Protokoll:
11131

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 131

  • date_rangeDatum: 9. März 1989

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:22 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/131 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 131. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. März 1989 Inhalt: Wahl des Abg. Eich zum ordentlichen Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates an Stelle des ausgeschiedenen Abg. Dr. Mechtersheimer 9585 A Erweiterung der Tagesordnung 9585 B Tagesordnungspunkt 3: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 14. April 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien über die Auslieferung (Drucksache 11/3864) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Januar 1988 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik über den Binnenschiffsverkehr (Drucksache 11/3957) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwufs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Januar 1988 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Ungarischen Volksrepublik über die Binnenschiffahrt (Drucksache 11/3958) d) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Richtlinie über einheitliche Kontrollverfahren zur Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr (Drucksache 11/3754) e) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung über die Strukturbereinigung in der Binnenschiffahrt (Drucksache 11/3755) 9585 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von den Abgeordneten Günther, Straßmeir, Fischer (Hamburg) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinrich, Richter, Funke, Dr. Thomae und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der See-Unfallversicherung in der Reichsversicherungsordnung (Drucksache 11/4082) 9586 B Tagesordnungspunkt 4: Beratung der Ersten Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1989 cherheit zum Ersten Zwischenbericht der Enquete-Kommission: Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre (Drucksachen 11/3246, 11/4133) Schmidbauer CDU/CSU 9586 C Schäfer (Offenburg) SPD 9589 D Frau Dr. Segall FDP 9592 C Dr. Knabe GRÜNE 9594 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 9597 C Müller (Düsseldorf) SPD 9600 B Seesing CDU/CSU 9602 B Frau Ganseforth SPD 9603 B Fellner CDU/CSU 9605 A Tagesordnungspunkt 5: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Umweltgutachten 1987 (Drucksache 11/1568) Dr. Friedrich CDU/CSU 9607 B Lennartz SPD 9609 B Baum FDP 9611D Frau Wollny GRÜNE 9614 C Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 9616 C Frau Blunck SPD 9620 A Fellner CDU/CSU 9622 A Kiehm SPD 9624 B Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär BMWi 9626 A Tagesordnungspunkt 6: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Wegfall der Befristung einer Ausbildungsregelung bei den Berufen des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten (Drucksachen 11/3409, 11/4035) 9627 A Tagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes: Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1987 — Einzelplan 20 — (Drucksachen 11/2593, 11/4014) 9627 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: — Sammelübersicht 100 zu Petitionen — mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 18. Februar 1987 bis 31. Dezember 1988 eingegangenen Petitionen — (Drucksache 11/4058) 9627 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr. Ausländer/innenFeindlichkeit im hessischen Wahlkampf und die Auswirkungen auf den Bund Kleinert (Marburg) GRÜNE 9627 C Dr. Langner CDU/CSU 9629 B Reuter SPD 9630 C Gries FDP 9631 D Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 9633 A Dr. Blens CDU/CSU 9634 C Frau Trenz GRÜNE 9635 C Dr. Hirsch FDP 9636 A Frau Wieczorek-Zeul SPD 9637 B Weirich CDU/CSU 9638 C Lutz SPD 9639 C Dr. Kappes CDU/CSU 9640 B Dr. Lippold (Offenbach) CDU/CSU . . . 9641 C Vizepräsident Cronenberg . . . 9642B, 9647 C Tagesordnungspunkt 8: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Immissionsschutzbericht der Bundesregierung zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Knabe, Brauer und der Fraktion DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Immissionsschutzbericht der Bundesregierung (Drucksachen 11/2714, 11/3179, 11/4126) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN Maßnahmen gegen Luftverschmutzung zum Entschließungsantrag der Abgeordneten Brauer und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN Maßnahmen gegen Luftverschmutzung (Drucksachen 11/559, 11/560, 11/3905) Schmidbauer CDU/CSU 9643 A Frau Dr. Hartenstein SPD 9645 B Baum FDP 9647 D Brauer GRÜNE 9649 C Dr. Lippold (Offenbach) CDU/CSU . . . . 9651 C Weiermann SPD 9653 D Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . . 9655 D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1989 III Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz (Drucksache 11/4086) b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den IAEO-Übereinkommen vom 26. September 1986 über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen sowie über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Notfällen (Gesetz zu dem IAEO-Benachrichtigungsübereinkommen und zu dem IAEO-Hilfeleistungsübereinkommen) (Drucksachen 11/2391, 11/3937) Harries CDU/CSU 9658 D Schütz SPD 9659 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 9661 D Frau Wollny GRÜNE 9662 C Wüppesahl fraktionslos 9663 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 9664 B Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft (Drucksache 11/4087) Bayha CDU/CSU 9666 D Oostergetelo SPD 9668 C, 9674 C Paintner FDP 9670 D Frau Flinner GRÜNE 9671D Kiechle, Bundesminister BML 9673 A Kalb CDU/CSU 9676A Tagesordnungspunkt 11: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Tierschutzbericht 1989 und Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes (Drucksache 11/ 3846) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Adler, Frau Dr. Hartenstein, Kißlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Mißbrauchs von Hormonen in der Tiermast (Drucksache 11/3102) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Adler, Frau Dr. Hartenstein, Ibrügger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Artgerechte und umweltverträgliche Nutztierhaltung (Drucksache 11/3891) Kiechle, Bundesminister BML 9678 A Frau Adler SPD 9679D, 9695 A Michels CDU/CSU 9682 C Frau Garbe GRÜNE 9685 A Bredehorn FDP 9686 B Sielaff SPD 9688 D Kroll-Schlüter CDU/CSU 9690 D Frau Saibold GRÜNE 9692 C Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU . . 9693 C Tagesordnungspunkt 12: a) Beratung der Großen Anfrage betr. Menschenrechtsverletzungen an Frauen (Drucksachen 11/1801 [neu], 11/3250 [neu], 11/3623) b) Beratung der Großen Anfrage betr. Menschenhandel mit ausländischen Mädchen und Frauen, sogenannte Heiratsvermittlung und Prostitutionstourismus (Drucksachen 11/2210, 11/3580) Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 9696 C Frau Luuk SPD 9698 D Frau Männle CDU/CSU 9701 A Frau Nickels GRÜNE 9702 A Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 9703 C Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 9705 A Frau Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU . . 9706 C Frau Schmidt (Hamburg) GRÜNE . . . 9708 D Frau Pack CDU/CSU 9709 D Peter (Kassel) SPD 9711 B Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär BMZ . . 9712D Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister AA 9713 C Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 26. November 1987 zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Drucksache 11/4028) Engelhard, Bundesminister BMJ 9715 A Dr. de With SPD 9715D Seesing CDU/CSU 9717 A Frau Hensel GRÜNE 9717 D Irmer FDP 9718 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Konditionierung der Entwicklungshilfe für El Salvador (Drucksache 11/2405) in Verbindung mit IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1989 Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Schutz von Bundesbürgern/ Bundesbürgerinnen in El Salvador (Drucksache 11/2844) Volmer GRÜNE 9720B Höffkes CDU/CSU 9721 B Frau Luuk SPD 9722 B Frau Folz-Steinacker FDP 9723 A Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär BMZ . . 9724 B Nächste Sitzung 9725 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 9726* A Anlage 2 Vorlage eines Embryonen-Schutz-Gesetzes durch die Bundesregierung MdlAnfr 2 03.03.89 Drs 11/4119 Jäger CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Kinkel BMJ . . . . 9726* B Anlage 3 Arbeitsplatzverluste und Geschäftsaufgaben durch die Ansiedlung von Großunternehmen des Lebensmittelhandels, insbesondere von Co-op-Märkten; Arbeits- und Ausbildungsplätze im Lebensmittelhandel bezogen auf den Umsatz seit 1984 MdlAnfr 11, 12 03.03.89 Drs 11/4119 Hinsken CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Riedl BMWi . . . . 9726* C Anlage 4 Auswirkungen der Unsicherheit über die künftige Energiepolitik der Bundesregierung auf den Kohlebergbau; Vorgaben des Bundesministers für Wirtschaft für ein von Prognos und der Fraunhofer-Gesellschaft zu erstellendes Gutachten über die Kohle- und Energiepolitik bis zum Jahr 2010 MdlAnfr 17, 18 03.03.89 Drs 11/4119 Vosen SPD SchrAntw PStSekr Dr. Riedl BMWi . . . . 9727* B Anlage 5 Weigerung der Firma MBB, Zivildienstleistende zu beschäftigen MdlAnfr 23, 24 03.03.89 Drs 11/4119 Frau Terborg SPD SchrAntw PStSekr Höpfinger BMA . . . 9727* C Anlage 6 Weigerung der Firma MBB, Zivildienstleistende zu beschäftigen; Einstellung der Subventionen für die Firma MBB wegen Nichtachtung des Diskriminierungsverbots nach Art. 3 Abs. 3 GG bei der Anstellung von Zivildienstleistenden MdlAnfr 25, 26 03.03.89 Drs 11/4119 Conradi SPD SchrAntw PStSekr Höpfinger BMA . . . 9727* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1989 9585 131. Sitzung Bonn, den 9. März 1989 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 10. 03. 89 * Austermann CDU/CSU 10.03.89 Bohl CDU/CSU 10.03.89 Böhm (Melsungen) CDU/CSU 10. 03. 89 ** Brandt SPD 10.03.89 Dr. von Bülow SPD 10. 03. 89 Catenhusen SPD 10.03.89 Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 9. 03. 89 Egert SPD 10.03.89 Ehrbar CDU/CSU 10.03.89 Gattermann FDP 10.03.89 Dr. Gautier SPD 10. 03. 89 Genscher FDP 10.03.89 Dr. Götz CDU/CSU 10. 03. 89 Dr. Hauchler SPD 10. 03. 89 Dr. Hauff SPD 10. 03. 89 Frhr. Heereman von CDU/CSU 09. 03. 89 Zuydtwyck Huonker SPD 09.03.89 Ibrügger SPD 10.03.89 Jung (Limburg) CDU/CSU 9. 03. 89 Dr. Klejdzinski SPD 10. 03. 89 * Koltzsch SPD 10.03.89 Koschnick SPD 10.03.89 Frau Matthäus-Maier SPD 9. 03. 89 Meneses Vogl GRÜNE 10. 03. 89 Meyer SPD 10.03.89 Mischnick FDP 10.03.89 Möllemann FDP 09.03.89 Dr. Müller CDU/CSU 10. 03. 89 ** Müller (Schweinfurt) SPD 10. 03. 89 Niegel CDU/CSU 10. 03. 89 * Dr. Scheer SPD 10. 03. 89 * Schmidt (München) SPD 10. 03. 89 ** Frhr. von Schorlemer CDU/CSU 10. 03. 89 Frau Dr. Skarpelis-Sperk SPD 10. 03. 89 Frau Dr. Timm SPD 10. 03. 89 Dr. Vogel SPD 10. 03. 89 Dr. Vondran CDU/CSU 10. 03. 89 Dr. Waigel CDU/CSU 9. 03. 89 Wilz CDU/CSU 10.03.89 Wischnewski SPD 10.03.89 Würtz SPD 09.03.89 Zierer CDU/CSU 10. 03. 89 ** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Antwort des Staatssekretärs Dr. Kinkel auf die Frage des Abgeordneten Jäger (CDU/CSU) (Drucksache 11/4119 Frage 2): Wann ist mit der Vorlage des Gesetzentwurfs für das geplante Embryonen-Schutz-Gesetz durch die Bundesregierung zu rechnen, und wird dies so rechtzeitig geschehen, daß der Entwurf im Deutschen Bundestag beraten und verabschiedet werden kann, ehe die Legislaturperiode zu Ende ist? Die Vorarbeiten für den Entwurf des Embryonenschutzgesetzes sind weitgehend abgeschlossen. Einer abschließenden Entscheidung bedarf lediglich noch der Fragenkreis der heterologen Insemination. Sobald die in diesem Zusammenhang noch offenen Fragen entschieden sind, wird der Entwurf vorgelegt werden. Ich bin sicher, daß das Gesetzgebungsverfahren noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden kann. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Riedl auf die Fragen des Abgeordneten Hinsken (CDU/CSU) (Drucksache 11/4119 Fragen 11 und 12): Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wie viele kleine und mittlere Geschäfte mit wie vielen Beschäftigten durch die Ansiedlung von Großunternehmen des Lebensmittelhandels, besonders von co-op-Märkten, ihr Geschäft aufgeben mußten? Gibt es Zahlen darüber, wie viele Mitarbeiter auf jeweils 1 Million DM Umsatz, bezogen in Lebensmittel-Unternehmen mit 1 Million, 10 Millionen, 100 Millionen, 500 Millionen, 1 Milliarde, 8,8 Milliarden und 12,45 Milliarden DM in den letzten fünf Jahren beschäftigt sind, und wie viele Ausbildungsplätze bei gleichen Umsatzergebnissen vorgehalten werden bzw. wurden? Zu Frage 11: Der Bundesregierung liegen keine entsprechenden Angaben vor, wie viele kleine und mittlere Geschäfte und wie viel Beschäftigte im Lebensmittelhandel durch die Ansiedlung von Großunternehmen aufgeben mußten. Zwar hat sich im Lebensmitteleinzelhandel ein starker Abschmelzungsprozeß sowohl in der Zahl der Unternehmen wie der Geschäfte seit Anfang der 60er Jahre ergeben. Eine exakte oder eine einigermaßen verläßliche Zurechnung auf einzelne Ursachen läßt sich allerdings nicht vornehmen. Zu dem Rückgang der Unternehmen bzw. der Geschäfte hat eine Vielzahl von Faktoren beigetragen. Neben Gründen, die im normalen Strukturwandlungsprozeß liegen, wie die Änderungen im Verbraucherverhalten, der verstärkte Trend zur Selbstbedienung und zu größeren Verkaufseinheiten usw., persönlichen Gründen wie Alter, Krankheit, Nachfolgeproblemen hat sicher auch der intensive Wettbewerb in dieser Branche zum Ausscheiden geführt, ohne daß sich diese Gründe im einzelnen isolieren und quantifizieren lassen. Zu Frage 12: Der Bundesregierung liegt kein entsprechendes Zahlenmaterial vor, wie viele Mitarbeiter jeweils auf eine bestimmte Umsatzgröße (z. B. bei 1 Million DM, 8,8 Milliarden DM, 12,45 Milliarden DM usw.) entfal- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1989 9727 len. Eine amtliche Ausweisung allein nach konkreten Umsatzergebnissen wird nicht praktiziert. Die amtliche Statistik unterscheidet die erfaßten Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen (z. B. Umsatzgrößenklasse bis unter 1 Million DM, 1 Million bis 5 Millionen DM, 5 Millionen bis 10 Millionen DM usw.). Eine solche Tabelle könnte dem Fragesteller zur Verfügung gestellt werden. Zur Situation der Ausbildungsplätze läßt sich allgemein sagen, daß die Zahl der den Arbeitsämtern insgesamt gemeldeten Ausbildungsplätze für eine Reihe von Ausbildungsberufen die u. a. auch von Lebensmittel-Unternehmen angeboten werden, in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat (z. B. Einzelhandelskaufleute; Verkäuferin; Verkäufer/in im Nahrungsmittelhandwerk) . Gleichzeitig handelt es sich dabei um Ausbildungsberufe, in denen eine überproportional hohe und wachsende Zahl von Ausbildungsplätzen in den letzten Jahren nicht besetzt werden konnte. So waren zum 30. September 1988 für die beispielhaft genannten Ausbildungsberufe in Arbeitsämtern insgesamt rd. 69 000 Ausbildungsplätze gemeldet, von denen knapp 10 000 (ca. 14 %) bis dahin noch nicht besetzt waren (durchschnittlicher Anteil der unbesetzten Ausbildungsplätze am gemeldeten Angebot ca 11 %). Detailliertere statistische Daten über angebotene bzw. vorgehaltene Ausbildungsplätze nach einzelnen Unternehmensbereichen sowie Umsatzgrößenklassen liegen der Bundesregierung nicht vor. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Riedl auf die Fragen des Abgeordneten Vosen (SPD) (Drucksache 11/4119 Fragen 17 und 18) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß die derzeitige Unsicherheit über den Standpunkt der künftigen Energiepolitik den Kohlebergbau, der auf Grund geologischer Verhältnisse langfristige Planungs- und Rahmenbedingungen in den Gruben benötigt, durch ihr Nichthandeln, trotz freundlicher Aussagen, in arge Bedrängnis bringt, und wann ist damit zu rechnen, daß der Schwebezustand aufhört? Welche Eckwerte bzw. Vorgaben bezüglich der künftigen Kohle- und Energiepolitik bis zum Jahr 2010 hat der Bundesminister für Wirtschaft als Grundaussage für die Erarbeitung des Gutachtens an Prognos und Fraunhofer-Gesellschaft, das im September 1989 vorliegen soll und das im bekannten Sprechzettel des Bundesministers für Wirtschaft sowie der Presse die Runde machte, vorgegeben? Zu Frage 17: Die Bundesregierung hat ihre Position zur Energiepolitik zuletzt im Jahreswirtschaftsbericht eingehend dargelegt. Sie verhandelt derzeit intensiv mit den Beteiligten des Jahrhundertvertrages über die Stabilisierung des Verstromungsfonds für die kommenden Jahre. Zu Frage 18: Das Gutachten „Die energiewirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahr 2010" wird von der Prognos AG (Unterauftragnehmer Fraunhofer-Gesellschaft) in voller wissenschaftlicher Unabhängigkeit durchgeführt. Das Auftragsschreiben vom 16. August 1988 enthält entsprechend weder Eckwerte noch Vorgaben bezüglich der langfristigen Kohle- und Energiepolitik. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Höpfinger auf die Fragen der Abgeordneten Frau Terborg (SPD) (Drucksache 11/4119 Fragen 23 und 24): Hält die Bundesregierung die vom SPIEGEL vom 27. Februar 1989 gemeldete Diskriminierung von Bewerbern, die einen Antrag auf Anerkennung als Zivildienstleistende gestellt haben, durch den Raumfahrtkonzern MBB für gerechtfertigt, oder sieht sie nicht auch die Möglichkeit, diese Bewerber in ausschließlich zivilen Bereichen des Konzerns zu beschäftigen? Auf welche arbeitsrechtlichen Vorschriften stützt sich der obengenannte Konzern bei seiner Diskriminierungsentscheidung, und wird die Bundesregierung, sofern diese fehlen, auf das Unternehmen einwirken? Die Bundesregierung wird die Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) schriftlich um Auskunft zu der Frage bitten, ob es zutrifft, daß anerkannte Wehrdienstverweigerer bzw. Zivildienstleistende auch im zivilen Bereich dieser Firma nicht eingestellt werden, und wenn diese Frage bejaht wird, aus welchen Gründen dies geschieht. Versuche, auf telefonischem Wege von der Firma MBB darüber Auskünfte zu erhalten, waren leider erfolglos. Die mit diesem Komplex vertrauten Personen waren telefonisch nicht erreichbar. Unter der Voraussetzung, daß die Schilderung der Verfahrensweise bei der Firma MBB in der Zeitschrift „Der Spiegel" zutrifft, halte ich aus arbeits- und sozialpolitischer Sicht die Nichteinstellung von anerkannten Wehrdienstverweigerern bzw. Zivildienstleistenden für den Bereich der Produktion von Rüstungsgütern im allgemeinen wohl für vertretbar. Dies kommt ja auch in Ihrer Fragestellung zum Ausdruck. Rechtlich läßt sich der Sachverhalt noch nicht beurteilen, solange die Stellungnahme der Firma MBB noch nicht vorliegt. Sobald mir die Antwort der Firma MBB vorliegt, werde ich Ihnen eine schriftliche Stellungnahme zukommen lassen. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Höpfinger auf die Fragen des Abgeordneten Conradi (SPD) (Drucksache 11/4119 Fragen 25 und 26) : Was unternimmt die Bundesregierung gegen die Praxis der Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB), in ihrem zivilen Bereich keine anerkannten Wehrdienstverweigerer bzw. Zivildienstleistende einzustellen? Ist die Bundesregierung bereit, ihre Subventionen für die Firma MBB einzustellen bis gewährleistet ist, daß MBB das Grundrecht des Artikels 3 Abs. 3 GG einhält, „niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, 9728' Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1989 seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden"? Die Bundesregierung wird die Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) schriftlich um Auskunft zu der Frage bitten, ob es zutrifft, daß anerkannte Wehrdienstverweigerer bzw. Zivildienstleistende auch im zivilen Bereich dieser Firma nicht eingestellt werden, und wenn diese Frage bejaht wird, aus welchen Gründen dies geschieht. Von der Antwort der Firma Messerschmitt-BölkowBlohm (MBB) wird abhängig sein, ob ggf. Konsequenzen im Hinblick auf Subventionen für die Firma MBB zu ziehen sind.
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113100000
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich mache zunächst einige Mitteilungen.
Der Abgeordnete Mechtersheimer scheidet als ordentliches Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aus. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat den Abgeordneten Eich als seinen Nachfolger benannt. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Somit ist der Abgeordnete Eich als ordentliches Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gewählt.
Zweitens. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde: Die aktuelle Lage in Berlin (In der 130. Sitzung bereits erledigt.)

2. Erste Beratung des von den Abgeordneten Günther, Straßmeir, Fischer (Hamburg) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinrich, Richter, Funke, Dr. Thomae und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der See-Unfallversicherung in der Reichsversicherungsordnung
— Drucksache 11/4082 —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113100100
Sammelübersicht 100 zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 18. Februar 1987 bis 31. Dezember 1988 eingegangenen Petitionen
— Drucksache 11/4058 —
4. Aktuelle Stunde: Ausländer/innen-Feindlichkeit im hessischen Wahlkampf und die Auswirkungen auf den Bund
5. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Konditionierung der Entwicklungshilfe für El Salvador
— Drucksache 11/2405 —
6. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Schutz
von Bundesbürgern/Bundesbürgerinnen in El Salvador
— Drucksache 11/2844 —
7. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 — RRG 1992)

— Drucksache 11/4124 — 8. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung
— Drucksache 11/4125 —9. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Altersversorgung von Mitgliedern des Deutschen Bundestages, Bundesministern und Parlamentarischen Staatssekretären
— Drucksache 11/4142 —
Zugleich soll — soweit erforderlich — von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 und Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:
3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 14. April 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien über die Auslieferung
— Drucksache 11/3864 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Januar 1988 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik über den Binnenschiffsverkehr
— Drucksache 11/3957 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr (federführend) Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Januar 1988 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Ungarischen Volksrepublik über die Binnenschiffahrt
— Drucksache 11/3958 —



Präsidentin Dr. Süssmuth
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr (federführend) Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
d) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr
Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Richtlinie über einheitliche Kontrollverfahren zur Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr
— Drucksache 11/3754 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
e) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Legislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung über die Strukturbereinigung in der Binnenschiffahrt
— Drucksache 11/3755 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
ZP2 Erste Beratung des von den Abgeordneten Günther, Straßmeir, Fischer (Hamburg) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinrich, Richter, Funke, Dr. Thomae und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der See-Unfallversicherung in der Reichsversicherungsordnung
— Drucksache 11/4082 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Ersten Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß) zum Ersten Zwischenbericht der Enquete-Kommission
Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre — Drucksachen 11/3246, 11/4133 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schmidbauer Frau Dr. Segall
Müller (Düsseldorf)

Dr. Knabe
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratungen zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1113100200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der zunehmende Ozonabbau in der Stratosphäre und der Treibhauseffekt, verursacht durch anthropogene Spurengase, bedrohen unser Leben, bedrohen die Erde insgesamt in einem bisher nur in Umrissen vorstellbaren Ausmaß. Wir alle, Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer, jeder einzelne von uns, sind Zeitgenossen einer der gewaltigsten Herausforderungen, denen sich die Menschheit je gegenübersah. Wissenschaftliche Erkenntnisse über ökologische Mechanismen und Gesamtzusammenhänge machen die ökologischen Auswirkungen unbedachter Eingriffe und Belastungen im Naturhaushalt immer deutlicher. Sie zeigen uns, daß lokale Maßnahmen nicht mehr ausreichen, um Tier- und Pflanzenarten vor der Ausrottung zu schützen oder Schadstoffemissionen in Luft und Wasser abzubauen, sondern daß wir die Erde als Ganzes betrachten müssen, um die Lebensgrundlage des Menschen und den Menschen selbst zu erhalten. Gemeinsam, so denke ich, müssen wir ein Wertesystem des Bewahrens entwickeln, das ein Umdenken in großem Ausmaß erfordert, um dieser Verantwortung gerecht zu werden.
Dies gilt um so mehr, als nun Gewißheit ist, was einige Wissenschaftler schon seit Mitte der 70er Jahre vermuteten. Durch die stetige Zunahme der FCKWEmissionen Jahr für Jahr, weltweit über 1 Million Tonnen, die in die Atmosphäre entweichen — 20 bis 30 Millionen Tonnen sind noch unterwegs — , wird der Ozonschild der Erde, der die harte UV-B-Strahlung filtert, zerstört. Ein Anstieg der Hautkrebsraten, Augenerkrankungen und Schädigungen des Immunsystems wären die Folge, wie auch Zerstörungen von Kleinlebewesen, Kleinorganismen in den Meeren, und damit wäre auch die Nahrungskette des Menschen unterbrochen.
Besonders drastische Ozonabnahmen wurden über der Antarktis beobachtet. Dort sind teilweise mehr als 50 % des Gesamtozons, im Höhenbereich von 15 bis 20 km sogar mehr als 95 % betroffen. Seit 1979 hat der Gesamtozongehalt in allen Breiten südlich des



Schmidbauer
60. Breitengrades im Jahresmittel um mehr als 5 abgenommen.
Amerikanische, kanadische, europäische, auch deutsche Wissenschaftler haben in diesem Winter in der Nordpolarregion Ozonmessungen durchgeführt. Erste Ergebnisse zeigen deutlich, daß auch in der Atmosphäre der Arktis gravierende Veränderungen stattfinden. Die FCKW stellen nicht nur eine Bedrohung für die Ozonschicht in der Stratosphäre dar, sondern sind neben anderen Spurengasen auch mit 17 % verantwortlich für ein anderes ökologisches Problem mit globaler Dimension: für die zunehmende Erwärmung der Erde, also den Treibhauseffekt.
Die Folgen, die dadurch auf uns zukommen, wären katastrophal. Wir beobachten Klimaanomalien in großer Häufigkeit. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es gibt heute noch in verschiedenen Ländern Stellungnahmen, die so aussehen, als gäbe es dabei strategische Gewinner. Ich warne Neugierige; ich denke, daß wir alle insgesamt Verlierer wären.
Dennoch, für Panik ist kein Anlaß, und für Horrorszenarien haben wir keine Zeit. Wir müssen diese Herausforderung annehmen.
Es gibt kein Land der Erde, das so intensiv wie wir damit begonnen hat, Erkenntnisse und Maßnahmen auch umzusetzen. Wir haben damit begonnen, ernst zu machen. Wir müssen mit Tatkraft und Entschlossenheit darangehen, diese Bedrohung abzuwenden, und wir sind dazu auch in der Lage.
Wissenschaftler, Ökologen, die Industrie und der Verbraucher, Politiker aus Ost und West, aus Nord und Süd, alle stimmen in dem Grundsatz überein: Die Gefahr der Ozonzerstörung und des Treibhauseffektes kann nur gemeinsam gebannt werden. Daraus folgt: Produktion und Verbrauch von FCKW müssen bis zum Jahr 2000 weltweit eingestellt sein. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion unterstützt diese Forderung in vollem Umfang. Das Wiener Übereinkommen von 1985 und das Montrealer Protokoll von 1987 waren die ersten Meilensteine.
In seiner Regierungserklärung im März 1987 hat Bundeskanzler Helmut Kohl erklärt, daß der Schutz der Erdatmosphäre im Mittelpunkt der Umweltpolitik stehen muß. Daraufhin hatten wir die Initiative ergriffen, gemeinsam mit den anderen Fraktionen in diesem Hause eine Enquete-Kommission auf die Beine zu stellen.
Ich darf an dieser Stelle allen Berichterstattern für die heutige Beschlußempfehlung danken. Ich darf allen Obleuten danken, die in gemeinsamer Arbeit diese Beschlußempfehlung zustande gebracht hab en. Ich denke, das war ein gutes Beispiel, wie es auch im Deutschen Bundestag gelingen kann, über alle Fraktionen zu einem einvernehmlichen Konsens zu kommen, nicht zu einem faulen Kompromiß, sondern zu einem wichtigen und richtigen Konsens.
Wir beobachten, daß viele Länder begonnen haben, ähnliches zu tun. Auch die amerikanische Regierung macht dieses zu einem vorrangigen Thema. Immer mehr werden die Zeichen der Zeit erkannt. Dies zeigen die großen internationalen Konferenzen in
Toronto, in Ottawa und am letzten Wochenende in Paris, die Beratungen der EG in Brüssel in der letzten Woche, die Konferenz Anfang dieser Woche in London und in wenigen Tagen eine wichtige Konferenz in Den Haag.
Wir haben die Bitte an die Bundesregierung, an den Bundeskanzler, diese Thematisierung nicht aufzugeben, sondern dies bei allen Gipfelgesprächen auf die Tagesordnung zu setzen.
Wir danken in diesem Zusammenhang den Mitgliedern der Bundesregierung für ihr Engagement auf diesen Konferenzen. Wir danken auch den Kolleginnen und Kollegen, die bei diesen Konferenzen die Stellungnahmen vorgetragen haben und sehr gezielt auch die Meinung des Deutschen Bundestages, so denke ich, wenn wir das heute beschlossen haben, vertreten werden. Auch in der Sache werden erhebliche Fortschritte erzielt, die noch vor kurzem kaum vorstellbar waren. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt und unterstützt diese internationale Entwicklung.
Die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" hat in ihrem ersten Bericht weitreichende Empfehlungen erarbeitet, damit national und international schnell und gezielt die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden können. Die Chancen für eine Realisierung dieser Vorschläge haben sich nun auch auf internationaler Ebene deutlich erhöht. Die heute hier vorliegende Beschlußempfehlung greift die Vorschläge aus dem ersten Zwischenbericht auf, der als das im internationalen Vergleich umfassendste und wichtigste Dokument in der aktuellen Problemdiskussion eingestuft wird.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung auf, sich im Hinblick auf die für 1990 vorgesehene Überprüfung des Montrealer Protokolls in diesem Sommer in Helsinki dafür einzusetzen, daß folgende Maßnahmen beschlossen werden:
Erstens. Die FCKW-Produktion ist wesentlich schneller und umfassender als im Montrealer Protokoll vorgesehen zu verringern. Das Ziel ist, im Jahr 2000 auf Null zu kommen.
Zweitens. Die bisher im Montrealer Protokoll noch nicht geregelten Chlorverbindungen — Tetrachlorkohlenstoff und andere — sind in das Protokoll mit einzubeziehen. Es ist überaus wichtig, daß wir nicht nur auf die FCKW starren, sondern auch auf andere schädliche Stoffe abzielen, daß wir Bilanzierungen vornehmen, daß wir uns überlegen, wie mittel- und langfristig diese Stoffe ebenfalls zu reduzieren sind, daß eine Beurteilung im Hinblick auf das Ozonzerstörungspotential stattfindet, daß wir aber auch die Wirkung des Treibhauseffektes dabei im Auge haben.
Drittens. Ausnahmetatbestände, besonders die Zulassung eines globalen Pro-Kopf-Verbrauchs, sind zu beseitigen. Hier muß sichergestellt werden, daß den Drittländern im Hinblick auf ihre industrielle Entwicklung von den Industrieländern die entsprechenden Technologien zur Verfügung gestellt werden. Mit dem Technologietransfer muß Ernst gemacht werden; es darf nicht nur darüber geredet werden. Wir müssen hier sehr sensibel vorgehen. Zu Recht erwarten bevöl-



Schmidbauer
kerungsreiche Länder wie China, Indien und Brasilien Unterstützung durch die Industriestaaten, um ihre wirtschaftliche Entwicklung nicht mit einer Umweltzerstörung bezahlen zu müssen. Ich beobachte die Konferenz in Quito, und ich rate uns allen, in diesem Zusammenhang nachzudenken. Wir sollten weniger Patentrezepte verkaufen, sondern uns überlegen, wie wir mit diesem Technologietransfer Ernst machen, wie wir helfen. Wir sollten nicht darauf schielen, Substitute zu transferieren, sondern Alternativen in diese Länder exportieren und ihnen dadurch helfen.
Viertens. Die Hersteller in den Vertragstaaten des Montrealer Protokolls müssen sich verpflichten — was den europäischen Raum anlangt, haben sie das teilweise bereits getan — , eine FCKW-Produktion weder in Nichtunterzeichnerstaaten zu verlagern noch sie dort auszuweiten. Die Ozonschicht fragt nicht nach dem Ort der Emission. Wichtig ist, daß wir die Emissionen insgesamt reduzieren.
Fünftens. Wir fordern die weltweite Kennzeichnung FCKW-haltiger Roh-, Zwischen- und Endprodukte. Dies muß in Europa harmonisiert werden.
Sechstens. Notwendig sind eine staatliche Kontrolle der Produktions- und Verbrauchszahlen von FCKW sowie eine für die Öffentlichkeit nachvollziehbare Kontrolle der erzielten Reduktionsquoten. Es muß Schluß sein mit dem Katz-und-Maus-Spiel um die nationalen, die europäischen und die weltweiten Produktionszahlen. Auch hier haben wir, so denke ich, einige kleine Tapser nach vorn gemacht, und ich bin gespannt auf die Veröffentlichung der Zahlen über Produktion und Verbrauch des Jahres 1986.
Siebtens. Es muß jedem Vertragstaat offenstehen, durch nationale Regelungen die vorgesehenen Quoten erheblich früher zu erreichen, ohne daß es dabei zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Es hat keinen Sinn, national zu reduzieren, dann aber durch den Import die Nischen aufzufüllen und damit nicht ein Weniger, sondern ein konstantes oder sogar größeres Potential an Emissionen zu erreichen.
Angesichts der großen Verantwortung auf seiten der Industrienationen unterstützt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Bundesregierung in ihrer Absicht, sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, daß die führenden westlichen Industrieländer nun Ernst machen und handeln. Unabhängig von internationalen Vereinbarungen sowie unabhängig von Reduzierungsquoten innerhalb der EG muß nach unserer Auffassung die Bundesrepublik Deutschland selber versuchen, Produktion und Verbrauch umgehend auf ein Minimum zu reduzieren. Ich denke, unsere Bürger ziehen hier mit. Konkret bedeutet dies, daß bis 1990 50 %, bis 1992 75 % und bis 1995 95 % der Produktion und des Verbrauchs der im Montrealer Protokoll geregelten Stoffe reduziert werden.
Um diese Ziele auch tatsächlich erreichen zu können, sind Selbstverpflichtungen von Industrie und Handel, gesetzliche Regelungen und/oder ökonomische Anreize bzw. eine Kombination dieser Instrumente erforderlich. Die Möglichkeit einer freiwilligen Beschränkung der Industrie muß zeitlich befristet sein, um gegebenenfalls gesetzliche Regelungen durchzuführen. Ich sage sehr deutlich: Die Selbstverpflichtung darf kein Instrument sein, das dazu führt, daß verzögert gehandelt wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Vielmehr muß eine Befristung gegeben sein. Nach dieser Frist muß die gesetzliche Regelung greifen.
Hier ist eine unendlich große Chance der Kooperation gegeben. Das ist nicht nur ein restriktiver Ansatz, sondern dies bedeutet, daß die Industrie die Chance nutzen kann, innovativ und kreativ zu entwickeln, zu forschen und umzusetzen. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang für die vielen Zuschriften an die Enquete-Kommission. Eine war negativ, alle anderen positiv und enthielten den Hinweis: Wir wollen hier mithelfen, wir wollen hier die Forschung intensivieren.
Für die einzelnen Einsatzbereiche sehen wir folgende Möglichkeiten:
Erstens: Aerosolbereich. Die bestehende Selbstverpflichtung der Industriegemeinschaft Aerosole vom August 1987 war ein wichtiger Schritt, Herr Minister Töpfer. Das war ein wichtiger Schritt.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Ein kleiner!)

Nun brauchen wir allerdings weitere Initiativen. Das Ziel muß heißen: Ab 1. Januar 1990 darf der Verbrauch 1 000 t FCKW pro Jahr nicht übersteigen. Die Verwendung sollte sich ausschließlich auf lebenserhaltende medizinische Systeme beschränken. Wir sollen dort die negative Kennzeichnung vorsehen, um überprüfen zu können, ob es sich wirklich um ausschließlich notwendige medizinische Systeme handelt. Zusätzlich muß die neue Verpflichtung die Erklärung enthalten, daß im Aerosolbereich H-FCKW 22 nicht eingesetzt wird. Wir brauchen diese Substanz in diesem Bereich nicht.
Zweitens: Kälte- und Klimabereich. Im Kälte- und Klimabereich muß ein Entsorgungskonzept auf den Tisch. Unsere Terminvorstellung heißt Juli dieses Jahres. Es gibt bereits erfolgversprechende Ansätze. Nur wenn diese nicht weiterführen, sind bis zum 1. Juni dieses Jahres gesetzliche Lösungsmöglichkeiten vorzuschlagen. Es hat sich etwas bewegt: Die Industrie hat in großen Anzeigen darauf hingewiesen, daß sie mit 50 % weniger FCKW z. B. in Kühlschränken auskommt. Es geht also! Ich behaupte, es geht auch, Kühlschränke ohne FCKW zu produzieren. Das ist die intelligente Lösung, die wir brauchen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und den GRÜNEN)

Das andere kann ein Übergang sein. Das Ziel heißt: ohne FCKW intelligente technische Lösungen.
Drittens: Verschäumungsbereich. Für den Verschäumungsbereich gilt ähnliches. Mit einer bis zum 31. Dezember 1989 vorzulegenden Verpflichtungserklärung der zuständigen Industrie sollte ab 1992 eine 80 %ige Verringerung in diesem Bereich möglich sein. Wir wissen, daß das schwierig ist. Als unverzichtbar sehen wir vor allem folgende Punkte: 50 % weniger FCKW bei Polyurethan-Hartschaum, keine FCKW mehr für die Weichschaumherstellung, keine Herstellung von XPS-Schäumen mit vollhalogenierten



Schmidbauer
FCKW. Ich denke, daß die Industrie hier überkommt; die Signale liegen bereits vor.
Teilhalogenierte ozonschädigende FCKW dürfen je nach Gefährdungspotential höchstens noch fünf bis zehn Jahre hergestellt werden. Hier sind die Auswirkungen auf den Treibhauseffekt zu beachten. Hier ist eine klare Darstellung vorzunehmen, in welchem Bereich ODP wirksam ist und in welchen Bereichen Klimawirksamkeit besteht. Bei allen übrigen Schaumstoffen ist der Einsatz von FCKW um 90 % zu reduzieren. Verpackungsmaterial und Wegwerfgeschirr, mit FCKW hergestellt, sind an sich unverzüglich zu verbieten. Das brauchen wir ebenfalls überhaupt nicht. Hier gibt es wesentlich bessere Möglichkeiten.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Viertens. Im Reinigungs- und Lösemittelbereich wollen wir bis Ende des Jahres eine Verpflichtungserklärung der zuständigen Industrie und der Verbände erreichen. Ab Januar 1992 muß der FCKW-Einsatz bei Reinigungs- und Lösemitteln mit Hilfe von Ersatzstoffen und Technologien sowie durch gekapselte Systeme auf ein Minimum beschränkt werden. Ab 1995 ist hier ebenfalls eine 95 %ige Verringerung zu erreichen.
Denjenigen, denen diese Maßnahmen zu weitgehend sind, möchte ich sagen, daß der Weg zum Montrealer Protokoll bereits 1974 begonnen hat. 1974 formulierten Rowland und Molina die Hypothese, nach der die FCKW für den Abbau des Ozons in der Stratosphäre verantwortlich seien. 1977 wurde ein UNEPProgramm zum Schutz der Ozonschicht auf den Weg gebracht. 1978 erließen die USA, gefolgt von Kanada und den skandinavischen Ländern, ein Teilverbot von FCKW in Spraydosen. 1980 beschloß der EG-Ministerrat, die Produktion von FCKW 11 und 12 um mindestens 30 % zu reduzieren. 1981 begann die UNEP mit der Ausarbeitung einer weltweiten Konvention zum Schutz der Ozonschicht. 1985 wurde schließlich die Wiener Konvention von 22 Staaten unterzeichnet.
Ein langer Zeitraum: 15 Jahre. Wir sehen, in welchem Bereich wir bis heute langsam vorangekommen sind, wie bereits der Kollege Baum während seiner Amtszeit begonnen hat, die Dinge auf den Weg zu bringen, und wie lang dies dauert.

(Zurufe von der SPD)

— Kollegen der Opposition, ich habe Sie ja gelobt. Ich kann es noch einmal tun. Aber gestatten Sie mir, daß ich den Koalitionspartner hier noch einmal lobend herausstreiche. Das ist für unser Klima in der Koalition ein wichtiger Faktor, Herr Kollege Schäfer.
Ich habe Ihre Presseerklärung gelesen, in der Sie von Nasenwasser und vom Verhalten der Bundesregierung geredet haben. Herr Kollege Schäfer, das kann in diesem Punkt nicht zutreffen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: In diesem Punkt?)

Ich empfehle uns allen, die Dinge sehr nüchtern zu sehen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Ja eben!)

Um die gegenwärtige Entwicklung in eine neue Richtung zu steuern und neue Wege aufzeigen zu können, bedarf es einerseits eines solidarischen Vorgehens der internationalen Staatengemeinschaft und andererseits der gemeinsamen Bemühung, die nötigen Maßnahmen umgehend durchzuführen, um die zunehmenden Emissionen klimawirksamer und anthropogener Spurengase schnellstmöglich zu verringern.
Die Industrieländer als Hauptemittenten der Spurengase müssen den Anstoß geben, voranzugehen.
Begleitend zu all diesen Maßnahmen muß das im Dezember 1988 vorgelegte Ozonforschungsprogramm des Bundesministers für Forschung und Technologie durchgeführt werden. Hier gibt es eine gute Vorarbeit. Ich nehme an, daß der Kollege Seesing darauf noch einmal eingehen wird.
Wir haben gute Signale aus Großbritannien. Die französische Regierung hat in den vergangenen Tagen ihre Vorstellungen zum Forschungsbereich vorgetragen. Hier entsteht unübersehbar in Europa ein neues Verständnis globaler Umweltprozesse.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die internationalen Konferenzen und Erklärungen der vergangenen Wochen machen deutlich, daß die Weltgemeinschaft begriffen hat, daß die globalen Umweltprobleme nur durch eine systemübergreifende Zusammenarbeit zu lösen sind.
Das Umweltbewußtsein muß sich sowohl in den Industrieländern, in den Schwellenländern als auch in den noch zu entwickelnden Ländern grundlegend ändern. Das ist gut so. Auf diesem Weg sind wir.
Was den heutigen Beschluß betrifft, so bedeutet er für unser Land den Beginn vieler kleiner, aber wichtiger Schritte bis hin zu einem völligen Verzicht auf FCKW.
Laßt uns deshalb Anfang Mai nach Helsinki gehen mit dem Ziel, das Montrealer Protokoll den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechend zu verschärfen.
Laßt uns alles daransetzen, unserer Umwelt, unserer Erde doch noch in letzter Minute eine Chance und eine Zukunft zu geben.
Laßt uns alles daransetzen, zu instrumentalisieren und dafür zu sorgen, daß es einen UNO-Umweltrat und eine europäische Umweltbehörde gibt, die in der Lage sind, Konventionen abzuschließen, Sanktionen zu beschließen und die Staaten auf einen insgesamt guten Weg zu bringen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie des Abg. Dr. Knabe [GRÜNE])


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113100300
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer (Offenburg).

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1113100400
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der vorliegende Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" verdient uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Er ist eine eindeutige, ungeschminkte



Schäfer (Offenburg)

Bestandsaufnahme, eine sehr deutliche Warnung. Mein Dank, der Dank meiner Fraktion, gilt hier zuerst der hervorragenden Arbeit der Mitglieder der Enquete -Kommission.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Dieser Bericht, meine Damen und Herren, macht deutlich, daß bei einer Fortschreibung der gegenwärtigen Entwicklung die Menschheit mit einer globalen Umweltkatastrophe konfrontiert wird. Die Erdatmosphäre, die mit unserem Planeten eine zerbrechliche Einheit bildet, ist in zweifacher Hinsicht in Gefahr, durch die Ausdünnung der Ozonschicht und die Verstärkung des Treibhauseffektes.
Über die möglichen Folgen besteht weitgehend Einigkeit: ein Anstieg des Meeresspiegels und damit verbundene Überschwemmungen, eine Ausdehnung von Wüsten und Dürregebieten, eine Zerstörung fruchtbarer Anbauflächen, eine massive Zunahme von Krankheiten wie etwa Hautkrebs.
Nach meiner Auffassung ist der Schutz der Erdatmosphäre neben der Wiederherstellung und Bewahrung des Friedens die zentrale politische Gestaltungsaufgabe.

(Seesing [CDU/CSU]: Gut erkannt!)

Das Neue an dem Problem ist, daß wir es hier mit einer schleichenden Umweltzerstörung zu tun haben, mit einer schleichenden globalen Umweltzerstörung. Selbst bei einem sofortigen Nutzungsverbot beispielsweise von FCKW würde wegen der Langfristwirkung die Zerstörung der Ozonschicht noch für lange Zeit voranschreiten.
Die wichtigsten Verursacher der drohenden Zerstörung der Erdatmosphäre sind die Industrieländer, sind wir. Wir produzieren den überwiegenden Teil der Spurengase, die die Erdatmosphäre zerstören. Wir, die Industriestaaten, haben folglich auch die Hauptverantwortung für den Schutz der Erdatmosphäre. Es besteht Einigkeit in der Erkenntnis, daß wir unsere Art des Produzierens und des Konsumierens so nicht fortsetzen können,

(Baum [FDP]: Sehr richtig!)

es sei denn zum Preis der Selbstzerstörung der Lebensgrundlagen des Menschen. Wenn wir die Schöpfung bewahren wollen, müssen vor allem wir in den Industrieländern unsere Lebensgewohnheiten und unsere Art des Wirtschaftens und Konsumierens radikal ändern.

(Lennartz [SPD]: Sehr gut!)

Die Fortschreibung der Gegenwart in die Zukunft ergibt keine verantwortbare Zukunft. Wer Bewahrenswertes bewahren will, der muß verändern.

(Beifall bei der SPD — Fellner [CDU/CSU]: Sehr konservative Auffassung!)

Auch dies ist eine der Notwendigkeiten.
Erforderlich ist ein grundlegender und umfassender Wandel in zentralen Politikfeldern, in der Umweltpolitik, der Energiepolitik, der Agrarpolitik, der Verkehrspolitik, der Weltwirtschaft- und Entwicklungspolitik.

(Lennartz [SPD]: Sehr gut!)

Für diesen Wandel — auch darüber besteht Übereinstimmung — ist national und international eine immense Kraftanstrengung erforderlich. Wer einfach „Weiter so" sagt und auch danach handelt, hat den Wettlauf um den Schutz der Erdatmosphäre bereits verloren.
Zwei Grundsätze, meine Damen und Herren, möchten wir dabei besonders herausstellen: zum einen die Notwendigkeit der ökologischen Partnerschaft. Wir leben — national — nicht nur in einer Risikogesellschaft, sondern zugleich in einer globalen Risikogemeinschaft. Das ökologische Fehlverhalten einzelner Staaten muß von anderen mitgetragen werden. Auch deshalb brauchen wir eine ökologische Partnerschaft nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch und gerade zwischen Nord und Süd.
Der zweite Gedanke ist: Wir müssen stärker erkennen, daß wir in unserem Handeln der Solidarität zwischen den Generationen entsprechen müssen. Es ist offensichtlich, meine Damen und Herren — und auch dies zeigt der vorliegende Bericht der Enquete-Kommission — daß die Folgen unseres Handelns erst für kommende Generationen voll spürbar werden. Deshalb haben wir die Verantwortung, heute Vorsorge zu treffen.
Die politische Dimension, die vor uns liegt, verlangt mehr als nur Flickschusterei oder kosmetische Retuschen. Nachdenkliche Reden auf internationalen Kongressen helfen nicht weiter. Das Wichtigste ist, sofort zu handeln: international, europaweit und national. Sosehr wir Sozialdemokraten die Beschlüsse von Brüssel und London bezüglich des Verzichts auf den Einsatz der FCKW bis zum Jahr 2000 als einen entscheidenden Schritt nach vorn begrüßen, so hat Prinz Charles mit seiner Feststellung doch wohl recht, dieser Schritt komme vermutlich ein Jahrzehnt zu spät.
Wir Sozialdemokraten plädieren für ein mutiges Handeln auch auf der internationalen Ebene. Wir sollten dabei bedenken, meine Damen und Herren, daß unser Wohlstand mit Auslöser für die Umweltkatastrophen auch in der Dritten Welt und nicht nur bei uns ist. Wir können deshalb nicht auf unserer Art des Wirtschaftens bestehen und den Rest der Welt, Herr Kollege Töpfer, in Naturreservate einsperren wollen. Wir müssen deshalb als erste handeln. Nur dann sind übrigens unsere Forderungen auf internationaler Ebene und vor der Weltöffentlichkeit glaubwürdig. Wir müssen — auch darüber besteht zumindest verbal Übereinstimmung — die brutale Ausbeutung der Naturschätze und Naturressourcen zu unseren Gunsten auch in der Dritten Welt beenden. Wir müssen also endlich eine faire ökologische Partnerschaft zwischen der Nord- und der Südhalbkugel auf der Erde einleiten.
Bisher haben wir international im wesentlichen nur Maßnahmen zur Rettung der Ozonschicht ins Auge gefaßt. Das reicht nicht; auch darüber besteht Übereinstimmung. Die Erstellung einer Konvention zum Schutz der Erdatmosphäre ist der nächste Schritt. Er muß schnell vollzogen werden. Es müssen international verbindliche Zielwerte zur Reduzierung der Spurengase festgelegt werden, die dann national von Land zu Land umzusetzen sind. Auch hier sind in



Schäfer (Offenburg)

erster Linie die Industrieländer gefordert. Wir müssen aber auch die Entwicklungsländer massiv unterstützen, nicht nur über die Entwicklungshilfe, sondern auch über eine umfassende Entschuldung. Wir brauchen, meine Damen und Herren, weltweit einen ökologischen Lastenausgleich.
Anders als beim Schutz und beim Abkommen zum Schutz der Ozonschicht sind hier fast alle Politikfelder betroffen. Daher sind beträchtliche Widerstände zu erwarten, die nur in einer gemeinsamen Anstrengung schnell zu überwinden sind. Deshalb brauchen wir Mut zu Reformen. Ich wiederhole: Wer Bewahrenswertes bewahren will, der muß verändern.
Der Schutz des Klimas verlangt von uns mehr als die noch weitergehende Entkoppelung von Bruttosozialprodukt und Energieverbrauch. Er verlangt eine massive Reduzierung des Energieverbrauchs, weil die Energiepolitik ein Schlüssel zur Lösung dieses Problems ist. Spätestens bis zum Jahre 2030 — spätestens bis dahin — müssen wir den heutigen Energieverbrauch um mindestens 50 % vermindern, bei gleichbleibender Energiedienstleistung. Diese Aufgabe, meine Damen und Herren, legt ein breites Bündnis aller Parteien, die Bereitschaft der Bürger zum Mitmachen, aber auch das Mitziehen der Wirtschaft nahe. Ich biete für die SPD ausdrücklich ein solches gemeinsames Handeln an.
Ich will die Schwere der Aufgabe, vor der wir stehen, an einem einzigen Beispiel deutlich machen. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland von 1986 bis 1988 mehr als 100 Milliarden DM weniger für mehr Importenergie ausgegeben. Diese 100 Milliarden DM sind fast ausschließlich in den Konsum geflossen. Es ist fast keine einzige Mark in den ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft, fast keine einzige Mark in den Aufbau einer neuen Energieversorgungsstruktur geflossen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113100500
Herr Abgeordneter Schäfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidbauer?

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1113100600
Wenn ich meinen Satz gerade eben zu Ende führen dürfte, Frau Präsidentin.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113100700
Ja, gerne.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1113100800
Hier zeigt sich, lieber Kollege Schmidbauer, daß Sonntagsreden zum Schutz der Erdatmosphäre nur vernebeln.
Bitte schön.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1113100900
An sich, Herr Kollege Schäfer, wollte ich dieses Thema nicht ansprechen, aber mir schien eben ein wichtiger Beitrag von Ihnen gekommen zu sein. Ich möchte deshalb hinterfragen: Heißt dieses Anbieten des gemeinsamen Vorgehens, daß wir wieder den Konsens im energiepolitischen Bereich anstreben?
Ich frage das aus einem guten Grund, weil wir ja in der. Enquete-Kommission an einem kritischen Punkt sind. Wenn ich dieses Signal so verstehen darf, dann rennen Sie bei mir offene Türen ein.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1113101000
Erstens weiß ich, daß das, was ich jetzt antworte, nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. Zweitens will ich später auf die Frage zurückkommen. Drittens will ich konkret antworten.
Es wird in der Frage der Kernenergie, wenn Sie bei Ihrem sturen Ausbaukurs bleiben, keine Gemeinsamkeit geben können. Aber auch bei Anerkennung der Tatsache, daß in dieser Frage strittige Auffassungen bestehen, bieten wir ausdrücklich einen gemeinsamen energiepolitischen Konsens an.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Heißt das, daß Sie nicht bei Ihrem sturen Ausstiegskurs bleiben wollen?)

— Ich habe eben gesagt — ich wiederhole es — : Auch wenn sich, wie es sich gegenwärtig darstellt, in der Frage der Kernenergie keine Gemeinsamkeit abzeichnet, gibt es jede Menge von Aktionsfeldern, beispielsweise bei der Notwendigkeit, die Energieeinsparung zu fördern, wo die Gemeinsamkeit von uns angeboten wird, wo die Gemeinsamkeit notwendig ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir dürfen uns nicht, weil wir uns wegen grundsätzlich unterschiedlicher Positionen in einer Frage nicht verständigen können, auf anderen wichtigen Handlungsfeldern wechselseitig blockieren. Sonst, meine Damen und Herren, würden wir unserer Verantwortung nicht gerecht.
Ich fahre jetzt im Rahmen meiner genehmigten Redezeit fort. Wer sich wie die Bundesregierung nur am Strohfeuer der niedrigen Energiepreise wärmt

(Fellner [CDU/CSU]: Und sich beschimpfen läßt, wenn sie durch Steuern erhöht werden!)

und nicht den Mut und die politische Kraft hat, dem Bürger zu sagen, daß Energieverschwendung nicht noch belohnt werden darf, wie will der die Erdatmosphäre noch wirksam schützen?
Wer in der Energiepolitik nicht die absolute Priorität auf die rationelle Energieverwendung legt, auf die Förderung erneuerbarer Energiequellen, der ist im Ernst, meine Damen und Herren, zum Kampf um den Schutz der Erdatmosphäre gar nicht erst angetreten. Wer den Bürgern und der Wirtschaft nicht sagt, daß die Preise für Benzin, Strom, Gas, Heizöl steigen müssen, wird das Ziel verfehlen. Hier sind, wie Sie wissen, Entscheidungen überfällig. Unsere Vorschläge dazu liegen seit Jahren auf dem Tisch.
In der Energiepolitik setzt die Bundesregierung die falschen Signale. Sie gibt der rationellen Energienutzung und den umweltfreundlichen erneuerbaren Energien keine Chance. Sie setzt statt dessen auf die Kernenergie, auf den Schnellen Brüter, auf die Wiederaufarbeitungsanlage, auf das unsinnige Projekt des Euro-Brüters. Diese Politik und ihre Fortschreibung ergeben nach unserer Überzeugung keine verantwortbare Zukunft.
Im übrigen, meine Damen und Herren, ist der Ausbau der Kernenergie — auch das zeigt der vorliegende Bericht — keine Lösung des Klimaproblems. Wer weiter auf die Kernenergie setzt, betreibt die



Schäfer (Offenburg)

größte ökonomische und ökologische Fehlinvestition der nächsten Jahrzehnte.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich will ein kleines Beispiel nennen. Wir können theoretisch weltweit bis zum Jahr 2000 120 Kernkraftwerke zubauen. Dazu ist ein Kapital in Höhe von 600 Milliarden DM erforderlich. Damit könnten wir den Kohlendioxidausstoß um genau 2,5 % reduzieren. Wenn wir in demselben Zeitraum diese Summe in Energieeinsparung und eine rationelle und intelligente Energienutzung investieren, können wir den Kohlendioxidausstoß um genau das Achtfache, nämlich um 20 %, reduzieren.
Meine Damen und Herren, wir müssen handeln — darüber besteht Übereinstimmung —, und zwar schnell. Wir unterstützen jede wirksame internationale Vereinbarung zum Schutz der Erdatmosphäre. Jede wirksame internationale Vereinbarung hat unsere Unterstützung, vom schnellen Verbot der FCKW bis hin zur Bildung von ökologischen Solidaritätsfonds für die Dritte Welt.
Wir plädieren aber auch für ein nationales Aktionsprogramm zum Schutz der Erdatmosphäre. Unser Aktionsprogramm lautet:
Erstens. Reduzierung der Produktion und Verwendung der FCKW bis 1995 um 95 %.
Zweitens. Einführung einer Energiesteuer auf fossile und nukleare Energieträger in Verbindung mit einer ökologischen Steuer- und Abgabenreform.
Drittens. Massive staatliche Förderung und Markteinführungshilfen für Energieeinsparung und rationelle Energieverwendung, für erneuerbare Energien, für umweltfreundliche Kohletechnologien.
Viertens. Sofortige Einführung eines Tempolimits von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen, bis eine einheitliche europäische Geschwindigkeitsbegrenzung verwirklicht ist.
Fünftens. Ausbau des Güterverkehrs.
Sechstens. Entwicklung einer Technischen Anleitung zur Begrenzung des Kraftstoffverbrauchs in Automobilen.
Siebtens. Verringerung des Stickstoffeinsatzes in der Landwirtschaft.
Achtens. Schuldenerlaß für Länder der Dritten Welt.
Neuntens. Neuorientierung der Zusammenarbeit mit Ländern der Dritten Welt und in der Zielsetzung einer dauerhaften Entwicklung.
Und zehntens schließlich Beschränkung des Imports von tropischen Hölzern wirklich auf ein Minimum.
Unser Aktionsprogramm, meine Damen und Herren, ist ein Angebot zur Zusammenarbeit an alle Seiten dieses Hauses. Unsere gemeinsame Verantwortung für die eine Welt gebietet schnelles und gemeinsames Handeln.
Ich bedanke mich bei Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113101100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1113101200
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die hier zur Debatte stehende Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Ersten Zwischenbericht der Enquete-Kommission Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre ist im Ausschuß einstimmig von allen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien angenommen worden. Das dokumentiert eine erfreuliche Gemeinsamkeit, die leider in den letzten Jahren immer seltener geworden ist. Der Versuch, auch bei der Rentenreform zu einem gemeinsamen Konzept zu kommen, läßt hoffen, daß man im deutschen Parlament wieder mehr die sachbezogene Lösung der Probleme in den Mittelpunkt rückt und weniger die politische Auseinandersetzung in Formen betreibt, die auf den Bürger abstoßend wirken.

(Beifall bei der FDP)

Eine solche Umkehr könnte dem Ansehen der Demokratie sowie dem Ansehen der politischen Parteien und ihrer Repräsentanten nur dienlich sein.
Die Gemeinsamkeit der Auffassung über das, was nach Meinung der Wissenschaft Ursache für die Ozonveränderungen in der Erdatmosphäre ist, und darüber, was getan werden muß, hat zu einem erfreulichen Klima in der Enquete-Kommission geführt. Es ist nur zu hoffen, daß dieses gute Klima uns auch erhalten bleibt, wenn es um die Klimaveränderungen durch die Anreicherung der Spurengase in der Erdatmosphäre geht. Ihr Angebot, Herr Schäfer, zum Dialog nehmen wir gerne an. Heute ist unser Thema allerdings die Ozonzerstörung und nicht der Treibhauseffekt, und Sie hätten erst einmal abwarten sollen, was wir von der Enquete-Kommission für Vorschläge zum Energiethema machen. Aber, wie gesagt, ich danke Ihnen für Ihr Angebot zu einer fairen Zusammenarbeit.
Ich wünsche mir jedenfalls, daß die menschliche Achtung unter den Mitgliedern der Enquete-Kommission, die in diesem Jahr der Zusammenarbeit gewachsen ist, nicht leiden möge, wenn es bei der Frage, wie wir eine Veränderung unseres Klimas verhindern können, zu schwierigen und vermutlich leider auch ideologisch belasteten Auseinandersetzungen bei der Suche nach Lösungen kommt.
Bei den Spurengasen in der Erdatmosphäre, die über das globale und regionale Klima entscheiden, handelt es sich nämlich überwiegend um Emissionen, die durch die bloße Existenz von Pflanzen, Tieren und Menschen auf diesem Planeten bedingt sind. Die Bedürfnisse des Menschen nach Nahrung, Kleidung, Mobilität, sprich Verkehr, und Wärme erhöhen die Emissionen, und je höher der Lebensstandard und damit die Ansprüche an Energie werden, um so höher werden die Emissionen.
Zu den Spurengasen, die einen Treibhauseffekt bewirken können, gehören auch die FCKW. Sie sind nach Schätzungen der Wissenschaftler bereits zu 15 bis 20% daran beteiligt, nicht wegen der Menge, sondern wegen ihrer Reflexionswirkung in einem Wellenbereich, der bisher wie ein offenes Fenster das Entweichen von Wärmestrahlen ermöglichte. Diese che-



Frau Dr. Segall
mischen Verbindungen sind aber im Gegensatz zu den anderen Spurengasen nicht ein Nebenprodukt der reinen Existenz von Mensch, Tier und Vegetation, sondern allein eine menschliche Erfindung und daher verzichtbar.
Wenn man dies so feststellt, ergibt sich logischerweise die Frage, wieso es zu dem breiten Anwendungsspektrum der FCKW gekommen ist. Dabei muß man wissen, daß die Eigenschaften der FCKW diese chemischen Verbindungen so attraktiv gemacht haben. Sie sind nicht toxisch, was z. B. für eine Reihe der möglichen Ersatzstoffe nicht zutrifft. Sie sind als inerte, d. h. langlebige Verbindungen nur schwer entflammbar und explodieren daher auch nicht. Auch das ist ein wichtiges Argument für viele Anwendungsbereiche. Aber gerade die Langlebigkeit ist schuld an den Problemen, mit denen wir uns jetzt herumschlagen.
Die FCKW entweichen unverändert in die Atmosphäre und werden erst in der Stratosphäre gespalten, so daß das Chlor dort seine ozonzerstörende Wirkung entfalten kann. Da sich diese Prozesse in der Stratosphäre, also in Bereichen oberhalb von 10 Kilometern Höhe, abspielen, sind die Möglichkeiten einer exakten Beobachtung der chemischen Umwandlungsprozesse, die in einem Labor auch nicht nachvollzogen werden können, sehr begrenzt.
Der amerikanische Wissenschaftler Dobson — die internationale Maßeinheit für Ozon ist nach ihm benannt — hat bereits in den 50er Jahren, also zu Zeiten, als es noch kaum FCKW gab, wohl aber andere Chlorverbindungen, das Ozonloch über der Antarktis beobachtet. Im Jahre 1988 wurde über der Antarktis wieder einmal kein Ozonloch geortet. All diese Unsicherheiten bei der Ermittlung eines kausalen Zusammenhangs zwischen den FCKW und der Zerstörung des Ozons in der Stratosphäre darf uns nicht dazu verführen, die Gefahren herunterzuspielen. Im Umweltschutz gilt das Vorsorgeprinzip. Das muß ganz besonders gelten, wenn es um die Bedrohung durch eine ultraviolette Bestrahlung ohne den Ozonschild der Atmosphäre geht.
Die Erkenntnis dieser Gefahren hat zu dem Wiener Abkommen geführt, in dem sich die Vertragsländer zu einer Reduktion von Produktion und Verbrauch der FCKW verpflichtet haben. Das Montrealer Protokoll hat die Zeitabfolge und die Reduktionsraten hierzu festgelegt. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ist nach Anhörung der Wissenschaftler zu der Ansicht gelangt, daß diese Maßnahmen nicht ausreichen. Wir haben das schon mehrfach erklärt. Dem Deutschen Bundestag liegt daher heute ein ganzer Katalog von Maßnahmen zur Beschlußfassung vor, um deren Annahme ich Sie im Namen der FDP bitte.
In der Erkenntnis, daß man zunächst im eigenen Haus anfangen sollte, wenn man auch andere überzeugen will, schlägt die Enquete-Kommission die schnellsten und radikalsten Reduktionsmaßnahmen für die Bundesrepublik Deutschland vor, so daß wir bereits 1995 Produktion und Verbrauch der im Montrealer Protokoll aufgeführten Stoffe um mindestens 95 % reduziert haben sollten. 1997 sollte das auch in der EG erreicht sein und 1999 weltweit.
Was sich in dieser Hinsicht in letzter Zeit auf dem Parkett der internationalen Treffen tut, läßt relativ hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Hat doch selbst die „Eiserne Lady" , der es bisher nur um die Durchsetzung harter ökonomischer Notwendigkeiten ging, die Umwelt und die FCKW entdeckt. Die Londoner Konferenz hat in dieser Woche ähnliche Maßnahmen gefordert wie der Bericht, über den hier und heute abgestimmt werden soll. Erfreulich ist auch und sollte vom Deutschen Bundestag begrüßt werden, daß zwanzig weitere Länder in London erklärt haben, dem Wiener Abkommen beitreten zu wollen. Denn hier besteht immer noch eine offene Flanke. Die Bundesregierung sollte auch hier ihren Einfluß bei allen Gesprächen mit Nichtvertragsländern geltend machen, um noch mehr Staaten zu einem Beitritt zu bewegen. Da es sich bei den Nichtvertragsländern in erster Linie um sogenannte Entwicklungsländer handelt, müssen wir sicherstellen, daß Ersatzstoffe und Ersatztechnologien zur FCKW-Reduzierung zeitgleich weltweit zur Verfügung stehen. Dazu ist ein umfassender Technologietransfer nötig.
Obwohl die FDP staatlichen Kontrollmaßnahmen immer kritisch gegenübersteht, begrüßen wir, daß nach dem Montrealer Protokoll auch die Einhaltung der befaßten Beschlüsse überwacht wird.

(Beifall des Abg. Wolfgramm [Göttingen] [FDP])

Gerade auf internationalem Gebiet ist diese Kontrolle nicht verzichtbar. Denn ohne sie stünde zu befürchten, daß das Protokoll von einigen Vertragsstaaten ratifiziert, aber nicht umgesetzt würde. Eine fortlaufende Überprüfung kann diesem Risiko entgegenwirken.
Alles, was helfen könnte, die Reduzierung von Produktion und Verbrauch der FCKW über das angestrebte Ziel hinaus zu beschleunigen, wird von der FDP nachdrücklich unterstützt.

(Beifall bei der FDP)

Die Enquete-Kommission schlägt dazu unter anderem Vereinbarungen über Selbstverpflichtungen der Industrie und des Handels vor. Diese können sich z. B. beziehen auf Beschränkungen von FCKW im Aerosolbereich auf die Verwendung bei lebenserhaltenden medizinischen Systemen ab 1. Januar 1990, womit erreicht würde, daß weniger als 1 000 Tonnen pro Jahr gebraucht würden, auf eine Bleichlautende Beschränkung auch des Handels, wodurch der Import FCKW-haltiger Aerosole unterbunden würde, oder auf die Erstellung von Entsorgungskonzepten für den Kälte- und Klimabereich, sowie auf Kennzeichnungen im allgemeinen und insbesondere auf die Recyclingfähigkeit der Kältemittel.
Welche anderen Maßnahmen nötig sind, hängt insbesondere von der Beantwortung einer Reihe leider immer noch offener Fragen ab. Hier besteht Forschungsbedarf. Daher ist es zu begrüßen, daß der Bundesminister für Forschung und Technologie ein Ozon-Forschungsprogramm vorgelegt hat. Allerdings fehlt darin ein nationales Satellitenexperiment zur Erforschung der Erdatmosphäre. Die Satellitenbeobachtung ist aber von zentraler Bedeutung, da nur sie geeignet ist, die noch fehlenden, aber unverzicht-



Frau Dr. Segall
baren Daten zu ermitteln. Nochmals möchte ich darum auf den Beschluß, den Sie hier alle vorliegen haben, aufmerksam machen, in dem der Bundestag die Bundesregierung auffordert, einen konkreten Plan vorzulegen, der ein solches Projekt ermöglicht. Kontinuierliche Langzeitmessungen in der Nordhemisphäre, in der Antarktis und in den Ländern der Südhalbkugel sind die einzige Möglichkeit, um den Ozonabbau zuverlässig abzuschätzen. Auch Aussagen über natürliche Schwankungen der Ozonschicht sind bislang definitiv nicht möglich. Über diese Zusammenhänge müssen zuverlässige Daten erhoben werden. Dies ist bei dem Mangel an satellitengestützter Beobachtung nicht gewährleistet.
Die Bundesregierung fordere ich namens der FDP auf, mit den zuständigen Organisationen der lateinamerikanischen Länder Forschungsprogramme zu entwickeln, die geeignet sind, wissenschaftlich gesicherte Aussagen über die Ozonverteilung und die Auswirkung erhöhter UVB-Strahlung zu treffen.
Für die FDP-Fraktion möchte ich betonen, daß die besondere Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland wie auch anderer Industrienationen darin liegt, national beispielhaft voranzugehen, um so international glaubhaft für die notwendigen Schritte eintreten zu können.
Dabei ist es zu begrüßen, wenn der Bundeskanzler und der Außenminister persönlich deutlich machen, welche Wichtigkeit die Bundesrepublik Deutschland dem Klimaschutz beimißt. Bereits im vergangenen Jahr hat sich Bundeskanzler Kohl auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Toronto für die Verbesserung des Montrealer Protokolls eingesetzt. Der Weltwirtschaftsgipfel in diesem Jahr gibt nun die Möglichkeit, dies erneut zu tun. Schon die übermorgen beginnende Konferenz zum Schutz der Biosphäre in Den Haag sollte von der Bundesregierung genutzt werden, um gemeinsam mit den dort vertretenen europäischen Nachbarn wichtige Schritte zum Klimaschutz einzuleiten.
An die Bundesregierung appelliere ich darum, bereits diese Möglichkeit wahrzunehmen. Viel Zeit geben uns die Klimaveränderungen nicht mehr.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113101300
Das Wort hat der Bundesumweltminister.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nein! Erst Herr Knabe! — Dr. Knabe [GRÜNE]: Wenn Sie zuerst sprechen wollen, Herr Minister, gerne!)

— Entschuldigung, das Wort hat Herr Abgeordneter Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113101400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte es ja sehr begrüßt, Herrn Töpfer einmal vor mir sprechen zu hören, damit man auf seine Argumente eingehen kann.

(Fellner [CDU/CSU]: Er wollte ihn mal so richtig von hinten treten!)

So kann ich nur auf die der letzten Tage zu sprechen kommen.
Das Problem ist klar: Wir haben eine Veränderung der Atmosphäre, die Rückwirkungen auf den Menschen und auf die Natur hat. Was hat sich denn geändert? Was ist neu an dem Problem? Die jetzt zur Diskussion stehenden Schadstoffe wirken nicht am Ort der Entstehung, also nicht dort, wo ich mit einer Flasche mit CO2 oder mit FCKW stehe. Nein, dort passiert nichts; es passiert weit entfernt — räumlich und zeitlich. Die Raumdimension war angesprochen: die Stratosphäre, also 10, 15 bis 40 Kilometer über uns und weltweit verteilt, bis hin zur Antarktis.
Zeitlich verschoben ist das Ganze, weil diese Klimaänderung nicht plötzlich eintritt. Vielmehr macht sie sich jedes Jahr ein kleines bißchen mehr bemerkbar — mit wilden Zacken, mal nach oben, mal nach unten — , ändert sich irgend etwas mit dem Wetter und damit mit der Bodennutzung, mit dem Überleben der Pflanzen. Auch die FCKW wirken nicht direkt. Sie schwächen zunächst die Ozonschicht und erst indirekt, durch diese geschwächte Ozonschicht, kommt dann die schädliche Strahlung hier zur Wirkung. Also, eine andere Situation.
Und es ist noch etwas Neues: Die alten Rezepte zur Luftreinhaltung helfen hier nicht mehr.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Was hat man denn in der Luftreinhaltung — wir haben die Debatte gleich anschließend — gemacht? Man hat hohe Schornsteine gebaut, obwohl man wußte, daß die Verdünnung der Schadstoffe nicht die richtige Lösung ist. Aber hohe Schornsteine nützen absolut nichts gegen CO2, und sie nützen auch nichts gegen die FCKW; denn die wirken ja erst in der Gesamtheit der Atmosphäre.

(Dr. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Jetzt hält er wieder die Rede vom letzten Mal!)

— Ja, der Herr Lippold zweifelt das an, aber es stimmt trotzdem. — Und des weiteren hat man Filter eingebaut.

(Fellner [CDU/CSU]: Was richtig ist, soll man ruhig öfter sagen!)

— Ja, wir stimmen ja sehr oft überein, nicht wahr? —(Fellner [CDU/CSU]: Leider!)

Also, wir haben zur Luftreinhaltung Filter eingesetzt. Beim Auto wird der Katalysator als die Rettung angepriesen, als die Rettung für die Wälder. Dafür ist er zwar ganz gut, aber er nützt absolut nichts gegen das CO2, das aus dem Auspuff herauskommt. Da nützt es nur etwas, wenn man nicht fährt, wenn man langsamer fährt oder vier Mann in einem Wagen fahren. Ansonsten nützt nichts, kein Filter!
Gleiches gilt für Kraftwerke: Die Wäsche, die dort das SO2 herausholt, oder die Steuerung der Verbrennung mit dem Ziel, weniger Stickoxide anfallen zu lassen, nützt im Hinblick auf CO2 nichts; das geht raus. Und die FCKW kann man mit Filtern nur ganz, ganz schwer herausholen. Die sind viel zu inert, viel zu träge zur chemischen Reaktion. Man könnte bei kleinen Teilströmen — hat mir heute noch ein Chemi-



Dr. Knabe
ker von Hoechst gesagt, Dr. Hoffmann — vielleicht etwas machen, und zwar mit einem Filter mit Aktivkohle. Aber habt ihr einmal einen solchen Filter mit Aktivkohle gesehen? Da muß man Druck dransetzen, da muß man Pumpen dransetzen, da muß die Luft durchgepreßt werden. Das schafft man gar nicht, diese Energie aufzubringen. Das würde wieder neues Treibhausklima produzieren.
Also, wir haben neue Probleme; wir brauchen neue Entwicklungen, neue Strategien. Und da hat die Kommission in guter Zusammenarbeit einiges vorgelegt. Wir haben z. B. über Energieeinsparung nachgedacht, entweder durch Verzicht auf Dienstleistungen oder — was bei der Koalition natürlich viel besser ankommen wird — durch Effizienzsteigerungen auf der Produktionsseite, auf der Konsumptionsseite. Das sind die zwei Wege. Wir als GRÜNE meinen allerdings: Ganz ohne Verzicht geht es nicht. Denn das Gefälle des Lebensstandards zwischen Nord und Süd ist viel zu gewaltig.
Wir brauchen neue Methoden. Wir sind — deshalb haben die GRÜNEN dieser Beschlußempfehlung zugestimmt — sehr weit gegangen. Herr Schmidbauer hat sich nicht — wie Herr Töpfer — auf freiwillige Vereinbarungen beschränkt. Er hat vielmehr gesagt: Wenn die nicht kommen, müssen gesetzliche Regelungen her.

(Fellner [CDU/CSU]: Das sagt Herr Töpfer aber auch!)

— Ja, ja, Herr Töpfer hat inzwischen gelernt. Das ist erfreulich; also, man staunt ja darüber. —
Verbot: Was heißt denn „Verbot"? Wenn das Verbot eines Stoffes nötig ist und z. B. diese FCKW erstmals nicht mehr produziert werden dürfen, und zwar weltweit, dann stellt sich doch die Frage, ob das nicht auch für andere Stoffe nötig ist. Macht es denn einen großen Unterschied, ob ein Stoff nun in der Atmosphäre die Ozonschicht abbaut, so daß mehr Hautkrebs entsteht, oder ob ein anderer Stoff unmittelbar auf uns einwirkt und dann einen Lungenkrebs, einen Leberkrebs oder einen Hodenkrebs erzeugt? Das sind doch ähnliche Probleme! Wenn man mit dem Verbotsweg anfängt, muß man sich darüber im klaren sein, daß das den Beginn des Ausstiegs aus der Chlorchemie, aus der Halogenchemie bedeuten wird. Das hört die chemische Industrie nicht gern. Aber sie war erfindungsreich genug, diese Stoffe zu entwickeln. Ich hoffe, sie wird erfindungsreich genug sein, auch neue Stoffe zu finden, die nicht diese schädlichen Wirkungen hervorrufen, die nicht so langlebig und nicht auf so lange Dauer schädigend sind.
Die Forderung an die Bundesregierung ist ganz klar: International verhandeln, die FCKW müssen weg. Prima, daß Sie sagen: Das Ziel ist, die FCKW müssen verschwinden. Im Inneren müssen Sie die nötigen Vorschriften erlassen und endlich auch mit dem CO2 anfangen. Sie müssen endlich beim Verkehrssektor, der ein Viertel der Kohlendioxid-Emissionen herausbringt, anfangen. Die Beispiele hatte ich genannt. Da gibt es genug zu tun.
Natürlich ist auch der Verbraucher gefragt. Ist irgend jemand auf Grund des Treibhauseffektes bisher langsamer gefahren? Hat ein Abgeordneter auf seinen
Dienstwagen verzichtet? Ist er mit der Eisenbahn gefahren?

(Zurufe von der SPD und der CDU/CSU: Haben Sie einen Dienstwagen?)

— Nein, — —

(Zurufe von der SPD und der CDU/CSU: Aha! Erwischt! Ertappt!)

— Sie mögen reden. Ich frage selbstkritisch: Haben wir das gemacht, oder haben wir es nicht zuwenig gemacht? Ich meine, wir haben es alle zuwenig gemacht.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Reden Sie doch nicht von Dienstwagen, die wir gar nicht haben!)

— Ein Dienstwagen emittiert genausoviel CO2 wie ein Privatwagen; das müssen wir einfach akzeptieren.

(Fellner [CDU/CSU]: Der, der nichts hat, emittiert gar nichts!)

— Gut, ich habe ja nur gefragt, was sich geändert hat, und ich sage, es hat sich eben zuwenig geändert. Sind die Zeitungen dünner geworden, seitdem wir wissen, daß es den Treibhauseffekt gibt? Sind weniger WCReiniger eingebaut worden, für deren Erzeugung man ja Energie braucht? Ist in der letzten Zeit weniger Stickstoffdünger ausgetragen worden? Es ist zuwenig, und die Aufgaben sind gewaltig.
Wir brauchen natürlich auch Aufklärung. Ich habe neulich in einer Schule gesprochen. Eine Schulklasse ist ja nur bedingt interessiert. Die Schüler waren zwar interessiert. Aber als die Luft dann zu stickig wurde und die Leute einzuschlafen begannen, haben wir einfach ein Spiel angefangen. Da wurden Zweier- und Dreiergruppen aufgebaut. Die Zweiergruppen waren die Sauerstoffmoleküle ; die Dreiergruppen waren die Ozonmoleküle. Dann sauste ein wildgewordenes Chloratom, mit einer grünen Jacke drüber, und packte sich einen weg von der Dreiergruppe Ozon. Diese wurde so zerstört. Es ging zum nächsten und gab diese wieder ab. So kann man in solchen Spielen entwickeln, was sich hier abspielt.
Die GRÜNEN möchten auch auf das Problem der Regenwälder eingehen, das hier kurz angesprochen war, das jedoch nicht in der Beschlußempfehlung enthalten ist, weil wir uns noch intensiv mit diesem Thema befassen wollen. Aber wir müssen es heute schon nennen.
Der zweite Energiesektorkredit für Brasilien ist vom Bundeskanzler zunächst angehalten worden. Inzwischen sind die Weltbankverhandlungen auf Eis gelegt worden. Man hat sie abgebrochen. Aber es besteht die wirklich große Gefahr, daß das nur ein Vorwand ist und daß ein neuer Antrag dann ohne Schwierigkeiten genehmigt wird.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Was wollen denn die GRÜNEN eigentlich?)

— Die GRÜNEN wollen diese Regenwälder erhalten. Wir wissen im Unterschied zu vielen anderen, daß das nur mit den Naturvölkern zusammen möglich ist, mit den Menschen, die seit Jahrtausenden dort wohnen und die von dem Regenwald mit seinen Produkten,



Dr. Knabe
von seinen Tieren und von den Pflanzen, die dort vorkamen, gelebt haben, die z. B. die Paranüsse gesammelt haben oder die Affen erlegt haben, um davon zu leben. Wir wissen heute, daß in den Urwäldern mehr Eiweiß erzeugt wird als hinterher auf den extensiv genutzten Rinderweiden. Das heißt, diese Regenwälder müssen wir erhalten.
Aber — und nun kommt die Frage zu uns zurück — auf der Regenwaldkonferenz in Südamerika haben die Staaten jetzt klar gesagt: Was wollt ihr überhaupt? Was wir hier verbrennen, ist ein Bruchteil dessen, was ihr an Kohle und an Öl verbrennt. Hört doch auf mit eurer Autogesellschaft! Stoppt das doch! — Und was sagen wir dann? Wir stehen dieser Frage ziemlich hilflos gegenüber. Jeder weiß, daß man aus dieser Autogesellschaft nicht sofort aussteigen kann. Das wissen wir, auch die GRÜNEN. Die autofreie Stadt Berlin ist eine schöne Utopie. Aber sie ist zur Zeit nicht realisierb ar.

(Zuruf von der SPD: Zur Zeit?)

— Eine Utopie, die anstrebenswert wäre, aber zur Zeit nicht realisierbar ist.

(Reuschenbach [SPD]: Unter welchen Umständen denn? — Lennartz [SPD]: Wie machen wir das denn, Herr Knabe? Erzählen Sie mal!)

Deshalb muß man alles tun, um eine Weiterentwicklung des Autoverkehrs abzubremsen.

(Reuschenbach [SPD]: Wird es rationiert, wird es zugeteilt? — Weiterer Zuruf des Abg. Lennartz [SPD])

— Können Sie nicht eine ordentliche Frage stellen, Herr Lennartz? Dann wäre es einfacher zu antworten. Da ist doch ein Mikrophon.

(Lennartz [SPD]: Sie meinen Herrn Reuschenbach?!)

Ich habe von den Regenwäldern gesprochen, die wir erhalten müssen und die wir nur zusammen mit den dort lebenden Völkern erhalten können, aber auch nur zusammen mit den Staaten dort, die souverän sind, deren Souveränität wir achten und denen wir dafür etwas bieten müssen. Wir müssen ihnen auch eine Technologie bieten, die nicht eine weitere Umweltzerstörung bewirkt. Zum anderen müssen wir aber auch neue Vorbilder geben. Wir müssen selbst zeigen, daß wir mit weniger Energie auskommen, daß wir in der Lage sind, die Gesellschaft zu entwickeln, daß wir uns wohl fühlen mit weniger materiellem Verbrauch als heute.
Die Belastung der Umwelt durch die Spurengase, durch die FCKW und das CO2 ist so groß, daß wir so nicht weitermachen können.
Abschließend zur Kommission: Die Kommissionsarbeit war der Versuch, einem Problem gerecht zu werden. Dieser Versuch wurde unterstützt durch die anwesenden Wissenschaftler. Wir haben auch unterschiedliche Meinungen; ganz klar. Wenn es heißt 95 % Reduzierung, dann meinen wir, daß das 100 % bedeuten muß. Die anderen sind großzügig genug, uns das zuzugestehen. Vielleicht sind sie sogar der gleichen Meinung.
Wir glauben nicht, daß die Atomenergie einen Ausweg darstellt. Die-Kosten für den Ausbau wären unerschwinglich. Das Risiko des Weiterbetriebes ist einfach zu groß. Die Gefahr, daß eine aggressive Marktpolitik etwa der französischen Elektrizitätsindustrie jede Energieeinsparung erstickt, ist ebenfalls zu groß.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Frau Dr. Segall [FDP])


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113101500
Das Wort hat jetzt der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113101600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich der Enquete-Kommission, ihrem Vorsitzenden und allen Mitgliedern, sehr herzlich zu der wirklich überzeugenden, respektablen Arbeit gratulieren, die sie vorgelegt hat. Diese Arbeit ist für die Bundesregierung von großer Bedeutung. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit der Enquete-Kommission auch in den jetzt vor uns liegenden Arbeitsfeldern.
Die bisherigen Arbeitsergebnisse haben mit ihren anspruchsvollen, herausfordernden Empfehlungen und mit ihren Forderungen sicherlich dazu beigetragen, daß wir europaweit und weltweit die jetzige Position erreicht haben. Sie hat in den letzten Tagen eine deutliche Bestätigung gefunden.
Der vorgelegte Zwischenbericht hat bei uns Zwischenerfolge zum Schutz der Ozonschicht und der Erdatmosphäre möglich gemacht. Für uns gilt ganz eindeutig und ohne Abstriche: FCKW so schnell wie möglich ganz weg ohne Umstieg auf andere umweltgefährdende oder besorgniserregende Stoffe. Dabei führen wir die internationale Diskussion — in Europa und weltweit — mit an.
Lassen Sie mich nur einige Belege dafür vortragen. 123 Staaten haben sich zu Beginn dieser Woche in London zur Konferenz zur Rettung der Ozonschicht zusammengefunden. Als Teilnehmer an dieser Ministerkonferenz kann ich dem Deutschen Bundestag und jedem einzelnen Bürger meinen wichtigsten Eindruck vermitteln: Es herrscht weltweit die Einsicht, daß wir heute gemeinsam handeln müssen, um das Morgen sicher zu erreichen. Es gibt nur noch ganz wenige Staaten, die einen Zweifel an der wissenschaftlichen Nachweisführung äußern. Die Sowjetunion war der einzige Staat, der eigentlich noch einmal deutlich herausgestellt hat, man brauche noch weitere Forschungsergebnisse. Aber das war wirklich eine fast isolierte Position. Ansonsten wurde klar und eindeutig die Meinung vertreten: Hier ist nicht mehr zu forschen, sondern hier ist zu handeln, hier ist zu entscheiden.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr wahr!)

Präsident arap Moi aus Kenia hat in seiner Eröffnungsansprache auf dieser wichtigen Konferenz



Bundesminister Dr. Töpfer
daran erinnert, daß der Mensch Hand an die ursprünglich intakte Schöpfung legt und daß allein die Partnerschaft aller Nationen die schützende Ozonschicht erhalten und auch den Treibhauseffekt entsprechend bekämpfen kann.
Meine Damen und Herren, immer mehr findet die Überschrift, die der Bundeskanzler seiner Regierungserklärung für diese Legislaturperiode gegeben hat, ihre Bestätigung: Schöpfung bewahren, damit Zukunft gestaltet werden kann. Dies ist etwas, was in der Zeit, als diese Regierungserklärung abgegeben wurde, vielleicht noch als emotional oder vielleicht als nicht sicher abgeklärt angesehen wurde. Aber diese Überschrift ist international mehr und mehr zum Leitmotiv geworden.
Es ist auch ganz unstrittig: Was wir brauchen, ist ein Vollkostenprinzip unseres heutigen Wohlstands. Wir wollen die Kosten dieses Wohlstands nicht anderen — weder weltweit noch kommenden Generationen — überbürden, sondern wir wollen die Preise so auszeichnen, daß sie die vollen Kosten erfassen. Nichts anderes ist das Verursacherprinzip. Nichts anderes führt auch zu dauerhafter Weiterentwicklung, Um- und Ausbau unserer Volkswirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, es freut uns — ich nehme hier zum erstenmal den Begriff des Konsenses auf; ich komme darauf zurück — , daß wir uns ja fast schon bis in die Begriffe hinein einigen. Es freut mich, wenn der Abgeordnete Schäfer heute von einer „Umweltpartnerschaft" spricht. Ich könnte mir vorstellen, daß ich ohne große Schwierigkeiten auch beim Nachblättern meiner Reden immer und immer wieder finde, daß wir von internationaler Risikopartnerschaft sprechen, die eine Antwort in einer internationalen Umweltpartnerschaft finden muß. All dies ist konsensfähig.
Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal: Wir können doch beim besten Willen nicht ein internationales solidarisches Handeln auf diesem Gebiet fordern, wenn wir uns innerhalb der Bundesrepublik Deutschland noch nicht einmal zwischen den Parteien über das einigen können, was dafür notwendig ist. Dies wäre eigentlich ein Beleg dafür, wie unmöglich es ist, international zu einem Konsens zu kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Indem ich das aufgreife, was hier gesagt worden ist, wiederhole ich: Deswegen heißt „konservativ" für mich im guten, modernen Sinne, daß wir aus Respekt vor der Schöpfung Zukunft gestalten. Genau das findet sich in der wahrsten Übersetzung des Wortes conservare — bewahren, erhalten — wieder.
Ich habe in dieser Konferenz auch eine ganz konkrete politisch-praktische Überzeugung gewonnen. Die Politik der Bundesregierung zum Schutz der Ozonschicht kann im internationalen Vergleich ganz ohne jeden Zweifel jeden Vergleich aushalten: Es gibt international keine Nation, die in dem, was getan wurde, oder in dem, was sie sich vorgenommen hat, weiter ist als die Bundesrepublik Deutschland. Es gibt keine andere Nation. Ich fordere jeden auf, uns das
Gegenteil zu beweisen. Wir werden dies sehr, sehr genau überprüfen.
Ich erinnere zunächst an die Beschlüsse des Rates der Umweltminister in Brüssel vom 2. März 1989. Das ist gerade eine Woche her. Da so häufig negativ über die europäische Umweltgemeinschaft gesprochen wird, möchte ich hier doch auch einmal folgendes deutlich machen: Wir haben dort festgelegt, daß die Erzeugung und der Verbrauch der ozonschädigenden Stoffe bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts vollständig abgebaut werden sollen. Sowohl in der Gemeinschaft als auch weltweit müssen daher so bald wie möglich Reduktionsquoten von mindestens 85 % erreicht werden. Mit dieser Zielsetzung ist das Montrealer Protokoll zu verschärfen. Dieses sind — fast dekkungsgleich — die Forderungen, die der Zwischenbericht der Enquete-Kommission an die europäische Dimension gestellt hat.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Und die Forderungen der CDU/CSU-Fraktion!)

— Und die der CDU/CSU-Fraktion, wie sie hier gerade vorgetragen wurden. Das ist fast deckungsgleich. Sie unterscheiden sich noch zwischen 85 und 95 % , und sie unterscheiden sich noch in der Fixierung, bis wann das erreicht wird. Aber das ist zwischenzeitlich durch das nachgebessert, was der neue europäische Umweltkommissar Ripa di Meana in der Londoner Konferenz mit unserer nachhaltigen Unterstützung konkretisierend hinzugefügt hat. Er hat nämlich gesagt: Dies bedeutet für uns 85 % bis Mitte des kommenden Jahrzehnts und früher als „nur" zum Ende des kommenden Jahrzehnts, auch ein Outphasing, also ein Beseitigen. Das ist exakt die Position, die wir in Brüssel maßgeblich gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten vertreten haben.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, das einmal mit dem Zustand vor zwölf Monaten vergleichen, als wir unter unserem Vorsitz in Brüssel das Montreal-Protokoll im europäischen Bereich umgesetzt haben, dann sehen Sie, was sich hier durch die beharrliche Bemühung verändert hat. Ich sage noch einmal: Dies beziehe ich keineswegs ausschließlich auf die Tätigkeit der Bundesregierung, da hat uns die EnqueteKommission maßgebliche Unterstützung mitgegeben, für die ich ebenfalls zu danken habe.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber auch die Wissenschaft insgesamt!)

— Herr Abgeordneter Stahl, daß dazu natürlich bei uns und bei anderen die Wissenschaft eine Rolle gespielt hat, ist überhaupt keine Frage. Aber im allgemeinen ist ja leider Gottes der Zeitsprung zwischen wissenschaftlicher Fixierung und politischer Handlung etwas anders, als wir das hier gesehen haben. Ich glaube, das geht so gut weiter.

(Lennartz [SPD]: Das liegt nicht an der Wissenschaft!)

Dies ist auch nicht von allein gekommen. Ich habe im November letzten Jahres ein FCKW-Memorandum in die EG eingebracht. Wir wollten das, was wir in der letzten Woche erreicht haben, schon im Novemberrat haben. Wir haben es im Novemberrat noch nicht bekommen, aber wir sind durch unser Memo-



Bundesminister Dr. Töpfer
randum diejenigen gewesen, die es angestoßen und vorangetrieben haben. Ich sage noch einmal: Dies ist kein Beleg — an keiner Stelle — für falsche Selbstzufriedenheit mit dem Erreichten, aber es ist zumindest der Hinweis darauf, daß die Kritiker nun wirklich nicht mehr sagen können, wir würden an irgendeiner Stelle nur reden und fordern. Nein, hier ist gehandelt worden, und dies wird weiterhin genau unsere Marschroute sein und bleiben.
Bleiben wird für uns auch das andere Ziel, das hier vom Abgeordneten Schmidbauer angesprochen worden ist, auch von Herrn Schäfer unterstrichen worden ist, was Enquete-Kommissions-Position ist, und auch Frau Segall hat es gesagt. Für uns ist und bleibt das klare Ziel: Ende mit FCKW im Jahr 1995/96.
Herr Abgeordneter Knabe, Sie haben immer das Schicksal, vor mir reden zu müssen, was mich fast schon bedrückt.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Jetzt haben Sie übertrieben! — Heiterkeit)

— Frau Präsidentin, ich darf mit großer Nachdrücklichkeit bitten zu Protokoll zu nehmen, daß der Abgeordnete Schäfer erst an dieser Stelle zum erstenmal darauf hingewiesen hat, daß ich übertrieben hätte.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Er hat auch sonst übertrieben, einverstanden!)

Unsere Politik findet internationale Zustimmung und Beifall. Die USA, Kanada sind eindeutig der Überzeugung, daß die Signale richtig gestellt sind. Ich hatte Gelegenheit, in London mit dem neuen EPAAdministrator, mit William Reilly, zu sprechen. Wir werden ihn in Kürze wiedersehen. Wir sind insgesamt der Überzeugung, daß es eine außerordentlich gut abgestimmte Zusammenarbeit in der Umweltpolitik über den Atlantik hinweg gibt, mit den USA, mit Kanada. Die Tatsache, daß das am Wochenende seine Fortsetzung findet, ist ein Beleg dafür.
Wir haben national gehandelt. Wir sind im Aerosolbereich so weit gekommen, wie wir es uns in einem ersten Schritt vorgenommen haben. Der Abgeordnete Schäfer hat mir die Freude gemacht, zu sagen, Prinz Charles habe gesagt, vor zehn Jahren hätte man das tun sollen. Man muß sich das auf der Zunge zergehen lassen: Vor zehn Jahren hätte man das tun sollen. Ich greife das mit den zehn Jahren einmal auf: Vor zehn Jahren hatten wir im Aerosolbereich noch etwa um die 50 000 Tonnen FCKW. 1976 waren es genau 56 000.

(Baum [FDP]: Sie wissen, daß wir damals angefangen haben! Die wissenschaftlichen Erkenntnisse waren anders! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Jetzt haben Sie Herrn Baum schwer angegriffen!)

— Nachdem der Abgeordnete Schmidbauer bereits die entsprechende Brücke geschlagen hat, wollte ich dies gerade aufgreifen: Dieses ist in einem ersten Schritt in der Abmachung um die Wende dieses Jahrzehnts verändert worden, und wir haben 1986 insgesamt noch 26 000 t gehabt; das war die erste Halbierung.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Wir haben das immerhin schon um ein Drittel reduziert seit Mitte der 70er Jahre!)

— Habe ich das denn bestritten? Ich nehme doch genau das auf und will die Zahlen zu Ende führen. — Dann gab es einen Punkt, wo international etwas Ruhe eintrat. Diese Ruhe ist beendet. Wir sind nun von 26 000 t 1986 auf 4 800 t im Jahre 1988 gekommen. Wir werden im Jahre 1989 weiterhin einen Strich nach unten setzen können, und wir hoffen, daß wir diese 1 000 t ins Visier nehmen können. Dies ist nicht eine wie auch immer geartete Werbeaussage des deutschen Bundesministers für Umwelt, sondern das sind Fakten, sind Zahlen, die man vorlegen kann.
Daß diese Zahlen nicht auf schlechtem Wege erreicht wurden, belegt mir die Tatsache, daß wir international denselben Weg nachvollzogen sehen: Die Franzosen haben im Februar ein vergleichbares Abkommen mit ihrer Aerosolindustrie gemacht; die Europäische Kommission macht dasselbe europaweit.
Also, bezogen auf das Instrument und den Erfolg können wir sagen: Hier ist nicht die Lippe voll genommen worden, sondern hier ist gehandelt worden. Am besten sehe ich mich immer dadurch bestätigt, wenn ich betrachte, mit welcher nachdrücklichen Kommentierung aus den Reihen der SPD dieses begleitet wird. Dies scheint mir ein Beleg dafür zu sein, daß ich recht habe.
Gleiches tun wir in Aufnahme dessen, was hier vorgetragen worden ist, bei den Kühlgeräten. Wir sind in London als beispielgebend dafür hingestellt worden, daß wir das Recycling bei Kühlgeräten in Angriff genommen haben. Die Europäer wollen das übernehmen und daraus lernen. Wir sind im Bereich der Schaumstoffe in die Gespräche hineingegangen; es liegen erste Zwischenergebnisse vor, die ich hier noch nicht vortragen will, weil ich sie noch nicht endgültig und rund habe; aber dies wird bei Schaumstoffen ganz genauso passieren.
Lassen Sie mich wiederholen: Für mich gilt es nicht, so etwas wie einen Ausschließlichkeitsanspruch für das eine oder andere Instrument zu erheben. Ich will das Ziel erreichen. Wenn ich das Ziel in einer vernünftigen Übereinstimmung mit denen, die anbieten, erreichen kann, dann kann ich es auf diesem Gebiet am besten und am schnellsten erreichen. Wir haben aber nie einen Hehl daraus gemacht, daß, wenn dies nicht geht, wir vorhandenes gesetzliches Instrumentarium nutzen und, wenn es nicht hinreicht, verbessern. Deswegen machen wir u. a. ein neues Chemikaliengesetz, und deswegen nutzen wir sowohl das Chemikaliengesetz als auch das Abfallbeseitigungsgesetz, um diese Sache wirklich glaubwürdig für jeden, mit dem wir sprechen, absichern zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Die Jahreszahl fehlt noch für dieses Ziel!)

— Ich habe mich auf die Zahl bezogen, die die Enquete-Kommission genannt hat. Ich habe ganz deutlich gesagt, daß die Produktion der FCKW bis 1995,



Bundesminister Dr. Töpfer
1996 auslaufen soll, aber ich wiederhole mich gern. Ich habe mich auf den Abgeordneten Knabe bezogen.
Meine Damen und Herren, wenn man über FCKW spricht, muß man auch über die Ozonschicht sprechen, muß man aber auch über den Treibhauseffekt sprechen. 20 % Verursachung an dem Treibhauseffekt gehen auf die FCKW zurück; auch deswegen ist es wichtig, dies anzusprechen. Ich sage in der Kürze des dafür verfügbaren Zeitraums: Wir brauchen für die Treibhausfrage genau dieselbe internationale Solidarität,

(Baum [FDP]: Sehr richtig!)

wie wir sie für die FCKW brauchen. Daß heißt, wir brauchen eine vergleichbare Konvention und ein Übereinkommen wie in Wien für die FCKW und CO2 und ein entsprechendes Protokoll dafür. Ich bin ebenfalls der Meinung, daß wir das gleiche für die tropischen Regenwälder brauchen und auch dafür ein entsprechendes Protokoll.
Aber eins muß ich ganz deutlich dazu sagen: Wir werden das Montrealer Protokoll, über das wir Anfang Mai in Helsinki weiter diskutieren und das dann in der Revisionssitzung im nächsten Jahr, also 1990 auf dem Prüfstein steht, weltweit in unserem Sinne nur voranbringen können, wenn wir eine entwicklungspolitische Absicherung für die Entwicklungsländer zustandebringen.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das stimmt!)

Sonst werden wir das nicht erreichen; ich sage das schlicht und einfach. Wir können den Entwicklungsländern den Umweg über eine FCKW-Industriestruktur nur ersparen oder abnehmen, wenn wir dazu beitragen, daß sie die Substitute und die Technologien von uns bekommen; sonst werden wir das nicht erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Der chinesische Kollege und der indische Kollege haben das in London mit seltener Klarheit und Deutlichkeit so gesagt. Das können Sie überhaupt nicht übersehen.
Deswegen sage ich noch einmal: Die Aufgabe, die jetzt vor uns steht, ist nicht mehr in der Frage zu sehen: Wer bietet mehr, und wer bietet ein Jahr früher was? Das, was vor uns steht, ist vielmehr die Frage: Wer geht in diese Solidarität mit den Entwicklungsländern hinein? Daran entscheidet es sich. Nicht die Zahlen allein sind es.
Meine Damen und Herren, die Entwicklungsländer haben im Montrealer Protokoll einen FCKW-Verbrauch von 0,3 kg pro Kopf und Jahr für sich in Anspruch genommen. Unser gegenwärtiger Ansatz liegt bei etwa 0,9 kg pro Kopf und Jahr. Der Verbrauch in den USA liegt bei 1,3 oder 1,4 kg pro Kopf und Jahr. Wenn Sie diese Zahlen nebeneinander sehen, wissen Sie, wo die Aufgaben jetzt liegen.
Lassen Sie mich ganz zum Schluß noch einmal zur Konsensfrage zurückkehren. Herr Abgeordneter Schäfer, wir haben sehr genau zugehört, als Sie vom energiepolitischen Konsens gesprochen haben. Da möchte ich nur einmal ganz knapp folgendes festhalten. Für mich gibt es vier Punkte, vier Eckpfeiler, auf die sich dieser Konsens gründen muß:
Erstens geht es um die Frage des sparsamen und effizienten Einsatzes von Energie. Hier haben diese Bundesregierung und die vorhergehenden bereits eine wesentliche Veränderung erreicht, nämlich das Abkoppeln des wirtschaftlichen Wachstums vom Energieverbrauch.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Im Gegenteil! — Weiterer Zuruf von der SPD: Diese Regierung nicht!)

