Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Haar, ich glaube, daß Sie wenige Tage vor dem SPD-Bundesparteitag in Berlin Gelegenheit nehmen sollten, Ihren „führungsstarken" Fraktions- und Parteivorsitzenden zu bitten, im Hause „SPD" endlich für Ordnung zu sorgen in der Frage „mehr oder weniger Straßenbaumittel?".
Ich halte es für Volksverdummung, wenn ich erleben muß, daß der Bund in Hamburg wegen der Mehranforderung — allein von diesem einen Bundesland, Herr Kollege Dr. Niese — von 560 Millionen DM in dem Zehnjahreszeitraum in Anspruch genommen wird, kritisiert wird, vorgeführt wird zum gleichen Zeitpunkt, da hier Kollegen die Verminderung um 500 Millionen DM beantragen.
Außerdem wäre es redlich gewesen, Herr Kollege Haar, darauf hinzuweisen, daß der Kollege Bauer heute morgen Ihren Antrag problematisiert hat im Zusammenhang mit den doch erheblichen investiven Mehrbedarfen, die wir bei der Wiederherstellung innerdeutscher Verkehrswege zu finanzieren haben. Dies ist doch der Zusammenhang, der doch wahrscheinlich auch zwischen Ihnen und uns unstreitig sein wird, daß man nämlich die Wege nicht wiederherstellen kann für null Mark, sondern daß wir alle gemeinsam dem Finanzminister sagen müssen: Wenn wir das wollen, dann ist das im Rahmen der Ansätze nicht zu bewältigen, sondern es muß mehr Geld zur Verfügung gestellt werden.
Herr Kollege Daubertshäuser, Ihre Kritik an der Verkehrspolitik der Bundesregierung
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1989 13969
Fischer
ist unberechtigt. Die Fakten beweisen: SPD-Bahnpolitik war der perspektivlose Ritt in die Pleite der Deutschen Bundesbahn.
Sie haben eine Steigerung der Zuschüsse pro Jahr von 4 Milliarden DM auf 14 Milliarden DM erlebt, ohne daß Sie damit einen einzigen positiven Effekt für die Strukturverbesserung des Unternehmens erzielt haben. Die Struktur ist nie verbessert worden.
Sie wären heute vielleicht bei 35 Milliarden DM Zuschuß, ohne daß das Unternehmen aus sich heraus kräftiger geworden wäre.
Herr Kollege Daubertshäuser, ich sage noch eines: Die Investitionsdefizite Ihrer Jahre sind nicht mehr aufholbar. Diese versäumten Jahre sind nicht mehr aufholbar. Das ist unser Problem.
Wir haben Engpässe im Netz, wo heute Transporte auf der Schiene von der Nachfrage her durchgeführt werden könnten, Herr Kollege. Die Bahn muß sie zurückweisen, weil das Netz nicht mehr belastbar ist. Wäre investiert worden, hätten wir einen höheren Transportanteil auf der Schiene. Dieses müssen wir heute bitter bereuen.
Woran liegt das? Die Jahre Ihrer Verantwortung, auch Ihrer ganz persönlichen Verantwortung, Herr Kollege Haar, waren Jahre der Rekordablieferung an Autobahnkilometern. Ihnen gebührt der goldene Betonorden, Herr Kollege Haar. Das haben wir hier soundso oft gesagt.
Ich meine, es muß in dem Zusammenhang, in dem Sie immer Ihre große persönliche Wende feiern, darauf hingewiesen werden, daß erst unsere Bundesregierung eine Umkehrung des Trends herbeigeführt hat,
nämlich von 1986 bis 1995 35 Milliarden DM für die Bahn, d. h. 25 % mehr als im Zehn-Jahres-Zeitraum davor, als Sie politische Verantwortung getragen haben.
Herr Kollege Daubertshäuser, ich sage noch einmal: Hier betätigt sich der Brandstifter als Feuerwehrmann. Das ist das richtige und zutreffende Bild.
Meine Damen und Herren, die Deutsche Bundesbahn bleibt trotz, man kann vielleicht sogar sagen: wegen des stark gestiegenen Straßen-Personen- und -Güterverkehrs für uns ganz unverzichtbar, aber nicht mit dem Nachsatz: koste es, was es wolle. Diese Leistung muß auch bezahlbar und in den Dimensionen beherrschbar bleiben. Die finanzielle Entwicklung
der DB ist besorgniserregend. Wer wollte das bestreiten? Ich will das Problem hier gar nicht verkleinern, weil ich glaube, daß wir der Verkehrspolitik und der Deutschen Bundesbahn nicht damit helfen, daß wir das Problem schönreden oder verkleinern. Nein, wir müssen es ungeschminkt darstellen.
Ich sage, das Thema Bundesbahn wird uns in der Politik, und zwar gemeinsam, noch sehr, sehr lange begleiten. Allen, Herr Kollege Haar, Herr Kollege Daubertshäuser, die hier sehr große Worte machen, muß man sagen, das Problem Deutsche Bundesbahn wird uns noch sehr, sehr lange begleiten. Ich glaube, daß deswegen die einfachen, schlichten Patentrezepte überhaupt nicht helfen.
