Protokoll:
11094

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 94

  • date_rangeDatum: 22. September 1988

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:21 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/94 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 94. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 22. September 1988 Inhalt: Worte zur Freilassung von Rudolf Cordes aus der Geiselhaft 6369 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Becker (Frankfurt) und Frau Dr. Hartenstein 6369 B Bestimmung des Abg. Dr. Kreile zum ordentlichen Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß an Stelle des ausgeschiedenen Abg. Sauter (Ichenhausen) 6369 C Wahl des Abg. Geis als ordentliches Mitglied des Wahlprüfungsausschusses an Stelle des ausgeschiedenen Abg. Sauter (Ichenhausen) 6369 C Wahl des Abg. Pfuhl als stellvertretendes Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates an Stelle des ausgeschiedenen Abg. Dr. Glotz 6369 D Erweiterung der Tagesordnung 6369 D Absetzung der Tagesordnungspunkte 20 a bis 20e 6370 A Abwicklung der Tagesordnung 6370 A Tagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter/innen von Presse, Rundfunk und Film (Drucksache 11/2000) Häfner GRÜNE 6370 A Dr. Langner CDU/CSU 6371 D Schmidt (München) SPD 6373 A Funke FDP 6374 C Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . 6375 C Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Post-und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz) (Drucksache 11/2854) in Verbindung mit b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Reform des Post-und Fernmeldewesens in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 11/ 2855) Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMP 6377 A Börnsen (Ritterhude) SPD 6381 C Pfeffermann CDU/CSU 6384 D Dr. Briefs GRÜNE 6388 C Funke FDP 6392 C Paterna SPD 6395 B Linsmeier CDU/CSU 6398 C Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi . 6400 C Bernrath SPD 6402 D Bühler (Bruchsal) CDU/CSU 6404 B Frau Faße SPD 6405 C Tagesordnungspunkt 4: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzvertrag vom 21. Oktober 1986 zum Auslieferungsvertrag vom 20. Juni 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1988 Amerika (Drucksachen 11/1610, 11/ 2289) 6406 D Tagesordnungspunkt 5: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. Mai 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen 11/1831, 11/2777) 6407 A Tagesordnungspunkt 6: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. Oktober 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über die Rechtshilfe und Rechtsauskunft in Zivil- und Handelssachen (Drucksachen 11/ 2026, 11/2896) 6407 B Tagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 426/86 über die gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (Drucksachen 11/2089 Nr. 15, 11/ 2281) 6407 C Tagesordnungspunkt 8: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Entscheidung des Rates für eine spezifische Hilfe zur Entwicklung der Landwirtschaftsstatistik in Irland (Drucksachen 11/2350 Nr. 2.9, 11/ 2574) 6407 C Tagesordnungspunkt 9: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Drucksache 11/2906) 6407 D Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Sammelübersichten 77, 78, 79, 80, 81 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksachen 11/ 2883, 11/2884, 11/2885, 11/2886, 11/ 2887) 6407 D Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Dezember 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Kuwait zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen (Drucksache 11/2553) 6408 A Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen (Drucksache 11/2675) . . 6408B Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Agrarstatistiken (Agrarstatistikgesetz) (Drucksache 11/2851) . . . 6408B Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fischwirtschaftsgesetzes (Drucksache 11/2852) 6408 C Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung von Meldungen in der Mineralölwirtschaft (Mineralöldatengesetz) (Drucksache 11/2043) . . . 6408 C Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rock, Frau Teubner, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Erhöhung der Sicherheit von Lkw-Transporten, insbesondere beim Transport von Sonderabfällen und Gefahrgut (Drucksache 11/2878) 6408 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zur weiteren Finanzierung des Projekts „Schneller Brüter" in Kalkar Schäfer (Offenburg) SPD 6415 A Dr. Laufs CDU/CSU 6416 A Wetzel GRÜNE 6416 D Dr.-Ing. Laermann FDP 6418A, 6429B Stahl (Kempen) SPD 6419 A Gerstein CDU/CSU 6420 B Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 6421 B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1988 III Einert, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 6423 A Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 6425 B Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE . . . 6427 A Dr. Göhner CDU/CSU 6427 C Vosen SPD 6428 C Vahlberg SPD 6430 B Seesing CDU/CSU 6431 C Fellner CDU/CSU 6432 B Vizepräsident Stücklen 6433 C Tagesordnungspunkt 17: a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 22. März 1985 zum Schutz der Ozonschicht (Drucksachen 11/2271, 11/2946, 11/2947) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen (Drucksache 11/2676) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hauff, Schäfer (Offenburg), Frau Dr. Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schutz der Ozonschicht durch Verbot des Einsatzes von Fluorchlorkohlenwasserstoffen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Briefs, Dr. Daniels (Regensburg), Frau Garbe, Dr. Knabe, Wetzel und der Fraktion DIE GRÜNEN: Klimaschutzprogramm: Sofortmaßnahmen gegen den Abbau der Ozonschicht und die Auswirkungen des Treibhauseffekts (Drucksachen 11/678, 11/788, 11/2472) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller (Düsseldorf), Schäfer (Offenburg), Ganseforth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schutz der Ozonschicht (Drucksache 11/2939) Schmidbauer CDU/CSU 6434 B Müller (Düsseldorf) SPD 6437 A Frau Dr. Segall FDP 6439 D Dr. Knabe GRÜNE 6441D Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 6443 D Frau Ganseforth SPD 6446 A Dr. Lippold (Offenbach) CDU/CSU . . . 6448 A Frau Dr. Hartenstein SPD 6450 B Tagesordnungspunkt 18: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wieczorek-Zeul, Daubertshäuser, Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Stationierung von Flugzeugen der US-Streitkräfte auf dem Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim (Drucksache 11/2868 [neu]) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Mechtersheimer, Frau Schilling, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN: Keine Stationierung von US-Kampfhubschraubern auf dem Flughafen Wiesbaden-Erbenheim (Drucksache 11/2890) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Mechtersheimer, Frau Schilling, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN: Rücknahme der Einverständniserklärung der Bundesregierung zur Stationierung von amerikanischen Kampfhubschraubern auf dem Militärflughafen Wiesbaden-Erbenheim (Drucksache 11/ 2891) Frau Wieczorek-Zeul SPD 6453 C Frau Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU . . 6455 C Frau Schilling GRÜNE 6456 D Gries FDP 6458 A Dr. Scholz, Bundesminister BMVg . . . 6459 B Tagesordnungspunkt 20: Beratung der Sammelübersichten 74, 75, 76 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksachen 11/2546, 11/ 2547, 11/2548) Ibrügger SPD 6460 B Kossendey CDU/CSU 6461 A Frau Garbe GRÜNE 6461 D Frau Dr. Segall FDP 6463A, 6468 A Peter (Kassel) SPD 6464 A Dr. Grünewald CDU/CSU 6465 A Dr. Briefs GRÜNE 6466 C Peter (Kassel) SPD (Erklärung nach § 30 GO) 6468D Tagesordnungspunkt 19: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Luftverunreinigungen in Innenräumen Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen vom Mai 1987 (Drucksache 11/613) Schmidbauer CDU/CSU 6469 B Weiermann SPD 6470 D Frau Dr. Segall FDP 6472 C Frau Garbe GRÜNE 6473 D Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 6475 A IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1988 Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): Fragestunde — Drucksachen 11/2924 vom 16. September 1988 und 2943 vom 21. September 1988 — Erkenntnisse der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Attentat auf Staatssekretär Dr. Tietmeyer DringlAnfr 1 21.09.88 Drs 11/2943 Wüppesahl fraktionslos DringlAnfr 2 21.09.88 Drs 11/2943 Wüppesahl fraktionslos Antw StSekr Neusel BMI . . . . 6409A, 6409 C ZusFr Wüppesahl fraktionslos . . 6409A, 6409 C Begnadigung der RAF-Terroristen Speitel und Boock und der ehemaligen RAF-Mitglieder Wackernagel und Jänschke MdlAnfr 7, 8 16.09.88 Drs 11/2924 Niegel CDU/CSU Antw PStSekr Frau Berger BK 6409 D ZusFr Niegel CDU/CSU 6410 A ZusFr Wüppesahl fraktionslos 6410 C Erschwerung der Gründung deutscher Vereinigungen in Polen MdlAnfr 13, 14 16.09.88 Drs 11/2924 Werner (Ulm) CDU/CSU Antw StMin Schäfer AA . . . . 6410D, 6411B ZusFr Werner (Ulm) CDU/CSU . 6410D, 6411B ZusFr Jäger CDU/CSU 6411 D Verhinderung negativer Auswirkungen der amerikanischen Steuerrechtsänderungen auf deutsche Stipendiaten und Wissenschaftler MdlAnfr 15, 16 16.09.88 Drs 11/2924 Kastning SPD Antw StMin Schäfer AA . . . 6412A, 6412 C ZusFr Kastning SPD 6412A, 6412D Auswirkungen der Einführung eines Tempolimits in der Schweiz und in Italien auf die Zahlen der Verkehrsunfälle und auf die Schadstoffemissionen MdlAnfr 62, 63 16.09.88 Drs 11/2924 Antretter SPD Antw StSekr Dr. Knittel BMV . . 6413B, 6414 C ZusFr Antretter SPD 6413 D, 6414 C ZusFr Jäger CDU/CSU 6414 D Nächste Sitzung 6477 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 6478' A Anlage 2 Erklärung gemäß § 31 Abs. 1 GO der Abgeordneten Nolting (FDP) und Dr. Göhner (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag des Petitionsausschusses zu der in der Sammelübersicht 74 aufgeführten Petition (Drucksache 11/2546) 6478* C Anlage 3 Gültigkeit der Feindstaatenklauseln der UN-Charta (Art. 53 und 107) MdlAnfr 17, 18 16.09.88 Drs 11/2924 Lowack CDU/CSU SchrAntw StMin Schäfer AA 6479* A Anlage 4 Erweiterung der Übungskapazität der Bundesluftwaffe in Goose Bay (Labrador); Verbesserung der sozialen Lage der von der Auslandstätigkeit betroffenen Piloten und Techniker MdlAnfr 50, 51 16.09.88 Drs 11/2924 Steiner SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . . . 6479* B Anlage 5 Privatisierung der Bundesbahn-Tochter Schenker und Co. GmbH MdlAnfr 59 16.09.88 Drs 11/2924 Dr. Weng (Gerlingen) FDP SchrAntw StSekr Dr. Knittel BMV . . . . 6479* D Anlage 6 Erhaltung des Grenzrangierbahnhofs Passau MdlAnfr 60, 61 16.09.88 Drs 11/2924 Dr. Rose CDU/CSU SchrAntw StSekr Dr. Knittel BMV . . . . 6480* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1988 6369 94. Sitzung Bonn, den 22. September 1988 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 22. 9. Bindig* * 23. 9. Böhm (Melsungen) 22. 9. Brauer 23. 9. Clemens 23. 9. Frau Dr. Däubler-Gmelin 23. 9. Dr. Dollinger 23. 9. Eylmann 22. 9. Frau Fischer* * 23. 9. Frau Geiger* * 23. 9. Dr. Glotz 23. 9. Graf 22. 9. Gröbl 22. 9. Dr. Haack 23. 9. Dr. Hauff 23. 9. Frhr. Heereman von Zuydtwyck 23. 9. Frau Hensel 23. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 23. 9. Dr. Holtz* * 23. 9. Hüser 23. 9. Irmer* * 23. 9. Frau Kelly 23. 9. Kiechle 22. 9. Dr. Köhler (Wolfsburg) 23. 9. Dr. Kreile 23. 9. Magin 23. 9. Dr. Müller 22. 9. Frau Olms 23. 9. Opel 23. 9. Frau Pack 23. 9. Pfeifer 23. 9. Dr. Pohlmeier* * 23. 9. Reuschenbach 23. 9. Dr. Scheer* 23. 9. Frau Schmidt (Nürnberg) 23. 9. Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) 23. 9. Schwarz 23. 9. Spilker 23. 9. Spranger 23. 9. Dr. Stavenhagen 23. 9. Steiner 22. 9. Dr. Stercken* * 23. 9. Dr. Stoltenberg 23. 9. Frau Teubner 23. 9. Tietjen 23. 9. Frau Dr. Timm* * 23. 9. Frau Trenz* * 23. 9. Westphal 23. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an der 80. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Erklärung gemäß § 31 Abs. 1 GO der Abgeordneten Nolting (FDP) und Dr. Göhner (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag des Petitionsausschusses zu der in der Sammelübersicht 74 aufgeführten Petiion (Drucksache 11/2546): Die Prüfung dieser Petition mußte sich auf die in die Bundeszuständigkeit fallenden Fragen beschränken. Ich teile zwar die Auffassung, daß eine andere Trassenführung bei wohlwollender Haltung aller Beteiligten, insbesondere der Westfälischen Ferngas AG, möglich gewesen wäre. Im Rahmen der Prüfung der Petition des Bundestages war jedoch nur über die Rechtsfrage zu entscheiden, ob eine Genehmigung gemäß § 31 des Bundeswasserstraßengesetzes versagt werden kann. Alle anderen Fragen hinsichtlich der Trassenführung liegen außerhalb der Bundeszuständigkeit. Deshalb hat auch der Petitionsausschuß des Landtages im Rahmen seiner Zuständigkeit auf Grund einer entsprechenden Petition der gleichen Petentin diese Fragen umfassend geprüft. Der Petitionsausschuß hat - entgegen anderslautenden Behauptungen - keine Möglichkeit gesehen, die Landesregierung zu einer anderen Trassenführung zu veranlassen. Der Petitionsausschuß des Landtages hat zwar bedauert, „daß die Landesregierung (Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie) endgültig bei ihrer ablehnenden Entscheidung verbleibt" . Aber mit diesem Bedauern hat der Petitionsausschuß des Landtages diese Trassenführung akzeptiert. Es ist daher nicht redlich, die Stellungnahme des Petitionsausschusses des Landtages gegen die Beschlußfassung des Petitionsausschusses des Bundestages anzuführen, wo es allein um die genannte Rechtsfrage gehen kann. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hätte die Möglichkeit gehabt, eine andere Trassenführung durchzusetzen. Die Bundesregierung hat diese Möglichkeit nicht. Sie könnte - theoretisch - allenfalls die Genehmigung nach § 31 des Bundeswasserstraßengesetzes versagen. Nach den uns im Petitionsausschuß vorgetragenen Standpunkten wäre eine solche Versagung jedoch rechtswidrig. Ich halte es in hohem Maße für unredlich, die Bundesregierung zu einem rechtswidrigen Verhalten aufzufordern, ohne daß auch nur eine in sich schlüssige Begründung für eine etwaige Versagung der Genehmigung vorgetragen wird. Argumente für eine andere Trassenführung, die die Landesregierung-NW leider ignoriert hat, könne nicht die begrenzte Rechtsfrage, die der Bund zu entscheiden hat, beeinflussen. Hier ging es nur um die Frage, ob ein Rechtsanspruch auf Genehmigung besteht oder nicht. Aus diesen Gründen gibt es keine andere Möglichkeit, als der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1988 6479* Anlage 3 Antwort des Staatsministers Schäfer auf die Fragen des Abgeordneten Lowack (CDU/CSU) (Drucksache 11/2924 Fragen 17 und 18) : Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die sogenannten Feindstaatenklauseln der UN-Charta (Artikel 53 und 107) rechtsunwirksam geworden sind, und gibt es entsprechende eindeutige Hinweise und Festlegungen seitens der Vereinten Nationen bzw. ihren Mitgliedern? Warum wurde die Streichung der Feindstaatenklauseln nicht als Voraussetzung für den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur UNO geltend gemacht? Zu Frage 17: Die genannten Klauseln gelten formal fort. Ihre Streichung ist auf absehbare Zeit nicht zu erreichen, weil gemäß Art. 108 der VN-Charta eine Änderung der Charta von zwei Dritteln der Mitglieder der Vereinten Nationen in der Generalversammlung angenommen und dann von zwei Dritteln der Mitglieder einschließlich aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ratifiziert werden muß. Falsch wäre es, aus der formalen Fortgeltung der genannten Klauseln eine mindere Stellung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen VN-Mitgliedstaaten und insbesondere gegenüber den Siegermächten des 2. Weltkrieges abzuleiten. Zu Frage 18: Angesicht der in meiner vorigen Antwort umrissenen Lage hielt es die Bundesrepublik Deutschland im Zeitpunkt ihres Beitritts zu den Vereinten Nationen nicht für angebracht, die Frage der beiden Klauseln in den VN zu erörtern. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen des Abgeordneten Steiner (SPD) (Drucksache 11/2924 Fragen 50 und 51): Was bedeutet konkret die Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung, wonach die Erweiterung der Übungskapazität der Luftwaffe in Goose Bay mit Nachdruck vorangetrieben werden soll? Welche Maßnahmen sind vorgesehen, damit sich die soziale Lage der Piloten und Techniker, die bereits heute wegen der Tiefflugausbildung im Ausland drei Monate von ihren Familien getrennt sind, nicht noch weiter verschärft? Zu Frage 50: Wir werden die Übungskapazitäten in Goose Bay von derzeit ca. 4 000 Tiefflugstunden um weitere 2 000 Stunden auf ca. 6 000 Stunden erhöhen. Dazu ist Vorbedingung, daß eine Flugzeughalle fertiggestellt wird. Diese Infrastrukturmaßnahmen werden wir in Anbetracht der klimatischen Bedingungen in Labrador quasi in Rekordzeit bis Mitte 1990 abgeschlossen haben. Gleichzeitig werden wir ein Betreuungskonzept verwirklichen, welches deutliche Verbesserungen für das dort befindliche Personal beinhaltet wie z. B. modernere Unterkünfte, erweiterte Sportmöglichkeiten, eigener Zollshop und vieles andere mehr. Dies wird es uns ermöglichen, den Ausbildungsbetrieb in Goose Bay von 54 Ausbildungswochen auf 68 Ausbildungswochen zu steigern, denn wir werden mehr Flugzeuge und mehr Personal für eine längere Verweildauer in Goose Bay halten können. Zu Frage 51: Es wird anerkannt, daß sich die insgesamt hohen Trennungszeiten auf die Soldaten und ihre Familien belastend auswirken. Das fliegende und technische Personal der Luftwaffe wird zur Zeit durch Flugdienst, Aus- und Weiterbildung sowie aus anderen Gründen jährlich für etwa drei Monate von ihren Familien getrennt. Davon werden allerdings im Durchschnitt nur ca. drei Wochen durch die Tiefflugausbildung im Ausland verursacht. Möglichkeiten, die Trennungszeiten zu reduzieren, werden nicht in nennenswertem Umfang gesehen. Für diese Dauer des Übungsplatzaufenthaltes in Goose Bay/Kanada erhalten sie zur Abgeltung des dienstlich bedingten finanziellen Mehraufwandes eine für alle Dienstgrade einheitliche tägliche Aufwandsvergütung. Diese wird von den betroffenen Soldaten als unzureichend bewertet. Wir bemühen uns daher, eine zusätzliche Erschwerniszulage zu verwirklichen. Änderungen im Reisekostengesetz werden zur Zeit ebenfalls auf Realisierbarkeit untersucht. Auch wollen wir den Familienangehörigen bessere Mitflugmöglichkeiten an Bord von Luftfahrzeugen der Bundeswehr ermöglichen. Anlage 5 Antwort des Staatssekretärs Dr. Knittel auf die Frage des Abgeordneten Dr. Weng (Gerlingen) (FDP) (Drucksache 11/2924 Frage 59): Verfolgt die Bundesregierung die zugesagte Privatisierung der Bundesbahn-Tochter, Spedition Schenker, weiter, und welches ist der augenblickliche Stand des Verfahrens? Die Deutsche Bundesbahn verfolgt die der Bundesregierung zugesagte Teilprivatisierung der Fa. Schenker & Co GmbH weiter. Die hierzu erforderlichen Wirtschaftsprüfer-Gutachten liegen inzwischen vor. Mit einer Entscheidung ist noch 1988 zu rechnen. Die Realisierung ist für 1989 vorgesehen. 6480* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1988 Anlage 6 Antwort des Staatssekretärs Dr. Knittel auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Rose (CDU/CSU) (Drucksache 11/2924 Fragen 60 und 61) Wie beurteilt die Bundesregierung die Absicht der Deutschen Bundesbahn, im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr zwischen Deutschland und Österreich den Grenzrangierbahnhof Passau zugunsten des neuen Rangierbahnhofs Regensburg-Ost „auszutrocknen"? Ist sich die Bundesregierung bewußt, daß sie durch diese Absicht zahlreiche Arbeitsplätze bei Speditionen und bei der Deutschen Bundesbahn selbst gefährdet, zumal in einer Arbeitsmarktregion mit hoher Dauerarbeitslosigkeit? Zu Frage 60: Mit dem Ziel, den internationalen Güterverkehr zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zu beschleunigen, untersucht die Deutsche Bundesbahn zur Zeit zusammen mit den Österreichischen Bundesbahnen den Grenzübergang Passau. Erst nach Abschluß dieser Untersuchung, mit dem die Deutsche Bundesbahn Mitte 1989 rechnet, lassen sich Aussagen über etwaige Aufgabenverlagerungen von Passau zu einem anderen Rangierbahnhof machen. Die Bundesregierung begrüßt angesichts der zunehmenden Bedeutung des grenzüberschreitenden Güterverkehrs alle Bemühungen, die dem Ziel dienen, diese Verkehre zu beschleunigen. Zu Frage 61: Erst nach Vorliegen der Untersuchungsergebnisse am Grenzübergang Passau sind Aussagen über Auswirkungen auf die Arbeitsplatzsituation im Passauer Raum möglich. Zwischen den Eisenbahnverwaltungen Österreichs und der Bundesrepublik Deutschland besteht Einverständnis, die Leistungsqualität in diesem grenzüberschreitenden Verkehr nachhaltig zu verbessern.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109400000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich eine allgemeine Anmerkung machen. Mit Freude und Erleichterung haben wir in der vergangenen Woche die Freilassung von Rudolf Cordes aufgenommen. Zwanzig Monate haben wir gemeinsam mit der Familie des Entführten auf eine Beendigung der Leidenszeit von Rudolf Cordes gehofft.
Der erfolgreiche Ausgang ist dem beharrlichen Bemühen und dem Zusammenwirken vieler zu verdanken. Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen haben daran einen erheblichen Anteil. Ich möchte meine Genugtuung zum Ausdruck bringen, daß sich in dieser Zusammenarbeit die Gemeinsamkeit der Demokraten bewährt hat. Es würde sicher dem Ansehen unserer Demokratie dienen, wenn sich diese Gemeinsamkeit nicht nur in solchen Fällen bedrängender Not zeigte.
Der Bundesregierung und verschiedenen Behörden sowie den beteiligten ausländischen Regierungen gilt unser Dank für die erfolgreiche Zusammenarbeit.
Meine Damen und Herren, über der Freude, die die Freilassung von Rudolf Cordes ausgelöst hat, sollten wir nicht vergessen, daß noch weitere Geiseln festgehalten werden. Wir sind aufgefordert, uns dafür einzusetzen, daß auch sie bald freigelassen werden.
Im Namen des Hauses wünsche ich Rudolf Cordes und seiner Familie für die Zukunft alles Gute.

(Beifall)

Ich darf schließlich zweier Kollegen besonders gedenken, die Geburtstag gefeiert haben. Am 20. September ist der Kollege Dr. Becker (Frankfurt) 65 Jahre alt geworden, und die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein hat am 20. September einen runden Geburtstag gefeiert. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, für den Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes sind Nachwahlen vorzunehmen. Die Fraktion der CDU/ CSU schlägt als Nachfolger für den ausgeschiedenen Abgeordneten Sauter (Ichenhausen) den Abgeordneten Dr. Kreile als ordentliches Mitglied vor. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Dr. Kreile als ordentliches Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß bestimmt.
Aus dem Wahlprüfungsausschuß ist der frühere Abgeordnete Sauter (Ichenhausen) als ordentliches Mitglied ebenfalls ausgeschieden. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt als seinen Nachfolger den Abgeordneten Geis vor. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Geis als ordentliches Mitglied des Wahlprüfungsausschusses gewählt.
Der Abgeordnete Dr. Glotz scheidet als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats aus. Die Fraktion der SPD hat den Abgeordneten Pfuhl als seinen Nachfolger benannt. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Pfuhl als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats gewählt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung heute erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde: Giftgaseinsatz und Verfolgung der Kurden (in der 93. Sitzung bereits erledigt)

2. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur weiteren Finanzierung des Projekts „Schneller Brüter" in Kalkar
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller (Düsseldorf), Schäfer (Offenburg), Ganseforth, Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Ibrügger, Bachmaier, Blunck, Jung (Düsseldorf), Kiehm, Lennartz, Müller (Schweinfurt), Reschke, Reuter, Schanz, Schmidt (Salzgitter), Schütz, Dr. Sperling, Stahl (Kempen), Dr. Wernitz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Schutz der Ozonschicht
— Drucksache 11/2939 —
Zugleich soll von der Frist für den Beginn der Beratung — soweit erforderlich — abgewichen werden.
Ferner wurde interfraktionell vereinbart, die unter Tagesordnungspunkt 20 aufgeführten Sammelübersichten 63, 64, 66, 70 und 71 abzusetzen. Die Sammel-



Präsident Dr. Jenninger
übersichten 74 und 76 sollen mit je einer Runde mit Fünfminutenbeiträgen beraten werden.
Darüber hinaus soll Tagesordnungspunkt 19 erst nach Tagesordnungspunkt 20 aufgerufen werden.
Sind Sie auch damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter/innen von Presse, Rundfunk und Film
— Drucksache 11/2000 —
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Sie stimmen dem zu? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgordnete Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109400100
Herr Präsident! Meine sehr wenigen Damen und Herren im Saal!

(Beckmann [FDP]: Auch bei den GRÜNEN!)

Die Gemeinsamkeit der Demokraten, von der eingangs die Rede war, kann sich beim vorliegenden Gesetzentwurf meines Erachtens gleich beweisen. Ich will erst einmal in das Thema einführen.
Ende Februar dieses Jahres bekam der jetzige Hamburger Erste Bürgermeister Henning Voscherau unerwarteten und — das unterstelle ich — nicht gerade willkommenen Besuch. Die Polizei tauchte in seinem Notariat auf und beschlagnahmte eine Anzahl Negative und einen Fotoabzug des Hamburger Fotografen Günter Zint. Dieser wackere Pressemann hatte sich ein halbes Jahr zuvor versündigt, als er es gewagt hatte, ein Transparent zu fotografieren, mit dem Jugendliche aus St. Pauli gegen einen Polizeieinsatz protestiert hatten.
Das zeigt, zu welch absurden Konsequenzen die heutige Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts im Medienbereich führen kann.
In dem Atelier von Herrn Zint gehen die Ermittlungsbehörden ohnehin schon längst aus und ein. Dort wurde beispielsweise im letzten Oktober bei einer Durchsuchung durch die Polizei Film- und Fotomaterial sichergestellt. Offenbar werden gegen ihren Willen auch Journalisten in dieser Republik immer mehr zu Hilfsorganen der Polizeibehörden. Schon der bloße Verdacht auf Beleidigung der Polizei reicht wie im vorliegenden Fall — das ist ein wörtliches Zitat aus dem Beschlagnahmeantrag: „Verdacht auf Beleidigung" — für einen Durchsuchungsbefehl in den Räumen von Journalisten aus.
Leider ist diese Aktion gegen Zint und Voscherau kein Einzelfall. Insbesondere von der Berliner „Tageszeitung" und ihren Unterlagen können Polizei und
Staatsanwaltschaften beispielsweise gar nicht genug bekommen.

