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    Plenarprotokoll 12/74 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 74. Sitzung Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 Inhalt: Tagesordnungspunkt 13: a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Ulrich Klinkert und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Gerhart Rudolf Baum und der Fraktion der FDP: Reaktorsicherheit in den Staaten Mittel- und Osteuropas (Drucksache 12/1906) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 08/836/EURATOM über die Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen im Hinblick auf die vorherige Genehmigung der Verbringung radioaktiver Abfälle (Drucksachen 12/350 Nr. 12, 12/1752) Ulrich Klinkert CDU/CSU 6189B Klaus Lennartz SPD 6190D Ulrich Klinkert CDU/CSU 6191 C Gerhart Rudolf Baum FDP 6194 D Klaus Lennartz SPD 6196B Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 6197A Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 6198A Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . . 6198C Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Adam, Anneliese Augustin, Dietrich Austermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gisela Babel, Günther Bredehorn, Dr. Olaf Feldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Förderung des Fremdenverkehrs in den neuen Ländern (Drucksache 12/1323) Dr. Rolf Olderog CDU/CSU 6201 C Hinrich Kuessner SPD 6202 B Dr. Olaf Feldmann FDP 6204 A Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 6205 B Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär BMWi 6206 C Klaus Brähmig CDU/CSU 6208 A Iris Gleicke SPD 6209 C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP 6211A Carl Ewen SPD 6212 B Dr. Gerhard Päselt CDU/CSU 6212 C Dr. Peter Eckhardt SPD 6213 D Werner Dörflinger CDU/CSU 6215D Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU 6216D Zusatztagesordnungspunkt: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 Gernot Erler, Hans Gottfried Bernrath, Lieselott Blunck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Soforthilfsprogramm für die Sowjetunion und ihre Republiken zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP: Hilfe zur Selbsthilfe für die Sowjetunion und ihre Republiken (Drucksachen 12/1321, 12/1580, 12/1975) Dr. Rudolf Sprung CDU/CSU 6218A Dr. Uwe Jens SPD 6219D Dr. Heinrich L. Kolb FDP 6221 B Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Linke Liste 6222 C Gernot Erler SPD 6223 B Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi 6224 D Nächste Sitzung 6227 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6229* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 6230* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 6189 74. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 24. 01. 92 Andres, Gerd SPD 24. 01. 92 Antretter, Robert SPD 24. 01. 92* Berger, Johann Anton SPD 24. 01. 92 Bock, Thea SPD 24. 01. 92 Böhm (Melsungen), CDU/CSU 24. 01. 92 * Wilfried Braband, Jutta PDS/LL 24. 01. 92 Brandt-Elsweier, Anni SPD 24. 01. 92 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 24. 01. 92 Dr. Diederich (Berlin), SPD 24. 01. 92 Nils Dr. Dobberthien, SPD 24. 01. 92 Marliese Doppmeier, Hubert CDU/CSU 24. 01. 92 Dr. Dregger, Alfred CDU/CSU 24. 01. 92 Dr. Faltlhauser, Kurt CDU/CSU 24. 01. 92 Francke (Hamburg), CDU/CSU 24. 01. 92 Klaus Dr. Friedrich, Gerhard CDU/CSU 24. 01. 92 Gallus, Georg FDP 24. 01. 92 Ganschow, Jörg FDP 24. 01. 92 Gattermann, Hans H. FDP 24. 01. 92 Dr. von Geldern, CDU/CSU 24. 01. 92 Wolfgang Dr. Glotz, Peter SPD 24. 01. 92 Grünbeck, Josef FDP 24. 01. 92 Günther (Plauen), FDP 24. 01. 92 Joachim Hämmerle, Gerlinde SPD 24. 01. 