Gesamtes Protokol
Ich eröffne die heutige Sitzung des Bundestages.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 11/5951 —
Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Die Frage 1 der Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Somit kommen wir sofort zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Geldern ist anwesend.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Eigen auf:
Wie wird die Bundesregierung die deutsche Landwirtschaft vor Verlusten bei Auf- und Abwertungen innerhalb des EWS schützen angesichts der Vorlagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die eine Abschaffung aller Grenzausgleiche in der Europäischen Gemeinschaft 1993 vorsehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Eigen, das derzeitige Währungsausgleichssystem kann bei Verwirklichung des Binnenmarktes nicht unverändert bleiben, weil die Warenkontrollen an den Binnengrenzen entfallen werden. Es geht deshalb darum, das jetzige oder ein gleichwertiges System so auszugestalten, daß es unter den Gegebenheiten des Binnenmarktes funktionsfähig ist und in allen Mitgliedstaaten angewandt werden kann.
Dieses Problem kann von der Bundesregierung nicht allein gelöst werden. Vielmehr bedarf es einer gemeinschaftlichen' und gemeinschaftsweit wirkenden Regelung.
Die Bundesregierung hat aus diesem Grunde die EG-Kommission mit Nachdruck aufgefordert, Vorschläge zur Lösung zu erarbeiten, und ihre Mithilfe dabei angeboten. Die Kommission hat ihre Vorstellungen bisher jedoch nicht in Form von Vorschlägen an den Rat konkretisiert. Soweit der Bundesregierung — z. B. aus Presseberichten, aber auch aus bilateralen Kontakten mit der Kommission — bekannt ist, sehen deren Vorstellungen zur Zeit vor, das Währungsausgleichssystem abzuschaffen bzw. nur in Ausnahmefällen mit Hilfe schrittweiser Anpassung der grünen Kurse oder mit nationalen Beihilfen die Anwendung von Grenzausgleich zu vermeiden.
Die Entscheidung über solche Vorschläge ist dann vom Rat zu treffen. Die Bundesregierung wird sich mit allem Nachdruck dafür einsetzen, daß ein binnenmarktkonformes Ausgleichssystem zur Anwendung kommt.
Herr Eigen, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann stimmen die Meldungen doch, die ich vernommen habe: daß die Kommission daran arbeitet, den Grenzausgleich für das Jahr 1993 total abzubauen. Wie können Sie, nachdem schon heute durch natürlichen und unnatürlichen negativen Grenzausgleich die Absicherung sehr schlecht ist, sicherstellen, daß sich das Währungssystem nach 1993 nicht zu Lasten der Landwirtschaft verschlechtert?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, das ist für die Bundesregierung ein zentraler Punkt der Agrarpolitik. Das ist allen Dienststellen und allen auf den politischen Ebenen der Europäischen Gemeinschaft bekannt. Wir werden wie bisher darauf hinwirken, daß ein unsere Interessen berücksichtigender Vorschlag der EG-Kommission gemacht und ein entsprechender Ratsbeschluß gefaßt wird.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wenn man sich überlegt, wie weit wir nach dem Delors-Plan, vor allem aber wegen des Widerstands Großbritanniens von einer Wirtschafts- und Währungsunion entfernt sind, können Sie sich vorstellen, daß es schon vor einer Währungsunion eine Verzahnung der Währungen der großen Länder der Europäischen Gemeinschaft gibt — wenn wir einmal von Griechenland und Portugal absehen — , daß es Paritätsveränderungen, DM-Aufwertung/Franc-Abwertung, möglicherweise schon weit vorher, schon 1993 praktisch nicht mehr gibt?
13916 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich möchte jetzt keine finanzpolitischen Spekulationen anstellen. Sicher ist, daß wir aus agrarpolitischer Sicht entweder das Ziel der Herstellung der Währungseinheit oder aber das Ziel einer auch im Binnenmarkt funktionierenden Ausgleichsregelung brauchen. Beide Ziele verfolgen wir. Wenn das erste Ziel schneller oder teilweise erreicht werden kann, verliert das zweite natürlich an Gewicht oder wird sogar überflüssig. Aus agrarpolitischer Sicht wäre die währungspolitische Einigung ein großer Vorteil.
Nun kann ich Ihre Frage 3 aufrufen, Herr Eigen:
Warum werden Pflanzenschutzmittel nach Meinung der Bundesregierung, die in Ländern der Europäischen Gemeinschaft zugelassen sind, nicht auch in der Bundesrepublik Deutschland automatisch zugelassen, wie es der EuGH in mehreren Urteilen bei Lebensmitteln erzwungen hat, oder hat der Schutz des Menschen einen geringeren Wert als der Schutz der Pflanzen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Pflanzenschutzmittel dürfen nach § 11 des Pflanzenschutzgesetzes nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft zugelassen sind, die dabei die Anforderungen des § 15 des Pflanzenschutzgesetzes beachten muß.
Lebensmittel dürfen demgegenüber frei gehandelt werden, wenn sie entsprechend § 8 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes beschaffen sind und die für sie gesetzten Rückstandshöchstmengen, die weit unter der Schwelle der gesundheitlichen Relevanz festgelegt worden sind, nicht überschritten werden.
Die Gleichstellung eines in einem anderen Mitgliedsland der Europäischen Gemeinschaft zugelassenen Pflanzenschutzmittels mit einem von der Biologischen Bundesanstalt zugelassenen Mittel ist nach § 18 des Pflanzenschutzgesetzes durch Rechtsverordnung nur dann möglich, wenn gewährleistet ist, daß dieses Pflanzenschutzmittel den Anforderungen des schon zitierten § 15 des Pflanzenschutzgesetzes entspricht.
Da in anderen Mitgliedstaaten im Rahmen der Zulassungsprüfung von Pflanzenschutzmitteln aber beispielsweise der ausdrückliche Schutz des Grundwassers nicht vorgesehen ist, wurde bisher von einer solchen Rechtsverordnung in der Bundesrepublik Deutschland kein Gebrauch gemacht.
Der Vorschlag der EG-Kommission über eine EWG-Zulassung von Pflanzenschutzmitteln aus dem Jahr 1976 sah den freien Verkehr von Pflanzenschutzmitteln in der gesamten Gemeinschaft vor. Dieser Vorschlag hat sich aber nach langen Diskussionen als nicht konsensfähig erwiesen.
Der von der Kommission Anfang dieses Jahres vorgelegte Richtlinienvorschlag über die Zulassung und das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln verfolgt deshalb nicht mehr das alte Konzept des freien Warenverkehrs, sondern den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Zulassung bei vergleichbaren Bedingungen. Voraussetzung hierfür sind die
Harmonisierung der Zulassungsbedingungen und die Anwendung einheitlicher Grundsätze bei der Zulassung, um die sich die Mitgliedstaaten zur Zeit im Rahmen der laufenden Verhandlungen bemühen.
Bei Pflanzenschutzmitteln handelt es sich um Substanzen, die bei unsachgemäßer Anwendung zu Schäden für Mensch und Umwelt führen können. Die sachgerechte Anwendung und die dazu notwendigen Auflagen und Anwendungsbestimmungen im Rahmen des Zulassungsbescheids können von der jeweiligen Zulassungsbehörde nicht für das gesamte Gebiet der Gemeinschaft beurteilt werden.
Zusatzfrage, Herr Eigen.
Dies ist ja alles richtig. Aber das heißt praktisch doch — und Sie bestätigen das, Herr Staatssekretär — , daß man in bezug auf Nahrungsmittel, dem EuGH-Urteil folgend, in Deutschland die Produkte in Verkehr bringen muß, die in anderen Ländern der EG zugelassen sind, während das bei Pflanzenschutzmitteln bisher nicht der Fall ist. Es ist immerhin doch zuzugeben, daß in bezug auf Reinheitsgebot bei Bier — um nur eines dieser Produkte zu erwähnen — verschiedene chemische Substanzen in dem nicht nach dem Reinheitsgebot gebrauten Bier vorhanden sind, bei denen man sich durchaus auch über die Frage unterhalten kann, ob sie möglicherweise gesundheitsschädlich sind.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, ich möchte Ihre Feststellung nicht bestätigen. Ich habe den Eindruck, daß Sie eine unzutreffende Interpretation der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vornehmen. Was wir z. B. im Bereich Bier aus anderen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft zulassen müssen, kann und muß selbstverständlich daraufhin überprüft werden, ob die Zusammensetzung irgendeinen Stoff enthält, der nach unseren lebensmittelrechtlichen Vorschriften nicht zugelassen ist, weil er z. B. gesundheitsbedenklich wäre. Dann brauchen wir eine solche Zulassung auf unserem Markt nicht zu erteilen. Auch bei den Lebensmitteln, die durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Milch, Wurst, Bier usw. auf dem europäischen Markt frei gehandelt werden können, können und werden wir — durch die Rechtsprechung sind wir daran keineswegs gehindert, sondern dazu ausdrücklich aufgefordert — nur solche Lebensmittel zulassen, die den allgemeinen lebensmittelrechtlichen Vorschriften bei uns entsprechen.
Herr Eigen, weitere Zusatzfrage.
Wenn dieser Zustand noch länger dauert, daß Pflanzenschutzmittel in anderen EG-Ländern zugelassen sind, die bei uns nicht zugelassen sind — möglicherweise sehr wirkungsvolle und sehr billige — , entstehen daraus natürlich Wettbewerbsverzerrungen für die deutsche Landwirtschaft, zumal bei uns schon heute Hunderte von Substanzen verboten worden sind, die in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft nicht verboten sind. Wie stellt sich die Bundesregierung dazu?
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13917
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Auch ich halte diesen Zustand für in vieler Hinsicht unerwünscht und unerfreulich. Deswegen ist es so wichtig, daß — ich darf diesen Satz wiederholen — zur Zeit daran gearbeitet wird, die Harmonisierung der Zulassungsbedingungen und die Anwendung einheitlicher Grundsätze bei der Zulassung zu erreichen. Denn wenn wir dieses Ziel erreicht haben, werden wir auch die bisher bestehenden Differenzen überwinden können und dahin kommen können, daß ein in einem anderen EG-Land nach den gleichen Kriterien wie hier zugelassenes Pflanzenschutzmittel auch bei uns ohne erneute Überprüfung zugelassen werden kann.
Das war der Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär.
Ich brauche nicht aufzurufen den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen und auch nicht den des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, weil alle Fragen schriftlich beantwortet werden sollen. Es handelt sich um die Fragen 4 und 5 des Abgeordneten Hiller , die Frage 6 des Abgeordneten Wüppesahl und die Frage 7 des Abgeordneten Uldall. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer ist anwesend zur Beantwortung der Fragen. Frau Würfel möchte ihre Frage 10 schriftlich beantwortet haben. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 11 bis 13 können nicht beantwortet werden, weil die fragenden Abgeordneten Frau Weyel und Herr Dr. Daniels nicht anwesend sind. — Es tut mir leid, Herr Pfeifer, es war nicht umsonst, aber vergeblich. — Halt, Frau Weyel kommt gerade. Dann sollten wir ihr kulanterweise die Chance geben, ihre Fragen beantwortet zu bekommen. Das ist zunächst die Frage 11:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über das Abfallprodukt aus der Vitamin-C-Produktion vor, das unter dem Namen „Dikegulac" als Wachstumsregulator an die Landwirtschaft verkauft wird und in mehreren Rheinwasserwerken die erlaubten Grenzen für Pflanzenbehandlungsmittel überschreiten soll?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Frau Kollegin Weyel, Dikegulac wird in der Form seines Natriumsalzes in zugelassenen Pflanzenschutzmitteln im Zierpflanzenbau angewandt. Nach Kenntnis der Bundesregierung gibt es zwei Unternehmen, welche Dikegulac als Abfallprodukt bei der Herstellung von Vitamin C in Vorfluter einleiten.
Auf Grund seiner Struktur wird Dikegulac weder bei der Uferfiltration noch bei der Filtration mit Aktivkohle nennenswert zurückgehalten. Humantoxikologisch wird Dikegulac als „nicht giftig" eingestuft. Es wurde deshalb in der Empfehlung des Bundesgesundheitsamtes zum Vollzug der Trinkwasserverordnung der Kategorie C zugeordnet, d. h. daß vorübergehend, bis zu zwei Jahren, eine Überschreitung des Grenzwertes um bis zu 10 µg/1 zugelassen werden darf, vorausgesetzt, daß durch Sanierungsmaßnahmen die Ursachen der Verunreinigung beseitigt werden. Die bisher gemessenen Konzentrationen von Dikegulac betragen in bestimmten Rheinabschnitten bis zu 5 µg/l.
Nach Kenntnis der Bundesregierung haben beide Firmen, die uns bekannt sind, angekündigt, in naher Zukunft Abwasserbehandlungsanlagen in Betrieb zu nehmen, die eine weitestgehende Reduktion der Einleitung von Dikegulac ermöglichen. Die Rheinwasserkonzentrationen sollen danach den Grenzwert der Trinkwasserverordnung nicht überschreiten.
Eine Zusatzfrage, Frau Weyel.
Bedeutet das, daß jetzt diese Ausnahmegenehmigungen als vorübergehende Maßnahme erteilt werden und daß dann dieses Mittel als Pflanzenschutzmittel eingestuft wird?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich weiß nicht, ob Ausnahmegenehmigungen erteilt werden. Darüber haben die zuständigen Landesbehörden zu entscheiden. Wenn aber solche Ausnahmegenehmigungen in Aussicht genommen werden, dann natürlich nur unter den Bedingungen, die ich hier eben genannt habe, nämlich vorübergehend und versehen mit einem Sanierungskonzept.
Weitere Zusatzfrage, Frau Weyel. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, es handelt sich hierbei schlicht nicht um die Frage, ob dieses Mittel toxisch ist oder nicht, sondern darum: Ist dieses Mittel ein Pflanzenschutzmittel, oder ist es etwas anderes? Danach richtet sich der zulässige Grenzwert. Ich frage noch einmal: Stuft die Bundesregierung dieses Mittel jetzt als Pflanzenschutzmittel oder als anderes chemisches Produkt ein, bei dem die Entscheidung über den Grenzwert von dem Grad der toxischen Wirkung abhängt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, auch das ist eine Frage, über die zunächst einmal die zuständige Landesbehörde zu entscheiden hat. Aber nach Auffassung des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit handelt es sich hierbei in der Tat um ein Pflanzenschutzmittel.
Wir kommen damit zur Frage 12.
Was versteht die Bundesregierung unter einer „verursachergerechten Problemlösung", zu der die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit die Landesregierungen aufgefordert haben soll?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Nach Ansicht der Bundesregierung ist Sinn und Zweck der Trinkwasserverordnung der Schutz des Trinkwassers vor unerwünschten oder schädlichen Substanzen. Die Bundesregierung ist weiterhin der Ansicht, daß Substanzen wie Dikegulac nicht ins Trinkwasser gehören, gleichgültig, aus welcher Quelle sie stammen. Dementspre-
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Parl. Staatssekretär Pfeifer
chend richtet die Bundesregierung ihre Maßnahmen ein. „Verursachergerechte Problemlösung" bedeutet, daß derjenige, der Kontaminationen des Wassers verursacht, diese so vermindert, daß die Vorgaben der Trinkwasserverordnung eingehalten werden können.
Frau Weyel, bitte schön.
Ich muß noch einmal fragen. Die Einordnung als Pflanzenschutzmittel erfolgt durch Bundesbehörden, die Genehmigung dagegen, vorübergehend größere Mengen einleiten zu dürfen, durch Landesbehörden. Wir müssen damit rechnen, daß sich solche Vorfälle wie diese, d. h. daß ein als nichttoxisch eingestuftes Mittel nur deshalb, weil es im Pflanzenschutz verwendet wird, nun unter die Trinkwasserrichtlinie fällt, wiederholen. Hat die Bundesregierung irgendwelche Vorstellungen, in diesem Fall allgemeingültige Richtlinien zu erlassen, die dann auch für alle Bundesländer tatsächlich bindend sind?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich sehe das so: Zunächst einmal ist das in der Tat, wie Sie sagen, eine Entscheidung der Landesbehörde, die entsprechenden Ausnahmegenehmigungen zu erteilen oder nicht zu erteilen. Da nun die Ausführung des Bundesgesetzes in die Kompetenz der Landesbehörden fällt, müssen natürlich auch die rechtlichen Auslegungsfragen zunächst einmal dort entschieden werden. Aber gerade in dem jetzt zur Debatte stehenden Fall habe ich Ihnen eine Einschätzung durch die Bundesregierung vorgetragen. Wenn es in Einzelfällen solche Bewertungsfragen gibt, wird es in der Tat auch richtig und vernünftig sein, daß die Bundesregierung sagt, wie sie diese Dinge sieht. Deswegen habe ich Ihnen das heute so gesagt.
Ob wir zu allgemeinen Richtlinien kommen müssen, übersehe ich im Augenblick nicht.
Sie haben noch eine Zusatzfrage. Bitte schön, Frau Weyel.
Herr Staatssekretär, gibt es bei der Bundesregierung Vorstellungen darüber, wie sie der Bevölkerung klarmachen will, daß ein Mittel zwar nicht giftig, aber trotzdem unerwünscht ist, daß es aber erst dadurch unerwünscht geworden ist, daß es eine bestimmte Verwendung erfährt? Sieht die Bundesregierung irgendeine Möglichkeit, dies dem „normalen" Mitmenschen zu erklären?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich habe mit aus diesem Grunde gesagt, daß wir der Ansicht sind, daß solche Substanzen überhaupt nicht in das Trinkwasser gehören und daß es die Zielrichtung sein muß, solche Substanzen gar nicht erst ins Trinkwasser kommen zu lassen, und zwar unabhängig davon, wie die toxikologische Seite im Detail zu beurteilen ist, weil die Bevölkerung wohl mit Recht davon ausgehen kann, daß Trinkwasser von solchen Substanzen prinzipiell frei sein soll. Und das ist auch die Zielsetzung, die wir nicht nur in diesem Fall, sondern generell verfolgen.
Nachdem auch Herr Dr. Daniels den Raum betreten hat, rufe ich seine Frage 13 ebenfalls noch auf, im Interesse der Gleichbehandlung, nicht zur Rechtfertigung des Zuspätkommens:
Was können die Ursachen für die außergewöhnliche Krebsausbreitung in Höhen des Schwarzwaldes, z. B. in den Gemeinden St. Georgen-Peterszell, Langenschiltach, Buchenberg und Tennenbronn, sein, und was unternimmt die Bundesregierung dagegen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Daniels, der Bundesregierung liegen keine Daten vor, die auf eine außergewöhnliche Krebsausbreitung in den genannten Gebieten des Hochschwarzwaldes schließen lassen. Für die Erhebung entsprechender Daten liegt die Kompetenz bei den Ländern. Das zuständige Landesministerium von Baden-Württemberg hat mitgeteilt, daß auch ihm keine Daten im angeführten Sinne bekannt sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Daniels.
Wie geht denn die Bundesregierung vor, wenn solche Äußerungen gemacht werden, wenn von Ärzten solche außergewöhnlich hohen Krebsraten dort festgestellt werden? Es gibt kein Krebsregister in dem Sinne, daß das im Detail nachprüfbar ist. Ist die Bundesregierung denn bereit, das in der Form noch einmal näher zu überprüfen, daß man sagt: Wir beauftragen jetzt vielleicht noch einmal Mediziner, sich damit genauer zu beschäftigen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Wenn solche Fragen an uns herangetragen werden, dann können wir nur so vorgehen, daß wir uns bei den Ländern erkundigen, ob dort irgendwelche Daten vorliegen. Das haben wir auch im vorliegenden Fall getan.
Noch ein Hinweis — ich habe darum gebeten, daß man dieser Sache, soweit wir das können, nachgeht —, den ich Ihnen doch zur Kenntnis geben möchte: Das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg hat im Jahre 1984 die Auswertung der Krebssterbefälle für den Zeitraum 1976 bis 1980 vorgelegt. Das liegt also längere Zeit zurück. Danach weist der Hochschwarzwald eine Mortalitätsrate auf, die unter der für BadenWürttemberg insgesamt ermittelten Rate liegt. Das ist aber die einzige zusätzliche Erkenntnis, die ich habe.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung, wenn ich Ihnen noch einmal im Detail die Datenbasis schildere, die uns zur Verfügung steht, bereit, sich nochmals damit zu beschäftigen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich bin gerne bereit, dieses dann der zuständigen Landesregierung zu übermitteln und mich bei der zuständigen Landesregierung auch zu erkundigen, wie man das dort einschätzt.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13919
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte steht uns für die Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 14 des Abgeordneten Pauli auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, daß sich seit der Öffnung des Saarkanals das Transportaufkommen auf der Mosel verdoppelt hat und 1989 auf rund 18 Millionen Tonnen ansteigen wird, und ist die Bundesregierung bereit, nicht durch eine teure und wenig hilfreiche Moselvertiefung, sondern durch den alsbaldigen Bau zweiter Schleusenkammern sicherzustellen, daß die unvertretbaren Wartezeiten vor den Schleusen nachhaltig vermindert und damit wirksam zur Verbesserung des Verkehrsflusses auf dieser Wasserstraße beigetragen wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Pauli, die Kosten für die geplante Moselvertiefung sind mit rund 110 Millionen DM ermittelt worden. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis liegt bei rund 5.
Vorteile dieser Maßnahme sind: bessere Auslastung des Schiffsraumes, Unempfindlichkeit gegen Schwankungen der Verkehrsmengen, fortgeschrittener Planungsstand.
Der Bau zweiter Schleusen erforderte dagegen Investitionskosten zwischen 500 und 600 Millionen DM. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis ist absehbar deutlich geringer und dürfte sich voraussichtlich in der Größenordnung zwischen 1 und 2 bewegen. Entscheidungsgrundlagen für zweite Schleusen werden zur Zeit erarbeitet.
Aus den vorgenannten Gründen beabsichtigt die Bundesregierung, zuerst die Vertiefung der Mosel durchzuführen. Dies schließt bei entsprechend günstigem Untersuchungsergebnis den Bau zweiter Schleusen als zweiten Schritt jedoch nicht aus.
Im übrigen sollen die aufgetretenen Engpässe auch durch kurzfristig zu realisierende Maßnahmen wie Nachtschleusungen und andere organisatorische Änderungen abgebaut werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pauli.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich am 4. Dezember den Pegel Koblenz mit 85 cm abgenommen habe und mir das auch amtlich habe bestätigen lassen. Unter Hinzurechnung von 95 cm ergibt dies eine Abladetiefe von 180 cm für den Rheinverkehr. Der Flottwasserabzug — das ist der Sicherheitsabzug "immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel" — gibt eine Abladetiefe von 160 cm. Dieses Niedrigwasser führt der Rhein an mindestens 130 Tagen im Jahr. Das heißt mit anderen Worten, daß die Schiffe der Mosel, die mit einer Abladetiefe von 2,40 und künftig, wenn Sie auf 3 Meter vertieft haben, mit 2,70 Meter Abladetiefe fahren, mehr als ein Drittel des Jahres gar nicht auf dem Rhein verkehren können, es sei denn, sie würden alle in Koblenz leichtern und dann den Rhein befahren. Daraus kann sich eine Änderung der Nutzen-Kosten-Analyse, die Sie hier aufgezeigt haben, ergeben. Sind Sie bereit, noch einmal zu überprüfen, ob es sich hier nicht anzeigt, an Stelle einer für meine Begriffe wenig sinnvollen Vertiefung . . .
Herr Kollege, das ist hier keine Diskussion über einen Tagesordnungspunkt.
Das ist eine sehr schwierige Frage, Herr Präsident.
Aber ein Fragezeichen muß jetzt bald kommen.
... doch den Bau zweiter Schleusenkammern vorzusehen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich habe die Frage verstanden.
Ich werde den einzelnen Daten noch einmal extra nachgehen. Ich glaube, der entscheidende Punkt, Herr Kollege Pauli — das kann man jetzt schon sagen —, ist: Die Moselvertiefung wird bei durchschnittlichem Wasserstand und nicht bei RheinNiedrigwasser wirksam sein. Ich glaube, das ist genau die Klemme, der Sie erlegen sind. Da fehlt die Handbreit.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage. Aber bitte kürzer!
Herr Staatssekretär, sind Sie auch bereit, neben der eben gestellten Frage zu prüfen, ob die Investitionen von 100 bis 110 Millionen DM sinnvoll sind, wenn heute schon 28 Vorschleusungen täglich registriert werden, umfangreiche Planfeststellungsverfahren erforderlich werden und Baggergut in der Mosel selbst nicht mehr verklappt werden kann, sondern den Gemeinden zum Wegebau angeboten wird, und Sie mit dem Umweltschutz in arge Bedrängnis kommen werden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, das ist alles zu berücksichtigen. Nur müssen wir auch berücksichtigen, daß die zweiten Schleusen das Fünffache kosten.
Jetzt kommen wir zur Frage 15 des Abgeordneten Pauli:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Mitteilung des Bundesrechnungshofes vom 8. August 1989, AK: III 1/5001-88, über die im Jahre 1987 durchgeführte Prüfung der Organisation und Personalwirtschaft im Bereich des Schleusen- und Wehrbetriebes an Binnenwasserstraßen der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes, wonach untersucht werden soll, ob aus wirtschaftlichen Erwägungen der Nachtbetrieb auf der Mosel eingestellt werden kann?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Seit Eröffnung des Saarverkehrs bis zum Hafen Dillingen sind an den Moselschleusen erhebliche Kapazitätsengpässe eingetreten. So stieg z. B. das Verkehrsaufkommen an der Schleuse Koblenz wie folgt: 1987 9,4 Millionen Tonnen, 1988 14,5 Millionen Tonnen, und 1989 werden es voraussichtlich rund 60 Millionen Tonnen sein.
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Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
Zwecks besserer Ausnutzung der knappen Schleusenkapazität wird versucht, eine möglichst gleichmäßige Auslastung der Schleusen innerhalb der 24stündigen Betriebszeit zu erreichen.
Um der Binnenschiffahrt einen verstärkten Anreiz für die Nutzung der verkehrsschwächeren Nachtstunden zu geben, ist seit dem 1. Juli 1989 eine teilweise Erstattung der Schiffahrtsabgaben bei der Benutzung der Schleusen während der Nachtstunden eingeführt worden.
Die Prüfung des Bundesrechnungshofs, auf die Sie sich beziehen, lag zeitlich vor der Eröffnung des Saarverkehrs. Die dabei aufgeworfene Frage einer Untersuchung der Einstellung des Nachtbetriebs stellt sich deshalb wegen des zwischenzeitlich stark angestiegenen Verkehrs heute nicht mehr.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pauli.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Prüfung 1989 stattgefunden hat und daß im Jahre 1988 auf der Mosel die Tonnenzahl von 8 Millionen auf 14 Millionen gestiegen ist?
Sind Sie auch bereit, Herr Staatssekretär, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich selbst an der Schleuse Lehmen fortgesetzt fotografiere und es fast die Regel ist, daß bis zu neun bergfahrende Güterschiffe vor der Schleuse liegen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich nehme das gern zur Kenntnis, auch daß Sie dort fotografieren.
Nur ist der entscheidende Punkt, daß der Bundesrechnungshof im Jahre 1987 fotografiert hat, d. h. vor der Steigerung der Verkehrsmenge.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das, was ich hier zum Ausdruck gebracht habe, nämlich der Unwille, der Unmut und die Frustration der vor den Schleusen liegenden Schiffseigner und Schiffsführer ein beachtliches Ausmaß angenommen hat? Ist die Bundesregierung nicht bereit, außer der Moselvertiefung weitere entscheidende Dinge für die Verbesserung der Schiffahrt auf der Mosel zu tun?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie tragen die Frustration immer noch sympathisch lächelnd vor. Wir gehen der Sache weiter nach. Ich habe vorhin gesagt: Ein erster Schritt ist die Vertiefung. Ein zweiter Schritt kann folgen, aber der wird teurer, und das Nutzen-Kosten-Verhältnis ist um vieles ungünstiger.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. de With auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den Ausbau des Fernstraßennetzes in Oberfranken zu beschleunigen, damit die Kapazität für den vervielfachten Grenzverkehr zur DDR rasch erweitert werden kann, und wenn ja, wann ist mit der Fertigstellung des Frankenschnellwegs bis Untersiemau/Coburg und dem vierspurigen Weiterbau der Maintalautobahn bis zur Anschlußstelle Kulmbach zu rechnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung unternimmt — gemeinsam mit der bayerischen Straßenbauverwaltung — erhebliche Anstrengungen, um die durch Besucher aus der DDR im grenznahen Bereich, insbesondere auch in Oberfranken, entstandene verkehrliche Situation kurzfristig durch Maßnahmen des Straßenbaus zu verbessern.
Darüber hinaus zeichnet sich die Notwendigkeit ab, auch einzelne größere Straßenbauvorhaben durchzuführen. Für die längerfristige Infrastrukturplanung bedarf es weitergehender Analysen der zu erwartenden Verkehrsströme. Die erforderlichen Maßnahmen im Bundesverkehrsministerium sind eingeleitet worden.
Ich habe hier eine lange Übersicht über einzelne Maßnahmen. Ich stelle sie Ihnen nachher gern zur Verfügung. Es würde den Rahmen der Fragestunde sprengen, würde ich das jetzt im einzelnen vortragen.
Zusatzfrage, Herr de With.
Herr Staatssekretär, können Sie konkret sagen, ob die Bundesstraße Coburg/Rottenbach alsbald verbreitert wird, ob Maßnahmen ergriffen werden, um den Grenzübergang Neustadt bei Coburg alsbald herzurichten, und ob — das sind die wichtigsten Maßnahmen in diesem Bereich — der Endausbau der Maintalautobahn sowie des Frankenschnellwegs vorgezogen wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Herr Präsident, ich habe hier einzelne Sprechzettel zur vier Maßnahmen, insgesamt acht Blätter. Ich müßte das alles vortragen. Wenn Sie einverstanden sind, bekommen Sie die nachher zu Ihrer Kenntnis und weiteren Verfügung. Da steht alles zur Beantwortung drin. Ich müßte es nur vorlesen, darf es aber wahrscheinlich nicht.
Ich nehme diese Antworten gerne entgegen. Ich habe aber eine letzte Frage. Läßt sich schon sagen, wann mit den praktischen Maßnahmen begonnen wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Wenn ich zum Beispiel den Frankenschnellweg nehme: Der wurde begonnen. Die Maintalautobahn ist ein Schwerpunkt im Autobahnbau. Dies wird durch die jüngsten Entwicklungen sicherlich verstärkt. Die anderen beiden Maßnahmen habe ich ebenfalls gerade herausgesucht; sie sind aufgeführt. Hier gibt es zur Zeit Verhandlungen. Wir müssen dabei auch noch mit der DDR sprechen. Ich darf hinzufügen: Der Bundesminister für Verkehr wird wahrscheinlich noch in diesem Monat mit seinem Ost-Berliner Kollegen zusammentreffen.
Ich rufe Ihre weitere Frage auf, Herr de With; das ist die Frage 17:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13921
Vizepräsident Westphal
Ist die Bundesregierung bereit, mit der DDR in Verhandlung zu treten, damit die Kapazität der bestehenden Eisenbahnübergänge in Oberfranken zur DDR rasch weiter ausgebaut und ursprünglich vorhanden gewesene an den neu hinzugekommenen Grenzübergängen wieder eingerichtet werden, und welche Absichten hat die Bundesregierung insbesondere zur Verbesserung der Eisenbahnfernstrecken in Oberfranken an den Grenzübergängen Ludwigsstadt und Hof?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zur Bewältigung des sprunghaft angestiegenen Aufkommens an Reisenden aus der DDR sind von der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn zusätzliche Zugverbindungen vereinbart worden.
Seit dem 17. November dieses Jahres verkehren in Oberfranken über den Eisenbahngrenzübergang Ludwigsstadt insgesamt acht, davon zwei zusätzliche Zugpaare, über den Eisenbahngrenzübergang Hof insgesamt neun, davon drei zusätzliche Zugpaare.
Ob und gegebenenfalls welche der durch die innerdeutsche Grenze unterbrochenen Schienenverkehrsverbindungen im oberfränkischen Raum dem Verkehrsbedürfnis entsprechend kurz- bzw. mittelfristig wieder befahrbar gemacht werden können, wird zur Zeit im Bundesverkehrsministerium untersucht.
Ich wurde heute morgen im Verkehrsausschuß auch verpflichtet, in jeder Sitzungswoche über die weitergehenden Bemühungen zu berichten.
Eine Zusatzfrage, Herr de With.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß alle diese Züge täglich große Verspätungen aufweisen und praktisch immer total überfüllt sind, so daß schon die Ansage in den Bahnhöfen darauf verweist, um die Bevölkerung zum Teil vom Einsteigen zurückzuhalten, und daß dies als absolut unzuträglich empfunden wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Mir ist dieser Tatbestand im generellen, aber auch im speziellen bekannt. Es gab Überlastungen bis zu 300 %. Das erinnert zum Teil an Bilder aus der Nachkriegszeit. Die Deutsche Bundesbahn hat sich bemüht, angesichts des vorhandenen Materials und angesichts der vorhandenen Mitarbeiter alles zu tun, um zu helfen. Es konnte bisher gefahren werden, aber eben unter den Umständen, die Sie genannt haben. Wir sind um weitere Verbesserungen bemüht. Ich muß dazu sagen, daß die Deutsche Reichsbahn dabei hilft. Es sind inzwischen Standleitungen errichtet worden, über die man zwischen den Direktionen sofort telefonieren kann. Wir sind aber schlicht und einfach an einer Grenze der Kapazität angelangt, die nicht von einem Tag auf den anderen verbessert werden kann. Wir stellen dies auch in anderen Bereichen, nicht nur im Verkehr fest. Wir bemühen uns weiter und hoffen, durch Investitionen wie durch die Organisation zu einer Besserung zu kommen.
Noch eine Frage? — Bitte schön, Herr Dr. de With.
Kann die Bundesregierung Angaben erstens darüber machen, ob der Versuch unternommen wird, die seinerzeit stillgelegte Strecke zwischen Coburg und Sonneberg wieder einzurichten, damit hier eine Entlastungsmaßnahme gewährt wird, und zweitens darüber, wie es mit den Fernverbindungen zwischen Nürnberg, Probstzella—Saalfeld bzw. Hof—Leipzig steht?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie waren so freundlich, darauf hinzuweisen, daß Sie dieser Übergang besonders interessiert. In der Region Oberfranken wird die Öffnung Neustadt bei Coburg bis Sonneberg angeregt. Die Strecke Coburg, Neustadt bei Coburg—Sonneberg, Lauscha—Probstzella diente vor dem Krieg vorwiegend dem Nahverkehr.
Im Jahre 1938 befuhr diese Strecke lediglich ein Eilzug in der Verbindung Sonneberg—Leipzig. Die Trasse ist auf einer Länge von ungefähr viereinhalb Kilometern — zwischen Neustadt bei Coburg und der Grenze ca. 1,5 Kilometer, zwischen der Grenze und Sonneberg ca. drei Kilometer — unterbrochen. Aus der Sicht der Bundesbahn — und deren Meinung habe ich eingeholt — könnte eine Öffnung des Übergangs nur für den grenznahen Verkehr von Interesse sein. Damit beantworte ich Ihre Frage nach dem Fernverkehr.
Jetzt rufe ich die Frage 18 des Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Welches ist die Rechtsgrundlage für das von dem Bundesminister für Verkehr als Repression gegen das Nachtfahrverbot Österreichs auf seinen Alpenautobahnen vorgesehene Nachtfahrverbot für Schwerlastzüge aus Österreich, und sind diese Maßnahmen mit der EG abgestimmt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da eine Rücknahme des Nachtfahrverbots in Österreich zum 1. Dezember dieses Jahres in bilateralen Verhandlungen mit Österreich nicht erreicht werden konnte und die Geltungsdauer der bilateralen Lkw-Genehmigungen für deutsche Unternehmer damit in Österreich um sieben Stunden eingeschränkt wird, sah sich der Bundesminister für Verkehr veranlaßt, die Genehmigungen für österreichische Lkw in Deutschland auf der Basis der Gegenseitigkeit um den gleichen Zeitraum entsprechend einzuschränken. Diese Maßnahme findet ihre Rechtsgrundlage in § 13 des Güterkraftverkehrsgesetzes.
Die EG-Kommission wurde mit Schreiben vom 24. November 1989 von dieser Maßnahme unterrichtet. Ob einzelne EG-Staaten dem deutschen Schritt folgen — ich denke z. B. an Maßnahmen Italiens, die angekündigt sind — , bleibt abzuwarten.
Zusatzfrage, Herr Dr. Kübler.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung zumindest grundsätzlich der Auffassung, daß das Anliegen Österreichs, das in bezug auf das Nachtfahrverbot im Gesundheits- und Umweltschutz begründet ist, berechtigt ist, und zwar unabhängig von der Frage der Strenge und des zeitlichen Vollzugs der Maßnahmen?
13922 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben am 16. und 17. April dieses Jahres mit Österreich und Italien eine Konferenz gehabt. Dabei wurden konkrete Schritte der Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene abgesprochen,
kurzfristige Schritte sowie mittel- und langfristige. Allerdings war darin das Nachtfahrverbot nicht enthalten. Wir waren überrascht, daß nach dieser Konferenz von Udine der einseitige Schritt unternommen wurde.
Grundsätzlich gehen wir davon aus, daß Bürger durch Verkehrslärm belastet werden. Die Lösung des ganzen Problems muß aber praktikabel gehandhabt werden.
Zusatzfrage Nummer zwei, Herr Kübler.
Auch die EG hat sich ja mit dem Thema beschäftigt. Sind die zuständigen Gremien der EG damit einverstanden, wie sich die Bundesregierung in dieser Frage verhält?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Wir haben unsere Absicht der EG mitgeteilt. Eine endgültige Äußerung seitens der EG gibt es bisher nicht.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs, weil die beiden letzten Fragen, die Fragen 19 und 20 des Kollegen Dr. Abelein, zurückgezogen worden sind. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Echternach ist zur Beantwortung der Fragen anwesend.
Da die beiden ersten Fragen, die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Müntefering, schriftlich beantwortet werden sollen — die Antworten werden als Anlagen abgedruckt —, kann ich gleich zur Frage 23 von Frau Teubner kommen:
Wie ist der derzeitige Stand der von der Bundesregierung angekündigten Überprüfung der Wärmeschutz- und Heizanlagenverordnung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, Frau Kollegin Teubner, die zuständigen Bundesressorts führen zur Zeit intensive Einzelgespräche mit den einschlägigen Wirtschaftsverbänden mit dem Ziel, für die unterschiedlichen baulichen Maßnahmen Entscheidungsgrundlagen zu gewinnen. Dieser Teil der Vorbereitungen wird noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.
Dann würde ich gern Genaueres darüber wissen, in welche Richtung diese Beratungen gehen — das sind ja dann fast nur noch drei Wochen — , und Sie bitten, etwas darüber auszusagen, ob die Novellierung in die Richtung geht, daß die Wärmeschutzverordnung in Zukunft auch am „Stand der Technik" orientiert sein wird.
Echternach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Teubner, wir klären zunächst die technischen und wirtschaftlichen Einzelfragen, bevor wir zu einer Auswertung dieser Gespräche und dementsprechend zu einer Meinungsbildung kommen. Aber sicher steht im Hintergrund generell die Überlegung, die Anforderungen der Wärmeschutzverordnung zu verschärfen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Teubner. Bitte schön.
Auch wenn die Gespräche noch in diesem Jahr tatsächlich zu einem Abschluß kommen sollten, wird es ja noch eine gewisse Zeit brauchen, bis das dann als gesetzliche Regelung auch umgesetzt wird. Im öffentlichen Bereich, also für öffentliche Bauten, könnte man verschärfte Wärmeschutzanforderungen sofort durchführen. Wie weit sind da die Überlegungen der Bundesregierung? Ich denke z. B. konkret auch an die Baumaßnahmen des Bundes hier in Bonn. Ist da an eine Verschärfung von Wärmeschutzstandards gedacht?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Wir haben Mittel im Haushalt vorgesehen, um eine Modernisierung auch in dieser Richtung durchzuführen. Die Mittel sind in den Einzelplänen veranschlagt.
Darüber hinaus prüfen wir natürlich gerade bei den Neubauten, die zur Zeit erstellt werden, inwieweit auch hier die Erkenntnisse umgesetzt werden, die wir schon öffentlich vorgestellt haben und die ja eine ganz erhebliche Reduzierung des Wärmeverbrauchs zum Gegenstand haben.
Der Abgeordnete Dr. Daniels hat noch eine Zusatzfrage dazu. Bitte schön, Herr Daniels.
Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß auf diesem Gebiet höchste Eile geboten ist, und zwar auf der einen Seite angesichts der eindeutigen Ergebnisse, die sich aus den Beratungen der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" ergeben, und auf der anderen Seite deswegen, weil jetzt mit Baumaßnahmen in erheblichem Umfang zu rechnen ist?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Daniels, ich stimme Ihnen zu. Das ist auch der Grund dafür gewesen, warum wir schon vor einiger Zeit Modelle für ein sogenanntes Niedrig-Energie-Haus vorgestellt haben. Hier kann der Energieverbrauch durch entsprechende bauliche Maßnahmen deutlich abgesenkt werden, und zwar etwa um die Hälfte gegenüber dem heute üblichen Verbrauch. In diesem Sinne arbeiten wir jetzt auch an den Vorbereitungen für die Änderung der Wärmeschutzverordnung.
Ich rufe Frage 24 der Abgeordneten Frau Teubner auf:
Unterstützt die Bundesregierung die Bundesratsinitiative des Landes Baden-Württemberg zur Novellierung der Wärmeschutz- und Heizanlagenverordnung und zur Förderung energiesparender Maßnahmen im baulichen Bereich mit dem Ziel, die Kohlendioxid-Emissionen zu reduzieren und Energieressourcen zu schonen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13923
Echternach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Teubner, die Antwort lautet: Der Antrag des Landes Baden-Württemberg liegt dem Bundesrat zur Beschlußfassung vor. Es ist nicht Sache der Bundesregierung, sich vor der Entscheidung des Bundesrates gegenüber dem Deutschen Bundestag zu dem Antrag zu äußern.
Zusatzfrage, Frau Teubner.
Ich hätte aber doch ein Interesse daran zu erfahren, wie Sie u. a. zu der in dem Antrag enthaltenen Überlegung, die ja nicht nur von dem Land Baden-Württemberg, sondern auch von einigen Verbänden angestellt worden ist, stehen, daß z. B. die steuerliche Förderung von Energiesparmaßnahmen nicht, wie geplant, Ende 1991 auslaufen, sondern weitergeführt werden soll. Diese Forderung ist ja nicht nur Bestandteil des Antrags des Landes BadenWürttemberg, sondern sie wird ja auch direkt an die Bundesregierung herangetragen. Insofern können Sie sich sicher auch unabhängig von dem Antrag dazu äußern.
Echternach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Teubner, dazu gibt es gesetzgeberische Beschlüsse des Bundestages, über die sich die Bundesregierung im Rahmen einer Novellierung der Wärmeschutzverordnung nicht hinwegsetzen kann. Die Wärmeschutzverordnung wird, wie gesagt, zur Zeit mit dem Ziel überprüft, die Anforderungen zu verschärfen. Das ist auch der Kern des Antrags des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Teubner.
Darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß Sie, wenn Sie sich auf die entsprechenden Beschlüsse des Bundestags beziehen, zum Ausdruck bringen wollen, daß auch ein veränderter Diskussionsstand sowie eine größere Sensibilität gerade in Sachen Klimaschutz und in bezug auf die Notwendigkeit von Energiesparmaßnahmen nichts an der von Ihnen geschilderten Beschlußlage ändern kann, und daß die Bundesregierung von daher auch nicht bemüht sein wird, in dieser Hinsicht neue Vorstöße zu unternehmen?
Echternach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Teubner, ich kann mich zu dem Thema einer möglichen Novellierung des Steuerreformgesetzes in diesem Punkt jetzt nicht äußern. Dies ist, wie gesagt, gesetzgeberisch so beschlossen. Es ist natürlich genauso möglich, daß die Bundesregierung — wie auch jede Fraktion dies jederzeit tun kann — hier gesetzgeberisch initiativ wird. Wir beraten — das war ja auch Gegenstand der Anfrage — über die mögliche Verschärfung der Wärmeschutzverordnung.
Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Dr. Daniels? — Bitte schön.
Sie haben soeben im Zusammenhang mit der Wärmeschutzverordnung von einem sogenannten Niedrig-Energie-Haus gesprochen. Stimmen Sie mit mir überein, daß man, wenn man einen solchen Standard einführen und ihn früher oder später auf alle Häuser in der Bundesrepublik übertragen würde, ein Energiesparpotential in einer Größenordnung von vielleicht sogar 50 % erreichen könnte und daß, wenn dieses Modell umgesetzt würde, der Energieverbrauch in der Bundesrepublik dadurch in einem sehr hohen Maße reduziert werden würde?
Das Problem ist der Zusammenhang mit der Fragestellung. Ich möchte es gern dem Staatssekretär überlassen, ob er antworten will. An sich ist es so, daß es bei der vorigen Frage hätte sein können, aber hier nicht mehr. — Herr Staatssekretär!
Echternach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Daniels, das Niedrig-Energie-Haus ist ein Vorschlag für den Neubau. Sie zielen jetzt auf den Bestand ab, da stellen sich die Bedingungen natürlich anders dar. Aber es ist klar, daß bei Überlegungen bezüglich einer Veränderung der Wärmeschutzverordnung auch der Bestand beachtet werden muß. Dort aber werden Sie vermutlich die Einsparpotentiale nicht erzielen können, die beim Neubau heute ohne weiteres erzielbar sind und die sich etwa in der Größenordnung von 50 % bewegen.
Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Dr. Sperling sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Der Abgeordnete Conradi, der die dann folgende Frage 27 gestellt hat, ist nicht im Raum. Es wird entsprechend der Geschäftsordnung verfahren.
Ich bedanke mich bei dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Herr Staatssekretär Dr. Waffenschmidt steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Herr Stiegler ist nicht im Raum. Daher werden die Fragen 48 und 49 entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Wir kommen dann zu Frage 50 des Abgeordneten Dr. Emmerlich.
Ist der Versicherungsdetektiv Werner Mauss von führenden Mitarbeitern des Bundeskriminalamtes als dessen „freier Mitarbeiter" bezeichnet worden, und welchen Status hatte Mauss?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Dr. Emmerlich, Ihre Frage 50 beantworte ich wie folgt: Der Präsident des Bundeskriminalamtes hat in der 18. Sitzung des 10. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Niedersächsischen Landtages am 30. Oktober 1984 den Terminus „freier Mitarbeiter" als einen bei Sicherheitsbehörden ungewöhnlichen Ausdruck bezeichnet. Hinsichtlich der Art und Weise der Zusammenarbeit des Bundeskriminalamtes mit Herrn Mauss möchte ich gerne auf das Schreiben des Bundesministers des Innern P I 1 — es folgen dann weitere Angaben — vom 30. Oktober 1985 zu den von Ihnen mit Schreiben vom 2. Oktober 1985 gestellten Fragen ver-
13924 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
weisen. Wir haben damals seitens des Bundesinnenministeriums in einem ausführlichen Schreiben von rund sechs Seiten alle Ihre Einzelfragen beantwortet. Darauf möchte ich gern noch einmal hinweisen.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat Herr Dr. Emmerlich.
Abgesehen davon, daß zu der Frage nach dem Status des Herrn Mauss in dem von Ihnen zitierten Schreiben keine befriedigende Antwort erteilt worden ist und daß dieses Schreiben von Ihnen als „vertraulich — amtlich geheimzuhalten" klassifiziert worden ist und ich damit also politisch gar nichts anfangen kann, stelle ich an Sie die Frage, ob es zutrifft, daß der Versicherungsdetektiv Mauss bei den Aufträgen, die er für das Bundeskriminalamt oder andere Polizeibehörden ausgeführt hat, in aller Regel mit Fällen beschäftigt wurde, die die Versicherungen, seine Auftraggeber, interessierten und in denen er in ihrem Interesse tätig wurde.
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Emmerlich, den Fragenbereich, den Sie jetzt im Detail angesprochen habe, kann ich in der Weise, in der Sie es beschrieben haben, nach meinem Kenntnisstand nicht bestätigen.
Ich will Ihnen aber ein zusätzliches Angebot machen. Sie haben gesagt, daß die umfangreiche Information, die wir Ihnen zuteil werden ließen, einen Grad der Vertraulichkeit hat, der Sie daran hindert, damit öffentlich und politisch zu agieren. Ihnen ist zusätzlich angeboten worden, die Angelegenheit mit der Leitung des Bundeskriminalamtes in allen Einzelheiten zu erörtern. Ich mache Ihnen heute erneut das Angebot, Ihnen zu Ihren vielfältigen Einzelfragen, die Sie haben, entweder durch die Leitung des Bundeskriminalamtes oder durch unser Haus in einem vertiefenden Einzelgespräch weitere Informationen zu geben.
Herr Emmerlich!
Abgesehen davon, daß dieses Gespräch bereits stattgefunden hat und völlig ertraglos war, richte ich an Sie die weitere Frage: Ist meine Annahme richtig, daß die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr eine ureigene polizeiliche Aufgabe und damit eine hoheitliche Aufgabe ist und daß infolgedessen nicht die Möglichkeit gegeben sein kann, derartige Aufgaben auf Privatpersonen, die private Interessen und egoistische Interessen verfolgen, zu übertragen?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Sie haben sicherlich recht mit der Einschätzung der polizeilichen Aufgaben als hoheitlicher Aufgaben. Sie wissen aber sicherlich genausogut wie ich, daß sich die Polizei bei der Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Aufgaben geeigneter Hilfsmittel bedienen kann, um diese Aufgaben zu erfüllen.
Ich denke, daß man die Aktivitäten, die seitens der zuständigen Polizei- und Sicherheitsbehörden vorgenommen worden sind, so einschätzen muß, daß diese
Hilfen wahrgenommen haben, die ihnen sachdienlich erschienen, ihren hoheitlichen Auftrag auch zu erfüllen.
Herr Dr. Hirsch, Sie wollen eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist denn die Zusammenarbeit des Bundeskriminalamtes und einzelner Länderpolizeien mit diesem Mann, der von Versicherungsgesellschaften bezahlt wird, so heikel, daß Sie sie nicht öffentlich darstellen können?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Wir können auf gezielte Fragen sicherlich gezielte Antworten geben, wenn Einzelbereiche angesprochen werden. Dazu erkläre ich mich jederzeit bereit. Wenn aber in Sammelfragen ganze Aufgabengebiete angesprochen werden, dann müßten hier auch umfangreiche Antworten, die über Seiten gehen, erteilt werden. Das würde, glaube ich, den Rahmen der Fragestunde sprengen.
Herr Lippelt, Sie wollen eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir nach Ihrer Kenntnis des Berichts des niedersächsischen Untersuchungsausschusses darin zustimmen, daß das von Ihnen eben so bezeichnete „Hilfsmittel Mauss" durchaus in der Lage war, Beamte des niedersächsischen Landeskriminalamtes, sagen wir einmal, zu führen?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich kann nicht bestätigen, daß Herr Mauss bei den Diensten, die er angeboten bzw. verrichtet hat, die hoheitliche Tätigkeit der Beamten des Landeskriminalamtes in Niedersachsen geführt hat.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Dr. Emmerlich auf:
Trifft die Feststellung des 11. Untersuchungsausschusses des niedersächsischen Landtages zu, daß Mauss niedersächsischen Polizeibehörden vom Bundeskriminalamt empfohlen worden ist mit dem Hinweis, er solle so behandelt werden, als sei er ein Angehöriger des Bundeskriminalamtes?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Emmerlich, auf diese Frage möchte ich wie folgt antworten. Ich gehe zunächst einmal davon aus, daß Sie sich auf eine Formulierung auf Seite 162 der Drucksache 11/4380 des Niedersächsischen Landtages vom 9. Oktober 1989 beziehen, nach der dem niedersächsischen Kriminalbeamten Borrak vom Bundeskriminalamt gesagt worden sein soll, er möge Herrn Mauss so betrachten, als sei er jemand, der zum Bundeskriminalamt gehört.
Eine derartige Empfehlung ist nach Aktenlage des Bundeskriminalamtes nicht gegeben worden. Herr Mauss hatte keinen Status, der dem eines Angehörigen des Bundeskriminalamtes entsprochen hätte.
Herr Dr. Emmerlich, bitte schön.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13925
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß sich die niedersächsischen Polizeidienststellen, die mit diesem Herrn Mauss, der ihnen vom Bundeskriminalamt vermittelt worden ist, zusammengearbeitet haben, hinsichtlich des Umfangs der Vollmachten und der Möglichkeiten, die sie Herrn Mauss in Ermittlungsverfahren verschafft haben, damit entschuldigt haben, das Bundeskriminalamt habe bestätigt, daß Herr Mauss ein Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes sei und in bezug auf die Einschaltung in Ermittlungsverfahren wie in bezug auf die Informationen über Ermittlungsansätze und Ermittlungsergebnisse so behandelt werden solle wie ein Angehöriger des Bundeskriminalamtes?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich durfte Ihnen bereits darlegen, daß aus Anlaß Ihrer Frage von unserem Haus, d. h. dem Bundesinnenministerium, noch einmal beim Bundeskriminalamt nachgefragt worden ist und daß uns die Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes bestätigt haben, daß nach ihrer insoweit vorliegenden Aktenlage keine Empfehlung gegeben worden ist, wie es hier durch die Äußerung, die Sie zitiert haben, den Anschein haben konnte.
Ich sage noch einmal: Herr Mauss hatte keinen Status, der dem eines Angehörigen des Bundeskriminalamtes entsprochen hätte. Welche persönlichen Einschätzungen Beamte des Landeskriminalamtes oder der niedersächsischen Polizei getroffen haben und wie diese im einzelnen aussahen, entzieht sich meiner Kenntnis. Danach müßte im übrigen im Niedersächsischen Landtag gefragt werden.
Sie haben keine weitere Zusatzfrage?
— Ich glaube, ja.
— Wir haben ernsthaft darüber nachgedacht und sind zu dem Entschluß gekommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bin für diese Hilfestellung sehr dankbar. Ich war über die Antwort etwas verblüfft; ich bitte um Entschuldigung.
Herr Staatssekretär, über die Tätigkeit des Herrn Mauss und über die Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Bundeskriminalamt ist seit Jahren in der Presse berichtet worden. Darüber gibt es einen umfänglichen Untersuchungsbericht des niedersächsischen Untersuchungsausschusses. Dieser Untersuchungsbericht enthält zahllose Hinweise auf Rechtsverletzungen des Herrn Mauss. Gleichwohl haben Sie bisher zur Überprüfung der Mitverantwortung des Bundeskriminalamtes nichts anderes getan, als sich beim Bundeskriminalamt nach der Aktenlage zu erkundigen. Fühlen Sie sich nicht verpflichtet, nunmehr Ihrerseits das zur Aufklärung dieses skandalösen Sachverhalts Notwendige selbst zu unternehmen?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Emmerlich, nach den zusätzlichen Fragen, die Sie heute hier gestellt haben, und dem Hinweis auf zusätzliche Informationen werde ich eine erneute Nachfrage vornehmen und Sie gerne über das Ergebnis informieren.
: Herr Dr. Hirsch zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es denn zutreffend, daß dem Bundeskriminalamt der Aufenthaltsort von Herrn Mauss, also seine ladungsfähige Anschrift, genau bekannt war, als der niedersächsische Untersuchungsausschuß zunächst vergeblich versucht hat, den Mann zu laden?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Über diese Kenntnisse, Herr Kollege Dr. Hirsch, zu dem präzisen Zeitpunkt, den Sie hier ansprechen, kann ich Ihnen nach dem jetzigen Stand meiner Informationen keine Auskunft geben. Ich erkläre mich aber bereit, dies auszuloten, damit Sie eine klare Antwort bekommen.
Eine Zusatzfrage von Herrn Lippelt.
Dr. Lippe) (GRÜNE): Herr Staatssekretär, nachdem ich in meiner vorigen Frage einen Begriff wählte, der polizeitechnisch vielleicht schon ein bißchen belegt war, stelle ich die Frage jetzt noch einmal. Nachdem Sie hier die engen Kontakte zwischen dem Bundeskriminalamt und Herrn Mauss damit charakterisiert haben, daß sich die Polizei sehr wohl Hilfsmittel bedienen könne und dürfe, frage ich Sie: Sind Sie nach Kenntnis des Untersuchungsberichts des Niedersächsischen Landtages nicht auch der Meinung, daß dieses Hilfsmittel von einer Qualität war, daß es in der Lage war, Beamte des Landeskriminalamtes zu seinen Zwecken zu instrumentalisieren, und trifft auf so etwas dann der Begriff des Hilfsmittels zu?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es wird sicherlich — das ist wahrscheinlich unter uns unbestritten — in der Beurteilung der Geeignetheit von Hilfsmitteln, Hilfestellungen, Untersuchungshilfen und Ermittlungshilfen immer unterschiedliche Würdigungen geben. Ich gehe wohl recht in der Annahme, daß das auch bei dem Sachverhalt, den wir gerade besprechen, der Fall ist. Die Beschäftigung mit dem Gesamtvorgang hat mich jedenfalls darüber belehrt, daß es unterschiedliche Einschätzungen der Hilfsmöglichkeiten, über die wir gerade sprechen, gegeben hat und wahrscheinlich auch künftig noch geben wird.
Die Fragen 52 und 53 des Abgeordneten Sielaff sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Es ist eine Minute vor 14 Uhr, und ich sehe einen sehr engen Zusammenhang zwischen den nächsten vier Fragen von Herrn Dr. Hirsch und Herrn Dr. Nö-
13926 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Vizepräsident Westphal
bel. Ich meine, mit Ihrem Einverständnis zu handeln, wenn wir diese Fragen dann doch lieber morgen aufrufen.
Dann brauche ich hier nur noch eine halbe Minute zu überbrücken und sage dem Staatssekretär ein Dankeschön für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe keinen weiteren Geschäftsbereich auf.
Meine Damen und Herren, ich habe eine amtliche Mitteilung zur Verlesung vor mir liegen: Herr Kollege Pfuhl feierte am 2. Dezember seinen 60. Geburtstag. Ich spreche ihm meine herzlichen Glückwünsche aus, auch im Namen des Hauses. Ich tue das über das Mikrophon und hoffe, ihn zu erreichen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gattermann, Rind, Dr. Solms, Cronenberg , Funke, Frau Dr. Segall und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes — Drucksache 11/5977 —
2. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Weiss (München), Frau Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN: FCKW (Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe) in den ICE-Triebköpfen der Deutschen Bundesbahn — Drucksachen 11/4439, 11/5959 —
3. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortige Einstellung der Entwicklungshilfe für El Salvador — Drucksache 11/5453 —
4. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zur Lage in El Salvador — Drucksache 11/5969 —
5. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Rückkehr zum Friedensprozeß in El Salvador — Drucksache 11/5973 —
Zugleich soll, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 sowie den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
2. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Melderechtsrahmengesetzes
— Drucksache 11/5111 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Verbraucherkredite, zur Änderung der Zivilprozeßordnung und anderer Gesetze
— Drucksache 11/5462 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes
— Drucksache 11/5829 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem VN-Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
— Drucksache 11/5459 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. Juli 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien über den gegenseitigen Schutz und die Förderung von Kapitalanlagen
— Drucksache 11/5726 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger Ausschuß
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. Juni 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
— Drucksache 11/5727 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger Ausschuß
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13927
Vizepräsident Westphal
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 11. August 1989 zum Abkommen vom 7. April 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 11. August 1989 zur Durchführung des Abkommens
— Drucksache 11/5725 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
ZP1 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Gattermann, Rind, Dr. Solms, Cronenberg , Funke, Frau Dr. Segall und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes
— Drucksache 11/5977 —
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich kann das so feststellen. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:
3. a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes
— Drucksache 11/1516 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 11/4074 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Jobst
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/4109 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Windelen Zywietz
Frau Vennegerts
Purps
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes (5. BbÄndG)
— Drucksache 11/2411 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 11/4073 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/4110 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Windelen Zywietz
Frau Vennegerts
Purps
c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes
— Drucksache 11/2412 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 11/4091 —
Berichterstatter: Abgeordneter Kohn
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/4111 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Windelen Zywietz
Frau Vennegerts
Purps
d) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes
— Drucksache 11/3770 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 11/4248 —
13928 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Vizepräsident Westphal
Berichterstatter:
Abgeordneter Weiss
e) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Ausbau des Schienenwegenetzes der Deutschen Bundesbahn
— Drucksache 11/2410 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 11/4075 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst
f) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn (Bundesbahnsanierungsgesetz — BbSanG)
— Drucksache 11/1789 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 11/4090 —
Berichterstatter: Abgeordneter Kohn
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/4108 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Purps Windelen
Zywietz
Frau Vennegerts
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Übernahme überhöhter Versorgungslasten
— Drucksachen 11/1515, 11/4072 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst
h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr
zu dem Antrag der Abgeordneten Daubertshäuser, Antretter, Bamberg, Ewen, Faße, Haar, Hasenfratz, Ibrügger, Kretkowski, Müntefering, Dr. Niese, Pauli, Purps, Roth, Scherrer, Steinhauer, Toetemeyer, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
DB-Strecke Ruhr-Sieg/Rhein-Sieg
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN
Ausbau und Verbesserung der Ruhr-Sieg-
und Rhein-Sieg-Strecke
— Drucksachen 11/2694, 11/3072, 11/4092 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Jung
i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Weiss (München), Frau Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN
Vorschläge der Koalitionsarbeitsgruppe Bahn zur Sanierung der Deutschen Bundesbahn
— Drucksachen 11/3162, 11/4093 —
Berichterstatter: Abgeordneter Kohn
j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Weiss (München), Frau Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verstoß gegen § 5 Bundesbahngesetz durch den Deutschen Bundestag
— Drucksachen 11/3648, 11/4183 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Niese
k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Weiss (München), Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13929
Vizepräsident Westphal
Ausbau der Bundesbahnstrecke MünchenMühldorf—Freilassing
— Drucksachen 11/3973, 11/5269 —
Berichterstatter: Abgeordneter Bamberg
ZP2 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Weiss (München), Frau Rock und der Fraktion DIE GRÜNEN
FCKW in den ICE-Triebköpfen der Deutschen Bundesbahn
— Drucksachen 11/4439, 11/5959 —
Berichterstatter: Abgeordneter Richter
Zu Tagesordnungspunkt 3 j liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5960 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte vier Stunden vereinbart. — Ich sehe auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke zunächst für das Verständnis der Fraktionen, daß ich der Debatte nicht ganz beiwohnen kann, weil eine Kabinettssitzung angesetzt ist, die von heute vormittag wegen des Trauerakts für Herrhausen auf heute nachmittag verschoben werden mußte und die die Anwesenheit sämtlicher Mitglieder des Kabinetts unbedingt erfordert. Ich bitte um Verständnis für die Ausnahme, daß ich aus diesem Grunde die Debatte eröffne.
Zunächst möchte ich auf die zahlreichen Pressemeldungen eingehen, die sich heute mit dem Bericht der Deutschen Bundesbahn beschäftigen. Das ist ein Bericht der Bundesbahn an die Bundesbahnkommission — nichts anderes — , der auch mir erst gestern abend auf den Tisch gekommen ist. Die Institution Bundesbahn schildert in dem Bericht an die Bundesbahnkommission, die über ihre Zukunft entscheiden soll, ihre Lage natürlich nicht in den rosigsten Farben — wofür man Verständnis haben muß. Aber zu einer solchen Schwarzmalerei, wie sie dort zum Teil angestellt wird, ist trotzdem, wie ich meine, kein Anlaß.
Die Deutsche Bundesbahn war ein Schwerpunkt der Verkehrspolitik in den 80er Jahren und wird es für diese Bundesregierung auch bleiben. Mit der Öffnung der innerdeutschen Grenzen und der Sektorengrenzen in Berlin wird die Verkehrspolitik in eine neue Phase eintreten. Der Bahn werden sich neue Chancen bieten, und sie wird sich dieser Herausforderung zu stellen haben.
Welche Bedeutung der Bahn nach wie vor zukommt, hat sich in den vergangenen Tagen gezeigt: Es hat ein Ansturm von DDR-Besuchern stattgefunden. Allein in einer einzigen Woche hat die Deutsche Bundesbahn 100 Züge im Fernverkehr und 470 Züge im grenznahen Verkehr zusätzlich eingesetzt. Das geschah in unmittelbaren Absprachen mit den Hauptverwaltungen der Bahnen, aber auch auf örtlicher Ebene mit Hilfe von Standleitungen zwischen Eisenbahndirektionen in beiden Teilen Deutschlands. Das war eine bemerkenswerte Aktion, die weithin ohne Beachtung geblieben ist. Ich darf hier ausdrücklich sagen, daß sich nicht nur auf kurze, sondern auch auf längere Sicht eine intensive Zusammenarbeit mit der DDR entwickelt.
Für diesen Winterfahrplan und auch schon für den nächsten — 1990/1991 — haben wir konkrete Absprachen getroffen. In diesem Winterfahrplan haben wir 55 Schnellzugpaare im Fernreiseverkehr und 28 Zugpaare im grenznahen Verkehr. Für den nächsten Winter haben wir zusätzlich 35 weitere Zugpaare vereinbart.
Bundesbahn und Reichsbahn haben diesen Reiseverkehr mit einem bemerkenswerten Einsatz von Personal und Material bewältigt. Dafür ist allen, die viele Überstunden geleistet haben, Dank zu sagen.
Ich glaube sagen zu können, daß die Bundesregierung in den letzten Jahren die Weichen für eine attraktivere und leistungsfähigere Bahn gestellt hat, die natürlich längst nicht über den Berg ist. Das konnte auch niemand erwarten. Unser Ziel ist, aus dem Wettbewerb der Verkehrsträger eine Zusammenarbeit der Systeme mit dem Ziel zu machen, daß jeder Verkehrsträger seine Leistungsstärke in die Transportkette einbringt.
Der wirtschaftliche Aufschwung der vergangenen sieben Jahre hat das Verkehrsaufkommen zusätzlich ansteigen lassen. Die guten Aussichten der deutschen Wirtschaft auch in den 90er Jahren im Binnenmarkt werden unausweichlich ein weiteres Ansteigen des Verkehrs mit sich bringen. Das bedeutet für die Bahn: Sie muß sich wieder einen wachsenden Anteil an diesem Markt sichern. Das wollen wir auf marktwirtschaftliche Weise, also ohne Dirigismus erreichen. Die im Vorgriff auf eine EG-Regelung von der Bundesregierung beschlossene Straßenbenutzungsgebühr für schwere LKWs ist ein marktwirtschaftliches Instrument, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
Bei der Bahn müssen wir Produktivität, Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit steigern. Die Bahn muß in den 90er Jahren diese ihr zugedachte Rolle übernehmen, und dafür ist einiges geschehen. Wir haben mit dem Bundesverkehrswegeplan von 1986 bis 1995 einen neuen Weg eingeschlagen. Mit einem Volumen von 50 Milliarden DM haben wir in diesem Zeitraum die Investitionen in die Schiene an den Straßenbau und an die Investitionen dort angeglichen. Man darf nicht übersehen — das muß man in aller Deutlichkeit aussprechen, meine Damen und Herren — : 50 Jahre lang ist nichts in den Neu- und Aus-
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Bundesminister Dr. Zimmermann
bau des Fernverkehrsnetzes der Schiene investiert worden.
50 Jahre lang!
1991 wird in der Bundesrepublik Deutschland das ICE-Zeitalter beginnen. Nicht nur bei uns, in ganz Europa werden die Bahnen im Personen- und Güterverkehr schneller. Die Bahn wird ihre Systemvorteile, die Beförderung über lange Distanzen schnell durchzuführen, in vollem Umfang nutzen können. Es gibt signifikante Zeichen für einen neuen Run, was die Bahnen anbetrifft: Der Kanaltunnel zwischen Frankreich und Großbritannien ist ein Eisenbahntunnel. Der Brenner-Basis-Tunnel auf der Strecke MünchenVerona ist ein Eisenbahntunnel. Die Schweiz plant zwei Transversalen, Lötschberg, Gotthard; es sind Eisenbahntunnels. Die skandinavischen Länder setzen über den Großen Belt auf die Schiene. Der Brückenbau hat begonnen. In den 90er Jahren wird ein Schnellbahnnetz Paris—Brüssel—Köln, Amsterdam—Frankfurt, aber auch Paris—Ostfrankreich—Südwestdeutschland verbinden. Schnelligkeit wird dann ein Markenzeichen der Bahn sein. In den nächsten 10 Jahren wird in der Bundesrepublik Deutschland ein Netz von 2 000 km Neu- und Ausbaustrecken für Durchschnittsreisegeschwindigkeiten von 250 km/h entstanden sein. Die neuen Strecken werden auch für den Güterverkehr richtig liegen. Diese sichere und umweltfreundliche Bahn wird damit zur wichtigsten Alternative zum überlasteten Luft- und Straßenverkehr.
Ein neues Stichwort heißt kombinierter Verkehr. Kombinierter Verkehr Schiene — Straße hat Zukunft. Für den Aus- und Neubau von Umschlagbahnhöfen hat die Bundesregierung im Rahmen des gerade genannten Bundesverkehrswegeplanes bis 1995 Investitinszuschüsse von mehr als 700 Millionen DM vorgesehen. Die beförderte Gütermenge ist bei diesem Verkehr von 1980 bis 1988, also innerhalb von acht Jahren, von 11 auf 20 Millionen Tonnen verdoppelt worden. Die Prognosen der Bundesbahn gehen davon aus, daß wir im kombinierten Verkehr nächstes Jahr 23 Millionen Tonnen und im Jahre 2000 45 Millionen Tonnen jährlich haben werden.
Das alles ist durchaus anerkennenswert, glaube ich schon. Trotzdem ist mit Geld allein der Bahn nicht gedient.
Eine Bahn mit der Technologie des 20. Jahrhunderts kann nicht mit der überkommenen Struktur „100 Jahre Bahn" geführt werden. Die Bahn muß Leistungen erbringen, die der Markt heute und morgen verlangt, konkrete Maßnahmen vorsehen, die das Unternehmen in seiner Struktur, in seiner Produktionsweise und in seiner Absatzpolitik an die Markterfordernisse heranführt und die seine Ertragsschwäche beseitigen. Das ist ein ungeheuer hochgestecktes Ziel. Das wissen auch wir.
Man hat früher eine andere Methode angewandt. Im Zeitraum zwischen 1970 und 1982 sind die jährlichen Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt um rund 10 Milliarden DM, von 4 Milliarden DM auf 14 Milliarden DM, gestiegen. Diese Mittel haben weder die steigende Verschuldung noch das Anwachsen der Jahresfehlbeträge verhindern können. Die Verkehrsleistungen sind in dieser Zeit kaum erhöht worden. Das heißt: Erhaltungssubventionen sind ebenso wie dirigistische Maßnahmen ein untaugliches Mittel, um Unternehmen zu sanieren,
wenn die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen nicht getroffen werden.
Wir haben deshalb mit den Leitlinien zur Konsolidierung der Bundesbahn vom 23. November 1983 folgerichtig mit einer Strategie begonnen, die auf Anpassung der Kapazitäten und des Personals an den Strukturwandel setzt und den unternehmerischen Handlungsspielraum der Deutschen Bundesbahn betont. Dieser Ansatz zeitigt Erfolge, wenn auch noch nicht den totalen Durchbruch. Dieser Ansatz hat im wesentlichen bei gleichbleibenden Bundesleistungen die Jahresfehlbeträge auf 4 Milliarden DM stabilisiert und den Anstieg der Verschuldung gegenüber früheren pessimistischen Prognosen erheblich gebremst. Wenn wir von der Deutschen Bundesbahn unternehmerisches Handeln fordern, meine Damen und Herren, so müssen wir auch die Voraussetzungen schaffen, damit sie wie ein modernes Dienstleistungsunternehmen operieren kann.
Damit sich die Bundesbahn den neuen Aufgaben widmen und entsprechend planen kann, war eine Konsolidierung der Finanzen der Bahn notwendig geworden. Mit den Kabinettsbeschlüssen vom 1. Februar dieses Jahres hat die Bundesregierung Grundlagen für die Finanzstruktur und die Versorgungslasten des Unternehmens geschaffen. Im Haushaltsjahr 1991 werden die nach dem Stand von 1972 festgestellten Altschulden der Bahn in Höhe von 12,6 Milliarden DM vom Bund übernommen. Dadurch wird die Bilanz des Unternehmens entscheidend entlastet. Ab 1989 ist die Abgeltung für überhöhte Versorgungslasten, für die die Bahn bisher schon Zahlungen erhalten hat, auf den Betrag festgesetzt worden, der 31 % der Aktivbezüge der Beamten übersteigt. Eine Wettbewerbsverzerrung der Bahn ist also insoweit nicht mehr gegeben.
Des weiteren wird der Kreditrahmen der Bahn so bemessen, daß alle wirtschaftlichen Maßnahmen unter Einschluß der Zukunftsinvestitionen durchgeführt werden können. Allerdings verlangt das Gebot der finanziellen Solidität, daß sich die Bahn bei ihren übrigen Sachausgaben an der Ertragskraft des Unternehmens orientiert.
Schließlich sollen nach dem Kabinettsbeschluß der Bund und die übrigen öffentlichen Hände Beiträge zu den Fahrwegausgaben leisten. Über den Umfang dieser Beträge wird entschieden, sobald der Bericht der Kommission vorliegt. Das ist etwas, was dann für alle Zukunft den Anteil der öffentlichen Hände an der Bahn festschreiben wird. Deswegen ist das eine Sache, die nicht über das Knie gebrochen werden kann.
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Bundesminister Dr. Zimmermann
Ich weiß, meine Damen und Herren, daß bei der Übernahme der Finanzverantwortung für den Fahrweg durch den Bund unsere Vorstellungen auseinandergehen. Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion verlagert die finanzielle Verantwortung für den Fahrweg in vollem Umfang auf den Bund. Damit läge auch die Aufgabenverantwortung beim Bund. Der Unternehmensleitung der Bundesbahn bliebe kaum noch Handlungsspielraum. Sie gestatten, daß ich es ganz deutlich sage: Das wollen wir nicht. Wir wollen keine partielle oder sogar ganze Übernahme von Kompetenzen des Vorstands der Bundesbahn auf den Bund.
Wesentliche Voraussetzung für eine moderne Bahn ist ein Instrumentarium zur Führung, Steuerung und Kontrolle der Unternehmensbereiche. Dafür benötigt die Bahn ein den betriebswirtschaftlichen Grundlagen entsprechendes Rechnungswesen. Es muß ein differenziertes Rechnungswesen sein. Auch hier haben wir am 1. Februar die Weichen gestellt. Ende nächsten Jahres muß die Deutsche Bundesbahn eine Spartenerfolgsrechnung für ihre Produktbereiche IC-Verkehr, kombinierter Verkehr und Intercargo entwickeln,
die die Beurteilung ihrer Wirtschaftlichkeit ermöglicht und damit bessere Grundlagen für Entscheidungen über bereichsbezogene Leistungsangebote liefert. Wenn die Bahn es früher als bis Ende 1990 tut, kann ich nur sagen: um so besser.
Sie muß eine separate Fahrwegrechnung erarbeiten, die die Aufwendungen, die sich dem Wegebereich zurechnen lassen, sachgerecht von den übrigen betrieblichen Leistungen abgrenzt. Und sie muß Strekkenrechnungen für jede einzelne Strecke aufbauen, die den Fahrwegaufwand nach der in Anspruch genommenen Kapazität differenziert. Das wird verlangt. Diese Instrumente sind weit wichtiger als der vordergründige Ausdruck „Rechenwerk". Sie tragen zu der für unternehmerisches Handeln unverzichtbaren Kosten- und Ertragstransparenz in allen Einzelbereichen der Bahn bei.
Das neue Instrumentarium soll den Entscheidungsträgern auf allen Ebenen der Deutschen Bundesbahn bis hinunter zur letzten Dienststelle vor Augen führen, was sie zum Gesamtunternehmenserfolg beitragen. Damit werden nicht nur Wirtschaftlichkeitsschwachpunkte klar erkennbar; auch die Motivation der Mitarbeiter und ihr Beitrag zum Unternehmenserfolg werden größer. Die Rechnungen dienen auch der Transparenz nach außen in der Beziehung zwischen Unternehmen und anderen. Künftig wird deutlich werden und in Zahlen meßbar sein, was es kostet, wenn von der Bahn ganz bestimmte Leistungen gefordert werden.
Neben der Finanzstruktur muß sich auch das Unternehmen selbst ändern. Die Bundesregierung hat deshalb eine unabhängige Kommission aus Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft und Banken von Bund und Ländern eingesetzt, die Vorschläge für ein Unternehmenskonzept für die Deutsche Bundesbahn erarbeiten soll. Das ist ein weiterer Schritt für eine tiefgreifende Strukturreform der Bahn und ihre Rolle im Zusammenspiel mit anderen Verkehrsträgern im nationalen wie im künftigen europäischen Verkehrsmarkt. Ihre Rolle muß durchaus neu definiert werden.
Eine der Hauptaufgaben der Regierungskommission ist es, zur Klärung des Zielkonflikts zwischen unternehmerischem Anspruch und gemeinwirtschaftlicher Verpflichtung beizutragen. Das ist ein weiterer ganz wesentlicher Punkt.
Die Kommission muß eine Bahnstruktur entwickeln, die sich auf lange Sicht im Wettbewerb behaupten kann.
Sie soll darüber hinaus die aus Gründen des Gemeinwohls von der Deutschen Bundesbahn auf Dauer zu übernehmenden Aufgaben festlegen helfen. Zugleich wird im gemeinwirtschaftlichen Bereich zu klären sein, welche Leistungen beispielsweise im Schienenpersonennahverkehr langfristig vom Bund übernommen werden sollen und inwieweit regionale Körperschaften an der Lastenverteilung beteiligt werden müssen.
Jetzt kommt ein absoluter Schlüsselsatz. Den möchte ich zweimal unterstreichen. Er lautet: Wer Leistungen, die nicht kostendeckend erbracht werden können, fordert, hat dann auch für die Unterdeckung zu bezahlen.
— Natürlich! Das gilt natürlich auch für den Bund.
Aber es gilt nicht nur für den Bund.
Obwohl viele dieser Maßnahmen erst in den 90er Jahren ihre volle Wirkung entfachen werden, haben wir erreicht, daß seit 1982 die Bundesbahn ihre Produktivität steigern konnte, wobei 1989 ein besonders erfreuliches Jahr zu werden verspricht.
Erfolgreich war auch die Personalanpassung bei der Bundesbahn, die sozialverträglich, ohne Entlassungen und jeweils unter Anpassung an aktuelle Erfordernisse vollzogen worden ist. Ich danke allen, die daran beteiligt waren, vom Vorstand bis zu den Bahngewerkschaften.
Es war keine Selbstverständlichkeit, daß das ohne tiefgreifende Friktionen so abgelaufen ist.
Dennoch möchte ich nicht verschweigen, daß es in Ballungsgebieten und in einigen betriebswichtigen Funktionen, z. B. bei den Lokführern, zu Engpässen gekommen ist. Grund dafür ist die Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt, die zu Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Nachwuchskräften geführt hat. Wir haben die notwendigen Maßnahmen eingeleitet, um neue qualifizierte Mitarbeiter für die Bahn zu ge-
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Bundesminister Dr. Zimmermann
winnen. Wir haben die Attraktivität verschiedener Berufe bei der Bundesbahn gesteigert, indem wir die Bezahlung von Nachwuchskräften für die Lokführerlaufbahn verbessert haben, eine Fahrentschädigung für Lokführer und Zugbegleiter gewährt haben, für Mehrleistungen einen Ausgleich in Geld anstelle von Dienstbefreiung befristet eingeführt haben, um nur einige Beispiele zu nennen. Ich bin sicher, daß diese Maßnahmen bis Ende 1990 zu einer wesentln beitragen werden.ichen Entspannung der Personalsituation bei der Bah
Meine Damen und Herren, das Fundament für die Bahn der Zukunft ist mit den Leitlinien von 1983 gelegt worden. Die Kabinettsbeschlüsse vom 1. Februar dieses Jahres haben wichtige Weichen gestellt im Hinblick auf die kurz- und mittelfristigen Erfordernisse. Der schwierige Umstrukturierungsprozeß von der Staatsbahn hin zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen geht weiter. Er wird durch die Vorschläge der Regierungskommission — so hoffe ich zuversichtlich — weitere wichtige Impulse erhalten. Bundesregierung und Vorstand der Deutschen Bundesbahn werden konsequent und zielstrebig an der Aufgabe weiterarbeiten, einen umweltfreundlichen und energiesparsamen Verkehrsträger zu schaffen, der einen höheren Anteil am Verkehrswachstum zu wirtschaftlichen Bedingungen erreicht.
Wenn wir hierbei in den zurückliegenden Jahren und Monaten ein Stück weiter gekommen sind, dann rechtfertigt das auch unseren Optimismus, daß die Bundesbahn nach den entscheidenden nächsten zehn Jahren am Ende dieses Jahrhunderts anders, besser, moderner, leistungsfähiger, marktgerechter dastehen wird als heute.
Das Wort hat der Abgeordnete Daubertshäuser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der letzten Bahndebatte vor gut einem Jahr hat meine Fraktion gegenüber der Bundesregierung, aber auch gegenüber den Koalitionsfraktionen ein Angebot gemacht, wie Sie sich erinnern werden: fraktionsübergreifende Zusammenarbeit in der Verkehrs- und insbesondere in der Bahnpolitik. Dieses Angebot, Herr Kollege Pfeffermann, haben Sie nicht aufgegriffen.
Heute werden Sie wider besseres Wissen unsere Bahngesetze ablehnen. Sie, die Verkehrspolitiker der Koalitionsfraktionen, haben Ihren Fachverstand, der ohne Zweifel vorhanden ist, an der Garderobe abgegeben.
Sie machen sich damit nur zum Büttel der von Ihnen getragenen Bundesregierung
— hören Sie zu, Herr Hinsken! — , „einer Bundesregierung", so schreibt der Verkehrswissenschaftler
Professor Seidenfus am 2. Dezember in der DVZ, „die
die Verkehrspolitik sträflichst vernachlässigt und anderen Regierungsinteressen untergeordnet hat".
Drei Verkehrsminister innerhalb von sieben Jahren unterstreichen die dauerhafte Vernachlässigung, ja Verlotterung der Verkehrsprobleme.
Es ist doch so, daß man bereits bei der Berufung von Herrn Dr. Zimmermann zum Verkehrsminister wußte, daß auch er nur ein Verkehrsminister auf Abruf ist. Daran sehen wir doch, welchen Stellenwert die Verkehrspolitik bei Ihnen überhaupt genießt.
Weder national noch europaweit wurde eine konsequente und vorausschauende Verkehrspolitik von Ihnen betrieben.
Das ist auch in dieser Legislaturperiode von diesem Verkehrsminister nicht mehr zu erwarten.
Der europäische Verkehrsmarkt steht vor einer gewaltigen Umbruchsituation. Was ist denn da für ein Handlungskonzept von der Bundesregierung bisher geboten worden, was haben Sie denn eben in dieser Rede für ein Handlungskonzept gehört, frage ich Sie? Die Bundesregierung steht mit absolut leeren Händen da, und die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung ist doch ein einziger großer Reparaturbetrieb. Mehr ist es doch nicht.
Die Bahnleitlinien, die eben hier so gelobt wurden — —
— Die Bahnleitlinien waren wirklich richtungsweisend, Herr Kollege Hinsken; die haben nämlich dem Bahnmanagement den Schwarzen Peter zugespielt. Die Änderungen der politischen Rahmenbedingungen wurden als zusätzlicher Flankenschutz angeboten. Das ist großmäulig angekündigt worden, aber es ist hinsichtlich des politischen Flankenschutzes überhaupt nichts getan worden. Der Kollege Jobst, der im Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn ist, hat in der letzten und vorletzten Sitzung dies in den Vorlagen des zuständigen Vorstandsmitgliedes doch lesen können. Ihre Bahnleitlinien sehen doch die Bundesbahn in erster Linie als ein Haushaltsproblem; Sie haben die Bahn bis zum heutigen Tage nicht als ein unverzichtbares Instrument für ein zukunftsgerechtes Gesamtverkehrssystem erkannt.
Die Bahnleitlinien, Herr Kollege Hinsken, haben — das ist unbestritten — zu einer personellen und materiellen Erschöpfung der Bahninfrastruktur geführt.
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Daubertshäuser
Was ist denn die reale Lage? Die reale Lage der Bahn ist: über sechs Millionen Überstunden bei den Bediensteten, Personalmangel bei den Lokomotivführern, Personalmangel bei den Rangierern, und es fehlt das Wagenmaterial. Das Ergebnis ist: Die Güter müssen tagelang auf ihren Transport warten, Personen- und Fernverkehrszüge sind überfüllt und wenig attraktiv,
und die Defizitentwicklung erklimmt neue Rekordhöhen. Der Kollege Weiss hat Zeitungsartikel vor sich liegen, die heute — überall in der deutschen Presse — zutreffend die Entwicklung beschreiben. Man kann sich hier nicht einfach hinstellen und sagen, da wird ein Horrorgemälde gemalt, und dann ist es okay. Die Zahlen sind nun mal so, die können Sie nicht einfach wegdiskutieren.
Sie haben mit diesen Bahnleitlinien den Schrumpfkurs verordnet. Ich sage Ihnen: Diese Bahnleitlinien sind endgültig gescheitert.
Ihre Politik hat dazu geführt, daß dieses konkurrenzlos umweltschonende Verkehrsmittel dank Ihrer famosen Planung kaum noch Kapazitätsreserven hat. Wir hatten in diesem Jahr Zuwachsraten von 2 bis 5 %; diese Zuwachsraten kann die Bahn noch nicht einmal verkraften. Hier zeigt sich doch: Schiene statt Straße, das war bestenfalls in den Sonntagsreden des jeweiligen Verkehrsministers vorgesehen, aber dies hat es nicht im realen Handeln gegeben.