(Beckmann [FDP]: Das ist auch eine Fundgrube!)

— Das zeigt Ihr Verständnis von Pressefreiheit. —

(Beckmann [FDP]: Jawohl!)

Ich will Ihnen die einzelnen Fälle ersparen; sie sind Ihnen aus den Medien wahrscheinlich hinlänglich bekannt.
Aber auch die öffentlich-rechtlichen Medien sind vor derartigen Übergriffen nicht sicher. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Itzehoe hatte das Amtsgericht Mainz die Beschlagnahme von Filmaufnahmen des „ZDF" über die Brokdorf-Demonstration angeordnet. Das Landgericht hat diesen Beschluß bestätigt. Das „ZDF" hat gegen die Beschlagnahme des noch unveröffentlichten Materials Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Bundesverfassungsgericht konnte auf der Grundlage des geltenden, extrem löchrigen und unvollkommenen Zeugnisverweigerungsrechts diesem Beschlagnahmebegehren nicht entgegentreten und hat diesen Eingriff in das Grundrecht der Pressefreiheit höchstrichterlich abgesegnet.
Das ruft nun uns als Gesetzgeber auf den Plan; denn die politischen Auswirkungen des bisherigen Gesetzes und auch des Urteils sind fatal. Bildreporter werden gegen ihren Willen als Hilfspolizisten benutzt. Sie werden sogar bedroht und geschlagen, weil sie der Zuarbeit für die Polizei verdächtigt werden und zu Recht verdächtigt werden müssen. Sie verlieren ihre Arbeitsmöglichkeiten, weil die Menschen, mit denen sie sich befassen und über die sie berichten wollen, kein Vertrauen mehr haben und auch nicht mehr haben können.
Journalisten geraten so in eine unerträgliche Situation: einerseits unabhängige freie Berichterstatter, andererseits Hilfssheriffs wider Willen.
Was aber noch weit schwerer wiegt: Die Informationsfreiheit der Öffentlichkeit nimmt schweren Schaden. Ohne solche Informationen kann aber auch der demokratische Kontrollmechanismus nicht mehr funktionieren. Gerade dort, wo Bürgerinnen und Bürger der Staatsmacht gegenüberstehen, ist diese Kontrolle ganz besonders vonnöten.
Wie soll sich denn die Öffentlichkeit ein Bild machen, wenn diejenigen, die es knipsen wollen, ihren Beruf nicht mehr ausüben können? Das gilt insbesondere für die Berichterstattung über Polizeieinsätze, die ja immer mehr und immer häufiger rechtswidrigen Charakter angenommen haben. Immer öfter werden dann die Journalisten, die diese Polizeieinsätze filmen, fotografieren, von der Polizei geprügelt, ihnen werden die Filme abgenommen usw.
Das am 25. Juli 1975 verabschiedete Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk hat also zu unhaltbaren Ergebnissen geführt. Das Grundproblem dieser Regelung ist die Unterscheidung von selbstrecherchiertem und zugetragenem Material. Nur das zugetragene Material genießt den Schutz der Strafprozeßordnung: Es darf nicht beschlagnahmt werden.



Häfner
Nun frage ich Sie: Wie wollen Sie zugetragenes und selbstrecherchiertes Material denn de facto unterscheiden? Das ist faktisch gar nicht möglich. Professor Löffler, der renommierte Medienrechtler, hat sich in diesem Sinne geäußert.
Das gleiche gilt auch für die ebenso künstliche Trennung zwischen berufsmäßig und nicht berufsmäßig recherchiertem Material. Allen im Hause ist bekannt, daß Menschen berufstätig in anderen Zusammenhängen arbeiten, tätig sein können, aber dann beispielsweise über Dinge, die sie dort erfahren haben, ein Buch schreiben. Nehmen wir einmal Politiker. Sofern sie dieses Buch schreiben oder sofern sie in Zeitschriften, in Kolumnen usw. schreiben, müssen sie selbstverständlich dem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegen. Dies betrifft auch die völlig künstliche Trennung im bisherigen Gesetzestext zwischen periodischen und nicht periodischen Veröffentlichungen. Das macht in der Sache überhaupt keinen Sinn. Nehmen wir als Beispiel das Buch von Stefan Aust über Herrn Mauss. Das ist als Buch veröffentlicht, das ist aber auch vorher periodisch im „Spiegel" abgedruckt worden. Wollen Sie nun sagen, für den Abdruck im „Spiegel" gilt das Zeugnisverweigerungsrecht, für das Buch aber nicht? Oder wie denken Sie sich das?
Aber gegen die Zweckentfremdung von Presseunterlagen zu einer externen Ablage der Staatsanwaltschaft spricht auch noch eine weitere, sehr viel schwerwiegendere Überlegung. Der Zugriff auf das Pressematerial verschafft der Polizei die Möglichkeit einer umfassenden Dokumentation von Demonstrationen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Durch eine solche Beschlagnahme, wie sie heute oft exzessiv stattfindet, kann sie sich solche Unterlagen besorgen, die sie von Gesetzes wegen nicht selbst anfertigen dürfte. Ihr ist es nämlich nur gestattet, Photo- und Filmaufnahmen von strafbaren Handlungen zu machen. Im Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Aufzeichnung auf Vorrat ausdrücklich als verfassungswidrig bezeichnet worden. Die Praxis der Beschlagnahmen läuft dem zuwider.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der GRÜNEN hat in vielen Gesprächen und Anhörungen mit Sachverständigen und journalistischen Fachverbänden einen Gesetzentwurf entwickelt und hier vorgelegt, der diese Lücken und Schwächen des geltenden Rechts beseitigt. Dies gilt für die unsinnige Trennung von periodisch — nichtperiodisch, von berufsmäßig — nichtberufsmäßig und für die anderen genannten Dinge.
Ich möchte Sie bei Ihrer Entscheidung und vor den Beratungen in den Ausschüssen sehr dringlich darauf hinweisen, daß in der Demokratie gerade in dem Maße, in dem die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive nicht funktioniert, in dem das Parlament sich nicht als Kontrollorgan der Regierungen empfindet, obwohl es das eigentlich sein sollte, sondern als nachgeschaltetes Notariat der Regierung, das alles das beschließt, was die Regierung von ihm haben will, und daß gerade in Zeiten, in denen Verfilzungen von Flick über Barschel bis Niedersachsen deutlich werden, wenn irgendwo einmal jemand plaudert oder der Vorhang ein bißchen gelüpft wird und man einen Blick auf diesen Sumpf bekommt,

(Bohl [CDU/CSU]: Erzählen Sie doch mal was von Ihrer Einstellung zur IWF und Weltbank! Sagen Sie mal, was Sie gestern im Innenausschuß beantragt haben! Sie wollen doch die Anarchie!)

die „vierte Gewalt", d. h. die Freiheit der Berichterstattung der Medien, Herr Bohl, ein außerordentlich hohes Gewicht bekommt. In der letzten Zeit ist von Ihrer Seite sehr oft derjenige öffentlich geschlagen worden, der berichtet hat, nicht aber diejenigen, über die, und zwar zu Recht, berichtet wurde.
Deshalb müssen wir durch ein Gesetz wie das von uns vorgelegte die Freiheit der Berichterstattung, wie sie auch vom Grundgesetz gemeint war und was der eigentliche Sinn und Regelungszweck eines Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten sein muß, sicherstellen. Das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten ist kein individuelles Recht. Es sichert nicht das individuelle Berufsausübungsrecht des einzelnen Journalisten, sondern sichert unser aller Presse- und Informationsfreiheit, die Freiheit der Bevölkerung, sich ungehindert informieren zu können. Dazu ist notwendig, daß ungehindert recherchiert und veröffentlicht werden kann.
Ich bitte Sie, dies bei den Beratungen im Ausschuß zu berücksichtigen und den Gesetzentwurf zu unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Schmidt [München] [SPD])


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109400200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Langner.

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1109400300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese grüne Initiative ist nicht im wohlverstandenen Interesse der Presse; sie ist eher ein Danaergeschenk.
Nach dem unglaublichen Medienspektakel über das Gladbecker Geiseldrama vor einem Monat ging der Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung", Dieter Schröder, mit Sensationsmedien deutlich ins Gericht. Ich zitiere aus der „SZ" vom 20. August 1988:
Schon seit langem — so schreibt er —
erliegen die Medien immer wieder der Versuchung, sich als erste und letzte Instanz aufzuführen und Sonderrechte zu beanspruchen. Solche Sonderrechte gibt es jedoch nicht. Das Recht auf Information berechtigt nicht zur Behinderung der Verbrechensbekämpfung.
Genau ein solches, die Strafverfolgung beeinträchtigendes Sonderrecht fordern die GRÜNEN mit ihrem vorliegenden Gesetzentwurf.
Wie ist denn der derzeitige Rechtszustand? Journalisten können bereits heute die Aussage über die Person eines privaten Informanten verweigern. Das gilt auch für von diesem vorgelegte Materialien. Vertraulich zugetragene Materialien dürfen auch grundsätzlich nicht beschlagnahmt werden. Wenn Journalisten ihren Informanten diese absolute Vertraulichkeit



Dr. Langner
nicht garantieren können, so bliebe sicherlich mancher Mißstand unbekannt; mancher Skandal würde nie aufgedeckt werden. Das bestehende Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten soll also das Vertrauensverhältnis zwischen der Presse und ihren Informanten sichern. Nur so kann die Presse ihre für eine funktionierende Demokratie unverzichtbare Wächterfunktion erfüllen.
An einer Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechts auf selbstrecherchiertes Material besteht demgegenüber kein vergleichbares öffentliches Interesse. Ein Journalist, der auf Grund ausschließlich eigener Recherchen Informationen erlangt hat, die auch für die Wahrheitsfindung im Strafverfahren von Bedeutung sind, verliert durch deren Offenbarung — also anders als bei der Zusammenarbeit mit einem Informanten — in keiner Weise die Möglichkeit, weiterhin auf legalem — ich betone: legalem — Wege Informationen zu gewinnen.
Ein Zeugnisverweigerungsrecht für selbstrecherchiertes Material, wie es dieser Gesetzentwurf hier vorsieht, wäre eine völlig ungerechtfertigte Freistellung der Journalisten von jedweder Bürgerpflicht zur Mithilfe bei der Aufdeckung von Straftaten.

(Schmidt [München] [SPD]: Das gilt wahrscheinlich auch für Abgeordnete!)

Ein solches Zeugnisverweigerungsrecht ist verfassungsrechtlich auf Grund der durch Art. 5 des Grundgesetzes geschützten Presse- und Informationsfreiheit nicht geboten. — Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie glauben, Sie hätten ein Zeugnisverweigerungsrecht, wenn Sie an Straftaten beteiligt sind, Herr Kollege.
In einem höchst lesenswerten Beschluß hat das Bundesverfassungsgericht dies Ende vergangenen Jahres klargestellt. Eine Verfassungsbeschwerde des ZDF wurde von allen acht Richtern des Zweiten Senats einstimmig zurückgewiesen. Karlsruhe hat keinen Zweifel daran gelassen, daß Schlagworte wie das vom „Hilfssheriff der Staatsanwaltschaft", das hier heute morgen ja schon wieder bemüht wurde, einer nüchternen Betrachtung nicht standhalten.
Presse- und Rundfunkfreiheit sind also — so Karlsruhe — nicht unbegrenzt gewährleistet. Auch Journalisten unterliegen wie jeder Staatsbürger prinzipiell der Verpflichtung, zur Wahrheitsermittlung im Strafverfahren beizutragen. Der Gesetzgeber ist weder gehalten noch — so betont das Bundesverfassungsgericht — steht es ihm frei, der Presse- und Rundfunkfreiheit absoluten Vorrang vor anderen wichtigen Gemeinschaftsgütern einzuräumen. Die Zeugnispflicht und die Beschlagnahmemöglichkeit bezüglich selbsterarbeiteter Unterlagen sei — so Karlsruhe — grundsätzlich gerechtfertigt, und zwar durch das öffentliche Interesse an der Erforschung der Wahrheit im Strafprozeß. Dem ist kaum viel hinzuzufügen.
Die von einigen Journalistenverbänden vorgebrachte und von den GRÜNEN aufgegriffene Begründung für eine Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts ist demgegenüber wenig überzeugend. Angeführt wird stets nur eine angebliche Behinderung der Presseberichterstattung bei Demonstrationen.
Es gibt sicherlich publizitätsscheue Demonstranten. Diese fürchten aber doch wohl nicht erst die Beschlagnahme von Film- und Fernsehmaterial, sondern schon den Umstand, daß ihr Konterfei überhaupt im Bild festgehalten wird. Denn wer fotografiert oder gefilmt wird, muß stets damit rechnen, daß diese Aufnahme dann auch von den filmenden Journalisten veröffentlicht wird.

(Beckmann [FDP]: Obwohl man manchmal nicht hingucken möchte!)

Veröffentlichtes Bildmaterial steht dann natürlich auch den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung, ohne daß es noch irgendeiner Beschlagnahme bedürfte.
Was wäre denn, wenn es dieses geforderte Zeugnisverweigerungsrecht für selbstrecherchiertes Material gäbe? Auch dann hätten jene scheuen Demonstranten keineswegs die Gewißheit, daß Journalisten gerade in ihrem Fall hiervon Gebrauch machen würden. Denn es besteht kein Anspruch des Betroffenen auf Ausübung eines solchen Zeugnisverweigerungsrechts.
Mir will auch nicht einleuchten, weshalb die Verfolgung von Straftaten, die bei Demonstrationen begangen werden, weitaus weniger wichtig sein soll als die Berichterstattung über diese Straftaten. Der Staat braucht — dies hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht hervorgehoben — nicht Belange der Strafverfolgung zurückzustellen, um eventuell vermutete Schwierigkeiten der Medien bei der Sammlung von Informationen über strafbare Handlungen zu verringern.
Bemerkenswert ist, daß die GRÜNEN in ihrer Gesetzesbegründung ausschließlich auf die Berichterstattung über Demonstrationen abstellen. Dabei ist der Anwendungsbereich des von Ihnen geforderten Zeugnisverweigerungsrechts viel weiter. Dies wird entweder verkannt oder bleibt geflissentlich unerwähnt. Was etwa ein Journalist beim Gladbecker Geiseldrama so alles selbst recherchiert hat, brauchte fortan nicht mehr offenbart zu werden.
Medienpolitiker der SPD wollen so weit anscheinend nicht gehen, wenn ich Pressemitteilungen richtig lese. Sie wollen zwar die Beschlagnahme von Bild-und Filmmaterial grundsätzlich ausschließen, aber eine Ausnahme vorsehen, wenn es um schwerwiegende Taten gegen Leib und Leben geht.
Doch dies scheint mir kein überzeugender Weg zu sein. Dann müßte man nämlich eine solche Ausnahme für schwere Straftaten auch beim Informantenschutz machen. Dies fordert etwa der namhafte Tübinger Strafrechtsprofessor Karl Peters, ohne daß ich dem zustimmen würde.
Ginge es nach den GRÜNEN, dürften zukünftig selbst solche Unterlagen nicht beschlagnahmt werden, die Journalisten bei ihren Recherchen aus fremden Hotelzimmern stehlen. Denn eine Beschlagnahme soll nach dem Gesetzentwurf der GRÜNEN sogar dann nicht möglich sein, wenn Journalisten selber einer Straftat verdächtigt werden. Hier wird das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten vollends zum Täterschutz vor Strafverfolgung, zu einem Täterschutz, den nach diesem Gesetzentwurf fast jeder in Anspruch nehmen könnte. Denn die GRÜNEN wol-



Dr. Langner
len auch die bisherige Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts auf berufsmäßige Pressemitarbeiter streichen. Jeder, der irgendwann einmal beabsichtigt, etwas zu publizieren, könnte sich dann auf dieses Aussageverweigerungsrecht berufen. Wahrscheinlich würden dann überall „Ganoven-Journale" erscheinen; denn ein besserer Schutz vor Strafverfolgung ist kaum mehr denkbar.
Gerade diese letzten beiden Erweiterungen zeigen doch sehr deutlich, wie unausgegoren die Vorstellungen der GRÜNEN auch in diesem Falle sind. Daher werden wir — wie bei so vielen rechtspolitischen Schnellschüssen aus diesen Reihen — auch nach den Beratungen im Rechtsausschuß Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen können.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109400400
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt (München).

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1109400500
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wahrscheinlich würde jeder hier im Hause, auch der Kollege Langner, dem Satz zustimmen, daß für eine funktionsfähige Demokratie eine freie Presse mit vollen Arbeitsmöglichkeiten unentbehrlich ist. Angesichts dieses Satzes, der wahrscheinlich von allen gebilligt wird, muß ich schon sagen, daß mir Ihre Rede dem Thema jedenfalls ziemlich unangemessen erscheint. Die Gladbecker Vorgänge, die mit dieser Sache nichts zu tun haben, sich aber gut dafür eignen Emotionen hochzukochen, hier heranzuziehen hat eine gewisse Pikanterie.
Wenn Sie Diethelm Schröder zitieren, der sagt, die Presse dürfe keine Sonderrechte haben, dann hätten Sie im Umkehrschluß vielleicht auch sagen müssen, aber der Presse dürften auch keine Sonderlasten und Sonderverpflichtungen auferlegt werden, die andere nicht haben, denn genau dies ist im Augenblick in einem weiten Umfang einfach aus der Tätigkeit der Presse heraus der Fall.
Nun zu Ihren Interpretationen des Bundesverfassungsgerichts. Wenn das Bundesverfassungsgericht sie selber gehört hätte, hätte es sofort laut aufschreien müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem ZDF-Beschluß nur eines gesagt: Unmittelbar aus Art. 5 des Grundgesetzes läßt sich kein Recht darauf ableiten, daß es ein Beschlagnahmeverbot für selbstrecherchiertes Material gibt. Es weist darauf hin, daß es, auch wenn es der Meinung gewesen wäre, das sei verfassungswidrig, nur die Möglichkeit gehabt hätte, den Gesetzgeber aufzufordern, gesetzgeberisch tätig zu werden. Man sollte sich auch bei der Interpretation von Entscheidungen anderer Verfassungsorgane eine gewisse Zurückhaltung auferlegen und nicht aus tagespolitischer Kleinmünzerei heraus jemand anderem etwas in den Mund legen, das er gar nicht so gemeint hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der Deutsche Bundestag hat, nachdem das Bundesverfassungsgericht einige Ländermediengesetze aufgehoben hatte, und zwar nicht deswegen, weil es etwa nicht das Zeugnisverweigerungsrecht wollte, sondern weil eine andere Gesetzgebungskompetenz festgestellt wurde, den Journalisten ein recht weitgehendes Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt, was Drittmaterial und Drittinformationen betrifft.
Wir haben dann eine Entscheidung getroffen, die das eigenrecherchierte Material ausschließt. Das hatte eine fatale Folge: Im Jahre 1972 hatten die Innenminister auf einer Innenministerkonferenz bereits eine sehr restriktive Vorstellung von dem, was die Polizei gegenüber der Presse kann. Sie haben damals die Empfehlung herausgegeben, nur bei allerschwersten Straftaten und bei allergrößtem Beweisnotstand auf Pressematerial zurückzugreifen.
Mit der Entscheidung des Bundestages, das selbstrecherchierte Material völlig auszuschließen, haben wir sicherlich ungewollt dazu beigetragen, daß die Sensibilität, die die Innenminister damals hatten, im Laufe der Zeit weitgehend verschwunden ist. Die Zugriffe auf selbstrecherchiertes Material haben infolge unserer damaligen Entscheidung nicht etwa abgenommen, sondern zugenommen.
Die Begründungen, die damals von der Polizei gegeben wurden, sind einigermaßen makaber. Die Polizei fotografiert heute ja bei fast allen Dingen selbst. Bei Demonstrationen, so hat sie gesagt, müsse sie deshalb auf Pressematerial zurückgreifen, weil sie bei Großdemonstrationen nicht mehr in der Lage ist, ihre Beamten, die fotografieren, ausreichend zu schützen. Wer aber, wenn die Polizei ihre eigenen Beamten nicht schützen kann, die unfreiwilligen Helfer der Polizei, nämlich die Journalisten, schützen soll, darüber hat sich offensichtlich niemand Gedanken gemacht. Es ist seit damals in der Tat eine gewisse Behinderung der Arbeit der Polizei eingetreten.
Wir meinen, daß wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die dem Bundestag einen Spielraum zugestanden hat, zum Anlaß nehmen sollten, jetzt tatsächlich zu reagieren. Wir haben das schon früher einmal gemacht. Hier sitzt der frühere Bundesjustizminister Jürgen Schmude, der einen Entwurf in diesem Hause eingebracht hat, durch den selbstrecherchiertes Material geschützt werden sollte. Leider Gottes ist das Ganze im Zuge der Wendegeschichte der Diskontinuität verfallen. Wir sollten aber heute durchaus wieder darauf zurückgreifen.

(Dr. Hirsch [FDP]: Aber vorher hatte der Justizminister Jahn alle solche Versuche grundsätzlich abgelehnt!)

— Wissen Sie, Herr Kollege Hirsch, auch Herr Schmude, ich erinnere mich an viele Gespräche mit Ihrem Kollegen Kleinert, den wir einmal in der Woche in der Frühe weichgekocht haben, um ihn dazu zu bringen, seine Liberalität dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß er dem Entwurf zustimmt. Wir waren ja damals noch in einer Koalition, wenn das manche von Ihnen in der Zwischenzeit vielleicht auch vergessen oder verdrängt haben. Für die Einbeziehung des selbstrecherchierten Materials spricht u. a. folgendes, Herr Kollege Langner — Sie haben gesagt, dafür gebe es überhaupt keinen Grund. — Darf ich den Kollegen Hüsch bitten, den Kollegen Langner einmal zuhören zu lassen? —

(Jahn [Marburg] [SPD]: Der mag nicht!)




Schmidt (München)

— Herr Kollege Langner, Debatten haben doch keinen Sinn, wenn Sie hier Ihr Ding vorlesen, ich das meine vortrage und wir dann auseinandergehen. Ich möchte Sie gern ansprechen.
Ich bitte Sie, mit mir zu überlegen, was es für einen Sinn macht, zwischen Fremdinformation und selbstrecherchiertem Material zu unterscheiden: Da geht jemand zu einem Informanten. Der Informant erläutert ihm bestimmte Dokumente und gibt ihm dann Fotokopien. — Wir sind gleicher Meinung: Das ist eine Fremdinformation. Da hat er das Zeugnisverweigerungsrecht.
Der gleiche Fall: Er geht zum Informanten. Der Informant sagt: Lies das, läßt es ihn lesen und ihn dann Fotokopien machen. — Dann ist es keine Fremdinformation, sondern es ist selbstrecherchiertes Material, und das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt sich darauf nicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Rabulistik!)

Die ganze Unterscheidung ist sinnwidrig.
Der entscheidende Punkt für uns ist: Wir kritisieren zum Teil die Presse auch in dem Zusammenhang, den Sie vorhin angeführt haben. Allerdings hat der mit dem jetzt nichts zu tun. Wir verlangen von der Presse, daß sie Informationen sorgfältig behandelt. Wir verlangen in Pressegesetzen der Länder sogar, daß sie Informationen, die sie von irgend jemand bekommt, nicht ungeprüft weitergibt, sondern sich die Mühe macht, selber zu recherchieren, zu verifizieren: Ist die Information in Ordnung oder nicht? Es fließen also immer beide Dinge ein, nämlich die Fremdinformation und die eigene Recherche. Dieses zu trennen oder gar einen Polizeibeamten bei einer Beschlagnahme in der Redaktion trennen zu lassen, macht überhaupt keinen Sinn.

(V o r sitz : Vizepräsident Stücklen)

Ich kann für die SPD hier sagen: Wir sind deutlich der Meinung, daß selbstrecherchiertes Material genauso behandelt werden sollte wie anderes.
Wir überlegen uns zum Teil noch, ob es einen Vorbehalt bei schweren Verbrechen geben sollte. Da sind wir uns noch nicht so ganz einig geworden. Eines lehnen wir allerdings ab — und da sind wir anderer Meinung als die GRÜNEN — : Ein Zeugnisverweigerungsrecht für einen Journalisten, der selber in eine Straftat verwickelt ist, kann es unserer Meinung nach nicht geben. Das lehnen wir entscheiden ab.
Über die Frage, welche Druckwerke einbezogen werden sollen, haben wir auch noch nicht abschließend entschieden.
Ich glaube, wir sollten mit diesem Thema verantwortungsbewußt umgehen. Eine verantwortungsbewußte und sachgerechte Entscheidung erfordert, daß wir selbstrecherchiertes Material nicht anders behandeln als Material, das durch eine Information eines Dritten an den Journalisten gelangt. Wir sollten uns gegenseitig helfen, die Politiker den Journalisten dabei, mit Informationen sachgerecht umzugehen, und die Journalisten uns, indem sie von dem Recht, das wir ihnen einräumen, verantwortungsbewußt Gebrauch machen; denn ein Zeugnisverweigerungsrecht bedeutet kein Zeugnisverbot. Ich glaube, man muß in der Demokratie auch ein bißchen Vertrauen haben. Wir sollten der Presse helfen, ihre Arbeit machen zu können, und die Presse sollte mit dem, was wir ihr einräumen, verantwortungsbewußt umgehen. Das wäre die sachgerechteste Lösung.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109400600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1109400700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der GRÜNEN zum Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse, Rundfunk und Film greift ein Thema auf, mit dem sich die interessierte Öffentlichkeit, die Fraktionen und die Parteien seit langem beschäftigen. Das ist keine Erfindung der GRÜNEN. Wieder aktuell wurde dieses Thema durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Oktober 1987 über die Verfassungsbeschwerde des ZDF über die Problematik der Beschlagnahmefreiheit für selbstrecherchiertes Bild- und Tonmaterial von Journalisten. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde des ZDF zurückgewiesen und die Beschlagnahme von Bildmaterial anläßlich einer Demonstration um das Kernkraftwerk Brokdorf zugelassen.
Im Referentenentwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes von 1983 hatte der Bundesjustizminister vorgeschlagen, einen § 97 a einzufügen, wonach Bild- und Filmmaterial sowie Tonträger nicht der Beschlagnahme unterliegen, soweit sie von den in § 53 Abs. 1 Nr. 5 der Strafprozeßordnung genannten Personen hergestellt worden sind, sich in Gewahrsam dieser Personen oder der Redaktion des Verlages, der Druckerei oder der Rundfunkanstalt befinden und es sich um Aufnahmen für den redaktionellen Teil von periodischen Druckwerken oder Rundfunksendungen handelt. Diese Freiheit von Beschlagnahme sollte jedoch nicht gelten, wenn Gegenstand der Untersuchung ein Verbrechen ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
Dieser Vorschlag ist seinerzeit gescheitert, nachdem sechs Bundesländer, die Richterverbände, zum Teil die Anwaltschaft und auch der Generalbundesanwalt zu diesen Vorschlägen ablehnend Stellung genommen hatten.
Aber in diesem Zusammenhang lohnt es sich, glaube ich, doch noch einmal einen Blick in die bestehende Gesetzesgrundlage zu tun. Denn nach § 97 Abs. 5 in Verbindung mit § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO haben Mitarbeiter von Presse, Rundfunk und Fernsehen ein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich von Dritten erhaltener Informationen. Dieses bezieht sich sowohl auf die Person des Informanten als auch auf die von ihm erhaltenen Informationen.
Soweit ein Zeugnisverweigerungsrecht für den Journalisten besteht, besteht auch ein Beschlagnahmeverbot. Das heißt mit anderen Worten: Das Beschlagnahmeverbot bezieht sich nur auf Erkenntnisse, die von dritter Seite geliefert worden sind, und bezieht sich nicht auf selbstrecherchiertes Material. Haupt-



Funke
sächlich wird es sich dabei um Material wie Fotos oder Fernsehaufnahmen handeln, an deren Kenntnis die Strafverfolgungsorgane zur Sachverhaltsermittlung interessiert sein können.
Dabei ist zunächst festzuhalten, daß das Bundesverfassungsgericht die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung des Beschlagnahmeverbots und des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten für verfassungsgemäß erklärt hat, also auch die Möglichkeit der Beschlagnahme von selbstrecherchiertem Material.
Auf der anderen Seite ist — verständlicherweise — vom Deutschen Presserat, aber auch von der Rundfunkanstalten die Forderung erhoben worden, daß das von Angehörigen von Presse und Rundfunk selbst hergestellte Bild- und Filmmaterial von dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden ausgenommen sein sollte. Dabei wird vor allem geltend gemacht, daß eine den Aufgaben der Presse gerecht werdende ungehinderte Berichterstattung nicht mehr gewährleistet sei, wenn der Bildjournalist sozusagen als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft oder der Strafverfolgungsbehörden angesehen wird und deshalb an einer ungehinderten Berichterstattung gegebenenfalls auch von den Demonstranten gehindert werden könnte.