92 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 24. 01. 92 Haschke CDU/CSU 24.01.92 (Großhennersdorf), Gottfried Dr. Haussmann, Helmut FDP 24. 01. 92 Horn, Erwin SPD 24. 01. 92 ** Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 24. 01. 92 Irmer, Ulrich FDP 24. 01. 92* Janz, Ilse SPD 24. 01. 92 Jaunich, Horst SPD 24. 01. 92 Jungmann (Wittmoldt), SPD 24. 01. 92 Horst Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 24. 01. 92 Dr. Kappes, CDU/CSU 24. 01. 92 Franz-Hermann Klein (München), Hans CDU/CSU 24. 01. 92 Kolbe, Manfred CDU/CSU 24. 01. 92 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 24. 01. 92 Koschnick, Hans SPD 24. 01. 92 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 24. 01. 92 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 24. 01. 92 Kubicki, Wolfgang FDP 24. 01. 92 Dr. Kübler, Klaus SPD 24. 01. 92 Dr. Leonard-Schmid, SPD 24. 01. 92 Elke Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lühr, Uwe FDP 24. 01. 92 Meckel, Markus SPD 24. 01. 92 Meinl, Rudolf Horst CDU/CSU 24. 01. 92 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 24. 01. 92 Dorothea Dr. Möller, Franz CDU/CSU 24. 01. 92 Nitsch, Johannes CDU/CSU 24. 01. 92 Opel, Manfred SPD 24. 01. 92 Otto (Erfurt), Norbert CDU/CSU 24. 01. 92 Dr. Pfaff, Martin SPD 24. 01. 92 Poß, Joachim SPD 24. 01. 92 Rahard-Vahldieck, CDU/CDU 24. 01. 92 Susanne Rappe (Hildesheim), SPD 24. 01. 92 Hermann Rawe, Wilhelm CDU/CSU 24. 01. 92 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 24. 01. 92 * Rempe, Walter SPD 24. 01. 92 Reschke, Otto SPD 24. 01. 92 Reuschenbach, Peter W. SPD 24. 01. 92 Schily, Otto SPD 24. 01. 92 Schluckebier, Günther SPD 24. 01. 92 Schmidbauer (Nürnberg), SPD 24. 01. 92 Horst Schmidt (Dresden), Arno FDP 24. 01. 92 Dr. Schmude, Jürgen SPD 24. 01. 92 Schwanhold, Ernst SPD 24. 01. 92 Schwanitz, Rolf SPD 24. 01. 92 Seim, Marita FDP 24. 01. 92 Dr. Stavenhagen, Lutz G. CDU/CSU 24. 01. 92 Thiele, Carl-Ludwig FDP 24. 01. 92 Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter CDU/CSU 24. 01. 92 Uldall, Gunnar CDU/CSU 24. 01. 92 Dr. Ullmann, Wolfgang BÜNDNIS 24. 01. 92 90/GRÜNE Voigt (Frankfurt), SPD 24. 01. 92** Karsten D. Dr. Voigt (Northeim), CDU/CSU 24. 01. 92 Hans-Peter Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 24. 01. 92 Vosen, Josef SPD 24. 01. 92 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 24. 01. 92 Weis (Stendal), Reinhard SPD 24. 01. 92 Weiß (Berlin), Konrad BÜNDNIS 24. 01. 92 90/GRÜNE Welt, Jochen SPD 24. 01. 92 Dr. Wetzel, Margrit SPD 24. 01. 92 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 24. 01. 92 Dr. Wilms, Dorothee CDU/CSU 24. 01. 92 Wohlleben, Verena SPD 24. 01. 92 Ingeburg Wollenberger, Vera BÜNDNIS 24. 01. 92 90/GRÜNE Zierer, Benno CDU/CSU 24. 01. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung 6230* Deutscher Bundestag — 12, Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 12/742 Innenausschuß Drucksache 11/3058 Finanzausschuß Drucksache 11/7566 Ausschuß für Wirtschaft Drucksachen 11/7582, 11/7583, 12/848 Drucksache 12/847 Drucksache 12/854 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 12/157 Nr. 2.2 Finanzausschuß Drucksache 12/210 Nrn. 69, 71, 72, 77 Drucksache 12/557 Nrn. 3.2, 3.3 Drucksache 12/1072 Nr. 1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 12/1339 Nrn. 2.2-2.6 Drucksache 12/1449 Nrn. 2.1, 2.2 Drucksache 12/1518 Nrn. 4-8 Drucksache 12/1612 Nrn. 2.2-2.4 Ausschuß für Fremdenverkehr Drucksache 12/706 Nr. 3.22 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 12/849 Nrn. 2.5-2.8 Drucksache 12/1339 Nr. 2.19 Drucksache 12/1449 Nr. 2.15
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Uwe Jens


