Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Polemik, auf die in einer solchen Debatte nicht verzichtet werden kann, muß doch, glaube ich, eines vorausgestellt werden. Wir sind uns alle weitestgehend einig in der Zielsetzung der Bahnpolitik. Wir wollen eine leistungsfähige, eine moderne, eine attraktive Bahn.
Lieber Herr Kollege Daubertshäuser, ich bescheinige Ihnen gerne verkehrspolitischen Sachverstand. Aber ich muß sagen, ich habe von Ihnen schon eine weitaus bessere Rede gehört als heute.
Es war offenbar eine vorgezogene Wahlkampfrede.
Aber lassen Sie sich versichern: Wir werden auch nach 1990 den Bundesverkehrsminister stellen, so daß Sie sich nicht so anstrengen müssen.
Sie wollten ja mit Ihrer Polemik heute die Versäumnisse überdecken, die in Ihrer Regierungsverantwortung entstanden sind.
Unter Ihrer Verantwortung ist die Bundesbahn an den Rand des Abgrunds gefahren worden. Wir haben die Bahn davon wieder weggebracht, und aufs richtige Gleis gesetzt. Wir haben sie wieder aus dem Sackbahnhof herausgeholt.
Wir stimmen dem verkehrspolitischen Konzept der Bundesregierung zu. Wir danken dem Bundesverkehrsminister für seine verkehrspolitischen Initiativen.
Wir danken ihm für den Einsatz und auch für die Vorgaben — gerade in der Bahnpolitik.
Die Verkehrspolitik steht vor einer großen Herausforderung. Wir führen die verkehrspolitische Debatte heute vor dem Hintergrund gewaltiger Umwälzungen in Deutschland, in den Ostblockländern. Die Öffnung der Grenzen schafft neue Dimensionen, neue Perspektiven, neue Aufgaben im Verkehr. Sie bringt aber auch eine gewaltige finanzielle Herausforderung in der Verkehrspolitik. Damit die Menschen in Ost und West zusammenkommen, damit der Warenaustausch
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Dr. Jobst
stärker vorankommen kann, brauchen wir gute Verkehrsverbindungen. Bisher waren die Verkehrsinvestitionen in erster Linie in Nord-Süd-Richtung geplant; entsprechend wurde gebaut. Jetzt müssen wir Ergänzungen in Ost-West-Richtungen haben. Dazu brauchen wir bessere Straßen, die zur DDR, zu den Ostblockstaaten führen.
Aber eine zentrale Aufgabe kommt der Bahn zu. Berlin muß mit neuen Magistralen angebunden werden, bestehende Strecken müssen verbessert werden. Ich bin der Meinung, daß Osteuropa in das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz eingebunden werden muß. Der Verkehrswegeplan muß überprüft werden. Die Investitionen, die erforderlich sind, werden nicht an der Grenze von uns haltmachen dürfen, sondern müssen nach meiner Überzeugung darüber hinausgehen.
Wir stehen vor einer großen Herausforderung.
Ich möchte den Eisenbahnern, auch namens meiner Fraktion, herzlich Dank sagen für ihren Einsatz bei der Bewältigung des Besucherstromes aus der DDR.
Unsere Eisenbahner haben zusammen mit anderen Organisationen Vorbildliches geleistet.
Die Bundesbahn ist unverzichtbar. Dieser Satz hat allgemeine Gültigkeit erlangt.
— Ihre Phrasen können Sie für sich behalten, Herr Kollege Weiss. —
Die Bahn ist nötiger denn je. Sie ist für uns kein Auslaufbetrieb. Die Bahn ist das Verkehrsmittel, das in der Zukunft dringend benötigt wird. Sie ist eigentlich die einzige Alternative zu dem völlig überforderten Straßennetz und zu dem überforderten Luftverkehr. Der Verkehrsinfarkt auf der Straße und in der Luft ist nahezu schon eingetreten. Die Verstopfung unserer Straßen in den Großstädten, die Staus auf den Autobahnen, die erheblichen Verspätungen im Luftverkehr, die ich gestern wieder persönlich erlebt habe, sind Alarmzeichen.
Wir wissen natürlich, daß auch die Bundesbahn ihre Probleme hat. Wir wissen, daß sie Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Betriebes hat. Wir haben Sorge, daß sie den Weihnachtsverkehr vernünftig abwickeln kann; äußerste Anstrengungen sind notwendig. Und wir haben natürlich auch große Sorgen um die Finanzentwicklung bei der Bahn.
Auf die Bahn kommen schon aus diesem Grunde gewichtige Aufgaben zu.