(Vorsitz: Präsident Dr. Jenninger)

Wir Liberalen verkennen den hohen verfassungsrechtlichen Wert der Rundfunk- und Pressefreiheit nicht. Deswegen sind wir bereit, den Journalisten vor Behinderung seiner beruflichen Arbeit zu schützen. Ob jedoch, wie von den GRÜNEN und zum Teil auch den Sozialdemokraten gefordert, eine generelle Beschlagnahmefreiheit der richtige Weg ist, kann bezweifelt werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten muß im Zusammenhang mit den in § 53 StPO genannten Personen, also Ärzte, Verteidiger, Rechtsanwälte, Steuerberater, Seelsorger, gesehen werden. Ob den Journalisten ein weitergehendes Beschlagnahmeverbot eingeräumt werden soll, müssen wir, glaube ich, noch einmal miteinander sehr gründlich untersuchen. Schließlich kann ein solches generelles Beschlagnahmeverbot einem allgemeinen Personenrecht zur Verweigerung der Mitwirkung im Strafverfahren ausschließlich für Journalisten gleichkommen, was einer geordneten Strafverfolgung und dem Rechtsstaatsprinzip widerspräche.
Zu bedenken ist auch, daß Journalisten sozusagen überall arbeiten, im Gegensatz zu den anderen zur Zeugnisverweigerung berechtigten Berufsgruppen, beispielsweise Rechtsanwälte, die ein sehr eingeschränktes Spektrum der Information haben. Es kann wohl nicht richtig sein, daß schwerste Straftaten nur deswegen ungesühnt bleiben, weil möglicherweise die einzigen Erkenntnisquellen bei dem Bildmaterial der Journalisten vorhanden sind. Umgekehrt kann die Beschlagnahmefreiheit auch den Anspruch des Beschuldigten auf ein faires rechtsstaatliches Strafverfahren berühren; denn beschlagnahmefreie Gegenstände sind nicht nur der Anklage, sondern gegebenenfalls auch der Verteidigung entzogen. Auch daran müssen wir denken, weil wir hier sozusagen gleichgewichtig vorgehen müssen.
Bei der Beratung des Gesetzentwurfs der GRÜNEN werden all diese Gesichtspunkte mit zu berücksichtigen sein. Ich weiß, daß die Abwägungen sehr schwierig sind. Wir machen es uns nicht ganz so leicht wie Sie, Herr Langner, daß wir von vornherein sagen, wir lehnen dies ab, sondern wir meinen, daß wir diese Probleme sehr differenzierend miteinander beraten müssen. Das hat mit dem Einwurf von Ihnen, Herr Kollege, überhaupt nichts zu tun. Wir Liberalen neigen eben etwas zu differenzierenden Betrachtungsweisen.
Dabei werden wir auch die Erfahrungen im Ausland berücksichtigen, die im Gutachten des MaxPlanck-Instituts dargestellt werden. Der Vorschlag des Bundesjustizministeriums im Strafrechtsänderungsgesetz aus dem Jahre 1983 scheint uns für die weitere Beratung ein praktikabler Weg zu sein; er ist aber noch einmal auch mit den betroffenen Ländern zu beraten.
Für meine Fraktion sichere ich intensive Mitarbeit und Beratung zu.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zustimmung des Abg. Schmidt [München] [SPD])


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109400800
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109400900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Der Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN ist, wie man zu einer behutsamen Änderung des gegenwärtigen Rechts auch immer stehen mag, in seinem Ziel und, ich möchte hinzufügen, auch in seinen Dimensionen überzogen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 1. Oktober 1987, Herr Kollege Häfner, in dem es die Verfassungsbeschwerde des Zweiten Deutschen Fernsehens gegen die Beschlagnahme von Filmaufzeichnungen anläßlich einer Demonstration zurückgewiesen hat, einerseits erneut bestätigt, daß die Pressefreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit schlechthin konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung sind. Und das ist gut. Das Bundesverfassungsgericht hat aber gleichzeitig darauf hingewiesen, daß diese Freiheiten nicht unbeschränkt gewährleistet sind. Diese Freiheiten finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, also auch der Strafprozeßordnung mit ihrer prinzipiellen Verpflichtung für jeden Staatsbürger, zur Wahrheitsermittlung im Strafverfahren beizutragen und die gesetzlich vorgesehenen Ermittlungshandlungen zu dulden.
Es gilt, diese widerstreitenden Interessen angemessen zu gewichten. Pressefreiheit bezweckt unter anderem den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen der Presse und privaten Informanten. Das hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, nicht zuletzt 1982, entschieden. Dies ist der Hintergrund auch der strafprozessualen Regelung in § 53 der Strafprozeßordnung. Sie dient geradezu der Gewährleistung der Pressefreiheit.



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
Wie Sie alle wissen, meine Damen und Herren: Journalisten dürfen auch schon nach geltendem Recht das Zeugnis über alle Informationen verweigern, die sie von Dritten erhalten. Sie können außerdem das Zeugnis über die Person des Informanten verweigern. Aus diesem Zeugnisverweigerungsrecht folgt auch das Beschlagnahmeverbot. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtslage steht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fest.
Ein verfassungsrechtlich zu begründender Handlungsbedarf, ein darüber hinausgehendes Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot für selbstrecherchiertes Material zu schaffen, besteht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht; ja, das Gericht hat nicht einmal ein Tätigwerden des Gesetzgebers angeregt. Eher läßt sich fragen, ob das Urteil nicht sogar Grenzen gesetzt hat. Herr Kollege Schmidt, ich zitiere aus diesem Urteil folgende Sätze:
Der Gesetzgeber ist weder gehalten, noch steht es ihm frei, der Presse- und Rundfunkfreiheit absoluten Vorrang vor anderen wichtigen Gemeinschaftsgütern einzuräumen. Er hat insbesondere auch den Erfordernissen einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Rechtspflege Rechnung zu tragen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Beschlagnahme selbst erarbeiteter Unterlagen grundsätzlich zuzulassen, ist durch überwiegende Belange der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Pflicht zur Erforschung der Wahrheit im Strafprozeß gerechtfertigt.
Hiervon ausgehend, meine sehr verehrten Damen und Herren, erscheint es nicht gerechtfertigt, Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit generell — ich betone: generell — auf selbstrecherchiertes Material auszudehnen. Bei einer generellen Beschlagnahmefreiheit könnten die Belange der Wahrheitsfindung im Strafprozeß in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise beeinträchtigt werden. Ob es sich bei dem Material um, wie es in dem Gesetzentwurf heißt, Beiträge, Unterlagen und Mitteilungen für den redaktionellen Teil handelt, hinge von der objektiv kaum nachweisbaren und nachprüfbaren Publikationsabsicht ab.
Damit stünde Journalisten — jedenfalls im Ergebnis — ein über die Rechte der anderen geschützten Berufsgruppen weit hinausgehendes allgemeines persönliches Recht zu, die Mitwirkung im Strafverfahren zu verweigern.
Außerdem würde durch die generelle Beschlagnahmefreiheit für selbstrecherchiertes Material die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege beeinträchtigt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Aufklärung und Verfolgung insbesondere bei schweren Straftaten als wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet. Dieses Anliegen kann durch verfahrensrechtliche Vorschriften, die der Ermittlung der Wahrheit und damit einem gerechten Urteil entgegenstehen, empfindlich berührt werden.
Dasselbe gilt für die im Rechtsstaatsprinzip begründeten Ansprüche des Beschuldigten auf ein faires rechtsstaatliches Strafverfahren; denn Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht oder Beschlagnahmeverbote beziehen, sind grundsätzlich zwar der Anklage, ebenso aber auch der Verteidigung entzogen.

(Schmidt [München] [SPD]: Wie stehen Sie denn zu dem früheren Regierungsentwurf mit seinen Einschränkungen, Herr Kollege?)

— Darüber läßt sich debattieren.
Das Bundesjustizministerium hat ein rechtsvergleichendes Gutachten erstellen lassen. Es kommt zu der Schlußfolgerung, daß sich aus der Untersuchung der Rechtslage in sechs europäischen Ländern, deren Rechtssysteme mit dem der Bundesrepublik vergleichbar sind, keinerlei rechtsvergleichender Impuls für eine Reform des geltenden Rechts auf eine Beschlagnahmefreiheit von selbstrecherchiertem Material hin ergibt.
Darüber hinaus folgt aus den bisher vorliegenden Stellungnahmen der Strafverfolgungsbehörden und der Länder, daß jedenfalls ein generelles Beschlagnahmeverbot, wie es der Entwurf der Fraktion der GRÜNEN vorsieht, zu Recht für inakzeptabel gehalten wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte als Ergebnis fest: Aus strafprozessualer Sicht scheint es nicht ratsam und aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es nicht geboten, der Presse ein derart weitgehendes gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht und eine generelle Beschlagnahmefreiheit hinsichtlich selbst erarbeiteten Materials, wie es der Entwurf vorsieht, einzuräumen. Dies sage ich bei voller Wahrung und voller Anerkennung der Pressefreiheit, die ein kostbares Gut unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109401000
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz — PostStruktG)

— Drucksache 11/2854 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen (federführend)

Innenausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Ausschuß für Forschung und Technologie
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO



Präsident Dr. Jenninger
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Reform des Post- und Fernmeldewesens in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 11/2855 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen (federführend)

Innenausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat, meine Damen und Herren, ist vereinbart worden, für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte drei Stunden vorzusehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1109401100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung legt Ihnen heute den Gesetzentwurf zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost, das Poststrukturgesetz, vor. Es ist ein sorgfältig ausgearbeitetes Konzept.

(Zuruf von der SPD: Na, na!)

Die Grundlagen, auf denen dieser Entwurf beruht, sind — erstens selbstverständlich — : die Beachtung der Bestimmungen des Grundgesetzes, des Art. 87; der Bericht der Regierungskommission, den Professor Witte der Bundesregierung am 16. September 1987 übergeben hat; das Grünbuch der Europäischen Gemeinschaft, dessen Orientierung und Grundlinien von allen Postministern der Europäischen Gemeinschaft am 30. Juni 1988 in Luxemburg gebilligt worden sind; die Wünsche und Anforderungen unserer Kunden, und zwar der Privatkunden in gleicher Weise wie der geschäftlichen Kunden, die im Zuge der technischen Entwicklung Vielfalt und Modernisierung der Dienstleistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation auch in der Bundesrepublik Deutschland erwarten; die Bedürfnisse unserer Mitarbeiter und der Deutschen Bundespost im Hinblick auf Modernisierung, damit mehr Wettbewerbsfähigkeit im Gemeinsamen Markt erreicht wird; die Flexibilität und Leistungsfähigkeit, die insbesondere auch für die Mitarbeiter erforderlich sind, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein.
Es ist keine Minireform, wie manche Kreise aus der Wirtschaft erklären: daß es nicht weit genug geht und wir gegenüber anderen Ländern weit zurückbleiben. Wer die historischen Bedingungen und die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland mit in Betracht zieht, der weiß, daß es ein großer Schritt ist, weil es immerhin die Grundlagen unseres Fernmeldemonopols sehr stark berührt — Gesetze, die am Ende des vergangenen Jahrhunderts und zu Beginn dieses Jahrhunderts erlassen worden sind und die die Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland bis heute bestimmen.
Es ist aber auch kein Schritt in eine Revolution, in eine völlige Veränderung unserer Landschaft, wie es wiederum von anderer Seite dargestellt wird, die von der Zerschlagung spricht und mit ähnlichen Termini Angst und Schrecken verbreiten will, sondern es ist eine Reform mit Augenmaß, eine Reform, die sich den Entwicklungen, die weltweit eingetreten sind, anpaßt.
Und wir müssen hier eines ganz klar konstatieren: Es ist eine Reform, die heute nicht als Pionierleistung gefeiert werden kann; dafür ist die Zeit schon viel zu weit fortgeschritten. Wir springen noch gerade auf einen Zug auf, der längst in Bewegung ist und der in anderen Ländern heute bereits mit einer ganz anderen Geschwindigkeit durch die Landschaft fährt. Die Konsequenz dessen ist im übrigen, daß die Wachstumsraten auf dem Gebiet der Telekommunikation in diesen Ländern die unsrigen in der Bundesrepublik Deutschland übertreffen, und zwar teilweise weit übertreffen.
Es handelt sich um einen ganz gewaltigen Strukturwandel, da die Telekommunikation sozusagen die Infrastruktur an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert ist, so wie die Eisenbahn die wichtigste Infrastruktur des Verkehrswesens im 19. Jahrhundert war und wie es auch für das Straßennetz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt. Gleichzeitig haben sich globale Verschiebungen in dem Dreieck Vereinigte Staaten, Nordamerika auf der einen Seite, Europa auf der anderen Seite und zum dritten Ostasien mit dem Zentrum Japan abgespielt.
Wenn Sie heute den Weltmarkt betrachten, insbesondere im Hinblick auf die Telekommunikationseinrichtungen, so haben wir einen Markt von 190 Milliarden DM, von denen Europa 37 Milliarden DM bestreitet. Wenn Sie das einmal in Bezug zu der Bedeutung Europas, zu seiner Bevölkerungszahl setzen, dann sehen Sie bereits, wo die Schwergewichte hingelangt sind: Sie sind nicht in Europa.
Die Telekommunikation macht heute etwa 2 % unseres Sozialprodukts aus. Die weltweiten Forschungen auf diesem Gebiet sagen aus, daß wir im Jahre 2000 etwa 7 % bis 8 % des Bruttosozialprodukts auf dem Gebiet der Telekommunikation erwirtschaften werden. Da ist es noch eine weite Strecke, bis wir in der Bundesrepublik oder gar in ganz Europa diese Wachstumsraten erreichen werden. Diese Wachstumsraten sind erforderlich, wenn wir die Arbeitsplätze von morgen im Visier haben. Es ist immer leicht, darüber zu sprechen, wie heute Arbeitsplätze zu schaffen sind. Die wirkliche Kunst besteht darin, bereits zu einem frühen Zeitpunkt strukturelle Anpassungen vorzunehmen, damit diese Arbeitsplätze auf weite Sicht gesichert sind, und nicht erst dann daran zu denken, wenn die Krisen in verschiedenen Branchen sichtbar zu werden beginnen.
Das haben wir z. B. im Falle der Mikroelektronik deutlich erlebt, wo Europa ein gigantischer Importkontinent geworden ist und die weit überwiegende Zahl der Produktionen in anderen Kontinenten, vorwiegend in den Vereinigten Staaten und in Japan vorgenommen werden, insbesondere in Japan, so daß wir unsere eigene Produktion an Geräten aus Bestandtei-



Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling
len der Mikroelektronik aus diesen Kontinenten beziehen müssen.
Das hat im übrigen die Konsequenz, die jetzt immer deutlicher wird, daß wir neben der optischen Industrie die Unterhaltungselektronik verloren haben und jetzt die Gefahr besteht, daß wir auch die Produktion von geschäftlich-professionellen Bürokommunikationseinrichtungen verlieren. Denken Sie einmal an Geräte wie Telefax, wo ein großer Markt hier aufzubrechen beginnt, aber bei uns jetzt gerade 150 000 Benutzer zu verzeichnen sind, während in Japan 1,6 Millionen Telefax-Geräte pro Jahr hergestellt werden. Daß wir heute nicht mehr in der Lage sind, hier zu konkurrieren, auch die größten deutschen Firmen nicht, ergibt sich allein aus dieser Proportion. Da die Unterhaltungselektronik ebenfalls in Japan angesiedelt ist, ist dort auch die Mikroelektronik mit entsprechend kostengünstiger Produktion möglich und nicht mehr in Europa.

(Roth [SPD]: Ja!)

Wir haben auf der Grundlage der Mikroelektronik das Zusammenwachsen einer Technik festzustellen, die die Fernmeldetechnik, die Bürokommunikation und die Datenverarbeitung zu einer einheitlichen Technik integriert. Da kann man natürlich nicht mehr eine Wettbewerbs- und Monopolordnung haben, bei der ein Teil eines Gerätes noch dem Monopol unterliegt, weil es nämlich die Kommunikation von einem Büro ins andere über Telefonleitungen betreibt, ein anderer Teil der Datenverarbeitung dient und ein dritter Teil zur Büromaschinentechnik gehört.
Sie können keinem Unternehmen klarmachen, daß sie hier eine Zulassung brauchen, dort eine Lizenz und hier freier Wettbewerb gilt — und das ganze soll sich in einem Gerät abspielen. Es ist kein Wunder, daß sich bei uns entsprechende Innovationsentwicklungen nicht in diesem Tempo abspielen können, wie das in denjenigen Ländern der Fall ist, wo die Schnittstellen zwischen Wettbewerb und Monopol auf den neuen Zustand der Technik hin klar definiert, für jeden berechenbar und damit auch für die Investoren, die entsprechende neue Anwendungen auf die Märkte bringen, klar kalkulierbar sind. Es gibt bei uns also einen riesigen Nachholbedarf an entsprechenden Entwicklungen.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns einmal fragen, wie es denn mit unserem Monopol aussieht, müssen wir natürlich feststellen, daß wir längst ein durchlöchertes Monopol haben. Sie wissen ganz genau, wie viele schnurlose Telefone aus dem Ausland an uns geliefert werden. Es ist mühsam, diese Dinge überhaupt in den Griff zu bekommen. Wir bekommen sie dadurch immer mehr in den Griff, daß wir nun auch eigene Geräte dieser Art auf den Markt gebracht haben. Das war eine schwierige Entwicklung, weil auch da vorwiegend japanische Technik erst nach Deutschland übertragen werden mußte.
Nun, wir haben hier eine neue Differenzierung. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß unsere Hauptpartner im weltwirtschaftlichen Wettbewerb sowohl auf den Märkten, in den Wettbewerbsordnungen, als auch in der Organisation der Unternehmen, die auf diesen Märkten handeln, bereits Konsequenzen gezogen und praktische Maßnahmen getroffen haben. Das ist in den Vereinigten Staaten und in Kanada so, wo diese Dinge vor fünf bis sieben Jahren abgeschlossen worden sind, es ist in Japan, in Australien und in Neuseeland so, aber auch in Europa, z. B. in Schweden. Ich bedaure, daß bei der SPD-Delegation, die nach Schweden gefahren ist, nicht auch einige Kollegen aus dem Bereich Post- und Fernmeldewesen dabeiwaren, um sich einmal danach zu erkundigen, wie dort mit einer Unternehmensorganisation — Televerket — völlig getrennt vom Postwesen seit Jahren gearbeitet wird und wie man sich dort überhaupt nicht mehr vorstellen kann, daß marktgerechtes Verhalten unter gemeinsamer Agide überhaupt möglich ist. Aber dahin geht man ja nur dann, wenn man sich eigene Meinungen bestätigen lassen will. Am schwedischen Beispiel erkennt man nun langsam auch, daß Markt- und Angebotspolitik offensichtlich doch etwas ist, was man nicht ganz zur Seite schieben kann.
Wir sind einen eigenen Weg gegangen. Leider ist unser deutscher Weg in diesem Punkt in der Vergangenheit von sehr vielen Fehlschlägen gekennzeichnet gewesen. Wir stellen ja fest, daß die Reformüberlegungen der 60er und 70er Jahre durchweg im Sande verlaufen sind. Insofern möchte ich doch sagen, daß man sich sehr genau das anschauen soll, was diese Regierung macht; denn man war ja in den 60er und 70er Jahren selber nicht in der Lage, ein eigenes Konzept voranzubringen.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Man muß sich schon fragen: Wie sieht es denn heute mit dem eigenen SPD-Konzept aus?
Meine Damen und Herren, die damaligen Kommissionen haben Mitte der 60er und Anfang der 70er Jahre ihre Arbeit gemacht, sowohl unter Willy Brandt wie unter Helmut Schmidt. Gesetzentwürfe sind eingebracht worden, sind aber von der damaligen Koalition beerdigt worden, obwohl alle Seiten anerkannt haben, daß es erforderlich ist, eine Modernisierung und Neuordnung der Post vorzunehmen. Jetzt sind wir im Jahre 1988, also 17, 18 Jahre später, und manchen geht es jetzt noch zu schnell; sie sagen, das dürfe man nur ganz langsam machen, und man sollte jetzt im Moment keine solchen wichtigen Entscheidungen treffen, weil das alles noch gar nicht richtig beraten sei. Da fragt man sich natürlich: Wer hat eigentlich einmal einen Blick in die Welt getan, und wer weiß überhaupt, wie wir uns noch an den letzten Wagen ankoppeln können.
Die Aufgabenstellung ist heute noch schwieriger geworden, da die Welt in der Zwischenzeit ein Stück weiter ist. Ich möchte die Eckpunkte der Reform, die wir Ihnen heute vorlegen, darstellen:
Erstens. Die Erhaltung des Netzes im Monopol der Deutschen Bundespost ist ein wichtiger Bestandteil dieser Reform, obwohl ständig davon geredet wird, daß die Post zerschlagen würde. Weiterhin wird das Monopol des Telefondienstes in diesem Reformwerk voll erhalten. Es wird sogar in seiner Bedeutung so gefaßt, daß es nicht unterlaufen werden kann.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)




Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling
Wir haben ferner den Briefdienst voll im Monopol erhalten. Das heißt, die Säulen, auf denen die Ertragskraft der Deutschen Bundespost beruhen, sind voll weiter im Monopol.
Ich muß Ihnen sagen: Ich habe heute mehr Verständnis für meine Partner in der Europäischen Gemeinschaft oder in Übersee, die mich lächelnd fragen: Sagen Sie, wie kriegen Sie es eigentlich fertig, das als eine große Reform zu bezeichnen? In vielen Ländern, wo es bisher Reformen gegeben hat, gibt es weder ein Netzmonopol noch ein Telefondienstmonopol. Was ist denn dann noch Reform in unserem Land? — Nur, daß dann im eigenen Land davon gesprochen wird, daß hier alles zerschlagen wird, das ist wirklich eine Übertreibung, wie sie nicht größer sein kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der zweite Punkt: Wir haben unsere Märkte für die Endgeräte nach diesem Gesetz geöffnet, denn das gibt es fast in keinem Land der Gemeinschaft, daß Endgeräte auf diesem Gebiet irgendeinem Monopol unterstehen sollen. Im Grünbuch ist sogar festgelegt, daß Mitte der 90er Jahre sämtliche Endgeräte im Wettbewerb sein müssen. Wir erreichen dieses Ziel gerade noch einige Monate vor der deadline, dem Endpunkt, bis zu dem dieses überall in Europa zu geschehen hat. Wir sind im übrigen auch eines der allerletzten Länder, die diese Regelung treffen.
Meine Damen und Herren, wir haben Randwettbewerb im Bereich der Satelliten- und Mobilfunkkommunikation vorgesehen, denn wir haben Wert darauf gelegt, daß wir seriös und sachverständig argumentieren können. Sie können kein Netzmonopol auf einem Gebiet konstruieren, wo es keine Infrastrukturaufgaben gibt. Eine Satellitenschüssel können Sie in eine Großstadt genauso wie auf ein Landhaus stellen; die können Sie in ein Forsthaus stellen. Da haben Sie nicht die Begründung, die wir immer für ein Monopol anführen, daß Sie das flache Land nicht bedienen können, wenn Sie nicht auch das Monopol im städtischen Bereich haben und damit also im ganzen Land. Wie Sie begründen wollen, daß dort, wo Sie nur irgendein Gerät hinzustellen brauchen, dies im Monopol geschehen muß, das bleibt denjenigen überlassen, die diese Begründung haben wollen.
Nun, der dritte Punkt: Wir haben selbstverständlich auch den Infrastrukturauftrag der Deutschen Bundespost in der Daseinsvorsorge für Stadt und Land voll erhalten, indem wir neben diesen Modellen — die ich bereits benannt habe — die Pflichtleistungen haben, also diejenigen Leistungen, die die Bundespost weiterhin in Stadt und Land zu gleichen Bedingungen, anzubieten hat.

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Das ist gar nicht wahr!)

