Rede von
Ekkehard
Gries
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, es gibt inzwischen nach vielfältigen verkehrspolitischen Debatten, die zunehmen — heute verfügen wir vielleicht sogar über ein Übermaß an Zeit — , einen großen Konsens zwischen allen Fraktionen.
Ich bin froh, daß ich 17 Minuten Redezeit habe. Eine Minute ist schon fast vorbei. Das geht hier immer sehr schnell.
— Nein, Schorsch, daß man endlich einmal in Ruhe und nicht in der Hektik, die man sonst hier an den Tag legen muß, über Dinge reden kann.
Ich meine nämlich, daß wir uns z. B. darüber klar sind, daß der Zuwachs des künftigen Verkehrs praktisch nur noch über die Schiene und das Wasser — das wird hier immer vergessen — bewältigt werden kann. Die Straßen und auch der Luftraum sind nahezu erschöpft. Die Grenzen der dort noch möglichen Ausbaufähigkeiten sind erreicht. Das heißt, es ist heute keine bloße Floskel mehr, sondern es ist Notwendigkeit, wenn wir sagen: Der Schiene gehört Vorrang. Das ist sowohl die Schiene im ÖPNV, im Nahverkehr der Ballungszentren, wie über die weiten Strecken wie im europäischen Verkehr. Das wollte ich hier einmal vorweg sagen.
Das bedeutet, daß wir ein Interesse haben müssen, die Bundesbahn zu stärken. Wie das zu geschehen hat, darauf hat mein Kollege Roland Kohn schon hingewiesen. Wir sind überzeugt, daß die FDP ein gutes Konzept hat, das umsetzbar ist, das sicher auch von der Kommission, die jetzt mit Geduld und großem Sachverstand arbeiten kann, übernommen wird. Wenn es in bestimmten Teilen verbessert wird, soll uns das recht sein. Wenn Sie uns gute Vorschläge machen, sind wir offen.
Ich will auf ein paar andere Bemerkungen eingehen, zum Beispiel auf die Frage Bundesbahn, Schiene und Europa. Die Verkehrswege aller Art sind Lebensadern für die Menschen wie für die Wirtschaft. Dazu gehört in Europa in ganz besonderer Weise die Schiene. Hier sind wir nicht Spitze. Wir haben sogar den Weltrekord mit unserem ICE verloren, habe ich heute gelesen. Uns haben die Japaner z. B. mit ihrem Hochgeschwindigkeitszug zwischen Tokio und Osaka vorgemacht, wie die Bahn wettbewerbsfähig gemacht werden kann. Uns haben die Franzosen gezeigt, wie schnell man Vernünftiges bauen und dabei sogar gewinnträchig im Wettbewerb bestehen kann, und zwar durch ihren TGV zwischen Paris und Lyon. Das waren ganz wichtige Ansatzpunkte und Anstöße zu der Überlegung, zu einem europäischen Schnellverkehrsnetz zu kommen.
Ich bin sehr froh, daß wir das aufgenommen haben und daß jetzt eine Gesamtkonzeption für eine Rahmenplanung vorgelegt worden ist, die natürlich 25, 30 Jahre in Anspruch nehmen wird, und zwar mit einem europäischen Gesamtnetz von etwa 30 000 km, auf dem etwa 200 km/h Geschwindigkeit gefahren werden kann.
Die Bundesrepublik wird dabei eine Schlüsselrolle haben, nicht nur in der Planung, sondern schon von unserer geographischen Lage her. Das wird in dem
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neuen, größer werdenden Europa noch wichtiger. Die Bundesrepublik wird auch in der Finanzierung eine Schlüsselrolle haben müssen. Insofern ist es gut, daß sich jetzt auch die EG engagiert. Die EG will nach den neuesten Meldungen die Strecke Brüssel—Amsterdam—Aachen mit finanzieren. Ich halte das für einen ganz wichtigen Schritt und Fortschritt, weil ich meine, daß die Kooperation zwischen den europäischen Eisenbahngesellschaften — das sind in der Regel alles nationale und sehr prestigebehaftete Gesellschaften — viel besser werden muß, damit dann manches leichter geht.