Wenn Sie jetzt das Bahnmanagement wegen der steigenden Neuverschuldung und wegen der mangelhaften Attraktivität auf den Verkehrsmärkten kritisieren, so wird da wahrhaftig Ursache und Wirkung auf den Kopf gestellt.
Mit den von Ihnen vorgegebenen Rahmenbedingungen sind keine offensiven Strategien zu betreiben, um die nationalen und die europaweiten Chancen zu nutzen, d. h. Ihre Bahnleitlinien waren von Anfang an auf Schrumpfen angelegt, und deshalb sollten Sie nun nicht scheinheilig nach anderen Schuldigen suchen. Dann müßten Sie sich auch dazu bekennen. Sie haben das Unternehmen stranguliert, und Sie treiben es von Tag zu Tag stärker aus den Verkehrsmärkten heraus. Sie haben die Deutsche Bundesbahn dazu gebracht, daß sie in ihrem heutigen Zustand eben keine zukunftsgerechte Rolle spielen kann.
Wo haben Sie denn als Eigentümer die Rahmenbedingungen geschaffen, die es der Bahn erlauben, europaweit logistische Systeme anzubieten, was haben Sie denn getan, um die Schnittstellenproblematik zu lösen? Die Bahn ist unter Ihrer Knute heute allen anderen Verkehrsträgern weit unterlegen. Weil dies so ist, kann sich die Bahn nicht als Unternehmen profilieren, das frühzeitig gesellschaftliche Strömungen und Tendenzen erkennt und dann auch auf sie reagiert. Ihr Schrumpfkurs hat dazu geführt, daß der
Spruch von der Renaissance der Bahn ein schönes Märchen ohne realen Hintergrund ist.
Die heutige Bahn mit veralteten Organisationsformen hat keine Chance, Herr Dr. Jobst. Großvaters Eisenbahn, die Sie offensichtlich wollen, ist nicht die zeitgemäße Antwort auf die heutigen Verkehrsprobleme. Wenn Sie wirklich eine neue Bahn wollen, die eine souveräne Führungsrolle in einem Gesamtverkehrskonzept spielen kann, wenn Sie eine wirkliche Renaissance wollen, dann müssen Sie die Normen endlich der Wirklichkeit anpassen.
Dann müssen Sie, Herr Dr. Jobst, unsere Gesetzentwürfe annehmen, und dann müssen Sie diese schnell und wirkungsvoll umsetzen. Dann helfen Sie, eine Renaissance herbeizuführen.
— Herr Kollege Oswald, ich vermute, Sie haben noch nicht mal die Gesetzentwürfe gelesen. Ihre genaue Unkenntnis der Dinge ist schon beeindruckend; das muß ich Ihnen sagen.
Unsere These Nummer eins: Nötig ist ein integriertes Gesamtverkehrskonzept, und zwar national und europaweit. Die jahrelangen Versäumnisse der Verkehrspolitik und das sektorale Denken und Handeln der Verkehrsträger haben die notwendigen Neuordnungen des Verkehrswesens zu einem integrierten und optimierten Gesamtsystem ganz einfach verschlafen. Sie haben isolierte Entwicklungen der einzelnen Verkehrsträger sogar begünstigt. Es ist aber Allgemeingut, das kein Verkehrsträger allein imstande ist, die Anforderungen an ein wirklich rationelles Verkehrssystem zu erfüllen. Weder national noch europäisch ist das möglich.
Wer ein lebensfähiges Gesamtverkehrssystem für Europa schaffen will, der muß die Eisenbahninfrastruktur wiederbeleben.
Ich finde, es ist ein Treppenwitz: Die Industrie hat Lokomotiven und Güterwagen für Hochleistungsverkehre entwickelt. Diese müssen aber überall an den Grenzen wegen anderer Stromsysteme ausgewechselt werden.
Die Zollformalitäten nehmen Stunden in Anspruch. Jeder kocht hier sein nationales Süppchen. Das ist der entscheidende Grund, weswegen der Bahnanteil im internationalen Verkehr noch rascher sinkt als im Inland. Überzogene Bürokratie, Papierkrieg, formalistische Behandlung der Transporte sind Schranken und
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Daubertshäuser
Hemmnisse für den europäischen Schienenverkehr, die schleunigst abgebaut werden müssen. Da muß selbstverständlich die Politik ran.
Jeder Verkehrsträger hat seine arteigenen Vorzüge im Hinblick auf die Umwelt, auf die Transportökonomie, auf die Sicherheit, auf den Energieverbrauch usw. Die müssen voll zum Tragen kommen, d. h. die Einzelsysteme müssen deshalb mit ihren jeweiligen Stärken zu optimalen Transport- und Beförderungsketten verknüpft werden.
Unsere zweite These ist: Eine leistungsfähige Infrastruktur ist unabdingbare Voraussetzung für jeden Verkehrsträger. Das heißt, der Wettbewerb der Systeme geschieht nicht im luftleeren Raum. Alle Systeme sind auf dieses Komplementärgut Infrastruktur angewiesen. Nur, diese Infrastruktur ist nicht über den Markt produziert und verteilt worden. Sie ist auf Grund politischer Entscheidungen von uns allen produziert worden.
Wir wissen, daß nach dem Kriege einschließlich der S-Bahnen nicht einmal 1 000 km Schienenstrecken neugebaut wurden. Aber gleichzeitig sind über 150 000 km Straßen neu entstanden. Mit diesen Baumaßnahmen hat das Verkehrssystem Straße eine Förderung erhalten, die ordnungspolitisch nicht umfassender und wirkungsvoller hätte sein können. Das ist in Beton gesetzte Ordnungspolitik, die die Produktionsstrukturen des Verkehrssystems Straße konkurrenzlos und die des Verkehrssystems Schiene chancenlos gemacht hat. Dies muß man erkennen.
Dann sieht man auf der anderen Seite, daß der Individualverkehr und der Güterverkehr auf der Straße explodieren. Die Folgen sind verstopfte Straßen und Städte. Dieser drohende Verkehrsinfarkt kann nur verhindert werden, wenn die Verkehrspolitik an Haupt und Gliedern neu positioniert wird. Wenn wir diese Arbeit nicht leisten, können Sie alles andere vergessen.
Ich sage Ihnen auch: Nicht die Fiskalisten dürfen die Vekehrspolitik dominieren. Die Verkehrspolitik muß selbstbewußt ihre eigenständigen Ziele definieren und dann auch entsprechend handeln.
Der letzte Verkehrsminister, der in Sachen Bahn handelte, war Volker Hauff mit der Bahn-Novelle.
Alle Verkehrsminister nach ihm verdrängten das Problem und haben sich zur Dienstreise in den Schlafwagen begeben.
Wenn die Bundesregierung nicht aufwacht, wird die Bahn bald an der Endstation stehen. Und ich sage Ihnen: dann nicht nur die Deutsche Bundesbahn, sondern das gesamte deutsche Verkehrswesen; denn im künftigen europäischen Wettbewerb wird kein Verkehrsträger zu Lasten des anderen profitieren. Der Partnerschaftsgedanke muß auch hier endlich verinnerlicht werden.
Die Schiene hat einen großen Investitionsnachholbedarf, Herr Hinsken.
Das Schienennetz muß leistungsfähig für Hochleistungsverkehre ausgebaut werden. Unabdingbar gehört hierzu auch ein erheblicher Neu- und Ausbaubedarf im Bereich des grenzüberschreitenden Schienenverkehrs.
Die bisher unter nationalen Aspekten geplanten Hochleistungsverkehrsnetze der europäischen Bahnen müssen miteinander verknüpft werden. Das europäische Hochleistungsschienennetz läuft übrigens in allen Nachbarländern mit hoher Geschwindigkeit auf seine Vollendung zu. Aber die notwendigen politischen Entscheidungen über die Neubaustrecken der Deutschen Bundesbahn stehen immer noch aus. Es ist doch ein Trauerspiel, daß wir im Bundesverkehrswegeplan 1985 eine Trasse Rhein/Main—Rhein/Ruhr ausgewiesen haben und bis zum heutigen Tag noch keine endgültige Entscheidung gefallen ist.
Unsere Bahnstrecken, Herr Kollege Jung, sind zum Flaschenhals im europäischen Netz geworden. Das können Sie nicht bestreiten.
Feierliche Absichtserklärungen allein werden die europäische Integration der Bahn nicht verbessern. Die Bundesregierung hat es doch bis heute versäumt, den notwendigen Druck auszuüben, was das europäische Hochleistungsschienennetz angeht. Sie hat nicht nur nicht gedrückt, sie sitzt sogar im Bremserhäuschen. Wir sind im Hochleistungsverkehr nämlich weder die ersten noch die besten. Aber gerade bei unserer Problemlage als Kern- und Transitland Nummer eins sollten wir den Ehrgeiz im Interesse unserer Menschen und unserer Umwelt auf jeden Fall haben.
Unsere These drei: Problemlösungen im Güterverkehr bedürfen der Kooperation der Verkehrsträger. Sie wissen: Der Güterverkehr stellt uns vor immer größere Probleme. Diese Probleme sind in dem Umfang gewachsen, in dem die Eisenbahn ihr Transportaufkommen verloren und der Straßengüterverkehr hohe Zuwächse verzeichnet hat.
Mit dem wachsenden Lkw-Verkehr werden wir schon jetzt kaum noch fertig. Die negativen Aspekte des Straßengüterverkehrs werden immer deutlicher. Es droht bereits eine neue Lkw-Lawine; denn im Zuge des EG-Binnenmarktes, aber auch durch den Umbruch in Osteuropa und in der DDR wird der Straßengüterfernverkehr erneut zunehmen. Das gilt insbesondere bei uns für den Transitverkehr. Die Menschen sind immer weniger bereit, mit den Lärm- und Abgasemissionen der europäischen Transportfahrzeuge zu leben.
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Daubertshäuser
Ich sage Ihnen: Das Nachtfahrverbot in Tirol ist nur die Spitze des Eisberges.
In anderen Ländern wird es ähnliche Entwicklungen geben. Die Bundesregierung täte gut daran, sich darauf einzustellen und nicht mit Vergeltungsmaßnahmen zu reagieren, sondern mit Konzepten, die allen in Europa helfen.
Wir müssen den Güterfernverkehr, Herr Kollege Hinsken, auf die Schiene umsteuern. Hierzu gibt es auch seriöse Alternativen.
Das Straßennetz können und dürfen wir nicht mehr ungezügelt ausbauen. Die Bundesbürger wollen in ihren Wohn- und Lebensbereichen nicht mehr, sie wollen weniger Verkehrslärm und weniger Verkehrsbelastung.
Ich glaube, das können Sie doch nachvollziehen. Der Zeit- und Energieverlust, der auf Grund von Straßenstaus in der EG entsteht, liegt jährlich bei über 200 Milliarden DM. Die Antwort darauf kann nicht mehr Straßenbau sein. Die Antwort der Vernunft ist: Ausbau und Förderung des umweltfreundlichen Schienenverkehrs.
Die bisherigen Wettbewerbsstrukturen können ein Umsteuern auf die Schiene nicht leisten. Im Gegenteil: Sie begünstigen sogar den Lkw-Fernverkehr. Deswegen müssen wir darangehen und das Steuersystem ändern; denn bisher steht das Steuersystem unserem Ziel entgegen, das verkehrspolitisch erreicht werden soll, nämlich Güter über große Entfernungen verstärkt auf die Schiene zu bringen und das Sammeln und Verteilen der Güter als Aufgabe des Lkws zu sehen.
Im Nahverkehr wird es keine Alternative zum Lkw geben. Aber im Fernverkehr müssen wir dies auf jeden Fall bewerkstelligen. Ich sage: Notwendig ist deshalb auf jeden Fall eine europaweite Erhöhung der Mineralölsteuer. Wir müssen den Energieverbrauch auf der Straße verteuern.
Wann jedoch eine europäische Lösung möglich sein wird, ist völlig ungewiß. Deshalb müssen wir mit nationalen Maßnahmen vorangehen. Wir haben vor vier Jahren die Idee der Schwerverkehrsgebühr geboren. Sie haben vier Jahre gebraucht, um sie nun endlich in einen Kabinettsbeschluß einmünden zu lassen. Wir begrüßen das. Nur, diese Schwerverkehrsgebühr kommt vier Jahre zu spät. Es ist wertvolle Zeit durch Ihr Zögern vertan worden.
Unsere These vier: Das integrierte Verkehrssystem bedarf leistungsfähiger Verknüpfungspunkte. Wenn Sie sich die Schnittstellen heute anschauen, wissen
Sie, daß gerade sie die entscheidenden Schwachstellen sind. Wir müssen sie zu leistungsfähigen und attraktiven Verknüpfungspunkten ausbauen, weil erst dadurch die Zusammenarbeit der verschiedenen Verkehrsträger im Rahmen von Transportketten ermöglicht wird.
Wir müssen hier auch die organisatorischen Mängel abbauen. Nötig ist ein Datenaustausch. Nötig sind garantierte Transportzeiten. Die nationalen Kombiverkehrsgesellschaften müssen ihre Zusammenarbeit intensivieren. Sie müssen auch eine schlagkräftige Tarifpolitik entwickeln. Nötig ist ein europaweites Netz von Terminals für diesen kombinierten Verkehr. Wir müssen uns danach richten, wo die Regionen mit einem hohen Verkehrsaufkommen sind. Zwischen diesen Terminals muß der Transport mit durchgehenden Ganzzügen und ohne Rangieraufenthalte erfolgen.
— Wenn es dort keinen Streit gibt, warum wird das denn nicht getan?
Die konzeptionelle Grundstruktur liegt doch vor. Es ist ja nicht so, als müßte das erst erarbeitet werden. Hier werden vom Verkehrsminister doch wiederum Ursache und Wirkung auf den Kopf gestellt. Hier wird die Bahn kritisiert, die Haushaltsmittel für den kombinierten Ladeverkehr seien nicht abgerufen worden. Aber das Ausbau- und das Standortkonzept liegt seit Monaten beim Bundesverkehrsminister vor. Statt unverzüglich zu entscheiden und mit einem Beschleunigungsprogramm, wie wir es in der Haushaltsdebatte gefordert haben, in die Realisierung zu gehen, blockiert Herr Dr. Zimmermann doch die Aktivitäten der Bahn.
Der Grund ist wirklich schon fast skandalös: Einerseits will er das Konzept öffentlichkeitswirksam vorstellen, andererseits kann er aber wieder einmal keinen Termin finden. Herr Minister, Sie sollten weniger über PR-Gags und Schaueffekte nachdenken, Sie sollten endlich verkehrspolitisch handeln.
Sie sollten dann Ihre Nachlässigkeiten und Versäumnisse auch nicht anderen in die Schuhe schieben. Da kann man nicht den Schwarzen Peter dem Management zuspielen.
Unsere Bevölkerung und auch die Wirtschaft sind auf eine leistungsfähige und gesunde Bahn angewiesen. Wir alle kennen die Vorteile der Bahn. Deshalb braucht diese Bahn dringend eine neue Struktur unter Berücksichtigung der geänderten ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen. Sie braucht auf jeden Fall faire Chancen. Sie braucht die gleichen Bedingungen wie ihre Konkurrenten. Der Staat muß deshalb wie bei den Straßen die Kosten für den Bau und die Erhaltung des Schienenwegenetzes übernehmen, Herr Dr. Zimmermann. Selbstverständlich wird die Bahn dann Gebühren entsprechend dem Umfang der Schienennutzung zahlen, ähnlich wie das der Straßenverkehr über die Mineralölsteuer tut. Der Staat muß selbstverständlich die Verluste der Bahn
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Daubertshäuser
tragen, die auf Grund von Aufgaben erwachsen, die ihr der Staat im Interesse der Allgemeinheit auferlegt hat.
Das ist unser Konzeptansatz, so wie er in unseren Bahngesetzen und in unserem Antrag dargestellt ist. Diese existentiellen Probleme der Bahn dürfen nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden. Es ist doch seit Jahren offenkundig, welche Maßnahmen nötig sind, um der Bahn endlich die Wettbewerbsbedingungen zu geben, die ihre Konkurrenten schon lange haben. Regierungshandeln ist hier überfällig.
Eine zukunftsgerechte Verkehrspolitik benötigt eine grundlegend neue Orientierung. Unser Ansatz ist, daß man die Verkehrsträger und die Verkehrsunternehmen mit den notwendigen Beförderungs- und Transportaufgaben so ausgestaltet, daß sie ökonomisch sinnvoll und menschen- und umweltgerecht zu leisten sind. Hierfür hat die Verkehrspolitik nun einmal die notwendigen Strukturen zu schaffen.
Das Verursacherprinzip muß stärker Geltung erhalten. Das gilt bis in den Kostenbereich hinein, bis zu den externen Kosten, die sich adäquat dann auch in Preisen niederschlagen müssen. Auf diese Weise wird doch die von Ihnen viel gerühmte dynamische Funktion des Marktes auch endlich in den Dienst der Verkehrspolitik gestellt.
Wir wollen die Lenkungsfunktion des Marktes durch eine sinnvolle Ordnungspolitik stärken. Weil der Markt nun einmal gesellschaftspolitische Erfordernisse nicht berücksichtigt, muß der Staat die Rahmenbedingungen setzen.
Wir sagen schließlich: Die Investitionen müssen genutzt werden als direkte Steuerungsmöglichkeiten für eine ökonomische, ökologische und humane Verkehrspolitik. Der gezielte Einsatz dieser drei Elemente
— staatliche Rahmenbedingungen, marktwirtschaftliche Anreize über den Preis und gezielte Investitionen
— führt zu einer neuen und gesamtwirtschaftlich besseren Kombination der einzelnen Verkehrsträger und Verkehrsleistungen.
Die Verknüpfung der einzelnen Verkehrsträger zu einem ökologisch und ökonomisch intelligenten Gesamtsystem wird doch, Herr Kollege Hinsken, erst dadurch möglich; diese Grundstruktur müssen wir schaffen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir beschreiben nicht nur Probleme, sondern wir haben auch die Lösungen.
Die Bahn gehört, obwohl sie über 150 Jahre auf dem Buckel hat, Herr Kollege Jobst, noch lange nicht zum alten Eisen. In ihr stecken ganz gewaltige Innovationspotentiale. Aber diese Innovationspotentiale müssen endlich zum Nutzen unserer Gesellschaft erweckt werden. Dafür ist Handeln notwendig. Wir warten schon seit Jahren auf dieses Handeln, obwohl alle Vorschläge auf dem Tisch liegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jobst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Polemik, auf die in einer solchen Debatte nicht verzichtet werden kann, muß doch, glaube ich, eines vorausgestellt werden. Wir sind uns alle weitestgehend einig in der Zielsetzung der Bahnpolitik. Wir wollen eine leistungsfähige, eine moderne, eine attraktive Bahn.
Lieber Herr Kollege Daubertshäuser, ich bescheinige Ihnen gerne verkehrspolitischen Sachverstand. Aber ich muß sagen, ich habe von Ihnen schon eine weitaus bessere Rede gehört als heute.
Es war offenbar eine vorgezogene Wahlkampfrede.
Aber lassen Sie sich versichern: Wir werden auch nach 1990 den Bundesverkehrsminister stellen, so daß Sie sich nicht so anstrengen müssen.
Sie wollten ja mit Ihrer Polemik heute die Versäumnisse überdecken, die in Ihrer Regierungsverantwortung entstanden sind.
Unter Ihrer Verantwortung ist die Bundesbahn an den Rand des Abgrunds gefahren worden. Wir haben die Bahn davon wieder weggebracht, und aufs richtige Gleis gesetzt. Wir haben sie wieder aus dem Sackbahnhof herausgeholt.
Wir stimmen dem verkehrspolitischen Konzept der Bundesregierung zu. Wir danken dem Bundesverkehrsminister für seine verkehrspolitischen Initiativen.
Wir danken ihm für den Einsatz und auch für die Vorgaben — gerade in der Bahnpolitik.
Die Verkehrspolitik steht vor einer großen Herausforderung. Wir führen die verkehrspolitische Debatte heute vor dem Hintergrund gewaltiger Umwälzungen in Deutschland, in den Ostblockländern. Die Öffnung der Grenzen schafft neue Dimensionen, neue Perspektiven, neue Aufgaben im Verkehr. Sie bringt aber auch eine gewaltige finanzielle Herausforderung in der Verkehrspolitik. Damit die Menschen in Ost und West zusammenkommen, damit der Warenaustausch
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13937
Dr. Jobst
stärker vorankommen kann, brauchen wir gute Verkehrsverbindungen. Bisher waren die Verkehrsinvestitionen in erster Linie in Nord-Süd-Richtung geplant; entsprechend wurde gebaut. Jetzt müssen wir Ergänzungen in Ost-West-Richtungen haben. Dazu brauchen wir bessere Straßen, die zur DDR, zu den Ostblockstaaten führen.
Aber eine zentrale Aufgabe kommt der Bahn zu. Berlin muß mit neuen Magistralen angebunden werden, bestehende Strecken müssen verbessert werden. Ich bin der Meinung, daß Osteuropa in das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz eingebunden werden muß. Der Verkehrswegeplan muß überprüft werden. Die Investitionen, die erforderlich sind, werden nicht an der Grenze von uns haltmachen dürfen, sondern müssen nach meiner Überzeugung darüber hinausgehen.
Wir stehen vor einer großen Herausforderung.
Ich möchte den Eisenbahnern, auch namens meiner Fraktion, herzlich Dank sagen für ihren Einsatz bei der Bewältigung des Besucherstromes aus der DDR.
Unsere Eisenbahner haben zusammen mit anderen Organisationen Vorbildliches geleistet.
Die Bundesbahn ist unverzichtbar. Dieser Satz hat allgemeine Gültigkeit erlangt.
— Ihre Phrasen können Sie für sich behalten, Herr Kollege Weiss. —
Die Bahn ist nötiger denn je. Sie ist für uns kein Auslaufbetrieb. Die Bahn ist das Verkehrsmittel, das in der Zukunft dringend benötigt wird. Sie ist eigentlich die einzige Alternative zu dem völlig überforderten Straßennetz und zu dem überforderten Luftverkehr. Der Verkehrsinfarkt auf der Straße und in der Luft ist nahezu schon eingetreten. Die Verstopfung unserer Straßen in den Großstädten, die Staus auf den Autobahnen, die erheblichen Verspätungen im Luftverkehr, die ich gestern wieder persönlich erlebt habe, sind Alarmzeichen.
Wir wissen natürlich, daß auch die Bundesbahn ihre Probleme hat. Wir wissen, daß sie Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Betriebes hat. Wir haben Sorge, daß sie den Weihnachtsverkehr vernünftig abwickeln kann; äußerste Anstrengungen sind notwendig. Und wir haben natürlich auch große Sorgen um die Finanzentwicklung bei der Bahn.
Auf die Bahn kommen schon aus diesem Grunde gewichtige Aufgaben zu.
Mit dem Verkehrsmittel Schiene sind Begriffe wie Sicherheit, Umweltschutz, Energiesparen, Zuverlässigkeit verbunden. Und mit dem Begriff Zuverlässigkeit hat es bei der Bahn, glaube ich, eine besondere Bewandtnis: Wenn es bei der Bahn 10 Minuten Verspätung gibt, dann gibt es helle Aufregung. Wenn man auf den Flughäfen stundenlang warten muß, dann ist das heute zur Selbstverständlichkeit geworden.
Wir sind uns in der Zielsetzung hinsichtlich der Bahn einig: Eine leistungsfähige, attraktive, aber auch eine bezahlbare Bahn ist erforderlich.
Die Mobilität der Menschen wird weiter zunehmen. Es wird mehr Wohlstand, mehr Freizeit, mehr Freiheit im Osten geben. Die Entwicklung des Verkehrs ist nur zu bewältigen, wenn alle verfügbaren Verkehrssysteme integriert werden. Wir brauchen die Bahn, wir brauchen die Straße, die Binnenschiffahrt und den Luftverkehr.
Die Zukunft im Verkehr, insbesondere im europäischen Verkehr, liegt nicht in der Konkurrenz der verschiedenen Verkehrsträger, sondern in einer sinnvollen Kombination der Verkehrsträger.
Ich sage auch hier im Rahmen der Bahn-Debatte: Eine autofeindliche Politik ist irreal. Unsere Gesellschaft ist auf das Auto angewiesen. Wir können auf das Auto nicht verzichten.
In der Fläche sind Pkw und Lkw nicht zu ersetzen. Die Entwicklung der ländlichen Räume wäre ohne die Straße, ohne Pkw und Lkw nicht möglich gewesen. Die Konsequenz wäre eine Abwanderung in die Ballungsräume mit der Folge gewesen, daß dort ganz gewaltige Aufgaben entstanden wären.
Die Aufgaben der Verkehrswirtschaft und die Herausforderungen in der Verkehrspolitik werden größer. Ich bin der Überzeugung, daß der Transrapid — die Magnetbahntechnik — , wenn er einsatzfähig, wenn er serienreif ist,
bei steigendem Verkehr im nächsten Jahrhundert als Ergänzung des Schienen- und des Luftverkehrs Bedeutung erlangen wird.
Die Vorwürfe der Opposition, die sie uns heute gemacht hat, waren zu erwarten. Aber, lieber Herr Kollege Daubertshäuser, das Eis für die Schiene haben wir gebrochen. Das war doch Folge unserer Politik.
Was ist denn in den 70er Jahren, in der Zeit, als Sie
Verantwortung trugen, geschehen? Wann sind denn
13938 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Dr. Jobst
die meisten Autobahn-Kilometer gebaut worden? Von 1966 bis 1980 sind die meisten Autobahnen in unserem Lande gebaut worden.
Wir haben es wieder möglich gemacht, daß die Bahn Zukunftsinvestitionen tätigen kann. Sie haben der Bahn und den Eisenbahnern nur große Versprechungen gemacht.
Die Politik der Bundesregierung unter Helmut Kohl hat den dringenden Nachholbedarf der Bahn erkannt, und sie hat dazu beigetragen, daß die Bahn wieder aufholen konnte. Die Bahn hat unter unserer Verantwortung auch den politischen Rückhalt für ihre Investitionsmaßnahmen bekommen.
Mehr als 40 Milliarden DM wurden bzw. werden von 1983 bis 1990 in die Zukunft der Bahn investiert. Das ist eine gewaltige Summe, an deren Realisierung — da schließe ich Sie mit ein, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD — 1982 viele kaum zu glauben wagten. Für das Haushaltsjahr 1990 sind wieder Bruttoinvestitionen in Höhe von 5,3 Milliarden DM vorgesehen. Hierfür wird ein Bundeszuschuß in Höhe von 4 Milliarden DM gewährt. Neben dem Streckenausbau und der Modernisierung vorhandener Strekken sind 41 neue ICE-Züge mit jeweils zwölf Mittelwagen zu erwähnen, durch die der Personenfernverkehr noch mehr an Attraktivität gewinnen wird.
Von den 25 Milliarden DM, die der Verkehrshaushalt, den wir in der letzten Woche verabschiedet haben, umfaßt, werden 13,7 Milliarden DM für die Bahn zur Verfügung gestellt. Wenn Sie das auf 61 Millionen Einwohner in unserem Lande umrechnen, dann entfallen auf jeden Einwohner 224 DM. Der Vorwurf der Opposition, der Bund tue nicht genügend für die Bahn, ist eine grobe Irreführung.
Aber, wichtig ist auch: Die Bahn darf nicht unbezahlbar werden. Die Bahn befindet jetzt in einer Übergangsphase. Sie muß sich schnell und mit großer Energie auf die Veränderung in der Wirtschaft und im Verkehr einstellen. Die Versäumnisse der 70er Jahre, die Sie von der SPD zu verantworten haben, hängen ihr noch schwer am Bein.
Die Bahn hat in den letzten Jahren große Leistungen im Bereich der Modernisierung und Rationalisierung erbracht. Das wird dankbar anerkannt. Diese Arbeit muß weitergehen. Die Bahn hat in den letzten Jahren in einem schwierigen Umfeld viel getan, um ihre Attraktivität zu steigern, und zwar bei erhöhtem Preisdruck und obwohl die Massenguttransporte einen Rückgang erfahren haben.
Die Bahn hat ihren Personalbestand von über 400 000 Mitarbeiter auf rund 240 000 Mitarbeiter reduziert. Dies ist eine gewaltige Leistung bei steigendem Verkehrsaufkommen und ohne Entlassung. Ohne diese Tat wäre die Bahn heute nicht mehr bezahlbar. Dem Vorstand, den Eisenbahnern, den Personalräten und den Gewerkschaften gelten unser Dank und unser Respekt.
Hinter diesen Zahlen verbergen sich große Belastungen. Ich nenne nur notwendige Umsetzungen, den Einsatz weit entfernt vom Wohnort, enttäuschte Erwartungen beim beruflichen Aufstieg, Überstunden, Urlaubsrückstände.
Wir wissen, daß wir heute Engpässe in einigen Dienstzweigen haben, insbesondere in den Ballungsräumen. Wer mit der Bahn fährt, weiß, daß es auch in der Betriebsabwicklung Schwierigkeiten gibt. Wir sagen ja zur Rationalisierung; sie muß weitergehen. Wir meinen aber auch, daß sich die Bahn nicht kaputtsparen darf. Das erforderliche Personal, insbesondere das qualifizierte Personal, muß zur Verfügung stehen.
Wir sind dafür, daß die Überstunden so weit wie möglich durch finanzielle Abgeltung ausgeglichen werden. Im Prinzip meinen wir aber, daß der Freizeitausgleich beibehalten werden sollte. Die Bahn hat zu allen Zeiten befähigte, einsatzbereite und treue Mitarbeiter gehabt. Dies ist ein wertvolles Kapital für das Unternehmen. Diese wichtige Basis muß bei der Bahn erhalten bleiben.
Die Leitlinien der Bahn von 1983 waren richtig. Die wirtschaftliche Lage hat sich in den letzten Jahren konsolidiert. Leider konnte die Bahn nicht saniert werden. Zu sehr waren die überholten und kostenträchtigen Strukturen festgefahren. Die Horrorzahlen aber, die die SPD an die Wand gemalt hat, indem sie von einer Verschuldung von 80 Milliarden, 90 Milliarden DM und von einem Defizit von 10 Milliarden DM gesprochen hat, sind nicht eingetreten. Wir wissen, daß es ohne Geld nicht geht. Finanzielle Leistungen sind nötig. Aber ich stimme dem Bundesverkehrsminister zu: Geld alleine hilft nicht. Die Strukturen müssen sich ändern.
Entscheidend sind bei der Bahn die Steigerung der Produktivität, die Verbesserung der Marktstellung und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit.
Die Bahn kann nicht wettbewerbsfähig sein — das sage ich auch — , wenn ihr gemeinwirtschaftliche Leistungen aufgebürdet werden, die nicht oder nur zum Teil abgegolten werden. Diese Frage muß von uns stärker aufgegriffen werden.
Die Bahn hat Zukunft, wenn sie eine Eisenbahn der Zukunft ist, wenn sie den modernen Herausforderungen gewachsen ist. Die GRÜNEN wollen die Eisenbahn mit ihren Anträgen konservieren. Die bisherigen Schutzgesetze haben der Bahn nicht geholfen. Viel Verkehr ist an der Bahn vorbeigefahren. Die Bahn der Großväter hat keine Zukunft. Wir brauchen das Hochgeschwindigkeitsnetz. Darauf ist mit allem Nachdruck hinzuwirken. Wir brauchen die maßgebliche und wichtigste ICE-Strecke Köln—Frankfurt.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13939
Dr. Jobst
Die Entscheidung muß umgehend herbeigeführt werden.
Aber es darf keine Vorortstrecke gebaut werden. Wir brauchen eine Schnellstrecke. Die schnellste, die wirtschaftlichste und die umweltfreundlichste Trasse muß gebaut werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haar?
Bitte schön, Herr Kollege Haar.
Herr Kollege Jobst, Sie haben eben formuliert, die Frage der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen der Bahn — das wüßten Sie und Ihre Fraktion — müsse stärker aufgegriffen werden. Ich frage Sie, was Sie unter „stärker aufgreifen" verstehen und wann die Regierungskoalition die Entscheidungen darüber herbeiführen will?
Herr Kollege Haar, Sie wissen, daß jetzt eine Regierungskommission eingesetzt wurde, der auch Sie angehören, und daß zu dieser Frage von dort auch Antworten kommen.
Die DB muß ihre arteigenen Vorteile besser nutzen. Knotenpunktverkehr, kombinierter Verkehr müssen besser entwickelt werden, Transportketten müssen noch stärker eingesetzt werden. Wichtig ist für uns — darauf werden noch Kollegen eingehen — , daß die Voraussetzungen geschaffen werden, um einen großen Teil des Alpentransitverkehrs auf der Schiene abwickeln zu können.
Herr Präsident, wenn Sie mir die Zeit gutschreiben, dann bin ich bereit, die Zwischenfrage zuzulassen.
Ich schreibe sie gut. — Herr Kollege Haar.
Herr Dr. Jobst, darf ich aus der Antwort auf meine Frage schließen, daß die Regierungskoalition überhaupt nicht daran denkt, von sich aus tätig zu werden, sondern abwartet, bis die Regierungskommission „Bundesbahn" Ende 1991 oder gar erst 1992 sozusagen verhandlungsreife Vorschläge in dieser Frage unterbreitet?
Herr Kollege Haar, Sie wissen, die Entscheidungen für die Bahn im Jahr 1990 ergeben sich aus dem Haushalt. Die darüber hinausgehenden wichtigen und weitreichenden Entscheidungen werden auf der Grundlage des Berichtes dieser Regierungskommission zu treffen sein.
Neue Chancen für die Bahn wird der Ost-West-Verkehr bringen. Eine entscheidende Bewährungsprobe für die Bahn wird auch der EG-Binnenmarkt bringen. Der grenzüberschreitende Verkehr ist bisher an der Bahn im wesentlichen vorbeigefahren. Hier liegen große Chancen. Ich meine, die Eisenbahn muß europäische Gestalt annehmen: in der Betriebsführung und im Marketing. Attraktive Transportketten müssen über die Grenzen hinweg geschaffen werden. Die Flughäfen müssen an das ICE-Netz angebunden werden.
Aber ich sage auch: Die modernen Züge dürfen an den ländlichen Regionen nicht vorbeifahren.
Hier müssen Anschlußverbindungen zu den ICE-Knoten geschaffen werden. Die Bahn hat ihre Aufgaben auch im Nahverkehr und das nicht nur in den Ballungsräumen. Deshalb darf es einen Rückzug aus der Fläche nicht geben.
Das besagt nicht, daß die Bahn dort nicht das modernere, das bessere Verkehrsmittel einsetzen und mit anderen Verkehrsträgern kooperieren kann.
Im ländlichen Raum sind Lkw und Pkw weiter notwendig. Sie haben ihre Bedeutung. Ihre Politik der massiven Verteuerung des Benzins, Herr Kollege Daubertshäuser, die Sie hier vertreten haben, ist eine Kriegserklärung an den ländlichen Raum.
Diese Schröpfungspolitik gegenüber unseren Bürgern und Autofahrern ist unsozial, und sie ist grenzlandfeindlich.
Diese Politik ist doppelzüngig und heuchlerisch. Wenn vor Ort die SPD-Vertreter mehr Straßenbau, mehr Mittel für den Straßenbau fordern, aber hier in Bonn massive Kürzungsanträge stellen, dann ist das eine doppelzüngige Politik.
Doppezüngig ist auch, wenn das Lied von der Bahn hier gesungen wird, vor Ort aber Neubau-, Ausbauvorhaben der Bahn blockiert werden. Ich denke nur an den Rangierbahnhof in München.
Die Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage der DB ist in den letzten Jahren durch gewaltige Anstrengungen der Unternehmensführung und der Mitarbeiter der DB gelungen. Diese Leistungen werden auch in den nächsten Jahren erforderlich sein.
Mit dem Kabinettsbeschluß vom 1. Februar 1989 hat die Bundesregierung eine Weichenstellung für die Bahn vorgenommen. Über 20 Jahre lang wurde die Übernahme der Altschulden der DB vom Bund gefordert. Ich erinnere mich noch an die großen Wahlkampfversprechungen des damaligen Kanzlerkandidaten Brandt von 1965. Jetzt haben wir dies erreicht. Die Altschulden werden der Bahn weggenommen.
Der Bund wird sich an den Fahrwegkosten der Bahn beteiligen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist ein Bekenntnis des Eigentümers Bund an seine Bahn.
13940 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Dr. Jobst
Die Bundesregierung hat damit dokumentiert, daß sie bei ihren Zukunftsplänen auf die Bahn setzt.
Ich darf hinzufügen: Die Koalitionsgruppe Bahn hat dazu eine wichtige Vorarbeit geleistet. Der Einsatz der Bahnkommission hat ihren Sinn. Wir wollen, sehr verehrter Herr Kollege Daubertshäuser, die Verkehrspolitik auch nach 1990 verantwortlich gestalten. Wir wollen sie nicht in falsche Hände geben.
Die Bahn der Zukunft braucht mutige Entscheidungen. Wir brauchen einen breiten Konsens in unserem Lande, um die Grundprobleme der Bahn zu bereinigen. Wir brauchen auch ein neues Eisenbahnbewußtsein, das von alten, überholten Vorstellungen Abschied nimmt.
Ich freue mich, daß Sie, Herr Kollege Haar, in diesem Gremium mitarbeiten.
Die Unternehmensstruktur der Bahn stammt aus dem Jahre 1951. Die Bahn braucht eine neue Organisationsstruktur, die den gesamten verkehrswirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnissen Rechnung trägt. Der Vorstand benötigt vor allem eine größere unternehmerische Handlungsfreiheit und dazu die entsprechenden Führungsinstrumente.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den von der SPD-Fraktion vorgelegten Gesetzentwürfen und zu den Anträgen der GRÜNEN ist zu sagen: Nach unserer Auffassung wird das Bundesbahngesetz sicherlich zu ändern sein. Aber diese vielfältigen Auswirkungen auf die gesamte Verkehrswirtschaft müssen bedacht werden. Die umfassende Novellierung, die auch nach unserer Auffassung durchaus erforderlich ist, muß von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden. Die eingesetzte Bahnkommission muß dazu die erforderlichen Vorarbeiten leisten. Sorgfalt geht hier vor Schnelligkeit. Die Koalitionsarbeitsgruppe Bahn hat dieser Kommission gewisse Vorgaben gemacht, die in die Beschlußempfehlung zur Bundestagsdrucksache 11/4093 eingeflossen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Eisenbahner wissen, daß die CDU/CSU hinter der Vorwärtsstrategie der Deutschen Bundesbahn steht.
Sie wissen auch, daß wir nicht die leeren Versprechungen machen, die von 1966 bis 1982 gemacht wurden. Die Bundesbahn ist unsere Bahn. Sie ist und bleibt ein wichtiger Faktor als Verkehrsträger für die Bevölkerung und für die Wirtschaft. Ich möchte schließen: Die Deutsche Bundesbahn ist ein Hoffnungsträger im Verkehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Weiss.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während sich die Bundesregierung weigert, die notwendigen Schritte zur Sanierung der Deutschen Bundesbahn jetzt zu unternehmen, und dringend notwendige Entscheidungen auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl vertagt, sind im Alltag der Bahn die negativen Auswirkungen der Leitlinien der Bundesregierung zur Konsolidierung der Bahn aus dem Jahre 1983 deutlich zu spüren. Am Ende des Jahres, zu dessen Beginn der damalige Verkehrsminister Dr. Warnke angekündigt hat, es werde das Jahr der Bahn, müssen wir feststellen: Die Bahn steht vor dem finanziellen Ruin. Das ist das Ergebnis von sechs Jahren Leitlinien der Bundesregierung.
Die Pünktlichkeit der Züge hat nachgelassen. Immer häufiger treten Betriebsstörungen oder Fahrzeugschäden auf, die erhebliche Verspätungen der Züge nach sich ziehen. Verspätungen von bis zu einer Stunde im Personenverkehr oder von bis zu sechs Stunden im Güterverkehr sind keine Seltenheit mehr. Aber das ist die Folge der Vorgaben seitens der Bundesregierung, die die Bahn in ihren Leitlinien verpflichtet hat, jedes Jahr 10 000 Arbeitsplätze von Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern abzubauen.
Heute fehlt es an qualifiziertem Personal vor allem bei Lokomotivführern und Rangierern. Die Bahn hat es versäumt, rechtzeitig neues Personal einzustellen, so daß die jetzige katastrophale Situation entstanden ist.
Die Überstunden bei der Bahn häufen sich. Die Lokführer haben im Schnitt derzeit etwa 13 Arbeitstage Überstunden. Ein Freizeitausgleich für die geleisteten Überstunden ist nicht in Sicht.
Die Situation der Bahn wird immer kritischer. Wenn nicht bald Abhilfe geschaffen wird, dann wird die Politik der Einsparungen und des Personalabbaus demnächst nicht nur Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit der Eisenbahn haben, sondern auch auf die Sicherheit des Bahnbetriebes.
Dennoch sieht die Bundesregierung keinen Anlaß zu handeln. Der Bundesbahnvorstand legt im Rahmen einer Krisensitzung einfach per Beschluß fest, daß es die überall deutlich sichtbare Krise bei der Bahn einfach nicht gibt.
Auch die wirtschaftliche Situation der Bundesbahn wird sich in den nächsten Jahren dramatisch zuspitzen. Der Jahresfehlbetrag müßte in diesem Jahr eigentlich bei 4,5 Milliarden DM, also um 0,6 Milliarden DM höher als im Vorjahr, liegen. Er wird allerdings auf Grund der vielen Immobilienverkäufe der Bahn in diesem Jahr, vor allem auf Grund des Verkaufs des Industrieparks in München, formal 850 Millionen DM niedriger sein und nur bei 3,7 Milliarden DM liegen. Immobilienverkäufe in dieser Höhe sind wohl nur einmalig im Jahr vor der Bundestagswahl zum Zweck der kosmetischen Verschleierung der sich dramatisch verschlechternden Finanzlage der Bahn möglich.
Dementsprechend wird dann auch nach den derzeitigen Prognosen der Bahn der Jahresfehlbetrag 1990, der dann ja erst nach der Bundestagswahl festgestellt werden wird, bei 4,9 Milliarden DM, also 1,2 Milliarden DM höher als 1989, liegen. Bis zum Jahre 2000 wird sich nach den derzeit vorliegenden Prognosen
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13941
Weiss
die Verschuldung der Bahn von 43 Milliarden DM in diesem Jahr auf 71,8 Milliarden DM erhöhen. Das Eigenkapital der Bahn wird dann längst aufgebraucht sein. Im Klartext: Die Bahn fährt mit Volldampf in die Pleite, und die Bundesregierung schaut zu.
Der Bundesbahnvorstand hat Presseberichten zufolge erklärt, daß die Bahn alleine auch bei weiteren Sparmaßnahmen keine Möglichkeit sieht, den finaziellen Ruin zu verhindern. Dennoch glaubt die Bundesregierung, das Problem weiter „aussitzen" und die Lösung der Probleme weiter vertagen zu können.