Wir haben weiterhin die Trennung von den hoheitlich-politischen Aufgaben und den betrieblich-unternehmerischen Aufgaben vorgenommen. In dem Bereich der betrieblich-unternehmerischen Aufgaben ist es allerdings auch Ziel dieser Bundesregierung, politische Einflüsse zugunsten der wirtschaftlichen Möglichkeiten der Deutschen Bundespost zurückzudrängen. Da möchte ich ganz klar sagen, daß wir eine klare Trennung und Zuordnung von Verantwortung, wie sie bisher nicht gegeben war, vornehmen.
Wir haben dann, um die Deutsche Bundespost auf diese neue Landschaft vorzubereiten, in der Regierungsvorlage die Entscheidung getroffen, die nunmehr dem Bundestag vorliegt, daß wir dieses Unternehmen in drei öffentliche Unternehmen in der Managementverantwortung aufteilen, damit sich jedes dieser Unternehmen seinen Aufgaben mit entsprechender Langfristigkeit, entsprechender Kompetenz und Schnelligkeit widmen kann. Es handelt sich um absolut verschiedenartige Märkte. Ein Bankgeschäft hat nichts damit zu tun, wie Briefe verteilt oder wie Satellitenchips in die richtige Entwicklung gebracht werden.
Aus diesem Grunde müssen sich die einzelnen Vorstände auf die Aufgaben wirklich konzentrieren, bei denen sie alle Hände voll zu tun haben werden, den entsprechenden Marktentwicklungen zu folgen. Die Aufgaben sind sowieso außerordentlich komplex und von sehr verschiedener Struktur der Märkte, der Nachfrage und auch der Aufgaben, die im einzelnen dort zu lösen sind. Während bei der Telekom eine moderne Entwicklung etwa dazu führt, daß sie alle fünf Jahre Geräte mit einem neuen Innovationszyklus haben, ist es Aufgabe der gelben Post, d. h. der Postdienste, vielmehr die Infrastrukturaufgabe weiterhin gut zu erfüllen, zu rationalisieren und kostengünstig anzubieten, damit die Bundesrepublik Deutschland auch auf diesem Sektor einen leistungsfähigen Standard behält.
Meine Damen und Herren, es wird weiterhin dafür gesorgt, daß wir in den Finanzbeziehungen zum Bund im Wettbewerb gleichgestellt werden mit den anderen Telekommunikations- oder Postunternehmen in der Europäischen Gemeinschaft. Wir haben immer gesehen, daß bei der sozialliberalen Koalition die Abgaben an den Bund unglaublich erhöht worden sind. Ich erinnere nur an die letzte Erhöhung von 6 % aller Einnahmen auf 10 %, noch unter der Ägide des Finanzministers Matthöfer, der leider Gottes einige Monate zu spät Postminister geworden ist; sonst hätte er diese Maßnahme sicherlich nicht getroffen. Dann hat er gesehen, welche Konsequenzen dies für die Deutsche Bundespost hat.

(Paterna [SPD]: Sie haben das auch flugs korrigiert, kaum daß Sie an der Regierung waren!)

— Wenn Sie so etwas erst einmal einrichten und das in mittelfristigen Finanzplanungen dem Finanzminister zur Verfügung steht und nachdem er einen Scherbenhaufen von Ihnen übernommen hat, können Sie nicht erwarten, daß er seine Einnahmen reduziert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da kann ich also nur sagen: Wir haben hier mit dem Finanzminister Abmachungen getroffen, daß wir ab Mitte der 90er Jahre voll die Besteuerung, wie sie in der Europäischen Gemeinschaft vorgesehen ist, übernehmen, und das bedeutet für den Finanzminister allerdings eine Einbuße bei seinen Einnahmen. Nach altem Recht hätten wir Mitte der 90er Jahre etwa 6 Milliarden DM im Jahr abgeliefert. Wir liegen jetzt bei 5 Milliarden DM, und wir werden im Jahre 1993



Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling
als erste Tranche 300 Millionen DM weniger abliefern, im Jahr 1994 nur noch 70 % der Ablieferung des Jahres 1993 und im Jahre 1995 nur noch 50 % haben. Sie wissen selber, daß das keine einfache Prozedur ist. Sie haben zwar jetzt in dieser Zeit unserer Koalition immer Anträge gestellt, das sollte endlich mal gemacht werden. Wir haben es jetzt im Gesetz festgelegt, haben uns auch nicht auf Aussagen des Finanzministers verlassen, während bei Ihnen zu der Zeit, als Sie regiert haben, die Abgaben nach oben gingen und während der Oppositionszeit nur entsprechende Forderungen gestellt worden sind. Wir haben nicht nur geredet, sondern wir haben hier gehandelt, und das ist zum Wohle der Deutschen Bundespost

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann wurde weiterhin gesagt: Wir müssen auch hier klar sehen, daß wir im personellen Bereich sehr viel mehr Handlungsspielraum brauchen. Sie wissen, daß auch in diesen Fragen sehr schwierige Gespräche mit dem Innenminister und dem Finanzminister zu führen waren. Wir haben hier im personellen Bereich Sonderregelungen im Bereich der Laufbahnen in dem Gesetz festgelegt, und so etwas hat es, wie Sie selber wissen, bisher nicht gegeben, daß wir selbständige Ausgestaltung vornehmen können. Wir haben besoldungsrechtliche Regelungen vornehmen können, daß die zulässigen Obergrenzen für Beförderungsämter nach Maßgabe sachgerechter Bewertung überschritten werden können, und zwar um ganz gehörige Prozentsätze, um bis zu 20%, in den Fragen, wo es um Durchführung technischer, betrieblicher und organisatorischer Maßnahmen geht, die in der Frage der Rationalisierung möglich sind, oder in einer Verbesserung des Verhältnisses von Leistung zu Kosten, und daß wir auch 10 % Spielraum in den anderen Bereichen haben, wenn es um Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, Förderung des technischen Fortschritts geht. Damit eröffnen wir erstmals eine Leistungsbezogenheit in dem großen Unternehmen Deutsche Bundespost, und zwar erstmals spezifisch für die Anforderungen dieses Unternehmens.
Ich sage weiterhin, daß wir auch im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Post und Telekommunikation Richtlinien zur Gewährung von Belohnungen für besondere Leistungen und Erfolge sowie von widerruflichen Vergütungen für Tätigkeiten auf besonders schwierigen Arbeitsplätzen erlassen können und daß wir auf diese Weise ein neues Kapitel aufgeschlagen haben. Ich denke daran, daß wir in der Lage sind, in mehreren Stufen eine Vergütung bis zum Differenzbetrag zur übernächsten Besoldungsstufe vorzunehmen, und das ist natürlich ein großer Schritt auch in der Frage der Wettbewerbsfähigkeit des Personals gegenüber anderen Unternehmen, der dringend erforderlich ist, wenn die Deutsche Bundespost nicht ausgehungert werden soll.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Dinge haben wir auch mit dem Innenminister und dem Finanzminister in einer bereits abgehakten Rechtsverordnung ganz klar festgelegt, die unmittelbar nach Verabschiedung dieses Gesetzes in Kraft gesetzt wird, so daß also nicht etwa gemeint werden kann, wir hätten die Katze im Sack gekauft und nachher würde sich alles als Versprechungen herausstellen, die dann durch das Veto des Innen- oder des Finanzministers ausgehebelt würden. Wir haben damit also erstmals auch die Verankerung solcher Leistungsgrundsätze.
Wir haben auch — das möchte ich ganz klar sagen — in § 4 dieses Gesetzes erstmals die Infrastrukturverantwortung der Deutschen Bundespost überhaupt niedergelegt. Es wird immer so getan, als hätten alle Angst, daß wir in der Fläche jetzt weniger Leistungen anbieten würden.

(Zuruf von der SPD: Ist doch wahr!)

In keinem Gesetz ist diese Frage bisher in solcher Eindeutigkeit festgelegt worden: daß genau das eine der Aufgaben der drei öffentlichen Unternehmen der Deutschen Bundespost ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Insofern ist das, was Sie sagen, vielleicht Ihr Wunsch. Sie wünschen, daß wir das schlecht machen, damit Sie sagen können, das sei eine Fehlentscheidung gewesen. Aber das wird nicht eintreffen.

(Paterna [SPD]: Das ist nicht nur eindeutig, das ist zweideutig!)

Wir haben auch dafür gesorgt, daß das, was der Bundesrat angemahnt hat, gesetzlich festgelegt wird. Wir haben den Ländern eingeräumt, bei der Verabschiedung von Pflichtleistungen über den Bundesrat beteiligt zu sein, so daß die Infrastrukturaufgaben den Ländern direkt im Gesetzgebungsverfahren, d. h. über die Verordnungen geöffnet sind, was es bisher ebenfalls nicht gegeben hat. Denn Sie können ja wohl nicht die Vertretung von fünf Ländern im Postverwaltungsrat gleichsetzen mit der Möglichkeit, im Bundesrat eine Verordnung zu verabschieden. Dort ist ja eine entsprechend absolute Einwirkung der Länder möglich, was in dieser Weise im Verwaltungsrat gar nicht der Fall ist.
Wir haben im Zusammenhang mit diesen Infrastrukturfragen weiterhin auch die Klarheit geschaffen, daß die Bundespost und die Unternehmen keine Einschränkungen in ihren Leistungen gegenüber dem heutigen Standard vornehmen werden, bis nicht diese Pflichtleistungen erlassen worden sind. Auch damit ist eine Klarheit gegeben worden, die von den Ländern gewünscht wird.
Meine Damen und Herren, es ist — wie ich sage — eine Reform, die einen deutschen Weg zeichnet, indem wir neben dem Wettbewerb die Daseinsvorsorge und die Infrastrukturaufgabe in gleicher Ranghöhe einbezogen haben, was es in keinem Gesetz irgendeines anderen Landes gibt, das wir bisher kennengelernt haben. Nur, daß wir auch den Wettbewerb haben müssen, ergibt schon die Neuregelung des europäischen Marktes, an der wir ja nicht vorbeigehen können. Wir leben ja nicht auf einer glückseligen Insel, wo wir uns um nichts kümmern müssen. Wir müssen auch diesen Anforderungen gewachsen sein.
Das, was die SPD auf ihrem Parteitag gerade verabschiedet hat, ist wirklich ein unglaublich „interessanter" Vorschlag. Da wird in Einzelpunkten all das gefordert, was wir im Gesetz stehen haben. Es müsse



Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling
einen Finanzausgleich geben — als hätten wir den nicht in § 9 — —

(Lachen bei der SPD)

— Natürlich, das wird hier ganz groß geschrieben: Ein interner Finanzausgleich würde durch verfahrenstechnische Regelungen erschwert. Meine Damen und Herren, wie heißt es in § 29 Abs. 3?
Zwischen den Unternehmen ist ein Finanzausgleich vorzunehmen, wenn eines der Unternehmen nicht in der Lage ist, die Aufwendungen aus eigenen Erträgen zu decken. Der Finanzausgleich ist auch unter Berücksichtigung von Gewinn- oder Verlustvorträgen erfolgswirksam in die Wirtschaftspläne aufzunehmen . . .
Wie können Sie dann sagen, das seien Ihre großen Forderungen? Das steht ja im Gesetz.
Sie sagen, daß man auch die Daseinsvorsorge brauche. Auch das steht im Gesetz drin.

(Paterna [SPD]: Lesen Sie doch einmal Abs. 4 vor, Sir!)

Wenn Sie dann schreiben, der Bundesparteitag fordert die SPD-Bundestagsfraktion auf, die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern, dann erinnert mich das an die Aufforderung Ihres Parteitages, die Deutsche Bundespost mit allen Ihnen zu Gebote stehenden Mitteln an der Verkabelung zu hindern.

(Paterna [SPD]: Wenn uns das gelungen wäre, hätte uns das 10 Milliarden DM erspart!)

Heute wollen Sie das nicht mehr gern hören. Es wäre gut, wenn Sie das in Ihren Parteitagsbeschlüssen einmal korrigieren würden.
Meine Damen und Herren, ich betone: Wir haben in diesem Gesetzentwurf keine Privatisierung, keine Vernachlässigung des ländlichen Raumes, keine Ausblutung eines Unternehmens — der Ausgleich ist obligatorisch — vorgesehen. Wir haben eine sinnvolle Neuordnung von Monopol und Wettbewerb, neue Dienste im offenen Wettbewerb für alle inklusive der Bundespost. Ich möchte einmal daran erinnern, welch große Kontroverse in den letzten Jahrzehnten darüber bestand, ob die Post außerhalb ihres Fernmeldemonopols überhaupt tätig werden darf. Wir haben dies alles jetzt in Ordnung gebracht. Wir haben den Finanzausgleich festgelegt, und wir haben eine Reform mit Augenmaß gemacht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Die Bundesregierung bringt mit dem vorliegenden Entwurf des Poststrukturgesetzes nach meiner Überzeugung eine ausgewogene Lösung in die parlamentarischen Beratungen ein. Sie dient den Privatkunden und den Geschäftskunden. Sie ist eine Herausforderung für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Hinblick auf die neue Zeit, für die wir uns mit dem gemeinsamen Markt einrichten müssen.
Ich darf Sie bitten, diese Regierungsvorlage so zügig zu beraten, daß die dringend notwendige Reform der Bundespost im Laufe des nächsten Jahres in die Realisierungsphase eintreten kann. Wir haben nur noch sehr wenig Zeit bis zum Jahre 1992. Was wir uns vorgenommen haben, ist kein leichtes, aber ein notwendiges Unterfangen, ein Unterfangen, das der Zukunft unseres Landes und seiner Bürger dient. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, diesem Wunsche nachzukommen, denn es ist zu unserem Besten. Die Deutsche Bundespost braucht diese Modernisierung dringend.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109401200
Das Wort hat der Abgeordnete Börnsen (Ritterhude).

Arne Börnsen (SPD):
Rede ID: ID1109401300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die einzige Begeisterung, Herr Bundespostminister, die Sie während Ihrer Rede auslösten, war auf der Seite der SPD-Fraktion, als Sie unseren Beschluß von Münster zitierten und als Sie daran erinnerten, daß wir vor einigen Jahren genau den richtigen Beschluß in Hinsicht auf die Verkabelung getroffen haben. Wenn dieser Beschluß von Ihnen berücksichtigt worden wäre, dann wären, wie soeben schon gesagt wurde, der Bundespost 10 Milliarden DM erspart worden. Ich glaube, das wäre wirklich eine Verbesserung der wirtschaftlichen Grundlage der Bundespost gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man kritisch betrachtete, mit welcher Begeisterung Sie selbst versuchten, Ihre Rede hier vorzubringen, muß man sich schon einmal fragen: Wo ist eigentlich die Unterstützung aus dem Regierungslager für ein Reformvorhaben, welches in der Regierungserklärung 1987 als eines der bedeutendsten für diese Legislaturperiode angekündigt wurde? Das wird von der Fraktion — zumindest was den Gesetzestext, den Sie vorgelegt haben, angeht — inzwischen offensichtlich ja nicht mehr so gesehen. Die Begeisterung hielt sich zumindest in Ihren Reihen ja nun spürbar in Grenzen. Wenn das ein Zeichen dafür sein soll, daß wir den Gesetzentwurf während der parlamentarischen Beratung so ändern, daß er zumindest für Ihre Fraktion auch nur akzeptabel ist — wir wünschen Ihnen ja, daß er für Sie akzeptabel wird — , dann ist es natürlich ein gutes Zeichen, das wir aufgreifen werden.
Aber mir scheint die Tatsache, daß auf der Regierungsbank lediglich der Wirtschaftsminister vertreten ist, beweist auch, daß lediglich er mit dem Vorhaben so einverstanden ist, wie es in dem Gesetzentwurf zum Ausdruck kommt. Sie sind zufrieden, Herr Bangemann? — Das ist typisch.

(Zustimmung bei der SPD)

Das beweist allerdings, daß die Skepsis bei uns angebracht ist, denn Sie, Herr Bangemann, haben ja einmal wörtlich erklärt, daß Ziel dieser Regierung die Privatisierung der Bundespost sei. Sie sind zufrieden; ich nehme das zur Kenntnis.
Meine Damen und Herren, in dem Vortrag des Bundespostministers ist zu unserem Bedauern — weil wir so etwas einfordern wollten — auch deutlich geworden, daß keine Perspektiven gerade für das traditionelle gelbe Postwesen aufgezeigt worden sind. Damit wird wieder deutlich, daß Sie in erster Linie die Interessen der Wirtschaft verfolgen, daß Sie jedoch die



Börnsen (Ritterhude)

Interessen der Verbraucher und der Beschäftigten der Bundespost vernachlässigen. Deutlich wird auch, daß Sie die Auswirkungen technischer Umwälzungsprozesse nicht kritisch hinterfragen — dazu war von Ihnen heute kein Wort zu hören — , daß Sie die Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation bei der Post einerseits und bei Industrie, Handwerk und Dienstleistungsunternehmen andererseits nicht analysieren und lediglich positiv meinen, dort werde ein Trend wie in anderen Ländern, wo erhebliche Zuwächse zu erwarten seien, eintreten. Das sind rosige Farben eines Zukunftsgemäldes, das mit der Wirklichkeit absolut nichts zu tun hat, wenn man es nicht beeinflußt. Solche Konzeptionen der Beeinflussung sind aus Ihrer Rede absolut nicht deutlich geworden.
Herr Minister, Sie wissen, daß die SPD einer objektiv notwendigen Neustrukturierung der Bundespost nicht ablehnend gegenübersteht. Aber hinsichtlich der einzuschlagenden Wege, hinsichtlich der Umsetzung im Detail und hinsichtlich der unabhängig vom Gesetzesvorhaben durchzuführenden Aktivitäten bestehen zwischen Ihrer politischen Vorgehensweise und den Positionen der SPD erhebliche, teilweise auch grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten — so in der Frage, ob denn der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf überhaupt der einzig mögliche Weg ist, um eine Vorreiterrolle der Bundespost bei der Entwicklung und dem Ausbau der Fernmeldenetze und, damit zusammenhängend, der neuen Dienste zu erreichen.
Vieles wäre bereits in den vergangenen sechs Jahren möglich gewesen. Sie haben an und für sich in Ihrer Rede selber darauf aufmerksam gemacht, daß in den vergangenen sechs Jahren für die Bundespost konzeptionell absolut nichts getan wurde. Sonst hätten Sie nicht deutlich machen müssen, daß jetzt der Nullpunkt sei, von dem man ausgehen müsse.
Vieles wäre im Rahmen der bestehenden Gesetze umsetzbar gewesen — so etwa die Freigabe des Endgerätemarktes, die uneingeschränkte Teilnahme der Bundespost an diesem Markt, die freizügigere Nutzung von Netzen der Bundespost und die stärkere Beteiligung von speziellen Dienstleistungsanbietern. Schon heute gibt es ja einige hundert private Mehrwertdienstanbieter in der Bundesrepublik Deutschland. Hier hätte es lediglich klarer unternehmenspolitischer Zielvorgaben in den vergangenen Jahren bedurft. Diese sind von Ihnen nicht gekommen,

(Beifall bei der SPD)

abgesehen allerdings von einer einzigen wirklich unternehmerischen Entscheidung, auf die ja bereits am Anfang verwiesen worden ist: die Breitbandverkabelung. Das haben Sie forciert und offensiv durchgesetzt, und zwar mit dem Ergebnis: 8 bis 10 Milliarden DM Verlust. Herzlichen Glückwunsch!
Das gleiche gilt auch für den Bereich der gelben Post, Herr Minister. Ich sprach diesen Bereich zu Anfang an. Welche Konsequenzen wurden eigentlich aus dem millionenschweren Gutachten der Firma Knight-Wendling gezogen? Welche unternehmerische Konzeption ist für die gelbe Post erarbeitet worden, um Defizite bei Aufrechterhaltung des bestehenden Leistungsangebotes zu reduzieren? Bis auf die
Gebührenanhebung und das beabsichtigte Kostendeckungsprinzip, das im neuen Gesetzentwurf festgeschrieben ist und das erkennbare Auswirkungen auf die Beschäftigtensituation und auf den Leistungsumfang der Bundespost hat, ist unternehmerisch nicht gehandelt worden. Für diese Leistung würde jeder Unternehmer am Markt die Quittung bekommen.
Dem Postminister geht es deswegen nur vordergründig darum, das Post- und Fernmeldewesen beweglicher und effizienter zu gestalten. Sein Gesetzentwurf ist vielmehr von anderen Ansätzen geprägt. In ideologischer Verengung wird der Wettbewerbsbegriff als Modell unterlegt. Damit werden die besonderen Aufgaben der Bundespost, wie Daseinsvorsorge, Versorgung der Fläche und Infrastrukturauftrag, zu sekundären Größen. Die Privatisierungsideologie ist erkennbar in dem Bestreben, privaten Anbietern neue Felder zu eröffnen, die Bundespost jedoch auf das unabdingbar Notwendige zu reduzieren. Damit gefährden Sie die Finanzkraft der Post und vernachlässigen die Aufgabe, der Post selbst eine starke Wettbewerbsposition zu verschaffen.

(Beifall bei der SPD)

Ebenfalls aus parteipolitisch-ideologischen Motiven heraus wollen Sie die Zerschlagung der organisierten Arbeitnehmerinteressen bei der Bundespost durchsetzen. Allein darum betreiben Sie die Zerschlagung des Einheitsunternehmens Deutsche Bundespost.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf ist von Ideologien geprägt, nicht jedoch von der notwendigen sachlichen Analyse künftiger Post- und Telekommunikationsstrukturen. Trotz aller gegenteiligen Behauptungen Ihrerseits halte ich deswegen auch daran fest: Ihnen geht es um eine in absehbarer Zeit zu erwartende Privatisierung des Fernmeldebereichs, und zwar um eine Privatisierung nicht im traditionellen Sinne, sondern durch die Hintertür. Das ist belegbar durch die unausgegorene Konstruktion der Pflichtdienste und durch die völlig unverständliche Herausnahme der Vermittlungstechnik aus dem Netzmonopol der Bundespost.
Im Gesetz steht sinngemäß: Die Post benutzt Einrichtungen und die Übertragungstechnik des Netzes ausschließlich, nicht ausschließlich jedoch die Vermittlungstechnik, obwohl diese ein integraler Bestandteil des Netzes ist und die künftige Entwicklung dies sogar zwingend erforderlich macht.
Lassen Sie mich dazu ein Beispiel prognostizieren: Bereits jetzt warten große Unternehmen der Datenkommunikation auf die durch das Gesetz beabsichtigte Aufhebung des Monopols bei der Datenübertragung. Sie werden in eigene Vermittlungstechniken investieren und diese konkurrierend zur Bundespost anbieten. So weit, so gut. Aber in logischer Konsequenz daraus wird die Forderung erwachsen und dem Wirtschaftsministerium von interessierter amerikanischer Seite als Beispiel der Abschottung des deutschen Fernmeldemarktes vorgetragen werden, daß ohne Aufhebung des Sprachmonopols die getätigten Investitionen unrentabel und unwirtschaftlich seien. Das Sprachmonopol wird also durch die Hintertür aus-



Börnsen (Ritterhude)

gehebelt, die Einnahmestruktur der Post wird extrem gefährdet, und zumindest von den konservativen Wirtschaftsideologen wird die Aufhebung des Monopols als einzig sinnvolle Konsequenz eingefordert werden.
Zugegeben, dies ist eine etwas schablonenhafte Darstellung; dafür ist sie aber auch verständlich. Aber es ist auch ein Beleg für zumindest schludriges Arbeiten bei diesem Gesetzentwurf. Herr Minister, Sie definieren das Sprachmonopol aus Kenntnis der heutigen Technik, sind offensichtlich über die Entwicklungstrends bei der Übertragungs- und Vermittlungstechnik ungenügend informiert und riskieren damit, ob gewollt oder ungewollt, das Sprachmonopol der Bundespost. Das ist ein Beleg dafür, daß Sie, Herr Minister, eine technokratische und bürokratische Reform mit Einfalltüren für Private und ohne industrietechnische Perspektive vorgelegt haben.

(Beifall bei der SPD)

Der Beleg dafür ist die geradezu hektische Aktivität, die das Bundespostministerium darauf verwendet, die Dreiteilung von Post, Postbank und Fernmeldedienst organisatorisch vorzubereiten. So wird bereits jetzt veranlaßt, z. B. die Mietkosten der von Post und Fernmeldewesen gemeinsam genutzten Gebäude säuberlich zu trennen und den künftigen Unternehmen zuzuordnen. Das ist wieder der vorauseilende Gehorsam, den wir schon aus Anzeigenaktionen des letzten Jahres kennen und der uns am parlamentarischen Selbstverständnis Ihres Hauses allerdings zweifeln läßt.

(Beifall bei der SPD)

Schlimmer noch: Hat das Postministerium eigentlich keine wichtigeren Aufgaben, als buchhalterisch kleinkariert die fragwürdige Trennung vorzubereiten? Wird diese Vorgehensweise die Bundespost in die Lage versetzen, im Wettbewerb zu bestehen?
Meine Damen und Herren, wenn dies ein allgemeiner Beleg für die unternehmerische Konzeption, für die industriepolitische Strategie des Postministers ist, sieht es um die Zukunft der Bundespost allerdings düster aus. Aber wenn es richtig ist — zumindest über die Zahlen besteht offensichtlich Einigkeit — , daß gegenüber 2 % heute im Jahre 2000 7 % des Bruttosozialproduktes der Gemeinschaft direkt von Telekommunikationsdienstleistungen abhängig sind, wenn es richtig ist, daß künftig über 60 % der Arbeitsplätze von diesen Dienstleistungen abhängig sind und entsprechend der Anteil der Kommunikationskosten an den Gesamtkosten der Wirtschaft wächst, dann ist eine moderne, zeitgemäße Organisation unserer Telekommunikationsstruktur unerläßlich.
Die Telekommunikation — genauer gesagt, die Kommunikation zwischen Mensch, Maschine und anderen Systemen mit Hilfe von nachrichtentechnischen Übertragungsverfahren — ist in ihrer zukünftigen Bedeutung gar nicht hoch genug zu bewerten. Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen: Sie ist die Nabe des Rades Volkswirtschaft; wenn sie brüchig wird, ist das Gesamtsystem gefährdet.
Für unser Land, das über keinerlei natürliche Ressourcen verfügt, sondern auf die Qualität seiner Produkte, die Intelligenz und den Einfallsreichtum seiner Arbeitnehmer und Selbständigen, kurz gesagt: auf sein Know-how angewiesen ist, bedeutet dies, daß wir in der Entwicklung und beim Ausbau unserer Fernmeldenetze und damit zusammenhängend neuer Dienste und Endgeräte nicht hinterherhinken dürfen, sondern eine Vorreiterrolle einnehmen müssen, wenn wir im internationalen Wettbewerb bestehen wollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

— Wenn Sie dazu „richtig" sagen, überprüfen Sie, ob der Gesetzentwurf dem gerecht wird und ob insbesondere die Aktivitäten des Ministers dem gerecht werden.
Die Bundespost muß eine Vorwärtsstrategie für Innovationen auf diesem Sektor entwickeln. Die Bundespost muß Strategien für den Wettbewerb beim Datenverkehr entwickeln. Sie muß die zukünftige Bedarfsstruktur der Großkunden ebenso wie die der Verbraucher analysieren. Sie muß, was ihre eigene unternehmerische Konzeption angeht, eigene Strategien für die bisher völlig unterentwickelten Felder des Marketing und der Vertriebsorganisation erarbeiten, also grundlegende langfristige Zielsetzungen entwikkeln, sich der Aufgabe stellen, geeignete Kombinationen von Produkten und Märkten zu erforschen, um den Wettbewerb auch offensiv gestalten zu können.
Es ist in diesem Zusammenhang interessant, den Strategiebegriff einmal zu definieren und zu fragen, ob das Ministerium den darin formulierten Ansprüchen tatsächlich gerecht wird. Ich definiere das einmal nach Porter. Seiner Definition aus dem Jahre 1985 hat heute sicherlich auch noch Gültigkeit:
Das Ziel wettbewerbsorientierter Strategie für eine Geschäftseinheit in einer Branche ist, eine Position in der Branche zu finden, in der die Unternehmung am besten sich gegen diese umfassende Wettbewerbsgeschäfte verteidigen und sie zu ihrem Vorteil entwickeln kann.
Ich glaube, ich gehe nicht unrecht in der Behauptung, daß Ihr Ministerium die notwendigen Vorbereitungen geradezu sträflich vernachlässigt, sie geradezu unterlassen hat.
Meine Damen und Herren, neben diesen technologischen Aspekten hat die Bundespost gleichrangig allerdings die gesellschaftspolitische Aufgabe der Technikfolgenabschätzung. Sie muß Technologie nach ihren ökonomischen, ökologischen und gesellschaftspolitischen Auswirkungen analysieren. Als Beispiel dafür, daß diese Aufgabe sträflich vernachlässigt wird, möge die Einführung von ISDN, dem integrierten digitalisierten Dienst, gelten. Es ist nicht nur eine Bedarfsanalyse für Wirtschaft und Verbraucher erforderlich, übrigens auch für die privaten Verbraucher, denn sie haben wahrscheinlich an bestimmten Leistungsmerkmalen des ISDN auch Interesse, z. B. am Einzelgebührennachweis oder an der Ruhestellung; sie haben aber wohl kein Interesse an dem Gesamtsystem für 78 DM im Monat. Darüber hinaus muß aber ein Dialog über Datenschutz und über Fragen der informationellen Selbstbestimmung geführt werden. Eine Technikfolgenabschätzung hinsichtlich dieser Auswirkungen auf das Kommunikationsverhal-



Börnsen (Ritterhude)

ten ist insbesondere deshalb geboten, um die Risiken zu analysieren, zu bewerten und abzustellen, also um eine Akzeptanz der Technik überhaupt erst zu erreichen.
Wir bestehen darauf — ich betone das noch einmal —, daß die Einführung und Anwendung dieser Technologien human und sozial verträglich ausgestaltet wird. Wir wollen, daß der Nutzen der technischen Entwicklung gleichzeitig zum persönlichen Nutzen für alle und damit zum gesellschaftlichen Nutzen werden kann. Dazu gehört die umfassende Humanisierung des Arbeitslebens, und dazu gehört die Möglichkeit der Betroffenen, die Einführung und Anwendung neuer Techniken aktiv mitzugestalten, um nur zwei Schwerpunkte genannt zu haben. Hier unterscheiden wir uns allerdings erheblich von den Regierungsparteien, die ausschließlich die ökonomischen Aspekte, die verstärkten Möglichkeiten der Rationalisierung im Auge haben.

