, in welcher Weise die deutsche Öffentlichkeit, die deutschen Bürger bereit sind, persönlich zu spenden, und in welcher Weise Hilfsorganisationen aus Deutschland Transporte organisieren und begleiten und dafür sorgen, daß sie auch an die richtige Adresse kommen.
Lassen Sie mich hinzufügen: Es ist unverantwortlich, die Menschen hier zu entmutigen, indem man sagt, daß vieles nicht ankomme. Wir wissen, daß es oft schwer ist, die Adressaten zu finden. Aber der Deutsche Bundestag sollte bei dieser Gelegenheit all den vielen freiwilligen, ehrenamtlichen Helfern danken, die diese Transporte in vielen Nachtfahrten begleiten und unter schwierigen Bedingungen vor Ort die Ausladung und Verteilung organisieren. Das gibt uns Mut, und das ist auch eine Leistung!
Der andere Teil des Antrags weist in die Zukunft. Wir wissen, mit solch einem Antrag können wir die Teilnahme des Parlaments an dem ganzen Vorgang dokumentieren, aber wir können gleichzeitig auch zeigen, in welche Richtung diese Hilfe in Zukunft gehen soll. Die richtige Richtung dieser Hilfe ist vor allem, zu sagen: Wir wollen nicht unsere Probleme mit Hilfsmaßnahmen lösen, etwa EG-Überschüsse abbauen, sondern wir wollen auch den anderen osteuropäischen Ländern helfen, ihre traditionellen und engen Wirtschaftsbeziehungen mit den Ländern der GUS fortzusetzen. Sie sollen in diesen Prozeß einbezogen werden. Wir haben hier sehr deutlich gemacht, daß es uns darum geht, möglichst konkrete, direkte Maßnahmen in der Zukunft zu treffen, d. h. die Städtepartnerschaften noch stärker in die Hilfsmaßnahmen einzubeziehen. Es bedeutet aber auch, durch die bilateralen Kooperationsräte, die wir anregen, vor allem projektbezogene Hilfe zu leisten, wo wir genau wissen, wer unser Partner ist und welches die konkreten Ziele sind, und schließlich — darauf haben einige Kollegen schon hingewiesen — die Politikberatung zu verstärken.Meine Damen und Herren, die Washingtoner Konferenz, die gerade zu Ende gegangen ist, ist teilweise etwas kritisiert worden als Versuch der amerikanischen Administration, deren Oberhaupt auch vor einem Wahlkampf steht, sich koordinierend dort ein-
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6224 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992
Gernot Erlerzubringen, wo andere die Hauptleistung erbringen. Ich möchte mich in diese Diskussion gar nicht einmischen. Aber objektiv hat die Washingtoner Konferenz einen wichtigen Ansatz gebracht, den wir verfolgen sollten. Es wäre positiv, wenn jetzt die verschiedenen Regionen der Welt in Mitverantwortung für die Zukunft der Lander der GUS einträten. Denn es macht Sinn, daß bei der voraussehbaren Zukunft der politischen Perspektiven der GUS der Blick nicht völlig verengt und einseitig auf Europa gerichtet ist, auch auf Bemühungen zur Assoziation und sogar zur Integration in die EG, sondern daß sich der Blick von beiden Seiten auch auf andere Weltregionen richtet.Es macht natürlich Sinn, daß sich die westlichen Republiken stärker nach Westeuropa orientieren. Aber es gibt auch Ideen im Süden Europas, bezeichnet mit den Begriffen Pentagonale oder Hexagonale, auf die sich sicherlich Moldawien hinorientieren wird. Es gibt die mittelasiatischen Länder, d. h. die islamischen Lander der GUS, die schon jetzt in enge Kontakte mit der Türkei, mit dem Iran, aber auch mit Pakistan, Afghanistan und anderen Ländern dieser Region treten. Wenn daraus auch Hilfskonstruktionen werden, die diesen Ländern eine Zukunft der Eigenversorgung ermöglichen, dann haben wir das zu begrüßen und zu unterstützen. Es macht Sinn, daß sich die Lander des Fernen Ostens, die ja reich und wirtschaftsstark sind, um die östlichen Teile der riesigen russischen Föderation bemühen, die viel stärker pazifisch orientiert sind und gewiß nicht in einen intensiven Austausch mitWesteuropa treten können.Um den Kreis, den ich um den Süden beschrieben habe, abzuschließen: Es ist ein positiver Ansatz, daß sich die Ostseeanrainerstaaten auf einen Ostseerat vorbereiten. Hier hat das Land Schleswig-Holstein und der Ministerpräsident Björn Engholm persönlich ein großes Engagement gezeigt, das begrüßenswert ist und das jetzt von der Bundesregierung zunehmend aufgenommen wird. Es wird sich in der Ostseekonferenz am 5. und 