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, das hat es bisher selten gegeben, daß die Opposition mit der Regierungskoalition aus je einem eigenen Antrag einen gemeinsamen Antrag macht.
    Der Antrag, den wir jetzt akzeptieren, zielt aus unserer Sicht in die richtige Richtung. Wichtig ist, daß



    Dr. Uwe Jens
    die Hilfe für die sogenannten GUS-Staaten schnell anläuft, daß sie koordiniert wird und daß sie kein Strohfeuer entfacht, sondern langfristig wirksam ist. Natürlich darf sie nicht etwa zu Lasten der Länder der Dritten Welt gehen. Auch das möchte ich betont haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Im Zuge der Verhandlungen über unseren Antrag, den vor allem mein Kollege Gernot Erler initiiert hat, hat es verständlicherweise Kompromisse gegeben. Wir Sozialdemokraten konnten unsere Vorstellungen nicht völlig verwirklichen; das liegt auf der Hand. Jetzt heißt es z. B., daß die Bundesregierung um eine wirksame Unterstützung der Republiken der ehemaligen Sowjetunion bemüht sein soll. Das ist sicherlich eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Natürlich muß es wirksame Hilfe geben. Aber es muß nach unserer Auffassung auch ausreichende Hilfe geben.

    (Beifall bei der SPD)

    Wirksam und ausreichend muß die Hilfe sein, damit wir verhindern, daß es dort zur Verarmung breiter Massen kommt.
    Darüber hinaus ist vorgesehen, daß die Hilfsgüter zu günstigen Preisen gegen ziemlich wertlose Rubel verkauft werden. Ein Teil dieser eingenommenen Gelder soll einem Sozialfonds zugeführt werden. Auch das ist grundsätzlich richtig, nicht etwa falsch. Wir wollten jedoch noch etwas konkreter das hereinkommende Geld zur Verbesserung der Agrarproduktion und zur Verbesserung der Distribution in diesem Bereich verwenden. Es sollte in Form von Krediten sowohl an junge Landwirte zur Steigerung der Agrarproduktion als auch an junge Unternehmer zur Verbesserung der Verteilung der Agrarprodukte vergeben werden.
    Dieser Gedanke stand bei dem ERP-Programm Pate, als es um den Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland ging. Ich bin immer noch davon überzeugt: Das war ein guter Gedanke. Auch den sollten wir unserer Meinung nach auf die Entwicklung in den GUS-Staaten anwenden.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir hatten schließlich gefordert, unter bestimmten Bedingungen die sogenannten Joint-ventures verstärkt zu fördern. Gerade durch solche Gemeinschaftsunternehmen mit den GUS-Staaten kann und wird ein wesentlicher Beitrag zum Erfahrungsaustausch und zum Technologietransfer geleistet. Es wäre schlimm, wenn die vorhandenen Joint-ventures, die zum Teil recht vernünftige, gute Arbeit geleistet haben, eingestellt werden müßten. Es wäre sinnvoll, dafür zu sorgen, daß es hiervon mehr gibt und nicht etwa weniger. Um dies zu erreichen, sind sicherlich in erster Linie die deutschen Unternehmen gefordert; auch das gebe ich gerne zu. Aber auch die Bundesregierung sollte, glaube ich, durch Rat und Tat zum Erhalt bestehender und zur Förderung weiterer Joint-ventures beitragen.

    (Beifall bei der SPD)

    Besonders wichtig ist uns — das ist in dem Antrag festgehalten — das Anliegen, die eigenen Märkte der
    Industrienationen, also auch der Bundesrepublik Deutschland, zu öffnen. Will man den neuen marktwirtschaftlichen Ländern wirklich helfen — Herr Kollege Sprung, Sie hatten das angedeutet —, dann benötigen sie die Chance, selbst hergestellte Produkte im Ausland zu verkaufen. Das sind zunächst Agrar-
    und Textilprodukte. Das sind auch Rohstoffe, und das sind vor allem fossile Energieträger. Also etwas mehr Kompromißbereitschaft bei den anstehenden GATT- Verhandlungen mahnen wir einmal mehr bei dieser Gelegenheit hier an; sie scheint mir dringend notwendig zu sein.
    Zubilligen muß man, glaube ich, den Republiken der ehemaligen Sowjetunion, da sie noch nicht voll entwickelt sind, einen gewissen selektiven Protektionismus à la Friedrich List. Auch wir haben am Anfang der industriellen Entwicklung bestimmte Märkte geschützt und sie nicht der weltwirtschaftlichen Konkurrenz ausgesetzt. Einen selektiven Protektionismus — dafür müssen wir Verständnis haben — dürfen sie praktizieren, um ihre eigene Entwicklung voranzubringen.
    Wir begrüßen die Bemühungen um eine Vermittlung von marktwirtschaftlichem Know-how ausdrücklich. Dies ist für den Aufbau der neuen GUS-Staaten genauso wichtig wie eine finanzielle Hilfe. Leider haben aus unserer Sicht in der nahen Vergangenheit wohl mehr — Sie kennen den Begriff — die Chicago-Boys als Berater in Osteuropa zur Verfügung gestanden