(Funke [FDP]: Stimmt doch gar nicht!)

Was ich mit meinen Ausführungen deutlich zu machen hoffe, meine Damen und Herren: Nicht wer sich kritisch mit Auswirkungen neuer Technologien auseinandersetzt, ist innovationsfeindlich, sondern der, der die Auswirkungen leugnet, der sie schönfärberisch verkleistert, ist derjenige, der sich innovations-feindlich verhält.

(Beifall bei der SPD)

Wenn also der Begriff der pragmatischen Phantasie seine Berechtigung hat, dann sicherlich auf dem Felde der Telekommunikation.
Wir Sozialdemokraten stellen uns dieser Forderung. Wir nehmen eine offensive und sachorientierte, keine ideologisch verfärbte und uns in Schieflage bringende Position ein, wie das bei Ihnen der Fall ist.

(Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Was ganz Neues!)

— Wenn Sie das einmal richtig analysieren würden, dann würden Sie feststellen, daß unsere Ideologien auf einer vernünftigen, sachorientierten Grundlage stehen, während es bei Ihnen nur inhaltslose Behauptungen sind, wie das z. B. der Wettbewerbsbegriff ohne Zweifel belegt.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Das hat wohl der Herr Apel auch eingesehen!)

Wir nehmen also eine offensive und sachgerechte Position ein. Wir verweigern und verschließen uns nicht der Notwendigkeit gegenüber, die Bundespost entsprechend den Veränderungen der Technologie umzustrukturieren. Wir wollen eine leistungs- und wettbewerbsfähige Bundespost, die in der Telekommunikation und im Postwesen gleichermaßen eine Spitzenstellung einnimmt. Wir wollen die Bundespost nicht auf dem Altar der Privatinteressen meistbietend versteigern. Wir wollen, daß die Ergebnisse allen Bürgern zugute kommen und nicht nur für die Wirtschaft attraktiv sind.
Unabdingbare Forderung ist für uns deswegen die Pflicht zur Daseinsvorsorge, zur Versorgung aller Bürger mit gleichen Dienstleistungen zu gleichen Gebühren überall im Lande. Dies gilt uneingeschränkt auch für die traditionelle gelbe Post, deren sektorale Bedeutung über einen längeren Zeitraum zurückgehen mag, die jedoch für alle Bürger, egal ob sie in einem Ballungsraum oder in der Fläche leben, weiterhin unverzichtbar bleiben wird und in diesem Stand gehalten werden muß.

(Beifall bei der SPD)

Andere Länder haben bereits ihre Erfahrungen mit der Deregulierung und Liberalisierung, meine Damen und Herren. Seien wir doch endlich einmal in der Lage, aus diesen Erfahrungen auch tatsächlich lernen zu können und nicht nur Privatisierungszielsetzungen Japans oder Deregulierungszielsetzungen der USA hier glauben nachempfinden zu müssen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wollen wir gar nicht!)

Zum Abschluß, meine Damen und Herren, ist es mir noch ein Anliegen zu danken, ganz aktuell den Professoren, die gerade heute in der „Zeit" ihr Engagement unter Beweis gestellt haben, aber auch allen Mitgliedern der Deutschen Postgewerkschaft, des Postverbandes und der anderen Verbände bei der Post, ja fast allen Beschäftigten bei der Bundespost,

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Machen Sie mal eine Pause, der Herr Vogel will klatschen!)

die durch vielfältige Aktionen erst erreicht haben, daß dieses Gesetz in Frage gestellt und nicht ohne öffentlichen Dialog dieses Parlament passieren wird.

(Beifall bei der SPD)

Sie, Herr Minister, haben jetzt ein Jahr im Ministerium brüten lassen, ohne daß dem Kinde Flugfähigkeit zuerkannt werden kann. Aber auf dem Gebiet kenne ich mich nicht ganz so gut aus. Deswegen lassen Sie mich bitte abschließend als Schiffbauer bildlich sprechen: Der Bundespostminister gibt vor, einen Supertanker „Deutsche Bundespost" zu bauen, der sich in der rauhen See der Marktwirtschaft und des Wettbewerbs bewegen soll. Aber er stattet ihn mit einer Kolbendampfmaschine aus der industriellen Gründerzeit aus. Um diesem Dampfer Seefähigkeit und Stabilität zu verleihen, ist nunmehr das Parlament am Zuge. Es ist unsere Stunde. Nutzen wir sie!
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109401400
Das Wort hat der Abgeordnete Pfeffermann.

Gerhard O. Pfeffermann (CDU):
Rede ID: ID1109401500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer mit etwas Aufmerksamkeit dem Kollegen Börnsen zugehört hat und wer sich ein ganz klein wenig in der Geschichte der Deutschen Bundespost und dem Wirken der SPD auf diesem Sektor auskennt, der muß schon den Mut bewundern, mit dem der Kollege Börnsen hier antritt. Ich will drei Stichworte nennen:
Marketing: Als dieser Postminister die Deutsche Bundespost übernahm, Herr Börnsen, haben doch seine Vorgänger dieses Haus so geführt, als gehe es in Wahrheit um eine Verteilorganisation für Mangelware. Das Thema Marketing war doch zu dem Zeitpunkt bei Ihnen überhaupt nicht entdeckt, schon gar



Pfeffermann
nicht für die Deutsche Bundespost. Das hat auch schon die äußere Struktur der Deutschen Bundespost nachgewiesen.

(Zuruf von der SPD: Sie kennen sich eben nicht aus!)

Ich will ein Zweites nennen: Wer die Investitionen für die Verkabelung in der Größenordnung von 10 Milliarden DM, die hier genannt worden ist, als Verlust abschreibt, hat offensichtlich vom Unterschied von Investitionen und Verlusten kein Verständnis.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich entnehme dieser Bemerkung: Die SPD sagt zwar heute vor Ort nichts mehr dagegen, in ihrem Herzen ist sie aber weiter gegen die Verkabelung und das heißt gegen eine breite Informationsmöglichkeit der Bürgerschaft in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Ist doch Quatsch!)

Ein Drittes: Wer heute den mangelnden Fortschritt bei ISDN hier einklagt, aber zehn Jahre mit der Digitalisierung der Vermittlungen hinterhergehinkt hat, dieses alles in völlig falsche Bahnen geleitet hat und diesem Minister gewissermaßen die Aufgabe überlassen hat, erst einmal die Zukunft zu öffnen, ISDN als neue Idee in der Post hoffähig zu machen, der sollte nicht so laut daherreden. Herr Börnsen, Sie haben eigentlich an mehreren Stellen deutlich gesagt, was Sie meinen: Vier- oder fünfmal kam das Wort von der Ideologie. Herr Börnsen, da haben Sie recht. Mit der Ideologie der SPD werden wir den Anforderungen der Zukunft auf dem Markt der Telekommunikation mit Sicherheit nicht gerecht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, seit Jahrzehnten fordern die Bundesregierungen unterschiedlicher politischer Couleur die Neuordnung des Post- und Fernmeldewesens. Auch in der Regierungserklärung von Brandt 1969 war die Reform des Post- und Fernmeldewesens angekündigt, auch wenn die SPD heute davon nichts mehr wissen will. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist später gescheitert. Das war so etwa nach dem Motto: Erst wurde viel „herumgelebert", und am Schluß kam nichts „Gescheidles" dabei heraus.
Nicht nur für die Fachwelt ist die Neustrukturierung mit der Entwicklung des Fernmeldewesens, der Datenverarbeitung, der Bürokommunikation hin zur Telekommunikation immer dringender geworden. Die Telekommunikation ist der Wachstumsbereich der Wirtschaft in unserem Informationszeitalter. Mitte der 90er Jahre wird deren Markt auf einen Anteil von 5 % bis 7 % des Bruttosozialprodukts geschätzt. Glaubt irgend jemand, daß wir dies mit den Regulierungsmechanismen des heutigen Fernmeldewesens in Deutschland bewältigen könnten?
Telekommunikation ist aber vor allem auch der Nervenstrang von Wirtschaft, Handel und Verwaltung in der modernen Industriegesellschaft. Darum ist es auch sehr verständlich, wenn alle, Gewerkschaften, Parteien, Verbände, die Wirtschaft, eine Reform des Post- und Fernmeldewesens dringend fordern, auch die SPD. Allerdings gehen die Meinungen über das Wie weit auseinander. Manche — und da wieder allen voran die SPD und leider auch die Deutsche Postgewerkschaft — bekennen sich öffentlich zu einer Reform, weil sie wissen, daß sie sonst in der Fachwelt nicht mehr ernst genommen werden; aus Mangel an eigenen konkreten Vorstellungen aber konzentrieren sie sich auf eine unverantwortliche Polemik gegen die Vorschläge der Bundesregierung.
Herr Börnsen, wo ist denn Ihr Gesetzentwurf, der die Dinge regeln könnte? Was Sie vortragen, ist Polemik. In der Sacharbeit haben Sie auf einen eigenen Gesetzentwurf verzichtet, weil Sie sich letzten Endes öffentlich nicht dazu bekennen wollen, was heute notwendig wäre und was auch Sache ist.
Was soll auch das dumme Gerede einiger von der Unternehmerpost? Wir jedenfalls wollen auch in der Zukunft eine leistungsfähige Deutsche Bundespost auf höchstem Niveau. Denn die Post ist kein Selbstzweck. Sie dient den Menschen, den Bürgern. Wir wären sehr froh, wenn möglichst viele Industrielle, wenn möglichst viele Unternehmen möglichst alle Dienstangebote der Deutschen Bundespost nutzen würden. Da ist in der Vergangenheit leider einiges geschehen, was nicht zu diesem Ergebnis geführt hat.
Von einer Unternehmerpost mit Amtscharakter, wie Georg Leber einmal sagte, und Monopolallüren sowohl gegenüber den Kunden wie auch gegenüber den Mitarbeitern der Deutschen Bundespost halten wir nichts. Ein Dienstleistungsunternehmen, in dem nach hoheitlichen Grundsätzen gearbeitet und streng nach Paragraphen entschieden wird, paßt heute nicht mehr in die Landschaft, weder national noch international. Was heute gefordert ist, sind Dienst am Kunden und flexible Anpassung an die Wünsche der Bürger und des Marktes. Welche schier unüberwindbaren Hürden tun sich vor dem auf, der gezwungen ist, gegen diese hoheitliche Verwaltung rechtlich vorzugehen!

(Bernrath [SPD]: Sie verbeamten ja!)

— Ich komme darauf noch zurück.
Auch dies wollen wir ändern: durch den Übergang auf privates Recht, die Abtrennung des Zulassungswesens von einer zukünftigen Telekom und durch die Schaffung neuer wettbewerbsoffener Marktverhältnisse mit Chancengleichheit für alle Beteiligten.
Die Bundesregierung geht damit ihren eigenen Weg. Nicht die Zerschlagung wie in den USA, nicht die Privatisierung wie in England, nicht konkurrierende Netze wie in Japan sind unser Vorbild. Wir wollen so viel Markt wie irgend möglich und so viel Monopol wie strukturell notwendig und — das füge ich in aller Offenheit hinzu — so viel Monopol, wie finanziell zum Ausgleich von defizitären Infrastrukturleistungen wirtschaftlich nötig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Waren seither schon die Endgeräte mit Ausnahme des Hauptanschlusses im Wettbewerb, so wird es in Zukunft Wettbewerb auch bei Diensten und in Randbereichen wie im Mobil- und im Satellitenfunk geben. Der Wiederaufstieg der Bundesrepublik Deutschland als Industrienation war nur durch unsere Wirtschafts-



Pfeffermann
ordnung, die Soziale Marktwirtschaft, möglich. Warum eigentlich soll diese Soziale Marktwirtschaft vor dem Telekommunikationsbereich haltmachen?
Ganz nebenbei: Sie tut es auch heute nicht. Das Monopol ist längst durchlöchert, weil es technisch sinnvoll und wirtschaftlich notwendig war. Nicht mit Monopolen, sondern nur mit marktgerechten Preisen können wir im internationalen Wettbewerb in der Zukunft bestehen.
Aber nur dann, wenn wir die gesamte technische Entwicklung nutzen, werden wir zu zeitgemäßen Gebühren kommen, und nur so können wir die Arbeitsplätze sichern. bei der Post, im Bereich der Telekommunikation außerhalb der Post und im Gesamtbereich von Wirtschaft, Handel und Industrie.
Nun gibt es ja in der aktuellen Diskussion nicht nur jene, die ausschließlich im Monopol das Heil der Deutschen Bundespost sehen, sondern auch jene, denen die Neustrukturierung nicht weit genug geht. Einige davon sind als Zwischenrufer auch heute morgen tätig geworden. Ich verkneife mir dabei den Blick in die richtige Richtung. Das gilt für alle, die ausschließlich in der Privatisierung der Post den Schlüssel für die Zukunft sehen. Hierbei wird leicht übersehen, daß es für den Wettbewerb, den wir wollen, unbedeutend ist welche Organisationsform die Deutsche Bundespost selbst hat. Das Grundgesetz läßt in seiner jetzigen Fassung übrigens eine Privatisierung der Deutschen Bundespost nicht zu. Und daher lohnt es nicht, im Rahmen der Neustrukturierung der Deutschen Bundespost diesen Gedanken weiter zu vertiefen.

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Wieso lohnt es nicht?)

Der Kollege Börnsen weiß das, aber er macht schlicht öffentlich wider besseres Wissen nur Stimmung, wenn er uns dies unterstellt.

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: So einfach ist die Welt nicht, Herr Pfeffermann! — Linsmeier [CDU/CSU]: Aber der Börnsen ist so einfach!)

Wichtig ist uns eines: Ursache des Mißtrauens gegenüber der Post war in der Vergangenheit häufig die Tatsache, daß der Monopolist Deutsche Bundespost Zulassungsbehörde und zugleich Schiedsrichter über den Wettbewerb war. Die Neustrukturierung löst das Problem, indem sie Hoheit und Betrieb trennt. Der hoheitliche Teil, wie z. B. die Frequenzverwaltung und die Zulassungsbehörde, wird unmittelbar dem Bundesminister für Post und Telekommunikation unterstellt. Die Telekom der Deutschen Bundespost ist dann dort wie andere nicht mehr Hoheitsbehörde, sondern Kunde. Im übrigen ist dieser Weg eingeleitet worden durch die Abtrennung des Zulassungsamts in Saarbrücken vom Fernmeldezentralamt in Darmstadt. Sachkundige wissen, daß mit dieser Aufteilung natürlich ein Stück des früheren Synergieeffektes verlorengegangen ist.
Wenn wir die Innovationen fördern wollen — und ich meine, dies ist unsere Absicht — , müssen wir Sorge tragen, daß dieser selbständige Teil ministerieller Verwaltung in Zukunft auch leistungsfähig bleibt.
Er muß von Anfang an finanziell und personell gut ausgestattet sein.
Wettbewerb bedeutet auch Zeit. Daher muß sichergestellt sein, daß nicht durch langwierige Zulassungsverfahren der Innovationsvorteil gerade der mittelständischen Industrie verlorengeht.
Ich habe eben schon deutlich gemacht, daß allen theoretischen Überlegungen über die Neustrukturierung der Deutschen Bundespost durch das Grundgesetz Grenzen gesetzt sind. Der vorliegende Gesetzentwurf wird dem gerecht. So bleibt die Deutsche Bundespost als einheitliches Sondervermögen erhalten. Diese Einheit findet im Direktorium ihre organisatorische Ausformung. Ob die Zuständigkeiten dieses Direktoriums, wie sie das Gesetz vorsieht, ausreichend sind, werden wir prüfen.

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Na gut, machen wir uns daran!)

Entscheidend ist eines: Die Deutsche Bundespost wird eben nicht zerschlagen, sondern es werden unterhalb des Direktoriums selbständige Unternehmensbereiche eingerichtet, die Postdienste, die Postbank, die Telekom. Ob das letztendlich drei oder zwei Unternehmensbereiche sein werden, wird in den Beratungen der Ausschüsse zu klären sein. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt mit allem Nachdruck, daß es durch diese Unternehmensbereiche möglich gemacht wird, den besonderen Aufgaben, z. B. der Postdienste oder der Telekom, gerecht zu werden. Hier liegen in der Tat völlig unterschiedliche Managementaufgaben vor. Der Minister sprach vorhin darüber. Auf lokaler Ebene ist übrigens die Trennung in Post und Fernmeldewesen uralt und selbstverständlich. Die Trennung in Fernmeldeämter und Postämter hat sich bewährt; insofern ändert sich auch nichts für die große Zahl der Mitarbeiter in den Post- und Fernmeldeämtern, an Postschaltern und in Fernmeldebezirken. Die Kollegen von der SPD haben doch schon oft genug bestätigt, daß z. B. das Nadelöhr der OPDen in den einzelnen Bereichen durchaus nicht immer hilfreich ist.

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Dazu könnte man Genaueres sagen! — Paterna [SPD]: Sind Sie das Kamel, das durch dieses Nadelöhr will? — Heiterkeit bei der SPD)

— Ich glaube, der Kollege Paterna würde sich gern zum Kameltreiber degradieren lassen, wenn ihm das Wahlergebnis dazu die Möglichkeit gäbe.

(Linsmeier [CDU/CSU]: Er übertreibt wieder! — Beckmann [FDP]: Kameltreiber Paterna!)

Aber er wird wohl noch warten müssen, vielleicht länger, als er diesem Hause angehört.
Die Arbeitsmöglichkeiten aber werden in diesen Ämtern verbessert werden, besonders in den Wettbewerbsbereichen. Das haben sich die Mitarbeiter der Post schon seit Jahrzehnten gewünscht. Mit dem vorliegenden Gesetz kommen wir diesem Ziel einen großen Schritt näher.
Indem wir die einzelnen Unternehmensbereiche im Sondervermögen Deutsche Bundespost belassen, entsprechen wir nicht nur der Forderung des Grundge-



Pfeffermann
setzes, sondern wir sichern auch die Finanzkraft der Deutschen Bundespost. So bringt der vorliegende Gesetzentwurf für die Deutsche Bundespost Mitte der 90er Jahre eine erhebliche finanzielle Entlastung. Die Abgabe der Deutschen Bundespost an den Bundeshaushalt beträgt heute 10 % — eine Erblast der SPD. Mitte der 90er Jahre werden es etwa 6 Milliarden DM sein. Beim Übergang zur Mehrwertsteuer entfällt diese für die Postdienste auf Grund der europäischen Harmonisierung völlig.

(Unruhe)

Für die Telekom wird sie der Mehrwertsteuer anderer Unternehmen vergleichbar berechnet und effektiv nur noch ca. 1 bis 1,5 Milliarden DM betragen.
Trotz dieser Entlastung wird es aber auch weiterhin den Finanzausgleich zwischen den einzelnen Unternehmensbereichen, und zwar unbefristet, geben. In § 29 Abs. 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs heißt es dazu: „Zwischen den Unternehmen ist ein Finanzausgleich vorzunehmen ... "
Ich betone mit dem Bundespostminister: Daran wird es kein Rütteln geben, und zwar auch nicht zeitlich begrenzt.
Mit dieser Regelung weicht der Gesetzentwurf in kluger Absicht von den Empfehlungen der Regierungskommission für das Fernmeldewesen ab.

(Funke [FDP]: Das ist aber die Meinung der CDU!)

— Ich bin sicher, daß in diesem Fall die Meinung der CDU zur Klugheit der Mehrheit des ganzen Parlaments wird.
Auch zwischen den einzelnen Diensten innerhalb eines Unternehmensbereichs wird in Form der Mischkalkulation ein Finanzausgleich möglich sein. Die Deutsche Bundespost kann und wird sich hier nicht anders verhalten als ihre Mitbewerber auf dem Markt. Natürlich müssen Anlaufverluste neuer Dienste aus den Erträgen anderer Produkte mitfinanziert werden.
Die CDU/CSU begrüßt es nachdrücklich, daß die Post diesbezüglich die Empfehlung der Regierungskommission nicht übernommen hat. Allerdings wird dabei sichergestellt, daß aus den Erträgen des Monopolbereichs keine Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil der Mitwettbewerber entstehen darf.
Lassen Sie mich ein klares Wort an das Personal der Deutschen Bundespost richten. Im Zusammenhang mit der Öffnung des Telekommunikationsmarkts für den Wettbewerb wird von interessierter Seite der Eindruck erweckt, als sei das Personal der Deutschen Bundespost diesem Wettbewerb nicht gewachsen. Das ist falsch. Die Deutsche Bundespost verdankt ihre führende Rolle im weltweiten Vergleich in besonderem Maße der Leistungsfähigkeit und der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Bundespost. Wenn es schon in der Vergangenheit Schwierigkeiten in Wettbewerbsbereichen gegeben hat, so lag das nicht an der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter, sondern an den Einengungen, denen die Deutsche Bundespost und das Personal durch geltende Gesetze im Wettbewerb unterliegen.
Deshalb begrüßen wir es, daß in dem vorliegenden Gesetz in § 42 besoldungsrechtliche Ausnahmeregelungen für die Deutsche Bundespost geschaffen werden. Der Bundespostminister hat in der Zwischenzeit den Entwurf für eine Verordnung über die Laufbahnen im Bereich der Unternehmen der Deutschen Bundespost, eine Verordnung über die Gewährung von Leistungszulagen und Rahmenrichtlinien für die Gewinnung qualifizierten Nachwuchspersonals im Bereich der Deutschen Bundespost erstellt. Diese Verordnungen sollen gleichzeitig mit dem vorliegenden Gesetz und nicht erst danach verabschiedet werden.
Ich füge hinzu: Diese sind für das Funktionieren der Deutschen Bundespost in der Zukunft unverzichtbar. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil dieser Gesetzgebung. Ganz unzweifelhaft kann die Wettbewerbssituation der Deutschen Bundespost nicht mit den Aufgaben und Strukturen einer reinen Verwaltungsbehörde verglichen werden. Wem wie mir an der Aufrechterhaltung des öffentlichen Dienstrechts gelegen ist, wer weiterhin den Beamten im öffentlichen Dienst aus wohlerwogenen Gründen den Vorzug gibt, der muß auch für besondere Aufgaben die Ausnahme von der Regel zulassen und ermöglichen.

(V o r sitz : Vizepräsident Frau Renger)

Mein Appell gilt allen, die in diesem Bereich mitwirken, den Bundespostminister auf diesem Weg zu unterstützen.

(Bernrath [SPD]: Er ist nicht in der Lage, einen Betrieb zu organisieren!)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf das Thema der Mitbestimmung eingehen: Gegenüber den Bediensteten wird ja der Eindruck erweckt, als werde das Personalvertretungsgesetz durch die Neustrukturierung beeinflußt.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Richtig ist: beeinträchtigt!)

Das ist unzutreffend. Allerdings werden sich die bei der Post vertretenen Gewerkschaften auf diese neue Struktur einzurichten haben. Es wird weiterhin Hauptpersonalräte beim Ministerium und bei den Unternehmensbereichen geben.

(Paterna [SPD]: Sie verdreifachen die Mitbestimmung, weil wir jetzt drei Hauptpersonalräte haben! Das ist eine tolle Leistung!)

— Na, wie schön, Herr Kollege Paterna. Schade, daß Sie nicht bei der Post sind. Dann würde mindestens eine der Wahlpositionen vielleicht an Sie fallen.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN — Paterna [SPD]: Selbst du warst schon schlagfertiger! — Weitere Zurufe von der SPD)

Das, was ich soeben vortrug, hat den Vorteil, daß sich die Personalräte auf die Aufgaben ihres Bereichs konzentrieren können und werden. Denn die Interessensphäre der Arbeitnehmer in den unterschiedlichen Unternehmensteilen ist außerordentlich vielfältig. Eine Konzentration auf die einzelnen Bereiche kann für die Arbeitnehmer selbst nur hilfreich sein.
Für die Gewerkschaften bedeutet es — das muß eingeräumt werden — eine Erschwernis. Sie können — um es am Beispiel der Deutschen Postgewerkschaft



Pfeffermann
zu zeigen — nicht mehr von Frankfurt aus einen einzelnen Hauptpersonalrat mehrheitlich dirigieren. Sie müssen dann eventuell unterschiedliche Zielsetzungen von Hauptpersonalräten in ihren eigenen Reihen wieder ausgleichen. Für manchen Gewerkschaftler kann die derzeitige Situation sogar eine Machtposition sein, die er ungern verändert sieht. Wenn es zutrifft, daß der frühere Minister Gscheidle als ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft nur so lange Minister sein konnte, wie es der Deutschen Postgewerkschaft genehm war, dann kennzeichnet dies die Diskussion um diese Machtfrage. Aber ich denke, wir stimmen darin überein: Das Personalvertretungsgesetz ist für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes und nicht für Machtstrukturen von Gewerkschaften geschaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Paterna [SPD]: Das sagen Sie mal dem Postverband, der wird jubeln!)

