Rede von
Dr.
Annemarie
Renger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Lesen Sie es vor! Bamberg :
Liebe Bahn, warum läßt du uns im Regen stehn? Mehr Güter von der Straße auf die Schiene. Viele sehen darin die Patentlösung aller Verkehrsprobleme. Tatsache ist, daß täglich Hunderte von Lastwagen vergeblich darauf warten, zum Zug zu kommen. Leider läßt du uns auf überfüllten Bahnhöfen im Regen stehen, weil deine Kapazitäten auf den Huckepack-Strecken längst erschöpft sind. Du bist im Zugzwang und mußt einen Zahn zulegen. Wir können nicht lange auf dich warten, liebe Bahn.
13952 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989
Bamberg
Das schreiben die selbständigen Transportunternehmer Gut, Fern, Schnell.
Paßt das zu dem, was der Verkehrsminister vorhin gesagt hat? Soll eine solche Bahn, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein ernstzunehmender Konkurrent auf einem freien Verkehrsmarkt sein? Mitnichten. Merkt denn das Bahnmanagement eigentlich nicht, daß das politische Verschaukeln dazu führt, daß man sie als Konkurrent nicht einmal mehr ernst nimmt? Ich halte es für bitter, daß alle Anstrengungen, die das Management der Bahn unternommen hat, durch die Wirklichkeit ad absurdum geführt werden, weil die notwendige Rahmenbedingung, der politische Flankenschutz, hierzu fehlt oder nicht ausreichend vorhanden ist und weil die Chancengleichheit nicht da ist. Man konkurriert aus Sicht von Straßen- und Luftverkehr nicht mehr mit der Bahn. Man verspottet und verhöhnt die Bahn doch durch solche Anzeigen. Das paßt doch alles nicht in das, was hier von seiten der Verantwortlichen gesagt worden ist.
Das Ergebnis ist das, was ich vorhin kurz versucht habe aufzuzeigen: Die Folge ist, daß das Personenverkehrsaufkommen gemessen am Gesamtverkehr unter 6 % stagniert und im Güterverkehr nicht einmal mehr 27 % mit der Bahn befördert werden. Von der wieder steigenden Verschuldung ganz zu schweigen.
Die langfristig bitterste Folge aber — ich wollte dies heute wiederholen — ist die Resignation der Eisenbahner. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin 30 Jahre lang bei der Bundesbahn fast in allen Sparten beschäftigt gewesen. Selbst diejenigen aus dem Mittelmanagement, die Referenten und die Dezernenten bei den Direktionen, kenne ich aus meiner Zeit als verantwortungsbewußt. Sie identifizierten sich mit ihrer Bahn, sie haben sie mit Klauen und Zähnen verteidigt. Die haben völlig resigniert, weil sie aus allgemeinem Personalmangel, aus Mangel an Lokführern, die steigende, wenn auch wenig steigende Nachfrage nicht bewältigen können.
In der letzten Debatte hat der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Herr Dr. Jobst, dazwischengerufen: So ist es nicht richtig! — Herr Dr. Jobst, so ist es richtig! Das Inserat bestätigt, daß es richtig ist.
Trotz großer Bedenken sage ich es noch einmal in der Öffentlichkeit: Weil immer mehr Schrankenwärter fehlen, müssen Züge oftmals offengebliebene Schranken mit Befehl, wie es in der Fachsprache heißt, schließen. Das ist nicht ganz ungefährlich. Folgenschwer ist der Mangel an Lokführern. Der Vorstand der DB hat diesen Tatbestand vor kurzer Zeit nach einer Krisensitzung öffentlich zu vertuschen versucht. Es ist möglicherweise gelungen. Aber innerhalb der Bahn, der Betroffenen, ist das Ganze in Wut ausgeartet. Man könnte über den Umfang der Überstunden, die Lokführer heute machen müssen und die bis zu 40 Tage betragen, schwarz auf weiß berichten.
Dann stellt sich die Frage: Kann man denn alles das, was heute von seiten der Regierung gesagt worden ist, wirklich noch sagen? Will die Bundesregierung noch immer — ich muß die Anklage an diese Seite richten — das Bahnkonzept 1990 für richtig halten? Ich glaube, das ist nicht möglich.