6. März dieses Jahres aktiv umsetzen. Dort ist die Konstituierung eines solchen Ostseerates vorgesehen. Es ist vernünftig, daß dort hochentwikkelte Industrieländer des Westens — Dänemark, die nördlichen Teile der Bundesrepublik, aber auch Norwegen, Finnland und Schweden — zusammen mit Polen, den baltischen Staaten und den nördlichen Provinzen, sprich Kaliningrad, St. Petersburg und das Leningrader Gebiet, in einen engen wirtschaftlichen Kontakt treten und regionale Kooperation betreiben.Wenn also die Washingtoner Konferenz dazu beiträgt, daß wir so etwas wie eine Konzeption regionaler Kooperationszonen haben werden, dann ist das nicht nur im Sinne von „burden sharing" ein Fortschritt, sondern dann zeigt das auch, daß das riesige eurasische Konglomerat von Ländern nicht eine Oneway-Entscheidung in Richtung Westeuropa treffen kann, sondern daß es Verantwortlichkeiten und Chancen auf der ganzen Welt gibt.Wir sind also gefordert, hier weiterhin Phantasie zu zeigen, über das hinaus, was mit diesem Antrag angedeutet ist. Ich möchte deswegen hier noch eine weitere Anregung in diese Richtung geben.Wir sprechen von Politikberatung und wissen, wie notwendig das ist. Aber welche sind die besten Berater bei dem ökonomischen Status, den die Lander der GUS jetzt durchmachen müssen? Sind es die Leute, die auf dem letzten Stand der hochindustrialisierten westlichen Länder und ihrer Marktwirtschaft sind und die sich nur sehr schwer in die Verhältnisse hineindenken können, die wir dort haben?Ich denke daran, daß wir z. B. ein osteuropäisches Land haben, das in dem Übergangsprozeß ein erhebliches Stück weiter voran ist als die GUS-Länder; das ist Ungarn. Ungarn hat durch die lange Tradition von Wirtschaftsreformen inzwischen auch eine Menge Spezialisten für diese Übergangsprozesse; leider sind zur Zeit viele von ihnen arbeitslos. Es ist ein faszinierender Gedanke, mit westlichen Mitteln einen Fonds zu gründen, der es ermöglicht, Spezialisten, die diese unmittelbare Übergangsphase aus eigener praktischer Erfahrung sehr gut kennen und sehr wohl Ratschläge geben könnten — nebenbei können sie in der Regel auch die Sprache der GUS-Länder, Russisch —, dorthin zu entsenden.Meine Damen und Herren, das sind Dinge, wo wir weiterarbeiten sollten — ich hoffe, auch da gemeinsam, Herr Dr. Sprung —, Ideen sammeln könnten, um diesen Antrag mit Leben zu füllen; denn eines ist uns doch klar: Es wird immer von Hilfe gesprochen, aber es geht hier nicht nur um eine Frage der Humanität, sondern wir haben es hier mit deutschen Interessen zu tun. Ich finde es allemal attraktiver, in diesem Bereich die künftige Weltrolle der Bundesrepublik und die Bedeutung und die Verantwortung auf dieser Welt, die wir immer suchen, zu finden und umzusetzen als in irgendwelchen wirren Gedanken über militärische Interventionsmöglichkeiten.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, die Aussprache zu diesem Antrag geht langsam zu Ende. Ich erteile jetzt dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Erich Riedl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei kurze Vorbemerkungen.Erstens begrüßt es die Bundesregierung sehr und ausdrücklich, daß sich nicht nur die Koalitionsfraktionen, sondern auch die große Oppositionsfraktion, die der Sozialdemokraten, auf einen gemeinsamen Antrag verständigen konnten. Ich stimme mit Ihnen überein: Dies ist ein gutes Beispiel parlamentarischer Verantwortlichkeit.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 6225
Parl. Staatssekretär Dr. Erich RiedlDies entspricht auch dem Stellenwert, welche der Hilfe für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion in der gegenwärtigen Phase des Umbruchs zuzumessen ist, sowie der gewichtigen Rolle, die unser Land im Verbund der westlichen Partnerländer dabei spielt.Zweitens darf ich feststellen, daß der neu formulierte, heute hier vorliegende Antrag in seinen wesentlichen Bestandteilen in bemerkenswerter Weise auch mit den Vorstellungen der Bundesregierung übereinstimmt. Ein so freudiges Erlebnis darf die Bundesregierung hier auch öffentlich bekunden. Aber dies ist angesichts der Bedeutung des Gegenstandes — und das sage ich im Ernst — auch ein wichtiges politisches Signal. Wir sind ja sonst andere Töne gewöhnt.