Zum zweiten brauchen wir eine Weiterentwicklung und eine Nutzung regenerativer Energiequellen. Es gibt europa- und weltweit keine Regierung, die für die Erforschung regenerativer Energien mehr Geld ausgibt als diese Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Auch das ist nicht wahr!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113101700
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Flinner?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113101800
Frau Präsidentin, ich würde es fürchterlich gern tun, aber das rote Licht leuchtet bereits.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113101900
Schon seit einer Weile, aber die Zeit wird Ihnen nicht angerechnet.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113102000
Dann darf ich herzlich darum bitten.

Dora Flinner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1113102100
Herr Minister, wir haben gestern im Ausschuß über die Erwärmung der Erdatmosphäre beraten. Wir wissen, daß dabei der Stickstoffeinsatz eine wesentliche Rolle spielt. Was unternehmen Sie, um den Stickstoffeinsatz zu reduzieren? Ich denke z. B. an das Halmverkürzerverbot, also daran, daß man nicht mehr so viel Stickstoff ausbringen kann. Meine Frage bezieht sich aber auch auf den tropischen Regenwald. Was unternehmen Sie konkret, damit dieser Wald geschützt wird? Bei uns im Agrarausschuß wird darüber ganz anders diskutiert als bei Ihnen. Und wie kann der Sojaanbau reduziert werden? Durch die Massentierhaltung bei uns wird der Treibhauseffekt ja auch verstärkt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113102200
Frau Abgeordnete, Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich hier jetzt nicht eine agrarpolitische Debatte beginnen kann. Ich weiß, daß sich die Enquete-Kommission auch sehr intensiv mit den Fragen von Stickstoff und Methan beschäftigt. Wir werden hier eine Diskussion über den Endbericht haben, und Sie dürfen gerne davon ausgehen, daß wir Ihnen eine sehr überzeugende Antwort auf all diese Fragen vorlegen können, bis hin zum tropischen Regenwald, über den wir an dieser Stelle, im Ausschuß und an anderer Stelle ebenfalls gesprochen haben.



Bundesminister Dr. Töpfer
Lassen Sie mich nun ein Letztes zu dem energiepolitischen Konsens sagen: Der dritte Punkt ist die umweltfreundliche Nutzung fossiler Energieträger. Darüber werden wir heute noch im Zusammenhang mit dem Immissionsschutzbericht zu sprechen haben.
Der vierte Punkt ist die Frage, welche Rolle die Kernenergie spielt. Auch das wollen wir doch noch einmal weiter eingrenzen, Herr Abgeordneter Schäfer. Es kann ganz offenbar überhaupt keinen Dissens darüber geben, daß wir uns gemeinsam der Frage der Entsorgung von Kernkraftwerksabfällen widmen.

(Lennartz [SPD]: Richtig!)

Dann kann es wohl auch überhaupt keine Diskussion darüber geben, daß wir gemeinsam die Sicherheit von Kernkraftwerken mit zu verantworten haben, gemeinsam in allen Ländern, von Herrn Jansen bis zu Herrn Dick.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Richtig! — Lennartz [SPD]: Da stimmen wir total überein! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Aber warum regen Sie sich eigentlich so auf?)

— Herr Abgeordneter Schäfer, Sie müßten mich einmal erleben, wenn ich mich wirklich aufrege.

(Heiterkeit)

Nach meinem Verständnis habe ich mich eben wirklich nicht aufgeregt.

(Lennartz [SPD]: Die arme Familie!)

Meine Damen und Herren, wenn Sie zu all dem ja gesagt haben, dann gehen Sie bitte erst hin und korrigieren Sie Ihre Aussagen auch in der Öffentlichkeit, bevor Sie wieder zurückkommen und uns hier einen Konsens in der Energiepolitik abfordern.
Ich darf Ihnen sehr herzlich danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113102300
Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Düsseldorf).

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1113102400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Segall, der Tagesordnungspunkt heißt insgesamt „Bericht der Enquete-Kommission" . Insofern werde ich in Anspruch nehmen, hier über die Klimaproblematik zu reden. Frau Ganseforth redet über die Ozonproblematik; nur damit Sie sich darüber im klaren sind.
Der Bericht der Enquete-Kommission belegt, daß wir mit dem fortgesetzten Atmosphärenkrieg der Menschheit die Erde auf eine globale Umweltkrise zusteuern. Diese besteht in zweierlei Hinsicht:
Erstens. Wir haben in der Zwischenzeit eine globale Ausdünnung der lebenswichtigen Ozonschicht zwischen 3 % und 10 %. Es ist problematisch, wenn immer nur vom Ozonloch geredet wird. Es geht vielmehr um die weltweite Ausdünnung der Ozonschicht.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Das ist es!)

Damit verliert die Sonne sozusagen ihre Sonnenbrille und die Erde ihren Schutz vor harten Strahlen.
Zweitens. Es geht um die Aufheizung des Treibhauses Erde, d. h. die Erde wird zu einer fatalen Wärmefalle.
Die Ursachen hierfür sind sicherlich auch Bequemlichkeit und Unwissenheit, aber sie bestehen vor allem in dreierlei Hinsicht: erstens in einem falschen Verständnis von wirtschaftlicher und technischer Entwicklung, die die Dimensionen von Zeit und Raum verloren hat,

(Beifall bei der SPD)

zweitens bornierte Einzelinteressen, wobei ich insbesondere rücksichtslos operierende Wirtschaftsgruppen nenne,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

und drittens — auch das muß man in aller Deutlichkeit sehen — falsche kulturelle Leitbilder, die wir von Verantwortung und Zukunft haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Menschliches Handeln ist natürlich schon seit Jahrhunderten dabei, auf verschiedene Weise Ökologie und Klima der Erde sowie die Zusammensetzung der Atmosphäre zu verändern, beispielsweise durch den beängstigenden Abbau der Wälder, durch die Freisetzung von Staubpartikeln und Gasemissionen oder auch durch die Versiegelung der Böden. Wir müssen aber sehen: Wir haben in den letzten 150 Jahren — das ist die Zeit der Industriegeschichte — in einer beschleunigten und globalen Weise industrielle Handlungsprozesse und industrielle Entwicklungstätigkeiten in Gang gesetzt, die zu einer neuen globalen und bedrohlichen Dimension von Umweltzerstörung geführt haben. Das heißt, es geht eben nicht nur darum zu sagen: „Es gab schon immer Umweltzerstörung" , sondern wir müssen auch darüber nachdenken, ob unsere industriellen Handlungsweisen nicht aus sich heraus, in der Form, wie wir sie organisieren, einen Mechanismus der ökologischen Selbstzerstörung beinhalten.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Atmosphäre hat eine einzigartige Funktion als lebenserhaltendes System, die man nicht ohne weiteres wieder herstellen kann. Zudem bestehen enge uns weitgehend noch nicht bekannte Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre und anderen Bereichen des Klimasystems: Ozeane, Landflächen, Tier- und Pflanzenleben, Eis- und Schneeschichten. Dieses komplizierte System ist zur Zeit dabei, außer Kontrolle zu geraten. Wir wissen nicht, was passiert, wenn dieses Außer-Kontrolle-Geraten immer schneller wird, und welche Folge- und Kumulationswirkungen dadurch entstehen. Wir wissen nur, daß vor allem in den letzten 20 Jahren die Emission von ozon- und klimaschädlichen Gasen rapide zugenommen hat.
Wir haben heute eine mittlere Erdtemperatur von ca. 15 °. Die Temperatur auf der Erde wäre ohne die Schutzschicht um die Erde etwa minus 18 °. Durch die Lufthülle, insbesondere durch die Kombination von Wasserdampf und Kohlendioxid, ist die Erde in der Lage, einen Teil der Sonnenstrahlen zurückzuhalten, also die Wärmestrahlen in einer gewissen Weise zu binden, und dadurch die Erde um ca. 33 ° zu erwär-



Müller (Düsseldorf)

men. Das führt dazu, daß Leben auf der Erde möglich ist. In der Klimageschichte hat es bei den Bemittelten Temperaturen nur Schwankungen zwischen etwa 10,5 ° und 16 °C gegeben.
Wenn wir nun davon ausgehen, daß wir heute etwa 15,3 °C haben und daß von diesen 15,3 ° ungefähr 0,7 ° auf industrielle Handlungsweisen zurückgehen — wobei wir wissen, daß die Temperaturerhöhung eigentlich noch höher ist, weil nämlich ein Teil des CO2 durch die Wärmekapazität der Meere gespeichert wird — , und wenn wir zugleich davon ausgehen, daß die Erhöhung in einem engen Zusammenhang mit der Zunahme der Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre, nämlich um 25 %, steht, dann können wir daraus schließen, daß es zum erstenmal nicht natürliche Schwankungen sind, sondern daß der Mensch damit, daß er die Zusammensetzung der Atmosphäre ganz gravierend verändert, Temperatur und Klima künstlich verändert.
Es gibt eine Prognose des World Resources Institute, die besagt: Wenn der Anstieg des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre so weitergeht, müssen wir mit einer Verdoppelung etwa im Jahre 2075 rechnen. Das bedeutet bei der 0,7-Grad-Erhöhung, hochgerechnet, daß dann eine Temperaturerhöhung von 3 °C die Konsequenz wäre. Wir müssen wissen: Das wäre bereits eine Temperatur, die es in der Klimageschichte noch nicht gegeben hat.
Nun kommt aber ein zweites hinzu. Seit zehn Jahren wissen wir nämlich, daß nicht nur der steigende Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre die Temperatur verändert, sondern auch eine Reihe weiterer klimarelevanter Treibhausgase, von denen der Ozonkiller FCKW nur eines ist. Das World Resources Institute kommt zu folgendem Ergebnis. Es geht dabei von den Daten von 1986 aus, wonach diese anderen Treibhausgase inzwischen ein Äquivalent der CO2-Emissionen erreicht haben, also 50 Prozent der Erwärmung ausmachen. Dies sagt: Wenn man den Trend hochrechnet, haben wir bereits im Jahr 2030 mit einer Temperaturerhöhung um 3 Grad zu rechnen. Das macht die Bedrohlichkeit der Situation vollends deutlich. Schon fast in Generationssicht müssen wir mit derart globalen Klimaveränderungen rechnen, wie wir sie aus der Klimageschichte und aus der Menschheitsgeschichte nicht kennen. Dabei gibt es eine Reihe unsicherer Fragen, beispielsweise: Bleibt die Wärmekapazität der Meere so? Wie verändern sich beispielsweise die Wechselwirkungen zwischen Wolkensystem und Erdoberfläche?
Mit anderen Worten, wir stehen vor einer Jahrhundertherausforderung. Das bedeutet sowohl grundsätzliche Veränderungen in unseren Denkweisen als auch — erst recht — konsequentes Handeln.
Klimaveränderungen — auch das muß man sehen — verhalten sich wie ein großes Schiff. Wenn bei einem großen Schiff die Motoren abgestellt werden, schwimmt es dennoch vorerst weiter. Auch Klimaveränderungen haben einen langen Bremsweg.
Das bedeutet in der Konsequenz: Wenn wir nicht in der Lage sind, in den nächsten 10 bis 15 Jahren Korrekturen durchzuführen, werden wir bestimmte globale Veränderungen insbesondere in sensiblen Bereichen unserer Erde nicht mehr verhindern können.
Ich nenne ein paar Folgen, die absehbar sind. Dazu gehören irreversible Schäden am Ökosystem. Wir können — das verdichtet sich in der wissenschaftlichen Diskussion etwas — auch erhebliche evolutionsbiologische Folgen nicht mehr ausschließen. Das ist dramatisch.
Zweitens. Wir erleben eine weitreichende Verschiebung von Klimazonen. Wir wissen, daß schon diese relativ geringe Erhöhung um 0,7 °C zu vermehrten Wirbelstürmen, Ausweitung von Dürrezonen, Ausbleiben von Regenfällen etc. führt.
Wir müssen drittens damit rechnen, daß es gewaltige Hungerkatastrophen gibt. Ich nenne Ihnen nur ein einziges Beispiel. Eine Erhöhung um 3 °C kann die Konsequenz haben, daß das fruchtbare Nildelta in Ägypten überflutet und versalzen wird. Das bedeutet die Zerstörung der Ernährungsgrundlage für 30 Millionen Menschen — jeder muß sich darüber im klaren sein, was das bedeutet — und natürlich in der Konsequenz dann auch Völkerwanderungen.
Das Grundproblem ist: die Gefahr ist real, aber bei uns erst wenig greifbar, und wenn wir sie spüren, ist es in der Regel für konsequentes Handeln zu spät.
Ich bleibe bei den Aussagen des World Resources Institute. Es sagt: Nimmt man die bisherigen Erfahrungen der Menschheit im Umgang mit Umweltproblemen, so bleiben nur zwei Möglichkeiten: Wir treffen schon jetzt Vorbereitungen, um uns einigermaßen vor der Katastrophe zu schützen, beispielsweise durch Umsiedlungsprogramme, Schutz von gefährdeten Landstrichen und veränderte Ernährungsgrundlagen, oder wir sind in der Lage, durch eine Reihe von Maßnahmen den Eintritt der Klimaproblematik und des Klimakollaps zeitlich nach hinten zu verschieben.
Das World Resources Institute sagt in einer Studie, daß auf Grund der bisherigen Verhaltensweisen und Industralisierungsformen eigentlich keine Chance besteht, eine Klimakatastrophe zu verhindern.
Ich will mich dieser düsteren Prognose nicht anschließen. Ich glaube, es gibt auch Hoffnungsvolles, beispielsweise das, was in den letzten Monaten an Bewußtseinsbildung in Gang gekommen ist. Das stimmt mich positiv.
Aber ich sage in aller Deutlichkeit: Es geht nicht nur um einzelne Maßnahmen, nicht nur um Korrekturen in Teilbereichen, sondern um einen radikalen Umbau industrieller Entwicklungsweisen. Das heißt, es geht um eine neue Qualität des Zusammenlebens der Menschheit, sowohl in den Industrieländern als auch zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb, meine Damen und Herren, beteilige ich mich auch nicht an dem für mich etwas unsinnigen Streit um die Atomenergie.

(Beifall des Abg. Schmidbauer — Stahl [Kempen] [SPD]: Sehr gut!)

— Ich sage, warum ich den für unwichtig halte. Sie werden dann vielleicht nicht mehr klatschen.



Müller (Düsseldorf)

Es geht um einen Entwicklungspfad, der sowohl sozialverträglich als auch umweltschonend als auch risikoarm ist.

(Frau Blunck [SPD]: Richtig!)

Wenn ich die Atomenergie nehme, trifft das nicht zu.

(Beifall bei der SPD)

Auch die Atomenergie birgt beispielsweise erhebliche Gefahren für die atmosphärische Zusammensetzung

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Krypton 85!)

— beispielsweise durch Krypton 85. Und wer will sagen, sie sei risikoarm? Wer will wagen, das hier zu sagen?
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen uns von einer Reihe von Illusionen befreien, wir könnten ohne tiefgreifende Einschnitte den Klimakollaps verhindern.
Ich möchte noch eine Schlußbemerkung zum Thema „Politik" machen. Auch ich glaube, daß die Probleme nicht ohne einen neuen Stil in der Politik lösbar sind. Das bedeutet aber nicht weniger an Streit, sondern es bedeutet eher mehr produktiven Streit. Das ist etwas anderes.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Sehr gut!)

Ich warne davor, alles mit Harmonie und Konsens überdecken zu wollen. Es geht um einen produktiven, um einen offenen, um einen diskursiven Streit. Wir müssen aufhören, uns nur mit festgefügten Positionen zu begegnen und gar nicht mehr lernfähig zu sein.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Wichtigste ist, auf der Basis klarer Positionen einen inhaltlichen Meinungsaustausch zu finden.
Deshalb will ich mit einem Beispiel von Konrad Lorenz schließen. Konrad Lorenz hat in einem seiner Bücher das Verhalten von zwei Hunden beschrieben. Es sind zwei große Schäferhunde, die auf Nachbargrundstücken sind, zwischen denen ein Zaun steht. Sie stehen sich gegenüber und bellen sich wie verrückt in aggressiver Pose an. Nun passiert es eines Tages, daß der Zaun repariert werden muß. Er ist weg. Die Hunde stehen sich direkt gegenüber. Was geschieht? Sie weichen verängstigt zurück. Und keiner weiß eigentlich mehr, was er tun soll. Sie laufen dann zu einer anderen Stelle, wo der Zaun noch in Ordnung ist, und fangen wieder an, furchtbar zu bellen. — Genau dieses Verhalten dürfen wir uns nicht leisten, wir müssen eine neue Kultur des Streitens finden.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113102500
Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.

Heinrich Seesing (CDU):
Rede ID: ID1113102600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind heute gefordert, unseren Rang als führende Industrie- und Handelsnation für die Zukunft zu sichern. Das hängt wieder davon ab, welche Haltung wir zur Forschung und Entwicklung neuer Techniken einnehmen. Dabei ist für uns in der
Bundesrepublik Deutschland erkennbar, daß neue Techniken nicht mehr unbedingt als gut und segensreich angesehen werden. Das hängt vielleicht damit zusammen, daß früher Techniken nach Auffassung der Menschen nur lokale und zeitliche Auswirkungen hatten. Heute müssen wir erkennen, daß die Wirkungen neuer Techniken grenzenlos sein können, zeitlich wie auch räumlich. Wir fordern heute, daß Techniken begrenzbar sein müssen, daß ihre Auswirkungen reversivel sein müssen.
Aber was ist, wenn wir heute feststellen, daß angewandte Techniken, angewandte Industrieprodukte und sonstige Annehmlichkeiten unseres Lebens gerade die Grundlagen des Lebens in der Zukunft zerstören oder wenigstens stark beeinträchtigen. Die Diskussion um das sogenannte Ozonloch und den Treibhauseffekt zeigt uns, wo die Gefährdungen liegen. Wenn wir auch den Eindruck haben dürfen, daß wenigstens in Teilen der Weltpolitik diese Gefährdungen erkannt sind, so fehlt es doch noch in weiten Teilen der Weltbevölkerung an einem Problembewußtsein.
Ich glaube, daß die Sprache, mit der wir diese Botschaft zu überbringen versuchen, von vielen Menschen nicht verstanden werden kann. Sie ist meist zu wissenschaftlich. Wie soll der Bürger reagieren, wenn etwa folgendes zu erforschen gilt — ich zitiere einmal aus unserem Bericht — :
Rückkoppelungen zwischen dem Anstieg des CO2-Gehaltes, der Ozeanverdunstung und dem Niederschlag unter besonderer Berücksichtigung des Freisetzens latenter Wärme und der Änderung der thermischen Vertikalstruktur.
Prinz Charles hat in diesen Tagen gefordert: Wir müssen verhindern, daß der Himmel zum Mikrowellenherd wird. — Er hat auch gesagt: Wichtig ist es, den Mann auf der Straße zu überzeugen, daß er sogar im Winter mit Sonnenbrille und einer dicken Schicht Sonnenöl mit Lichtschutzfaktor 16 auf die Straße gehen muß, wenn die Ozonschicht nicht geschützt wird. — Vielleicht ist das die Sprache, die Menschen verstehen.
Dazu, was wir schon tun können, ist heute morgen bereits viel gesagt worden. Aber auch eine Massendemonstration mit über einer Million Teilnehmer, die ein Mitglied der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" und Professor an einer deutschen Universität in Bonn veranstalten will, kann das Problembewußtsein in diesem Hause, glaube ich, nicht mehr wesentlich erhöhen. Viel wichtiger ist es, die Sprache zu finden, damit die Menschen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit erkennen, daß die Erde und ihre Atmosphäre des intensiven Schutzes bedarf.
Wichtig ist es aber auch, den durchaus noch erheblichen Forschungsbedarf zu regeln. Im Zwischenbericht der Enquete-Kommission sind dazu wichtige Aussagen gemacht worden. Wir dürfen anerkennen, daß die Bundesregierung bereits seit 1978 Forschungsarbeiten unterstützt, um die möglichen biologischen Auswirkungen der erhöhten ultravioletten Strahlung im B-Bereich zu erfahren.

(Lennartz [SPD]: Herr Töpfer, haben Sie zugehört?)




Seesing
Der UV-B-Bereich wird von der Erdatmosphäre nur abgeschwächt durchgelassen. Durch den Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre wird die biologisch aktive UV-B-Strahlung erhöht, mit allen ihren Auswirkungen auf Leben und Lebewesen auf der Erde.
Trotz aller bisherigen Bemühungen gilt es, noch weiter zu forschen. Das im Dezember 1988 vom Bundesminister für Forschung und Technologie vorgestellte Ozon-Forschungsprogramm greift den von der Enquete-Kommission zu den Modellvoraussagen zur Änderung des Ozons in der Atmosphäre genannten Forschungsbedarf auf. Dieses Programm wird Bestandteil von Forschungsanstrengungen der Europäischen Gemeinschaft sein. Darin sollen größere internationale Experimente mit Satellitenflugzeugen, Großballons und Forschungsraketen vorgenommen werden. Auch im Rahmen des Klimaforschungsprogramms des BMFT werden wichtige Daten gesammelt, um weitere Maßnahmen zum Schutz der Erdatmosphäre durchführen zu können. In Kürze will der BMFT einen eigenen Förderschwerpunkt zum Treibhauseffekt beginnen.
Meine Damen und Herren, der Forschungsbedarf ist noch unendlich groß. Ich hoffe nur, daß auch der Finanzminister und der Haushaltsausschuß einsehen, daß hierfür die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung stehen müssen; sonst könnten nämlich eines Tages beide Instanzen nicht mehr nötig sein.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113102700
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1113102800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Problem, vor dem wir mit der zu erwartenden Klimakatastrophe stehen, ist so komplex und schwierig, daß man resignieren könnte. In der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" haben wir das nicht getan, sondern wir haben die Ärmel hochgekrempelt und haben uns an die Aufgabe gemacht, die Herausforderung anzunehmen und Problemlösungen zu finden. Bei den Mitgliedern, soweit sie mitgearbeitet haben, war in großem Maße der Wille und die Einsicht vorhanden, die tatsächlichen Fakten zu benennen, auch wenn sie unbequem sind und uns nicht schmecken wollen. Es war der Wille vorhanden, die Augen nicht zu verschließen und nicht zu verdrängen, was bei Umweltproblemen ja heute häufig der Fall ist. Dabei haben wir festgestellt, daß es fünf vor zwölf ist. Der Mensch hat durch seine Aktivitäten besonders seit der Industrialisierung das Klima und die Umwelt in nie gekanntem Maße beeinflußt. Beängstigend sind die Größenordnung und die Geschwindigkeit der Klimaänderungen. Herr Müller hat darauf hingewiesen: Wir befinden uns in einer Klimafalle.
Mit diesem Wissen hat die Enquete-Kommission Handlungsstrategien entwickelt. Der Handlungsbedarf hat Dimensionen, die an den Grundfesten unserer Gesellschaft rühren. Im Zwischenbericht haben wir die Palette von Gegenmaßnahmen formuliert. Zugegeben, es ist erst einmal Papier. Aber immerhin. Wer es ansieht, wird feststellen, daß wir viele konkrete Möglichkeiten zum Handeln benannt haben. Es ist sehr erfreulich, daß das, was wir in der Enquete-Kommission als notwendig festgestellt haben, nun auch vom Bundestag nachvollzogen wird.

(Abg. Dr. Knabe [GRÜNE]: Sehr gut!)

Allerdings war ich bei den Diskussionen gestern im Forschungsausschuß — der Staatssekretär Probst ist ja hier — etwas überrascht, wie wenig das bei den einzelnen Mitgliedern dann tatsächlich angekommen ist. Auch die Rede von Herrn Töpfer hat mir nicht so deutlich gemacht, daß das in der ganzen Dimension auch erkannt wird. Aber der Beschluß, den wir heute fassen, ist ja ganz wichtig. Nun muß das Papier der Enquete-Kommission, dem sich der Bundestag anschließt, in politisches Handeln umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich sagte Handeln und nicht das Vortäuschen von Handeln, nicht das Verkleistern der Probleme oder den Ersatz von Handeln durch Public Relations, was teilweise die Stärke dieser Regierung ist.

(Müller [Düsseldorf] [SPD]: Die Schwäche!)

Hier, Kolleginnen und Kollegen, verläßt mich aller Optimismus. Nach allem, was wir von der Regierung und den Ministern kennen, ist die Hoffnung auf politische Konsequenzen gering. Auch die Aufzählung, Herr Töpfer, der Erfolgsbilanzen ist bei der Größe des Problems, mit dem wir es zu tun haben, nicht hilfreich.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das ist genauso schädlich wie eine unnötige Dramatisierung. Das, was wir in der Enquete-Kommission hinbekommen haben, nämlich uns dem Problem zu stellen und Handlungsstrategien da anzusetzen, wo sie möglich sind, ist das Richtige.
Ich glaube aber, wenn die Regierung nicht zum Handeln fähig ist oder sehr zögerlich handelt, liegt das nicht unbedingt an dem fehlenden guten Willen. Die Handlungsmöglichkeiten sind jedoch nicht nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" zu realisieren.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt, es geht nicht ohne gravierende Einschnitte, und es geht nicht, ohne daß wir der interessierten Industrie wehtun. Es geht auch nicht, ohne daß wir liebgewordene Gewohnheiten hinter uns lassen.
Auf die Kooperationsbereitschaft der Industrie ist kaum zu hoffen. Ich denke, viele Menschen bei uns sind bereit zur Kooperation. Wir haben das an der Reaktion vieler Bürgerinnen und Bürger in bezug auf die Spraydosen gesehen. Daß wir die FCKW aus den Spraydosen zurückgedrängt haben, liegt nämlich gravierend auch an den Verbraucherinnen und Verbrauchern.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zustimmung des Abg. Seesing [CDU/CSU])

Ich möchte denjenigen danken, die es auf sich nehmen, sich vernünfrig zu verhalten, und zwar sowohl was den Verkehrssektor als auch die Energiefrage und den Einsatz chemischer Produkte anlangt. Ohne die Mitwirkung der Bevölkerung ist das schwer zu machen. Von der Industrie haben wir kaum eine entsprechende Kooperationsbereitschaft zu erwarten,



Frau Ganseforth
wie wir in der Enquete-Kommission festgestellt haben.
Dabei haben wir uns aus der Palette der Gegenmaßnahmen mit jenen befaßt, die schnell wirken, deren Wirkung groß ist und bei denen die Eingriffe am geringsten sind. Das heißt, wir haben mit dem Problem des Ozonabbaus begonnen. Der Stopp des Ozonabbaus ist die Nagelprobe auf die Fähigkeit und Bereitschaft der Menschheit, die Probleme in den Griff zu bekommen.

(Zustimmung des Abg. Dr. Knabe [GRÜNE])

Zusätzlich und gleichzeitig müssen wir natürlich auch auf den anderen Gebieten handeln. Aber ob wir erfolgreich werden, wird sich am Thema Ozon zeigen. Warum? Eine wesentliche Ursache für die Zerstörung und Ausdünnung der Ozonschicht sind die FCKWs, die Fluorchlorkohlenwasserstoffe, die außerdem zu 17 % zum Treibhauseffekt beitragen. In der Natur kommen diese Chemikalien nicht vor. Sie sind also künstlich erzeugt. Wir Menschen benutzen sie erst seit etwa 30 Jahren. Das heißt, vor 30 Jahren sind wir ohne diese Chemikalien ausgekommen.

(Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sehr richtig!)

Die Produktion hat sich in den letzten 30 Jahren sehr erhöht. Der Umfang der heutigen FCKW-Produktion in der Bundesrepublik entspricht der Weltproduktion der FCKWs im Jahre 1960. Insofern hat sich sehr viel in die falsche Richtung bewegt.
Bereits vor 15 Jahren — das hat Herr Schmidbauer angesprochen — , nämlich 1974, wurde von amerikanischen Wissenschaftlern der Zusammenhang zwischen FCKWs und der Ozonzerstörung festgestellt. Ein Jahr später, also 1975, wurde ermittelt, daß damit zu rechnen ist, daß die FCKWs auch auf den Treibhauseffekt Auswirkungen haben.
So lange sind die Vermutung und die These bekannt. Das heißt, seit 15 Jahren hätten wir Schritt für Schritt oder sofort die Produktion beenden müssen und können. Statt dessen ist sie angestiegen — ich habe eben auf die Zahlen hingewiesen — , in der EG sogar überproportional. Die Bundesrepublik ist mit über 10 % an der gesamten FCKW-Produktion beteiligt. Ich kann es nicht glauben, Herr Töpfer, wenn Sie sagen, keine Nation sei bezüglich des Zurückdrängens der FCKWs so weit wie die Bundesrepublik.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Schweden und Dänemark!)

In der Bundesrepublik produzieren zwei Firmen die FCKWs, nämlich die Kali-Chemie und Hoechst. In deren Produktpalette machen die FCKWs nur einen kleinen Teil aus. Trotzdem sträubt sich die Industrie, die Produktion einzustellen.
Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen. Ich habe einen Brief vorliegen, den der Aufsichtsratsvorsitzende der Kali-Chemie, Konsul van Lierde, am 1. Juni 1988 an den BUND geschrieben hat. Der BUND hatte dazu aufgefordert, die FCKW-Produktion einzustellen.
Aus diesem Antwortschreiben des Auf sichtsratsvorsitzenden möchte ich einen — wie ich finde — für die
Haltung der Industrie typischen Satz vorlesen: „Eine sofortige Produktionseinstellung ist somit aus heutiger Sicht weder nötig noch möglich. "
Woran liegt es, daß die Industrie mauert? Die Herstellung von FCKWs ist eingebettet in hochgradig vernetzte chemische Produktionsprozesse und Stoffkreisläufe, bei denen chemische Koppelprodukte entstehen. Es ist zu vermuten — wir wissen es nicht genau — , daß z. B. Chlor, das bei der Herstellung von Natronlauge in großen Mengen anfällt, durch die Produktion von FCKW noch ökonomisch günstig verwertet werden kann und deshalb nicht anders beseitigt oder entsorgt werden muß. Anders ist es nicht zu verstehen, daß wir uns die Zähne bei dem Versuch ausbeißen, von der Chemie Produktionszahlen über FCKW zu erhalten oder mit freiwilligen Vereinbarungen und Verboten weiterzukommen. Die SPD-Fraktion hält nach wie vor das Verbot und die Abgabenregelung für die wirksamsten und schnellsten Möglichkeiten, hier gegen die Interessen dieser beiden Industriefirmen weiterzukommen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Aber selbst wenn es uns gelingt, in der Bundesrepublik die FCKW-Produktion einzustellen, besteht die Gefahr, daß die Industriemafia die Produktion in andere Länder verlegt, nach Spanien, nach Brasilien. Das Montrealer Protokoll wurde bisher nicht unterschrieben von Ländern wie China, Indien, Brasilien. Wir sind eine der wichtigsten Handelsnationen der Welt. Meistens stellt man fest, wenn Umweltschutz sich nicht durchsetzt, daß Industrie- oder andere Interessen dahinterstehen. In der Bundesrepublik ist das Auseinanderfallen von Ökonomie und Moral sehr viel stärker verbreitet als in anderen Ländern. Das betrifft Fragen der Menschenrechte ebenso wie die Menschheitsfragen der Zukunft unseres Planeten. Daher stellt sich die Frage: Hat die Bundesregierung bilateral oder im Rahmen der EG ihren Einfluß geltend gemacht auf Länder, die sich bisher dem Montrealer Protokoll nicht angeschlossen haben? Dabei ist klar, und das ist hier auch schon gesagt worden, wenn wir von den Entwicklungsländern verlangen, daß sie nicht in die Chlorchemie und FCKW-Produktion einsteigen, daß wir ihnen dann finanziell und mit Know-how entgegenkommen müssen, daß wir Technologietransfer betreiben müssen. Der Vorschlag Chinas, der Dritten Welt durch einen internationalen Ausgleichs- und Entwicklungsfonds zur Finanzierung alternativer Produkte und von Technologietransfer zu helfen, ist ein Weg in die richtige Richtung. Aber auch hier geht es nicht nach dem Motto: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß! " Ich finde, was Herr Töpfer hier gesagt hat, war zwar richtig, aber ich würde ihn bitten, das auch dem Entwicklungsminister Klein weiterzusagen und dann entsprechend zu handeln.
Fazit: Wenn es uns nicht gelingt, innerhalb kürzester Zeit bei der Produktion der FCKW zu einer NullLösung zu kommen — hier ist jetzt die Regierung am Zuge und nicht mehr die Enquete-Kommission —, dann schwindet alle Hoffnung, die national und international viel komplizierteren Probleme der Energieversorgung, des Methans, der Abholzung der tropischen Regenwälder in den Griff zu bekommen.



Frau Ganseforth
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1113102900
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1113103000
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich zunächst beim Kollegen Schmidbauer und den Kollegen in dieser Enquete-Kommission sehr herzlich für ihre Arbeit bedanken. Das ist ja nicht nur eine Arbeit, die uns allen guttut, sondern sicherlich insgesamt das Ansehen des Bundestages draußen fördert.

(Beifall der Abg. Frau Blunck [SPD])

Wenn ich an diesen Dank das Wort eines Propheten anschließe, dann einerseits deshalb, weil ich glaube, daß dieser Zwischenbericht und sicherlich dann auch das Ergebnis der Kommission genauso weitsichtig sein wird wie Worte von Propheten überhaupt, und andererseits natürlich auch in der Hoffnung, daß die Worte nicht so verhallen wie die Worte des Propheten Hosea vor 2 700 Jahren, als er gesagt hat:
Darum soll das Land verdorren, jeder, der darin wohnt, soll verwelken,
samt den Tieren des Feldes und den Vögeln des Himmels; auch die Fische im Meer sollen zugrunde gehen.

(V o r sitz : Vizepräsident Stücklen)

Er hat dies angedroht als Strafe für Unmoral und Gottlosigkeit. In der Begründung sagt er:
Es gibt keine Treue und keine Liebe und keine Gotteserkenntnis im Land.
Nein, Fluch und Betrug, Mord, Diebstahl und Ehebruch machen sich breit, Bluttat reiht
sich an Bluttat.
Ich will nicht ausschließen, daß diese Begründung auch heute noch gültig wäre, aber wir haben gelernt, in unserem aufgeklärten Zeitalter die Umweltproblematik vor allen Dingen unter wissenschaftlichen und technischen, wirtschaftlichen und politischen Gesichtspunkten zu sehen und als eine Herausforderung zu verstehen. Das hat sicherlich auch seine Berechtigung. Ich glaube, ohne Fortschritte in diesem Bereich sind Fortschritte im Umweltschutz überhaupt undenkbar. Wir stehen vor einer großen Aufgabe, die wir sicherlich Schritt für Schritt bewältigen müssen, nämlich vor der Aufgabe, unsere Technik und Wirtschaft im umfassendsten Sinn umweltfreundlich zu gestalten.
Vielleicht hat das, was wir erleben, etwas mit Glauben zu tun, nämlich mit dem Fortschrittsglauben. Denn es gibt für den Zusammenbruch des Fortschrittsglaubens reale Gründe, nämlich derart unerwartete Nebenfolgen von politischem Handeln, das im politischen und gesellschaftlichen Konsens erfolgt ist, z. B. seit Jahrhunderten die Nutzung fossiler Energien. Vielleicht ist gerade hier der Schock für uns so groß, weil wir erleben, daß auch hier Konsequenzen auftreten können, die wir nicht bedacht haben.
Herr Kollege Müller, ich möchte Ihnen in einem Punkt widersprechen. Sie haben gesagt, Kernenergie könne kein Ersatz für fossile Energien sein, deren
Gefahren wir jetzt in dieser Form kennenlernen. Sie sagen, das gehe u. a. deshalb nicht, weil es nicht sozialverträglich ausgestaltet werden könne. In diesem Punkt muß ich Ihnen klar widersprechen. Wenn wir, die CDU/CSU, den energiepolitischen Konsens, den wir bezüglich Kohle und Kernenergie einmal hatten, in ähnlicher Weise wie Sie aufkündigen würden — die CSU in Bayern könnte das ohnehin sehr leicht tun —, dann könnten Sie die Kohlenutzung auch nicht mehr im gesellschaftspolitischen Konsens betreiben. Deshalb glaube ich, der Schaden ist eigentlich dadurch entstanden, daß Sie sich so bequem, so billig aus der Verantwortung für die Kernenergie verabschiedet haben.

(Frau Blunck [SPDJ: Sie haben das Problem gar nicht begriffen! — Abg. Müller [Düsseldorf] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte schön.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113103100
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage? — Herr Abgeordneter Müller, bitte.

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1113103200
Herr Abgeordneter Fellner, stimmen Sie vielleicht der These zu, daß die Klimaproblematik zweifellos ein Argument gegen den Einsatz fossiler Brennstoffe, aber nicht automatisch eine Begründung für die Atomenergie ist?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1113103300
Lieber Kollege Müller, ich werde dazu natürlich auch etwas sagen. Ich habe mich nur gegen Ihre These gewandt, daß die Kernenergie — auch wenn sie, wie Sie es nennen, aus anderen Gründen schon nicht erlaubt sein könnte — aus gesellschaftspolitischen Gründen nicht genutzt werden kann. Ich werde nicht predigen, daß sich die Kernenergie als Ersatz zur Lösung dieser Probleme anbiete. Ich werde zu diesen — wenn auch bescheidenen — Beträgen noch etwas sagen.
Ich meine — damit komme ich gleich zu diesem Punkt — , daß es natürlich nicht angeht, zu sagen: Die Bundesrepublik hat nur 3,5 % Anteil am Weltenergieverbrauch, hat nur 3 % Anteil am CO2-Ausstoß von 20 000 Millionen Tonnen; durch eine Reduzierung nur bei uns könne man das globale Problem nicht beseitigen. — Zwar sind die Zahlen korrekt, aber die Denkweise ist nicht verantwortbar. Denn wenn jeder Staat so dächte, geschähe überhaupt nichts. Im übrigen liegt die Bundesrepublik mit ihren 3,5 % an der fünften Stelle unter den Staaten, die zum CO2-Ausstoß beitragen, und wir stehen an erster Stelle in Europa.
Wenn nun gesagt wird, die Kernkraftwerke der Erde könnten zusammen den globalen CO2-Ausstoß von 20 000 Millionen Tonnen nur um etwa 8 % mindern und die deutschen Kraftwerke könnten den Ausstoß national nur um 15 % und global nur um 0,7 mindern, dann meine ich, daß das von den Größenordnungen her zwar nicht so bedeutend ist, aber daß wir das eigentliche Problem verkennen würden, wenn wir nicht sagten: Jeder Beitrag, den irgendjemand irgendwo leisten kann, muß erbracht werden. Wir kön-



Fellner
nen über die — jedenfalls für uns — beherrschbare Kernenergie unseren Beitrag leisten.

(Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE]: Die ist für niemanden beherrschbar!)

Dann ist auch gefordert, daß wir das tun. Die einzelnen Beiträge sind also beileibe nicht bedeutungslos.
Ich glaube, gerade angesichts der Probleme, die ausreichend dargestellt worden sind, ist es bedauerlich, daß wir hierzulande ein sehr markantes Beispiel dafür liefern, daß sich eine Gesellschaft den eigentlich unvorstellbaren Luxus leistet, alles und jedes unter dem Vorwand anzuzweifeln, daß dies für kommende Generationen schädlich wäre,

(Frau Blunck [SPD]: Die Frage ist: Wo bleibt der Müll der Atomkraftwerke?)

in Wahrheit aber in einem historisch einmaligen Ausmaß zu Lasten der kommenden Generationen lebt.
Ich will das verdeutlichen. Wir alle verbrauchen heute zwanzigmal mehr Energie, als wir noch vor hundert Jahren verbraucht haben. Der Energieverbrauch auf dem Globus war von 1800 bis 1960 deutlich kleiner als von 1961 bis heute. Innerhalb weniger Jahrzehnte wird von uns global mehr Energie verbraucht, als von Adam und Eva bis vor einigen Jahrzehnten insgesamt verbraucht worden ist. 90 % dieses Verbrauchs bestehen eben aus Kohle, 01 und Gas, also aus fossilen Energien. Wir verschlingen also in einem menschlichen Feuerungsjahr fast 10 Milliarden Tonnen fossilen Brennstoffs und damit so viel, wie die Sonne in etwa 500 000 Jahren hat bilden können.
Ich sage das deshalb, weil ich zum Ausdruck bringen möchte, daß wir, wenn sich an der Struktur des Weltenergieverbrauchs nichts ändert, uns schnell ausrechnen können, wann uns die Menschheitsgeschichte eingeholt haben wird. Ich meine, daß gerade an dieser Stelle der Generationenvertrag, den auch der Kollege Schäfer hier angesprochen hat, so massiv verletzt ist wie in keinem der anderen Punkte, die wir auch politisch im Augenblick miteinander diskutieren.
Lassen Sie mich alle vernünftigen Perspektiven — die teilweise traurigen Perspektiven, die heute schon dargelegt worden sind — an Hand eines Punktes verdeutlichen. Wir haben heute auch in der Energieverbrauchstruktur der verschiedenen Länder auf der Welt deutliche Unterschiede. Die Nordamerikaner haben 27 kg Steinkohleeinheiten Energieverbrauch pro Kopf und Tag. Bei uns sind es 16 kg SKE, bei den Chinesen 2 kg SKE, bei den Afrikanern 1,2 kg SKE und bei den Indern etwa 1 kg SKE.
Ich sage das deshalb, weil ich glaube, daß wir den Schwerpunkt unserer Analyse darauf legen müssen, daß sich der Energieverbrauch auf der Welt ändern, daß er steigen wird. Wenn wir zulassen wollen — und wir müssen das wohl zulassen — , daß sich die Entwicklungsländer weiterentwickeln, dann wird deren Energieverbrauch steigen. Wenn wir sehen, daß die Weltbevölkerung weiter steigt — und sie wird weiter steigen, denn niemand wird wohl auf die Idee kommen, die Bevölkerungsentwicklung künstlich einschränken zu wollen — , dann wird eine zweite Konsequenz nachhaltig auf uns zukommen, nämlich daß auch der Methaneintrag in die Erdatmosphäre steigt. Wir dürfen also nicht nur über das CO2 reden, das jetzt zu etwa 50 % zu dem Treibhauseffekt beiträgt, sondern wir müssen auch über die 17 % Methan reden, die aus den Wiederkäuermägen, aus den Reisfeldern, im weitesten Sinne also aus der Menschheitsernährung kommen.
Wenn ich jetzt noch einmal betone, daß der Energieverbrauch der Entwicklungsländer und der Lebensmittelbedarf der Menschheit steigen wird, dann haben wir zwei Komponenten, an denen wir eigentlich nur absehen können, daß der Verbrauch und damit der Schadstoffeintrag zunehmen wird, wenn der Energieverbrauch auch künftig auf der fossilen Basis bleiben wird. Wenn wir nicht das tun, was die Kommission im Zwischenbericht schon fordert, nämlich den Gaseintrag auf die Hälfte zu reduzieren, müssen wir eigentlich befürchten, daß sich der Energieverbrauch allein weltweit verdoppelt. Wenn diese Länder nichts anderes zur Verfügung haben als die einfach handhabbare fossile Energie, dann wird der CO2- und auch der Methaneintrag steigen, weil die Weltbevölkerung und der Ernährungsbedarf dieser Welt zunehmen.
Ich meine, wenn wir das richtig und ehrlich sehen, haben wir die verdammte Pflicht, neben dem, was wir bei uns national tun können — daß wir mit technischen Methoden arbeiten, daß wir selbstverständlich Energieeinsparungen betreiben — , dafür zu sorgen, daß wir diesen Ländern helfen, den Energieverbrauch, speziell den Verbrauch fossiler Energie, einzuschränken. Dann haben wir die Pflicht, dazu Technik zu liefern. Wenn diese Technik die der Kerntechnik ist, dann sind wir auch dazu verpflichtet. Wir haben auch dafür zu sorgen, daß sich diese Länder entwickeln können, aber eben umweltschonend.
Ich halte es für äußerst unverantwortbar, wenn wir so tun, als würde es ausreichen, bei uns FCKW einzuschränken. Selbstverständlich sollte man das tun. Wir können aber nicht so tun, als würde es reichen, den Energieverbrauch einzuschränken. Wir sollten es tun. Nur, die anderen werden es nicht tun können. Deshalb ist es schlicht falsch, die Energieeinsparung als Lösung eines jeden Problems anzubieten. Sie können die Energieeinsparung nicht als Lösung oder als Ersatz — —

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Man merkt, daß er nicht in der Enquete-Kommission ist!)

— Lieber Herr Kollege Schäfer, Sie hören ja nicht zu. Herr Kollege Schäfer ist nicht Mitglied der Enquete-Kommission; das ist mir bekannt.
Sie können Energieeinsparung nicht als Ersatz für den Ausstieg aus der Kernenergie anbieten.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Richtig!)

Auch können Sie Energieeinsparung nicht gleichzeitig als Ersatz für den steigenden Energiebedarf auf der Welt, insbesondere in den Entwicklungsländern, anbieten. Und schließlich können Sie Energieeinsparung nicht auch noch als Ersatz für das Abholzen



Fellner
— oder nicht mehr erfolgende Abholzen — der tropischen Regenwälder anbieten.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nichts gelesen, nichts gelernt, aber daherschwätzen!)

Man kann Energie natürlich einsparen, aber irgendwo braucht man noch Energie, und der Energiebedarf wird weltweit steigen.
Deshalb sind wir aufgefordert, ehrliche Lösungen zu verwirklichen und das zu tun, was technisch machbar ist, um für die ganze Welt einen Beitrag dazu zu leisten.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113103400
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/4133. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Keine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Enthaltung. Einstimmige Annahme.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Umweltgutachten 1987 — Drucksache 11/1568 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Ausschuß für Forschung und Technologie
Rechtsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung dieses Gegenstandes zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe Zustimmung. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friedrich.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113103500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über ein fast 600 Seiten dickes Gutachten bietet uns die einmalige Chance, einmal vom „Schadstoff der Woche" oder vom „Skandal des Monats" wegzukommen und uns ein bißchen mit Grundsatzfragen zu befassen.
Ich möchte mit einem Kapitel beginnen, das mit dem Umweltgutachten 1987 eigentlich nur in dem Sinne zusammenhängt, daß ich Ausführungen zu den Problemen, die ich erkenne, im Gutachten vermisse. Ich kann mir das aber auch erklären: Die Gutachter sind sehr höfliche Menschen.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie unternehmen eines nicht, was manchmal sehr dringend notwendig wäre: Sie betreiben keine Politikerschelte.
Nachdem ich jetzt zwei Jahre lang im Umweltausschuß mitgearbeitet habe, habe ich nicht immer den Eindruck, daß wir uns beim Festlegen der Tagesordnung des Umweltausschusses,

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Na, na!)

der Debattendauer — da gibt es im Ausschuß ja Minderheitenrechte, Herr Vorsitzender, die wir als Koalitionsfraktionen akzeptieren müssen —

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das tut euch auch gut! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

und auch bei der Festlegung der Dauer von Debatten im Bundestagsplenum die Dringlichkeit der Probleme und das tatsächliche Ausmaß der Risiken vor Augen halten. — Die soeben geführte Debatte über Probleme im Zusammenhang mit der Erdatmosphäre ist eine Ausnahme. Ich kann mich nur entschuldigen, daß ich wegen Mitgliedschaft in einem Untersuchungsausschuß während dieser Debatte nicht anwesend war. — Sehr viel typischer als die Debatte von heute morgen 9 Uhr sind die ständigen Aktuellen Stunden über irgendwelche Strahlenschutzprobleme, egal, ob die an Wackersdorf oder an irgendeinem Störfall aufgehängt sind.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Gut, daß Sie das Problem erkennen!)

Ich, Frau Wollny — jetzt bin ich wieder beim Gutachten — , empfehle Ihnen ganz dringend, eine sehr kurze Passage auf Seite 33 zu lesen. Dort wird nämlich festgestellt, daß unser Grundsatz in Sachen Strahlenschutz „So wenig wie möglich" bei uns dazu geführt hat, daß, abgesehen von der Abwärme — das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen —,

(Dr. Penner [SPD]: Nein!)

keine nennenswerten Umweltbelastungen aufgetreten sind. — Frau Kollegin Wollny, Sie schauen mich so kritisch an. Ich spreche jetzt nicht von der Sicherheitsproblematik eines Reaktors bei irgendwelchen völlig atypischen Ereignissen — darüber müssen wir uns intensiv unterhalten —, sondern ich rede von den normalen Strahlenbelastungen im Normalbetrieb.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Wovon reden Sie eigentlich?)

Das wird von Ihnen, wenn ich den Gutachter hier ernst nehme — lesen Sie doch einmal Seite 33 — , völlig falsch verstanden.
Wir — ich müßte genauer sagen: die Oppositionsparteien — achten bei der Festlegung „Wo machen wir eine Initiative? Wo beantragen wir eine Aktuelle Stunde?" viel zu stark auf die Größe der jeweils zu erzielenden Schlagzeile und viel zuwenig auf den Nutzen für Umwelt und Natur.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das haben wir gestern bei der Aktuellen Stunde gemerkt, die Sie hier in Sachen Berlin beantragt haben! Da haben Sie sicher recht, Herr Kollege!)




Dr. Friedrich
Ich möchte hier nur noch einmal zu dem Kapitel 1 festhalten — ich wollte es erst ausführlicher erläutern — , daß aus meiner Sicht die Gewichtigkeit der Probleme nicht in der Gewichtigkeit der Debatten, die wir im Ausschuß und hier im Plenum führen, wiederzufinden ist.
Ich komme zu einem zweiten Thema, das im Gutachten sehr viel ausführlicher angesprochen worden ist. Ich komme zum Umweltbewußtsein unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir müssen ehrlich zugeben, daß dieses erfreuliche Bewußtsein zu einem durchaus auch erfreulichen politischen Druck auf uns führt. Das ist notwendig, weil wir immer wieder sehr viele Widerstände bei Betroffenen und auch Widerstände in Teilen unserer Fraktion überwinden müssen.
Auch wenn seit der Vorlage des Gutachtens fast zwei Jahre abgelaufen sind, in denen sich unsere Umweltpolitik nicht nur in Form von Resolutionen weiterentwickelt hat, müssen wir die einleitende Feststellung nach wie vor anerkennen. Diese hat zwei Teile. Der erste Teil: Es zeichnen sich erste größere Erfolge des allgemeinen Umweltschutzes deutlich ab. Dann kommt der zweite Teil: Ebenso klar sind aber auch Mängel, Mißerfolge und Verzögerungen auf dem Weg zu einer besseren Umwelt zu erkennen. Beides müssen wir als Opposition und als Koalition anerkennen.
Wir sollten dann auch bei den folgenden Sätzen nicht halb zitieren. Die Opposition sollte z. B. zur Kenntnis nehmen, daß uns die Gutachter mitteilen, der eingeschlagene Weg habe sich als grundsätzlich richtig erwiesen, was beispielsweise die GRÜNEN bestreiten. Der Kollege Stahl tut das nicht immer so generell, aber viele seiner Fraktionskollegen.
Wir, die Umweltpolitiker der Union, sind dann auch so ehrlich und verschweigen nicht den nächsten Halbsatz, in dem nämlich zu lesen ist, daß der beschrittene Weg noch konsequenter beschritten werden muß.

(Lennartz [SPD]: Was heißt das? Welche Konsequenzen haben wir daraus gezogen, Herr Kollege?)

Um nochmals auf die Rolle unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger zurückzukommen: Auf Grund vieler Diskussionen auch im Wahlkreis können wir der Feststellung zustimmen, daß sich die Einstellungs- und Verhaltensänderungen bei den Mitbürgern offensichtlich nicht synchron entwickeln. Auch ich selbst konnte mir das bisher nicht anders erklären.
Ich werde in meinen Versammlungen oft heftig beschimpft,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das verstehe ich!)

weil wir die Fluorkohlenwasserstoffe noch nicht schon längst absolut verboten haben. Aber diejenigen, die uns da so heftig beschimpfen — Sie wissen ja, welche Gründe das hat; das ist nicht eine Willensfrage, sondern ein Rechtsproblem — , kommen nicht alle auf die Idee, zu sagen: Als Käufer verhalten wir uns richtig. Dann wären nämlich Verbote völlig überflüssig. Ich habe deshalb wirklich große Schwierigkeiten, gerade meinen eigenen Parteifreunden immer wieder zu er-
klären, daß man bei dieser Verhaltensstruktur unserer Bevölkerung nicht zweierlei machen kann, nämlich einerseits für mehr Umweltschutz, aber gleichzeitig für weniger Bürokratie und weniger Gesetze zu sorgen. Wenn Umweltschutz zur Zeit überwiegend nur mit Reglementierung durchzusetzen ist, müssen wir bei beiden Zielen Prioritäten setzen. Ich persönlich verspreche deshalb niemandem, daß wir in der Lage wären, zur Zeit so ganz generell in dieser Bundesrepublik zu entbürokratisieren.
Wir sind als Politiker auf die Akzeptanz unserer Entscheidungen angewiesen. Deshalb möchte ich darauf hinweisen, daß uns das Gutachten darauf aufmerksam macht, daß bei den Bürgern sehr viele Fehleinschätzungen darüber vorliegen, wo die großen und wo die kleinen Umweltprobleme sind. Auch da ist die Zeit ein bißchen fortgeschritten. Aber es ist ja ganz interessant, daß in dem Gutachten steht: Bei den Pkw-Abgasen ist sehr viel geschehen; da hat sich die Situation entspannt. Wir, Herr Schäfer, wissen, daß das bei NOx schlicht nicht der Fall ist. Also sind unsere Bürger offensichtlich fehlinformiert. Hier haben zwei eine große Verantwortung: wir als Politiker, weil wir die Medien mit Informationen beliefern, und die Medien, weil sie diese Informationen in ausgewählter Weise weitergeben. Offenbar ist dieser Informationsprozeß nicht in Ordnung.

(Beifall der Abg. Frau Blunck [SPD])

Ich möchte hier noch einmal andeuten — manchmal liegt es an uns, manchmal an den Medien — : Ich halte es zwar für verständlich, aber für nicht gut, wenn die Medien bei der Berichterstattung die Probleme danach aufgreifen, ob man das ganze Problem optisch sehr gut darstellen kann. Seehundsterben ist optisch hervorragend darzustellen und ist groß gespielt worden. Algenwachstum ist nicht gut zu fotografieren und ist deshalb im öffentlichen Bewußtsein sehr viel weiter unten angesiedelt, obwohl die Ursachen des Algenwachstums uns doch langfristig sehr viel mehr zum Nachdenken zwingen sollten.
Noch einmal: Wir brauchen eine Verantwortung der Politiker und der Medien, weil das Bewußtsein der Bevölkerung — wo sind die Schwerpunkte, und wo sind sie nicht? — offensichtlich nicht so ist, wie wir uns das alle selbst wünschen.
Ich möchte jetzt noch kurz auf ein Problem inhaltlicher Art eingehen, das einem wichtigen Anliegen der Gutachter entspricht. Sie haben dem Thema im Jahr 1985 sogar ein Sondergutachten gewidmet. Ich meine das Thema Umwelt und Landwirtschaft.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Jawohl!)

Das ist ein Problem, Herr Kollege Schäfer, bei dem ich zugebe, daß wir da bis zur nächsten Wahl nicht nur Problembewußtsein zum Ausdruck bringen dürfen, sondern wirklich noch handeln müssen.

(Zustimmung bei der SPD)

Dieses Handeln wäre schon sehr viel schneller zu bemerken gewesen, wenn es bei den Bauern eine ähnliche Finanzlage gäbe wie in der chemischen Industrie oder wie bei den Elektrizitätsversorgungsunternehmen. Dann hätten wir dort mit dem radikalen Ordnungsrecht eingreifen können. Das Problem ist bloß:



Dr. Friedrich
Die chemische Industrie gibt es trotz des radikalen Ordnungsrechts, das wir noch weiter verschärfen wollen, immer noch, während die meisten Bauern weg wären, wenigstens in dem Teil des Landes, den ich im Bundestag vertrete. Deshalb ist es bei den Bauern ein bißchen langsamer gegangen.
Aber wir haben jetzt eine einmalige Chance — deshalb werden wir vorankommen — , weil sich die Ziele der Landwirtschaftspolitik und die Ziele des Naturschutzes endlich miteinander vereinbaren lassen. Die Bauern, auch die Bauernverbandsfunktionäre haben erkannt: Steigerungen der Mengen führen nicht weiter. Und wir Umweltpolitiker sagen jetzt — Herr Präsident, ich komme zum Schluß, obwohl ich noch lange nicht das gesagt habe, was ich wollte — : Wenn wir die Mengen reduzieren müssen, machen wir das auf die Art und Weise, daß wir gleichzeitig etwas für die Natur und die Umwelt tun können.
Ich möchte nur noch das Stichwort Strukturgesetz erwähnen, Gesetz zur Sicherung der bäuerlichen Landwirtschaft. Das ist aus der Sicht von uns Umweltschützern nur ein Einstieg. Der Grundgedanke ist richtig, und deshalb stimmen wir zu. Wir werden auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren das eine oder andere weitermachen müssen. Wir werden das um ein neues Naturschutzgesetz ergänzen. Leider kann ich das nicht mehr erläutern.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113103600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lennartz.

Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1113103700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ist symptomatisch für die Umweltpolitik der 80er Jahre? Was ist typisch? Was bezeichnet kurz und treffend das Wirken der Bundesregierung im Umweltschutzbereich? Dies, meine Damen und Herren!

(Der Redner hält eine ganzseitige Zeitungsanzeige hoch)

Das ist ein gutes Beispiel für das, was sich seit Jahren unter dem Namen Umweltpolitik abspielt. Der Bundesumweltminister wird in Serien von ganzseitigen Anzeigen der Spraydosenindustrie gelobt. Blendax, Henkel, Schwarzkopf, Wella — sonst harte Konkurrenten beim Absatz von Duftendem und Schäumendem — zahlen unisono die großen Anzeigenlettern, mit denen geschrieben steht: Erfolg für Bundesumweltminister Klaus Töpfer — Spraydosen ohne FCKW.

(Frau Blunck [SPD]: Aha!)

Das ist peinlich, sagen die einen. Lob von der falschen Seite unter Vernachlässigung der wichtigen Tatsache, daß die Treibmittel nur mit 25 % am nationalen FCKW-Ausstoß beteiligt waren vor deren Ersatz.
Das ist typisch — sage ich — , weil es einiges offenbart.

(Zustimmung bei der SPD)

Es zeigt nämlich erstens, daß die Spraydosenhersteller allén Grund zur Freude über die sanfte,

(Frau Blunck [SPD]: Leider wahr!)

freiwillige Vereinbarung mit dem Umweltminister haben, also offensichtlich unterfordert worden sind.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Zweitens wird bedauerlicherweise vorgeführt, daß man bei Schwarzkopf aus der unseligen Verquickung von geschäftlichen und politischen Interessen immer noch nichts gelernt hat.

(Richtig! bei der SPD)

Drittens wird exemplarisch vorgeführt, wie die verhängnisvolle sektorale Betrachtungsweise von Einzelproblemen in der Umweltpolitik mehr und mehr Kreise zieht. Dabei zeigt das Umweltgutachten 1987 des Sachverständigenrates für Umweltfragen, wie dringend eine vorsorgende und gesundheitsverträgliche Umweltpolitik aus einem Guß ist.
Ihr Weg des Teilens und Trennens und Separierens ist falsch. Die Natur schert sich wenig darum, ob ein Problem in vier Einzelprobleme zerlegt wird, von denen zwei Probleme dann zwar keine echten Probleme sind, deren angebliche Lösung sich aber prächtig feiern läßt.

(Beifall bei der SPD)

„Die Umweltpolitik der 1980er Jahre und der beginnenden 1990er Jahre erfordert ein allgemeines, sektorübergreifendes und in sich abgestimmtes Konzept";

(Zustimmung bei der SPD)

so, meine Damen und Herren, formuliert es der Sachverständigenrat im Vorwort.
Es tut mir leid, feststellen zu müssen: Dieses Konzept ist bei dieser Bundesregierung auch nach über sechs Jahren nirgends zu finden, nicht einmal in Ansätzen. Oder ist es etwa ein Konzept, Herr Minister Töpfer, wenn man auf der Zweiten Internationalen Nordseeschutzkonferenz im November 1987 auf Beschlüsse zur Reinigung der Nordsee pocht, nach Hause kommt und erzählt, man habe längst nicht alles durchsetzen können, was man habe durchsetzen wollen, ein Jahr später beim Robbensterben noch draufsattelt und dann, Herr Minister Töpfer, für den Haushalt des Jahres 1989 vom Finanzminister die Gelder für den Gewässerschutz dermaßen zusammengestrichen bekommt, daß nicht einmal die Einhaltung der Minimalforderung der Nordseeschutzkonferenz 1987 durch die Bundesrepublik gewährleistet ist?

(Zustimmung bei der SPD)

Oder ist es ein Konzept, Herr Minister Töpfer, wenn der Stickoxidausstoß aus Kraftfahrzeugen bis zur Jahrtausendwende steigen wird, während die Bundesregierung die zwangsweise Einführung von Katalysatoren und ein Tempolimit scheut wie der Teufel das Weihwasser?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ist es ein Konzept, Herr Töpfer, wenn Sie Energie sparen wollen — ich unterstelle Ihnen wirklich einmal die gute Absicht — , um weniger Abgase zu produzieren, während die steuerlichen Sonderabschreibungen für Maßnahmen zur Energieeinsparung an Gebäuden gestrichen werden?



Lennartz
Macht es dann Sinn, die Förderung des Fernwärmeausbaus — ein riesiges Potential für das Energiesparen — gegen Null zu streichen, die Sonderabschreibungen für Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen, die eine unverzichtbare Hilfe zur Markteinführung von Techniken für erneuerbare Energien sind, zu streichen? Ist es wirklich ein Konzept, Herr Töpfer, wenn man die Förderung dessen, was man fordert, streicht?
Man sollte die Intelligenz deutscher Wissenschaftler, Ingenieure und Arbeitnehmer, auch vieler mittlerer und kleinerer Betriebe anreizen, statt alles in die Kassen der Großen zu scheffeln. Dies wäre eine vernünftige Politik, Herr Kollege Töpfer.

(Zustimmung bei der SPD)

Konzeptionslosigkeit zeichnet die Umweltpolitik dieser Bundesregierung aus. Es fehlen sowohl Konzepte zur Lösung von Einzelproblemen als auch zur Lösung der komplex vernetzten Umweltproblematik.
Wo auch immer der Bundesumweltminister als Hauptemittent von vollmundigen Ankündigungen agiert, bescheinigt ihm der Sachverständigenrat Versagen. Die Defizite, Herr Kollege Töpfer, werden überdeutlich. Das Umweltgutachten erklärt die Politik der Bundesregierung zum Schutz vor Kraftfahrzeugemissionen für gescheitert. Die Förderung des Dieselautos war ein Fehlgriff. Die Abgasreinigung bei Lastwagen wurde bisher verschlampt und ist längst überfällig. Meine Damen und Herren, Handlungsbedarf ist angesagt.

(Zustimmung der Abg. Frau Blunck [SPD])

Die Novellierung des Baugesetzbuches, als Jahrhundertreform gefeiert, habe den Lärmschutz verschlechtert, beklagen die Sachverständigen. Handlungsbedarf ist angesagt.
Auf die Wiederaufarbeitung von Atommüll, Herr Kollege Dr. Friedrich, soll verzichtet werden; nachzulesen auf Seite 523, 537. Sie müssen das Gutachten in seiner Gesamtheit lesen und verstehen, Herr Kollege.

(Zustimmung bei der SPD)

Der ständige Rückgang wildlebender Pflanzen und Tierarten sei — so der Rat — auch ein Produkt der Landwirtschaft, die heute viel umweltverträglicher produzieren könnte, wenn die Bundesregierung es nur wollte. Handlungsbedarf ist angesagt.
Das, was wir essen und trinken, bekommt uns unter dem Strich immer weniger, stellt der Rat fest. Auch hier ist die Bundesregierung handlungsunfähig, weil ihr mehr daran gelegen ist, Unbedenklichkeitsgrenzen für einzelne Lebensmittel festzulegen, als darüber nachzudenken, was insgesamt für den menschlichen Organismus gefährlich ist.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die Grenzen der Belastungen von Lebensmitteln mit Dioxinen, Blei, Cadmium, mit Nitraten und Pestiziden ist laut Sachverständigenrat erreicht und überschritten. Was tut denn die Bundesregierung, Herr
Kollege Töpfer? Nichts. Handlungsbedarf ist angesagt.
Operettengrenzwerte für private Hausfeuerungsanlagen, eine schwabbelige Technische Anleitung Luft, Herr Kollege Töpfer, eine Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die erst nach einer drastischen Nachbesserung durch die Länder, vor allem durch die SPD-Bundesländer, umweltwirksam wurde.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der FDP)

Sehen Sie sich bitte mal das Land Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf die Großfeuerungsanlagen-Verordnung an! Herr Kollege Baum, die ruinösen Bestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes und des Pflanzenschutzgesetzes, die aus lauter Ausnahmen bestehen und unser Trinkwasser niemals wirksam schützen können,

(Beckmann [FDP]: Was ist mit der Braunkohle?)

die üble Ausbeutung unserer Böden durch eine frühkapitalistische landwirtschaftliche Massenproduktion, zu der Sie, Herr Kollege, die Landwirte förmlich zwingen,

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Wen wollen Sie eigentlich damit beeindrucken?)

das Anwachsen unserer Müllberge, Ihre Tatenlosigkeit in Sachen Altlastensanierung, Chemikaliengesetz und Bundesnaturschutzgesetz, Ihre Verschleppungstaktik bei der versprochenen Staatszielbestimmung Umweltschutz

(Baum [FDP]: Dann stimmen Sie doch zu!)

Ihr Zieren und Zögern beim Umwelthaftungsrecht, Ihr Nullkonzept für Energiepolitik und Ihr blanker Atomlobbyismus,

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

all das sind einige Beispiele für die skandalösen, verantwortungslosen Handlungsdefizite dieser Bundesregierung im Umweltschutz.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU und der FDP)

— Herr Kollege, wenn Sie möchten, können Sie gern eine Frage stellen. Ich beantworte Ihnen das gerne. Wenn Sie es nicht wissen, dann lassen Sie bitte Ihre Zwischenrufe.

(Beckmann [FDP]: Erzählen Sie mal was von der Wasserwirtschaft bei der Braunkohle!)

Meine Damen und Herren, man kann hier feststellen: Reden — sehr gut, Handeln — mangelhaft. So gehört es auf Ihr Zeugnis, Herr Töpfer. Gäbe es eine Technische Anleitung heiße Luft, würden Sie sofort stillgelegt, Herr Minister Töpfer.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist doch wahrhaftig nicht so, als hätten wir Zeit genug. Wie soll denn noch deutlicher als in diesem Umweltgutachten ausgedrückt werden, daß alles den Bach hinuntergeht, wenn wir nicht endlich handeln



Lennartz
und wirksame sektorübergreifende Umweltpolitik betreiben? Dies ist das Ziel.

(Zustimmung der Abg. Frau Blunck [SPD])

Wir und die Menschen im Land haben allen Grund, daran zu zweifeln, daß die jetzige Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen überhaupt in der Lage und in der Verfassung sind, das Steuer in der Umweltpolitik herumzureißen.

(Beifall bei der SPD)

Wer Probleme aufspaltet und am Stückwerk herumdoktert, aber praktisch nichts in den Griff bekommt, von dem kann man keine vernetzten Problemlösungen erwarten, denn die Vernetzung von Problemlösungen ist den konservativen Technokraten, weil sie das Blickfeld erweitern könnten, geradezu ein Greuel. Ein erweitertes Blickfeld irritiert den konservativen Ideologen, der meint, in 3 % Wachstum des Bruttosozialprodukts liege das Heil aller Selbstregulierungskräfte.

(Beckmann [FDP]: Sie versuchen es ja jetzt in Berlin!)

Ein erweitertes Blickfeld würde vieles zeigen, was zum Innehalten und zum Umsteuern mahnt, Herr Kollege, und Innehalten ist nun wirklich nichts für konservative Wachstumsideologen. So werden wir wohl auf den nächsten Regierungswechsel warten müssen, bis in der Bundesrepublik Deutschland verantwortungsvolle Umweltpolitik gemacht wird. Hoffentlich ist es dann nicht zu spät.

(Beifall bei der SPD)

Wie sagen die Umwelträte? Sie drücken sich vielleicht vornehmer aus, sagen aber dasselbe — ich zitiere —:
Die sektoral ausgerichtete Umweltpolitik stieß jedoch an Grenzen, da sektorale Probleme immer häufiger nicht wirklich gelöst, sondern nur durch eine Verschiebung in einen anderen Umweltsektor zeitweilig bewältigt wurden.
Wir sagen: Schluß mit dem konservativen Verschiebebahnhof!

(Beifall bei der SPD)

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist gewappnet für eine komplexe, vernetzte Umweltpolitik. Sie ist bereit zu einer ökologischen Modernisierung der Volkswirtschaft.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU und der FDP)

Sie schafft die Klammer zwischen Markt und Natur, zwischen Arbeit und Umwelt.

(Beifall bei der Abg. Frau Blunck [SPD])

Wir sind bereit, die innovativen Kräfte unserer Volkswirtschaft anzureizen und zu nutzen, ökologisches und ökonomisches Wirtschaften herauszufordern. Wir sind für eine ökologische Vorreiterrolle der Bundesrepublik in der Europäischen Gemeinschaft, weil damit auch viel Geld verdient werden kann.

(Frau Blunck [SPD]: Richtig! Genauso ist es!)

Wir werden jedoch gerade im Zuge des europäischen Binnenmarktes keine weiteren Wettbewerbsverzerrungen durch Umweltschutz zu Lasten der deutschen Wirtschaft hinnehmen, sondern unseren Nachbarn in die Pflicht nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wirtschaft und Staat sind bei der ökologischen Erneuerung aufeinander angewiesen. Die deutsche Industrie hat längst begriffen, daß Umweltschutz die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen kann, in der Bundesrepublik und auf dem Weltmarkt. Die Industrie weiß, daß mit Umweltschutzinvestitionen oft auch eine Modernisierung weiterer Betriebsteile einhergeht, mit höherer Produktivität als Folge. Die Bundesregierung verhält sich so, als hätte sie davon noch nie etwas gehört.
Verläßliche langfristige Vorgaben und Zeitpläne, ökonomische Anreize, freie Entfaltung von Ingenieurkönnen und Verordnungen, Verordnungen, die auch kreative und ungewöhnliche Lösungen zulassen: so heißen unsere Angebote an die Wirtschaft. Schutz und Wiederherstellung unserer natürlichen Lebensgrundlagen sind für uns genauso Ziele einer ökologischen Wirtschaftspolitik wie Preisstabilität, Vollbeschäftigung und außenwirtschaftliches Gleichgewicht.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113103800
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1113103900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das sind die Reden, die im Lande draußen durch selbstgerechte Schwarzweißmalerei zur Politikverdrossenheit beitragen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der politische Gegner wird niedergemacht; die Kritik ist total und einseitig; es wird nicht gesehen, was positiv geleistet worden ist. Es werden auch die Übereinstimmungen verschwiegen. In der Enquete-Kommission hatten wir ein ganz anderes Klima. Es wird ebenfalls verschwiegen, wo man selber Blößen und Schwächen hat. Ich will Sie gar nicht darin einschränken, daß Sie die Regierung kritisieren; das ist Ihr gutes Recht. Aber die Art und Weise, wie Sie es gemacht haben, kann ich überhaupt nicht akzeptieren, Herr Lennartz, und es wird auch keine Beachtung finden.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der 1971 vom damaligen Innenminister Genscher eingerichtet worden ist, hat sich bewährt. In einer Vielzahl von speziellen und umfassenen Gutachten ist er ein unverzichtbarer Begleiter und Ratgeber in der Umweltpolitik geworden. Er vermittelt wichtige Darstellungen, Analysen und Vorschläge. Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen den Sachverständigen und ihren Mitarbeitern für diese Leistungen danken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Rat hat mit seinem Gutachten 1987 erneut einen Beitrag zur Versachlichung der Umweltpolitik geleistet; das hätten Sie einmal herausarbeiten müssen. Er hat natürlich auch die Regierung und die, die politi-



Baum
sche Verantwortung haben, kritisiert, aber nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Landesregierungen, etwa in bezug auf das Vollzugsdefizit. Herr Kollege Lennartz, er hat natürlich auch Ihre Positionen zum Teil kritisiert. Das hätten Sie ehrlich herausarbeiten müssen.
Ich glaube, wenn wir uns an diesem Gutachten einmal orientieren — Herr Kollege Friedrich hat ja versucht, allgemeine Konsequenzen daraus zu ziehen, auf welche Art und Weise wir umweltpolitische Themen behandeln — , könnten wir in der Umweltpolitik weiterkommen.
Es gibt eine ganz wichtige Feststellung des Rates — es ist übrigens eine Feststellung von 1978, die er hier wiederholt. Er sagt:
Nur mit den Mitteln der technisch-industriellen Zivilisation können die Probleme, die diese Zivilisation geschaffen hat, erkannt und überwunden werden. Sich dieser Aufgabe zu stellen ist schwieriger, anspruchsvoller und auch undankbarer, als die Haltung eines Rigorismus einzunehmen, der die wirklichen Probleme — Entscheidungen über Güterkollisionen, Bewertung von Nutzen und Risiken einzelner Techniken, Entwurf und Durchsetzung kalkulierbarer Handlungskonzepte — hinter der unerfüllbaren Forderung nach Null-Emissionen versteckt.
Ich halte das für einen ganz wichtigen Beitrag zur Versachlichung unserer Politik.
In dem Gutachten wird noch einmal darauf hingewiesen, daß die Basis für eine konsequente Umweltvorsorgepolitik die Ökologie ist. Die Ökologie ist keine naturwissenschaftlich verbrämte Ideologie, sondern eine Wissenschaft, die Wissenschaft, die das Zusammenwirken und die wechselseitigen Abhängigkeiten der Umweltfaktoren untersucht und damit die Grenzen der Belastbarkeit der Umwelt feststellen möchte.

(Zuruf von den GRÜNEN: Wir müssen handeln!)

Sie untersucht die Wechselwirkungen, auf Grund deren ein Eingriff an einer Stelle Auswirkungen an anderen Stellen hat. Wir brauchen für diese Umweltvorsorgepolitik politische Eckwerte. Auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene müssen wir konkrete Stoff- und medienbezogene Umweltqualitätsziele formulieren.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist richtig!)

Diese Aufgabe ist sehr schwierig und noch lange nicht erledigt.
Meine Partei hat 1980 in ihrem Umweltprogramm gesagt:
Langfristig müssen ökologische Verflechtungen mit den wechselseitigen Abhängigkeiten und Querverbindungen zu einem ökologischen Datenkranz entwickelt werden, der die Rahmenbedingungen für alle anderen Politikbereiche bildet.
Dieses Ziel müssen wir mit Nachdruck weiter verfolgen.
Ganz wichtig ist auch das, was der Rat mit folgendem sagt:
Es kann nicht wissenschaftlich entschieden werden, was optimale Zustände einer Umweltqualität sind. Vielmehr müssen Gesellschaft und Parteien gewillt sein, in demokratischen, partizipatorischen und notfalls auch konflikterfüllten Verfahren einen Konsens über die jeweils anzustrebende Umweltqualität zu suchen.
Das ist eine ständige Aufgabe auch des Streits unter uns, aber sie kann wesentlich sachlicher erfüllt werden, als es manchmal geschieht.
Der Rat sagt weiter — und ich unterstütze diese Feststellung —, daß im Hinblick auf die Realisierung umweltpolitischer und ökologischer Ziele Handeln und Verhalten wichtiger sind als Einstellung und Wissen. Wir wissen eine Menge, und die Einstellung der Bevölkerung ist nicht schlecht; das Problem liegt darin, wie wir handeln und wie wir uns verhalten. Hier kann man nur, anknüpfend an das, was auch meine Partei immer erklärt hat, generell sagen: Wir brauchen eine tiefgreifende Überprüfung und Änderung bestimmter Lebensgewohnheiten in allen Bereichen unserer Gesellschaft.
In einer weiteren Bemerkung bedauert der Rat, daß die praktische Umweltpolitik stärker ökonomisch ausgerichteten Instrumenten vergleichsweise wenig Gewicht beigemessen hat. Ich unterstütze diese Feststellung. Der Rat empfiehlt der Bundesregierung, Herr Töpfer, bei der Realisierung ihrer Umweltpolitik künftig stärker als bisher den Einsatz ökonomischer und flexibler Instrumente zu erwägen. Der Spielraum ist nicht sehr groß, aber es gibt noch einen Spielraum, und den müssen wir ausschöpfen, um das ordnungsrechtliche Instrumentarium zu ergänzen. Wir dürfen nicht zu stark, nicht einseitig auf dieses ordnungsrechtliche Instrumentarium setzen. Das gilt für die Produktionsanlagen wie für die Produkte. Unser Ziel sind nicht allgemeine Umweltsteuern, die keine spezielle Umweltentlastung bewirken. Wir brauchen vielmehr wirklich Lenkungsinstrumente, Anreize, die unmittelbar wirken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir werden ja eine Debatte darüber führen, und wir müssen das hier sicher vertiefen. All dies entspricht dem Verursacherprinzip. Wir brauchen also zusätzliche Anreize für umweltfreundliches Verhalten der Verbraucher und der Investoren. Es muß sich eben in den Bilanzen der Unternehmen und in den Haushaltskassen unserer Familien auswirken, ob man sich umweltfreundlich oder nicht umweltfreundlich verhält.

(Sehr wahr! bei der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Und wie kriegt man die dazu?)

Umweltschädigende Produkte sollten mit einer Abgabe belegt werden, wie wir es beispielsweise beim bleihaltigen Benzin machen. Ich fordere auch die Finanzpolitiker und die Wirtschaftspolitiker in diesem Hause auf, sich mit uns zusammen einmal kreativ über die Spielräume zu unterhalten, die es noch gibt.
Die Bundesregierung steht auch vor der Aufgabe, die steuerlichen und sonstigen Förderungen von Maß-



Baum
nahmen zur Energieeinsparung und zur rationellen Energienutzung neu zu konzipieren. Die Förderung integrierter Umwelttechnologien halte ich für sinnvoll. Es müssen wieder Anreize für umweltverbessernde Investitionen festgelegt werden. Wir können uns nicht damit abfinden, daß die bisherigen Anreize ersatzlos wegfallen. Sie müssen modernisiert werden!
Der Sachverständigenrat fordert für die künftige Umweltpolitik ein allgemeines, sektorübergreifendes und in sich abgestimmtes Konzept. Meine Damen und Herren, das ist keine neue Zielsetzung. Das war beispielsweise die Grundlage von Aufträgen, die die frühere Bundesregierung an Professor Bick und seine Arbeitsgruppe hier in Bonn mit dem Ergebnis eines wichtigen Ökologiegutachtens gegeben hat. Wir brauchen diese mittelfristigen Konzepte, in die die Einzelmaßnahmen einfließen. Auch ich bin der Meinung, daß Umweltverbesserungen in Teilbereichen nicht helfen, wenn die Zusammenhänge nicht aufgezeigt werden. Anzustreben ist stets eine umfassende Ökobilanz unter Einbeziehung aller umweltrelevanten Aspekte.
Ich möchte ein aktuelles Beispiel nennen: Wir müssen uns bequemen, ein mittelfristiges Konzept für die Entwicklung des Verkehrs in der Bundesrepublik zu erarbeiten: Was läuft künftig auf der Schiene? Was läuft auf der Straße? unter Berücksichtigung der neuesten Erkenntnis, daß das Auto noch viel stärker Sorgenkind geblieben ist, als wir uns das eigentlich gewünscht haben, sowohl unter dem Gesichtspunkt der Stickoxidemissionen als auch unter dem Gesichtspunkt der Kohlendioxidemissionen.

(Frau Traupe [SPD]: Da gab es zu Ihrer Zeit als Innenminister schon genügend Warner!)

— Na ja, gut. Aber bitte, wollen Sie doch nicht so selbstgerecht sein, die heutigen Erkenntnisse auf eine frühere Situation zu übertragen. Ich habe als Innenminister einmal gesagt: Das Auto ist der Umweltfeind Nummer eins. Ich kann Ihnen aufzeigen, was ich da für Proteste bekommen habe.
Im übrigen waren wir damals auf einem Weg, der sich jetzt wieder öffnet. Wir wollten die Kohlendioxidemissionen beim Auto einschränken. Jetzt ist das d a s europäische Thema. Wir müssen beides tun: Stickoxid und Kohlendioxid verringern. Sehen Sie, eine Zeitlang, zu der Zeit, als ich Innenminister war, wurde das Auto unter dem Gesichtspunkt Kohlendioxide diskutiert, dann kam die Diskussion um die Stickoxide, und jetzt ist beides Thema.
Hervorheben möchte ich die notwendige Verbesserung des Naturschutzrechtes, ein zentraler Punkt. Nur eine gründliche Neufassung der Naturschutzgesetze und ihr energischer Vollzug können die Situation verbessern. Die Aussage des Sachverständigenrates, daß die gegenwärtige Situation in diesem Bereich durch einen immer noch größer werdenden Gegensatz zwischen den Zielen des Naturschutzgesetzes und dem tatsächlichen ökologischen Zustand gekennzeichnet ist, halten wir für außerordentlich beunruhigend. Auçh die Ausweisung von Naturschutzgebieten in den Ländern — das können sie ja jetzt schon tun, und das müssen sie auch tun — ist unbefriedigend. Es bedarf dazu keiner neuen Gesetze, aber es kostet Geld.
Meine Damen und Herren, das Umweltgutachten macht weiter deutlich, daß Bundesgesetze und immer wieder vorzunehmende Novellierungen von solchen Gesetzen nicht ausreichen. Wir müssen immer wieder die Tatsache sehen, daß wir Vollzugsdefizite haben, daß Gesetze, die wir in diesem Hause beschlossen haben, nicht ausreichend oder erst nach langer Verzögerungsphase angewandt werden. Es hat überhaupt keinen Sinn, stolz auf die im Bundesgesetzblatt publizierten Gesetze hinzuweisen und zu verdrängen, daß diese Vollzugsdefizite bestehen. Ich möchte anregen, daß der Rat eines seiner nächsten Gutachten dem Thema der Vollzugsdefizite mit dem Motto widmet: „Vollzug des Umweltrechts in der Bundesrepublik Deutschland" , damit wir einmal Klarheit haben, was wirklich mit dem Instrumentarium geschieht, das wir beschlossen haben.
Ein weiterer Bereich ist der Gewässerschutz. Wir brauchen hier Produktions- und Anwendungsbeschränkungen und -verbote. Die Sicherung des Grundwassers und der Trinkwasserversorgung wird zu den wichtigsten Herausforderungen der Umweltpolitik der 90er Jahre gehören, meine Damen und Herren.
Wir sind der Meinung, daß die Europäische Gemeinschaft eine ganz wichtige Rolle spielt. Sie muß zu einer Umweltgemeinschaft mit hohen Standards ausgebaut werden. Wir begrüßen die Vorschläge des EGKommissionspräsidenten zum EG-Umweltamt und zum EG-Umweltfonds. Die EG muß in der Umweltpolitik deutlicher Flagge zeigen. Wir müssen uns auch einmal sehr sorgfältig darüber unterhalten, welche Wirkung der Binnenmarkt eigentlich auf den Umweltschutz hat. Das muß genau untersucht werden,

(Beifall bei der FDP — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das wird aber Zeit!)

und zwar positiv und negativ.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113104000
Herr Abgeordneter Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Daniels?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1113104100
Ja, bitte. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1113104200
Herr Baum, Sie haben hier einige sehr sinnvolle Maßnahmen vorgetragen. Ich habe nur das Problem — sehen Sie das nicht auch? — , daß Ihre Äußerungen im Grunde genommen, obwohl Sie Koalitionspartner sind, einen reinen Appellcharakter haben und sich in praktischer Politik, was diese Regierung angeht, überhaupt nicht umsetzen lassen.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1113104300
Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Es gibt hier viel Übereinstimmung in den Zielen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: In den Zielen!)

Es gibt Erfolge, die die Regierung zu verzeichnen hat. Es gibt Pläne der Regierung, es gibt eine Politik der Regierung. Nicht alles läßt sich sofort realisieren. Das, was ich hier sage, ist in der großen Linie und auch in



Baum
vielen Einzelheiten gemeinsame Politik der Koalition.
Ich möchte nicht nur auf die Europäische Gemeinschaft, sondern auch auf die UNO hinweisen. Ich meine, wir müssen alles tun, damit die UNEP, die zuständige Umweltbehörde der UNO, aufgewertet wird. Sie darf nicht dieses Schattendasein führen, das sie leider viele Jahre hat führen müssen.
Konsequenter Umweltschutz ist eine riesige ökonomische Chance. Das Statistische Bundesamt schätzt den Produktionswert der Umweltschutzgüter und -leistungen auf 23 Milliarden DM pro Jahr. 440 000 Arbeitsplätze hängen nach den Schätzungen vom Umweltschutz ab, sind also Umweltschutzprodukten und -investitionen gewidmet.
Das Umweltgutachten gibt eine Vielzahl wertvoller Anregungen, auch zu Lärm- und Gesundheitsschutz, auf die ich nicht eingehen kann. Auch die Aussagen des Rates zum Thema „Umwelt und Energie" sind außerordentlich interessant.
Zum Schluß weise ich auf eine Situation hin, die mir Sorgen macht. Ich wünsche mir, daß der Sachverständigenrat für Umweltfragen eine noch größere öffentliche Aufmerksamkeit findet. Vergleichen Sie einmal das Echo, das dieses Gutachten hat, mit dem Echo, das die Wirtschaftsgutachten haben.

(Beifall des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD])

Dann werden Sie sehen — an diesem Punkt kann man es deutlich machen — , daß unser Thema unterbewertet ist.
Die Zeitungen haben Wirtschaftsteile, die Zeitungen haben Wirtschaftsredakteure, Redakteure, die Bilanzen lesen können; die Zeitungen haben in den wenigsten Fällen Redakteure, die in der Lage sind, die Emissionen einer Kläranlage zu bewerten.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und den GRÜNEN)

Wir brauchen sachverständige Partner auch in den Medien. Warum haben die Zeitungen keinen Umweltteil? Jedenfalls müssen sie ein bißchen mehr über diese Dinge schreiben.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Was sollen sie denn da reinschreiben?)

Das werden Sie auch morgen bei der Berichterstattung über diese Debatte finden. Da wird es genauso sein.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wenn es eine Wirtschaftsdebatte wäre, wären die Wirtschaftsteile der Zeitungen voll von dieser Debatte. Aber es ist nur eine Umweltdebatte. Sie wird im allgemeinen Teil neben anderem abgehandelt. Man kann dankbar sein, wenn man für seine Ausführungen einen einzigen Satz erhält. Meist wird man nur erwähnt, wenn man irgend jemanden kritisiert.
Das Sachverständigengutachten bestätigt, daß wir mit unserer in den 70er Jahren eingeleiteten Umweltpolitik auf dem richtigen Weg sind.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Das bestätigt es nicht!)

Das dürfen Sie bitte nicht verdrängen, Herr Kollege Lennartz. Das steht darin. Die Fortschritte sind unverkennbar, was auch die Vergleiche mit anderen Staaten deutlich machen.
Die FDP wird weiterhin in Richtung auf eine entschiedene, an klaren Prioritäten orientierte, für alle Beteiligten berechenbare Umweltpolitik in einem marktwirtschaftlichen System drängen, das bisher bewiesen hat, daß es auch in Sachen Umweltschutz allen anderen Wirtschaftsordnungen überlegen ist.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113104400
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wollny.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113104500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist bei meinen Vorrednern aufgefallen, was so ein Gutachten eigentlich hergibt. Es gibt jedem das, was er herauslesen will.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Richtig — Baum [FDP]: Nun warten wir mal ab, was Sie sagen!)

Auch wir haben das getan.

(Gröbl [CDU/CSU]: Und was lesen Sie heraus?)

Die Umwelt erhalten, unsere natürlichen Grundlagen erhalten, unseren Planeten Erde erhalten — ich nehme an, da sind alle dabei. Jeder weiß, das ist wichtig, und da muß etwas getan werden.
Die Frage, die sich stellt, lautet: Ist es fünf Minuten vor zwölf, oder ist es möglicherweise schon fünf Minuten nach zwölf?

(Stahl [Kempen] [SPD]: Es kann auch zehn Minuten vor zwölf sein!)

Angesichts der Brisanz der Probleme ist es außerordentlich bemerkenswert, daß sich dieses Hohe Haus heute gerade zwei Stunden Zeit nimmt, um das Umweltgutachten 1987 zu diskutieren. Dieser Fakt macht deutlich, welchen Stellenwert Umweltpolitik für diese Regierung hat. Zwei Stunden für das globale Problem der galoppierenden Umweltzerstörung! Zwei Stunden, während derer irgendwo auf der Welt eine Pflanze ausstirbt.
Eine Viertelstunde für die Luft, die durch die zunehmende Belastung mit Stickoxiden die Kinder an Pseudo-Krupp sterben läßt, die Atemwegserkrankungen und Allergien hochschnellen läßt und uns in vielen Ballungsgebieten verwunderlicherweise noch nicht erstickt hat. Eine Viertelstunde für den Boden, von dem allein in der Bundesrepublik täglich über 120 ha durch Straßenbau, Parkplätze, Einkaufszentren usw. versiegelt werden und wo die zunehmende industrielle Agrarproduktion zu Bodenerosionen führt, jeden Tag eine Tierart verschwindet und jährlich eine Fläche von der Größe der BRD zur Wüste wird.

(Frau Hensel [GRÜNE]: So ist das!)

Eine Viertelstunde für unser Wasser, das, durch Nitrate, Pestizide, Chemikalien aller Art verseucht,



Frau Wollny
bald zur Mangelware werden wird, wenn alles so weitergeht, wie bisher.
Dann noch eine Viertelstunde für die Gesundheit, die laut Gründungserklärung der Weltgesundheitsbehörde von 1946 ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheiten sein soll,

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Richtig!)

die aber ohne Rücksicht durch schwermetallbelastete Nahrung, durch radioaktive Strahlung, durch Emissionen und Immissionen jeglicher Art, durch Streß, Zerstörung von Kommunikations- und gewachsenen Lebenszusammenhängen nicht nur aufs Spiel gesetzt wird, sondern sich jeden Tag weiter von einem Zustand des Wohlbefindens entfernt.

(Frau Hensel [GRÜNE]: So genau ist es!)

Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um eine unnötige Dramatisierung der Situation; vielmehr ergibt sich dieses Szenario, wenn man der Analyse des Gutachtens in den einzelnen Bereichen folgt. Dieser Zustand, diese Analyse schreien nach Handeln. Und auch das ist nicht neu. In den letzten Jahren wurden Gutachten vorgelegt, die alle zu dem gleichen Ergebnis kamen: Handeln tut not, und zwar drastisches Handeln.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Und sofort!)

Wie reagiert die Politik auf diesen Streit? Allenthalben vollmundige Worte über den Umweltschutz. Manche trauen sich sogar von ökologischer Politik zu reden und verwechseln dabei Worte mit Taten. Wo sind heute die Maßnahmen zur Sanierung der Altlasten? Wo sind die durchgreifenden Maßnahmen, um unsere Lebensgrundlagen wiederzugewinnen? Wo sind erst recht Maßnahmen, die rigoros die Produktion von Umweltgiften, den Raubbau an der Natur, die Entwicklung und den Einsatz lebensgefährdender Technologien unterbinden? Heutige Umweltpolitik wird immer dort ganz kleinlaut, wo die Industrie „Halt! Stop!" ruft oder, wenn das nicht reicht, „Arbeitsplätze! Arbeitsplätze! " flüstert.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Spätestens dann, Herr Töpfer, müssen Sie gute Miene zum bösen Spiel machen. Aber ich weiß, Sie haben keinen leichten Job.
Wo findet eine Ursachenbekämpfung statt? Wer traut sich Verbote von Produktionen oder Produkten auszusprechen,

(Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE]: DIE GRÜNEN!)

von denen lange bekannt ist, welche katastrophalen Folgen sie haben, seien es Chemikalien, die Atomindustrie oder anderes.
Statt dessen wird Recycling angeboten, das ja als solches keine schlechte Sache ist, aber eine Verdummung der Bevölkerung, wenn im Haushalt Papier, Plastik, Glas fein sortiert zum Recyclingcontainer getragen werden und nachher nicht, wie die Leute glauben, wieder in den Produktionsprozeß gelangen, sondern zum Beispiel Plastikstoffe fein gepreßt via Hongkong in China auf dem Land verbrannt werden.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Wie in „Panorama" berichtet!)

Ich bin gespannt, Herr Töpfer, wie Sie heute nachmittag vor der Presse rechtfertigen werden, was da geschieht.
Dabei ließe sich ein Großteil des Mülls vermeiden, wenn man zum Beispiel allein bei den Verpackungen anfinge. Aber wo wird da gehandelt, wo wird Ursachenbekämpfung betrieben?
Es ist in diesem Zusammenhang ein Gipfel von Perversion, wenn man uns eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage als Recycling und als ökologischen Beitrag zur Ressourcenschonung verkaufen will.

(Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich!)

Hier stehen die Verhältnisse doch wahrlich auf dem Kopf.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Nein, es wird munter weiterproduziert, und Müllberge aller Art, ob im Chemie- oder Atombereich, wachsen uns über den Kopf. Der Ausweg ist dann eine neue „Tourismusbranche", der Export unseres Wohlstandsdrecks als Entwicklungshilfe für die Dritte Welt.

(Frau Hensel [GRÜNE]: So ist das!)

Umweltschutzpolitik, wie sie heute produziert wird, orientiert sich eben nicht am Schutz von natürlichen Grundlagen und der Gesundheit von Mensch und Tier, sondern an der Tatsache, daß sich mit Umwelttechniken gute Geschäfte machen lassen, und das von den gleichen Konzernen, ob RWE, Siemens oder Hoechst, die sich als die größten Umweltzerstörer heute ihren Umwelttechnologiezweig aufbauen, wie Müllverbrennungsanlagen, Klärwerke und ähnliches. So lassen sich zweimal Profite machen: einmal mit Ausbeutung, Zerstörung und Vergiftung der Umwelt und anschließend mit den Reparaturmaßnahmen.

(Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE]: Das ist Marktwirtschaft!)

Solange die Politik sich von der Wirtschaft diktieren läßt, was machbar ist, kann es Umweltpolitik nur als Reparaturpolitik geben. Solange man lediglich überlegt, auf marktwirtschaftliche Umweltpolitik zu setzen, statt Öko-Steuern zu erheben, oder überlegt, ob man nicht die Abwasserabgaben an der Restverschmutzung orientiert, und überlegt, statt weiterer Filteranlagen zur Verringerung der Luftverschmutzung lieber Abgaben auf die Restverschmutzung zu erheben, wie jetzt von der CDU zu hören ist, so lange geht die Umweltzerstörung weiter. Statt etwas zu tun, wird überlegt, diskutiert, geredet, und in der Zwischenzeit verschmutzen die Flüsse weiter, wird das Grundwasser weiter belastet, wird die Luft immer mehr vergiftet. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, wenn die Bevölkerung die Problemlösungskompetenz von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zunehmend skeptischer betrachtet, wie das Umweltgutachten feststellt. Man kann ruhig hinzufügen: Die Bevölkerung kann gar nicht skeptisch genug sein.



Frau Wollny
Die GRÜNEN haben im Gegensatz zu dieser Regierung wichtige Instrumentarien der Umweltpolitik vorgeschlagen: eine ökologische und sozial orientierte regionale Strukturpolitik, um eine selbstbestimmte und dezentrale Entwicklung wieder möglich zu machen, die Verpflichtung von Unternehmen zur Aufstellung von Umweltbilanzen und eine Umstrukturierung des Finanzsystems hin zu einer steuerlichen Belastung von Umweltnutzung, nicht erst -verschmutzung. Vorschläge zu einer ökologischen Steuerreform liegen seit längerem auf dem Tisch. Dazu gehören ordnungspolitische Maßnahmen wie Verbote und Gebote sowie eine ökologische Umverteilung der Staatsausgaben, Forschungsförderung zugunsten der Umwelt, Umweltverträglichkeitsprüfungen sowie Maßnahmen zur Sanierung bestehender Umweltschäden, um nur einige Stichworte zu nennen.
Doch uns ist durchaus bewußt, daß solche Instrumentarien allein nicht ausreichen können, denn Umweltpolitik stößt immer dort an ihre Grenzen, wo Produktionsstrukturen, d. h. die Interessen von Industrie und Wirtschaft, beschnitten werden sollen. Aber eine Politik, die umweltgerecht und erst recht ökologisch sein will, muß sich diesem Konflikt stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es kann nicht angehen, daß die Industrie die Marschrichtung nach ihren Profitinteressen vorgibt. Qualitätsziele, wie saubere Luft, sauberes Wasser und sauberer Boden müssen die Orientierungspunkte der Politik sein. Es ist jedoch nicht einsehbar, daß die Bürgerinnen und Bürger auf Grund ihres gestiegenen Umweltbewußtseins durch erhöhte Gebühren oder Verteuerung der Waren für eine bessere Umwelt zur Kasse gebeten werden sollen, solange die Industrie Rekordgewinne macht und sich ihre Umwelttechniken auch noch vom einzelnen finanzieren läßt.
Dabei ist uns bewußt, daß eine Verhaltensänderung, eine tiefgreifende Überprüfung und entsprechende Änderung bestimmter Lebensgewohnheiten erforderlich sein werden, wie es im Umweltgutachten heißt. Tatsache ist allerdings, daß sich unter den Bedingungen heutiger Entscheidungsstrukturen und unter den Bedingungen undurchsichtiger Zielvorgaben eine breite Verhaltensänderung in der Bevölkerung nicht durchsetzen kann. Solange sich eine Politik der Mißachtung der Interessen der Bevölkerung weiter fortsetzt, ist es unverschämt, eine individuelle Veränderung zu verlangen. Nötig ist eine Demokratisierung der Entscheidungsfindung und Entscheidungsstrukturen auf allen Ebenen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Umweltgutachten nennt es so: „Vielmehr müssen Gesellschaft und Parteien gewillt sein, in demokratische partizipatorische und notfalls auch konflikterfüllte Verfahren einen Konsens über die jeweils anzustrebende Umweltqualität und die daraus abzuleitenden Standards zu suchen."
Fakt ist, daß heute Entscheidungen, Urteile und Bewertungen hinter verschlossenen Türen abgehandelt werden. Irgendwelche Kommissionen entscheiden über Grenzwerte, Belastungen, schädliche gesundheitliche Folgen und was sonst noch erlaubt ist.
Auf diese Art werden wir nicht schaffen, was die nötigste Vorgabe für den Rest dieses Jahrhunderts ist, nämlich die Umwelt für unsere Kinder in Ordnung zu halten. Deshalb müssen die Menschen aufstehen, sie müssen sich das Recht nehmen, die Entscheidungen mit zu treffen und sie nicht der Politik allein zu überlassen.
Das betrifft jeden einzelnen, das betrifft die Gewerkschaften und alle gesellschaftlichen Gruppen, die eine ökologische Politik wollen. Nur so ist die Welt vielleicht zu retten.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113104600
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Bitte sehr.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113104700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich zunächst sehr nachhaltig — das wird Sie möglicherweise überraschen — bei dem Abgeordneten Lennartz bedanken. Herr Abgeordneter Müller, der Abgeordnete Lennartz war von dem Niederreißen des Zauns so überrascht, daß er schnell wieder dahintergelaufen ist und ganz laut gebellt hat. Aber eine Freude werde ich ihm nicht machen: Ich werde nicht hinterherlaufen und zurückbellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gehen Sie davon aus: Dies werden wir nicht tun. Soviel habe ich zumindest aus Ihrem trefflichen Beispiel gelernt.
Ich habe vor allen Dingen gelernt, wie das, was Sie zur konstruktiven Diskussion über Umweltpolitik angefordert haben, so nicht beantwortet werden kann, wenn es ernst gemeint sein soll. Dabei halte ich es sehr mit dem großen Philosophen Spaemann, der in der Laudatio zu Hans Jonas in der Frankfurter Paulskirche gesagt hat: „Wenn wir uns zu schnell auf das Falsche einigen, so bleibt es doch das Falsche. " Auseinandersetzung: ja; nur, damit wir bellen: nein.
Jetzt zur Sache. Meine Damen und Herren, als ich vom damaligen zuständigen Minister Baum 1978 zum Mitglied des Rates von Sachverständigen berufen wurde, habe ich mir nicht träumen lassen, daß ich das nächste Gesamtgutachten dieses Rates hier als Minister mit vertreten könnte. Damals war gerade das 78er Gutachten abgeschlossen. Wir sind in die Diskussion des Nordseegutachtens eingetreten. Wir waren auch der Meinung, daß es eigentlich notwendig sei, häufiger eine solche Zwischenbilanz der Umweltpolitik insgesamt zu ziehen.
Ich glaube, wir sollten heute festhalten — neben dem, was Sie, Herr Baum, gesagt haben und was auch von mir getragen wird — : Wir brauchen mehr Öffentlichkeit für alle Gutachten. Wir brauchen in regelmäßiger Abfolge auch Gesamtgutachten. Das muß sich genauso selbstverständlich für den Umweltbereich einstellen, daß eine Bilanz, auch eine spezifizierte Bilanz, erstellt werden muß, die genauso diskutiert wird wie das, was sich auf den wirtschaftlichen Bereich bezieht.