Das Personalvertretungsgesetz aber hat weiterhin volle Gültigkeit im Gesamtbereich der Deutschen Bundespost. Das gilt auch für die Sozial- und Selbsthilfeeinrichtungen der Deutschen Bundespost. Sie werden in ihrer jetzigen Form unter Aufrechterhaltung der geltenden Mitwirkungsrechte der Mitarbeiter weitergeführt. In den Aufsichtsräten sind die Mitarbeiter übrigens wie heute im Postverwaltungsrat vertreten. Also gibt es hierbei auch keine negative Veränderung. — Eine glatte Bevorzugung im Gesetzentwurf hat z. B. das Personal gegenüber der Politik, die ja dort in Zukunft nicht mehr mitwirken soll, vom Minister abgesehen.
Auf die Fragen der Infrastruktur, der gleichen Versorgung von Stadt und Land und der damit verbundenen Pflichtleistungen der Deutschen Bundespost wird besonders mein Kollege Linsmeier noch eingehen. Jedoch liegt mir im Rahmen meines Beitrags an zwei Feststellungen: Wir lassen am Prinzip der Bürgerpost nicht rütteln. Das zeigt auch die Tatsache, daß die Gemeinwohlverpflichtung und die Daseinsvorsorge erstmals im Gesetz über das Post- und Fernmeldewesen, so u. a. in § 4, verankert sind. Dies zwingt zu Infrastrukturdiensten, die eine gleichwertige, flächendeckende Versorgung für alle Bürger zu gleichen Bedingungen sicherstellen. Dem dienen neben dem Monopolbereich die Pflichtleistungen und Strukturauflagen, die im Gesetz festgehalten sind. Diese Pflichtleistungen können und sollten nicht von heute auf morgen festgelegt werden. Das wird ein immer-währender Prozeß entsprechend der jeweiligen technischen Entwicklung und der Entwicklung des Marktes sein.
Die Bundesregierung hat gegenüber dem Bundesrat auf entsprechende Anmerkungen festgestellt, daß sie gewährleistet, daß die Versorgung insbesondere des ländlichen Bereichs mit Leistungen des Post- und Fernmeldewesens auch vor der Festlegung der Pflichtleistungen ohne Einschränkungen aufrechterhalten bleibt. Wenn diese Festlegung bei den Beratungen des Bundestages als nicht ausreichend betrachtet werden sollte, werden wir diese Absichtserklärung als Übergangsregelung in das Gesetz aufnehmen.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht für einen offenen Dialog über diesen Gesetzentwurf allen, die an einem konstruktiven Meinungsaustausch interessiert sind, zur Verfügung. Alle, vor allem auch die Mitarbeiter der Post, sind zu diesem Dialog eingeladen, damit dieses Gesetz hinreichend, aber zügig beraten, gegebenenfalls verbessert und bald verabschiedet werden kann. Wir leisten damit einen Beitrag für die Zukunft der Post und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für den Industriestandort Deutschland, für die Sicherung der Arbeitsplätze, für die Zukunft unseres Landes und zum Wohle seiner Bürger.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109401600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Briefs.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1109401700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann es mir nicht versagen, diese Debatte hier als das zu bezeichnen, was sie nach meiner Auffassung ist, nämlich eine Farce.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Sie mag eine wichtige Farce sein, aber sie zeigt irgendwie auch das Elend des bürgerlichen Parlamentarismus. Die Entscheidungen zur Postreform sind doch längst gefallen und werden exekutiert. Die Kraft der Argumente verpufft, zumindest in diesem Hohen Hause. Die Verhältnisse sind zementiert, sind betoniert. Sie liegen wie Packeis auf dieser Republik und auf ihren politischen Institutionen.
Nun zur Postreform. Ich glaube, es gibt in der gegenwärtigen politischen Landschaft in der Bundesrepublik kaum ein Vorhaben, das so überflüssig und unsinnig ist wie diese sogenannte Postreform.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es gibt keinen Grund und keine Erfahrung, die die sogenannte Postreform auch nur im mindesten begründen könnten.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Aber man kann daran verdienen!)

Was Sie, Herr Bundespostminister, betreiben, ist Fledderei, allerdings nicht an Leichen, sondern an dem am besten wirtschaftenden öffentlichen Unternehmen in der Bundesrepublik. Sie reformieren nicht, sie zerschlagen.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Sie plündern oder, genauer: Sie geben die Bundespost zur Plünderung durch die Wirtschaft und insbesondere durch große Konzerne der Telekommunikations- und Datenverarbeitungsindustrie frei.
Die Bundespost, an der wir als GRÜNE durchaus unsere Kritik haben, hat es aber immerhin geschafft, zu arbeiten, ohne Versorgungslücken entstehen zu lassen, ohne rote Zahlen zu arbeiten, anders als beispielsweise die Deutsche Bundesbahn, die Sie mit Ihrer verheerenden Verkehrspolitik bereits großenteils zugrunde gerichtet haben. Das gleiche, fürchte ich, steht jetzt auch bei der Bundespost bevor. Sie hat es geschafft, der Bundesrepublik eine moderne, in weiten Bereichen an der Spitze im internationalen Vergleich liegende Post- und Fernmeldestruktur zu ge-



Dr. Briefs
ben. Und was tun Sie ohne jeden Anlaß? Sie opfern dieses Unternehmen der Lüsternheit der Wirtschaft,

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

als ob die Wirtschaft in der Bundesrepublik, der größte Exporteur in der Welt, eine Wirtschaft mit einem hochmodernen Produktionsapparat das brauchte.
Allerdings — das gebe ich gerne zu, das haben wir an anderer Stelle auch immer wieder gesagt — : Wir sehen auch die Probleme, die gerade damit verbunden sind, daß die Wirtschaft nicht arm ist wie z. B. in der Zeit unmittelbar nach dem Krieg, sondern daß sie inzwischen ungeheuer reich geworden ist und daß neue Märkte und neue Möglichkeiten, Kapital profitabel anzulegen, her müssen. Genau darauf zielt Ihre Postreform.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Haben Sie das jetzt selber verstanden?)

— Herr Pfeffermann, was Sie verstehen, haben wir soeben u. a. in Ihren Ausführungen und in Ihren sehr, sehr dürftigen Witzen gesehen.
Wir müssen natürlich sehen, daß die Postreform nicht einfach so da ist. Ich finde dabei am bedenklichsten, daß postpolitische Gesichtspunkte — Versorgung der Bevölkerung, vernünftige Organisation von Telekommunikations-, Brief- und Paketdiensten usw. — eigentlich gar keine Rolle spielen. Was hier geschieht, ist eine rein wirtschaftspolitische Maßnahme, ist eine ordnungspolitische Maßnahme.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Hier wird ein großer Teil des Volksvermögens praktisch privaten Interessen zur Verfügung gestellt.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der SPD: So ist es! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Quatsch!)

Das ist — wie wir es jetzt auch in anderen Bereichen in kleinen Formen sehen; ich erinnere an das Verschenken von Minitels, das ist immerhin öffentliches Vermögen, in bestimmten Bereichen der Wirtschaft — eine Verschleuderung von Volksvermögen, die sich hier anbahnt. — Das nur so am Rande.
Eines jedenfalls gebe ich gerne zu: Sie verfolgen sehr konsequent die Interessen der Wirtschaft, die in der Tat — ich betone das noch einmal — nicht von Armut geprägt ist, sondern von einem schier überquellenden Reichtum, der nach Anlage sucht, der sich insbesondere in den riesigen vagabundierenden Kapitalien großer Konzerne in allen möglichen Bereichen niederschlägt.

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Das ist es!)

Dafür wollen Sie die Bundespost zerschlagen, natürlich mit dem Ziel, insbesondere die nach Ihrer Auffassung so ungeheuer wachstumsträchtigen Märkte der Telekommunikation für private Interessen zu öffnen.
Ihre Postreform hat nichts, aber auch gar nichts mit den Interessen der Bürger und Bürgerinnen zu tun. Sie ist verbal zunächst eine Opfergabe für den Fetisch Wettbewerb, in Wirklichkeit aber wohl ein Preis, den Sie jetzt schlicht und einfach für die politische Unterstützung durch die Wirtschaft, gerade die Großwirtschaft, zahlen müssen. Die Bundespost soll so werden, wie die sonstigen Bereiche der sogenannten sozialen Marktwirtschaft insgesamt sind. Auch bei der Bundespost sollen Menschen von heute auf morgen
— „flexibel" nennen Sie das dann — auf die Straße gesetzt werden können. Auch bei der Bundespost soll der Druck, der Verschleiß an den Arbeitsplätzen, noch größer werden, als er jetzt schon ist. Auch bei der Bundespost soll, wenn es nach Ihren Vorstellungen von einer Postreform geht, der gnadenlose Wettbewerb um Arbeitsplätze, Aufstieg, Einkommen usw.
— auch und gerade zu Lasten der Frauen — stattfinden. Die Bundespost mit mehr als 500 000 Beschäftigten — unter 50 Beschäftigten in der Bundesrepublik ist einer bei der Bundespost beschäftigt; insgesamt sind davon weit mehr als eine Million Menschen betroffen — soll so inhuman werden, soll in ihren inneren und äußeren Verhaltensweisen und Verhältnissen so menschenverachtend werden, soll insbesondere auch noch stärker so frauenfeindlich werden, wie es heute bereits viele Bereiche in der reichen, sehr reichen Wirtschaft der BRD sind

(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich! — Dr. Solms [FDP]: Das disqualifiziert sich selbst!)

— Sie ertragen die Wahrheit schlicht und einfach nicht! — , und das alles, um Ihrem Phantasiegebilde „Wettbewerb" Rechnung zu tragen.
Der größte Witz ist doch folgender. Sie wollen mehr Wettbewerb schaffen, und wem bieten Sie die Bundespost zur Fledderei an? Vor allem den großen internationalen Konzernen, die im Weltmaßstab operieren.

(Dr. Solms [FDP] : Von welchem Land reden Sie eigentlich?)

— Von der Bundesrepublik, in der Sie allzu lange
— zumindest in einem gewissen Maße, eigentlich ja die Kräfte, die hinter Ihnen stehen — das Sagen gehabt haben. — Wie gesagt, Sie sagen „Wettbewerb", und in Wirklichkeit meinen Sie Cash, meinen Sie Bares für Ihre Freunde in der Wirtschaft und, wie ich vermute, über gewisse andere Prozesse irgendwie auch für Sie als politische Institution.
Wie wenig Substanz Ihre Postpolitik hat, Herr Bundespostminister, zeigt, daß Ihre Mitarbeiter, wie ich letztens feststellen konnte, bei öffentlichen Anhörungen etwa im gewerkschaftlichen Bereich dann kneifen, wenn die kritischen Positionen der Opposition zu Wort kommen sollen.

(Zuruf von der FDP: Sind Sie die Opposition?)

Jetzt kommt der nächste Punkt in diesem Zusammenhang. Dies alles sollen auch noch die Bürger und Bürgerinnen und die Beschäftigten bezahlen: die Bürger und Bürgerinnen mit höheren Postgebühren und mit Dienstleistungsverschlechterungen — es sind hier schon einige Dinge zur Sprache gekommen —, die Beschäftigten mit mehr Disziplin, mehr Leistungsdruck, mehr Malocherei, mehr Nacht- und Schichtarbeit, mit Einkommensschmälerungen usw. usf. Ich glaube, das ist das konkrete Projekt, das Sie im Auge haben.



Dr. Briefs
Ich sage nochmals ganz deutlich — so müssen wir es auch in der Zukunft diskutieren, und zwar diskutieren nicht unter den 30 oder bestenfalls 40 hier anwesenden Abgeordneten, sondern draußen im Lande, dort, wo die betroffenen Menschen sind — : Das, was Sie hier vorantreiben, ist kein postpolitisches Projekt — was immer das sein mag —, sondern Ordnungspolitik, Wirtschaftspolitik,

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ja! — Richtig, Wirtschaftspolitik! — Gott sei Dank Ordnungspolitik!)

und zwar falsche Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben nicht verstanden, was in dieser Wirtschaft wirklich abläuft; Sie machen sich ja auch nicht die Mühe, einmal mit Menschen in den Betrieben zu sprechen.

(Lachen bei der CDU/CSU — Pfeffermann [CDU/CSU]: Aber Sie!)

Ihre Politik beruht auf einer grundlegend falschen Analyse der Wirtschaftssituation in der BRD und gerade auch der Entwicklung der Weltwirtschaft.
Die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit Dienstleistungen der Post ist heute in den meisten Fällen noch gut, trotz dieses Postministers Schwarz-Schilling, der z. B. bei der Nachtleerung von Briefkästen Dienstverschlechterungen anordnete. Um die Bundesrepublik mit Dienstleistungen auch in Zukunft zu versorgen, ist dieser Gesetzentwurf nicht nur unnötig, sondern geradezu schädlich. Die Dienste der Bundespost sind für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes lebensnotwendig. Außerdem ist — ich habe schon darauf hingewiesen — die Bundespost größter Arbeitgeber dieser Republik. Sie ist ein wichtiger Faktor im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit. Versuchen Sie, das noch irgendwie zu nutzen, wenn Sie da diese drei Unternehmen mit ihren wahnsinnig vielen bürokratischen Instanzen haben! Dazu komme ich gleich noch.
Die heutige Bundespost ist vom Parlament beauftragt worden, Dienstleistungen für alle und flächendeckend zu gleichen Bedingungen anzubieten. Betriebswirtschaftliche Aspekte haben gegenüber dem Gemeinwohl zurückzustehen. Dies ist richtig und gut so. Dazu gehört auch die soziale Gestaltung der Tarife und der Finanzausgleich zwischen gewinn- und verlustträchtigen Bereichen, also zwischen Brief- und Paketpost und Telekommunikationspost. Genau das wollen Sie mit Ihrer Postreform auf lange Sicht beseitigen, obwohl Sie das inzwischen sehr behutsam behandeln, weil Sie wissen: Das mögen die Leute draußen nicht. Das also beabsichtigen Sie.
Die Bundesrepublik folgt mit ihrem Konzept — ich habe es schon gesagt — ordnungspolitisch den Wünschen der Industrie nach einer Umverteilung von unten nach oben. Insofern paßt die Postreform hervorragend zu den sonstigen unsozialen — ich gehe weiter — , sozialreaktionären sogenannten Reformvorhaben,

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Nehmen Sie einmal Baldrian!)

die Sie gegenwärtig im Bereich der Steuerpolitik und im Bereich der Gesundheitspolitik durchführen.

(Dr. Solms [FDP]: Komischerweise geht es den Menschen immer besser!)

— Ihnen geht es besser, nicht den Menschen draußen. Sehen Sie sich einmal ein bißchen um.
Es kann bei diesem Strukturgesetz nicht um mehr Wettbewerb gehen, denn die Nutznießer sind — ich habe es schon gesagt — die Multis, große internationale Unternehmen. Die Regierung will einer Wirtschaft, die in Geld schwimmt und nach lukrativen Anlagemöglichkeiten sucht, für ihre vagabundierenden Kapitalien Anlagemöglichkeiten verschaffen. Das heißt aber, hier zu Lasten der kleinen Leute noch mehr Geld in die prallvollen Kassen der Wirtschaft zu scheffeln. Zu diesem Zweck sollen alte und neue Telekommunikationsdienste privatisiert und Tarife für Telekommunikationsleistungen und Postdienste der Unternehmen dagegen gesenkt werden. Über die negativen Auswirkungen zu Lasten der Bundesbevölkerung braucht man nicht zu spekulieren; sie sind heute bereits spürbar. Die Gemeinwohlverpflichtung wird durch den Gesetzentwurf langfristig ausgehöhlt, trotz aller schönen Beteuerungen des Postministers.
Dies zeigt sich bereits heute in den aktuell vorgenommenen Tarifänderungen beim Telefon und im Briefbereich. Ferngespräche zu Bürozeiten werden erheblich verbilligt, während die Gebühren für öffentliche Fernsprecher um 50 % steigen und der Zeittakt im Ortsbereich von acht auf sechs Minuten verringert wird.

(Zuruf von der FDP: Fasse dich kurz!)

Die Mischfinanzierung und der Finanzausgleich zwischen den einzelnen Postbereichen ist zwar im Gesetz — ich habe es eben auch schon angedeutet — formal festgeschrieben, aber Dienste wie etwa Bildschirmtext zu subventionieren, die von Ihnen, Herr Pfeffermann, genannt werden, finde ich völlig falsch. Die vorangetriebene Verkabelung und die Computerisierung des Telefonnetzes erweisen sich als Milliardengräber und werden sich in der Zukunft noch stärker so erweisen. Sie verringern die Überschüsse im Telefonbereich, die durch die Privatisierung sowieso sinken werden. Für einen Finanzausgleich zwischen gelber und grauer Post wird somit in der Zukunft nichts übrigbleiben. Als Folge kommt es dann zu schleichenden weiteren Verschlechterungen der Brief- und Paketdienste. Insbesondere — es ist schon gesagt worden, ich wiederhole es auch noch einmal; es kann nicht oft genug wiederholt werden, auch in diesem Hohen Hause — besteht die Gefahr des Rückzugs aus der Fläche. In abgelegenen Gebieten wird die Post-und Paketzustellung einfach abgebaut. Zusätzlich bedeutet die verstärkte Verlagerung des Posttransports von der Schiene auf die Straße und die Ausdehnung des Nachtflugsystems der Post einen weiteren Anstieg ökologischer Belastungen aller Menschen in diesem Lande.
Wie kurzsichtig dieser Postminister ist, zeigt sich beispielsweise im Jahresbericht 1986. Dort wurde noch stolz auf die Umstellung der Postkraftfahrzeuge auf „umweltfreundlichen Dieselkraftstoff " verwiesen. 1987 hat man dann angesichts der nicht mehr ver-



Dr. Briefs
schweigbaren Gefahren auf einen solchen Hinweis im Postbericht verzichtet.
Die Beschäftigten der Bundespost sind heute bereits die Leidtragenden des verschärften Arbeitsdrucks. Ich habe es bereits angesprochen. Sie werden das in der Zukunft noch starker sein. Sie bekommen mit als erste die Folgen der Postreform zu spüren. Der Rationalisierungsdruck wird verschärft, und schrittweise werden Vollzeitarbeitsplätze zu sozial schlecht gesicherten Teilzeitarbeitsplätzen umgewandelt. Die unmenschlichen Vorstellungen dieser Verwaltung, die dabei zum Zuge kommen, zeigt der Begriff der sogenannten Entrümpelungsaktion. In einer vom Bundespostministerium so benannten Aktion soll der Abbau einer großen Zahl von Arbeitsplätzen bewerkstelligt werden. Menschen als verstaubte, nicht mehr gebrauchsfähige Gegenstände zu bezeichnen und sie dann aus dem Betrieb zu schaffen erinnert mich ein wenig an das Wörterbuch des Unmenschen. Dies geschieht nicht, weil die Beschäftigten es so wünschen, sondern vor allem weil der Einsatz der Informations-und Kommunikationstechnik das offenbar aus Ihrer Sicht erforderlich macht. Denn mit diesen Techniken steigen Leistungsdruck und Überwachung am Arbeitsplatz. Die wachsende Konkurrenz soll die Beschäftigten gegeneinanderhetzen.
Der vorgelegte Gesetzentwurf beschneidet dabei die Rechte der Personalvertretungen, da es keinen gemeinsamen Gesamtpersonalrat der Beschäftigten mehr geben wird und da die zukünftigen Entscheidungsverf ahren, an denen die Personalvertretungen irgendwie mit sehr unzulänglichen Rechten bislang mitwirken müssen, nach Ihrer Postreform so unübersichtlich, langwierig und bürokratisch werden, wie es bisher in der ganzen Geschichte der Reichspost und Bundespost noch nie der Fall gewesen ist. Das ist also auch von dieser Seite her eine völlig absurde Geschichte, die Sie hier betreiben.
In Tarifverhandlungen werden die Kolleginnen und Kollegen der defizitären Teilunternehmen zu Lohndrückern für alle Beschäftigten in den verschiedenen Bereichen der neu gegliederten Bundespost gemacht. Die Änderung des Dienstrechts fördert die Elitenbildung und Hierarchisierung zwischen den Beschäftigten nach dem altbekannten Motto: „Teile und herrsche! "
Einziger Nutznießer — ich habe es schon mehrfach gesagt, man muß es immer wiederholen — sind vor allem in den Ballungsgebieten die Wirtschaft und insbesondere die Großwirtschaft.

(Linsmeier [CDU/CSU]: Das glauben nur Sie, daß Sie das immer wiederholen müssen!)

— Herr Linsmeier, Sie werden es auch noch lernen. — Diese wünscht, für Dienstleistungen der Bundespost möglichst niedrige Kosten zahlen zu müssen, und will selber als Anbieter auf den Märkten der Telekommunikation auftreten. Die teuren Investitionen für die Fernmeldenetze im Sinne verursachungsgemäßer Kostenzurechnung überläßt sie jedoch gern allein der Post bzw. den anderen Postkunden, insbesondere den „kleinen" Leuten, die mit ihren paar Groschen das auch noch mitfinanzieren. Daran besteht jedenfalls zur Zeit aus unserer Sicht, ebenso auf lange Sicht,
prinzipiell überhaupt kein Interesse. Daran besteht nur in den Bereichen ein Interesse, deren Gesichtspunkte und Vorstellungen Sie hier vertreten und propagieren. So finanziert die Rentnerin — das wollen Sie — mit ihrem überbezahlten Telefongespräch Leistungen für die im Geld schwimmende Wirtschaft.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Vor allen Dingen mit dem Ortsgespräch!)

Die Unternehmen nutzen die neuen Dienste vor allem zur Rationalisierung in den Betrieben, insbesondere in den bislang von Rationalisierung noch nicht so ganz in allen Bereichen, allen Hinsichten erfaßten Büros und sonstigen Verwaltungs- und Dienstleistungsbereichen.
Arbeitsplatzvernichtung ist eine Folge, für die wiederum alle abhängig Arbeitenden über die Arbeitslosenversicherung in diesem Lande dann die Kosten tragen müssen. Auf der Suche nach neuen profitablen Märkten benutzt die Industrie die Post regelrecht als so etwas wie ein Versuchskaninchen oder einen Minenhund; Herr Linsmeier, nehmen Sie, was Sie wollen. Den Nutzen haben private Unternehmer, die Risiken trägt die Post, auch wenn sie dabei zumindest in Teilbereichen regelrecht draufgeht, wie wir es aus internationalen Erfahrungen wissen. Die Post finanziert neue Dienste, wie etwa Bildschirmtext, die Verkabelung, die Digitalisierung des Telefons. Wenn es sich nicht lohnt, bezahlen es alle Bürger und Bürgerinnen, wenn es aber Profit abwirft, dann tritt die Industrie prompt für eine Privatisierung ein, und mit der Industrie dann auch Sie.
Die unverantwortliche Politik dieses Postministers bei neuen Diensten hat die Post allein im Jahr 1987 1,2 Miliarden DM gekostet, aber trotz eines Flops wie des Bildschirmtexts, der heute nur 10 % der erwarteten Teilnehmerzahlen tatsächlich erreicht hat, hält Bundespostminister Schwarz-Schilling mit seinen neuen Diensten das Postschiff auf Kurs in Richtung Eisberg. Kein Wunder, er hat seinen Platz im Rettungsboot, absaufen müssen andere.
Gesamtwirtschaftlich und ökologisch bedeutet die Postreform einen weiteren Schritt auf dem verhängnisvollen Weg der derzeitigen Bundesregierung. Gerade der Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik ist alles andere als umweltfreundlich. Hier ist eine Legende. Wir werden demnächst im Rahmen des Schwerpunkts „Informationstechnik 2000" gerade auch darüber diskutieren, und wir werden uns bemühen, diese Legende endlich und ein für allemal zu zerstören.
Bereits die Herstellung elektronischer Bauteile bringt massive Gefahren mit sich. In dem berühmten Silicon Valley in den USA reiht sich eine Chip-Fabrik
— „Chip" ist jetzt kein Kartoffelchip, sondern es handelt sich um höchstintegrierte Schaltungen — an die andere.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Für so dämlich halten Sie die Leute! Die ganze Rede ist darauf angelegt! — Weitere Zurufe)

— Schauen Sie, bei den kleinen, unwesentlichen Dingen am Rande werden Sie lebendig. — Aus dem Silicon Valley kommen inzwischen vielfältige Berichte
6392 Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1988
Dr. Briefs
über Grundwasserverunreinigung durch giftige und hochgiftige Substanzen, Chemikalien, die in diesen Fabriken eingesetzt werden müssen. Es geht nun einmal technisch-naturwissenschaftlich nicht anders.

(Zuruf von der SPD: Doch!)

— Illusionen können Sie so viele haben, wie Sie wollen. — Eine gewisse Parallele zur Rheinvergiftung in der BRD zeigt sich als Gefahr. An die Stelle des Siliziums treten gegenwärtig — Herr Roth, verfolgen Sie einmal die fertigungstechnische Diskussion in diesem Bereich — Substanzen wie das Galliumarsenid, also eine Arsenverbindung. Das nur einmal so beiläufig.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109401800
Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie Ihre gesamte Redezeit bis auf eine Minute ausgenutzt haben.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1109401900
Auch die durchcomputerisierte Fabrik schafft insgesamt nicht weniger, sondern mehr Umweltbelastungen.
Ich komme zum Schluß. Ich möchte noch einen Punkt ausdrücklich anführen. Die Bundesregierung und die Vertreter der Regierungsparteien führen bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Wort vom Abbau der Bürokratie im Munde. Ähnlich, wie die Benutzung des Begriffs Wettbewerb von den wirklichen Absichten, nämlich der Bereicherung einiger weniger Reicher und Mächtiger, ablenken soll, ist es auch hier. Kommt die Postreform, so werden in den riesigen Bürokratien der internationalen Konzerne — um zunächst einmal diesen Aspekt zu betrachten — vom Typ IBM, ATT oder auch Siemens und Bosch ebenso bürokratische oder unbürokratische Entscheidungen gefällt wie in den entsprechend großen Bürokratien der Bundespost oder in anderen vergleichbaren öffentlichen Unternehmen. Gucken Sie sich einmal die Verhältnisse an! Da von weniger Bürokratie zu sprechen ist schlicht und einfach absurd.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109402000
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist jetzt wirklich zu Ende.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1109402100
Ich komme zum Schluß.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109402200
Sie haben noch einen Satz.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1109402300
Völlig unerfindlich ist aber zugleich, wo die Entbürokratisierung im Zuge der Postreform stattfinden soll. Sie schaffen zusätzliche Vorstände und Aufsichtsräte. Das Verfahren wird sehr viel länger. Ich glaube, Sie erweisen allen, die an einer vernünftigen Entwicklung dieses Teils der öffentlichen Einrichtungen interessiert sind, der für die Daseinsvorsorge in der Bundesrepublik nun einmal unerläßlich ist, einen ausgesprochenen Bärendienst.
Wir werden Ihnen — ich hoffe, mit Unterstützung vieler Menschen draußen im Lande und insbesondere der Kolleginnen und Kollegen im gewerkschaftlichen Bereich — unseren Widerstand entgegensetzen.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Warum pfeifen die Sie dann aus beim Postverband?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109402400
Ihre Redezeit ist wirklich zu Ende. Herr Kollege, bitte halten Sie sich an meine Anweisung.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1109402500
Sie sind auf dem falschen Weg. Sie zahlen den Preis nicht, sondern die Bürgerinnen und Bürger sollen ihn zahlen.

(Beifall der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109402600
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1109402700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich nach der Rede von Herrn Kollegen Dr. Briefs bemühen, dieses wichtige Gesetz ruhig und sachlich anzugehen.