Aber wenn man betrachtet, was in Wirklichkeit realisiert worden ist, dann sieht man eine trübe Bilanz. Ich habe mir die Zahlen aufschreiben lassen. Das Ausbauprogramm der Bundesbahn von 1970 hat bis 1985 2 200 km vorgesehen. Ende 1991 werden wir etwa 426 km erreicht haben. Man muß allerdings sehen: Wir haben einen anderen Anspruch an das, was wir bauen. Wir haben schwierigere geographische Voraussetzungen. Wir haben — das spüren wir auch an anderer Stelle — ein Planungsrecht, das nicht gerade dazu geeignet ist, Investitionen, die notwendig und gewollt sind, schnell umzusetzen.
Einzelne Betroffene — manchmal jedoch auch Nichtbetroffene — sind in der Lage, solche Investitionsentscheidungen ganz wesentlich aufzuhalten.
Ich gehe davon aus, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Schulte — der Minister ist ja heute entschuldigt — , daß das jetzt ernst wird, daß die Bundesregierung endlich die Entscheidung trifft, was unseren Teil des europäischen Schnellverkehrsnetzes betrifft. Ich meine ganz konkret die Strecke Köln — Frankfurt. Das betrifft ja nicht nur die Verbindung zwischen Köln und Frankfurt; denn diese ist nur der deutsche Teil des europäischen Schienennetzes. Das muß man immer wieder dazusagen. Vielmehr handelt es sich um den Weg nach Paris, nach Brüssel und — durch den Tunnel — nach London. Und es ist die Fortsetzung über Mannheim und Stuttgart nach München.
Ich sage ein bißchen mit Ungeduld, auch als Sprecher einer Koalitionsfraktion: Es wird höchste Zeit. Wir wissen, daß das nicht immer populäre Entscheidungen sein können. Aber sie müssen getroffen werden. Sie sind bitter notwendig. Ich hoffe, daß das in der nächsten Woche geschieht
und daß die Entscheidung über die Strecke Köln — Frankfurt dann zügig umgesetzt wird.
Eine andere Entscheidung steht vor der Tür. Auch das möchte ich hier ansprechen. Sie hat im Augenblick vielleicht nicht die gleiche Priorität, aber doch die gleiche sachliche Begründung. Das ist die Strecke Saarbrücken — Mannheim. Diese ist notwendig, damit wir den Anschluß zur TGV-Est, zu unseren französischen Freunden finden.
Auch das ist notwendig.
Ich bin mir sicher, daß im Ministerium darüber nachgedacht wird. Nun sollte die Regierung schnellstens entscheiden. Wir mindern unsere Chancen in Europa durch das Verzögern der Entscheidungen, die nur wir zu treffen haben.
— Und die Bundesländer. Ich sage dazu: Das können nicht nur populäre Entscheidungen sein.
Denn es kann nicht jedem nach dem Mund geredet und es kann nicht jeder Wunsch erfüllt werden. Ich habe Verständnis für den Wunsch des Landes Rheinland-Pfalz — auch deshalb, weil die FDP dort in der Koalitionsregierung sitzt —, eine Trasse zu wählen, die Mainz und Koblenz anbindet. Ich muß aber dazusagen, daß wir hier nicht regionale Strukturpolitik betreiben.
Das gilt auch für Hessen. Wir realisieren hier den nationalen Zweig einer europäischen Gesamtkonzeption. Dabei müssen solche Überlegungen zurücktreten. Ich bitte unsere Freunde in Mainz, das zu berücksichtigen.