Bundesminister Dr. Töpfer
Ich glaube, daß das vorliegende Gutachten ein gutes Beispiel für eine gelungene wissenschaftliche Politikberatung ist. Es sagt nicht von vornherein: Unser ganzes Heil liegt nur in dem Lob für die Regierenden. Genausowenig sagt es: Unser ganzes Heil liegt nur in der Diskussion dessen, was kritisiert werden muß.
Das, was Sie, Frau Abgeordnete Wollny, vorgetragen haben — ich bedanke mich für die Art, wie Sie das getan haben —, ist ein Beleg dafür, daß in einer hochindustrialisierten Volkswirtschaft aus einem Gutachten von 600 Seiten über Umweltpolitik genauso Kritik herausgelesen werden kann, wie natürlich auch der eine oder andere Weiterentwicklungsansatz enthalten ist. Wen wundert es, daß die Regierenden das herausgreifen, was bestätigend ist, und diejenigen, die opponieren, natürlich deutlich machen, was noch zu tun ist? Dies ist nicht etwas Überraschendes, sondern dies ist etwas in der Demokratie Notwendiges. Ich bedanke mich für die Kritik, die hier konstruktiv eingebracht wird, genauso wie ich natürlich darauf hinweise, daß wir in wichtigen Aufgabengebieten wie etwa der Luftreinhaltung bestätigt bekommen: Hier sind wir wesentlich vorangekommen, ohne das Ziel zu erreichen. Der Abgeordnete Friedrich hat genau darauf aufmerksam gemacht.
Ich warte natürlich mit großem Interesse auf das Sondergutachten Abfall. Der Sachverständigenrat hat ja gerade den Teilbereich Abfall herausgenommen, weil er ihn mit einem Sondergutachten bedenken will. Ich glaube, das hat er richtig gemacht, damit es nicht zu 600 Seiten noch 100 zusätzlich gibt, die dann wiederum nicht spezifisch behandelt werden, sondern daß wir dann diese Diskussion ganz konkret angehen.
Wenn ich — was ich eigentlich noch nie gemacht habe — in Reaktion auf eine Fernsehberichterstattung heute in eine Pressekonferenz zu der Frage der sogenannten Recycling-Lüge gehe, dann, meine Damen und Herren, viel weniger unter dem Gesichtspunkt, daß der Bundesumweltminister hingeht, sondern ich gehe in diese Pressekonferenz heute nachmittag gemeinsam mit allen kommunalen Spitzenverbänden, weil ich eine solche Aussage nicht als eine Kritik und eine, wie ich meine, unterstellende Kritik an der Bundespolitik empfinde, sondern an dem engagierten Arbeiten vieler Kommunalpolitiker in den Städten, die sich darum bemühen, ein vertretbares, ein vernünftiges Recycling-System zu entwickeln, ohne daß damit irgendwo eine Lüge verbunden ist, sondern wo ganz nachhaltig daran gearbeitet wird, immer knapper werdende Deponiekapazitäten zu schonen. Ich möchte dort die Chance schaffen und nicht für mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Es genügt nicht, nur ein Bundesgesetz zu verabschieden! Das reicht nicht!)

Meine Damen und Herren, ich würde mich auf diese Aktuelle Stunde sehr freuen; gehen Sie bitte davon aus.
Ich bin der festen Überzeugung, daß wir uns auf drei Punkte konzentrieren können. Ich möchte jedenfalls drei herausgreifen. Den einen hat auch der Herr Abgeordnete Baum angesprochen: Das ist der Hinweis darauf, daß der Rat kritisch anmerkt, es seien bisher zu wenig marktwirtschaftliche Instrumente in der Umweltpolitik verankert. Er sagt, bei der Realisierung der Umweltpolitik müsse künftig stärker als bisher auf den Einsatz ökonomischer, flexibler Instrumente gesetzt werden.
Das zweite, was ich herausarbeiten möchte, ist die kritische Rückfrage, ob eine sektoral auf die einzelnen Umweltmedien ausgerichtete Umweltpolitik hinreichend ist oder ob wir nicht die Integration, die Zusammenfassung sehr viel stärker sehen müssen.
Und das dritte ist, daß ich auf einzelne Politikfelder, die ich für bedeutsam halte, besonders eingehe.
Lassen Sie mich zu diesen drei Themen einige ergänzende Ausführungen machen.
Zum ersten: Stärkere Einbeziehung auch ökonomischer Instrumente. Es ist ganz unstrittig: Die Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus ist als eine vornehmlich auf das Ordnungsrecht hin ausgerichtete Politik entwickelt worden. Nebenbei: Ganz genauso, wie etwa auch die Sozialpolitik einen sozialen Rahmen um die freie Marktwirtschaft gelegt hat, so ist die Umweltpolitik angetreten, einen ökologischen Rahmen um die freie Marktwirtschaft zu legen. Dieser muß auch — um das ganz klar zu sagen — weiter ausgebaut und immer und immer wieder neu bestimmt werden. Deswegen heißt der Hinweis „Mehr ökonomische Instrumente" nicht Verzicht auf ordnungsrechtliche Bereiche. Das an den Anfang gestellt, damit uns nicht der Vorwurf gemacht wird, wir würden auf die Marktwirtschaft oder gar auf das Mitwirken einzelner dann hinweisen, wenn unser Rückgrat nicht stark genug ist, um im Ordnungsrecht weiter voranzukommen. Dies ist nicht ein Entweder-Oder, sondern ein klares Sowohl-alsAuch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

So arbeiten wir gegenwärtig an der weiteren Entwicklung des gesetzlichen Rahmens, aber wir versuchen im gesetzlichen Rahmen gerade die Ordnungsinstrumente zu erweitern, die auch Anreize bieten.
Beispiel Nr. 1: Wir bleiben nicht bei dem Abwasserabgabengesetz stehen, wie es jetzt vorliegt, sondern wir gehen an die Weiterentwicklung des Abwasserabgabengesetzes mit der Ergänzung der Abgabeparameter und mit der Erhöhung der Abgabe selbst.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das wird höchste Zeit!)

Dies vor allen Dingen, meine Damen und Herren, auch mit dem klaren Ziel, nicht Abgabe zu erwirken, sondern Investitionen zu begründen. Das ist der Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wollen nicht Abgabe haben, sondern wir wollen bessere Kläranlagen haben. Deswegen werden wir in die Novelle, die jetzt auch mit den Ländern und mit den Beteiligten erörtert wird, aufnehmen, daß eine Anrechnung von 100 % über drei Jahre der Abgabe auf die Investitionen möglich wird, so daß wir die Chance haben, voll und ganz auch bürokratische Ent-



Bundesminister Dr. Töpfer
lastung zu bekommen, die dieses Instrument sonst bietet.
Wir haben ein Zweites getan, meine Damen und Herren. Wir sind bei der Frage der Abgabe nicht bei der Abwasserabgabe stehengeblieben. Wir haben die Diskussion an der Naturschutzabgabe konkret fixiert. Ich weiß, hier gibt es weiteren Klärungs- und Informationsbedarf. Ich habe einmal zurückgeblättert. Damals hatten wir noch eine andere Bundesregierung. Wenn ich mir überlege — das ist gar nicht kritisch gemeint — , wie intensiv, umfassend und zeitaufwendig die Diskussion über das Wasserabgabengesetz gewesen ist, dann kann ich mich nicht darüber wundern, daß, wenn wir jetzt zum erstenmal sagen: So stellen wir uns die Naturschutzabgabe vor, das morgen nicht bereits gemacht sein kann. Hier haben wir genauso zu diskutieren, um zu einem Ergebnis zu kommen.
Entscheidend für mich ist eines: daß wir als Abgabetatbestand etwas nehmen müssen, was umweltpolitisch entscheidende Bedeutung hat. Die Frau Abgeordnete Wollny hat hier auf den Flächenverbrauch hingewiesen. Ich halte es für richtig, daß wir als Abgabetatbestand den Flächenverbrauch heranziehen,

(Beifall des Abg. Dr. Knabe [GRÜNE])

damit wir ganz klipp und klar eine motivierende Größe haben. Denn das ist auch so etwas wie eine Restverschmutzung. So wie wir beim Abwasserabgabengesetz genehmigte Einleitungen mit Abgabe belegen, müssen wir auf der anderen Seite genehmigte Flächennutzung mit einer Abgabe belegen können, damit ein Anreiz besteht, vorsichtiger etwa mit Recycling und ähnlichen Dingen umzugehen. Das ist der zweite Ansatz.
Der dritte Ansatz. Wir haben uns nicht zufällig, sondern sehr bewußt, auch mit Blick auf die weiteren Entwicklungen in der Diskussion um CO2, damit beschäftigt, die Kraftfahrzeugsteuer weiterzuentwikkeln. Meine Damen und Herren, sagen Sie bitte nicht, das ist ein Randproblem. Ich halte es für ein ganz zentrales Problem. Wir dürfen uns nicht mehr nur wie beim Katalysator mit Stickoxiden beschäftigen, sondern müssen CO2 in die Steuergestaltung hineinnehmen. Natürlich geht das möglicherweise auch über eine Veränderung der Mineralölsteuer. Aber auf diese Art und Weise kriegen wir die Technik auf Schwung. Das ist genau das, was Sie vorher gesagt haben. Es ist doch nicht zu übersehen, daß eine solche Entwicklung, etwa hin zum Magermotor, besser in Gang gebracht wird, wenn man bei der Emission ansetzt, als wenn wir das von vornherein nicht machen. Deswegen ist auch das für mich wichtig.

(Lennartz [SPD]: Wen versucht er eigentlich zu überzeugen? Sich selber?)

Ein weiterer Bereich der Öffnung zu marktwirtschaftlichen Instrumenten. Wir haben — ich selbst war noch auf der anderen Seite, beim Bundesrat, damit beschäftigt — bei der letzten Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und bei der Technischen Anleitung Luft die erste Öffnung für eine Kompensationslösung hineinbekommen. Es ist heute überhaupt keine Frage: Diese Öffnung war zu eng. Deswegen ist das Instrument mehr oder weniger diskreditiert worden. Ich kann aber nicht sagen: um so schlimmer für das Instrument, sondern dann muß ich sagen: Öffnen wir die Kompensation weiter. Genau das ist Grundlage unserer Vorlage für das Bundes-Immissionsschutzgesetz. In § 7 dieses Gesetzes erweitern wir den Kompensationsspielraum, so daß wir von daher Anreize bekommen, mit gleichem Geld mehr Umweltschutz zu machen. Ich will keinen Abstrich beim Umweltschutz, sondern Flexibilität und Anreize. Das ist Marktwirtschaft.
Ein weiterer Punkt. Wir brauchen verstärkt die Information. Wir haben das nicht mit irgendwelchen Forderungen begründet. Wir haben es beim Waschmittelgesetz gemacht. Wir haben in den Entwurf des Chemikaliengesetzes hineingeschrieben, daß wir mehr deklarieren können, kennzeichnen können, und zwar positiv und negativ. Wir haben bis hin zum Instrument des Blauen Umweltengels mit Unterstützung vieler engagierter Umweltbürger in unserem Land einen Anreiz für den Käufer geschaffen. Wir gehen, meine Damen und Herren, davon aus, daß das Instrumentarium marktwirtschaftlicher Art — bis hin zur Umwelthaftung — vorhanden ist und von uns besser genutzt werden kann.
Natürlich hat das Querverbindungen zur Wirtschaft. Es ist wirklich keine Frage, daß wir gegenwärtig die deutsche Wirtschaft mit höheren Belastungen durch Umweltpolitik konfrontieren als irgendeine andere Wirtschaft in Europa. Das ist keine Frage. Das ist Tatsache. Ich halte diesen Weg für richtig, weil wir andere Belastungen haben und deswegen mehr fordern müssen. Die Antwort einer funktionsfähigen Marktwirtschaft ist nicht die Resignation oder die Auswanderung aus diesem Markt, sondern die Antwort darauf ist umweltfreundliche Technologie. Und die ist entstanden. Kommen Sie Anfang April mit mir zur ENVITEC nach Düsseldorf, der größten Umweltmesse dieses Kontinents. Sie sind ja eingeladen. Da werden Sie sehen, meine Damen und Herren, daß wir nicht auf Schwung gebracht werden müssen, sondern daß das, was Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland darstellt, der Technik und der Wirtschaft Aufschwung und in hohem Maß neue Problemlösungen gebracht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

Meine Damen und Herren, was uns an der einen oder anderen Stelle Sorge machen muß, ist, daß es möglicherweise bei anderen so eine Lösung wie ein Umweltdumping wirklich gibt. Dies ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn Sie heute mit Vertretern unserer Mineralölwirtschaft sprechen, dann werden Sie Zahlen dafür bekommen, daß wir bei uns durch eine starke Belastung möglicherweise nicht eine Entlastung der europäischen Umwelt, sondern nur eine Veränderung der europäischen Standorte bekommen.

(Frau Traupe [SPD]: So ist es! Und das ist sinnlos!)

Dies, meine Damen und Herren, sind Fragen, die sich mit Wirtschaft und Umwelt intensiv verbinden. Wir machen eine Umweltpolitik, die belegt, daß wir wirtschaftliche Stabilität mit ökologischer Stabilität



Bundesminister Dr. Töpfer
verbinden können. Die Zahlen wurden eben schon angesprochen. Der Umweltmarkt ist im Jahre 1986 — Herr Abgeordneter Baum hat es angesprochen — fast schon 25 Milliarden DM schwer. Über 400 000 Arbeitsplätze werden durch Umweltschutz bereitgestellt. Wir sind dabei, auf dem Gebiet der Luftreinhaltung entsprechende Impulse zu nutzen.

(Zuruf von der SPD: Das ist lahm!)

Wenn hier gerade gesagt wurde, wir würden geradezu wie das Kaninchen auf die berühmte Schlange, auf das wirtschaftliche Wachstum, blicken, empfehle ich Ihnen, wirklich einmal nachzulesen, was etwa der Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen und was der Ministerpräsident vom Saarland

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Um Gottes willen!)

stolzgeschwellter Brust zum wirtschaftlichen Wachstumsprozeß in den eigenen Bundesländern sagt.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das stellen wir doch nicht in Frage! — Jetzt kommen Sie vollends aus der Reihe! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Lieber Herr Stahl, ich nehme das von Ihnen, wie Sie wissen, immer in ganz besonderer Weise sehr kritisch auf, aber ich habe doch nicht überhört, daß man uns gerade vorgeworfen hat, daß wir 3 To Wachstum schwerer und nachhaltiger verfolgen als alles andere. Das ist doch hier vor wenigen Minuten gesagt worden.

(Lennartz [SPD]: Das ist doch nicht wahr! — Stahl [Kempen] [SPD]: Das hat doch keiner gesagt!)

Von daher gesehen nehme ich das genau so auf.
Was wir uns, meine Damen und Herren, sehr genau ansehen müssen, ist die Frage, wie es bei unseren Genehmigungszeiten aussieht. Vieles von dem, was sich als Belastung der Wirtschaft durch Umweltpolitk darstellt, sind nicht höhere Anforderungen der Umwelt, sondern sind zu lange Bürokratieprozesse. Wir haben unendlich lange Genehmigungsverfahren, und das entlastet nicht die Umwelt, sondern belastet sie länger, weil nämlich die alte Anlage länger genutzt wird, als die neue auch umweltverträglich entsprechend mitgenutzt werden könnte.
Ich bin also der Meinung, wir haben den Beleg erbracht, daß wir wirtschaftliche Stabilität erhalten haben, ohne daß wir die Umwelt belasten. Wir haben die Entkoppelung dieser beiden Entwicklungsprozesse vorangebracht.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Ohne daß wir Umwelt belasten? Mein Gott, ist das ein falsches Wort!)

Meine Damen und Herren, eines steht ganz sicherlich auch fest. Nur wenn wir uns auch weiterhin in dieser Richtung bewähren, werden wir etwa die Möglichkeit haben, unsere Nachbarn, gerade auch unsere Nachbarn im Osten, mit entsprechenden Hilfen dazu in die Lage zu versetzen, ihre Umweltbelastungen entsprechend abzubauen. Dies ist unsere klare Zielsetzung. Es wird nirgends bemäntelt, daß es zusätzliche Anreize geben muß. Wir werden exakt diesen Weg gehen.
Sektorenübergreifendes Handeln ist ganz ohne jeden Zweifel richtig. Wir sehen bei jeder Abfalldiskussion, daß wir von den flüssigen und gasförmigen Abfällen sehr schnell bei festen Abfallstoffen sind und umgekehrt. Von daher gesehen ist es dringend notwendig, dies sektorenübergreifend zu betrachten. Dies haben wir hier ganz konkret in § 5 des BundesImmissionsschutzgesetzes zur Frage des Abwärmegebots, zur Frage der Nutzung von Reststoffen gemacht. Wir haben es getan, indem wir das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eingebracht haben, indem wir das Raumordnungsgesetz entsprechend weiter gebracht haben und vieles andere.
Zu den wichtigen Aufgabenfeldern Energie und Gesundheit. Meine Damen und Herren, Umweltpolitik ist und bleibt immer vorsorgende Gesundheitspolitik.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Und wie sieht es damit aus?)

Deswegen haben wir unsere Maßnahmen auch auf dem Gebiet in Angriff genommen. Wir haben es in Höchstmengenverordnungen getan, etwa bei PER und PCB, und wir werden dies genauso weitermachen,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: „Weiter so! ")

um in Einzelteilbereichen und im Gesamtzusammenhang eine vorsorgende Gesundheitspolitik über Umweltentlastung zu erreichen.
Meine Damen und Herren, ich meine, es ist fast auch etwas Zerstörung von Lebensqualität, wenn man glaubt, das Heil nur in der Darstellung, nur im Nachweis einer allgemeinen Vergiftung zu sehen, der wir ausgesetzt sind. Ich bekenne mich sehr nachhaltig dazu, daß die bei uns — auch und gerade in der Landwirtschaft — erzeugten Lebensmittel in ihrem ernährungsphysiologischen Wert grundsätzlich in Ordnung sind.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: „In jeder Hinsicht? " — Weitere Zurufe von der SPD)

Ich bin der festen Überzeugung: Jedem sollte klar sein, daß wir mit einer vernünftigen Lebensmittelüberwachung die Voraussetzung dafür schaffen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wer hat Ihnen denn diese Rede geschrieben? — Dr. Knabe [GRÜNE]: Wie kommen denn die Schadstoffe in die Muttermilch?)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend auch das aufgreifen, was der Abgeordnete Baum zitiert hat, nämlich die Frage nach dem Verhältnis zur Technologie. Er hat den Sachverständigenrat mit dem Satz zitiert: „Nur mit den Mitteln der technisch-industriellen Zivilisation können die Probleme, die diese Zivilisation geschaffen hat, erkannt und überwunden werden. " Exakt dies ist es. Das ist genau der Punkt, von dem, um es noch einmal zu zitieren, in der soeben zitierten Rede in der Paulskirche gesprochen wird: Eine Patentlösung für Probleme, ein Allheilmittel für unsere Krankheit gibt es nicht. Dafür ist das technologische Syndrom viel zu komplex, und von



Bundesminister Dr. Töpfer
einem Aussteigen daraus kann nicht die Rede sein. Exakt das ist unsere Aufgabe: die Herausforderungen moderner Technologie in dieser Welt so zu behandeln, daß sie eben nicht zu bleibenden Schäden für Umwelt und Gesundheit führen.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Die haben wir ja schon, die Schäden sind schon vorhanden! — Frau Garbe [GRÜNE]: Die sind irreversibel!)

Ich glaube, dieser Bericht des Sachverständigenrats ist ein Beleg dafür, daß wir uns diesen Fragen nicht mit Blauäugigkeit entziehen, indem wir sagen: Es ist alles gelöst. Und wir finden in diesem Bericht auch keine Antwort dahin, daß wir hinsichtlich der Politik, die wir angefangen haben, resignieren sollten.
Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Stahl [Kempen] [SPD]: Sehr schwacher Beifall)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113104800
Das Wort hat Frau Abgeordnete Blunck.

Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1113104900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Töpfer, indem Sie den Dank an den Kollegen Lennartz so formuliert haben, wie Sie es hier vorgetragen haben, haben Sie natürlich auch das Bellen hinter dem Zaun gut wiederholt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ich denke, eine Streitkultur, Herr Töpfer, besteht nicht im Zudecken von Handlungsdefiziten, sondern sie besteht darin, daß man sich ehrlich zuhört.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Guter Vorschlag!)

Ich glaube, daß Anspruch und Wirklichkeit bei Ihnen meilenweit auseinanderklaffen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wenn der Bundesumweltminister in seinem Informationspapier vom 15. Februar 1989 mit dem hochfahrenden Titel „Leistung und Anspruch — Umweltpolitik der Bundesregierung" einräumen muß, daß der Naturschutz in der Bundesrepublik nach Ansicht des Sachverständigenrats für Umweltfragen außerordentliche Defizite aufweist, dann kann man dieser Einsicht nur zustimmen. Es ist leider so: Die Gutachter haben recht.
Diese für die Umweltpolitik der Bundesregierung bittere Beurteilung ist aus dem Jahre 1987. Was hat der Bundesumweltminister

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Seitdem getan?)

in der Zwischenzeit nun eigentlich getan,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Er hat geredet, geredet, geredet!)

um eine wirksame Verbesserung des Naturschutzes auf den Weg zu bringen?
Schon bei der Verabschiedung des Bundesnaturschutzgesetzes im Dezember 1986 waren wir uns in diesem Hause alle einig, daß eine Novellierung möglichst bald erfolgen müsse,

(Baum [FDP]: Darin sind wir auch heute noch einig! — Fellner [CDU/CSU]: Sektoral!)

um die offensichtlichen Lücken und Mängel dieses Gesetzes zu beseitigen.
Zwei Jahre sind vorbei. Die Umweltprobleme sind noch größer geworden, der Raubbau an der Natur hat ein noch bedrohlicheres Ausmaß angenommen. Bis heute jedoch liegt uns noch kein neuer Gesetzentwurf zum Bundesnaturschutzgesetz vor.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Dieses zögerliche und abwiegelnde Verhalten ist bei einem Gesetz, das nach Einschätzung der Umweltgutachter wie kein anderes mit seinen Zielbestimmungen, z. B. dem Schutz der Lebensgrundlagen der Menschen und der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, einen so weiten Bereich der Schutzgüter der Umwelt abdeckt, einfach unverantwortlich. Zugleich wirft es aber auch ein kennzeichnendes Licht darauf, was von Ihrem immer wieder herausgestellten politischen Anspruch, die Schöpfung zu bewahren und eine lebenswerte Zukunft zu gestalten, zu halten ist, nämlich gar nichts.
Seit Jahren liegt unsere Forderung nach Streichung der Landwirtschaftsklausel im Bundesnaturschutzgesetz auf dem Tisch. Auch im Umweltgutachten wird die Aufhebung der Landwirtschaftsklausel mit Nachdruck gefordert. Damit wird das wiederholt, was bereits im Sondergutachten „Umweltprobleme der Landwirtschaft" aus dem Jahre 1985 als eine unerläßliche Voraussetzung verlangt wurde, um dem fortschreitenden Raubbau an der Natur Einhalt zu gebieten. Die ungerechtfertigte Privilegierung der Landwirtschaft kann wegen der katastrophalen Auswirkungen der modernen hochtechnisierten Landbewirtschaftung auf die Lebensräume für Pflanzen und Tiere, auf das Landschaftsbild und auf den gesamten Naturhaushalt einfach nicht länger hingenommen werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich halte es auch für unredlich gegenüber den Bauern selbst, ihnen einerseits zu sagen „Eure Art der intensiven Landbewirtschaftung ist Rechtens", um sie dann gleichzeitig als Hauptverursacher der Umweltprobleme anzuprangern.

(Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Das haben Sie doch in Schleswig-Holstein immer getan!)

Sie müßten den Bauern schon längst gesagt haben, welche Betreiberpflichten sie haben,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

in welcher Weise intensive Landwirtschaft vertretbar ist, welche Techniken zur Emissionsbegrenzung angewendet werden müssen und wie andere Störungen des Naturhaushaltes weitgehend vermieden werden können.
Nun hat der Bundesumweltminister in seinem Rechenschaftsbericht angekündigt, daß in seinem Hause eine Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz fertigge-



Frau Blunck
stellt sei. Er hat dabei herausgestellt, daß eine sachbezogene Neuregelung des Verhältnisses zwischen Naturschutz und Landwirtschaft von zentraler Bedeutung sei. Was immer sich auch hinter dieser Formulierung verbergen mag: Ich will einmal unterstellen, daß damit die Änderung der bisherigen Landwirtschaftsklausel gemeint ist, und nicht nur in der Präambel, Herr Töpfer.
Wenn dann aber gleichzeitig festgestellt wird — Sie haben das heute hier wiederholt — , nun müsse eine Naturschutzabgabe herhalten, um Ausgleichszahlungen an Landwirte zu finanzieren, dann überkommt mich ein beklemmendes Gefühl.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das hat doch Herr Schäfer schon gesagt!)

Das würde doch bedeuten, daß Landwirte, die weniger Dünger und Pflanzenschutzmittel ausbringen, die schonender mit ihrem Boden umgehen, für eigentlich Selbstverständliches auch noch auf Kosten der Verbraucher belohnt werden sollten. Das heißt, das Verursacherprinzip auf den Kopf zu stellen, getreu dem Motto: Nicht der Schädiger soll zahlen, sondern der Geschädigte und zwar allein dafür, daß er etwas weniger geschädigt wird.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Was beim Wasserpfennig bereits ein kapitaler umweltpolitischer Sündenfall war, soll nun eine bundesweite Dimension erfahren, deren Folgen, einschließlich der finanziellen, gar nicht abzuschätzen sind. Ganz davon abgesehen, daß gegen die Verwendung dieser Naturschutzabgabe erhebliche rechtliche Bedenken bestehen, wäre dies auch ein Freibrief für alle anderen Umweltsünder; denn was der Landwirtschaft recht ist, dürfte auch anderen gleichermaßen Verstrickten billig sein. Sollte die Naturschutzabgabe kommen, dann werden recht bald die chemische Industrie oder die Kraftwerksbetreiber antanzen und die Hand dafür aufhalten, daß sie Boden, Wasser und Luft mit weniger Schadstoffen belasten.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das hat Herr Schäfer für die SPD ganz anders gesehen!)

Über eine Naturschutzabgabe für Flächeninanspruchnahme etwa durch Wirtschaft, Wohnungsbau oder die öffentliche Hand zur Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen beispielsweise im Rahmen des Biotopschutzes könnte man ja allemal diskutieren. Aber die jetzt von Herrn Töpfer ins Gespräch gebrachte Naturschutzabgabe ist der falsche Weg, um die Landwirtschaft zu einer umweltschonenden Bodennutzung anzuhalten.
Nicht reden will ich eigentlich von weiteren Forderungen, die wir zum Bundesnaturschutzgesetz haben, von der Erweiterung der Mitwirkungsrechte der anerkannten Naturschutzverbände, von der Einführung der Verbandsklage, von Rahmenregelungen für einen bundeseinheitlichen Biotopschutz, von klaren vollziehbaren Regelungen zum speziellen Artenschutz, um endlich dem nach wie vor mit hoher krimineller Energie betriebenen Handel mit besonders geschützten Arten ein für allemal einen Riegel vorzuschieben.
Ich denke, ich brauche bloß zwei Beispiele zu nennen: Elfenbein und Felle aus Bolivien.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Ein weiteres Kapitel im Umweltgutachten ist mit „Verunreinigungen in Lebensmitteln" überschrieben. Die Belastungen von Lebensmitteln mit Rückständen von chemischen Pflanzenbehandlungsmitteln sowie die Verunreinigungen, die aus der Luft oder dem Boden über die Pflanzen in Lebensmittel gelangen, aber auch die Zusatzstoffe stellen ein immer größer werdendes Problem dar. Bei einer Reihe von Stoffen sind die Grenzen der Zumutbarkeit erreicht oder bereits überschritten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Lennartz [SPD]: So steht es im Umweltgutachten!)

— So steht es im Umweltgutachten.
Leider ist auch festzustellen, daß bei der Produktion unserer Lebensmittel der gesundheitliche Schutz der Bevölkerung nicht die absolute Priorität vor wirtschaftlichen und sonstigen Erwägungen hat. Ich wundere mich schon sehr: Um Reinheitsgebote bei deutschen Lebensmitteln wird vor dem Europäischen Gerichtshof gestritten. Die Begründung für die reine deutsche Wurst muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: durch Eisenmangel verursachte Minderung der Gebärfähigkeit der deutschen Frau. Zum reinen deutschen Bier sagt das Umweltgutachten: Der Anteil von Bier an der gesamten Bleiaufnahme ist mit ca. 20 % absolut gesehen sehr hoch.
Mehr für reine Nahrungsmittel, mehr für unbelastete Muttermilch würde durch eine intakte Umwelt getan. Dazu müßten Sie auch eine Reihe von Gesetzen ändern, Herr Töpfer, z. B. das Atomgesetz, das Abfallgesetz, das Benzinbleigesetz.

(Baum [FDP]: Wir ändern das!)

Die Rechte der Verbraucher müßten gestärkt werden — nicht durch vorgegaukelten Schutz, durch immer neue Grenzwerte, sondern durch eine andere Chemiepolitik, eine andere Agrarpolitik, nicht durch schöne Worte, durch Taten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Geld und Unabhängigkeit für Verbraucherschutzverbände müßten vom Bund gewährleistet werden, Lebensmittelmonitoring müßte eingeführt werden, die Lebensmittelüberwachung müßte vereinheitlicht werden.
An dieser Stelle möchte ich den Umweltgutachtern ein Dankeschön für die Arbeit sagen, die sie geleistet haben, für die Zeit, die sie investiert haben. Ich hoffe, daß die Arbeit, die sie geleistet haben, nicht für die Katz war.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Beim Hören Ihrer Worte, Herr Töpfer, meint man, die Natur und auch der Schutz der Verbraucher seien bei Ihnen in guten Händen. Beim Bewerten Ihrer Taten kann man dieser Meinung nicht mehr sein. Die natürlichen Lebensgrundlagen sind nur zu bewahren, wenn sich vieles bei uns ändert. Deshalb ist die



Frau Blunck
Umweltpolitik bei Konservativen nicht in guten Händen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113105000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fellner.

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1113105100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich die negative Wirkung dieses Mikrophons auf den Kollegen Lennartz ansprechen. Aber die Kollegen haben mich eben belehrt, daß der Kollege Lennartz sogar bewußt und gezielt so spricht, daß also nicht das Mikrophon schuld daran ist, daß er hier solche Reden hält.
Herr Kollege Lennartz, Sie können zwar vieles erzählen, wie Sie es getan haben, aber mit dem Gutachten hat das überhaupt nichts zu tun.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Da spricht jemand, der das Gutachten nicht gelesen hat! Der liest zuwenig!)

Das Gutachten sagt generell, daß sich erste größere Erfolge des allgemeinen Umweltschutzes deutlich abzeichnen.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Wo denn?)

Es sagt, daß sich der eingeschlagene Weg als richtig erweist. Es fordert selbstverständlich, daß dieser Weg konsequenter beschritten werden muß. Das steht im Gutachten.
Wenn man dann solche Reden hört, wie sie eben gehalten wurden — wobei Frau Blunck nichts anderes gesagt hat, nur mit etwas sanfterer Stimme —,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das war doch sehr moderat! Das müssen Sie doch zugeben!)

kann man darauf nur mit dem Gutachten selber antworten. Das Gutachten spricht von den Mitteln, mit denen die Probleme, die diese Zivilisation geschaffen hat, erkannt und überwunden werden können. Ich zitiere:
Sich dieser Aufgabe zu stellen ist schwieriger, anspruchsvoller, aber auch undankbarer, als die Haltung eines Rigorismus einzunehmen, der die wirklichen Probleme — Entscheidung über Güterkollisionen, Bewertung von Nutzen und Risiken einzelner Techniken, Entwurf und Durchsetzung kalkulierbarer, realistischer Handlungskonzepte — hinter der unerfüllbaren Forderung nach Null-Emission versteckt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

Aber lassen Sie mich weiter zitieren — auch der nächsten Forderung konnten Sie nicht folgen; Sie waren hier überfordert —:
Kernstück einer solchen Umweltpolitik sind Grenz- und Richtwerte, die angesichts der Risiken der technisch-industriellen Zivilisation unersetzlich sind, insbesondere für eine Umweltvorsorge, die an der Emissionsminderung orientiert sein muß. Spiegelt die jeweilige Höhe der Grenzwerte die Ernsthaftigkeit wider, mit der eine Gesellschaft die Ziele der Gefahrenabwehr und der Risikominderung verfolgt, so ist der Umgang mit ihnen in der öffentlichen Diskussion, das Wissen
um ihren konsensualen Charakter, und damit auch eine realistische Einschätzung der Leistungsfähigkeit dieses Instruments,
— Herr Kollege Lennartz, zuhören! —

(Lennartz [SPD]: Das lohnt sich bei Ihnen nicht!)

ein Ausdruck der Reife einer Gesellschaft im Umgang mit Risiken, die sie selbst produziert hat.
Herr Kollege Lennartz, diese Reife hat Ihnen jedenfalls gefehlt. Ihre Reden veranlassen mich schon, Ihnen eine vielleicht doch allgemeine Lebensweisheit zu vermitteln, indem ich darauf hinweise, daß Hoffnungen und Ängste — und leider nicht die Logik des kühlen Verstandes — natürlich die entscheidenden Triebfedern des menschlichen Handelns sind. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, daß es eine Wechselbeziehung einerseits zwischen Optimismus und Leistung und andererseits zwischen Pessimismus und erlahmender Kraft gibt. Herr Kollege Lennartz, für den, der so düster in die Zukunft blickt wie Sie, wird die Zukunft auch düster werden.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Wie kann man nur so abgebrüht sein?)

Ich finde es schon schlimm, daß Sie sich überhaupt nicht daran stören, was Ihre Reden in unserer Bevölkerung — bis hin zu den Kindern — anrichten.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Wir brauchen gar nicht zu reden! Die Leute merken es doch selber! Das ist doch Quatsch!)

Dahinter steht nur eines: Sie versetzen die Leute in Angst und Schrecken, weil Sie die Realität des Lebens nicht zur Kenntnis nehmen; es ist nämlich Realität, daß es den Menschen immer bessergeht und daß wir unsere Umwelt in Ordnung bringen.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Die Leute werden immer kränker! Deshalb haben sie Angst!)

Frau Blunck, Sie fragen nur nach den Ergebnissen der von Ihnen betriebenen Verunsicherungspolitik, mit der Sie die Menschen und insbesondere die Kinder verunsichern.

(Zuruf der Abg. Frau Flinner [GRÜNE])


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113105200
Frau Abgeordnete, ein bißchen Mäßigung bitte.

(Frau Teubner [GRÜNE]: Da muß man sich doch aufregen!)


Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1113105300
Ich sage das ja, damit Sie sich aufregen. Sie sollten aber auch darüber nachdenken.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113105400
Das ist der Weg in diesem Parlament: Wenn Sie eine Frage an den Redner haben, dann begeben Sie sich bitte an ein Mikrophon. Ich versuche, den Abgeordneten zu ermuntern, Ihnen die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage zu geben. Zwischenrufe in dieser Form führen aber zu nichts.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Blunck? — Bitte sehr, Frau Abgeordnete Blunck.




Lieselott Blunck (SPD):
Rede ID: ID1113105500
Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, daß Angst und Schrecken beim Menschen eher dadurch gefestigt werden, daß er hormonbelastetes Fleisch ißt, daß er weiß, daß die Lebensmittel ungeheuer viele Rückstände enthalten, als dadurch, daß wir darüber reden, und denken Sie nicht, daß man versuchen sollte, das durch Taten zu verhindern?

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1113105600
Frau Kollegin, hormonbelastetes Fleisch führt sicherlich nicht zu Angst und Schrekken beim Menschen, sondern es ist für uns Anlaß festzustellen, daß wir das ändern und korrigieren müssen, und das tun wir selbstverständlich. Sie versetzen die Leute dadurch in Angst und Schrecken, daß Sie der Bevölkerung völlig falsche Orientierungen über die Wirkungen dieses Fleisches, über die Mengen und über die Werte der Schadstoffe in diesem Fleisch geben. Man wird selbstverständlich in Angst und Schrecken versetzt, wenn einem erzählt wird, was man aufnimmt, und wenn einem aber nicht erzählt wird, daß man, um bestimmte Schadstoffmengen im Leben überhaupt aufzunehmen, möglichst täglich ein paar Tonnen essen müßte. Das ist der Hintergrund.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Abg. Dr. Knabe meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113105700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1113105800
Ich werde gemahnt, die Sitzung nicht zu verlängern. Aber bitte!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113105900
Bitte sehr.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113106000
Ich habe nur eine ganz kurze Zwischenfrage. Herr Fellner, wenn Sie an die Allergien denken, dann ist es doch einfach so: Jeder Mensch spürt, daß er etwas hat, was vorher nicht da war, und er reagiert entsprechend: Er möchte, daß das verschwindet.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Sagen wir mal: viele, aber nicht jeder! — Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

— Ja, viele.

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1113106100
Herr Kollege Knabe, es gibt doch überhaupt keinen Zweifel darüber, daß sich an unserer Umwelt etwas verändert hat, was wir korrigieren müssen. Das betrifft die negativen Auswirkungen auf die Umwelt insgesamt und natürlich auch die Wirkungen auf den Menschen. Ich wende mich nur dagegen, daß dies in einer Form getan wird, durch die die Leute tatsächlich in Angst und Schrecken versetzt werden, obwohl es dafür wiederum keinen Grund gibt. Wir treffen viele umweltpolitische Maßnahmen, und wir machen viele Umweltgesetze einfach deshalb, weil wir eine Vorsorgestrategie verfolgen. Ich habe über die Bedeutung der Grenzwerte bereits gesprochen; ich habe das angedeutet. Diese Grenzwerte und diese Vorsorgestrategie haben eben gerade den Sinn, Auswirkungen zu verhindern, nicht weil wir die negativen Wirkungen schon so eindeutig feststellen würden, sondern weil wir unter allen Umständen alle negativen Auswirkungen ausschließen wollen. Das ist unsere Strategie.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113106200
Herr Abgeordneter, Sie sind sehr gefragt. Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Flinner?

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1113106300
Bitte schön.

Dora Flinner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1113106400
Ich möchte in Ergänzung von Herrn Knabe sagen: Jeder dritte Bundesbürger leidet an einer Allergie, und die Nahrungsmittelallergien nehmen ständig zu. Ich möchte fragen: Sie sagen, daß wir die Angstmacher sind. Wie sehen Sie es, daß z. B. die Wasserwerke große Probleme aufzeigen, um uns Bürgern noch Qualitätswasser liefern zu können? Das ist die eine Frage dazu.
Zum anderen wurde hier argumentiert, wir würden heute immer älter werden. Stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Leute, die heute 70, 80 und 90 Jahre alt werden, 40 Jahre ihres Lebens gesund gelebt haben und nicht mit diesen Pestiziden und dergleichen belastet wurden?

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1113106500
Zum letzten kann ich Ihnen nur eines sagen: Es hat früher Leute gegeben, die 40 Jahre in einer anderen Umwelt gelebt haben und die mit 50 Jahren gestorben sind.
Ich möchte etwas ansprechen, wozu auch Kritik angeklungen ist — zu den einzelnen Sektoren des Umweltschutzes hat auch das Gutachten etwas dargestellt — , den Sektor Naturschutz und Landschaftspflege. Natürlich haben wir bei der Novelle 1986 nicht das geregelt, was wir jetzt regeln wollen, nämlich Verbesserung des Biotopschutzes und Verbesserung der Eingriffsmöglichkeiten, um diesen Biotopschutz und den Naturschutz zu gewährleisten. Wir haben uns damals ausdrücklich darauf beschränkt, die Artenschutznovelle zu verabschieden, und wissen selbstverständlich, daß hier Korrekturbedarf besteht. Das steht im übrigen auch im Gutachten. Es heißt, daß sich aus dem Gesetz von 1976 ergeben hat, daß die Eingriffsregelungen nicht greifen, daß sie zahnlos sind und daß sie nicht ausreichen, um Biotopschutz zu gewährleisten. Hier wollen wir und werden wir selbstverständlich Verschiedenes verbessern. Wenn wir das gleichzeitig mit der Überlegung verbinden, wie wir Naturschutz durch eine Lenkungsabgabe in Form dieser Naturschutzabgabe fördern können — diese Abgabe wird angesichts dessen erwogen, daß Bodenversiegelungen unerwünscht sind und möglichst vermieden werden sollen — , dann sollte das für Sie nicht Anlaß zu Haßtiraden gegenüber der Landwirtschaft sein.

(Frau Traupe [SPD]: „Haßtiraden", was soll denn der Quatsch?)

— Das waren schlicht Haßtiraden.
Wir müssen schlicht beides tun: Wir müssen dafür sorgen, daß Landwirte für Nutzungseinbußen, die sie haben, weil wir von ihnen mehr verlangen, als wir nach den Vorschriften verlangen könnten, entschädigt werden. Wir müssen auf der anderen Seite überlegen, wie wir diese steuernden Instrumente, auch



Fellner
eine Abgabe, wovon auch das Gutachten spricht — es fordert uns diesbezüglich zu mehr Mut auf — vernünftig einsetzen können. Einer dieser Sektoren scheint uns die Bodenversiegelung zu sein, so daß die Überlegung einer Naturschutzabgabe einschlägig ist.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Nach welchen Kriterien wollen Sie das denn machen?)

— Herr Kollege Stahl, ich hätte jetzt noch in einem Satz zu dieser Naturschutzabgabe gesagt, daß alle Einzelheiten selbstverständlich sorgfältig erörtert und erläutert werden müssen. Ich habe nur den Tatbestand und das Motiv genannt, warum wir überhaupt über diese Abgabe in diesem Bereich nachdenken. Sie sind herzlich eingeladen, jetzt mit uns darüber gemeinsam nachzudenken, wie man das im einzelnen ausgestalten kann. Ob wir es bei dem machen wollen, der sich ein Einfamilienhaus baut, ob wir es machen können und müssen, wenn die Kommunen Erschließungsmaßnahmen ergreifen, muß selbstverständlich im einzelnen ausdiskutiert werden. Dazu sind alle sehr herzlich eingeladen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist bisher also alles Wind und Wolkenschieberei!)

— Herr Kollege Stahl, Sie sind viel zu seriös, als daß ich Ihnen die Behauptung, die Sie gerade erheben, abnehmen würde. Ich meine wirklich, daß es bei einer solchen einschneidenden Überlegung, eine Abgabe dieser Art zu erheben, gerechtfertigt ist, das Vorhaben zunächst in die Diskussion zu bringen. Niemand hat hier gesagt, er hätte schon Patentlösungen. Der Kollege Schäfer hat die Idee dankenswerterweise zumindest als interessant, nützlich und bedenkswert angepriesen, und so ist es auch. Wir müssen darüber selbstverständlich noch eingehend diskutieren.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113106600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiehm.

Günter Kiehm (SPD):
Rede ID: ID1113106700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Hermann Fellner, ich habe Dich schon in den unterschiedlichsten Rollen gesehen. Aber jetzt als Erteiler von Reifezeugnissen, so muß ich sagen, warst Du nicht überzeugend; da haben wir bessere Oberlehrer.

(Heiterkeit — Fellner [CDU/CSU]: Ich gebe zu, daß ich da nicht mithalten kann!)

— Du bist ja noch jünger, vielleicht schaffst Du es noch. —

(Fellner [CDU/CSU]: Ich will aber nicht so werden!)

Ich denke mir jedenfalls, daß das keine seriöse Antwort auf das war, was der Kollege Lennartz hier gesagt hat.
Als ich mich auf diesen Beitrag hier vorbereitet habe, habe ich mich gefragt: Was kann ein politisches Parlament in einer Debatte zum Thema eines so umfangreichen Gutachtens eigentlich sagen? Mir schwante schon, daß hier eine allgemeine Debatte mit vielen Zitaten stattfinden würde.
Ich habe mich dazu entschlossen, zu zwei ausgesuchten Fällen, die in dem Gutachten angesprochen werden und die einen Bezug zu aktuell anstehenden politischen Entscheidungen haben, etwas zu sagen: Zum einen zu der Bedeutung von Information und Öffentlichkeit im Umweltschutzverfahren und zum anderen zu den ökonomischen Einwirkungsmöglichkeiten, die es gibt.
Das Gutachten sagt — das ist schon zitiert worden — : Die Herstellung optimaler Zustände der Umwelt und einer optimalen Wirkung der Umweltpolitik wird dann erreicht, wenn Gesellschaft und Parteien gewillt sind, in demokratischen, partizipatorischen und notfalls auch konflikterfüllten Verfahren einen Konsens anzustreben. — Dieses Bekenntnis zum Konsens ist leicht zu haben. Erheblich schwieriger ist es, sich in dem politischen Entscheidungsprozeß zu bemühen.
Dazu muß ich sagen: Was wir in den letzten Monaten und Jahren erlebt haben, war nicht immer von Konsensbereitschaft geprägt, sondern war geprägt von einer eindeutigen Philosophie, die Marktwirtschaft, Landwirtschaftspolitik und Umweltschutz miteinander verbinden wollte, und nicht immer zugunsten des Umweltschutzes ausfiel.
Wer Konsens will — es geht um einen Konsens, der nicht nur zwischen Parteien, sondern in der Gesellschaft stattfindet — , muß auch bereit sein, die Gesellschaft, einzelne Gruppen, an den Prozessen der Meinungsbildung zu beteiligen. Ich sage Ihnen: Je einschneidender und je technischer Entscheidungen werden, um so mehr muß auch die Öffentlichkeit beteiligt werden.
Das beginnt mit ganz einfachen Dingen: mit rechtzeitiger und umfassender Information. Ich erinnere Sie daran: Was heute im Bereich der Umweltverträglichkeitsprüfung angeboten wird, dient nicht einer rechtzeitigen und umfassenden Information der Öffentlichkeit,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Göhner [CDU/CSU]: Na, na!)

um zu einer Akzeptanz in dieser Gesellschaft auch in wichtigen Fragen zu kommen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Herr Kiehm, lesen Sie das noch einmal nach!)

Wir können gerne in diesem Text weiterfahren: Sie brauchen nur einmal nachzulesen, was das Gutachten im konkreten Fall zum Verwaltungsverfahren nach § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes sagt. Dort wird sehr kritisch angemerkt, daß der Stand der Technik — davon geht dieses Gutachten offensichtlich aus — in den Verwaltungsvorschriften nicht seinen Niederschlag findet, sondern daß in einer vielfältigen Weise Abstriche gemacht werden. Es stellt selber in beispielhafter Form vor, worin diese Abstriche bestehen können.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sie wissen, wer da alles mitgewirkt hat!)

Einer dieser Abstriche ist, daß Kostengründe dazu
führen können, daß nicht der Stand der Technik, son-



Kiehm
dern Stand der Technik minus in einer Verwaltungsvorschrift Niederschlag findet.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Fragen Sie einmal die Städte und Gemeinden!)

Das geht doch nicht allein in die Richtung einer Regierung, das geht in Richtung vieler am Prozeß Beteiligter.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Aber solange darüber geschwiegen wird, können Sie nicht erwarten, daß der nötige öffentliche Druck ausgeübt wird, damit die Politik in Städten, in Gemeinden, in Ländern und im Bund verändert wird. Deshalb hat die Funktion der Öffentlichkeit einen anderen Wert, als hier manchmal angenommen wird.
Ein zweites: Es gibt ein Kapitel, das uns mit Betrübnis erfüllt, nämlich daß von ordnungsrechtlichen Festlegungen in Gesetzen, Verordnungen und Erlassen immer mehr in Richtung auf freiwillige Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen ausgewichen wird. Nun mögen diese durchaus ihre Berechtigung haben; kein Mensch bestreitet das. Jedoch will ich ein Aber sagen, Herr Göhner: Wir waren uns in diesem Hause einmal darüber einig, daß die Zielvorstellungen, die Grundlage für eine Regelung in der Form einer freiwilligen Vereinbarung sind, nicht Gegenstand der Absprachen sein dürfen. Schauen Sie einmal in das Gutachten hinein. Dort wird formuliert: Zumeist wird auch die Bewertungsphilosophie, die Zielvorstellung, Teil des Prozesses der freiwilligen Selbstverpflichtung. Das kann nicht sein, das darf nicht sein,

(Beifall bei der SPD)

weil dann auf einmal nicht mehr die Politik die Prämissen setzt, sondern die Prämissen von parteiischen Beteiligten in Form eines Kompromisses gesucht werden. Das darf und kann nicht sein, und ich hoffe nur, daß wir an dieser Stelle, gemessen an dem, was das Gutachten vorgibt, zu Veränderungen kommen.
Der Bundesumweltminister hat einen Entwurf zur Ausfüllung des § 14 des Abfallgesetzes auf den Tisch gelegt, und zwar mit einer Zielformulierung, die deutlich macht, was im Hause Töpfer beabsichtigt ist. Wenn wir dazu kämen — da appelliere ich jetzt nicht nur an die Regierung, sondern auch an die Fraktionen — , diesen Handlungsrahmen auch in anderen Gesetzen mit aufzunehmen, sozusagen die Zielbestimmung der Politik zuzuschreiben und das durch das Parlament kontrollierbar zu machen, hätten wir zumindest einen Weg beschritten, der uns für die Zukunft Erleichterungen bringt, Mißverständnisse ausräumt und der Öffentlichkeit bei den Handlungen, die es hier geben muß, einen Zugang läßt.
Das zweite Kapitel, das ich ansprechen will, ist die Einsetzung der ökonomischen Mittel. Der Rat hat wohl nicht umsonst formuliert, daß die richtige Auswahl der Mittel entscheidend ist. Wenn man einmal nachliest, stellt man fest, daß diese Formulierung wohl mit Rücksicht darauf gewählt worden ist, daß die Produzenten nicht beliebig belastbar sind, daß man die Produzenten von Leistungen nicht mit einer unkontrollierten Fülle von Abgaben belegen kann.
Nun haben wir die klassische Lenkungsabgabe im Abwasserabgabengesetz, und es ist gut zu hören, daß der längst überfällige Gesetzentwurf jetzt auf die Reise gebracht wird. Ich hoffe nur, daß nicht nur die von uns vor Jahren geforderten Parameter hinzukommen, sondern daß auch die Höhe der Abgabe in einem angemessenen Verhältnis zu den Investitionen steht, die notwendig sind, um den Stand der Technik durchzusetzen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Klar!)

Es wurde aber, als wir in unserem Antrag formulierten, daß eine Verdoppelung der Abwasserabgabe in angemessener Zeit nötig wäre,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Jetzt hören Sie gut zu!)

deutlich gesagt, das wäre eine unzumutbare Belastung, das sei nicht realistisch.
Nun will ich Ihnen einige Daten nennen. Sie haben ja so en passant eine fiskalische Abgabe eingeführt, nämlich den Wasserpfennig. Was ich sage, ist nicht allein meine Position; es ist — schauen Sie ins Gutachten — die Position der Gutachter. Ich will Ihnen einmal an dem Beispiel eines Landes vor Augen führen, was das denn in praktischer Konsequenz bedeutet.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sie meinen Hamburg?)

— Nein, Baden-Württemberg!

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Hamburg aber auch! — Frau Blunck [SPD]: Ist noch nicht eingeführt!)

In Baden-Württemberg beträgt das Soll der Abwasserabgabe im Jahre 1988 20 Millionen DM. Das Soll für den Wasserpfennig im gewerblich-industriellen Bereich liegt bei 35 Millionen DM, das für die öffentliche Wasserversorgung bei 75 Millionen DM. Nun frage ich Sie: Welchen Umweltschutzvorteil hat es, eine fiskalische Abgabe zu erheben, die lediglich Umverteilungsfunktionen erfüllt, aber überhaupt nichts mehr mit der Aufrechterhaltung des Verursacherprinzips zu tun hat?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Göhner [CDU/CSU]: Wasser sparen!)

Sie bedienen sich hier der Vokabel „Umweltabgabe", um auf diese Weise an sich agrarpolitische Entscheidungen, zu denen Sie nicht fähig sind, finanzierbar zu machen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen: Dasselbe passiert bei der Naturschutzabgabe. Ich habe Ihre jüngste Pressemitteilung gelesen, in der sich zeigt, daß Sie selber auf einmal Bauchschmerzen bekommen, und in der Sie sagen, Sie möchten am liebsten wieder eine Addition zum Wasserpfennig, um die Finanzierung der Agrarpolitik zu ermöglichen, aber Sie seien sich noch nicht sicher, ob Sie das in der öffentlichen Argumentation als Umweltschutzmaßnahme deklarieren können. Mich würde es gar nicht wundern, wenn Sie auch noch einen Heller für Hege und Pflege einführten. Ich sage Ihnen nur: Das ist keine konsequente Umweltpolitik.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)





Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113106800
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär von Wartenberg.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113106900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Umweltgutachten 1987 nimmt auch zu den ökonomischen Aspekten des Umweltschutzes Stellung. Das gibt mir die Gelegenheit, abschließend auf den Beitrag der Wirtschaftspolitik für den Umweltschutz aufmerksam zu machen. Das alte Schlagwort vom „unauflöslichen Widerspruch" zwischen Ökonomie und Ökologie ist inzwischen einer realistischeren Betrachtungsweise gewichen. Gerade die Beiträge der Kollegen Baum und Töpfer, aber auch in Ansätzen der des Kollegen Lennartz weisen darauf hin: Erfolgreiche Umweltpolitik, meine Damen und Herren, ist eine entscheidende Grundlage für künftiges Wirtschaften. Umweltpolitische Ziele müssen deshalb Bestandteil des ordnungspolitischen Rahmens der Marktwirtschaft sein.
Eine rationale Umweltpolitik muß die Rückwirkungen auf die Wirtschaft berücksichtigen. Nur so besteht die Möglichkeit, die Marktkräfte aktiv für das Aufspüren neuer umweltpolitisch und wirtschaftlich sinnvoller Lösungen zu nutzen. Wir schätzen, daß die Kosten für den Umweltschutz, als Anteil am Volksanteil gemessen, sich gegenwärtig auf etwa 3 % oder auf eine Größenordnung von 50 Milliarden DM belaufen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Und die defensiven Ausgaben?)

Da die Ressourcen, meine Damen und Herren, die im Umweltschutz gebunden werden, anderen Produktionen entzogen sind, besteht bei Umweltschutzmaßnahmen immer eine Verwendungskonkurrenz zwischen einem Mehr an Gütern und Dienstleistungen einerseits und einer verbesserten Umweltqualität andererseits. Eine Politik, die diese Kosten durch neue Maßnahmen erhöht, bedarf deshalb der Bereitschaft aller Beteiligten, in gleichem Maße auf anderes zu verzichten, was naturgemäß in einer wachsenden Wirtschaft eher erwartet und umgesetzt werden kann.
Im übrigen muß weiterhin versucht werden — wir sollten das auch versuchen — , die Aufwendungen für den Umweltschutz effektiv zu gestalten, d. h. die Kosten des Umweltschutzes durch bessere umweltpolitische Instrumente gesamtwirtschaftlich zu minimieren. Hierzu gehören marktwirtschaftliche, am Verursacherprinzip orientierte umweltpolitische Instrumente, die ökonomische Anreize zum schonenden Umgang mit der Umwelt und Entwicklung kostensparender und umweltfreundlicher Technologien setzen, ohne in den wirtschaftlichen Strukturwandel direkt einzugreifen. Kosteneffektiver Umweltschutz verlangt darüber hinaus, meine Damen und Herren, daß die Intensität der Maßnahmen und die vorgesehenen Zeiträume auch daran orientiert werden, daß eine geordnete Anpassung der Wirtschaft an die neuen Rahmenbedingungen möglich ist.
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist wesentlich von den relativen Kosten des Umweltschutzes, d. h. von den umweltpolitischen Anforderungen im Ausland abhängig; darauf wurde hingewiesen. Diese Anforderungen sind ja nicht in allen Ländern gleich. Natürliche Standortvorteile des Auslandes müssen wir respektieren, gleichermaßen aber auch Anforderungen im eigenen Land, die ohne sachliche Notwendigkeit die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen, vermeiden.
Wir sollten nicht, meine Damen und Herren, auf der einen Seite ständig von den großen Vorteilen des kommenden europäischen Binnenmarktes sprechen und andererseits immer wieder Brüsseler Hemmnisse kritisieren, die nach unserer Auffassung einer nationalen Umweltpolitik entgegenstehen. Wir müssen vielmehr durch ständige Aktivität die anderen Länder von der Notwendigkeit der Umweltpolitik überzeugen. Ich glaube, daß gerade darin die Bundesregierung und der amtierende Umweltminister in Brüssel erhebliche Erfolge zu zeigen haben.
Die Erfahrung zeigt, meine Damen und Herren, daß wir mit der Herstellung von Umweltschutzgütern unserer Wirtschaft einen zusätzlichen Exportmarkt erschließen können; denn in anderen Ländern wird mit dem Umweltbewußtsein auch die Nachfrage wachsen.
Bei den anstehenden Gesetzgebungsvorhaben, Gesetzentwürfen und Novellen kommt es für mich darauf an, darauf hinzuweisen, daß alle Vorschriften, die, für sich genommen, unabhängig erscheinen, letzten Endes dieselben Unternehmen treffen, so daß sich der Datenkranz, in dem ein Unternehmen arbeitet, stark ändern wird.
Die Wirtschaft kann das nur dann verkraften, wenn die einzelnen Vorschriften den Ansprüchen an Eindeutigkeit und Rechtsklarheit genügen und zumutbare Anpassungsfristen enthalten. Unternehmerische Risiken müssen kalkulierbar bleiben, um negative Auswirkungen auf Investitionen und Beschäftigung zu vermeiden.
Insoweit ruht die Umweltpolitik der Bundesregierung auf drei Grundsätzen: der Vorsorge, dem Verursacherprinzip und dem Kooperationsprinzip.
Diese Grundsätze, die sich bewährt haben, müssen weiterhin im Zentrum der Umweltpolitik stehen. Sie gewährleisten meines Erachtens auch eine Abstimmung zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitik. Dabei kommt es darauf an, in der marktwirtschaftlichen Ordnung auch mit den wirtschaftlichen Kräften in einer Weise zusammenzuarbeiten, die den Ideenreichtum und die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft voll in die Umweltpolitik einbringt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1113107000
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, das Umweltgutachten 1987 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Weiter soll die Vorlage zur Mitberatung auch an den Rechtsausschuß überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe Zustimmung. Es ist so beschlossen.
Nun einige Tagesordnungspunkte ohne Aussprache. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkte auf, über die nur abgestimmt werden muß.



Vizepräsident Stücklen
Ich rufe zunächst den Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und Dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Wegfall der Befristung einer Ausbildungsregelung bei den Berufen des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten
— Drucksache 11/3409 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß)

— Drucksache 11/4035 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Würfel

(Erste Beratung 116. Sitzung)

Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf.
Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Die Bestimmungen sind einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Wiederum keine Enthaltungen, keine Gegenstimmen. Dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 1987 — Einzelplan 20 —— Drucksachen 11/2593, 11/4014 —
Berichterstatter: Abgeordneter Scheu
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Diese Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß)

— Sammelübersicht 100 zu Petitionen —
mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 18. Februar 1987 bis 31. Dezember 1988 eingegangenen Petitionen —— Drucksache 11/4058 —
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Darf ich das wiederholen. Es war für mich hier oben nicht ganz erkennbar, wer sich an der Abstimmung beteiligt und wie er stimmt. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? Ein paar Enthaltungen müßten übriggeblieben sein. — Jawohl. Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.
Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Aktuellen Stunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung von 13.09 bis 14.00 Uhr)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113107100
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Ausländer/innen-Feindlichkeit im hessischen Wahlkampf und die Auswirkungen auf den Bund
Die Fraktion der GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert (Marburg).

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113107200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer in diesen Tagen hessische Großstädte besucht und hessische Zeitungsanzeigen verfolgt, der wird mit einer beispiellosen Flut ausländerfeindlicher Parolen und Plakatsprüche konfrontiert. „Scheinasylanten stoppen" heißt es da. „Rot und Grün wollen noch mehr Asylanten in die Stadt holen. "

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das stimmt doch alles! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/ CSU]: Das ist doch Behauptung!)

„Cohn-Bendit will doppelt so viele Ausländer in Frankfurt." „Soll Cohn-Bendit unsere Heimat bestimmen?"

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das stimmt ja auch!)

Neu ist das alles nicht, meine Damen und Herren. Wir kannten diese Sprüche schon aus der Vergangenheit von diversen rechtsradikalen Gruppen.
Neu sind die Verantwortlichen für diese Propaganda und diese Plakate in diesem Wahlkampf.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Neu ist, daß die Verantwortlichen für diese Hetze in den Reihen der Christlich-Demokratischen Union sitzen. Neu ist, daß die Verantwortung für diese beispiellose Hetzkampagne im hessischen Wahlkampf von Walter Wallmann und dem Frankfurter Oberbürgermeister Brück getragen wird. Und neu ist, daß die hessische Filiale der größten Regierungspartei in der Bundesrepublik das ganze Arsenal der ausländerfeindlichen Hetze aus der rechtsradikalen Szene mittlerweile übernommen hat.
Meine Damen und Herren, Ihre Freunde in Frankfurt setzen ihre geballte publizistische Macht dazu ein, um den hessischen Kommunalwahlkampf zu ei-



Kleinert (Marburg)

ner ausländerfeindlichen Schmutzkampagne zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Wetzel [GRÜNE]: Blanker Rassismus ist das!)

Primitive Stammtischparolen, das bewußte Schüren von Fremdenängsten, das sind die Methoden, mit denen Sie in Hessen Ihre Macht verteidigen wollen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Beispiele! Lauter Behauptungen!)

Meine Damen und Herren, haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, was es für die Kinder der ausländischen Mitbürger in Frankfurt bedeutet, wenn sie auf ihrem Schulweg jeden Morgen diese Plakate ansehen müssen?

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Verlogene Behauptungen!)

Haben Sie sich das einmal überlegt?

(Zuruf von der SPD: Die denken doch nicht nach!)

Haben Sie sich einmal überlegt, was Sie da anrichten an Ängsten bei ausländischen Familien, die zum Teil seit zehn oder zwanzig Jahren da wohnen? Haben Sie sich einmal überlegt, welches Klima von Verängstigung bei Ausländern Sie in dieser Stadt und in anderen hessischen Großstädten hervorrufen?

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist doch alles künstliche Aufregung! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Bringen Sie doch mal Beispiele!)

Meine Damen und Herren, Sie haben das alles natürlich nicht überlegt. Die Verängstigung ausländischer Mitbürger ist Ihnen doch völlig gleich; denn, meine Damen und Herren, Ihnen ist jedes Mittel recht, wenn es nur der eigenen Machterhaltung dient.

(Beifall bei den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das sagt Kleinert! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie sind in Berlin bei der AL!)

Und die Angst und die Besorgnisse der ausländischen Mitbürger sind Ihnen gleich. Einmal mehr in der deutschen Geschichte wird hier Minderheitenhetze zum Zwecke der eigenen Machterhaltung betrieben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das ist nicht nur schäbig, das ist ekelhaft, meine Damen und Herren.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Wie Sie reden!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113107300
Herr Dr. Stark, ich möchte Sie allen Ernstes bitten, sich zu mäßigen. Derartige Äußerungen sind unparlamentarisch. Und ich lege Wert darauf, daß auch diese Debatte einigermaßen ordentlich geführt wird.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113107400
Aber sie bringen die Sache auf den Punkt. Sie mögen unparlamentarisch sein, aber sie bringen die Sache auf den Punkt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113107500
Herr Abgeordneter Kleinert, ich hatte mich nicht mit Ihnen auseinandergesetzt, sondern mit Zwischenrufern.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Der Kleinert ist auch unparlamentarisch!)

Sie haben das Wort.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113107600
Herr Gerster, leider ist das Thema viel zu ernst, als daß ich mich an dieser Stelle mit Ihnen überhaupt auseinandersetzen will. Mit Ihnen kann man sich über diese Frage nicht sinnvoll auseinandersetzen. Wie hier einmal mehr Minderheitenhetze betrieben wird, das ist ekelhaft. Wenn man sich dazu ansieht, wie jetzt in Frankfurt in Großanzeigen gezielt gegen Daniel Cohn-Bendit Assoziationsketten zum Bild des häßlichen Juden hervorgerufen werden sollen, dann sage ich Ihnen hier in aller Nüchternheit: Ich halte das, was Sie da treiben, für latenten Antisemitismus.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Wetzel [GRÜNE]: Der ist manifest, nicht latent!)

Ich sage Ihnen hier auch ganz bewußt, und es ist mir ein persönliches Anliegen, Ihnen an dieser Stelle mit Tucholsky ganz unparlamentarisch zu antworten und zu sagen: Man kann gar nicht so viel essen, wie man an dieser Stelle kotzen möchte.
Meine Damen und Herren, daß hier die Radikalisierung der CDU nach rechts stattfindet, zeigt schon der Beifall,

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist doch dummes Zeug!)

den Ihre Schmuddelkampagne findet. Ich zitiere aus der dpa-Meldung vom 27. Februar:
Die NPD hat der Frankfurter CDU vorgeworfen,

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Ist das parlamentarisch?)

mit ihren Anti-Ausländer-Parolen ihren Wahlkampfstil zu kopieren.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Künstliche Aufgeregtheiten, Herr Kleinert!)

Die NPD sieht sich aufgewertet. Und der Herr Frey hat erst vorgestern einen Seriositätsbonus für die DVU mit ihrer ausländerfeindlichen Propaganda in Hessen gesehen. Herr Frey schreibt: Seit Wallmann und Brück die NPD-Parolen abgekupfert haben, steigt die Zahl unserer Anhänger sprunghaft.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Schreihals!)

Typisch seien Zuschriften wie: „Wenn sogar Wallmann und Brück die NPD-Aussagen übernehmen, dann kann das ja nicht rechtsradikal und falsch sein." — Das ist die Stimme des Führers der braunen Soße seit 20 Jahren und länger,

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie sind ein kleiner Frey!)

des Herausgebers der „Deutschen National- und Soldatenzeitung" . Meine Damen und Herren, wenn es Ihnen ernsthaft an die Macht geht, dann fallen alle Hemmungen. Das war bei Barschel so, und das ist jetzt



Kleinert (Marburg)

wieder so. Wie sie im zweitreichsten Land der Erde mit hunderttausend Flüchtlingen

(Glocke des Präsidenten)

hier Ihr Schindluder treiben, das ist übel, meine Damen und Herren,

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das ist Hetze, was Sie machen!)

aber Sie werden mit diesem Wahlkampf im Gauleiterstil, den Sie da betreiben, nicht durchkommen . . .

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113107700
Herr Abgeordneter —

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113107800
. . . weil es in diesem Lande mittlerweile genug Menschen gibt .. .

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113107900
Herr Abgeordneter, ich muß — —

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113108000
... die wissen: In diesem Land darf nie wieder Minderheitenhetze zum Zwecke der eigenen Machterhaltung betrieben werden. Die gibt es auch in Ihrer eigenen Partei.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Deswegen schließe ich mit dem Glückwünsch an dasjenige Mitglied, an jenen Chefredakteur der christlichen Zeitung „Publik-Forum", der an Herrn Wallmann geschrieben hat, daß er auf Grund dieser Kampagne aus der CDU ausgetreten ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113108100
Herr Abgeordneter Kleinert!

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113108200
Diesen Mann kann man nur beglückwünschen.

(Beifall bei den GRÜNEN: Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das war Hetze! — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Wie die Nazis im Reichstag!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113108300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Langner.

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1113108400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kleinert und Frey, zwei erste Adressen, kann ich da nur sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Berliner haben einen kleinen Vorgeschmack von dem bekommen, was auf sie zukommt.

(Widerspruch bei der SPD)

Unsere Position ist klar: Mit uns wird es kein kommunales Ausländerwahlrecht geben; deshalb klagen wir in Karlsruhe. Politisch Verfolgte genießen Asyl, aber dem Mißbrauch ist zu wehren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Scheinasylantenstopp heißt das!)

Nichts anderes sagt die hessische CDU, und mit Ausländerfeindlichkeit hat das überhaupt nichts zu tun.

(Zurufe von der SPD)

Was die Freundschaft zu Israel anbelangt, da brauchen wir Sie von den GRÜNEN nicht als Lehrmeister, das kann ich Ihnen nur sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Von Feindbildern verstehen Sie mehr als wir. Nehmen Sie sich einmal einen Jahrgang Plenumsprotokolle, seitdem Sie in diesem Hause sind! Prüfen Sie die grüne Sprache auf Feindbilder, Freund/Feind-Verhältnisse !

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wer hat denn die Zeitungsanzeige gemacht, Herr Langner?)

Dann werden Sie sehen: deutscher Meister auf diesem Sektor heißt grün-alternativ.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auf diesem Feld können Sie durchaus in einen unedlen Wettstreit mit den Schönhubers eintreten; das sage ich Ihnen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sie verwechseln Anlaß und Wirkung!)

Vom Neid als politischem Schlagstock versteht die Linke ohnehin viel mehr als wir. Wie man auf der Klaviatur der Ängste spielt, kann jeder erleben, der mit grün-roten Kollegen zusammenarbeiten muß, wenn es z. B. um Atomfragen geht.

(Wetzel [GRÜNE]: Du meine Güte!)

Also: Wer bei deutschen Aussiedlern von „Deutschtümelei" spricht, der soll uns keine Belehrungen im richtigen Umgang mit Ausländern geben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

„Die CDU holt immer mehr Aussiedler ins Land" , dieses Flugblatt jetzt der hessischen SPD-Landtagsfraktion ist ein massiver Angriff auf das Freizügigkeitsrecht aller Deutschen, meine Damen und Herren.
Wir Deutschen sind nicht ausländerfeindlich. Dazu reisen wir viel zu gern ins Ausland.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Beruhigen Sie sich! Wir sind auch den bei uns lebenden Ausländern gegenüber nicht feindlich gesonnen. Die ausländischen Arbeitnehmer werden als Kollegen geschätzt. Der Produzent des widerwärtigen Wahlkampfspots der sogenannten Republikaner im Berliner Wahlkampf konnte mit seinen Hetzparolen nur eine Minderheit ansprechen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Koalitionsfreund von Herrn Lummer!)

Die Saat von Rechtsradikalen geht erst dann auf, wenn normaler Patriotismus europäischen Standards verteufelt wird, wie das oft (zur SPD und den GRÜNEN) von dieser Seite des Hauses geschieht und wenn man Scheinasylanten einen unbegrenzten Zugang ins Land eröffnet.
Im übrigen, meine Damen und Herren: Gewalttätige Demonstrationen autonomer Gruppen bringen Rechtsradikalen oft mehr Zulauf als das dumme Gerede von Herrn Schönhuber. Wie immer in der Ge-



Dr. Langner
schichte: Die Linksradikalen schaukeln die Rechtsradikalen hoch und umgekehrt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für die Union ist sonnenklar: Die bei uns wohnenden Ausländer sind unsere Mitmenschen. Wer hier länger als zehn Jahre lebt — das sind ca. 2,6 Millionen —, kann sich einbürgern lassen. Da sollte es Verfahrenserleichterungen geben. Die zweite und dritte Ausländergeneration, die hier geboren ist und deutsch spricht, sollte vollends in die deutsche Gesellschaft hineinwachsen können.
Da gibt es kulturelle Anregungen und Spannungen. Die tun uns gut, und die halten wir aus. Wer Ausländern einen solchen Weg ermöglichen will, muß aber erst einmal als Deutscher selbst überzeugt sein, damit er zur gegenseitigen Bereicherung überhaupt etwas beizutragen hat.

(Wetzel [GRÜNE]: Von unserer Geschichte zum Beispiel!)

Die Naivität des „Seid umschlungen, Millionen" wird doch von nationalstolzen Ausländern belächelt und gelegentlich auch ausgenutzt.

(Wetzel [GRÜNE]: Und warum wieder „Von der Maas bis an die Memel"?)

Damit wir bei mehr als 4 Millionen Ausländern im Land und der Integrationsperspektive Europas diesen vernünftigen nationalen und internationalen Weg, nämlich den Weg der Mitte, gehen können, müssen wir den Scheinasylanten und Schleppern den Weg zur deutschen Sozialhilfe versperren. Das ist ganz einfach.
Dies ist in einem Rechtsstaat nicht ganz einfach. Wenn alle Parteien sowie Bund und Länder hier an einem Strang ziehen würden, wären wir bei der Lösung dieser Probleme auch schon weiter.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Der deutsche Lohnsteuerzahler, der das Meiste aufbringt, um die Kosten des Staates zu finanzieren, hat ein Recht darauf, daß seine Steuergelder nicht verschleudert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thema Ausländer ist durch die SPD in den hessischen Wahlkampf eingeführt worden. Mir liegt das Kommunalwahlkampfprogramm der SPD Frankfurt-Hoechst vor. Ausländer: Das kommunale Wahlrecht ist zu fordern; Asylbewerber: Aufhebung der Arbeitsverbote; Unterbringung von Asylbewerbern in Wohnungen, nicht in Wohnheimen; Gleichstellung in der Sozialhilfe mit deutschen Sozialhilfeempfängern.
Und dann wundern Sie sich, daß das Thema diskutiert wird, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Diskutieren? Hetzen tun Sie!)

Wenn wir nicht mehr 3 bis 5 Milliarden DM für den Mißbrauch des Asylrechts aufbringen müßten, könnten wir auch dem Hohen Flüchtlingskommissar mehr überweisen, damit die Elendsflüchtlinge und die von Krieg betroffenen Flüchtlinge dort besser versorgt werden können, wo sie in der Nachbarschaft der Länder, aus denen sie kommen, besser aufgehoben sind.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113108500
Herr Abgeordneter, ich bin schon mehr als großzügig gewesen. Ich bitte, mir das Geschäft nicht unnütz zu erschweren.

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1113108600
Ich bedanke mich.
Sehr verehrte Damen und Herren, mit Ausländerfeindlichkeit hat das, was im hessischen Wahlkampf von der CDU vorgebracht wird, nichts zu tun.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113108700
Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.

Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1113108800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich den Herrn Kollegen Dr. Langner hier argumentieren höre, komme ich zu der Überzeugung, daß er in den letzten Wochen nicht im hessischen Wahlkampf war.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Nach den Berliner Wahlen vom 29. Januar hat die CDU in Hessen ihren Wahlkampfstil total geändert. Mit dem Thema Asylanten schüren Sie seitdem Ausländerhaß und Fremdenfeindlichkeit — und nur, meine Damen und Herren, um eine drohende Niederlage bei den hessischen Kommunalwahlen am 12. März zu verhindern.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das sind doch alles Behauptungen ohne Beleg! Das sind unwahre Behauptungen!)

Sie werfen Asylanten, Ausländer, Gastarbeiter, Aussiedler und Flüchtlinge, alle in einen Topf, rühren kräftig um und machen dann global die Ausländer für die Fehler Ihrer eigenen Politik verantwortlich.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es sind doch nicht die Ausländer schuld, wenn in den Ballungszentren Wohnungen fehlen.
Sie sind auch nicht an Ihrer verfehlten, unsozialen Gesundheits- und Steuerreform schuld. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, tragen die Verantwortung für die verfehlte Politik in diesem Lande.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Also das ist vielleicht ein Niveau!)

Ich habe einige Beispiele des miesen Wahlkampfstils von Hessen mitgebracht.

(Zuruf von der CDU/CSU: In Person!)

Meine Damen und Herren, auf Plakaten werden die einfachsten Instinkte mobilisiert. Dumpfe Parolen stellen Sie hin, um Wankelmütige dazu zu bringen, auch dann noch die CDU zu wählen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Welche Parolen?)




Reuter
In Riesenanzeigen zum Asylrecht stand in allen Zeitungen zu lesen — hier habe ich das mitgebracht — —

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Lesen Sie doch einmal vor!)

— Lesen können Sie doch noch selber. Oder waren Sie nicht in der Schule?

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

„Scheinasylanten stoppen", steht da, „durch Scheinasylanten droht unser Land zum Einwanderungsland zu werden".

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

„Wir sagen nein", sagen Sie. In den Zeitungen häufen sich die Überschriften gegen Scheinasylanten und kommunales Wahlrecht für Ausländer. Eine Zeitung fragt dann: „Macht die Union Stimmung gegen Ausländer?"

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)

„Kein Wahlrecht für Ausländer einführen. Wer für die Einführung des Wahlrechts für Ausländer plädiert, belastet das Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern. "

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch alles richtig!)

Das ist doch Ihre Stimmungsmache, die Sie betreiben.
Der hessische Generalsekretär der CDU, Jung, mit dem beziehungsreichen Vornamen Franz-Josef, spricht von 90 % Scheinasylanten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind es ja auch! — Lachen bei der SPD)

Das ist entwaffnend hier im Deutschen Bundestag.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht entwaffnend, das ist richtig!)

— Ihre Hetze betreiben Sie noch hier im Parlament, meine Damen und Herren.
In der „Frankfurter Rundschau" vom 2. März 1989 können wir lesen: „Asylbewerber werden aussortiert", „erstmals gesonderte Zahlen über verdächtige Ausländer", „Zwei Tage vor der Veröffentlichung der hessischen Kriminalstatistik hat Innenminister Gottfried Milde eine Erklärung veröffentlicht, nach der im vergangenen Jahr 19,2 % aller in Frankfurt festgenommenen Tatverdächtigen Asylbewerber waren." Nicht die Verurteilten, nein, die Verdächtigen werden in den Vordergrund gestellt. Nicht, weil man ihm etwas nachgewiesen hat, sondern allein deshalb, weil er Asylant ist, ist er in Ihren Augen verdächtig.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja Unsinn!)

Warum veröffentlicht der hessische Minister 10 Tage vor der Wahl eine solche Statistik? Vor einem Jahr gab es keine Statistik dieser Art.
Die Saat dieses Wahlkampfstils geht auf, meine Damen und Herren. Ich bekomme jetzt schon Briefe
— früher waren sie anonym, jetzt stehen schon Unter-
schriften darauf —, in denen steht — ich darf einmal zitieren — : „Sie sollen den Volkswillen kennen und vertreten. Aus Polen und Jugoslawien kommen doch nur Scheinasylanten, die im goldenen Westen einen Vorteil sehen. "

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Und so geht es weiter. „Dann soll ich Asylanten in meine Wohnung aufnehmen. " Diese Schreiben bekomme ich. Die bekommen evangelische Pfarrer. Die bösen Worte Asyltourismus, Asylantenflut, Wirtschaftsasylanten, Scheinasylanten zählen zu dem Vokabular,

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Stimmt doch!)

das Sie mit Ihrem unseligen Wahlkampfstil in Hessen hoffähig gemacht haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Philipp Jenninger mußte zurücktreten, weil er u. a. die Gänsefüßchen in seinem Konzept nicht mitlesen konnte. Aber ich sage: Nach meiner Überzeugung ist das, womit die CDU Hessen in diesem Wahlkampf Stimmungsmache betreibt, weit verhängnisvoller als die Rede von Philipp Jenninger hier in diesem Hause.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich fordere einmal den Landesvorsitzenden der CDU, den Ministerpräsidenten Wallmann, auf,

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ein guter Mann! Hervorragend!)

sich von diesem Wahlkampfstil zu distanzieren, und zwar noch vor der Kommunalwahl in Hessen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Art. 1 des Grundgesetzes sollten Sie sich einmal in Erinnerung rufen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Halten Sie sich doch daran! — Das respektieren wir auch Ihnen gegenüber!)

Da steht:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Im Grundgesetz steht nicht „Die Würde des deutschen Menschen", sondern „Die Würde des Menschen ist unantastbar".

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist deshalb in hohem Maße politisch unverantwortlich und unmoralisch, eine Stimmung gegen Ausländer zu erzeugen nur mit dem Willen, noch einige Stimmen am rechten Rand zu kassieren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!) Das ist Ihr erklärtes Ziel.


(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113108900
Das Wort hat der Abgeordnete Gries.

Ekkehard Gries (FDP):
Rede ID: ID1113109000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sage Ihnen ganz ehrlich, daß



Gries
ich diese Diskussion, die bisher gelaufen ist, beschämend finde in Anbetracht des Themas, um das es geht. Ich finde sie aber auch pharisäerhaft, und ich will versuchen, das hier deutlich zu machen.
Es ist hier eine Giftküche am Werk, in die alles hineingeschmissen wird, was es gibt: die drei A's: Ausländer, Aussiedler, Asylanten. Ich glaube, daß sich jeder hier bedient.

(Zuruf von den GRÜNEN: Wer hat das Rezept angerichtet?)

Auch die Antragsteller — ich sage Ihnen, den GRÜNEN, das — dieser Diskussion tun das ja nicht etwa, um den Aussiedler zu helfen und um Probleme zu lösen, sondern um damit Wahlkampfgeschäfte zu betreiben. Das müssen Sie sich entgegenhalten lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sie verwechseln Anlaß und Wirkung!)

— Nein, das ist eindeutig.
Auch die SPD bedient sich an dieser Küche durchaus zweiseitig: mit einem Löffel, um gegen die CDU und im hessischen Wahlkampf aufzutreten, aber auch mit einem Löffel, um ihre eigenen Wähler in die richtige Reihenfolge zu bringen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Und die CDU hetzt weiter!)

Ich habe hier Anzeigen, die ich Ihnen zeigen kann. Der SPD-Oberbürgermeister von Wiesbaden — rot/ grün — sagt im Klartext: Im Grunde genommen sollen wir 2 Milliarden DM bezahlen, damit die Rumäniendeutschen in Rumänien bleiben, auch wenn sie hier-herkommen wollen.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Pfui! Pfui!)

Ich habe hier eine andere Anzeige. Bernd, es tut mir furchtbar leid, das ist dein Namensvetter Wolfgang Reuter, Oberbürgermeister von Offenbach, in einer städtischen Anzeige, im übrigen von der Stadt bezahlt. Da steht unter dem Stichwort Aussiedler, daß die Stadt Offenbach nicht in der Lage ist, die Eingliederung der Aussiedler zu leisten. Was ist denn das anderes? Das ist doch nur vornehmer ausgedrückt als das, was hier in den CDU-Anzeigen etwas härter formuliert ist, meine Damen und Herren. Das ist in der gleichen Suppe gekocht und aus derselben Giftküche bezogen worden.
Ich bin der Meinung, wir sollten alle vor unserer Tür kehren. Ich bin auch selbstkritisch genug, das bei uns zu tun.

(Zuruf von den GRÜNEN: Fangen Sie damit an!)

Ich weiß ganz genau, daß auch bei der FDP Mitglieder, Wähler und Sympathisanten ähnlich denken wie die, die in Berlin Republikaner gewählt haben. Damit müssen wir gemeinsam fertig werden, wie ich meine.
Jetzt komme ich — es tut mir furchtbar leid — zu unserem Koalitionspartner. Wenn ich dann diese Anzeigen in hessischen Zeitungen sehe, Herr Dr. Dregger, dann muß ich sagen: Das ist zuviel.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Was steht denn drin?)

Ich will Ihnen ein paar Sätze daraus vorlesen, damit Sie das sehen. Das steht drin — das ist jetzt alles Zitat, Herr Präsident — :
Das darf doch nicht wahr sein: SPD und GRÜNE
— die FDP haben sie vergessen —
wollen jetzt unsere Rathäuser auch denen öffnen, die keine deutschen Staatsbürger sind. Das verstößt gegen jede politische Vernunft. Das ist die einseitige Vergabe von Rechten.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ja, das ist wahr!)

Wir wollen nicht, daß ausländische Links- und Rechtsextremisten ihre Fehden vor unseren Wahllokalen austragen.
Meine Damen und Herren, was ist das für ein Horrorgemälde, was ist das für eine Sprache?

(Zurufe von der SPD — Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, hier ist eindeutig die Grenze von Toleranz, Vernunft, aber auch die Schmerzgrenze für die Liberalen überschritten worden. So geht das nicht. Ich sage das hier ganz deutlich.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Hier muß wieder Augenmaß und Vernunft einkehren, und Sie sollten sich daran erinnern. Ich sage das dem Koalitionspartner im Ernst, weil mir das Thema ernst ist.
Sie haben hier im Januar dieses Jahres einer EGRichtlinie zugestimmt,

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: So ist es! Sie auch, Herr Dregger!)

daß wir auf allen Ebenen das Wahlrecht schnellstmöglich einführen wollen. Ich sage dazu: Das will auch die FDP. Wir wollen das auf Gegenseitigkeit, wir wollen das in der EG, und wir wollen das unter vernünftigen Bedingungen. Da sind wir uns dann wieder einig. Ich meine nur, wir dürfen hier nicht in einer Art von Fremdenhaß oder Vorurteilen Haß und Fanatismus fördern oder auch nur zulassen, sondern wir müssen uns gegen den Mißbrauch wehren, und wir müssen die Tatbestände lösen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das paßt doch nicht, was Sie sagen!)

Wir müssen politische Lösungen anbieten, um mit den Problemen fertig zu werden. Das sind die Wohnraumprobleme, die nicht nur die deutsche, sondern auch die ausländische Bevölkerung bei uns hat, nicht nur die Aussiedler, sondern auch andere. Das ist die Beschleunigung des Asylverfahrens, das sehr häufig mißbraucht wird. Das ist die Novellierung des Ausländerrechts, die dringend ansteht. Meine Damen und Herren, das sind doch die wirklichen Probleme, um



Gries
die wir uns kümmern müssen. Wir werden jedenfalls als Liberale Ängsten und Emotionen nicht nachjagen.

(Beifall der Abg. Frau Wieczorek-Zeul [SPD])

Wir werden hier die Mitte halten. Wir werden an unseren Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit, von Toleranz und von Humanität festhalten, wenn es darum geht, die notwendigen Entscheidungen zu treffen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113109100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1113109200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was in Hessen geschieht, hat Methode und eine leidige Tradition. Denn jeweils vor Wahlterminen wühlen Politiker von CDU und CSU in der Schublade wohlfeiler Warnungen vor angeblicher Ausländerflut. Ich erinnere Sie daran: Es war ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, als die Panikmache aus den Reihen der Union vor dem sogenannten Asylantenstrom anno 1986 das Sommerloch gefüllt hat.

(Zuruf von den GRÜNEN: Und wie hat sich die SPD damals verhalten?)

So ist es auch jetzt, wo hektische Betriebsamkeit nach dem Berliner Wahlerfolg der Republikaner CDU und CSU anspornt, den rechten Rand festzunageln, damit ja nichts in die Hände der rechten Splittergruppen fällt. Das galoppartige Tempo, die Verbeugungen vor dem Stammtisch mögen ja erklärbar sein, weil die Union ihre Felle wegschwimmen sieht. Verzeihbar ist dies alles nicht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Was hier geschieht, meine Damen und Herren, ist Stimmenfang zu Lasten von Minderheiten in dieser Gesellschaft. Es gibt im Kampf um die Mehrheit in einer parlamentarischen Demokratie kaum etwas Erbärmlicheres. Wir verwahren uns dagegen mit allem Nachdruck.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Sprache prägt nun einmal Bewußtsein und Meinungen. Begriffe heizen Atmosphäre auf. Zahlen können demagogisch verpackt und mit Reizvokabeln gemischt Angst und Mißgunst schüren.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das sieht man bei der SPD!)

Der Bundesinnenminister und sein Staatssekretär Spranger liefern dafür die Belege, wenn sie allmonatlich die Asylzahlen veröffentlichen und den Schlagzeilen von Boulevardzeitungen sozusagen das Futter schon liefern.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das müssen Sie Ihrem Heydemann sagen! Was der jede Woche veröffentlicht hat!)

Ich zitiere: „dramatischer Anstieg", „Rekord", „massenweiser Mißbrauch", „endlich einen Riegel vorschieben".

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit! Das sind doch Tatsachen! — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das ist doch wahr!)

Diese Begriffe, meine Damen und Herren, entstammen ebenso sehr dem Wörterbuch der Diffamierungen wie gängige Formeln. Das ist für Sie eben schon die Wahrheit. Das ist das Schlimme. „Das Boot läuft über" , „Die Dämme brechen" , „Das Maß ist voll" : Das ist schlimm, und es währt und schürt Angst und Mißgunst.

(Beifall bei der SPD)

Diese Saat, meine Damen und Herren, geht auf. Die Parolen werden salonfähig geredet. Ein Beispiel: Aus Bremerhaven erreicht mich ein Brief, dessen Autor sich zur CDU-Basis zählt. Er schreibt u. a.:
Im übrigen sind die Mitbürger nur die Angehörigen der EG und die eigenen Landsleute und nicht die Ausländer, wie Tamilen, Türken und sonstige Asiaten.
Woher dieses Gedankengut wohl stammt?
Es sind nicht nur die Zimmermanns, die Dreggers und die Lummers, die solche Reaktionen hervorrufen. Einer der vier Bewerber um den CDU-Landesvorsitz in Schleswig-Holstein sagte kürzlich sinngemäß, manchen Teilen im Programm der Republikaner könne er durchaus zustimmen, denn die hätten einiges von der CDU abgeschrieben.

(Wetzel [GRÜNE]: Total verlummert!)

Nur die Art und Weise mißfalle ihm. Wohin eigentlich, frage ich, driftet diese Partei, die sich christlich nennt, wenn sie zu so einem Wettlauf um das Erstgeburtsrecht für Parolen einer ausländerfeindlichen Gruppierung ansetzt?

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Wir gehen zur AL! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Zur AL!)

Ich gebe es ja zu: Unter vielen Bürgern greifen Angst, Ablehnung und sogar Haß um sich.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Welche Heuchelei!)

Wollten wir nur auf Stimmungen und die Zeitläufte setzen, wir müßten die Finger von Bemühungen um Integration und Humanität lassen. Aber, meine Damen und Herren, Politik darf eben nicht kuschen vor dieser Stimmungslage.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie des Abg. Lüder [FDP])

Sie muß gegensteuern.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Gegen Linksradikalismus!)

Das ist das richtige Programm gegen Neid und Empfindungen tatsächlicher und auch eingeredeter Benachteiligungen.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Ins rot-grüne Chaos steuern!)




Frau Dr. Sonntag-Wolgast
Sagen wir es doch endlich klar: Nicht die Ausländer nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg. Schuld sind vielmehr die Firmen, die ihre satten Gewinne auf Schweizer Konten bringen,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wir sind hier nicht beim NDR!)

statt hier beschäftigungswirksam zu investieren.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: So einfach stellt sich Lieschen die Welt vor!)

Schuld ist eine Bundesregierung, die sich selbstzufrieden auf den Polstern guter Konjunkturdaten ausruht, statt eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: So einfach ist das alles!)

Nicht die Ausländer und Aussiedler nehmen den Deutschen die Wohnungen weg. Schuld ist vielmehr eine Politik, die sich vor wenigen Jahren aus der Sozialwohnungsbaupolitik verabschiedet hat,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ach, wie armselig!)

statt dem neuen Bedarf vorzubeugen.
Katastrophenmalerei ist kein Mittel gegen Ausländerfeindlichkeit. Das richtige Mittel dagegen ist eine soziale Offensive: für mehr preiswerten Wohnraum, für die Arbeitsplätze, gegen die Langzeitarbeitslosigkeit und gegen das Abgleiten in die Sozialhilfe. Das richtige Mittel, meine Damen und Herren, sind konkrete Signale. Deshalb kamen auch die Entscheidungen in Hamburg und Schleswig-Holstein für ein kommunales Ausländerwahlrecht gerade jetzt zum richtigen Zeitpunkt:

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Damit haben die Leute Arbeitsplätze! — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Dank des NDR!)

weil wir zeigen wollen, daß wir Menschen, die lange bei uns leben, nicht länger von politischer Teilhabe ausschließen wollen.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Warum denn nicht zum Bundestag? Erklären Sie das einmal!)

Wenn es noch eines Beweises für die Doppelzüngigkeit christ-demokratischer Politik bedurft hätte, dann liefert den die Tatsache, daß die CDU/CSU — wir haben es eben gehört — nun wirklich Verfassungsklage gegen das kommunale Ausländerwahlrecht erhebt, jedoch am 19. Januar dieses Jahres im Bundestag einer Entschließung zur Einführung des Wahlrechts für EG-Bürger zugestimmt hat.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie vergleichen Apfel mit Birnen!)

Ich komme zum Schluß. Ich appelliere an Sie: Bereiten Sie diesem Wirrwarr ein Ende! Mißbrauchen Sie Ausländer nicht länger als Blitzableiter für Ihre politischen Fehlleistungen! Vor allem: Klappen Sie das Wörterbuch der Hetze zu! Sie täten damit der politischen Moral einen guten Dienst.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das war eine dünne Suppe!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113109300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1113109400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ausländer- und Aussiedlerrecht im Wahlkampf ist eine schlechte Sache. Die Debatte heute bestätigt das. Nur warne ich davor, die Moral nur auf einer Seite, die Unmoral auf der anderen Seite zu sehen.

(Beifall des Abg. Gerster [Mainz] [CDU/ CSU])

Ich habe hier eine Zeitungsanzeige von gestern von der SPD-Fraktion des Hessischen Landtages. Ich zitiere:
In Hessen steigen die Mieten. Es fehlen schon jetzt mindestens 55 000 Wohnungen. Viele Menschen sind arbeitslos. Ohne sich darum zu kümmern, holt die CDU immer mehr Aussiedler ins Land.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

Meine Damen und Herren, wenn von Hetze gesprochen wurde: Was ist denn das? Hier wird mit der Angst der Menschen um ihren Arbeitsplatz, hier wird mit der Sorge der Menschen um ihre Wohnung auf dem Rücken der Aussiedler parteipolitische Suppe gekocht; und das ist verantwortungslos, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. Lüder [FDP])

Zweiter Punkt: Wenn eine Partei das Thema Ausländer in den Wahlkampf einführt, kann die andere dem nicht ausweichen — Beispiel Ausländerwahlrecht. Wer hat das denn gefordert? Wer hat das denn beschlossen? In Hamburg waren es die Sozialdemokraten, in Schleswig-Holstein die Sozialdemokraten, in Nordrhein-Westfalen die Sozialdemokraten, in Berlin die Sozialdemokraten und in Hessen die Sozialdemokraten.

(Lutz [SPD]: Und in Bonn der Deutsche Bundestag!)

Nun kommen die Leute zur CDU und sagen: Wie hältst du es denn mit dem Ausländerwahlrecht? Da sagt die CDU: Wir sind grundsätzlich dagegen. — Das hat nichts mit Ausländerfeindschaft zu tun,

(Zuruf von den GRÜNEN: Natürlich!)

dafür gibt es vielmehr vernünftige und für jedermann einsehbare Gründe.
Meine Damen und Herren, wenn der Sportverein seinen Vorstand wählt, dann dürfen nur die Vereinsmitglieder mitwählen. Wenn die SPD ihren Vorstand wählt und die GRÜNEN ihren Sprecherrat wählen, dann dürfen nur die Parteimitglieder mitwählen.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es! — Weitere Zurufe von der SPD)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113109500
Herr Abgeordneter Dr. Blens, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche.
Wenn ich die Debatte aufmerksam verfolge, stelle ich fest, daß es hier erhebliche Beschwerden über den Stil in einem bestimmten Wahlkampf gibt. Solange Sie in diesem Hause den Stil so praktizieren, verliert Ihre Kritik an Glaubwürdigkeit.
Herr Dr. Blens, Sie können fortfahren.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1113109600
Meine Damen und Herren, wir sagen: Wenn im „Verein Bundesrepublik Deutschland" Parlamente gewählt werden, dann sind nur diejenigen wahlberechtigt, die die Vollmitgliedschaft in diesem Verein haben, und das sind die deutschen Staatsbürger.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum dritten Punkt, zum Asyl noch etwas sagen. In Frankfurt ist das Asyl wegen des Flughafens ein besonderes Problem. Jedermann weiß, daß es in Frankfurt zur jetzigen Mehrheit nur eine Alternative gibt, die heißt: Rot-Grün, d. h. Hauff plus Frankfurter Ausgabe des Genossen Stroebele. Da müssen die Leute vor der Wahl erfahren, wie denn eine rot-grüne Mehrheit in Frankfurt mit dem Asylrecht umgehen würde. Das können Sie in den gesammelten Werken von Momper/Stroebele nachlesen. Ich zitiere: Die Verpflichtung, in Gemeinschaftsunterkünften zu leben, wird abgeschafft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Sozialhilfe wird ohne Kürzung in bar ausgezahlt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die räumliche Aufenthaltsbeschränkung wird gelokkert, d. h. die Asylbewerber dürfen im Bundesgebiet herumreisen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder einer Ausbildung soll weitgehend ermöglicht werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Geht das Asylverfahren negativ aus, ist der Asylbewerber zwar zur Ausreise verpflichtet, wie es da heißt; von Abschiebung findet sich bei Momper/Stroebele kein Wort. Die wird es in Berlin nicht mehr geben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Statt dessen soll die Verpflichtung zur Ausreise nicht bestehen, wenn eine unzumutbare Härte vorliegt. Das ist bei Momper/Stroebele nach fünfjährigem legalen Aufenthalt der Fall. Wenn es also einem Asylbewerber gelingt, sein Verfahren fünf Jahre hinzuziehen — und das ist kein Problem mit einem guten Anwalt — , darf er endgültig hier bleiben.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Dann hat er kaputte Nerven!)

Ich sage Ihnen, das ist die offizielle Einladung in das gelobte Land Bundesrepublik für Leute, die aus wirtschaftlich verständlichen Gründen hierherkommen, aber die alles andere als politisch verfolgt sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und jetzt sage ich Ihnen als jemand, der leidenschaftlich — auch in meiner Fraktion — für dieses Grundrecht auf Asyl für wirklich Verfolgte ist, noch eines: Wenn das so käme — nicht nur in Berlin, sondern auch noch in Frankfurt; dann hätten wir wirklich eine Flut von Asylbewerbern, die nicht politisch verfolgt sind —, dann so prophezeie ich Ihnen, ist das Grundrecht auf Asyl für wirklich politisch Verfolgte in diesem Land politisch nicht mehr zu halten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb bin ich mit derselben Leidenschaft, mit der ich für dieses Grundrecht für wirklich Verfolgte kämpfe, dagegen, daß Sie diesen Schwachsinn, der in Berlin vereinbart worden ist, nach dem nächsten Sonntag auch in Frankfurt praktizieren können. Denn die politisch Verfolgten wären die, die auf der Strecke blieben.

(Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. Heinrich [FDP])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113109700
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Trenz.

Erika Trenz (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113109800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß der Landesvorsitzende der Republikaner in Hessen öffentlich propagiert, er werde die Schwarzen in der Frage der Ausländerpolitik vor sich hertreiben wie eine Hammelherde, ist bezeichnend — nicht nur für die Politik einer rechtsradikalen Minderheit. Nein, Herr Streibl selbst bekennt sich offen dazu, daß der republikanische Führer Schönhuber seine Ausländerpolitik von der CSU abgeschrieben habe. In diesem Punkt sagt er die Wahrheit.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Gehen Sie doch einmal auf den Vorredner ein!)

Seit Jahren ist Innenminister Zimmermann dabei, genau die Politik zu betreiben, die das ideologische Unterfutter für eine wachsende Bereitschaft in der bundesdeutschen Bevölkerung abgibt, rassistische Politik offen zu akzeptieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da ist vor allem in der Union die Rede von einer drohenden „Durchmischung" und „Durchrassung" unserer Gesellschaft,

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Da sitzt er! — Frau Beer [GRÜNE]: Die Worte kennen wir schon!)

von einem „Bevölkerungsgulasch" , von „Schmarotzertum" und „Überfremdung". So rassistisch wie das Vokabular sind auch die dazugehörigen Maßnahmen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: So verwahrlost, wie Sie sind, ist auch Ihre Rede!)

Wer keinen deutschen Paß in der Tasche trägt, war hier immer schon ein Mensch zweiter Klasse. Für Flüchtlinge spitzt sich die Lage jetzt dramatisch zu. Obwohl hierzulande am Flüchtlingselend der Welt prächtig verdient wird, werden Sammellager und Arbeitsverbot zur Normalität erklärt, die Grenzen durch den Visumszwang noch dichter gemacht und wird das



Frau Trenz
im Grundgesetz garantierte Recht auf Asyl zur Disposition gestellt.
Daß das so reibungslos funktioniert, hat seine Ursache nicht allein in der fremdenfeindlichen Tradition dieser Republik. Fremdenfeindlichkeit ist vielmehr die willkommene Grundlage für politische Ablenkungsmanöver dieser Bundesregierung, die Sündenböcke für Massenerwerbslosigkeit, Wohnungsnot, Sozialabbau, die Folgen der Gesundheitsreform und der Rentenpolitik

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

und für die dadurch noch zunehmende Altersarmut braucht. Wer bietet sich da besser an als die rechtlose Minderheit der Immigranten und Flüchtlinge, denen Sie das Wahlrecht weiter vorenthalten wollen! Selbstverständlich wollen Sie nicht, meine Damen und Herren von der Union, daß diese Menschen Ihre Politik abwählen können.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113109900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1113110000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin ja froh, daß in diesem Zusammenhang keine FDP-Anzeige zitiert worden ist und zitiert werden kann.
Wenn wir die Wahlkämpfe dieses und des nächsten Jahres in der Form fortsetzen, wie sie begonnen worden sind, dann werden wir am Ende eine andere Republik haben,

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Kappes [CDU/CSU])

mit Emotionen, die uns gemeinsam daran hindern werden, eine rationale Politik zu betreiben.
Es gibt keinen Wahlkampf ohne Emotionen. Aber wir sind verantwortlich dafür, welche Emotionen wir erzeugen — auch für die, die über den Wahlkampf hinaus bestehenbleiben. Dabei geht es mir nicht nur darum, was wir in den Köpfen der deutschen Wähler erzeugen, sondern auch darum, was wir in denen unserer ausländischen Mitbürger hervorrufen.