(Paterna [SPD]: Wo du sonst so ein Temperamentsbolzen bist!)

— Genau deswegen. Eine sehr schöne Bemerkung.
Nachdem der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im März 1987 angekündigt hat, ein Reformgesetz vorzulegen, liegt dieses Gesetz für die Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens vor. Der Bundeskanzler hat die Postreform mehrfach als ein besonders wichtiges Reformvorhaben dieser Bundesregierung dargestellt und angekündigt, daß Maßnahmen zu einer verbesserten Marktöffnung ergriffen werden. Schließlich — so der Bundeskanzler — müsse der Strukturwandel bewältigt, unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit gesichert und der Welthandel offen gehalten werden. Zu Recht hat der Bundeskanzler darauf hingewiesen, daß sich unsere Wirtschaft — hierzu zählt für mich auch die Deutsche Bundespost — an die veränderten Bedingungen des internationalen Wettbewerbs und an die neuen Möglichkeiten des technischen Fortschritts anzupassen habe. An diesen Grundaussagen ist das nun vorgelegte Poststrukturgesetz zu messen. Das sind ja auch die ursprünglichen Aussagen des Bundespostministers gewesen.
Zunächst begrüßt meine Fraktion, daß einer alten liberalen Forderung — der Trennung der hoheitlichen Aufgaben von den Betriebsaufgaben der Deutschen Bundespost — Rechnung getragen wird. Ein schlagkräftiges Unternehmen Post soll sich auf seine betrieblichen Funktionen konzentrieren können, um als modernes Dienstleistungsunternehmen effektiv am Markt operieren zu können. Dagegen sollen die hoheitlichen Funktionen im Postministerium konzentriert werden, wo sie auch hingehören, denn dies ist eine Regierungsaufgabe. Diese Trennung führt zu mehr Klarheit und Offenheit gegenüber dem Bürger und wird die Verantwortlichkeiten auch gegenüber der Öffentlichkeit besser als bisher offenlegen.
Wir begrüßen auch die Aufteilung der Deutschen Bundespost in drei Unternehmensbereiche: Postdienst, Postbank und Telekom. Dies ist keine Zerschlagung der Deutschen Bundespost, wie von den Gewerkschaften behauptet, sondern eine sinnvolle Zuordnung von Dienstleistungen zu den jeweiligen Unternehmensbereichen. Dabei darf nicht übersehen werden, daß bereits vor Ort eine Trennung der unterschiedlichen Dienstleistungen vorgenommen worden ist, nämlich in Postämter, Fernmeldeämter, in die Postgiroämter und die Postsparkassenämter. Im übrigen bleibt ja die einheitliche Leitung im Rahmen des



Funke
einheitlichen Sondervermögens durch den Bundespostminister erhalten.
Auch in der freien Wirtschaft — hieran wird sich auch ein Unternehmen Deutsche Bundespost zu orientieren haben — werden unterschiedliche Dienstleistungen in unterschiedlichen Unternehmen und in unterschiedlichen Unternehmensbereichen angesiedelt. Man nennt dies dort häufig auch die Bildung von profit centers. Schließlich verlangen unterschiedliche Dienstleistungen unterschiedliche Qualifikationen an das Management, an die Mitarbeiter, an die Finanzierung und auch an die unterschiedlichen Marktstrategien.
Konsequenterweise werden die Unternehmen der Deutschen Bundespost von Vorständen geleitet und von Aufsichtsräten kontrolliert. Ob jedoch allein durch die Einsetzung von Vorstandsmitgliedern, die privatwirtschaftliche Verträge erhalten sollen, der große unternehmerische Frühling in diese Unternehmen einziehen wird, wage ich zu bezweifeln. Es wäre wohl besser gewesen, diese privatwirtschaftlichen Verträge auch auf Mitarbeiter auszudehnen, die sich unterhalb der Vorstandsebene befinden.
Unternehmen, die im Wettbewerb stehen, haben sich auch in ihrer Personalstruktur an den Erfordernissen des Personalmarktes zu orientieren. Schon heute sind Tausende von Arbeitsplätzen bei der Deutschen Bundespost im Telekommunikationsbereich nicht besetzt, weil die Deutsche Bundespost nicht in der Lage ist, eine marktgerechte Entlohnung für diese qualifizierten technischen Mitarbeiter vorzunehmen. Die zahlreichen Benehmens- und Einvernehmensregelungen mit dem Bundesinnenministerium und mit dem Bundesfinanzminister, um angeblich die Einheitlichkeit des Besoldungsrechts zu sichern, werden den Unternehmen der Deutschen Bundespost in ihrer Wirtschaftsführung das Leben sicherlich erheblich erschweren. Ich will nicht leugnen, daß gegenüber dem derzeitigen Zustand flexiblere besoldungsrechtliche Regelungen vorgesehen sind. Für ein Wirtschaftsunternehmen reichen sie dennoch nicht. Diese Unternehmen befinden sich im Wettbewerb. Sie müssen wie Wirtschaftsunternehmen geführt werden. Hier sollten wir im Interesse der Mitarbeiter der Unternehmen, aber auch im Interesse der Kunden der Post im Rahmen der parlamentarischen Beratungen Verbesserungen vornehmen.

(Beifall bei der FDP)

Die Ausgestaltung der Rechte des Aufsichtsrats ist gegenüber den aktienrechtlichen Bestimmungen ganz erheblich eingeschränkt, da der Bundespostminister ja die Entscheidungen des Aufsichtsrats wieder an sich ziehen und kassieren kann. In der zukünftigen politischen Ausgestaltung dieser Aufsichtsräte des Bundespostministeriums sollte darauf geachtet werden, daß der Bundespostminister seine Genehmigungsrechte hinsichtlich der Beschlüsse des Aufsichtsrates eher restriktiv wahrnimmt, um sicherzustellen, daß die Organe des Unternehmens nicht durch dauerndes Hereinreden in ihrer wirtschaftlichen Entscheidungsfreudigkeit gehemmt werden.
Für die Unternehmen müssen klare Verantwortlichkeiten gegeben sein. Organe neben Vorständen und Aufsichtsräten erschweren die klare unternehmerische Verantwortlichkeit. Wir halten daher die Bildung eines Infrastrukturrates, auch in der beratenden Form, wie es jetzt hier vorgesehen ist, für überflüssig. Das gleiche gilt für das Direktorium, das offensichtlich dazu dienen soll, Quersubventionen vorzunehmen.
Langfristig sollte eine Quersubventionierung zwischen den einzelnen Unternehmensbereichen ausgeschlossen werden. Voraussetzung dafür ist jedoch natürlich, daß politische Lasten, die vor allem die gelbe Post zu tragen hat, den Verursachern, nämlich dem Parlament, also auch uns, oder der Regierung angelastet werden, d. h. mit anderen Worten: vom allgemeinen Haushalt zu tragen sind. Eine Quersubventionierung darf in jedem Fall nur die Ultima ratio sein.
Mit Monopolleistungen Dienste zu subventionieren, kann zu Wettbewerbsverfälschungen führen, die von den Mitbewerbern nicht hingenommen werden können. Hinzu kommt, daß jede Quersubventionierung zur Demotivierung der Mitarbeiter und Organe der Unternehmensbereiche führt.

(Roth [SPD]: Haben Sie eigentlich schon mal mit einem Postler geredet? Ich habe immer todunglückliche Fernmeldetechniker getroffen, weil sie an die gelbe Post so viel abführen müssen!)

— Ich wollte das gerade ausführen.
Die Telekom-Mitarbeiter werden demotiviert, weil ihre Gewinne dazu dienen, häufig politisch zu verantwortende Defizite im Bereich der gelben Post abzudecken. Mitarbeiter der Postdienste müssen sich als Subventions- und Almosenempfänger betrachten. Dies motiviert weder die Mitarbeiter der Post noch der Telekom. Motivation ist jedoch eines der wichtigsten Führungsinstrumente im modernen Dienstleistungsunternehmen und im modernen Management. Hierauf wird man auch bei der Deutschen Bundespost und bei ihren Unternehmensbereichen nicht verzichten können.
Die organisatorische Neugliederung ist nicht Selbstzweck; sie ist die Grundlage und die notwendige Voraussetzung für die Neuordnung des Telekommunikationsbereichs. Die Gegner der Neuordnung übersehen immer wieder, daß im EG-Grünbuch ausdrücklich festgelegt ist, daß es ohne eine Neuordnung eine Teilnahme der Bundespost am Wettbewerb nicht geben kann.
Die Telekommunikation, meine Damen und Herren — das ist bereits ausgeführt —, ist der Wachstumsmarkt der Zukunft. Telekommunikation, Datenverarbeitung und Bürokommunikation wachsen immer enger zusammen und sind schon heute ein nicht mehr wegzudenkender Wirtschaftsfaktor unserer Volkswirtschaft. Der Markt der Telekommunikation wird schon in wenigen Jahren vom Umsatz her so bedeutend sein wie heute die Automobilindustrie in der Bundesrepublik.
Kernstück der Reform ist demgemäß auch die Neuordnung auf dem Gebiet der Telekommunikation. Vermittlungseinrichtungen im Netz der Deutschen Bundespost sind hinsichtlich ihrer Funktion Computern privater Unternehmen vergleichbar. Mit der stän-



Funke
dig zunehmenden Bedeutung der Datenverarbeitung in Konstruktion, Lagerhaltung, Produktion und Vertrieb ist die Industrie immer mehr auf die kostengünstige Übermittlung großer Datenmengen angewiesen. Große Unternehmen sind heute mit Tausenden von Zulieferern, Abnehmern oder Händlern online verbunden. In noch stärkerem Maße gilt dies für Dienstleistungsbetriebe wie Banken und Versicherungen.
Niedrige Gebühren und eine möglichst freizügige Benutzung der Telekommunikationsnetze, der Netzteile und peripheren Einrichtungen sind Faktoren, die für die Investitionsentscheidungen der Unternehmen immer wichtiger werden, und zwar nicht nur national, sondern auch international. Eine leistungsfähige und kostengünstige Telekommunikation ist daher unverzichtbar, um die Bundesrepublik als Wirtschaftsstandort attraktiv zu erhalten. Andernfalls wäre der Verlust von dringend benötigten Arbeitsplätzen unvermeidbar. Mit einer Neuordnung des Fernmeldewesens ist mithin keine Gefährdung, sondern eine Sicherung der Arbeitsplätze verbunden.
Ziel der Neuordnung ist es, die Telekommunikation durch mehr Wettbewerb in der Bundesrepublik leistungsfähiger und kostengünstiger zu gestalten. Dies kommt Unternehmen und Bürgern gleichermaßen zugute. In keinem Fall werden Leistungsangebote der Deutschen Bundespost auf Grund der Neuordnung eingeschränkt oder eingeschränkt werden. Vielmehr sollen auch künftig ebenfalls private Unternehmen die Chance erhalten, neben der Post ihre Dienstleistungen der Telekommunikation im Wettbewerb anzubieten. Durch eine solche Marktöffnung wird die Deutsche Bundespost gezwungen, für ihre eigenen Leistungen wettbewerbsfähige Bedingungen vorzusehen. Die Kunden der Post werden die Leistungen dann zu Preisen erhalten, wie sie auch international üblich sind. Die Deutsche Bundespost ist in vielen Bereichen, auch im technischen Bereich, Spitze; sie ist aber leider auch in den Preisen Spitze. Dies kann international langfristig nicht hingenommen werden.
Dieser Markt ist für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft von immenser Bedeutung. Ohne grundlegende Änderungen besteht die Gefahr, daß Unternehmen ihre eigene Telekommunikation ins Ausland verlagern, wie dies zum Teil heute schon der Fall ist, um dem hohen Kostenniveau in der Bundesrepublik zu entgehen. Datenübermittlungen z. B. in die USA oder nach Japan werden nicht mehr direkt, sondern über London oder Paris abgewickelt. Wenn es in der Bundesrepublik kein international wettbewerbsfähiges Angebot von Telekommunikationsdienstleistungen gibt, werden ausländische Unternehmen diese Marktlücke füllen. Die Marktöffnung in der Telekommunikation und eine Neuordnung der Deutschen Bundespost sind daher in unseren Augen dringend erforderlich, wenn die Bundesrepublik nicht auf einem der wichtigsten Wachstumsmärkte endgültig ins Hintertreffen geraten soll. Der Bundesminister hat vorhin zu Recht auf die große Bedeutung der Telekommunikation hingewiesen.
Ob diese politisch gewollten und volkswirtschaftlich notwendigen Ziele durch die Änderungen des Gesetzes über Fernmeldeanlagen im Bereich der Telekommunikation tatsächlich umgesetzt worden sind, kann hier bezweifelt werden. Das werden wir in der parlamentarischen Diskussion in den Ausschüssen noch miteinander zu diskutieren haben. Der Gesetzentwurf hält nämlich am Fernsprechmonopol für die einfache Sprachübermittlung fest. Ich sage offen: Wir Liberalen hätten uns eine Auflockerung des Netzmonopols gewünscht. Die FDP fordert den Bundespostminister nachdrücklich auf, die Ermessensspielräume, die ihm das Gesetz künftig einräumt, zugunsten der Wettbewerbsbenutzer tatsächlich auszunutzen. Andernfalls ist nämlich die ganze Neuordnung auf diesem Gebiet letztlich wertlos. Der Wettbewerb wird in den Randbereichen wie Mobilfunk und Satellitenfunk ermöglicht. Das terrestrische Netz wird noch über Jahrzehnte die überragende Rolle bei der Gesprächsübermittlung spielen. Bei den parlamentarischen Beratungen wird es darauf ankommen, eine klare Trennung von einfachen Sprachübermittlungen und sonstigen Telekommunikationsdienstleistungen vorzunehmen, um sicherzustellen, daß nicht weitere Monopole entstehen, die den Wettbewerb unmöglich machen. Das, was im Sprachmonopol der Post verbleibt, muß so eng wie möglich begrenzt werden. Wir hoffen, daß mit der Einführung des ISDN eine neue Situation entsteht und die Trennung von Sprache und sonstigen Dienstleistungen obsolet wird.
Wenn wir Liberalen uns für den Wettbewerb und die Marktöffnung einsetzen, dann nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil wir wissen, daß Wettbewerb und Markt die besten Voraussetzungen für Innovation, Investition und kostengünstige Preise für die Kunden sind.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Hiervon werden nicht nur die Deutsche Bundespost, sondern auch die dort beschäftigten Arbeitnehmer profitieren. Schließlich bedeuten Innovation und Investition neue und zukunftssichere Arbeitsplätze.
Hinzu kommt, daß sich mit Vollendung des Gemeinsamen Marktes im Jahre 1992 auch die Deutsche Bundespost mit ihren Unternehmen den Regeln des Gemeinsamen Marktes für mehr Markt, für mehr Wettbewerb öffnen muß. In den Beratungen wird im einzelnen abzuklopfen sein, ob die vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen den tatsächlichen und rechtlichen Anforderungen des Gemeinsamen Marktes gerecht werden.
Darüber hinaus wird zu prüfen sein, ob die Anforderungen an den freien Welthandel, der ja nicht nur den Handel mit Waren, sondern auch den mit Dienstleistungen umfaßt, erfüllt sind. Kein Land der Welt ist so wie die Bundesrepublik Deutschland auf den freien Welthandel angewiesen. Restriktionen im eigenen Land haben automatisch zur Folge, daß andere Länder für ihre Märkte oder für einzelne Marktsegmente Beschränkungen einführen, die wiederum unsere Exportwirtschaft treffen.
Die Deutsche Bundespost darf im Welthandel keine Oase des Protektionismus sein, sondern muß sich mit ihren Dienstleistungen dem Wettbewerb und dem Markt voll öffnen. Wir sind sicher, daß die Deutsche Bundespost den Wettbewerb nicht zu scheuen braucht. Sie hat hochqualifizierte Mitarbeiter, sie ist technisch und finanziell gut gerüstet. Ich verstehe



Funke
auch den Kleinmut der Sozialdemokraten, der Gewerkschaften und mancher anderer Protektionisten — da sehe ich in die richtige Richtung — überhaupt nicht. Der freie Wettbewerb am nationalen und am europäischen, ja, am Weltmarkt hat die deutsche Wirtschaft groß und stark werden lassen. Wir Freien Demokraten werden daher bei den Beratungen des Gesetzes darauf dringen, daß weitere Möglichkeiten des Wettbewerbs eröffnet werden.

(Paterna [SPD]: Sie können ja einmal das Mehrheitswahlrecht einführen, um euch wettbewerbsfähiger zu machen!)

Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede am 7. September zu Recht darauf hingewiesen, daß wir im Hinblick auf den Gemeinsamen Markt unsere Hausaufgaben zu machen haben, um 1992 auch in der obersten Liga in Europa mitspielen zu können.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109402800
Herr Abgeordneter, eine weitere Inanspruchnahme der Redezeit der FDP geht auf Kosten Ihres Kollegen Richter.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1109402900
Um an oberster Stelle in der Profiliga mitspielen zu können und uns nicht plötzlich in der Amateurliga wiederzufinden,

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Aber da sind Sie doch längst drin!)

brauchen wir Wettbewerb für die Post. Das Gesetz ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Bei diesem ersten Schritt darf es jedoch nicht bleiben. Wir sollten diesen Weg konsequent fortsetzen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109403000
Das Wort hat der Abgeordnete Paterna.

Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1109403100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es nach Einschätzung des Herrn Bundeskanzlers heute mit einem der vier wichtigsten Reformvorhaben dieser Legislaturperiode zu tun. Wenn das so ist, dann schaue ich einmal auf die Regierungsbank und frage: Ei, wo ist der Bundeskanzler denn bei einem der vier wichtigsten Reformvorhaben dieser Legislaturperiode? Offenbar zieht er mit der Kamelkarawane außerhalb dieses Hohen Hauses weiter. Wo ist denn der Herr Finanzminister, wenn es um Milliarden öffentlicher Mittel, um gravierende haushaltsrechtliche Fragen geht? Er ist nicht da.

(Roth [SPD]: Er hat nicht einmal einen seiner vielen Staatssekretäre hier!)

Wo ist der Justizminister

(Bundesminister Dr. Bangemann: Was wollen Sie denn? Ich bin doch hier!)

— Sie wachen wieder auf, vielen Dank —, der eine ganze Reihe verfassungsrechtlicher Bedenken intern eingebracht hat? Der einzige, der da ist und fröhlich dreinschaut, ist der Wirtschaftsminister.

(Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

Das, lieber Herr Postminister, sollte Ihnen eigentlich
zu denken geben, denn aus vieler gemeinsamer Arbeit in diesem Parlament und im Postverwaltungsrat wissen Sie, daß die Post vom Wirtschaftsministerium unter, grundsätzlich abgesichert, immer liberaler Führung

(Dr. Solms [FDP]: Wird die Post nach vorn getrieben!)

ständig am Markt behindert worden ist. Wenn dieser Wirtschaftsminister von dieser Partei mit Ihrem Reformwerk zufrieden ist, sollten bei Ihnen die Alarmglocken läuten.

(Beifall bei der SPD)

Ich will die Abwesenheit aller anderen Kabinettsmitglieder gar nicht weiter kommentieren. Der Bauminister, der auch Strukturminister ist, sollte vielleicht auch einmal in den Gesetzentwurf gucken; denn hier geht es auch um Strukturpolitik. Selbst Frau Süssmuth könnte mit Genuß diesen Gesetzentwurf studieren. Dann würde sie feststellen, daß im Hause Schwarz-Schilling andere als männliche Vorstandsvorsitzende, männliche Aufsichtsratsvorsitzende überhaupt nicht denkbar sind. Gucken Sie sich Ihre Formulierungen einmal an.
Herr Minister, wir sagen ja zu mehr Kundenfreundlichkeit und weniger Bürokratie bei der Post, zu noch zuverlässigeren Diensten, zu flexiblerem Service, zu besser motiviertem Personal, zur Dezentralisierung der Verantwortung, zu mehr Kostenbewußtsein, zu größerer Unabhängigkeit von anderen Ministerien und größeren Ermessensspielräumen im öffentlichen Dienstrecht. Es soll nicht einfach alles so bleiben, wie es ist.
Aber dieser Gesetzentwurf ist kommunal- und länderfeindlich, ist bürgerfeindlich, ist gewerkschafts-, personal- und mittelstandsfeindlich.

(Widerspruch des Abg. Pfeffermann [CDU/ CSU])

Schauen Sie sich mal an, von wo der Beifall kommt. Er kommt ausschließlich vom BDI, vom DIHT, von Großkunden, insbesondere den Banken und Versicherungen, von Computer- und Büromaschinenherstellern und von ausländischen Möchtegernkonkurrenten.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das ist verdächtig!)

Weder die Regierungskommission Fernmeldewesen — Herr Minister, das wissen Sie doch ganz genau — noch Sie selbst haben bisher nachweisen können, daß es für diese Art von Reformwerk einen Bedarf gibt. Von allen Seiten wird doch eingeräumt, daß die technologische Qualität und die Dienstleistungsqualität der Deutschen Bundespost derzeit im internationalen Vergleich führend sind. Die Begründung für die Reform wird ausschließlich aus Erfordernissen der Zukunft, auf die man sich vorzubereiten habe, abgeleitet.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das auch richtig!)

Die angebliche Notwendigkeit für dieses Poststrukturgesetz bleibt bis heute eine unbewiesene Behauptung, gespeist vor allem aus ideologischen Ergüssen über die angeblich segensreichen Wirkungen von weniger Staat und mehr Markt, ganz unabhängig davon, ob diese Philosophie, die für manche Bereiche durch-



Paterna
aus richtig ist, auf die Telekommunikation und auf Dienste für die Allgemeinheit, auf Bereiche der Grundversorgung und Daseinsvorsorge, überhaupt anwendbar ist.
Unsere Befürchtung ist, daß bei dieser Wirtschaftsideologie auf dem Telekommunikationssektor mittel-und langfristig ähnliche Schäden eintreten werden wie auf dem Verkehrssektor: Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste, Rosinenpickerei der privaten Konkurrenz auf gewinnbringenden Sektoren, Lückenbüßerfunktion für das staatliche Unternehmen zu Lasten der Steuerzahler. zu Lasten der Bedienungsqualität in ländlichen Räumen, zu Lasten der Beschäftigten und ihrer Arbeitsplätze.

(Beifall bei der SPD)

Ich gehe davon aus, daß auch aus unserer Sicht wünschenswerte Verbesserungen des Post- und Fernmeldewesens keine grundsätzlichen Änderungen bewährter Strukturen erfordern. Nachdem wir uns aber über diese Fragen über mehrere Jahre öffentlich und intern auseinandergesetzt haben und es nicht erreicht haben, Sie von Ihren grundsätzlichen Plänen abzubringen, müssen wir Sozialdemokraten uns angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause nun nach der ersten Lesung natürlich nicht nur um beste Lösungen kümmern, sondern in zweiter und dritter Linie wenigstens um Schadensbegrenzung bemüht sein. Mit anderen Worten: Wir werden die Ausschußberatungen intensiv auch mit systemimmanenter Kritik begleiten, ohne unsere grundsätzlichen Bedenken gegen die vom Postminister forcierte Richtung aufzugeben.
Ich wiederhole deshalb hier nicht noch einmal im einzelnen die Begründungen für unsere Grundsatzkritik. Ich beschränke mich vielmehr in meinem nachfolgenden Teil auf Hinweise und Fragen, die auch von den Koalitionsfraktionen gründlich zu bedenken sind. Ich freue mich, daß sowohl der Kollege Pfeffermann als auch der Kollege Funke — ich bin unterrichtet: auch der Kollege Linsmeier nach mir — signalisiert haben, daß hier seitens der Koalition durchaus Bereitschaft besteht, konstruktiv und kritisch diesen Gesetzentwurf in den nächsten Monaten mit uns zu beraten.
Nicht unerwähnt bleiben darf allerdings, Herr Minister, daß der Gesetzentwurf in der vorgelegten Form ein Dokument des Wortbruchs ist. Die von Ihnen immer wieder versprochene Einheit des Post- und Fernmeldewesens wird durch die Zerlegung in drei selbständige Unternehmen faktisch aufgegeben. All die Klammern, die sich hier und da noch im Gesetz finden, dienen in erster Linie der Täuschung der Öffentlichkeit und der Beschäftigten.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Die von Ihnen zunächst immer versprochene — lesen Sie einmal Ihre eigenen Texte nach — uneingeschränkte Netzträgerschaft der DBP wird inzwischen in zwei zukunftsträchtigen Bereichen durchbrochen. Weder die von Ihnen als notwendige Voraussetzung für den Erfolg Ihrer Reform geforderte Unabhängigkeit von anderen Ministerien haben Sie durchgesetzt noch die für solche Wettbewerbsstrukturen erforderlichen Ermessensspielräume im öffentlichen Dienstrecht tatsächlich erreicht.
Als ebenso leere Versprechungen werden sich Ihre Beteuerungen erweisen, die Dienstleistungsqualität der Postdienste bliebe erhalten und die ländlichen Räume würden nicht benachteiligt. Das sind unbewiesene Behauptungen. Jeder, der von diesem Geschäft etwas versteht, weiß, daß, selbst guten Willen vorausgesetzt, so etwas in diesen Strukturen überhaupt nicht zu halten ist. Denn, Herr Kollege Pfeffermann, es nützt nichts, ins Gesetz hineinzuschreiben, daß ein Finanzausgleich zwischen Diensten und Unternehmen stattzufinden hat, wenn Sie kein Geld dafür haben. Einem nackten Mann können Sie nicht in die Tasche fassen.

(Beifall bei der SPD)

Das wird die Situation sein, mit der wir es in der nächsten Zeit zu tun haben.
Es wird viel zur Begründung herangezogen durch Hinweise auf die USA, auf die EG, auf mehr Markt und dergleichen mehr. Ich will mich hier mit diesen Argumenten nicht im einzelnen auseinandersetzen.

(Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Aus gutem Grund!)

Das ist ein weites Feld. — Nein. Wissen Sie: Das EG-Argument nehme ich ja ernst. Aber was mir nicht paßt, ist, daß ständig von Liberalisierung die Rede ist. Von Harmonisierung merkt man überhaupt nichts. Es gibt andere Politikfelder, nämlich die der Sozialpolitik, der Arbeitnehmerrechte, der Gesellschaftspolitik, demokratischer Strukturen, Bürgerrechte, Datenschutz, Umweltschutz, Kulturpolitik, die eigenständige Zielsetzungen haben und die nicht nur ein Anhängsel der Wirtschaftspolitik sind und immer nur als Hemmnis für den freien Fluß von Kapital und Waren eingestuft werden dürfen. Wenn das ein Europa der Krämerseelen werden sollte, sind wir nicht dabei. Da haben wir andere Vorstellungen.

(Beifall bei der SPD)

Die Mängel des Gesetzentwurfs in der vorliegenden Fassung auch nur annähernd aufzuzählen, reicht die Zeit nicht. Ich beschränke mich auf exemplarische Beispiele. Ich tue dies, um keine unnötige Schärfe in die Debatte hineinzubringen, in Frageform und bitte das entsprechend in die Ausschußberatungen einzuführen.
Da gibt es eine Fülle von unbestimmten Rechtsbegriffen, die im Gesetz herumgeistern und die man analysieren muß.
Herr Minister, was ist der Unterschied zwischen politischen und hoheitlichen Aufgaben? Diese beiden Begriffe stehen im Gesetzentwurf, aber keiner weiß, wodurch diese sich eigentlich unterscheiden.