    (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Böse Buben!)

    als jene, die Erfahrung mit dem Aufbau einer wirklich sozialen Marktwirtschaft haben.
    Ich weise deshalb noch einmal darauf hin: Nur die Freigabe der Preise, so wie es zur Zeit praktiziert wird, reicht nicht aus.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja!)

    Es gehört ein bißchen mehr dazu. Es gehört dazu z. B. erstens die Schaffung von Vertrauen in die neue Währung, zweitens die sofortige Einstellung der Notenpresse, was Helmut Schmidt einmal mehr angemahnt hat, drittens eine geldmengenorientierte Geldpolitik durch eine zentrale Institution, viertens die Finanzierung des Haushaltes über ein solides Steuersystem und fünftens ein positiver Realzins. Das heißt, das Sparen muß sich lohnen. Unter dem Strich muß einer, wenn er spart, mehr hereinbekommen, als durch Geldentwertung verschwindet. Ein positiver Realzins scheint mir dringend notwendig zu sein.
    Notwendig ist aus unserer Sicht ebenfalls, daß man die Erfahrungen, die wir mit der Institutionalisierung des Arbeitsmarktes gemacht haben, nicht vergißt. In Ungarn hat man mittlerweile an die 1 000 Gewerkschaften gegründet. Das ist eine verhängnisvolle Entwicklung.

    (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: 1 000?)

    —1 000 Gewerkschaften. — Wir haben Erfolg mit dem
    Industrieverbandssystem, mit der Einheitsgewerkschaft gehabt. Deshalb fordern wir, daß sie diese



    Dr. Uwe Jens
    Erfahrung berücksichtigen: Eine Gewerkschaft für ein Unternehmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Hinzu kommen muß, glaube ich, wie das auch die Bundesrepublik Deutschland gemacht hat, der Versuch, einen Überschuß in der Leistungsbilanz zu verwirklichen. Ja, selbst bei niedriger Produktivität in den neuen GUS-Staaten gibt es irgendwo einen Wechselkurs, der diese Wirtschaft weltweit dann doch wieder rentabel macht.

    (Dr. Rudolf Sprung [CDU/CSU]: Das ist wichtig!)

    Das scheint mir wichtig zu sein. Dann lebt das Volk zwar für eine gewisse Zeit unter den Verhältnissen; aber das ist eine elementare Voraussetzung dafür, eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung aufzubauen.
    Schließlich will ich erwähnen, daß sich auch unser Ausbildungssystem hervorragend bewährt hat. Die Lander, die es versäumen, ein entsprechendes Ausbildungssystem — wie vielleicht die vier kleinen Tiger — aufzubauen, werden in Schwierigkeiten kommen. Die GUS-Staaten haben zum Teil ein gutes Ausbildungssystem. Aber sie müssen es behalten und versuchen, hochqualifizierte Arbeitskräfte auszubilden. Das scheint mir eine wesentliche Voraussetzung dafür zu sein, daß es ihnen gelingt, ihre Entwicklung wirklich auf eigene Beine zu stellen.