(Zustimmung bei der SPD)

Wer seine Lebensarbeitskraft über Jahrzehnte in diese Gesellschaft investiert hat, wer sich — unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit — einen Platz in dieser Gesellschaft erarbeitet hat, wer sich ein Selbstwertgefühl geschaffen hat, der wird sich nun wohl fragen, wie diese Gesellschaft ihn wirklich sieht, wenn er bei dieser Wahl oder bei den nächsten Wahlen zum Gegenstand von Emotionen, zum Prügelknaben der Politik und vielleicht zu einer Art Neger in unserer Gesellschaft gemacht wird.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Zum kommunalen Wahlrecht ist genug gesagt worden. Aber es geht darum, ob wir Ausländer als lästige Eindringlinge, Fremde, Barbaren betrachten, die man von Rechts wegen besser unter Polizeiaufsicht stellen sollte, oder ob wir unseren Mitbürgern ein realistisches Bild von ihrer Bedeutung in unserer Gesellschaft zeichnen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nun kommen wir mal zu Frankfurt. Es gibt in Frankfurt zwei Klassen von Ausländern: hoch willkommene, umworbene auf der einen und Prügelknaben auf der anderen Seite. In Frankfurt sind 10 % der Unternehmen ausländisch; es gibt 30 000 ausländische Mitarbeiter: Japaner, Koreaner, Franzosen und Amerikaner. Mehr als die Hälfte der Mitarbeiter im künstlerischen Bereich der Frankfurter Bühnen sind Ausländer. 9 von 19 Spielern der Eishockey-Mannschaft, mehr als ein Viertel der 4 000 Beschäftigten an den Universitätskliniken im pflegerischen und im technischen Bereich sind Ausländer, und trotzdem haben wir nichts von einer Überfremdung im Bereich der Banken, der Künstlerschaft, der Krankenhäuser oder des Spitzensports gehört.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Nun die anderen: 94 % der Straßenkehrer, 40 % der Mitarbeiter der Stadtreinigung, 20 % aller Lehrlinge, mehr als 25 % der Mitarbeiter im Bauhauptgewerbe, mehr als 60 % der Mitarbeiter am Güterbahnhof und mehr als die Hälfte auf dem Rollfeld des Frankfurter Flughafens sind Ausländer — von der Gastronomie ganz zu schweigen — und sind keineswegs Konkurrenten deutscher Arbeitnehmer, die diese Tätigkeiten gar nicht ausführen würden. Das ist in Frankfurt nicht viel anders als in den anderen Großstädten, in Düsseldorf, Hamburg oder München.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer behauptet denn das Gegenteil?)

Sagen wir eigentlich unseren Landsleuten, was der gegenwärtige und künftige Beitrag dieser Menschen zu unserer eigenen wirtschaftlichen Wohlfahrt ist und was passieren würde, wenn sie, der Beschimpfungen und Schmähungen überdrüssig, uns verlassen würden?

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Das Problem ist in Wirklichkeit ein soziales, weil nämlich die Lasten der Integration in unserer Gesellschaft unterschiedlich verteilt sind: in der Schule, beim Wohnen, beim Arbeiten.
In der Schule spielt sich das Problem nicht in den Gymnasien, sondern in den Grund- und Hauptschulen ab,

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

beim Wohnen nicht in Bad Godesberg, am Starnberger See und in Düsseldorf-Oberkassel, sondern in Duisburg-Mündelheim und in Kreuzberg

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

und beim Arbeiten, wenn überhaupt, dann nicht in
den Direktionsetagen, sondern am Band, unter Tage



Dr. Hirsch
und in den Betrieben der ersten Hitze; da liegen die Belastungen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Unsere Aufgabe kann es doch nur sein, nicht über die Ängste, die das schaffen muß, hinwegzuwischen, sondern vernünftige Antworten auf diese schichten-spezifische Integrationsprobleme zu finden, sie zu analysieren und dort anzupacken.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Wir sehen mit Sorge eine wachsende Polarisierung in der Stimmungslage unserer Bevölkerung. Es wächst die Lautstärke der Schönhubers, aber noch mehr die Zahl derjenigen Menschen, die die polemische Holzerei leid sind, die nach mehr innerer Freiheit unserer Gesellschaft und nach ihrem humanitären Inhalt fragen und für deren eigenes Verhältnis zum Staat es entscheidend ist, ob er sich immer mehr in polizeilichen Abwehrreaktionen auf den verschiedensten Gebieten erschöpft oder ob er seinem christlichen, seinem sozialen und seinem liberalen Anspruch gerecht wird. Das ist die Herausforderung. Keine Partei, jedenfalls keine christliche, keine soziale und keine liberale Partei, wird auf Dauer Erfolg haben, wenn sie die Zustimmung und die Mitarbeit dieser Menschen verliert.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113110100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1113110200
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Hintergrund der CDU-Kampagne in Hessen, die wir heute diskutieren, ist, daß der CDU in Scharen die Leute weglaufen, bei den Kommunalwahlen in Hessen wie auch bei den Landtagswahlen im letzten Jahr.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie haben schon beschlossen, wie die Wähler wählen!)

Das hat gute Gründe. Denn die stoltenbergsche Finanz- und Steuerpolitik belastet gerade die hessischen Gemeinden in den nächsten Jahren mit rund drei Milliarden DM.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist richtig! Defizite wandeln sich in Überschüsse bei den Gemeinden!)

Das heißt weniger Geld für Kindergärten, für Turnhallen und für Vereine. Da sich Bundesregierung und Landesregierung aus dem sozialen Wohnungsbau verabschiedet haben, fehlen in Hessen rund 55 000 Wohnungen für Menschen, die preiswerten Wohnraum suchen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wann hätten die denn gebaut werden müssen?)

Es bleibt festzuhalten: Schuld an Wohnungsnot sind nicht Ausländer, sind nicht Aussiedler, sind nicht Asylbewerber, sondern Schuld sind eine Bundesregierung und eine Landesregierung, die noch bis vor wenigen Tagen meinten, das Problem aussitzen zu können, und die nichts tun und die die Gemeinden im Stich lassen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Spätestens seit den Berliner Wahlergebnissen hätte die CDU/CSU Umdenken und zur Änderung ihrer kaltherzigen Politik kommen müssen. Aber sie ist zu neuem Denken unfähig. Sie ist altem Denken verhaftet. Und altes Denken heißt in Deutschland allemal: eine Minderheit suchen, eine Gruppe im Inneren zum „Feind" erklären und dann alle Aggressionen und alle Ängste auf sie lenken.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit!)

Wir wissen, wohin solche Methoden führen können. Deshalb sagen wir auch hier: Wehret den Anfängen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Schämen Sie sich!)

Wer die Anzeigenkampagne, die Plakataktionen, die Parolen der hessischen CDU in den letzten Tagen gesehen und erlebt hat, der spürt: Hier hat sich eine Partei, die das C im Namen trägt, all ihrer Werte christlicher Nächstenliebe entäußert.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sie wirken im Augenblick sehr haßerfüllt!)

Hier hat eine Partei, die das C im Namen trägt — wie Heiner Geißler es zu Recht ausdrückte — , ihre Seele verloren. Hier ist eine Partei, die das C im Namen trägt, mit dem hessischen Ministerpräsidenten Wallmann an der Spitze eine Gesinnungskoalition mit Rechtsextremisten eingegangen, weil sie glaubt, dabei Stimmen abstauben zu können.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Warum sind Sie so haßerfüllt? — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie sollten uns noch erschießen!)

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am 19. Januar 1989 zusammen mit SPD und FDP für das Wahlrecht der EG-Bürger und -Bürgerinnen auf kommunaler Ebene gestimmt. Jetzt will sie davon nichts mehr wissen.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das ist unwahr!)

Aber es muß festgehalten werden: Die CDU war auch schon vorher dafür, daß bei wechselseitiger Anerkennung das Ausländerwahlrecht für EG-Bürger und -Bürgerinnen verwirklicht wird. Daraus wird ersichtlich: Die CDU-Kampagne in Hessen gegen das kommunale Wahlrecht für Ausländer ist nicht nur gefährlich, falsch und unchristlich,

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sie ist richtig!)

sie ist auch verlogen, weil Sie hier dafür gestimmt haben, Herr Dregger, aber zu Hause eine schlimme Kampagne in Gang setzen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Nein, Sie sind verlogen!)




Frau Wieczorek-Zeul
Das wäre ja noch schöner: Im Rahmen des zu verwirklichenden Binnenmarkts wollen Sie die Mobilität der Menschen fördern. Wer dann aber so modern und mobil ist, der soll zum Dank dafür seine politischen Rechte verlieren. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Der darf seine politischen Rechte gerade nicht verlieren.

(Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Ich wähle ja auch nicht in Italien!)

Ich sage Ihnen: Am 18. Juni 1989 ist die Europawahl. Europäische Gesinnung zeigt sich nicht in hehren Worten vier Wochen vor dem Europawahltag,

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sie wirken im Augenblick so haßerfüllt!)

sondern sie zeigt sich daran, wie anständig, wie menschlich und wie christlich wir den Europäern auf unserem eigenen Boden begegnen. Das sollten Sie sich merken.

(Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Man bekommt Angst vor Ihnen!)

Deshalb sagen wir an die Adresse der hessischen CDU: Hören Sie auf die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, die durch ihren Kirchenpräsidenten Spengler die CDU vor der Emotionalisierung der Diskussion gewarnt hat. Hören Sie auf besonnene CDUGemeindevertreter wie Erika Fachinger aus Limburg, die ihrer eigenen Partei, der CDU, vorwirft, ihre Parolen seien unvereinbar mit dem christlichen Menschenbild. Hören Sie auf Europa-Union und jüdische Gemeinden in Hessen, die mit Sorge auf das Schüren von Fremdenfeindlichkeit blicken.
Wie kann eine Partei wie die hessische CDU so tief sinken? Hat denn die CDU nach der Barschel-Affäre nicht gelobt, daß das Ziel des Machterhalts nicht alle Mittel heilige? Haben Sie vergessen, daß die CDU das gesagt hat?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie sind eine scheinheilige Schlange!)

Ich bin überzeugt: Die Menschen, die unter der verfehlten Politik, der Gesundheits-, Wirtschafts- und Steuerpolitik der Bundesregierung,

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Die war gut und richtig!)

unter dem Betondenken des Verteidigungsministers zu leiden haben, werden sich in Hessen nicht von ihrem Ziel ablenken lassen. Sie werden sich alle zusammenfinden und mit ihrem Votum am 12. März 1989 in Hessen ein Signal setzen für eine bürgernahe Kommunalpolitik, ein Signal für den Wunsch nach einem sozial gerechten, fortschrittlichen und weltoffenen Hessen, für ein Hessen der Mitmenschlichkeit und nicht der Kaltherzigkeit. Sie werden auch ein Signal in Richtung an die Bundesregierung in Bonn setzen. So lassen Menschen nicht mit sich umspringen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Ihre Rede war unanständig! Sie sollten mal beichten gehen, statt an die Kirche zu appellieren!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113110300
Das Wort hat der Abgeordnete Weirich.

Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1113110400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Wieczorek-Zeul, lassen Sie uns mit einem Rätselraten beginnen. Ich bringe jetzt ein Zitat, und Sie sagen mir den Urheber. Das Zitat lautet:
Wir müssen die Grenzen rigoros gegen Zustrom weiterer Ausländer schließen. Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland, und die Grenzen der Belastbarkeit sind erreicht. Die bessere und menschlichere Lösung wäre, ausländische Kinder nur bis zum Alter von sechs Jahren nachreisen zu lassen.
Ich gebe Ihnen noch eine kleine Nachhilfe: Es ist ein früherer Intimfeind von Ihnen, der das im Jahre 1982 gesagt hat. Es ist Holger Börner, Ehrenvorsitzender der hessischen SPD.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Ich füge hinzu: Wenn Sie Ihre fundamentalistischen und haßerfüllten Maßstäbe anlegen würden, die Sie heute hier in Ihrer Rede dargelegt haben, dann müßten Sie Herrn Börner konsequenterweise zum Ehrenmitglied der NPD machen, denn so haben Sie heute argumentiert.

(Beifall bei der CDU/CSU — Reuter [SPD]: Diese unverschämten Sprüche von Ihnen sind wir doch gewohnt! — Weitere Zurufe von der SPD: Unverschämt!)

Meine Damen und Herren, ich möchte ein Zweites sagen. Vor mir liegt die Anzeige von Herrn Exner — die der verehrte Kollege Gries schon zitiert hat —, Ihrem Parteigenossen in Wiesbaden. Dort heißt es wörtlich:
Die CDU hat in der Aussiedlerfrage versagt. Die Bundesregierung sollte nicht Rumänien 1 Milliarde DM dafür zahlen, daß dort Dörfer zerstört und Menschen ausgewiesen werden.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Pfui!)

Meine Damen und Herren, hier hat es Solidarität unter den Kollegen gegeben, die Grausamkeiten des feudalistischen sozialistischen Regimes von Herrn Ceauşescu zu verurteilen und in Bukarest vorstellig zu werden. Seit Mitte der 60er Jahre bemühen sich alle Bundesregierungen, aussiedlungswilligen Deutschen zu helfen — auch Ihre Minister früher, Herr Penner —

(Dr. Penner [SPD]: Schimpfen Sie doch nicht so! Ich sage doch ja!)

und denen, die bleiben wollen, kulturell und materiell zu helfen, und dann beginnen Sie mit einer solchen parteifixierten Infamie. Ich erwarte, Frau WieczorekZeul, daß Sie sich hier hinstellen und sich drei Tage vor der Kommunalwahl für die Sozialdemokratische



Weirich
Partei entschuldigen, wenn Sie noch einen Funken Anstand im Leib haben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Reuter [SPD]: Sie reden von Dingen, die Sie schon jahrelang nicht begreifen! — Lachen und Zurufe von der SPD — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Die versammelte Unanständigkeit beschwert sich über mangelnden Anstand!)

— Meine Damen und Herren, Sie zeigen mit Ihren Protesten, was Sie von den Geboten der Freizügigkeit halten. Ich weiß, daß es im Wahlkampf Überspitzungen und Zuspitzungen gibt. Aber ich füge auch hinzu: Das Prinzip der Freizügigkeit sollte uns solidarisch heilig sein, meine Damen und Herren.
Es geht uns — das haben die Debatte und der Beitrag von Frau Wieczorek-Zeul mit der Schwarzzeichnung des Landes Hessen gezeigt — doch nicht um die Ausländerfrage. Es geht auch nicht um die eine oder andere Anzeige. Es geht vielmehr um die Rathäuser in Hessen, es geht um die Landratsämter,

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Es ist nämlich Kommunalwahl!)

und es geht um den Versuch, ein rot-grünes Regiment in Frankfurt zu etablieren. Das ist hier das Thema.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Lebhafte Zurufe von der SPD)

— Natürlich geben Sie mir recht, und das ist auch richtig. Nachdem Sie in Hessen Wortbruch begangen haben — der rot-grüne Denver-Clan ist inzwischen vom Programm abgesetzt, aber er soll jetzt in Frankfurt eine Neuauflage erfahren; also der zweite Versuch, diesmal mit einer etwas ästhetischeren Variante der Momper-Börner-Symbiose mit Herrn Hauff —,

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Soll ich Ihnen mal einen Spiegel bringen?)

werfe ich einen Blick zurück in das Jahr 1977 und die Frankfurter Verhältnisse, weil Sie die jetzigen Verhältnisse so attackiert haben. Wie war es denn 1977? Blühendes Spekulantentum; Polizeipräsidenten wurden auf dem Parteitag in die Wüste geschickt;

(Zurufe von der SPD)

libanesische Kaufleute sind bei Herrn Arndt im Dienstzimmer erschienen und haben 200 000 DM für die SPD abgeliefert, damit Aufträge am Flughafen ergattert werden konnten.

(Anhaltende Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, das waren die Frankfurter Verhältnisse des Jahres 1977.

(Reuter [SPD]: Und was war mit den ganzen Skandalen mit Herrn Brück?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113110500
Herr Abgeordneter Reuter, Sie haben zur Zeit nicht das Wort. Der Abgeordnete Weirich hat das Wort, wenn ich Sie darauf aufmerksam machen darf.

(Reuter [SPD]: Aber nur überwiegend!)


Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1113110600
Die Grundfrage für die hessischen Wähler lautet: Wollen sie zurück zu den Frankfurter Verhältnissen in rot-grüner Konstellation, oder wollen sie die Fortsetzung einer erfolgreichen Politik? Das können Sie mit dieser polemischen Debatte heute nicht kaschieren.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113110700
Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1113110800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte es mir versagen, in den gleichen polemischen Ton zu verfallen, den wir soeben hören durften.
Es gibt Situationen, in denen man persönlich Farbe bekennen muß. Dies ist eine solche Situation. Ich bin meiner Fraktion dankbar, daß sie mir Redezeit eingeräumt hat.
Mein Vater wurde bereits 1933 reichsweit zur Fahndung ausgeschrieben. Er hat sich bis 1938 quasi illegal
— immer verfolgt — in Deutschland aufgehalten, bis es nicht mehr ging und er 1938 mit meiner Mutter in die Schweiz floh. Meine Mutter stürzte bei dieser Flucht über die Alpen ab, mein Vater wurde von der Schweiz — Sie könnten sagen: als Scheinasylant oder Wirtschaftsflüchtling — nach Frankreich abgeschoben.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Sie wissen doch genau, daß das, was Sie schildern, politische Verfolgung ist!)

Was war er? Er war ein politischer Flüchtling,

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Na also! Was soll das?)

aber einer ohne Geld. Mein Vater suchte den Weg zurück zu meiner Mutter, illegal natürlich, wurde aufgegriffen und wieder nach Frankreich abgeschoben. Aber meine Mutter lag immer noch im Krankenhaus, und wieder kam mein Vater illegal zurück in die Schweiz, um ihr beistehen zu können.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Genauso politisch Verfolgte nehmen wir auf, Herr Lutz!)

— Wenn Sie sich einen Zwischenruf bei dieser Schilderung ersparen könnten, wäre ich Ihnen persönlich sehr dankbar.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Ausländergesetze waren weiland in der Schweiz schärfer als heute in der Bundesrepublik.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Aber es fand sich eine katholische Bürgerinitiative, so würden wir heute sagen, die das Recht auf Asyl für meinen Vater durchdrückte. Er durfte bleiben, er kam ins Lager, aber wenigstens nicht in ein KZ-Lager des Dritten Reiches. Deshalb überlebte er. Deshalb werde ich, solange ich noch Luft zum Atmen und eine Stimme zum Sprechen habe, das Grundrecht des politischen Asyls verteidigen.

(Beifall bei allen Fraktionen — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das machen wir auch! — Dr. Langner [CDU/CSU]: Da machen wir mit!)




Lutz
Die Schweiz sagte damals, sie sei nicht das Rettungsboot Europas und handelte danach. Ich wage nicht nachzuvollziehen, was das für Folgen hatte. Ein mörderisches System, von dem damals die zivilisierten Völker nur eine ungefähre Ahnung hatten oder möglicherweise ihre Ahnung unterdrückten, hat unsere Verfassungsväter eines Besseren belehrt. Ich bin stolz auf das Grundrecht auf politisches Asyl in der Verfassung. Es gibt schließlich eine Menge anderer Väter und Mütter, die, aus anderen Ländern kommend, darauf angewiesen sind.
Nun sagen Leute in diesem unserem Lande, es gebe nur wenige politische Flüchtlinge, die meisten seine Wirtschaftsasylanten. Erlauben Sie bitte, daß ich das nicht nachvollziehen kann. In der Welt sind 18 oder 15 Millionen Flüchtlinge — so genau weiß man das nicht — unterwegs. Allein Pakistan hat 3,5 Millionen Flüchtlinge zu beherbergen, und das ist eines der ärmsten Länder der Erde. Das sind Wirtschaftsflüchtlinge und politische Flüchtlinge.

(Wetzel [GRÜNE]: Und trotzdem werden sie beherbergt!)

Aber wenn ein Mensch zu verhungern droht, ist das nicht auch ein Fluchtgrund?

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Der hat die Reisekosten nicht!)

— Disqualifizieren Sie sich bitte nicht durch Ihren Zwischenruf, Herr Gerster.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das müssen Sie genau differenzieren!)

Die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder der Erde und jammert über 100 000 Asylsuchende. Manchmal schäme ich mich für mein Land, und ich will das nicht verhehlen. Ich habe eine Vision, und ich bitte Sie herzlich, sie nachzuvollziehen. Ich habe die Vision, daß wir auch die Hungernden, die den Weg zu uns geschafft haben, nicht abweisen, und ich habe die Vision, daß die reiche Bundesrepublik noch zur Menschlichkeit fähig ist. Eine solche Haltung hat natürlich Konsequenzen. Wer den Verfassungsgrundsatz des Asylrechts bewahrt, muß auch die finanziellen Mittel dafür bereitstellen. Wer die Hungernden, die sogenannten Wirtschaftsasylanten nicht abweist, muß wissen, wie er mit ihnen umgeht. Wer die Auslandsdeutschen einlädt, in unser Land zu kommen und dort ein neues Leben zu beginnen, der hat dafür zu sorgen, daß die einheimische Bevölkerung darunter nicht zusätzlich Belastungen erleidet. Wer menschlich sein will, muß menschlich sein. Ich sehe hier noch große Defizite. Ich beschwöre dieses Parlament, diese Defizite auszuräumen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113110900
Das Wort hat der Abgeordnete Franz-Hermann Kappes.

Dr. Franz-Hermann Kappes (CDU):
Rede ID: ID1113111000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer Feststellung beginnen: Was wir hier miterleben, ist, denke ich, zunächst einmal nichts anderes als eine von den GRÜNEN und von der SPD inszenierte Kommunalwahlveranstaltung im Deutschen Bundestag.

(Wetzel [GRÜNE]: Zu der Sie uns Anlaß gegeben haben!)

Das bedeutet nichts anderes — das bedauere ich — als einen Beitrag zur Verstärkung der, wie ich meine, unheilvollen Tendenz, daß bundespolitische Auseinandersetzungen zur massiven Beeinflussung der Entscheidungen über die Zusammensetzung von Gemeindevertretungen, über die Besetzung von Positionen in Rathäusern und Landratsämtern benutzt bzw. mißbraucht werden.
Ich sage das als einer — ich kann mir das nicht verkneifen — , der nach der letzten hessischen Kommunalwahl, in der es um die damals angeblich wackelnden Renten und um ähnliche bundespolitische Themen ging, mit dem entsprechenden Stimmverhalten der Senioren rot/grün aus seinem Amt abgewählt wurde.
Auch diesmal versuchen Sie, meine Damen und Herren, vor allem Sie von der SPD, nun seit Wochen wieder mangels, wie ich finde, kommunalpolitischer und personell überzeugender Alternativen, mit einer ausgesprochen bundespolitischen Stimmungsmache von der Krankenkassenreform bis zum Tiefflugproblem — wir haben das eben von Frau Wieczorek-Zeul wieder erfahren — , in unverantwortlicher Weise kein Register auszulassen, um Mißtöne in die Gemeinden und Kreise unseres Landes zu bringen. Das möchte ich hier vorab einmal feststellen. Ich denke, darüber könnten wir vielleicht gemeinsam in Zukunft auch vor solchen Kommunalwahlen nachdenken.

(Andres [SPD]: Albrecht in Niedersachsen sieht das aber auch so!)

Eine — nur eine! — Ihrer landes- und bundespolitischen Forderungen in diesem Kommunalwahlkampf war und ist die Einführung des Ausländerwahlrechts. Damit und natürlich auch mit Ihrer abweichenden Haltung zu manchen Problemen des Asylrechts haben doch Sie selbst und nicht wir — das ist schon gesagt worden — das sensible Ausländerthema in diesen Wahlkampf hineingetragen, das ohnehin seit langem viele Leute mehr, als wir es vielleicht wahrgenommen haben, beschäftigt hat.
Ich halte das für ein sensibles Thema — ich habe es schon gesagt — , und ich halte auch die Art der Auseinandersetzung hier für sehr bedenklich. Ich stimme dem Kollegen Hirsch ausdrücklich in seiner pessimistischen Prognose für die Zukunft zu,

(Zuruf von der SPD: Nur da?)

wenn wir auf diesem Gebiet weiter so verfahren.
Nur, meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal festhalten: Das war nicht unser Wunsch; Sie haben dieses Thema in den hessischen Kommunalwahlkampf eingebracht!

(Widerspruch bei der SPD)

Nun meinen Sie anscheinend, wir sollten da unseren Mund halten, ruhig sein und uns das anhören. Unsere Antworten gefallen Ihnen nicht, obwohl es, das muß ich Ihnen sagen, viele Sozialdemokraten



Dr. Kappes
gibt, die ich selber kenne und die unsere Auffassung gerade zum Thema Ausländerwahlrecht sehr wohl teilen.
Wenn wir dann erklären, welche Meinung wir zu diesem Thema haben, dann werfen Sie uns in geradezu ungeheuerlicher Weise Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhetze und ähnliches mehr vor.
Herr Kollege Lutz, Ihr Beitrag war auch für mich persönlich eindrucksvoll. Wir sind uns doch einig darin, daß politisch Verfolgte Asyl genießen sollen. Aber das ist doch nicht der Punkt. Es geht doch gerade um diejenigen, die nicht politisch, nicht religiös, nicht ethnisch verfolgt sind, sondern die aus anderen Gründen hier eintreffen. Sie können natürlich nun sagen: Alle, die mühselig und beladen sind, sollen in gut christlicher Tradition bei uns Aufnahme finden. Aber das geht doch nun einmal nicht; Sie wissen doch selber ganz genau, daß das nicht geht, daß wir dafür nicht die Voraussetzungen haben, daß wir da auf andere Weise, vielleicht stärker als bisher, helfen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei aller Achtung vor Ihrem Beitrag, aber das müssen wir einschränkend dazusagen.
Andererseits muß ich ebenso einschränkend sagen, daß die Szene, die der Herr Kollege Hirsch nun zu dem, was sich hier abspielt, in Beziehung gesetzt hat, auch nicht die Realität trifft, denn wer Frankfurt kennt und weiß, wie man da zusammenlebt, weiß, daß das Thema „Ausländerwahlrecht" und unsere Diskussion hier die Leute nicht in der Weise berühren und daß auch allgemein die Auffassung dazu nicht so ist, wie es hier vielleicht hätte aufgefaßt werden können.
Meine Damen und Herren, wir bleiben dabei: Auch das Kommunalwahlrecht ist Ausübung von Staatsgewalt durch das Staatsvolk, und das ist nicht einfach die Bevölkerung. Im demokratischen Staat ist das Wahlrecht geradezu das Kernstück der Staatsbürgerschaft. Weil es Ihnen so gut gefallen hat und weil der Kollege Langner das mit Recht gesagt hat, will ich wiederholen, was in jedem Verein gilt, nämlich daß der, der über die Jahresrechnung und über die Zusammensetzung des Vorstandes mitentscheiden will, zunächst einmal Vereinsmitglied werden muß.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Schließen möchte ich damit, daß unsere ausländischen Mitbürger uns — ich benutze beide Worte! — als Gäste willkommen sind, wenn sie sich rechtmäßig hier aufhalten, daß aber über die eigentlichen Familienangelegenheiten eben in der engeren Familie selbst entschieden wird. Im Kommunalwahlprogramm der hessischen CDU lautet der entscheidende Satz, mit dem ich dann schließen muß, hierzu:
Toleranz und Mitmenschlichkeit sollten den Umgang mit und das Verhältnis zu den ausländischen Mitbürgern bestimmen, die bei uns leben. Aber eine behutsame und angemessene Handhabung der Probleme, die mit der Anwesenheit von Menschen unterschiedlicher Nationalität, Sprache und Kultur verbunden sind, ist eine Frage des sozialen Friedens und des Ausgleichs in unserem Land.
Das scheint mir entscheidend zu sein.

(Wetzel [GRÜNE]: Und deswegen die antisemitische Hetze gegen Cohn-Bendit?)

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113111100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1113111200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage noch einmal ganz klar und deutlich, wofür die Union eintritt: kein Ausländerwahlrecht, keine Wirtschaftsasylanten.
Ich darf zitieren:
Der hessische Ministerpräsident lehnt die Einführung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer aus verfassungsrechtlichen Gründen ab.
Dazu müssen Sie sich stellen, dazu müssen Sie Stellung nehmen!

(Widerspruch bei der SPD)

Ich will Ihnen auch sagen, wer das gesagt hat. Es war am 19. August 1986 Holger Börner, der von der SPD gestellte Ministerpräsident im Lande Hessen. Um deutlich zu machen, wie Sie schwanken, wie Sie aus Opportunismus die Seiten wechseln, halte ich fest: Es gab damals — meine Damen und Herren von den GRÜNEN, hören Sie genau zu — im Hessischen Landtag eine Gesetzesinitiative der GRÜNEN zur Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer. Herr Gries, die Fraktionen, die das damals einhellig abgelehnt haben, waren die Fraktionen von CDU, SPD und FDP.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das macht die Sache doch nicht besser!)

Und wie ist die Situation heute? Sie wollen vergessen machen, daß Sie damals mit den gleichen Argumenten, die wir heute haben, in die Debatte eingestiegen sind. Sie wollen Ihre eigene Vergangenheit aus opportunistischen Gründen vergessen machen.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Das liegt auf der Linie Ihrer Politik. Vor den Wahlen hatten wir bei Schmidt die Rentenlüge. Wir hatten die Mietenlüge. Dann hatten wir Holger Börner, der nicht mehr in den Spiegel schauen wollte, wenn er mit den GRÜNEN koalieren würde, und dann hat er mit den GRÜNEN koaliert. Nun haben wir in Berlin Herrn Momper gehabt,

(Urbaniak [SPD]: Steuerlüge!)

der gesagt hat, er würde mit der AL nie koalieren, er werde mit ihr keine Koalition eingehen, der ihr die Verhandlungsfähigkeit und die Sachfähigkeit abgesprochen hat. Der Wahlabend war noch nicht herum, da hat er die Wählertäuschung vollzogen! Das muß man doch deutlich sehen, und das ist das gleiche, was Sie für Frankfurt planen.
Dazu sage ich Ihnen ganz offen: Die Verhandlungsergebnisse, die Sie für Berlin — zum Nachteil dieser großartigen deutschen Stadt — ausgehandelt haben, brauchen wir für Frankfurt nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Dr. Lippold (Offenbach)

Dieter Weirich hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, wie es vor 1977 ausgesehen hat, welche chaotischen Verhältnisse dort geherrscht haben. Ich wiederhole es, auch wenn ihnen das nicht paßt: Die Spekulanten gingen im Büro des damaligen Oberbürgermeisters ein und aus. Das muß nicht wiederkommen!

(Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben dort ein qualifiziertes Angebot. Auch wenn Sie davon ablenken wollen, wenn Sie darüber hinwegtäuschen wollen, wir machen die Wahlbetrügereien nicht mit, die Sie vorhatten und vorhaben. Wir werden deutlich sagen, was unsere Meinung ist, und wir werden auch sagen, daß nicht wir uns gewandelt haben, sondern daß Sie ganz einfach deshalb zu dieser Wandlung fähig waren, weil Sie vergessen haben, woher Sie kommen.

(Widerspruch bei der SPD)

Herr Lutz, ich sage auch ganz deutlich: Ich finde es nicht gut, wenn man persönliche Betroffenheit einbringt und es in einer Diskussion so darstellt, als würden andere dies nicht wollen. Denn es war ja eigentlich eine Assoziation, die Sie hergestellt haben oder herstellen wollten. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Politisches Asyl haben wir grundsätzlich befürwortet und werden wir grundsätzlich befürworten.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Dann definieren Sie einmal „Scheinasylanten" !)

Ich sage für mich persönlich: Politisches Asyl werde ich nie ablehnen können und wollen, aus innerster Überzeugung heraus. Ich sage Ihnen aber genauso deutlich: Scheinasylanten und Wirtschaftsasylanten können wir auf Dauer hier so nicht haben, ohne in die Gefahr zu kommen, wie sie Dieter Weirich ganz deutlich beschrieben hat.

(Dr. Penner [SPD]: Genfer Flüchtlingskonvention! Aufpassen!)

Deshalb müssen wir hier sagen: Das geht so nicht! Sie werden sehen, wie es in Berlin wird. Wenn Sie die Schleusen öffnen, wie aus der von Ihnen beschlossenen Koalitionsvereinbarung hervorgeht. Wenn Sie dort wieder alles hereinlassen, dann werden wir nach zwei Jahren sehen, was Sie zu der Zahl derjenigen sagen, die Sie in die ehemalige deutsche Hauptstadt hineingelassen haben, und wie Sie dann wieder anstehen und sagen: Wir können dieses Problem nicht weiter tragen.

(Wetzel [GRÜNE]: Es ist doch unerträglich!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir machen jetzt darauf aufmerksam und nicht erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wir sagen ganz deutlich: Das, was Sie dort anrichten, wollen wir für Frankfurt und für Hessen vermeiden. Das werden wir den Bürgern offen sagen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113111300
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Bevor ich zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehe, muß ich dem Abgeordneten Kleinert wegen der Behauptung „Wahlkampf im Gauleiterstil" und dem Abgeordneten Dr. Stark wegen des Vorwurfs der Hetze einen Ordnungsruf erteilen. Ich verhehle auch nicht, daß ich noch zwei mir viel ungeheurer erscheinende Zwischenrufe zu überprüfen habe. Mir liegen die Protokolle allerdings noch nicht vor. Ich — oder mein Nachfolger — werde auf diese Fälle zurückkommen. Ich bedaure sehr, daß dies bei dieser Debatte nicht zu vermeiden war.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 8 auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß)

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vierter Immissionsschutzbericht der Bundesregierung
zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Knabe, Brauer und der Fraktion DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Immissionsschutzbericht der Bundesregierung
— Drucksachen 11/2714, 11/3179, 11/4126 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schmidbauer Frau Dr. Hartenstein
Brauer
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß)

zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN Maßnahmen gegen Luftverschmutzung
zum Entschließungsantrag der Abgeordneten Brauer und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN Maßnahmen gegen Luftverschmutzung
— Drucksachen 11/559, 11/560, 11/3905 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schmidbauer Frau Dr. Hartenstein
Brauer
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall.
Dann darf ich die Aussprache eröffnen. Zunächst hat das Wort der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Abgeordneter, bevor Sie anfangen, möchte ich aber den Versuch unternehmen, Ihnen die notwendige Ruhe im Hause zu verschaffen. Meine verehrten Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich entweder setzen würden, um der Debatte zu folgen, oder den Raum verlassen würden. Das trifft auch für die SPD-Fraktion zu. — Meine Damen, wenn Sie sich entscheiden würden, ob Sie Ihr Gespräch



Vizepräsident Cronenberg
draußen fortsetzen wollen oder der Debatte folgen wollen, wäre ich Ihnen dankbar. — Danke schön.
Ich glaube, Herr Abgeordneter Schmidbauer, wir können nun mit der Debatte beginnen. Sie haben das Wort.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1113111400
Herzlichen Dank Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, daß wir das Thema Vierter Immissionsschutzbericht der Bundesregierung in einer ruhigen Phase diskutieren können. Ich will der Bundesregierung gerne bestätigen, daß wir mit dem Vierten Immissionsschutzbericht eine hervorragende Grundlage für eine Überprüfung der bisherigen Luftreinhaltepolitik und der zukünftigen Politik haben. Ich will auch hier sehr deutlich sagen, daß wir für die letzten Jahre eine gute Bilanz ziehen können, daß — dieser Bericht zeigt dies auch von den Fakten her — die Luftbelastung reduziert werden konnte, und zwar in einem erheblichen Umfang.
Wir haben im Bereich der Schwefeldioxide eine Abnahme, die wir 1984 für heute prognostiziert hatten, nicht nur erreicht, sondern die Situation hat sich insgesamt wesentlich verbessert: 1983 2,9 Millionen t Schwefeldioxid in der Bundesrepublik Deutschland, 1986 2,2 Millionen t mit den entsprechenden Maßnahmen, heute bereits unter 2 Millionen t und der Zielwert Anfang der 90er Jahre eine Million t. Das bedeutet, daß Schwefeldioxid insgesamt um 66 % abgenommen hat.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dies war ein wichtiger Punkt: realisiert durch die Großfeuerungsanlagenverordnung, durch die Technische Anleitung Luft, durch die Reduzierung des Schwefelgehalts in leichtem Heizöl und Dieseltreibstoff.
Wenn wir allein die stationären Anlagen betrachten — und hier lohnt es sich, etwas mehr in Details dieses Berichts hineinzusehen — , erkennen wir, daß wir allein im Bereich der Kraftanlagen von 2,0 Millionen t Schwefeldioxid auf 0,7 Millionen t, also um 1,3 Millionen t, gemeinsam reduziert haben. In allen Bundesländern und bei allen Kraftwerken ist diese Nachrüstung gelaufen, hat funktioniert, hat Arbeitsplätze geschaffen und Technologie weiterentwickelt. Auch dies sollte man heute hier einmal deutlich sagen.

(Brauer [GRÜNE]: Wieviel Ausnahmen habt ihr?)

Wir haben auch in anderen Bereichen einiges erreicht, was die Stickoxide anlangt, die ja im Hinblick auf die Umwandlung, den Oxidationsprozeß zum troposphärigen Ozon, zum Verursacher der Waldschäden, zum Verursacher des Treibhauseffekts in den Mittelpunkt gerückt sind.
Allerdings ist das Zahlenmaterial hier nicht sehr deutlich. Warum? Wir haben einerseits im Bereich der stationären Anlagen von 1 Million t auf 0,3 Millionen t, also um 0,7 Millionen t reduziert. Wir haben andererseits im Bereich des Kraftfahrzeugverkehrs durch einen enormen Anstieg von 7 Millionen Pkw nun 29 Millionen Pkw auf unseren Straßen und damit pro Jahr 40 Millionen mehr gefahrene Kilometer und dadurch natürlich einen Zuwachs an Stickoxiden. Das haben wir deutlich gesagt. Das sagt auch dieser Bericht ungeschminkt.
Trotzdem ist auch in diesem Bereich Erstaunliches passiert. Unsere Autos, über die wir jetzt ja überall diskutieren, werden sauberer. In Zahlen bedeutet dies, daß bei den Neuzulassungen im Jahre 1988 94 % schadstoffarm waren, während es im Jahr 1985 nur 27 % gewesen waren. Und wenn wir den gesamten Pkw-Bestand nehmen, dann kommen wir von 3 % im Jahr 1982 auf jetzt 33 %.
Herr Kollege Brauer, das beruhigt mich überhaupt nicht. Denn es ist, wie Sie zu Recht sagen, nicht überall der Stand der Technik realisiert. Sie wissen, daß die Koalitionsfraktionen im Ausschuß einen Antrag zur Reduzierung von Stickoxiden aus nichtstationären Anlagen, also besonders aus dem Fahrzeugbereich, beschlossen haben.
Ich weise darauf hin, daß wir erst vor wenigen Wochen eine Diskussion nach dem Motto hatten: Da tut sich ja überhaupt nichts.

(Brauer [GRÜNE]: So war es ja auch!)

Ich habe damals gesagt: Da lohnt es sich, mit den Partnern zu reden; es lohnt sich, national zu reden, und es lohnt sich, international zu reden.
Ich hatte vor einigen Tagen — auch auf europäischer Ebene — intensive Gespräche über dieses Problem, Fahrzeuge unter 1,4 1 zu verbessern. Auch gestern und vorgestern war überall zu lesen: Da bewegt sich nichts.
Ich sage Ihnen den Stand in Brüssel von heute: Die EG-Kommission wird in Brüssel eine neue Initiative zur weiteren Verschärfung der Grenzwerte für Autoabgase ergreifen. Das Bohren hat sich gelohnt. Man staune: Die Kommission hat gegenüber den Niederlanden eine nachgiebigere Position eingenommen. Sie drängt nicht auf Klage, sondern auf Verständigung. Das ist für uns eine Chance, national durch steuerliche Anreize mit den Niederlanden gleichzuziehen. Damit haben wir natürlich auch national einen ganz erheblichen Vorteil im Durchsetzen unserer nationalen Konzeption.
Noch erstaunlicher ist: Der zuständige Kommissar sagt, wir müssen dies erneut auf die Tagesordnung bringen. Und Herr Bangemann hat erklärt, er ziehe es in jedem Fall vor, ein Verfahren vor dem EuGH nach Möglichkeit zu vermeiden. Die EG-Umweltminister hatten sich, wie Sie wissen, zuletzt im November in zähem Ringen um die niedrigen Abgaswerte gekümmert. Das ist die dpa-Meldung von heute.
Das ist ein ganz enormes Aufbrechen der Situation in Europa. Man mauert nicht mehr, sondern man sieht: Hier muß der Stand der Technik schneller realisiert werden.
Nun zum nationalen Bereich. Seit vielen Wochen erklären die Koalitionsfraktionen, daß wir ein geschlossenes Auto- und Umweltpaket brauchen. Wir reden über nationale Maßnahmen, die möglich sind. Wir überlegen uns, wie wir EuGH-konform die Möglichkeiten nutzen können, den Stand der Technik bei uns schneller zu realisieren.



Schmidbauer
Auch hier gebe ich die Prognose ab, daß wir dieses Konzept in wenigen Wochen umsetzen werden. Wir reden nicht nur darüber, sondern wir setzen dieses Konzept um, und zwar ein breites Bündel an Maßnahmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden im Bereich der Pkw strengere Grenzwerte bekommen. Wir beschimpfen unsere Partner nicht. Allerdings kann ich mir, wenn ich mich in einige auf der Vorstandsetage eines niedersächsischen Großkonzerns versetze, der Automobile herstellt, vorstellen, daß ihre Gemütslage, wenn sie mich hören bzw. in den letzten Wochen gehört haben, nicht die beste war.

(Baum [FDP]: Gut so!)

Ich kann mir aber auch vorstellen, daß man sich vielleicht einmal überlegt, ob wir in der Umweltpolitik wirklich Blinde sind oder ob wir nicht auch Arbeitsplatzsicherung im Kopf haben, haben müssen. Aber dann lohnt es sich nicht, übereinander zu reden, sondern dann lohnt es sich, miteinander zu reden.
Herr Minister Töpfer, führen Sie diese Gespräche fort. Ich freue mich außerordentlich, daß Sie mit allem Nachdruck mit allen nationalen Herstellern verhandeln. Wir werden mit diesen Gesprächen Erfolg haben. Wir werden diese Gespräche auch mit anderen Maßnahmen begleiten, die wir in der Tasche haben müssen. Im Interesse der Umwelt reden wir nicht nur mit den nationalen Herstellern, sondern auch mit den Importeuren; denn auch da ist ein weites Feld des Wettbewerbs, der nicht gestört werden darf. Wir werden Erfolg haben.
Wir werden Erfolg haben in der Dieselkonzeption. Wir werden mit Sicherheit in wenigen Wochen erreichen, daß die Dieselwerte US-Grenzwerten vergleichbar werden. Damit wird der Diesel wieder möglich. Damit gibt es keine Benutzernachteile für den Diesel. Und wir dienen beiden Seiten. Wir werden den Diesel unter 0,8 bekommen, wir werden den Diesel bekommen, der noch strengere Grenzwerte erfüllt. Wir werden damit im Pkw-Bereich ein ganzes Stück vorankommen.
Erwähnen möchte ich in dem Zusammenhang — ich habe es vorhin einmal nachgelesen — , was sich hier 1984 abgespielt hat, als ich verkündet habe: Wir werden das bleifreie Benzin realisieren. — Zweifler auf vielen Seiten! — Heute: flächendeckend bleifreies Benzin. Heute: Drei-Säulen-Konzept voll realisiert. Wir sind europaweit an der Spitze, sowohl was die Fahrzeuge als auch was den umweltfreundlichen Betriebsstoff anlangt. Diese Entwicklung wird weitergehen.
Beim Pkw-Otto-Motor und -Diesel-Motor werden wir nicht stehenbleiben. Das Lkw-Konzept wird voranzubringen sein. Wir werden uns überlegen, wie wir in eine zweite Stufe einsteigen können. Auch dies ist unabdingbare Voraussetzung unserer Politik in diesem Bereich.
Wir werden auch gegen die Lkw-Fahrer angehen müssen, die das Tempolimit nicht einhalten.

(Baum [FDP]: Richtig!)

Alle diskutieren über Tempolimit. Da gibt es Phantasten, die von Flensburg bis zum Bodensee mit dem gespaltenen Tempolimit Sozialneid schüren wollen.

(Baum [FDP]: Schreckliche Sache!)

Gehen wir doch zuerst einmal dort an die Kontrolle, wo wir ein Tempolimit haben, nämlich beim Lkw, und kontrollieren wir diese Lkw-Fahrer.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es tut der Sicherheit gut und es tut der Umwelt gut. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten, elektronische Möglichkeiten, die Anzeige auf dem Dach.

(Baum [FDP]: Akustisch!)

— Die akustische Anzeige brächte Lärmemission, Herr Kollege Baum. Aber vielleicht wäre die Trompete im Führerhaus des Lkw denkbar oder das Licht auf dem Dach, das anzeigt, daß sich einer nicht an das Tempolimit hält.

(Zuruf von der FDP)

— Auch das ist Arbeitsplatzschutz. Wenn Sie es einbringen wollen, ist hier nachher die Gelegenheit.
Wir werden weitere flankierende Maßnahmen in diesem Bereich auf den Weg bringen. Wir werden dafür sorgen — ich erwähnte eben die dpa-Meldung — , daß Europa weiterkommt. Minister Töpfer hat bereits für die nächste Sitzung die Verschärfung für Kleinwagen wieder auf der Tagesordnung. Wir werden den Niederlanden unschwer nacheifern können. Das hilft auch national. Wir sind uns einig, daß wir steuerliche Anreize für die Einführung des Stands der Technik auch bei den Kleinfahrzeugen brauchen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Oder Zuschüsse!)

Wir sind uns mit dem Finanzminister einig, daß dies funktionieren wird. Wir sind uns besonders dann einig, wenn das EG-konform realisiert werden kann.
Meine Damen und Herren, ich denke, daß uns der Bericht in dieser Form deutliche Hinweise gegeben hat, wo wir Schwerpunkte setzen müssen.
Wir bekommen auch Hinweise, daß wir das Problem Spurengase, die den Treibhauseffekt verursachen, neu anpacken müssen, daß wir in bestimmten Bereichen umsteuern müssen, daß der Schwerpunkt nicht so sehr auf den traditionellen Schadstoffen liegen darf, sondern daß wir CO2 und Methan in unsere Konzeption einbinden müssen, daß wir den globalen Aspekt der Umweltbedrohung — heute morgen haben wir darüber geredet — ernst nehmen müssen, daß wir eine Energiepolitik auflegen müssen, bei der es um Energieeinsparung, Energieeffizienzsteigerung, Energie-Switch, regenerative Energien und Kernenergie geht. Wenn ich an den Hund denke, der hier heute morgen auf und abgelaufen ist — jeder war der andere Hund, der gebellt hat — , so sollten wir dies zum Anlaß nehmen, die Konsensfähigkeit in der Energiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland, die heute morgen angeboten wurde, schleunigst wiederherzustellen, und uns nicht in tagespolitischen Erwartungen um Wählerstimmen — hie Ausstieg, hie Ausbau — ergehen, sondern uns vernünftig darüber unterhalten, was wir in der Bundesrepublik Deutschland



Schmidbauer
im Hinblick auf eine Verminderung des CO2-Ausstoßes brauchen.
Es bedarf einer gewaltigen nationalen Anstrengung, um heute sagen zu können, daß regenerative Energien mit einem Anteil bis zu 10 % des Primärenergieeinsatzes realistisch sind. Dann ist das enorm viel, auch wenn es manchen viel zu wenig ist. Dann ist es weniger für die, die meinen, sie könnten alles mit regenerativer Energie realisieren.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir werden die Maßnahmen, die sich aus diesem Bericht anbieten, in Novellierungen umsetzen. Wir werden in unmittelbarer Zukunft das Chemikaliengesetz novellieren, wir werden das Bundes-Immissionsschutzgesetz novellieren, wir werden dort auch flankierende Maßnahmen in unser Paket Auto und Umwelt einbauen. Kollege Lippold wird nachher darauf eingehen. Ich finde, auch dies ist ein wichtiger Punkt.
Alles in allem ist es ein Bericht, der uns Anlaß gibt, einmal positiv Bilanz zu ziehen, der uns aber auch Anlaß gibt voranzugehen.
Eine letzte Bemerkung. Ich wünsche mir, daß der nächste Bericht die Perspektiven stärker faßt, das Zahlenmaterial etwas detaillierter darlegt und wir nicht Zweifel an dem einen oder anderen Zahlenspiegel haben müssen; das gilt sowohl für die guten wie auch für die für uns schlechteren Zahlen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113111500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1113111600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte herzlich gerne in den zuversichtlichen Ton einstimmen, Herr Kollege Schmidbauer, wenn er nur von der Sache her gerechtfertigt wäre. Wenn man den Immissionsschutzbericht aber nüchtern betrachtet, dann muß man die heutige Abschlußdebatte leider mit einer betrüblichen Feststellung beginnen, nämlich damit, daß in der Sache, d. h. bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung, gerade im NOx-Bereich eben kein Millimeter Fortschritt zu verzeichnen ist; das ist doch Faktum. Seit Vorlage des Berichts im letzten Jahr hat die Bundesregierung keine einzige wirkungsvolle Maßnahme ergriffen, um die Luftverschmutzung zu vermindern. Sie hat vor allen Dingen kein überzeugendes Luftreinhaltekonzept vorgelegt.
Es ist ja verständlich, daß Sie den EG-Kompromiß über die Kleinwagen unter 1,4 Liter als Erfolg verbuchen möchten und auf den nächsten Schritt Hoffnung machen wollen. Nur, was ist der Stand? Sie müssen doch wahrheitsgemäß zugeben, daß mit den bisher ausgehandelten Grenzwerten der Stand der Technik auch nicht im entferntesten ausgeschöpft wird und daß der ohnehin schwächliche Kompromiß ja erst ab 1. Oktober 1993 gilt. Bis dahin dürfen selbst Neufahrzeuge noch fast dreimal mehr Dreck ausstoßen, als mit moderner Technik nötig wäre. Kein Wunder, wenn in Europa dicke Luft herrscht, meine Damen und Herren.
Alles in allem stehen wir bei der Abgasentgiftung vor einer Minusbilanz. Diese Minusbilanz wird auch durch noch so verzweifelte Verschönerungsbemühungen von Ihrer Seite eben nicht zu einer Positivbilanz umfunktioniert werden können.
Die Realität ist doch bedrückend. In unseren Wäldern herrscht akuter Notstand, besonders in den Alpen; in den Städten kommt es immer häufiger zum OzonSmog mit bedenklichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit.
Neuere Messungen haben gezeigt, daß die Konzentration des gefährlichen, weil krebsauslösenden Benzols um das vier- bis zehnfache höher liegen, als nach den Vorschriften erlaubt. Bei medizinischen Untersuchungen sind Benzolwerte bereits im Blut der Bevölkerung nachgewiesen worden.
Allmählich spricht sich auch herum, daß die Stickoxidschwaden aus den Auspuffrohren auch klimaschädliche Gase sind. Durch Umwandlungen in troposphärisches Ozon heizen sie zusammen mit dem Kohlendioxid den Treibhauseffekt an.
Als Konsequenz aus alldem muß gesagt werden: Dies kann und darf kein Dauerzustand bleiben. Hier ist politisches Handeln zwingend geboten.
Im übrigen möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen: Wir zögern nicht, meine Damen und Herren, Fortschritte da anzuerkennen, wo sie wirklich erreicht worden sind. Daß die Schwefeldioxidbelastung im Gefolge der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der Anstrengung der Industrie erheblich reduziert wurde, ist zu begrüßen, ebenso, daß es gelungen ist, den Schwefelgehalt im leichten Heizöl und im Dieselkraftstoff weiter herabzusetzen.
Aber im Kraftfahrzeugbereich sind sogenannte Fortschritte leider keine echten Fortschritte, sondern eher Rückschritte. Die Fakten sprechen doch eine deutliche Sprache. 1982 betrugen die gesamten Stickoxidemissionen 2,8 Millionen Tonnen, 1988 dagegen annähernd 3,2 Millionen Tonnen, trotz der Investitionen zur Stickoxidrückhaltung aus stationären Quellen. Die Hauptmasse stammt nun einmal aus dem motorisierten Verkehr.
Meine Damen und Herren, da wir die größten Waldschäden haben, müßten wir eigentlich die saubersten Autos der Welt fahren. Dafür hätten wir zu sorgen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Baum, gemessen an dieser Forderung sind die 8,75 % Kraftwagen, die die US-Norm erfüllen, doch ein dürftiges Ergebnis.

(Baum [FDP]: Gucken Sie mal in andere europäische Staaten!)

Aus dem von Bundesinnenminister Zimmermann 1985 gegebenen Versprechen, die NOx-Emissionen würden bis 1988 um 25 % zurückgehen, ist das genaue Gegenteil geworden, nämlich eine kräftige Erhöhung. Bis 1995 wird der Anteil der Schadstoffe aus dem Kraftfahrzeugverkehr laut Immissionsschutzbericht von heute 55 % auf annähernd 60 % steigen.
Offensichtlich, meine Damen und Herren von der Koalition, ist Ihnen bei diesen Prognosen selbst etwas bange geworden; denn Sie haben flugs einen Antrag



Frau Dr. Hartenstein
zur Abgasentgiftung der Kraftfahrzeuge nachgeschoben, der der Bundesregierung offenbar Beine machen soll. Schaut man aber in den Text hinein, so wird deutlich, daß er bloß zaghafte Prüfaufträge und Appelle enthält.
Ein Beispiel: Selbst eine so berechtigte Forderung wie die, daß endlich etwas unternommen werden müsse, um die Lkw zur Einhaltung ihrer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h zu zwingen, wird in Ihrem Antrag nur als freundliche Bitte um Prüfung formuliert,

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Wir sind vornehm!)

statt daß Sie schlicht den Einbau von Geschwindigkeitsreglern fordern oder wenigstens die Androhung von hohen Bußgeldern bei Überschreitung des Tempolimits. Das wäre doch die richtige Konsequenz.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113111700
Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidbauer?

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1113111800
Bitte schön.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1113111900
Frau Kollegin, ich möchte Sie nur fragen, ob Sie nicht der Meinung sind, daß beispielsweise elektronische Geschwindigkeitsbegrenzer im Hinblick auf die Sicherheit zu überdenken sind. Deshalb wurde der Prüfauftrag ausgesprochen, ob es nicht andere Möglichkeiten gibt. Für den Fall, daß Kraftreserven notwendig sind, aber ein Geschwindigkeitsbegrenzer eingebaut ist, könnte sich erweisen, daß die Sicherheit auf der Strecke bleibt.
Deshalb unsere freundliche Bitte. Wir sind anständige Menschen. Darf ich Sie fragen, ob Sie mir zustimmen?

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1113112000
Ich stimme Ihnen nicht zu. Wir haben nicht mehr genügend Zeit zum Überdenken. Es muß etwas geschehen. Ich stelle deshalb die Gegenfrage: Sind Sie nicht der Meinung, daß der Geschwindigkeitsregler das wirksamste Mittel ist, um in diesem Bereich endlich die Einhaltung der Grenzen zu erzwingen?

(Zuruf des Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])

— Genau, wie in Japan, Herr Carstensen, jawohl.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Erst schwätzen, dann denken!)

In seltsamen Kontrast zu diesen Sammetpfötchenmethoden, die Sie in Ihrem Antrag praktizieren, stehen übrigens die lautstarken Forderungen aus den Reihen Ihrer eigenen verantwortlichen CDU-Politiker aus den Ländern. Da verlangt der baden-württembergische Umweltminister kategorisch ein geschlossenes Konzept zur Verringerung der Schadstoffbelastung durch den Autoverkehr. Recht hat er! Er tritt für ein gespaltenes Tempolimit ein.

(Zuruf von der FDP)

— Doch, recht hat er. Außerdem will er die Altwagen umgerüstet sehen. Dafür fordert er steuerliche Anreize.
Übrigens: In den meisten Punkten unterstützt ihn der niedersächsische Umweltminister Remmers, auch in der Frage des gespaltenen Tempolimits. Er hält es mindestens für erwägenswert.
Ministerpräsident Späth setzt noch eins drauf.

(Baum [FDP]: Wie üblich!)

— Das müssen Sie mit ihm ausmachen. — Er will die Einführung des Katalysators im nationalen Alleingang endlich erzwingen. Vor dem Stuttgarter Landtag hat er ohne Umschweife erklärt — hören Sie bitte gut zu — , daß bei einer Bundesratsinitiative notfalls eben auch Mehrheiten mit den SPD-Ländern gesucht werden müssen, um diese Forderung durchzudrücken.
Was nun, Herr Minister Töpfer?

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Er sagt es gleich!)

Diese Frage ist an Sie gerichtet. Wir warten mit Spannung auf Ihre Antwort.
Vor dem europäischen Umweltforum der CDU haben Sie sich — verbal jedenfalls — an die Spitze der Bewegung gesetzt und angekündigt, daß ab 1991 nur noch Neufahrzeuge mit 3-Wege-Kat oder Dieselrußfilter zugelassen werden sollten. Notfalls müßte dafür eine Verordnung in Kraft gesetzt werden — notfalls! Auch eine schadstoffabhängige Kraftfahrzeugsteuer sei in Ihren Überlegungen enthalten. Noch einmal die Frage: Was beabsichtigen Sie wirklich? US-Norm — ja oder nein? Tempolimit — ja oder nein? Umrüstungshilfen — ja oder nein? Luftblasen allein genügen nicht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die Bundesregierung muß der Industrie und den Autofahrern und allen Bürgern sagen, wohin die Reise gehen soll. Sie muß es auch diesem Hause sagen. Darauf hat das Parlament als erstes Anspruch.
Meine Damen und Herren, von uns haben Sie jede, aber auch jede Unterstützung

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Sehr gut!)

für sinnvolle und wirkungsvolle Maßnahmen, die die unerträglich hohe Luftverschmutzung endlich verringern. Ich verweise auf unseren Antrag, den wir im Ausschuß gestellt haben, in dem alle notwendigen Forderungen enthalten sind. Sie haben diesen Antrag abgelehnt.
Heute morgen wurde über den ersten Zwischenbericht der Enquete-Kommission Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre debattiert. Dabei war auch die Rede von der Vernichtung der tropischen Regenwälder, die in einem erschreckenden Ausmaß vor sich geht. Nach gegenwärtigen Schätzungen tragen die Regenwaldzerstörungen rund 20 % zu den globalen Kohlendioxidemissionen bei. Angesichts der gewaltigen Gefahren, die mit der Aufheizung des Klimas verbunden sind, sind sich alle hier einig — so habe ich es wenigstens vernommen — , daß das Zerstörungswerk in den Tropenwäldern gestoppt werden muß. Nur, in der Dritten Welt wird man oft gefragt: Wie haltet ihr es denn mit euren Wäldern? Tut ihr denn alles zur Vermeidung von Schäden?



Frau Dr. Hartenstein
In der Tat ist das Waldsterben bei uns kein Thema mehr, aber es ist dennoch bittere Realität. In den Hochlagen unserer Mittelgebirge hat das flächenhafte Absterben längst begonnen. Nach dem letzten Jahresbericht des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen sind in Amerika und Europa rund 30 Millionen Hektar Wald durch Luftschadstoffe und sauren Regen geschädigt. Wie wollen wir eigentlich — so frage ich Sie — den Entwicklungsländern glaubwürdig mit der Forderung gegenübertreten, sie müßten dem Schutz ihrer Wälder oberste Priorität geben, wenn wir selber nicht in der Lage sind, unsere eigenen Waldbestände vor dem Absterben zu bewahren?

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Deshalb machen wir das ja! — Beifall bei der SPD)

Denn auch die Wälder in unseren Breiten leisten ihren Beitrag zum Abbau der Treibhausgase. Auch sie verbrauchen gewaltige Mengen an Kohlenstoff und setzen dafür Sauerstoff frei. Gewiß sind die Dimensionen unterschiedlich, aber der biologisch-chemische Mechanismus ist genau derselbe.
Aber im Gegensatz zu den Tropenwaldländern ist es bei uns nicht die nackte Not, Herr Schmidbauer, nicht der enorme Bevölkerungsdruck, nicht die Überschuldung oder der Exportzwang und schon gar nicht der Mangel an Umweltbewußtsein. Nein, unsere Wälder sterben an unserer Unfähigkeit zum politischen Handeln. Sie sterben, obwohl wir das technische Know-how und die finanziellen Mittel hätten, um sie zu retten. Wir bringen eben nicht den Mut auf, die richtigen Maßnahmen durchzusetzen, sondern gehen mit tausend Rücksichten, Ausreden und Feigheiten um die Probleme herum und lassen die Schäden lieber in irreparable Dimensionen wachsen.
Ich bin überzeugt: Nur wenn wir selbst bereit sind, endlich ökologiefreundlichen Technologien konsequent zum Durchbruch zu verhelfen, wird auch in der Dritten Welt der Argwohn schwinden, die Forderung nach mehr Umweltschutz sei ein Trick der reichen Länder, um die armen an mehr Fortschritt und mehr Wohlstand zu hindern. So ist nämlich dort häufig noch die Bewußtseinslage.
Meine Damen und Herren, Europa kommt mit Macht auf uns zu. Ab 1992 soll es für Lkw aus allen Ländern quer durch die Bundesrepublik freie Fahrt geben. Die Prognosen sprechen von einer Verdoppelung des Gütertransports auf unseren Straßen.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Der Wohlstand wächst!)

Ich frage den Herrn Bundesumweltminister: a) Ist er sich klar darüber, daß dies zu einem umweltpolitischen Fiasko werden kann? b) Hat er sein Wort in die Waagschale geworfen, um alles zu tun, damit diese negativen Umweltauswirkungen wenigstens gebändigt — verhindert werden können sie sicherlich nicht mehr — werden können?

(Schmidbauer [CDU/CSU]: „Masse auf die Schiene" steht im Antrag! Sie haben ihn nicht gelesen!)

— In unserem Antrag steht: Verlagerung des Schwerlastverkehrs auf die Schiene um mindestens 50 %.
Schon 1987 hat Ihnen übrigens der Bundesrat ins Stammbuch geschrieben, daß die Senkung der Grenzwerte für Lastwagen um 20 % Augenwischerei sei. Die in den USA vorgesehene Reduzierung der Schadstoffe um 50 % ab 1990 werfe auch für schwere Lkw technisch keine Probleme mehr auf.
Verkehrspolitik ist zu einem großen Teil auch Umweltpolitik. Hat die Bundesregierung ein für den europäischen Binnenmarkt vertretbares und durchsetzbares umweltpolitisches Verkehrskonzept? Ist sie für das kommende gemeinsame Europa entsprechend gerüstet, oder sind die Entscheidungen vielleicht sogar am Bundesumweltminister vorbeigegangen? Hier gibt es jede Menge Handlungsbedarf für den Umweltminister. Ich setze voraus, daß er gewillt ist zu handeln, und bitte deshalb noch einmal ausdrücklich um Antwort.
Der nächste Immissionsschutzbericht, meine Damen und Herren, muß mehr Vollzugsmeldungen als Defizite enthalten. Er muß klare Perspektiven bringen. Sonst könnte es für unsere Umwelt zu spät sein.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113112100
Bevor ich dem Abgeordneten Baum das Wort gebe, muß ich dem Abgeordneten Gerster (Mainz) einen Ordnungsruf erteilen

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr gut, das war längst überfällig!)

wegen einer verletzenden und beleidigenden Äußerung gegenüber der Abgeordneten Wieczorek-Zeul.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1113112200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zunehmende Anreicherung der Atmosphäre durch CO2 und andere Stoffe, die Zerstörung der Tropenwälder, Waldschäden, Temperaturanstieg, Ozonloch — das alles zeigt, wie komplex und international das Thema Luftreinhaltung ist.
Meine erste Bitte ist, Herr Minister, daß künftig im Immissionsschutzbericht stärker als bisher die internationalen Aspekte mitbehandelt werden, damit wir sie bei unseren Entscheidungen auf Grund verläßlicher Daten mit berücksichtigen können.
Ich stimme den Ausführungen von Herrn Schmidbauer zu, wenn er feststellt, daß im nationalen Bereich wichtige Erfolge festzustellen sind. In aller Bescheidenheit darf ich das auch zurückbeziehen auf die Zeit, als ich noch einen Immissionsschutzbericht vorgelegt habe, nämlich am 1. September 1982. Bis dahin wurden innerhalb von zehn Jahren die jährlichen Staubemissionen halbiert, die Kohlenmonoxidemissionen um ein Drittel vermindert und der Bleigehalt der Luft der Innenstädte um durchschnittlich 65 % verringert. Wir fangen also nicht am Punkt Null an.
Das hat sich dann fortgesetzt durch die TA Luft und die Großfeuerungsanlagen-Verordnung.
Wenn der nordrhein-westfälische Umweltminister Matthiesen die Fortschritte bei der Entschwefelung und Entstickung der Kraftwerke in Nordrhein-Westfa-



Baum
len als weltweit einzigartig lobt, so lobt er damit auch die Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Große Sorgen machen nach wie vor die Emissionen im Verkehrsbereich. Wir haben bei den stationären industriellen Anlagen, Frau Hartenstein, das getan, was getan werden konnte und mußte, vielleicht etwas zu spät, aber es ist geschehen.

(Brauer [GRÜNE]: Ist da jetzt alles in Ordnung?)

— Nein, aber es wurden erhebliche Fortschritte erzielt, es sind Investitionen in Milliardenhöhe gemacht worden, Herr Kollege, und das alles kommt auf uns als Verursacher ja auch in Form von Kosten zu.
Das Auto ist also Sorgenkind. Ich habe das heute morgen, erinnert durch eine Zwischenfrage, noch etwas schärfer ausgedrückt. Ich habe in den 70er Jahren gesagt: Das Auto ist Umweltfeind Nummer eins. Ich will das jetzt sachlicher sagen: Das Auto ist nach wie vor Sorgenkind, denn die Emissionen sind entgegen den Prognosen stärker angestiegen, als wir vermutet haben, und das Auto trägt zum Treibhauseffekt bei. Deshalb haben wir uns in der Koalition entschlossen, dem entgegenzuwirken. Unser Antrag ist hier erwähnt worden.
Wir sehen, daß es notwendig sein wird, die Zahlen auszuwerten — Herr Schmidbauer hat sie genannt — : Zunahme der Zahl der Autos, Zunahme der Kilometerleistung, des Benzinverbrauchs. Frau Hartenstein, Sie haben hier kritisiert. Sie kritisieren unsere Mitbürger, die Auto fahren. Sie kritisieren unsere Mitbürger, die alte Autos haben. Wir haben 24 Millionen Altfahrzeuge. Das können Sie alles nicht der Bundesregierung aufladen. Das sind Altlasten, die durch unsere Lebensgewohnheiten entstanden sind. Sie können der Bundesregierung doch nicht anlasten, daß sie in Brüssel nicht alles erreicht hat, was sie wollte.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nein! Sie wollte zuwenig!)

Wir haben einen neuen Einstieg in die Kraftfahrzeugdiskussion in Brüssel, z. B. in eine europäische Abgassteuer. Das haben wir heute gehört. Auch die britische Regierung ist nun problembewußt, allerdings eher in bezug auf die Kohlendioxide als in bezug auf die Stickoxide. Das Auto muß europäisches Thema bleiben. Wir werden dafür sorgen, daß die Grenzwerte überprüft werden.
Nun gibt es in dieser aufgeregten Diskussion eine ganze Reihe von Vorschlägen für flankierende nationale Maßnahmen. Wir haben das Tempo 100 abgelehnt, meine Fraktion mit guten Gründen. Wir halten auch nichts vom gespaltenen Tempolimit, das freie Fahrt für Katalysatorautos vorsieht. Die Sachverständigen sagen uns, daß der Verkehrsfluß auf den Autobahnen so durcheinander käme, daß noch mehr Schadstoffe emittiert würden als bisher.
Wir wollen aber anderes tun. Es sind in der Tat Entscheidungen fällig, Frau Hartenstein. Ich verstehe, daß Sie sagen, es sind Entscheidungen fällig.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Überfällig!)

Aber diese Entscheidungen bereiten wir gemeinsam vor, die Koalitionsfraktionen zusammen mit dem Ministerium. Wir haben in dieser Woche ein Koalitionsgespräch geführt, in dem wir einige dieser wichtigen Fragen angesprochen und auch vorentschieden haben.
Ich will jetzt unsere Position sagen, die Position meiner Partei. Wir brauchen über 1990 bzw. 1991 hinaus steuerliche Vergünstigungen — darüber sind wir uns einig — für neue Kraftfahrzeuge. Ich sage: geknüpft an die strengen US-Grenzwerte. Das ist insbesondere auch für die Pkws unter 1,4 Liter Hubraum notwendig.
Wir brauchen Benutzervorteile. Sie sind ein wichtiges ökonomisches Anreizelement, meines Erachtens wichtiger als das gespaltene Tempolimit. Derjenige, der das umweltfreundliche Auto fährt, das mit einem besonderen Nummernschild gekennzeichnet werden sollte, soll in bestimmten Wetterlagen das Recht, zu fahren, haben, der andere nicht.
Wir sind für eine massive Werbekampagne. Wir setzen uns für eine wirklich durchgreifende Kontrolle des Lkw-Verkehrs ein.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wo geschieht es denn?)

Der Lkw-Verkehr ist nicht nur schadstoffemittierend, sondern er ist auch verkehrsgefährdend. Denken Sie einmal an die großen Unfälle in Nordrhein-Westfalen durch Lkw, die über die Grenzen kommen.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Da braucht man nicht mehr lange zu prüfen!)

Wir brauchen hier wirklich Systeme der Geschwindigkeitskontrolle für Lkw.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Situation ist wirklich dramatisch. Wenn mit dem Binnenmarkt das, was hier gesagt worden ist, so eintritt,

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Dann ist es zu spät!)

kann und wird wahrscheinlich passieren, daß es auf unseren Straßen zu Ballungslagen kommt, zu Engpässen, wie sie im Luftverkehr in München plötzlich aufgetreten sind. Wir werden — das sage ich Ihnen voraus — im Nahverkehr ebenso wie im Fernverkehr durch eine drastische Zunahme des Verkehrs ganz schwierige Verkehrslagen haben. Deshalb ist es wichtig, ein mittelfristiges Konzept zu entwickeln — auch dazu werden wir etwas tun — , wie künftig der Verkehr ablaufen soll, was auf der Schiene und was auf der Straße laufen soll.

(Zustimmung des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD])

Dazu sind wir durch die neue Situation veranlaßt.
Wir brauchen so schnell wie möglich die Einführung von abgasarmen Techniken bei den Dieselfahrzeugen. Wir möchten, daß die deutsche Automobilindustrie in angemessener Frist nur noch Autos mit DreiWege-Katalysatoren anbietet. Ich weiß, Herr Töpfer, Sie führen Verhandlungen mit der deutschen Auto-



Baum
mobilindustrie. In der nächsten Woche ist ein Gespräch. Ich wünsche Ihnen dazu vollen Erfolg.

(Lennartz [SPD]: Wir auch!)

Ich möchte Sie ermutigen, eine freiwillige Vereinbarung mit der Automobilindustrie zur Reduktion etwa von Rußpartikeln im Dieselbereich anzustreben. „Freiwillig" heißt ja nicht, daß die Industrie diktiert, was sie will. Das Ministerium, die Bundesregierung, muß das Ergebnis akzeptieren. Hier sind heute technische Möglichkeiten gegeben, an die wir vor einigen Monaten noch nicht denken konnten. Wir brauchen eine deutliche Reduktion von Ruß durch Rußfilter bei Lkw.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Uralt!)

— Natürlich ist es uralt. Nur, die technischen Möglichkeiten sind jetzt da, und jetzt könnte gehandelt werden.
Na gut, Herr Lennartz, denken Sie an Ihre Rede von heute früh und seien Sie ganz ruhig.

(Beifall bei der FDP)

Neben den technischen Maßnahmen brauchen wir auch zusätzliche nichttechnische Maßnahmen. Ich nenne hier insbesondere die Verlagerung von Teilen des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene. Dies ist alles Gegenstand unseres Antrags.
Meine Damen und Herren, auf das Auto bezieht sich also nach wie vor ein Teil der Immissionsschutzpolitik. Aber auch das Bundes-Immissionsschutzgesetz selber wird im Hinblick auf eine wirksamere Luftreinhalteplanung novelliert werden. Wir werden auch Kompensationsregelungen erweitern, die wir in der früheren Fassung bereits ansatzweise eingeführt haben.
Ich mahne noch einmal die TA Abfall an, die auch eine wichtige Emissionsseite hat. Ich weiß, daß die Beratungen, auch mit den Ländern, sehr schwierig sind. Wir brauchen die TA Abfall, um die Emissionen auch bei künftigen Müllverbrennungsanlagen in den Griff zu kriegen.
Die Lärmbekämpfung ist immer noch ein Stiefkind unserer Umweltpolitik. Ich nenne nur die Stichworte: TA Lärm, Verkehrslärmverordnung, Motorkapselung bei Fahrzeugen, Antimanipulationskatalog und strenge Kontrollen bei Zweirädern. Wir brauchen Benutzervorteile für umweltfreundliche Fahrzeuge, eine Kennzeichnungspflicht von Anlagen, Maschinen und Geräten, die den Lärm reduzieren sowie lärmmindernde Straßendecken usw. Also bitte, lassen Sie uns bei diesem ganzen Immissionsbereich nicht nur die Luftverunreinigung ins Auge fassen, sondern auch die Lärmimmission.
Herr Töpfer, ich möchte ein Wort zur DDR und anderen osteuropäischen Staaten sagen. Es ist manchmal wirklich unerträglich zu sehen, mit welcher Intensität beispielsweise in Berlin-West reduziert wird. Kraftwerke werden auf den neuesten Stand gebracht, mit hohen Kosten, und die DDR emittiert in die gleichen Gebiete hinein, ohne Rücksicht auf die Gesundheitsschäden, die damit verbunden sind. Ich ermutige Sie, in den Verhandlungen mit Osteuropa, auch mit der Tschechoslowakei, auf die Verantwortung dieser
Staaten zu drängen, hier etwas zu tun. Daß wir bereit sind, dabei Hilfe zu leisten, ist wiederholt gesagt worden. Wir können uns mit dem gegenwärtigen Zustand nicht einverstanden erklären.
Meine Damen und Herren, wir werden unsere Anträge in diesem Bereich zielstrebig weiterverfolgen. Die Bundesimmissionsschutzberichte sind immer eine gute Grundlage für politische Entscheidungen. Wir werden die notwendigen Entscheidungen in der Koalition treffen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113112300
Das Wort hat der Abgeordnete Brauer.

Hans-Jochim Brauer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1113112400
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Der Kollege Schmidbauer von der CDU ist eben auf eine dpa-Meldung von heute mittag eingegangen und hat in ganz bewährter Manier das umgedeutet als einen CDU-Erfolg

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Gucken Sie mal ins Protokoll! — Weitere Zurufe)

oder als Erfolg von Herrn Töpfer oder als bundesdeutschen Erfolg. Dabei heißt es in dieser dpa-Meldung lediglich, daß eventuell, möglicherweise, neue Initiativen im Kfz-Bereich ergriffen werden. Diese Initiativen gehen nicht auf deutsche Initiative zurück, sondern auf die Initiativen des spanischen EG-Kommissars.
Weiter heißt es in der dpa-Meldung, daß die Europäische Gemeinschaft nun etwas großzügiger mit dem niederländischen Alleingang im Kfz-Bereich umgehen wolle. Was wäre eigentlich passiert, wenn die Bundesrepublik Deutschland Holland vor einem halben Jahr nicht im Stich gelassen hätte und statt dessen gemeinsam mit den Niederländern das gemacht hätte? Dann wäre das politische Gewicht erheblich größer gewesen, und man hätte wahrscheinlich auch viel mehr erreicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die wichtigste Feststellung zum Zustand der Luftbelastung lautet: Die Luftreinhaltepolitik der Bundesregierung ist gescheitert. Die Luftbelastung hat in großen Teilen der Bundesrepublik ein bedrohliches, die menschliche Gesundheit unmittelbar gefährdendes Ausmaß angenommen. Das Waldsterben hat sich auf dem hohen Niveau von über 50 % stabilisiert. Beachten Sie allein diesen Satz! Die Anreicherung von PCB und Dioxinen in Böden, Tieren und Menschen nimmt zu. Die unablässigen Ankündigungen und geschickten Lippenläufe zuständiger Minister wie Töpfer, Zimmermann und Wallmann hatten die Funktion, der Bevölkerung umweltpolitisches Handeln lediglich vorzutäuschen.
Das trifft auch auf den Straßenverkehr zu. Alle bisherigen Maßnahmen haben den Dreck aus den Auspuffen nicht vermindern können. Im Gegenteil: Die Belastung mit Stickoxiden und krebserzeugenden Dieselpartikeln steigt und steigt und steigt. Es wird mehr Auto gefahren, der Katalysator hat sich nicht



Brauer
durchgesetzt, und die regierenden Parteien wollen von einem Tempolimit nichts wissen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wieso hat sich denn der Katalysator nicht durchgesetzt?)

— Lediglich die nach der laschen Euro-Norm schadstoffreduzierenden Katalysatoren haben sich durchgesetzt. Es hat sich nicht der geregelte Drei-WegeKatalysator durchgesetzt. Gucken Sie sich einmal die Zulassungszahlen an; die sind eindeutig. — Die Appelle an die Autofahrer, sich nur noch Pkws mit geregeltem Katalysator zu kaufen, sind erfolglos geblieben, weil die Käufer das — nach den laschen EGNormen — geringfügig schadstoffarme, aber dennoch steuerbegünstigte Auto vorgezogen haben.
Mit ihrer Forderung nach verbindlicher Einführung des geregelten Drei-Wege-Katalysators in der EG — die von Anfang an auch unsere Forderung gewesen ist — bleibt die Bundesregierung auf europäischer Ebene unglaubwürdig. Das Vorhaben wird nicht als ernsthaft im Interesse des Umweltschutzes angesehen, wenn die Bundesregierung derartige technische Auflagen verlangt, aber weiterhin keine Geschwindigkeitsbeschränkungen erläßt. Für die europäischen Nachbarn erscheint eine solche Verhandlungsposition nur als Protektion der bundesdeutschen Automobilindustrie.

(Zuruf von der SPD: Das ist richtig!)

Solange in der Bundesrepublik kein Tempolimit eingeführt wird, hätte sie vor dem Europäischen Gerichtshof wenig Aussicht auf Erfolg. Hier hilft kein Lamentieren über die europäischen Fesseln.
Meine Damen und Herren, der ungebremste Giftausstoß aus Lkws wird nach dem offiziellen Bericht des Umweltbundesamtes in den 90er Jahren drastisch steigen. Die Stickoxide werden danach bis 1998 um fast 300 000 Tonnen, die krebserregenden Dieselpartikel um fast 30 000 Tonnen ansteigen. Mehr Brummis auf den Straßen, größere Motorleistung, ein fehlendes ökologisches Verkehrskonzept führen zu dieser dramatischen Entwicklung.
Die Antwort des Verkehrsministers auf diese Entwicklung ist engstirnig: Er verlangt eine Milliarde Mark mehr für den Straßenbau.
Auch einige wenige in der CDU haben begriffen, wie dramatisch die Luftbelastung ist. Der Stuttgarter Regierungspräsident sagte kürzlich — Zitat — : „Die Selbstvergiftung des Menschen muß endlich ein Ende haben. "

(Beifall des Abg. Dr. Knabe [GRÜNE])

In Stuttgart wurde an mehreren Stellen eine drastische Überschreitung des Stickoxidgrenzwertes festgestellt. Bulling, also der Regierungspräsident, verordnete daraufhin einschneidende Maßnahmen bis hin zu Fahrverboten für Autos ohne geregelten DreiWege-Katalysator.
Im Großraum Basel ist eine weitere Horrorvision Wirklichkeit geworden. Im vorigen Sommer mußten die Gesundheitsämter dort bei schönstem Sonnenschein die Empfehlung herausgeben, daß sich kleine Kinder oder Asthmatiker nicht längere Zeit im Freien aufhalten und daß die Schulen keinen Leistungssport betreiben sollten.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Dafür haben die dort eine Autopartei!)

— Ja, man muß sich diesen Widerspruch einmal klarmachen. — Hier hatten sich die Stickoxide und die Kohlenwasserstoffe infolge der Sonneneinstrahlung zum gefährlichen Ozon umgewandelt.
Herr Umweltminister, Ihnen ist bei alledem vorzuwerfen, daß Sie die von Ihrem Parteifreund angeprangerte Selbstvergiftung des Menschen noch durch eine regierungsamtlich verordnete Vergiftung ergänzen.
Statt wirklich wirksame Maßnahmen zur Verminderung der Schadstoffe durch Autoabgase zu ergreifen, üben Sie sich, Herr Töpfer, seit neuestem im Ausbrüten von Windeiern, die die Autoindustrie Ihnen untergeschoben hat. Nichts anderes ist der von Ihnen aufgegriffene Vorschlag der Autolobby, die Autosteuer künftig nach dem Schadstoffausstoß zu bemessen. Der üble Trick dabei ist nämlich die Gleichstellung des CO2, des Kohlendioxids, mit den anderen Umweltgiften. Uns ist bekanntgeworden, daß die Autoindustrie den schmutzigen Diesel über die Einbeziehung dieses Stoffes wieder ins Geschäft bringen will, weil er dann in der Summe der Schadstoffe besser als andere Autos abschneidet.
Wir GRÜNEN halten dagegen: Wenn es eine Änderung in der Besteuerung geben soll, dann über das Verlagern der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer. Wer viel fährt, muß dann auch viel bezahlen. Dies stellt gleichzeitig ein wirksames Mittel auch gegen den Ausstoß des Klimastörers CO2 dar. Nicht zuletzt kann durch eine solche Umlegung der Trend zu immer leistungsstärkeren Autos gebrochen werden.
Außerdem fordern wir eine Offenlegung der Emissionsdaten der einzelnen Fahrzeugtypen, damit der Käufer Unterschiede im Abgasverhalten erkennen kann. Wir wenden uns auch entschieden gegen jenen alten SPD-Vorschlag eines gespaltenen Tempolimits, der jetzt von der baden-württembergischen CDU aufgegriffen wurde. Ein solcher Vorschlag ist schon aus Gründen der Verkehrssicherheit untragbar.
Die einzig wirklich hilfreiche Sofortmaßnahme gegen Waldsterben und für Verkehrssicherheit bleibt unsere Forderung nach Tempo 100, 80 und 30.

(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Meine Damen und Herren, ich will hier nicht unsere zahlreichen sehr detaillierten Einzelforderungen, die ja in unseren Anträgen nachzulesen sind, vortragen, sondern auf die Grundlage für die gesamte Luftreinhaltepolitik, also auf das Bundesimmissionsschutzgesetz, eingehen. Diesem Gesetz merkt man seine hundertjährige Tradition und sein Hervorgehen aus der alten preußischen Gewerbeordnung immer noch an. Zweck des Gesetzes ist es zwar, vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und sogar dem Entstehen von schädlichen Umwelteinwirkungen vorzubeugen. Nach dieser Logik des Gesetzes dürfte es das Waldsterben ja überhaupt nicht geben.
Das Gesetz garantiert de facto den unbefristeten Betrieb einer Anlage, wenn sie erst einmal genehmigt worden ist. Auch nachträgliche Anordnungen ändern



Brauer
prinzipiell nichts an der Bestandsgarantie. Genehmigt werden muß eine Anlage, wenn sie Immissionsgrenzwerte nach TA Luft einhält. Das bedeutet doch im Klartext: Einmal genehmigt, erhält eine Anlage das verbriefte Recht auf kostenlose Luftvergiftung. Jeder weiß, daß die Grenzwerte nicht von Wissenschaftlern unter Beachtung des für Umwelt und Mensch wirklich Umweltgefährlichen vorgenommen werden, sondern daß diese Werte zwischen Industrie und Politik ausgehandelt wurden. Es sind politische Grenzwerte.
Auf Grund dieser Mängel hat es das Bundesimmissionsschutzgesetz gerade nicht vermocht, die Vergiftung unserer Luft zu stoppen. Der Zustand unseres Lebensmittels Nr. 1, der Luft, beweist es eindeutig. Außerdem wird mit diesem Gesetz nur sektoraler Umweltschutz betrieben. Werden Entschwefelungsanlagen eingebaut, so entstehen riesige Abfallberge von Gips. Diese End-of-the-pipe-Politik läßt den Dreck jeweils nur an anderer Stelle wieder hervorquellen. Anstatt an Energieeinspargesetzen zu arbeiten, wird auf hohem Energieniveau eine riesige zusätzliche Entsorgungswirtschaft mit entsprechenden Abfallströmen errichtet.
Statt dessen muß es eine grundsätzliche Senkung des Energieverbrauchs auch bei der Produktion von Waren geben. Die Aluminiumdose wird auch durch Solarenergie nicht umweltfreundlicher. Sie bleibt so energiefressend wie überflüssig. Was not tut, sind grundsätzliche strukturelle Änderungen in der Umweltpolitik. Eigentliche Luftreinigung ist also im wesentlichen eine intelligente Energiepolitik, eine Verkehrspolitik, die dem Auto und dem Schwerlastverkehr enge Grenzen setzt, und eine Chemiepolitik, die auf umweltschonende Produkte und umweltschonende Produktion setzt.
Der Immissionsschutzbericht macht deutlich: Die Regierungspolitik folgt lediglich kurzfristigem ökonomischem Kalkül ohne Beachtung der Neben- und Summenwirkung von Schadstoffen.
Es ist deswegen zu fordern: Der derzeitig geltende Rechtsanspruch auf Luftverschmutzung muß versagt werden können. Es darf kein Recht auf Umweltverschmutzung auf Kosten der Umwelt geben. Es sind nur befristete Genehmigungen auszusprechen, da nur auf diese Weise eine kontinuierliche Anpassung an den Stand der Technik erfolgen kann.
Bei der Gentechnik und den damit verbundenen Risiken besteht Einigkeit darin, daß eine Null-Emission bei Produktionsanlagen durchgesetzt werden muß. Gleiches müßte für krebserregende Stoffe und Anreicherungsgifte gelten, deren biologische Langzeitwirkung nicht über Grenzwerte erfaßt werden kann.
Die auflagenorientierte Luftreinigungspolitik — damit komme ich zum Ende — ist durch ein abgaben-orientiertes Grundprinzip zu ergänzen. Eine strikte und wirksame Schadstoffabgabenregelung zur Entgiftung der Luft setzt am herrschenden Prinzip der Gewinnmaximierung an und entfaltet so einen Selbstregulierungsmechanismus zur Minderung der Emissionen.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113112500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1113112600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Brauer, konstruktive Kritik hilft immer weiter — das gilt auch für Regierende — , weil man diese Ansätze aufnehmen und in erfolgreiche Politik zum Nutzen der Bürger umsetzen kann. Wenn ich Kritik überziehe, entwertet sie sich selbst. Sehen Sie, das ist der Punkt: Die Luftreinhaltepolitik dieser Bundesregierung ist nicht gescheitert, sondern ganz im Gegenteil: Sie hat Erfolge gezeitigt.
Ich habe bei der Einführung des Immissionsschutzberichts damals Nordrhein-Westfalen zitiert. Ich habe mir zwischenzeitlich einmal die Mühe gemacht, die Länderberichte durchzugehen. Das ist ganz interessant. Es ergibt sich nämlich, daß sich die Konzentration von Schwefeldioxid in den Belastungsgebieten an Rhein und Ruhr zwischen 1966 und 1986 um 65 % vermindert hat. Im Ruhrgebiet hat sich der Staubniederschlag um 65 % verringert. Die Schwebstaubbelastung ist um 62 % zurückgegangen.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Das bestreitet ja keiner!)

Jetzt gehe ich einmal ins Saarland und stelle fest, daß in den Belastungsgebieten dort großräumige Überschreitungen der Immissionswerte der TA Luft nicht zu verzeichnen sind.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Herr Lippold hält immer die gleiche Rede!)

— Nein, das ist nicht die gleiche, Herr Schäfer. Sie hören nur nie zu. Deshalb versuchen Sie, das so zu qualifizieren.
Im übrigen ist es so, daß z. B. in Hamburg der Vergleich der Immissionen aller fünf Jahrgänge 1982 bis 1986 gezeigt hat, daß für Schwefeldioxid und — hören Sie bitte zu — die Stickoxide nahezu eine Halbierung erreicht werden konnte und bei den sonstigen anorganischen Gasen von Jahr zu Jahr eine Verringerung festzustellen war.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Was heißt „sonstige anorganische Gase"?)

Für Bayern kann ich festhalten, daß die S02-Emissionen der bayerischen Kraft- und Heizwerke von 430 000 t auf ca. 20 000 t zurückgegangen sind, d. h. wir werden einen Rückgang um 95 % auf 5 % des Ausgangswertes haben, den ich zitiert habe. Ich meine, das kann sich doch sehen lassen. Bei den Stickstoffemissionen wird man auch eine Verringerung von 76 000 t auf unter 20 000 t erreichen.
In Hessen sinken die Emissionen vergleichbar. Ich sage das nur, Frau Hartenstein, weil Sie ja immer ein dramatisches Bild zu zeichnen belieben. Ich habe übrigens mit Freuden festgestellt, daß Sie das nach unserer letzten Diskussion reduziert haben. Ihr Bild hat die Realitäten dieses Mal etwas besser wiedergegeben als noch beim erstenmal, als Sie wesentlich mehr dramatisiert haben.



Dr. Lippold (Offenbach)

Ich sage es noch einmal: In Hessen ist die Immissionsbelastung durch Blei als Bestandteil des Schwebstaubs deutlich zurückgegangen. Beim Eisengehalt im Schwebstaub zeichnet sich ebenfalls ein Rückgang der Immissionsbelastung ab. Bei der Cadmiumbelastung können wir feststellen, daß der zulässige Wert, der in der TA Luft genannt wird, bei weitem nicht erreicht wird. Erreicht wird lediglich 25 % dessen, was als zulässig erachtet wird. Ich finde, das ist ganz hervorragend.
Ich kann auch in weiteren Belastungsräumen z. B. eine ganz deutliche Minderung der 502-Immissionen feststellen. Ich glaube, hieran wird deutlich, daß wir nicht nur in einem Bereich und nicht nur bei einem Schadstoff ganz wesentliche Erfolge haben.
Auch in Berlin erwartet man bei den Stickoxidemissionen bis 1991 eine Minderung um mehr als 50 %. Die Emissionen aus den organischen Verbindungen — so hat man dort gesagt — werden sich bis 1993 um 95 % verringern.
In Niedersachsen ist es so, daß die festgestellten Schadstoffkonzentrationen in den Überwachungsregionen, tendenziell über mehrere Jahre ermittelt, eine Abnahme der Immissionsbelastungen ergeben. Wenn es Spitzen als Ausreißer gibt, dann stellt man sie insbesondere in den Grenzgebieten fest, die nahe zur DDR liegen; denn dort haben wir importierte Belastungen, die wir durch eigenes politisches Handeln nicht verhindern können. Aber Sie wissen, daß das ein Punkt ist, über den der Bundesumweltminister Verhandlungen mit der DDR führt, d. h. es soll versucht werden, hier Einfluß zu nehmen. Allerdings gestaltet sich das natürlich ausgesprochen schwierig.
Sie haben vielfach angeregt, daß man die Datenbasis international darstellen soll und und und. Auf Grund eines Versuches, flächendeckend für alle Bundesländer die einzelnen Schadstoffe auf einer vergleichbaren Datenbasis zu erheben, mußte ich feststellen, daß es diese vergleichbare Basis gar nicht gibt. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn wir auch über die Messungen erreichen könnten, daß das Datenmaterial so aufbereitet wird, daß die Erfolgsbilanzen — um solche handelt es sich hier durchaus — in Zukunft besser dargestellt werden können.
Ich halte fest: Wir haben Fortschritte erzielt. Wir haben diese Fortschritte stetig erzielt. Deshalb ist auch die Erwartung, die im Immissionsschutzbericht ausgesprochen wird, daß auf Grund der eingeleiteten Maßnahmen und auf Grund der absehbaren Maßnahmen in der Zukunft weitere Erfolge erzielt werden, glaubwürdig. Wir haben solide Maßnahmen getroffen, wir haben solide gehandelt. Deshalb können wir davon ausgehen, daß auch in Zukunft eine Besserung erreicht werden wird.
Was bedeutet das für den Menschen? Was bedeutet das für Fauna und Flora? Ich sage noch einmal: Wir werden eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustandes erreichen. Ich habe bereits beim letztenmal deutlich gemacht, daß im schwer belasteten Ruhrgebiet der Senkung der Emissionen eine Besserung des Gesundheitszustandes folgte und daß, so Matthiesen, aus präventiv-medizinischer Sicht kein Handlungsbedarf besteht. Ich meine, das ist doch auch ein Kompliment für die Politik der Bundesregierung. Mehr kann man schlicht und ergreifend doch nicht erwarten. Das macht deutlich, daß der Erfolg der Bundesregierung ein Erfolg für den Schutz der Gesundheit der Menschen ist.
Ich muß — im Gegensatz zu dem, was hier gerade anklang — einen etwas anderen Akzent setzen. Seit der ersten Waldschadenserhebung im Jahre 1982 haben die Schäden zunächst stark zugenommen. In den Jahren 1985 und 1986 trat eine Stabilisierung ein. Die Waldschadenserhebung 1987 hat erstmals einen leichten Rückgang der Schäden ergeben.
Ich sage das mit all den Vorbehalten, die ich dabei kenne. Aber ich sage auch ganz deutlich: Mich freut natürlich die Tendenz dieser Entwicklung. Warum soll man nicht auch einmal sagen, daß es positiv ist, wenn sich statt einer ständigen Verschlechterung langsam auch einmal Erfolge — gerade was den Schutz des Waldes angeht — einstellen. Wir alle wissen, daß wir noch ein wesentliches Stück des Weges vor uns haben, aber der Weg führt in die richtige Richtung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113112700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hartenstein?

Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1113112800
Aber sicher.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1113112900
Herr Kollege Lippold, stimmen Sie mir zu, wenn ich Ihnen sage, daß diese Tendenz nur scheinbar zu verzeichnen ist, daß es keine echte Tendenz im Sinne einer Verbesserung der Situation ist, sondern daß dieser Eindruck nur dadurch zustande kommt, daß die kranken und natürlich auch die abgestorbenen Bäume nach Aussagen von Forstwirtschaftlern, die ich Ihnen auch gern namentlich nenne, ständig abgeholzt werden und deswegen nicht mehr erfaßt worden sind?

Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1113113000
Sehr verehrte Frau Kollegin, so einfach kann man es sich natürlich nicht machen, denn es ist so, daß die Erhebungen sorgfältig vorgenommen wurden, daß — auch in früheren Jahren — natürlich immer eine Absterberate vorhanden war und daß das berücksichtigt ist. Im übrigen müssen wir natürlich auch zur Kenntnis nehmen, daß man bei der statistischen Erfassung im Rahmen der Waldschadenserhebung durch immer weitere Verfeinerungen Schäden, die man früher gar nicht entdeckt hat, erst im Nachgang festgestellt hat; dadurch ist ein Nachholbedarf in bezug auf die Feststellung von Schäden entstanden. Das hat aber keine Bedeutung, was die Zunahme der Schädigung angeht. Insofern ist die Aussage, die ich getroffen habe, nach wie vor richtig.
Frau Hartenstein, im übrigen sind wir ja diejenigen, die diese Diskussion weiterführen, denn — ich wiederhole das noch einmal — wir bleiben auf dem einmal eingeschlagenen Weg natürlich nicht stehen.
Wir werden das Bundes-Immissionsschutzgesetz novellieren. Ich will nur zwei Schwerpunkte der Novelle hervorheben. Ein erster wesentlicher Schwerpunkt sind die Verbesserungen für den gebietsbezogenen Immissionsschutz. Gerade die Verbesserung des gebietsbezogenen Immissionsschutzes kann auch



Dr. Lippold (Offenbach)

in dieser Frage durchaus etwas bringen, Frau Kollegin Hartenstein.
Wir werden zweitens — hier haben wir sicherlich andere Vorstellungen als Sie und sicherlich auch andere Vorstellungen als die GRÜNEN — das marktwirtschaftliche Instrumentarium des Gesetzes über eine Erweiterung der Kompensationsregelung stärken. Wir gehen davon aus, daß dies zu einem beschleunigten Rückgang der durch Immissionen verursachten Belastungen führen kann. Ich glaube, daß die bisherige enge Fassung der Kompensationslösung, wie wir sie im Bundes-Immissionsschutzgesetz gehabt haben, einer Anwendung dieses Instruments bedauerlicherweise entgegensteht.
Ich sage noch einmal ganz deutlich, daß wir auf EGEbene weiterhin um die europaweite und flächendekkende Einführung des Katalysators kämpfen. Herr Brauer, wenn die Gespräche dort weitergeführt werden, dann ist das sehr wohl ein Ergebnis der Politik dieses Bundesumweltministers, der die skizzierten Vorhaben ja nicht nur in einem Gespräch initiiert hat, sondern der diese Problematik in der EG in pausenlosen Serien von Gesprächen und Konferenzen immer wieder auf den Tisch gebracht hat und der immer wieder Freunde und Verbündete gesucht hat, damit wir, die wir ja lange Zeit mit diesen Maßnahmen allein standen, in der EG auch mehrheitsfähig wurden, und der diesen Prozeß mittlerweile mit so viel Erfolg initiiert hat, daß jetzt auch andere langsam bereit sind — man denke an die frühere Haltung Großbritanniens, man denke an die frühere Haltung der Franzosen — , diesen Weg mitzugehen.
Herr Brauer, dann kleinlich zu sagen, das sei diesmal nicht seine Initiative, das ist doch kleinkariert. Ich bitte Sie: Wer ständig so am Ball ist, dessen Erfolge können Sie doch nicht in einer solchen kleinkarierten Art und Weise herabsetzen wollen.
Wir werden uns bei den Lkw für eine Herabsetzung der Grenzwerte einsetzen. Wir werden uns hier dafür einsetzen, daß die Schadstoffemissionen reduziert werden, und wir werden natürlich auch im Dieselbereich noch etwas tun.
Ein letztes Wort. Wir arbeiten in der Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre an dem Modell einer internationalen Konvention, die ähnlich dem Montrealer Abkommen, das wir für die FCKW haben, das unvollkommen ist und das wir verbessern wollen, die Voraussetzungen schaffen soll, Schadstoffemissionen insbesondere aus der Verbrennung fossiler Stoffe dramatisch und drastisch zu reduzieren. Ich glaube, wir brauchen das. Die Diskussion heute morgen hat gezeigt, daß es hier Ansätze zu einem gemeinschaftlichen Weg gibt, wenngleich wir in gewissen Fragen dann sicherlich auch unterschiedlich vorgehen werden.
Wir können auch dieses Problem nicht national losen. Ich sage es noch einmal: Zu der Schadstoffbelastung weltweit tragen wir, was CO2-Emissionen angeht, nur mit einem begrenzten Anteil bei. Aber wir werden uns natürlich unserer Aufgabe und Herausforderung stellen, weil wir ganz deutlich sehen, daß ohne Impulse der Industrienationen in den anderen Bereichen nichts erreicht werden kann.

(Frau Blunck [SPD]: Man muß aber schon mehr tun, als am Ball zu bleiben!)

Wir werden auch hier wieder den Weg über die EG gehen, wir werden den Weg über die OECD gehen müssen, wir müssen die RWG-Länder und die Sowjetunion einbinden und mit Sicherheit auch die Chinesen, wenn dieses zu einem Erfolg werden soll.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Das heißt, der Umweltschutz bleibt eine Herausforderung, insbesondere wenn wir sehen, daß in Zukunft, nicht zuletzt infolge der Bevölkerungsexplosion, Belastungen nach wie vor auf uns zukommen werden. Allein dadurch wird Mehrverbrauch von Energie und mehr Nachfrage nach Nahrungsmitteln induziert, und dies alles wird natürlich eine Herausforderung sein. Ich glaube, daß wir deshalb die Politik, die wir jetzt betrieben haben, solide fortführen sollen und daß wir eine Politik treiben sollen, die einen ökologischen Generationenvertrag darstellt, nämlich den Sachverhalt realisiert, so daß wir unserer nachfolgenden Generation und den nachfolgenden Generationen eine möglichst intakte Umwelt übergeben.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113113100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weiermann.

Wolfgang Weiermann (SPD):
Rede ID: ID1113113200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Lärm ist diejenige Umweltbelastung, von der sich die Bevölkerung wegen der direkten Wahrnehmbarkeit persönlich am meisten betroffen fühlt." Auf diese knappe Formel brachte Professor Kürer vom Umweltbundesamt in Berlin im Sommer vergangenen Jahres eine Erkenntnis, die mittlerweile sogar Eingang in den Vierten ImmissionsschutzBericht der Bundesregierung gefunden hat.
Um so bemerkenswerter ist es, daß trotz relativ klarer Erkenntnis und nüchterner Bestandsaufnahme von seiten der Bundesregierung so wenig an konkreten Maßnahmen in diesem Zusammenhang geschieht.

(Beifall bei der SPD)

Dabei hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen schon 1978 festgestellt, daß der Lärm „Leitgröße bei der Wahrnehmung von Umweltbelastungen ist" . Ursprüngliche Lärmbetroffenheit des Bürgers wird zur Umweltbetroffenheit. Wundert es Sie da noch, daß immer mehr Bürger ein kritisches Umweltbewußtsein entwickeln und daß immer weniger Bürger der Koalition die Kompetenz zur Lösung der drängenden Umweltprobleme zutrauen?