Die Enttäuschung bei den Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern ist deshalb groß. Sie haben nämlich in den letzten Jahren viele Unannehmlichkeiten und Erschwernisse hinnehmen müssen: weitere Anfahrtswege durch die Auflösung von Dienststellen, Überstunden und vieles mehr. Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner haben damit ihren Teil zur Konsolidierung des Unternehmens Deutsche Bundesbahn geleistet. Sie erwarten deshalb jetzt mit Recht, daß endlich auch der Eigentümer, also der Bund, seinen Beitrag leistet. Die Bundesregierung weigert sich jedoch, ihren längst überfälligen Beitrag jetzt zu leisten und die notwendigen Schritte zu einer Bahnsanierung endlich einzuleiten.
Die Beschlüsse des Bundeskabinetts vom 1. Februar dieses Jahres stellen keinerlei Fortschritt in der Bahnpolitik dar. Reduziert man diese Beschlüsse nämlich auf ihren wesentlichen Inhalt, so sieht man, daß im wesentlichen nur beschlossen worden ist, daß in dieser Legislaturperiode nichts, aber auch wirklich gar nichts zur Verbesserung der Situation der Deutschen Bundesbahn geschehen soll.
Zur Verschleierung dieser Untätigkeit hat dann die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt. Aber ich frage mich: Was soll diese Kommission eigentlich erarbeiten? Alle Fragen, deren Beantwortung die Bundesregierung der Kommission aufgegeben hat, können schon heute klar beantwortet werden. Es liegt das Bundesbahnsanierungsgesetz der GRÜNEN vor, es liegen die Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion vor, und es liegt das Papier der Koalitionsarbeitsgruppe „Bahn" vor.
Legt man diese Papiere nebeneinander, so kann man feststellen, daß es zahlreiche Maßnahmen gibt, deren Notwendigkeit und Richtigkeit von allen Fraktionen des Bundestages festgestellt worden ist.
In vielen Fragen gibt es eine breite Übereinstimmung zwischen allen Fraktionen des Bundestages. Was soll da eine Kommission noch klären?
Der Grund für die Einsetzung der Kommission liegt deshalb auch nicht in der Notwendigkeit, Dinge noch klären zu müssen. Der wahre Grund liegt darin, daß
die Bundesregierung nicht bereit ist, in dieser Legislaturperiode etwas für die Bahn zu tun.
Daher ist eine Kommission mit Alibicharakter notwendig, auf die die Bundesregierung im bevorstehenden Bundestagswahlkampf verweisen und damit ihr Nichtstun kaschieren kann.
Der Zusammenhang mit dem Wahltermin wird besonders deutlich, wenn man sieht, daß die Kommission ihre Ergebnisse nach dem Willen der Bundesregierung im März 1991, also drei Monate nach der Wahl, vorlegen soll.
Neben der Einsetzung der Kommission hat das Bundeskabinett am 1. Februar nämlich nur Ankündigungen beschlossen. Es handelt sich ausschließlich um Ankündigungen, die erst nach der Bundestagswahl erfüllt werden müssen. Es muß aber ernsthaft bezweifelt werden, ob es die Bundesregierung mit ihren Versprechen ernst meint; denn in der Finanzplanung des Bundes sind keine Gelder vorgesehen, mit denen die Ankündigungen in der nächsten Legislaturperiode dann tatsächlich erfüllt werden sollen.
So hat das Kabinett beschlossen, daß sich ab 1992 die öffentlichen Hände an der Finanzierung der Fahrwegkosten der Bahn beteiligen sollen. Das Kabinett hat es aber vermieden, sich auf die Höhe der Beteiligung festzulegen. Mit der Formulierung „die öffentlichen Hände", wie es im Kabinettsbeschluß heißt, ist auch eine klare Festlegung vermieden worden, daß sich dann der Bund selber an den Fahrwegkosten beteiligen wird.
Weiterhin hat die Bundesregierung versprochen, daß im Jahr 1991 der Bund die sogenannten Altschulden der Bahn in Höhe von 12,6 Milliarden DM übernehmen wird.
Selbst wenn dieses Versprechen tatsächlich eingelöst werden sollte, wird es keinen nennenswerten Beitrag zur Verbesserung der finanziellen Situation der Deutschen Bundesbahn leisten. Denn der Bund hat sowieso bereits seit 1972 die Zinsen für diese Altschulden getragen. Die Altschulden haben deshalb das Wirtschaftsergebnis der Bahn überhaupt nicht belastet. Wenn die Altschulden nunmehr vom Bund übernommen werden und vorher keine Belastung da war, kann dann auch keine Entlastung eintreten.
— Ich möchte hier nicht mißverstanden werden: Ich bin durchaus der Auffassung, daß es richtig ist, daß der Bund diese Altschulden übernimmt;
denn bei diesen Altschulden handelt es sich nicht um
Bahnschulden im eigentlichen Sinne, sondern um
Kriegsfolgelasten, die von Anfang an vom Bund und
13942 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Weiss
nicht von der Bahn hätten getragen werden müssen.
Ich halte es jedoch für ein plumpes Täuschungsmanöver, wenn die Bundesregierung versucht, diese Altschuldenübernahme als Durchbruch in der Bahnpolitik oder gar als Einstieg in die Sanierung der Bahnfinanzen zu verkaufen. Denn die Jahresfehlbeträge der Bahn werden sich durch die Altschuldenübernahme nicht um eine einzige Mark verringern.
Im übrigen muß festgestellt werden, daß die Übernahme der Altschulden auch keine nachhaltige Verringerung der Verschuldung der Bahn mit sich bringen wird. Wenn tatsächlich die Altschulden der Bahn im Jahre 1991 vom Bund übernommen werden sollten, so wird die Verschuldung im Jahr 1995 wieder genauso hoch sein wie im Jahr 1990, also im Jahr vor der Altschuldenübernahme.
Es sind also zusätzliche Maßnahmen seitens des Eigentümers der Bahn, des Bundes, notwendig. Dringend notwendig, und zwar jetzt und nicht erst im Jahre 1992, ist die Übernahme der Finanzverantwortung für den Fahrweg, das Schienennetz, durch den Bund. Das ist schon deshalb dringend erforderlich, weil sonst mit Inbetriebnahme der Neubaustrecken Hannover—Würzburg und Mannheim—Stuttgart auch der Fernverkehr der Bahn in die roten Zahlen abrutscht. Die Neubaustrecken werden nämlich, wenn sie 1991 in Betrieb genommen werden, das Wirtschaftsergebnis der Bahn verschlechtern und nicht, wie so oft fälschlicherweise behauptet wird, verbessern. Ich will Ihnen das kurz erläutern. Die Neubaustrecken werden, wenn sie 1991 in Betrieb gehen, 14 Milliarden DM gekostet haben.
Von diesem Zeitpunkt an müssen sie abgeschrieben werden. Das belastet die Jahresrechnung jährlich mit 350 Millionen DM.
Die Einnahmen der Bahn im Intercity-Bereich liegen jedoch nur bei 200 Millionen DM im Jahr. Selbst wenn 50 % Steigerung auf den Neubaustrecken erreicht werden sollten — die Bahn rechnet selber nur mit 30 % —, werden die Einnahmen aus dem IntercityVerkehr nicht einmal reichen, um damit die Abschreibung für die Neubaustrecken zu erwirtschaften.
Angesichts dieser Zahlen ist zu überlegen, ob die hohen Ausgaben für die Neubaustrecken überhaupt gerechtfertigt sind. Sie sind es nach meiner Auffassung jedenfalls dann nicht, wenn ins übrige Streckennetz der Bahn nichts investiert wird. Das kann man auch einmal an einer Rechnung vergleichen.
Hätte man die 14 Milliarden DM statt in nur zwei Strecken in das gesamte Streckennetz der Bahn mit 28 000 km gesteckt, wären auf jeden Streckenkilometer eine halbe Million DM entfallen. Damit hätte sich das gesamte Schienennetz der Bahn modernisieren
lassen, und die kumulierten Fahrzeitgewinne wären mindestens ebenso hoch gewesen wie diejenigen durch die beiden Neubaustrecken. Dies zeigt, daß die Neubaustrecken letztlich eben doch auf Kosten eines flächendeckenden Bahnverkehrs gehen,
da sie jene finanziellen Mittel auffressen, die dann für einen attraktiven Eisenbahnverkehr auch außerhalb der Hauptstrecken dringend erforderlich wären. Daher ist es nicht gerechtfertigt, derart hohe Summen in teure Neubaustrecken zu stecken, wenn gleichzeitig das übrige Schienennetz vernachlässigt wird.
Die Eisenbahn muß sich endlich dazu bekennen, daß sie ein flächendeckendes Verkehrsunternehmen ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es nicht angerechnet wird.
Herr Kollege Weiss, dürfen wir Ihren Einlassungen entnehmen, daß Sie damit die Begründung für Ihren Widerstand — Ihren wahrscheinlichen Widerstand — gegen die Neubaustrekken der Bundesbahn in der Zukunft jetzt schon argumentativ vorbereiten?
Herr Kollege, Sie wollen mich offensichtlich bewußt mißverstehen.
Auf der einen Seite habe ich mich nicht grundsätzlich gegen neue Bahnstrecken ausgesprochen, weil es sicher notwendig sein wird, daß wir zusätzliche Kapazitäten benötigen. Auf der anderen Seite verlange ich aber auch von der Bahn, daß sie dabei Umweltgesichtspunkte entsprechend berücksichtigt. Aber was ich als völlig verfehlte Investitionspolitik bezeichne, ist, wenn man sich auf ganz wenige Strecken konzentriert und dabei das übrige Streckennetz vernachlässigt. Das halte ich in der Tat für falsch verwendete Gelder.
Neubaustrecken sind sicher in vielen Bereichen sinnvoll. Aber das Geld darf nicht da abgezogen werden, wo anderer Verkehr stillgelegt werden muß, womit man zu einer Verschlechterung der Verkehrsverhältnisse beiträgt.
Sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage zu beantworten?
Ja.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13943
Herr Kollege Weiss, werden Sie sich also, um konkret zu werden, mit für die Neubaustrecke Köln—Frankfurt einsetzen?
Ich halte es für notwendig und richtig, daß eine neue Strecke gebaut wird.
Ich kann Ihnen aber nicht sagen, daß ich mich mit jeder Planung der Bahn und mit jeder Vorgabe, unabhängig davon, wie sie aussieht, identifizieren werde. Ich akzeptiere durchaus, daß eine neue Strecke notwendig ist, ganz einfach deshalb, weil die Kapazität der Rheinstrecken demnächst erschöpft sein wird und wir tatsächlich eine neue Strecke brauchen. Das akzeptiere ich.
Meine Damen und Herren, die Eisenbahn muß sich dazu bekennen, ein flächendeckendes Verkehrsmittel zu sein. Der Schienenpersonennahverkehr — auch in der Fläche — ist nämlich nicht der große Defizitbringer der Bahn, wie oft fälschlicherweise behauptet wird. Das ergibt sich aus den neuen Zahlen, welche die Bahn jetzt vorgelegt hat. Sie hat jetzt eine Spartenerfolgsrechnung vorgelegt. Darin wird angegeben, daß die Einnahmen der Bahn im Schienenpersonennahverkehr — einschließlich der Bundesleistungen gemäß EG-Verordnung 1191/69 — in diesem Jahr 5,663 Milliarden DM betragen werden. Die Selbstkosten im Schienenpersonennahverkehr ohne Fahrweg werden in diesem Jahr bei 4,124 Milliarden DM liegen, so daß sich — ohne Berücksichtigung der Fahrwegkosten — nach den neuesten Zahlen der Bahn eine Kostenüberdeckung im Schienenpersonennahverkehr von 1,539 Milliarden DM ergeben wird. Da die Bundesbahn jedoch nicht eineinhalb Milliarden DM pro Jahr für die Unterhaltung der Fahrwege im Nahverkehr ausgibt, folgt daraus, daß der Schienenpersonennahverkehr der Bahn letztlich einen positiven Kostendeckungsbeitrag zum Wirtschaftsergebnis der Bahn liefert. Ein flächendeckender Schienenpersonennahverkehr ist entgegen sonst immer wieder geäußerten Vorurteilen auch nicht unbezahlbar. Auch das können Sie an einer kurzen Modellrechnung sehen:
Die Bahn betreibt heute im Schienenpersonennahverkehr 21 000 km Strecken. Würden Sie auf diesen 21 000 km Strecke täglich 14 Züge in beiden Richtungen fahren lassen, dann kämen Sie auf 214 Millionen Zugkilometer im Jahr. Wenn Sie mit modernen Fahrzeugen rechnen und 6 DM pro Zugkilometer ansetzen, wären das 1,3 Milliarden DM.
Auch der Güterverkehr in der Fläche muß nicht unbedingt defizitär sein. Die Bahn setzt hier mit ihrem Rückzug aus der Fläche, also mit der Auflösung von Tarifpunkten im Wagenladungsverkehr mit der Verlagerung von Bahntransporten in der Fläche auf den Lkw auf die falsche Strategie. Die nicht bundeseigenen Eisenbahnen demonstrieren täglich, daß es möglich ist, Güterverkehr in der Fläche zu betreiben, der weit höhere Kostendeckungsgrade erreicht als der der Deutschen Bundesbahn.
Ich bin davon überzeugt, daß der wahre Grund für die Politik der Streckenstillegungen und der Bahnhofschließungen nicht in den schlechten Erträgen der Bahn im Personen- und Güternahverkehr liegt, sondern in dem Interesse der Bahn, die Bahnhöfe und Grundstücke möglichst gewinnbringend zu veräußern. Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, daß es sich bei der Bahn gerade im Nahverkehr nicht mehr um ein Verkehrsunternehmen, sondern eher um eine Immobilienhandelsgesellschaft handelt.
Wenn ich mir so ansehe, wie die Bahn im Schienenverkehr in der Fläche vorgeht, kann ich daraus eigentlich nur den Schluß ziehen, daß man in manchen Fällen sagen muß: Wer für die Eisenbahn ist, muß gegen die Deutsche Bundesbahn sein.
Nötig ist, daß Bundesregierung und Bundesbahn endlich akzeptieren, daß ihre Aufgaben auch und gerade im Schienenpersonennahverkehr liegen. Wir wissen, daß die Bahn intern unter dem Titel „SPNV 2000" derzeit die möglichen Strategien für die zukünftige Gestaltung des Schienenpersonennahverkehrs diskutiert. Dabei hat die Bahn selbst eine mögliche Strategie entwickelt, mit der es möglich ist, ohne Erhöhung der heute für den Schienenpersonennahverkehr gewährten Bundesleistungen in Höhe von 3,2 Milliarden DM pro Jahr bis zum Jahr 2000 einen flächendeckenden Schienenpersonennahverkehr mit Taktverkehr auf allen Strecken ohne weitere Strekkenstillegungen zu schaffen. Dennoch wird diese als Variante I bezeichnete Strategie von der Bahn nicht offensiv vertreten. In der Bahn selbst, auch im Bahnvorstand, gibt es immer noch zahlreiche Verfechter der sogenannten Variante III, einer „Crash"-Variante, deren Ziel die konsequente Zerschlagung des Schienenpersonennahverkehrs außerhalb der Ballungsräume ist.
Wenn die Bahn selbst ihre Aufgabe nicht in der Realisierung eines flächendeckenden Schienenverkehrs sieht, und lieber Strecken stillegt als Züge fahren zu lassen, dann ist es eigentlich überfällig, daß der Bundesverkehrsminister von seiner Aufsichtsfunktion Gebrauch macht. Eigentlich müßte sich das Bundesverkehrsministerium jetzt einmischen und der Bundesbahn auferlegen, die Variante I, also den Ausbau, mit allem Nachdruck zu verfolgen und die Variante III, also den Abbau, nicht weiterzuverfolgen. Dem „Auslaufminister" Zimmermann scheint es aber völlig egal zu sein, daß die Bahn auf immer mehr Strecken zum sogenannten Auslaufbetrieb übergeht.
Die Probleme der Deutschen Bundesbahn können nicht unabhängig von der übrigen Verkehrspolitik gesehen werden. Dabei hat die Bundesregierung die Bahn im Regen stehen lassen. Die verkehrspolitischen Rahmenbedingungen haben in den letzten Jahren den Hauptkonkurrenten der Bahn, den Autoverkehr, begünstigt. Während die Bahn gezwungen war, ihre Preise laufend zu erhöhen, sind die Benzinpreise in den letzten Jahren — trotz Mineralölsteuererhöhung — insgesamt um etwa 20 % gesunken. Das Stra-
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Weiss
ßennetz wurde immer weiter ausgebaut, und die Autos wurden immer schneller. Einschränkungen für den Autoverkehr hat die Bundesregierung zum Wohle der Automobilindustrie immer entschieden abgelehnt. Damit aber hat sie gleichzeitig der Bahn geschadet.
Ich will hierfür das Beispiel Tempolimit anführen. Es gibt Untersuchungen, die belegen, daß ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, wenn durch eine kontinuierliche Überwachung eine Einhaltequote von 85 % sichergestellt werden würde, zu einer Verdoppelung der Anzahl der Bahnreisenden im Fernverkehr führen würde. So wäre ein Tempolimit ein einfaches, aber wirkungsvolles Mittel zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Bahn, das nicht einmal Geld kosten würde.
Aber wenn die Bundesregierung zwischen dem Wohl der Eisenbahn auf der einen Seite und den Interessen der Automobilindustrie auf der anderen Seite abzuwägen hat, entscheidet sie allemal gegen die Bahn und für das Auto.
Das gilt gleichermaßen für den Güterverkehr. Die Bundesregierung hat kritiklos alle Erleichterungen für den Straßengüterverkehr umgesetzt, die von der EG gefordert wurden.
In der Frage des Alpentransits macht sich der Bundesverkehrsminister offen zum Sprecher der LkwLobby. Die Chancen für die Eisenbahnen, die in der restriktiven Haltung der Alpenländer liegen, will Zimmermann offensichtlich nicht nutzen.
Als besonderen Gipfel der Unverschämtheit angesichts dieser Politik seitens des Bundesverkehrsministeriums gegenüber der Bahn empfinde ich es, wenn — wie vor 14 Tagen geschehen — seitens des Bundesverkehrsministeriums öffentlich Vorwürfe gegen die Deutsche Bundesbahn erhoben werden, die es angeblich versäumt habe, Zuwächse im Güterverkehr zu erreichen. Genau dieses Bundesverkehrsministerium, das jetzt Vorwürfe gegen den Bahnvorstand erhebt, hat ja maßgeblich die verkehrspolitischen Rahmenbedingungen bestimmt, die die Straße vor der Schiene eindeutig bevorzugen.
Die Bahn ist nach wie vor das sicherste und umweltverträglichste unter den motorisierten Verkehrsmitteln. Leider gibt es aber auch bei der Bahn zahlreiche Umweltprobleme, deren Lösung vorangetrieben werden muß. Hinsichtlich der Verwendung von FluorChlor-Kohlenwasserstoffen in den ICE-Triebköpfen wurde ja bereits eine Lösung erreicht. Die Lösung für die FCKW in den Klimaanlagen der Züge steht leider noch aus.
Es gibt jedoch weitere Umweltprobleme bei der Bahn, deren Lösung überhaupt noch nicht in Sicht ist. Ich führe dazu drei Beispiele an:
Erstens: Das Problem des Lärmschutzes an Bundesbahn-Altstrecken.
Während bei den Neubaustrecken der Deutschen Bundesbahn Lärmschutzmaßnahmen eine Selbstverständlichkeit sind, weigert sich die Bahn schon aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen, auch an bestehenden Strecken Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm durchzuführen, obwohl sich an einigen Strecken in den letzten Jahren die Belästigung durch höhere Zugzahlen und höhere Fahrgeschwindigkeiten drastisch erhöht hat. Hier ist eigentlich die Bundesregierung gefordert, der Bahn gesonderte finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen,
damit die Bahn ein Programm zur lärmtechnischen Sanierung der Altstrecken durchführen kann.
Das zweite Umweltproblem bei der Bahn: Chemische Aufwuchsbekämpfung. Noch immer versprüht die Deutsche Bundesbahn zur Verhinderung einer Verkrautung des Schotterbettes jedes Jahr Tausende Tonnen chemischer Pflanzenvernichtungsmittel auf ihre Gleisanlagen. Diese Gifte können ins Grundwasser gelangen. Mittlerweile sind Fälle bekannt geworden, in denen Trinkwassergewinnungsanlagen durch Pflanzenschutzmittel der Bahn kontaminiert worden sind.
Dabei gäbe es die Alternative des „Abflämmens". Ich halte es für dringend erforderlich, daß die Bundesbahn möglichst bald auf solche alternativen Methoden umsteigt,
schon im eigenen Interesse der Bahn. Denn es kann nicht im Interesse eines Unternehmens liegen, das mit seiner hohen Umweltverträglichkeit Werbung macht, daß es als „Brunnenvergifter" an den Pranger gestellt wird.
Drittes Problem: Altlastensanierung. Bis heute gibt es im Bereich der Deutschen Bundesbahn zahlreiche Altlasten. Die Böden vieler Bundesbahngrundstücke sind kontaminiert. Bis heute sind diese Altlasten noch nicht einmal erfaßt und analysiert. Über Konzepte zur Sanierung der Altlasten hat die Bahn wohl bis heute nicht ernsthaft nachgedacht. Auch die Lösung dieses Problems sollte schnellstmöglich in Angriff genommen werden.
Das sind drei Probleme.
Ich betone, daß ich die Deutsche Bundesbahn trotz dieser Umweltprobleme für das umweltverträglichste unter den motorisierten Verkehrsmitteln halte. Dennoch darf man auch vor diesen Problemen nicht die Augen verschließen. Es muß trotzdem alles getan werden, damit die Bahn künftig einen größeren Anteil am Verkehrsmarkt erhält.
Herr Kollege!
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Einen Satz noch!
Sie haben doch sowieso dank Ihrer Redegeschwindigkeit mehr als das Doppelte dessen untergebracht, was andere reden.
: Ja. — Denn die Bahn ist unsere einzige Chance, den wachsenden Straßenverkehr und die mit ihm verbundenen Beeinträchtigungen für Menschen und Umwelt durch Straßenbau, Schadstoffemissionen und Lärm zurückzudrängen. Ich habe allerdings ernsthafte Zweifel, ob diese Bundesregierung eine solche Verbesserung unserer Umwelt tatsächlich will.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Kohn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir werden in diesen Wochen Zeugen eines atemraubenden historischen Prozesses in Mitteleuropa. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hat vor diesem Hintergrund — wie ich meine, zu Recht — ein neues Denken auch bei uns im Westen gefordert.
Dies gilt auch für die Verkehrspolitik. Wir können nicht einfach business as usual betreiben. Wir müssen auf das reagieren, was sich in Mitteleuropa vollzieht.
Die heutige Bundesbahn-Debatte gibt Anlaß und eine Chance, auf diese Situation zu reagieren. Der Bundeshauptausschuß meiner Partei z. B. hat am Wochenende einen Sofortplan zur Ergänzung des Bundesverkehrswegeplans vorgeschlagen. Das ist richtig und vernünftig, aber es reicht nicht aus.
Ich glaube, daß es jetzt eine strategische Chance für eine Revitalisierung des Schienenverkehrs in WestOst-Richtung gibt. Der Schienenverkehr kann jetzt — ich betone: jetzt — gegenüber dem Straßenverkehr in der Ost-West-Richtung einen Vorsprung gewinnen. Diese Chance, so denke ich, sollten wir nutzen.
Ich schlage deshalb vor, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß der Zehn-Punkte-Plan des Bundeskanzlers von der vergangenen Woche insofern von uns aufgegriffen wird, als er in Ziffer 2 die Intensivierung der wirtschaftlichen und wirtschaftlich-technologischen Zusammenarbeit vorsieht und den Hinweis enthält, daß die grundsätzliche Bedeutung einer Revitalisierung des Verkehrs mit der DDR als Teil eines funktionsfähigen europäischen Verkehrsnetzes von uns erkannt werden muß.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haar?
Herr Kollege Haar, Sie wissen, daß ich Ihnen jederzeit eine Zwischenfrage gestatte. Aber erlauben Sie mir bitte jetzt, diesen Punkt im Zusammenhang vorzutragen. Danach können Sie gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich will an dieser Stelle in Übereinstimmung mit meinem Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Mischnick, der die zehn Punkte des Bundeskanzlers als Arbeitsgrundlage für die nächste Zeit vorgeschlagen und dargestellt hat, Ihnen eine „Aktion Ost-WestSchiene" vorschlagen. Diese Aktion besteht aus den folgenden Elementen, die rasch in einer Konferenz zwischen den Verkehrsministern der Bundesrepublik und der DDR sowie den Chefs der beiden Bahngesellschaften besprochen werden müssen:
1. Lösung der aktuellen Transportprobleme zwischen der Bundesrepublik und der DDR, die sich aufgrund der historisch bedeutsamen Entscheidung des gestrigen Tages zur Herstellung der vollständigen Reisefreiheit zwischen den beiden deutschen Staaten ergeben werden. Dazu gehören bis in Details hinein etwa die Information der Bürger durch Abdruck des Kursbuchs der jeweils anderen Seite.
2. Reaktivierung der alten Ost-West-Schienenstrekken, wie der auch vom Bundeskanzler angesprochenen klassischen Linie Moskau—Warschau—Berlin—Paris, wobei, wie ich denke, drei Korridore besonders wichtig sind, nämlich der Korridor Hannover—Magdeburg und Abzweig Berlin bzw. Halle—Leipzig—Dresden, der Südkorridor Saarbrücken—Rhein/MainFulda—Halle—Leipzig—Berlin—Dresden und der Ostkorridor Hamburg—Berlin—Leipzig—Nürnberg—München. Für diese Vorschläge kann wohl eine breite Zustimmung gefunden werden.
3. Verwirklichung eines leistungsfähigen Eisenbahndreiecks Hamburg—Berlin—Hannover als besonders vordringlich, so, wie es Wolfgang Mischnick wiederholt gefordert hat.
4. Schaffung der Voraussetzungen für die Einbeziehung der DDR in das hochwertige Personenfernverkehrsnetz der Deutschen Bundesbahn mit Intercity und Interregio, unter anderem durch Schließung der Elektrifizierungslücken. — Wir haben heute vormittag im Verkehrsausschuß darüber gesprochen.
5. Neben der Bereitstellung öffentlicher Mittel für die Zusammenarbeit zwischen Bundesbahn und Reichsbahn müssen auch innovative, neue deutschdeutsche Finanzierungsmodelle für diese wichtigen Verkehrsinfrastrukturaufgaben entwickelt werden. Es geht also um die Frage: Wie kann man privates Kapital dafür mobilisieren?
6. Schaffung der Voraussetzungen dafür, daß die Reichsbahn der DDR in der Gemeinschaft der europäischen Eisenbahnen mitarbeiten kann. — Auch hier darf Europa nicht an dem rostenden Eisernen Vorhand enden.
7. Eine gemeinsame Initiative der Bundesrepublik und der DDR zur Einberufung einer Konferenz mit dem Ziel, ein gesamteuropäisches Hochgeschwindigkeitsnetz aufzubauen.
Diese „Aktion Ost-West-Schiene " ist ein konkreter Vorschlag, der Signalwirkung für die künftige Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten in einem zusammenwachsenden Europa haben kann
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Kohn
und der dabei das Selbstbestimmungsrecht der Menschen in den beiden deutschen Staaten respektiert.
Ich wäre sehr dankbar, wenn wir eine öffentliche Diskussion über diesen Vorschlag jetzt rasch beginnen könnten.
Herr Abgeordneter, sind Sie jetzt bereit, die Zwischenfrage des Abgeordneten Haar zu beantworten? — Bitte schön, Herr Haar!
Herr Kollege Kohn, Sie haben im Zusammenhang mit dem Sieben-Punkte-Katalog darauf hingewiesen, daß der Hauptausschuß der FDP einen Beschluß dahin gehend gefaßt hat, in Ergänzung des bestehenden Verkehrswegeplans auch für Schienenverbindungen eine solche Wegeplanung fortzuschreiben. Ist das richtig?
Dann könnten Sie heute als Fraktion in logischer Folge dieses Beschlusses unserer Gesetzesvorlage zustimmen.
Würden Sie das dann tun?
Herr Kollege, wir haben bei uns immer eine enge Kooperation zwischen Partei und Fraktion. Das gilt ganz besonders in diesem Fall. Aber da es sich hierbei, wie Sie ganz genau wissen, um erhebliche finanzielle Folgewirkungen handelt, kann dieses erst beschlossen werden, wenn wir in der Fraktion gemeinsam mit den Haushaltspolitikern und den Finanzpolitikern eine solide Finanzierung dieser Maßnahmen erarbeitet haben.
Ich will zum Abschluß dieses Teils noch den Eisenbahnern, und zwar sowohl denen der Bundesbahn als auch den Eisenbahnern der Reichsbahn, für die Arbeit, die Mehrarbeit, die sie in den letzten Wochen seit Öffnung der innerdeutschen Grenze erbracht haben, danken. Ich glaube, hier haben sie gezeigt, daß auch die Mitarbeiter in einer behördenmäßig organisierten Struktur, wenn sie ein begeisterndes politisches Ziel haben, zu besonderen Leistungen fähig sind.
In der heutigen Debatte gibt es Gelegenheit, noch einmal die grundsätzliche Position der Liberalen zur Entwicklung der Deutschen Bundesbahn vorzutragen. Die Verkehrspolitiker der FDP in den Landesverbänden, in den Landesfachausschüssen für Verkehr und im zuständigen Bundesfachausschuß sowie in den Landesparlamenten und im Bundestag haben dieses Konzept, das ich hier vortrage, gemeinsam entwickelt. Wir lassen uns dabei von der grundsätzlichen Maxime leiten: Umwandlung der Behörde Deutsche Bundesbahn zu einem modernen Verkehrsdienstleistungsunternehmen. Wichtige Schritte auf diesem
Weg sind durch den beharrlichen Einfluß der FDP gemacht worden, aber manches steht noch aus.
Wir Liberalen wollen als erstes eine Strukturreform. Das bedeutet, daß der Schienenweg als staatliche Infrastrukturaufgabe anerkannt und durch Übertragung der Finanzverantwortung für das Schienennetz auf den Staat neu geordnet wird.
Die Deutsche Bundesbahn, oder wer auch immer auf diesem Schienennetz fährt, hat dafür ein nutzungsabhängiges Entgelt zu entrichten. Ich sage an dieser Stelle ganz klar: Es ist eine staatliche Aufgabe, ein leistungsfähiges Schienennetz vorzuhalten, aber es ist keine staatliche Aufgabe, ein Transportunternehmen zu betreiben.
Neben der eben beschriebenen staatlichen Aufgabe gibt es eine gemeinwirtschaftliche Aufgabenstellung für den Eisenbahnverkehr. Da dieser Bereich kraft Definition nicht mit einem betriebswirtschaftlich positiven Ergebnis rechnen kann, müssen diejenigen, die solche gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen bestellen, diese auch voll abgelten. Das bedeutet z. B. im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs die Mitheranziehung der kommunalen Gebietskörperschaften, gegebenenfalls unter Mitwirkung des betreffenden Bundeslandes zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs in einem regionalisierten System. Entscheidend ist dabei auch aus verkehrspolitischer Sicht: Die Entscheidung über das Angebot und die Finanzverantwortung gehören in eine Hand, und sie müssen vor Ort getroffen werden. Daß in diesem Zusammenhang der unterschiedlichen Finanzkraft kommunaler Gebietskörperschaften durch entsprechende finanzpolitische Überlegungen Rechnung getragen werden muß, versteht sich von selbst, und als Liberaler füge ich hinzu: Dies ist für mich auch ein Ausfluß der liberalen Grundsatzposition: Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie nochmal eine Zwischenfrage?
Herzlich gern.
Herr Kollege Kohn, können Sie uns erklären, warum Sie dann auch heute nach diesen letzten Ausführungen dem Sechsten Änderungsgesetz zum Bundesbahngesetz, vorgelegt von der SPD-Bundestagsfraktion, Ihre Zustimmung verweigern wollen?
Herr Kollege Haar, ich werde im Schlußteil meiner Rede ganz präzise auf diesen Punkt eingehen.
Neben dem staatlichen Bereich Fahrweg und dem soeben beschriebenen gemeinwirtschaftlichen Aufgabenbereich gibt es einen eigenwirtschaftlichen Bereich der Deutschen Bundesbahn. In diesem Bereich muß ein positives Ergebnis erzielt werden, d. h. es müssen schwarze Zahlen geschrieben werden. Und
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Kohn
dies ist die Herausforderung, der sich das Management der Bundesbahn dann zu stellen haben wird.
Zu dieser Strukturreform gehört deshalb auch der Abbau politischer Durchgriffsmöglichkeiten auf Unternehmensentscheidungen sowie der Umbau der Deutschen Bundesbahn zu einem modernen Konzern. Ich fordere deshalb das Bundesverkehrsministerium und den Vorstand der Bahn dazu auf, die geplante Holding-Struktur als einen wichtigen Schritt auf diesem Wege zügig voranzutreiben.
Zu diesem Umstrukturierungsprozeß gehören eine Reihe weiterer Punkte, so beispielsweise die Umgestaltung des Verwaltungsrates der Deutschen Bundesbahn in einen Aufsichtsrat. Und um Ihnen, Herr Kollege Haar, die Frage zu ersparen, warum die FDP-Fraktion Ihrem entsprechenden Gesetzentwurf nicht zustimmen werde, sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: weil er den Giftzahn der paritätischen Mitbestimmung enthält.
Meine Damen und Herren, ein weiterer wesentlicher Punkt, der hier hineingehört, ist die Forderung an die Bahn, die vorhin auch der Verkehrsminister hier ausgesprochen hat, die Arbeiten am neuen Rechnungswesen zügig zu vollenden. Das ist ein ganz zentraler Punkt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch die Frage des Hauptprüfungsamtes der Deutschen Bundesbahn ansprechen. Ich habe im Juni 1985 in einer Rede vor diesem Hause in meinem damaligen 10-
Punkte-Programm eine Überprüfung und Neuordnung des Prüfungsdienstes für die Deutsche Bundesbahn gefordert. Es hat zugegebenermaßen lange Zeit gedauert, bis dieses auf den Weg gebracht wurde. Das zeigt Ihnen aber auch, meine Damen und Herren, daß der Roland Kohn kein Kurzstreckenläufer, sondern ein Marathonläufer ist.
Deswegen sage ich: Die FDP, die seit langem darauf gedrängt hat, dieses Prüfungswesen zu ändern und neuzuordnen, geht davon aus, daß der Gesetzentwurf, der diese Prüfung dem Bundesrechnungshof überträgt, entsprechend der Zusage der Bundesregierung bis März nächsten Jahres umgesetzt wird. Sie dürfen sicher sein, daß mein Fraktionskollege Wolfgang Weng und ich gemeinsam darauf achten werden, daß diese Zusage auch ganz präzise eingehalten wird.
Meine Damen und Herren, ich will noch einen letzten Bereich ansprechen, der zu diesen Strukturreformen gehört. Es ist die Diskussion in der Öffentlichkeit, die häufig unter falschen Voraussetzungen geführt wird, als wollten wir, die wir eine stärkere unternehmerische Gestaltung des Unternehmens DB wollen, damit etwa Kritik an Beamten nach dem Motto üben, sie seien nicht leistungsfähig und nicht motiviert. Das ist nicht der Punkt. Ich habe in den vielen Jahren, in denen ich mich mit der Deutschen Bundesbahn auseinandersetze, sehr viele nicht nur leistungsfähige, sondern auch hochmotivierte Mitarbeiter des Unternehmens DB kennengelernt, die Beamte sind, die im öffentlichen Dienst sind.
Was wir aber tun müssen, ist diesen Menschen, die wollen, die Fesseln abzustreifen, damit sie so produktiv und so optimal arbeiten können, wie dies unter den Bedingungen eines privatwirtschaftlichen Unternehmens der Fall ist. Das ist das Ziel, für das wir kämpfen.
Ein weiteres wesentliches Element der neuen Bahn muß ein konsequentes Innovationsmanagement sein, das die Marktchancen der Bahn auf den ganz unterschiedlich strukturierten Verkehrsmärkten voll ausschöpft. Herr Kollege Jobst hat vorhin bereits auf die Veränderung etwa im Bereich des Güterverkehrsmarktes hingewiesen, den drastischen Rückgang der Massengüter und das Wachstum jener Güter, die man als Kaufsmanngüter bezeichnet. Darauf mit dem Produktionssystem Rad/Schiene zu reagieren, ist schwierig, zumindest nicht einfach. Aber es ist möglich. Man muß bereit sein, dafür die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Besonders wichtig ist dabei aus unserer Sicht der konsequente Ausbau des kombinierten Ladungsverkehrs. Ich bin nicht der Auffassung, daß wir technologisch und organisatorisch bereits optimale Lösungen für die gebotene Zusammenarbeit Straßen/Schiene erreicht haben. Aber diese Zusammenarbeit wird in Zukunft immer wichtiger werden, wie die Probleme im Zusammenhang mit dem alpenquerenden Verkehr deutlich gezeigt haben.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist der Aufbau eines europäischen Schienennetzes. Hier wird mein verehrter Kollege Ekkehard Gries nachher die Position der FDP vortragen.
Mit den Kabinettsbeschlüssen der Bundesregierung vom November 1983 und vom Februar 1989 sind aus unserer Sicht wesentliche Positionen entwickelt worden: 1983 die Rückenstärkung für das Unternehmen Deutsche Bundesbahn, nach unternehmerischen Gesichtspunkten zu handeln — ein ganz wesentlicher Punkt —; jetzt, im Februar 1989, mit der Übernahme der Altlasten in Höhe von 12,6 Milliarden DM — eine Forderung, die alle Verkehrspolitiker, Herr Kollege Weiss, in den letzten Jahrzehnten erhoben haben. Jeder Verkehrspolitiker wäre glücklich gewesen, wenn er von diesem Rednerpult aus die Erfüllung dieser Forderung hätte verkünden können.
Wir als Liberale sind schon ein bißchen stolz darauf, daß wir hieran maßgeblich mitwirken konnten.
— Dieses ist nicht der Punkt, Herr Kollege Weiss. Der entscheidende Punkt ist — das werden Sie feststellen, wenn Sie die Kabinettsvorlage und den Beschluß der Bundesregierung vom Februar 1989 lesen —, daß dort erstmals der Einstieg des Staats in die Finanzverantwortung für den Fahrweg festgeschrieben wird. Jeder, der auch nur eine ganz kleine Ahnung davon hat, was es bedeutet, eine solche Forderung gegenüber einem Finanzminister, wie immer er auch heißt, durchzusetzen, weiß, daß wir hier einen Meilenstein
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Kohn
in der Verkehrspolitik der Bundesrepublik Deutschland zuwege gebracht haben.
Die Bundesregierung hat eine Bahnkommission eingesetzt, die die Aufgabe hat, bis 1991 — so die zeitliche Zielvorstellung — die Maßnahmen zu entwickeln, die dann in diesem Parlament umgesetzt werden sollen. Ich brauche mich an dieser Stelle nicht zu verbiegen. Ich habe im Vorfeld dieser Entscheidung intern und öffentlich gesagt, daß ich kein Freund der Einsetzung einer solchen Kommission bin; nicht etwa, weil ich der Auffassung wäre, daß das nicht relevant sein könnte. Die FDP nimmt das sehr ernst und hat deshalb einen hochqualifizierten und angesehenen Verkehrswissenschaftler in diese Kommission entsandt.
Nein, ich habe die Gefahr gesehen, daß wichtige Entscheidungen nicht zeitgerecht getroffen werden könnten. Das ist ein Problem. Dieses Problem sehe ich auch heute und sage deshalb, daß wir mit der Einsetzung der Bahnkommission durch die Bundesregierung die Hoffnung auf eine grundsätzliche Neuordnung der Bahnpolitik in der Bundesrepublik Deutschland verbinden.
Die Rechtfertigung für diese Kommission kann nur sein, daß sie die Grundlagen erarbeitet, die in diesem Hause von allen politischen Kräften in der Zielsetzung mit getragen werden können. Wir alle wissen, daß es einen Konsens zwischen den Verkehrspolitikern über Fraktionsgrenzen hinweg gab und gibt. Wenn wir aber ehrlich sind, müssen wir auch zugeben, daß dieser Konsens nicht notwendigerweise über den Bereich der Verkehrspolitiker hinausreichte.
Unter diesem strategischen Aspekt, Herr Kollege Haar, trage ich diese Kommission mit und hoffe, daß sie ein positives Ergebnis in dem Sinne vorlegen wird, wie wir es nachher in der Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestags zur Vorlage der Koalitionsarbeitsgruppe Bahn beschließen werden.
Die Menschen in Deutschland und in Europa erwarten von uns Verkehrspolitikern Antworten auf die wachsende Dynamik des Verkehrsmarkts in Europa. Sie erwarten Antworten auf die wachsenden ökologischen Probleme, die der Verkehr in der Bundesrepublik, in Europa mit sich bringt. Sie erwarten — ich denke: mit Recht — , daß wir der Verkehrspolitik endlich den Stellenwert in der Gesamtpolitik einräumen und verschaffen, der ihr gebührt. So, wie im 19. Jahrhundert List mit seiner Schienen-Konzeption zum Zusammenwachsen der damaligen deutschen Teilstaaten beigetragen hat, genauso können wir mit einer vernünftigen Konzeption heute zu einem Zusammenwachsen der Staaten in Europa beitragen. Schienen können verbinden. Wir Freien Demokraten werden jedenfalls mit ganzer Kraft an der Lösung dieser großen Aufgaben weiterarbeiten.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rauen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn über Bundesbahn gesprochen wird, dann habe ich immer so ein bißchen den Eindruck, als wenn nicht in dieser Deutlichkeit gesprochen würde, wie man es eigentlich tun müßte, wenn man einem Unternehmen, das über viele Jahre hinaus planen muß, wirklich helfen will. Als ich vor zweieinhalb Jahren zum erstenmal betriebswirtschaftliche Daten des Unternehmens Bundesbahn sah, bin ich zutiefst erschrocken. Daß die Personalkosten eines Unternehmens jahrelang höher sind als die Erträge, die das Unternehmen hat, habe ich bis dahin nicht für möglich gehalten. Bei der Deutschen Bundesbahn ist dies der Fall. Nicht nur in der Vergangenheit war es so, nach den eigenen Berechnungen der Bundesbahn wird dies auch mittelfristig so bleiben. 21,3 Milliarden DM Personalkosten — für 1990 geschätzt — stehen lediglich Erträge aus Personen- und Güterverkehr von 14,5 Milliarden DM gegenüber. Hinzu kommen andere Erträge in Höhe von etwa 2,4 Milliarden DM. Das heißt, die Personalkosten liegen um 4,4 Milliarden DM höher als alle Erträge, die das Unternehmen hat, betriebswirtschaftlich eine Katastrophe!
Dieses Grundübel wird weder mit den mir bisher bekannten Konzepten und Forderungen der Bundesbahn, noch durch die verschiedensten Anträge und Forderungen von Gesetzesvorschlägen, die heute hier beraten werden, beseitigt.
Selbst wenn der Bund mit einem Schlag alle Schulden der Bundesbahn in Höhe von zur Zeit 47,3 Milliarden DM übernehmen würde und nicht nur, Herr Weiss, die 12,6 Milliarden DM Altschulden, selbst wenn der Bund alle Kosten der Schienenwege übernehmen würde, selbst wenn er alle Sachausgaben der Bundesbahn und Investitionen in Schienenwege voll finanzieren würde, so würde dieses Unternehmen dennoch aus dem eingangs geschilderten Sachverhalt heraus Jahr für Jahr neue Milliardenverluste machen. Die Bundesbahn ist mit diesen Wahrheiten ein Grab für Steuermilliarden.