    (Beifall bei der SPD)

    Passen wir jedoch auf, daß wir keine falschen Hoffnungen wecken! Die Angleichung der Lebensverhältnisse in der ehemaligen DDR wird, glaube ich, noch mindestens zehn Jahre dauern und vielleicht noch ein bißchen länger. Die Umstrukturierung der ehemaligen Staaten der Sowjetunion und die deutliche Anhebung des Lebenshaltungsniveaus gegenüber dem jetzigen Zustand ist sicherlich eine Generationenaufgabe.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Helmuth Becker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Heinrich Leonhard Kolb.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich L. Kolb


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kaum mehr als ein Jahr nach Vollzug der deutschen Einheit erlebt die Welt in den letzten Monaten eine noch gravierendere Neuentwicklung: Die Sowjetunion hat sich aufgelöst, und auf ihrem riesigen Gebiet entstehen neue staatliche Strukturen. Man kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, daß dieser Wandel bisher weitgehend ohne Blutvergießen und nur mit geringen Unruhen möglich war.

    (Beifall bei der FDP)

    Unser Ziel muß es sein, einen Beitrag zu leisten, daß dies so bleibt. Unser Handeln muß sich dabei auf zwei Ebenen bewegen, zum ersten Stabilisierung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, man kann auch härter formulieren: die Vermeidung des wirtschaftlichen und in der Folge auch politischen Zusammenbruchs, zweitens Entwicklung tragfähiger politischer und marktwirtschaftlicher Strukturen in den einzelnen Staaten und ihrer Gemeinschaft.
    Ich will gleich vorausschicken — hierin besteht auch Konsens zwischen den Fraktionen —, auch wenn wir heute hier über spezifisch deutsche Beiträge debattieren: Die deutsche Partnerschaft und Hilfe allein können für die Staaten der GUS vor dem Hintergrund der Dimension der zu lösenden Aufgabe bei weitem nicht ausreichend sein. Die Aufgabe erfordert vielmehr internationale Bemühungen, bei denen sich neben den europäischen Nachbarn vor allen Dingen auch die Vereinigten Staaten und Japan nicht zurückhalten dürfen.
    Schließlich kann alle Hilfe nur erfolgreich sein, wenn der Reformprozeß in den GUS-Staaten selbst nachhaltige Unterstützung findet. Dort muß der Boden bereitet werden, der unseren Hilfsangeboten überhaupt erst ihren Sinn gibt. Dazu zähle ich Währungsreformen, Bankenreformen und die konsequente Auflösung staatswirtschaftlicher Strukturen in Industrie und Gewerbe.
    Meine Damen und Herren, ich sprach von Stabilisierung und Entwicklung als zentralen Aufgabenfeldern. Zum ersten Bereich, der Stabilisierung, gehört die schnelle humanitäre Hilfe, die zunächst über diesen Winter hilft. Wir nehmen mit Freude und Dankbarkeit zur Kenntnis, mit welchem Engagement die Bürger unseres Landes private Initiativen organisieren bzw. sich daran in bemerkenswertem Maße beteiligen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Erst gestern, so war zu hören, hat sich wieder ein Konvoi des Roten Kreuzes auf den Weg nach Königsberg gemacht — eine Region übrigens, die als Exklave der neurussischen Verwaltung mit besonderen Erwartungen auf Deutschland schaut.
    Für eine Stabilisierung sind daneben kurzfristige und sichtbare Erfolge von großer Bedeutung. Der Handwerker in St. Petersburg muß konkrete Hoffnung schöpfen, indem ihm zu Aufträgen verholfen wird. Die Krankenschwester in Kiew muß neuen Mut gewinnen, indem sie ohne Verluste durch Organisation und Transport Medikamente und medizinische Geräte erhält. Der Maschinist in Nowosibirsk muß den Glauben an die Zukunft seines Arbeitsplatzes durch einen neuen Auftrag seines Betriebes erhalten.
    Viele kleine Schritte führen hier weiter als der Versuch des großen Sprungs. Wir sollten aus Fehlern der Entwicklungspolitik in der sogenannten Dritten Welt lernen. Es nützt überhaupt nichts, aber es schadet unserer eigenen ohnehin angespannten Situation, wenn wir große Geldsummen in das derzeit bodenlose Faß der GUS hineinschütten. Weniger ist dann mehr, wenn es gezielt eingesetzt wird und beim Adressaten vor Ort ankommt.
    Wir müssen auch erkennen: Schon die Chance zur Stabilisierung steht und fällt mit dem Aufbau einer provisorischen Infrastruktur. Ohne Transportwege und Fahrzeuge nützt die beste Nahrungsmittelhilfe wenig, genauso wenig wie auf längere Sicht der