Mit dem Verkehrsmittel Schiene sind Begriffe wie Sicherheit, Umweltschutz, Energiesparen, Zuverlässigkeit verbunden. Und mit dem Begriff Zuverlässigkeit hat es bei der Bahn, glaube ich, eine besondere Bewandtnis: Wenn es bei der Bahn 10 Minuten Verspätung gibt, dann gibt es helle Aufregung. Wenn man auf den Flughäfen stundenlang warten muß, dann ist das heute zur Selbstverständlichkeit geworden.
Wir sind uns in der Zielsetzung hinsichtlich der Bahn einig: Eine leistungsfähige, attraktive, aber auch eine bezahlbare Bahn ist erforderlich.
Die Mobilität der Menschen wird weiter zunehmen. Es wird mehr Wohlstand, mehr Freizeit, mehr Freiheit im Osten geben. Die Entwicklung des Verkehrs ist nur zu bewältigen, wenn alle verfügbaren Verkehrssysteme integriert werden. Wir brauchen die Bahn, wir brauchen die Straße, die Binnenschiffahrt und den Luftverkehr.
Die Zukunft im Verkehr, insbesondere im europäischen Verkehr, liegt nicht in der Konkurrenz der verschiedenen Verkehrsträger, sondern in einer sinnvollen Kombination der Verkehrsträger.
Ich sage auch hier im Rahmen der Bahn-Debatte: Eine autofeindliche Politik ist irreal. Unsere Gesellschaft ist auf das Auto angewiesen. Wir können auf das Auto nicht verzichten.
In der Fläche sind Pkw und Lkw nicht zu ersetzen. Die Entwicklung der ländlichen Räume wäre ohne die Straße, ohne Pkw und Lkw nicht möglich gewesen. Die Konsequenz wäre eine Abwanderung in die Ballungsräume mit der Folge gewesen, daß dort ganz gewaltige Aufgaben entstanden wären.
Die Aufgaben der Verkehrswirtschaft und die Herausforderungen in der Verkehrspolitik werden größer. Ich bin der Überzeugung, daß der Transrapid — die Magnetbahntechnik — , wenn er einsatzfähig, wenn er serienreif ist,
bei steigendem Verkehr im nächsten Jahrhundert als Ergänzung des Schienen- und des Luftverkehrs Bedeutung erlangen wird.
Die Vorwürfe der Opposition, die sie uns heute gemacht hat, waren zu erwarten. Aber, lieber Herr Kollege Daubertshäuser, das Eis für die Schiene haben wir gebrochen. Das war doch Folge unserer Politik.
Was ist denn in den 70er Jahren, in der Zeit, als Sie
Verantwortung trugen, geschehen? Wann sind denn
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die meisten Autobahn-Kilometer gebaut worden? Von 1966 bis 1980 sind die meisten Autobahnen in unserem Lande gebaut worden.
Wir haben es wieder möglich gemacht, daß die Bahn Zukunftsinvestitionen tätigen kann. Sie haben der Bahn und den Eisenbahnern nur große Versprechungen gemacht.
Die Politik der Bundesregierung unter Helmut Kohl hat den dringenden Nachholbedarf der Bahn erkannt, und sie hat dazu beigetragen, daß die Bahn wieder aufholen konnte. Die Bahn hat unter unserer Verantwortung auch den politischen Rückhalt für ihre Investitionsmaßnahmen bekommen.
Mehr als 40 Milliarden DM wurden bzw. werden von 1983 bis 1990 in die Zukunft der Bahn investiert. Das ist eine gewaltige Summe, an deren Realisierung — da schließe ich Sie mit ein, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD — 1982 viele kaum zu glauben wagten. Für das Haushaltsjahr 1990 sind wieder Bruttoinvestitionen in Höhe von 5,3 Milliarden DM vorgesehen. Hierfür wird ein Bundeszuschuß in Höhe von 4 Milliarden DM gewährt. Neben dem Streckenausbau und der Modernisierung vorhandener Strekken sind 41 neue ICE-Züge mit jeweils zwölf Mittelwagen zu erwähnen, durch die der Personenfernverkehr noch mehr an Attraktivität gewinnen wird.
Von den 25 Milliarden DM, die der Verkehrshaushalt, den wir in der letzten Woche verabschiedet haben, umfaßt, werden 13,7 Milliarden DM für die Bahn zur Verfügung gestellt. Wenn Sie das auf 61 Millionen Einwohner in unserem Lande umrechnen, dann entfallen auf jeden Einwohner 224 DM. Der Vorwurf der Opposition, der Bund tue nicht genügend für die Bahn, ist eine grobe Irreführung.