Ich halte es für wichtig, diese unbequemen Wahrheiten klar anzusprechen, weil sonst der Eindruck bestehen bleibt, dem Unternehmen sei mit Detaillösungen wie z. B. Übernahme bestimmter Altschulden, konsequente Trennungsrechnung der Wegekosten mit Übernahme der Kosten aus den gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Bundesbahn bzw. Übernahme der Investitionskosten für neue Schienenwege bereits entscheidend geholfen mit dem Ziel, Zukunft zu gewinnen.
Das Grundübel liegt an der miserablen Ertragskraft der Bundesbahn. An dieser Stelle muß politisch und unternehmerisch angesetzt werden, um zu erreichen, daß die Deckungslücke zwischen Einnahmen und Ausgaben Jahr für Jahr nicht größer, sondern endlich vielleicht einmal kleiner wird,
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eine Deckungslücke, lieber Schorsch, die heute bei 17,5 Milliarden DM liegt und nach eigenen Berechnungen der Bundesbahn sich bis zum Jahr 2000 auf 26,17 Milliarden DM erhöhen soll. Bei 14 Milliarden DM Bundesleistungen pro Jahr wie z. B. in diesem Jahr, darunter 1989 9,6 Milliarden DM als erfolgswirksame Bundesleistungen und ca. 4,4 Milliarden DM Investitionszuschüsse, hat dies zur Folge, daß sich dieses Unternehmen Jahr für Jahr mit steigender Tendenz neu verschuldet. So kann es nicht weitergehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön; aber ich habe nur neun Minuten. Deshalb bitte ich, das nicht anzurechnen.
Herr Kollege, angesichts dieser Wahrheiten stelle ich die Frage an Sie: Warum bringen Sie mit Ihrer Fraktion heute nicht den Antrag ein, die Bundesbahn aufzulösen?
Diese rhetorische Frage steht eigentlich nicht zur Debatte. Überlegen Sie einmal: es geht um ein Unternehmen, bei dem von der Entscheidung über Investitionen bis zu deren Fertigstellung z. B. in Schienenwegen 13 bis 15 Jahre vergehen. Aus diesem Zusammenhang wird deutlich, daß in der Zeit, in der Sie Mitverantwortung hatten, Entscheidungen hätten getroffen werden müssen, die bewirkt hätten, daß heute nicht diese katastrophalen betriebswirtschaftlichen Ergebnisse zu konstatieren sind.
Meine Damen und Herren, das Unternehmen muß mehr leisten, die Verkehrsleistungen und damit die Einnahmen entscheidend steigern. An der Zunahme der Verkehrsleistungen in den letzten 30 Jahren hat die Deutsche Bundesbahn praktisch nicht partizipiert. Während sich die Verkehrsleistungen in diesem Zeitraum auf der Straße fast verdreifacht, bei der Binnenschiffahrt fast verdoppelt und im Luftverkehr verzehnfacht haben, liegt die Zunahme der Verkehrsleistungen, in Personen- und Tonnenkilometern gemessen, bei der Bundesbahn in diesen 30 Jahren lediglich bei 10 %. Die Eisenbahn des 19. Jahrhunderts hat die Herausforderungen des 20. Jahrhunderts nicht bestanden.
Trotz allem: Ich bin überzeugt, daß die Schiene als Verkehrsträger in der Zukunft wachsende Bedeutung bekommt. Der europäische Binnenmarkt und die Entwicklung in den Ländern Osteuropas werden einen gewaltigen Anstieg der Verkehrsleistungen nach sich ziehen. Wie sollen diese bewältigt werden? Der Luftraum über Deutschland ist weitestgehend zu, die meisten Autobahnen sind überlastet und heute schon oft verstopft. Neue Straßen unter Umweltgesichtspunkten durchzusetzen wird — für alle erkennbar — immer schwieriger.
Auf einen umweltfreundlichen Verkehrsträger wie die Schiene kommen damit neue Herausforderungen und Chancen zu. Wenn man aber respektiert, daß den Menschen die freie Wahl der Verkehrsmittel zugestanden wird, dann kann die Zukunft der Schiene nicht darin liegen, durch dirigistische Maßnahmen andere Verkehrsmittel zu verteuern, sondern die Schiene und damit auch die Bundesbahn müssen ihre Chancen dort suchen, wo sie unzweideutig liegen: erstens bei schnellen Personenfernfahrten zwischen den Ballungsräumen; zweitens beim schnellen Transport von Warenladungen und Massengütern zwischen Verkehrszentren über weite Entfernungen und drittens bei der Kombination der Systemvorteile der Bahn mit denen anderer Verkehrsmittel, z. B. im kombinierten Ladungsverkehr, Containerverkehr, Huckepackverkehr, wo ja in der Zukunft zweifellos, auch von der Bundesbahn erkannt, große Chancen liegen.
Damit die Bahn wirklich Geld verdienen kann, sind jedoch einige Dinge grundsätzlich zu überdenken. Es ist ein Anachronismus, daß die Bundesbahn für den Güterverkehr 25 000 Kilometer Schiene zur Verfügung hat, die wesentlichen Güterverkehrsleistungen aber auf nur 5 000 Kilometern davon stattfinden. Im Personenverkehr ist dies nicht viel anders. Mit anderen Worten: Dort, wo sie Geld verdienen könnte, sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr, fehlen ihr die Schienenwege. Dort, wo sie Transportwege hat, fehlen ihr Fahrgäste und Güter.
— Das ist nicht falsch. Vor wenigen Tagen noch haben Vertreter des Bundesbahnvorstandes dies exakt bestätigt.
— Herr Weiss, es rächt sich heute, daß, von der letzten Hälfte der 80er Jahre einmal abgesehen, in den 60er und 70er Jahren zuwenig in die Zukunft der Bahn investiert wurde. Am Ende steht die alte Erkenntnis, daß Erhaltungssubventionen genauso wenig wie dirigistische Maßnahmen ein Mittel sind, um Unternehmen zu sanieren.
Zur Bewältigung der Verkehrsprobleme in der Zukunft brauchen wir die Schiene und brauchen wir ein gesundes Unternehmen Bundesbahn. Wechselseitige Schuldzuweisungen zwischen Bahn und Bund lösen die Probleme jedoch nicht.
Meiner Auffassung nach sind vier Dinge wichtig, die heute erkannt und getan werden müssen, damit die Bundesbahn vielleicht in zwei Jahrzehnten ein gesundes Unternehmen wird.
Erstens. Politik und Bahn müssen respektieren, daß sich der Mensch in der Fläche individuell für das Auto entschieden hat. Die Schiene hat in der Fläche zukünftig kaum mehr eine Chance.
Zweitens. Die Bundesbahn muß ihre Marktanteile an den Verkehrsleistungen gewaltig steigern, um die Ertragskraft zu verbessern. Statt weitere Personalreduzierungen vorzunehmen, ist zu überprüfen, ob das Verhältnis der Kosten für Verwaltung zu den Kosten für die aktiv Arbeitenden zu rechtfertigen ist. Die
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beste Verwaltung nützt nichts, wenn z. B. Lokführer fehlen.
Drittens. Der EG-Binnenmarkt erfordert eine wirksamere Kooperation der bisher weitestgehend national operierenden Eisenbahnen.
Viertens. Der Eigentümer des Unternehmens muß mehr als bisher in neue Schienenwege und moderne Umschlagbahnhöfe investieren. Um dies tun zu können, ist zu prüfen, ob die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung der Bundesbahn in dem Maße aufrechterhalten werden kann, in dem dies zur Zeit noch der Fall ist.
Meine Damen und Herren, ich weiß sehr wohl, daß die Politik hier in einem Zielkonflikt steht. Wem, wie mir, jedoch an dem Verkehrsträger Schiene sehr gelegen ist und wer redlich bemüht ist, das Unternehmen Bundesbahn mit seinen 240 000 Mitarbeitern in eine Zukunft mit Perspektive zu führen, der wird nicht umhin kommen, unbequeme Wahrheiten deutlich auszusprechen und diesen Zielkonflikt zu lösen.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Bamberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie wahr, wenn mein Vor-Vorredner ausführt: Die Menschen erwarten endlich Antworten, und wenn mein Vorredner Zahlen nennt, die in der Tat gravierend und bedrückend sind. Nur, das höre ich, seitdem ich hier bin.
Hier muß aber doch die Frage nach dem Warum und nach der Verantwortung gestellt werden.
In der Zeit, in der ich hier bin, habe ich allerdings dreierlei gelernt — die Debatte heute hat mich darin bestätigt — : Erstens. Die Unterschiede zwischen dem, was hier in diesem Hohen Hause — je nach Standort des Betrachters — angekündigt, versprochen, eingeschätzt oder verteidigt wird, wird draußen von niemandem mehr ernst genommen. Früher haben sich die Menschen darüber geärgert; heute ignorieren sie uns. Das hat zweitens mit zu dem zunehmenden Bürgerverdruß, zur Glaubwürdigkeitslücke und bei manchen zu einer Art Verdrossenheit beigetragen, die uns noch viel Kopfzerbrechen bereiten wird. Die gegenseitigen, manchmal selbstgefälligen und die, wenig Bereitschaft, Argumente aufzunehmen, zeigenden Schuldvorwürfe — die „Erblast" auf der einen Seite, wir haben nichts anderes gehört, und die Vorwürfe, es bestehe ein Handlungsdefizit, auf der anderen Seite — , kotzen die Menschen draußen im Grunde genommen an.
— Solch einen Ausdruck sollte man nicht verwenden,
aber ich glaube, er ist in dem Fall angebracht. In Bayern würde man sagen: Das haben wir doch immer schon so gemacht.
Diese Verdrossenheit wird meiner Meinung nach spürbar. Sie bezieht sich vor allem auf die Verkehrspolitik, bei der die Menschen täglich aktiv oder passiv erleben, wie eklatant die Politik — ich sage bewußt: die Politik; das sind wir alle, Regierung und Parlament, die wir immer so hohe Ansprüche stellen — versagt. Wir stellen auf der einen Seite mit Stolz heraus, daß wir fast das beste Straßennetz Europas haben — wenn es um das Bild in der Zeitung anläßlich von Straßenfertigstellungen geht, stehen beim Durchschneiden des Bandes alle einträchtig beisammen, um auch ja ins Fernsehen zu kommen; bei uns gibt es fast 32 000 km Landstraßen, 8 000 km Autobahnen; wir verfügen über ein geschlossenes Straßennetz —, während wir auf der anderen Seite schamhaft und selbstgerecht den Preis hierfür verdrängen.
Ist Verkehrspolitik denn nicht Umweltpolitik? Das heißt: Geht es nicht auch um die ökonomische und ökologische Situation in den Alpen und darüber hinaus um Alpenschutzkonventionen, Nachtfahrverbote, Transit, grenzüberschreitenden Verkehr?
Der Herr Dr. Jobst hat hier vom Verzicht auf die Straße gesprochen. Niemand fordert doch den Verzicht auf die Straße. Aber der Preis, den wir hierfür zu zahlen haben, ist hoch. Die Bundesrepublik ist übrigens noch das einzige Land, wo nach dem Motto „Freie Fahrt für freie Bürger" gefahren wird. Irgend jemand hat gesagt, dies sei die Freiheit des Dschungels, diese unlimitiert ablaufende Verkehrspolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es vergeht kaum ein Wochenende ohne schwere und schwerste Unfälle. Halten wir es uns immer wieder vor Augen, wenn wir die „Freie Fahrt für freie Bürger" fordern. Allein im letzten Jahr verunglückten 42 706 Kinder im Straßenverkehr; davon verunglückten 359 tödlich, während 11 731 Kinder schwer- und schwerstverletzt wurden. Hauptursache für diese Unfälle ist zu hohe und — wie bei uns das Rasen so schamhaft umschrieben wird — unangepaßte Geschwindigkeit. Dürfen wir ob dieser Zahlen andere Argumente überhaupt noch zur Kenntnis nehmen? — Bitte schön, Herr Jobst!
Sie haben das Wort, Herr Kollege Jobst.
Herr Kollege Bamberg, würden Sie uns dann aber auch sagen, wo diese Unfälle passiert sind? Sind sie auf Autobahnen passiert, oder sind sie dort passiert, wo bereits ein Tempolimit verhängt worden ist?
Herr Dr. Jobst, diese Argumente sind für mich im Grunde genommen uninteressant.
— Moment mal, ich hoffe, es wird mir nicht auf die Redezeit angerechnet, Frau Präsidentin.
Nein.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13951
Im Grunde genommen, wenn wir ehrlich sind, ist es uninteressant.
— Laßt mich halt ausreden, Ihr seid doch sonst ganz nette Leut.
Im Grunde genommen ändert man durch Geschwindigkeitsbegrenzungen Verhaltensweisen der Menschen.
Es gibt Untersuchungen, die belegen: Überall dort, wo Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt worden sind, haben sich die Verhaltensweisen der Menschen im Verkehr geändert. Wer in einem anderen Land, z. B. in Amerika, jemals Auto gefahren ist und zurückkommt, der meint, er ist in einem Irrenhaus. Es geht um das Grundsätzliche. Es tut mir furchtbar leid, daß wir immer wieder nach Argumenten suchen, wie wir es verhindern könnten. Nein, wir müssen die Verhaltensweisen ändern.
— Nein, das stimmt doch nicht. Das ist doch keine Lust am Reglementieren. Das sind doch Erkenntnisse. Herr Staatssekretär, Sie merken es doch auch. Sie können diese Politik im Grunde nicht gutheißen, wenn Sie diese Zahlen hören; das ist doch nicht möglich.
Geht es jetzt weiter im Text?
Ja. — Ich habe vorhin gefragt, ob uns ob dieser Zahlen der toten Kinder andere Argumente überhaupt noch interessieren dürfen, etwa das Argument, daß täglich 6 000 Lkw über die Inntalautobahn donnern. Das ist dort, von wo ich herkomme. Ich habe das schon einmal gesagt, und ich stelle die Aussage immer wieder in den Raum: 1,2 Millionen Lkw. Wenn man eine Kette dieser 1,2 Millionen Lkw auf dem Trampelpfad Europas ohne Zwischenraum zusammenstellt, dann ist das eine Kette von Lissabon quer durch Europa bis Wladiwostok. Allein die Schadstoffmengen — daß paßt zu der Frage, Herr Dr. Jobst — , die in diesem relativ kleinen Bereich ausgestoßen werden, betragen übrigens immer noch 800 t Kohlenmonoxid, 190 t Stickoxid und 130 t Schwefeldioxid, Blei und Quecksilber. Eine unbezweifelbare Prognose, die nicht von der SPD stammt, besagt, daß sich diese Horrorzahlen für die Straße bis zum Jahr 2000 verdoppeln, wenn die Verkehrspolitik nicht geändert, umgestaltet wird.
Daß wir überhaupt nicht mehr beachten, was mit den Anwohnern passiert, die ja alle vor der Straße da waren, gehört dazu. Im Rahmen einer Studie wurden 100 000 untersucht. 67 % sind lärmgeschädigt. 38 der Menschen, die in mittelbarer und unmittelbarer Umgebung der Autobahn wohnen, haben Schlafstörungen; das nehmen wir kaum noch zur Kenntnis.
Es geht weiter. Ich habe vor kurzer Zeit gelesen, und zwar nicht in einer Veröffentlichung der SPD — interessiert diese Frage etwa nicht? —, daß von den rund 3,27 Milliarden t Gütern, die in der Bundesrepublik im Jahre 1989 befördert worden sind, entfallen 2,66 Milliarden — das sind 80% — auf die Straße. Auch von dem 3%igen Zuwachs der Gütermenge, der in diesem Jahr als Folge des starken Wirtschaftswachstums zu verzeichnen ist und immerhin ein Beförderungsvolumen von mehr als 100 Millionen t ausmacht, entfällt der Löwenanteil auf die Straße. Während die Bahn von dieser Menge ganze 5 Millionen t und die Binnenschiffahrt ganz bescheidene 8 Millionen t befördern, muß die Straße 91 Millionen t, davon 21 im Straßengüterfern- und 70 im Straßengüternahverkehr, verkraften. Das sind doch Feststellungen, das sind doch Zahlen.
Das paßt doch nicht zu dem, was der Verkehrsminister, Dr. Zimmermann, eingangs zum grenzüberschreitenden Verkehr gesagt hat. Der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Dr. Schulte, hat am 8. November auf eine entsprechende Anfrage eines Kollegen gesagt, daß sich das Verkehrsaufkommen der Bahn seit 1980 um fast 15 % verringert, im Straßenverkehr aber um 45 % und im Luftverkehr um 50 % gesteigert hat. Das paßt doch nicht zu dem, was vorhin gesagt worden ist. Ist dies halt einfach so oder vielleicht politisch gewollt oder zumindest fahrlässig verursacht? Wenn es politisch gewollt ist, dann stelle ich mich hin und sage: Es wird doch etwas anderes von den Verantwortlichen gesagt. Meine Erfahrung sagt mir, daß kein halbwegs normaler Mensch mehr Verständnis für diese Art von politischem Handeln oder Unterlassen hat. Ich halte es für fast unvorstellbar, daß man die Folgen solchen politischen Handelns auch noch verteidigt.
Nun fordern die Sozialdemokraten als Alternative: Güter auf die Schiene. Andere fordern es auch. Im Grunde fordern es alle. Die Frage ist nur, wie man es verwirklicht. Dabei ist dies offensichtlich gar nicht mehr möglich, und ich befürchte, das ist gewollt.
Ich bringe wieder einen Ausdruck. Zu verlottert und politisch verludert scheint mir die Situation dieser Bahn zu sein. Ich habe mir überlegt, ob ich das sagen soll, aber es ist doch die Tatsache.
Mir ist gestern folgende Anzeige in die Hände gekommen — bezeichnenderweise aus dem sozialdemokratischen Magazin „Vorwärts". — Frau Präsidentin, darf man das herzeigen, oder ist das nicht üblich? — :
Lesen Sie es vor! Bamberg :
Liebe Bahn, warum läßt du uns im Regen stehn? Mehr Güter von der Straße auf die Schiene. Viele sehen darin die Patentlösung aller Verkehrsprobleme. Tatsache ist, daß täglich Hunderte von Lastwagen vergeblich darauf warten, zum Zug zu kommen. Leider läßt du uns auf überfüllten Bahnhöfen im Regen stehen, weil deine Kapazitäten auf den Huckepack-Strecken längst erschöpft sind. Du bist im Zugzwang und mußt einen Zahn zulegen. Wir können nicht lange auf dich warten, liebe Bahn.
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Bamberg
Das schreiben die selbständigen Transportunternehmer Gut, Fern, Schnell.
Paßt das zu dem, was der Verkehrsminister vorhin gesagt hat? Soll eine solche Bahn, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein ernstzunehmender Konkurrent auf einem freien Verkehrsmarkt sein? Mitnichten. Merkt denn das Bahnmanagement eigentlich nicht, daß das politische Verschaukeln dazu führt, daß man sie als Konkurrent nicht einmal mehr ernst nimmt? Ich halte es für bitter, daß alle Anstrengungen, die das Management der Bahn unternommen hat, durch die Wirklichkeit ad absurdum geführt werden, weil die notwendige Rahmenbedingung, der politische Flankenschutz, hierzu fehlt oder nicht ausreichend vorhanden ist und weil die Chancengleichheit nicht da ist. Man konkurriert aus Sicht von Straßen- und Luftverkehr nicht mehr mit der Bahn. Man verspottet und verhöhnt die Bahn doch durch solche Anzeigen. Das paßt doch alles nicht in das, was hier von seiten der Verantwortlichen gesagt worden ist.
Das Ergebnis ist das, was ich vorhin kurz versucht habe aufzuzeigen: Die Folge ist, daß das Personenverkehrsaufkommen gemessen am Gesamtverkehr unter 6 % stagniert und im Güterverkehr nicht einmal mehr 27 % mit der Bahn befördert werden. Von der wieder steigenden Verschuldung ganz zu schweigen.
Die langfristig bitterste Folge aber — ich wollte dies heute wiederholen — ist die Resignation der Eisenbahner. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin 30 Jahre lang bei der Bundesbahn fast in allen Sparten beschäftigt gewesen. Selbst diejenigen aus dem Mittelmanagement, die Referenten und die Dezernenten bei den Direktionen, kenne ich aus meiner Zeit als verantwortungsbewußt. Sie identifizierten sich mit ihrer Bahn, sie haben sie mit Klauen und Zähnen verteidigt. Die haben völlig resigniert, weil sie aus allgemeinem Personalmangel, aus Mangel an Lokführern, die steigende, wenn auch wenig steigende Nachfrage nicht bewältigen können.
In der letzten Debatte hat der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Herr Dr. Jobst, dazwischengerufen: So ist es nicht richtig! — Herr Dr. Jobst, so ist es richtig! Das Inserat bestätigt, daß es richtig ist.
Trotz großer Bedenken sage ich es noch einmal in der Öffentlichkeit: Weil immer mehr Schrankenwärter fehlen, müssen Züge oftmals offengebliebene Schranken mit Befehl, wie es in der Fachsprache heißt, schließen. Das ist nicht ganz ungefährlich. Folgenschwer ist der Mangel an Lokführern. Der Vorstand der DB hat diesen Tatbestand vor kurzer Zeit nach einer Krisensitzung öffentlich zu vertuschen versucht. Es ist möglicherweise gelungen. Aber innerhalb der Bahn, der Betroffenen, ist das Ganze in Wut ausgeartet. Man könnte über den Umfang der Überstunden, die Lokführer heute machen müssen und die bis zu 40 Tage betragen, schwarz auf weiß berichten.
Dann stellt sich die Frage: Kann man denn alles das, was heute von seiten der Regierung gesagt worden ist, wirklich noch sagen? Will die Bundesregierung noch immer — ich muß die Anklage an diese Seite richten — das Bahnkonzept 1990 für richtig halten? Ich glaube, das ist nicht möglich.
Andere Länder gehen seit Jahren erfolgversprechend und konsequent einen ganz anderen Weg, z. B. die konservative Schweiz. Ich kenne den Schweizer Verkehrsminister aus anderen Gründen persönlich gut, konnte viele Gespräche führen. Er ist ein konservativer Mensch, er sagt: Was ihr macht, ist völlig undenkbar. Wir gehen von dem 28-Tonnen-Korridor über den Gotthard nicht weg, weil wir ein Signal setzen wollen. Bei anderen Bahnen, ob es in Dänemark oder in den Niederlanden ist, wird viel gemacht. Sie können die steigende Nachfrage mit Tarifen, die man nach unten korrigiert — nicht wie bei uns nach oben —, kaum mehr bewältigen.
Es gibt Möglichkeiten, Menschen auf die Bahn zu bringen, und es gibt auch Möglichkeiten, Güter auf die Bahn zu bringen. Bis jetzt wird alles abgetan, wenn ich oder wenn wir Vorschläge machen, ob man nicht einmal wieder in die Richtung des Leber-Plans denken könnte.
Was in einer großen Koalition unter Kiesinger möglich war, müßte doch anderen ebenfalls möglich sein. Wenn ich den Vorschlag in bezug auf den Leber-Plan mache, weiß ich, daß man das sofort mit dem Dirigismusvorwurf wegdrückt. Das ist Dirigismus, und die Sozis haben doch nie etwas anderes gewollt, heißt es. Nur stellt sich die Frage: Ist es der Preis, den wir zahlen, nicht wert, daß wir es probieren? Was möglich zu sein schien, aber von — wenn ich richtig liege — Müller-Hermann kaputtgemacht worden ist, das müßte doch in der Jetztzeit, nachdem sich die Probleme so sehr verstärkt haben, auch noch in diesem Zusammenhang möglich sein.
Ich komme noch zum Nachtfahrverbot. Das Nachtfahrverbot in Österreich wurde verteufelt. Im übrigen gibt es auch eine verkehrte Lageeinschätzung. Ich war persönlich in der Nacht von Freitag auf Samstag in Kiefersfelden. Ich könnte viel berichten — aber ich habe keine Zeit mehr — , was die Lastkraftwagenfahrer dazu sagen. Sie sind sehr diszipliniert. Aber das war doch auch ein Signal in die richtige Richtung. Das Nachtfahrverbot ist doch auch nicht eingeführt worden, weil der Partl in Tirol ein Sozialdemokrat ist; nein, das ist ein schlitzohriger Konservativer. Aber da haben die Menschen drüben den Stimmzettel zum Denkzettel gemacht, indem die Konservativen 16 To verloren haben. Darum wird an dem Nachtfahrverbot Gott sei Dank festgehalten.
Gott sei Dank wird daran als Signal festgehalten. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich rege noch einmal an — ich habe es auch schon beim letztenmal gesagt — : Nehmen wir doch vielleicht das Signal auf!
Ich könnte noch vieles sagen; ich bin lange nicht fertig geworden, weil mir vieles andere eingefallen ist.
Ich wollte noch sagen, eine Politik, die Menschen Vorrang vor dem Verkehr einräumt, so wie es die
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13953
Bamberg
Österreicher und Schweizer machen, kann nicht so verkehrt sein.
Dann möchte ich dem Bundesverkehrsminister Dr. Zimmermann noch einen Vorschlag machen. Herr Dr. Schulte, vielleicht überbringen Sie es ihm, weil er nicht da ist. Der Zimmermann und ich, wir sind beide in der gleichen Situation. Wir sind beide von unseren Parteien schnöde abserviert worden;
beide sagen, zu Unrecht. Jetzt brauchen wir im Grunde genommen keine Rücksicht auf unsere Parteien mehr zu nehmen. Wir könnten gemeinsam eine Verkehrspolitik ohne Rücksichtnahme auf Ideologie machen. Ich verbürge mich für meine Partei, daß sie es macht; der Zimmermann soll jetzt ebenfalls keine Rücksicht mehr nehmen. Dann bringen wir eine pfundige Verkehrspolitik zustande, die Menschen Vorrang vor dem Verkehr einräumt.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bauer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte in dieser Debatte noch einmal den deutsch-deutschen Schienenverkehr aufgreifen. Denn zu einer so umfassenden Debatte über die Deutsche Bundesbahn gehört in dieser für unser deutsches Volk historischen, überwältigenden und schicksalhaften Zeit selbstverständlich auch der innerdeutsche Verkehr.
Mit dem 9. November 1989, mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze, ist der Reiseverkehr, vor allem von Ost nach West, sprunghaft in die Höhe geschnellt. Eine gesicherte Prognose über die weitere Entwicklung läßt sich zur Zeit nicht anstellen. Es wird mit 10 Millionen Reisenden pro Jahr gerechnet.
Innerhalb dieser neuen Herausforderungen kommt der Deutschen Bundesbahn bzw. ganz allgemein dem gesamten Rad-Schiene-Verkehr nicht nur eine zusätzliche, sondern auch eine hervorragende Aufgabe zu. Ich möchte noch einmal wiederholen, was vor allem auch von meinem Kollegen Dr. Jobst bereits gesagt worden ist, und allen Mitarbeitern sowohl der Deutschen Reichsbahn, als auch der Deutschen Bundesbahn für ihr großes Engagement in diesen Tagen besonders danken und ihnen ein herzliches Dankeschön von dieser Stelle aus zurufen.
Wir alle haben die Bilder der zum Teil um 300 % überfüllten Züge gesehen. Allein schon aus diesem Umstand heraus ist zu schließen, daß wir auch in Zukunft auf die Eisenbahnen als ein Massenverkehrsmittel nicht verzichten können. So hat allein die Deutsche Bundesbahn in einer Woche 100 Züge im Fernverkehr und 470 im grenznahen Verkehr zusätzlich eingesetzt.
Auch für den Winterfahrplan 1989/90 sind zusätzlich 35 Zugpaare vereinbart worden. Davon entfallen
auf den Fernreiseverkehr 20 und auf den grenznahen Verkehr 15.
Es muß dringend versucht werden, die Grenzaufenthaltszeiten zu verringern und zunächst sowohl bei der Einreise als auch bei der Ausreise eine Verkürzung der Wartezeit von zur Zeit 40 Minuten auf weniger als 25 Minuten zu erreichen. Das Ziel muß sein, daß Grenzkontrollen nur noch im fahrenden Zug stattfinden.
Ein Dankeschön gilt aber auch den Mitarbeitern der zuständigen Ministerien, die sich ebenfalls mit viel Engagement in diesen Tagen dieser neuen Aufgabe angenommen haben.
Ein Dankeschön möchte ich auch unserem Bundesverkehrsminister sagen, der heute morgen einen Bericht über aktuelle Probleme der Verkehrsverbindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR dem Verkehrsausschuß des Bundestages vorgelegt hat. Alle für den innerdeutschen Verkehr relevanten Probleme wurden angesprochen und, soweit möglich und nicht bereits schon geschehen, Lösungen vorgestellt. Der Bericht zeigt, daß auch außergewöhnliche Ereignisse von unserer Regierung kurzfristig, effektiv und in unbürokratischer Weise bewältigt werden.
Ich möchte auf einige Probleme noch eingehen, auf Probleme, die auch Kollege Kohn schon angesprochen hat. Ein Teil der angesprochenen Probleme ist bereits im Bericht aufzufinden, und der andere Teil ist in der Diskussion heute morgen im Ausschuß ebenfalls schon angeklungen.
Ich denke bei diesen Problemen vor allem an den von unserem Bundeskanzler geforderten Ausbau der Eisenbahnstrecke Hannover—Berlin. Hier muß vordringlich und zügig weiter verhandelt werden. Dieses Vorhaben gewinnt im Hinblick auf das Reisendenaufkommen auch aus dem Ostteil Berlins eine besondere Bedeutung. Hierbei muß die Möglichkeit der Anbindung weiterer Bahnhöfe, z. B. Magdeburg, einbezogen werden.
Grundsätzlich ist eine bedarfsgerechte Anpassung der notwendigen Eisenbahnverbindungen mit der DDR zu prüfen. Wichtige Elemente dabei sind die bereits in Bau befindlichen Ausbaustrecken Dortmund—Kassel und Frankfurt—Fulda. Darüber hinaus erfordern weitere konzeptionelle Überlegungen grundlegende neue Untersuchungen hinsichtlich Verkehrsprognose, Trassierung, Wirtschaftlichkeit und Finanzierung.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Schließung von Elektrifizierungslücken im innerdeutschen Schienenverkehr. Hierzu gehören besonders die Strecken Helmstadt—Magdeburg, Bebra—Neudietendorf und Probstzella—Kramburg.
Hinzu kommt, daß im Interesse einer quantitativen und qualitativen Verbesserung des innerdeutschen Verkehrs die Öffnung weiterer Grenzübergänge in die Überlegungen einzubeziehen sind. 28 Strecken sind durch die Grenzziehung unterbrochen. Ihre Befahrbarkeit kann durch Investitionen für das Verlegen von Gleisen, für Brückenbauwerke, für eisenbahnbe-
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Bauer
triebliche Sicherungseinrichtungen und anderes wiederhergestellt werden.
Berücksichtigt man die Kapazität der im Grenzgebiet überwiegend eingleisigen Strecken der Deutschen Reichsbahn, ist mit dem Vorschlag der DDR zu rechnen, den Betrieb zumindest auf folgenden Strekken wieder aufzunehmen: Eichenberg—Ahrenshausen, Nierenberg—Bergen und Mellrichstadt—Meiningen.
Langfristig muß eine umfassende Verkehrswegeplanung vorgenommen werden. Dies ist besonders auf die neuen Dimensionen des Ost-West-Verkehrs abzustellen. Innerhalb des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes sind die neuen Ost-West-Verbindungen sinnvoll in die notwendigen Nord-SüdVerbindungen einzubinden. Hierbei darf nicht übersehen werden, daß zur Zeit der eigentliche Personenreiseverkehr noch im Vordergrund steht, während langfristig der Güterverkehr möglicherweise eine noch größere Bedeutung als der Personenreiseverkehr erlangen wird.
Meine Damen, meine Herren, eine Reihe von Maßnahmen stehen ins Haus. Gehen wir davon aus, daß außergewöhnliche Ereignisse auch außergewöhnliche Mittel erfordern, so werden wir für diese speziellen, außergewöhnlichen Mittel auch spezielle, und zwar zusätzliche, Finanzmittel benötigen. Ohne eine entsprechende Finanzausstattung ist die Infrastruktur für unser endlich wieder zusammenwachsendes Deutschland nicht in der von uns gewünschten Schnelligkeit aufzubauen. Allerdings liegt die Betonung hier auf „zusätzlich". Denn der Ausbau des innerdeutschen Verkehrs darf nicht auf Kosten des Bedarfs an Ausbaumaßnahmen innerhalb der Bundesrepublik gehen.
Der Ausbau muß parallel laufen, er muß sich ergänzen. Beide Verkehre sind letztendlich gleich wichtig und dann insgesamt in ein gesamteuropäisches Verkehrsnetz einzubetten.
Wir zeigen in der heutigen Debatte unserer Deutschen Bundesbahn und damit auch den Mitarbeitern unserer Bundesbahn neue Perspektiven auf. Hierzu gehört zwingend auch der innerdeutsche Verkehr, der auf die entsprechenden Schienenverbindungen nicht verzichten kann, der auf die Deutsche Bundesbahn nicht verzichten kann, auf den wiederum aber auch die Deutsche Bundesbahn nicht verzichten kann. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß der deutsche Verkehr in seiner Gesamtheit weder aus gesamtdeutschen noch aus Umwelt-, Auslastungs- und infrastrukturellen Gründen auf den Schienenverkehr verzichten kann. Für CDU-Politik gilt nach wie vor: Die Deutsche Bundesbahn ist für die Lösung der Verkehrsprobleme auch in Zukunft unverzichtbar.
— Danke schön.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Gries.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, es gibt inzwischen nach vielfältigen verkehrspolitischen Debatten, die zunehmen — heute verfügen wir vielleicht sogar über ein Übermaß an Zeit — , einen großen Konsens zwischen allen Fraktionen.
Ich bin froh, daß ich 17 Minuten Redezeit habe. Eine Minute ist schon fast vorbei. Das geht hier immer sehr schnell.
— Nein, Schorsch, daß man endlich einmal in Ruhe und nicht in der Hektik, die man sonst hier an den Tag legen muß, über Dinge reden kann.
Ich meine nämlich, daß wir uns z. B. darüber klar sind, daß der Zuwachs des künftigen Verkehrs praktisch nur noch über die Schiene und das Wasser — das wird hier immer vergessen — bewältigt werden kann. Die Straßen und auch der Luftraum sind nahezu erschöpft. Die Grenzen der dort noch möglichen Ausbaufähigkeiten sind erreicht. Das heißt, es ist heute keine bloße Floskel mehr, sondern es ist Notwendigkeit, wenn wir sagen: Der Schiene gehört Vorrang. Das ist sowohl die Schiene im ÖPNV, im Nahverkehr der Ballungszentren, wie über die weiten Strecken wie im europäischen Verkehr. Das wollte ich hier einmal vorweg sagen.
Das bedeutet, daß wir ein Interesse haben müssen, die Bundesbahn zu stärken. Wie das zu geschehen hat, darauf hat mein Kollege Roland Kohn schon hingewiesen. Wir sind überzeugt, daß die FDP ein gutes Konzept hat, das umsetzbar ist, das sicher auch von der Kommission, die jetzt mit Geduld und großem Sachverstand arbeiten kann, übernommen wird. Wenn es in bestimmten Teilen verbessert wird, soll uns das recht sein. Wenn Sie uns gute Vorschläge machen, sind wir offen.
Ich will auf ein paar andere Bemerkungen eingehen, zum Beispiel auf die Frage Bundesbahn, Schiene und Europa. Die Verkehrswege aller Art sind Lebensadern für die Menschen wie für die Wirtschaft. Dazu gehört in Europa in ganz besonderer Weise die Schiene. Hier sind wir nicht Spitze. Wir haben sogar den Weltrekord mit unserem ICE verloren, habe ich heute gelesen. Uns haben die Japaner z. B. mit ihrem Hochgeschwindigkeitszug zwischen Tokio und Osaka vorgemacht, wie die Bahn wettbewerbsfähig gemacht werden kann. Uns haben die Franzosen gezeigt, wie schnell man Vernünftiges bauen und dabei sogar gewinnträchig im Wettbewerb bestehen kann, und zwar durch ihren TGV zwischen Paris und Lyon. Das waren ganz wichtige Ansatzpunkte und Anstöße zu der Überlegung, zu einem europäischen Schnellverkehrsnetz zu kommen.
Ich bin sehr froh, daß wir das aufgenommen haben und daß jetzt eine Gesamtkonzeption für eine Rahmenplanung vorgelegt worden ist, die natürlich 25, 30 Jahre in Anspruch nehmen wird, und zwar mit einem europäischen Gesamtnetz von etwa 30 000 km, auf dem etwa 200 km/h Geschwindigkeit gefahren werden kann.
Die Bundesrepublik wird dabei eine Schlüsselrolle haben, nicht nur in der Planung, sondern schon von unserer geographischen Lage her. Das wird in dem
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neuen, größer werdenden Europa noch wichtiger. Die Bundesrepublik wird auch in der Finanzierung eine Schlüsselrolle haben müssen. Insofern ist es gut, daß sich jetzt auch die EG engagiert. Die EG will nach den neuesten Meldungen die Strecke Brüssel—Amsterdam—Aachen mit finanzieren. Ich halte das für einen ganz wichtigen Schritt und Fortschritt, weil ich meine, daß die Kooperation zwischen den europäischen Eisenbahngesellschaften — das sind in der Regel alles nationale und sehr prestigebehaftete Gesellschaften — viel besser werden muß, damit dann manches leichter geht.
Aber wenn man betrachtet, was in Wirklichkeit realisiert worden ist, dann sieht man eine trübe Bilanz. Ich habe mir die Zahlen aufschreiben lassen. Das Ausbauprogramm der Bundesbahn von 1970 hat bis 1985 2 200 km vorgesehen. Ende 1991 werden wir etwa 426 km erreicht haben. Man muß allerdings sehen: Wir haben einen anderen Anspruch an das, was wir bauen. Wir haben schwierigere geographische Voraussetzungen. Wir haben — das spüren wir auch an anderer Stelle — ein Planungsrecht, das nicht gerade dazu geeignet ist, Investitionen, die notwendig und gewollt sind, schnell umzusetzen.
Einzelne Betroffene — manchmal jedoch auch Nichtbetroffene — sind in der Lage, solche Investitionsentscheidungen ganz wesentlich aufzuhalten.
Ich gehe davon aus, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Schulte — der Minister ist ja heute entschuldigt — , daß das jetzt ernst wird, daß die Bundesregierung endlich die Entscheidung trifft, was unseren Teil des europäischen Schnellverkehrsnetzes betrifft. Ich meine ganz konkret die Strecke Köln — Frankfurt. Das betrifft ja nicht nur die Verbindung zwischen Köln und Frankfurt; denn diese ist nur der deutsche Teil des europäischen Schienennetzes. Das muß man immer wieder dazusagen. Vielmehr handelt es sich um den Weg nach Paris, nach Brüssel und — durch den Tunnel — nach London. Und es ist die Fortsetzung über Mannheim und Stuttgart nach München.
Ich sage ein bißchen mit Ungeduld, auch als Sprecher einer Koalitionsfraktion: Es wird höchste Zeit. Wir wissen, daß das nicht immer populäre Entscheidungen sein können. Aber sie müssen getroffen werden. Sie sind bitter notwendig. Ich hoffe, daß das in der nächsten Woche geschieht
und daß die Entscheidung über die Strecke Köln — Frankfurt dann zügig umgesetzt wird.
Eine andere Entscheidung steht vor der Tür. Auch das möchte ich hier ansprechen. Sie hat im Augenblick vielleicht nicht die gleiche Priorität, aber doch die gleiche sachliche Begründung. Das ist die Strecke Saarbrücken — Mannheim. Diese ist notwendig, damit wir den Anschluß zur TGV-Est, zu unseren französischen Freunden finden.
Auch das ist notwendig.
Ich bin mir sicher, daß im Ministerium darüber nachgedacht wird. Nun sollte die Regierung schnellstens entscheiden. Wir mindern unsere Chancen in Europa durch das Verzögern der Entscheidungen, die nur wir zu treffen haben.
— Und die Bundesländer. Ich sage dazu: Das können nicht nur populäre Entscheidungen sein.
Denn es kann nicht jedem nach dem Mund geredet und es kann nicht jeder Wunsch erfüllt werden. Ich habe Verständnis für den Wunsch des Landes Rheinland-Pfalz — auch deshalb, weil die FDP dort in der Koalitionsregierung sitzt —, eine Trasse zu wählen, die Mainz und Koblenz anbindet. Ich muß aber dazusagen, daß wir hier nicht regionale Strukturpolitik betreiben.
Das gilt auch für Hessen. Wir realisieren hier den nationalen Zweig einer europäischen Gesamtkonzeption. Dabei müssen solche Überlegungen zurücktreten. Ich bitte unsere Freunde in Mainz, das zu berücksichtigen.
Man muß hinzufügen: Mainz als Landeshauptstadt wird genauso wie Wiesbaden als Landeshauptstadt angebunden. Der ICE-Verkehr im Rheintal wird nicht unterbunden. Das läuft ja alles weiter. Es geht nur darum, ein neues, hochspezialisiertes System umzusetzen. Ich bitte alle um Verständnis, die davon betroffen sind und Anstoß nehmen.
Wir werden unseren Bürgern sagen müssen — auch ihr GRÜNEN, lieber Michael Weiss — : Es genügt nicht, hier das Bekenntnis zur Schiene abzulegen, aber dann, wenn es darum geht, durch den Westerwald eine Trasse zu legen, eine Bürgerinitiative nach der anderen zu gründen und dagegen zu sein.
Das kann man nicht machen.
Es gibt keinen Verkehrsweg, der allen alles recht macht, der nirgendwo eingreift. Ihr müßt dann auch den Mut haben, solche Entscheidungen mit umzusetzen. Das würden wir erwarten. Wir jedenfalls sind entschlossen, solche möglicherweise unpopulären Entscheidungen, wenn sie notwendig und begründet sind, umzusetzen.
Ich sage ein Wort noch zu Transrapid, zur Magnetschwebebahn. Ich glaube, man muß das in dem Zusammenhang sagen.
Ich meine, das Transrapid-System kann das europäische Schnellbahnnetz auf Rad-Schienen-Technik nicht ersetzen. Das sollte man hier einfach sagen, um Illusionen vorzubeugen, die immer wieder genährt
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werden. Das ist weder technisch noch zeitlich noch finanziell möglich.
Daher glaube ich, wir müssen trennen und die Priorität im Schnellbahnsystem für die Rad-SchienenTechnik setzen. Wir untersuchen Transrapid, weil wir hier einen großen technologischen Vorsprung und Fortschritt haben, aber ohne in Euphorie zu verfallen.