Man muß hinzufügen: Mainz als Landeshauptstadt wird genauso wie Wiesbaden als Landeshauptstadt angebunden. Der ICE-Verkehr im Rheintal wird nicht unterbunden. Das läuft ja alles weiter. Es geht nur darum, ein neues, hochspezialisiertes System umzusetzen. Ich bitte alle um Verständnis, die davon betroffen sind und Anstoß nehmen.
Wir werden unseren Bürgern sagen müssen — auch ihr GRÜNEN, lieber Michael Weiss — : Es genügt nicht, hier das Bekenntnis zur Schiene abzulegen, aber dann, wenn es darum geht, durch den Westerwald eine Trasse zu legen, eine Bürgerinitiative nach der anderen zu gründen und dagegen zu sein.
Das kann man nicht machen.
Es gibt keinen Verkehrsweg, der allen alles recht macht, der nirgendwo eingreift. Ihr müßt dann auch den Mut haben, solche Entscheidungen mit umzusetzen. Das würden wir erwarten. Wir jedenfalls sind entschlossen, solche möglicherweise unpopulären Entscheidungen, wenn sie notwendig und begründet sind, umzusetzen.
Ich sage ein Wort noch zu Transrapid, zur Magnetschwebebahn. Ich glaube, man muß das in dem Zusammenhang sagen.
Ich meine, das Transrapid-System kann das europäische Schnellbahnnetz auf Rad-Schienen-Technik nicht ersetzen. Das sollte man hier einfach sagen, um Illusionen vorzubeugen, die immer wieder genährt
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werden. Das ist weder technisch noch zeitlich noch finanziell möglich.
Daher glaube ich, wir müssen trennen und die Priorität im Schnellbahnsystem für die Rad-SchienenTechnik setzen. Wir untersuchen Transrapid, weil wir hier einen großen technologischen Vorsprung und Fortschritt haben, aber ohne in Euphorie zu verfallen.
Wir haben im Verkehrsausschuß beschlossen, Anfang 1990 eine Anhörung mit vielen Fachleuten zu machen, um uns über den Entwicklungsstand sachkundiger zu machen. Inzwischen sage ich Ihnen: Der eine bei uns hat mehr Skepsis, der andere mehr Vorliebe. Aber wir werden uns als FDP-Fraktion hier vor vorzeitigen Lobpreisungen hüten, auch was die Finanzierbarkeit angeht, wie ich es manchmal von privater Seite höre. Aber ich wehre mich auch gegen Vorverurteilungen. Wir sollten das gelassen angehen, jedoch unsere aktuellen Entscheidungen nicht davon abhängig machen.
Aktuelle Entscheidungen — die sind ja hier von verschiedenen Kollegen zur Sprache gebracht worden — sind natürlich auch vor dem Hintergrund der neuen Bewegung in der Bundesrepublik zwischen Ost und West zu sehen. Es ist eine nicht nur politisch, sondern im buchstäblichen Sinn auch verkehrlich bewegende Situation, wie wir jetzt gezwungen werden — das kann man ja nur begrüßen —, unser klassisches Denken in Nord-Süd-Richtung umzukippen und mal wieder in Ost-West-Richtung zu denken.
Überlegen Sie mal, daß wir fast 40 Jahre lang so gedacht, aber auch so gehandelt und so finanziert haben.
Ich bin unmittelbar an der Zonengrenze geboren und dort 29 Jahre geworden. Ich weiß, wovon ich bei dieser Zonengrenze rede. Ich weiß, wie die Verkehrswege und das sonstige dort waren. Ich habe später Strukturpolitik im hessischen Wirtschaftsministerium gemacht. Vielleicht ist einem das Urteil dann etwas leichter, aber das Problem etwas näher.
Der Verkehr spielt dort eine unglaubliche Rolle. Wir haben das heute morgen im Ausschuß schon erörtert. Eine neue Gesellschaft braucht Reiseverkehr. Eine neue Gesellschaftsordnung braucht Reisewege für ihre Güter, für den Güteraustausch. Das alles wird in einer erfreulichen Weise zunehmen.