    Dr. Heinrich L. Kolb
    Aufbau von Handelskontakten gelingt, wenn die Ware nicht oder zu spät ans Ziel gelangt.
    Zum zweiten von mir genannten Bereich, der geduldigen, aber zielstrebigen Entwicklung marktwirtschaftlicher Strukturen, gibt es gleichfalls eine Reihe von Aufgabenfeldern. Dazu zählt die kontrollierte Fortsetzung der Hermes-Deckungspolitik. Doch so wichtig diese ist, beim Aufbau neuer Wirtschaftsbeziehungen müssen wir zuallererst an die deutsche Wirtschaft appellieren, auf eigenes Risiko zu handeln. Wer jetzt in der nach wie vor größten Staatengemeinschaft der Welt investiert, sich dort Kooperationspartner sucht und ihnen über die schwere Aufbauphase hinweghilft, wird später sicher davon profitieren.
    Die Bundesrepublik Deutschland kann nicht auch noch das Exportgeschäft mit immer neuen Mitteln subventionieren. Deshalb war — so denke ich — die Notbremse beim Hermes-Programm, das sonst zu einem Subventionsmittel zu verkommen drohte, unumgänglich.
    Überhaupt liegt, was Hermes anbelangt, eine Gratwanderung vor uns. Was Einbrüche in diesem Bereich insbesondere für die Betriebe in den neuen Bundesländern bedeuten, spüren wir schon jetzt. Auch müssen wir die möglichen Folgen des Scheiterns der Reformpolitik, welches zu ungeahnten Flüchtlingsströmen führen könnte, ins Kalkül ziehen. Auf der anderen Seite dürfen wir unseren eigenen Haushalt nicht durch Hermes-Risiken überfordern. Wer einem ins Eis Eingebrochenen helfen will, muß vorsichtig sein, damit er nicht selber einbricht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Doch zurück zur Entwicklung tragfähiger marktwirtschaftlicher Strukturen. Zur Verbesserung der Perspektiven dienen neben materiellen Hilfen Beratung und Informationen aller Art, Seminare für Angehörige aller Verwaltungen, Selbständige, Selbstverwaltungsorganisationen, Kommunalpolitiker und andere. Deutschland hat zwar durch die nationale Vereinigung Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht wie kein zweites Land der Welt; unsere Erfahrungen mit der Vermittlung eines ganz neuen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems an Millionen von Menschen sind dennoch nicht einfach auf die GUS übertragbar. Ihr Gebiet ist ungleich größer, was nicht nur den Transport von Waren, sondern eben auch den Transport von Dienstleistungen und Informationen erschwert.
    Wir dürfen auch nicht vergessen, daß es in Rußland und anderen Staaten der GUS nicht etwa eine oder mehrere Generationen lang, sondern tatsächlich noch nie Demokratie nach unseren heutigen Maßstäben und noch nie moderne, menschenfreundliche Marktwirtschaft gab.
    Zum Schluß: Ich verstehe die gute Absicht und die — sagen wir — Ungeduld all derer, die die gemeinsame Beschlußempfehlung noch verbessern wollen. Aber ich bitte auch zu bedenken: Der vorliegende Beschlußvorschlag beschreibt die ersten einer ganzen Reihe von notwendigen Schritten. Es kommt darauf an, unsere Hilfe zur Selbsthilfe überhaupt erst einmal auf den Weg zu bringen. Darauf aufbauen und daran feilen können wir zukünftig noch genug, wenn die Zusammenarbeit erst einmal läuft und sich die politischen und wirtschaftlichen Strukturen in den Staaten der GUS weiterentwickeln.
    Aber nicht nur der Bundestag wird weitere Entscheidungen in den kommenden Jahren folgen lassen. Die Washingtoner Konferenz hat vielmehr den Weg zur Internationalisierung der Hilfen gewiesen und hat deutlich gemacht, wo erkannte Verantwortung noch stärker in tatsächliche Hilfsmaßnahmen umgesetzt werden kann. Im Mai werden sich die Wirtschafts- und Handelsminister und dann im Juli in München der Weltwirtschaftsgipfel mit der Situation in der GUS befassen.
    Ich bin sicher, die großen Anstrengungen werden sich für alle Beteiligten lohnen. Die Überwindung des zurückliegenden Kalten Krieges und der Friede in der Welt sind es allemal wert.
    Danke.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)