Wir haben im Verkehrsausschuß beschlossen, Anfang 1990 eine Anhörung mit vielen Fachleuten zu machen, um uns über den Entwicklungsstand sachkundiger zu machen. Inzwischen sage ich Ihnen: Der eine bei uns hat mehr Skepsis, der andere mehr Vorliebe. Aber wir werden uns als FDP-Fraktion hier vor vorzeitigen Lobpreisungen hüten, auch was die Finanzierbarkeit angeht, wie ich es manchmal von privater Seite höre. Aber ich wehre mich auch gegen Vorverurteilungen. Wir sollten das gelassen angehen, jedoch unsere aktuellen Entscheidungen nicht davon abhängig machen.
Aktuelle Entscheidungen — die sind ja hier von verschiedenen Kollegen zur Sprache gebracht worden — sind natürlich auch vor dem Hintergrund der neuen Bewegung in der Bundesrepublik zwischen Ost und West zu sehen. Es ist eine nicht nur politisch, sondern im buchstäblichen Sinn auch verkehrlich bewegende Situation, wie wir jetzt gezwungen werden — das kann man ja nur begrüßen —, unser klassisches Denken in Nord-Süd-Richtung umzukippen und mal wieder in Ost-West-Richtung zu denken.
Überlegen Sie mal, daß wir fast 40 Jahre lang so gedacht, aber auch so gehandelt und so finanziert haben.
Ich bin unmittelbar an der Zonengrenze geboren und dort 29 Jahre geworden. Ich weiß, wovon ich bei dieser Zonengrenze rede. Ich weiß, wie die Verkehrswege und das sonstige dort waren. Ich habe später Strukturpolitik im hessischen Wirtschaftsministerium gemacht. Vielleicht ist einem das Urteil dann etwas leichter, aber das Problem etwas näher.
Der Verkehr spielt dort eine unglaubliche Rolle. Wir haben das heute morgen im Ausschuß schon erörtert. Eine neue Gesellschaft braucht Reiseverkehr. Eine neue Gesellschaftsordnung braucht Reisewege für ihre Güter, für den Güteraustausch. Das alles wird in einer erfreulichen Weise zunehmen.
Vorhin habe ich gesagt, Verkehrswege sind Lebensadern. Dies hier sind im buchstäblichen Sinn Lebensadern der Menschen in der DDR, die zu uns wollen, und von Menschen, die von uns zu ihnen wollen. Hier haben wir eine große, wie ich finde, nationale Verpflichtung, neu zu denken, umzudenken, aber auch zu handeln und nicht zu lange zu warten.
Die Eisenbahn, über die wir hier reden, hat große Chancen, vielleicht größere als bei uns. Ich komme aus Eichenberg — um es mal deutlich zu sagen —. Das war früher einer der größten Eisenbahnknotenpunkte in der Ost-West- und der Nord-Süd-Richtung. Das erste, was ich als Kind mit zehn Jahren erlebt habe, war, daß die Russen die Eisenbahnschienen abmontiert haben. Als Reparationsleistungen der damaligen SBZ sind die weg. Aber der Damm ist noch da.
Jetzt ist die Zonengrenze aufgemacht worden. Die Straße ist hundsmiserabel. Aber das macht den Trabis und den Fußgängern nichts aus. Die Eisenbahn könnte morgen eröffnet werden.
Das ist z. B. ein solcher Punkt, solche Verbindungen wieder herzustellen: Eichenberg—Arenshausen; dann Heiligenstadt—Leipzig.
Überlegen Sie mal, wie wir im Verkehrsausschuß über die Prioritäten und die Wirtschaftlichkeitsrechnungen der Bundesbahn — etwa Dortmund—Paderborn; Paderborn—Kassel — gesprochen und gefragt haben, ob sich das rechnet. Natürlich rechnet sich das. Das muß von Dortmund—Paderborn—Kassel nach Erfurt und Leipzig geführt werden. Das gibt einen Sinn;
so wie auch die Straßenverbindungen dort gemacht werden müssen.
Das heißt, wir müssen all diese kleine Möglichkeiten — nicht nur die großen — reaktivieren, vitalisieren, und zwar möglichst schnell.
— Lieber Dio, ich habe jetzt mal über ein Gebiet gesprochen, aus dem ich komme und das ich besser verstehe. Ihr kriegt ja das Eure. Ihr habt ja schon eine Autobahn in eurer Gegend gangbar gemacht. Es gibt natürlich eine Menge mehr. Das gilt selbstverständlich auch für den Straßenverkehr. Aber wir reden ja heute hier über die Eisenbahn.
Insofern werden wir auch die Strecke Hannover—Berlin nicht in der Magnetbahntechnik bauen. Die muß nämlich schnell gebaut werden. Und das geht nur mit der Rad-Schienen-Technik.
Und wenn ich Magdeburg anbinden will — was notwendig ist; Kohn hat es schon gesagt —, muß ich das bald machen. Das kann ich nur mit Rad-SchienenTechnik.
Der Hinweis des Kollegen Lenzer ist gar nicht sonderlich sinnvoll, weil er das auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschiebt. Jetzt soll man handeln, jetzt diese Schnellstrecke machen, jetzt den Anschluß an das IC-Netz über den Drehpunkt Hannover herstellen. Das macht dann auch Spaß.
Es sind große Anstrengungen zu unternehmen. Auch der finanzielle Bedarf wird groß sein. Der Finanzminister ist heute wohl auch deshalb nicht vertreten, weil er weiß, was auf ihn zukommt; denn aus dem Topf, den wir haben, ist das nicht finanzierbar. Aber es darf ja wohl nicht wahr sein, daß wir diese geradezu unglaubliche historische Herausforderung aus finanziellen Gründen nicht annehmen können. Wir sind jedenfalls zur Annahme dieser Herausforderung be-
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reit. Ich finde, das Ziel lohnt hier alle Anstrengungen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine moderne Verkehrspolitik muß es als vorrangige Aufgabe begreifen, eine menschenwürdige Umwelt zu erhalten. Deshalb kommt es nicht nur darauf an, daß Verkehrsträger und Verkehrsunternehmen die notwendigen Beförderungs- und Transportaufgaben ökonomisch sinnvoll wahrnehmen, sondern sie müssen diese Aufgabe auch menschen- und umweltgerecht erbringen. Die Verkehrspolitik hat hierfür die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Dies gelingt schon lange nicht mehr. Die Ergebnisse verschlechtern sich ständig; unser Straßennetz ist überlastet; Mensch und Umwelt ersticken im Verkehr; der Verkehrsinfarkt droht, ja, in einigen Städten ist er bereits eingetreten.
Auch mit ihrer Eisenbahnpolitik ist die Bundesrepublik am Ende. Die Krisensitzung des Bahnvorstands Ende August zur Lage der Bundesbahn hat dies noch einmal bestätigt. Während ich bei früheren Bahndebatten immer Mitglieder des Vorstands auf der Zuschauertribüne gesehen habe, erkenne ich heute niemanden.
— Wunderbar, es ist doch einer da!
Das finde ich großartig. Ich hatte ihn nicht erkannt. Das ist in Ordnung.
Wer die Zahl der mit der Bahn beförderten Gütermengen mit der Zahl der beförderten Personen vergleicht, stellt folgendes fest: 1975 wurden 315 Millionen Tonnen Güter auf der Schiene transportiert, 1988 noch 302 Millionen Tonnen oder 9,5 % der gesamten Beförderungsmenge. 1980 wurden immerhin noch 364 Millionen Tonnen befördert. In Tonnenkilometern waren es 1975 55,3 Millionen oder 26 % und 1988 59,9 Millionen, aber nur noch 21,9 % der gesamten zu befördernden Gütermenge.
Die Zahl der beförderten Personen stieg von 1 054 Millionen im Jahre 1975 auf 1 165 Millionen im Jahre 1980, und sie fiel dann auf 1 088 Millionen Personen im Jahre 1988 zurück. Die eigenwirtschaftliche Unterdeckung hat seit 1986 erneut drastisch zugenommen.
Aus diesen wenigen Zahlen geht hervor, daß die Bahnleitlinien dieser Bundesregierung gescheitert sind. Sie haben der Bundesbahn nicht die notwendigen Hilfen gewährt.
Diese Entwicklung ist nicht aus heiterem Himmel gekommen, sondern war vorhersehbar. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion die Anträge Drucksachen 11/1516, 11/1519, 11/2412 und 11/3770 sowie weitere, zu denen andere Kollegen Stellung nehmen werden, eingebracht. In den vier Anträgen, zu denen ich hier spreche, geht es um vier wichtige Elemente einer Bahnpolitik, die dem Unternehmen Bundesbahn eine faire Chance im Wettbewerb geben und den Bediensteten die Motivation vermitteln würden, die von erfolgreich am Markt operierenden Betrieben ausgeht.
Die Festlegungen im Bahngesetz schaffen Sicherheit und befreien die Bahn von den Zufälligkeiten des Bundeshaushalts. Deshalb haben wir gesetzliche Regelungen verlangt und sind nicht zufrieden mit dem, was die Bundesregierung jetzt vorhat.
Worum geht es hier?
Erstens sollte der Bund nach unserer Meinung die Altschulden der Bundesbahn in Höhe von rund 12,6 Milliarden DM nach Maßgabe des Bundeshaushalts jährlich mit rund 500 Millionen DM tilgen; bislang werden die Zinsen bezahlt.
Zweitens. Überhöhte Versorgungslasten sollten vom Bund übernommen werden. Vergleichbare Unternehmen haben im Verhältnis zur Lohn- und Gehaltssumme eine deutlich niedrigere Versorgungsbelastung zu tragen. Das würde den Bahnhaushalt entlasten und Mittel für Investitionen freimachen.
Drittens. Das Bundesbahngesetz wird geändert und legt fest: Die Deutsche Bundesbahn betreibt als gemeinwirtschaftliches Unternehmen der Verkehrswirtschaft insbesondere den Eisenbahnverkehr in der Bundesrepublik Deutschland. Sie erbringt Verkehrsleistungen und damit im Zusammenhang stehende Leistungen im Rahmen der Daseinsvorsorge nach allgemeinen Vorgaben des Bundes und im übrigen nach eigenwirtschaftlichen Grundsätzen. Für Aufgaben oder Leistungen, die vom Verkehrsminister im Einvernehmen mit dem Finanzminister der Bundesbahn übertragen werden und nicht kostendeckend erbracht werden können, übernimmt der Bund den vollen Ausgleich für die damit verbundenen Mehraufwendungen und Investitionsaufgaben. Dazu zählen vor allem Belastungen aus dem Schienenpersonennahverkehr, aus bestimmten Bevölkerungsgruppen gewährten Fahrpreisermäßigungen, aus der Beförderung von Auszubildenden, aus der Aufrechterhaltung von Schienenstrecken, aus Unterstützungstarifen für Montanverkehre und aus Hilfen für den kombinierten Verkehr.
Viertens. Die Unternehmensverfassung muß an gewandelte wirtschaftliche und soziale Verhältnisse angepaßt werden. Dazu gehört nach unserer Meinung auch die paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer wie auch ein Aufsichtsrat, in dem zwölf Vertreter aus Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat und zwölf Vertreter der Beschäftigten sowie ein weiteres Mitglied erweiterte Kompetenzen erhalten.
13958 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Ewen
Ich glaube nicht, daß dies ein Giftzahn ist, Kollege Kohn, sondern hier geht es darum, die berechtigten Interessen der Mitarbeiter und ihr Können im Unternehmen auch für die Unternehmensleitung wirksam werden zu lassen. Dies hat sich in anderen Branchen durchaus bewährt.
Im übrigen sind nach unseren Vorstellungen die Bundesländer an der Finanzierung der Bundesbahn dann zu beteiligen, wenn Strecken auf Wunsch eines Bundeslandes aufrechterhalten werden sollen. Obwohl Herr Minister Zimmermann einzelne Elemente aus unseren Forderungen in seiner Rede aufgenommen hat, fehlt es an konkreten Verbesserungen, und die, die vorgesehen sind, greifen nicht jetzt, sie greifen erst sehr viel später, wenn überhaupt.
Die Neuordnung der Führungsstruktur, wie sie von uns vorgeschlagen wird, scheint auf nachgeordneten Gebieten schon Schatten vorauszuwerfen. Ich frage die Bundesregierung deshalb — ich würde mich freuen,wenn in dieser Sitzung darauf noch eine Antwort kommt — : Ist es richtig, daß Pläne zur Schließung von Bundesbahndirektionen bestehen? Wenn ja: Wann soll das geschehen, und um welche handelt es sich? Gibt es in diesem Zusammenhang, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bereits Abstimmungsgespräche mit den Bundesländern? Wird bedacht, daß möglicherweise die Nähe zu den Bahnkunden verlorengeht, wenn Direktionen geschlossen werden? Und ist das Ziel solcher Überlegungen etwa, wenn es sie gibt, immer mehr Aufgaben auf einzelne Vorstandsressorts zu konzentrieren? Es wäre durchaus interessant, dies zu erfahren.
Was sollten die von uns vorgetragenen Änderungen bewirken? Stellen Sie sich vor, wir hätten heute ein Bundesbahngesetz mit der gesetzlichen Festlegung von Aufgaben und finanziellen Leistungen des Bundes und der Länder verabschiedet. Der Finanzminister stellt zusätzlich erhebliche Mittel bereit, die Bundesbahn kann zügig investieren und akquirieren. Im Jahre 2000 fahren auf den Hauptstrecken Schnellstzüge im Stundentakt und sind durch Interregio- und regionale Eilzüge und durch Busverbindungen in der Fläche, ebenfalls alles „vertaktet", ergänzt. An den Bahnhöfen gibt es Parkplätze in ausreichender Zahl für diejenigen, die auch beim besten Willen den Bahnhof mit dem ÖPNV nicht erreichen können. Alle größeren Entfernungen werden von Geschäftsreisenden ebenso wie von Schülern, von Ferienreisenden wie von Berufspendlern im Zug zurückgelegt. Am Zielbahnhof wird ebenfalls der ÖPNV genutzt oder ein Mietfahrzeug zur Befriedigung der örtlichen Mobilitätsbedürfnisse angemietet. Fremdenverkehrsgebiete sind selbstverständlich auch auf der Schiene leicht erreichbar.
Unsere Straßen sind entlastet, die Umwelt wird weniger belastet, die Zahl der Unfälle verringert sich, und immer mehr Menschen kommen entspannt am Zielort an und haben, wenn sie wollen, die Möglichkeit, aus der Vereinzelung im Auto herauszukommen und im Abteil mit anderen Menschen zu kommunizieren. Der Zugewinn an Lebensqualität ist offensichtlich. Er wird noch größer, wenn es gelingt, den Schienenpersonenverkehr in der EG zu optimieren und
Verbindung mit der DDR und anderen Staaten Osteuropas, deren Schienennetz meistens dichter ist als das Straßennetz, aufzubauen. Ich meine, dafür lohnen sich unsere Anstrengungen.
Sie hingegen, Herr Dr. Zimmermann, lassen eine Kommission drei Jahre lang analysieren, obwohl die Schwerpunkte der Mängel bereits bekannt sind. Wir haben gerade heute in der „DVZ" und anderen Zeitungen darüber lesen können.
Ein anderes Beispiel: Alle Fachleute gehen von einem zunehmenden Güterverkehr innerhalb der einzelnen Staaten und grenzüberschreitend wegen der Arbeitsteilung in der Wirtschaft und wegen des wachsenden Warenaustausches zwischen den Staaten aus. Seeschiffe können einen großen Teil der zu befördernden Mengen sowohl im küstennahen Verkehr in der Ostsee, in der Nordsee, in der Biskaya, im Mittelmeer, in der Ägäis und in der Adria und zwischen den Anrainern dieser Seegebiete befördern. In Italien wird gerade eine solche Küstenlinie erneut aufgebaut, um die Straße zu entlasten.
Auch Binnenschiffe werden ihren Anteil am Transport auf Binnenwasserstraßen leisten müssen.
Aber Fährverbindungen, der Tunnel von England nach Frankreich, Brücken und Tunnel in der Ostsee werden auch den Güterverkehr über Landverbindungen weiter wachsen lassen. Es wäre unverantwortlich, diesen Landverkehr nicht so weit wie möglich auf die Schiene zu ziehen.
Der Lkw hat in der Fläche seine Bedeutung. Aber von den Häfen ins Binnenland oder umgekehrt, vor allem aber von Häfen an der Nord- und Ostsee in den Mittelmeerraum muß die Schiene Verkehrsträger Nummer eins werden.
In der Fläche wird vor Streckenstillegungen geprüft, ob zusätzlicher Lkw-Verkehr den Menschen und der Natur zugemutet werden kann. Eben habe ich von einem Kollegen erfahren, daß eine Bahnstrecke stillgelegt werden soll, auf der jährlich 1 000 Waggons transportiert werden. Das würde bedeuten, daß 1 500 Lkw auf Kreisstraßen umgeleitet werden müßten. Das wäre nach meiner Ansicht unzumutbar.
Investitionen in Eisenbahntunnel, den Waggonpark, in Umschlagsterminals mit zusätzlichen logistischen Leistungsangeboten helfen, die Wettbewerbsfähigkeit der Bahnen in Europa zu erhöhen. Qualifizierte und ausreichend viele Mitarbeiter können der Bahn neues Potential erschließen. Insbesondere die nun wieder offenen Ost-West-Achsen lassen für die Bahnen dann einen neuen Aufschwung erwarten, wenn wir zügig und mit Mut eine Politik formulieren, die dem umwelt- und menschenfreundlichen System Bahn Vorrang einräumt.
Lassen Sie uns die aus einer solchen Politik abgeleiteten Aufgaben zügig finanzieren. Ich bin überzeugt, unsere Kinder und Enkel werden uns dankbar sein.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben es mit Erklärungen aus den Jahren 1977 und 1981 offenbar nicht ganz ernst gemeint. Ich erinnere an Ihre Worte vom 1. Oktober 1981, Herr Dr. Jobst, wo Sie sagten:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13959
Ewen
Die Deutsche Bundesbahn muß in die Lage versetzt werden, in erster Linie zu investieren. Sie muß Zukunftsinvestitionen durchführen können.
Die CDU/CSU forderte seinerzeit, „erstens eine klare Abgrenzung der eigenverantwortlichen Unternehmensbereiche und der Bereiche staatlicher Daseinsvorsorge herbeizuführen, zweitens die gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Bahn und die daraus resultierenden finanziellen Abgeltungen des Bundes nach Funktion und Verursachung klar bestimmbar im Bundeshaushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung auszuweisen" .
All diese Ausführungen aus früheren Jahren konnten mich hoffen lassen, daß es in den Beratungen im Ausschuß gelingen würde, einen gemeinsamen Beschluß herbeizuführen, durch den der Bundesbahn dauerhaft geholfen werden könnte. Weit gefehlt! Die angebotene Gemeinsamkeit wurde nicht genutzt.
Deshalb gilt weiter: Wir brauchen ein Verkehrskonzept, das die einzelnen Verkehrsträger und Verkehrssysteme übergreift und das orientiert ist an den Bedürfnissen der Bürger und der Wirtschaft, den Erfordernissen des Umweltschutzes und der Energieeinsparung, der Bedeutung einer verstärkten Verkehrssicherheit und der Notwendigkeit einer gestaltenden Raumordnungspolitik.
Die Menschen brauchen eine leistungsfähige Bahn. Die Bahn braucht qualifizierte Mitarbeiter in genügender Zahl, gerade auch jetzt angesichts der besonderen Probleme des winterlichen Reise- und Güterverkehrs. Unternehmensleitung und Mitarbeiter brauchen klare gesetzliche Regelungen für ein zukunftsorientiertes Handeln im europäischen Binnenmarkt einerseits und im grenzüberschreitenden Verkehr mit den Staaten östlich der Elbe und des EFTA-Raums andererseits. Dafür werden Sozialdemokraten auch in Zukunft ihre Kraft einsetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Haungs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Chance der Bahn — ist es vielleicht die letzte Chance, zu einem wettbewerbsfähigen Verkehrsunternehmen zu werden? — liegt im europäischen Schnellbahnverkehr für Personen und Güter. Es klingt doch so einfach, und viele Kollegen haben auch darauf hingewiesen: Wenn die Kapazitäten der Straße und in der Luft nicht ausreichen, dann haben wir mit der Bahn ein Transportmittel, das darauf ausgelegt ist, Menschen und Güter über längere Strecken schnell und sicher zu befördern.
Voraussetzung hierfür sind allerdings die Investitionen. Wenn sich manch einer heute in den Reden beklagt hat, daß die Bahn zwar viele schöne Worte, aber wenig Taten bekommt, so scheiden sich an dieser Entscheidung meines Erachtens die Freunde von denjenigen, denen die Bahn gleichgültig ist.
Lieber Kollege Weiss und liebe Fraktion DIE GRÜNEN, Sie lassen es an Freundesbekundungen für die Bahn nicht fehlen. Wenn es aber zu Entscheidungen kommt — und alle Redner waren sich einig, daß wir
die Zukunft der Bahn vergessen können, wenn wir über die Strecke Köln—Frankfurt nicht schnell entscheiden und sie bauen —, dann verteilen Sie Infos, in denen steht: Wir befürworten zwar die Bahn grundsätzlich, wir lehnen aber die Hochgeschwindigkeitsstrecke ab. Das sind keine Freunde der Bahn.
— Das hängt nicht mit Bügerinitiativen zusammen, sondern das ist die politische Aussage des verkehrspolitischen Sprechers der GRÜNEN und seiner Kollegen. Da sehen wir, daß Ihr Konzept zwar schöne Worte umfaßt, vielleicht auch manches Detail zur Aufhellung beiträgt, aber in grundsätzlichen Fragen die Bahn nicht weiterbringt.
Wir müssen selbstkritisch anerkennen, daß unsere Nachbarn — es wurde erwähnt — schon sehr viel mehr gebaut haben: Kanaltunnel, andere Tunnels, der TGV in Frankreich. Auch in Spanien und Italien geht es vorwärts. Wir in der Bundesrepublik hinken hinterher.
Ich sage noch einmal: Wenn wir die notwendigen Investitionen nicht durchführen, wird es in Zukunft nicht klappen.
Zu den Investitionen gehört auch eine neue Rollenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft. In der Vergangenheit hat die falsche Politik die Märkte manipuliert, aber die Probleme nicht gelöst.
Die Botschaft lautet: Der notwendige Strukturwandel in der Verkehrswirtschaft, vor allem bei der Bundesbahn, läßt sich am besten bewältigen, wenn wir die Märkte öffnen und Wettbewerb herrscht.
Es wurde vorhin vom Kollegen Haar die Frage gestellt: Warum eigentlich eine Bahn, wenn an allem kritisiert wird? — Ganz einfach: weil wir auf dem Transportmarkt so viel Wachstumspotential haben, allein im grenzüberschreitenden Verkehr 75 % bis zum Jahr 2010. Diese Wachstumspotentiale können in Europa nur von der Bahn bewältigt werden. Das sieht die Bahn genauso. Europas Eisenbahnen stellen sich dem Gemeinsamen Markt — so DB-Chef Gohlke. Man kann natürlich hinzufügen: Es wird ihm auch kaum etwas anderes übrigbleiben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haar?
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die Zuwachsrate im Straßengüterverkehr innerhalb der EG in den nächsten sechs bis acht Jahren auf 30 bis 50 % geschätzt wird? Was würden Sie denn eigentlich dagegen tun? Eben haben Sie gesagt, das müsse der Bahn zuwachsen.
Mein lieber Kollege Haar, Sie dürfen unterstellen, daß mir alle Zahlen und alle Prognosen bekannt sind. Der Bahn kann es nur zuwachsen — das werde ich jetzt ausführen — , wenn die Bahn der Zukunft nicht die Bahn ist, lieber Kollege Haar, die Sie erlebt haben und die Sie kennen, sondern eine Bahn, die im liberalen Wettbewerbsmarkt Europas bestehen kann. Es muß eine Bahn sein, die
13960 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Haungs
effizient ist, deren Erträge höher sind als die Personalkosten. Auch darauf hat mein Kollege hingewiesen.
Warum ist denn die Lage der Bahn wirtschaftlich so desolat? Weil sie — daran geht nichts vorbei — in der Vergangenheit einen schlechten Eigentümer und ein schlechtes Management hatte. Eine schlechte Politik kam noch hinzu. Alles ist jetzt besser geworden, aber vieles wird nach wie vor halbherzig entschieden, weil man noch zuviele Träume hat, was die Zukunft der Bahn angeht.
Die Zuwächse beim grenzüberschreitenden Verkehr müssen nicht zum Lkw. Das ist kein Naturgesetz. Sie gehen eben zum besten Wirt. Sie gehen zu dem, der die Transporte am schnellsten, am pünktlichsten und am sichersten erledigt. Das war bei den Gütern in der Vergangenheit der Lkw, bei den Personen Pkw, Bus und Flugzeug.
Das war nur deshalb so, weil diese Marktpotentiale von einer nicht unternehmerisch geführten Bahn nicht erkannt wurden. Es wurden Strukturen erhalten, die unwirtschaftlich sind. Es wurden — das ist leider heute noch so — Träume von einer Flächenbedienung geträumt, die zu Alpträumen der Betriebswirtschaftler werden können. Was die DB wirtschaftlich nicht leisten kann, das soll sie sein lassen, das ist unrentabel. Was sie aber leisten kann, das muß sie im europäischen Zusammenhang auch gemeinsam mit den Bahnen der europäischen Nachbarn leisten.
Es besteht die Notwendigkeit, die Dimension des Binnenmarktes zu erkennen und zu gestalten. Der Bau der Schnellbahnstrecken in Europa ist nur vergleichbar mit dem Bau der Autobahnen in der Nachkriegszeit. Wenn wir heute keine Autobahnen mehr in großem Stil bauen, dann müssen wir die Schnellbahnstrecken bauen; sie finanzieren sich im übrigen fast selbst aus den volkswirtschaftlichen Kosten der immer mehr zunehmenden Staus, die wir beim Verkehrsträger „Auto" haben. Das ist keine Milchmädchenrechnung. Das alles kann nur im Verbund gehen. Deshalb ist es auch richtig, was Kollege Gries gesagt hat: Die Diskussion über Transrapid ist, wenn wir über ein gemeinsames Netz und über Verbund und über Schnittstellen reden, eher schädlich als nützlich.
Eine Bahn, attraktiv für den Verkehrsbenutzer, hat — dies haben uns die Franzosen mit dem TGV Paris—Lyon gezeigt — durchaus eine wirtschaftliche Grundlage. Ich sage das, weil von den GRÜNEN und auch von anderen immer wieder gefragt wird: Was soll denn auf diese Schnellbahnstrecken? Das wurde doch bewiesen. Wir müssen ja das Rad nicht immer neu erfinden. Zwei Drittel kamen vom Straßen- und vom Luftverkehr. Ein Drittel kam vom Neuverkehr. Die Bahn braucht gar nicht so bescheiden zu sein, daß sie in den nächsten zehn Jahren nur vom Zuwachs leben muß, sondern kann durchaus, wenn sie es richtig macht, wenn sie die Marktbedürfnisse erkennt, auch aus dem Bestand stärkere Zuwächse verzeichnen, als sie in der Vergangenheit gegeben waren.
Die politische Folge muß neben den Investitionen heißen: Schluß mit dem Dirigismus und der Verkehrslenkung des Staates. Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsstärke bekommt man in keinem Markt der Welt nur durch Erhaltungssubventionen. Nicht nur das
Geld — auch dies wurde schon gesagt — hat der Bahn in der Vergangenheit gefehlt, sondern das Geld wurde auch falsch investiert.
Die Bahnprobleme sind in der Europäischen Gemeinschaft national nicht zu lösen. Das sehen wir alle so. Das sieht die Kommission und sieht der Ministerrat genauso. Für die Bahn bringt ein deregulierter europäischer Verkehrsmarkt nicht nur die so oft beschworenen Ertragsrisiken; er bringt auch erstmals und nach Jahrzehnten des Niedergangs unternehmerische Chancen. So sehen wir es, so sieht es auch die Deutsche Bundesbahn. In einem Papier habe ich gelesen: Wenn im Verkehr der Gemeinschaft dem Prinzip Dienstleistungsfreiheit Geltung verschafft werden muß, so muß auch in der Bahnpolitik von alten Illusionen Abschied genommen werden. Der Markt wird zur ausschlaggebenden Realität.
Erfahrungen — lassen Sie mich dies abschließend sagen — soll man, wo vergleichbar, in die Überlegungen aufnehmen. Wir hatten in den USA eine ähnlich desolate Situation der Eisenbahn, und man spricht dort von einem „Wunder auf der Schiene". Mit dem Staggers Rail Act begann die Deregulierung auf der Schiene, und dies war nicht das Ende, sondern der Anfang von neuen und rentablen Transporten. Nach dem finanziellen Kollaps der Güterbahn — Frage: Stehen wir nicht auch in der Bundesrepublik in einer ähnlichen Situation? — gab es dann die richtige Antwort. Ohne Deregulierung gäbe es heute in den USA keine Eisenbahn mehr. Der Kerngedanke von Staggers war, mit marktwirtschaftlichen Mitteln eine eigenwirtschaftlich gesunde Eisenbahn zu schaffen.
Möge die Bahnkommission diese Wege studieren, erstens, wie man die Kosten senkt, zweitens, wie man die Produktivität erhöht, drittens, wie man ohne staatliche Abschottung im Wettbewerb Gewinne erwirtschaftet, und viertens, wie man letztendlich vom fiskalischen Kostgänger zum wertvollen Partner der Steuerzahler, der Verlader, der Kunden in einer Marktwirtschaft wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Jung .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß die 90er Jahre im Bereich der Verkehrspolitik das Jahrzehnt der Bahn werden. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Zukunft des Rad-Schiene-Systems auch in schnellen europäischen Verbindungen liegt. Wir denken dabei an die Überlastung des Luftraumes, die sich weiter steigern wird, und daran, daß die Bahn bei den schnellen europäischen Verbindungen ihre besonderen Vorteile ausspielen kann. In diesem Zusammenhang muß ich allerdings erneut darauf hinweisen, daß unsere Vorgänger-Regierung notwendige Investitionen im Bereich der Neubau- und Ausbaustrecken der Bahn sträflich vernachlässigt hat. Das ist um so bedauerlicher, als die Bahn gerade im Bereich der Fernverbindungen trotz vieler vorhandener Erschwernisse noch ein grundsätzlich positives Betriebsergebnis erzielt.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13961
Jung
Demgemäß hat auch die jetzige Bundesregierung hier einen besonderen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten gesetzt.
Mein Kollege Haungs hat soeben darauf hingewiesen, daß die europäischen Eisenbahngesellschaften im Januar 1989 einen Vorschlag für ein europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz unterbreitet haben. Es soll die in Entstehung begriffenen nationalen Netze verknüpfen.
Die wichtigsten Planungen der Bundesrepublik Deutschland sind dabei: Neubaustrecke/Ausbaustrecke Würzburg—Nürnberg—München. Das Raumordnungsverfahren mit einem Vergleich der Strekkenführungen über Ingolstadt oder über Augsburg wurde von der Bayerischen Staatsregierung eingeleitet.
— Das verstehe ich bei Ihnen, Herr Kollege.
Ausbaustrecke Dortmund—Kassel: Die Gesamtstrecke wurde in den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn eingestellt; mit den Bauarbeiten wurde begonnen. Neubaustrecke/Ausbaustrecke Karlsruhe—Basel: Auch hier wurde mit den Bauarbeiten begonnen. Neubaustrecke Mannheim—Stuttgart: Hier ist die Gesamtinbetriebnahme für 1991 vorgesehen. Neubaustrecke Hannover—Würzburg: Die Gesamtinbetriebnahme ist ebenfalls für 1991 vorgesehen. Die Ausbaustrecke München—Mühldorf—Freilassing steht in engem Zusammenhang mit Planungen im Ausland. Die Wirtschaftlichkeit des Ausbaus wurde im Entwurf nachgewiesen.
Von besonderer Bedeutung ist — dazu haben Kollegen hier schon Stellung genommen — die Neubaustrecke Köln—Rhein/Main. Dies gilt sowohl für den nationalen als auch für den internationalen Bereich. Diese Strecke ist das Herzstück der europäischen Hochgeschwindigkeitsbahn. Sie verbindet nicht nur zwei der größten deutschen Ballungszentren und Wirtschaftsräume, sondern spielt auch für europäische Verbindungen eine herausragende Rolle.
Wir Verkehrspolitiker, meine Damen und Herren, müssen dringend an das Bundeskabinett appellieren, eine unverzügliche Entscheidung in dieser Frage herbeizuführen. Ich hoffe sehr, daß das Bundeskabinett am nächsten Mittwoch endlich zu einem Resultat kommt.
Angesichts der Tatsache, daß wir durch Planungsverfahren und Bauausführung noch eines erheblichen Zeitrahmens bedürfen, ist eine weitere Verzögerung für uns nicht hinnehmbar. Ich sage in diesem Zusammenhang, daß ich die Vorstellungen der Bundesbahn, hinsichtlich der zeitlichen Realisierung dieser Strecke als zu optimistisch ansehe. Unabhängig von der Trassenführung wird es hier Widerstände geben, die auch
in gerichtliche Verfahren münden werden. Wir müssen deshalb alles tun, damit die Strecke in einem überschaubaren Rahmen in Betrieb gehen kann.
Die Franzosen haben den Vorteil — auch das ist heute schon erwähnt worden —, daß dort — anders als bei der früheren SPD-Bundesregierung — die Bedeutung schneller Bahnverbindungen erkannt wurde. In diesem Zusammenhang auch ein Wort an die GRÜNEN: Wer Neubaustrecken sabotiert, wie die GRÜNEN es vor Ort tun, und gleichzeitig den Verkehrskollaps auf Straßen und in der Luft beklagt, ist unglaubwürdig und kann in der politischen Diskussion um die Zukunft der Bahn nicht mehr ernst genommen werden.
Hinsichtlich der Trassenführung hat es verschiedene Vorstellungen gegeben, was angesichts unterschiedlicher Interessenlagen auch verständlich ist. Nach allen Abwägungen ist es aber sinnvoll, die Trasse rechtsrheinisch entlang der Bundesautobahn 3 zu führen. Dies hat mehrere Vorteile: Es ist die kürzeste Verbindung, damit die schnellste und wegen der Bündelung der Verkehrsadern Autobahn und Bundesbahn auch die umweltverträglichste. Sie ist auch die Trasse mit dem — geschätzten — höchsten Passagieraufkommen.
Ich verkenne nicht, daß das Land Rheinland-Pfalz hier auch durch die Streckenführung besonders tangiert ist. Zwei Dinge sind deshalb besonders notwendig: ausgleichende Infrastrukturmaßnahmen für Rheinland-Pfalz insbesondere im Verkehrsbereich und die Überlegung, ob nicht bei dem von der Bundesbahn für sinnvoll erachteten Haltepunkt in Limburg eine Anbindung von Koblenz sichergestellt werden kann. Die Strecke Luxemburg—Trier—KoblenzLimburg—Gießen muß in Richtung Osten weitergeführt werden und gewinnt durch die Ereignisse in der DDR erheblich an Bedeutung.
Hier muß die Frage der Elektrifizierung überlegt werden; diese Strecke muß ausgebaut werden, und auch der Pendolino hat hier ein ideales Einsatzgebiet. So könnte durch die Anbindung an den Bahnhof Limburg-Staffel ein zusätzlicher Vorteil erreicht werden.
Wichtig ist eine Anbindung der Flughäfen an das neue Hochgeschwindigkeitsnetz. Wir brauchen ein integriertes Verkehrskonzept, das in den verschiedensten Bereichen die Vorteile unterschiedlicher Verkehrsträger nutzt. Bei der Überfüllung des Luftraumes und der abnehmenden Infrastrukturkapazitäten am Boden ist es dringend erforderlich, Alternativen für den innerdeutschen Luftverkehr anzubieten. Dies kann nur die Hochgeschwindigkeitsbahn sein. Durch eine Verknüpfung mit den Flughäfen kann hier auch eine Ausgleichsfunktion zwischen unterschiedlich belasteten Flughäfen geschaffen werden. Dies muß in Zukunft noch stärkere Berücksichtigung erfahren.
Wir dürfen bei allen Diskussionen auch nicht die berechtigten Belange der Mitarbeiter vergessen, meine Damen und Herren Kollegen. Die Bundesbahn
13962 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Jung
hat gut ausgebildete, einsatzbereite und motivierte Beschäftigte. Sie mußten in den vergangenen Jahren einen großen Anteil an den Sparmaßnahmen tragen. Die Zahl der Mitarbeiter ist seit 1982 von 314 000 auf 240 000 zurückgegangen. Dies hat teilweise zu Problemen geführt. Ich erinnere an die oft ungünstige Altersstruktur und die hohe Zahl von Überstunden insbesondere des fahrenden Personals. Ich meine, daß wir heute deshalb alle gemeinsam auch einmal ein ausdrückliches Wort des Dankes an alle Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn richten sollten.
Sie tun ihren Dienst oft unter schwierigen Verhältnissen und gehören in der Breite nicht zu den Spitzenverdienern. Sie arbeiten selbstverständlich zu ungünstigen Tages- und Nachtzeiten und ebenso selbstverständlich an Sonn- und Feiertagen wie jetzt auch wieder zu Weihnachten.
Bei allen Überlegungen werden wir — das darf ich am Schluß sagen — selbstverständlich auch unserer sozialen Verantwortung gerecht werden. Gerade die Union ist es, die durch ihr Konzept auch die Arbeitsplätze sichert und damit die Zukunft der Bahn garantiert.
Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Niese.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bahnleitlinien der Bundesregierung sind gescheitert. Vor diesem Hintergrund führen wir die heutige Bahn-Debatte.
Diese Leitlinien stoßen nach wie vor auf den Widerstand aller wichtigen Organisationen, von den Gewerkschaften bis hin zu kommunalen Spitzenverbänden, von den Landesregierungen bis hin zum BDI und zum DIHT.
Die wichtigsten politischen Handlungsfelder fehlen in den Bahnleitlinien. Es fehlt z. B. die gesetzlich abzusichernde langfristige Investitionsplanung der Deutschen Bundesbahn. Es fehlt eine klare Aussage zur Finanzierung der Neu- und Ausbaustrecken.
Die Fiskalpolitik ist massiv gegen die Bahn gerichtet, wenn wir vergleichen, welche Investitionen wir zugunsten der Straße getätigt haben und welche Investitionsmittel zugunsten der Schiene ausgegeben worden sind.
Kosten-Nutzen-Analysen dienen sehr häufig als Verzögerungsinstrumente. Ich erinnere an die Diskussion über die jetzt Gott sei Dank in Angriff genommene Strecke Dortmund—Paderborn—Kassel. Anstatt hier entschlossen zu handeln, führte die Bundesregierung zunächst ziemliche Verrenkungen mit den Wirtschaftlichkeitsberechnungen vor. Wann jemals hat die Bundesregierung für ein Straßenbauprojekt derartige Wirtschaftlichkeitsberechnungen gefordert?
Es wird eine einseitige Infrastrukturpolitik gegen die Bahn betrieben. Es fehlt die Weiterentwicklung des ordnungspolitischen Rahmens, mit dem die Wettbewerbsposition der Bundesbahn gestärkt werden könnte. Die letzten Jahre haben aber doch deutlich gemacht, daß der Straßenverkehr seine Wachstumsgrenzen erreicht hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Jobst?
Ja, bitte.
Herr Kollege Niese, darf ich Sie daran erinnern, daß der gigantische Plan zum Ausbau der Bundesverkehrsstraßen des früheren Bundesverkehrsministers Leber maßgeblich durch unsere Initiativen erheblich reduziert wurde und daß wir heute nicht 20 000 km Autobahnen bauen, sondern es bei 10 000 km bewenden lassen wollen?
Es nützt doch der Zukunft der Verkehrspolitik in der Bundesrepublik und in Europa nicht, sozusagen Nachhutgefechte darüber zu führen, wer woran warum schuld ist. Wir müssen vielmehr feststellen, daß wir notwendige Investitionen für die Schiene tätigen müssen, weil der Verkehrsinfarkt auf der Straße droht. Ich glaube, das ist festzuhalten.
Denn die Vorteile des Verkehrssystems Schiene kommen auch wieder stärker in das Bewußtsein der Öffentlichkeit. Vorschläge auch von unabhängigen Experten, z. B. der Gruppe des Bahnforums unter Leitung von Herrn Abs, liegen seit langem auf dem Tisch der Bundesregierung; sie müßte nur handeln. Aber nach dem Motto „Wie rette ich mich über die nächste Wahl und wie vor verantwortlichem Handeln?" — wird eine neue Kommission eingesetzt. Klar ist doch aber: Im Spannungsverhältnis „Verkehr und Umwelt" nimmt die Bahn eine positive Sonderstellung ein. Dazu muß ich nicht noch erst Expertenkommissionen befragen. Das ist eine einfache Tatsachenfeststellung.
Das gilt für die Faktoren Energieverbrauch, Flächenbedarf, Verkehrslärm, Luftverschmutzung und Verkehrssicherheit.
So ist und bleibt die Bahn für unser gesamtes Verkehrssystem unverzichtbar. Daher müssen wir die Bahn so modern, so leistungsfähig und so attraktiv gestalten, daß sie einen sicheren Platz im Wettbewerb mit den anderen Verkehrsträgern behält.
Zögerliches und kompromißhaftes Handeln ist nicht
mehr vertretbar, ohne der Deutschen Bundesbahn
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13963
Dr. Niese
und der deutschen Verkehrswirtschaft einen dauerhaften und nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen.
Das gilt z. B. — das steht mit auf der Tagesordnung — für die DB-Strecken Ruhr-Sieg/Rhein-Sieg. Dies ist für die Regionen an Rhein und Ruhr, Sieg und Lahn von großer verkehrspolitischer und wirtschaftspolitischer Bedeutung. Das östliche Ruhrgebiet braucht eine leistungsfähige Anbindung an die Wirtschaftsräume an Rhein und Main. Diese strukturpolitischen Maßnahmen dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden. Deshalb müssen bereits jetzt die Weichen für einen zügigen Ausbau dieser Strecken gestellt werden. Die Bundesregierung ist aufgefordert, bereits jetzt die notwendigen Vorbereitungen umfassend einzuleiten.
Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auf den Tagesordnungspunkt 3 j eingehen, der das Problem der Freifahrten mit der Bahn für die Mitglieder der Verfassungsorgane betrifft. Ich war dazu Berichterstatter im Verkehrsausschuß. Wir sind bei unserer Beschlußfassung im Verkehrsausschuß von der Tatsache ausgegangen, daß zur Abgeltung der Kosten, die damit verbunden sind, im Bundeshaushalt bei den entsprechenden Einzelplänen Mittel ausgewiesen werden. Die Haushaltsberatungen haben gezeigt, daß diese Grundlage entfallen ist. Übereinstimmend beantragen deshalb alle Fraktionen eine Rücküberweisung dieses Problemkreises, weil wir einig sind in der Beurteilung, daß es nicht zu verstehen ist, daß die Lufthansa für die Fahrten der Mitglieder der Verfassungsorgane aus dem Bundeshaushalt die Kostenerstattung bekommt — dabei handelt es sich um ein profitables Unternehmen — , die Bundesbahn aber, die in erheblichen Problemen steckt, über die wir hier diskutiert haben, sie nicht bekommen soll. Diesbezüglich besteht Einigkeit. Deswegen beantragen wir Zurücküberweisung des gesamten Problemkreises — Tagesordnungspunkt 3 j — an den Verkehrsausschuß.