Aber, wichtig ist auch: Die Bahn darf nicht unbezahlbar werden. Die Bahn befindet jetzt in einer Übergangsphase. Sie muß sich schnell und mit großer Energie auf die Veränderung in der Wirtschaft und im Verkehr einstellen. Die Versäumnisse der 70er Jahre, die Sie von der SPD zu verantworten haben, hängen ihr noch schwer am Bein.
Die Bahn hat in den letzten Jahren große Leistungen im Bereich der Modernisierung und Rationalisierung erbracht. Das wird dankbar anerkannt. Diese Arbeit muß weitergehen. Die Bahn hat in den letzten Jahren in einem schwierigen Umfeld viel getan, um ihre Attraktivität zu steigern, und zwar bei erhöhtem Preisdruck und obwohl die Massenguttransporte einen Rückgang erfahren haben.
Die Bahn hat ihren Personalbestand von über 400 000 Mitarbeiter auf rund 240 000 Mitarbeiter reduziert. Dies ist eine gewaltige Leistung bei steigendem Verkehrsaufkommen und ohne Entlassung. Ohne diese Tat wäre die Bahn heute nicht mehr bezahlbar. Dem Vorstand, den Eisenbahnern, den Personalräten und den Gewerkschaften gelten unser Dank und unser Respekt.
Hinter diesen Zahlen verbergen sich große Belastungen. Ich nenne nur notwendige Umsetzungen, den Einsatz weit entfernt vom Wohnort, enttäuschte Erwartungen beim beruflichen Aufstieg, Überstunden, Urlaubsrückstände.
Wir wissen, daß wir heute Engpässe in einigen Dienstzweigen haben, insbesondere in den Ballungsräumen. Wer mit der Bahn fährt, weiß, daß es auch in der Betriebsabwicklung Schwierigkeiten gibt. Wir sagen ja zur Rationalisierung; sie muß weitergehen. Wir meinen aber auch, daß sich die Bahn nicht kaputtsparen darf. Das erforderliche Personal, insbesondere das qualifizierte Personal, muß zur Verfügung stehen.
Wir sind dafür, daß die Überstunden so weit wie möglich durch finanzielle Abgeltung ausgeglichen werden. Im Prinzip meinen wir aber, daß der Freizeitausgleich beibehalten werden sollte. Die Bahn hat zu allen Zeiten befähigte, einsatzbereite und treue Mitarbeiter gehabt. Dies ist ein wertvolles Kapital für das Unternehmen. Diese wichtige Basis muß bei der Bahn erhalten bleiben.
Die Leitlinien der Bahn von 1983 waren richtig. Die wirtschaftliche Lage hat sich in den letzten Jahren konsolidiert. Leider konnte die Bahn nicht saniert werden. Zu sehr waren die überholten und kostenträchtigen Strukturen festgefahren. Die Horrorzahlen aber, die die SPD an die Wand gemalt hat, indem sie von einer Verschuldung von 80 Milliarden, 90 Milliarden DM und von einem Defizit von 10 Milliarden DM gesprochen hat, sind nicht eingetreten. Wir wissen, daß es ohne Geld nicht geht. Finanzielle Leistungen sind nötig. Aber ich stimme dem Bundesverkehrsminister zu: Geld alleine hilft nicht. Die Strukturen müssen sich ändern.
Entscheidend sind bei der Bahn die Steigerung der Produktivität, die Verbesserung der Marktstellung und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit.
Die Bahn kann nicht wettbewerbsfähig sein — das sage ich auch — , wenn ihr gemeinwirtschaftliche Leistungen aufgebürdet werden, die nicht oder nur zum Teil abgegolten werden. Diese Frage muß von uns stärker aufgegriffen werden.
Die Bahn hat Zukunft, wenn sie eine Eisenbahn der Zukunft ist, wenn sie den modernen Herausforderungen gewachsen ist. Die GRÜNEN wollen die Eisenbahn mit ihren Anträgen konservieren. Die bisherigen Schutzgesetze haben der Bahn nicht geholfen. Viel Verkehr ist an der Bahn vorbeigefahren. Die Bahn der Großväter hat keine Zukunft. Wir brauchen das Hochgeschwindigkeitsnetz. Darauf ist mit allem Nachdruck hinzuwirken. Wir brauchen die maßgebliche und wichtigste ICE-Strecke Köln—Frankfurt.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13939
Dr. Jobst
Die Entscheidung muß umgehend herbeigeführt werden.
Aber es darf keine Vorortstrecke gebaut werden. Wir brauchen eine Schnellstrecke. Die schnellste, die wirtschaftlichste und die umweltfreundlichste Trasse muß gebaut werden.