Seit unserer ersten Debatte über die ursprünglichen Anträge Mitte November 1991 haben sich die Ereignisse in der früheren Sowjetunion förmlich überschlagen. Die alte Union — das wissen wir alle — besteht nicht mehr. An ihre Stelle ist jetzt die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten — GUS — getreten, wobei heute niemand sagen kann, wie lange diese Gemeinschaft so und unter dieser Bezeichnung bestehenbleibt. Aber eines ist klar: daß sich die souverän gewordenen Republiken von — ich glaube, man tritt niemandem zu nahe, wenn man es sagt — Filialen des ehemaligen Moskauer Zentrums zu eigenverantwortlichen Aktionszentren gewandelt haben, von denen auch starke Bestrebungen zu wirtschaftlicher Autonomie ausgehen. Das ist ein ganz deutlich erkennbarer Wille. Der Beschluß der Ukraine z. B. und einiger anderer Republiken, eigene Währungen einzuführen, ist hierfür nur beispielsweise ein signifikanter Ausdruck.Auf diese Entwicklung müssen wir — das ist gut, was im Deutschen Bundestag hier dazu ausgeführt worden ist — schnell reagieren, nicht nur — ich will das ganz offen sagen — um unsere eigenen Wirtschaftsinteressen dabei zu verfolgen, was sicherlich auch notwendig und richtig ist —, sondern auch um einen Beitrag zur Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in den neuen Republiken zu leisten. Denn wir sind absolut sicher einer Meinung, daß hinter den Reformkräften immer noch alte Regimeanhänger darauf harren, daß vor allen Dingen die Marktwirtschaft und die Demokratie in diesen neugestalteten souveränen Republiken scheitern werden. Es geht jetzt darum, unsere wirtschaftlichen Beziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen und ein Geflecht bilateraler Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen, das eine maßgeschneiderte Zusammenarbeit mit unseren neuen Partnern erlaubt.Hierzu sind viele Dinge erforderlich, aber es ist sicherlich zunächst erforderlich, regelmäßige und institutionalisierte Regierungskontakte zu den GUS- Republiken aufzunehmen, um die entstehenden Geschäfts- und Kooperationsbeziehungen zu flankieren. Ein solches Interesse besteht auch seitens der neuen Republiken, insbesondere seitens der wirtschaftlich stärksten Republiken, Russische Föderation, Ukraine, Kasachstan und Weißrußland. Denn wegen der politischen und wirtschaftlichen Neuordnung in diesen Republiken ist gerade im Anfangsstadium mit zahlreichen Engpässen, Verzögerungen und Hemmnissen im Warenverkehr und den Kooperationsbeziehungen zu rechnen. Deshalb bedarf es sowohl persönlicher Kontakte zwischen den Regierungen als auch eines bilateralen Gremiums, das in regelmäßigen Abständen unter Regierungs- und Wirtschaftsbeteiligung Gelegenheit zur Erörterung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen gibt.Die vorgesehenen Kooperationsräte, deren Einrichtung erfreulicherweise durch Ihren, durch unseren gemeinsamen Antrag unterstützt wird, bieten hierfür ein ausreichend flexibles Instrumentarium. Mit der Russischen Föderation sind die diesbezüglichen Arbeiten bereits relativ weit fortgeschritten. Der deutsch-russische Kooperationsrat wird am 18. Februar 1992 zum erstenmal in Bonn tagen. Das Bundesministerium für Wirtschaft ist sehr gern bereit, rechtzeitig und unverzüglich — Herr Dr. Jens, Herr Kollege Sprung und die Kollegen von der FDP, Herr Kollege Kolb — Sie auch im Vorfeld dieser Sitzung zu informieren. Wir können in laufender Verbindung bleiben. Ich darf Ihnen dieses Angebot von Herrn Minister Möllemann ausdrücklich auch hier vor dem Bundestag unterbreiten. Kooperationsräte mit der Ukraine und Kasachstan befinden sich in Vorbereitung, und es ist damit zu rechnen, daß sie sich während des Besuches von Minister Jürgen Möllemann während seiner Reise nach Kiew und Alma Ata Anfang Februar konstituieren. Das läuft gut an.Die von den Kooperationsräten zu behandelnden Sachthemen werden in gegenseitiger Abstimmung nach Gesprächsbedarf festgelegt und von Sitzung zu Sitzung variiert. Dementsprechend wird