Rede von
Prof.
Ursula
Männle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frankreichs Bürger und Bürgerinnen feiern in diesem Jahr das 200jährige Bestehen der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die weltweite Hoffnungen auf Gleichheit, Solidarität und Freiheit auslösten. Vor kurzem jährte sich zum 40. Mal die Verkündung der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, und am 23. Mai wird das Bonner Grundgesetz mit seinem umfangreichen Grundrechtekatalog 40 Jahre alt. Jubiläen verleiten gerne zum Jubilieren, zu selbstgefälligem Lob. Beim Thema Menschenrechtsdeklarationen besteht dazu heute noch kein Anlaß.
In diesen Tagen begehen wir auch die Woche der Brüderlichkeit.
ein Grund zur Rückbesinnung, zur Vergegenwärtigung eigener Geschichte. Die deutsche Geschichte ermahnt uns zu verstärktem Engagement für die Wahrung der Menschenrechte auf der ganzen Welt, zu mutigem Streiten nicht nur für mehr Brüderlichkeit, sondern auch für mehr Schwesterlichkeit.
Ist — das möchte ich fragen — der heutige Tag die Stunde Null einer Bonner Frauenkoalition, für ihre internationale Solidarität mit verfolgten Frauen? Die Französin de Gouges setzte sich vor rund 200 Jahren dafür ein, die Männerrechtsdeklaration durch eine Klärung der Rechte der Frauen zu erweitern. Sie bezahlte ihre Gleichheitsforderung mit dem Tod auf dem Schafott. Das Urteil lautete, sie habe gegen die Tugenden ihres Geschlechtes verstoßen. Nach langen und harten Kämpfen erstritten Frauen die notwendigen verfassungsrechtlichen Ergänzungen. Heute haben wir das Wort. Was fehlt, sind die Taten.
Mit Recht erinnern Frauen: Menschenrechte gelten für alle, ungeachtet der Hautfarbe, der Zugehörigkeit zu einer sozialen oder ethnischen Gruppe, ungeachtet des religiösen und politischen Bekenntnisses des einzelnen, ungeachtet des Geschlechts. Mit Recht fordern Frauen Unteilbarkeit von Menschenrechten, ungeteiltes Anprangern von Menschenrechtsverletzungen und ungeteilten Einsatz für die Umsetzung von Menschenrechten. Ideologische, religiöse, kulturelle Unterschiede, ja Divergenzen zwischen einzelnen Staaten blockieren die Verwirklichung der Idee von einer Welt, in der fundamentale Rechte des einzelnen gelten. Strittig sind leider der Inhalt des Begriffs Menschenwürde, die Interpretation der Freiheitsrechte, die notwendigen Instrumentarien der Umsetzung, die Frage des unerläßlichen Rechtsschutzes für Bürgerinnen und Bürger. Der Konsens in der politischen Rhetorik — wir wissen es alle — ist brüchig.
Trotz unserer Überzeugung, die in den Deklarationen aufgeführten Werte seien verbindlich, weil richtig, Ergebnis eines rationalen Diskurses, trotz des Bekenntnisses zur Universalität von Menschenrechten müssen wir uns selbstkritisch fragen: Können und dürfen wir unsere Werte als verbindlich für alle deklarieren? Spiegelt sich darin nicht Anmaßung, kulturelle
Arroganz von Abendländerinnen? Es ist ein schwieriger Differenzierungs-, ja sogar Balanceakt, die Grenze zwischen unserer legitimen Forderung nach Durchsetzung von Menschenrechten und der Anerkennung der kulturellen und religiösen Eigenständigkeit von Staaten zu ziehen. Wir müssen uns fragen: Wann müssen wir gegen Unrecht in anderen Ländern protestieren, mit welchen Mitteln unsere Kritik zum Ausdruck bringen? Wie müssen wir uns gegenüber denjenigen verhalten, die bei uns Hilfe suchen?
Die Schwierigkeiten scheinen sich beim Thema Menschenrechtsverletzungen an Frauen noch zu potenzieren. Auf der einen Seite regt sich nun verhaltener Protest, wenn es um politische Verfolgung von Frauen geht. 1987 und 1988 durchbrach Amnesty International das Gesetz der Medien, wonach zuerst über Männer und dann erst über Frauen berichtet wurde. Amnesty International erstellte umfangreiche Dokumentationen von Beispielen verfolgter Frauen.
Auf der anderen Seite werden frauenspezifische Verfolgungsformen kaum wahrgenommen. Männer und Frauen werden in einigen Ländern immer noch wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugungen, wegen ihrer sozialen oder ethnischen Zugehörigkeit verfolgt und inhaftiert. Frauen werden aber oft auch Opfer sexueller Mißhandlungen, Vergewaltigungen während Verhören, Polizeigewahrsam und Haft. In Gesellschaften, in denen das Ansehen und der Wert einer Frau an der Einhaltung rigider moralischer Vorschriften gebunden ist, bedeutet doppeltes Verfolgt-Werden von Frauen, doppelt Opfer zu sein.
Unrechtsregime scheuen nicht erpresserische Maßnahmen, nutzen Frauen und Kinder als Faustpfand, als Geiseln, um Druck auf ihre männlichen Familienmitglieder auszuüben und die vom Staat gewünschten Geständnisse zu erzwingen. In Staaten, die einem religiösen Fundamentalismus huldigen, drohen den Frauen, die für sich das Menschenrecht auf Selbstbestimmung, auf menschenwürdiges Leben in Anspruch nehmen und bewußt gesellschaftliche Normen übertreten, die als Individuen und als politische Subjekte den staatlichen Verhaltensregeln offen widersprechen, vielfach inhumane Strafen. Die brutalen Formen staatlicher Intoleranz, staatlicher Frauenunterdrükkung zeigen sich heute ganz besonders im Iran.
Das Anprangern von Menschenrechtsverletzungen im Ausland darf aber nicht den Blick für Menschenrechtsverletzungen im Inland verstellen. Dubiose Geschäftemacher nutzen schamlos die wirtschaftlichen Nöte von Frauen in Entwicklungsländern aus,
heuern sie unter wohlklingenden Versprechungen an und verkaufen sie in der Bundesrepublik Deutschland als Prostituierte. Diesen Menschenhändlern muß das Handwerk gelegt werden.
9702 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 131. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 9. März 1989
Frau Männle
Diejenigen, die auch in westlichen Demokratien jahrzehntelang für Gleichberechtigung streiten mußten und weiter streiten, tragen heute doppelte Verantwortung. Frauenpolitik endet nicht an nationalen Grenzen. Frauenpolitik muß internationale Frauenrechtspolitik einschließen, wollen sich diejenigen, die Verantwortung tragen, nicht dem berechtigten Vorwurf aussetzen, ihre Solidarität den heute Hilfesuchenden zu verwehren. Ermahnen wir uns selbst, ständige Mahnerinnen zu sein, Anwältinnen für die Interessen und Nöte von Frauen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, am Tag nach dem Internationalen Frauentag diskutieren wir über Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Ist dies Ausdruck späten Reagierens oder, so hoffe ich, Zeichen, daß wir uns auch am Tag danach an internationale Solidarität erinnern wollen?