(Beifall bei der SPD)

Lärm ist ein viel zu häufiges, viel zu aufdringliches und leider unausweichliches Phänomen unseres täglichen Lebens. Dazu noch einmal Professor Kürer:
Lärm hat wesentliche Bedeutung für das Leben
der Menschen: er beeinträchtigt Schlaf und Erho-



Weiermann
lung, verursacht Kopfweh und Unlustgefühle, aktiviert das vegetative Nervensystem, mindert die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, behindert die sprachliche Kommunikation, stört die Umweltorientierung, erzwingt Änderungen des Wohn- und Freizeitverhaltens . . .
Da Lärm gleichzeitig eine Leitfunktion in der Wahrnehmung von Umweltsituationen einnimmt, muß vor der in der Vergangenheit zu beobachtenden nachrangig gesetzten Priorität bei voraussehenden Umweltentlastungsmaßnahmen dringend gewarnt werden.
In einem irrt Herr Professor Kürer leider: Die Unterschätzung der Lärmbelästigung ist, wie die Regierungskoalition immer wieder dokumentiert, leider keine Sache der Vergangenheit. Heute empfinden mehr als 6 Millionen Menschen ihre Wohnsituation infolge der Belastung durch Verkehrslärm als „unerträglich". Etwa 14 % der Bevölkerung, das sind 8,4 Millionen Menschen, unterliegen einer derart hohen ständigen Verkehrslärmbelastung, daß ihre Gesundheit ernsthaft gefährdet ist, insbesondere durch Herz- und Kreislauferkrankungen. Mehr als 20 Millionen unserer Mitbürger finden in ihren Wohnungen erst bei geschlossenem Fenster so weit Ruhe, daß sie nachts einigermaßen ungestört schlafen und tags ungestört miteinander sprechen können.
Der Ausbau der überörtlichen Straßen in den letzten Jahren hat zu einer stärkeren Verteilung der Lärmquellen über das gesamte Bundesgebiet hin geführt. Heute sind mehr als 20 000 Quadratkilometer entlang der außerörtlichen Straßen, d. h. etwa 10 % der Gesamtfläche der Bundesrepublik Deutschland, so hoch mit Lärm belastet — mehr als 60 dB(A) tagsüber, mehr als 50 dB(A) nachts —, daß auch dort ein ungestörtes Wohnen nur noch mit geschlossenen Fenstern möglich ist.
Abgesehen von diesen Beeinträchtigungen des Wohlbefindens gibt es noch eine Reihe von sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Belastungen durch Verkehrslärm, so z. B. zum Teil erhebliche Wertminderungen von Immobilien in belasteten Gebieten, die Abwanderung von jungen und einkommenstärkeren Familien aus den Innenstädten in vermeintlich ruhigere Wohnlagen im Grünen, demographische Umschichtungen entlang der Hauptverkehrsstraßen sowie Umschichtungen der Sozialstruktur. Insgesamt werden die volkswirtschaftlichen Kosten, die jährlich durch Lärmbelastung entstehen, auf sage und schreibe 32,7 Milliarden DM geschätzt.
Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat sich in seiner Beschlußempfehlung zum Vierten Immissionsschutzbericht vom 15. Februar mit der Mehrheit der Koalition wie folgt festgelegt:
... konsequente weitere Maßnahmen zur Reduzierung der Belastung der Bevölkerung durch Verkehrs- und Gewerbelärm zu ergreifen, insbesondere durch
— die Vorlage der dringend erforderlichen, auf § 43 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes gestützten Verkehrslärmverordnung,
— die Erarbeitung einer neuen TA Lärm,
— weitere Anstrengungen auf internationaler
Ebene zur Reduzierung der Kfz-Geräusche.
Ich sage an dieser Stelle deutlich: Angesichts der oben genannten Fakten ist dies aber insgesamt zu wenig.
Ich finde es ebenso erstaunlich wie bedauerlich, daß angesichts der Tatsache weitgehender Übereinstimmung zwischen den Regierungsparteien und der Opposition in wesentlichen Punkten bei der Beratung im Ausschuß die Koalitionsvertreter sich nicht dazu durchringen konnten, weitergehende Forderungen zu übernehmen.

(Beifall bei der SPD)

Was von den Vertretern der Koalitionsfraktionen im Ausschuß vorgetragen wurde, findet sich nicht einmal ansatzweise in der Regierungspolitik wieder.

(Frau Blunck [SPD]: Leider wahr!)

Es hat auch nur ganz zaghaft und in sehr abgeschwächter Form Eingang gefunden in den Mehrheitsbeschluß des Ausschusses.
Dies kann nach unserer Meinung nicht genügen. Es reicht eben nicht aus, eine Reihe von Regelungen, Vorschriften und Anweisungen zum Lärmschutz — etwa an Bundesstraßen — zu erlassen, sich zugleich aber um eine generelle gesetzliche Regelung für den Schutz vor Verkehrslärm herumzudrücken.

(Beifall bei der SPD)

Was wir brauchen, ist sicherlich eine vom Ausschuß ja auch empfohlene Fortschreibung der TA Lärm. Aber wir brauchen darüber hinaus auch eine gesetzliche Regelung zur Reduzierung des Verkehrslärms an Straßen und Schienenwegen. Wir brauchen eine weitergehende Reduzierung des Fahrzeuglärms an der Quelle. Wir brauchen eine Geschwindigkeitsbegrenzung; wir brauchen vor allem Geschwindigkeitsbegrenzungen in Wohngebieten auf Tempo 30.

(Beifall bei der SPD)

All dies hat die Bundestagsfraktion der SPD schon vor dreieinhalb Jahren gefordert, und zwar in unserem Antrag „Schutz vor unzumutbarem Verkehrslärm". Technisch wie finanziell sind unsere Forderungen längst realisierbar.
Sie haben jedoch auch diesmal, meine Damen und Herren von der Koalition, keinen Eingang in die Beschlußempfehlung des Ausschusses gefunden. Ich muß daher an dieser Stelle zu meinem Bedauern feststellen, daß es den Regierungsparteien ganz offenbar an dem Willen fehlt, entscheidende Schritte zur Verbesserung des Lärmschutzes zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Dies wird auch deutlich in der Tatsache, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses kein Wort zum Problem des Fluglärms enthält, im Gegensatz zu dem von der SPD-Fraktion im Ausschuß vorgelegten Antrag vom 24. Januar, der eine Novellierung des Fluglärmgesetzes und die Einstellung von militärischen Tiefflügen fordert. Entsprechende Anträge der SPDFraktion hierzu liegen dem Deutschen Bundestag vor.



Weiermann
Ich möchte darauf noch einmal ausführlicher eingehen, weil sich hier zeigen läßt, was konkret machbar wäre, wenn der politische Wille auf seiten der Koalition nur vorhanden wäre. Ich will darauf auch eingehen, weil die tägliche Fluglärmexponierung ein immer größer werdendes Problem für die Bevölkerung unseres Landes darstellt.
Wir haben in unserem Antrag vom September 1988 die Einstellung der militärischen Tiefflüge der Bundeswehr über dem Gebiet der Bundesrepublik und eine entsprechende Einwirkung auf die verbündeten NATO-Luftwaffen gefordert. Bei bis zu 152 Überflügen pro Tag werden in 40 % der Fälle Lärmspitzen zwischen 100 und 123 dB (A) erreicht. Meine Damen und Herren, Sie müssen sich das einmal klarmachen: Das ist kein Lärm mehr, das ist ein unerträglicher Schmerz!

(Beifall bei der SPD)

Und das sind nur die „normalen" Tiefflugzonen. Es gibt darüber hinaus sieben Tiefstflugareale, die von der jetzigen Bundesregierung nach 1982 reaktiviert wurden, in denen bis zu 75 m tief geflogen werden darf, ganz zu schweigen von den sogenannten Erprobungsflügen, bei denen eine Flughöhe von 30 m zulässig ist. Das sind doch in der Tat unhaltbare Zustände!

(Beifall bei der SPD)

Aber solange das Prinzip „Vermeiden statt Mindern" noch nicht realisiert ist, solange Tiefflüge durchgeführt werden, muß wenigstens für effektive Schutzmaßnahmen gesorgt werden. Solche Schutzmaßnahmen sieht unser Antrag zur Novellierung des Fluglärmgesetzes vor.
Vor nunmehr 17 Jahren hat die sozialliberale Koalition das Fluglärmgesetz beschlossen, das als eines der ersten bahnbrechenden Umweltgesetze spürbare Erleichterungen für die Bewohner in der Umgebung von zivilen und militärischen Flugplätzen gebracht hat. Mittlerweile, nach so vielen Jahren, zeigt sich jedoch, daß es heute nicht mehr ausreicht. So werden von ihm weder der militärische Tieffluglärm noch die akustisch häufig besonders lästigen Hubschrauberflüge erfaßt. Hinzu kommt seit Inkrafttreten des Gesetzes ein gewaltiger Anstieg des zivilen Flugverkehrs — beim Luftfrachtverkehr verzeichnen wir einen Anstieg um das Sechsfache seit 1965 —, und ein weiterer Anstieg bis zur Verdoppelung wird für die 90er Jahre erwartet.
Unser Antrag zur Novellierung des Fluglärmrechts trägt dem Rechnung. Seine drei Kernpunkte lauten: erstens Ausdehnung der Erstattung für Schallschutzmaßnahmen auf die Lärmzone II. Dies entspricht auch dem vom Bundesrat auf Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen im April 1988 gefaßten Beschluß.
Zweitens: Einbeziehung von militärischen Tieffluggebieten, Hubschrauberlandeplätzen und Bombenabwurf- sowie Luft-Boden-Schießplätzen im Geltungsbereich des Gesetzes.
Drittens: Ersetzung des sogenannten äquivalenten Dauerschallpegels durch ein neues Bewertungsverfahren, das die Spitzenpegel stärker als bisher berücksichtigt.
Wir fordern weiter in unserem Antrag wichtige Korrekturen der bisherigen Regelungen, die den geänderten Verhältnissen nicht mehr genügen. Dazu gehört die Berücksichtigung von Siedlungszusammenhängen ebenso wie eine Zusammensetzung der Fluglärmkommissionen, die garantiert, daß die Vertreter der betroffenen Bevölkerung nicht von vornherein in der Minderheit sind.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dazu gehört auch ein grundsätzliches Nachtflugverbot.
Mit der Einführung differenzierter Landegebühren nach dem Prinzip „Je mehr ein Flugzeug an Lärm erzeugt, desto höher die Gebühren" wollen wir den Luftfahrtgesellschaften einen Anreiz zum Einsatz umweltfreundlicherer Apparate geben.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt: Neben die skizzierten Schutzmaßnahmen müssen Instrumente treten, die — entsprechend dem, was wir für den Straßenverkehr schon lange fordern — den Fluglärm an der Quelle reduzieren, also leisere Triebwerke als bisher vorschreiben.
Meine Damen und Herren, dies ist Lärmschutz als effektive Umweltpolitik. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsparteien dringend, mit uns dafür zu sorgen, daß die Bundesregierung ihr Desinteresse am Lärmschutz endlich aufgibt

(Beifall bei der SPD)

und diesem wichtigen Gebiet des Umweltschutzes die Bedeutung zumißt, die ihm zukommt. Ich hoffe, daß wir dann endlich Taten sehen und nicht nur Worte hören, die in der Luft verpuffen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113113300
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113113400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat, so sieht es das Bundes-Immisionsschutzgesetz vor, dem Deutschen Bundestag in regelmäßigen Abständen über die Immissionssituation und die in diesem Zusammenhang getroffenen und beabsichtigten Maßnahmen zu berichten. Für den Zeitraum von 1984 bis 1988 hat die Bundesregierung mit dem Ihnen heute zur abschließenden Beratung vorliegenden Vierten Immissionsschutzbericht eine umfassende Bilanz der Gesamtsituation der Luftreinhaltung und der Lärmbekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt. Es wird dabei eine sehr präzise Kennzeichnung der Ist-Situation vorgenommen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sollen wir Ihnen zuhören? Das machen wir so!)

— Herr Abgeordneter Schäfer, ich bin nach zweijähriger Tätigkeit hier immer darauf angewiesen, von Ihnen zu lernen. Ob Sie zuhören müssen oder nicht, sollten Sie eigentlich viel besser wissen, als bei mir



Bundesminister Dr. Töpfer
nachzufragen. Das wird der Sache sicherlich gerechter werden.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Es hängt davon ab, was Sie sagen!)

Zu diesem Bericht, meine Damen und Herren, sollte man auf drei Teilbereiche, die sich sehr unterschiedlich darstellen, hinweisen. Wir haben auf der einen Seite die Luftbelastung, die mit allen stationären Quellen verbunden ist, also mit unseren Kohlekraftwerken, mit den Immissionsquellen aus der Industrie und mit den Feuerungsanlagen unserer Bürger.
Bezüglich des Teilbereichs der stationären Quellen kann man heute ganz sicherlich festhalten: Hier ist in der Bundesrepublik Deutschland Beispielhaftes gemacht worden. Hier ist bei allen Schadstoffen wirklich eine nachhaltige Verminderung möglich geworden,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: NOx!)

in ganz besonderer Weise bei stationären Quellen im Zusammenhang mit S02. An allererster Stelle stand dabei allerdings die Rückführung von Staub. Alles dies war in der jeweiligen Situation von der Priorität her gesehen eigentlich richtig festgelegt; denn, meine Damen und Herren, wenn wir heute über Waldschäden sprechen, dann sind wir uns mehr oder weniger darüber klar, daß der Haupttäter bei den Stickoxiden liegt.
Wenn Sie in der Literatur von vor etwa fünf, acht oder zehn Jahren blättern, so werden Sie sehen, daß da in ganz besonderer Weise Schwefeldioxid der Ausgangspunkt für die Erläuterung von Waldschäden gewesen ist. Deswegen ist richtigerweise der Schwerpunkt zunächst auf die Großfeuerungsanlagen und auf SO2 gelegt worden. Erfolge sind vorhanden. Die Rückführung von SO2 von etwa 3 Millionen t im Jahre 1982 auf jetzt deutlich unter 2 Millionen t ist der zahlenmäßige Beleg dafür.

(Frau Blunck [SPD]: Das sind immer noch 2 Millionen zuviel!)

War unsere Außenhandelsbilanz am Anfang dieser Entwicklung bezüglich SO2 noch ausgeglichen, d. h., haben wir 50 % exportiert und 50 % importiert, so zeigt sich mehr und mehr, daß wir hier kopflastig werden, d. h. daß immer mehr Anteile importiert als exportiert werden, was notwendig macht — nicht als Alibi für weiteres Handeln bei uns, sondern als Voraussetzung für rationales Handeln — , die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn, vornehmlich mit den Nachbarn im Osten, voranzubringen; denn, meine Damen und Herren, dem deutschen Wald ist es vergleichsweise gleichgültig, ob das Schwefeldioxid aus bundesdeutscher Quelle ist oder aus der DDR oder der Tschechoslowakei. Entscheidend ist, daß wir Schwefeldioxid wegbekommen. Deswegen ist diese Entwicklung weiterzuführen.
Gleiches gilt bei den stationären Quellen, die wir bezüglich SO2 mit 165 Rauchgasentschwefelungsanlagen und mit über 20 Milliarden DM Investitionen ausgerüstet haben. Das gilt auch, meine Damen und Herren, für Stickoxide. Auch bei den stationären Quellen sind die Stickoxide deutlich zurückgegangen. Wir sind von einer Größenordnung von etwa 1 Million t Stickoxide aus stationären Quellen ausgegangen, und wir werden in der Durchführung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung auf etwa 200 000 t, also auf 20 %, kommen. Das ist also auch bei Stickoxiden in stationären Anlagen ohne jeden Zweifel ein wesentlicher Erfolg, auch dies mit ganz erheblichen finanziellen Mitteln und positiven Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt.
Bei stationären Quellen bis hin zu unseren Hausfeuerungsanlagen sind Erfolge zu verzeichnen. Ich weise nur darauf hin, daß wir den Schwefelgehalt im leichten Heizöl entsprechend verringert haben, so daß daraus 80 000 t SO2 nicht mehr die Luft erreichen. Ferner verweise ich auf die Luftbelastungen aus den chemischen Reinigungsanlagen, die in der Zweiten Verordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz geregelt sind.
Zusammenfassend läßt sich also sagen: Bei allen Schadstoffen aus stationären Quellen von Kohlekraftwerken bis zu den Chemischen Reinigungsanlagen, die bisher die Luft belastet haben und noch in Teilen belasten, kann man eine deutliche Minderung und einen nachdrücklichen Erfolg der Luftreinhaltepolitik in der Bundesrepublik Deutschland feststellen.
Anders ist die Situation bei den mobilen Quellen, vornehmlich bei unseren Kraftfahrzeugen. Das ist die entscheidende Aufgabe, die sich uns gegenwärtig weiter stellt und die wir zu bearbeiten haben. Wie ist hier die Situation? Danach bin ich sehr konkret gefragt worden. Ich glaube, wir sind gut beraten, dabei die beiden Teilbereiche des Dieselmotors und des Ottomotors zu unterscheiden.
Beim Diesel ist die Situation sowohl bei den Partikeln als auch bei den gasförmigen Emissionen ganz eindeutig und klar. Die europäischen Werte für die Emissionen an Partikeln von 1,1 und 1,4 Gramm pro Test sind nicht hinreichend. Deswegen haben wir bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ganz eindeutig den Wert von 0,8 als Obergrenze und den Wert von 0,6 in der Flotte als notwendig und als US-Äquivalent angestrebt; und wir werden ihn durchsetzen. Das heißt, Diesel-Autos aus bundesdeutscher Produktion werden diesen Wert unstrittig einhalten. Ich bin ganz sicher, daß die Querzeichnung auch der Automobilindustrie in Kürze erfolgen wird.
Was die Lkw betrifft, gehen wir ebenfalls davon aus, daß sich der Rußfilter zunehmend ausgereift darstellt und daß wir in eine entsprechende Systementscheidung hineingekommen sind. Ich werde in der nächsten Woche den von uns initiierten Großversuch von Lkw in die Öffentlichkeit bringen.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Wir werden bei etwa 1 500 Lkw den Rußfilter im Feldversuch testen und damit zeigen, daß diese beste Minderungstechnik möglich ist. Wir werden darüber hinaus alles daransetzen, daß wir die zweite Grenzwertstufe in der Europäischen Gemeinschaft bekommen.
Weil die Frau Abgeordnete Hartenstein ganz konkrete Werte von mir wissen wollte, will ich sie Ihnen geben. Gegenwärtig ist der Grenzwert für die NOxEmissionen bei Lkw bei 14,4 g/KWh. Unsere Meinung, die sich, nebenbei gesagt, überhaupt nicht von der Meinung der Kollegen aus den von der SPD re-



Bundesminister Dr. Töpfer
gierten Bundesländern unterscheidet, ist, daß wir in der zweiten Stufe 9 g/KWh erreichen wollen und daß wir darüber hinaus im Zusammenhang mit dem Rußfilter auf einen Wert von mindestens 7 g/KWh kommen wollen. Das ist, schlicht und einfach, die Position, die wir aber, Frau Abgeordnete Hartenstein, gerade beim Lkw weniger als bei allem anderen im nationalen Alleingang machen können, weil der Transitverkehr, wie Sie wissen, auf diesem Gebiet natürlich eine ganz, ganz wesentliche Last mitträgt.
Sie haben mich gefragt, wie die Bundesregierung denn ihre Europapolitik entwickelt. Sie tut es ganz sicher nicht damit, daß wir von allem Anfang an sagen: Entweder wird das, was wir machen, in der Gemeinschaft angenommen, oder wir machen nicht mit. Vielmehr werden wir immer und immer wieder verpflichtet sein müssen, Europa als eine Gesamtheit zu sehen, die auch umweltpolitisch ihre Antwort bringen muß. Und das bedeutet konkret, daß wir auch die anderen entsprechend dahin bringen müssen, wo wir es von uns her als notwendig ansehen.

(Frau Blunck [SPD]: Dänemark! Ich verstehe nicht, warum wir nicht die Parallele Dänemark nehmen!)

Das bedeutet beim Lkw und beim Diesel eine klare, in sich geschlossene Position. Wir wollen die Anlage 23 für den Diesel, also die US-Äquivalente, durchsetzen, und wir werden dies tun. Und wir wollen beim Lkw die Minderung der NOx-Werte auf die Schweizer Werte, also auf 9 g/KWh plus Rußfilter.
Lassen Sie mich zum Otto-Motor sagen: Es ist überhaupt keine Frage, auch hier haben wir eine

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Große Aufgabe!)

in Europa von niemandem bisher nachvollzogene Vorreiterrolle eingenommen. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig mehr Autos mit dem geregelten Dreiwegekatalysator als im gesamten Europa zusammen. Mit 2,5 Millionen sind es allerdings erst 10 % des Bestandes.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: 8,7 %!)

— Beziehen Sie bitte die 2,5 Millionen auf 25 Millionen Autos.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Es sind mehr!)

— Mit Otto-Motor! Wir haben natürlich noch Diesel, Herr Abgeordneter Schäfer; aber da wollen wir ja den Katalysator nicht einbauen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: VW! Und die VW-Entwicklung? Da wollen Sie nicht? Eine bemerkenswerte Aussage! Das wollen wir im Protokoll festhalten!)

— Wir wollen auch den Diesel — das habe ich gerade gesagt — entsprechend weiterentwickeln. Und wir wollen den Katalysator beim Otto-Motor durchsetzen. Das ist der Punkt. Da haben wir 2,5 Millionen. Lassen Sie uns über die Prozentsätze gerne weiter streiten.
Es ist gar keine Frage, daß wir gegenwärtig bei den Neuzulassungen von Autos mit Otto-Motor in der Größenordnung von knapp unter 60 % liegen. Das sind die letzten Zahlen. Da können Sie nun sagen: 60 % ist nichts, 100 To ist alles. — Ich aber halte zunächst einmal fest, daß es mit dem Instrumentarium, das wir eingesetzt haben, immerhin möglich gewesen ist, 60 % der Neuwagen mit Otto-Motor mit der umweltbezogen besten Reinigungstechnik auszustatten. Viele in anderen Ländern wären herzlich dankbar. Aber ich sage dazu: Wir sind damit nicht zufrieden. Und wenn wir nicht zufrieden sind, müssen wir sehen: Wie kommen wir weiter voran? Dafür gibt es zwei Ansatzpunkte.
Der erste — und dies ist der wichtigere — ist wiederum der über Europa. Wir bohren immer und immer wieder, damit wir dort vorankommen. Ich habe am Sonntag in London mit dem Kommissar Ripa di Meana zusammengesessen. Wir haben genau diesen Punkt aufgegriffen, den er ganz offenbar jetzt in Brüssel mit in die Diskussion eingebracht hat. Wir haben von allem Anfang an gesagt: Dieser Kompromiß ist ein auf Änderung hin angelegter.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie haben doch zugestimmt! Hören Sie doch auf!)

Dies steht auch in dem Kompromiß drin. Meine Damen und Herren, Sie sollten uns dafür loben, daß wir den Kompromiß dahin gebracht haben. Sonst stünden wir jetzt noch bei einer Größenordnung, bei der niemand daran denken würde, sie weiter in Richtung auf den Katalysator zu verändern. Das ist die Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wenn hier gerade der Abgeordnete Brauer meinte, wir hätten die Sache nicht mitmachen, sondern wie die Niederländer handeln sollen, muß ich ihm sagen: Viele in Europa wären dankbar dafür gewesen; denn dann wären wir in einer Situation gewesen, wo überhaupt nichts passiert wäre, wo man sich sehr schnell dieser Verpflichtung hätte entziehen können.
Meine Damen und Herren, dieser Kompromiß hat alle Merkmale des Kompromisses. Aber er ist so angelegt, daß er verändert werden kann. Diese Chance nimmt der Kommissar jetzt auf. Wir werden ihn darin entscheidend unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden daneben die nationalen Maßnahmen stellen, die dort ansetzen, wo wir Benutzervorteile haben, wo wir durch Information und Werbung auch den umweltbewußten Verbraucher voranbringen, wo wir der deutschen Automobilindustrie sagen: Umweltbezogen und europarechtlich möglich ist es, alle Autos, die aus deutscher Produktion auf unseren Markt kommen, von dem Jahre 1991 an mit einem Katalysator auszurüsten. Hierüber, meine Damen und Herren, würde ich, wenn ich in der Opposition wäre, in gar keiner Weise irgendwo kritisch sprechen, sondern ich würde sagen: Wir unterstützen euch darin. Denn diejenigen, die mich bisher darin kritisiert haben, waren solche herausragenden Sozialdemokraten wie etwa der Vorsitzende der IG-Metall, der mir gesagt hat, es sei geradezu unglaublich; wenn man so etwas fordere, vergesse man offenbar Europa und auch die Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Unglaublich!)




Bundesminister Dr. Töpfer
Dort, meine Damen und Herren, Unterstützung zu finden, wäre außerordentlich hilfreich. Ich glaube, dies würde uns allen nützen.
Meine Damen und Herren, bei den stationären Quellen und auch bei den Autos hat sich die Bundesregierung nicht zu verstecken. Wir haben dort unser Ziel allerdings noch nicht erreicht. Deswegen danke ich den Koalitionsfraktionen dafür, daß sie uns mit ihrem Antrag und ihrer Unterstützung hier und draußen bis nach Europa hin die Möglichkeit geben, diese Ziele glaubwürdig mit für das gesamte Hohe Haus durchzusetzen. Ich hoffe, daß wir in Kürze wieder werden zusammensitzen und sagen können: Auf dem wichtigen Weg zum umweltverträglicheren, nicht zum umweltfreundlichen Auto sind wir ein Stück vorangekommen, beim Diesel- genauso wie beim Otto-Motor. Ich glaube, daß der nächste Immissionsschutzbericht im Bereich der mobilen Quellen dieselben Erfolge wird ausweisen können, wie das gegenwärtig im stationären Bereich schon der Fall ist.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113113500
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/4126. Der Ausschuß empfiehlt nach Kenntnisnahme des Berichts in seiner Beschlußempfehlung unter Ziffer I die Annahme einer Entschließung. Wer für die Entschließung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Entschließung mit Mehrheit angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt unter Ziffer II der Beschlußempfehlung weiter, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3179 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/3905. Der Ausschuß empfiehlt unter Ziffer I auf Drucksache 11/3905 die Annahme einer Entschließung. Wer dafür stimmt, den bitte ich um Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Entschließung ist mit der gleichen Mehrheit wie bei den vorigen Entscheidungen angenommen worden.
Der Ausschuß empfiehlt unter Ziffer II, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/559 abzulehnen.

(Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das kann nicht sein! Das kann nur angenommen werden!)

— Das ist eine ziemlich alte Nummer.

(Heiterkeit) Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist auch diese Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen.

Der Ausschuß empfiehlt unter Ziffer II darüber hinaus, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/560 abzulehnen. — Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist auch diese Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz
— Drucksache 11/4086 —
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den IAEO-Übereinkommen vom 26. September 1986 über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen sowie über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Notfällen (Gesetz zu dem IAEO-Benachrichtigungsübereinkommen und zu dem IAEO-Hilfeleistungsübereinkommen)

— Drucksache 11/2391 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß)

— Drucksache 11/3937 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Harries Reuter
Frau Garbe

(Erste Beratung 97. Sitzung)

Meine Damen und Herren, eine Vereinbarung des Altestenrats besagt, daß für diese Beratung 30 Minuten vorgesehen sind. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Harries.

Klaus Harries (CDU):
Rede ID: ID1113113600
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die friedliche Nutzung der Kernenergie, zu der wir uns bekennen, solange es eine Ersatzenergiequelle noch nicht gibt, zwingt gleichzeitig dazu, immer wieder darüber nachzudenken, was im Interesse der Bevölkerung getan werden kann, um Restrisiken zu mindern. Tschernobyl und Biblis haben gezeigt, daß es noch Informations- und Abstimmungsdefizite gibt. Hier müssen wir ansetzen, hier müssen wir der Bevölkerung zeigen, daß wir bereit sind, ja zur Kernenergie zu sagen, aber gleichzeitig alles zu tun, um den Sicherheitsstandard zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, der von der Bundesregierung jetzt eingebracht wird und



Harries
die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz vorsieht, liegt genau auf dieser Linie.

(Schütz [SPD]: Kann nicht verabschiedet werden!)

Im Grunde, meine Damen und Herren, wäre es eigentlich einmal ein Zeichen vor der Öffentlichkeit, hier nun gemeinsam seitens aller Fraktionen des Hauses zu sagen, zu zeigen und zu demonstrieren: Dies ist nun der richtige Weg.

(Lachen bei den GRÜNEN)

Mir ist bei der Lektüre des Gesetzentwurfs und bei Diskussionen über die hier anstehenden Fragen überhaupt kein Argument eingefallen, was ernsthaft gegen diesen Gesetzentwurf spricht.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Kann sein, Sie begreifen schwer, Herr Harries!)

Der Gesetzentwurf enthält wichtige formelle Änderungen, aber auch eine bemerkenswerte neue materielle Aussage zum Atomgesetz.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Da haben Sie recht!)

Organisatorisch sieht der Gesetzentwurf, wie gesagt, die Errichtung des Bundesamtes für Strahlenschutz vor. Diese neue Bundesoberbehörde wird im Geschäftsbereich des Bundesumweltministers eingerichtet. Dort gehört sie hin. Der Bundesumweltminister wird die Fachaufsicht über dieses neue Bundesamt haben, was nicht ausschließt, daß weitere Fachministerien — ich nenne die Ministerien für Gesundheit und Forschung — dann eingreifen können und zu beteiligen sind, wenn ihre jeweiligen Ressortbereiche betroffen sind.
In dem neuen Bundesamt für Strahlenschutz sollen nach dem Gesetzentwurf fünf wichtige Aufgaben gebündelt und zusammengefaßt werden, und zwar so, daß eine Stelle spricht, eine Stelle tätig werden kann und dadurch ein ganz wichtiger Beitrag zum Abbau von in der Vergangenheit zugegebenermaßen immer wieder einmal aufgetauchten Informations-und Organisationsdefiziten geleistet werden kann.
Um welche Bereiche handelt es sich konkret? Es geht erstens um die Errichtung und um den Betrieb von Endlagern des Bundes. Zweitens geht es um die Genehmigung der Beförderung von Kernbrennstoffen. Drittens geht es um die Überwachung der Umweltradioaktivität im Rahmen des — nach Tschernobyl — neu geschaffenen integrierten Meß- und Informationssystems. Viertens geht es um die Errichtung und Führung eines Dosisregisters für beruflich strahlenexponierte Personen. Fünftens geht es um eine ständige fachliche Beratung und Unterstützung des Bundesumweltministers.
Diese neue Behörde hat zur Folge, daß wir aus vorhandenen Einrichtungen — Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Bundesamt für Zivilschutz, Bundesgesundheitsamt, Gesellschaft für Reaktorschutz — Abteilungen ausgliedern, um diese in dem neuen Amt zu bündeln.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Gesellschaft für Reaktorsicherheit!)

— Danke, Herr Kollege Schäfer.
Das neue Amt hat auf Grund des Beschlusses der Bundesregierung seinen Sitz in Salzgitter. Nicht nur als niedersächsischer Bundestagsabgeordneter begrüße ich diese Entscheidung; sie ist auch von der Sache her begründet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Stichworte Gorleben und Konrad sagen jedem Kundigen, daß Niedersachsen nicht nur die Endlagerstätte für abgebrannte Atombrennstäbe sein und werden darf, sondern auch Anspruch hat, eine Informations- und Beratungsfachstelle vor Ort zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Daß auch die kommunalen Vertreter aus Salzgitter in überzeugender, in richtiger Art und Weise mitgeholfen haben, um auf den Vorzug ihrer Stadt hinzuweisen, ist legitim und hatte ja auch Erfolg.
Ich komme zum Schluß. Materiell sieht das Gesetz eine Klarstellung insofern vor, als eine Öffentlichkeitsbeteiligung eingeführt wird, und zwar dann, wenn es sich außerhalb staatlicher Lager um die Aufbewahrung abgebrannter Brennelemente oder hochradioaktiver Spaltproduktlösung aus der Wiederaufbereitung handelt und handeln wird. Das ist eine aktuelle Frage dann, wenn wir beispielsweise auf Grund vertraglicher Absprachen verpflichtet sind, Mitte der 90er Jahre aus Frankreich diese Produkte aufzunehmen.
Wir sagen eine sehr zügige, eine überzeugende und tiefgreifende Beratung im zuständigen Umweltausschuß zu, damit dieses Gesetz noch in diesem Jahr in Kraft treten kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113113700
Nach diesem etwas längeren Schluß kommt der nächste Abgeordnete zu Wort. Herr Schütz ist der nächste.

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1113113800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz ist ein Musterbeispiel für politische Camouflage und Roßtäuscherei. Herr Harries, Sie haben die Versteckspielereien gar nicht bemerkt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Unter dem Deckmantel der Verstärkung der Kontrolle und der Effektuierung der Bundesaufsicht werden mit dem Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz wesentliche und sehr streitige Änderungen des Atomgesetzes vorgenommen, die mit der tatsächlich zu regelnden Materie fast überhaupt nichts zu tun haben.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist die Wahrheit, Herr Harries!)

Dabei ist auch schon fraglich, meine Damen und Herren, ob das geplante Bundesamt für Strahlenschutz die ihm gestellten Aufgaben erfüllen kann.

(Baum [FDP]: Warum denn nicht?)

Insbesondere nach den Hanauer Atomskandalen bei
Nukem und Alkem sah sich Herr Töpfer genötigt, die
Bundesaufsicht effektiver zu gestalten oder sich in die



Schütz
Lage zu versetzen, sie überhaupt erst wahrzunehmen. Das Bundesamt für Strahlenschutz soll den Bundesminister fachlich und wissenschaftlich bei der Wahrnehmung seiner Aufsicht unterstützen. Es soll sogar wissenschaftliche Forschung betreiben.
Mir bleibt es ein Rätsel, wie durch die Schaffung einer weiteren Aufsichtsebene mit deren Koordinierungs- und Schnittstellenproblemen, die den Ablauf des Verwaltungsverfahrens eher komplizieren und bürokratisieren, ein Instrument für eine effektivere Bundesaufsicht geschaffen werden kann.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Damit es nicht strahlt! Ist doch logisch!)

Die vorgesehene Aufgabenbündelung für die Aufsicht könnte ebensogut bei dem Bundesminister selbst liegen. Zusätzliche und aufgeblähte Bürokratie hat nie zu mehr Kontrolle und zum größeren Schutz des Bürgers geführt.

(Beifall bei der SPD)

Das geplante Bundesamt für Strahlenschutz ist eher überflüssig und hemmend für eine effektive Kontrolle, die wir alle fordern.

(Beifall bei der SPD)

Ich will mich aber — das hat Herr Harries vollkommen übersehen — zwei im Artikelgesetz versteckten Regelungen zuwenden, die unsere besondere Beachtung verdienen. Das sind die Änderungen der §§ 6 und 12 des Atomgesetzes. Zuerst einmal will ich einen Blick auf die letztere Norm werfen. Hier soll eine Bestimmung neu eingeführt werden, wonach Sicherheitsüberprüfungen unter Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörden bei den Personen mit deren Einverständnis durchzuführen sind, die im Betrieb mit radioaktiven Stoffen umgehen oder diese befördern.
Ich halte es für unerträglich, daß vor einem bereits angekündigten allgemeinen Gesetz über Sicherheitsüberprüfungen für Betriebe, welches auch alle grundgesetzlichen Sicherungen mit enthalten müßte, im Vorgriff, quasi durch die Hintertür, eine derartige Regelung in das Errichtunggesetz für ein Strahlenschutzamt geschmuggelt wird.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Geschmuddelt, er hat recht! — Baum [FDP]: Diese Vorschrift werden wir uns noch angukken!)

— Gucken Sie sie sich an, und schmeißen Sie sie raus. Was hat das denn mit der Errichtung eines Bundesamtes zu tun?

(Zuruf von der SPD: Nichts!)

Diese Regelung ist um so unerträglicher, als jegliche Berücksichtigung der Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zum informationellen Selbstbestimmungsrecht vergessen worden ist.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Da nützt es auch nichts, daß die Mitarbeiter vorher ihr Einverständnis zur Überprüfung abgeben. Welcher Mitarbeiter mit gesichertem und hochbezahltem Arbeitsplatz in der Atomindustrie wird denn ernsthaft dieses Einverständnis verweigern? Sein Arbeitsplatz ist ihm dann wichtiger als sein informationelles Selbstbestimmungsrecht. Es ist unsere Aufgabe, meine Damen und Herren, ihn zu schützen und die rechtsstaatlichen Voraussetzungen für die Grundrechtseingriffe zu schaffen. Das, meine Damen und Herren, leistet das vorhandene Gesetz überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD)

Das entscheidende Ärgernis dieser Novelle eines Artikelgesetzes ist aber die Chuzpe, mit der hier — verschleiert, sozusagen hinter einer spanischen Wand — das Problem der Zwischenlagerung der aus den Wiederaufarbeitungsanlagen in Frankreich und Großbritannien zurückgeführten hochradioaktiven Glaskokillen — das sind die flüssigen hochradioaktiven Spaltproduktlösungen nach dem Text des Gesetzentwurfs — gelöst werden soll.

(Zuruf von der SPD: Das ist der dritte Gesetzentwurf! Ehrlich!)

Das jetzige Atomgesetz kennt in § 6 die staatliche Verwahrung von Kernbrennstoffen. Das sind vor allem die Brennelementelager in den Kernkraftwerken. Ob die Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente auch noch dazugehören, ist schon streitig. Viel mehr Materialien unterliegen aber auf keinen Fall der Aufbewahrung nach § 6 des Atomgesetzes. Dagegen werden nach der Regelung des Atomgesetzes die radioaktiven Abfälle in den Anlagen zur Sicherstellung und Endlagerung nach den §§ 9 a und 9 b gelagert.

(Baum [FDP]: Wo wollen Sie das Zeug denn hinbringen?)

Das Verfahren — hören Sie zu, Herr Baum — zur Lagerung des radioaktiven Abfalls unterliegt nach § 9 b einem Planfeststellungsverfahren mit umfangreicher öffentlicher Beteiligung.
Die im uns vorliegenden Entwurf angesprochenen flüssigen hochradioaktiven Spaltprodukte in wässriger Lösung sollen kalziniert und verglast werden. Diese Spaltproduktlösungen müßten aber als radioaktive Abfälle eingestuft und nach §§ 9 a und 9 b geordnet beseitigt werden.

(Beifall bei der SPD)

Das hierfür vorgesehene Verfahren ist jetzt schon klar und eindeutig im Atomgesetz geregelt. Dies aber will die Bundesregierung offensichtlich so nicht sehen.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Der Trick, den Sie jetzt anwenden, ist folgender: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die verfestigten Spaltproduktlösungen aus der Wiederaufarbeitung dem § 6 des Atomgesetzes unterstellt werden. So entledigt sich die Bundesregierung der Pflicht zur Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens für Atomabfälle in staatlichen Zwischenlagern. Es ist bisher allgemeine Ansicht, daß als „Sicherstellung" durch den Bund im Sinne des § 9 a die staatliche Zwischenlagerung der für die Endlagerung bereits konditionierten Abfälle in Betracht kommt, um einer nicht ausreichend kontrollierten Streuung der Lagerung solcher Abfälle entgegenzuwirken. Da das für die Errichtung dieser Sicherstellungslager erforderliche Planfeststellungsverfahren konzentrierende Wirkung hat, in dem auch die weiteren Fragen der Lagerung und Endlagerung aufgeworfen werden müssen, will



Schütz
die Bundesregierung den erweiterten rechtlichen Risiken einer Prüfung im Planfeststellungsverfahren möglicherweise entgehen. Die Bundesregierung fürchtet möglicherweise eine entsprechende Bürgerbeteiligung, die dann wegen der Konzentrationswirkung des Verfahrens auch andere Rechtsmaterien als allein die atomrechtlichen über die Verwaltungsgerichte angreifen könnte.
Diesen Trick, meine Damen und Herren, dürfen und wollen wir nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wir erleben hinsichtlich der Endlagerung von hochradioaktiven und wärmeentwickelnden Materialien einen Offenbarungseid in Raten durch die Bundesregierung.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Im Beschluß der Regierungschefs zur Entsorgung vom 28. September 1977, auf dem die Grundsätze der Entsorgungsvorsorge beruhen, heißt es — es wäre gut, wenn Sie zuhörten — :
Es besteht Einvernehmen, daß für eine Übergangszeit die Zwischenlagerungsmöglichkeiten ausgebaut werden müssen.
Man ging davon aus,
daß zum Zeitpunkt der ersten Einlagerung von abgebrannten Brennelementen die Aufnahmefähigkeit des Salzstockes in Gorleben gesichert erscheint und die Entscheidung über die anzuwendende Entsorgungstechnik positiv getroffen ist.
Eine Zwischenlagerung von hochradioaktiven Abfällen, um die es jetzt geht, war danach nicht vorgesehen. Man ging vielmehr davon aus, daß — wieder wörtliches Zitat — :
die oberirdischen Fabrikationsanlagen für die eine oder andere Entsorgungstechnik sowie die Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und Endlagerung der radioaktiven Abfälle spätestens zu Ende der 90er Jahre betriebsbereit gemacht werden.
Jetzt, meine Kolleginnen und Kollegen, stehen wir vor der Notwendigkeit, die aufgearbeiteten Reststoffe — das sind die flüssigen hochradioaktiven Spaltproduktlösungen nach unserem Gesetzestext — als Abfall einer langen Zwischenlagerung zu unterziehen, weil nach eigenen Angaben der Genehmigungsbehörde, der PTB, Gorleben als Endlager nicht vor dem Jahr 2010 zur Verfügung steht. Bis dahin sind es noch 21 Jahre. Wenn Gorleben aber überhaupt nicht zur Verfügung steht, wovon ich ausgehe, bewegen wir uns hinsichtlich des Endlagerungstermins auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu. Da bekannt ist, daß ab 1993 die ersten Spaltproduktlösungen aus der Wiederaufarbeitungsanlage in Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland zurückgeliefert werden, steht die Bundesrepublik schon jetzt unter einem akuten Handlungsdruck. Sie steht rechtlich und tatsächlich mit dem Rücken zur Wand. Das ist der Grund, warum sie in einem Errichtungsgesetz für ein Bundesamt für Strahlenschutz die rechtliche Krücke zur vermeintlichen Lösung der Probleme versteckt.
Es ist jetzt die Stunde, meine Damen und Herren, schonungslos die Wahrheit über die verfahrene Situation im Entsorgungsbereich zu sagen. Es wäre die Stunde, das Konzept der Wiederaufarbeitung aufzugeben, um das vorhandene Problem zu entschärfen.

(Beifall bei der SPD)

Der Weg der direkten Endlagerung schafft weniger Risiken. Es wäre die Stunde, meine Damen und Herren, nicht durch rechtliches Versteckspiel Bewegungsspielräume zu gewinnen, sondern weitere Standorte für die direkte Endlagerung schon jetzt zu suchen.

(Beifall bei der SPD)

Für die Zwischenzeit kann die Bundesregierung den Weg wählen, die Glaskokillen im Ausland zu lagern, bis sie ihrer Verantwortung gerecht geworden ist

(Baum [FDP]: Herr Kollege, wenn die das nicht wollen?)

und ein planfestgestelltes Sicherstellungslager errichtet hat, Herr Baum. Jede andere Haltung muß man als Verschleierungstrick bezeichnen und zurückweisen.

(Zuruf der Abg. Frau Dr. Hartenstein [SPD])

Es wird auch — das sagt Frau Hartenstein — ein UVPVerfahren durchzuführen sein.

(Beifall des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD])

Ich will zum Schluß sagen, daß wir dem Gesetz zu dem IAEO-Hilfeleistungsübereinkommen zustimmen werden, das uns zwar nicht ausreichend erscheint, aber ein erster Schritt zur Kontrolle der Sicherheit von Kraftwerken ist.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113113900
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1113114000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für uns waren die Vorfälle um Transnuklear und auch Tschernobyl Anlaß, dieses Amt für Strahlenschutz zu fordern. Wir sind zufrieden, daß unsere Forderung nun auch Eingang in einen entsprechenden Gesetzentwurf gefunden hat, den wir heute in erster Lesung beraten. Wir meinen, daß das nun gerade nicht, Herr Kollege Schütz, eine Verschleierung ist, die Sie hier sehr dramatisch und sehr bewegt beklagt haben, sondern daß der Gesetzentwurf zur Klarheit beiträgt. Ein Gesetzentwurf kann ja wohl nicht eo ipso eine Verschleierung sein, sondern er ist eine Klarstellung, denn er wendet sich an die Öffentlichkeit. Er wendet sich an unsere Ausschüsse. Wir werden ihn sorgfältig beraten. Wir werden ihn sorgfältig auf die politischen Vorstellungen abklopfen, die wir haben, und das eine oder andere werden wir ändern. Ich will auch jetzt schon sagen, daß wir bei den Sicherheitsüberprüfungen sehr sorgfältig abwägen werden, ob das so sein muß oder ob wir das anders machen können. Ich greife kritische Anmerkungen durchaus auf. Aber hier von einer Verschleierung zu reden und das in



Wolfgramm (Göttingen)

besonderer Weise zu dramatisieren ist nicht angemessen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Im Gegenteil: Es erfolgt eine Klärung der Angelegenheit in organisatorisch-administrativer Hinsicht und in inhaltlicher Hinsicht. Genau das wollen wir haben. Wir wollen eine Zusammenfassung von Zuständigkeiten haben, die bisher zersplittert gewesen sind. Ich darf darauf hinweisen, daß sich nach Tschernobyl Ost und West in Wien getroffen und beklagt haben, daß überall eine Zersplitterung im Atomrecht herrscht, ganz besonders auch in der Sowjetunion. Wir haben gehört, daß sich dort inzwischen eine Umweltkommission unter einem Vorsitzenden gebildet hat, der die Aufgaben im Rang eines Ministers wahrnehmen wird. Man hat also schon begonnen, Lehren zu ziehen.
Für uns bietet das Bundesamt eine Möglichkeit, Aufgaben, die bisher zerstreut waren, zusammenzufassen: Bundesaufgaben im Bereich Strahlenschutz, Strahlenschutzvorsorge, kernenergetische Sicherheit, Abfallentsorgung und Errichtung und Betrieb von Endlagern. Würden die Kollegen von der SPD uns übrigens freundlicherweise mitteilen, wie Sie das anfallende kernenergetische Entsorgungsprodukt lagern wollen, wenn wir das nicht durch Gesetze klären?

(Schütz [SPD]: Was hat das mit Strahlenschutz zu tun?)

Hier Klarheit zu schaffen, ist doch wohl sinnvoller, als wenn wir das rechtlich in der Schwebe lassen.
Übrigens hat hier das Land Nordrhein-Westfalen eine ganz andere Position vertreten als die, die Sie, Herr Schütz, hier vorgetragen haben.

(Schütz [SPD]: Nein!)

Nordrhein-Westfalen hat dem Gesetzentwurf zugestimmt. Es wurden zwar kritische Einwände vorgetragen, aber es wurde gesagt: Das Positive überwiegt. — Das haben Sie bei Ihrem Auftritt nicht getan.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

Ich glaube, das ist auch die Position, die wir alle einnehmen müssen, wenn wir ein Gesetz in erster Lesung behandeln. Wenn wir ein Gesetz in erster Lesung beraten, werden wir uns in einer Rahmenposition bewegen und sagen: Das möchten wir. Wir werden feststellen, ob die Vorlage diesen Bedingungen genügt. Genauso gehen wir an die Sache heran. Wir haben das so gewollt.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Bis zum 1. 7. soll es durch sein!)

Es liegt jetzt vor. Wir möchten jetzt in den Ausschußberatungen feststellen, ob es inhaltlich im Detail unseren Anforderungen genügt. Das werden wir bei der Beratung sorgfältig prüfen.
Dabei ist die Position der FDP nach wie vor eine besondere Meßlatte, nämlich friedliche Nutzung der Kernenergie an ein Höchstmaß an Sicherheit zu knüpfen,

(Frau Wollny [GRÜNE]: Was hat das mit Sicherheit zu tun?)

jedenfalls solange wir die Kernenergie noch haben und solange wir sie noch brauchen.
Ich begrüße im übrigen, daß das Bundesamt seinen Sitz in Niedersachsen haben soll.

(Beifall des Abg. Sauer [Salzgitter] [CDU/ CSU])

Politiker müssen ein wenig darauf achten, was aus ihren Anregungen wird. Ich darf auf meine Anregung verweisen, der Herr Töpfer freundlicherweise nachgekommen ist, auch deswegen, weil wir in Niedersachsen besondere Einrichtungen schon vorhalten.
Ich möchte den Hinweisen des Präsidenten gerne folgen, der zwar noch keine Mahnung ausgesprochen hat, aber doch durch ein optisches Signal deutlich macht, daß die Debatte kurz ist. Wir sehen uns in den Beratungen im Ausschuß wieder und werden das einbringen, was für die FDP, wie eben vorgetragen, wichtig ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113114100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wollny.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113114200
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zwei Vorlagen, die im direkten Zusammenhang mit Tschernobyl stehen.
Zum einen geht es um die Benachrichtigung und gegenseitige Hilfeleistung im Falle nuklearer Unfälle. Dieses Übereinkommen bedeutet die Einsicht, daß es auch in Zukunft zu Unfällen wie in Tschernobyl oder möglicherweise noch schlimmeren Katastrophen kommen wird. Wir haben bestimmt nichts gegen gegenseitige Hilfeleistung bei unvermeidbaren Katastrophen. Aber wir verlangen von einer verantwortlichen Regierung, vermeidbare Katastrophen auszuschließen, besonders solche, von denen die Bevölkerung eines ganzen Kontinents betroffen sein wird. Würde das geschehen, wäre eine solche Übereinkunft überflüssig.
Nun zum zweiten Gesetz, welches ebenfalls als Folge von Tschernobyl betrachtet werden kann und hier im Schweinsgalopp durchgepeitscht werden soll. Nach der Gründung des sogenannten Umweltministeriums möchte der Herr dieses Instituts, den man hier im Hause nicht als Atomminister bezeichnen darf, nun endlich seine eigene zentrale Atombehörde. Es wäre interessant zu erfahren, wem für diese Mammutbehörde, in der neben den Forschungs-, den Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden auch die Reaktorsicherheitskommission und die Strahlenschutzkommission zusammengefaßt werden sollen, der Name Bundesamt für Strahlenschutz eingefallen ist. Mit dem Schutz vor Strahlen hat diese Erfindung nun wirklich nichts zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Bei genauer Betrachtung des Gesetzes stellt man fest, daß sich in der Mogelpackung noch einige Kuckuckseier verbergen. Herr Töpfer, Sie werden langsam zur Glucke. Vorhin mußten Sie Windeier ausbrüten. Da ist zum einen der § 6 des Atomgesetzes, mit dessen Änderung die illegale Genehmigungspraxis für die Zwi-



Frau Wollny
schenlagerung von hochaktivem Müll amnestiert werden soll.
Gleichzeitig möchte die Bundesregierung auf diese Weise die Verantwortung für die Aufbewahrung von hochaktiven Abfällen loswerden und sie privaten Firmen zuschieben. Dazu dient auch die Umdefinition der atomaren Brennstoffe. Plötzlich werden hochaktive Abfälle zu brennstoffhaltigen Abfällen und können dann unbedenklich in Kartoffelscheunen untergebracht werden.
Das nächste Kuckucksei folgt in Form der Änderung des § 12 Abs. 1 Nr. 10 des Atomgesetzes, in dem die bisher illegale Sicherheitsüberprüfung des Personals kerntechnischer Anlagen gesetzlich abgesichert wird. Eine Sicherheitsüberprüfung, wie vorgesehen, bringt keinerlei neue Sicherheit. Sie führt zu Bespitzelung, macht die Menschen erpreßbar und vergiftet das Betriebsklima. Unsichere Anlagen werden durch den geprüften Menschen nicht sicherer. Anlagen der Atomindustrie müssen so sicher sein, daß sie durch Manipulationen nicht angreifbar sind.

(Beifall des Abg. Wüppesahl [fraktionslos])

Falls das nicht geht, dürfen solche Anlagen nicht betrieben werden. So einfach ist das.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn diese Überprüfungen aber erst einmal legalisiert sind, werden sie auf alle sensiblen Gebiete der Wirtschaft übertragen werden. Das wäre dann der Weg in den totalen Überwachungsstaat.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die genannten Änderungen des Atomgesetzes von dem Gesetz zur Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz abzukoppeln und gesondert einzubringen, damit sie in Ruhe diskutiert und nicht im Eiltempo durch das Parlament gejagt werden müssen.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113114300
Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1113114400
Meine Damen und Herren! Ich werde solche Worte wählen, die der Zynik dieses Gesetzentwurfs über das Abkommen zur frühzeitigen Benachrichtigung, bei der die IAEO eine zentrale Rolle spielen soll, angemessen sind, angemessen angesichts einer solchen Tatsache wie der, daß gerade die IAEO es war, die in demselben Jahr, in dem nachträglich in Biblis gravierendste Bedienungsfehler festgestellt wurden, für genau dieses Jahr diesem Atomkraftwerk bescheinigte, daß es in bester Ordnung war.
Diese IAEO-Gruppe, meine Damen und Herren, ist eine durch Steuergelder finanzierte Public RelationsGruppe der Atomindustrie und nichts anderes. Ich möchte in Ergänzung der Buchstabenfolge, die sich auf dem Deckblatt eines Gesetzentwurfes findet, folgendes sagen. Die Bundesregierung schreibt hier: C. Alternativen: keine; D. Kosten: keine.
Ich füge an: E. Ökologische Kriterien: keine; F. Humanität: keine; G. Verantwortlichkeit: keine. So könnten wir das geradezu unbegrenzt fortsetzen. Vergegenwärtigen Sie sich, wem Sie bei der IAEO diese
Verantwortung übertragen wollen. Das ist eine Gruppe, die im wesentlichen aus der Atomindustrie kommt, die z. B. in „mein" Atomkraftwerk, das AKW Krümmel in Geesthacht, gekommen ist und vor dem Small talk mit den Managern bereits von der Führungsmannschaft begeistert war und nach dem Gespräch gar nicht mehr zu halten war, was die Qualität der Führungsmannschaft angeht, die in diesem AKW ihren Dienst versieht. Und das in Beziehung zu setzen zu solchen Ergebnissen, wie wir sie aus dem Atomkraftwerk Biblis zu konstatieren haben, macht, so denke ich, die Zynik dieses Gesetzentwurfes sehr deutlich.
In diesem Gesetz kann in bezug auf die IAEO nur stehen: abschaffen und durch eine tatsächlich unabhängige Kommission ersetzen, die dann vielleicht — zumindest in dem Bereich, den Sie jetzt als einen Teilbereich der aus Tschernobyl zu ziehenden Konsequenzen aufgegriffen haben, nämlich den der gegenseitigen Information — tatsächlich gewährleisten könnte, was wir in dem Bereich an Vertrauen für notwendig erachten.
Sie bringen aber — das ist nicht gerade unklug; das zeugt von einer gewissen Bauernschläue, auch wenn es leicht zu durchschauen ist — zu diesem Tagesordnungspunkt mit lächerlichen Viermal Fünf -MinutenBeiträgen gleich zwei Gesetzentwürfe ein, die die Konsequenz aus Tschernobyl sein sollen. Und in dem Gesetzentwurf über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz haben Sie eine Bestimmung, die dort wirklich nichts zu suchen hat — das ist klassische Innen- und Rechtspolitik; das wurde schon von zwei Vorrednern aufgegriffen — , nämlich die Sicherheitsüberprüfung in Atomanlagen. Das soll hier klammheimlich durchgeschoben werden — wohlwissend, welche Brisanz dahintersteckt, daß über inzwischen Hunderttausende von Menschen in dieser Republik Datensätze bei den zuständigen Behörden, im wesentlichen beim Bundesamt für Verfassungsschutz, liegen, mit denen ein hohes Maß an Sozialkontrolle auszuüben ist, mit denen auch entschieden wird, ob jemand einen Beruf bekommt oder nicht — und anderes mehr.
In der Regel wissen die Umweltpolitiker gar nicht, was sich hinter dieser Sicherheitsüberprüfung verbirgt.
Meine Damen und Herren, vergegenwärtigen Sie sich dazu, daß solche Daten, die in der Abteilung III des BfV vorgehalten werden, auch in die Abteilung VII, zuständig für Linksextremismus, oder in die Abteilung IV, zuständig für Rechtsextremismus, „marschieren" , obwohl den Personen, die sicherheitsüberprüft werden, zugesagt wird, daß die erhobenen Daten nur für den Zweck der Erhebung Verwendung finden sollen, nämlich für die Sicherheitsüberprüfung. Das ist die sogenannte Zweckbindungsklausel, die im Datenschutzbereich immer wieder diskutiert wird.
Mit diesem § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 heben Sie diese rechtswidrige Praxis bei den Landesämtern auf eine gesetzliche Ebene und werden nicht verhindern können, daß ein solcher Austausch trotzdem stattfindet. Es findet nicht nur ein rechtswidriger Austausch zwischen verschiedenen Abteilungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz statt, sondern — das wissen wir



Wüppesahl
aus den Beratungen über die Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten für den Datenschutz — diese Daten werden inzwischen auch längst befreundeten ausländischen Diensten zur Verfügung gestellt, obwohl — das noch einmal, wirklich als Merksatz — allen, die sicherheitsüberprüft werden, gesagt wird: Wir verwenden diese Daten nur für diese Sicherheitsüberprüfungen. Das heißt: Wenn ich — oder jemand anders — mit meinem Pkw irgendwo in Frankreich bin, und das Kennzeichen von den dortigen Sicherheitsorganen festgehalten wird — und das geht bei solchen Atomanlagen ganz schnell — und der französische Geheimdienst Informationen über die Person haben möchte, die Halter des Fahrzeugs ist, dann werden diese Daten, wenn sie angefordert werden, übermittelt.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Nur bei einem Sicherheitsrisiko!)

Und so etwas haben Sie uns hier in erster Lesung auf denTisch gelegt. Ich finde das in der Tat ungeheuerlich. Ich denke, daß — abschließend resümiert — meine Eingangsworte durch die Abarbeitung zumindest dieser zwei Kapitel voll ihre Bestätigung gefunden haben. Diese Gesetzentwürfe sind angesichts der Ursachen, die dazu geführt haben, nur zynisch.

(Beifall bei den GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Quatsch!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113114500
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

(Zuruf von der SPD: Das ist aber dann die letzte Rede! — Dr. Lammert [CDU/CSU]: Wir hören ihn immer wieder gern! — Zustimmung bei der CDU/CSU)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113114600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um den Zwischenruf des Abgeordneten Schäfer vorwegzunehmen: Es ist die vierte Rede, Herr Schäfer. Und um auch allen anderen entsprechend deutlich zu machen: Ich fühle mich nicht als Übergangsredner zur anschließenden Agrardebatte. Weder Bauernschläue noch das Ausbrüten von Eiern — geschweige denn von Kuckuckseiern, Frau Abgeordnete Wollny — will ich zum Thema dieser Debatte machen.

(Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113114700
Herr Minister, ich präsidiere hier zwar noch nicht so lange, daß ich Ihre vier Reden hätte hören können. Aber vielleicht ist es die vierte Zwischenfrage. Wollen Sie sie gestatten?

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das wäre die erste intelligente!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113114800
Ich habe sie nicht mitgezählt; aber ich gestatte sie sehr gerne, Herr Präsident.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1113114900
Wahr ist, es ist die vierte Rede heute. Meine Frage: Warum darf keiner Ihrer drei Staatssekretäre reden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113115000
Herr Abgeordneter Schäfer, diese Zwischenfrage hätten Sie besser nicht gestellt. Denn wenn hier einer meiner hochqualifizierten Parlamentarischen Staatssekretäre gestanden hätte, dann hätte sich ganz sicher einer zu Wort gemeldet und gefragt, ob es denn nun so weit sei, daß gerade zu dieser Frage der Minister das Wort nicht ergreifen wolle.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Also Kuckuckseier sind Chef sache!)

Wenn ich darüber hinaus — was mir nicht liegt — noch etwas in die Interna greifen würde, dann wüßten Sie, daß ich heute ganz gerne auf eine Rede verzichtet hätte, weil ich lieber an anderer Stelle einen Termin wahrgenommen hätte, was ich mit Rücksicht auf die Mahnung des Präsidiums und auch nach Rücksprache mit der SPD-Fraktion und anderen nicht getan habe. Dort hat mein Staatssekretär gesprochen, und ich bin hiergeblieben. Ich glaube, das ist eine größere Reverenz gegenüber dem Hohen Hause, als wenn ich erklärte, daß ich tatsächlich zum vierten Male spreche.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113115100
Nun könnte eigentlich Herr Schäfer ebenfalls einmal klatschen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113115200
Zum Thema selbst, meine Damen und Herren. Dazu möchte ich wieder ernst werden.
Es ist von außerordentlicher Bedeutung, daß wir ein Bundesamt für Strahlenschutz bekommen. Ich hätte auch von der Opposition, höchstens Kritik daran erwartet, daß wir das jetzt erst machen, daß wir jetzt erst dazu kommen, ein Bundesamt für Strahlenschutz zu errichten, das das zusammenfaßt, was ja an vielen Stellen vorhanden ist. Denn bisher habe ich von der Opposition noch nirgends einen Antrag gehört, daß das Institut für Strahlenhygiene in München-Neuherberg aufgelöst werden sollte, sondern ganz im Gegenteil: Man ist wohl der Meinung, dieses Institut ist außerordentlich bedeutsam.
Daß wir in einer Umwelt leben, in der außerordentlich viele Verwendungszwecke für radioaktive Stoffe da sind, auch außerhalb der Kernenergie, in der Medizin und in der Industrie, ist doch überhaupt keine Frage. Gerade da muß eine Industriegesellschaft, in der wir leben, dafür Sorge tragen, daß das zusammengefaßt wird.
Selbst, Frau Abgeordnete Wollny, wenn in dieser Bundesrepublik Deutschland noch nie ein Kernkraftwerk bestanden hätte, bräuchten wir mit Blick auf die Kernenergiesicherheit ganz dringlich ein solches Amt. Denn in der Welt gibt es eben 400 Kernkraftwerke. Tschernobyl hat uns gezeigt, daß wir völlig unabhängig von der Sicherheitsfrage bei uns Vor-



Bundesminister Dr. Töpfer
sorge zu treffen haben, um mit den damit verbundenen Fragen und Risiken vorsorgend umzugehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diejenigen, meine Damen und Herren, die am lautesten gerufen haben, als wir möglicherweise oder tatsächlich in der Reaktion auf Tschernobyl mehr babylonische Sprachverwirrung als wirklich gezielte Antworten hatten, hätten eigentlich schon damals fragen müssen: Wo bleibt denn die koordinierende Stelle der Bundesregierung, um das zu machen?

(Frau Wollny [GRÜNE]: Wie das aussieht, das hat man in Frankreich gesehen, wo es koordiniert ist!)

Meine Damen und Herren, wenn Sie darauf die Antwort „der Bundesminister" geben, Herr Abgeordneter Schütz, dann sollten Sie sich darüber im klaren sein, daß wir undiskutiert und von Ihnen sicherlich unterstützt der Meinung sind, daß wir uns für alle anderen Bereiche dieses Ministeriums gerne der Dienste des Bundesumweltamtes bedienen, weil es eine wirklich vernünftige Abschichtung von verschiedenen Ebenen geben muß. Wir sollten es im Naturschutz in die gleiche Richtung entwickeln.
Wenn man es bei Lichte betrachtet, meine Damen und Herren, gibt es hier keine Mammutbehörde. Ich bedauere, daß wir wohl nur bis zu etwa 400 Mitarbeitern kommen werden. Wir haben mit Salzgitter einen guten Standort.

(Zustimmung des Abg. Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU])

In Salzgitter können wir mit einer solchen Präsenz des Bundes auch ein gutes Stück dazu beitragen, die gesamte Stadt und ihre Entwicklung mit zu beeinflussen. Ich bin der Überzeugung, daß die Mitarbeiter ihre hohe Verantwortung auch entsprechend übernehmen werden.

(Zuruf von den GRÜNEN)

— Ja, sehen Sie; auch das ist wieder so ein Punkt: Wie ist das mit dem Schacht Konrad? Wer heute leichtfertig die Meinung aufstellt, alles dies ginge nicht, meine Damen und Herren,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wer tut das denn?)

der kann sich entweder nur davon verabschiedet haben, jemals wieder Regierungsverantwortung zu übernehmen oder er wird sich sehr schnell, heute schon, überlegen müssen, wie er sein Wort, das er heute gibt, morgen wieder fressen muß. Dies ist der Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen bitte ich ganz, ganz nachhaltig, dies mit der Zurückhaltung und mit der Sorgfalt zu erörtern, die diesem Thema zukommen.
Ich sage noch einmal: Respekt vor vielen, die in Salzgitter über Parteien hinweg diese Frage mit uns fachlich kompetent erörtern. Kritische Rückfragen von dort sind jederzeit gern gesehen. Wir signalisieren weiterhin Gesprächsbereitschaft, nicht deswegen, weil wir ein Bundesamt dort hinlegen, sondern weil wir nichts verantworten werden, was nicht auch wirklich mit der Bevölkerung vor Ort durchdiskutiert und verantwortlich entschieden werden kann.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113115300
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage eines der Abgeordneten aus Salzgitter?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113115400
Ja, bitte.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1113115500
Herr Minister, sind Sie bereit, meinen Zwischenruf mit mir dahin gehend zu interpretieren, daß die Entscheidung über den Standort des Strahlenschutzamtes mit der Entscheidung über Schacht Konrad wegen der dort zu klärenden besonderen Sicherheitsvorkehrungen nichts zu tun haben darf?

(Baum [FDP]: Das hat er doch eben gesagt!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113115600
Herr Abgeordneter, ich hatte mich bemüht, mit meinen zugegebenermaßen schlichten Darstellungsmöglichkeiten exakt das zu sagen.

(Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Vielen Dank, dann stimmen wir überein!)

Ich will das gerne noch einmal unterstreichen. Ich wäre wirklich des Zynismus anklagbar, wenn ich sagen würde, mit der Vergabe eines Standorts für ein Amt würden wir Akzeptanzen erkaufen können, die sich in der Sicherheit nicht wiederfinden. Das wäre wirklich Zynismus. Das werden wir nicht tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bitte ganz herzlich, das allseits so zu machen.

Die Zeit ist wirklich so bemessen, daß man auf die Behandlung im Ausschuß verweisen muß.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Aha!)

— Wissen Sie, diese Zeit habe ich nicht festgelegt, Herr Abgeordneter. Diese Zeit hat der Ältestenrat
— zu Recht — festgelegt. Deswegen komme ich mit wenigen Sätzen auf § 6 zu sprechen. Das werden Sie ja wahrscheinlich annehmen.
Meine Damen und Herren, als Nichtmitglied dieses Hohen Hauses muß ich noch eines deutlich sagen: Was kann eine Regierung eigentlich besser tun, als an einem Punkt, an dem sie der Überzeugung ist, daß das vorliegende Gesetz zumindest unterschiedlich interpretierbar ist, mit einer Formulierung zu diesem Gesetz in dieses Hohe Haus als den Gesetzgeber zurückzukommen und zu sagen: das ist das, was wir jetzt schon als eine Interpretation dieses Gesetzes ansehen? Bitte, hier wird es beraten. Wir wollen nichts verheimlichen.

(Zustimmung bei der FDP)

— Wir wollen überhaupt nicht über etwas hinweggehen, sondern wir wollen etwas bewußtmachen.
Wir wollen bewußtmachen, daß nach unserer Überzeugung § 9 a Abs. 2 und 3 des Atomgesetzes bereits eine solche Verweisung auf § 6 enthält. Wenn er das tut, Herr Abgeordneter Schütz, dann wollen wir aber auf jeden Fall gewährleisten, daß eine Genehmigung



Bundesminfster Dr. Töpfer
nach § 6 auch mit Öffentlichkeitsbeteiligung erteilt wird. Wenn Sie das herausgearbeitet hätten, wäre ich der Meinung gewesen, daß das der Ansatzpunkt für die weitere Diskussion ist.

(Beifall bei der FDP)

Hier wird also nichts unter den Teppich gekehrt. Hier wird keine Verschleierungspolitik gemacht, sondern diese Frage wird an den, der in der Bundesrepublik Deutschland Gesetze zu verabschieden hat, zurückgegeben. Über diese Frage wird in aller Offenheit so diskutiert, wie sich das für meine Begriffe bei uns gehört. Aber wenn wir diese Meinung haben, daß § 6 bereits heute das abdeckt, was über § 9 a Abs. 2 und 3 angelegt ist, dann ist es sinnvoll, es auf jeden Fall mit einer Öffentlichkeitsbeteiligung auszurüsten.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Sie meinen das!)

— Ich sage das doch ganz offen. Der einzige Vorwurf, der mir dazu heute gemacht worden ist, ist, daß wir etwas verschleiern. Ich sage Ihnen ganz deutlich, daß ich nichts verschleiere, sondern daß das die Meinung der Bundesregierung ist. Wir legen Ihnen weder ein Kuckucksei noch sonst etwas vor.
Ich wollte abschließend noch zwei Dinge sagen. Ich weiß, es leuchtet alles rot. Das erste ist: Welche Vorstellung — und welchen Respekt — haben wir eigentlich von den Sachverständigen und den Fachleuten im Bundesrat, der diesen Gesetzentwurf praktisch so akzeptiert hat? Ich füge hinzu: mit herzlichem Dank an das Land Nordrhein-Westfalen. Wenn ein Land wie Schleswig-Holstein nicht zustimmt,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Und Hamburg!)

dann muß ich wirklich einmal fragen, was Sie denn eigentlich wollen. Sie fragen bei mir an, damit ich ihnen eine Anweisung gebe, was mit ihren Kernkraftwerken zu tun ist. Wenn ich mir dafür aber ein Instrument schaffen will, damit ich ihnen Anweisungen geben kann, sagen Sie, daß das beim besten Willen nicht mehr möglich ist. Zu irgend etwas muß man sich durchringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Frau Hensel [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Wenn der Herr Präsident es mir gestattet, nehme ich — —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113115700
Herr Minister, ich bin in der Verlegenheit, Ihnen, wie Sie wissen, nicht das Wort abschneiden zu dürfen. Aber ich darf Ihnen sagen, wie spät es ist.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113115800
Ich wollte nur sagen, daß ich von meiner Seite zum Ende gekommen bin.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113115900
Ich habe der Abgeordneten Hensel schon signalisiert, daß es leider nicht geht, weil Sie Ihre Redezeit schon überzogen haben.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113116000
Dann darf ich mich herzlich bedanken und sagen, daß ich mich auf die Beratungen im Ausschuß sehr freue.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sind Sie auch da?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113116100
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz auf Drucksache 11/4086 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem IAEO-Benachrichtigungsübereinkommen und zu dem IAEOHilfeleistungsübereinkommen. Das sind die Drucksachen 11/2391 und 11/3937.
Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann stelle ich fest, daß das Gesetz bei Enthaltung eines größeren Teils der Fraktion DIE GRÜNEN und zwei Gegenstimmen angenommen worden ist.
Ich rufe nun Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft
— Drucksache 11/4087 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Rechtsausschuß Finanzausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bayha.

Richard Bayha (CDU):
Rede ID: ID1113116200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem sich der Deutsche Bundestag heute, wenn ich richtig gezählt habe, sechs Stunden lang mit den Problemen der Umwelt beschäftigt hat, ist es, glaube ich, ganz gut, daß wir uns nunmehr auch eine Stunde lang mit denen beschäftigen, die diese herrliche Kulturlandschaft in Mitteleuropa seit Generationen gestaltet, erhalten und geprägt haben, und zwar mit sehr viel Fleiß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ein sehr guter Einstieg!)

Auf dem Weg zur Neuorientierung der Agrarpolitik hat die Bundesregierung in den letzten Jahren umfangreiche Maßnahmen zur Existenzsicherung der deutschen Landwirtschaft verabschiedet. Ich möchte einige wichtige Eckpunkte festhalten:



Bayha
Erstens. Die Stabilitätspolitik der Bundesregierung hat auch in der Landwirtschaft zu einer ganz beachtlichen Kostensenkung geführt. Als Beweis dafür kann man anführen: Der Index der landwirtschaftlichen Betriebsmittelpreise lag 1982 bei 113,9; im letzten Jahr lag er bei 103,6. Das sind immerhin 10,3 Punkte weniger. Hier ist die Frage berechtigt: Wann hat es in den letzten Jahrzehnten eine derartige Entwicklung bei den Betriebsmittelpreisen zugunsten der deutschen Landwirtschaft schon einmal gegeben?
Zweitens. Die Ausgleichszahlungen für Landwirte in benachteiligten Gebieten haben deren Chancengleichheit in den letzten Jahren erheblich verbessert. Im Jahre 1982 erhielt ein Durchschnittsbetrieb in den benachteiligten Gebieten 1 473 DM; im letzten Jahr erhielt er über 3 000 DM. Dies ist mehr als eine Verdoppelung.
Drittens. Die Agrarsozialpolitik ist kontinuierlich mit hohem Kostenaufwand verbessert worden, und zwar von 3,5 Milliarden DM zum Ende der letzten Regierung Schmidt auf heute 5,1 Milliarden DM. Dies ist eine Steigerung um 1,6 Milliarden DM.
Viertens. Die Begrenzung der Milchproduktion, die uns in der Durchführung zwar erhebliche Schwierigkeiten bereitet hat, hat aber immerhin zu einer beachtlichen Erhöhung der Milcherzeugerpreise geführt.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Im Jahre 1982 lag der Milcherzeugerpreis bei 64,5 Pfennig im Durchschnitt; zur Zeit liegt er bei 71,5 Pfennig. Dies ist eine Erhöhung um 7 Pfennig. Das bedeutet für einen Durchschnittsbetrieb — der Durchschnittsbetrieb hat mittlerweile 15 Kühe und eine Quote von rund 100 000 kg —

(Frau Flinner [GRÜNE]: Das stimmt nicht!)

einen Zusatz an barem Einkommen von 7 000 DM pro Jahr, und dies ist Gewinn. Eine beachtliche Leistung! Es kommt noch hinzu, daß der Magermilchpulverberg, der 1,5 Millionen Tonnen betrug, in der Zwischenzeit abgebaut ist und daß es den Butterberg so gut wie nicht mehr gibt.
Dies sind phantastische Leistungen auf einer ganzen Reihe von sehr wichtigen Gebieten zugunsten der bäuerlichen Landwirtschaft in der Bundesrepublik.
Auch in dieser Legislaturperiode sind wichtige agrarpolitische Weichen gestellt worden. Auch hier einige Beispiele : Erstens. Die Flächenstillegungsmaßnahmen, die, so hoffe ich, in den nächsten Jahren auch in den anderen EG-Ländern besser greifen,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

sollen mittelfristig das Gleichgewicht auf den total überfüllten Binnen- und Außenmärkten wieder herstellen. Bei den zur Zeit laufenden GATT-Verhandlungen muß diese Vorleistung der EG durch entsprechende Maßnahmen der übrigen Welthandelspartner honoriert werden.
Ich glaube, es hat keinen Sinn, daß sich die Vereinigten Staaten und die Europäische Gemeinschaft auf den immer enger werdenden Exportmärkten, die es in dieser Welt noch gibt, mit riesigen Subventionen gegenseitig kaputtsubventionieren. Das muß man gegenseitig mal kapieren.
Zweitens. Die Produktionsabgaberente wird älteren abgabewilligen Landwirten den Ausstieg aus der Produktion erleichtern und Land für aufstockungswillige Landwirte bereitstellen.
Drittens. Als Ersatz für den weggefallenen Währungsausgleich in Höhe von 2 % Vorsteuerpauschale wird der soziostrukturelle Einkommensausgleich eingeführt. Dies ist auch der wichtigste Punkt in dem Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft, den wir heute beraten. Immerhin werden durch diese Maßnahme jährlich 1,1 Milliarden DM an bäuerliche Familienbetriebe verteilt, und da dieses Gesetz für vier Jahre beschlossen wird, sind dies insgesamt 4,4 Milliarden DM.
Dies durchzudrücken war übrigens keine Kleinigkeit, und ich denke noch an diese damals sehr dramatischen beiden Tage, den 29. und 30. Juni 1987, des EG-Gipfels in Brüssel zurück, wo es des massiven Einsatzes auch des deutschen Bundeskanzlers bedurfte, um endlich einmal in der EG mit der Agrarpolitik klar Schiff zu machen.
Meine Damen und Herren, es wird zur Zeit die Frage gestellt: Brauchen wir überhaupt dieses Strukturgesetz? Es wird sogar von vielen — das habe ich jetzt in Versammlungen wieder erlebt — die Frage gestellt: Brauchen wir überhaupt noch eine deutsche Landwirtschaft in diesem engen Land? Ich möchte all jenen, die so reden und fragen, nur mal sagen: Nicht nur wegen der Ernährungssicherung, nicht nur wegen der Gestaltung der Landschaft, denken Sie auch daran, daß jeder sechste Arbeitsplatz in der Bundesrepublik direkt oder indirekt von der Ernährungswirtschaft abhängt und daß die deutsche Ernährungswirtschaft im letzten Jahr 26 Milliarden DM exportiert hat

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Jeder hängt davon ab, weil jeder was essen muß!)

und damit der viertgrößte Agrarexporteur nach den Vereinigten Staaten, nach Frankreich und den Niederlanden ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113116300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen?

Richard Bayha (CDU):
Rede ID: ID1113116400
Bitte sehr.

Matthias Kreuzeder (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113116500
Herr Kollege, was sagen Sie zu den Ausführungen des Staatssekretärs Gallus, daß wir froh sein müßten, wenn 30 % der Vollerwerbsbetriebe übrigbleiben?

Richard Bayha (CDU):
Rede ID: ID1113116600
Ich bin davon überzeugt, daß der Entwicklungsprozeß, der sich seit Kriegsende in der Struktur der deutschen Landwirtschaft abgespielt hat, auch in Zukunft fortsetzen wird. Es werden auch in Zukunft weniger landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland den Boden beackern. Dies liegt in der Natur der Sache. Gegen Fortschritte im Bereich Züchtung, Technik und Können ist kein Kraut gewachsen. Ob es so viele sind, wie der Staatssekretär



Bayha
nach Ihrer Auffassung gesagt hat, weiß ich nicht, aber in der Tendenz hat er recht.
Meine Damen und Herren, Ziel des neuen Gesetzes ist es, die bäuerlichen Familienbetriebe gezielt zu fördern, der Massentierhaltung in Agrarfabriken entgegenzuwirken und umweltschonende Produktionsweisen zu fördern. Damit setzt die Bundesregierung konsequent ihre Politik fort, bäuerliche Familienbetriebe durch direkte Hilfen zu stärken. Nach dem Gesetzentwurf sollen von 1989 bis 1992 bäuerliche Familienbetriebe einen betriebsbezogenen Einkommensausgleich für währungsbedingte Einkommensverluste erhalten. Der Ausgleich beträgt 90 DM je Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche im Jahr, jedoch mindestens 1 000 DM und höchstens 8 000 DM je Betrieb.
Für die Tierhaltung werden Förderungsgrenzen festgesetzt, bei deren Überschreitung der Einkommensausgleich über die Fläche dann nicht gewährt wird. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß im Jahresdurchschnitt beispielsweise maximal 120 Kühe plus Nachzucht oder beispielsweise 1 700 Mastschweine gehalten werden dürfen.
Durch Strukturwandel muß es dem tüchtigen Landwirt ermöglicht werden, sich eine im Rahmen der EG wettbewerbsfähige Produktion aufzubauen. Der Wunsch vieler junger Landwirte nach größeren und moderneren Betrieben ist für sie in der EG schlicht eine Überlebensfrage.
Genauso wichtig für die Erhaltung des bäuerlichen Familienbetriebes ist aber auch eine Abgrenzung zu den Agrarfabriken. Die Förderobergrenzen in diesem Gesetz werden so gehalten werden, daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft in der EG dadurch jedenfalls nicht gefährdet wird.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf sind auch Vorschriften zur Einschränkung der Düngemittelverwendung vorgesehen. Betriebe, die mehr als drei sogenannte Dungeinheiten je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche ausbringen, erfüllen nicht mehr die Anforderungen dieses Gesetzes. Außerdem ist vorgesehen, daß analog dem Pflanzenschutzrecht im Düngemittelrecht nur nach guter fachlicher Praxis Düngemittel angewandt werden sollen.
Das Gesetz wird heute den zuständigen Ausschüssen überwiesen. Ich bin sicher, daß es dort eine ganze Reihe von Ergänzungen und Änderungen geben wird. Zum Beispiel werden wir einen neuen Artikel vorschlagen, der die Halbierung der Viehzuschläge im Bewertungsgesetz vorsieht,

(Beifall bei der CDU/CSU)

damit endlich einmal geregelt wird, wofür sich der Deutsche Bundestag in mehreren Entschließungen der letzten Jahre bereits eingesetzt hat.
Es wird Diskussionen um das Thema Gemeinschaftsbetriebe geben, um das Thema flächenarme Betriebe, und es wird in den Ausschüssen auch noch über das Problem der Hofstellen diskutiert werden. Auch die Stellungnahmen der Bundesländer werden in den Diskussionen der Ausschüsse noch eine wichtige Rolle spielen.
Im Interesse der Landwirtschaft wünsche ich für dieses Gesetz eine gute und konstruktive Beratung in den Ausschüssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113116700
Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113116800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Berufskollegen! Wie ich den Kollegen Bayha verstanden habe, ist ja alles in Ordnung. Nach seiner Begründung im Zusammenhang mit der Milch geht es den Milchbauern wunderbar. Vor allen Dingen dürfen diejenigen, die früher 20 Kühe hatten, jetzt von 15 leben, und sie haben Einkommensverbesserungen; das sind etwa drei Viertel. Ich frage mich, warum die Kinder nicht wissen, ob sie den Betrieb übernehmen sollen oder nicht, wenn es ihnen so großartig geht. Diese Beschönigung kann nur einer machen, der zu dem Drittel gehört, das Glück gehabt hat.
Nun zum Thema: Herr Bundesminister, ich möchte Ihnen heute gratulieren. Sie haben in Brüssel wichtige und, ich meine, überwiegend gute Beschlüsse gefaßt. Sie haben die Voraussetzung dafür geschaffen, daß wir in schwieriger Situation unseren landwirtschaftlichen Betrieben direkte produktionsneutrale Einkommenshilfen gewähren können. Sie haben für diese Beihilfen Einkommensobergrenzen beschlossen. Das finden wir richtig. Das sind alte Forderungen von uns. Nochmals herzlichen Glückwunsch, Herr Bundesminister!
Zum vorliegenden Gesetzentwurf kann ich Ihnen leider nicht uneingeschränkt gratulieren — noch nicht, wie ich hoffe, vielleicht später, wenn wir mit den Beratungen am Ende sind. Sie legen ein Gesetz vor, bringen es ein und begründen es nicht selber; das tut mir leid.

(Zuruf von der CDU/CSU: Er begründet es selbst!)

Dem Entwurf fehlen wichtige Elemente: Da fehlt die von Ihnen soeben in Brüssel beschlossene Einkommensgrenze. Warum eigentlich? Sie können hier doch nicht so beschließen und in Brüssel anders. Wer soll da noch klar sehen? Das versteht doch keiner! Das gibt doch keinen Sinn! Vielleicht sind Sie inzwischen zu besseren Einsichten gekommen; ich hoffe, zu unseren Einsichten.
Man könnte das meinen, denn heute kommt mir ein Pressebericht von Ihnen auf den Tisch, in dem steht — wörtliches Zitat — , das Geld, das aus Steuermitteln für die Agrarpolitik zur Verfügung gestellt werde, sei und bleibe knapp, deshalb müßten die Mittel in erster Linie den Betrieben zugeführt werden, die diese auch benötigen. Diese Auffassung teile ich voll: also den Betrieben, die es notwendig haben. Ein gutes deutsches Wort: Notwendig! Aber dann tun Sie es doch auch, Herr Minister, hier und heute! Sie haben da unsere Unterstützung.

(Beifall bei der SPD)

Auch wir meinen, daß zur Diskussion stehende Einkommenshilfen des sogenannten Strukturgesetzes vorrangig Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetrieben mit



Oostergetelo
vergleichsweise niedrigem Gesamteinkommen zugute kommen sollen. Sie sollen eine Art Grundeinkommenssicherung möglich machen. Sie sollen den Bauern in die Lage versetzen, über die weitere Entwicklung seines Betriebes selber zu entscheiden. Es soll nicht von oben entschieden werden. Wir verbauen doch damit keinem kleineren Vollerwerbsbetrieb den Weg zum Ausbau seiner Einkommensbasis, im Gegenteil. Wir verbauen auch keinem einkommensschwachen Vollerwerbsbetrieb die Möglichkeit, in den Nebenerwerb umzusteigen. Ältere Landwirte ohne Hofnachfolger können ohne weitere Verschuldung bis zum Rentenalter weitermachen. Wir verbauen auch keinem einkommensstärkeren Vollerwerbsbetrieb die weitere Entwicklung. Wir wollen hier nur nicht ab einer bestimmten Grenze auch noch weiter fördern. Ich bleibe dabei: Es gibt den Zahnarzt und den Oostergetelo und den Heereman und den Eigen und andere, die dies nicht nötig haben, auch wenn sie bestreiten, daß sie es dann bekämen.

(Zustimmung der Abg. Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU)

von der CDU/CSU: Selber auch?)
Wir wissen natürlich auch, welche Anforderungen in Zukunft an unsere Landwirtschaft gestellt werden. Sie muß wettbewerbsfähig sein. Der Strukturwandel wird weitergehen. Wir können aber doch nicht zulassen, daß breite Massen unserer landwirtschaftlichen Betriebe vor die Hunde gehen. Da sind wir doch angekommen! Wir brauchen sie, die Betriebe im Voll- und im Nebenerwerb.
Der Agrarbericht ist nüchtern. Er zeigt die Misere: Einkommensrückgang im Schnitt 10,5 %, bei Marktfrucht- und Veredelungsbetrieben im Durchschnitt 25 %. Drei Viertel aller Vollerwerbsbetriebe liegen im Gewinn unter dem gewerblichen Vergleichslohn. In den kleinen und den mittleren Vollerwerbsbetrieben waren die privaten Ausgaben ohne Investitionen im Durchschnitt sogar größer als die erwirtschafteten Gewinne.
Das ist die Situation. Wen wundert es da, daß bei den landwirtschaftlichen Familien Perspektivlosigkeit um sich greift? Den Gürtel enger schnallen, damit haben wir in der Geschichte nie Probleme gehabt. Das Problem ist nicht, mal weniger zu haben. Aber Perspektivlosigkeit ist tödlich.
Wie wollen Sie, Herr Bundesminister, in dieser Situation die Funktionen, die die Landwirtschaft im ländlichen Raum für alle Bewohner unseres Landes erfüllt, sichern? Dabei geht es um Funktionen, die sich umschreiben lassen mit dem Beitrag der landwirtschaftlichen Familien zur Aufrechterhaltung der Sozialfunktion unserer Dörfer, zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, zur Offenhaltung und Pflege unserer Kulturlandschaft und zur Sicherstellung einer Grundversorgung mit Nahrungsmitteln auch in Krisenzeiten. Hier nur Stichworte: Rheinkatastrophe, Tschernobyl, Abhängigkeit von Substituten, dies alles verlangt — das wissen wir doch — eine dezentrale Produktion und Versorgung, damit es überhaupt eine Chance gibt, in Krisenzeiten die Volksernährung zu sichern.
Wir dürfen Agrarpolitik auch nicht isoliert als Fachpolitik betrachten. Sie ist nicht Kuhstallpolitik. Das wäre verkürzt. Sie muß eine umfassende Politik zur Entwicklung unserer ländlichen Räume sein und in diese Entwicklung eingebettet sein.
Herr Minister, es wird interessant sein, zu sehen, wie viele und welche ländlichen Fördergebiete Sie im Rahmen der Reform der Strukturfonds in Brüssel für die Bundesrepublik Deutschland durchsetzen können. Sie sollten uns bald darüber aufklären. Jedenfalls sind wir der festen Überzeugung: Ohne ausreichende und gute außerlandwirtschaftliche Erwerbsmöglichkeiten im Einzugsbereich der Dörfer wird es keine stabile Nebenerwerbslandwirtschaft geben, werden die Familien der einkommensschwächeren Bauern den ländlichen Raum verlassen müssen, und auch das ist tödlich.
Herr Minister, die unter Ihrer Präsidentschaft im Februar 1988 gefaßten Stabilisatorenbeschlüsse erleichtem diese Situation nicht. Sie werden von uns grundsätzlich mitgetragen, aber wir lehnen einen noch stärkeren Einkommensdruck über die schon beschlossenen Maßnahmen hinaus ab — damit das auch draußen jeder weiß. Eine zusätzliche Einkommenskürzung ist nicht mehr zu ertragen.
Was aus den GATT-Verhandlungen für unsere dörflichen Strukturen herauskommt, kann man nur erahnen. Auch hier müssen wir gewappnet sein. Wir brauchen jetzt eine Bündelung der Markt- und Strukturmaßnahmen. Wir wollen als Bindeglied hierfür produktionsneutrale, direkte Einkommensübertragungen. Sie sollen freie Entscheidungen der Bauern und freie Entwicklungen der Betriebe möglich machen.
Das von Ihnen vorgelegte Strukturgesetz zur Hilfe für die bäuerliche Struktur hat zwar eine hohe Anforderung, wird dem aber nicht gerecht. Sie greifen zwar unsere ursprüngliche Forderung, den Kampf darum, 2 % doch direkt zu verteilen, auf — das begrüßen wir — , aber die Ausgestaltung wird den heutigen Erfordernissen und der Situation der bäuerlichen Familien und unseren Dörfern nicht gerecht. Auch wir wollen gewerbliche Betriebe mit übergroßen Tierhaltungen mit zu hohen Dungeinheiten von der Förderung ausschließen, wohlgemerkt: von der Förderung. Wir wollen keine Entwicklung behindern, die über unsere Förderungsgrenzen hinausgeht. Wir wollen diese Betriebe nicht zusätzlich fördern, das ist das Thema.
Die artgerechte Tierhaltung wollen wir in unseren landwirtschaftlichen Betrieben belassen. Wir wollen auch nicht zulassen, daß Betriebe gefördert werden, deren Dungeinheiten so hoch sind, daß ordnungsgemäße Landbewirtschaftung nicht mehr möglich ist. Gewässer- und Bodenschutz spielen eine wichtige Rolle. Wir sind für niedrigere Bestandsobergrenzen. Beispielsweise sollen Betriebe, Herr Susset, mit 120 Milchkühen gefördert werden. Wie sollen wir denn einem Landwirt mit einer geringen oder mit gar keiner Milchquote klarmachen, daß ein Betrieb mit einer garantierten Milchabnahme von 600 0001 und mehr zusätzlich bares Geld bekommt? Das trägt zum Frieden in unseren Dörfern nicht bei.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113116900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bredehorn?

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113117000
Bitte sehr.

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1113117100
Herr Kollege Oostergetelo, Sie halten die genannten Obergrenzen doch für zu hoch. Wie erklären Sie sich denn die Stellungnahme des Landwirtschaftsministers von Schleswig-Holstein, von Herrn Wiesen, bekanntlich Ihrer Partei zugehörig, der sagt, daß so enge Obergrenzen große Gefahren für die leistungsfähigen, zukunftsträchtigen bäuerlichen Betriebe in seinem Lande Schleswig-Holstein bringen?

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113117200
Herr Kollege, ich habe am Anfang nicht umsonst dem Bundesminister gratuliert, weil ich weiß, daß in der Regierungskoalition mehr Leute als bei uns damit beschäftigt sind, das Strukturgesetz kaputtzumachen. — Das ist meine erste Feststellung. — Vielleicht erinnern Sie sich, wen ich damit alles meine, Herr Kollege.
Meine zweite Feststellung ist: Wenn das Land Schleswig-Holstein das umrechnet, dann ist es richtig, daß 20 Millionen Miese dabei herauskommen. Das ist richtig. Genauso richtig ist aber, daß, wenn wir das nicht hinbekommen, das Land Schleswig-Holstein über 100 Millionen DM verliert und nicht die 85 Millionen DM bekommt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113117300
Herr Abgeordneter, Herr Carstensen äußert den Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113117400
Wenn Sie mir die Zeit nicht anrechnen, Herr Präsident, bitte sehr.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113117500
Bei einer so langen Redezeit muß ich das eigentlich schon tun, sonst kommen wir heute abend nicht zum Ende.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113117600
Wenn Sie sie nicht anrechnen, bitte sehr.

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1113117700
Ich habe auch nur eine ganz kurze Frage.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113117800
Also bitte.

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1113117900
Herr Kollege Oostergetelo, können Sie dann, wenn Sie sagen, daß bei dem Vorschlag des Ministers Kiechle 20 Millionen DM weniger nach Schleswig-Holstein gehen, bitte einmal sagen, wieviel nach Ihrem Vorschlag weniger nach Schleswig-Holstein gehen?

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113118000
Herr Kollege, Sie dürfen hier nicht Birnen mit Äpfeln verwechseln.

(Frau Adler [SPD]: Sehr gut! — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Dieses Gesetz ist am 1. Januar ausgelaufen. Der Bundesminister hat zugestimmt, daß 2 To direkt verteilt
werden. Die produktionsgebundene Hilfe, die Sie immer noch mitrechnen, ist mit der Stimme des Bundesministers, wofür ich ihn nicht rüge, seit 1. Januar weg.
Schaffen wir das jetzt, dann bekommen Sie 85 Millionen DM für Ihre Betriebe. Schaffen wir es nicht, verlieren Sie 100 Millionen DM. Das ist die Gegenrechnung.
Wir sind auch dagegen, daß bisher ausgeschlossene viehstarke Betriebe, also Massentierhaltung, durch die Hintertür zusätzlich in die Förderung einbezogen werden. Mit einem versteckten Umrechnungsschlüssel, Herr von Geldern, Sie haben das vor fünf Jahren schon einmal versucht, nämlich bei den Schweinen und beim Geflügel. Sie haben das hier immer abgestritten. Jetzt wird das offen gemacht.
Herr Bundesminister, ich verstehe nicht, warum Sie ohne Not die bisherige Grenze von 330 Vieheinheiten für umsatzbezogenen Mehrwertsteuerausgleich bis zum Dreifachen erhöhen. Sie wollen die industrielle Geflügelwirtschaft auf 914 Vieheinheiten verdreifachen? Das ist eine Jahresproduktion von 700 000 Hähnchen. Dies ist Ihre Hilfe für bäuerliche Landwirtschaft. Das kann doch nicht wahr sein, Herr von Geldern, selbst wenn man in seinem Wahlkreis viele industrielle Betriebe hat. Das darf auch nicht wahr sein.
Wir akzeptieren den Sockelbetrag und die Höchstgrenze. Wir wollen nicht den linearen Beitrag von 90 DM. Wir wollen das bei 30 ha sockeln. Wir können dort 160 DM pro Hektar und 100 DM pro Hektar für weitere Hektar geben, wenn wir die Einkommensobergrenze festlegen. Das ist Bedingung.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wieviel gibt es dann in Schleswig-Holstein weniger?)

— Das habe ich am Anfang gesagt. — Wenn Sie mich noch einmal fragen, muß ich sagen: Es kann doch nicht wahr sein, daß ein Durchschnittsbetrieb mit 17,7 ha ganze 1 593 DM und der Betrieb ab 89 ha 8 000 DM bekommt. Das ist aber die Wahrheit.
Nun, Freunde, bleibt noch der Sachverhalt der Umweltverträglichkeit. Wir lehnen die Dungeinheitengrenze ab. Wir wollen sie niedriger. Wir wollen umweltverträgliche Landbewirtschaftung. Wir gehen über 21/2 Dungeinheiten nicht hinaus, weil wir wollen, daß nicht jedes Land eingreift und einen Sonderstatus ohne Entschädigung festsetzen kann.
Freunde, denkt einmal darüber nach, ob das nicht für die Umwelt, für unsere Kinder und für die Bauern am besten ist.
Dieser Gesetzentwurf wird der Überschrift „Hilfe für die bäuerliche Struktur" so nicht gerecht. Ich hoffe, Herr Minister, daß wir das in den Beratungen noch hinkriegen. Wir wollen daran mitarbeiten und beantragen, das Gesetz den Ausschüssen zu überweisen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Flinner [GRÜNE])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113118100
Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.

Johann Paintner (FDP):
Rede ID: ID1113118200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich weiß, daß die Agrardebatte wahrscheinlich am 27. April ist, will ich gleich zum Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft kommen.



Paintner
Schon seit Monaten bringt die Diskussion über dieses Gesetz eine gewisse Unruhe in die Dörfer. Wir Politiker haben auf den zurückliegenden zahlreichen Winterveranstaltungen der Bauernverbände und in Gesprächen in kleineren Runden einen guten Einblick erhalten, wie umstritten ein solches Gesetz ist. Schon das Wort „Förderung" weckt bei den Betroffenen hohe Erwartungen. Schließlich steht der EG-Binnenmarkt vor der Tür, und die deutschen Landwirte müssen ab 1992 mehr denn je einem härteren Wettbewerb gewachsen sein. Das ist für die FDP ein Hauptkriterium, um ein Gesetz zu beurteilen, das zukunftsweisend sein will und sein muß.
Es scheint freilich so zu sein, als ob der große Wurf — so die Bezeichnung von dem Bauernpräsidenten Heereman — nicht so recht gelingen wolle. Denn alle Probleme, die draußen am Ort diskutiert werden und auf die ich gleich im einzelnen näher eingehe, überlagern den positiven Kern des Gesetzes, nämlich die finanzielle Hilfe in Höhe von 1,1 Milliarden DM, die die Bundesregierung den Bauern zukommen läßt. Das ist das Wichtigste. Es kommt darauf an, daß die Bauern dieses Geld möglichst schnell erhalten. Denn die 2 % stehen ihnen auf Grund der mißlichen Entwicklung im Währungsbereich zu. Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist die Rechtsgrundlage für die Verteilung.
Die Bundesregierung hat gleichzeitig die Gelegenheit beim Schopf gepackt, um erstens einen Teil der Koalitionsvereinbarungen einzulösen und zweitens die schon sehr weit gediehenen Vorstellungen einiger Länder, etwa Niedersachsens und Bayerns, über einen gesetzlichen Rahmen für eine bestimmte Agrarstruktur zu konkretisieren. Ich persönlich bin — ich sage das ganz ehrlich — froh, daß aus den damaligen Vorstellungen dieser Länder nichts geworden ist. Wenn wir nämlich anfangen, leistungsfähige Betriebe nur deshalb mit Strafabgaben zu belegen, weil sie in das agrarstrukturelle kleine Strickmuster einiger Länder nicht hineinpassen, wenn wir auf jedem Hof einen Kontrolleur wollen, wenn wir darauf verzichten, der historischen Entwicklung flächenstarker Betriebe in Norddeutschland genauso Rechnung zu tragen wie den kleineren Milchviehgehöften z. B. im Allgäu, werden wir es nicht schaffen, uns vernünftig auf den EG-Binnenmarkt vorzubereiten. Wir müssen aufpassen, daß wir mit dem jetzigen Strukturgesetz nicht in dieses Fahrwasser gelangen.
Vor diesem Hintergrund fällt es der FDP schwer, den vorliegenden Entwurf vorbehaltlos zu übernehmen.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: So geht es auch mir!)

Aus unserer Sicht sind noch erhebliche Verbesserungen notwendig.
Erstens. Wir werden dem Gesetzentwurf nur zustimmen, wenn gleichzeitig die Viehzuschläge zum Einheitswert halbiert werden,

(Susset [CDU/CSU]: Wir auch! Das ist ja bekannt!)

damit unsere bäuerlichen Veredelungsbetriebe z. B. bei den Grundsteuern entlastet werden.
Zweitens. Bei den Förderausschlußgrenzen muß an die 1985 festgelegten umsatzsteuerlich relevanten 330 Vieheinheiten angeknüpft werden.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Dies ist für die Liberalen ein Gebot des Vertrauensschutzes. Dort, wo die Verzerrung des Vieheinheitenschlüssels eine Rolle spielt, können die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Bestandsobergrenzen übernommen werden. Wir können die Landwirte nicht alle paar Jahre mit neuen Bestandsgrößen und Umrechnungsschlüsseln irritieren.

(Oostergetelo [SPD]: Sehr gut!)

Diejenigen Betriebe, die ihre Viehhaltung oder Teile davon gewerblich betreiben, dürfen dann nicht vom Flächenausgleich ausgeschlossen werden, wenn ihre Bestandsgrößen unterhalb der Förderausschlußgrenzen liegen; denn auch hier handelt es sich um bäuerliche Betriebe.
Drittens. Die veralteten Vorstellungen des Begriffs Hofstelle teilen wir nicht. Sie implizieren zu viele Sonderregelungen. Hier muß noch einmal über eine Formulierung oder, besser noch, Streichung nachgedacht werden.
Viertens. Hauptkritikpunkt ist die vorgesehene Änderung des Düngemittelgesetzes. Falls wirklich der Düngereinsatz in einem nationalen Alleingang regelungsbedürftig erscheint, so muß dieses bundeseinheitlich erfolgen und darf nicht den Ländern überlassen bleiben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113118300
Es handelt sich dabei um eine Gratwanderung zwischen Schutz bäuerlicher Betriebe und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.
Die FDP will mit den oben genannten Verbesserungen dafür sorgen, daß wir bei dieser Gratwanderung nicht abstürzen, sondern auf einen guten Weg kommen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113118400
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Flinner.

Dora Flinner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1113118500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Beste an dem von der Regierung eingebrachten Gesetzentwurf ist die Überschrift: „Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft". Doch leider stimmt sie nicht; denn in Wirklichkeit führt das Gesetz eine Agrarpolitik weiter, die gerade die bäuerliche Landwirtschaft zerstört. Jedes Jahr belastet das Gesetz den Bund mit 715 Millionen DM und die Länder mit 385 Millionen DM, also die Steuerzahler mit über 1 Milliarde DM. Die Steuerzahler meinen natürlich, mit diesem Geld aus ihren Taschen würden Bäuerinnen und Bauern ohne Gegenleistung beschenkt. Aber wie sieht es tatsächlich aus? Die wirklich bäuerlich geführten Höfe, die kleinen und mittleren Betriebe erhalten nur wenig. Den



Frau Flinner
Höchstsatz bekommen dagegen Großbetriebe ab 89 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Das ist ein Ausgleich für den entfallenen Grenzausgleich! Sie haben das Prinzip überhaupt nicht kapiert!)