Andere Länder gehen seit Jahren erfolgversprechend und konsequent einen ganz anderen Weg, z. B. die konservative Schweiz. Ich kenne den Schweizer Verkehrsminister aus anderen Gründen persönlich gut, konnte viele Gespräche führen. Er ist ein konservativer Mensch, er sagt: Was ihr macht, ist völlig undenkbar. Wir gehen von dem 28-Tonnen-Korridor über den Gotthard nicht weg, weil wir ein Signal setzen wollen. Bei anderen Bahnen, ob es in Dänemark oder in den Niederlanden ist, wird viel gemacht. Sie können die steigende Nachfrage mit Tarifen, die man nach unten korrigiert — nicht wie bei uns nach oben —, kaum mehr bewältigen.
Es gibt Möglichkeiten, Menschen auf die Bahn zu bringen, und es gibt auch Möglichkeiten, Güter auf die Bahn zu bringen. Bis jetzt wird alles abgetan, wenn ich oder wenn wir Vorschläge machen, ob man nicht einmal wieder in die Richtung des Leber-Plans denken könnte.
Was in einer großen Koalition unter Kiesinger möglich war, müßte doch anderen ebenfalls möglich sein. Wenn ich den Vorschlag in bezug auf den Leber-Plan mache, weiß ich, daß man das sofort mit dem Dirigismusvorwurf wegdrückt. Das ist Dirigismus, und die Sozis haben doch nie etwas anderes gewollt, heißt es. Nur stellt sich die Frage: Ist es der Preis, den wir zahlen, nicht wert, daß wir es probieren? Was möglich zu sein schien, aber von — wenn ich richtig liege — Müller-Hermann kaputtgemacht worden ist, das müßte doch in der Jetztzeit, nachdem sich die Probleme so sehr verstärkt haben, auch noch in diesem Zusammenhang möglich sein.
Ich komme noch zum Nachtfahrverbot. Das Nachtfahrverbot in Österreich wurde verteufelt. Im übrigen gibt es auch eine verkehrte Lageeinschätzung. Ich war persönlich in der Nacht von Freitag auf Samstag in Kiefersfelden. Ich könnte viel berichten — aber ich habe keine Zeit mehr — , was die Lastkraftwagenfahrer dazu sagen. Sie sind sehr diszipliniert. Aber das war doch auch ein Signal in die richtige Richtung. Das Nachtfahrverbot ist doch auch nicht eingeführt worden, weil der Partl in Tirol ein Sozialdemokrat ist; nein, das ist ein schlitzohriger Konservativer. Aber da haben die Menschen drüben den Stimmzettel zum Denkzettel gemacht, indem die Konservativen 16 To verloren haben. Darum wird an dem Nachtfahrverbot Gott sei Dank festgehalten.
Gott sei Dank wird daran als Signal festgehalten. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich rege noch einmal an — ich habe es auch schon beim letztenmal gesagt — : Nehmen wir doch vielleicht das Signal auf!
Ich könnte noch vieles sagen; ich bin lange nicht fertig geworden, weil mir vieles andere eingefallen ist.
Ich wollte noch sagen, eine Politik, die Menschen Vorrang vor dem Verkehr einräumt, so wie es die
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13953
Bamberg
Österreicher und Schweizer machen, kann nicht so verkehrt sein.
Dann möchte ich dem Bundesverkehrsminister Dr. Zimmermann noch einen Vorschlag machen. Herr Dr. Schulte, vielleicht überbringen Sie es ihm, weil er nicht da ist. Der Zimmermann und ich, wir sind beide in der gleichen Situation. Wir sind beide von unseren Parteien schnöde abserviert worden;
beide sagen, zu Unrecht. Jetzt brauchen wir im Grunde genommen keine Rücksicht auf unsere Parteien mehr zu nehmen. Wir könnten gemeinsam eine Verkehrspolitik ohne Rücksichtnahme auf Ideologie machen. Ich verbürge mich für meine Partei, daß sie es macht; der Zimmermann soll jetzt ebenfalls keine Rücksicht mehr nehmen. Dann bringen wir eine pfundige Verkehrspolitik zustande, die Menschen Vorrang vor dem Verkehr einräumt.
Herzlichen Dank.