Vorhin habe ich gesagt, Verkehrswege sind Lebensadern. Dies hier sind im buchstäblichen Sinn Lebensadern der Menschen in der DDR, die zu uns wollen, und von Menschen, die von uns zu ihnen wollen. Hier haben wir eine große, wie ich finde, nationale Verpflichtung, neu zu denken, umzudenken, aber auch zu handeln und nicht zu lange zu warten.
Die Eisenbahn, über die wir hier reden, hat große Chancen, vielleicht größere als bei uns. Ich komme aus Eichenberg — um es mal deutlich zu sagen —. Das war früher einer der größten Eisenbahnknotenpunkte in der Ost-West- und der Nord-Süd-Richtung. Das erste, was ich als Kind mit zehn Jahren erlebt habe, war, daß die Russen die Eisenbahnschienen abmontiert haben. Als Reparationsleistungen der damaligen SBZ sind die weg. Aber der Damm ist noch da.
Jetzt ist die Zonengrenze aufgemacht worden. Die Straße ist hundsmiserabel. Aber das macht den Trabis und den Fußgängern nichts aus. Die Eisenbahn könnte morgen eröffnet werden.
Das ist z. B. ein solcher Punkt, solche Verbindungen wieder herzustellen: Eichenberg—Arenshausen; dann Heiligenstadt—Leipzig.
Überlegen Sie mal, wie wir im Verkehrsausschuß über die Prioritäten und die Wirtschaftlichkeitsrechnungen der Bundesbahn — etwa Dortmund—Paderborn; Paderborn—Kassel — gesprochen und gefragt haben, ob sich das rechnet. Natürlich rechnet sich das. Das muß von Dortmund—Paderborn—Kassel nach Erfurt und Leipzig geführt werden. Das gibt einen Sinn;
so wie auch die Straßenverbindungen dort gemacht werden müssen.
Das heißt, wir müssen all diese kleine Möglichkeiten — nicht nur die großen — reaktivieren, vitalisieren, und zwar möglichst schnell.
— Lieber Dio, ich habe jetzt mal über ein Gebiet gesprochen, aus dem ich komme und das ich besser verstehe. Ihr kriegt ja das Eure. Ihr habt ja schon eine Autobahn in eurer Gegend gangbar gemacht. Es gibt natürlich eine Menge mehr. Das gilt selbstverständlich auch für den Straßenverkehr. Aber wir reden ja heute hier über die Eisenbahn.
Insofern werden wir auch die Strecke Hannover—Berlin nicht in der Magnetbahntechnik bauen. Die muß nämlich schnell gebaut werden. Und das geht nur mit der Rad-Schienen-Technik.
Und wenn ich Magdeburg anbinden will — was notwendig ist; Kohn hat es schon gesagt —, muß ich das bald machen. Das kann ich nur mit Rad-SchienenTechnik.
Der Hinweis des Kollegen Lenzer ist gar nicht sonderlich sinnvoll, weil er das auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschiebt. Jetzt soll man handeln, jetzt diese Schnellstrecke machen, jetzt den Anschluß an das IC-Netz über den Drehpunkt Hannover herstellen. Das macht dann auch Spaß.
Es sind große Anstrengungen zu unternehmen. Auch der finanzielle Bedarf wird groß sein. Der Finanzminister ist heute wohl auch deshalb nicht vertreten, weil er weiß, was auf ihn zukommt; denn aus dem Topf, den wir haben, ist das nicht finanzierbar. Aber es darf ja wohl nicht wahr sein, daß wir diese geradezu unglaubliche historische Herausforderung aus finanziellen Gründen nicht annehmen können. Wir sind jedenfalls zur Annahme dieser Herausforderung be-
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reit. Ich finde, das Ziel lohnt hier alle Anstrengungen.
Vielen Dank.