Die haben diese Förderung aber doch wirklich am wenigsten nötig. Darüber sind wir uns doch alle einig.
Man muß deshalb den Eindruck haben, daß die Regierung mit dem Gesetz das Wachsen-oder-Weichen, den Konzentrationsprozeß, nur weiter beschleunigen will.

(Zuruf von der CDU/CSU: Umgekehrt!)

Die Regierung setzt hiermit ihre schon immer falsche Agrarpolitik fort, die schon so viele Bauern und Bäuerinnen in den Ruin getrieben und so viele landwirtschaftliche Arbeitsplätze vernichtet hat.
Diese Agrarpolitik wollen wir nicht. Wir wollen, daß wieder möglichst viele Menschen in der Landwirtschaft sinnvolle, selbstbestimmte Arbeitsplätze haben. Deshalb können wir diesem Strukturgesetz keinesfalls zustimmen.
Es gibt für unsere Ablehnung aber noch andere Gründe. Die zugelassenen drei Dungeinheiten pro Hektar sind viel zu hoch. Zu den damit erreichten 240 Kilo Stickstoff aus dem Wirtschaftsdünger kommen noch 70 Kilo Stickstoff aus der Luft.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Und 110 von der Leguminosenbrache!)

Eine so hohe Gesamtstickstoffbelastung des Bodens ist schon jetzt zu hoch und auf Dauer unverantwortlich. Das gleiche gilt für die Förderhöchstgrenzen der Tierbestände. Sie sind viel zu hoch angesetzt. Was ist bei einem Bestand von 120 Milchkühen, von 400 Mastrindern, von 1 700 Mastschweinen oder 100 000 Masthähnchen noch bäuerlich? Im Gegenteil, hier werden agrarindustrielle Maßstäbe festgelegt, mit dem gut klingenden Etikett „bäuerlich" versehen. So wundert es auch keinen, daß diese sogenannten Einschränkungen nur von weniger als einem halben Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe überschritten werden, wie Herr Kiechle vor kurzem zugegeben hat. Das heißt im Klartext: keine Einschränkungen, sondern ein weiterer Entwicklungsrahmen für die Förderung landwirtschaftlicher Großproduktion. Entsprechend gibt Herr Kiechle im selben Interview zu:
Die Signale, die wir hier setzen, bedeuten nicht, daß sich unter diesen Obergrenzen etwa niemand mehr entwickeln kann.
Weiter sagt er wörtlich:
Die Strukturgrenze ist hier praktisch nicht gegeben.
Damit wissen wir, meine Damen und Herren, was wir von diesem Etikettenschwindel halten müssen. Es geht eben nicht darum, umweltschonende Produktionsweisen zu fördern, wie Sie, Herr Kiechle, sagen, es geht nicht darum, der Massentierhaltung entgegenzuwirken, und es geht Ihnen schon gar nicht darum, die bäuerlichen Familienbetriebe zu stärken. Im Gegenteil, Sie wollen gezielt die Großbetriebe stärken. Sie wollen eine landwirtschaftliche Intensivproduktion fördern, die die aktuelle Boden- und Wasserbelastung verursacht hat. Dadurch sind doch so viele Brunnen und Wasserwerke von der Schließung bedroht. Fragen Sie einmal die Bauern, die kein Trinkwasser mehr aus ihren Hausbrunnen holen dürfen, nachdem sie jahrelang nach sogenannter guter fachlicher Beratung unter Ihren agrarpolitischen Bedingungen wirtschaften mußten! Ihre Phantasieobergrenzen laden doch geradezu zur Ausweitung der Tierbestände ein.
Das gleiche gilt für die drei Dungeinheiten. Wirklich erreicht werden sie zum jetzigen Zeitpunkt doch nur in den Intensivstandorten, im sogenannten Schweinegürtel. Fahren Sie einmal dorthin, und schnuppern Sie einmal die güllehaltige Luft, und sehen Sie sich dort einmal den Boden an, der mit der Überdüngung nicht fertig wird! Es ist für jeden verantwortungsvollen Bauern ein Hohn, daß Sie so etwas „bäuerliche Landwirtschaft" nennen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie brauchen dieses Etikett, damit Ihnen die Öffentlichkeit diesen Unsinn abkauft und damit die Herrschaften von der Koalition mit beruhigtem Gewissen zustimmen.
Herrn Töpfer rate ich dringend, seinem Kollegen Kiechle einmal auf die Finger zu gucken, was er in dem Entwurf zusammengeschrieben hat, und zu prüfen, welche negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind. Ich möchte da an die Debatte von heute morgen über die Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre erinnern, in der es auch um Stickstoffbelastung, Regenwald und all die Punkte ging, die mit der Massentierhaltung zusammenhängen.
Das agrarpolitische Konzept der GRÜNEN sieht dagegen eine Förderung der bäuerlich-ökologischen und umweltgerechten Landwirtschaft vor. Wir fordern artgerechte Tierhaltung mit absoluten und flächengebundenen Obergrenzen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das hat doch mit den 120 nichts zu tun!)

Wir fordern die Rückführung der Pflanzenschutzmittel und Düngemittel, um die Umweltverschmutzung, die von der Agrarproduktion herkommt, an der Quelle zu stoppen. Wir fordern ebenfalls eine gerechte Entlohnung der Bäuerinnen und Bauern nach dem Wert ihrer Arbeit. Wir wollen insbesondere eine Agrarpolitik, die den falschen Weg der Ausbeutung von Boden, Tieren und Pflanzen zur Erzielung kurzfristiger Profite verläßt und es den Bäuerinnen und Bauern wieder ermöglicht, nach bäuerlichen Wertorientierungen für lebende und kommende Generationen zu sorgen. Das vorgelegte Strukturgesetz ist dazu nicht geeignet.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113118600
Nun hat das Wort der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Ignaz Kiechle.

(Frau Adler [SPD]: Weiß der auch was dazu?)


Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1113118700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Oostergetelo, ich weiß ein gutes Rezept, wenn Sie das Gefühl haben, die Leistungen aus diesem Gesetz nicht in Anspruch nehmen zu sollen: Stellen Sie keinen Antrag, dann kriegen Sie nichts. Dann ist es erledigt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Oostergetelo [SPD]: Das ist Ihrer nicht würdig! — Jahn [Marburg] [SPD]: Das ist aber kein Ministerniveau!)

— Dann hätte ich an Ihrer Stelle hier nicht gesagt: Ich brauche es nicht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113118800
Herr Minister, das veranlaßt den Abgeordneten Oostergetelo zu der Frage, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1113118900
Aber selbstverständlich.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113119000
Herr Minister, nun habe ich Sie so liebenswürdig behandelt, und Sie steigen hier so ein! Dann muß doch die Gegenfrage erlaubt sein: Wollen Sie es uns denn geben, damit die bedürftigen Betriebe verlieren? Die Summe wird dadurch ja nicht größer.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1113119100
Der Zweck des Ganzen ist umgekehrt. Auch in Ihrem Betrieb geht über die Streichung von 2 % am Mehrwertsteueranteil ein Stück Einkommen verloren. Als Ausgleich sollen Sie über dieses Gesetz ein Gegenstück erhalten. Deswegen hätten Sie hier nicht unbedingt den ideologischen Einstieg „Heereman und Oostergetelo brauchen es nicht, aber eine böse Regierung offeriert es ihnen" machen müssen. Deshalb habe ich Ihnen den guten Rat gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieses Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft hat auch eine Vorgeschichte. Ich möchte kurz darauf hinweisen: Es gab einen Entschließungsantrag des Deutschen Bundestags, es gab eine Koalitionsvereinbarung zur Agrarpolitik von 1987, ein sogenanntes Strukturgesetz zu verabschieden, es gab Ländergesetzentwürfe und/oder Absichtserklärungen für ein solches Gesetz im Bundesrat, und es gibt die Notwendigkeit eines Gesetzes zur produktionsneutralen Verteilung der 2 % des bisherigen Mehrwertsteuerausgleichs. Dafür haben wir eine entsprechende Ermächtigung des Rates der EG.
Das Ziel, das die Bundesregierung mit dem Gesetz verfolgt, besteht darin, verschiedenartige Anliegen in einem Gesetz mit Förderungscharakter miteinander zu verbinden. Wir haben daher die lange Jahre diskutierte Frage von Bestandsobergrenzen bei Tierbeständen, einer Bevorzugung der flächengebundenen und damit der Bevorzugung umweltfreundlicherer Produkte mit eingebunden, auch wenn dieser erste Schritt vielen als nicht ausreichend erscheint.
An diesem Gesetz wird vielfältige Kritik geübt; ich finde, es ist häufig eine überzogene Kritik. Die einen sagen: Die Bestandsobergrenzen sind zu hoch; die anderen sagen: Sie sind zu niedrig. Wieder andere denken, die Verknüpfung mit Umweltaspekten sei unnötig oder zu schwach. Wieder andere sagen, im Gesetz befinde sich zuwenig Förderung bzw. es seien zuviele Auflagen enthalten. Zu dieser Kritik möchte ich kurz Stellung nehmen. Ich halte es dabei mit einem Wort von Goethe aus „Dichtung und Wahrheit" : Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitten.
Das Ziel des Gesetzentwurfs kann nicht sein, meine Damen und Herren, jedem einzelnen Betrieb die Existenz zu sichern. Mit dem Gesetzentwurf soll in der Agrarproduktion auch nicht alles umgekrempelt werden. Es geht vielmehr darum, Auswüchse zu unterbinden und Signale zu setzen.
Erster Kritikpunkt: Die Bestandsobergrenzen sind zu hoch. Dazu möchte ich sagen: Es handelt sich hier um Fördergrenzen, also um Prosperitätsschwellen. Es handelt sich nicht um Verbotsgrenzen. Wir kennen das auch bei anderen agrarpolitischen Maßnahmen, z. B. bei der einzelbetrieblichen Förderung oder bei der agrarsozialen Sicherung. Beim sogenannten — ich nenne es einmal so — Strukturgesetz sind natürlich auch andere Förderungsgrenzen denkbar. Ich bin mir sicher, in einer sorgfältigen Beratung in den Ausschüssen wird auch diese Frage zur Diskussion stehen. Die Förderungen — ich wiederhole: nicht Verbotsgrenzen — sollen auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe stützen und dürfen sie nicht behindern. Wettbewerbsfähigkeit heißt auch, einen Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus zu tun in jene Länder, mit denen ein Teil unserer Bauern konkurrieren muß.
Die Fördergrenzen sollen auf Produktionsweisen in bäuerlichen Betrieben zugeschnitten sein und nicht etwa auf gewerblich maximal ausgestattete Agrarf abriken, und sie sollen — Politik ist eben die Kunst des Möglichen — konsensfähig sein, Mehrheiten finden können. Wir haben dabei auf Vorschläge des Deutschen Bauernverbandes zurückgegriffen, um den Diskussionsprozeß abkürzen zu können, weil die DBVBeschlüsse einen Kompromiß zwischen wettbewerbsfähigen, leistungsfähigen Betrieben und der Begrenzung der agrarindustriellen Auswüchse darstellen.
Der zweite Kritikpunkt ist, Verknüpfung mit Umweltaspekten sei unnötig. Ich meine dazu: Agrarpolitik kann heute nicht mehr nur ein volles Ausreizen einer ökonomischen Karte sein. Umwelt- und Naturschutz sind eine zunehmend wichtigere Dimension in der Agrarpolitik. Die zentralen Ziele dabei sind Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und Gewässerschutz.
Die Forderung nach EG-einheitlichen Regeln ist zu unterstützen, aber diese Forderung enthebt uns nicht der Verantwortung für unser Land und für die Lösung unserer Probleme. Wozu eine ganz auf Ökonomie abgestellte Landwirtschaft führen kann, dafür gibt es



Bundesminister Kiechle
Beispiele. In manchen Regionen droht man bereits, unter der Last der Gülle — obwohl sie ein Betriebshilfsmittel sein soll — zu ersticken. Rechtzeitig und langfristig angelegte Agrarpolitik heißt daher, Betriebsstrukturen ermöglichen oder sichern, die wettbewerbsfähig und in der Lage sind, neue Aufgaben im Bereich Umwelt- und Naturschutz zu erfüllen. Dazu gehört unter anderem gute fachliche Praxis unserer Bauern beim Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber keine Kontrolle!)

Den Vorwurf, dies schade der Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe, kann ich nicht teilen. Obergrenzen und hektarbezogene Schwellen lassen genug Raum für einzelbetriebliche Entwicklung. Außerdem: Auch EG-weit bleibt ja nicht alles beim alten wie bisher. Ich verweise auf den Richtlinienvorschlag der EG-Kommission zum Schutz von Gewässern vor Nitratverunreinigungen. Auch in anderen Mitgliedstaaten wachsen übrigens die Forderungen nach mehr Umweltschutz. Ich erinnere nur an das jüngste Beispiel, die Ozon-Konferenz in London.
Der dritte Punkt der Kritik ist, das Gesetz biete wenig Förderung, dafür aber habe es viele Auflagen. Die Förderung bäuerlicher Betriebe besteht in der flächenbezogenen Verteilung von — weiterhin, vier Jahre lang, vorläufig genehmigt — jährlich rund 1,1 Milliarden DM. Die Förderung besteht in der vorgesehenen Halbierung der sogenannten Viehzuschläge, aus den Gesetzen des Jahres 1964 herrührend, auf dem Einheitswert liegend. Das Gesetz hat Schutzfunktion, indem Veredelungsproduktionskapazitäten besser geschützt werden zugunsten der bäuerlichen Betriebe und damit leichter in deren Hand bleiben können. Der Ausschluß übergroßer Tierhaltungen und eines zu hohen Hektarbesatzes an Tieren von einer Förderung dient diesem Schutz. Die weitergehende Verhinderung der Errichtung neuer übergroßer Tierhaltungen, indem wir durch eine Änderung der Baunutzungsverordnung diese Errichtung künftig weitgehend verhindern werden, ist ein Schutzelement, und schließlich ist es die Änderung des Düngemittelgesetzes, die nebenbei dazu dienen soll und wird, Abwehr öffentlicher Kritik an der Landwirtschaft in diesem Bereich leichter zu machen.
Was nun Auflagen anbetrifft, gerade wenn es, meine Damen und Herren, um Umwelt- und Naturschutz geht, müssen wir rechtzeitig in Fachgesetzen selbst aktiv werden, bevor Überzogenes von anderer Seite vorgeschrieben wird.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Ich fasse zusammen: Das Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft hat vier Prinzipien, und diesen mußten wir in dem Entwurf in etwa gerecht werden: erstens der Förderungsbedarf — hier geht es um die Frage: Wer braucht was und wieviel? —, zweitens eine umweltschonende Produktionsweise — die Frage heißt: Was ist ökologisch notwendig oder erforderlich? —, drittens die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe — die Frage lautet hier: Was ist ökonomisch vertretbar und notwendig? — , und schließlich viertens eine möglichst gerechte Lösung, d. h. Ausgewogenheit zwischen diesen Dingen und den unterschiedlichen Interessen — hier lautet die Frage in der Demokratie: Was ist durchsetzbar?

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Zwischen diesen vier Prinzipien haben wir den Kompromiß gesucht. Es war ein schwieriger Balanceakt wie beim Akrobaten auf dem Seil; nur Bodenturnen hilft da nichts. Die Politik muß aber mehr sein als die Summe der Einwände von Bedenkenträgern. Ich bitte Sie daher, meine sehr verehrten Abgeordneten, um Ihre Unterstützung bei der Beratung und um eine rechtzeitige Verabschiedung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113119200
Nun hat erneut der Abgeordnete Oostergetelo das Wort.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ihr seid ja arm!)


Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113119300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nach dieser Diskussion ein ernstes Wort sagen: Wir alle sind doch angetreten, um Politik für alle Menschen im ländlichen Raum zu machen. Ich würde das auch niemandem abstreiten wollen. In der Agrarpolitik sind wir doch an einem Punkt angekommen, an dem unsere Gesellschaft sagen muß und an dem wir entscheiden müssen, was wir in bezug auf den ländlichen Raum, auf seine Menschen und auf seine Struktur eigentlich wollen. Wir dürfen die Entwicklung nicht mehr laufen lassen.
Grob gesagt gibt es doch nur zwei Linien. Die eine Linie ist: da gibt es bestimmte Leute, die das vertreten; Herr Eigen ist nicht hier — die versucht, Wachsen und Weichen auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Bei denen geht die betriebswirtschaftliche Rechnung über alles.

(Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist unerhört, daß Sie das jetzt sagen, wo er nicht hier ist! Das ist doch nicht wahr!)

Das ist nackte Ökonomie. Ich weiß, wer die Gesetze kaputtmachen will.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war Ihre Regierung!)

— Das mag Sie ja aufregen. Wir sind ja bereit, in den Versammlungen mit Ihnen darüber zu streiten, ob diese Politik wirklich das trifft, was Sie mit der Überschrift „Hilfe für bäuerliche Struktur" vorgeben. Es darf doch nicht darum gehen — —

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ich finde das unerhört, daß das an Karl Eigen aufgehängt wird! — Kroll-Schlüter [CDU/ CSU]: Es ist unfair, den Karl Eigen zu nennen, wo Sie es waren, die die Kriterien vertreten haben!)

— Es ist gut, ich nehme das mit Karl Eigen zurück.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da bitte ich aber ernstlich darum!)

Dann sage ich Ihnen, es gibt Bereiche im Bauernverband — und dazu gehört sogar die Spitze —, die sagen: Wir gehören gar nicht dazu, wir sind noch drüber
— so ist hier behauptet worden — , es ist noch viel



Oostergetelo
schlimmer. Das kann ich Ihnen auch sagen. Es gibt die eine Seite, die sagt: Ökonomie ist alles. Das ist nackte Betriebswirtschaft. Es darf nicht dazu kommen, daß nur wenige Betriebe übrigbleiben, die die gesamte Produktion in ihrer Hand halten. Es geht nicht nur um betriebswirtschaftliche Optimierung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch ein Horrorgemälde, das Sie da an die Wand malen!)

Verödet der ländliche Raum, so geht doch ein Stück Kultur verloren. Die Achtung vor der Schöpfung und die Fragen der Ökologie sind eng mit der bäuerlichen Struktur verbunden; ich wiederhole: mit der Lebensform bäuerlicher Struktur, nicht mit der industriellen Landwirtschaft, bei der nur betriebswirtschaftlich gerechnet,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Was ist denn das? Was ist denn das für eine bäuerliche Struktur?)

aber die Gesamtsicht für das Wohl unserer Gesellschaft und unserer Umwelt aus den Augen verloren wird.
Wir Sozialdemokraten wollen weder eine Landwirtschaft amerikanischer noch eine Landwirtschaft australischer Prägung noch eine Landwirtschaft wie in den Staatshandelsländern. Wir wollen neben betriebswirtschaftlicher Rechnung, die auch sein muß, die volkswirtschaftliche Gegenrechnung, die die externen Effekte berücksichtigt. Eine Konzentration z. B. wie in der Geflügelhaltung auf wenige Betriebe mag sich betriebswirtschaftlich rechnen, aber volkswirtschaftlich stimmt sie nicht, und gesamtgesellschaftlich hat sie katastrophale Folgen.
Wir wollen eine Landwirtschaft, die von der Gesamtsicht der Wirtschaft und Gesellschaft ausgeht. Wir sind bereit, uns das auch etwas kosten zu lassen. Nur eine ausreichende Zahl landwirtschaftlicher Betriebe in Voll- und Nebenerwerb ist in der Lage, die Sozialfunktion des ländlichen Raumes zu erhalten. Die Infrastrukturverbesserung, das Angebot an Arbeitsplätzen und die Erhaltung möglichst vieler Betriebe in Voll- und Nebenerwerb gehören zusammen als Politik für den ländlichen Raum. Die Ernährung der Bevölkerung auch in Krisenzeiten ist nur durch eine dezentrale, umweltgerechte, bodengebundene Produktion zu bewältigen.
Wir wollen, meine Damen und Herren, die Förderung der Massentierhaltung verhindern.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die Förderung der Massentierhaltung durch die Hintertür, wie sie jetzt im Entwurf steht, ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist ein Betrug an der bäuerlichen Struktur, wenn man nicht einmal bereit ist, zusätzlich eine Einkommensgrenze einzutragen. Die 1,1 Milliarden DM werden nicht aufgestockt, man nimmt es den bedürftigen Bauern weg. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

Die Gratwanderung zwischen der Notwendigkeit, leistungsfähige Betriebe zu haben, und dem Wunsch, industrielle Auswüchse zu verhindern, ist von Ihnen doch beantwortet worden. Wir hatten uns auf 330 Großvieheinheiten geeinigt. Was bringt Sie jetzt dazu, vorzuschlagen, bei 3 % 330 und bei 2 To über 900 Großvieheinheiten zuzulassen? Das kann doch nicht wahr sein, Freunde. Ich will hier sagen: Ich freue mich über das, was Herr Paintner gesagt hat. Wir dürfen es nicht zulassen, daß in dieser Lage das Tor aufgemacht wird, um die industrielle Produktion versteckt zu fördern.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113119400
Herr Abgeordneter Oostergetelo, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Michels?

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113119500
Bitte sehr.

Meinolf Michels (CDU):
Rede ID: ID1113119600
Herr Kollege Oostergetelo, sind Sie bereit zuzugeben, daß diese Bundesregierung die erste Bundesregierung ist, die gezielt kleineren einkommensschwachen landwirtschaftlichen Betrieben Sonderleistungen gewährt hat?

(Frau Adler [SPD]: Als Almosen! — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist doch unerhört! — Frau Adler [SPD]: Das müssen gerade Sie sagen!)


Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113119700
Herr Kollege, es wäre mir lieb, wenn Sie dazu sagen, wodurch. Wer die umsatzbezogene Hilfe oder die flächenbezogene Hilfe bekommt und keinen einzigen Liter Milch hat, ein Kleinbetrieb ist und keine Überschüsse gemacht hat, der soll sich sagen lassen, er bekomme eine Hilfe. Wenn ein Betrieb 11,1 Hektar groß ist, bekommt er ganze 1 000 DM. Wenn er 89 Hektar groß ist, bekommt er 8 000 DM. Wo ist denn die Hilfe, die Sie vorzugeben meinen?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das ist doch nicht wahr. Freunde, das hat mit Neid nichts zu tun.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Doch! — Frau Adler [SPD]: Das tut weh!)

— Nein. Ich weiß ja, daß Sie, wenn es um die Rechnungen geht, wankeln müssen.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das ist eine sozialistische Milchmädchenrechnung!)

— Wenn es Sozialismus ist, daß ich möglichst vielen Betrieben eine Chance gebe, dann bin ich ein lupenreiner Sozialist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn es kein Sozialismus ist, daß ich dafür sorge, daß ich möglichst viele herausdränge, oder nicht bereit bin, sie wenigstens bei der Einkommensübertragung angemessen zu beteiligen, dann bin ich Sozialist. Auch unser Vorschlag, herunterzugehen, zu staffeln, ist keine soziale Gerechtigkeit, sondern er beinhaltet beides: den Nachteil der flächenarmen Betriebe abzubauen und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit nicht zu behindern. Sie wissen das auch. Ich freue mich auf die Diskussion.



Oostergetelo
Herr Paintner, ich hoffe, Sie halten Wort. Dann haben wir dafür die Mehrheit.

(Beifall bei der SPD — Bredehorn [FDP]: Aber Sie haben es gar nicht verstanden!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113119800
Das Wort hat der Abgeordnete Kalb.

Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1113119900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heutzutage wird manches als große Selbstverständlichkeit hingenommen, obwohl die Dinge eigentlich nicht so selbstverständlich sind. Es war nicht selbstverständlich, in Brüssel eine Verlängerung des Ausgleichs für den Wegfall des Währungsausgleichs durchzusetzen. Es war auch nicht selbstverständlich, daß wir vom Deutschen Bundestag aus die Gelder dafür bereitstellen können. Ich möchte mich also auch ganz herzlich beim Bundesminister, beim Bundeskanzler, bei der Bundesregierung und auch bei den Kollegen bedanken, die im Parlament für Haushaltsfragen besondere Verantwortung tragen.

(Zuruf des Abg. Oostergetelo [SPD])

— Dann darf ich gleich etwas zu Ihnen sagen, Herr Kollege Oostergetelo. Wenn Sie sagen, daß hier jetzt zu wenig für die kleineren Landwirte getan würde, dann möchte ich doch in Erinnerung rufen, daß es gerade diese Bundesregierung und diese Koalition war, die die Fehlentwicklungen unter Ihrer Zeit korrigiert hat, in der nämlich die Agrarsozialpolitik abgebaut worden ist.

(Frau Adler [SPD]: Wissen Sie, was die Bauern draußen sagen?)

— Das ist doch ein Faktum.
Ich würde doch den verehrten Kolleginnen und Kollegen des Agrarausschusses empfehlen, sich insbesondere um die Agrarsozialpolitik zu kümmern und sich darüber zu informieren, denn dann könnten solche Zwischenrufe unterbleiben.

(Weitere Zurufe der Abg. Frau Adler [SPD])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113120000
Frau Abgeordnete Adler, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie zur Zeit nicht am Rednerpult stehen, sondern da unten sitzen und der Abgeordnete Kalb am Rednerpult steht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?

Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1113120100
Herr Präsident, ich habe ja nur wenige Minuten zur Verfügung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113120200
Ich rechne Ihnen das nicht an, Herr Abgeordneter Kalb. Das kann kein Hinderungsgrund sein.

Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1113120300
Bitte, Herr Kollege.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113120400
Herr Kollege, das ist sehr liebenswürdig.
Könnten Sie mir einmal eine Zahl nennen, die besagt, daß die kleinen Existenzen, denen es auch früher dreckig ging — das ist wahr —, in unserer Regierungszeit weniger Einkommen hatten als heute? Könnten Sie mir einmal die Gesamtsicht mitteilen?

Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1113120500
Herr Kollege Oostergetelo, Sie hatten das ganz große Glück, daß zu Ihrer Regierungszeit zumindest in den ersten Jahren die Märkte noch unter Unterversorgung litten, während wir jetzt eine Überversorgung haben. Da liegt das Dilemma in der Agrarpolitik ganz wesentlich begründet.
Zum anderen sollten Sie doch bitte folgendes zur Kenntnis nehmen: Ich habe vorhin bereits die Agrarsozialpolitik genannt, wo wir wieder die Leistungen insbesondere zur Entlastung der kleineren Betriebe erhöht haben. Sie kennen das ganz genau. Weiter haben wir dafür gesorgt, daß heute 50 % der bundesdeutschen Fläche bereits mit Ausgleichszahlungen bedacht wird, so daß dort auch die landeskulturellen Leistungen in den von Natur aus benachteiligten Gebieten zumindest teilweise entlohnt werden. Das trifft im wesentlichen die vielen kleineren Betriebe.

(Oostergetelo [SPD]: Also stimmt es doch! Wir haben also nur Glück gehabt!)

Natürlich gibt es die Probleme, daß überall dort, wo produktbezogen und wo umsatzbezogen Preise gestützt und gefördert werden, Verzerrungen auftreten. Genau dieses Gesetz ist aber wiederum ein Schritt in die Richtung, von den produktbezogenen Hilfen stärker wegzukommen. Das ist halt so, wenn Sie auch den Kopf schütteln.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Große wieder mehr zu fördern als die Kleinen!)

Ich möchte jetzt zu den Kernpunkten dieses Gesetzes zurückkommen, und zwar neben der Ausgleichszahlung, die bereits eingehend erwähnt worden ist, zu der Frage der Bestandsobergrenzen, der Flächenbindungen. Ich sage aus meiner Sicht: So wie andere Kollegen Probleme haben, weil ihnen die Bestandsobergrenzen zu niedrig erscheinen, so gibt es natürlich auch Kollegen innerhalb der Koalition, die Probleme haben, weil ihnen die Bestandsobergrenzen bereits zu hoch erscheinen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will ganz offen sagen: Was hier vorgelegt worden ist, ist ein Kompromiß. Wir müssen uns auf das weitere Vorgehen einigen. Wir können im Bundestag keine Agrarpolitik machen, die nur die Interessen eines Bundeslandes berücksichtigt, sondern wir müssen die gesamte Palette sehen.
Im übrigen haben wir halt darunter zu leiden, daß die Strukturunterschiede in der Bundesrepublik sehr groß sind. Ich habe den Eindruck, die Interessenunterschiede in der deutschen Landwirtschaft sind noch größer als die Strukturunterschiede.

(Beifall bei der CDU/CSU und den GRÜNEN)

Ich verstehe auch nicht — ich sage das ganz offen —, daß von bestimmter Seite jetzt gegen die vorgelegten Vorschläge zur Bestandsobergrenze so massiv angegangen wird,

(Oostergetelo [SPD]: Richtig!)




Kalb
denn letztlich gab es breite Diskussionen innerhalb des Berufsstandes, massive Forderungen, daß wir diese Bestandsobergrenzen einführen. Wir haben zum Teil auch davor gewarnt, daß die Flächenbindung eingeführt wird. Ich möchte das der Korrektheit halber erwähnen. Ich meine, wir müssen hier auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Ich erinnere daran, daß beispielsweise in Bayern vom dortigen Bauernverband einmal eine Obergrenze von 60 Milchkühen und 1 000 Mastschweineplätzen vorgeschlagen wurde. Jetzt sind wir bei einer Obergrenze von 120 Milchkühen und von 1 700 Mastschweineplätzen.
Also, ich denke, daß wir den Kompromiß, den wir alle miteinander noch mittragen können, im wesentlichen erreicht haben. Wir müssen auch den Mut haben, den Bauern, wenn sie bestimmte Grenzen überschritten haben, zu sagen, daß sie dann nicht mehr die letzte Mark Förderung in Anspruch zu nehmen brauchen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber es ist doch noch erlaubt, auch bei uns eine andere Meinung zu haben?!)

Es handelt sich — lassen Sie mich auch das ganz offen sagen — derzeit um ganze 143 Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland, die mehr als 120 Milchkühe halten, und um ganze 99 Betriebe, die mehr als 1 700 Mastschweineplätze haben. Wenn wir angesichts dessen nicht mehr fähig sind, eine vernünftige Politik zu machen, dann wäre das wirklich schlimm.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich erspare es mir, hierzu weitere Ausführungen zu machen.
Ich bin aber auch der Meinung, wie vorhin schon erwähnt, daß es bei der Agrarpolitik nicht nur darum geht, nur den Bauern — auch wenn das falsch verstanden werden könnte, was ich jetzt sage — zu helfen. Vielmehr gibt es ein viel weitergestecktes Ziel und eine weitergesteckte Aufgabe: Wir müssen die Funktionsfähigkeit des ländlichen Raumes erhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Flinner [GRÜNE] : Aber mit dem Gesetz nicht! — Oostergetelo [SPD]: Und deshalb die Obergrenzen verdreifachen!)

Es gibt hier sehr, sehr vielfältige Aufgaben. Die Notwendigkeit der Erhaltung dieser Funktionsfähigkeit ist sehr groß, weil unsere gesamte Gesellschaft darauf dringend angewiesen ist. Wir sind ein sehr dichtbesiedeltes Land, wir sind ein Land mit hohem Wohlstand. Das Bedürfnis, eine intakte Landschaft vorzufinden, ist sehr, sehr groß. Ich meine, wir haben hier auch besonders eine gesellschaftspolitische Aufgabe.
Im übrigen bin ich der Meinung: Wir werden es gar nicht schaffen, die agrarpolitischen Probleme zu lösen, wenn wir uns nicht einmal ernsthaft die Frage vorlegen: Welche Aufgaben hat die Landwirtschaft in einer modernen Gesellschaft zu erfüllen? Hat sie nur die Aufgabe der Nahrungsmittelproduktion, die zweifellos nach wie vor eine sehr wichtige Aufgabe sein wird — es ist vorhin das Notwendige dazu gesagt worden —, oder müssen nicht auch andere Aufgaben hinzutreten,

(Frau Flinner [GRÜNE]: Erhaltung der Lebensgrundlagen ist das Wichtigste!)

z. B. die Förderung der nachwachsenden Rohstoffe als Energiequellen, aber auch die Erhaltung einer Kulturlandschaft, die Erhaltung einer intakten Landschaft, die Sicherung des Grundwassers usw. All diese Dinge müssen mit berücksichtigt werden.
Wenn wir diese Frage aber neu definieren, dann müssen neben dem Lohn für Produkte auch Entschädigungen für andere Leistungen erbracht werden.

(Frau Adler [SPD]: Ja, das stimmt!) Damit bin ich leider bereits am Ende.


(Zuruf von der SPD: Ja, leider!)

Ich bedanke mich.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113120600
Meine Damen und Herren, ich kann die Aussprache schließen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft auf Drucksache 11/4087 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. Zusätzliche Vorschläge werden auch nicht gemacht? — Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 11 auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Tierschutzbericht 1989
Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes
— Drucksache 11/3846 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Adler, Dr. Hartenstein, Kißlinger, Koltzsch, Müller (Schweinfurt), Oostergetelo, Opel, Pfuhl, Sielaff, Weyel, Wimmer (Neuötting), Wittich, Blunck, Kiehm, Lennartz, Schütz, Dr. Wernitz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Mißbrauchs von Hormonen in der Tiermast
— Drucksache 11/3102 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Adler, Dr. Hartenstein, Ibrügger, Kißlinger, Koltzsch, Müller (Schweinfurt), Oostergetelo, Dr. Osswald, Pfuhl, Schmidt (Nürnberg), Sielaff, Wei-



Vizepräsident Cronenberg
ler, Weyel, Wimmer (Neuötting), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Artgerechte und umweltverträgliche Nutztierhaltung
— Drucksache 11/3891 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Zum Tierschutzbericht liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/4132, 11/4145 und 11/4146 vor.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes zwei Stunden zu veranschlagen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Herr Bundesminister, Sie haben das Wort.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1113120700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Bundesrepublik Deutschland hat das Interesse an Tierschutzfragen stetig zugenommen. Das ist sicherlich auf eine höhere Sensibilität, aber auch auf den zunehmenden Wohlstand zurückzuführen. Er erlaubt es uns nämlich, unser bisheriges Verhältnis zum Tier zu überdenken und sicherlich von manchen Seiten auch sehr kritisch zu überdenken.
Unsere Beziehungen zur Tierwelt sind ja sehr vielfältig.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Und sehr gestört!)

Tiere dienen uns als Nahrung, zur Ausübung bestimmter Sportarten, zur Unterhaltung; sie leisten uns Gesellschaft; sie sind häufig Ersatz für fehlende zwischenmenschliche Beziehungen.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Und sie werden rechtlich als Sache behandelt!)

Sie sind sogar unsere Stellvertreter, wenn es darum geht, die Wirkung von Arzneimitteln zu erproben oder das Risiko umweltproblematischer Substanzen einzuschätzen. Um so wichtiger ist die Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf in der Natur.
Entsprechend dem 1986 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Tierschutzgesetz ist alle zwei Jahre dem Parlament ein Tierschutzbericht vorzulegen. Das Bundeskabinett hat am 10. Januar dieses Jahres den ersten Tierschutzbericht gebilligt. An seiner Vorbereitung waren fast alle Ressorts der Bundesregierung beteiligt.
Inhaltlicher Schwerpunkt des ersten Tierschutzberichts ist eine Darstellung der nationalen sowie der internationalen und supranationalen Rechtsetzungsvorhaben, an denen die Bundesregierung beteiligt war.
Die vergangenen Jahre sind — das weist der Bericht aus — durch umfangreiche Prüfungs- und intensive Rechtsetzungsarbeit gekennzeichnet gewesen. Neben einer umfangreichen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes und Verordnungen zu Tierversuchen sind insbesondere die schon seit 15 Jahren überfälligen Verordnungen zum Schutz von Legehennen und Schweinen ergangen. Auch der Verordnung zum Schutz von Kälbern hat der Bundesrat inzwischen zugestimmt. Trotz heftiger Kontroversen und auch gravierender Meinungsunterschiede ist es gelungen, für diese Vorhaben politische Mehrheiten zu gewinnen. Manche halten die getroffenen Regelungen für unzureichend. Ich möchte aber daran erinnern, daß die Bundesregierung bei den genannten Tierschutzverordnungen über das hinausgeht, was in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft, sei es nun mit oder ohne EG-Regelung, als Mindestanforderung gilt.
Unser Dilemma ist: Wir befinden uns in einem ständigen Prozeß der Auseinandersetzung zwischen ethischen Anforderungen und praktischen Sachzwängen.

(Sielaff [SPD]: Das kann man wohl sagen!)

Dieser Konflikt ist nicht endgültig lösbar, Herr Kollege. Er zwingt uns vielmehr zu immer wieder neuen Entscheidungen.
Die Bundesregierung stellt sich dieser Herausforderung. Mit der Novellierung des Tierschutzgesetzes ist ein bedeutsamer Schritt zu einer weiteren Verbesserung des Tierschutzes getan worden. Wir haben uns bemüht, dem Schutz der Tiere auch bei den noch unerläßlichen Tierversuchen besser gerecht zu werden, ohne wichtige Belange des Menschen zu vernachlässigen. Immerhin geht nach unserer Grundauffassung der Schutz des Menschen noch vor dem Schutz des Tieres.
Die gesetzlichen Bestimmungen über Tierversuche wurden wesentlich verschärft. Nach meinen Informationen haben sich die Bestimmungen des novellierten Tierschutzgesetzes durchaus bewährt. Zwar gibt es hier und da Beschwerden im Bereich der Tierversuche, etwa über zu lange Bearbeitungszeiten, über mangelndes Fingerspitzengefühl der zuständigen Behörden oder über zu seltene Erfolgserlebnisse der Kommissionsmitglieder, die bei der Genehmigung von Tierversuchen beratend tätig sind. Ich hoffe, niemand war so optimistisch, zu erwarten, daß schon nach zwei Jahren alle Probleme gelöst seien. Dieser erste Tierschutzbericht enthält noch keine umf assen-den Angaben über den Vollzug des novellierten Tierschutzgesetzes, insbesondere noch wenig offizielle Zahlen über die verwendeten Versuchstiere.
Aus verschiedenen Gründen war es nicht möglich, die hierfür erforderliche Rechtsverordnung zeitgleich mit dem novellierten Tierschutzgesetz, d. h. schon zum 1. Januar 1987, in Kraft zu setzen. Der nächste Tierschutzbericht wird jedoch die entsprechenden Zahlen für das Jahr 1989 enthalten.
Schon jetzt zeichnet sich aber ab, daß die Zahl der Anträge und der in Versuchsvorhaben verwendeten Tiere inzwischen niedriger ist als vor Inkrafttreten des novellierten Tierschutzgesetzes, und dies trotz höhe-



Bundesminister Kiechle
rer gesetzlicher Prüfungsanforderungen beim Einsatz von Chemikalien und im Umweltschutz; auch daran muß man nämlich denken.
Meine Mitarbeiter und auch die beteiligten Ressorts haben sich größte Mühe gegeben, um der Aufforderung des Deutschen Bundestages zu entsprechen, einen Gesetzentwurf über die Errichtung einer zentralen Datenbank für die Sammlung von Daten über Tierversuche vorzulegen.

(Zuruf von der SPD: Aber?)

Von einer Tierversuchsdatenbank erhofften wir uns, die Daten über Tierversuche, die den zuständigen Behörden aus Genehmigungs- und Anzeigeverfahren nach dem Tierschutzgesetz bekannt werden, sowie die Ergebnisse dieser Versuche zu speichern. Damit sollte zur Vermeidung unnötiger Doppel- und Wiederholungsversuche beigetragen werden. Außerdem versprachen wir uns von einer Datenbank, auch die Zahl der eingesetzten Versuchstiere nochmals erheblich verringern zu können.
Nach intensiven Gesprächen mit den beteiligten Bundesressorts und den Bundesländern müssen wir derzeit jedoch feststellen:
Erstens. Durch eine gesetzliche Regelung zur Erfassung und Weitergabe bisher unveröffentlichter Versuchsdaten dürften, gemessen an der Gesamtzahl von Tierversuchen, nur noch in äußerst geringem Umfang weitere Tierversuche eingespart werden. Auch sozialdemokratisch regierte Länder sehen das so.
Zweitens. Die für den Identitätsvergleich erforderliche, bis ins einzelne gehende Beschreibung von Versuchsvorhaben und Versuchsergebnissen würde die Forschung nach Auffassung vieler erheblich zusätzlich belasten. Sie wäre außerdem mit dem Grundrecht der Forschungsfreiheit kaum oder nur sehr schwer zu vereinbaren.
Drittens. Die Speicherung und Weitergabe von Tierversuchsdaten vor deren Veröffentlichung würde einen schwerwiegenden und angesichts der zu erwartenden geringen Zahl zusätzlich vermeidbarer Tierversuche einen unverhältnismäßigen Eingriff in Betriebsgeheimnisse bedeuten.
Viertens. Gegen eine Tierversuchsdatenbank spricht nach — ich sage das ausdrücklich — bisherigen Erkenntnissen auch der unverhältnismäßig hohe Verwaltungsaufwand.
Eine nationale Tierversuchsdatenbank brächte auch deshalb wenig, weil sie angesichts der internationalen Dimension wissenschaftlicher Arbeiten nur einen sehr schmalen Ausschnitt regeln könnte.
Wie wir trotzdem zu einer befriedigenden Regelung des Anliegens des Deutschen Bundestages kommen können, darüber möchten wir mit Ihnen, meine Damen und Herren Abgeordneten, in nächster Zeit sprechen. Eine entsprechende Bitte habe ich auch bereits an die Frau Präsidentin gerichtet.
Auch in Zukunft werde ich nichts unversucht lassen, mit Geduld und Beharrlichkeit, auch mit der nötigen Ruhe sowohl beim Europarat als auch EG-weit eine Verbesserung des Tierschutzes bei der Haltung und beim Transport landwirtschaftlicher Nutztiere
durchzusetzen. Im Hinblick auf den EG-Binnenmarkt hat die Bundesregierung größtes Interesse daran, daß Tierschutzvorschriften EG-weit beschlossen und EG-einheitlich vollzogen werden.
Auf der anderen Seite ist es eine Tatsache, daß dem Tierschutz in den einzelnen Mitgliedstaaten eine sehr unterschiedliche Bedeutung beigemessen wird. Das spiegelt sich in national unterschiedlichen Tierschutzgesetzen, aber auch in entsprechend unterschiedlicher Haltung am Ratstisch wider.
Der im EG-Ministerrat erzielbare Kompromiß bei der Festlegung von Tierschutzmindestanforderungen wird möglicherweise nicht immer unseren Vorstellungen über eine tiergerechte Haltung entsprechen. Es ist daher nicht auszuschließen, daß es auch nach 1992 EG-weit noch unterschiedliche Anforderungen an die Nutztierhaltung geben kann. Liegen die EG-Mindestanforderungen unter dem deutschen Standard, müssen wir versuchen, höhere Produktionskosten für unsere Betriebe durch die einzelbetriebliche Förderung von Tierschutzinvestitionen aufzufangen. Eine in diesem Sinn wichtige Erweiterung der Förderungsgrundsätze für die einzelbetriebliche Förderung und das Agrarkreditprogramm wurde im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" bereits beschlossen.
Die Bundesregierung ist bemüht, durch den Erlaß von Rechtsverordnungen auf der Grundlage des Tierschutzgesetzes die Haltung unserer landwirtschaftlichen Nutztiere weiter zu verbessern. Gesetze und Verordnungen allein reichen dafür jedoch nicht aus. Auch der Verbraucher sollte sich mehr als bisher für die Herkunft der von ihm erworbenen tierischen Erzeugnisse interessieren und sein Kaufverhalten entsprechend einrichten, denn letztlich bestimmt der Verbraucher durch sein Kaufverhalten sehr weitgehend mit, was sich am Markt nachhaltig durchsetzen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Dann werden Sie meinem Antrag also zustimmen?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113120800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adler.

Brigitte Adler (SPD):
Rede ID: ID1113120900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung tut sich schwer mit ihrem ersten Tierschutzbericht.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das kann man nicht sagen!)

Auf der einen Seite möchte sie sich loben, auf der anderen Seite aber steht die traurige Wirklichkeit für die Tiere. Herr Minister, es ist eine Fleißarbeit entstanden, die ein Stichwort nach dem anderen auflistet. Nur, unter dem Strich bleibt ein schales Gefühl zurück.
Die Novellierung des Tierschutzgesetzes wird von seiten der Bundesregierung als Erfolg verkauft. So heißt es in der Einleitung des Berichts:
Durch die Novellierung wurde die Grundkonzeption eines ethisch ausgerichteten Tierschutzes im
Sinne einer Mitverantwortung des Menschen für



Frau Adler
die seiner Obhut anheimgegebenen Lebewesen noch mehr in den Vordergrund gerückt.... Davon ausgehend, daß auf Tierversuche generell, insbesondere zum Schutz der menschlichen Gesundheit, auf absehbare Zeit nicht verzichtet werden kann, ist es die Zielvorstellung des Gesetzgebers, Tierversuche so weit wie möglich einzuschränken sowie Schmerzen und Leiden der Versuchstiere, wo immer es geht, zu vermindern.
„Zu vermindern" , mehr nicht? Wo bleiben — nach so viel Ethik — die Konsequenzen? So sind z. B. überflüssige Versuche weiterhin möglich. Was hat die Bundesregierung von dem in die Tat umgesetzt, was sie sich selbst vorgenommen hat? Nichts. Bis heute ist alles Stückwerk. Ihre angeblichen Erfolge bei der von Ihnen nicht nachgewiesenen Verringerung der Zahl der Tierversuche sind durch Kostendruck bei der Industrie und nicht durch zielgerichtete Politik entstanden.
Mühsam quält man sich durch den Bericht, der ein Offenbarungseid untätiger Politik ist.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)

Mit der Definition des Tierschutzes zur Abgrenzung zum Artenschutz geht es los. Dort heißt es, der Artenschutz als Teilbereich des Naturschutzes umfasse den Schutz der Entwicklungsformen, der Lebensstätten, der Lebensräume und Lebensgemeinschaften. Aber es heißt dort auch: „Der Artenschutz ist nicht Gegenstand dieses Berichts. " — So heißt es dort lapidar.
Der historische Exkurs ist sehr unterhaltsam. Er zeigt, daß Generationen vor uns mehr Einfühlungsvermögen hatten als Sie heute.
Und wie sieht es mit der Stellung des Tierschutzes in der Wertordnung des Grundgesetzes aus? Dort wird ausgeführt, das Bundesverfassungsgericht habe das Verhältnismäßigkeitsprinzip proklamiert. Tieren dürfe nicht „ohne vernünftigen Grund" Schaden zugefügt werden. Also mit „vernünftigen Gründen" darf gehandelt werden? Wer entscheidet, was „vernünftig" ist?
Es heißt dort weiter:
Nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches unterliegt das Tier als körperlicher Gegenstand dem Sachbegriff. Dies entbindet jedoch nicht von der Beachtung des Tierschutzgesetzes. Die Einordnung von Tieren als Sache nach bürgerlichem Recht dient der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bei Verfügungen des Menschen über das Tier.
So Originalton Bundesregierung.
In einer Pressemitteilung des Justizministeriums vom 23. September 1987 hat der Justizminister Engelhard erklärt, daß unsere Rechtsordnung sicherstellen muß, daß Tiere als schmerzempfindliche Wesen und Mitgeschöpfe des Menschen nicht wie leblose Sachen behandelt werden dürfen. Dabei wurden konkrete Maßnahmen zur Verbesserung des Tierschutzes im Zivilrecht angekündigt. Ein weiterer Ankündigungsminister im Kabinett?
Da nichts passiert, muß man sich langatmig über die geschichtliche Entstehung der Tierschutznovelle von 1986 auslassen, bevor man sich Verordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften und dem schwierigen Weg ihrer Erarbeitung zuwendet.
Mager, sehr mager wird es dann bei der Strafverfolgungsstatistik. Ihre Statistik weist aus, daß 1985 307 männliche und 30 weibliche Straftäter verurteilt wurden; 1986 seien es 301 männliche und 40 weibliche Straftäter gewesen. Aber was wissen Sie über die Dunkelziffern? Warum verschweigen Sie, daß eine kriminalwissenschaftliche Untersuchung ergab, daß man bei einem bekannten von 5 000 unbekannten Fällen ausgehen muß?
Nun, meine Damen und Herren, die Bundesregierung muß sich mit der Elle messen lassen, die sie selbst vorgibt. Leider ist das Ergebnis nicht erfreulich. Kein Wunder, daß die Tierschutzverbände mit harter Kritik aufwarten und ihre Enttäuschung nicht verbergen können, waren doch Hoffnungen und Erwartungen geweckt worden, die nie eingelöst wurden!
Mit hehren Worten war man stets zur Hand, wenn es um die ökonomischen Interessen ging; da wird die Regierung still und sehr zurückhaltend. Dabei können die Hinweise auf internationale Vereinbarungen auch nicht darüber hinwegtäuschen, postuliert der Bericht, daß Haltungssysteme gelten, die als tiergerecht angesehen werden, wenn das Tier erhält, was es zum Gelingen von Selbstaufbau und Selbsterhaltung benötigt und ihm die Bedarfsdeckung und die Vermeidung von Schäden durch die Möglichkeit adäquaten Verhaltens gelingt. Also: Bedarfsdeckungs- und Schadenvermeidungskonzept. Nur: Was besagen Ihre Verordnungen, die nun im einzelnen konkret die artgerechte Tierhaltung ausgestalten sollten?
In unserem Antrag zur artgerechten und umweltverträglichen Nutztierhaltung haben wir Sozialdemokraten klar aufgezeigt, was in Ihrer Verordnung hätte stehen müssen, z. B. bei der Legehennenhaltung: abgedunkelte Legenester mit Einstreu und weicher Unterlage sowie Sitzstangen oder geeignete Lattenroste für Legehennen und für anderes Geflügel. Ihr Vermerk über eine Entscheidung des Zweiten Strafsenats des Bundesgerichtshofs hat Alibifunktion. Nach bestehender Rechtslage konnte im Einzelfall nicht anders entschieden werden. Mut hätte dazugehört, hier politische Vorgaben in den Verordnungen durchzusetzen und nicht auf dem Rechtsweg ökonomische Interessen sich bestätigen zu lassen.
Die Preisbildung auf dem Eiersektor charakterisiert Ihr Vorgehen auf das deutlichste: Wettbewerbsverzerrungen werden als Begründung herangezogen. Aber wer hat bei Ihnen schon Mut?
Was die Schweinehalteverordnung angeht, stinkt es im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel. So konnte ich mich erst vor ungefähr einer Woche bei einem Besuch bei einem Schweinemäster überzeugen, daß die Beratungstätigkeit von oben nach unten — sprich von Bonn in den Schweinestall vor Ort — funktioniert. Die jeweiligen herrschenden Auffassungen der Bonner Bürokratie fanden ihren Niederschlag in den verschiedenen Bauabschnitten des Stalles und



Frau Adler
den jeweiligen Haltungsvorschriften. Die Bauern haben diese Fremdbestimmung langsam satt.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Da hat sie recht!)

— Das tut Ihnen weh, ich weiß.
Klare, gesicherte Erkenntnisse, die der gesunde Menschenverstand nachvollziehen kann, sind gefragt und nicht verklemmte, an wirtschaftlichen Interessen einiger weniger ausgerichtete Verordnungen. Vorschläge zur Verbesserung liegen seit langem auch von wissenschaftlicher Seite vor. Nur in die Amtsstuben sind diese Berichte noch nicht gelangt.
Gleiches gilt für die Kälberverordnung. Auf Grund des Hormonskandals war hierbei eine tierfreundlichere Einstellung berücksichtigt worden. Der Minister hat immerhin das Rohfaserangebot durchgesetzt. Welch ein Erfolg.
Wo aber bleibt die gesetzliche Regelung gegen Tierarzneimittel als Prophylaxe und als Masthilfe? Der bäuerliche Familienbetrieb hat nur eine Chance, wenn absolute Bestandsobergrenzen, maximal eineinhalb Dungeinheiten auf einen Hektar und ungiftige Stoffe, als Pflanzenbehandlungsmittel zugelassen werden. Mit Ihnen — ich weiß — ist dieser Weg für die Landwirtschaft nicht zu gehen. Ihr Agrarstrukturgesetz, das gerade vorhin diskutiert wurde, wird die Veränderung rasant und unumkehrbar herbeiführen, zum Schaden von uns allen.
Mit Aufmerksamkeit verfolgen die Bauern die von Ihnen verfolgte Politik. Die Bauern sind bereit, umweltschonend zu produzieren, wenn man sie aus dem Teufelskreis der Mehrproduktion herausläßt. Hier läge eine Chance. Nutzen wir sie!
Ein besonderes Problem stellt dabei die Pelztierhaltung dar. Die Bundesregierung verweist auf ein Gutachten und den ständigen Ausschuß, der die entsprechenden Verordnungen erarbeiten sollte. Interessant ist, daß die Tierschutzkommission beim Bundesminister für Ernährung zu einem ablehnenden Urteil gekommen ist.
Es müßten hier wie im Bericht nun auch die anderen Nutztierhaltungsformen erwähnt werden. Ich will es mir aus Zeitgründen schenken, da es sehr wichtig ist, hier einige Punkte noch kritisch zu beleuchten, z. B. den Tiertransport, der besser rechtlich geregelt werden muß. Auch hier verweise ich auf den SPD-Antrag in dieser Legislaturperiode, der Vorschläge dazu unterbreitet.
Auch dem Betäuben und Schlachten von Tieren muß unsere Aufmerksamkeit gehören. Erkenntnisse über das Erleben und Erfahren bei Tieren können nicht außen vor bleiben, wenn es dabei um die Verhaltensvorschrift geht. In unserem Antrag zur artgerechten Tierhaltung führen wir dazu aus, daß tierquälerische Tötungen unterbunden werden müssen. Grundsätzlich müssen die Tiere betäubt werden; das Schächten darf nur in eng begrenzten Fällen, z. B. aus religiösen Gründen, erlaubt werden.
Der schwierigste und zugleich problematischste Bereich in diesem Bericht ist aber noch immer die Frage der Tierversuche. Wir Sozialdemokraten haben dazu eine klare Meinung. Tierversuche sind nur zuzulassen, wenn der Nachweis der Unabänderlichkeit geführt ist. Hatte man in den 70er Jahren geglaubt, man könne mit Hilfe des Tierversuchs Stoffe auf ihre giftige Wirkung hin testen, muß man heute erkennen, daß das so nicht stimmt. So hatte man zwar in das Abwasserabgabengesetz, das Wasserhaushaltsgesetz, das Arzneimittelgesetz, das Bundes-Seuchengesetz, das Chemikaliengesetz, das Futtermittelgesetz, das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, das Pflanzenschutzgesetz, das Tierseuchengesetz sowie das Wasch- und Reinigungsmittelgesetz den Tierversuch hineingeschrieben, weil man hoffte, damit den Menschen zu schützen. Nach neueren Erkenntnissen muß aber bezweifelt werden, ob die Übertragbarkeit wirklich möglich ist.
Nach Aussagen der forschenden Industrie gäbe es durch Versuche an verschiedenen Tieren eine Aussagekraft. Dennoch muß nach alternativen Untersuchungsmethoden gesucht werden. Dazu braucht man Geld. ZEBET braucht Geld, wenn es seine Aufgabe überhaupt wahrnehmen soll. Die Behandlung im Haushaltsausschuß 1988 zeigt, daß keine Seite dieses Hauses wirklich begriffen hat, was da notwendig getan werden muß. Zwei ganze Stellen sind es bisher, die die Aufbauarbeit einer zentralen Erfassungsstelle leisten sollen. Welch ein Armutszeugnis für die Verantwortlichen!
Nicht besser steht es bei den Bundesforschungsmitteln. Es ist eine stattliche Zahl: 43,3 Millionen DM. Nur, wenn man den Zeitraum für die Ausgabe dieser Mittel betrachtet, nämlich fünf Jahre, begreift man, wie schäbig dieser Haushaltstitel behandelt wird. Nur zirka 8,7 Millionen DM für ein Forschungsjahr hat diese Bundesregierung für die Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden übrig.
Kann die Bundesregierung denn wenigstens hier Erfolge melden? Wäre durch weniger Tierversuche nicht ein Stück Glaubwürdigkeit für den hohen ethischen Ansatz des Gesetzes zu erhaschen? 10 % weniger Tiere bei der Industrie — ist das nichts?
Auch der Bundesverteidigungsminister hat Gutes zu vermelden: Von 6 429 Versuchstieren im Jahr 1984 konnte ein Rückgang auf 755 Tiere im Jahr 1986 verzeichnet werden. Wunderbar! Dafür will ich auch gerne loben; denn die Zahlen sind eindeutig.
Hat das Gesetz dies alles bewirkt? — Wer im Ministerium möchte das nicht glauben machen?
An dieser Stelle sei einmal allen denjenigen gedankt, die sich engagiert und uneigennützig für die Tiere einsetzen. Ihren Erklärungen ist es zu verdanken, daß der Druck auf die Industrie die universitären Forschungslabors und die Militärs zum Handeln gezwungen hat.
Es gab noch einen Grund: das Geld. Wenn der alternative Test billiger ist, weicht man auf ihn aus. In der Praxis sieht das heute so aus, daß in den verschiedenen Forschungsstadien unterschiedliche Testverfahren angewandt werden. Der Tierversuch steht dann in einer Kette von Versuchen an letzter Stelle. Verständlich ist, daß z. B. ein Medikament, das an einer Zellkultur getestet wird, in der es dann später auch wirksam werden soll, die Reaktionen ausprobiert werden. Aber die Reaktion auf den Gesamtorganismus kann



Frau Adler
auf diese Weise nicht abgeschätzt werden. Dafür müssen in begründeten Fällen vernetzte Untersuchungen gemacht werden. Das reduziert die Zahl der Tiere, das reduziert aber auch Kosten.
Als sehr problematisch hat sich die Sache mit den Ethik-Kommissionen angelassen; beratend sollen sie tätig werden. Die Zusammensetzung mit Tierversuchsbefürwortern und Tierschutzverbänden war von vornherein ein heikles Unterfangen, vor allem deshalb, weil die Befürworter überall zahlenmäßig in der Mehrheit sind. Die Länder, die Kontrollaufgaben bei der Umsetzung des Tierschutzgesetzes haben, haben diese Aufgaben auf die Regierungspräsidien übertragen.
Zu einigen eklatanten Vorfällen ist es gekommen, da Tierschützer die Vorgehensweise der Genehmigungsbehörden kritisierten. Es muß nachdenklich stimmen was da berichtet wird. Es zeigt auf, daß das Ganze eine ethische Alibifunktion hat. Die Genehmigungsbehörde kann sich über das Votum der Kommission hinwegsetzen. Die Schweigepflicht ermöglicht es nicht, daß Vorfälle öffentlich gemacht werden. Die Arroganz der Wissenden, sprich: Befürworter, ist manches Mal schon groß. Der gesunde Menschenverstand begreift viel, auch gut begründete Anträge.
Den Mitgliedern der Ethik-Kommissionen gilt mein Dank für ihre unermüdliche und hartnäckige Arbeit, da sie begreifen, daß das Spannungsverhältnis nicht ganz aufzulösen ist, weder in die eine noch in die andere Richtung. Ständiges Ringen um die richtige Entscheidung steht an.
Wir Sozialdemokraten haben von Anbeginn an gefordert, daß paritätische Besetzung und Mitbestimmungsrechte hier am Platz gewesen wären. Die Drohung, dann gehe man ins Ausland, ist Bluff, da man im Ausland zum Teil weiter ist als bei uns, so z. B. in den USA. Datenbank- und Alternativmethoden werden dort nicht so stiefmütterlich behandelt wie hier.
Der Bericht führt einige Testmethoden an, die in absehbarer Zeit validiert Tierversuche ersetzen werden. Das ist erfreulich. Die gegenseitige Anerkennung soll durch die EG, die OECD und die Weltgesundheitsorganisation vorangebracht werden. Dennoch hinkt die Bundesregierung hinterher.
Ein Tierversuchsdatengesetz soll im Benehmen mit dem Bundestag vom Tisch genommen werden, da bei Umfragen unter den in Frage kommenden Industriebereichen wegen des Daten- und des Patentschutzes Daten offenzulegen wären, um Doppelversuche zu vermeiden. Eingriffe in die Forschungsfreiheit werden befürchtet. Aber hier ist Güterabwägung zu betreiben, wenn nicht wieder nur die ökonomischen Interessen die Oberhand behalten sollen.
Wir Sozialdemokraten fordern, daß offengelegt wird, welche Vor- und Nachteile ein solches Gesetz mit sich bringt. Weltweit stehen heute bereits Datenbanken der Industrie und anderer Forschungseinrichtungen zur Verfügung. Diese Forderung nach einer Datenbank beim Bundeslandwirtschaftsministerium mit entsprechender gesetzlicher Regelung ist also nichts umwerfend Neues.
In einem Entschließungsantrag haben wir Sozialdemokraten unsere Position zum Tierschutzgesetz dargelegt. Der Bericht der Bundesregierung zeigt, daß die regierenden Konservativen ihre ethischen Vorstellungen wegen ökonomischer Interessen hintanstellen.

(Zuruf von der SPD: Leider!)

Auf 102 Seiten hat man fleißig Stichworte notiert. Insgesamt aber ist keine Verbesserung eingetreten. Man ist einseitig interessenorientiert, wie immer zu Lasten der Tiere. Mut zum Handeln für ein ethisch gerechtfertigtes Gesetz und seine Verordnungen fehlt weiterhin. Herr Minister, die Bundesregierung hat ihr Vertrauenskapital aufgebraucht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113121000
Das Wort hat der Abgeordnete Michels.

Meinolf Michels (CDU):
Rede ID: ID1113121100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Adler, daß wir uns heute erneut dem Thema Tierschutz zuwenden können, verdanken Sie der Mehrheit dieses Hauses. Die vorherige Mehrheit dieses Hauses hat sich während 13 Jahren dem Tierschutz überhaupt nicht zugewandt.

(Oostergetelo [SPD]: Die FDP hat geschlafen!)

Mit der Drucksache 11/3846 haben wir erstmals den auf Grund des novellierten Tierschutzgesetzes alle zwei Jahre vorzulegenden Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes in den Händen. Meines Wissens gibt es weltweit kein einziges Land, in dem ebenso wie bei uns von der Regierung ein derartig umfassender Sachstandsbericht über den Tierschutz vorgelegt wird.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Die Initiative, die Bundesregierung per Gesetz zur Vorlage eines solchen Berichts zu verpflichten, war seinerzeit von den Tierschutzverbänden sowie vom Deutschen Bundestag ausgegangen. Es zeigte sich, daß dieser Vorschlag sehr wohl berechtigt war. In einem Bereich, der wie der Tierschutz nicht nur von wissenschaftlich erhärteten Tatsachen, sondern — ich will dies keineswegs kritisieren — sehr stark auch von Gefühlen, von Emotionen, bestimmt wird, halte ich es für unverzichtbar, daß jedermann nachlesen kann, was bisher durch Übereinkommen, Gesetze, Verordnungen, Richtlinien oder Empfehlungen schon alles zugunsten der Tiere auf den Weg gebracht wurde und was nicht.
Das heißt bei weitem nicht, daß bereits alles in Ordnung wäre. Es gibt noch manchen Bereich, in dem wir uns sowohl bei der Rechtssetzung als auch beim Vollzug, für den bekanntlich die Länder zuständig sind, für weitere Verbesserungen einsetzen müssen. Die Verbesserung des Tierschutzes ist eben eine Daueraufgabe.
Aber bevor wir neue Initiativen ergreifen, ist es sicherlich unumgänglich, zunächst einmal Bilanz zu ziehen, das bisher Erarbeitete zu bewerten und zu würdigen. Wer kennt schon alle Details, die in den



Michels
letzten Jahren auf diesem Gebiet ausgearbeitet und in Kraft gesetzt wurden?
Der Bericht wird seinem Anspruch, den Stand der Entwicklung des Tierschutzes wiederzugeben, sehr wohl gerecht. In den Ausschußberatungen des Deutschen Bundestages wird sich dies deutlich herausstellen. Auch die kritischen Stellungnahmen — sei es des Deutschen Tierschutzbundes, sei es die der von mir sehr geschätzten Frau Händel — werden in den Ausschußberatungen zu bewerten sein.
Mit der Tierschutznovelle von 1986 wurde Neuland betreten. Die Anforderungen an den Tierschutz wurden deutlich verstärkt. Auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, die den Tierschutz sehr ernst nehmen — ich denke hier insbesondere an Schweden und an die Schweiz — , brauchen wir uns wahrlich nicht zu verstecken.
Nach wie vor erfüllt es mich mit großer Genugtuung, daß es uns gelungen ist, in § 1 des Tierschutzgesetzes die Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf zu verankern.

(Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Das ist auch wichtig!)

Damit wird ein ethischer Anspruch formuliert, dem wir — das räume ich ein — bisher nicht voll gerecht werden konnten.

(Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Leider!)

Diese Gesetzesformulierung verdeutlicht die ethische Dimension, um die es beim Tierschutz letztlich geht. Sie bleibt eine stete Herausforderung. Auch die Bemühungen des Bundesjustizministers, den Sachbegriff des Bürgerlichen Gesetzbuches zu ergänzen, um den falschen Eindruck zu vermeiden, der Eigentümer eines Tieres könne mit diesem nach Belieben verfahren, sind vor diesem Hintergrund zu sehen.
Schwerpunkt der Gesetzesnovelle war der Bereich der Tierversuche. Das Verfahren zur Genehmigung von Tierversuchen ist durch die Tierschutznovelle wesentlich verschärft worden. Zur Unterstützung der zuständigen Behörde bei der Entscheidung über die Genehmigung von Tierversuchen sind Kommissionen berufen worden. Neben Tierärzten, Ärzten oder Naturwissenschaftlern sind auch Mitglieder vertreten, die aus der Vorschlagsliste der Tierschutzorganisationen ausgewählt wurden. Auch mit diesen beratenden Kommissionen nehmen wir eine Vorreiterrolle in der Welt ein.
Es ist nicht verwunderlich, daß mancherorts viel Lehrgeld bezahlt werden mußte und in Einzelfällen erhebliche Anlaufschwierigkeiten zu überwinden waren. Hin und wieder sind auch schwierige Probleme aufgetreten und werden wohl auch weiterhin auftreten. Dennoch wage ich eine positive Zwischenbilanz.
Die Notwendigkeit zum Dialog wird, wenn auch nicht immer, so doch in vielen Fällen das Verständnis für die jeweils andere Überzeugung fördern und Gegensätze abbauen helfen. Beispiele hierfür gibt es. Bei meinen zahlreichen Gesprächen mit Angehörigen dieser beratenden Kommissionen habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, daß das ernsthafte
Bemühen, unnötige Tierversuche zu vermeiden, die Vertreter der verschiedenen Gruppen zusammenführt.
Bei der Arbeit der Tierschutzbeauftragten läuft möglicherweise noch nicht alles so, wie es sich der Gesetzgeber vorgestellt hat. Dennoch bin ich davon überzeugt, daß gerade die Einrichtung des Tierschutzb eauftragten einen ganz wesentlichen Fortschritt für den verantwortungsvollen Umfang mit unseren Versuchstieren bedeutet.
Die Zielvorstellungen unseres novellierten Tierschutzgesetzes sind auch in das europäische Übereinkommen zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere eingeflossen. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen im vergangenen Jahr unterzeichnet. Demnächst werden wir das Ratifizierungsgesetz beraten können. Dabei werden wir erkennen, in welch starkem Maß die Bestimmungen unseres Tierschutzgesetzes ihren Niederschlag in dem europäischen Übereinkommen gefunden haben.
Auch meine Fraktion bedauert es sehr, daß für diesen ersten Tierschutzbericht von den nach Landesrecht zuständigen Behörden noch keine offiziellen Zahlen über die verwendeten Versuchstiere übermittelt werden konnten.
Nachdem die entsprechende Verordnung nunmehr in Kraft getreten ist, gehe ich davon aus, daß wir spätestens bei der Vorlage des nächsten Tierschutzberichts konkrete Zahlen erhalten werden. Ich bin davon überzeugt, daß sich der von der Bundesregierung angekündigte Trend, wonach die Zahl der Versuchstiere deutlich zurückgeht, dann auch bestätigen wird.
Die auf Initiative der Bundesregierung von Verbänden der Industrie und des Tierschutzes gegründete Stiftung zur Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden hat ihre Arbeit aufgenommen. Der Stiftungsrat hat inzwischen die Förderung von vier Projekten beschlossen.
Leider hat sich die finanzielle Ausstattung dieser Stiftung bisher nicht so entwickelt, wie sich dies die Initiatoren vorgestellt hatten.
Sicher könnte bei einer großzügigen Aufstockung des Stiftungsvermögens wesentlich mehr getan werden. Mein Appell, das Stiftungskapital durch Spenden zu vergrößern, richtet sich hierbei nicht nur an die Industrie, sondern auch an Tierschutzverbände und kapitalkräftige Mitbürger.
Erfreulicherweise wurden und werden im Rahmen der Förderung „Ersatzmethoden zum Tierversuch" erhebliche Mittel bereitgestellt. Mit der breiten Anwendung der Forschungsergebnisse schien es jedoch noch Probleme zu geben. Daher wird es höchste Zeit, daß nun auch die seit langem geforderte Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen beim Bundesgesundheitsamt (ZEBET) ihre Arbeit aufnimmt. Mancher hätte sich hier einen kraftvolleren Start gewünscht,

(Sielaff [SPD]: Zwei Jahre Zeit gehabt!)

doch spricht sicher auch einiges für den stufenweisen Ausbau.



Michels
Wie die Bundesregierung in ihrem Bericht dargelegt hat, sieht sie sich bisher außerstande, dem Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf zur Errichtung einer speziellen Tierversuchsdatenbank vorzulegen. Die praktischen und rechtlichen Argumente, die hiergegen aufgeführt werden, haben erhebliches Gewicht. Offensichtlich sind die Möglichkeiten, mit Hilfe einer speziellen Tierversuchsdatenbank unnötige Doppel- und Wiederholungsversuche zu vermeiden, außerordentlich begrenzt.

(Sielaff [SPD]: Na, na, na!)

Bund, Länder und Industrie nennen Einsparungsmöglichkeiten von weit unter 1 %.

(Sielaff [SPD]: Besonders die Industrie sagt das!)

Aufwand und Ertrag stehen somit in einem sehr ungünstigen Verhältnis. Es fragt sich, ob die Ressourcen im Interesse des Tierschutzes nicht effizienter eingesetzt werden können und ob auf anderem Weg nicht mehr erreicht werden kann.
Besonders hebe ich die von der Bundesregierung zügig vorgenommene intensivierte Rechtssetzung hervor.
Neben der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes — sie sichert einen bundeseinheitlichen Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen über die Durchführung von Tierversuchen und den gewerblichen Handel vorrangig mit Heimtieren — wurden Rechtsverordnungen zur Kennzeichnung von Versuchstieren sowie für die Meldung der in Tierversuchen verwendeten Wirbeltiere, aber auch Rechtsverordnungen zum Schutz von Legehennen bei Käfighaltung, zum Schutz von Schweinen bei Stallhaltung und zum Schutz von Tieren bei der Beförderung in Behältnissen erlassen.
Der Verordnung zum Schutz von Kälbern hat der Bundesrat inzwischen zugestimmt. Eine Verordnung zum Schutz von Pelztieren soll in Kürze folgen.
Wir alle wissen, wie kontrovers diese Regelungsbereiche diskutiert werden und wie schwierig es ist, hier den notwendigen Ausgleich zwischen Tierschutz, Hygiene, Wirtschaftlichkeit und nicht zuletzt den Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu finden.
Alle Beteiligten, insbesondere die beim BML eingerichtete Tierschutzkommission, die in zahlreichen Sitzungen zu den Entwürfen Stellung genommen haben und weitere Verbesserungen durchsetzen konnten, verdienen Anerkenung.
Daß es dieser Bundesregierung im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin — die nur eine einzige Verordnung, die Hundehaltungsverordnung, durchsetzen konnte —

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war aber wenig! — Frau Adler [SPD]: Wo waren Ihre Vorschläge?)

gelungen ist, in solch kurzer Zeit eine so umfassende Bilanz vorzulegen, erfüllt mich mit Genugtuung.
Aber je mehr der Staat durch Verordnungen in die Tätigkeit seiner Bürger eingreift, desto mehr Kritik zieht er — zu Recht oder zu Unrecht — auf sich.
Während die Vertreter der Tierschutzorganisationen lautstark beklagen, die nunmehr in Kraft gesetzten Haltungs-Verordnungen würden dem Tierschutzanliegen nicht gerecht,

(Frau Adler [SPD]: Richtig!)

beschweren sich unsere Landwirte über hausgemachte Wettbewerbsnachteile, die ihnen in ihrem harten Überlebenskampf zusätzliche Schwierigkeiten bereiten.

(Frau Adler [SPD]: Mit Ihrer verfehlten Politik! Jawohl!)

Ich habe die Beratungen um diese Verordnungen intensiv mitverfolgt und miterlebt, wie sehr sich das BML bemüht hat, trotz schwieriger Rahmenbedingungen vertretbare Lösungen auf den Weg zu bringen. Insgesamt, so meine ich, ist dies recht gut gelungen. Auch unsere Landwirte werden mit diesen Verordnungen trotz mancher Härten letztlich doch zurechtkommen.
Aus Tierschutzgründen ist die Bundesregierung mit der Hennenhaltungsverordnung über die EG-Mindestanforderungen hinausgegangen. Noch weitergehende Verschärfungen wären unseren Legehennenhaltern aus Wettbewerbsgründen nicht zuzumuten gewesen.

(Zuruf von der SPD: Aber den Hennen!)

Was nützt es dem Tierschutzanliegen, wenn unsere Verordnungen lediglich dazu führen, daß die Eierproduktion dann ins benachbarte Ausland verlagert wird?

(Zuruf von der SPD: Immer die gleichen Argumente!)

Bei Schweinen und Kälbern konnten wir uns nicht auf EG-Vorschriften stützen. Ich gehe davon aus, daß die Maßnahmen der Bundesregierung hier Anstöße geben, die sich mit der Zeit dann auch EG-weit auswirken.
Für meine Fraktion ist diese Zwischenbilanz auch ein Beweis für die Richtigkeit unserer Überzeugung, daß der Tierschutz ins Landwirtschaftsministerium gehört.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Welches Ministerium wäre aus fachlicher Sicht mehr dazu berufen, sich für den Schutz der uns anvertrauten Tiere zu engagieren? Der Bundeslandwirtschaftsminister hat bewiesen, daß er auch schwierige Interessenkonflikte lösen kann, Interessenkonflikte, die — das zeigt die Erfahrung der letzten Jahre — offensichtlich viel leichter in einem Hause als zwischen den verschiedenen Ressorts ausgetragen werden. Ich bin davon überzeugt, daß Bundesminister Kiechle alles tun wird, um den Inhalt der bisherigen Regelungen, soweit erforderlich, dynamisch weiterzuentwickeln

(Widerspruch bei der SPD)

und möglichst bald auch EG-einheitlich durchzusetzen.

(Zuruf von der SPD: Das glaubt Ihnen keine einzige Henne!)

Hierzu möchte ich die Bundesregierung ausdrücklich
ermutigen. Ich gehe aber auch davon aus, daß die



Michels
Bereiche, die bisher bundesrechtlich noch nicht hinreichend geregelt sind — ich denke hier insbesondere an das Betäuben und Schlachten von Tieren — noch im Laufe dieser Legislaturperiode eine entsprechende Regelung finden.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113121200
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Garbe.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1113121300
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zu Neujahr haben Tierschützer und Tierschützerinnen in der „WAZ" — das ist die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung" — und der „NRZ" folgendes bemerkt:
Während Silvester überall die Sektkorken knallten und unzählige Leuchtraketen die Freude über das neue Jahr in den Himmel schossen, waren hier in Nordrhein-Westfalen zur selben Zeit Tausende von Versuchstieren einem trostlosen Schicksal ausgeliefert: in enge Käfige eingepfercht, durch Bewegungsentzug gefoltert und völlig isoliert, gewaltsam krankgemacht — viele von Schmerzen gepeinigt, alle zum Tode verurteilt.
Vielleicht, meine Herren und Damen, haben Sie weiter in den Zeitungen gelesen: Hier in Bonn: in Bändigungsapparaten fixierte Paviane, denen ein Augapfel entnommen und durch diesen Zugang ein Hirninfarkt gesetzt wurde. Köln: vom Rumpf abgetrennte und künstlich am Leben erhaltene Hundeköpfe. Düsseldorf: voroperierte, mit Klemmschrauben traktierte Hunde zur Prüfung der schmerzhemmenden Wirkung chemischer Substanzen.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Unmöglich!)

Meine Herren und Damen, ich möchte Ihnen diese Liste der weiteren Beispiele dieses Irrweges der Tierexperimente ersparen, die hier um die Ecke und anderswo betrieben werden.
Uns liegt nun erstmalig der Bericht zum Tierschutz 1989 vor. Die Bundesregierung ist ja nach dem novellierten Tierschutzgesetz verpflichtet, uns alle zwei Jahre einen solchen Bericht zu erstatten. Die Einschränkung der Tierversuche war eines der zentralen Probleme, die mit der Novellierung des Tierschutzgesetzes angegangen werden sollten. Gerade auch an dieser Frage muß der Bericht der Bundesregierung gemessen werden.
Ich möchte der Bundesregierung im Grunde genommen meinen Dank ausdrücken, daß dieser Tierschutzbericht so pünktlich erstattet wurde. Aber, meine Herren und Damen, diese Pünktlichkeit täuscht nur darüber hinweg, daß die Tierschutzpolitik der vergangenen Jahre durch zeitliche Versäumnisse, Verspätungen und Verschleppungen gekennzeichnet war. Die Bundesregierung hat bis heute nicht den Auftrag erfüllt, einen Gesetzentwurf über die Errichtung einer dezentralen Datenbank für die Sammlung von Daten über Tierversuche vorzulegen. ZEBET, die Zentralstelle für die Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch ist lange Zeit verschleppt worden und wird jetzt auf
Sparflamme eingerichtet. Die Tierhaltungsverordnungen sind mit jahrelanger Verspätung auf den Weg gebracht worden.
Aber nun genug der Schelte über das „zu spät" . Denn jetzt versucht die Bundesregierung, mit diesem Bericht ihre profitorientierten Legehennen-, Schweine- und Kälberhaltungsverordnungen unter dem Gütezeichen Tierschutz zu verkaufen. Durch diese Politik perfektioniert die Bundesregierung aber lediglich das tierquälerische System der industriellen Massentierhaltung. Die Legehennenverordnung garantiert den Hennen eine Käfigbodenfläche von 450 cm2. Das ist, meine Herren und Damen, so viel wie dieses Blatt Papier in meiner Hand! Batterien in drei Etagen übereinander sind erlaubt, die Ställe dürfen fensterlos sein. „Verordnung Pohlmann" könnte man diese Verordnung schimpfen, sie stinkt zum Himmel wie die Gülle bei Pohlmanns Hühnerzentren. Dies hat mit Tierschutz und mit artgerechter Tierhaltung so viel zu tun wie das Hinvegetieren im mittelalterlichen Burgverlies mit der Humanität der Neuzeit.
Die vorgesehene Pelztierverordnung läßt, wenn frau den Referentenentwurf zum Maßstab macht — Schlimmes erwarten. Alles andere als Tiere, nämlich die Supergeschäfte der Pelzindustrie, sollen hiermit geschützt werden. Selbst die Kirchen fordern, die Haltung von Pelztieren zu Modezwecken abzulehnen. Obwohl Füchse, meine Kollegen und Kolleginnen, sich in ihrem Verhalten der Käfighaltung nicht anpassen können, sind keine Auslaufgehege vorgesehen. Eine wissenschaftliche Untersuchung hat kürzlich die deprimierenden Fakten über die Bundesrepublik zusammengestellt: 40,8 % der Pelztierfarmen ersticken im Dreck; dies bei Tieren, die peinlichst auf Sauberkeit bedacht sind und höchst sensibel auf Ausscheidungen reagieren. Dies steht natürlich nicht im Tierschutzbericht. Meine Herren und Damen, der Tierschutzbericht kommt offensichtlich aus einer anderen Welt.
Lassen Sie mich noch einmal auf das Kapitel Tierversuche zu sprechen kommen. Entgegen den Beschönigungen der Bundesregierung werden weniger als ein Promille aller Tierversuche von den Behörden aus Tierschutzgründen abgelehnt. Entgegen den Behauptungen der Bundesregierung haben die neu eingerichteten beratenden Tierschutzkommissionen die Zahl der unsinnigen Tierversuche nicht verringern können. Gelingt es den Vertretern und Vertreterinnen des Tierschutzes in den Kommissionen — dies ist ja höchst selten der Fall — , die Kommissionsmehrheit von der Überflüssigkeit eines vorgesehenen Tierversuchs zu überzeugen, dann setzt sich erfahrungsgemäß die genehmigende Behörde über das Votum der Kommission hinweg. So sieht das nämlich aus.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen arbeitet immer noch nicht, wir hörten es ja. ZEBET wird, wie es im Tierschutzbericht heißt, ab 1989 stufenweise aufgebaut. Eine Kommission kam zum Ergebnis, daß die Mindestausstattung für ZEBET sechs Stellen wären. „Stufenweise" heißt bei der Bundesregierung: Jahrelang wird die Einrichtung verschleppt, dann werden schließlich zwei Stellen im Haushalt



Frau Garbe
ausgewiesen. Das ist nur Kosmetik, meine Herren und Damen. Die Bundesregierung will sich lediglich den Schein geben, als fördere sie den Ersatz von Tierversuchen.
Seit 1986 sinken die Förderungsmittel für den Schwerpunkt „Ersatzmethoden zum Tierversuch". Es gibt Ersatzmethoden, aber sie werden nicht anerkannt; die Tests werden nicht validiert, so daß sie nicht den gesetzlichen Voraussetzungen genügen. Den Auftrag des Bundestags, einen Tierversuchsdatenbank-Gesetzentwurf zu erstellen, boykottiert die Bundesregierung.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Jetzt gehen Sie aber entschieden zu weit!)

Die einzigen aktuellen Zahlen über die Entwicklung der Tierversuche gewinnt der Tierschutzbericht aus der Bundeswehr. Es ist erfreulich, daß dort die Zahlen sinken, meine Herren und Damen. Wir müssen dennoch den Eindruck gewinnen: Hier werden wir betrogen. Im Kleingedruckten lesen wir nämlich: Versuchsvorhaben in Einrichtungen der Bundeswehr. Die Wehrmedizin wird aber immer stärker in Aufträgen nach außen vergeben — Stichwort: Fraunhofer-Institut — . Dort werden die Tierversuche für die Bundeswehr durchgeführt. In den letzten zehn Jahren sind die Ausgaben dafür vervierfacht worden. Ich befürchte, auch die Zahl der Tierversuche für die Bundeswehr hat sich dort vervierfacht.
Meine Herren und Damen, die neuen Möglichkeiten der Gentechnik stellen den Tierschutz auf die Probe. Die Bilder von den transgenen Schweinen im Fernsehen waren ja erschreckend genug. Ich erwähne transgene Mäuse, transgene Affen, Turbokühe, Nukleus-Herden, Schiegen — das ist eine Mischung aus Schafen und Ziegen — und Monster. Zum Schutz der Tiere vor dem Schöpfungswahn von Geningenieuren und Profiteuren müßten hohe Dämme errichtet werden. Im Tierschutzbereich aber ist Fehlanzeige.
Ich muß die Schlußfolgerung ziehen: Die Bundesregierung ist offensichtlich nicht gewillt, die Siutation der Tiere in Forschung und Landwirtschaft entscheidend zu verbessern. Der Tierschutz hat in den Koalitionsfraktionen keine Lobby, die Tierausbeutung dagegen eine gewaltige.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir bringen deshalb hier einen Entschließungsantrag zum Tierschutz ein, um zu den angesprochenen Punkten die Willensbildung zu intensivieren. Wir hoffen natürlich sehr, daß sich in den angesprochenen Fragen des Tierschutzes eine Mehrheit finden wird, um dann endlich der Regierung Dampf zu machen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113121400
Nun hat das Wort der Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1113121500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat uns auftragsgemäß ihren ersten Tierschutzbericht vorgelegt, der umfassend sowohl über alle den Tierschutz betreffenden
nationalen Regelungen als auch über die internationale Rechtsetzung Auskunft gibt. Ich begrüße diese Zusammenfassung in der jetzigen Form. Sie bietet Transparenz und dient gleichermaßen als Nachschlagewerk wie auch als Sachstandsbericht.
Die Lektüre des Tierschutzberichts empfehle ich allen, die mit dem Tierschutz umgehen. Allerdings geht der vorliegende Tierschutzbericht noch zu wenig auf die Auswirkungen und Erfordernisse des 1986 novellierten Tierschutzgesetzes ein. Die Umsetzung dieses Gesetzes braucht ihre Zeit, und umfassendes Zahlenmaterial lag noch nicht vor. Hier muß der nächste Tierschutzbericht sehr viel konkreter werden.

(Sielaff [SPD]: Sehr richtig!)

Eines der Hauptziele bei der Novellierung des Tierschutzgesetzes war die Reduzierung der Tierversuche. Leider liegen noch keine genauen Zahlen auf Grund der Versuchstiermeldeverordnung vor. Diese Zahlen brauchen wir aber, um offiziell nachprüfbare Daten über Art und Anzahl der in Versuchen verwendeten Tiere zu bekommen und zu beurteilen, ob das Tierschutzgesetz greift oder nicht. Wenn man auch die von der Pharmaindustrie angegebene Zahl der Versuchstiere und die zurückgehende Zahl der Versuchstiere bei Bundeswehrversuchen vorsichtig beurteilen muß, so scheinen wir hier doch eine positive Entwicklung, d. h. weniger Verbrauch an Versuchstieren, zu erleben.
Bisher ist die Bundesregierung dem Wunsch des Parlaments nicht nachgekommen, ein Gesetz für eine Datenbank, das sogenannte Tierversuchsdatengesetz, vorzulegen, das der Verminderung von Tierversuchen dienen soll. Es ist von großen sachlichen und rechtlichen Schwierigkeiten die Rede, deretwegen dieser Gesetzentwurf bisher nicht vorgelegt werden konnte. Ich verstehe den Ärger vieler Kolleginnen und Kollegen, gehe aber trotzdem davon aus, daß sich die Bundesregierung bemüht hat, unserem Wunsch zu entsprechen.
Allerdings sind die genannten Gründe, die einem Gesetzesvorhaben entgegenstehen — der Minister hat es hier erläutert — , durchaus gewichtig. Wenn es stimmt, daß Tierversuche durch eine Datenbank kaum eingespart werden können — man spricht von weit unter 1 % —, wenn auf der anderen Seite die Freiheit der Forschung eingeengt wird, wenn enorme finanzielle Belastungen entstehen, wenn das Patentschutzrecht entwertet wird, ist die Frage der Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Nutzen gestellt. Mit „Nutzen" meine ich natürlich, daß die Datenbank wirklich zu einer mengenmäßig faßbaren Verringerung der Anzahl der Versuchstiere beitragen kann, indem man Doppel- und Wiederholversuche vermeidet. Wir müssen jetzt bald entscheiden, ob wir ein solches Gesetz haben wollen, und brauchen dazu den Rat unserer Juristen, unserer Rechtspolitiker. Ich begrüße es, daß der Bundesminister angekündigt hat, daß die Bundesregierung in Gespräche mit den Fraktionen hierüber eintreten will. In diesem Zusammenhang bin ich allerdings auch gespannt darauf, was die Bundesregierung konkret meint, wenn sie im Tierschutzbericht sagt, man könne eine weitere Verminderung der Zahl der Versuchstiere auch auf andere Weise erreichen.



Bredehorn
Lassen Sie mich kurz auf die Tierschutzkommissionen eingehen, die seit 1986 den Genehmigungsbehörden beratend zur Seite stehen. In einigen Landesteilen gibt es bereits konstruktive positive Erfahrungen mit den Tierschutzkommissionen, in anderen Landesteilen laufen sie weniger gut, und in Oberbayern sind meines Wissens die Tierschützer sogar aus dieser Kommission ausgetreten.

(Zuruf von der SPD: So ist es in Bayern immer!)

Ich bitte alle Mitglieder solcher Kommissionen, am Ball zu bleiben, sich zu engagieren und auch dann nicht mutlos zu werden, wenn die Genehmigungsbehörde einmal nicht ihrer Empfehlung folgt. Die Arbeit der Tierschutzkommissionen, so uneffizient sie einigen Beteiligten auch manchmal vorkommen mag, hat doch schon einiges erreicht. Die Prüfung von Anträgen erfolgt viel detaillierter, auf höherem Niveau und verlangt mehr Genauigkeit und überzeugendere Argumente von allen Seiten als bisher. Das ist ein erster, wenn auch aus Sicht der Tierschützer nur ein bescheidener Fortschritt.
Eine wesentliche Forderung im Tierschutzgesetz ist der Wegfall von Tierversuchen durch Erforschung und Einführung von Ersatzmethoden. Während sich die Ausgaben des Bundesforschungsministeriums für Ersatzmethoden im Jahr 1980 nur auf 200 000 DM bezifferten, standen im Jahre 1988 hierfür 10,3 Millionen DM zur Verfügung. Durch diese breite Finanzierungsebene wurden oder werden 65 Forschungsvorhaben gefördert. In den Jahren 1988 bis 1992 stehen für solche Forschungsarbeiten weitere 43,3 Millionen DM bereit.
Jetzt ist die Phase erreicht, in der wir beginnen müssen, erste Ergebnisse der Grundlagenforschung in die Praxis einfließen zu lassen. So wird der sogenannte LD50-Test zunehmend durch ein Verfahren der approximativen Letalitätsbestimmung ersetzt. Dadurch ist eine erhebliche Anzahl von Versuchstieren einzusparen. Zum Ersatz des Draize-Tests — dabei wird die Schleimhautverträglichkeit neuer Stoffe am Kaninchenauge getestet — hat das BMFT 3,15 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Die entwickelten Ersatzmethoden wie Hühnerembryotests und Zellkulturverfahren ermöglichen es, auf den Draize-Test letztlich einmal zu verzichten.
Lassen Sie mich nun auch auf die im Zusammenhang mit dem Tierschutz diskutierte landwirtschaftliche Nutztierhaltung eingehen. In der Tat handelt es sich dabei um eine wirtschaftlich begründete Nutztier- und nicht um eine Schutztierhaltung. Darüber läßt sich nicht streiten. Streiten läßt sich allerdings darüber, wieviel Tierschutz in der landwirtschaftlichen Tierproduktion notwendig ist. Unsere gesetzlichen Rahmenbedingungen können sich weltweit sehen lassen. In Ausführung des Tierschutzgesetzes sind inzwischen eine Legehennenverordnung, eine Schweinehaltungsverordnung, eine Verordnung zur Beförderung von Tieren in Behältnissen in Kraft. Auch die jetzt neu herausgekommene Kälberhaltungsverordnung muß angewandt werden. In diesen Verordnungen sind genau Mindestanforderungen und Mindesterfordernisse an die Haltung von Nutztieren vorgeschrieben.
Das führt aber auch dazu, daß die Landwirte bei uns höhere Auflagen im Stall haben als ihre Kollegen in der übrigen EG.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wir müssen einfach feststellen, daß der Tierschutz in den romanischen Mitgliedstaaten anders bewertet wird und wir Deutschen es schwer haben werden, unser hohes und notwendiges Tierschutzniveau europaweit durchzusetzen.

(Zuruf von der SPD: Mir kommen die Tränen!)

Der Streit um Abmessungen der Käfiggröße bei Legehennen ist ein Beispiel, die Empörung bei uns über
südländische Tier- und Hahnenkämpfe ein weiteres.
In ihrem Antrag zur artgerechten Nutztierhaltung kritisiert die SPD, daß auf Grund ökonomischer Zwänge bei der Konzentration von Tierbeständen in zunehmendem Maße gegen das Gebot artgerechter Haltung von Nutztieren verstoßen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, geht denn die produktionstechnische Entwicklung in der Landwirtschaft an Ihnen vorbei? Verfolgen Sie nicht die Verbesserung, die die Bundesregierung durch das Tierschutzgesetz und die Haltungsverordnung für landwirtschaftliche Nutztiere auf den Weg gebracht hat? Man kann doch nicht von heute auf morgen die Landwirtschaft umkrempeln. Dies würde die Tierhalter in den wirtschaftlichen Ruin treiben.

(Frau Adler [SPD]: Beantworten Sie es selber?)

Ich meine, sachgerechter müßte es in Ihrem Antrag heißen: In der Landwirtschaft wird in abnehmendem Maß gegen das Gebot artgerechter Haltung von Nutztieren verstoßen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! Korrekt ist das!)

Wir müssen hier auf diesem Weg noch weitergehen. Das habe ich ja ganz klar und deutlich gemacht.
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Der Verbraucher honoriert inzwischen Eier aus Freilandhaltung oder Fleisch von Scharrelschweinen. Landwirte nutzen diese Marktlücke und setzen Maßstäbe für gleichzeitig wirtschaftliche und in hohem Maß tierschutzgerechte Haltungsformen.
Leider wird rosa Kalbfleisch bei uns nach wie vor nicht mehr gegessen als vorher, trotz des Aufschreis der Öffentlichkeit über die Mißstände in der Kälberhaltung im letzten Sommer. Unsere Fleischer sind zunehmend auf Kalbfleischimporte angewiesen. Die Bundesregierung hat auf die Fehlentwicklung reagiert und in ihrer Kälberhaltungsverordnung vorgeschrieben, daß den Tieren genügend Bewegungsraum zur Verfügung stehen muß, daß sie in Gruppen gehalten werden, daß Eisen und Rauhfutter zugefüttert wird.
Solche aus Tierschutzgründen notwendigen Verordnungen mit erheblichen Auflagen stoßen nicht nur auf Zustimmung bei den Landwirten, weil sie erhebliche Investitionen bei jedem Tierhalter erfordern. Aber, Frau Adler, die Bundesregierung und die sie



Bredehorn
tragenden Koalitionsparteien haben den Mut, hier auch das Notwendige durchzusetzen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Frau Adler [SPD]: Da sind wir aber gespannt!)

Die landwirtschaftliche Nutztierhaltung steht im übrigen zu Unrecht in Mißkredit. Massentierhaltung ist heute zu einem Schlagwort geworden. Kein Mensch weiß aber genau, was darunter zu verstehen ist. Jeder sieht das anders. Ich selber kenne mich z. B. ganz gut im Milchviehbereich aus. Dort kann ich nur feststellen, daß Milchkühe in größeren Beständen im Laufstall artgerechter untergebracht sind als zu viert oder fünft in kleinen, dunklen, feuchen Anbindeställen. Was soll also diese unsachliche Groß-Klein-Diskussion über das Schlagwort Agrarindustrie an dieser Stelle? Durch Fortschritte in der Haltungstechnik konnten im Milchviehbereich erhebliche Tierarztkosten eingespart und Tierausfälle und Tierkrankheiten verringert werden. Wichtig ist aber — und das müssen wir in das Bewußtsein der Landwirte, der Bauern bringen — , daß die Haltungsbedingungen den Tieren angepaßt werden müssen und nicht umgekehrt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)

Ein Letztes: Die SPD hat recht mir ihrem Hormonantrag. Wir müssen den Mißbrauch von Hormonen in der Tiermast eindämmen. Wir müssen die illegale Praxis einiger krimineller Elemente hart bestrafen. Lese ich aber Ihren Maßnahmenkatalog durch, bekomme ich Zweifel, ob der von Ihnen, von der SPD vorgeschlagene Weg der richtige ist.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Zwar sollten die Strafandrohungen verschärft umgesetzt werden, um dem Mißbrauch zu begegnen. Ein Abschlachten Tausender von Kälbern, ein Massaker, wie es der Herr Minister Matthiesen angerichtet hat, war nicht notwendig, war nicht sachgerecht, diente niemandem und war eine schlimme Tierquälerei.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Eigen [CDU/CSU]: Das war Tierquälerei in der Praxis!)

Solche Totschlagmethoden der Politik schüren nur die Unsicherheit der Bürger. Unter dem Blickwinkel, Lorbeeren einzufangen, dürfen keine übereilten und sachlich nicht begründeten Beschlüsse gefaßt werden.
Lassen Sie mich diesen Aspekt vertiefen. Ich bin besorgt über die Leichtfertigkeit, mit der einige Politiker bei den Bürgern Ängste schüren, ihre Lebensmittel seien nicht einwandfrei, sondern hormonverseucht. Ich glaube, daß es unsere Pflicht ist, in engem Kontakt mit der Wissenschaft die Bürger auf mögliche Gefahren im Ernährungsbereich sachgerecht hinzuweisen. Ich halte es allerdings für verantwortungslos, wenn ein Politiker publikumswirksame Effekthascherei betreibt.
Abschließend möchte ich feststellen: Die verschärften Genehmigungsverfahren für Tierversuche, die Beteiligung der beratenden Tierschutzbeauftragten bei Genehmigungsverfahren, die Versuchstiermeldeverordnung, die stärkere Nutzung bestehender Datenbanken, die Anwendung der verschiedenen Tierhaltungsverordnungen und die strikte Anwendung
des Tierschutzgesetzes könnten uns eine Rückführung der Zahl der Tierversuche bringen und werden dazu führen, daß Tieren weniger Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden.
Kritisch möchte ich hier allerdings auch anmerken: In den Bundesländern fehlen immer noch ausreichende personelle und materielle Voraussetzungen für den Vollzug dieses Gesetzes. Es fehlen immer noch Schlachtverordnungen, die aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse mehr Tierschutz ohne fleischhygienische Nachteile bringen. Wir brauchen eine Verordnung zum Transport der landwirtschaftlichen Nutztiere. Eine Pelztierhaltungsverordnung muß nun endlich vorgelegt werden. Man sollte einmal ernsthaft feststellen, ob es eine Verlagerung von Tierversuchen ins benachbarte Ausland gibt.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich beim Bundesministerium für die Vorlage des ersten Tierschutzberichtes. Er ist sicherlich — ich habe das gesagt — noch verbesserungsbedürftig. Dieser Bericht soll uns alle zwei Jahre über Stand und Entwicklung des Tierschutzes in der Bundesrepublik informieren und uns Politiker für Fragen und Probleme sensibilisieren. Es geht darum, den Zweck des Tierschutzgesetzes, der in § 1 beschrieben ist, umzusetzen, nämlich „aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen."
Schönen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113121600
Das Wort hat der Abgeordnete Sielaff.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1113121700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung der Änderung des Tierschutzgesetzes 1985/86 waren sich alle darin einig, daß der Zweck des Gesetzes sei, „aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen". „Der ethische Tierschutz erkennt das Tier als lebendes und fühlendes Mitgeschöpf" an, heißt es wörtlich auch in dem nun vorgelegten Tierschutzbericht 1989.
„Der Tierschutz ist nicht nur eine konservative, sondern er ist vor allen Dingen auch eine christliche Aufgabe", hieß es wörtlich bei der Debatte vor drei Jahren von seiten der CDU/CSU. Die Ethik der Mitgeschöpflichkeit des Schweizer Theologen Blank, die dem Leben des Tieres einen besonders hohen Wert zumißt, „die es grundsätzlich von der bisher im abendländischen Recht üblichen Einstufung als Sache unterscheidet", wurde als Begründung für die Wichtigkeit des Tierschutzes herangezogen. Ich bedauere eigentlich, Herr Michels, daß Sie Ihr eigenes Zitat nicht erkannt haben. Ich fürchte, Sie haben es sich nur aufschreiben lassen.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig! Genau so ist es!)

Sonst hätten Sie auch zugehört.
In der Tat: „Solange die außermenschliche Schöpfung von uns nur als totes Material betrachtet wird,



Sielaff
das uns beliebig zur Verfügung steht, wird jede Bemühung um Umweltschutz zu kurz greifen" , so der Theologe Gerhard Liedke.
Und wenn, meine Damen und Herren, in den alten biblischen Schriften beschrieben wird, wie der Mensch den Tieren Namen gab, dann ist damit das Tier nicht mehr als namenlose Sache, als Objekt, sondern als Mitgeschöpf mit Reaktionen und Empfindungen zu verstehen. In anderen Religionen wird es ähnlich, teilweise sogar noch eindeutiger beschrieben. Der Menschen Herrschaft über die Erde, also über Natur, Pflanzen und Tiere, soll dem bebauenden und bewahrenden Tun eines Gärtners und Pflegers entsprechen. Von Raubbau und Ausbeutung ist keine Rede. Die Welt — und damit Natur und Tier — ist nur Leihgabe und treuhänderisch von uns zu verwalten.

(Eigen [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wurde nun, Herr Eigen, das Gesetz nach dem vorliegenden Bericht diesen ethischen Grundsätzen, die von allen in diesem Hause vertreten wurden, gerecht?
Die SPD-Fraktion hatte das Gesetz damals kritisiert: „In ihm wird der Eindruck zu erwecken versucht, man sei tatsächlich wesentlichen Forderungen der Tierschützer, Tierversuchsgegner und ihrer Organisationen nachgekommen, während man in Wirklichkeit nichts anderes als Kosmetik betreibt", warf Ihnen meine Kollegin Renate Schmidt im April 1986 vor.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Ich habe es damals schon erkannt!)

Die Frankfurter Rundschau meinte damals: „Eher ein Tiernutz- als ein Tierschutzgesetz". Der vorliegende Bericht bestätigt heute leider diese Einschätzung.

(Eigen [CDU/CSU]: Das kann doch nicht wahr sein!)