Wir haben dennoch die Hoffnung, daß die Bahn mit attraktiveren Angeboten ihre Rolle als umweltfreundlicher und energiesparender Verkehrsträger nutzen und in einem wachsenden Verkehrsmarkt auch ihre wachsenden Marktanteile erkämpfen kann.
Aber dazu bedarf es — das ist hier dargestellt worden — einschneidender Maßnahmen, nachhaltiger Verbesserungen, und das geht, Herr Kollege Haar, nicht nach der Methode: Es soll alles so bleiben, wie es ist, und der Staat soll halt mehr Geld geben. Ich unterstreiche das, was der Minister gesagt hat — das ist der Kernsatz — : Der Bahn ist allein durch mehr Geld nicht geholfen. Das kann man immer nur wiederholen. Dies ist zutreffend; da müssen wir uns ein bißchen mehr einfallen lassen.
Herr Kollege Daubertshäuser, staatliche Ladungslenkung bringt überhaupt nichts, sondern wir müssen erreichen, daß die verladende Wirtschaft gerne und freiwillig ihre Güter auf der Bahn verlädt. Damit hilft man der Bahn, nicht aber mit Dirigismus. Was ist denn Dirigismus? Dirigismus ist die Beseitigung unternehmerischer Herausforderung und Schaffung einer Monopolsituation. Sie können in der Welt hingucken, wo Sie wollen, auch in unserem Land, eine Monopolsituation ist für den Kunden das Allerschlimmste und für das anbietende Unternehmen auch, weil sich dort nämlich Strukturen fehlentwickeln, ohne daß darauf reagiert werden kann und diese Dinge verbessert werden können.
Ich meine, daß die intelligente Nutzung der Technologien und kundenorientierte Konzepte die Chance für die Bahn sind.
Herr Kollege Weiss, es ist auf das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz hingewiesen worden, wo wir mit Schnelligkeit und dennoch attraktiven Preisen etwas gewinnen wollen. Ich finde es ziemlich abenteuerlich, daß Sie hier mal pro und mal kontra Hoch-
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Fischer
geschwindigkeitsstrecken argumentieren. Dies ist doch die permanente Kimble-Flucht aus der Verantwortung. Wenn Sie Angst haben, daß der nächste Parteitag vielleicht gegen Hochgeschwindigkeitszüge entscheidet, dann seilen Sie sich hier schnell ab!
Ich sage Ihnen jetzt schon: Wir alle, die Politik, das Unternehmen — der Vorstand, seine Mitarbeiter —, auch die Kunden, die auf die Bahn angewiesen sind, müssen sich für das Unternehmen engagieren. Engagieren heißt: Man muß Verantwortung übernehmen. Man übernimmt nicht dadurch Verantwortung, daß man in unpopulären Sachfragen draußen populistische und opportunistische Reden hält, die im Grunde genommen eher geeignet sind, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Die Koalition will alles tun, um die Konfrontation der Verkehrsträger zu beseitigen und die Kooperation und die Vernetzung zu fördern. Wir brauchen nicht den Verdrängungswettbewerb der Verkehrsträger, sondern wir brauchen den Wettbewerb um das beste und preisgünstigste Konzept für Transport und Logistik.
Herr Daubertshäuser, wenn man die Verkehrsträger in dieser Weise gegeneinander aufhetzt, dann trägt man nicht zu Kooperation und Vernetzung bei, sondern man baut Frontstellungen auf,
die kooperationsfeindlich sind.
Deswegen appelliere ich noch einmal an Sie: Unterlassen Sie bitte dieses ständige Aufhetzen der verschiedenen Transportmittel gegeneinander. Wir müssen sie vielmehr anleiten und dazu animieren, aufeinander zuzugehen
und ihre Angebote zu vernetzen.
Meine Damen und Herren, die Leitlinien der Bundesregierung zur Konsolidierung haben sich als richtig, als erfolgreich erwiesen. Sie müssen fortgeführt werden.
Mit unseren Entscheidungen — Einstieg in die Fahrwegsbeteiligung, Übernahme der Altschulden — haben wir auch Ihr Gewissen entlastet, Herr Kollege Haar, denn in der Regierungserklärung Brandts 1969 ist der Bahn die Übernahme der Altschulden versprochen worden. Diese Regierung unter Kanzler Kohl mit dem Verkehrsminister Zimmermann löst Zusagen von Brandt ein. Ihr Gewissen ist also durch uns entlastet worden. Das sollten Sie, wie ich glaube, alle miteinander begrüßen.
So, wie sich diese Bundesregierung verhalten hat, hat sie deutlich gemacht, daß sie nicht nur mit Reden, sondern mit Taten zur Bundesbahn steht,
daß die Bahn für uns Zukunft hat. Wir wollen, daß trotz aller Schwierigkeiten und Probleme auch in der Zukunft eine Solidarität der Politik mit der Bahn besteht. Das umzusetzen ist das Entscheidende, aber nicht, nur vollmundige Reden zu halten.