Meine Damen und Herren, wir haben unser Gesamtkonzept zur Sicherung der verkehrspolitischen Bedeutung der Bundesbahn eingebracht. Dieses Konzept unterstreicht den besonderen Stellenwert der Bahn aus verkehrs-, energie- und umweltpolitischer Sicht. Unsere Vorschläge schaffen für die Bundesbahn den Handlungsspielraum, den sie benötigt, um selbständig ihre Attraktivität und Leistungsfähigkeit zu steigern. Im Infrastrukturbereich müssen gleichwertige Wettbewerbsbedingungen für die konkurrierenden Verkehrsträger hergestellt werden. Die Deutsche Bundesbahn muß derzeit den Schienenweg mit eigenen Mitteln finanzieren. Sie muß die Investitionskosten und auch die Unterhaltungskosten selbst aufbringen. Dies ist eindeutig eine Wettbewerbsverzerrung, die zu Lasten der Bahn geht.
Wir wollen die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger Schiene, Straße und Wasserstraße angleichen. Deshalb schlagen wir vor, daß der Bund wie bei der Straße und bei der Wasserstraße die Investitionskosten des Schienennetzes zu übernehmen hat. Dies gilt sowohl für die Ersatzinvestitionen, also Unterhaltungskosten, als auch für die Investitionen beim Neu- und Ausbau der Schienenwege. Wie anders wollen wir ansonsten — Herr Kohn ist genau auf diesen Punkt eingegangen — auf die Entwicklung in der DDR und in Osteuropa mit notwendigen Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen schnell reagieren? Mein Kollege Ernst Haar wird auf die notwendigen Maßnahmen, die sich aus den Entwicklungen in Osteuropa ergeben, noch eingehen. Meine Aufforderung an die FDP-Fraktion ist, dann auch hier Farbe zu bekennen und diesem Punkt in unserem Maßnahmenvorschlag zuzustimmen.
Wir wollen den Ausbau des Schienenwegenetzes der Deutschen Bundesbahn gesetzlich absichern. Er soll künftig als Bedarfsplan für einen Fünf-JahresZeitraum vom Deutschen Bundestag beraten und als Gesetz beschlossen werden. Das Verfahren zum Ausbau des Schienenwegenetzes wird damit an das Verfahren zum Ausbau der Bundesfernstraßen angeglichen. Wie bei den Bundesfernstraßen beschließt der Bundestag den Bedarfsplan für den Ausbau des Schienenwegenetzes. Er soll den Neu- und Ausbau von Hauptverkehrsstrecken des Personen- und Güterverkehrs, des Schienenpersonennahverkehrs in Ballungsgebieten und vor allen Dingen von Anlagen des kombinierten Verkehrs Schiene/Straße enthalten.
Investitionsschwerpunkte im Bereich der Deutschen Bundesbahn sind neben dem kombinierten Verkehr die Neu- und Ausbaustrecken. Sie müssen beschleunigt fertiggestellt und in Betrieb genommen werden. Besonders wichtig sind dabei die grenzüberschreitenden Schnellfahrstrecken. Die Deutsche Bundesbahn muß ihre Angebotsverbesserung auf Grund dieser Schnellfahrstrecken möglichst rasch am Markt plazieren, um ihre Wettbewerbschancen zu verbessern. Damit wird dann auch gleichzeitig das eingesetzte Kapital wirtschaftlich nutzbar gemacht. Die Bahn muß Grenzen überschreiten. Sie hat eine wachsende europäische Bedeutung.
Hochgeschwindigkeitsverkehre zwischen den europäischen Wirtschaftszentren sowie ein leistungsfähiges Güterverkehrsnetz sind schrittweise zu realisieren. Dabei müssen die europäischen Eisenbahnunternehmen noch intensiver zusammenarbeiten und für eine gemeinsame Zukunft planen. Es kommt dabei entscheidend darauf an, daß die in der Entwicklung befindlichen Systeme miteinander kompatibel werden.
Das bisher vorliegende Konzept eines europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes ist auf Westeuropa konzentriert. Dies ist auf Grund der aktuellen Entwicklung in der DDR und in den osteuropäischen Staaten politisch nicht weiter vertretbar. Es ist daher notwendig, neue Anstrengungen zu entwickeln, um die Staaten Osteuropas, insbesondere aber die DDR, in ein korrespondierendes Schienenschnellverkehrssystem einzubeziehen, wie der Raumordnungsausschuß es bei der entsprechenden Beratung am 13. April 1988 wohl in weiser Voraussicht schon gefordert hat.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Politik muß dafür sorgen, daß zwischen den Verkehrsträgern Schiene, Straße und Wasserstraße eine vernünftige Arbeitsteilung nach volkswirtschaftlich sinnvollen Kriterien erreicht wird. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Wertvorstellungen müssen da-
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Dr. Niese
bei berücksichtigt werden. Die notwendigen Maßnahmen und Entscheidungen müssen deshalb auch darauf ausgerichtet sein, den Umweltschutz zu verbessern, Energie einzusparen und die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
Der kombinierte Verkehr muß ausgebaut werden. Es ist ökologisch und ökonomisch sinnvoll, Güter über große Entfernungen verstärkt auf der Schiene zu transportieren und den Vor- und Nachlauf mit dem Lkw durchzuführen. Die im Wettbewerb stehenden Verkehrsträger Straße, Wasserstraße und Schiene müssen zu optimalen Transportketten verknüpft werden mit dem Ziel, die vorhandenen Kapazitäten besser zu nutzen, die überbeanspruchten Kapazitäten zu entlasten, die gesamtwirtschaftlichen Vorteile des jeweiligen Verkehrsträgers besser zur Geltung zu bringen und die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems zu steigern.
Das offenkundige Versagen der Bundesregierung auch und gerade in der Bahnpolitik wird von der SPD-Bundestagsfraktion zum Anlaß für ein verstärktes Engagement genommen. Ich fasse deshalb abschließend nochmals unsere Forderungen zusammen
— ich habe noch die Zeit dafür
Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen für die Bahn, Ausbau statt Abbau des Schienennetzes,
Modernisierung der Bahnanlagen durch verstärkte Investitionen, zügiger Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, schrittweise Übernahme der Schuldenlast der Deutschen Bundesbahn durch ihren Eigentümer, den Bund, Verlagerung des Gütertransports über lange Strecken von der Straße auf die Schiene, bessere Unternehmensverfassung bei der DB, Einführung der Trennungsrechnung, Übernahme der nicht gedeckten Kosten durch den Bund für die Aufgaben, die der Staat der Bahn auferlegt, sowie Wettbewerbsgleichheit zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern.
Diese Weichenstellungen würden der Bahn eine zukunftsgerichtete Unternehmenspolitik unter Berücksichtigung der geänderten ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen eröffnen. Damit hätte die Bundesbahn ihre Chance, die sie dann eigenverantwortlich nutzen könnte. Hierfür bitten wir um Ihre Zustimmung.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Hinsken.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist unglaublich: Alljährlich findet einmal eine große Bundesbahndebatte statt, und wie viele von den Bundesbahnvorstandsmitgliedern sind heute denn zugegen, um an
dieser Debatte teilzunehmen? Wenn ich hier nach oben schaue, dann stelle ich fest: ein einziges Mitglied.
Das ist unverständlich. Herr Dr. Dernbach, Sie möchte ich persönlich erwähnen. Geben Sie das an Ihre Kollegen weiter; machen Sie sich bitte viele Notizen, und sagen Sie, daß vom Parlament einfach nicht mehr verstanden worden ist, wie man seitens des Bundesbahnvorstandes diese Debatte betrachtet und ihr anscheinend nicht mehr die große Aufmerksamkeit schenkt, die dringend erforderlich ist. Gerade Sie sollen doch wissen, wo es langgehen soll, wenn 16 verschiedene Redner quer über alle Parteien hinweg hier das Wort ergreifen und wir darum ringen, eine vernünftige und sachliche Ausgestaltung der Bundesbahnpolitik insgesamt vornehmen zu können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bamberg?
Wenn es nicht angerechnet wird.
Herr Kollege Hinsken, könnte das, nachdem die Mitglieder des Bundesbahnvorstandes vorher bei fast jeder Bahndebatte anwesend waren, nicht auch ein Ausdruck dafür sein, daß das Bundesbahnmanagement wegen der verfehlten Verkehrspolitik Ihrer Regierung total resigniert hat?
Herr Kollege Bamberg, ich bin da völlig gegensätzlicher Meinung. Ich meine, wir haben sie zu gut bedient, und sie meinen, es sei gar nicht mehr erforderlich, hier vorzusprechen und dabeizusein, weil alles für sie von selbst läuft.
Meine lieben Kollegen, lange Zeit habe ich mit mir gerungen, ob ich die mir zur Verfügung stehende Zeit nutzen soll, den Brief eines tüchtigen Bürgermeisters aus meinem Wahlkreis über eine Sonderfahrt an den Präsidenten der Bundesbahndirektion München zu verlesen. Er geht darin mit dem Verhalten der Bahn hart ins Gericht. Einige Passagen muß ich aber doch dem Hohen Haus kundtun, um klarzumachen, wie die Deutsche Bundesbahn beste Möglichkeiten nicht nutzt, um die Mitbürger wieder mehr zu Bahnfahrten zu animieren.
Bürgermeister Zellmeier — so ist dessen Name —
schreibt mir:
Heuer versuchte unsere Gemeinde erstmals, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbahn eine Sonderfahrt „Gemeinde Laberweinting auf Reisen" durchzuführen. Wir hatten wunderbares Wetter. Die Schiffahrt auf der Donau war erholsam. Die Teilnehmer daher voll des Lobes. In bleibender Erinnerung werden alle Beteiligten jedoch die Fahrt mit der Bundesbahn behalten. Was da als Bahnfahrt 2. Klasse angeboten wurde,
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Hinsken
spottet jeglicher Beschreibung. Die Erwartungen wurden schon enttäuscht, als statt des Sonderzuges ein Schienenbus, bei uns besser als Triebwagen bekannt, am Bahnhof hielt. Die Leute stiegen ein, und jeder bekam einen, wenn auch nicht gerade bequemen Sitzplatz. Unter den Teilnehmern war eine Reihe von Leuten, die erstmals seit Jahren wieder den öffentlichen Personennahverkehr am eigenen Leib zu spüren bekamen.
Beim Anfahren des Zuges entwickelte sich eine Geräuschkulisse, die in ihrer Intensität irgendwo zwischen dem Triebwerkslärm startender Düsenflugzeuge und Tarzans Urgeschrei anzusiedeln war.
Kaum hatten wir unsere Reisegeschwindigkeit erreicht, kam es zu einem Zwischenstopp auf freiem Gelände. Wie sich später herausstellte, leuchtete die Öldruckanzeige auf, so daß der Zugführer den unfreiwilligen Zwischenstopp einlegen mußte. Mit Arbeitshandschuhen und Ölkanne bewaffnet konnte er jedoch den Schaden beheben und nach kurzer Zeit die Fahrt wieder fortsetzen. Bei Passau wiederholte sich dann dieser Vorfall. Wieder fiel ein Motor aus, und wieder gelang es dem Zugpersonal, die Maschine flottzukriegen.
Das war die Hinfahrt. Die Rückfahrt war nicht nur ähnlich, sondern die Pannen nahm zu. So heißt es in dem Brief weiter:
Mit viel Geschick und technischem Wissen gelang es immer wieder, den Zug nach jedem Zwangsstopp wieder in Fahrt zu bringen.
Dazu mußte ein Zugbegleiter am hinteren Ende des Zuges einen Knopf drücken, um ein Abschalten des Motors zu verhindern. Da hierbei der Finger nach kurzer Zeit ermüdete, wechselten sich Zugbegleiter und ein Gemeinderat in dieser Tätigkeit ab.
Ich könnte mit weiteren Zitaten fortfahren, möchte es aber damit bewenden lassen.
Von diesem Erlebnis zum Ernst zurück. Die Gunst der Stunde für die deutsche Bundesbahn wurde hier meines Erachtens nicht genutzt, nämlich wieder vermehrt Leute für die Bahnfahrt zu interessieren.
Eines aber wird deutlich: So kann man die Flächenregionen nicht abhängen. Da werden Schnellzughalte — u. a. für an und abreisende Feriengäste wichtig, wie auch Kollege Ewen treffend ausgeführt hat — aufgehoben, Strecken stillgelegt, vorsintflutliche Triebwagen eingesetzt und, wie demnächst geplant, Stückgutbahnhöfe mit großen Einzugsbereichen und an wichtigen, doppelgleisigen elektrifizierten Strekken gelegen nicht mehr schienenbedient. Man konzentriert sich auf Ballungsräume.
Ein Beispiel aus meiner Heimat: Ohne die dünne Besiedlung zu beachten, werden die Güter in Zukunft Millionen von Kilometern auf der überlasteten Straße und nicht mehr auf der ohnehin nicht ausgelasteten Schiene transportiert. Unflexibilität und Arroganz, auch bei manchen Bahnoberen — Gott sei Dank aber nicht bei jedem, sondern nur bei einzelnen, das kam heute wieder zum Ausdruck — , machen sich breit. Den ökologischen Herausforderungen stellt man sich nicht. Anstatt vermehrt Güter auf die Schiene zu bekommen, tut man alles, um umgekehrt zu verfahren. Die Deutsche Bundesbahn ist doch für den Bundesbürger vorrangig Schiene und nicht Straße. Bei manchem Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbahn sehe ich anstatt der Deutschen Bundesbahn nur noch Bahnhof. Dies gilt natürlich nicht für die vielen engagierten Mitarbeiter jeweils unmittelbar vor Ort, die oftmals ihr Bestes und ihr Letztes geben.
Auch mir ist klar, daß im Personenverkehr in der Fläche das individuelle Verkehrsmittel, das Auto, als Ausfluß des Wohlstandes längst gewonnen hat. Bei Gütertransporten allerdings nutzt die Bahn die Schiene viel zuwenig. Da hilft ein guter Verkehrsminister, wie ihn Dr. Zimmermann verkörpert, oder ein tüchtiger Parlamentarischer Staatssekretär, wie er heute mit Dr. Schulte anwesend ist,
oder auch ein engagierter Abteilungsleiter wie Herr Reinhard,
der ebenfalls erwähnt werden sollte, weil er gerade für diese großen Probleme Verständnis hat, nichts, wenn von Frankfurt aus die Weichen falsch gestellt werden.
Es mutet, meine lieben Kollegen, schon komisch an — jetzt hören Sie einmal gut zu —, wenn die Deutsche Bundesbahn ca. 1 000 Betriebe mit über 3 250 Genehmigungen im Fernverkehr einsetzt, um dann für die gefahrenen ca. vier Milliarden Tonnenkilometer im Fern- und Nahverkehr über 1 Milliarde DM abrechnen zu können.
Vor nicht allzulanger Zeit hieß es: „Laßt die Bahn ran! " Das haben wir in allen Zeitungen gelesen. Wie denn, wenn man so vorgeht? Wäre es nicht besser, in solchen Fällen direkt den Gütertransportunternehmern die Aufträge zukommen zu lassen, anstatt daß er den Weg über die Deutsche Bundesbahn zu gehen hat?
Ich meine: Ziel der Verkehrspolitik muß es sein, eine optimale Aufgabenteilung der Verkehrsträger zu erreichen. Die Festlegung einer solchen optimalen Aufgabenteilung hat vor dem Hintergrund ökonomischer wie ökologischer Kriterien zu erfolgen. Die Leistungsfähigkeit der Bahn muß verbessert werden.
Unerläßlich für eine optimale Aufgabenteilung der Verkehrsträger ist nach wie vor eine mengenmäßige Steuerung der Straßengüterverkehrskapazität, die Verkehrsinfarkten vorbeugt und der Schiene in einem leistungsorientierten Wettbewerb den erforderlichen
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Spielraum gibt, um die ihr in Zukunft zufallenden Transportaufgaben zu erfüllen.
Die Finanzorientierung der Bahnpolitik muß zu einer Verkehrsorientierung gewandelt werden. Ziel dürfen nicht kurzfristige Einsparerfolge und Abkoppeln der Flächenregionen sein, sondern Ziel muß sein, wie durch gezielte und zum großen Teil kurzfristig rentierliche Investitionen die Bahn umfassend modernisiert, damit attraktiver gestaltet und langfristig auch wirtschaftlich gestärkt werden kann.
Unsere Bundesbahn, so meine ich, muß sich zum Gebot machen, sich nicht an einer kurzfristigen Sparpolitik zu orientieren, sondern auch in der Fläche langfristig zu investieren, um den Bürger und die Wirtschaft vor Standortnachteilen zu bewahren.
Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Die Bundesbahn muß im Schienenpersonennahverkehr wie im Güternahverkehr auch künftig an attraktiveren und zugleich kostengünstigeren Angeboten arbeiten. Es ist dann keine Frage, daß betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten der Bahn und die Forderungen des Gemeinwohls in Einklang zu bringen sind. Dies ist der richtige Weg. Herr Dr. Dernbach, ich bitte Sie, diesen Weg auch weiter zu gehen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Haar.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Sprecher der Regierungskoalition und der Bundesverkehrsminister haben sich bemüht, die Verkehrs- und Bahnpolitik der Bundesregierung farbig, zukunftsträchtig und positiv darzustellen.
— Sie dürfen ruhig noch ein bißchen klatschen. — In Wahrheit stehen wir vor drohenden Verkehrsinfarkten und bei der Bundesbahn vor einer Schußfahrt in immer höhere Defizite. Sie brauchen heute nur die Zeitungen zu lesen.
Fast alle Ihre Diskussionsredner, meine Damen und Herren, die Sie, die Regierung und ihre Politik tragen, haben sich wie schon seit Jahren auf Mängel, auf Versäumnisse, auf falsche Einschätzungen und Fehler in den 70er Jahren berufen. Ich muß mal ernsthaft fragen: Ist das nicht ein ganz schlimmes Armutszeugnis für Sie selbst?
Ich fürchte, daß sich Ihre Unfähigkeit für Entscheidungen, Ihre Konzeptionslosigkeit, Ihre sträfliche Verzögerungstaktik — darauf kommt es ja auch noch an — noch bitter rächen wird.
Der Jahresfehlbetrag der Deutschen Bundesbahn wächst in diesem Jahr auf 3,8 Milliarden DM. Für den wachsenden Schuldenstand in Höhe von 43,9 Milliarden DM müssen jetzt 3,1 Milliarden DM an Zinsen erwirtschaftet werden. Unter dem Lack Ihrer reinen Ankündigungspolitik mit der Überschrift „Für eine umweltfreundliche Bahn" hat inzwischen der Rost erkennbar angesetzt. Sie werden noch über einiges überrascht sein.
Vor wenigen Tagen hat selbst ein namhafter Sprecher des Bundesverkehrsministeriums Befürchtungen über den Anstieg der Neuverschuldung der Bundesbahn geäußert. Ihre neue Taktik ist schon erkennbar. Jetzt schlagen Sie auf das Management der Bahn zu, das Sie selber zweimal bestellt haben. Ich kann mich über derartige Widersprüche nur wundern.
Dreißig Jahre — dem werden Sie wohl kaum widersprechen — autofreundlicher Verkehrspolitik haben das sichere und umweltfreundliche Verkehrsmittel Bahn im wesentlichen mit ins Abseits gedrängt.
Wettbewerbsfähigkeit, die heute von Ihnen gefordert worden ist — auch von Herrn Rauen, der hier Maßstäbe eines Bauunternehmers angesetzt hat —,
Wettbewerbsfähigkeit mit einer hundert Jahre alten Schieneninfrastruktur war und ist nicht zu erreichen. Wenn Sie das nicht einräumen wollen, dann machen Sie den Leuten wirklich ein X für ein U in der Verkehrspolitik vor.
Das Resultat für die Bahn und für die Verkehrspolitik — das ist die Anklage, die wir erheben — ist verheerend. Ob der Verkehrskollaps noch verhindert werden kann, hängt letztlich auch davon ab, ob die Regierungskoalition die Kraft hat, die Weichen der Bahnpolitik endlich neu zu stellen. Seit 1950 schrumpft der Personalbestand der Bahn auf die Hälfte. Sie wissen das. Weitere 30 000 Stellen werden abgebaut. Diese drastische Schrumpfkur geht weiter. Rigoros werden kleine Städte und Gemeinden seit Jahr und Tag vom Schienennetz abgekoppelt. In Schleswig-Holstein haben wir 50 % weniger Bahnhöfe als noch vor etwa 15 Jahren. 7 000 km an Strekken, die sogenannten Nebenstrecken, sind reduziert worden.
Wenn man die betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise, die von Ihnen heute eingeführt worden ist, zu Ende denkt, dann kann man nur zu folgender widersinniger Rechnung kommen. Bis zum bitteren Ende gedacht würde das bedeuten: Bei einem Strekkennetz von 30 000 km bleiben für eine betriebs- und volkswirtschaftliche Rechnung ohne Zuschüsse usw. einigermaßen stabil noch etwa 3 000 km Strecke. Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie es sagen.
Der ökonomische Widersinn einer solchen Entwicklung zeigt sich auch bei der Benachteiligung der Bahn im Güterverkehr. Güterbahnhöfe werden laufend dichtgemacht. Da gilt nicht mehr die Nähe zur Wirt-
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schaft und zum Kunden, die Sie sonst fordern, sondern da wird Konzentration verlangt. Der Systemvorteil bei der Bahn liege im Transport massenhafter oder gebündelter Gütermengen über weite Entfernungen. Mangels Masse an einzelnen Bahnhöfen werden deshalb mehr und mehr Güter zu zentralen Knotenpunkten der Bahn gekarrt: über die Straßen.
Jetzt bitte ich Sie einmal, meinen Gedankengang in Ruhe anzuhören. Was die Bahn auf diese Weise spart
— das ist ja Leitlinienpolitik dieser Bundesregierung —, geht zu Lasten der Umwelt.
— Jawohl, Herr Kollege Gries, wir sind uns einig: ein Haufen Geld. Lassen wir es dabei. — Ich sage Ihnen aber: Das geht zu Lasten der Umwelt. Bei gleicher Transportleistung verpestet der Lkw dreißigmal mehr als ein Zug. Das ist bei Ihnen anscheinend keine Rechnung. Ich kann nur staunen, wie Sie darüber hinweggehen. Müßten in- und ausländische Spediteure für die Schäden und Wegekosten zahlen, sähen die Finanzen der Bahn ganz anders aus. Ich bitte Sie, auch darüber mit uns eine volkswirtschaftliche Rechnung aufzumachen. Wir haben Sie schon im September dazu aufgefordert.
Wenn schon Ihr Ressortminister durch flotte Sprüche die prekäre Bahnsituation übertüncht und verkleistert, sollten Sie wenigstens die Alarmglocken aus Brüssel aufmerksam hören. Eine Expertengruppe der Brüsseler EG-Kommission ist dabei, die Folgen des europäischen Binnenmarkts für die Umwelt zu untersuchen. Die bereits eingeleitete Liberalisierung des Transportverkehrs, die Abschaffung der Kontingente werden zu einer erheblichen Ausweitung des Straßen- und des Flugverkehrs führen. Das ist von Ihnen in Ihren heutigen Beiträgen zum Teil sogar begrüßt worden. Allein beim grenzüberschreitenden Lastwagenverkehr wird von den Verkehrswissenschaftlern mit einem Zuwachs zwischen 30 % und 50 % gerechnet. In Brüssel zeigt man uns auf, daß die Zahl der Fahrzeuge auf Europas Straßen um 17 Millionen steigen wird. Das vielzitierte abgasarme EG-Auto bringt zwar auf dem Papier eine umweltpolitische Belastung, aber ich appelliere an Sie, auch an Ihren christlichen Gemeinwirtschaftssinn in all diesen Fragen der Betrachtung und Beurteilung. Alles wird bei weitem zunichte gemacht — Sie wissen das durch Vorlagen — durch den rapide wachsenden Fahrzeugverkehr und den weiter steigenden Energieverbrauch. Der Bundeskanzler hat am 27. April in seiner Regierungserklärung angekündigt, schnell für bessere Luft in der Republik zu sorgen. Von konsequentem Umweltschutz war die Rede. Deshalb solle die Kraftfahrzeugsteuer geändert werden.
Die jetzt beschlossene Steueränderung hat mit Umweltschutz überhaupt nichts zu tun. Für die größten Krach- und Dreckmacher auf unseren Straßen wurde die Lkw-Steuer um bis zu 13 000 DM gesenkt und die Straßenbenutzungsgebühr mit großen Überschriften eingeführt. Sie wissen selbst, und alle Fachleute von Rang bestätigen es: Das ist reine Kosmetik. Resignierte Experten stellen sarkastisch fest: Es wird im alten Gleis weitergefahren und der umweltbelastende
Güter- und Individualstraßenverkehr durch staatliche Rahmenbedingungen weiter begünstigt.
Also hören Sie auf mit dem Märchen von Ihren schönen Rahmenbedingungen! Sie sind für die Bahn in jedem Fall storniert. Das steht von heute an fest.
Die von der Bundesregierung eingesetzte Projektgruppe „Aktionsprogramm Ökologie" hat Ihnen empfohlen — Ihre Regierung hat sie eingesetzt —, grundsätzlich keine neuen Straßen mehr anzulegen. Heute früh haben Sie moniert, daß wir 500 Millionen DM am Straßenbauhaushalt abspecken wollen. Das ist die Empfehlung einer Regierungskommission.
Jetzt will ich gleich weitermachen. Denn ich bin jetzt beim Darstellen dieser Empfehlungen an Sie.
Gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer , Herr Kollege?
Nein, ich bin noch mitten in der Gedankendarlegung. Aber dann gern.
Später. Gut.
Auch der Vorschlag, Neutrassierungen auf unabweisbare Bedürfnisse zu begrenzen, blieb bei Ihnen völlig ungehört.
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter Fischer.
Herr Kollege Haar, wie meinen Sie Ihre Position zur Verminderung der Straßenbaumittel und das soeben Ausgeführte mit den Mehranforderungen durch SPD-Bundesländer von Straßenbaumitteln in 100-Millionen-Höhe, gerichtet u. a. an den Bund, vereinbaren zu können?
Ich will Ihnen sagen, daß wir solche Verhandlungen — ich kenne das aus Erfahrung — mit den Ländern auch in den 70er Jahren laufend geführt haben. Sie können strukturelle Mängel dort, wo z. B. Bahnstrecken in den letzten zehn Jahren geschlossen wurden, nicht einfach abschreiben. Es gibt dort auch kommunale, zum Teil einstimmige, Beschlüsse auch Ihrer Kollegen draußen, die verlangen: Dann wollen wir wenigstens Umgehungs- und Verbindungsstraßen haben. Das ist die logische Folge Ihrer Bahnpolitik, über die wir heute reden.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer ?
Nein. Ich möchte jetzt zu einem anderen Thema kommen und noch einige Bemerkungen machen. Ich bitte um Verständnis.
Ich möchte die Bundesregierung bitten, ihren Teil beizutragen, daß durch die Durchbindung von Inter-
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city-Zügen von und nach Berlin — ich denke, wie ich heute früh schon ausgeführt habe, an den Intercity „Hölderlin" ab München und den Intercity „Schwabenpfeil" ab Stuttgart direkt nach Berlin — schnellstens eine Chance geschaffen wird, damit eine Reisekomfortsteigerung und Fahrzeitverkürzung erkennbar werden. Denn ich bin überzeugt, daß schon ab dem nächsten Jahr in dieser Richtung durch technische Verbesserungen die Voraussetzungen geschaffen werden können, um die bestehenden Trassen zwischen Hannover und Berlin in Intercity-Trassen umzuwandeln. Wenn Sie den Einsatz von nur fünf zusätzlichen Intercity-Zügen in diesem Zusammenhang mit dem Bahn-Vorstand und der Reichsbahn-Verwaltung klären, können wir die gegenwärtigen Fahrplanlükken auf dieser Strecke von zwei Stunden auf eine Stunde verringern.
Im übrigen gehe ich davon aus, daß das, was wir, auch heute in der Ausschußsitzung vorgetragen, zur Verbesserung auch der Möglichkeiten vorgeschlagen haben, Ferngespräche ohne stundenlange Wartezeiten zu führen, und all dessen, was da noch eingeleitet werden kann, nicht bis zum nächsten Jahr vertagt wird. Da genügt nicht eine inzwischen festgelegte Leitung zwischen zwei Direktionen.
Im übrigen, bemerkenswert bleibt ja, wie Herr Zimmermann alle Initiativen der SPD-Bundestagsfraktion mit leichter Hand abtut und daß er heute in seiner Einführungsrede z. B. das Prädikat „Schwarzmalerei" gebraucht hat. Ich finde das unfair und nicht sauber. Das ist auch nicht der Stil bei solchen existentiellen Fragen, die weit über die Frage von Bahnpolitik und Verkehrspolitik hinausreichen.
Die heute wieder angekündigten Wege zur Transportsteigerung auf der Schiene einschließlich angekündigter europaweiter Schnellverbindungen sind — lassen Sie mich das so hart sagen — eine reine Droge, solange nicht die Bereitschaft erkennbar ist, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Solange nicht ernsthaft über das Schweizer Modell, das Sie sehr wohl kennen, nachgedacht und offen gesprochen wird, bleibt vieles im Feld irrationaler Faszination in unserer voll motorisierten Gesellschaft lebendig. Auch die aggressiven Werbemethoden der Industrie tragen dazu bei, Volksverdummung im wahrsten Sinne des Wortes zu betreiben und die Zahl der Unfälle wegen zu hoher Geschwindigkeit herunterzuspielen. Kommen Sie nicht wieder mit diesen Zahlen in der öffentlichen Diskussion! Wir haben da ein Stück mehr Verantwortung und dürfen uns nicht nur mit Statistiken stark machen.
Wer nur von größeren und durch technische Überwachungsmaßnahmen intelligenteren Straßen redet — das ist die neue Überschrift — und sie noch dazu anbietet, schafft noch mehr Verkehr und zerstört schrittweise weiter die Substanz unserer Städte und nicht nur deren Substanz, sondern auch die wertvoller Kulturgüter.
Im September dieses Jahres habe ich für die SPD-Bundestagsfraktion erklärt, eine gemeinsame verkehrs- und umweltpolitische Bestandsaufnahme der im Bundestag vertretenen Parteien könnte der Beginn neuer Einsichten in der Verkehrspolitik nach jahrzehntelangen Fehlentwicklungen sein. Auch ich habe von jahrzehntelangen Fehlentwicklungen gesprochen. Sie haben das mit Aufmerksamkeit registriert. Meinem vor wenigen Monaten vorgetragenen Argument, daß Weiterwursteln im alten Stil der Volkswirtschaft milliardenschwere Belastungen aufbürde, haben Sie damals nicht widersprochen. Wollen Sie heute mit der Ablehnung unserer Gesetzentwürfe erneut nur unbequeme Entscheidungen vertagen und unserem Land, aber auch der Bahn, unserer Bahn, schweren Schaden zufügen? Im Grunde — so habe ich das am 5. September gesagt — wäre das verantwortungslos.
Meine Damen und Herren von der Koalition, feiges Kneifen in der Politik in dieser Situation kann schwere Erosionen auslösen. Sie wissen, worum es hier geht. Denken Sie bitte darüber nach, ehe es für die Glaubwürdigkeit auch der Verkehrspolitik in diesem Land, für die Umwelt und für die Bahn zu spät ist.
Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Fischer .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Haar, ich glaube, daß Sie wenige Tage vor dem SPD-Bundesparteitag in Berlin Gelegenheit nehmen sollten, Ihren „führungsstarken" Fraktions- und Parteivorsitzenden zu bitten, im Hause „SPD" endlich für Ordnung zu sorgen in der Frage „mehr oder weniger Straßenbaumittel?".
Ich halte es für Volksverdummung, wenn ich erleben muß, daß der Bund in Hamburg wegen der Mehranforderung — allein von diesem einen Bundesland, Herr Kollege Dr. Niese — von 560 Millionen DM in dem Zehnjahreszeitraum in Anspruch genommen wird, kritisiert wird, vorgeführt wird zum gleichen Zeitpunkt, da hier Kollegen die Verminderung um 500 Millionen DM beantragen.
Außerdem wäre es redlich gewesen, Herr Kollege Haar, darauf hinzuweisen, daß der Kollege Bauer heute morgen Ihren Antrag problematisiert hat im Zusammenhang mit den doch erheblichen investiven Mehrbedarfen, die wir bei der Wiederherstellung innerdeutscher Verkehrswege zu finanzieren haben. Dies ist doch der Zusammenhang, der doch wahrscheinlich auch zwischen Ihnen und uns unstreitig sein wird, daß man nämlich die Wege nicht wiederherstellen kann für null Mark, sondern daß wir alle gemeinsam dem Finanzminister sagen müssen: Wenn wir das wollen, dann ist das im Rahmen der Ansätze nicht zu bewältigen, sondern es muß mehr Geld zur Verfügung gestellt werden.
Herr Kollege Daubertshäuser, Ihre Kritik an der Verkehrspolitik der Bundesregierung
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Fischer
ist unberechtigt. Die Fakten beweisen: SPD-Bahnpolitik war der perspektivlose Ritt in die Pleite der Deutschen Bundesbahn.
Sie haben eine Steigerung der Zuschüsse pro Jahr von 4 Milliarden DM auf 14 Milliarden DM erlebt, ohne daß Sie damit einen einzigen positiven Effekt für die Strukturverbesserung des Unternehmens erzielt haben. Die Struktur ist nie verbessert worden.
Sie wären heute vielleicht bei 35 Milliarden DM Zuschuß, ohne daß das Unternehmen aus sich heraus kräftiger geworden wäre.
Herr Kollege Daubertshäuser, ich sage noch eines: Die Investitionsdefizite Ihrer Jahre sind nicht mehr aufholbar. Diese versäumten Jahre sind nicht mehr aufholbar. Das ist unser Problem.
Wir haben Engpässe im Netz, wo heute Transporte auf der Schiene von der Nachfrage her durchgeführt werden könnten, Herr Kollege. Die Bahn muß sie zurückweisen, weil das Netz nicht mehr belastbar ist. Wäre investiert worden, hätten wir einen höheren Transportanteil auf der Schiene. Dieses müssen wir heute bitter bereuen.
Woran liegt das? Die Jahre Ihrer Verantwortung, auch Ihrer ganz persönlichen Verantwortung, Herr Kollege Haar, waren Jahre der Rekordablieferung an Autobahnkilometern. Ihnen gebührt der goldene Betonorden, Herr Kollege Haar. Das haben wir hier soundso oft gesagt.
Ich meine, es muß in dem Zusammenhang, in dem Sie immer Ihre große persönliche Wende feiern, darauf hingewiesen werden, daß erst unsere Bundesregierung eine Umkehrung des Trends herbeigeführt hat,
nämlich von 1986 bis 1995 35 Milliarden DM für die Bahn, d. h. 25 % mehr als im Zehn-Jahres-Zeitraum davor, als Sie politische Verantwortung getragen haben.
Herr Kollege Daubertshäuser, ich sage noch einmal: Hier betätigt sich der Brandstifter als Feuerwehrmann. Das ist das richtige und zutreffende Bild.
Meine Damen und Herren, die Deutsche Bundesbahn bleibt trotz, man kann vielleicht sogar sagen: wegen des stark gestiegenen Straßen-Personen- und -Güterverkehrs für uns ganz unverzichtbar, aber nicht mit dem Nachsatz: koste es, was es wolle. Diese Leistung muß auch bezahlbar und in den Dimensionen beherrschbar bleiben. Die finanzielle Entwicklung
der DB ist besorgniserregend. Wer wollte das bestreiten? Ich will das Problem hier gar nicht verkleinern, weil ich glaube, daß wir der Verkehrspolitik und der Deutschen Bundesbahn nicht damit helfen, daß wir das Problem schönreden oder verkleinern. Nein, wir müssen es ungeschminkt darstellen.
Ich sage, das Thema Bundesbahn wird uns in der Politik, und zwar gemeinsam, noch sehr, sehr lange begleiten. Allen, Herr Kollege Haar, Herr Kollege Daubertshäuser, die hier sehr große Worte machen, muß man sagen, das Problem Deutsche Bundesbahn wird uns noch sehr, sehr lange begleiten. Ich glaube, daß deswegen die einfachen, schlichten Patentrezepte überhaupt nicht helfen.
Wir haben dennoch die Hoffnung, daß die Bahn mit attraktiveren Angeboten ihre Rolle als umweltfreundlicher und energiesparender Verkehrsträger nutzen und in einem wachsenden Verkehrsmarkt auch ihre wachsenden Marktanteile erkämpfen kann.
Aber dazu bedarf es — das ist hier dargestellt worden — einschneidender Maßnahmen, nachhaltiger Verbesserungen, und das geht, Herr Kollege Haar, nicht nach der Methode: Es soll alles so bleiben, wie es ist, und der Staat soll halt mehr Geld geben. Ich unterstreiche das, was der Minister gesagt hat — das ist der Kernsatz — : Der Bahn ist allein durch mehr Geld nicht geholfen. Das kann man immer nur wiederholen. Dies ist zutreffend; da müssen wir uns ein bißchen mehr einfallen lassen.
Herr Kollege Daubertshäuser, staatliche Ladungslenkung bringt überhaupt nichts, sondern wir müssen erreichen, daß die verladende Wirtschaft gerne und freiwillig ihre Güter auf der Bahn verlädt. Damit hilft man der Bahn, nicht aber mit Dirigismus. Was ist denn Dirigismus? Dirigismus ist die Beseitigung unternehmerischer Herausforderung und Schaffung einer Monopolsituation. Sie können in der Welt hingucken, wo Sie wollen, auch in unserem Land, eine Monopolsituation ist für den Kunden das Allerschlimmste und für das anbietende Unternehmen auch, weil sich dort nämlich Strukturen fehlentwickeln, ohne daß darauf reagiert werden kann und diese Dinge verbessert werden können.
Ich meine, daß die intelligente Nutzung der Technologien und kundenorientierte Konzepte die Chance für die Bahn sind.
Herr Kollege Weiss, es ist auf das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz hingewiesen worden, wo wir mit Schnelligkeit und dennoch attraktiven Preisen etwas gewinnen wollen. Ich finde es ziemlich abenteuerlich, daß Sie hier mal pro und mal kontra Hoch-
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geschwindigkeitsstrecken argumentieren. Dies ist doch die permanente Kimble-Flucht aus der Verantwortung. Wenn Sie Angst haben, daß der nächste Parteitag vielleicht gegen Hochgeschwindigkeitszüge entscheidet, dann seilen Sie sich hier schnell ab!
Ich sage Ihnen jetzt schon: Wir alle, die Politik, das Unternehmen — der Vorstand, seine Mitarbeiter —, auch die Kunden, die auf die Bahn angewiesen sind, müssen sich für das Unternehmen engagieren. Engagieren heißt: Man muß Verantwortung übernehmen. Man übernimmt nicht dadurch Verantwortung, daß man in unpopulären Sachfragen draußen populistische und opportunistische Reden hält, die im Grunde genommen eher geeignet sind, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Die Koalition will alles tun, um die Konfrontation der Verkehrsträger zu beseitigen und die Kooperation und die Vernetzung zu fördern. Wir brauchen nicht den Verdrängungswettbewerb der Verkehrsträger, sondern wir brauchen den Wettbewerb um das beste und preisgünstigste Konzept für Transport und Logistik.
Herr Daubertshäuser, wenn man die Verkehrsträger in dieser Weise gegeneinander aufhetzt, dann trägt man nicht zu Kooperation und Vernetzung bei, sondern man baut Frontstellungen auf,
die kooperationsfeindlich sind.
Deswegen appelliere ich noch einmal an Sie: Unterlassen Sie bitte dieses ständige Aufhetzen der verschiedenen Transportmittel gegeneinander. Wir müssen sie vielmehr anleiten und dazu animieren, aufeinander zuzugehen
und ihre Angebote zu vernetzen.
Meine Damen und Herren, die Leitlinien der Bundesregierung zur Konsolidierung haben sich als richtig, als erfolgreich erwiesen. Sie müssen fortgeführt werden.
Mit unseren Entscheidungen — Einstieg in die Fahrwegsbeteiligung, Übernahme der Altschulden — haben wir auch Ihr Gewissen entlastet, Herr Kollege Haar, denn in der Regierungserklärung Brandts 1969 ist der Bahn die Übernahme der Altschulden versprochen worden. Diese Regierung unter Kanzler Kohl mit dem Verkehrsminister Zimmermann löst Zusagen von Brandt ein. Ihr Gewissen ist also durch uns entlastet worden. Das sollten Sie, wie ich glaube, alle miteinander begrüßen.
So, wie sich diese Bundesregierung verhalten hat, hat sie deutlich gemacht, daß sie nicht nur mit Reden, sondern mit Taten zur Bundesbahn steht,
daß die Bahn für uns Zukunft hat. Wir wollen, daß trotz aller Schwierigkeiten und Probleme auch in der Zukunft eine Solidarität der Politik mit der Bahn besteht. Das umzusetzen ist das Entscheidende, aber nicht, nur vollmundige Reden zu halten.
Das Wort hat der Abgeordnete Weiss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eines richtigstellen: Es ist immer davon geredet worden, die Bahn sei nicht das flächendeckende Verkehrsmittel, die Bahn könne in der Fläche nicht wirtschaftlich fahren. Ich muß sagen, auch ich war bisher immer der Auffassung, daß der größte Defizitbringer bei der Bahn tatsächlich der Schienenpersonennahverkehr in der Fläche ist. Das hat sich doch mit den Unterlagen geändert, die die Bahn jetzt vorgelegt hat. In der von der Bahn vorgelegten Spartenerfolgsrechnung, wo sie den Nahverkehr getrennt rechnet, zeigt sich, daß letztlich, allerdings unter Einrechnung der 1 191-Mittel des Bundes, vom Nahverkehr tatsächlich ein positiver Kostendeckungsbeitrag für das Wirtschaftsergebnis der Bahn ausgeht. Ich denke, wir sollten deshalb aufhören, den öffentlichen Personennahverkehr gerade in der Fläche immer zu diskriminieren.
Die Richtigkeit der These, daß der Nahverkehr eben nicht der Defizitbringer ist, zeigt sich allein an der Tatsache, daß eine jahrzehntelange Politik der Strekkenstillegung schlicht und einfach nichts gebracht hat. Eine Strecke nach der anderen im Nahverkehr wurde stillgelegt. Nur, wenn die Wirkung wie erwartet gewesen wäre, hätte sich das doch deutlicher im Wirtschaftsergebnis der Bahn zeigen müssen. Aber es hat sich in dieser Richtung nichts gezeigt.
— Die Spartenerfolgsrechnung — ich nenne gern noch einmal die Zahlen; ich habe es vorhin schon getan — sagt aus: Einnahmen im Nahverkehr — das ist jetzt das, was die Bahn selbst errechnet hat —5,663 Milliarden DM, Selbstkosten 4,124 Milliarden DM.
— Schienenpersonennahverkehr. —
Das heißt, es gibt eine Überdeckung von 1,539 Milliarden DM. Die Einnahmen liegen also ganz deutlich
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13971
Weiss
über dem Betrag, den die Bahn beim Schienenpersonennahverkehr für den Fahrweg ausgibt.