auch die Auswahl der Teilnehmer unterschiedlich sein. Herr Kollege Sprung, das war eine Anregung von Ihnen. Wir werden über die Personen und Teilnehmer immer wieder zu sprechen haben. Das gilt auch für die Opposition. Jedenfalls ist daran gedacht, neben den Vertretern der Bundesregierung und der Wirtschaft je nach Tagesordnung auch die Bundesländer und die wissenschaftlichen Forschungsinstitute zu beteiligen. Ich sehe überhaupt keinen Grund, nicht auch die Mitglieder oder Repräsentanten aus dem Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages fraktionsanteilig hineinzuziehen.Letztere und alle diese Gruppen sind nicht nur bedeutsam im Hinblick auf ihre Analyse und Informationstätigkeit, sondern sie spielen auch eine gewichtige Rolle bei der künftigen wirtschaftspolitischen Beratung der Republiken. Man glaubt gar nicht, wenn man Gespräche da drüben führt, auf welch einfachem Level man anfangen muß. Man schämt sich ja fast — ich möchte das hier ganz offen sagen —, das ganz einfache Einmaleins der Marktwirtschaft überhaupt anzubieten, aber man ist auf der Gegenseite dankbar, daß man es anbietet. Mit hochwissenschaftlichen Vorlesungsmaterialien aus dem 8. Semester Betriebswirtschaftsstudium deutscher Universitäten kommt man im Augenblick noch nicht allzuweit.
— Als Leidtragender dieses Studienganges kann ich Ihnen das bestätigen, Herr Kollege.
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6226 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992
Parl. Staatssekretär Dr. Erich RiedlNeben dem Wunsch nach einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit werden sich die Interessen der GUS-Republiken auf finanzielle Hilfe durch die Bundesrepublik Deutschland richten. Dies ist eine unmittelbare Folge des Umstands, daß Deutschland in den vergangenen Jahren fast zwei Drittel der internationalen Finanzhilfe für die ehemalige Sowjetunion geleistet hat. Die Regierung hat hier heute sehr dankbar vermerkt, daß dieses Hohe Haus wegen seines Beitrags zu dem enormen Anteil deutscher Finanzierung einer spürbaren Hilfe für die GUS-Staaten eine entsprechende Anerkennung findet. Um es einmal salopp zu sagen: Die übrige westliche Hilfe hat im Augenblick noch keinen Anspruch darauf, wegen humanitärer und sonstiger Hilfen in das „Guinessbuch der Rekorde" aufgenommen zu werden.
Hier ist also noch Nacharbeit notwendig.Es wurde bereits in unserer ersten Debatte wie auch in den Ausschußberatungen deutlich, daß diese finanziellen Leistungen zwangsläufig zurückgehen werden und werden müssen. Jetzt ist einerseits die soeben angesprochene internationale Staatengemeinschaft gefordert, die zu einer gleichmäßigeren Lastenverteilung beitragen muß, andererseits werden die öffentlichen Kassen angesichts des enormen Finanzbedarfs der GUS-Länder — auch bei einem verstärkten Engagement unserer Partner — überfordert sein und Finanzierungslücken bestehenbleiben.Vor diesem Hintergrund, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat der Bundesminister für Wirtschaft zu einem Treffen von Wirtschafts- und Handelsministern eingeladen, das im Mai in Münster stattfinden wird. Dieses Treffen soll wesentlich dazu beitragen, die Schwergewichtsverlagerung von der finanziellen Hilfe zur unternehmerischen Zusammenarbeit zu fördern und damit zugleich einen praktischen Beitrag zur Einführung der Marktwirtschaft in den GUS-Republiken zu leisten.In diesem Sinne wird es darum gehen, eine ganze Reihe von Fragen — die Vorredner haben diese Fragen heute schon angeschnitten — zu erörtern: Wirtschaftsreform — da geht es nicht nur um Preisfreigabe, die, völlig richtig, allein gar nicht helfen kann, vielmehr muß Privatisierung, was Herr Kollege Kolb deutlich ausgeführt hat, hinzukommen —, Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen — z. B. Aufbau einer effizienten Wirtschaftsverwaltung; man kann über den öffentlichen Dienst und die Verwaltung reden, was man will, aber die Wirtschaftsverwaltung gehört zur Marktwirtschaft wie das Amen in der Kirche —, Neuordnung des Bankensystems, Neuordnung des Ausbildungssystems — Stichwort: duales Ausbildungssystem, Meisterprüfung und all die Dinge, die schon angesprochen worden sind —, Notwendigkeit — das will ich als Regierungsvertreter deutlich sagen — des Aufbaus einer demokratischen Gewerkschaftsbewegung — das ist, wie schnell klar wird, wenn man die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verfolgt, bei uns ein ganz wesentlicher, positiver Faktor beim Wiederaufbau Deutschlandsgewesen — und schließlich natürlich Schaffung eines günstigen Investitionsklimas.