Die Bundesregierung weigert sich, dem Auftrag des Bundestages nachzukommen — anders kann ich das nicht empfinden — , eine zentrale Datenbank für die Sammlung von Daten über Tierversuche einzurichten, und gibt damit eindeutig dem Einwand der Pharmaindustrie nach, wie die Stellungnahme vom 2. März 1989 der Pharmaindustrie zeigt. Heute bekommen wir die Mitteilung, daß in der kommenden Woche, am 15. März, die Bundesregierung im Ausschuß berichten wird. Ich bin gespannt auf diesen Bericht.
Zu Beginn des Jahres 1989 sollte eine Verordnung zum Schutz von Pelztieren vorgelegt werden. Das ist noch nicht erfolgt.
Bei den Maßnahmen zur Verringerung von Tierversuchen wird kein ausreichendes Zahlenmaterial geliefert — alle hier haben das bestätigt — sondern lediglich mitgeteilt, daß die Ressorts der Bundesregierung die zwischen 1984 und 1986 durchgeführten Überprüfungen zur Verringerung der Tierversuche entsprechend den Zielen des Tierschutzgesetzes fortsetzen und gegebenenfalls entsprechende Änderungen vorschlagen werden. Dies ist eine Daueraufgabe", wird dann sehr inhaltsreich festgestellt.
Auf der Seite 6 des Berichtes werden dann indirekt auch noch gerade Gesetze zum Umweltschutz als
Grund für die notwendigen Tierversuche angegeben: Das Wasserhaushaltsgesetz, das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz und das Pflanzenschutzgesetz werden u. a. angeführt, die direkt oder indirekt Tierversuche zur Folge haben, so die Bundesregierung.
Im Tierschutzbericht wird überhaupt nichts zur Diskussion um die Patentierung von gentechnologisch produzierten Tieren gesagt. Wenn am Reißbrett ein neues Geschöpf als Nutztier entworfen wird, das dann in Serie produziert wird, dann wird das Tier zum bloßen Objekt menschlicher Nutzung entwertet. Die Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf wird damit aufgegeben und der bäuerliche Familienbetrieb weiterhin an den Rand gespielt, wenn diese gentechnologisch produzierten Tiere auch noch patentiert werden können. Bisher wurde die Patentierbarkeit von Tierzuchtverfahren generell verneint. Ich hoffe, daß diese Einstellung nicht durchlöchert wird, weil sonst die standortgerechte und bäuerliche, aber auch umweltverträgliche Landwirtschaft in ihrer Entwicklung weiterhin eingeschränkt wird.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie, Herr Minister Kiechle, haben laut süddeutscher Zeitung vom 8. März, also gestern, Ihr klares Nein gegen die sogenannte Turbo-Kuh mit dem Satz begründet: „Ich bin klar dagegen, nur aus Gründen der Leistungssteigerung in die Natur einzugreifen." Wenn dieses Argument, Herr Minister, nicht nur punktuell gelten soll — Herr Minister, ich sprach mit Ihnen; können Sie vielleicht ein bißchen zuhören, weil ich Ihre Zitate aufgreife —,

(Bundesminister Kiechle [CDU/CSU]: Ich höre sehr gut zu!)

dann dürfen wir ja Hoffnung haben, daß dieses Umdenken bei der Bundesregierung auch in den anderen Bereichen endlich Früchte trägt und nicht nur Theorie bleibt.
Herr Kollege Kiechle argumentiert gleichzeitig — und da muß man natürlich Verdacht schöpfen —: „Technische Einzelheiten über eine tiergerechte Haltung lassen sich nicht im Gesetz, sondern nur durch Rechtsverordnungen regeln. Da wir einen gemeinsamen Markt haben, können im wesentlichen nur" — so Herr Kiechle — „EG-einheitliche Regelungen getroffen werden. " Aber, meine Damen und Herren, mit dieser Argumentation wird die Verantwortung allein nach Brüssel abgeschoben, werden notwendige Verordnungen unterlassen. Bei der Turbo-Kuh ist Herr Kiechle wesentlich mutiger. Hier versucht er, sich aus der Verantwortung herauszuziehen.
Die mangelhafte Durchführung der Ziele des Tierschutzgesetzes macht es notwendig, daß wir in unserer Entschließung fast alle Forderungen von 1986 wiederholen müssen. Zum Lob der Regierung besteht also kein Anlaß. Die vergangenen zwei Jahre waren im Bereich des Tierschutzes — trotz dieses Gesetzes — voller Skandale.

(Heyenn [SPD]: Richtig! — Eigen [CDU/ CSU]: Besonders in Nordrhein-Westfalen!)

1988 war „Robbensterben" das Wort des Jahres. (Frau Flinner [GRÜNE]: Richtig!)




Sielaff
Weitere Spitzenplätze auf der Hitliste der Schlagwörter belegen „Hormon-Mafia" und „Tierfabriken". Meine Damen und Herren, das ist die Realität,

(Frau Flinner [GRÜNE]: Richtig!)

und das haben wir immer noch, obwohl das Tierschutzgesetz seit zwei Jahren in Kraft ist.

(Eigen [CDU/CSU]: Was soll das Tierschutzgesetz am Robbensterben ändern? Da fehlt wirklich jede Logik!)

Am 17. April 1986 erklärten Sie, Herr Minister Kiechle: „Jede Bewegungseinschränkung, mit der einem Tier Schmerzen zugefügt werden kann, ist künftig untersagt. " Wenn das nicht nur ein sophistischer Satz sein soll, dann müssen Sie unser Anliegen unterstützen, sich gegen die tierschutzwidrige Massentierhaltung aussprechen und unseren Antrag auf „Artgerechte und umweltverträgliche Nutztierhaltung" befürworten.

(Beifall bei der SPD)

Denn, meine Damen und Herren, trotz Tierschutzgesetzes ist die moderne Fleischproduktion unter dem Aspekt einer artgerechten Tierhaltung „absolut brutal" , sagen uns Experten. Und in der „Zeit" vom 19. August 1988 hieß es zum Hormonskandal — ich zitiere — :
Bis zur Perfektion wird in den Eiweiß-Fabriken der Lebensrhythmus der Tiere den Interessen der Agrarkapitalisten untergeordnet. Platz kostet Geld und muß deshalb optimal genutzt werden. Kälber werden in kleine Holzkästen gesperrt, aus denen sie gerade den Kopf zum Futtertrog hinausstrecken können.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Jede Bewegung verbraucht Kalorien und ist deshalb unerwünscht. Um die in den Massenquartieren herrschende Infektionsgefahr zu senken, werden die Tiere vorsorglich mit Antibiotika vollgepumpt.
So weit das Zitat aus der Zeitung „Die Zeit". Der Bericht der Bundesregierung geht über diese Probleme einfach hinweg.
Meine Damen und Herren, der gerade verstorbene Verhaltensforscher Konrad Lorenz, allenthalben als „Vater der Graugänse" tituliert, brachte uns sicherlich oft in Versuchung, wenn er in leicht gebeugter Haltung vor seinen „Gänsekindern" daherging, ihn zum Oberganter oder die Gänseküken zu seinen verwunschenen Kindern zu machen, das in solche Fotos hineinzuinterpretieren. Aber bei Konrad Lorenz bleibt ein Unterschied zwischen Mensch und Tier — nicht im Wert, wohl aber in der Plazierung innerhalb der Natur.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113121800
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen?

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1113121900
Wenn es nicht auf meine Zeit angerechnet wird, bitte.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID1113122000
Herr Kollege Sielaff, wenn wir beide einer Meinung sind, daß es Weißfleisch bei Kälbern wegen der tierquälerischen Haltungsformen eigentlich nicht mehr geben sollte, was ja in Deutschland mit der neuen Verordnung verhindert werden soll: Sind Sie mit mir nicht einer Meinung, daß es dann beim Import auch nicht geschehen darf und wir deswegen in dieser Hinsicht europaweit entsprechende Gesetze brauchen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden?

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1113122100
Herr Eigen, wir sind uns da völlig einig. Auch wir meinen, daß es europaweit geschehen soll. Aber wir sind der Auffassung, daß man hier gegebenenfalls auch eigene Schritte einleiten sollte.

(Zustimmung bei der SPD — Bundesminister Kiechle und Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das haben wir doch gemacht!)

— Aber warum steht dann darüber kein Wort im Bericht?
Meine Damen und Herren, nur der Mensch ist ein tierliebender und dann auch tierschützender, der das Tier in seiner Eigenart erkennt, es respektiert und die Zusammenhänge innerhalb des Naturhaushaltes einzuordnen weiß.
In einem Nachruf auf Konrad Lorenz las ich, daß dieser Wissenschaftler weniger die chemische Zusammensetzung des Stoffes erforschen wollte, mit dem es einem Vogel gelingt, seine Schwingen zu entfalten und davonzufliegen, sondern er wollte das Geheimnis des Fliegens und dessen Schönheit im ganzen sehen. Bei allen angebrachten Vorbehalten dem Forscher Lorenz gegenüber scheint mir dieses Ganzheitsprinzip doch sehr gut und wesentlich zu sein. Seine Liebe zum Tier ließ ihn allerdings nicht zum Vegetarier werden. Er konnte sogar Gänsebraten genießen. Aber, meine Damen und Herren, die Ehrfurcht vor dem Leben darf trotzdem nicht vor dem Tier haltmachen.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113122200
Nun hat der Abgeordnete Kroll-Schlüter das Wort.

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID1113122300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst lobend und anerkennend vermerken, daß wir uns mit soviel Zeit und auch mit soviel Engagement

(Bindig [SPD]: Und teilweise auch Sachkunde!)

im Zusammenhang mit den Themen Tierschutz, tiergerechte Haltung usw. beschäftigen, mit Themen, die die Bevölkerung durchaus leidenschaftlich beschäftigen, und daß es gut ist, wenn dazu auch eine Antwort aus dem Parlament versucht wird.
Ich möchte mich mit dem Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Mißbrauchs von Hormonen in der Tiermast auseinandersetzen und weise darauf hin, daß in der Bundesrepublik Deutschland bereits seit 1959 die Anwendung von Sexualhormonen zu Mastzwecken verboten ist. Die Initiativen des Bundestages, der Bundesregierung und des Bundesrates haben dazu geführt, daß diese Hormone zur Mast jetzt auch in der gesamten EG verboten sind. Das ist ein nicht



Kroll-Schlüter
selbstverständlicher und ein begrüßenswerter Erfolg.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Was ist mit dem BST, Herr Kollege? — Eigen [CDU/CSU]: Das werden wir ebenfalls verbieten!)

— Ich komme noch dazu.
Wir haben eine gute Grundlage. Wir wissen, was wir wollen, und wir fühlen uns dem Verbraucherschutz in besonderer Weise verpflichtet. Es ist auch nicht zu bestreiten, daß bei der Verwendung von Hormonen zur Mast Risiken für die Gesundheit der Verbraucher bestehen. Selbst die Befürworter der Hormonmast geben ja zu, daß dies, nur unter bestimmten Voraussetzungen passieren kann: man müsse Grenzwerte einhalten, Sorgfalt walten lassen usw.
Wir vertrauen dem nicht. Besser ist ein totales Verbot, obgleich es auch Stimmen gibt, die sagen: Wer es total verbietet, fördert damit immer wieder die Versuchung zum Schwarzmarkt, also die Versuchung, so etwas zu umgehen. Aber ich glaube, daß die Einsicht mittlerweile so gewachsen ist und die Möglichkeiten der Kontrolle so weit gediehen sind, daß wir sagen können, ein Verbot ist die beste Regelung.

(Beifall des Abg. Eigen [CDU/CSU]) Deswegen sollte es daran keinen Zweifel geben.

Der Hinweis darauf — man muß sich ja damit auseinandersetzen — , daß Fleisch hormonbehandelter Tiere weniger Hormone enthält, als natürlicherweise in Fleisch älterer Mastbullen vorhanden ist, sollte ebenfalls keine Rechtfertigung sein, mit Hormonen die Mast zu unterstützen. Ich sage vielmehr noch einmal: Da wir es nicht hinreichend, wenn Hormone eingesetzt würden, kontrollieren könnten und da es besser ist, gegenüber dem Verbraucher von vornherein Klarheit zu haben, sollte es keinen Zweifel an einem totalen Hormonverbot geben.
Nun ist es zu verurteilen, daß von einigen Tiermästern aus wirtschaftlichem Gewinnstreben dieses Verbot nicht beachtet worden ist. Der illegale Einsatz von Sexualhormonen wurde festgestellt. Jetzt aber daraus den Schluß zu ziehen, daß bestimmte Haltungsformen als Ursache für den Einsatz verbotener Stoffe anzusehen sind, ist sicherlich nicht richtig.

(Frau Adler [SPD]: Das hat doch keiner getan, Herr Kroll-Schlüter!)

— Doch. Ich möchte Ihnen sagen, Frau Kollegin, daß z. B. der nordrhein-westfälische Landwirtschaftsminister daraus nicht nur eine auch den Tieren gegenüber unverhältnismäßig scharfe Aktion gemacht hat, sondern daß er daraus auch ein politisches Agrarprogramm abgeleitet hat. Eine seiner ersten Forderungen in diesem Zusammenhang war: Das ist der Beweis dafür, daß Agrarfabriken verboten werden müssen. Diese Schlußfolgerung mag hier und da zutreffend sein, als generelle Schlußfolgerung für die Praxis ist sie jedoch falsch.

(Eigen [CDU/CSU]: Überzogen!) Sie ist sicherlich kein Ausgangspunkt für irgendeine agrarpolitische Konsequenz, die darüber hinaus ginge.


(Sielaff [SPD]: Sie wollen doch auch die agrarpolitischen Fabriken abschaffen! — Gegenruf Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber es ist doch etwas anderes, was ihr in eurem Antrag fordert!)

Die Bundesregierung hat mit dem Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft — wir haben eben darüber diskutiert — eindeutig zu erkennen gegeben, daß sie nicht die industrielle Tierhaltung, sondern eine bäuerliche Betriebsstruktur für erstrebenswert hält. Aber eben nicht nur einseitig aus den hier genannten Gründen, sondern im Rahmen einer umfassenden Begründung. Diese Bemühungen der Bundesregierung verdienen unterstützt zu werden.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis auf die kürzlich verabschiedete Kälberhaltungsverordnung. Sie wird dazu beitragen, Mißstände auf diesem Gebiet abzubauen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113122400
Herr Abgeordneter Kroll-Schlüter, der Abgeordnete Oostergetelo möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID1113122500
Aber selbstverständlich.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113122600
Herr Kollege, da Sie jetzt anwesend sind und ich fragen darf: Gehe ich richtig in der Annahme, daß aus „umfassenden Gründen" die Begrenzung bei den Tiereinheiten, die auch Sie befürworten, so zu verstehen ist, daß wir, wie in der vorangegangenen Diskussion deutlich geworden ist, die Größen jetzt verdreifachen? Halten Sie 700 000 Tiere in einem Jahr für eine umfassend begründete bäuerliche Struktur?

(Frau Saibold [GRÜNE]: Au, das tut weh!)


Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID1113122700
Es kommt bei dieser Betrachtung auf den Gesamtzusammenhang an. Wichtig ist dabei der Hinweis auf die Bestandsobergrenzen bei den einzelnen Tierarten,

(Sielaff [SPD]: Nun mal deutlich Farbe bekennen, Herr Kroll-Schlüter!)

z. B. bei Kühen, bei Mastschweinen. Ich möchte insofern deutlich Farbe bekennen, daß ich z. B. eine Bestandsobergrenze von 120 Kühen für eine gerade noch akzeptable Obergrenze halte.

(Oostergetelo [SPD]: 700 000 Hähnchen auch?)

Damit haben Sie von mir eine klare Aussage in dem genannten Zusammenhang.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang auch mit dem Schutz der Gesundheit des Verbrauchers in der Bundesrepublik Deutschland auseinandersetzen, und zwar in bezug auf die Arzneimittel, die Lebensmittel, das Fleischhygienerecht. Wir müssen anerkennen, daß wir hier z. B. innerhalb der EG weit vorangeschritten sind. Das ist kein Grund, uns damit schon zufriedenzugeben. Aber immerhin können wir auch hier darauf hinweisen, daß infolge nicht zuletzt auch



Kroll-Schlüter
der Initiativen des Deutschen Bundestages echte, reale Fortschritte erzielt worden sind.
Bund und Länder haben sich im August und September des vergangenen Jahres zusammengesetzt und gemeinsame Maßnahmen zur Stärkung und Intensivierung der Überwachung abgestimmt. Diese Maßnahmen müssen konsequent durchgeführt werden. Auch der vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf zur Verschärfung der Strafen im Lebensmittel- und Fleischhygienerecht wird zur Eindämmung der illegalen Anwendung von Hormonen beitragen. Die bisherigen Strafrahmen in den genannten Rechtsbereichen haben bis jetzt noch nicht ausgereicht. Sie sollten erweitert werden, um eine abschreckende Wirkung auszuüben.
Die Geschehnisse der letzten Zeit haben auch gezeigt, daß möglicherweise die Regelung über Bezug, Abgabe und Anwendung von Tierarzneimitteln überdacht und auch die Rohstoffe oder Ausgangserzeugnisse für Arzneimittel in die Überlegungen einbezogen werden müssen. Das alles ist zu betrachten im Hinblick auf die Europäische Gemeinschaft.
Wir treten mit Nachdruck für die weitere Harmonisierung der Regelungen über Tierarzneimittel ein. Unterschiede gibt es jetzt noch z. B. bei der Abgabe von Tierarzneimitteln in anderen EG-Mitgliedstaaten, die auch Auswirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland haben.

(Eigen [CDU/CSU]: Belgische und holländische Cocktails z. B.!)

Die Bundesregierung ist z. B. in ihren Bemühungen zu unterstützen, die Stellungnahme des sogenannten EG-Tierarzneimittelausschusses verbindlich zu machen, damit die nationalen Zulassungsbehörden der Mitgliedstaaten gleiche Anwendungsvorschriften für Arzneimittel festlegen.
Um den illegalen Einsatz verbotener Stoffe in der Nutztierhaltung feststellen zu können, sind bestimmte Voraussetzungen wie Analyse- und Kontrollvorschriften, Rückstandskontrollpläne und Referenzlaboratorien erforderlich. Positiv zu vermerken ist, daß auf diesem Gebiete ebenfalls gute Fortschritte in der EG erreicht worden sind. Dies ist um so wichtiger, als in allen Mitgliedstaaten mit den gleichen Instrumentarien die illegale Anwendung von Hormonen bekämpft werden muß.

(Zustimmung von der CDU/CSU)

Es geht hier auch um Wettbewerbsverzerrungen. Es geht aber auch um die Wirksamkeit. Was nutzt das beste Instrumentarium bei uns, wenn dieses gute Instrumentarium von außen immer wieder illegal durchlöchert wird?

(Eigen [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich darf in diesem Zusammenhang auch auf das in Rede stehende Rinderwachstumshormon BST hinweisen. Wir haben uns mit einigen Kollegen vor Ort die Situation in Amerika angesehen. Es mag Gründe dafür geben.

(Eigen [CDU/CSU]: Keine vernünftigen!)

Unsere Meinung ist: Das Ganze ist immer mit einem
Risiko verbunden. Vor allen Dingen sind die Voraussetzungen für die Anwendung so kompliziert, daß man einfach nicht von einer immer sachgemäßen Anwendung ausgehen kann. Aber ein anderes Argument ist noch wichtiger: Wir brauchen keine künstliche Ergänzung der Fütterung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113122800
Herr Abgeordneter Kroll-Schlüter, Sie hatten soeben mir gegenüber die Hoffnung erweckt, als ob Sie Ihre Redezeit nicht voll ausnutzen würden. Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen: Nun sind Sie im Begriff, sie kräftig zu überschreiten.

Hermann Kroll-Schlüter (CDU):
Rede ID: ID1113122900
Deswegen möchte ich zum Abschluß darauf hinweisen, daß der Verbraucher bei all den Punkten, die ich erwähnt habe, auf unser Engagement bauen kann. Wir möchten ein verläßlicher Anwalt seiner berechtigten Interessen sein.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113123000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Saibold.

Hannelore Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1113123100
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kroll-Schlüter, Ihre letzten Worte quasi in Gottes Ohr.
Ich möchte auch noch einmal an die letzten Worte von Herrn Kiechle erinnern. Er hat nämlich wieder einmal an die Verbraucher appelliert, sie möchten sich doch genauer über die Herkunft der von Ihnen erworbenen tierischen Produkte informieren.
Auch Sie, Herr Kroll-Schlüter, sprechen von „Klarheit für die Verbraucher". Der Antrag, den wir heute eingebracht haben, müßte ausnahmsweise einmal auf die Zustimmung des ganzen Hauses stoßen.

(Fellner [CDU/CSU]: Er ist überflüssig!)

— Nein. — Wir fordern nämlich die Kennzeichnung von Produkten aus Massentierhaltung. Bei der Abstimmung über diesen Antrag wird man wieder einmal sehen, was von Ihren Worten zu halten ist.
Durch die in Zusammenhang mit den Hormonskandalen bekanntgewordenen unverantwortlichen Praktiken in der Massentierhaltung sind die Konsumenten aufgeschreckt worden. Vor zwei Tagen war in der Presse zu lesen, daß seit diesem Skandal im Sommer 1988 eine Rückbesinnung auf die traditionellen Anbieter von Fleisch stattgefunden habe. Die Verbraucher und Verbraucherinnen wollen solches Fleisch also nicht. Nur, die Mehrzahl von ihnen weiß wahrscheinlich gar nicht, daß sowohl die Metzgerei um die Ecke als auch der Verbrauchermarkt auf der grünen Wiese immer häufiger über dieselbe Versandschlachterei von demselben Massentierhaltungsbetrieb ihr Fleisch beziehen. Metzger, die ihr Fleisch vom nahegelegenen Schlachthof erwerben oder die gar noch das Vieh aus bäuerlicher Landwirtschaft selbst schlachten, sind extrem selten geworden. Bereits 70 aller Fleischlieferungen erfolgen heute über die Versandschlachtereien.

(Eigen [CDU/CSU]: Die können Sie doch nicht einfach diffamieren! Das sind ordentliche Leute! So etwas hier im Bundestag, einen ganzen Wirtschaftszweig zu diffamieren!)




Frau Saibold
Der Einkaufsort allein ist deshalb keine Garantie mehr für saubere Ware.
Eine Ursache der vielschichtigen Probleme liegt in der Industrialisierung der sogenannten tierischen Produktion. Die tierquälerische Massentierhaltung erfordert nämlich auch einen Masseneinsatz von Tiermedikamenten. Stellen Sie sich vor: Allein die Hälfte der Weltproduktion von Antibiotika wird nur in der Tiermast verwendet, und gentechnisch erzeugte Hormone wie das BST werden extra nur dafür produziert.
Die Medikamente werden sowohl vorbeugend als auch zur Gewichtssteigerung eingesetzt, denn das wirtschaftliche Prinzip lautet: auf möglichst kleinem Platz in möglichst kurzer Zeit mit möglichst wenig Futter möglichst viel Fleisch zu erzeugen. Weil das so ist, ist auch der illegale Einsatz von Wachstumsförderern allein mit Vorschriften eben nicht zu beseitigen.
Die Bundesregierung ignoriert seit langem die Forderung von Tierschutz- und Umweltverbänden, von der Verbraucherinitiative, den GRÜNEN und auch der Agraropposition nach einem Verbot der Massentierhaltung. Sie fördert und legalisiert statt dessen diese Tierquälerei noch, indem sie z. B. Tierfabriken
— Sie haben es ja heute gehört — mit 1 '700 Mastschweineplätzen oder auch 100 000 Hähnchen einfach als „bäuerliche Landwirtschaft" deklariert.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das sind doch keine bäuerlichen Betriebe! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Hören Sie mal zu! Das ist Etikettenschwindel, was hier gemacht wird.
Wozu eigentlich das Ganze? Haben wir denn etwa Probleme mit der Eiweißversorgung? Nein, im Gegenteil, wir praktizieren eine regelrechte Eiweißmast, und wir fressen uns buchstäblich krank.

(Eigen [CDU/CSU]: Sie! Fressen tun wir nicht, ganz bestimmt nicht!)

Allein der Verbrauch von durchschnittlich 104 kg Fleisch pro Kopf und Jahr führt nicht nur zum Hunger in der Dritten Welt und enormen Umweltbelastungen, sondern bewirkt schwerwiegende Gesundheitsschäden, wobei die Folgen der chemischen Rückstände überhaupt noch gar nicht berücksichtigt sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Immer mehr setzt sich deshalb die Erkenntnis durch:
Erstens. Die Massentierhaltung ist ein Verbrechen an der gesamten Schöpfung, an den Tieren, an den Menschen und an der Umwelt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens. Lieber weniger kaufen, aber dafür eine bessere Qualität erhalten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ekel, Abscheu und ethische Entrüstung der Menschen über die Praktiken in der Massentierhaltung werden Veränderungen erzwingen, und deshalb ist die Kennzeichnung von Produkten aus der Massentierhaltung unerläßlich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie stellt eine konkrete Einkaufshilfe dar und ermöglicht eine Volksabstimmung mit dem Einkaufskorb.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1113123200
Nun hat der Herr Abgeordnete Carstensen (Nordstrand) das Wort.

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1113123300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wen sollte das wundern, auch bei dem zu behandelnden Antrag der SPD zur artgerechten und umweltverträglichen Nutztierhaltung fällt einem die Geschichte vom Hasen und dem Swinegel ein. Der ach so flinke, aber tumbe Hase, der diesen Antrag für die SPD geschrieben hat, hoppelt von einem Ziel zum anderen, und der träge, wehrhafte und verschmitzte Igel ist schon da.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Wer ist denn der Igel?)

— Das ist nicht das englische Wort „eagle", was ja wohl übersetzt „Adler" heißt.

(Vorsitz : Vizepräsident Westphal)

Da werden Forderungen in Ihrem Antrag erhoben, denen die Bundesregierung schon längst entsprochen hat. Sie müßten wissen, daß die Verordnung über die Tierschutzkommission vom Juni 1987 da ist, ebenso die Hennenhaltungsverordnung und die Verordnung über Aufzeichnungen über Versuchstiere. Wir haben die Schweinehaltungsverordnung vom Mai 1988. Da findet man die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes.

(Frau Adler [SPD]: Alles ungenügend!)

— Darüber können wir uns ja unterhalten, Frau Adler. Das werden wir im Ausschuß sicherlich auch tun, aber Sie können nicht fordern, daß die Bundesregierung etwas vorlegt, was sie schon lange vorgelegt hat.
Natürlich gibt es immer noch genügend Probleme bei uns mit dem Tierschutz. Wer wollte das bestreiten? Aber es stellt sich doch die berechtigte Frage, ob die Lösung der Probleme immer nur mit noch mehr Regelungen, noch mehr Verordnungen und noch mehr Gesetzen herbeizuführen ist.
Wir wollen vernünftigen Tierschutz, wir wollen artgerechte Tierhaltung bei der Haltung von Hunden in den Großstädten genauso wie bei der Haltung von Nutztieren auf den Bauernhöfen. Aber wir wollen nicht, daß unsere Bauern von Verordnungen, Verordnungen und Verordnungen eingefangen sind und bei ihrer Arbeit, beim Düngerstreuen, beim Spritzen, bei der Tierhaltung Kontrolleure der zuständigen Kreis-und Landesbehörden zur Aufsicht links und rechts neben sich haben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)




Carstensen (Nordstrand)

Arbeit und Verwaltung, das scheint mir ein neues Programm der SPD zu sein: Einer arbeitet und schafft, und einer verwaltet, kontrolliert und behindert.
Mehr Tierschutz und mehr artgerechte Tierhaltung durch Verwaltungsvorschriften stoßen irgendwann einmal an eine Grenze, wo nichts mehr zu erreichen ist. Es ist auch zu fragen, ob alle Verordnungen immer sachgerecht gewesen sind.
Einzelhaltungssysteme bei Sauen gewähren dem Einzeltier auch Schutz vor ranghöheren älteren und aggressiven Artgenossen, denen sie bei der Gruppenhaltung ausgeliefert wären.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Dann muß man sie ja nicht anbinden!)

— Ich finde es ganz interessant, daß gerade die lachen, die in den letzten Jahren wahrscheinlich nie in einem Sauenstall gewesen sind.

(Frau Flinner [GRÜNE]: Von wegen!)

Wenn Auflagen für die Tierhaltung verschärft werden, dann sind in der Regel auch Investitionen notwendig. Gerade im Schweinebereich kann den Landwirten nicht zugemutet werden, daß sie diese Investitionen unter dem derzeitigen Preisdruck alleine, ohne Hilfe vornehmen. Es ist sicherzustellen, daß diese Investitionen über unsere Gemeinschaftsaufgabe und über Landesprogramme zu fördern sind.
Tierschutz kann nur erreicht werden, wenn er nicht erzwungenermaßen vollzogen wird, sondern aus der Einsicht kommt, daß — wie es im Tierschutzgesetz steht — der Mensch aus der Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf sein Leben und Wohlbefinden schützt. „Wer Tiere hält, muß Tiere hüten", sagt man bei uns, und man sagt auch: „Das Auge des Herrn füttert sein Vieh".
Ohne die Einbindung der Landwirte in den Gedanken des Tierschutzes und ohne deren Einsicht und nur mit Verordnungen und Gesetzen läßt sich Tierschutz nicht erzwingen. Einbindung und Einsicht haben aber auch etwas mit Erziehung und Ausbildung zu tun. Hier sind Ansatzpunkte, die mindestens genauso wichtig sind wie die Rahmen, die die Gesetze und Verordnungen setzen.
Der Zusammenhang, der auch in dem Antrag der SPD zum Ausdruck kommt, nämlich Massentierhaltung mit vermindertem Tierschutz gleichzusetzen, ist in seiner Grundsätzlichkeit falsch.
Ich habe mich in den letzten Tagen einmal bei einem Tierschutzverein bei mir in Nordfriesland und bei der Veterinärverwaltung des Kreises erkundigt, bei welcher Art von Betrieben es denn die meisten Probleme mit dem Tierschutz und mit artgerechter Haltung gibt. Es sind nach deren Aussagen nicht die sogenannten großen bäuerlichen Betriebe oder intensiv wirtschaftenden Betriebe. Es gibt dort Probleme, wo es auch mit der Ausbildung, mit der Familie, mit der schulischen Bildung und auch in anderen Bereichen, z. B. im Zusammenhang mit dem Alkohol, im argen liegt. Es gibt dort Probleme, wo Betriebe nebenbei geführt werden, bei finanzschwachen und kleineren Landwirtschaften.
Es sind nach deren Aussagen nicht die modernen neuen Stallhaltungen, die dem Vieh und damit auch
dem Tierschutzverein Sorgen bereiten. Es sind alte, nicht ausgebaute, „romantische" Ställe, wo das Rindvieh in dunklen Ställen steht, zum Teil noch von hinten gefüttert wird, was heißt, daß das Vieh mit dem Kopf an der Wand steht und damit nicht so artgerecht gehalten wird bzw. aufgestallt ist wie in einem ordentlich geführten Boxenlaufstall.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113123400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1113123500
Gerne.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113123600
Bitte schön, Herr Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1113123700
Herr Kollege, ich hatte so den Eindruck, als ob die Problematik in diesem Bereich am Ausbildungsstand hängt. Muß man wirklich Landwirtschaftsrat sein, um Liebe zum Tier zu entwickeln, und wieviel Tiere haben Sie in Ihrem Betrieb?

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1113123800
Ich habe, wenn ich meine Tiere zähle — ich zähle die Fische ebenfalls zu den Tieren — , wahrscheinlich mehr als Sie.

(Heiterkeit — Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Oostergetelo [SPD]: Katzen und Mäuse auch noch!)

Tierquälerei und quälerische Tierhaltung sind kein Kavaliersdelikt. Aufklärung und Verhütung laufen dort gut, wo Landwirte mit den Tierschutzvereinen, mit sachlichen Tierschützern zusammenarbeiten und wo Konfrontationen abgebaut werden.
Es ist einfach Unsinn und nicht wahr und es führt zu falschen Schlüssen, die wohl auch beabsichtigt sind, wenn die SPD in ihrem Antrag schreibt, daß das Streben nach einem angemessenen Betriebseinkommen auch zu einer Intensivhaltung geführt hat, die nicht artgemäß und verhaltensgerecht ist.
Unsere Landwirte haben Ihre pauschale Kritik nicht verdient. Sie sind gut ausgebildet, sie verstehen ihr Handwerk, und sie können gut rechnen. Die Landwirte wissen, jedes Gramm Stickstoff, das nicht von der Pflanze aufgenommen wird, weil zuviel oder zum falschen Zeitpunkt gedüngt wurde, kostet Geld. Jedes Tier im Stall, das sich nicht wohlfühlt, weil es falsch gehalten wird und somit weniger Leistung bringt, kostet Geld. Kostenminimierung ist ein Punkt, auf den der fortschrittliche, gute und intensiv wirtschaftende Landwirt achtet.
Bei mir auf Nordstrand sagt man: „De Tröge blieben immer desülben, de Schwine verännern sik! " — Das ist ein Ausspruch meines Freundes Kurt Maart, der Landwirt auf Nordstrand ist. Das paßt zu der Taktik, mit der Sie hier vorgehen.
Der Tierschutz in den Ställen und die artgerechte Haltung der Nutztiere werden von uns ausdrücklich bejaht. Reglementierungen müssen sachgerecht sein, und sie dürfen nicht nur auf unsere Landwirte zugeschnitten sein. „Europa" hat in unseren Nachbarländern noch einigen Nachholbedarf. Derzeit gehen solche Dinge stärker zu unseren Lasten als zu Lasten



Carstensen (Nordstrand)

unserer Nachbarn. Wenn wir etwas tun wollen — was ich bejahe —, müssen wir es europaweit tun, um es nicht zu noch stärkeren Wettbewerbsverzerrungen kommen zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113123900
Herr Kollege Carstensen, das Plattdeutsche übersetzen Sie sicher für die Stenographen; dann ist die Protokollierung leichter.

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1113124000
Das will ich gerne machen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113124100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Adler.

Brigitte Adler (SPD):
Rede ID: ID1113124200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Artgerechte Nutztierhaltung, alle reden davon — wir haben es eben gehört — , aber die politischen Vorgaben, die zur Zeit von dieser Bundesregierung dargeboten werden, stehen dagegen. Denn, Herr Carstensen, die Inhalte der Verordnungen sind es, auf die es ankommt. Sie haben die Verordnungen vorhin selber aufgezählt, und ich denke, es ist wichtig, daß man nachprüft, was da wirklich hineingeschrieben worden ist und was verändert werden muß.
Das Agrarstrukturgesetz mit seinen Fördergrenzen ist — Herr Minister, ich betone das — nicht hilfreich und nicht ausreichend. Es ist auf Ihrer Seite deutlich die Verunsicherung in der Frage, wie man damit umgehen wird, zu spüren, denn der Teufelskreis der Mengenproduktion kann doch nur durch eine umweltverträgliche Produktionsweise durchbrochen werden, die auch eine artgerechte Haltung der Tiere ermöglicht, die von der Massentierhaltung mit all ihren fatalen Folgen wegführt.
Die „Süddeutsche Zeitung" hat erst vor wenigen Tagen in einem sehr anschaulichen Artikel klargemacht, was es heißt, wenn z. B. bestimmte Fütterungsinhalte angeboten werden. Dieser Artikel ist mit „Was das Schwein so unappetitlich macht" überschrieben. Ein zu hoher Anteil an ungesättigten Fettsäuren in den Futtermitteln führt nämlich dazu, daß verschiedene Qualitätsmängel beim Schweinefleisch auftreten. Man kann hier doch nicht einfach so tun, als gäbe es solche Vorkommnisse nicht und als bräuchte man keine weiteren inhaltlichen Überlegungen.
Die Tierarzneimittel, die wir in unserem Antrag angesprochen haben, bedürfen sehr kritischer Überwachung, denn sie sollten dazu dasein, dem kranken Tier zu helfen, sollten aber nicht zur Prophylaxe und als Masthilfe eingesetzt werden. Das wissen Sie ganz genau. Unser Antrag zeigt auf, mit welchen Maßnahmen man umwelt- und naturverträglich arbeiten kann.
Der Entschließungsantrag der GRÜNEN steht in seiner Grundlinie mit unseren Positionen im Einklang. Aus meiner Sicht sind allerdings — und das finde ich merkwürdig — die Vieheinheiten und die Dungeinheiten, die Sie dort nennen, zu hoch angesetzt.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Können Sie Ihre noch einmal nennen? Sagen Sie Ihre doch noch einmal, Frau Adler!)

Aber ich denke, daß wir das im Ausschuß ausführlich erörtern werden.
Meine Damen und Herren, es sollte Sie von der Koalition nachdenklich stimmen, daß viele Landwirte in unserem Sinne handeln und handeln wollen. Die Hormonskandale der letzten Monate haben gezeigt, daß man sich zwar durch kriminelle Machenschaften einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen wollte, daß uns aber der neu aufgetretene Hormonskandal in Belgien ebenfalls große Sorgen machen sollte. Wir sollten da gemeinsam an einem Strick ziehen.
Insofern, Herr Eigen, habe ich Ihre Frage vorhin als wirklich nicht fair empfunden. Wir haben doch in Sachen BST und Hormone im Ausschuß gemeinsam eine Entschließung verabschiedet,

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

und insofern liegen wir in dieser Sache ja auf einer Linie, auch und gerade was BST angeht.

(Eigen [CDU/CSU]: Bei meiner Frage ging es um Weißfleisch bei Kälbern! Das war ein ganz anderes Problem!)

Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß die Ursachen dafür, daß leider immer wieder entsprechend gehandelt wird, ebenfalls ökonomische Zwänge sind.
Was hier noch nicht erörtert wurde, was uns aber weiter beschäftigen sollte, ist die Frage der Gentechnologie im Tierbereich. Hier ist man auf einem Weg, der, wie ich meine, sehr kritisch zu betrachten ist.
Meine Damen und Herren, diejenigen, die es heute noch nicht begreifen, werden es bald sehr schmerzlich erfahren: Die Ernährungsgewohnheiten der Menschen verändern sich, ja, sie müssen sich verändern. Der Körper benötigt dringend nicht nur tierisches Eiweiß, sondern auch pflanzliche Eiweißstoffe. Das heißt in der Konsequenz: Man benötigt weniger Tiere. So stehen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, vor einem Scherbenhaufen Ihrer Politik. Kurzatmig verteidigen Sie letzte Bastionen und geraten somit ins Abseits. Selbst die EGKommission legt eine Richtlinie vor, aus der — allerdings bisher nur aus dem englischen Text — hervorgeht, daß Auflagen wegen der Nitratbelastung kommen müssen. Deshalb meine ich: Kehren Sie um, lassen Sie uns gemeinsam eine umweltverträgliche Landwirtschaft einleiten — zum Wohle von uns allen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113124300
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/3102, 11/3846 und 11/3891 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Die Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/4132 und 11/4145 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Tierschutzbericht.



Vizepräsident Westphal
Weiter soll der Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4146 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? — Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Geiger, Frau Schmidt (Nürnberg), Frau Nickels, Frau Adler, Frau Beck-Oberdorf, Frau Becker-Inglau, Frau Blunck, Frau Brahmst-Rock, Frau Bulmahn, Frau Conrad, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Frau Dempwolf, Frau Dr. Dobberthien, Frau Eid, Frau Faße, Frau Fischer, Frau Flinner, Frau Folz-Steinacker, Frau Fuchs (Köln), Frau Fuchs (Verl), Frau Ganseforth, Frau Garbe, Frau Dr. Götte, Frau Hämmerle, Frau Dr. Hartenstein, Frau Hasselfeldt, Frau Dr. Hellwig, Frau Hensel, Frau Hillerich, Frau Hoffmann (Soltau), Frau Kelly, Frau Krieger, Frau Limbach, Frau Luuk, Frau Männle, Frau Dr. Martiny, Frau Matthäus-Maier, Frau Dr. Niehuis, Frau Odendahl, Frau Oesterle-Schwerin, Frau Olms, Frau Pack, Frau Renger, Frau Rönsch (Wiesbaden), Frau Rust, Frau Saibold, Frau Schilling, Frau Schoppe, Frau Dr. Segall, Frau Seiler-Albring, Frau Seuster, Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Frau Terborg, Frau Teubner, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Trenz, Frau Unruh, Frau Vennegerts, Frau Verhülsdonk, Frau Dr. Vollmer, Frau Weiler, Frau Weyel, Frau Wieczorek-Zeul, Frau Will-Feld, Frau Wilms-Kegel, Frau Dr. Wisniewski, Frau Wollny, Frau Würfel
Menschenrechtsverletzungen an Frauen
— Drucksachen 11/1801 (neu), 11/3250 (neu), 11/3623 —
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schmidt (Nürnberg), Adler, Bachmaier, Becker-Inglau, Blunck, Börnsen (Ritterhude), Bulmahn, Conrad, Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Dobberthien, Duve, Faße, Fuchs (Köln), Fuchs (Verl), Ganseforth, Dr. Götte, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Kuhlwein, Luuk, Dr. Martiny, Matthäus-Maier, Dr. Niehuis, Odendahl, Peter (Kassel), Renger, Schröer (Mülheim), Seuster, Simonis, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Steinhauer, Stiegler, Terborg, Dr. Timm, Traupe, Weiler, Weyel, Wieczorek-Zeul, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Menschenhandel mit ausländischen Mädchen und Frauen, sogenannte Heiratsvermittlung und Prostitutionstourismus
— Drucksachen 11/2210, 11/3580 —
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD, der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Männle, Frau Schmidt (Nürnberg), Frau Nickels und weiterer Abgeordneter auf den Drucksachen 11/4131, 11/4144 und 11/4150 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes 90 Minuten vorgesehen. Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1113124400
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe wenige Kollegen in diesem Raume! Ich kann mir die Vorbemerkung doch nicht ganz verkneifen, daß das Fingerspitzengefühl des Ältestenrats nicht gerade sehr ausgeprägt war, nach dem Tierschutzbericht nun die Menschenrechtsverletzungen an Frauen anzuschließen.

(Beifall bei allen Fraktionen — Frau Flinner [GRÜNE]: Und zu so später Stunde!)

— Die späte Stunde kommt noch dazu.
Es mag ja ein Zufall sein, aber ich bitte Sie, Herr Präsident, im Ältestenrat zu sagen,

(Frau Adler [SPD]: Ein von Männern besetzter Ältestenrat!)

daß man hinsichtlich der „Speisenfolge" hier in Zukunft ein bißchen aufmerksamer sein sollte.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wir richten es aus!)

— Sie richten das aus.

(Eigen [CDU/CSU]: Wenn es beim Menschenschutz immer so gutginge wie beim Tierschutz, dann wäre schon vieles erreicht!)

— Aber, Herr Kollege, jetzt wird es ja immer schlimmer. Ihr Zwischenruf macht die Sache ja noch schlimmer.

(Eigen [CDU/CSU]: Gehen Sie einmal nach Brasilien und gucken Sie sich die zehnjährigen Mädchen beim Schlagen von Zuckerrohr an!)

— Das hat mit diesem Thema nun wirklich nichts zu tun.
Meine Damen und Herren, ich komme zur Sache. Die Große Anfrage, die von 74 Kolleginnen aus allen Fraktionen vor einem Jahr unterzeichnet wurde, und die Antwort der Bundesregierung darauf, die wir heute anläßlich des Weltfrauentages diskutieren, beschäftigen sich nun mit einer Thematik, die im düsteren Kapitel der nicht enden wollenden Menschenrechtsverletzungen in vielen Ländern der Welt der wohl düsterste Teilbereich ist, weitgehend unbekannt in der Öffentlichkeit. Deshalb haben wir Frauen des Deutschen Bundestages mit dieser Großen Anfrage versucht, dieses düstere Kapitel der besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit und Anteilnahme zuzuführen.
Meine Damen und Herren, wie kam es zu dieser gemeinsamen, interfraktionellen Fraueninitiative? Als von amnesty international zum Weltfrauentag vor zwei Jahren erstmals auf das Ausmaß und die besondere Problematik von Menschenrechtsverletzungen



Frau Dr. Hamm-Brücher
an Frauen aufmerksam gemacht und hierzu erschütterndes Material vorgelegt wurde, beschlossen wir Frauen, hierzu eine Große Anfrage an die Bundesregierung zu richten. Es war, wie wir alle wissen, die daran mitgearbeitet haben, nicht ganz einfach, hier zu gemeinsamen Fragestellungen und Akzenten zu kommen. Aber es gelang zu unserer Befriedigung, und es gelang auch, bis heute tatsächlich einen gemeinsamen Entschließungsantrag vorzulegen. Das sollen uns die Männer bei einem Problem, das uns alle angeht, erst einmal nachmachen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und den GRÜNEN — Bindig [SPD]: Im Menschenrechtsbereich haben wir das Gott sei Dank schon machen können!)

— Ab und an. Aber auch in anderen Bereichen sollten wir das gelegentlich tun. Ich glaube, das wäre in der Öffentlichkeit ein gutes Signal.
Ich glaube, das ist ein Beweis dafür, daß unsere Solidarität für andere Frauen unsere Solidarität untereinander durchaus stärken kann.
Allen Kolleginnen und Mitarbeiterinnen von uns, vor allem den Frauen von amnesty international, die dazu beigetragen haben, daß es dieses erste Mal tatsächlich gelungen ist, die in Diskussionen so oft beschworene Frauensolidarität über Fraktionsgrenzen hinweg zu praktizieren, danke ich ganz herzlich in unser aller Namen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und den GRÜNEN)

Trotz mancher unterschiedlicher Akzente, die wir nun in der Beurteilung, in der überwiegend kritischen Beurteilung der Antwort der Bundesregierung finden, hat sich, wenn wir nun auch in der Sache selber weiterkommen, der lange Anlauf hierzu sicher gelohnt. Wir wollen die Meinungsunterschiede unter uns Frauen nicht verkleistern; wir haben sie in unserer Pressekonferenz heute früh offen angesprochen. Wohl aber wollen wir in dieser zweiten Frauendebatte deutlicher, als es vielleicht das letzte Mal gelungen ist, die gemeinsamen Ziele herausstellen und hier auch unsere neue Frauenministerin gleich einbeziehen.
In meinem Debattenbeitrag möchte ich auf vier Fragestellungen eingehen.
Die erste Fragestellung: Gibt es überhaupt besondere Menschenrechtsverletzungen an Frauen, und bedürfen sie einer besonderen Erörterung?
Zweitens. Wenn ja: Bedarf es besonderer Maßnahmen, um sie zu bekämpfen?
Drittens. Wenn ja: reicht die Antwort der Bundesregierung, wie sie uns nun vorliegt, hierfür aus?
Viertens. Was kann und muß darüber hinaus geschehen und von diesem Parlament veranlaßt werden?
Zur ersten Fragestellung. Die uns zugänglichen Berichte von amnesty international haben offenbar gemacht — die Antwort der Bundesregierung bestätigt es ja — , daß ungezählte Frauen in vielen Ländern der Welt Opfer von Menschenrechtsverletzungen in besonders unwürdigen und erniedrigenden Formen und Torturen sind. Das Besondere daran ist, daß Frauen in
Verfolgungssituationen, gleich, ob sie selber aus politischen Gründen oder als Angehörige von politisch verfolgten männlichen Familienangehörigen verfolgt werden, ob sie sich nun gegen kulturelle und gesellschaftliche Unterdrückung und Diskriminierung auflehnen und deshalb verfolgt werden, immer einem Polizei-, oft auch einem Militärapparat ausgeliefert sind, der absolut männlich beherrscht wird. Zusätzlich zu den Berichten über allgemein zu beanstandende Häftlingsbedingungen für Frauen liegen Berichte und Aussagen über unbeschreibliche physische, psychische und/oder sexuell motivierte Erniedrigungen vor, die von der vorsätzlichen Verweigerung sanitärer Einrichtungen und hygienischer Hilfsmittel für weibliche Gefangene bis zur Vergewaltigung und zum sexuellen Mißbrauch reichen. Denn weibliche politische Gefange werden nicht nur als politische Gegner gesehen und als solche verfolgt. Sie werden vor allem auch als Frauen angegriffen und entwürdigt. Allein deshalb bedarf es der besonderen Erörterung und Anprangerung dieser Sachverhalte und Praktiken, und deshalb bedarf es auch der besonderen Maßnahmen, um ihnen entgegenzuwirken.
Über diese Tatbestände politischer Verfolgung von Frauen oder indirekter politischer Verfolgung von Frauen hinaus gibt es Tatbestände, die wir in unsere Anfrage einbezogen haben, die zwar völkerrechtlich nicht unmittelbar unter Menschenrechtsverletzungen fallen, die wir aber als solche deklarieren und hier anprangern wollen. Ich erinnere an die Situation der Frauen, die sich um verschwundene Familienangehörige bemühen und die oft keinerlei oder nicht ausreichende Hilfe und Unterstützung erfahren. Ich erwähne die Situation von Frauen, die unter den Millionen und aber Millionen Flüchtlingen fast die Mehrheit bilden, unter den Asylbewerbern 20 bis 30 % — eben als Angehörige — ausmachen. Und es geht um den Menschenhandel mit Frauen und Mädchen, oft auch Prostitutionstourismus genannt. All diese Verletzungen der Würde und der Rechte der Frauen haben wir in unsere Große Anfrage mit einbezogen.
Zur zweiten Fragestellung, der nach notwendigen Maßnahmen: Wir haben festgestellt, daß in der Antwort der Bundesregierung — Frau Minister, Sie waren noch nicht im Amt, aber Sie müssen diese Antwort hier heute vertreten, vielleicht vertiefen — manche unserer Fragen nur sehr zögernd und teilweise auch ambivalent beantwortet worden sind. Sicher handelt es sich hier um eine für eine Regierung ungewohnte Thematik, und sicher müssen erst Positionen erarbeitet, zusammengefügt und abgestimmt werden. Wir danken der Bundesregierung, daß sie sich dieser Mühe unterzogen hat. Aber befriedigen kann uns die Antwort noch nicht, und wir hoffen, auch die Bundesregierung ist auch noch nicht ausreichend befriedigt über das, was sie uns hier vorgelegt hat.
Zwar stimmen wir der wiederholten Feststellung der Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage zu, daß Menschenrechte an sich unteilbar sind und unabhängig, ob sie Männern oder Frauen zuteil werden oder nicht zuteil werden, in gleicher Weise beurteilt werden müssen. Aber diese Feststellung, meine Damen und Herren, enthebt uns doch nicht der Verpflichtung, daß wir den spezifischen For-



Frau Dr. Hamm-Brücher
men und Auswüchsen, denen Frauen ausgesetzt sind, eine besondere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen müssen. Das war bisher nicht ausreichend der Fall.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Unteilbarkeit darf nämlich nicht als Vorwand für undifferenzierte Kategorisierung oder Beurteilung vorgeschoben werden, darf kein Vorwand sein, über besondere Maßnahmen nun gar nicht erst nachzudenken.
Wir schlagen in unserem Entschließungsantrag u. a. folgende konkrete Maßnahmen vor.
Herr Präsident, ich bitte Sie, mit Zustimmung meiner Kollegin meine Redezeit noch etwas zu verlängern, weil ich als erste Rednerin noch diese Maßnahmen aufführen möchte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113124500
Habe ich diese Zustimmung? —

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1113124600
Vielen herzlichen Dank. Ich bat darum, damit ich ohne zu überhasten zu Ende kommen kann.
Wir schlagen in unserem Entschließungsantrag also folgende konkrete Maßnahmen vor — ich nenne nur die wichtigsten — :
Die Bundesregierung soll künftig über Menschenrechtsverletzungen an Frauen gesondert berichten.
Sie soll sich für die Einrichtung einer Sonderberichterstatterin oder eines Sonderberichterstatters für Menschenrechtsverletzungen an Frauen bei der UN-Menschenrechtskommission oder ihrer Unterkommission nachdrücklich einsetzen.
Sie soll Organisationen, auch Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Beseitigung von Menschenrechtsverletzungen an Frauen in den betroffenen Ländern einsetzen, unbedingt verstärkt unterstützen.
Sie soll sicherstellen, daß dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zusätzliche Informationen zu geschlechtsspezifischen Verfolgungen von Frauen, auch für die Beurteilung der Asylgesuche von Frauen, zur Verfügung gestellt werden.
Sie soll die spezielle Situation von Frauen bei der Durchführung von Asylverfahren besser beachten. Ich hoffe, hier ist auch ein Vertreter des Innenministeriums; denn in diesen Bereich fallen nachdrückliche Beschwerden, die wir gerne abstellen wollen. So fordern wir, daß die Anhörung asylsuchender Frauen beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge grundsätzlich durch weibliche Bedienstete durchgeführt wird. Das sind wir diesen Frauen aus anderen Kulturkreisen schuldig.
Zur dritten Fragestellung, wie die Antwort der Bundesregierung angesichts unseres Forderungskatalogs zu beurteilen ist.
Beim Studium der Antwort ist uns aufgefallen, daß unsere Initiative und unsere Bemühung durchaus anerkannt und auch immer wieder von einigen Streicheleinheiten begleitet werden, daß aber von einer abgestimmten und in sich stimmigen Anstrengung
der Bundesregierung, auf den von uns angesprochenen Feldern tätig zu werden und unsere Anregung aufzugreifen, leider doch noch nicht ausreichend die Rede sein kann. So spürt man deutlich, daß die für Einzelfragen zuständigen Ministerien, vom Innenministerium bis zum Auswärtigen Amt, zwar mehr oder weniger pflichtgemäß auf unsere Fragen geantwortet haben, daß aber durch die Antwort der Regierung insgesamt der Atem einer wirklichen Bereitschaft zur humanitären Anstrengung noch nicht stark genug zu spüren ist.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113124700
Frau Kollegin, ich muß nun aber darauf aufmerksam machen, daß das zu Lasten anderer Kollegen geht, die auch sprechen wollen.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1113124800
Ich höre sofort auf, Herr Präsident.
Deshalb möchte ich im Namen aller Unterzeichnerinnen zum Ausdruck bringen, daß wir es mit dieser Antwort keineswegs bewenden lassen werden. Wir hoffen und wir wünschen, daß die Bundesregierung für die weitere Behandlung und Umsetzung klarere Zuständigkeiten festlegt, klarere Ziele vorgibt, sich bei der Durchführung um bessere Koordinierung bemüht. Hierzu erbitte ich die Stellungnahme der Ministerin.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113124900
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Luuk.

Dagmar Luuk (SPD):
Rede ID: ID1113125000
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Menschenrechte — wir wissen es alle, und dennoch sei es geklagt — spielen in der Rhetorik noch immer eine weitaus größere Rolle als in der politischen Realität. Das ist leider international so, wo die Menschenrechtspolitik vorzugsweise als Instrument des ideologischen Kampfes mißbraucht wird, wie national. Ich muß sagen, das ist in der Antwort der Bundesregierung auf unsere gemeinsame Große Anfrage auch so. Die Aussagen sind in der Mehrzahl weitgehend unspezifisch und vage. Es wird zwar wiederholt das große Verantwortungsbewußtsein der Bundesregierung für eine weltweite Verwirklichung der Menschenrechte für Männer und Frauen betont, die Bundesregierung entzieht sich aber der Angabe konkreter Maßnahmen, die sie für die Durchsetzung der Menschenrechte für Frauen zu ergreifen gedenkt. Sie zieht sich auf den Grundsatz der Unteilbarkeit der Menschenrechte zurück und sieht demnach keinen Handlungsbedarf.
Die Bundesregierung hat sich in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage „Menschenrechtsverletzungen an Frauen" durch eine mißliche, fast fatale Formulierung selbst völlig unnötig ins Zwielicht gesetzt. Allerdings „bedarf gerade auch Menschenrechtspolitik des Augenmaßes für das Mögliche", heißt es da. Das ist, als spräche der Finanzminister, wenn er nichts mehr in der Kasse hat. Das ist die Resignation der Bürokratie und nicht der Rigorismus, die Klarheit und Bestimmt-



Frau Luuk
heit, die gelten müssen, wenn es um Menschenrechtspolitik geht.

(Beifall bei der SPD — Frau Nickels [GRÜNE]: Politische Absicht ist das!)

Menschenrechte sind nun einmal kein auf der Grundlage der gesellschaftlichen Rollenzuweisung und kultureller Ungleichheit veräußerbares Prinzip, sondern notwendige Grundlage, ja unabdingbare Voraussetzung für die Überwindung von Unterdrückung und Diskriminierung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wer sich hier kleinmütig gibt, hat die Schlacht schon verloren und jene im Stich gelassen, die unter Menschenrechtsverletzungen leiden.
Daß es mehr und mehr Frauen sind, die in ganz spezifischer Weise Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, wissen wir aus den Erfahrungen mit Militärdiktaturen und -regimen überall in der Welt. Ich kann hier nicht auf das besondere Los der Angehörigen von Verschwundenen und auch nicht auf die Problematik der Straflosigkeit des Verschwindenlassens von Menschen eingehen, aber wir wissen auch, daß sich die politische Verfolgung von Frauen häufig nach ganz besonderen Mustern vollzieht, daß sich die Verfolgungsschicksale der Frauen von denen der männlichen politischen Gefangenen deutlich abheben. Das zeigt sich eindeutig bei der Verhör- und Haftsituation, wo die Frauen gleichsam doppelt verfolgt werden, als politische Gefangene sowie als Frau, wo sie ganz besonders auf ihr Geschlecht gerichtete Handlungen und Erniedrigungen in Kauf nehmen und erleiden müssen. Dies alles wissen wir aus Chile und aus anderen Regimen. Dies alles wissen wir, und doch sind Menschenrechtsverletzungen an Frauen bisher nicht in der öffentlichen Diskussion gewesen.
Wer aber verschweigt, der akzeptiert und macht sich mitschuldig. Die Muster politischer Verfolgung von Frauen müssen deshalb öffentlich gemacht werden, müssen dokumentiert werden. Die Informationen über Menschenrechtsverletzungen an Frauen müssen gesondert erhoben und getrennt veröffentlicht werden. Hier gilt es, Unrecht bekanntzumachen, um besser, um effektiver dagegen angehen zu können, vor allem aber, um Gegenmaßnahmen einleiten zu können.
Eine besondere und damit bessere Rolle als in der Vergangenheit bei der Auflistung der Menschenrechtsverletzungen an Frauen müssen unsere Vertretungen im Ausland spielen; denn es steht doch außer Zweifel: Eine dem Menschenrechtsgedanken verantwortliche Außen- und Entwicklungspolitik kann die Bundesregierung um so besser praktizieren, je eher unsere diplomatischen Vertretungen in jenen Regionen, in denen Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind, in die Lage versetzt werden, Informationen über Menschenrechtsverletzungen gerade auch an Frauen zu sammeln und detailliert und sachkundig darüber zu berichten.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Bundesregierung kann und muß noch etwas anderes in ihrem eigenen politischen Handeln bewirken, um Menschenrechtsverletzungen an Frauen direkt entgegenzutreten: Sie muß sich durch ihre außen- und entwicklungspolitischen Beziehungen eindeutig für die konsequente Verwirklichung der Menschenrechte einsetzen. Das mag in der Vergangenheit grundsätzlich der Fall gewesen sein; es darf jedoch nicht geschehen, daß manche unserer Entwicklungsprojekte für die Dritte Welt diskriminierende Praktiken Frauen gegenüber fördern, daß sie an den Bedürfnissen der Frauen vorbeigehen oder die Frau in eine verstärkt untergeordnete Stellung zurückwerfen.
Eine solche Handlungsweise diskriminiert die Frauen, und sie kann nicht ausschließen, daß aus dieser Diskriminierung letztendlich Verfolgung, Haft oder ganz konkret Menschenrechtsverletzung resultieren.
Die Universalität der Menschenrechte gebietet aber auch eine andere Maßnahme: nämlich dort, wo alle Staaten vertreten sind, bei den Vereinten Nationen also, aktiv zu werden gegen Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen. Die Bundesregierung sollte, wie Frau Hamm-Brücher es auch schon vorgeschlagen hat und wie es in unserem Forderungskatalog enthalten ist, sich dafür einsetzen, bei der UN-Menschenrechtskommission einen Sonderberichterstatter oder eine Sonderberichterstatterin für Menschenrechtsverletzungen an Frauen einzurichten. Aufgabe dieser Institution muß es werden, die Formen, Strukturen und Muster frauenspezifischer Menschenrechtsverletzungen zu verdeutlichen,

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sehr wahr!)

der internationalen Öffentlichkeit vorzuführen und somit auf die speziellen Schutzbedürfnisse politisch verfolgter und inhaftierter Frauen aufmerksam zu machen.
Es gibt einen weiteren wichtigen Punkt, bei dem Handlungsbedarf der Bundesregierung angezeigt ist, um Menschenrechtsverletzungen an Frauen vorzubeugen. Wir wissen, daß eine prinzipielle Anerkennung frauenspezifischer Verfolgung als politische Verfolgung nicht immer zur Asylberechtigung führt. Sicherlich, die Entscheidung über das Vorliegen einer politischen Verfolgung liegt zwar beim Bundesamt oder den Gerichten; dennoch stehen die Politiker in der Pflicht, den Schutz von im Asylverfahren abgelehnten, aber bei einer Rückkehr von schweren Menschenrechtsverletzungen bedrohten Frauen sicherzustellen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

Das Europaparlament hat hier Maßstäbe gesetzt, als es Anfang der 80er Jahre die Staaten aufforderte, Frauen und Mädchen, die in ihren Heimatländern Opfer grausamer Behandlung waren, weil sie einst die moralischen Regeln ihrer Gesellschaft übertreten haben, nicht in diese Länder zurückzuschicken, sondern sie als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu behandeln. Ferner sollte die Konferenz der Innenminister auf eine bundeseinheitliche Regelung hinwirken, wonach Frauen und Mädchen bei geschlechtsspezifischer politischer Verfolgung in ihren Heimatländern nicht in diese abgeschoben wer-



Frau Luuk
den, sondern ihnen Flüchtlingspässe nach der Genfer Flüchtlingskonvention erteilt werden. Letztlich sollte die Bundesregierung erwägen, dem Beispiel anderer westeuropäischer Staaten zu folgen und Familienangehörige der anerkannten Flüchtlinge rechtlich gleichzustellen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Nach den bisherigen Erfahrungen von Menschenrechtsorganisationen kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, daß Familienangehörige gefahrlos in das Heimatland zurückkehren können. Deshalb ist den Ehepartnern und minderjährigen Kindern von Asylberechtigten ein eigenständiges, dem Asylstatus gleiches Aufenthaltsrecht einzuräumen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Wer hier in Kenntnis der Gefahren für Leib und Leben abschiebt, die der Betreffenden im Heimatland drohen, der verspielt seine Glaubwürdigkeit in der Menschenrechtspolitik.
Den moralischen Anspruch auf diese Glaubwürdigkeit bei unserem Bemühen, gegenüber Menschenrechtsverletzungen an Frauen aktiv zu werden, dürften wir möglicherweise schon verspielt haben, wenn wir an jene Entgleisungen unserer Wohlstands- und Freizeitgesellschaft denken, zu deren betrüblichen Erscheinungsformen auch Sextourismus und Bordellbelieferungen mit ausländischen Frauen gehören.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Was hat der CSUler gemacht, der 58jährige? Lest doch einmal heute die „Bild"-Zeitung! — Zuruf von der SPD: Auf Bali! — Frau Unruh [GRÜNE]: Vier Mädchen auf Bali! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/ CSU]: Sie machen doch das Anliegen lächerlich mit Ihrem Zwischenruf!)

— Ich habe noch zwei oder drei Minuten, Herr Präsident. — Von üblen Geschäftemachern wird hier systematisch die Armut und die Not von Frauen in Entwicklungsländern ausgebeutet. Das deutsche Wesen ist auf Zuhälterniveau degeneriert, und die Bundesregierung gibt sich achselzuckend — eine beschämende Situation angesichts der Vielzahl erfreulicher Aktivitäten von Kirchen und freien Trägern und Gruppen, die gegen diese perversen Geschäftemacher mobil zu machen versuchen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Lassen Sie einmal die „Bild"-Zeitung holen!)

Diesen Aktivitäten stehen auf Regierungsebene Tatenlosigkeit oder Ratlosigkeit gegenüber — seit Jahren, obwohl gerade dieses Thema, nämlich Sextourismus und Menschenhandel mit Frauen, den Bundestag immer wieder beschäftigt hat. Es ist nicht ersichtlich, daß die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik im Laufe der Jahre hier durch Information und Beratung aktiver geworden wären. Es ist nichts bekannt über Auffangprojekte oder gezielte Öffentlichkeitsarbeit in Thailand oder bestimmten afrikanischen Staaten. Es ist nichts bekannt über die Errichtung von Kontaktstellen oder anderen Anlaufstellen in der Bundesrepublik für die bereits in die Prostitution oder das sonstige Sexgewerbe geratenen Ausländerinnen. Ebensowenig ist bekannt, daß sich die freien Träger, die diese Aufgabe leisten, einer finanziellen Unterstützung von Regierungsseite erfreuten. Es ist auch nicht bekannt, daß den Frauen als Leidtragende der Praktiken solcher Einschleuseorganisationen oder Heiratsvermittlungsagenturen Hilfe und Schutz gewährt würden, geschweige denn, daß ihnen bei einer künftigen Existenzsicherung geholfen wird. Hier macht sich eine Perversion der sogenannten freien Marktwirtschaft breit, die ein Ex- und Hoppdenken — —

(Das Signal für das Ende der Redezeit blinkt)

— Das macht mich ganz verrückt, diese Blinkerei. Vizepräsident Westphal: Das ist nicht der Sinn.

Dagmar Luuk (SPD):
Rede ID: ID1113125100
Ich habe aber wirklich noch zwei Minuten, weil ich mich mit meiner Kollegin verständigt habe.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113125200
Die sind leider auch schon um.

Dagmar Luuk (SPD):
Rede ID: ID1113125300
Gut. — Hier macht sich eine Perversion der sogenannten Marktwirtschaft breit, ein Ex- und Hoppdenken, bei dem menschliche Existenzen zugrunde gerichtet werden

(Zuruf von der SPD: Unerfahrene Parlamentarier!)

und das gekrönt wird von einer selten gewohnten Teilnahmslosigkeit der Regierung und der Institutionen. Staatliches Handeln ist hier Fehlanzeige. Hier fördert staatliche Duldung Tag für Tag Menschenrechtsverletzungen an Frauen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Wir sind — das muß im Zusammenhang mit dieser Debatte leider festgestellt werden — träge geworden, allzu duldsam und abgestumpft, wenn es um Menschenrechtsverletzungen an Frauen geht. In der Menschenrechtsdebatte ist die Frau das unbekannte Wesen. Sie rangiert irgendwo unter „ferner liefen". Doch meist ist sie die Hauptbetroffene und hat überragende Beispiele geliefert für konsequentes und aufrechtes politisches Verhalten, ob in Argentinien, Chile oder anderswo.
Wir müssen dieses Verhalten honorieren durch eine neue und aktive Menschenrechtspolitik gegenüber den Frauen, national wie international. Zögern wir weiterhin, steht unsere Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Wir müssen also kämpfen. Wir sind das denjenigen schuldig, die uns ein Leben in Freiheit und Würde ermöglicht haben, und vor allem denjenigen, für die wir die einzige Hoffnung bedeuten.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113125400
Der Präsident hat nicht die Absicht, irgend jemanden verrückt zu machen,

(Heiterkeit)

aber er paßt ein bißchen auf. Vielleicht findet sich ein männlicher Kollege, der kulant genug ist, nachher auf ein bißchen Redezeit zu verzichten.



Vizepräsident Westphal
Frau Professorin Männle ist die nächste Rednerin.

Prof. Ursula Männle (CSU):
Rede ID: ID1113125500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frankreichs Bürger und Bürgerinnen feiern in diesem Jahr das 200jährige Bestehen der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die weltweite Hoffnungen auf Gleichheit, Solidarität und Freiheit auslösten. Vor kurzem jährte sich zum 40. Mal die Verkündung der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, und am 23. Mai wird das Bonner Grundgesetz mit seinem umfangreichen Grundrechtekatalog 40 Jahre alt. Jubiläen verleiten gerne zum Jubilieren, zu selbstgefälligem Lob. Beim Thema Menschenrechtsdeklarationen besteht dazu heute noch kein Anlaß.
In diesen Tagen begehen wir auch die Woche der Brüderlichkeit.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Nicht der Schwesterlichkeit?)

ein Grund zur Rückbesinnung, zur Vergegenwärtigung eigener Geschichte. Die deutsche Geschichte ermahnt uns zu verstärktem Engagement für die Wahrung der Menschenrechte auf der ganzen Welt, zu mutigem Streiten nicht nur für mehr Brüderlichkeit, sondern auch für mehr Schwesterlichkeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ist — das möchte ich fragen — der heutige Tag die Stunde Null einer Bonner Frauenkoalition, für ihre internationale Solidarität mit verfolgten Frauen? Die Französin de Gouges setzte sich vor rund 200 Jahren dafür ein, die Männerrechtsdeklaration durch eine Klärung der Rechte der Frauen zu erweitern. Sie bezahlte ihre Gleichheitsforderung mit dem Tod auf dem Schafott. Das Urteil lautete, sie habe gegen die Tugenden ihres Geschlechtes verstoßen. Nach langen und harten Kämpfen erstritten Frauen die notwendigen verfassungsrechtlichen Ergänzungen. Heute haben wir das Wort. Was fehlt, sind die Taten.
Mit Recht erinnern Frauen: Menschenrechte gelten für alle, ungeachtet der Hautfarbe, der Zugehörigkeit zu einer sozialen oder ethnischen Gruppe, ungeachtet des religiösen und politischen Bekenntnisses des einzelnen, ungeachtet des Geschlechts. Mit Recht fordern Frauen Unteilbarkeit von Menschenrechten, ungeteiltes Anprangern von Menschenrechtsverletzungen und ungeteilten Einsatz für die Umsetzung von Menschenrechten. Ideologische, religiöse, kulturelle Unterschiede, ja Divergenzen zwischen einzelnen Staaten blockieren die Verwirklichung der Idee von einer Welt, in der fundamentale Rechte des einzelnen gelten. Strittig sind leider der Inhalt des Begriffs Menschenwürde, die Interpretation der Freiheitsrechte, die notwendigen Instrumentarien der Umsetzung, die Frage des unerläßlichen Rechtsschutzes für Bürgerinnen und Bürger. Der Konsens in der politischen Rhetorik — wir wissen es alle — ist brüchig.
Trotz unserer Überzeugung, die in den Deklarationen aufgeführten Werte seien verbindlich, weil richtig, Ergebnis eines rationalen Diskurses, trotz des Bekenntnisses zur Universalität von Menschenrechten müssen wir uns selbstkritisch fragen: Können und dürfen wir unsere Werte als verbindlich für alle deklarieren? Spiegelt sich darin nicht Anmaßung, kulturelle
Arroganz von Abendländerinnen? Es ist ein schwieriger Differenzierungs-, ja sogar Balanceakt, die Grenze zwischen unserer legitimen Forderung nach Durchsetzung von Menschenrechten und der Anerkennung der kulturellen und religiösen Eigenständigkeit von Staaten zu ziehen. Wir müssen uns fragen: Wann müssen wir gegen Unrecht in anderen Ländern protestieren, mit welchen Mitteln unsere Kritik zum Ausdruck bringen? Wie müssen wir uns gegenüber denjenigen verhalten, die bei uns Hilfe suchen?
Die Schwierigkeiten scheinen sich beim Thema Menschenrechtsverletzungen an Frauen noch zu potenzieren. Auf der einen Seite regt sich nun verhaltener Protest, wenn es um politische Verfolgung von Frauen geht. 1987 und 1988 durchbrach Amnesty International das Gesetz der Medien, wonach zuerst über Männer und dann erst über Frauen berichtet wurde. Amnesty International erstellte umfangreiche Dokumentationen von Beispielen verfolgter Frauen.
Auf der anderen Seite werden frauenspezifische Verfolgungsformen kaum wahrgenommen. Männer und Frauen werden in einigen Ländern immer noch wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugungen, wegen ihrer sozialen oder ethnischen Zugehörigkeit verfolgt und inhaftiert. Frauen werden aber oft auch Opfer sexueller Mißhandlungen, Vergewaltigungen während Verhören, Polizeigewahrsam und Haft. In Gesellschaften, in denen das Ansehen und der Wert einer Frau an der Einhaltung rigider moralischer Vorschriften gebunden ist, bedeutet doppeltes Verfolgt-Werden von Frauen, doppelt Opfer zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Unrechtsregime scheuen nicht erpresserische Maßnahmen, nutzen Frauen und Kinder als Faustpfand, als Geiseln, um Druck auf ihre männlichen Familienmitglieder auszuüben und die vom Staat gewünschten Geständnisse zu erzwingen. In Staaten, die einem religiösen Fundamentalismus huldigen, drohen den Frauen, die für sich das Menschenrecht auf Selbstbestimmung, auf menschenwürdiges Leben in Anspruch nehmen und bewußt gesellschaftliche Normen übertreten, die als Individuen und als politische Subjekte den staatlichen Verhaltensregeln offen widersprechen, vielfach inhumane Strafen. Die brutalen Formen staatlicher Intoleranz, staatlicher Frauenunterdrükkung zeigen sich heute ganz besonders im Iran.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wo ist denn der Innenminister eigentlich?)

Das Anprangern von Menschenrechtsverletzungen im Ausland darf aber nicht den Blick für Menschenrechtsverletzungen im Inland verstellen. Dubiose Geschäftemacher nutzen schamlos die wirtschaftlichen Nöte von Frauen in Entwicklungsländern aus,

(Frau Unruh [GRÜNE] : Wo ist der Innenminister?)

heuern sie unter wohlklingenden Versprechungen an und verkaufen sie in der Bundesrepublik Deutschland als Prostituierte. Diesen Menschenhändlern muß das Handwerk gelegt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

9702 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 131. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 9. März 1989
Frau Männle
Diejenigen, die auch in westlichen Demokratien jahrzehntelang für Gleichberechtigung streiten mußten und weiter streiten, tragen heute doppelte Verantwortung. Frauenpolitik endet nicht an nationalen Grenzen. Frauenpolitik muß internationale Frauenrechtspolitik einschließen, wollen sich diejenigen, die Verantwortung tragen, nicht dem berechtigten Vorwurf aussetzen, ihre Solidarität den heute Hilfesuchenden zu verwehren. Ermahnen wir uns selbst, ständige Mahnerinnen zu sein, Anwältinnen für die Interessen und Nöte von Frauen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, am Tag nach dem Internationalen Frauentag diskutieren wir über Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Ist dies Ausdruck späten Reagierens oder, so hoffe ich, Zeichen, daß wir uns auch am Tag danach an internationale Solidarität erinnern wollen?

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113125600
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Nickels.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1113125700
Lieber Präsident Westphal! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst auf die Zeit dieser Debatte eingehen, Frau HammBrücher. Diese Plazierung ist für mich kein Zufall. Das ist typisch. Es ist ein Ausdruck dafür, wie Frauenpolitik hier immer gewertet wird. Ich muß sagen: Ich finde das sehr traurig.
Ich will dafür jetzt aber nicht den Ältestenrat anprangern, sondern es ist vielmehr so, daß wir Frauen mit so einer Dreistigkeit eigentlich nicht gerechnet haben. Ich jedenfalls nicht. Sonst wären wir Frau genug gewesen, hier Forderungen zu stellen und dafür einzutreten, daß für diese Debatte eine bessere Tageszeit gewählt wird.
Ich will nur einen Punkt bringen. Ich bin z. B. im Petitionsausschuß. Auch das ist ein Bereich, der immer nebenher laufen muß.

(Frau Hämmerle [SPD]: Jawohl!)

Trotzdem haben wir uns damals verabredet und haben gesagt: Wir lassen es uns nicht gefallen, zu Mitternachtszeiten abgefeiert zu werden. Uns, dem Petitionsausschuß, hat man für den Jahresbericht im letzten Jahr an einem Mittwoch zur besten Redezeit zwei Stunden am Nachmittag eingeräumt. Auf diese Idee hätte ich auch hier kommen können. Ich ärgere mich nachträglich über mich selber.
Das ist aber auch wieder typisch für unsere Situation als Frauen. Frauenpolitik müssen wir Frauen immer noch neben den anderen Punkten machen, die wir hier zu bearbeiten haben. Ich denke, wir sollten daraus die Lehre ziehen: Wenn frau sich auf andere Institutionen oder Gremien verläßt, dann ist frau verlassen. Nächstes Mal sollten wir das besser einfädeln. Dann müssen wir das auch noch im Blick haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das hat natürlich etwas mit dem Thema zu tun. Ich finde es wirklich ganz toll — ich hätte, ehrlich gesagt, nicht damit gerechnet — , daß so etwas zu machen ist,
daß hier zum erstenmal überfraktionell mit einer ausreichenden Anzahl von Frauen aus allen Fraktionen eine Große Anfrage zustandekam. Das war sehr schwer. Es war viel Arbeit von allen Frauen. Und bis Dienstag nachmittag, als wir endlich so weit waren, hätte ich wirklich fast eine Wette abgegeben, Frau Männle, daß wir einen gemeinsamen Antrag zur Großen Anfrage nicht hinkriegen, weil auch die Politik in den Fraktionen und in den Parteien sehr auseinandergeht, wenn es um Lösungsvorschläge geht. Ich muß sagen: Ich bin ganz begeistert, daß es trotzdem geklappt hat.
Die Frage ist: Wie konnte es eigentlich dazu kommen? Ich finde es spannend, die Ursachen dafür, daß so etwas möglich war, herauszuarbeiten, weil das für mich auch Ansätze dafür sind, wie eine neue, verantwortlichere Art, Politik zu machen, in ganz kleinen Ansätzen vielleicht auch für Frauen entwickelt werden kann. Ich glaube, es hat dafür, daß diese überfraktionelle Gemeinsamkeit möglich war, zwei wichtige Gründe gegeben:
Der eine war, daß hier NGO-Organisationen, also nichtstaatliche Organisationen, die Arbeit geleistet haben, die eigentlich unsere auswärtigen Missionen machen müßten. Diese nichtstaatlichen Organisationen haben vor Ort genau hingeguckt, haben differenziert und haben geprüft: Wie ist das eigentlich? Was passiert da mit Frauen? Sie haben diese hehren Postulate, die wir alle haben, durch differenziertes Hinschauen, durch Sichtbarmachen und durch Aufspüren erst wirklich ernstgenommen. An dem Punkt, wo hier diese Notsituation, die große Not dieser Frauen, so anklagend und sprechend auf dem Tisch lag, da war es uns als Frauen, die eine besondere Sensibilität für bestimmte Notlagen von Frauen haben, möglich, aus dem Fraktionszwang auszubrechen und hier Frauensolidarität vorrangig anzupacken. Das ist entscheidend.
Damit bin ich auch schon bei der Beantwortung der Großen Anfrage durch die Regierung. Hier will uns die Regierung mit dem Hochhalten der Unteilbarkeit der Menschenrechte im Grunde genommen diese wichtige Grundlage, die man haben muß, um anders Politik zu machen, ein Stück wieder wegnehmen. Sie zieht sich nämlich zurück auf die Unteilbarkeit der Menschenrechte mit der Absicht, diesen differenzierten Blick da, wo der Staat gefordert ist, nicht durchzusetzen. Da finde ich es sehr gut, daß alle Frauen, fraktionsübergreifend, gesagt haben: Da werden wir die Regierung fordern; da werden wir ganz konkret auch fordern, daß sich in den diplomatischen Vertretungen vor Ort auf staatlicher Seite etwas tut. Wir lassen es nicht zu, daß die Verantwortung für den differenzierten Blick hier wieder den nichtstaatlichen Organisationen zugeschoben wird,

(Beifall bei allen Fraktionen)

die hier ehrenamtlich, unter schwerem Einsatz und mit viel weniger Mitteln, als wir sie haben, diese Arbeit leisten. Das geht nicht. Das ist ein Unding, und ich finde es sehr gut, daß wir uns da einig sind.
Ein anderer Punkt ist, daß sich natürlich nach dem einen Jahr, das wir jetzt hier gearbeitet haben, die Frage stellt: Wie weit tragen unsere Füße, wie weit



Frau Nickels
trägt hier die Frauensolidarität? Da ist es so, daß natürlich der Teufel im Detail steckt. Ich denke, es wird sehr schwierig, hier wirklich konkret, wenn es um Lösungsvorschläge geht, die Solidarität weiter zu entwickeln; gerade weil wir auch alle doppelt belastet arbeiten müssen. Wir müssen das immer noch nebenher bearbeiten. Das ist sehr schwierig.
Ich möchte einfach noch ein paar Punkte sagen, die wir einbringen werden. Ich habe da von seiten der SPD einiges gehört, wo ich denke, daß wir im Ausschuß auf jeden Fall einig werden. Ich hoffe, daß hier auch mit den Frauen der CDU/CSU Gemeinsamkeit möglich ist. Wir sind der Meinung, daß hier auch gezielt kodifizierte Schutzvorkehrungen auf internationaler Ebene eingerichtet werden müssen angesichts der frauenspezifischen Muster politischer Verfolgung.
Frau Adam-Schwaetzer, ich sehe Sie hier als Staatsministerin sitzen. Ich möchte Sie ganz ausdrücklich bitten, Ihrem Kollegen, Herrn Staatsminister Schäfer, ein bißchen Nachhilfeunterricht — wahrscheinlich braucht er sogar mehr, ein paar Lektionen — zu diesen Fragen zu erteilen. Er hat am 22. Februar hier in der Fragestunde eine derart schlechte Figur abgegeben. Er hat so mit Unkenntnis geglänzt, was die frauenspezifische Verfolgung im Iran angeht. Es ist wirklich schlimm. Wenn man bei den diplomatischen Vertretungen anfangen will, dann muß man erst einmal dafür sorgen, daß die zuständigen Minister hier geschult werden und wissen, wo sie hinzugucken haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Bindig [SPD]: Nicht schulen — ablösen!)

Ein anderer Punkt ist noch die Frage des eigenständigen Aufenthaltsrechts für Frauen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: An sich ist das eine Frechheit! Unabhängig von der Sache ist das eine Frechheit!)

— Das ist keine Frechheit. Lesen Sie einmal die Antworten nach. Ich meine es gut mit Ihrem Staatsminister.
Die Unterbringung von Frauen und Asylbewerberinnen in Gemeinschaftsunterkünften muß abgeschafft werden. Weiter ist es wichtig, daß hier Ehefrauen von Asylberechtigten in ihren persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Integrationsrechten ihren asylberechtigten Männern gleichgestellt werden.
Ich will noch drei Punkte nennen, die dazugehören: aufenthalts- und arbeitserlaubnisrechtliche Gleichstellung, soziale Gleichstellung bezüglich finanzieller Leistungen, u. a. für Sprachförderung und Ausbildungsförderung, steuerrechtliche und sonstige Vergünstigungen. Weitere Vorschläge werden wir in den Ausschüssen machen.
Meine Kollegin Marie-Luise Schmidt wird gleich ihre erste Rede halten, und zwar zu dem Bereich Sextourismus, den die SPD in ihrer Großen Anfrage angesprochen hat.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113125800
Das Wort hat die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wir wollen den Innenminister sehen! Wo ist er denn? — Frau Nickels [GRÜNE]: Ja, den Innenminister wollen wir auch haben, den zitieren wir jetzt herbei, Herr Präsident!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113125900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat sich in letzter Zeit zwar wiederholt mit dem Thema Menschenrechte befaßt, aber zum ersten Mal befaßt er sich heute ausschließlich mit Menschenrechtsverletzungen an Frauen, wenn auch zu sehr später Stunde. Ich hoffe, das ist nicht ein frauenspezifisches Phänomen.

(Zuruf von der SPD: Es sieht aber ganz so aus!)

Diese Große Anfrage, die von 72 Frauen des Bundestages unterschrieben ist, zeigt erneut, daß es Bereiche gibt, um die wir uns gemeinsam kümmern müssen. Ich begrüße deshalb sehr, daß die dem Bundestag angehörenden Frauen aller Fraktionen einen gemeinsamen Entschließungsantrag eingebracht haben, mit dem wir uns in den Ausschußberatungen eingehend befassen werden.
In der Tat wird das Thema bei uns und anderswo stiefmütterlich behandelt. Bedenkt man, daß Frauen, selbst wenn sie nicht selbst gefoltert oder getötet werden, von den Menschenrechtsverletzungen an männlichen Opfern als Ehefrauen und Mütter immer mitbetroffen sind, so zeigt sich die Bedeutung dieser Diskussion.
Das Schicksal dieser Frauen muß mehr in das öffentliche Bewußtsein gerückt werden. Ein Beispiel aus unseren Tagen: Unter den Opfern der entsetzlichen Hinrichtungswellen im Iran sind natürlich auch Frauen. Eine kleine dpa-Meldung im Februar nannte die Namen zweier iranischer Schriftstellerinnen mit unmittelbarer Todesbedrohung, falls sie ihre oppositionellen politischen Ansichten nicht öffentlich widerrufen würden. Zum gleichen Zeitpunkt lagen die Namen von weiteren sieben Iranerinnen vor, die im Teheraner Gefängnis als politisch Verfolgte ebenfalls ihre Hinrichtung befürchten mußten und inzwischen vielleicht ermordet worden sind. Ich habe mich in einem Brief an den iranischen Botschafter für die Rettung dieser Frauen eingesetzt. Ich erwähne das deshalb, weil Zurückhaltung und Stillschweigen bei offenkundigen Menschenrechtsverletzungen oft völlig fehl am Platze sind.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und den GRÜNEN)

Öffentliche Empörung und darauf beruhende Initiativen sind für verfolgte Frauen nicht selten ein Mittel für ihre Rettung.
Voraussetzung sind aber ausreichende Informationen über Menschenrechtsverletzungen an Frauen in



Bundesminister Frau Dr. Lehr
den einzelnen Weltregionen und Ländern. Darum wird die Bundesregierung ihre Auslandsvertretungen bitten, entsprechendes Material und weitere Informationen zur Menschenrechtssituation von Frauen zu sammeln.
Darüber hinaus wird die Bundesregierung alles tun, um die internationalen Instrumentarien, die über die Einhaltung der Menschenrechte wachen sollen, zu stärken. Ich denke da z. B. an eine Stärkung des Menschenrechtsausschusses und des Ausschusses für die Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Die Einsetzung eines Hochkommissars für Menschenrechte und die Schaffung eines Menschenrechtsgerichtshofes im Rahmen der Vereinten Nationen müssen verstärkt diskutiert werden.
In diesem Zusammenhang kommt der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen und auch den Weltfrauenkonferenzen eine sehr große Bedeutung zu. Hier wird die Thematik der Menschenrechtsverletzungen an Frauen in Zukunft breiteren Raum einnehmen müssen.
Eine wesentliche gemeinsame Aussage in der Menschenrechtsdebatte vom 9. Dezember letzten Jahres war, daß der Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten in der Menschenrechtspolitik unbeachtlich sei. Dies ist eine Gemeinsamkeit, die uns ermutigen sollte, immer dann, wenn wir von Menschenrechtsverletzungen an Frauen erfahren, darauf laut hinzuweisen und uns deutlich hörbar einzumischen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber über die Verletzung der Menschenrechte dürfen wir das tägliche Elend der Millionen von Frauen und ihren Kindern auf der Flucht und in den Lagern nicht vergessen. Man bedenke: Rund 80 % der insgesamt 15 Millionen Flüchtlinge auf der ganzen Welt sind Frauen und Kinder. Angesichts dieses Elends in der Welt sind die Flüchtlingshilfen aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit von rund 125 Millionen DM sowie die humanitären Hilfen in Höhe von rund 100 Millionen DM ein Beitrag, der gewiß nicht alle Not lindern kann.
An dieser Stelle möchte ich darum den vielen Familien in unserem Land danken, die durch großzügige Spenden immer wieder dazu beitragen, den auf der Flucht befindlichen Frauen und Kindern zu helfen.
Die Flüchtlingsfrauen leben bei uns häufig unter sehr schwierigen Lebensbedingungen. Die Antwort der Bundesregierung nennt einige wesentliche Belastungen wie z. B. den Verlust der Großfamilie und der sozialen Kontakte in der Heimat, Sprachprobleme und schließlich neben anderem die Konfrontation mit anderen Rollenerwartungen.
Das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit unterstützt die Flüchtlingsarbeit zugunsten dieser Frauen mit seinen Zuschüssen für die entsprechenden Aufgaben der Wohlfahrtsverbände und mit Zuwendungen an den Internationalen Sozialdienst in Frankfurt.
Den Menschenhandel mit ausländischen Mädchen und Frauen, das Heiratsvermittlungsgeschäft und den Prostitutionstourismus, die ebenfalls Gegenstand dieser Debatte sind, kann man nur als einen modernen Sklavinnenhandel bezeichnen, der unserer Gesellschaft unwürdig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und den GRÜNEN)

Hier werden Persönlichkeitsrechte aus Gründen kommerzieller Geldgier gleich reihenweise verletzt.
Die Große Anfrage der SPD erweckt nun den Eindruck, daß die Bundesregierung im Kampf gegen den Menschenhandel mit ausländischen Frauen und seinen schwierigen Begleiterscheinungen zuwenig tue. Aber entgegen einem weit verbreiteten Irrtum gibt es im Strafrecht, im Ordnungswidrigkeitenrecht, im Gewerberecht und im Ausländerrecht ausreichende Handhaben zur Verfolgung der Menschenhändler und zu Eingriffen gegen Mißbräuche bei der Heiratsvermittlung, ebenso auch gegen die Werbung für den Prostitutionstourismus. Wie Sie wissen, wird darüber hinaus geprüft, ob der § 181 des Strafgesetzbuches ergänzungsbedürftig ist. Dies geschieht, wenn die Staatsanwaltschaft Frankfurt ihre Ermittlungen abgeschlossen und einen Bericht vorgelegt hat.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die im Herbst 1988 zwischen den Innenministern der Länder getroffene Übereinkunft, daß ausländische Prostituierte als Zeuginnen im Strafverfahren gegen Zuhälter oder Anwerber eine vorübergehende Aufenthaltsduldung erhalten können. Die betroffenen ausländischen Frauen, gleichgültig ob sie mit konkreten Heiratschancen in die Bundesrepublik Deutschland kommen oder sofort in der Prostitutionsszene eingesetzt werden sollen, brauchen schon während des Aufenthalts hier entschieden eine bessere soziale Betreuung. Diesem Ziel dienen die laufenden Projektförderungen unseres Ministeriums.
Für die Bekämpfung des Menschenhandels sind jedoch schon gezielte Maßnahmen in den Heimatländern der Opfer erforderlich. Darum bereitet das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, beginnend in Thailand und auf den Philippinen, unter Beteiligung des Auswärtigen Amtes Informationsbroschüren für die Frauen vor, um sie vor den Gefahren des Menschenhandels zu warnen und ihren Illusionen über eine bessere Zukunft in Deutschland die Realität entgegenzusetzen.
Die Antwort der Bundesregierung gibt ein ungeschminktes Bild über die Ursachen der armutsbedingten Prostitution in den Entwicklungsländern. Trotz der begrenzten Möglichkeiten der Bundesregierung und anderer Organisationen, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit durch Maßnahmen der Armutsbekämpfung die Ursachen der armutsbedingten Prostitution zu verringern,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Anstand von deutschen Männern im Ausland!)

sind diese Projekte für die Förderung von Frauen in Entwicklungsländern von großer Bedeutung. Besonders freut mich, daß das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Zeit Förderungsmöglichkeiten für die Wiedereingliederung von Frauen prüft, welche u. a. zur Prostitution in die Bundesrepu-



Bundesminister Frau Dr. Lehr
blik Deutschland gebracht worden sind und in ihre Heimat zurückkehren.
Zusammenfassend stelle ich noch einmal fest: Wir haben eine hohe moralische Verantwortung, uns mit verstärkten Kräften für die Menschenrechte von Frauen einzusetzen. In dieser Verantwortung stehen unser Staat und unsere Gesellschaft. Wir Frauen müssen gemeinsam dazu beitragen, daß diese Verantwortung auch zu Initiativen führt.
Die Bundesregierung wird weiterhin ihre Möglichkeiten nutzen und ausbauen, um dem Menschenhandel und den anderen Menschenrechtsverletzungen an Frauen entgegenzutreten und den Opfern zu helfen.
Ich als Frauenministerin werde mich dafür einsetzen, daß der von Frau Dr. Hamm-Brücher vorgetragene Forderungskatalog so weit wie möglich realisiert wird. Ich werde mich bemühen, mit den anderen Ressorts zusammenzuarbeiten, um hier Verbesserungen zu erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD — Bindig [SPD]: Viel Erfolg!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113126000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1113126100
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich möchte zu Beginn eine selbst erlebte Szene im Warteraum des Frankfurter Flughafens kurz vor dem Start Richtung Bangkok schildern. Mein Mann und ich schlenderten da an einer Gruppe von Touristen entlang. Unter den vielen Reisenden waren auch noch einige andere Ehepaare. Und da grölt einer aus der Gruppe, die sich offenbar schon mit einem tüchtigen Schluck aus der Pulle in Ferienstimmung gebracht hat: Schön blöd, da gibt es doch wirklich welche, die nehmen ihre eigene Frau mit nach Thailand.
Warum ich diese harmlose Episode erwähne? Weil sie so bezeichnend ist; weil es ein augenzwinkerndes Einverständnis über bestimmte Formen von Tourismus gibt nach dem Motto: Sag du mir mal dein Reiseziel, und ich weiß, was du da willst; und weil diese Haltung in unserer Gesellschaft im Grunde genommen den Nährboden für das dubiose oder auch kriminelle Geschäft mit dem Verschachern von Frauen liefert. Das gedeiht ja nicht nur, weil skrupellose Profitmacher Geschmack daran haben. Das gedeiht, weil es eben eine ziemlich normale bürgerliche Kundschaft gibt, die möglicherweise sogar mitteleuropäischen Frauen die Gleichberechtigung zubilligt, sogenannte Exotinnen aber zur Ware erklärt, die man in der Ferne selbst testen oder aber zum Hausgebrauch anfordern kann.
Halten wir es fest: Es waren nicht nur, aber vorwiegend Frauen, die dieses Thema aus dem Bereich achselzuckender Duldung herausholten und zudem erklärten, was es wirklich ist: ein Skandal, ein menschenverachtender Mißbrauch der wirtschaftlichen Not von Frauen und Mädchen aus den armen Regionen dieser Erde. Ich vermute einmal: Wer das anprangert, muß auch heute noch mit dem Vorwurf rechnen — etwa so formuliert — : Ihr Spielverderber, euch reitet doch nur die Mißgunst.
Kurz gesagt: Unsere Gesellschaft muß offenbar noch lernen, sich über etwas zu empören, was Empörung verdient;

(Beifall bei allen Fraktionen)

und nicht nur Empörung, sondern eben auch konkrete Gegenmaßnahmen. Darum dieser gemeinsame Schritt der Frauen.
Von diesem Engagement, von der Überzeugung, wirklich etwas tun zu müssen, läßt die Bundesregierung herzlich wenig spüren. Ich muß sagen: Auch das, was Sie, Frau Lehr, eben gutgemeint darlegten, hat mich von dieser Überzeugung noch nicht recht abbringen können. Was die Regierung nämlich bisher an Maßnahmen anbot, war nur der Versuch, schon eingetretenen Schaden möglichst zu begrenzen; ein Versuch außerdem — das ist wichtig — , der praktisch ausschließlich die Rolle der Männer, der Händler, der Agenten, der Zuhälter ins Visier nimmt, nicht aber die Ursachen und Gründe, die die Frauen selbst in diese Lage treiben. So ist die bisher erfolgte Abschiebepolitik nun wahrhaftig kein geeignetes Mittel, um den Menschenhandel wirksam zu bekämpfen. Sie wird auch nicht den Opfern dieser internationalen Kriminalität gerecht.
Hier setzt unser Antrag an. Er macht deutlich, daß eine veränderte Entwicklungspolitik die Ursachen für den Handel mit Frauen beseitigen muß. Dieser Kampf beginnt nicht erst in der Bundesrepublik mit Anlaufstellen und Ermittlungsverfahren. Die brauchen wir auch. Aber der Kampf beginnt schon in den Heimatländern der Frauen.
Die Bundesregierung soll entwicklungspolitische Projekte und Organisationen, die sich vor Ort der Probleme der Frauen annehmen, nicht nur prüfen, sondern finanziell und politisch unterstützen. Natürlich müssen die Opfer, die durch zweifelhafte Vermittler und Agenturen in die Bundesrepublik gelockt wurdenl und ins Sexgewerbe geraten sind, besonders unterstützt und beraten werden, beispielsweise indem man ihnen eine Berufsausbildung ermöglicht oder indem man sie in die Lage versetzt, gegen Anwerber oder Zuhälter Anzeige zu erstatten.
Wir brauchen wirksame gesetzliche Regelungen, und wir brauchen — auch wenn die Bannerträger des freien Anzeigenmarktes jetzt Zeter und Mordio schreien oder uns als Sauertöpfe beschimpfen — eine Handhabe gegen die erniedrigende, entwürdigende Heiratsanzeigenkampagne der einschlägigen Sorte.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Schließlich zur ausländerrechtlichen und zur asylrechtlichen Frage. Darum wäre es schon schön, der Innenminister glänzte hier nicht durch Abwesenheit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Auch wenn es denjenigen, die zur Zeit ihr wahlpolitisches Süppchen auf der Flamme der Ausländerfeindlichkeit kochen, gegen den Strich gehen mag: Es gibt nicht nur die Diskriminierung von Ausländern, es gibt auch eine besondere Diskriminierung ausländischer Frauen. Deshalb brauchen wir ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ausländerinnen, die mit Deutschen verheiratet oder von Deutschen geschieden



Frau Dr. Sonntag-Wolgast
sind. Es gibt auch im Asylrecht spezielle Belange von Frauen, die wir bei Behördenmitarbeitern erst ins Bewußtsein rücken müssen. Das, was ich jetzt sage, sei all denen ins Stammbuch geschrieben, die aus der geringen Anerkennungsquote Asylsuchender leichtfertig ableiten, alle übrigen, nämlich 90 %, seien Wirtschaftsflüchtlinge, Scheinasylanten, Schmarotzer, gar auf Kosten der Steuerzahler.
Vertreter kirchlicher und humanitärer Organisationen machen immer wieder deutlich, daß die Bundesrepublik Asylsuchenden wahrhaftig kein Schlaraffenland bietet. Längst greifen restriktive Maßnahmen um sich, die auf Abwehr und Abschreckung zielen. Der Begriff der politischen Verfolgung wird nach Auskunft dieser Fachleute derart eng ausgelegt, daß ein Großteil der Menschen durchs Raster fällt, unter ihnen Flüchtlinge, die in ihrer Heimat durchaus mit Gefahr für Leib und Leben rechnen müssen. Durchs Raster können eben auch Frauen fallen, die einer sogenannten geschlechtsspezifischen Mißhandlung oder Verfolgung ausgesetzt waren.
Ich zitiere aus einem Bericht von Terre des hommes ein Beispiel aus der Realität:
Eine tamilische Frau wird in Sri Lanka verfolgt und vergewaltigt, weil die Verfolger des Ehemannes nicht habhaft werden können. Der Frau gelingt es schließlich, mit ihren Kindern in die Bundesrepublik zu flüchten. Die Exilgemeinschaft in der Gemeinde, der sie zugewiesen wird, bietet ihr ein gewisses Maß an Schutz. Aber der Asylantrag der Flüchtlingsfrau wird abgelehnt. Sie hat von ihrer Vergewaltigung nichts vorgebracht, da sie den Verlust des Schutzes der Exilgemeinschaft fürchtet. Vor dem Hintergrund gültiger traditioneller Werte gäbe es für diese Frau nur den Weg in den Suizid, wenn die Vergewaltigung ihrer Verfolger an ihr bekannt würde. Aber selbst bei Einbringen dieser Gründe ins Verfahren wären ihre Chancen auf Anerkennung gering, weil die geschlechtsspezifische Verfolgung dem Bürgerkrieg und allgemeiner Kriminalität zugeordnet wird.
Soweit diese Schilderung von Terre des hommes. Dieses Beispiel belegt, wie fadenscheinig, wie unzulänglich mittlerweile unsere Richtlinien für die Definition dessen sind, was politische Verfolgung sein soll.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Es liefert, meine ich, auch den Beleg für unsere Forderung, daß weibliche Flüchtlinge im Bundesamt in Zirndorf von Mitarbeiterinnen angehört werden und daß das Bundesamt Informationen über solche Formen der Verfolgung und Mißhandlung braucht. Vor allem aber müssen Frauen, die wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, Anspruch auf Asyl genießen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Eine Schlußbemerkung. Wir haben gestern — Frau Männle hat es erwähnt — den Internationalen Frauentag gefeiert. Machen wir heute abend klar, daß Solidarität von Frauen kein europäischer Luxus ist,
sondern die Solidarität mit unterdrückten und ausgebeuteten Frauen der Dritten Welt einschließt.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113126200
Meine Damen und Herren, Sie haben sicher gemerkt, daß hier am Präsidententisch ein lebhaftes Gespräch stattfand. Mir liegt die Nachricht vor, daß Staatssekretär Kroppenstedt aus dem Innenministerium auf dem Weg hierher ist.
Frau Rönsch ist die nächste Rednerin.

Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1113126300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren! Meine Damen! Gemeinsame Anträge — es war ein schwerer Weg bis dahin, wir haben darüber gesprochen — verlangen natürlich auch gemeinsames parlamentarisches Handeln. Ich hätte mir gewünscht, daß diese Aufregungen, die jetzt hier kurz entstanden sind, vorher mit den parlamentarischen Geschäftsführern abgeklärt worden wären, und zwar in dem entsprechenden Gremium, dem Ältestenrat. Ich meine, dieser Antrag hätte es verdient gehabt, daß es jetzt zu dieser Aufregung hier gar nicht erst gekommen wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Nickels, noch zwei Worte zu Ihnen. Wir haben alle beklagt, daß wir diesen Antrag zu so später Stunde diskutieren müssen. Ich meine aber, wir sollten auch akzeptieren, daß wir gerade in der letzten Sitzungswoche ausreichend Zeit gehabt haben, zu sehr guter Fernsehzeit unsere Frauenprobleme hier im Bundestag zu diskutieren. Zum anderen dürfen wir nicht vergessen, daß heute mittag eine Aktuelle Stunde war, die unsere Debatte natürlich auch um eineinhalb Stunden nach hinten verschoben hat.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113126400
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Nikkels?

Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1113126500
Selbstverständlich.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1113126600
Frau Rönsch, glauben Sie nicht, daß es, gerade weil der Frauenbereich immer ein Schattendasein führt und für uns Frauen immer mit Mehrarbeit verbunden ist, endlich Zeit ist, mit unserer unseligen Bescheidenheit aufzuhören? Sonst werden zu anderen Themen, z. B. zur Außenpolitik, ohne weiteres in jeder Woche Debatten geführt. Gestern war Internationaler Frauentag. Ich frage Sie, ob es da nicht angemessen gewesen wäre, gerade weil man in diesem Jahr so viele Jubiläen feiert, das zum Anlaß zu nehmen, hier zu einer angemessenen Zeit so einen wichtigen Punkt wirklich zu debattieren, der überfraktionell, was auch etwas ganz Besonderes ist, zustande gekommen ist?

Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1113126700
Frau Nikkels, ich habe mit Ihnen beklagt, daß wir zu so später Stunde da sind. Aber die Medien hätten die Möglichkeit, hier präsent zu sein und all unsere Anliegen nach draußen zu vermitteln; ich hoffe, es sind genügend Medienvertreter da, auch unsere Parlamentarier ha-



Frau Rönsch (Wiesbaden)

ben Gelegenheit, hier anwesend zu sein. Vor dem Hintergrund, daß man, wenn man als Parlamentarier seine Arbeit ernst nimmt, morgens um 8 Uhr damit beginnen muß, bin ich mit der Präsenz der Kollegen und Kolleginnen hier im Raum eigentlich ganz zufrieden.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Es hätten vor allem auch alle Kolleginnen kommen können, die hier unterschrieben haben!)

Herr Präsident, meine Herren, meine Damen, tagtäglich müssen wir von weltweit begangenen Menschenrechtsverletzungen hören; wir stehen ihnen leider meist fassungslos und leider auch hilflos gegenüber. Unsere direkten Hilfestellungen oder auch diplomatischen Interventionen kommen für die Betroffenen oft zu spät.
Die Verletzung der personalen Würde von Frauen, die auf Grund ihres Geschlechts verfolgt und gepeinigt werden, treten dabei nur zu selten zutage. Unsere Aussprache heute kann hoffentlich einen kleinen Beitrag dazu leisten, um Menschenrechtsverletzungen an Frauen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen; denn wir wissen, die Angriffe auf Frauen und Gewalt gegen sie haben viele und nach meiner Ansicht sehr oft auch pathologisch zu nennende Formen: Folter bei politischen Verhören, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung, Mißhandlung Schwangerer oder auch die Drohung und damit psychische Folter, den Kindern von Frauen Gewalt anzutun. Wir sind uns alle einig in unserer Abscheu und in der absoluten Verurteilung dieser Praktiken.
Eine oft verniedlichte, aber besonders erniedrigende Verletzung weiblicher Menschenrechte besteht in der Prostitution von Frauen aus Entwicklungsländern und dem Handel mit ihnen. Das zugrunde liegende Frauenbild ist Ausdruck einer tiefen Verachtung, Sinnbild für Frauendiskriminierung sowohl in den Entwicklungsländern selber, aber auch, wenn sie hier zu uns verschickt werden, in die Bundesrepublik Deutschland, bei uns.
Sexuelle Ausbeutung von Frauen findet sich in den Ländern Afrikas, in den Staaten Lateinamerikas, in Südostasien. Die Philippinen und Thailand besitzen bei uns größte Attraktivität als Reiseziele von Männern, die die suggerierte Unterwürfigkeit und die ständige Bereitschaft von Frauen suchen, und der Sextourismus fängt bei uns hier zu Hause an. Bei uns wird für frauenverachtende Reisen geworben, und bei uns gibt es offensichtlich auch eine große Nachfrage nach ihnen. Lukrative Geschäfte stecken auch hinter dem internationalen Handel mit Frauen. Unter Vortäuschung seriöser Arbeitsmöglichkeiten und dem Versprechen, mit hier bei uns verdientem Geld dann die vielköpfige Familie zu Hause unterstützen zu können, vertrauen sich Frauen sehr oft organisierten Händlerringen an. Professionell umgehen die dann die Einreisegesetze der Bundesrepublik, entmündigen die Frauen dann durch Abnahme ihrer Reisedokumente unmittelbar nach der Ankunft am Flughafen, schüchtern sie gewaltsam oder mit dem Hinweis auf die Polizei ein und verbringen sie dann in Saunaclubs, in Bordelle oder als Mädchen für alles in Haushalte.
Meine Herren und Damen, wir haben es hier mit einer wirklich bitteren Realität zu tun, die sich teils unmittelbar vor unseren Augen abspielt, und wir sehen sehr oft darüber hinweg. Wir müssen sie noch stärker zur Kenntnis nehmen, und wir müssen vor allem die Ursachen dieses menschenverachtenden Handelns der Frauen mit Nachdruck bekämpfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und den GRÜNEN)

Es handelt sich nicht — ich sage das an die Männer hier im Saale und auch an die Männer draußen — um ein Kavaliersdelikt, über das man augenzwinkernd hinweggehen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich will auch an dieser Stelle sagen, daß es dieser Debatte heute und diesem Antrag nicht guttun würde, Frau Unruh, wenn man jetzt mit dem Finger auf irgend jemand anderen zeigt. Ich meine, alle — wir Frauen, aber auch und ganz besonders unsere Männer — sind aufgerufen, gemeinsam am Bewußtsein zu arbeiten, damit sich der Menschenhandel, der sich gerade im Sextourismus abspielt, ändert.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113126800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Irmer?

Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1113126900
Ja. Vizepräsident Westphal: Bitte schön, Herr Irmer.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Erst einmal müssen die Spitzenpolitiker erzogen werden!)


Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1113127000
Verehrte Frau Kollegin, gerade weil ich Ihnen bei dem, was Sie gesagt haben, absolut zustimme und weil Sie gerade auch die Männer angesprochen haben, frage ich Sie und die anderen Kolleginnen, die den Antrag unterschrieben haben, ob es ein Zufall ist, daß die männlichen Kollegen nicht aufgefordert worden sind, diesen Antrag ebenfalls zu unterschreiben. Ich z. B. hätte das sehr gerne getan.
Meine zweite Frage: Finden Sie nicht, daß diese Arbeit zugunsten der Frauen so wichtig ist, daß man daran zumindest auch einige Männer beteiligen sollte?

(Beifall der Abg. Frau Folz-Steinacker [FDP])


Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1113127100
Herr Irmer, ich danke Ihnen für die Zwischenfrage, weil es vielleicht sonst das eine oder andere Mißverständnis geben könnte. Diesem Antrag liegt ja ein weiterer Antrag zugrunde, und auf diesem Antrag haben nur Frauen unterschrieben. Es haben sich neben Ihnen noch mehrere männliche Kollegen an uns gewandt und hätten den Antrag gerne mit unterschrieben. Aber es hat auch die Zeit nicht gereicht, weil der Antrag jetzt sehr kurzfristig abgeschickt wurde. Sie alle sind aber herzlich eingeladen, an den Intentionen



Frau Rönsch (Wiesbaden)

dieses Antrags mitzuarbeiten und zu helfen, das Problembewußtsein in der Öffentlichkeit zu ändern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Meine Herren und Damen, wir Frauen von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben uns bereits im vergangenen Jahr intensiv, auch im Rahmen einer Anhörung, mit der Materie beschäftigt und haben daraus Erkenntnisse für die weitere Arbeit gewinnen können. Offensichtlich waren unsere Erkenntnisse so gut, daß man sie jetzt in einem Entschließungsantrag der SPD wiederfinden konnte. Wir können uns diesem Entschließungsantrag in weiten Zügen anschließen.
Einige der von uns betriebenen Maßnahmen befinden sich jetzt längst auf dem Weg der Verwirklichung. Ich will nur die wichtigsten einmal kurz nennen: Wir halten es für notwendig, daß in den Botschaften der Herkunftsländer umfassendes Informationsmaterial ausgelegt wird, damit die Frauen dort in ihren Heimatländern umfassend informiert werden, und zwar in der Heimatsprache und in den Heimatdialekten. Das Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat diese Broschüren vorbereitet, und sie werden jetzt auf den Weg kommen.
Die Frauen sollten dort über die rechtliche Situation und über ihren Touristenstatus, den sie hier in der Bundesrepublik Deutschland haben, bestens informiert werden. Denn wir haben vor Ort bemerkt, daß die Frauen immer nur davon ausgegangen sind, sie würden eine Arbeitsmöglichkeit, eine Arbeitserlaubnis hier in der Bundesrepublik Deutschland vorfinden.
Wir haben weiter in einigen Ländern die Einführung einer Visapflicht für ein wichtiges Instrument gehalten. Die Zahl der eingeschleusten Frauen und damit ihr wirklich erniedrigendes Schicksal hier in der Bundesrepublik ließe sich drastisch reduzieren, wenn man eine Visapflicht hätte. Nach unserer Anhörung seinerzeit traten auch die Länderinnenminister zusammen, um gemeinschaftliche Verfahren zu entwikkeln. Ich fordere heute noch einmal die Länderinnenminister auf, auf diesem Wege weiterzugehen und nachhaltig daran zu arbeiten.
Ebenfalls war an die Adresse der Länderinnenminister damals unser Petitum gerichtet, in der Bundesrepublik illegal lebende und der Prostitution nachgehende Frauen so lange hier mit einem Aufenthaltsrecht zu versehen, wie es erforderlich ist, damit sie bei Prozessen auch gegen die Zuhälterringe aussagen können.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und den GRÜNEN)

Zum weiteren halten wir es erforderlich, daß der Menschenhandelsparagraph entsprechend ausgeweitet wird, daß man Menschenhandel und auch Schlepperei in die Bundesrepublik besser bestrafen kann.
Doch damit nicht genug; denn das von uns verfolgte Ziel heißt auch, den Frauen in den Heimatländern beim Aufbau gesicherter Lebensgrundlagen zu helfen. Es kann allerdings nicht Sinn und Zweck unserer Politik sein, daß allen betroffenen Frauen dieser Welt
bei ihrer Existenzgründung geholfen wird. Wir werden nicht alle Probleme in anderen Ländern lösen können, aber wir müssen dort mithelfen, wo wir selbst Mitverursacher sind.
Nein, die von uns angepeilten Ziele gestalten sich vornehmlich zu entwicklungspolitischen Aufgaben, und wir sollten versuchen, den bei uns illegal lebenden Frauen, wenn sie in ihre Heimatländer zurückkehren, dort eine ernsthafte Lebensperspektive anzubieten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gemeinsam mit Partnerorganisationen sollten wir Reintegrationsprogramme entwickeln, die Grund- und Berufsausbildung, Wohnungsbeschaffung, Eingliederung in das Arbeitsleben sowie Kontakte zu anderen Frauen mit ähnlichen Erfahrungen umfassen. Insbesondere der Meinungsaustausch mit Frauen, deren Schicksal man teilt, hilft, die erlittene gesellschaftliche Schmach zu überwinden. Ich danke dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit dafür, daß es sich dort auf einem guten Weg befindet, und hoffe, daß bald eine Partnerorganisation gefunden wird, die dies alles vor Ort mit bewerkstelligen kann.
Lassen Sie mich noch einmal allen Frauen dafür danken, daß wir gemeinsam auf diesem guten Weg gearbeitet haben. Wir sollten versuchen, die Männer in unsere Arbeit einzubinden, denn wenn auch die Männer in diesem Parlament unsere Anträge unterstützen, kann man, so meine ich, den Verletzungen der Menschenrechte von Frauen beikommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113127200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt (Hamburg).

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113127300
: Guten Abend, meine Damen und Herren! Ich fand diese Zwischenfrage eben sehr bemerkenswert. Kaum machen die Frauen mal was alleine, schmollt auch schon der eine oder andere Mann, weil er nicht mitmachen durfte, so nach dem Motto: Wir müssen leider draußen bleiben.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zum Menschenhandel mit ausländischen Mädchen und Frauen ist gar zu merkwürdig. Sie besticht auf der einen Seite durch eine zutreffende Beschreibung der ausweglosen Lage vor allem junger Frauen aus wirtschaftlich ruinierten Ländern der Dritten Welt sowie ihrer illegalen Situation hier in der Bundesrepublik, um auf der anderen Seite bei den Maßnahmen so ziemlich keine Möglichkeit zu vergeuden, die betroffenen Frauen ausländerrechtlich in die Zange zu nehmen. Kein Mensch weiß ja wirklich, wie viele dieser als House-Maids, als Prostituierte oder als sogenannte Models für die Pornoindustrie gehandelten Mädchen und Frauen bei uns leben. Wir wissen jedoch, daß sie bei deutschen Männern hoch im Kurs stehen, weil sie billig und auf Grund ihrer Illegalität verfügbarer, verletzbarer, erpreßbarer sind. Männer mögen Frauen, die sich nicht widersetzen können; das gibt ihnen das Gefühl, ein Siegertyp zu sein.



Frau Schmidt (Hamburg)

Die Bundesregierung schließt sich der Sicht von Selbsthilfeinitiativen an, wenn sie erklärt, diese Frauen würden in der Bundesrepublik — ich zitiere — fast wie Sklavinnen gehalten. Die organisierte Kriminalität, die den internationalen Handel mit Frauen auf äußerst profitable Weise zu managen vermag, soll daher mit möglichen wie nötigen Gegenmaßnahmen bekämpft werden. Andererseits sollen Hilfen angeboten werden, die die betroffenen Frauen als die Opfer des Menschenhandels unterstützen sollen. Wie soll das gehen?
Man will in der Entwicklungszusammenarbeit ein Konzept für die Förderung von Frauen bzw. für ihre Reintegration in das wirtschaftliche und soziale Leben verfolgen. Was von solchen Absichtserklärungen zu halten ist, kann Ihnen jedes Milchmädchen vorrechnen: große Worte und kleines Geld. Das BMZ wird sich einmal mehr fragen lassen müssen, welche Projekte es mit welchen Summen auszustatten gedenkt.
Nach Ansicht der Bundesregierung reicht das rechtliche Instrumentarium zur Strafverfolgung von Händlern grundsätzlich aus. Nun wird ja keiner annehmen, daß die gemeinen Händler das große Zittern bekommen werden, wenn sie dies vernehmen. Das Gegenteil erweist sich Tag für Tag: Es sind die Kriminellen, die da absahnen und die sich dabei durchaus sicher fühlen dürfen. Mag auch die eine oder andere Ware Frau auf dem Flughafen oder nach einer Razzia in Abschiebehaft genommen worden sein, die Händler verlieren damit keinen Pfennig; der Nachschub ist gesichert und belebt das Geschäft. Nach den Razzien in West-Berlin kamen mehr Frauen hinzu als abgeschoben worden waren — so funktioniert das Geschäft.
Die deutschen Auslandsvertretungen sollen in dieser Misere nun halten, was die Bundesregierung verspricht. Sie sollen ausreisende Frauen über die zu erwartenden Umstände in der Bundesrepublik zwangsweise beraten. Wahrlich ein kühner Schachzug, den Visumzwang, wie beabsichtigt, auszudehnen. Man zieht die Daumenschrauben bei den Frauen an, weil sich die Hintermänner nicht kriegen lassen. Wir halten daran fest, daß das Visum für die Händler kein Problem darstellt, die betroffenen Frauen jedoch subjektiv wie materiell noch tiefer in Abhängigkeiten zwingt. Wir lehnen daher die Einführung eines Visumzwangs ab, generell und insbesondere in diesem Fall.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Frauen, von denen hier die Rede ist und die von Männern benutzt und wieder weggeworfen werden, sind auch als Ehefrauen nicht vor Erpressung und sexueller Ausbeutung geschützt. Wir fordern daher das eigenständige Aufenthaltsrecht für ausländische Ehefrauen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Bedingungen einer illegalen Existenz in der Bundesrepublik lassen kaum einen Ausweg zu, und die
Bundesregierung hat keine Chance ungenutzt gelassen, diese Verhältnisse weiter zu verschärfen. Darüber verliert sie kein Wort.
Wir verurteilen die Abschiebungspraxis bundesdeutscher Behörden und fordern statt dessen Amnestie und Legalisierung aller hier illegal lebenden Frauen, um sie den Gewaltverhältnissen zu entziehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die diskutierte Lösung eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts für die Dauer eines Strafverfahrens gegen Händler lehnen wir ab. Diese Regelung instrumentalisiert aussagewillige Frauen als Superkronzeuginnen, die nach getaner Dienstleistung — erst im Bordell, dann im Gerichtssaal — abgeschoben würden. Wir halten dies für absolut verwerflich.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Prostitution kriminalisiert Frauen, ihre Freier sitzen, fraktionsübergreifend wohlgemerkt, unter uns mit weißer Weste. Wir fordern die Streichung der im Ausländergesetz festgeschriebenen Bestimmung, daß Prostitution als Ausweisungsgrund Geltung habe. Dies ist heuchlerisch.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte schon heute ankündigen, daß wir in den nächsten Wochen einen weiteren, sehr detaillierten Antrag zur Aufhebung von Diskriminierung und Ausbeutung der hier lebenden ausländischen Frauen und ihrer Vermarktung als Sexobjekt für die obskuren Begierden weißer Männer einbringen werden. Wir verstehen den hier jetzt vorliegenden grünen Entschließungsantrag als Grundlage weiterer Veränderungen.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113127400
Das Wort hat Frau Pack.

Doris Pack (CDU):
Rede ID: ID1113127500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschenrechtsidee gewinnt weltweit immer mehr an Anhängern; sie strahlt eine große Faszinationskraft aus. Mit Menschenrechten werden Freiheitsrechte verbunden, mithin das Recht jedes einzelnen auf freie Entfaltung seiner selbst.
Die Achtung der Menschenrechte ist zentraler Gegenstand unserer Auseinandersetzung mit diktatorischen und totalitären Staatsformen, die diese immer noch mit Füßen treten. So hat z. B. die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen festgestellt, daß von 1968 bis 1983 weltweit mindestens 2 Millionen Menschen willkürlich, im Schnellverfahren oder unter Ausschluß eines ordentlichen Rechtsweges hingerichtet worden sind. Eine große Schmach für die Menschenrechtsidee hier und in unserem Land ist, daß mitten in Deutschland Frauen und Männer beim Wunsch, ihre individuellen Freiheitsrechte endlich wahrnehmen zu können, immer noch erschossen werden. Wir werden uns niemals damit abfinden und immer wieder auf die Gewährung und Einhaltung von



Frau Pack
Menschenrechten pochen, in der DDR und in der ganzen Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, Menschenrechte haben universelle Bedeutung. Sie sind nach unserem anthropologischen Verständnis unteilbar. Frauen und Männer sind gleichermaßen von Menschenrechtsverletzungen betroffen, und dennoch wenden wir heute unser Augenmerk besonders den Formen der Menschenrechtsverletzungen zu, die an Frauen ausgeführt werden; denn es heißt in unserem Entschließungsantrag — ich zitiere — :
Als faktische oder vermeintliche Gegnerinnen des jeweiligen politischen Systems oder als Angehörige verfolgter sozialer und kultureller Gruppen sind sie während Verhören, Polizeigewahrsam und Haft oft auch Opfer sexistischer Erniedrigung, sexueller Übergriffe und Vergewaltigung.
Frauen sind zum Teil stärker, aber vor allem anders von Menschenrechtsverletzungen betroffen als Männer. Dies hängt mit dem Umstand zusammen, daß dort, wo Menschenrechte verletzt werden, Frauen oftmals der letzte Teil in der Unterdrückungshierarchie sind, d. h. daß sie z. B. in Haftanstalten auch die Schmach und die Peinigung ihrer Mitinhaftierten zu ertragen haben.
Gerade die Umstände der Inhaftierung für Frauen in Staaten, die die Menschenrechte verletzen, sind unerträglich, da sie dort sexuellen Übergriffen zuhauf ausgesetzt sind und wesentlich stärker unter unzumutbaren Haftbedingungen leiden. Diese Übergriffe in den intimen Bereich der Sexualität haben für Frauen oftmals langjährige psychische Folgewirkungen.
Aber auch quantitativ sind von den geschätzten weltweit 15 Millionen Flüchtlingen ca. 80 % Frauen, sehr oft mit kleinen Kindern. Auch auf der Flucht sind Frauen den Männern physisch unterlegen. Sie sind auch hier sexuellen Belästigungen bis hin zur Vergewaltigung ausgesetzt. Flüchtende und verfolgte Frauen — dies ist zu Recht oft festgestellt worden; auch unsere Mütter und Großmütter können zum Teil von solch schrecklichen Erfahrungen berichten — gehören zu den Ärmsten der Armen. Seien wir ehrlich: Wir, die wir finanziell gut gebettet und mitunter saturiert vor uns hinleben, können uns das Elend der Weltflüchtlingsströme trotz Fernsehens kaum bis gar nicht vorstellen.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sehr wahr!)

Ich entsinne mich eines Plakates, auf dem ein Flüchtling zu uns und zu mir sagt: „Ihre Probleme möchte ich haben. "
Frauen, die bei uns einen Asylantrag stellen, sind größeren Belastungen als ihre männlichen Antragsteller ausgesetzt. Besondere Schwierigkeiten haben diejenigen Frauen, deren Männer und Kinder gezielt Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind und die deshalb alleine zu uns kommen.
Wie können wir zur Linderung dieser Not beitragen?
Erstens. Zunächst muß das ganze Gewicht der Bundesrepublik und der Europäischen Gemeinschaft in die internationale Waagschale geworfen werden, um Menschenrechtsverletzungen, wo auch immer sie stattfinden, ob in der DDR oder in Südafrika, in der Türkei oder in Chile, anzuprangern und damit Druck auf die Staaten auszuüben, um eine sukzessive Achtung der Menschenrechte voranzutreiben, damit die Gründe für viele Flüchtlingsströme entfallen können.
Zweitens. Einen weiteren Beitrag müssen wir in der Beibehaltung unseres Asylrechtes leisten. Den Kritikern sage ich, daß die bestehende Asylrechtsgarantie bereits durch eine strikte Auslegung begrenzt ist. Kernbestandteil des Asylrechts ist der Begriff des „politisch Verfolgten" . Darunter wird in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention eine ernste Notlage mit Gefahr für Leib und Leben sowie der Entzug der persönlichen Freiheit verstanden. Als Verfolgungen kommen solche wegen der Rasse, wegen der Nationalität, wegen der Religion und auch wegen Zugehörigkeit zu einer aus sonstigen Gründen verfemten sozialen Gruppe in Frage. Dies ist keine abschließende enumerative Aufzählung, denn hierunter sind auch eigentlich Verfolgungen wegen des Geschlechts zu subsumieren, wie sie Frauen z. B. in vielen islamischen Ländern zu ertragen haben.
Leider kommt es aber vor, daß Frauen, die eigentlich unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen, bei uns als Asylsuchende nicht anerkannt werden. Dies ist z. B. Frauen aus dem Islam widerfahren, bei denen argumentiert worden ist, daß Frauen dort nicht wegen des Geschlechts verfolgt werden, sondern vorgeblich nur auf Grund individuellen Fehlverhaltens. Wir erwarten daher eine Klarstellung im Asylverfahrensgesetz in Anlehnung an unsere Forderung im Entschließungsantrag.
Drittens. Darüber hinaus können wir das Los von Flüchtlingen in Entwicklungsländern, wo Frauen überproportional beteiligt sind, lindern. Hierfür hat die Bundesregierung 1987 — die Zahl war mir bekannt — 160 Millionen DM aufgewendet.
Viertens. Es erscheint mir wichtig, daß wir das Beratungs- und Betreuungsangebot für Flüchtlingsfrauen in der Bundesrepublik verbessern. Asylbewerberinnen, die auf Grund von Vergewaltigung oder sexueller Folter mit starken Leiden zu kämpfen haben, bedürfen unserer ganz besonderen fürsorglichen Obhut.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Es kann in diesem Zusammenhang auf die Dauer nicht gut sein, daß eine solche Arbeit nur auf der Basis von Selbsthilfeeinrichtungen geleistet wird. Hier bedarf es der zusätzlichen staatlichen Unterstützung.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Dank sage ich all denen, die hier wertvolle Arbeit leisten, besonders den Wohlfahrtsverbänden und den Selbsthilfeinitiativen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich hoffe, daß das Bewußtsein für Menschenrechtsverletzungen an Frauen geschärft wird — auch durch diese Debatte. Allen Bemühungen auf diesem Weg,



Frau Pack
wie z. B. der Gruppen bei amnesty international, die sich speziell mit Menschenrechtsverletzungen an Frauen beschäftigen, wünsche ich eine gute und erfolgreiche Arbeit. Sie haben unsere ganze Unterstützung.
Zuletzt ein Wort an die Männer. Sicher, Menschenrechtsverletzungen können jedermann und jederfrau, die in einem Unrechtsstaat leben, widerfahren. Aber die oftmals ganz besonderen Umstände von Menschenrechtsverletzungen an Frauen wie sexuelle Folter oder Vergewaltigung sind ganz schlimme, verabscheuungswürdige, die einzelne Frau gänzlich erniedrigende Tatbestände. Wir hoffen, in der Bundesrepublik Gleichberechtigung und Partnerschaft zwischen Männern und Frauen zu verwirklichen. Wir sind davon aber noch weit entfernt, wenn Vermittler ausländischer Frauen und Mädchen sowie die Charterflotten des Sextourismus gute Konjunktur haben. Die besonderen Notlagen und die menschenverachtende Ausnutzung dieser Frauen werden von den Männern, glaube ich, die auf solcherart besondere Dienste angewiesen zu sein scheinen, kaum bis gar nicht gesehen. Ich hoffe: um so mehr von allen andern.
Danke schön.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113127600
Herr Staatssekretär Kroppenstedt, ich stelle fest, daß es den Bemühungen des Präsidenten gelungen ist, einen Vertreter aus der Spitze des Bundesministeriums des Innern zu uns zu bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich spreche, glaube ich, die Meinung des Hauses aus, wenn ich sage: Das ist eben nicht ein Thema, das auf der Regierungsseite dadurch abgedeckt ist, daß die für Frauenfragen zuständige Ministerin da ist,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

was man erfreulicherweise an der Anwesenheit einer ganzen Reihe von Vertretern anderer Ressorts erkennen kann. Insofern, Herr Kroppenstedt, müssen wir Ihnen aufgeben, das ganze Protokoll dieser 90 Minuten nachzulesen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1113127700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Irmer, ich habe volles Verständnis dafür, daß an diesem Termin zu diesem Thema die Frauen ein Zeichen nach draußen setzen wollten, daß sie hier eine gemeinsame Aktion starten, was bisher Männern in diesem Hause noch nicht gelungen ist. Ich finde, dazu sollten wir den Frauen gratulieren.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113127800
Herr Abgeordneter Peter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Nickels?

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1113127900
Ja.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113128000
Bitte schön, Frau Nickels.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1113128100
Horst Peter, ich möchte, weil die Männer hier teilweise interessiert zuhören und auch sagen, warum sie denn da nicht unterschreiben konnten, fragen, ob es den Männern nicht vielleicht möglich wäre, eine Initiative der Männer zu starten, um die spezifische Rolle der Männer, auch in der Bundesrepublik, in diesem Zusammenhang aufzuklären und auch Vorschläge zu machen, wie man das ändern könnte.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ich fühle mich ganz wohl! Ich brauche keine spezifische Initiative!)


Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1113128200
Liebe Christa Nickels, du weißt, daß die Geschichte des zweiten Teils des Antrags im Petitionsausschuß begonnen hat und daß es dort Männer waren, die diese Petition weitergetrieben haben, die von der Mehrheit der Fraktionen im Petitionsausschuß abgelehnt worden war. Ich halte es für wichtig, daß das Männer machen, auch aus der Sichtweise heraus, daß wir in dieser Frage, wenn wir über Männer reden, meistens über die Täter reden müssen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Insofern ist, glaube ich, diese Ergänzung der Fraueninitiative für die Zukunft vielleicht eine wichtige Aufgabe.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Gespannt, wann die kommt!)

— Jetzt hast du mir nur schon wieder einen Teil meiner Redezeit genommen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Nein, wird nicht angerechnet!)

— Dann bedanke ich mich.
Wir haben bei diesem Thema zwei Probleme zu lösen, einmal das weltweite — das fällt meistens sehr leicht — und dann das Problem an den beiden Bruchstellen, Schnittstellen, wo die weltweite Problematik in der Bundesrepublik konkret wird. Das ist einmal die Flüchtlingsproblematik, und das ist zum anderen die Problematik des Menschenhandels mit ausländischen Mädchen und Frauen. Die Vorrednerinnen haben konkret beschrieben, wie deren Situation ist. Ich glaube, genau an diesen beiden Stelle stellt sich die Glaubwürdigkeitsfrage. Deshalb begrüße ich, daß bei meiner Rede das dafür zuständige Ministerium die Gelegenheit hat, sich die Problemlage anzuhören.
Die Glaubwürdigkeitsprobe lautet, wie konkret den Opfern von Verbrechen geholfen wird. Die Glaubwürdigkeitsprobe lautet auch, was getan wird, den Verbrechern und Profiteuren das Handwerk zu legen, was getan wird, die ökonomischen Ursachen in den Herkunftsländern zu beseitigen, und was getan wird, den Sextourismus im öffentlichen Bewußtsein zu dem werden zu lassen, was er tatsächlich ist, Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen, bei denen die Touri-



Peter (Kassel)

sten als Nachfrager gewissermaßen zu Mittätern werden.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Unser Antrag zur Antwort auf die zweite Anfrage der SPD zu dem Problemkreis des Menschenhandels mit ausländischen Frauen und Mädchen will die Bundesregierung dazu bringen, die Glaubwürdigkeitsprobe tatsächlich einzugehen. Die SPD-Fraktion will Schutz und Hilfe für die Opfer und Strafverfolgung für die Täter. Dazu ist für die Opfer die Gewährung eines Aufenthaltsrechts notwendig. Hier sollen Juristen endlich mal sagen, wie es geht, und nicht, warum es nicht geht. Mehr innovative Phantasie im Innenministerium!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Daß dadurch diese Frauen auch in die Lage versetzt werden, als Zeugin im Strafprozeß aufzutreten, enthebt uns nicht der Verpflichtung, diesen Frauen für diese Zeit auch Maßnahmen anzubieten, die es ihnen ermöglichen, wieder eine Perspektive für ihr Leben zu bekommen. So etwas kann und muß gleichzeitig laufen, Frau Ministerin Lehr; das wäre dann Ihr Beitrag zur Glaubwürdigkeitsprüfung.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Über das eigenständige Aufenthaltsrecht für mit Deutschen verheiratete oder geschiedene ausländische Frauen besteht bei den Antragstellerinnen erfreulicherweise Konsens. Das ist einer der Punkte, bei dem ich glaube, daß die ausländerpolitische Diskussion von diesem Ansatz her eine neue Dimension, eine neue Perspektive und mehr Menschlichkeit bekommt. Das ist das Entscheidende in diesem Zusammenhang.

(Beifall bei der SPD)

Dabei ist auch die Straffreistellung der illegal in die Bundesrepublik verbrachten Frauen und Mädchen ein wichtiger Denkanstoß, der bei der Beratung der Anträge in den Ausschüssen weiterverfolgt werden müßte.
Daß Beratung und Hilfe durch Kontaktzentren und Beratungsstellen finanziell abgesichert werden muß, ist notwendig, weil diejenigen, die sich des Problems in der Bundesrepublik jetzt annehmen — Selbsthilfegruppen, Gruppen, die unter schlechtesten Bedingungen auch im Prostituiertenbereich arbeiten — oft daran scheitern, daß durch Kürzungen im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes die Arbeitsmöglichkeiten über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eingeschränkt werden. Auch hier sollten wir uns tatsächlich beratend und begleitend etwas einfallen lassen.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion will ebenfalls, daß die ökonomische Hilfe und die Information in den Heimatländern geleistet wird, und da besteht wieder Konsens. Die Nagelprobe wird hier allerdings auch in den Heimatländern und nicht so sehr in der Bundesrepublik verlangt. Die SPD-Fraktion hält die Anregung, eine Kampagne gegen Sex-Tourismus zu starten und eine rechtliche Handhabe gegen Frauen erniedrigende Heiratsanzeigen und Werbung für Sexreisen zu entwickeln, für eine wichtige Anregung; sie wird auch von Frau Rönsch als eine Maßnahme angesprochen, die gemeinsam getragen wird.
Wir begrüßen, daß die Antwort der Bundesregierung auf die zweite Anfrage der SPD-Fraktion vom November 1988 das Problem zumindest zur Kenntnis nimmt und nicht mehr negiert. Das war nicht immer so. 1983/84, nach der Ablehnung der Petition der Schwester Lea Ackermann, haben wir die erste Große Anfrage gestellt, deren Text wir gemeinsam mit den Selbsthilfegruppen erarbeitet hatten. Die Antwort im August 1985, nach einem Jahr, stellte fest: Es besteht kein Handlungsbedarf, wir haben keine Zahlen, wir haben keine Kompetenzen; und das war es denn. Dann haben wir nach der Bundestagswahl 1987 einen neuen Versuch gestartet. Inzwischen hat in der Spitze des Hauses ein Mann die Führung der Geschicke in die Hände einer Frau gelegt. Das mag etwas dazu beigetragen haben, daß die Antwort zufriedenstellender war, ebenso auch, daß die Frau Kollegin Rönsch und die Frau Kollegin Männle, wie wir heute gehört haben, in Thailand inzwischen konkretes Anschauungsmaterial erhalten haben, und hier einen Denk- und Lernprozeß der Bundesregierung in Gang gesetzt hat, der Gott sei Dank nicht zu spät gekommen ist.
Wir kritisieren allerdings die Schlußfolgerung aus der Erkenntnis, daß es ein Problem gibt. Der Schritt nach vorn im Bereich Entwicklungsprojekte wird begrüßt. Der Schritt Visapflicht und unverzügliche und konsequente Aufenthaltsbeendigung ist dann ein Schritt in die falsche Richtung, und da wird es zum Spagat,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

denn da ist die Verantwortung und die Last den Opfern auferlegt worden, den Opfern, die wegen ihrer ausländischen Herkunft, dadurch, daß sie Frauen sind und daß sie zur Prostitution gezwungen worden sind, mehrfach betroffen sind. Meine Sorge ist, daß die jetzige Diskussion über Ausländer in der Bundesrepublik die Situation der Opfer nicht verbessert, sondern verschlechtert.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wer Menschenrechtsverletzungen an Frauen bekämpfen will, muß sich die Mechanismen der gegenwärtigen Ausländerdiskussion anschauen und sich ihnen entgegenstellen. Dazu appelliere ich an die Bundesregierung und an alle, die hier in diesem Hause guten Willens sind.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113128300
Das Wort hat Herr Dr. Köhler, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113128400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Auf einer Reise einer Bundestagsdelegation vor 15 Jahren habe ich die Erkenntnis gewonnen, daß es Länder in der Dritten Welt gibt, in denen Jahrzehnte deutscher Entwicklungshilfe nicht auslöschen können, was durch den systematischen Sextourismus und



Parl. Staatssekretär Dr. Köhler
Menschenhandel dort angerichtet wird. Dieses Geschehen beurteilt sich nicht anders, weil es vielleicht in dieser Welt über die Prostitution in den einzelnen Kulturen verschiedene Meinungen gibt. Das Entscheidende ist, daß das Geschehen in entwürdigender Absicht erfolgt.
Ich weiß auch nicht und will auch nicht entscheiden, wen es mehr schändet: den Täter oder diejenigen, die davon betroffen sind. Aber wer in der Angelegenheit der Entwicklungshilfe wirklich vom Prinzip der Entwicklungspartnerschaft überzeugt ist, dem stockt gegenüber solchen Ländern und Völkern doch das Wort, wenn man diesen Begriff noch aussprechen soll.
Ich halte dieses — das wollte ich damit zum Ausdruck bringen — für ein äußerst ernstes Thema im Zusammenhang der deutschen Entwicklungspolitik. Aus diesem Grunde ergreife ich noch einmal kurz das Wort, um klarzustellen und darauf aufmerksam zu machen, daß wir auf zwei Wegen versuchen, das Mögliche zu tun — wir müssen noch mehr tun; daran besteht gar kein Zweifel — : Indem wir erstens mit einer Reihe von Maßnahmen die armutsbedingten Gründe der Prostitution in zahlreichen Ländern zu bekämpfen versuchen. Das reicht von der Nahrungsmittelproduktion über soziale und wirtschaftliche Infrastruktur, Slumsanierung bis zu gezielten Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Frauen und berufsbildenden und einkommen-schaffenden Maßnahmen. Projekte dieser Art sind z. B. in Kenia, in Tansania und auf den Philippinen zu finden.
Das wichtige Thema der Reintegration von Prostituierten in die Gesellschaft sowohl in den Heimatländern als auch von Frauen, die zur Prostitution in die Bundesrepublik geschafft worden waren, ist schwierig, gewinnt aber langsam an Raum. Ich danke ausdrücklich den Kolleginnen Männle und Rönsch für ihre Initiativen auf diesem Gebiet.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wir haben seit dem vorigen Jahr ein Vorhaben der technischen Zusammenarbeit als Pilotvorhaben in Kenia laufen, das dem Ziel dieser Reintegration dient. Zielgruppe sind alleinstehende Frauen aus den städtischen Elendsvierteln Nairobis, die zu einem großen Teil vorher als Prostituierte tätig gewesen sind. Hier geht es um Ausbildung, aber auch um den Aufbau selbständiger Existenzen. Ein entsprechendes Vorhaben auf den Philippinen haben wir in der Vorbereitung.
Wir haben uns auch bemüht, die thailändische Regierung davon zu überzeugen, daß etwas Ähnliches auch dort getan werden sollte. Leider hat uns die thailändische Regierung unmißverständlich klargemacht, daß ein entsprechender offizieller Antrag auf Förderung von Projekten zur Prostitutionsbekämpfung nicht gestellt werden wird, da die Prostitution in Thailand offiziell verboten sei. Wir bemühen uns deshalb, im Rahmen ländlicher Vorhaben der technischen Zusammenarbeit und über Nichtregierungsorganisationen in Thailand in einer Reihe von Fällen entsprechende ersetzende Maßnahmen zu ergreifen.
Das umfangreiche Gebiet der Frauenförderung in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit ist in anderem Zusammenhang hier schon erörtert worden. Ich verweise nur darauf, daß natürlich der überwölbende Zusammenhang der Verbesserung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung der Frauen das Hauptthema ist, von dem wir hier Spezialfälle vor Augen haben.
Lassen Sie mich als letztes noch darauf hinweisen, daß wir angesichts des sehr hohen Prozentsatzes von Frauen in den Flüchtlingslagern uns besonders darum kümmern, daß die von der Bundesregierung finanzierten und vom Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen und von Nichtregierungsorganisationen durchgeführten Maßnahmen in Flüchtlingslagern, vor allem in den Wiederansiedlungsprojekten im Sudan, im Tschad und auch in Angola, in besonderem Maße Ausbildungsmaßnahmen für Frauen vorsehen und die Möglichkeit der beruflichen Förderung von Frauen in den Vordergrund rücken.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113128500
Das Wort hat Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer (FDP), Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anfrage der Frauen des Deutschen Bundestages hat in der Bundesregierung zu einer breiten und sehr grundsätzlichen Diskussion der Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen speziell an Frauen geführt. Ich selber habe an der Ausarbeitung der Antwort mitgewirkt, und ich empfinde die Antwort — wie das hier von einigen Rednerinnen gesagt worden ist — nicht als voll befriedigend. Ich möchte ein paar der Schwierigkeiten aufzeigen, die wir in der Diskussion und damit auch bei der Formulierung gehabt haben und nach wie vor haben.
Die Menschenrechte sind staats- und völkerrechtlich interpretiert, sie sind festgelegt, verbindlich definiert in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, den zwei Menschenrechtspakten, den viele Staaten unterschrieben haben, im Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979.
Das alles ist Papier, wie wir wissen, und entspricht nicht der Praxis. Weil wir wissen, daß es nicht der Praxis entspricht, zählt es zur Politik der Bundesregierung und hat zur Politik jeder Bundesregierung gezählt, dies einzufordern. Es ist inzwischen auch völkerrechtlich etabliert, daß dieses Einfordern keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates darstellt. Infolgedessen zählt das Einfordern der Beachtung der Menschenrechte in all ihren Formen und der ganzen Breite zur Aufgabe jeder demokratischen Regierung.
Es ist eben eine Frage, wie wir das am besten machen können, wie wir es am glaubwürdigsten machen können. Nicht immer ist es besonders glaubwürdig



Staatsministerin Frau Dr. Adam-Schwaetzer
und sicherlich auch nicht immer erfolgreich, dies laut zu tun. Es muß in vielen Fällen laut und entschieden bei den Regierungen eingefordert werden. Aber sie wissen selbst, daß in vielen konkreten Fällen besser Hilfe möglich ist, wenn man es nicht über die Öffentlichkeit regelt. Hier ist ganz besonders wichtig, abzuschätzen, wie man den Betroffenen am besten helfen kann. Beide Formen — ich habe das in einer anderen Menschenrechtsdebatte schon einmal ausgeführt —, sowohl das öffentliche Einfordern als auch die konkrete Hilfe ohne Öffentlichkeit, zählen zu den Auf gaben der Bundesregierung, die sie immer wieder wahrnimmt, wo ihr das möglich ist.
Was aber fehlt, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eine wirklich systematische Aufarbeitung — in internationalen Gremien — der speziellen Formen der Verletzung der Menschenwürde von Frauen, die zu Menschenrechtsverletzungen führen, der speziellen Ansätze, die auch in dieser Debatte deutlich geworden sind. Hieran hat sich auch in der Bundesregierung immer wieder die Diskussion entzündet, nämlich in der konkreten Formulierung der Antwort auf diese Anfrage. Deswegen finde ich die Vorschläge, die hier gemacht worden sind, besonders wichtig.
Lassen Sie mich auf ein zusätzliches Problem aufmerksam machen, das wir haben, hatten und immer wieder haben werden. Das ist die Frage des Zielkonflikts, in dem wir immer wieder stehen. Ich persönlich empfinde die speziellen Formen der Behandlung von Frauen im Islam als besonders problematisch. Wir stehen immer wieder vor der schwierigen Entscheidung: Inwieweit ist die durch die Religionstoleranz bedingte Hinnahme der besonderen Stellung der Frau im Islam ebenfalls hinzunehmen, und wieweit ist die Unterlassung tatsächlicher Menschenrechtsverletzungen von uns einzufordern? Ich finde, daß dies eine wirklich schwierige Frage ist, die man pauschal nicht beantworten kann.
Zu den Vorschlägen, die Sie hier gemacht haben: Ich bin ganz sicher, daß die Bundesregierung versuchen wird, sie positiv aufzunehmen und umzusetzen. Was das Auswärtige Amt betrifft: Ich denke, daß es richtig ist, in den Berichten unserer Auslandsvertretungen ein spezifisches Augenmerk auf frauenspezifische Verfolgungen und frauenspezifische Verletzungen der Menschenwürde mit den Folgen der Menschenrechtsverletzungen zu richten.
Ich finde es auch besonders wichtig — das ist eine Initiative, die wir sicherlich sehr bald umsetzen werden — , darauf hinzuwirken, eine Sonderberichterstatterin in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen einzusetzen,

(Beifall bei allen Fraktionen)

weil nur diese in meinen Augen in der Lage ist, die internationale Diskussion über diesen ganzen Problemkreis so weit voranzutreiben, daß wir einmal die Diskussion überwinden, die immer wieder darauf hinausläuft, zu sagen, wir hätten keine Lücke, weil Menschenrechte unteilbar sind, während wir alle wissen, daß in der Realität ganz bestimmte Formen, die sich durch die Stellung der Frau in der Familie, in der Gesellschaft, durch ihr Geschlecht und ihre Schwäche
ergeben, dazu führen, daß hier besondere Anforderungen auch an unsere Aufmerksamkeit gestellt werden.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich finde es auch besonders wichtig, daß wir als Bundesregierung versuchen, eine Stärkung der Nichtregierungsorganisationen in diesen Ländern durchzusetzen, weil diese Organisationen sehr viel häufiger als offizielle Vertretungen Zugang zu den spezifischen Problemen haben, die sich aus Menschenrechtsverletzungen ergeben.
Ein letzter Gedanke zur Situation von Flüchtlingsfrauen, nicht nur weltweit, sondern auch hier in der Bundesrepublik. Die speziellen Verletzungen der Menschenwürde von Frauen, denke ich, sollten in das praktizierte Flüchtlingsrecht aufgenommen werden.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Die Aufzählung der Fluchtgründe in der Genfer Konvention steht dem nicht entgegen, weil sie nicht abschließend geregelt sind. Wir sind hier auch frei, zu entscheiden, was wir als demokratischer und humaner Rechtsstaat umsetzen wollen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113128600
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Es ist beantragt worden, die Entschließungsanträge der Fraktion der SPD, der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher, Frau Männle, Frau Schmidt (Nürnberg), Frau Nickels und weiterer Abgeordneter auf den Drucksachen 11/4131, 11/4144 und 11/4150 an folgende Ausschüsse zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familien, Frauen und Gesundheit und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Innenausschuß, den Rechtsausschuß und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Sind Sie damit einverstanden? — Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun noch zu einem weiteren Thema, das Menschenrechte berührt. Aber meine Großzügigkeit im Hinblick auf die Redezeit ist jetzt zu Ende; denn ich muß auch an die Mitarbeiter denken, die irgendwann nach Hause wollen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 26. November 1987 zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe
— Drucksache 11/4028 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Rechtsausschuß federführend
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Im Ältestenrat, meine Damen und Herren, ist vereinbart worden, für die Beratung 30 Minuten vorzuse-



Vizepräsident Westphal
hen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1113128700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter soll von der Bundesrepublik Deutschland so schnell wie möglich ratifiziert werden. Ich begrüße es, daß sich ganz sicher alle Seiten dieses Hauses, alle Bundesländer und der Bundesrat hier mit der Bundesregierung einig sind. Das Übereinkommen wird es ermöglichen, daß künftig ein internationales Gremium, nämlich der Europäische Ausschuß zur Verhütung von Folter, in den Vertragsstaaten die Justizvollzugsanstalten und andere Örtlichkeiten inspiziert, wo Personen untergebracht sind, denen durch eine öffentliche Behörde die Freiheit entzogen worden ist. Auf diese Weise will man sich von der Ordnungsmäßigkeit der Behandlung der Untergebrachten vergewissern. Dies ist ganz sicher eine Handlungsweise, die nicht Menschenrechtstheorie am grünen Tisch, sondern Menschenrechtspraxis vor Ort ist.
Nun mag man einwenden — und manchmal sind solche Stimmen bereits erhoben worden —, daß dies in unserem Land und vor dem Hintergrund rechtsstaatlicher Garantien unserer Rechts- und Verfassungsordnung kein dringliches Anliegen sein könne. Sicher, das ist richtig. Aber wir sollten uns vor Kontrollen schon als quasi vertrauensbildende Maßnahme nicht zurückziehen oder uns gar solchen Kontrollen verschließen.
Ich begrüße es, daß dieses Europäische Übereinkommen, an dessen Zustandekommen die Bundesregierung sehr intensiv mitgearbeitet und das sie auch zum frühestmöglichen Zeitpunkt gezeichnet hat, international so großen Anklang findet. Das Übereinkommen wurde im November 1987 zur Zeichnung aufgelegt. Bereits im Februar dieses Jahres ist es völkerrechtlich in Kraft getreten, nachdem die dafür notwendigen sieben Ratifizierungen vorlagen.
Seit Einbringung unserer Regierungsvorlage haben inzwischen weitere vier Mitgliedstaaten des Europarats ihre Ratifizierungsurkunden hinterlegt, nämlich Frankreich, Italien, die Niederlande und Österreich.
Wir in der Bundesrepublik Deutschland hatten es da etwas schwerer, mit diesem Tempo mitzuhalten. Ich lege aber Wert darauf, daß die Ursachen hierfür nicht bei der Bundesregierung lagen. Ich will mich über den Zeitaufwand der normalen bundesstaatlichen Abstimmungsprozeduren, die der Ratifizierung eines derartigen internationalen Vertrags vorausgehen müssen, hier nicht mehr näher verbreiten. Es mag der Hinweis genügen, daß die Bundesregierung den Entwurf des heute vorliegenden Vertragsgesetzes bereits am 17. November 1988 beschlossen hat.

(Bindig [SPD]: Das war aber schon relativ spät!)

Ich würde es begrüßen, wenn der Entwurf nunmehr in den Ausschüssen schnell beraten und bald vom Parlament in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden könnte. Wir sollten es doch vermeiden, in der
Reihe der Vertragsstaaten der Europäischen Antifolterkonvention das Schlußlicht zu bilden.

(Beifall bei der FDP — Bindig [SPD]: In der Tat! Das mahnen wir seit langem an!)

Nun kann es, meine Damen und Herren, überhaupt nicht ausbleiben, daß anläßlich dieser Debatte an mich die Frage gestellt wird, wie es mit der UN-Antifolterkonvention sei. Ich will aus diesem voraussehbaren Anlaß einige Worte dazu sagen.
Ich hätte Ihnen dieses Vertragsgesetz zusammen mit der Europäischen Konvention gerne schon heute vorgelegt. Das ist nicht gelungen,

(Bindig [SPD]: Warum nicht?)

weil bei der UN-Konvention die Probleme noch etwas komplizierter liegen. Die UN-Konvention enthält eine Regelung in ihrem Art. 3, der ein Ausweisungs- und Abschiebungsverbot bei drohender Folter aufstellt.
Für uns ist es ganz selbstverständlich, daß sich der Staat nicht zum Foltergehilfen machen darf, indem er einer im Ausland drohenden Folter die Opfer zuliefert. Art. 1 unseres Grundgesetzes und Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verhindern schon im geltenden Recht, daß es zu so etwas kommen kann. Unser Recht entspricht also der Konvention. Die Schwierigkeit liegt in der von so manchen gesehenen Mißbrauchsgefahr, die natürlich vermieden werden muß. Über die richtigen Wege zur Erreichung dieses Ziels muß sich die Bundesregierung schließlich mit allen Bundesländern im einzelnen abstimmen.
So bitte ich um Verständnis, daß es noch nicht gelungen ist. Ich bin aber optimistisch und glaube die berechtigte Hoffnung zu haben, daß es in aller Kürze gelingen wird, daß wir hier auch zur Ratifizierung der UN-Antifolterkonvention werden schreiten können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113128800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1113128900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer schweigt, macht sich mitschuldig, fordert mit Recht die Gef angenenhilfsorganisation Amnesty International bei Menschenrechtsverletzungen. Briefe, Telegramme und mündliche Hinweise nach diesem Appell haben schon manchem die Freiheit gebracht oder zumindest die Haft erleichtert. Es sei jedoch auch nicht verschwiegen, daß sich diese Appelle in vielen Fällen leider ergebnislos mit dem Todesschrei vermischt haben. Ich denke an die letzte Hinrichtungswelle im Iran und an den Flug unseres Bundesaußenministers dorthin.
Die Antifolterkonvention des Europarates, zu der wir heute das Ratifikationsgesetz und damit deren Übernahme für unser Land beraten, geht, wie wir wissen, einen Schritt weiter. Durch nicht veranlaßte und jederzeit mögliche Inspektionen vor Ort in den Vertragsstaaten soll in Zukunft — das ist der eigentliche Punkt — nicht erst eingeschritten werden können, wenn der Gefangene schon gefoltert wurde. Es kann vorbeugend inspiziert werden, um eine faire Verhandlung zu sichern. Wer freie Inspektionen verneint, macht sich mitschuldig, heißt danach unsere Forde-



Dr. de With
rung, und ich nehme an, so heißt die Forderung des ganzen Hauses.
Keine Frage, daß wir Sozialdemokraten den nunmehrigen Schritt der Bundesregierung begrüßen und voll unterstützen. Mit dem Beitritt zu dieser Konvention wird die Zahl derer größer, die sich als gutes Beispiel jederzeit inspizieren lassen, aber auch bei Inspektionen in den Vertragsstaaten teilnehmen. Die Europaratskonvention — ich glaube, das ist offenkundig — kann eine wirksame Waffe gegen Folter und unmenschliche Behandlung werden.
Ich sagte vorhin: „den nunmehrigen Schritt der Bundesregierung" ; denn im Gegensatz zum Minister bin ich der Meinung, daß die Bundesregierung allzulange gezögert hat. Der Minister hat selbst eingeräumt, daß erst ein Jahr nach dem 26. November 1987 die Bundesregierung tätig geworden ist. Denn ab 26. November 1987 wäre es möglich gewesen. Seitdem liegt die Vereinbarung zur Zeichnung auf. In der Tat, am 1. Februar 1989 ist die Konvention bereits in Kraft getreten, nachdem genügend Länder ratifiziert hatten, darunter auch die Türkei.
Wie unverzeihlich das Zögern sein kann, erhellt das folgende Beispiel:
Am 24. Februar hat mich — wie auch andere — eine Bitte von Amnesty International erreicht, wegen der Inhaftierung zweier türkischer Staatsangehöriger in Ankara — es bestehe die Gefahr von Folterungen — Appelle an den Ministerpräsidenten der Türkei zu richten. Wir haben dies getan. Vor wenigen Tagen nun bat mich Amnesty International, erneut an den Ministerpräsidenten der Türkei zu schreiben, weil Kemal Isiktas und M. Ali Meliç zwar entlassen worden seien aber berichtet hätten, Folterungen erlitten zu haben, nämlich Abspritzen mit eiskaltem Wasser aus einem Hochdruckschlauch und Quetschen der Hoden. Die Türkei ist Vertragsstaat. Aber mangels rechtzeitiger Ratifikation können wir zur Zeit darauf nicht bestehen, dort zu inspizieren.
Ich sage das ohne Selbstgerechtigkeit, auch im Blick auf unsere Geschichte. Es lohnt sich, einen Blick zurückzuwerfen. Erst am 3. Juni 1770 wurde die Folter in Preußen durch Friedrich den Großen am vierten Tag seiner Regentschaft — eine Großtat wahrhaftig in absolutistischer Zeit — abgeschafft. 1782 wurde im deutschen Sprachraum, in der Schweiz, die letzte Frau als Hexe hingerichtet. Ich erinnere an das, was wir in der letzten Debatte behandelt haben.
Auch das berühmte bayerische Strafgesetzbuch von Paul Johann Anselm von Feuerbach vom 16. Mai 1813, das als Vorreiter jede qualifizierte Todesstrafe und alle Verstümmelungsstrafen beseitigte — die gab es ja damals noch — , hielt die Todesstrafe noch für elf Deliktarten bereit, ebenso wie es — man höre und staune — die Kettenstrafe vorsah.
Wir alle können und wollen jene unseligen zwölf Hitlerjahre nicht aus dem Gedächtnis verdrängen. Aber gerade das kann uns Verpflichtung sein.
Willy Brandt hat hierzu im Bundestag am Schluß seiner Rede am 9. Dezember 1988 u. a. zur UNO-Antifolterkonvention das Folgende gesagt:
Wer das Vermächtnis einer besonders schweren Vergangenheit zu tragen hat, braucht das nicht immer nur als Last zu empfinden. Wir können darin auch eine Chance sehen und sie nutzen, nicht zuletzt menschenrechtlich nutzen, damit nicht noch aus kommenden Generationen Gefangene der Vergangenheit werden.
Das veranlaßt mich, Herr Minister — Sie haben es vorweggenommen, weil Sie meine Rede vorher wahrscheinlich schon kannten — , dennoch noch einmal zu fragen — ich erhoffe mir eine noch etwas detailliertere Antwort — , wie es denn mit dem Ratifikationsgesetz zur UNO-Antifolterkonvention steht. Denn trotz wiederholter Zusagen sind Sie hiermit erheblich in Verzug geraten.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Das ist richtig!)

Und ich sage, meine sehr verehrten Damen und Herren: Alle Appelle wirken hohl, wenn nicht auch dort gehandelt wird, wo die Bundesrepublik Deutschland selbst gefordert ist.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN sowie der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

Die beharrliche Verzögerung der Bundesregierung kann Signalwirkung haben. Länder, die sich in der Sache gegen das Folterverbot sperren, müssen sich durch die Bundesrepublik — mit dem Finger könnten sie auf uns zeigen — bestärkt fühlen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Richtig!)

Schlimmer noch stünde es um die Bundesregierung, käme hinzu, was hier und da gemunkelt wird: daß die Bundesregierung nämlich deshalb zögert, um sich gegen Art. 3 der Konvention — den muß man einmal nachlesen — die Abschiebung von Menschen vorzubehalten, die dann auch in die Folter zurückgeschickt — ich sage es ganz vorsichtig — werden könnten; ein schlimmer, ein — das füge ich hinzu — für mich nicht glaubhafter Vorwurf. Eine solche Haltung wäre nicht nur in höchstem Maße anstößig; eine solche Haltung wäre nicht nur furchtbar für alle, die mit diesen Dingen zu tun haben; eine solche Haltung ist durch unsere Rechtsordnung schon jetzt verboten.

(Beifall der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

Ich frage deshalb die Bundesregierung, ob es zutrifft, daß sich die Ministerien — ich meine in erster Linie das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Justiz — noch immer streiten. Ich frage auch, welche Schwierigkeiten aus den Ländern und von welchen Ländern kommen.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Genau, das ist ein wichtiger Punkt! — Irmer [FDP]: Herr de With, ich erkläre Ihnen das gleich!)

Man vernimmt, daß es vornehmlich ein südliches Land sei, das uns hier Schwierigkeiten bereitet. Deswegen ist — das sage ich in aller Deutlichkeit — ein wirklich klärendes Wort am Platze, das deutlich aufweist, wo die Schwierigkeiten liegen

(Frau Nickels [GRÜNE]: Richtig!)

und was die Meinung der Bundesregierung hierzu ist, zumindest die des Bundesministers der Justiz.



Dr. de With
Maßnahmen zur Bekämpfung von Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder auch nur ungerechtfertigt verhängter Strafen — das sage ich in aller Deutlichkeit — dürfen nicht zum Gegenstand langatmiger akademischer Beratungen und auch nicht zum kleinlichen parteipolitischen oder gar länderübergreifenden Hickhack werden. Hier sind Eile und Handeln mehr als geboten. Wer nicht alsbald handelt, macht sich mitschuldig.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113129000
Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.

Heinrich Seesing (CDU):
Rede ID: ID1113129100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von Menschen verhüten. Wir wollen Menschenrechte von Gefangenen sichern. Menschenrechte sichern heißt, die Rechte des einzelnen, z. B auch des Strafgefangenen, gegenüber den Ansprüchen der Gemeinschaft zu formulieren, zu vereinbaren und durchzusetzen. Wir haben im Deutschen Bundestag schon häufig deutlich gemacht, daß diese Forderung für uns alle ein Anliegen ist.
Auf weltweite Beachtung der elementaren Menschenrechte richten wir unser Bemühen. Denn mit dem Europäischen Übereinkommen vom 26. November 1987 wird ja mehr angestrebt als nur eng begrenzte europäische Aktionen zur Verhinderung von Folter und zur Kontrolle der Einhaltung dieser Verpflichtung. Dieses Übereinkommen soll weltweit ähnliche Verpflichtungen und ähnliche Kontrollen nachfolgen lassen.
Die Gesellschaft hat zu den Gefangenen wohl schon immer ein gespaltenes Verhältnis gehabt. Da ist das Bewußtsein, daß sich diese Menschen ja meist in irgendeiner Form an der Gemeinschaft vergangen haben. Sie sind bestraft worden, weil sie die Rechte des anderen nicht achten wollten oder nicht achten konnten.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Oder auf Grund ihrer anderen Gesinnung!)

Wir müssen wissen, daß die Menschen oft noch glauben, Übeltätern und vermeintlichen Übeltätern gegenüber das Recht zu haben, sie nicht nur zu strafen, manchmal unmenschlich zu strafen. Nein, sie glauben auch oft, das Recht zu haben, diese Betroffenen zu Aussagen zu bringen — besser: zu zwingen —, die ihre Strafwürdigkeit erst beweisen müssen.
Die Folter ist eine der unmenschlichsten Erfindungen des Menschen. Welche geistigen Kapazitäten verschwendet wurden, um immer neue und noch grausamere Foltermethoden zu entwickeln, kann man nur ermessen, wenn man die Rechtsgeschichte des Altertums, des Mittelalters, des Dritten Reiches und auch der allerjüngsten Vergangenheit — weltweit — betrachtet.
Ich stehe auch noch unter dem Eindruck der soeben beendeten Debatte über Untaten an Frauen.
Wenn wir von den elementaren Menschenrechten sprechen, so kommt auch dem Übeltäter das Recht auf
Ehre zu. Keine Strafe darf solche Formen annehmen, daß sein Menschsein entwürdigt und geschändet wird.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Der Christ wird die Frage nach dem Bild Gottes im Menschen stellen. Ich habe den Eindruck, daß diese Frage in der Vergangenheit, vielleicht auch heute noch von Christen nicht immer gestellt, geschweige denn immer richtig und gerecht und christlich beantwortet wurde und wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

Es ist schon schlimm genug, daß man Menschen aus der Freiheit und Freizügigkeit herausnehmen muß, um ihnen einen Weg zu weisen, wie sie ihr künftiges Leben ohne Schuld bewältigen können. Man muß ihnen auch — das darf man ebenfalls nicht verkennen — die Erfahrung vermitteln, daß für Schuld Sühne verlangt wird. Dennoch darf die Menschenwürde auch dieser Menschen nicht zertreten werden.
Diesem Ziel soll das Übereinkommen dienen. Wir wollen es nicht bei der Verurteilung von Folter und unmenschlicher Behandlung oder Strafe belassen. Wir wollen auch durch Kontrollen sichergestellt wissen, daß sich alle, die sich verpflichten, an diese Bestimmungen halten.
CDU und CSU unterstützen das Gesetz. Wir sollten durch eine sehr zügige Beratung sicherstellen, daß die Bundesregierung das Übereinkommen baldigst ratifizieren kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113129200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hensel.

Karitas Dagmar Hensel (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113129300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als vor 40 Jahren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der internationalen Staatengemeinschaft verabschiedet wurde, ist erstmals von den Regierungen die Verpflichtung auferlegt worden, die elementaren Rechte eines jeden Menschen nicht nur in ihrem eigenen Lande zu respektieren, sondern vor allem auch mit daran zu arbeiten, daß die Einhaltung der Menschenrechte weltweit durchgesetzt wird.
Jetzt, 40 Jahre danach, kann festgestellt werden: Trotz vieler Lippenbekenntnisse gibt es weltweit weiterhin Folter. Die Foltermethoden sind in ihrer Qualität verfeinert worden. Inzwischen wird unter Einsatz von hochentwickelten Techniken gefoltert. Auch wird unter ärztlicher Aufsicht gefoltert. Damit sind die Wunden verbergbarer und die Belastungsgrenzen des Menschen kalkulierbarer.
Ich habe ein Jahr lang aus dem Gefühl einer politischen Schuld heraus einen türkischen Gewerkschafter betreut, der durch die Schuld einer deutschen Behörde Folter und andere unmenschliche Behandlungen in türkischen Gefängnissen erdulden mußte. Er wurde vor der Behandlung eines Asylantrages in der Bundesrepublik von der zuständigen Ausländerbehörde abgeschoben. Diese Beamten haben rechtswidrig und eigenmächtig entschieden, wer ein richtiger



Frau Hensel
und wer ein Scheinasylant ist. Den einen trifft es eben in diesem Fall, den anderen nicht.
Dies war und ist durch das derzeitige politische Klima einer offensichtlich salonfähigen Ausländerhetze in der Bundesrepublik möglich. Ich schließe mich an die heutige Debatte an.
Meine Damen und Herren, es gibt noch eine andere Form von Folter, nämlich die unmenschliche, die unwürdige und die erniedrigende Behandlung von Gefangenen in deutschen und in internationalen Gefängnissen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf Stammheim hinweisen, auf diese Festung aus Stahl und Beton. Hier werden sechs Gefangene der RAF isoliert in Einzelhaft, isoliert vor Schall und isoliert vor Kontakten vor der Öffentlichkeit verwahrt.
Meine Damen und Herren, einen dieser Gefangenen, Herrn Bernd Rösler, möchte ich besonders erwähnen. Er ist jetzt nach zehn Jahren Einzelisolation haftunfähig. Vier RAF-Gefangene befinden sich zur Zeit im Hungerstreik, weil sie durch diese hilflose Maßnahme Aufmerksamkeit für die unmenschlichen Haftbedingungen erzeugen wollen.
Seit Jahren werden von Politikern, Wissenschaftlern und Juristen im In- und Ausland diese besonderen Sicherheitsmaßnahmen wie Isolierhaft und Kontaktsperre als gravierender Verstoß gegen die Würde des Menschen bezeichnet; ja sie werden sogar eine besondere Form von Folter genannt.
Ich habe diese beiden Beispiele ausgewählt, weil der heute zur Ratifikation anstehende Gesetzentwurf von der Tatsache ausgeht, daß die Folter in Europa keineswegs der Vergangenheit angehört. Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet in seinem Kernstück den Grundgedanken eines Besuchssystems, das in Haftanstalten eingeführt werden soll, um dadurch die Häftlinge wirksam vor der Folter zu schützen. Der Versuch, bei der Etablierung eines derartigen europäischen Ausschusses andere, präventive Wege zu gehen, wird von der Fraktion DIE GRÜNEN unterstützt; denn er birgt winzigste Chancen, durch die Kontrollbesuche den Vertragsstaaten zu signalisieren, daß eine internationale öffentliche Beobachtung stattfindet. Er birgt die winzige Chance, daß dadurch Schutz vor Folter stattfinden kann.
Trotzdem bestehen auch Zweifel. Die Kernfrage ist doch: Welche Möglichkeiten hat der Ausschuß, wenn sich Vertragsstaaten nicht an die Vereinbarung halten, was auf Grund meiner Erfahrung die Regel ist? Der Gesetzentwurf sagt dazu in Kapitel III Art. 10 Abs. 2 — ich zitiere — :
Verweigert die Vertragspartei die Zusammenarbeit oder lehnt sie es ab, die Lage im Sinne der Empfehlungen des Ausschusses zu verbessern, so kann der Ausschuß, nachdem die Vertragspartei Gelegenheit hatte, sich zu äußern,
— kann! —
mit Zweidrittelmehrheit seiner Mitglieder beschließen, dazu eine öffentliche Erklärung abzugeben.
Das sind die einzigen Möglichkeiten.
Wir GRÜNEN erwarten von der Bundesregierung, daß sie auf die angesprochene Fragestellung und die Zweifel eingeht und dem Bundestag deutliche Antworten gibt, wie sie sich die praktische Realisierung vorstellt; denn die Bundesregierung weiß: Auch sie wird sich in die Karten gucken lassen müssen, in ihre Stammheim-Karten.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Laufs [CDU/ CSU]: Unglaublich! — Dr. Bötsch [CDU/ CSU]: Das war nicht Stammheim, das war Stammtisch!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113129400
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1113129500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesjustizminister hat erklärt, worum es inhaltlich geht. Selbstverständlich begrüßt meine Fraktion, daß es in diesem Fall jetzt zur Ratifizierung kommt.
Wir würden uns auch wünschen, daß die UN-Folterkonvention ebenso zügig ratifiziert werden könnte.

(Abg. Dr. Schmude [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Schmude, ich glaube, ich sage das, was Sie hören wollen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113129600
Dann warten wir es noch ab.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1113129700
Der Herr Kollege de With hat nämlich gerade den Bundesjustizminister gefragt, warum das denn nicht gehe und woran das liege. Ich habe aus den Unterlagen, die ich für diese Debatte studiert habe, gelernt, daß es insbesondere die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg waren und sind,

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Habe ich es mir doch gedacht!)

die dafür gesorgt haben, daß sich die Ratifizierung
dieses Abkommens verzögert hat, und die weiterhin
dafür sorgen, daß auch die UN-Folterkonvention — —

(Abg. Dr. Schmude [SPD] meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage)

— Wird das angerechnet, Herr Präsident?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113129800
Nein, ich werde es nicht anrechnen.
Herr Dr. Schmude zu einer Zwischenfrage.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1113129900
Würde es dann nicht, Herr Kollege Irmer, unserem gemeinsamen Interesse an der Aufklärung dienen, wenn uns die Bundesregierung ganz klar und deutlich erklärt, wer hier der Quertreiber ist, wer das Zustandekommen dieses Ratifizierungsgesetzes zur UNO-Folterkonvention verhindert, damit wir wissen, woran wir sind?

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1113130000
Ich habe gar nichts dagegen; Sie haben ja die Frage gestellt. Aber ich möchte ganz nachdrücklich den Bundesjustizminister in Schutz nehmen. An ihm liegt es nämlich nicht. Ganz im Gegen-



Irmer
teil: Wenn er sich nicht so hartnäckig mit den betroffenen Bundesländern auseinandergesetzt hätte, dann wären wir heute noch lange nicht so weit.

(Dr. Schmude [SPD]: Das wüßten wir auch gern genau!)

Sie haben eben auch den Bundesaußenminister erwähnt. Wenn sich der Bundesaußenminister nicht ständig überall mit Nachdruck, nachhaltig für diese internationalen Konventionen einsetzen würde, hätten wir manche der Konventionen auch noch nicht verabschieden können. Sie werden mir gestatten, daß ich die Minister, denen ich mich politisch am meisten verbunden fühle, gegen diese nicht gerechtfertigten Angriffe in Schutz nehme.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte Ihnen aber doch folgendes sagen. Man kann ja darüber spekulieren, weshalb das Bundesland Bayern das gar nicht so gerne hätte.

(Dr. Wittmann [CDU/CSU]: Der Freistaat!)

— Der Freistaat, aber selbstverständlich, Herr Kollege.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: CDU-frei!)

Ich habe in der Konvention folgendes gelesen: Der Ausschuß kann Personen besuchen, denen von öffentlichen Behörden die Freiheit entzogen worden ist. Man könnte darüber spekulieren — es gibt ja noch keine Rechtsprechung dazu —, ob damit beispielsweise auch die Massenunterkünfte für Asylbewerber gemeint sind, ob die darunter fallen. Herr Schmude, Sie sagen nein.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Herr Irmer, Sie wissen doch ganz genau, warum die Bedenken bestehen, daß das damit nichts zu tun hat! — Gegenruf Bindig [SPD]: Gehen Sie doch einmal rauf, damit das auf den Tisch kommt!)

— Es hat doch etwas mit der Abschiebungsfrage zu tun. Wir können doch zu dieser späten Stunde einmal ganz ehrlich etwas dazu sagen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das wissen Sie besser, als Sie es hier vortragen!)

— Herr Bötsch — ich spreche Ihren Namen sogar richtig aus — , ich will Ihnen folgendes sagen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sie wissen es ganz genau!)

Bayern hat behauptet, in der Bundesrepublik werde nicht gefoltert

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!)

— da stimme ich zu —; auch mit Bezug auf die RAF werde nicht gefoltert.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Es geht um unmenschliche Haftbedingungen!)

Eine andere Frage ist die der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung. Ich habe eben in der Frauendebatte sehr gut zugehört. Ich war letzte Woche in der Oberpfalz — deshalb erzähle ich das hier — und habe mir in Weiden die Sammelunterkunft für Asylbewerber angeschaut. Ich sage Ihnen: Dort ist es nicht so, wie Frau Lehr in der Antwort auf die Große
Anfrage der Frauen beschrieben hat, daß in Gemeinschaftsunterkünften angestrebt werde, den Asylbewerbern die Möglichkeit einzuräumen, ihre Mahlzeiten selbst zuzubereiten. Das Gegenteil ist der Fall. Obwohl ärztliche Atteste vorliegen, wird den Frauen dort verweigert, sich selbst etwas zu kochen. Jetzt möge mir keine emanzipierte Frau vorwerfen, ich propagierte jetzt die Nur-Hausfrau, aber ich finde es schon erniedrigend und menschenunwürdig, wenn man einer Frau die Möglichkeit nimmt, für ihre Babies selber Nahrung zu kochen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Kinder ab dem 17. Lebensmonat bekommen dort die Kost für Erwachsene, darunter eine Dose Ölsardinen. Meine Damen und Herren, ich halte das in der Tat für menschenunwürdig und für erniedrigend.
Ich will zum Schluß kommen. Herr Schmude, ich lasse mich von Ihnen belehren. Sie sind hier vermutlich der kundigere Jurist.

(Zuruf der Abg. Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD])

— Frau Schmidt, ich muß ja zum Schluß kommen.
Auch wenn die Unterbringung in Asylbewerberunterkünften hier nicht subsumiert werden kann, den Leuten wird doch die Freiheit genommen. Sie dürfen den Landkreis nicht verlassen. Sie dürfen nirgendwo anders wohnen.

(Frau Hensel [GRÜNE]: Es geht um die AntiFolter-Konvention!)

— Lassen Sie mich doch ausreden!
Wir können feststellen: Bei uns herrscht ein hoher Standard — das dürfen wir nicht vergessen — , auch an Menschenrechtspraxis. Aber das ist ja kein Zustand, angesichts dessen wir uns ausruhen können, sondern das ist doch ein ständiger Appell, das ist doch eine Aufforderung, sich jederzeit erneut dafür einzusetzen. Da muß ich schon sagen: Wenn man manches von dem sieht, wie wir diese Ausländer, diese Flüchtlinge behandeln, dann wird einem angst und bange, und dann muß man sagen: Das ist einer Kulturnation nicht würdig.

(Zustimmung bei den GRÜNEN — Abg. Kreuzeder [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113130100
Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Sie haben noch ein paar Sekunden übrig.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1113130200
Ja, selbstverständlich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113130300
Bitte schön, Herr Kreuzeder.

Matthias Kreuzeder (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1113130400
Herr Kollege, sind Sie mit mir einer Meinung, daß das Wort „Freistaat Bayern" verkehrt ist und daß es vielmehr besser wäre zu sagen „Frei statt Bayern"?

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)


Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1113130500
Ich fühle mich als Bürger des Freistaates Bayern durch diese Äußerung von Ihnen geradezu



Irmer
beleidigt, und ich muß das deshalb zurückweisen. Ich kann Ihnen da nicht zustimmen.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

Ich will Bayern hier auch nicht allein nennen.
Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal: Wir müssen uns Tag für Tag für die Wahrung der Menschenrechte gerade bei uns einsetzen. Wenn wir Mißstände bemerken, müssen wir das laut sagen, und wir müssen das anprangern. Ich wollte mit dem, was ich gesagt habe, niemanden beleidigen. Ich wollte nur sagen: Schauen wir zuerst vor unserer eigenen Haustür, daß wir die Menschen, die bei uns sind, so behandeln, wie es jeder Mensch verdient.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Bindig [SPD]: Bötsch vor! Erklären Sie mal die bayerische Politik hier! — Gegenruf Dr. Bötsch [CDU/CSU])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113130600
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache, auch für Zwischenrufe.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 11/4028 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, den Entwurf zusätzlich an den Auswärtigen Ausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Gibt es dazu noch weitergehende Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Nun haben wir noch einen Tagesordnungspunkt. Ich rufe die Zusatzpunkte 5 und 6 der Tagesordnung auf:
ZP5 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Konditionierung der Entwicklungshilfe für El Salvador
— Drucksache 11/2405 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
ZP6 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Schutz von Bundesbürgern/Bundesbürgerinnen in El Salvador
— Drucksache 11/2844 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten — b i s zu fünf Minuten! — für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1113130700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat 1984 beschlossen, die Entwicklungshilfe für Salvador wiederaufzunehmen, weil dort angeblich ein Demokratisierungsprozeß im Gange sei, weil sich die Lage der Menschenrechte verbessere und weil die Regierung Strukturveränderungen im Lande in Angriff genommen habe.
Faktisch können wir heute feststellen: Die Menschenrechtsverletzungen in Salvador haben wieder zugenommen. Dies hat America's Watch bestätigt. Auch die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hat dies am 8. März 1988 festgehalten. Menschenrechtsverletzungen erstrecken sich nicht mehr nur auf die einheimische Bevölkerung, mittlerweile sind auch ausländische Entwicklungshelfer davon betroffen. Der Fall Jörg Weiss ist der bisher dramatischste. Wir legen einen Antrag vor, daß die Bundesregierung sich darum kümmern soll, daß nicht bundesdeutsche Bürger ein ähnliches Schicksal erleiden wie die einheimische Opposition und wie Jörg Weiss und andere Ausländer bereits.
Weiterhin hat eine Agrarreform nicht stattgefunden, die Duarte versprochen hatte. Die FAO hat festgehalten, daß die Nahrungsmittelversorgung in Salvador noch immer nicht gesichert ist.
1987 — dies als weiteres Beispiel für Fehlentwicklungen in Salvador — hat die US-Hilfe für Salvador einen höheren Betrag als das eigentliche nationale Budget dieses Landes ausgemacht. Das muß man sich mal vorstellen.
Es hat keine ernsthaften Anstrengungen gegeben, die Verpflichtungen aus Esquipulas II wirklich einzuhalten, und das christdemokratische Regierungsmodell, auf dem diese Politik gefußt hatte, ist völlig zusammengebrochen, auch die christdemokratische Partei ist zusammengebrochen, und wir haben dort wieder Rechtsradikale an der Regierung, die versuchen, sich dort auf längere Zeit festzusetzen.

(Bindig [SPD]: Die Christdemokraten waren und sind korrupt!)

— Richtig, Herr Bindig.
Dieses allein schon ist meines Erachtens Grund dafür, daß die Entwicklungshilfeleistungen für Salvador, die 1984 aufgenommen worden sind, zumindest vorübergehend eingestellt werden sollten.
Es kommt noch schlimmer: Lange Zeit hat ein Dialog zwischen der Opposition und der Regierung wegen der Schwäche von Duarte nicht mehr stattgefunden. Am 24. Januar 1989 hat nun die Guerilla, die FMLN, den Vorschlag gemacht, die Wahlen, die für den 19. März 1989 vorgesehen waren, um sechs Monate zu verschieben.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Woher wissen Sie das eigentlich alles?)

Dies war ein sehr, sehr guter Vorschlag, denn die Wahl am 19. März 1989 wird die Probleme nicht lösen, weil die Opposition bis dahin gar nicht in der Lage ist, sich auf Wahlen vorzubereiten,

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Was sagen Sie zu Nicaragua?)

und von daher wird die Gültigkeit dieser Wahlen auf
jeden Fall in Zweifel gezogen werden. Dies wird also



Volmer
keine Lösung sein, auch nicht der sozialen Problematik.
Die FMLN hat angeboten, Verhandlungen der nationalen Einheit mit der Regierung und sogar mit den Streitkräften zu führen, um eine Feuerpause zu erzielen, um einen Waffenstillstand zu erzielen und um eine gemeinsame Verfassung auszuarbeiten. Duarte ist leider auf diesen Vorschlag nicht ganz eingegangen; er hatte eine Verschiebung um sechs Wochen angeboten.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Hätte er doch vorher mit Ihnen geredet!)

Selbst diese Verschiebung wurde mittlerweile nicht eingehalten.
Ich weiß, daß die Sozialdemokraten eigentlich Sympathie für den Vorschlag der FMLN hatten, ich habe bis jetzt aber jedes öffentliche Wort dazu vermißt. Ich hoffe, da kommt noch eine deutliche Aussage. Die Bundesregierung scheint abzuwarten, welche neue Zentralamerikapolitik der neue amerikanische Präsident nun entwirft.
Duarte hatte also, wie gesagt, die sechswöchige Verschiebung angeboten, konnte sie aber unter dem Druck der Rechtsradikalen und des Militärs nicht mal aufrechterhalten, so daß jetzt am 19. März 1989 gewählt wird. Wir alle wissen, daß diese Wahl nicht im geringsten zur Demokratisierung des Landes beitragen wird. Leider haben die bewaffneten Auseinandersetzungen in den letzten zwei Tagen eine neue Eskalation erfahren.
Ich denke, daß Salvador im Moment wieder auf einem sehr schlechten Weg ist und daß es deshalb höchste Zeit ist, daß wieder mal über die Entwicklungshilfe nachgedacht wird.

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Reden Sie doch mit Ihren Freunden von der FMLN!)

Wir sind der Auffassung, die Entwicklungshilfe sollte so lange eingestellt werden, bis es zu einem wirklichen Dialog zwischen der Opposition und der Regierung gekommen ist und dieser Dialog nachhaltige Ergebnisse gezeitigt hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dann sollte die Entwicklungshilfe wieder aufgenommen werden, aber zunächst müßte man sie stoppen.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113130800
Das Wort hat der Abgeordnete Höffkes.

Peter Wilhelm Höffkes (CSU):
Rede ID: ID1113130900
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Meinung, daß die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN, die wir hier behandeln, weitgehend veraltet sind und nur noch sehr geringen politischen Restwert haben. Dieser Restwert soll hier von den GRÜNEN noch vor den Wahlen in El Salvador vermarktet werden.
In den letzten Monaten hat sich in El Salvador viel bewegt; unbeweglich blieb nur das Schema der GRÜNEN hier bei uns, das nur den bedingungslosen
Kampf an der Seite der Guerilla kennt und danach in Freunde und Feinde einteilt.
Der Antrag auf Drucksache 11/2405 erfaßt nicht, daß sich inzwischen der politische Arm der Guerilla in der Convergencia Democratica an den Wahlen beteiligen wird. Präsidentschaftskandidat Ungo schilderte — hier darf ich den Kollegen Holtz von der SPD zitieren — , daß der augenblickliche Status quo der gegenseitigen Toleranz seiner Koalition einen größeren Spielraum ermöglicht habe, so daß sie z. B. auch in den Medien vertreten sei. Stellen Sie sich einmal dasselbe für Nicaragua vor: Die sogenannte Contra legt die Waffen nicht nieder und darf sich mit einer politischen Partei an international beobachteten Wahlen beteiligen. Wie schön wäre das!
Geändert hat sich, daß die FMLN-Guerilla versprochen hat, keine Bürgermeister und kommunalen Amtsträger mehr zu ermorden.

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Wie großzügig!)

Diese Gruppe hat ja in der Vergangenheit die größten Blutopfer bringen müssen. Trotzdem besteht weiter erhebliche Angst vor künftigen Attentaten, weil man nach wie vor eine Parteinahme der Amtsträger für die Guerilla fordert.
Geändert zum Positiven hat sich die Bereitschaft sowohl des Militärs als auch der Guerilla, Waffenstillstandsvereinbarungen zu treffen.
Der Antrag der GRÜNEN ist nicht nur überholt, er bringt auch falsche Fakten. Die Menschenrechtsverletzungen sind zwar immer noch viel zu hoch,

(Volmer [GRÜNE]: Steigend!)

haben aber unter der Regierung Duarte eindeutig abgenommen.

(Volmer [GRÜNE]: Sie steigen wieder!)

Die Zahl der politischen Morde ist von 16 537 im Jahre 1981 auf 50 im Jahre 1987 gesunken.

(Volmer [GRÜNE]: Wenn sie alle totgeschossen haben, gibt es nicht mehr!)

Die Entwicklung der Menschenrechtslage wäre daher trotz eventueller vorübergehender Verschlechterungen, Herr Kollege Volmer, gerade ein Argument für die Fortsetzung der Entwicklungshilfe.
Der Antrag der GRÜNEN ist nicht nur falsch und überholt, er ist auch unehrlich. Er kritisiert eine angeblich geringe Wahlbeteiligung, unterschlägt dabei aber, daß die Guerilla die Wahlteilnahme gerade mit Morddrohungen verhindern wollte. Der Antrag kritisiert die schlechte Versorgungslage der Bevölkerung El Salvadors — Sie haben es eben wieder gesagt, Herr Volmer — , unterschlägt aber, daß die Guerilla systematisch Transportmittel, Energieversorgung, Straßen und Brücken und auch Wirtschaftsunternehmen zerstört, in einem Monat — August des vergangenen Jahres — durch ca. 50 Anschläge.
Die GRÜNEN bringen also keine Fakten, die eine Einstellung der Hilfe für die Bevölkerung El Salvadors rechtfertigen. Im Gegenteil: Eine demokratische Mitte in einem solchen Land kann sich gegenüber



Höffkes
Extremen von links und rechts nur mit unserer Solidarität halten.
Zum Antrag auf Drucksache 11/2844: Selbstverständlich erwarten wir von der Bundesregierung, daß sie sich für ihre Bürger im Ausland einsetzt. Von den Bürgern ihrerseits kann die Bundesregierung erwarten, daß sie alles unterlassen, was sie in militärische und diplomatische Verwicklungen bringt. Viele Anhänger der sogenannten Solidaritätsszene haben in El Salvador eine derart deutliche Parteinahme für die Guerilla durch Wort und Tat gezeigt und sich direkt an den inneren Auseinandersetzungen beteiligt, daß die Bundesregierung nicht für daraus folgende Probleme haftbar gemacht werden kann. Sosehr wir den Tod des Schweizers Jürgen Weis — Sie haben es eben erwähnt, Herr Volmer — bedauern, er wäre möglicherweise noch am Leben, wenn er sich nicht so ostentativ an der Seite der Guerilla betätigt hätte. Eine Garantie für deutsche Botengänger der Guerilla kann die Bundesregierung nicht ausstellen. Der Antrag ist, meine ich, daher abzulehnen.
Ich fordere die GRÜNEN auf, ihrerseits zur Befriedung El Salvadors beizutragen und die Kampagne „Waffen für El Salvador" einzustellen. Es ist für uns unerträglich, Herr Volmer, daß von deutschem Boden aus Millionen gesammelt werden, koordiniert u. a. von Außenbüros des Guerillasenders Radio Venceremos in Köln und in Berlin-Kreuzberg, Millionen für Waffen, mit denen auch christdemokratische Bürgermeister in El Salvador ermordet wurden. Ich fordere die GRÜNEN auf, sich von dieser Unfriedensaktion zu distanzieren.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113131000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Luuk.

Dagmar Luuk (SPD):
Rede ID: ID1113131100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokraten meinen, daß die Entwicklungszusammenarbeit mit El Salvador zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eingestellt werden sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir meinen das, weil sich zum erstenmal seit langem ein Hoffnungsschimmer im gesamten Zentralamerika zeigt, wo der Friedensprozeß ja wieder neue Impulse bekommen hat, und weil endlich auch in El Salvador ein innerer Dialog zwischen der Regierung und den Vertretern der Guerilla aufgenommen wird.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Den GRÜNEN ist das egal!)

Mir scheint, daß trotz aller Kritik an den Christdemokraten festgehalten werden muß, daß Napoleon Duarte ein Demokrat ist, der für seine Überzeugung auch schon im Gefängnis gesessen hat. Wenn wir auch kritisieren, daß Napoleon Duarte während seiner Regierungszeit viel Zeit hat verstreichen lassen, bis er den Dialog ernsthaft aufgegriffen hat und bis auf beiden Seiten ernsthaft darüber nachgedacht wurde, die Kampfhandlungen einzustellen — hier haben wir es mit verpaßten Chancen zu tun —, sollte doch jeder neue Ansatz aufgegriffen werden, und darum unterstützen wir auch die jetzige Initiative und hoffen, daß sie endlich zu einem Dialog mit Ergebnissen führen wird.
Wenn wir die Situation im Menschenrechtsbereich vor Augen haben, können wir uns auch nicht damit zufriedengeben, daß immer darauf verwiesen wird, daß die Menschenrechtsverletzungen ja von Killerkommandos begangen werden und daß die Regierung daran nicht beteiligt ist. Selbst wenn sich das nicht immer eindeutig klären läßt, bleibt doch festzuhalten, daß eine Regierung verpflichtet ist, zu überprüfen, wer denn die Schuldigen sind, und diese Schuldigen auch einer Strafe zuzuführen. Wir meinen, daß eine Regierung sehr wohl in die Verantwortung genommen werden muß, auch für Menschenrechtsverletzungen, die sie nicht selbst begeht, aber wo sie aufgefordert ist, etwas zu unternehmen, damit das im Lande nicht fortgesetzt werden kann.
Aber wir denken auch, daß El Salvador bei der Lösung der inneren Probleme auf einem guten Weg sein kann. Wir möchten das unterstützen und möchten es auf keinen Fall dadurch erschweren, daß wir die dringend notwendige Entwicklungszusammenarbeit einstellen, die ja auch den Armsten der Armen zugute kommt.

(Volmer [GRÜNE]: Das stimmt ja nun einmal nicht, Frau Luuk!)

Wir haben die Liste der Projekte daraufhin überprüft, und ich möchte hier betonen, daß vor allem das Ernährungssicherungsprogramm, die Zusammenarbeit bei der Wasserversorgung und die im Krankenhausbereich positive Dinge sind, die wir fortsetzen wollen, weil wir die Lebensbedingungen für die Menschen in El Salvador wie in der ganzen Region verbessern wollen.
Das heißt natürlich auch — das wissen Sie — , daß wir fordern, daß auch die Entwicklungszusammenarbeit mit Nicaragua wieder aufgenommen wird, denn man kann nicht einen Flecken herausnehmen und ausschließen.

(Beifall bei der SPD — Scharrenbroich [CDU/ CSU]: Wenn es dort so demokratisch zugeht wie in El Salvador, kann man das in Nicaragua auch machen!)

Nun aber konkret zu unserer Auffassung: Zur Absicht dieser beiden Anträge meinen wir, daß der Zeitpunkt für solche Beschlüsse nicht geeignet ist. Wir werden die Anträge also ablehnen.

(Volmer [GRÜNE]: Sie werden doch heute überwiesen!)

Das heißt aber nicht, daß wir keine Befürchtungen mehr hätten. Die Wahl nämlich kommt auch unserer Meinung nach viel zu schnell, weil nämlich all diejenigen, die sich daran beteiligen sollten, damit tatsächlich ein Prozeß des Dialogs auf den Weg gebracht werden kann, dazu kaum Gelegenheit haben. Dafür, daß alle Kräfte wirklich mittun können, geht es zu schnell. Trotzdem meinen wir, daß man dem Land eine Chance geben soll. Wir werden den Prozeß positiv begleiten, aber natürlich werden wir die Entwicklung kritisch überprüfen. Hoffentlich bekommen wir ein



Frau Luuk
positives Ergebnis, das dann auch Sie umstimmen kann.

(Beifall bei der SPD — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Sehr vernünftig! — Volmer [GRÜNE]: Viel Zweckoptimismus!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113131200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Folz-Steinacker.

Sigrid Folz-Steinacker (FDP):
Rede ID: ID1113131300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon sehr bemerkenswert, daß die Fraktion DIE GRÜNEN so kurzfristig auf eine Behandlung ihrer vom 4. Juni und vom 31. August 1988 datierten Anträge zu El Salvador noch in dieser Plenarwoche gedrängt hat; sonst würden wir jetzt nicht noch hier stehen. Zu einem Zeitpunkt, wo der Wahlkampf für die in El Salvador stattfindenden Präsidentschaftswahlen vor dem Abschluß steht, soll offensichtlich durch Diskreditierung des von der Regierung Präsident Duartes eingeleiteten Demokratisierungsprozesses die Position der salvadorianischen Guerilla FMLN gestärkt werden.
Damit hier kein Mißverständnis entsteht: Natürlich ist jede Initiative zu begrüßen, welche die Möglichkeit einer friedlichen Beendigung des Bürgerkrieges in El Salvador eröffnet. Dies gilt selbstverständlich auch für den jüngsten Friedensvorschlag der Guerilla, mit dem sie Abstand von ihrer bisherigen Forderung nach einer Beteiligung an der Regierungsmacht ohne vorherige Wahlen genommen und erstmals Wahlen als möglichen Weg zur Konfliktlösung anerkannt hat.
Mit seiner positiven Antwort vom 26. Februar 1989 unterbreitete Duarte einen konstruktiven Gegenvorschlag, der die Basis für eine Lösung des Konflikts auf dem Verhandlungswege darstellen kann. Es ist daher wirklich zu bedauern, daß die FMLN auf diese sinnvollen Vorschläge mit abweichenden Forderungen reagiert hat und dabei insbesondere auf eine Verschiebung der Präsidentschaftswahl auf einen Termin nach dem 1. Juni 1989 besteht. Darum geht es doch.

(Volmer [GRÜNE]: Er ist doch an Arena gescheitert! Duarte ist nicht stark genug gegenüber den Rechten!)

Gerade diese Forderung, Herr Volmer, läßt doch den Verdacht aufkommen, daß es der Guerilla mit ihren Vorschlägen in Wirklichkeit um ein taktisches Manöver geht.

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Das ist ein blutiges Manöver!)

Das müssen doch auch Sie begreifen, Herr Volmer.
Die von Duarte angebotene Verschiebung der Präsidentschaftswahlen um 40 Tage auf den 30. April 1989 würde nicht nur ausreichenden Verhandlungsspielraum schaffen, sondern auch die nach der Verfassung zum 1. Juni 1989 zwingend, und zwar wirklich zwingend, vorgeschriebene Machtübergabe an den gewählten neuen Präsidenten ermöglichen.
Die salvadorianische Regierung und Streitkräfte haben mit der sofortigen Erklärung eines einseitigen Waffenstillstandes — auch das ist doch bekannt — bis zum 1. Juni 1989 ein positives Zeichen für ihre Bereitschaft zur Konfliktlösung gesetzt. Dagegen werden von Seiten der Guerilla auch weiterhin Bombenanschläge und Überfälle auf militärische Einrichtungen und sogar auf unschuldige Zivilisten verübt.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Den GRÜNEN ist das egal!)

Sie haben sogar ihre Anschläge verstärkt und nahezu die gesamte Stromversorgung des Landes außer Betrieb gesetzt und damit natürlich fast die gesamte Wirtschaft des Landes lahmgelegt,

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Daran hat Herr Volmer Spaß! Darüber lacht er!)

wie Sie heute aus allen Zeitungen entnehmen konnten. Dies ist, meine Damen und Herren — das möchte ich hier wirklich einmal festhalten — , ein ganz maßloser Terrorismus, eine der übelsten Formen von Menschenrechtsverletzungen.
Erhebliche Zweifel sind angebracht, denke ich, ob die FMLN überhaupt zu einer friedlichen Beendigung des Bürgerkrieges bereit ist und jemals bereit gewesen ist.

(Volmer [GRÜNE]: Probieren Sie es doch einmal aus! Gehen Sie doch einmal auf deren Vorschläge ein!)

Nun wird niemand behaupten wollen, Ei Salvador sei ein demokratisches Musterland. Ich will auch nicht verschweigen, daß mir das Thema Menschenrechte nach wie vor Sorgen bereitet. Während der Amtszeit von Präsident Duarte — auch das muß gesagt werden — , ich sage auch ruhig einmal: einem aufrechten Kämpfer für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und die Wahrung der Menschenrechte, hat sich die Menschenrechtslage gegenüber 1984 wirklich grundlegend verändert.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Volmer [GRÜNE]: Sie morden jetzt selektiver, wissenschaftlicher!)

Dennoch, Herr Volmer, läßt die Aufklärung und Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen nach wie vor zu wünschen übrig; das sehe ich genauso. Diese Regierung hat große Anstrengungen unternommen, um den Friedensprozeß zu fördern und grundlegende soziale, wirtschaftliche und politische Reformen einzuleiten. Wir müssen uns dabei aber bewußt sein, daß ihr Handlungsspielraum infolge der fehlenden Unterstützung der rechten Oligarchie und des bewaffneten Kampfes der Guerilla eingeschränkt war. Die große Mehrheit des salvadorianischen Volkes setzt trotz aller wirtschaftlichen und sozialen Probleme immer noch auf den Demokratisierungsprozeß und lehnt die Positionen der Guerilla ab.
Meine Damen und Herren von der Fraktion DIE GRÜNEN, die von mir so sehr geschätzte Kollegin Frau Dr. Hamm-Brücher hat Ihnen in einer Debatte über die Lage in Mittelamerika vorgehalten, daß Sie den Fehler machen, die Welt immer in Gut und Böse einzuteilen

(Volmer [GRÜNE]: Jetzt nehmen Sie Genscher in Schutz!)

und von folgendem ausgehen:



Frau Folz-Steinacker
Der Frieden der Welt ist erst dann herzustellen, wenn das Böse vertilgt und das nach Ihrer Ansicht Gute damit zum Sieg gebracht wird.
Diese treffende Aussage kann ich nur unterstreichen.
Ihre Forderung nach Einstellung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit El Salvador zeigt, daß Sie in der Zwischenzeit wenig hinzugelernt haben.
Das Lämpchen vor mir leuchtet; ich muß kürzen.

(Becker [Nienberge] [SPD]: Ein Wort noch zu Nicaragua!)

Ein Wort noch zum Abschluß. Wir sind gefordert, diesen Friedensprozeß weiterhin durch finanzielle Hilfen und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Staaten dieser Region zu unterstützen.

(Volmer [GRÜNE]: Welchen Prozeß meinen Sie denn? — Gegenruf des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Den Demokratisierungsprozeß, Herr Volmer!)

Dies gilt insbesondere für die Fortsetzung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit El Salvador.
Deswegen lehnt die FDP-Fraktion Ihre beiden Anträge ab.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Bindig [SPD]: Aber Ihre Nicaragua-Politik sollten Sie ändern! Da sollten Sie einmal die Initiative ergreifen!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113131400
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1113131500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da ich in der Beurteilung des politischen Prozesses und der Menschenrechtssituation in El Salvador den Ausführungen von Frau Folz-Steinacker und Herrn Höffkes ausdrücklich zustimme, kann ich mir ersparen, mich dazu noch des weiteren zu äußern.

(Frau Luuk [SPD]: Meinen nicht?)

— Verzeihen Sie, Frau Luuk, ich wollte mich bei Ihnen noch ausdrücklich für Ihre Stellungnahme bedanken.
Die Gründe, die 1984 zur Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe mit El Salvador geführt haben, sind nach Ansicht der Bundesregierung weiterhin gültig. Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung zur Einstellung ihrer Hilfe für El Salvador.
Wir halten im übrigen den Augenblick, in dem uns dies hier empfohlen wird, für den ungeeignetsten, den man sich überhaupt nur denken kann, um eine solche Entscheidung zu erwägen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß sich der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit im November und wieder in dieser Märzwoche zweimal mit großer Offenheit und mit großem Ernst und mit Redlichkeit auf allen beteiligten Seiten mit der Lage in El Salvador beschäftigt hat. Nicht ein Gesichtspunkt und nicht ein Argument, die hier vorgebracht werden können, sind dabei ungeklärt geblieben.
Deswegen ist hier tatsächlich festzustellen, daß eine ganze Reihe von Dingen, die Herr Volmer und seine Freunde hier verfolgen, zum Teil gegen besseres Wissen und zum Teil auch unter Billigung von Ihnen ganz offenkundig bekannten Gefahren erfolgen. Ich stelle fest, daß es bestens bekannt ist, daß zum erstenmal seit langen Jahren die Guerilla auf die Vorbedingung verzichtet, ohne jede Wahl an der Macht in der Regierung beteiligt zu werden, und daß damit überhaupt erst einmal im Ansatz der Weg für eine durch Wahlen demokratisch legitimierte Lösung des Konflikts freigeworden ist.

(Volmer [GRÜNE]: Dann stimmen Sie mir ja zu, daß die Guerilla flexibler geworden ist!)

Darauf ist Duarte eingegangen. Er hat dabei gewisse Probleme, die Ihnen hinlänglich bekannt sind. Wer hier wie Sie, Herr Volmer, über die Frage einer Verschiebung um sechs Wochen oder um sechs Monate nachdenkt, der sollte hier redlicherweise auch in der Öffentlichkeit des Deutschen Bundestages sagen, was eine sechsmonatige Verschiebung bedeuten würde: Unter Umständen muß nach der Verfassung ein Interimspräsident gewählt werden, der nach gegenwärtiger Lage wahrscheinlich Major D'Aubuisson heißen würde. Sagen Sie das bitte! Und sagen Sie bitte, wenn Sie das wollen — das würde uns außerordentlich interessieren —, daß Sie bereit sind, auf solche Preise einzugehen.
Das, was Sie hier in diesem Moment mit diesem Antrag unternehmen, hat mit der Frage der Entwicklungshilfe gar nichts zu tun, sondern es ist der Versuch, die Position der Guerilla zu stärken und die Regierung zu schwächen — mit dem Hebel der Entwicklungshilfe. Sie versuchen hier ein eindeutiges Geschäft und vergessen dabei völlig, daß Sie sich hier sonst bei jeder Gelegenheit gern als Anwalt der Armen gerieren — etwas, was Ihnen in diesem Moment wohl völlig entfallen zu sein scheint.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Am grünen Wesen soll die Welt genesen!)

Es sollte redlicherweise hier auch von Ihnen gesagt werden, daß die politischen Führer der Linken, die über die FDR mit der Guerilla verbunden sind, zurückkehren konnten, daß Dr. Ungo, der Kandidat der „Convergencia Democrácia", für die Wahl ist, und sogar der Generalsekretär des legalen Flügels der Kommunistischen Partei, Carranza, im Oktober 1988 zurückgekehrt ist.
Was muß eigentlich noch geschehen, bis Sie einen Demokratisierungsprozeß wenigstens halbwegs anzuerkennen in der Lage sind und sich dazu bereitfinden?

(Volmer [GRÜNE]: Die Wahlen müssen verschoben werden!)

Es ist uninteressant, daß im Zug der Entwicklung Tausende von Flüchtlingen aus Honduras zurückgekommen sind? Wir haben erst gestern im Ausschuß darüber gesprochen und haben Frau Luuks dahingehende Fragen zu beantworten gehabt. Nein, meine Damen und Herren, dieser Antrag ist mit schädigender Absicht gegen besseres Wissen hier eingebracht worden und dient der Sache in gar keiner Weise, sondern dient einseitigen Zwecken.



Parl. Staatssekretär Dr. Köhler
Ein letztes Wort in diesem Zusammenhang noch zu Napoleon Duarte: Ich kenne diesen Mann seit vielen Jahren. Ich kenne die Narben der Folterungen an seinem Körper. Ich kenne seine Irrungen. Und ich kenne sein Bemühen. In dieser Zeit versucht dieser Mann, seine lezten Kräfte zu geben, um den eingeleiteten Prozeß zu gestalten. Ich bin der Ansicht, daß nur noch wenig Zeit bleibt, wenn man Wert darauf legt, Politik mit menschlichem Anstand zu machen, um diesem Mann hier im Bundestag Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1113131600
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/2844 und 11/2405 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 10. März 1989, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.