— Das können Sie einfach an den neuen Zahlen der Bahn ablesen. Herr Kollege Fischer, wenn Sie es nicht glauben, dann kann ich Ihnen nicht helfen. Aber die Zahlen sind richtig. Sie müssen sie bloß lesen und begreifen.
— Ich habe sicher nicht alles vorgelesen. Aber es ist eine Tatsache, daß man das heute anders bewerten muß als bisher.
Lassen Sie mich ein Zweites sagen. Sie sprechen immer die GRÜNEN bezüglich der Unglaubwürdigkeit im Zusammenhang mit dem europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz an. Dazu muß ich Ihnen folgendes sagen. Erstens.
Die Rechtfertigung der Bundesmittel für die Bahn liegt im Nahverkehr. Ein Bundeszuschuß für den Fernverkehr ist eigentlich nicht gerechtfertigt.
— Weil da keine nennenswerten Marktanteile erwirtschaftet werden. In der Tat müssen Sie bei den Hochgeschwindigkeitsstrecken, wenn sie so teuer wie die bisherigen Strecken gebaut werden, damit rechnen, daß damit eine viel stärkere Subventionierung des Unternehmens Bahn betrieben wird als im Nahverkehr. Das Faß ohne Boden ist dann nämlich das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz, wenn Sie es entsprechend hart und ohne Rücksicht auf Verluste mit teuren Tunnels und Brückenbauwerken durchziehen wollen.
Auch wenn ich die Notwendigkeit von Neubaustrecken erkenne, so habe ich doch Verständnis für die Leute, die in der Fläche wohnen und denen die Bundesbahn zumutet, daß sie praktisch ihr Land zur Verfügung stellen und den Lärm auf sich nehmen sollen, bloß damit die Bewohner der Metropolen und der Großstädte bessere Verkehrsverbindungen haben. Den Bewohnern in der Region wird der Nahverkehr stillgelegt, und die Hochgeschwindigkeitsbahn rauscht vorbei, verlärmt und zerschneidet ihre Gegend. Da muß doch irgendwo auch einmal ein Umdenken bei der Bahn einsetzen.
Ich kann gar nicht verstehen, daß die Bundesbahn vor Inkrafttreten des letzten Sommerfahrplans die Strecke Montabaur—Koblenz im Schienenpersonennahverkehr stillgelegt hat. Sie wußte doch, daß sie einige Monate später dort vielleicht mit den Leuten
über eine Neubaustrecke reden will, die eventuell an Montabaur vorbeiführt. Für ein solches Vorgehen habe ich absolut kein Verständnis. Ich halte es für völlig berechtigt, wenn die Leute sagen: Das stinkt uns; uns nimmt man alle Verkehrsmöglichkeiten, aber für die Frankfurter und Kölner sollen wir den Lärm auf uns nehmen und sollen unsere Landschaft zerschneiden lassen. Wir haben nichts von der Bahn, uns wird die Bahn genommen.
Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie die Bundesbahn hier vorgegangen ist. Ich habe auch kein Verständnis dafür, daß eine Streckenstillegung wie die eben besprochene von der Bundesregierung genehmigt wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haungs?
Wird es von der Redezeit abgezogen?
Nein.
Herr Kollege Weiss, es geht nicht um das Verständnis der Bevölkerung, sondern ich frage Sie klipp und klar — antworten Sie uns hier — : Sind Sie als Verkehrspolitiker der GRÜNEN für die Neubaustrecken der Deutschen Bundesbahn, die den Schnellbahnverkehr ermöglichen, oder sind Sie dagegen?
Ich bin für neue Strekken.
Die den Schnellbahnverkehr ermöglichen? Darf ich nachfragen: Warum sprechen Sie sich in Ihrem Informationsdienst als Sprecher der GRÜNEN dagegen aus, wenn Sie dafür sind?
Ich bin für neue Strekken. Aber ich sage nicht: Man muß dort auf jeden Fall 250 km/h fahren.
Es ist ein falscher Ansatz, daß man von vornherein sagt: Ich lege eine bestimmte Geschwindigkeit fest und baue hinterher die Landschaft so um, daß die Strecke so ist, daß die Bahn so schnell fahren kann. Das umgekehrte Verfahren wäre richtig.
Die Bundesbahn hätte aus dem Beispiel der Schweiz lernen müssen.
Dort ist die Situation genau umgekehrt. In der Bundesrepublik haben wir erst die Strecken gebaut, und bei der Vorbereitung des Fahrplans 1991 fehlen irgendwo drei Minuten. Es gibt große Schwierigkeiten. Irgendwie muß man den Fahrplan hinbekommen. Die Schweiz ist genau umgekehrt vorgegangen: Dort hat man erst den Fahrplan gemacht, hat erst einen Takt aufgebaut, und hinterher hat man sich entschieden,
13972 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Weiss
wie die Strecken gebaut werden sollen. Offensichtlich begreift man das bei der Bundesbahn nicht. Dort geht man mit der Maßgabe an die Aufgabe: erst einmal das Geld in Strecken verbauen, ganz egal, was es hinterher in der Jahresrechnung kostet. Hinterher schaut man dann, ob man auch noch einen ordentlichen Fahrplan hinbekommt.
Wenn es dann wirklich so ist, wie es jetzt nach den Vorbereitungen für den Fahrplan 1991 ausschaut, daß z. B. Eilzüge in Winsen zwischen Hamburg und Hannover 14 Minuten warten müssen, weil sie von zwei ICE überholt werden, und daß damit praktisch auch der Nah- und Kurzstreckenverkehr kaputtgeht, dann ist das keine ordentliche Planung. Da hätte man sich vielleicht vorher überlegen müssen, wie man die Strecken ausbaut, damit man den Fahrplan entsprechend hinkriegt.
Herr Abgeordneter, Ihre Zeit ist sozusagen bis auf eine Sekunde abgelaufen. Aber wollen wir das kurz abwickeln? — Bitte.
Herr Kollege Weiss, ist Ihnen bekannt, daß sich das viel gerühmte Beispiel der Schweizer Bundesbahn, nachdem zunächst 28 % Infrastrukturabgabe an den Bund gezahlt wurden, mittlerweile wirtschaftlich so schlecht entwickelt, daß im Jahre 1990 praktisch überhaupt keine finanzielle Leistungsfähigkeit für die Zahlung einer Infrastrukturabgabe mehr vorhanden ist?
Die Schweiz hat jetzt natürlich entsprechend hohe Investitionen für ihre Neubaustrecken — nicht Neubaustrecken als ganze Strecken in dem Sinne wie bei uns, sondern Teile der alten Planung — , die jetzt realisiert werden, aber nur in dem Umfang, wie es notwendig ist, um das Taktmodell zu realisieren. Daß da in den nächsten Jahren ganz hohe Belastungen auf die Schweizer Bahn zukommen, ist mir klar. Daß dann natürlich eine Infrastrukturabgabe bei diesen Investitionen, die mit der Realisierung von „Bahn 2000" anstehen, an den Bund nicht mehr gezahlt werden kann, ist auch klar.
Jetzt hat Herr Börnsen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worin wir uns nach vier Stunden Bahndebatte mit, wie ich finde, konstruktiven Beiträgen aus fast allen Fraktionen einig sind, ist, daß wir keine Bahnfahrt ins Blaue wollen und auch keine Reise in den Ruin. Auch Nikolausgeschenke, obwohl wir den 6. Dezember haben, kann es für die Deutsche Bundesbahn nicht geben.
Die Verantwortlichen in Frankfurt sind aufgefordert, noch mehr unternehmerische Initiative und Kreativität zu zeigen sowie stärker auf Konsolidierung und Entbürokratisierung zu setzen.
Was uns in der Bahnpolitik trennt, ist die Bewertung der bisherigen Maßnahmen. Bereits 1969 hat Willy Brandt den Bahnballast von Altlasten beklagt und die Aufhebung von Altschulden angekündigt. Bundeskanzler Helmut Kohl hat 20 Jahre später Taten folgen lassen.
Die Deutsche Bundesbahn wird von 12,6 Milliarden DM befreit. Es bleibt mehr Spielraum für Investitionen. Die Bahn auf die Beine zu stellen ist fast eine Jahrhundertaufgabe. Erstmals seit einhundert Jahren investiert eine Regierung mehr Milliarden in die Bahn als in die Straße.
Diese Bundesregierung hat die Bremsklötze für den europäischen Binnenmarkt weggezogen und die Weichen für eine europäische Bahnpolitik gestellt. Diese Bundesregierung gibt dem Massenverkehrsmittel eine Zukunft, das umweltfreundlicher, flächenschonender und energiesparender ist als jeder vergleichbare Verkehrsträger.
Wir Christdemokraten Deutschlands setzen weiter auf die Bahn, die jetzt in Europa eine Renaissance erlebt. Der Armelkanaltunnel, der Brennerbasistunnel und eventuell bald auch Skanlink sind ebenso Beispiele dafür wie das Herzstück europäischer Hochgeschwindigkeitsbahnen, die Strecken zwischen Frankreich und Deutschland. Das gilt auch für die Reaktivierung und Vitalisierung der Bahnstrecken in die DDR und nach Osteuropa hin.
Was fehlt, ist die Vervollständigung der Elektrifizierung der Nord-Süd-Achse nach Skandinavien. Das Königreich Dänemark verwirklicht die feste Querung des Großen Belts, plant für den Sund nach Schweden und setzt voll auf die Elektrifizierung. Doch die Elektrifizierungslücke zwischen Skandinavien und Mitteleuropa, die in Schleswig-Holstein besteht, müssen wir selber zwischen Flensburg und Hamburg und Kiel schließen.
Nach langem Zögern hat sich die Landesregierung in Kiel bereit erklärt, dazu einen Beitrag zu leisten, eine Vorbedingung, die die Deutsche Bundesbahn gestellt hat. Jetzt ist Frankfurt aufgefordert, zu handeln und aus der Lücke eine Brücke zu machen, und das bald.
1990 sollte der Termin dafür stehen, auch das elfte Bundesland ICE-fähig und -fahrbar zu machen.
Die Deutsche Bundesbahn kann es. Sie kann auch ihre Produktivität verbessern. Daß sie es kann, hat sie in den letzten sieben Jahren deutlich gezeigt. Jetzt gilt es, die DB für das Jahr 2000 fit zu machen, sie weiter zu entlasten, ihre Eigenverantwortung zu stärken und sie zum entscheidenden, Europa verbindenden Verkehrsträger auszubauen.
Diese Regierung ist dazu fähig, jetzt und auch in Zukunft.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13973
Börnsen
Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zu einer ganzen Anzahl von Abstimmungen.
Wir kommen zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines 4. Bundesbahnänderungsgesetzes; das sind die Drucksachen 11/1516, 11/4074 und 11/4109. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/4074 die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD. Auch in diesem Fall ist nach ständiger Praxis über die Ursprungsvorlage abzustimmen.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften entgegen der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit Mehrheit abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines 5. Bundesbahnänderungsgesetzes; das sind die Drucksachen 11/2411, 11/4073 und 11/4011. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/4073 die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD. Wir stimmen auch hier nach ständiger Praxis über die Ursprungsvorlage ab.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften entgegen der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit der gleichen Mehrheit der Koalitionsfraktionen ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Eine weitere Beratung unterbleibt deshalb.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines 6. Bundesbahnänderungsgesetzes; das sind die Drucksachen 11/2412, 11/4091 und 11/4111. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/4091 die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD. Wir stimmen wieder über die Ursprungsvorlage ab.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften entgegen der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Eine weitere Beratung unterbleibt.
Jetzt kommen wir zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines 7. Bundesbahnänderungsgesetzes; das sind die Drucksachen 11/3770 und 11/4248. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/4248 die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD. Wir stimmen über die Ursprungsvorlage ab.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften entgegen der
Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN wurde der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Eine weitere Beratung unterbleibt.
Jetzt kommen wir zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Gesetzentwurf über den Ausbau des Schienenwegenetzes der Deutschen Bundesbahn; das sind die Drucksachen 11/2410 und 11/4075. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/4075 die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD. Auch hier ist nach ständiger Praxis über die Ursprungsvorlage abzustimmen.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften entgegen der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen in zweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Jetzt kommen wir zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen und zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn; das sind die Drucksachen 11/4090 und 11/4108. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 11/4090 die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE GRÜNEN. Wir stimmen über die Ursprungsvorlage ab.
Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften entgegen der Ausschußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion der SPD ist der Gesetzentwurf der GRÜNEN in zweiter Beratung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Damit unterbleibt die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/4072. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD zur Übernahme überhöhter Versorgungslasten auf Drucksache 11/1515 abzulehnen. Wer für die Beschlußempfehlung zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/4092. Wer für diese Beschlußempfehlung zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen worden.
Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/4093 ab. Wer für diese Beschlußempfehlung zu
13974 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Vizepräsident Westphal
stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Punkt 3 j der Tagesordnung, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5960. Interfraktionell wird beantragt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3648 gemäß § 82 Abs. 3 der Geschäftsordnung an die Ausschüsse zurückzuüberweisen. Ich stelle fest, daß das ein interfraktioneller Antrag ist. — Kein Widerspruch. Damit ist das auch so beschlossen.
Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/5269 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3973 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/5959.
— Zu diesem Punkt? Mir wurde soeben gesagt, daß Sie eine Erklärung zu Drucksache 11/3973 beantragt haben. Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür. Herr Spilker, sind Sie einverstanden, wenn Sie Ihre Erklärung nach der letzten Abstimmung abgeben, oder wollen Sie vor dieser Abstimmung das Wort haben?
Dann führen wir die soeben angekündigte Abstimmung durch. Ich wiederhole: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 11/5959. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden.
Jetzt gebe ich Herrn Spilker zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der GRÜNEN 11/3973. Auch ich bin gegen diesen Antrag, weil von der Fraktion DIE GRÜNEN wieder einmal eine Verbindung zu der geplanten und zum Teil im Bau befindlichen Autobahn A 94 von München über Mühldorf nach Simbach gesucht wird, um deren Bau zu verhindern oder wenigstens zu verzögern. Ich erkläre, daß ich gar kein Verständnis dafür habe, weil wir den Bau der A 94 für die Menschen, deren Sicherheit und für die Wirtschaftsstruktur in diesem Gebiet bereits 1986 beschlossen haben. Allen Versuchen, den Bau zu verhindern und einen bereits 1986 gefaßten Beschluß auszuhebeln, werden wir widerstehen.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, daß der Bau der Bundesbahnstrecke München—Mühldorf—Freilassing den Bau der A 94 überflüssig mache und der Ausbau der B 12 ausreiche. Dazu möchte ich Ihnen mit Nachdruck sagen, daß Sie dies der zuständigen Planungsbehörde im Freistaat Bayern überlassen mögen; das haben wir hier überhaupt nicht mehr zu entscheiden.
Ich ergänze: Es gibt keine Alternative zur A 94.
— Ich bin mit meiner Erklärung sofort fertig. Ich habe fünf Minuten Zeit; das müssen Sie noch lernen.
Es gibt kein Entweder-Oder, sondern nur ein Sowohlals-Auch. Die Entscheidung über die Bundesbahnstrecke München—Mühldorf—Freilassing wird dann kommen, wenn die Wirtschaftlichkeitsberechnungen vorliegen.
Als neues Problem muß dabei auch die Anbindung des Flughafens München 2 an das Fernverkehrsnetz der Bundesbahn, über das hier gesprochen worden ist, beachtet werden.
Herr Kollege Spilker, ich muß Ihnen sagen, das war eigentlich keine Erklärung zu einer Abstimmung. Es ist immer schwierig, das von hier oben zu beurteilen. Man kann das immer erst nachher entscheiden.
Wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungspunktes.
Ich rufe die Zusatzpunkte 3 bis 5 der Tagesordnung auf :
ZP3 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Sofortige Einstellung der Entwicklungshilfe für El Salvador
— Drucksache 11/5453 —
ZP4 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Zur Lage in El Salvador
— Drucksache 11/5969 —
ZP5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP
Rückkehr zum Friedensprozeß in El Salvador
— Drucksache 11/5973 —
Interfraktionell ist für die Beratung ein Redebeitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13975
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In El Salvador herrscht ein entsetzlicher Bürgerkrieg, der möglichst schnell beendet werden muß. Die GRÜNEN sind prinzipiell eine gewaltfreie Partei. Wir bedauern, daß es zu einer solchen Eskalation von Gewalt gekommen ist. Aber wir müssen sehen, was die Ursachen sind. Die Ursachen sind letztlich die äußerst ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse und die Einmischung der Vereinigten Staaten, die in der Vergangenheit verhindert haben, daß es auf dem demokratischen Wege zu einer Änderung im Lande kommen kann.
Es gibt international so etwas wie ein Widerstandsrecht. Wenn ein Volk in seiner Verzweiflung meint, nur noch im Widerstand Zuflucht zu finden, so haben wir das zu respektieren, auch wenn wir nicht jeden einzelnen Schritt begrüßen, der in diesem Zusammenhang dann unternommen wird.
Wenn man allerdings die Anerkennung eines Widerstandsrechts zur Grundlage seiner Politik macht, dann kann man nicht so argumentieren, wie es CDU/ CSU und FDP in ihrem Antrag machen, indem sie die Schuld an der Zuspitzung einer Situation einer verzweifelt kämpfenden Widerstandsbewegung in die Schuhe schiebt, einfach hineinschneidet in den historischen, politischen Prozeß und so zu eklatanten Fehldeutungen kommt, die verhindern, daß es überhaupt zu einer wirklichen Lösung im Sinne von Demokratisierung, im Sinne einer sozialen Demokratie kommen kann.
Dies ist der völlig falsche Grundtenor des Koalitionsantrages.
Meines Erachtens hat diese völlig falsche Deutung der Zuspitzung der Problematik den Sinn, von Ihrer vollständig verfehlten Zentralamerikapolitik abzulenken. Nachdem Sie versucht haben, die Duarte-Regierung zu stützen, die an ihrer eigenen Korruption zugrunde gegangen ist, versuchen Sie nun den Cristiani-Flügel der ARENA-Partei international salonfähig zu machen. Auch dies wird scheitern. Dies ist praktisch schon dadurch gescheitert, daß die Cristiani-Regierung auf Ihre positiven Erwartungen mit Morden auch an solchen Leuten reagiert hat, die vorher gar nicht gefährdet erschienen.
Die Mordserie wird weitergehen. Es gibt ein Flugblatt von den salvadorianischen Streitkräften — ich zeige es Ihnen hier — , abgeworfen am 2. Oktober 1989 über El Salvador. Dort heißt es:
Salvadorianische Patrioten! Du hast das edle und legitime Recht, dein Leben und Eigentum zu verteidigen. Wenn du dazu einen Terroristen der FMLN oder einen ihrer internationalen Verbündeten töten mußt, tu es.
Das ist offizielle Regierungspolitik in El Salvador.
Wenn Sie meinen, daß Cristiani beabsichtige, die Jesuitenmorde tatsächlich aufzuklären, und wenn Sie dies zur Grundlage Ihrer Politik und zum Kriterium dafür machen, ob das Moratorium der Mittelauszahlung, was Sie faktisch praktizieren, wieder aufgehoben werden kann, dann ist dies auch nur Augenwischerei; denn die Mörder der Jesuiten sind bekannt.
Am 30. November hat eine Gruppe junger Offiziere eine Erklärung dazu herausgegeben. Ich zitiere:
Als ehrenhafte Offiziere müssen wir beschämt eingestehen, daß dieses schändliche Verbrechen von Mitgliedern unserer geliebten Institution verübt wurde. Wir wissen mit völliger Sicherheit, daß dieses Verbrechen auf Befehl von Herrn Oberst Hector Heriberto Hernandez, Direktor der Finanzpolizei, durch Angehörige dieses Polizeicorps unter dem Befehl von Hauptmann Alfonso Chavez Garcia ausgeführt wurde. Dabei gibt es für uns keinen Zweifel, daß dies mit dem Wissen und Einverständnis des Generalstabes geschah.
Die Mörder der Jesuiten sind bekannt. Die Armee ist eine Regierungsinstanz. Die oberste Verantwortung dafür hat der Staatspräsident Cristiani.
Wir im Ausschuß haben beschlossen, daß die Entwicklungshilfe eingestellt werden soll und eingestellt werden muß, wenn die Menschenrechtsverletzungen von seiten der Regierung nicht aufhören. Wenn diese Morde an den Jesuiten durch Regierungsinstanzen, durch die Armee, nicht Grund genug ist, die Entwicklungshilfe einzustellen, frage ich Sie: Wer soll denn noch alles ermordet werden?
Was Sie vorschlagen, lediglich einen Auszahlungsstopp für Mittel für 1989 auszusprechen und ansonsten auf Regierungsneuverhandlungen zu verzichten, ist keine weiterführende Politik. Sie ratifizieren vielmehr mit Ihrem Antrag das, was die Regierung dem Auswärtigen Ausschuß vor einigen Wochen ohnehin schon zugesagt hat. Das ist Augenwischerei.
Wir verlangen nach wie vor, daß ganz politisch ein vollständiger Stopp der staatlichen Entwicklungshilfe ausgesprochen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Hedrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Betroffenheit nehmen wir die Eskalation der Gewalt in El Salvador zur Kenntnis. Verursacher dieser Eskalation ist eindeutig die Guerilla, die FMLN. Dabei ging sie in ihrer Offensive ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung vor. Teilweise wurde diese Bevölkerung in eine Art Geiselhaft genommen in der Erwartung, die Regierungsstreitkräfte könnten nicht angemessen zurückschlagen. Dieses ist zum Teil auch so aufgegangen.
Schwerwiegender jedoch, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist der Vertrauensbruch, der seitens der Guerilla begangen wurde. Die FMLN befand sich mit der Regierung Cristiani in Friedensverhandlungen. Gleichzeitig bereitete sie die Offensive sorgfältigst vor. Das gleichzeitige Losschlagen auf 50 Ziele bedurfte umfassender logistischer Vorbereitungen und macht alleine bereits deutlich, daß diese Überlegungen zur Einleitung einer Offensive in den Reihen der Guerilla seit Monaten angestellt worden sein müssen.
13976 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Hedrich
Das perfide Verhalten wird deshalb von uns auf das schärfste verurteilt. Die Guerilla wird massive Anstrengungen zu unternehmen haben, um diesen Vertrauensverlust und diesen Verlust an Glaubwürdigkeit in den nächsten Monaten wieder wettzumachen.
Ich verhehle allerdings auch nicht, daß wir mit gleicher Entschiedenheit die Menschenrechtsverletzungen anderer, gerade auch seitens der Militärs und der Todesschwadronen, verurteilen. Ich glaube, es steht uns gut an, wenn wir hier nicht einseitig argumentieren. Dies würde ich auch den Kollegen der GRÜNEN mit großem Nachdruck anraten. Denn es ist immer das gleiche Bild: Der Terror von links und der Terror von rechts schaukeln sich gegenseitig hoch.
Wir erwarten deshalb von der Regierung Cristiani, daß sie ohne Ansehen der Person Verbrechen aufklärt. Dies gilt natürlich gerade auch für den widerlichen Mord an den sechs Jesuitenpatres und ihren beiden Mitarbeitern.
Die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung und der Bundestag, können natürlich angesichts der Vorgänge in Salvador nicht ohne Reaktion zur Tagesordnung übergehen. Es ist deshalb folgerichtig, zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Auszahlung von 50 Millionen DM Entwicklungshilfegeldern nicht vorzunehmen und die anstehenden Regierungsverhandlungen auszusetzen. Auch der Abzug der deutschen Experten war und ist nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen richtig.
Die CDU/CSU möchte trotz dieser deprimierenden Schilderung ihrer Hoffnung Ausdruck verleihen, daß die Konfliktparteien möglichst rasch ihre Gespräche wieder aufnehmen. Niemand kann den anderen militärisch besiegen. Die Bereitschaft der fünf zentralamerikanischen Präsidenten, trotz oder gerade wegen der aktuellen Lage ihr geplantes Gipfeltreffen durchzuführen, ist zumindest ein Silberstreifen am Horizont. Die Mittelamerikaner müssen ihre sozialen, ihre wirtschaftlichen und ihre gesellschaftlichen Probleme selbst lösen. Wir können nur dort unterstützend tätig werden, wo unsere Hilfe sinnvoll und erwünscht ist.
Ich fasse zusammen. Wir erwarten, daß alle ihre Einmischung in den Konflikt in Zentralamerika einstellen.
Dies gilt hier in diesem Zusammenhang insbesondere auch für Nicaragua und Kuba; denn nur die massive logistische Hilfe und Waffenhilfe dieser beiden Staaten hat die Offensive der FMLN überhaupt erst möglich gemacht. Deshalb ein leidenschaftlicher Appell an diese, dieses einzustellen.
Der letzte Satz in diesem Zusammenhang: Es ist schon mehr als merkwürdig, sich auch in diesem Plenum hinzustellen, für Friedensverhandlungen einzutreten, die Gewalt zu bedauern und gleichzeitig in der Bundesrepublik Deutschland zu Geldsammlungen zum Kauf von Waffen aufzurufen. Damit leisten wir
keinen Beitrag zum Frieden in El Salvador und in Zentralamerika.
Verhandlungen und nicht Gewalt sind das Gebot der Stunde.
Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war am Freitag ein wenig erschrocken, als unser Antrag in bezug auf die Einstellung der Entwicklungshilfe für Salvador von allen Christdemokraten abgelehnt worden ist, nachdem in diesem Land insbesondere die Kirchen verfolgt werden und jetzt auch die christdemokratische Partei, wie wir alle wissen. Ich dachte, hier gäbe es auch ein Zeichen von Solidarität.
Der Bürgerkrieg in EI Salvador dauert acht Jahre und hat einen schrecklichen Höhepunkt erreicht. Gewalt und Mord erleben wir täglich. Die FMLN hat am 11. November 1989 eine Offensive begonnen, die zum ersten Mal in ganz starkem Maße auch die Hauptstadt erreicht hat. Ich kann in gar keiner Weise diese Offensive für gerechtfertigt halten.
Aber ich warne vor einseitiger Schuldzuweisung.
Was ist dem vorausgegangen? Ein Bombenattentat auf das Haus des christlich-sozialen Politikers Ruben Zamora, ein Bombenattentat auf das Gewerkschaftshaus, durch das mehr als zehn Gewerkschafter umgebracht worden sind, viele andere Morde, all dieses von seiten der Todesschwadronen, und außerdem der Eindruck — ich sage bewußt: der Eindruck — der FMLN, daß die Friedensverhandlungen, die Waffenstillstandsverhandlungen, von der Regierungsseite nicht mit dem Ziel geführt worden sind, ein Ergebnis zu erreichen. Deshalb bitte keine einseitige Verurteilung in dieser Hinsicht.
Wir erleben in El Salvador in den letzten Jahren insbesondere eine Verfolgung der christlichen Kirchen, und zwar nicht durch die FMLN, sondern durch die Todesschwadronen und diejenigen, die mit ihnen eng verbündet sind. Das begann mit der Ermordung des Erzbischofs Romero und setzte sich fort bis zur Ermordung von Jesuitenpater Ellacuria.
Einer der Höhepunkte war, daß Regierungsorgane den Vatikan aufgefordert haben, den jetzigen Erzbischof sofort abzuberufen und den Weihbischof ebenfalls abzuberufen. Der Vorsitzende der Christdemokratischen Partei, der mit mir seit vielen Jahren befreundete Fidel Chávez Mena, ist persönlich gefährdet wie andere demokratische Politiker.
Warum wird insbesondere von rechts, von extrem rechts, die Kirche bekämpft? Die Kirche tritt in diesem Lande für die Armen ein, aber sie tritt auch für den Frieden ein und ist darum bemüht, vermittelnd zum Frieden beitragen zu können.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13977
Wischnewski
Als der Pater Ellacuria, kurz bevor er ermordet wurde, bei mir war, sagte er: Einige beginnen in diesem Lande zu lernen: Nicht der Kommunismus ist das Hauptproblem, sondern die Armut. — So Ellacuria.
Der Antrag von CDU/CSU und FDP geht mir nicht weit genug; dies ist nicht eindeutig genug. Wir müssen jetzt auffordern, daß beide Parteien die Kampfhandlungen sofort einstellen — beide! Wir müssen dafür eintreten, daß die Verhandlungen fortgesetzt werden. Wir müssen dafür Sorge tragen, daß die Morde der letzten Zeit international untersucht werden. Dies reicht mir nicht durch die Organe des Landes.
Wir müssen unsere staatliche Entwicklungshilfe einstellen. Wer der Kirche in El Salvador helfen will, der muß jetzt diesen Beschluß fassen oder sagen, er stehe in einem anderen Lager.
Wir dürfen keine neuen Zusagen machen. Wir müssen den Menschen helfen, und dieses soll über die Kirchen in El Salvador geschehen. Wer dem Frieden dienen will, muß die Position des Erzbischofs in dieser Situation stärken.
Wenn die Regierung Cristiani nicht in der Lage ist, demokratische Politiker, Gewerkschafter und andere zu schützen, dann muß die OAS in diesem Lande eine Aufgabe übernehmen.
Im übrigen müssen wir allen in der Region — allen in der Region, und nicht nur einigen wenigen! — dringend empfehlen, sich an Esquipulas II und Tela zu halten.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wischnewski, wir sind uns in der Sache im wesentlichen einig. Ich stimme voll zu, wenn Sie sagen, man dürfe hier nicht einseitig verurteilen. Wir tun das nicht. Wir sprechen ganz bewußt von den Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten.
Wir erlauben uns allerdings darauf hinzuweisen, daß die jüngste Eskalation der Gewalt ganz eindeutig durch die Offensive der Guerillas herbeigeführt worden ist. Selbst wenn sie durch einzelne Handlungen provoziert sein mögen, hätte dies niemals die schreckliche Großoffensive rechtfertigen können.
Insofern muß man, was die konkrete Situation betrifft, schon die Gewichte richtig setzen. Es genügt mir nicht, wenn nur gesagt wird: beide Seiten. Ich sage hier: Für die aktuelle Situation tragen die einen mehr Verantwortung als die anderen.
Wir sind uns auch darüber einig, daß die Zusammenarbeit bei der Entwicklungshilfe in der derzeitigen Situation nicht fortgeführt werden kann. Wir haben letzte Woche Ihren Antrag abgelehnt, weil wir der
Meinung sind, daß diese Mittel im Haushalt durchaus stehen bleiben sollen. Wir hoffen doch alle, daß sich die Situation in El Salvador so im Laufe des nächsten Jahres verbessert, daß wir dann zu der ganz dringend notwendigen Wiederaufnahme dieser Zusammenarbeit kommen.
Mit Recht, Herr Wischnewski, haben Sie gesagt: Schuld an den Verhältnissen ist die Armut. Wir sagen deshalb in unserem Antrag sehr konstruktiv, was nach unserer Auffassung zu geschehen hat, um Armut in El Salvador zu bekämpfen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn sie auf die Zeit nicht angerechnet wird, gerne.
Bitte schön, Herr Volmer.
Herr Irmer, heute darf ich mal fragen. Sie haben vorhin gesagt, daß deeskaliert werden müsse, und haben die Schuld an der Eskalation der Guerilla angelastet. Nun meine Frage: Wollen Sie sich auf den Standpunkt der Regierung von El Salvador stellen, die da sagt, daß die Vorbedingung für wirkliche Verhandlung — für ernsthafte Verhandlung und nicht nur für unverbindliche Gespräche — darin liege, daß einseitig eine Partei des Bürgerkrieges, nämlich die Guerilla, vorher ihre Waffen niederlege? Oder meinen Sie, daß gleichzeitig die Waffen niedergelegt werden müßten, was nur geschehen kann, indem ein Waffenstillstand ausgehandelt wird?
Ich meine, daß es wohl keine durchschlagendere Möglichkeit gibt, Verhandlungen zum Scheitern zu bringen, als eine Großoffensive zu starten und Tausende von Zivilisten umzubringen. Das nämlich, Herr Volmer, nehme ich Ihnen und den GRÜNEN ganz gewaltig übel.
— Ich weiche Ihrer Frage gar nicht aus. Das war nicht mein Thema.
Herr Irmer, Sie sind noch dran.
Es hat doch nichts mit Vorbedingungen zu tun, Herr Volmer, sondern die FMLN hat durch ihre Offensive jede Verhandlungslösung unmöglich gemacht. Das ist die Wahrheit, und das ist meine Antwort auf Ihre Frage.
Wir hoffen, daß wir sehr bald wieder eine Situation in El Salvador bekommen, in der Entwicklungshilfe wieder sinnvoll ist. Dann müssen wir die Möglichkeit
13978 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Irmer
haben, sofort anzuknüpfen. Einstweilen wird alles gestoppt. Insofern ist die Position, die auch letzte Woche die Bundesregierung eingenommen hat, die einzig richtige.
Meine Damen und Herren, es ist für mich langsam unerträglich, die Heuchelei und Doppelzüngigkeit der GRÜNEN in diesen Menschenrechtsfragen hinzunehmen.
Ich weiß gar nicht, was mit Ihnen los ist. Sie haben vorher gesagt, Sie seien eine Partei der Gewaltlosigkeit.
Sie scheuen sich aber nicht, sich hier hinzustellen und zu sagen: Der tausendfache Mord an Zivilisten ist durch ein Widerstandsrecht gerechtfertigt. Das haben Sie gesagt. Da kann ich mich nur fragen: Wo sind Ihre moralischen Maßstäbe?
Ich kann bei diesem Ansatz überhaupt nicht mehr erkennen, wo nicht nur Moral, sondern auch elementarste Menschlichkeit bei Ihnen geblieben sein sollten. Ich bitte Sie sehr, darüber einmal wirklich gründlich nachzudenken.
Meine Damen und Herren, der Friedensprozeß in Mittelamerika insgesamt ist durch diese Entwicklung gefährdet. Wir müssen auch — das tun wir in unserem Antrag — an Nicaragua und an andere Länder, z. B. Kuba, dringend appellieren, sich mit Waffenlieferungen und ähnlichem herauszuhalten.
Diesen Appell richte ich auch an sogenannte Menschenrechtsorganisationen bei uns in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin,
die in Aufrufen ständig Geld für Waffen für die Guerilla in El Salvador sammeln. Das haben Sie und Ihre Gesinnungsfreunde unterstützt.
Damit tragen Sie Mitverantwortung
für die Morde in El Salvador.
Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt Herr Schäfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemühungen um Frieden und Demokratie in Zentralamerika haben durch den neuen Ausbruch militärischer Kampfhandlungen in El Salvador einen gefährlichen
Rückschlag erlitten. Die Lage in El Salvador bereitet uns große Sorge. Die erneute Eskalation der Kampfhandlungen hat bereits mehrere tausend Todesopfer gefordert. Sie ist nicht zu verantworten.
Der offensichtlich schon lange vorbereiteten neuen Offensive der FMLN war ein Anschlag der FMLN auf den salvadorianischen Generalstab am 30. Oktober dieses Jahres und am nächsten Tag — darauf hat Herr Kollege Wischnewski schon verwiesen — ein schweres Bombenattentat auf den Sitz des oppositionellen Gewerkschaftsverbandes FENASTRAS vorausgegangen, das zehn Menschenleben forderte. Entgegen einer bei Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Regierung und Guerilla im September dieses Jahres in Mexiko getroffenen Vereinbarung sagte die FMLN daraufhin die für den 20. und 21. November in Caracas vorgesehene nächste Gesprächsrunde der Regierung ab. Trotz der schrecklichen Ereignisse — ich glaube, hierin stimmen alle Parteien des Bundestags überein — müssen der Dialog zwischen den Konfliktparteien und die Bemühungen um eine politische Lösung so bald wie möglich wiederaufgenommen werden. Schließlich hatte es trotz gravierender Meinungsunterschiede vernünftige Ansätze bei den Gesprächen gegeben, was beide Seiten eingeräumt hatten. Auch Politiker der aus dem Exil zurückgekehrten linken Opposition in El Salvador haben der Regierung in bezug auf den Dialog konstruktive Ansätze nicht abgesprochen, so den Vorschlag zu einer gemischten Kommission aus FMLN und Regierung zur Überwachung der Menschenrechte sowie zur vorgesehenen Verifikation der Dialogergebnisse durch den Papst, die Vereinten Nationen und die Organisation Amerikanischer Staaten.
Die Kämpfe konzentrierten sich von Anfang an auf die Hauptstadt San Salvador und einige weitere größere Orte. Starke FMLN-Verbände verschanzten sich in einigen dichtbesiedelten Stadtteilen im Norden und Osten der Hauptstadt. Dadurch sollte offensichtlich ein Vorrücken der Armee erschwert werden. Die Konzentration der Kampfhandlungen auf die Städte und die Besetzung zahlloser Privathäuser deuten darauf hin, daß die FMLN stärker als früher auch Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf zu nehmen bereit ist. Das gleiche gilt für die Regierung, die ihrerseits ihre Luftwaffe in dichtbesiedelten Wohngebieten einsetzte. Dabei ist es in einigen Stadtteilen San Salvadors und anderer Orte zu großen Verlusten auch in der Zivilbevölkerung und zu schweren Zerstörungen gekommen.
Die Bundesregierung hat die Eskalation der Gewalt in El Salvador in den letzten Wochen mehrfach, auch gemeinsam mit ihren europäischen Partnern, verurteilt und die Konfliktparteien dazu aufgerufen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Keine der beiden Seiten kann den Konflikt militärisch für sich entscheiden. Diese Meinung hat mir gegenüber auch die kubanische Staatsführung bei meinem Gespräch in Havanna im August dieses Jahres ganz eindeutig vertreten. Es gibt keine erfolgversprechende Alternative zu einer Fortsetzung des Dialogs und einer politischen Lösung.
Ein besonders beunruhigender Aspekt des Konfliktes in El Salvador — darauf haben Sie hingewiesen —
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13979
Staatsminister Schäfer
ist die Tatsache, daß die seit Jahren durch rücksichtslose Menschenrechtsverletzungen berüchtigten rechtsextremen Kreise die Offensive der FMLN zum willkommenen Anlaß einer Art „Abrechnung" mit politischen Gegnern genommen haben. Die Ermordung der sechs Jesuiten hat uns alle tief erschüttert. Es liegen jetzt neue Meldungen über fünf Journalisten vor, die wahrscheinlich auch aufgefunden worden sind: tot.
Die Bundesregierung hat zusammen mit ihren europäischen Partnern diesen entsetzlichen Akt der Barbarei verurteilt. Sie fordert von der salvadorianischen Regierung, daß sie das Attentat aufklärt, die Schuldigen bestraft und sich allen Racheakten und Vergeltungsaktionen entschieden entgegenstellt. Sie verurteilt alle politischen Morde, zu denen auch das Attentat auf den ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichtshofes gehört. Ich habe Präsident Cristiani bei meinem Gespräch in San Salvador am 16. August diesen Jahres unmißverständlich deutlich gemacht, daß sein Ansehen und das Ansehen seiner Partei, der „ARENA", davon abhängen, ob sie sich gegen die Rechtsextremen durchsetzen — vor allem er als Präsident — und die Menschenrechte in seinem Land garantieren könnten.
Zur Linderung der größten Not hat die Bundesregierung im übrigen dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz 450 000 DM zur Verfügung gestellt. Weitere Hilfsmöglichkeiten werden derzeit geprüft.
Was die deutsche Entwicklungshilfe in Zentralamerika angeht, so dient sie der Unterstützung des Friedensprozesses und der Durchsetzung der Menschenrechte in dieser Region. Hieran muß sich auch die Regierung von Präsident Cristiani messen lassen.
Die Bundesregierung hat die salvadorianische Regierung von dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom Juni dieses Jahres — ich selber habe ihn gegenüber Herrn Cristiani interpretiert — zur Entwicklungshilfe für El Salvador unterrichtet, nach dem Neuzusagen von der salvadorianischen Haltung zur Demokratisierung des Landes, zum regionalen Friedensprozeß und zur Frage der Menschenrechte abhängen. Ein Abbruch laufender Vorhaben aber ist deshalb nicht vorgesehen, weil halbfertige Projekte, sogenannte Entwicklungsruinen, nicht gerade, wie auch in anderen Fällen, zu Zielen unserer Entwicklungspolitik gehören sollten. Die deutschen Fachkräfte sind bereits wegen der Sicherheitslage abgezogen.
Für das Jahr 1989 hat die salvadorianische Regierung keine finanziellen Zusagen erhalten. Die Frage neuer Projekte der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit steht gegenwärtig nicht zur Entscheidung an. Vor einer neuen Zusage wird die Bundesregierung in jedem Fall den Deutschen Bundestag beteiligen.
Ich glaube, Präsident Arias hatte recht, als er vor einigen Tagen sowohl Kuba als auch Nicaragua vor direkter Intervention und Destabilisierung El Salvadors gewarnt hat. Er hat zur vollen Erfüllung des Esquipulas-Abkommens aufgerufen.
Es wäre dem Ansehen Kubas und Nicaraguas sehr abträglich, wenn sich Berichte bestätigten, daß beide Länder immer noch Waffen an die FMLN lieferten, darunter solche sowjetischer Bauart. Auch Präsident Bush hat das Generalsekretär Gorbatschow gegenüber bei seinem Treffen in Malta sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.
Die Sandinisten würden sich in diesem Fall eines eklatanten Bruchs der Esquipulas-Vereinbarungen schuldig machen.
Die FMLN ihrerseits hat am 30. November öffentlich bekanntgegeben, daß sie über Boden-Luft-Raketen verfügt — man muß sich die Frage stellen, von wem sie stammen — und sie gegebenenfalls einsetzen will. Dies hätte eine weitere Eskalation des salvadorianischen Konflikts zur Folge.
Die Entwicklung in diesem Land gefährdet den gesamten zentralamerikanischen Friedensprozeß. Wichtig erscheint mir in dieser Situation, daß die Zentralamerikaner selber den ins Stocken geratenen Prozeß wieder in Gang setzen. Die Bundesregierung begrüßt deshalb, daß das zunächst für Managua vorgesehene Gipfeltreffen nunmehr am 10./11. Dezember in San José stattfinden soll. Sie wird auch in Zukunft alle Parteien der Region ermutigen, die Ziele des Esquipulas-II-Abkommens vom August 1987 — Friede, Demokratie, Beachtung der Menschenrechte und soziale Entwicklung — beharrlich weiterzuverfolgen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Anträge, und zwar in der Reihenfolge der Drucksachen.
Wir kommen zunächst zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5453 . Die Fraktion DIE GRÜNEN hat beantragt, daß über die Nr. 1 und 2 dieses Antrags sofort abgestimmt wird. Die Nr. 3 bis 5 des Antrags sollen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß überwiesen werden.
Wer stimmt für die Nr. 1 und 2 des Antrags auf Drucksache 11/5453 ? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Nr. 1 und 2 des Antrags sind mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Kann ich davon ausgehen, daß die Nr. 3 bis 5 des Antrags auf Drucksache 11/5453 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß überwiesen werden können? — Ich sehe keinen Widerspruch. Diese Überweisung ist so beschlossen.
Der Antrag der SPD auf Drucksache 11/5969 und der Antrag der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 11/5973 sollen ebenfalls an die beiden genannten Ausschüsse, und zwar federführend an den Ausschuß
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Vizepräsident Westphal
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, überwiesen werden. — Auch dagegen gibt es keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 7. Dezember 1989, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.