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesem auf wirtschaftliche Kooperation ausgerichteten Ansatz ergänzt das Münsteraner Treffen die soeben in Washington beendete Konferenz zur Koordinierung der internationalen humanitären Hilfsaktionen für die GUS-Länder. Diese Hilfsaktionen sind naturgemäß kurzfristig angelegt und laufen nach Beseitigung der akuten Notsituation aus.Die gestern zu Ende gegangene Washingtoner Koordinierungskonferenz zur Hilfe für die Staaten der GUS brachte deutlich zum Ausdruck, daß die Stabilität in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion keine Angelegenheit nur für Westeuropa ist. Hierin liegt ihre eigentliche Bedeutung. Sie betrifft genauso die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada, sie betrifft auch die hochentwickelten Industrieländer Asiens und die reichen Golfstaaten. Dies machten die Debatten deutlich, an denen sich die Teilnehmer aus allen Regionen intensiv beteiligten.Die Teilnahme von 54 Staaten und internationalen Organisationen an der Konferenz hat eine Chance eröffnet, daß die neue Herausforderung weltweit akzeptiert wird und die Lasten auf viele Schultern verteilt werden können. Ich möchte in diesem Zusammenhang nochmals die aktive Mitwirkung der Ölländer des Persischen Golfs hervorheben.Konkretes Handeln ist erforderlich. In Washington fanden die von Bundesaußenminister Genscher im Namen der Bundesregierung vorgetragenen praktischen deutschen Erfahrungen mit unseren Programmen allergrößtes Interesse. Die herausragenden Leistungen Deutschlands wurden von Präsident Bush und Außenminister Baker in ihren Erklärungen besonders gewürdigt. Die USA haben zusätzliche Hilfsmaßnahmen angekündigt.Meine Damen und Herren, ich möchte mich zum Schluß dem Dank anschließen, den mein verehrter Vorredner an die Deutschen gerichtet hat. Auch ich möchte allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern unseres deutschen Vaterlandes, die — ich kann Ihnen das bestätigen — ohne staatlichen Antrieb, ohne daß sie vom Fernsehen aufgefordert werden mußten, sondern absolut freiwillig Enormes geleistet haben, Enormes leisten und zu Tausenden unterwegs sind, im Namen der Bundesregierung Dank aussprechen.Ein Beispiel: Neulich habe ich einem hilfswilligen Bürger ganz vorsichtig Schwierigkeiten erklärt, auf die er stößt, wenn er nach drüben fährt. Da hat er gesagt: Das interessiert mich überhaupt nicht; ich will von Ihnen wissen, was ich Positives leisten kann; mit den Schwierigkeiten werde ich selber fertig.Das ist ein gutes Zeichen auch für unsere deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger im wiedervereinigten Deutschland.
Wir sind damit am Ende der Aussprache.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 6227
Vizepräsident Helmuth BeckerZu Ihrem Zwischenruf, Herr Kollege Larcher: Wie ich höre, wird an deutschen Hochschulen im allgemeinen gut gearbeitet.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf der Drucksache 12/1975? — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschuß für Wirtschaft ist einstimmig angenommen.Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.Ich wünsche Ihnen ein nicht zu arbeitsreiches Wochenende und gute Arbeitsergebnisse national und international für die nächsten 19 Tage, weil ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags erst auf Mittwoch, den 12. Februar 1992, 13 Uhr einberufe.Die Sitzung ist geschlossen.