(Rixe [SPD]: Das weiß er selber nicht!)

Wie nimmt die Deutsche Bundespost z. B. ihre unternehmerischen und betrieblichen Aufgaben im internationalen Bereich wahr? Darf sie das nach der Verfassung eigentlich? Wenn ja: in welchem Umfang? Wenn nein: Was bedeutet denn das für internationale Wettbewerber auf deutschem Boden? Was bedeutet die Unterteilung in nationalen und internationalen



Paterna
Bereich für unser besonderes Verhältnis mit der DDR? Das ist völlig ungeklärt.
Wo ist geregelt, welche Dienste welchem der drei Unternehmen zugewiesen werden, am Anfang und in Zukunft, wenn neue Dienste entstehen? Dazu steht nichts im Gesetz.
Wie legt der Minister die mittel- und langfristigen Ziele für die Unternehmen fest? Es steht nur drin, daß er das tut. Aber auf welche Weise bei der Festlegung der Ziele — das ist wohl ein wichtiger Vorgang — die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat beteiligt werden, das bleibt offen. Auf welche Weise geschieht eine solche Festlegung? Durch Rechtsverordnung, durch Presseerklärung, durch Weisung an die Direktionen, oder wie soll das eigentlich gehen? Dazu steht nichts im Gesetz.
Betreffen Verordnungen nach § 26 nur das Rechtsverhältnis zwischen der DBP und ihren Kunden oder auch das Rechtsverhältnis zwischen den privaten Anbietern und ihren Kunden? Geht das auf dem Wege überhaupt, den Sie da vorsehen? Was hat das für Konsequenzen? Sind die finanzwirtschaftlichen Übergangsbestimmungen mit EG-Recht vereinbar? Wie werden die ganzen Fachbegriffe, die so klar zu sein scheinen, aber in Wirklichkeit — das wissen Fachleute — nicht klar sind, im Fernmeldeanlagengesetz genau definiert: Netz, Funkanlagen, Endeinrichtungen, Fest- und Wählverbindungen, Vermittlungstechnik? All das ist nicht so präzis, wie es auf den ersten Blick erscheint, und bedarf in den Ausschußberatungen der Präzisierung.
Es wird behauptet, wir seien alle gegen Rosinenpikkerei. Aber wie sie tatsächlich verhindert wird, steht nicht im Gesetzentwurf. Wie erfolgt tatsächlich die Sicherung technischer Mindeststandards, die wir alle wollen? Wie wird's gemacht? Wie wird Datenschutz gewährleistet sowohl bei der DBP wie bei privaten Konkurrenten? Wie werden die Belange innerer und äußerer Sicherheit bei den privaten Telekommunikationsanbietern eigentlich gewährleistet? Wie gibt es eine effiziente Kontrolle der Einhaltung von Konzessionsbedingungen usw.?
Was bedeutet zum Beispiel die Definition der Oberpostdirektionen als einheitliche Behörden der Mittelstufe? Wie paßt die Beibehaltung der OPDen eigentlich logisch in Ihr Dreiteilungskonzept? Wie soll das dort praktisch umgesetzt werden? Wie sollen auf OPD- und Ämterebene Hoheit und Betrieb eigentlich wirklich voneinander getrennt werden? Das müssen Sie uns dann alles einmal im Detail sagen.
Ich will mich abschließend nur noch mit zwei mir besonders wichtigen Fragenkomplexen ein wenig genauer beschäftigen. Der Kollege Bernrath sagt ja noch etwas zum Öffentlichen Dienst und die Kollegin Faße zu den besonderen Problemen für die Beschäftigten und die ländlichen Räume; der Kollege Börnsen hat bereits zur Technologiepolitik grundsätzliche Ausführungen gemacht. Ich will noch eine Reihe von Fragen zu den Bereichen Datenschutz und Verfassungsrecht stellen.
Zum Datenschutz. Welche zusätzlichen personenbezogenen Daten fallen im dienstintegrierten digitalen Telekommunikationsnetz eigentlich im Vergleich zum bisherigen analogen Betrieb an? Erfüllt die Verordnungsermächtigung betreffend datenschutzrechtliche Regelungen die Anforderungen von Art. 80 des Grundgesetzes in dessen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht? Können und sollen solche Verordnungen auch die Wettbewerber der Telekom in gleicher Weise binden? Soll und kann auf dem Verordnungsweg der Schutz von Kunden- und Arbeitnehmerdaten in digitalen privaten Nebenstellenanlagen eigentlich gesichert werden? Erfordert nicht die Sicherung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung eine Regelung durch den Gesetzgeber statt durch den Verordnungsgeber?
Wie grenzt die Bundesregierung definitorisch eigentlich neue Telekommunikationsdienste als Fernmeldedienste in der Zuständigkeit des Bundes bzw. als neue Medien — das wäre dann in der Regelungskompetenz der Länder — gegeneinander ab? Sie tun so, als sei das alles klar. Aber Sie wissen ganz genau, daß bei Bildschirmtext ein nicht ausgetragener, bereits jahrelanger Konflikt da ist. Und irgendwann muß man sich wohl bequemen, diesen Konflikt zu lösen. Man kann nicht so tun, als gäbe es ihn gar nicht. Was folgt daraus für die Abgrenzung der Kontrollbefugnisse des Bundesdatenschutzbeauftragten gegen die der Landesdatenschutzbeauftragten? Was folgt daraus für die Abgrenzung der Befugnisse der Kontrollgremien nach Art. 10 des Grundgesetzes? Hier geht es immerhin um ein so hohes Rechtsgut wie den Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Können privaten Anbietern von Mehrwertdiensten eigentlich verbindliche Auflagen gemacht werden, nach denen diese Schutzrechte gewährleistet sind? Wer kontrolliert die Einhaltung dieser Auflagen? Wer ist Genehmigungs- und Kontrollbehörde? Das ist alles nicht geregelt. Das muß alles geklärt werden.
Zum Verfassungsrecht frage ich: Sind die Leitungsgrundsätze eigentlich so hinreichend bestimmt, um daran politische Kontrolle anzuknüpfen und als Ermächtigung für Verordnungen zu dienen? Die Generalermächtigung für sich selber, die Sie sich in den Gesetzentwurf geschrieben haben, die mittel- und langfristigen Ziele für die Unternehmen festzulegen, erscheint mir politisch wie verfassungsrechtlich problematisch: ohne Beteiligung der Bundesregierung, ohne Beteiligung des Bundestags oder des Bundesrats und ohne Festlegung, auf welche Weise diese Leitungsgrundsätze eigentlich in die Wirklichkeit umgesetzt werden und wie sie vollzogen werden.
Zu prüfen ist, ob die Ermächtigung durch den Gesetzgeber, die Bundesregierung könne Infrastrukturleistungen, besonderes öffentliches Interesse, Gründe der Daseinsvorsorge auf dem Verordnungsweg definieren, hinreichend bestimmt ist. Ich darf Sie daran erinnern, daß im Postverwaltungsrat von rechts bis links in der Politik, von den Personalvertretern bis zu den Wirtschaftsvertretern Einigkeit darüber bestand, daß solche Begriffe wie „Infrastruktur" und „gemeinwirtschaftliche Aufgaben" im Gesetz definiert werden müssen und nicht von Ihnen freihändig interpretierbar sind.

(Beifall bei der SPD)

Da Verordnungen der Bundesregierung betreffend wesentliche Strukturen der Pflichtleistungen und Ent-



Paterna
geltregelungen erhebliche finanzielle Auswirkungen haben können und es mit dem Hinweis auf den gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleich überhaupt nicht getan sein wird, ist zu prüfen, ob hier nicht Etatrechte des Parlaments verletzt werden. Gegen die Bestimmung, daß der BMPT zwar Auskünfte und Unterlagen von Vorständen und Aufsichtsräten verlangen und Wirtschaftlichkeitsprüfungen veranlassen kann, eine — jetzt zitiere ich das Gesetz einmal wörtlich — „Weiterleitung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse aber nur unter Berücksichtigung der Interessen der Unternehmen zulässig ist", melde ich verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Bedenken an.
Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß der Minister entscheidet, ob eine Information an Dritte dem Unternehmen schadet oder nicht. Wenn Sie zu dem Schluß kommen, es schadet dem Unternehmen, dann sagen Sie nichts; dann sagen Sie unter Umständen schon Ihren Ressortkollegen in der Bundesregierung nichts, dann sagen Sie dem Parlament nichts, dann sagen Sie der Öffentlichkeit nichts, dann sagen Sie dem Aufsichtsrat nichts. Das kann ja wohl nicht die Form demokratischer Strukturen und Kontrolle sein, die wir uns vorstellen.
Ich spreche die Mitwirkungsrechte der Länder an. Sie haben vorhin in Ihrer Eingangsrede eine sehr verräterische Formulierung gebraucht — ich habe es mitgeschrieben —: „Wir haben den Ländern eingeräumt" . — Von Gottes Gnaden sozusagen haben Sie ihnen ein ganz klein bißchen Zuckerbrot rübergeschoben. Aber die wesentlichen Punkte, die die Ministerpräsidenten der Länder Ihnen gegenüber einstimmig reklamiert haben und die zum Teil auch im Bundesrat mit großer Mehrheit gefordert worden sind, haben Sie untergebügelt. Das mag im Bundesrat aus partei- und koalitionspolitischen Gründen noch gutgehen, aber ich warne Sie, daß solche Rechte nicht beliebig zur politischen Manipulationsmasse gemacht werden dürfen. Sie können durch eine Organklage in Karlsruhe mit ihrem Gesetz sehr fix auf den Bauch fallen.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich denke, wir haben ein gemeinsames Interesse daran, so etwas zu verhindern.
Dieses sind Fragen — glauben Sie mir: Ich könnte seitenlang so fortfahren —, die nicht aus der Sicht desjenigen gestellt sind — das nehmen Sie mir bitte ab —, dem die ganze Richtung nicht paßt, sondern es sind Fragen, die auch von denjenigen beantwortet werden müssen, die dieses Gesetz so oder ähnlich wollen.
Ich denke, wir haben im federführenden Ausschuß und in den acht mitberatenden Ausschüssen eine Menge zu tun. Die SPD ist zu dieser konstruktiven Arbeit bereit; das sage ich Ihnen hier ausdrücklich zu. Auch was die Zügigkeit der Beratungen anlangt haben Sie, denke ich, aus den bereits getroffenen gemeinsamen Absprachen nicht den Eindruck gewinnen können, als setzten wir hier etwa auf Verzögerungstaktiken. Die Beratung muß zügig, aber gründlich erfolgen.
Wir erwarten von den Koalitionsfraktionen, daß sie ihrer verfassungsmäßigen Aufgabe zur Kontrolle der Regierung in gleicher kritischer und konstruktiver
Weise genügen. Ich denke, es bleibt viel zu tun; pakken wir es an, in Wahrnehmung der berechtigten Interessen aller Gruppen in unserer Gesellschaft, in Stadt und Land.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109403200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Linsmeier.

Josef Linsmeier (CSU):
Rede ID: ID1109403300
Frau Präsident! Meine sehr geeehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es mir eigentlich immer zur Aufgabe gemacht, alles, was von dieser Stelle aus gesagt wird, ernst zu nehmen. Ich habe es mir auch immer zur Aufgabe gemacht, davon auszugehen, daß das, was jede Kollegin und jeder Kollege hier sagt, zumindest aus ihrer bzw. seiner Sicht ein Stück Realität ist und ihrer bzw. seiner Sicht der Dinge entspricht. Ich habe bisher immer unterstellt, daß die Kollegin bzw. der Kollege dafür einen vernünftigen Grund hat.
Aber bei dem, was uns der Kollege von den GRÜNEN hier vorhin geboten hat, Herr Kollege,

(Zuruf des Abg. Pfeffermann [CDU/CSU])

habe ich wirklich Schwierigkeiten, das, was ich mir hier vorgenommen habe, aufrechtzuerhalten. Meine Sicht dieser Bundesrepublik, der Situation, in der wir leben, ist eine völlig andere. Es mag ja noch angehen, daß wir unterschiedliche Sichtweisen haben. Aber diese Art des extremen Behandelns, diese Art der Einseitigkeit ist für mich nur noch sehr, sehr schwer erträglich. Und das wollte ich einfach nicht so im Raum stehenlassen und im Sinne eines Bemühens, daß man auch den anderen sieht, hier gesagt haben. Ich hoffe, wir können da irgendwann noch einmal zu anderen Positionen kommen.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Aber nicht bei dem betroffenen Herrn! — Dr. Briefs [GRÜNE]: Sie machen es doch für die andere Seite genauso, Herr Kollege Linsmeier!)

Dazu paßt natürlich auch — und, Kollege Börnsen, das geht in deine Richtung — , daß man all das, was man selber für richtig hält, immer für sachlich fundiert, für geistig und theoretisch einwandfrei und für eine ganz besondere intellektuelle Leistung hält

(Bernrath [SPD]: Wie soll es anders gehen?)

und dann andererseits all das, was ein anderer unter diesem Aspekt in Anspruch nimmt, als Ideologie abzutun versucht.

(Paterna [SPD]: Der Postminister färbt auf uns selbst ab! — Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

— Also, daß auf den Kollegen Paterna überhaupt etwas abfärben kann, ist ja an sich schon hoffnungsvoll.
Meine Damen und Herren, nach diesen Vorbemerkungen möchte ich, zum Zentralbereich dieses Tages kommend, doch sagen, daß eigentlich von allen hier, und zwar von allen Parteien und auch draußen von den Gewerkschaften, von den Bürgern, in der Stadt und auf dem Lande, die besondere Bedeutung dieser



Linsmeier
Deutschen Bundespost anerkannt wird. Sie ist das größte europäische Dienstleistungsunternehmen, sie verfügt über einen hohen technischen Standard, sie trägt weitreichende sozialstaatliche Verantwortung. Sie nimmt heute und auch künftig neben den marktwirtschaftlichen Aufgaben hoheitliche Aufgaben wahr. Sie ist der größte Investor in der Bundesrepublik Deutschland. Alles, was wir mit dem Poststrukturreformgesetz angehen, kann und will dies nicht im Negativen verändern, sondern auf Dauer sicherstellen. Das ist die Zielrichtung des Gesetzes.
Die Poststrukturreform wird sich deshalb auch im Rahmen der Vorgaben, auch der Vorgaben des Grundgesetzes, bewegen. Es gibt keine Zerschlagung der Deutschen Bundespost; es gibt keine Privatisierung der Post; es gibt keine Infrastrukturlücken draußen im flachen Land,

(Zuruf von der SPD: Na!)

und es wird keine Benachteiligung des flachen Landes geben.

(Zuruf von der SPD: Na, na! — Weitere Zurufe von der SPD)

Und es wird am Ende — nach Bestehen des Wettbewerbs — auch kein Austrocknen der Deutschen Bundespost geben.
Dies alles sind doch Schlagworte, die draußen im Kampf verwendet werden, auch möglicherweise — der Kollege Pfeffermann hat das ja in einigen Details dargestellt — im Kampf um die Macht gegen den Minister, gegen uns und gegen die Koalition verwendet werden. Aber das hat doch mit der Realität dessen, was sich hier abspielt und was hier aufgebaut wird, nichts zu tun. Vielmehr wird hier das Bild des Weißen Haies verwendet,

(Zuruf von der SPD: Och!)

der ein Telefon verschlingt. Man weckt damit Ängste bei den Bürgern und bei den Mitarbeitern der Deutschen Bundespost. Hier wird ein Phantom aufgebaut, um dann hinterher gegen genau dieses Phantom, das man selbst aufgebaut hat, trefflich streiten zu können. Mit der Poststrukturreform, so wie sie sich heute darstellt, hat dies alles nichts mehr zu tun.
Dabei knüpfe ich — dies weiterführend — schon daran an, daß wir heute natürlich nicht mehr über den ersten Entwurf und die ersten Konzeptionen und auch nicht über den Bericht der Regierungskommission diskutieren.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: So ist das!)

Das muß man natürlich auch in diesem Zusammenhang klar sehen. Wir diskutieren heute vielmehr über die Vorlage der Bundesregierung. Wir halten diesen Entwurf, so wie er vorliegt, für so ausgereift, daß er dem Parlament wirklich zur Beratung vorgelegt werden kann. Dieses Stadium ist erreicht.
Ich bin außerordentlich dankbar, daß der Bundespostminister und das gesamte Kabinett die Kraft und die Nachhaltigkeit gehabt haben — Herr Minister, alle hier im Raume wissen es ja: auch die CSU hat es Ihnen dabei ja nicht immer nur leichtgemacht — , auf diesen Weg zu kommen. Es war aber insgesamt, glaube ich, doch ganz hilfreich, daß wir heute dahin gekommen sind. Ich sage hier ausdrücklich Dank und Respekt, daß Sie das so durchgestanden haben, daß wir den Entwurf heute vorliegen haben. Das hätte manch anderer nicht ausgehalten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gegenüber dem Referentenentwurf kommt die Einheit des Post- und Fernmeldewesens schon heute im Direktorium durch eine gemeinsame Unternehmensführung sowie durch die verbindliche Festlegung des internen Finanzausgleichs zum Ausdruck. Die Geldmittelsteuerung ist in jedem Unternehmen die zentrale Führungssteuerung. Wenn dies im Direktorium stattfindet, ist es mehr als nur ein Flachdach, das ist schon ein starkes Dach. Wir werden uns noch zu überlegen haben, wo wir dieses Dach vielleicht noch ein bißchen verstärken können. Das wird noch zu diskutieren sein. Es ist aber die richtige Tendenz vorhanden.

(Paterna [SPD]: Die Flachdächer haben den Nachteil, daß man nie weiß, wo es leckt! Das ist das Problem!)

— Ich war einmal im Bauausschuß, Herr Kollege. Man muß schon einmal zwischen Warmdach und Kaltdach unterscheiden, dann können wir technisch weiterdiskutieren.
Wir haben dafür Sorge zu tragen, daß die Einflußmöglichkeiten des Bundesrates und der Bundesregierung als Ganzes auf die grundlegenden Entscheidungen der Post gestärkt werden. Wir haben aber gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, daß die Politik nicht in die Einzelentscheidungen eingreift. Es wird ein sehr schwieriger Abwägungsprozeß werden, wie es in der Struktur abzulaufen hat. Es sind sicher auch Einzelentscheidungen der Politik sachgerecht. Nur, die Sachgerechtigkeit des Politikers ist sicher eine andere als die des Unternehmensführers.
Soweit also Infrastrukturleistungen und Pflichtleistungen der Post im besonderen öffentlichen Interesse liegen, vor allen Dingen aus Gründen der Daseinsvorsorge geboten sind, muß die Politik die haushalts- und strukturpolitische Verantwortung weiterhin tragen. Das Poststrukturgesetz wird erstmals — das ist ein Punkt, auf den ich nachdrücklich hinweisen will — den Infrastrukturauftrag der Post im Gesetz verankern.
Während der ersten Konzeptionen sollte das Postmonopol im Telefonbereich bekanntlich alle drei Jahre einer Überprüfung zugeführt werden. Das ist im jetzigen Gesetzentwurf ausdrücklich nicht mehr vorgesehen. Eine Dreijahresfrist wäre, wenn man überhaupt eine Frist wollte, schon von den Investitionsabläufen her ganz ungeeignet. Sie ist jetzt aber überhaupt nicht mehr enthalten. Das heißt, hier hat der Gesetzentwurf — so er Gesetz wird; daran habe ich keinen Zweifel — langfristig das Postmonopol im Telefonbereich gesichert und über die technischen Bedingungen und Entwicklung dynamisiert.
Die Dienstgüte und der Dienstumfang der heutigen Postversorgung sind aufrechtzuerhalten. Nach der verbindlichen Erklärung des Ministers werden die Dienstleistungen der Post nicht eingeschränkt, nicht verändert und nicht neu definiert, bis die Pflichtlei-



Linsmeier
stungen der Post unter Mitwirkung des Bundesrates verbindlich festgelegt worden sind. Herr Minister, Sie haben erklärt, daß diese Klarstellung, an deren Verantwortlichkeit und an deren Glaubwürdigkeit wir überhaupt nicht zweifeln, die aber als Kabinettserklärung nicht justitiabel ist — das ist der Punkt, denn es geht hier ja nicht nur um uns, sondern auch um die draußen — , in die Übergangsbestimmungen des Poststrukturgesetzes eingebaut werden wird, und damit ist dieses Petitum für uns erledigt.
Meine Damen und Herren, niemand verhehlt, daß es im Rahmen dieser Strukturreform noch Bereiche gibt, die einer weiteren Erörterung und Durchleuchtung bedürfen. Hier ist unser aller Engagement gefordert, auch die Offenheit, aufeinander zuzugehen und aufeinander zu hören. Wir werden uns auch nicht scheuen, in die anstehenden Beratungen weiteren hochqualifizierten externen Sachverstand einzubeziehen.

(Sehr gut! bei der SPD)

Die Öffnung eines Unternehmens mit über 500 000 Beschäftigten für den Wettbewerb, die Stellung dieses Unternehmens im Wettbewerb und die Berücksichtigung neuer Aufgabenstellungen im Management und in der Technik rechtfertigen und verlangen intensive Vorüberlegungen und Beratungen. Für konstruktive Anregungen sind wir offen. Lieber überprüfen und erörtern wir in den anstehenden Beratungen eine Frage zweimal, als daß wir einmal eine falsche Entscheidung treffen.
Im Bereich des Mobilfunks sieht die vorliegende Konzeption Ausnahmen vom Netzmonopol vor. Wir werden zu prüfen haben, welche Auswirkungen eine Liberalisierung in diesen Bereichen auf die mittel- und langfristige Finanzsituation der Post insgesamt hat. Meiner Meinung nach wäre es besser, generell zu sagen — darauf müßte man sich, so glaube ich, eigentlich auch mit den Kollegen von der FDP einigen können — : Ordnungspolitisch gehört das Netz in den öffentlichen Sektor, ordnungspolitisch ist das Netz eine öffentliche Aufgabe, und wir wollen keinen Wettbewerb um das Netz oder um Netze. In den privaten Sektor gehören die Endgeräte sowie die Dienstleistungen und der Wettbewerb auf den Netzen. Auch das ist, wie ich glaube, ordnungspolitisch eine schlüssige Argumentation.
Aber es kommt noch die pragmatische Argumentation hinzu, daß diese Bereiche im Mobilfunk keine Randbereiche sind, sondern wohl die Wachstumsbereiche der Zukunft. Von daher stellt sich auch unter dem pragmatischen Aspekt, wie dieses Unternehmen in einigen Jahren aussehen wird, die Frage: Was passiert, wenn wir den Netzbereich in diesem sogenannten Randbereich auflösen?

(Bernrath [SPD]: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, zwischenzeitlich ist mir — wie ich sehe, noch bevor die Frau Präsidentin mich aufgefordert hat, zum Schluß zu kommen — die Zeit weit davongelaufen.

(Bernrath [SPD]: Aber es war schon gut!)

Deshalb möchte ich unter Abweichung vom Manuskript nur noch auf eine Frage eingehen, nämlich auf
die der Marktwirtschaft bzw. der sozialen Marktwirtschaft. Es gibt in diesem Bereich konkurrierende Systeme rund um die Welt. Herr Kollege Briefs, Sie haben heute einmal gesagt: genau hinschauen. Wir haben die Möglichkeit, rein empirisch zu erkennen, was für den einzelnen das bessere System ist. Sie haben uns vorgeworfen, das alles sei ganz inhuman.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Vieles!)

Ich möchte es empirisch einmal auf einen ganz einfachen Nenner bringen: Es gibt eine Zentralverwaltungswirtschaft, in der die Menschen nach den Waren anstehen.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Wir sind hier doch nicht in einem Proseminar!)

Hier in unserer Wirtschaft warten die Waren, daß sie von den Menschen gekauft werden.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Und von den Sozialhilfeempfängern!)

Ich frage mich, was von den beiden ist für die Menschen humaner.
Herzlichen Dank.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109403400
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Bangemann.

Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID1109403500
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

(Zuruf von der SPD: Jetzt muß er reden!)

— Ja, Sie haben schon verschiedentlich meine Anwesenheit hier verlangt als ich nicht konnte, und jetzt bin ich einmal da, jetzt sind Sie auch nicht zufrieden.

(Zuruf von der SPD: Doch!)

Die Poststrukturreform gehört in der Tat in die Reihe der anspruchsvollen und notwendigen Strukturreformen, die die Bundesregierung betreibt, um der Bundesrepublik in der zukünftigen Wettbewerbsgesellschaft des europäischen Binnenmarktes aber auch in der Welt zu einem Platz zu verhelfen, auf dem sie den Spitzenplatz verteidigen kann, den sie heute schon erreicht hat.
Es gibt deswegen im Post- und Telekommunikationswesen gar keine Wahl zwischen Strukturveränderung und Strukturerhaltung. Wer die bestehenden unbeweglichen Strukturen erhalten will, sei es durch ein nein zu diesen Reformvorschlägen oder durch Änderungswünsche, die die Reform in ihre Wirksamkeit bringen würden, der schadet dem Produktionsstandort Bundesrepublik. Es ist auch völlig unsinnig, einerseits zwischen der Wirtschaft — wie das verschiedentlich hier gemacht worden ist — und andererseits dem Verbraucher oder zwischen den Unternehmen und den dort Beschäftigten einen künstlichen Unterschied zu machen.
Die Wirtschaft ist ein Instrument, das für den Verbraucher arbeitet. In den Unternehmen arbeiten Menschen, die dort einen Arbeitsplatz finden müssen. Eine Wirtschaft, die wettbewebsunfähig wird, weil sie mit zu hohen Kosten für die Telekommunikation arbeiten muß, kann entweder keine Arbeitsplätze mehr zur



Bundesminister Dr. Bangemann
Verfügung stellen, oder sie kann nicht mehr den Lohn erbringen, den die einzelnen, die dort arbeiten, sich vorstellen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109403600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Dr. Briefs?

Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID1109403700
Bitte.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1109403800
Herr Bundesminister, könnten Sie konkrete Anhaltspunkte dafür liefern, daß die Struktur der Bundespost, die nun eigentlich unverändert über die letzten Jahrzehnte hin existiert hat, irgendwie die wirtschaftliche Entwicklung und insbesondere die Exportentwicklung der bundesrepublikanischen Wirtschaft beeinträchtigt hat?

Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID1109403900
Selbstverständlich kann ich das, Herr Kollege. Ich habe übrigens erst vor kurzem in einer Debatte über diese Fragen — die Kosten der Telekommunikation sind ja Produktionskosten genauso wie Lohnkosten und andere Kosten, die in die Preise eingehen — darauf hingewiesen, daß die Kosten für die Telekommunikation in der Bundesrepublik zu den höchsten Kosten in der ganzen Welt zählen. Ich habe darauf hingewiesen — allerdings ohne Nennung eines Namens, ich bin aber gerne bereit, Ihnen den Namen nachzuliefern, ich möchte das aber nicht öffentlich tun — , daß vor Jahren ein großes wichtiges Unternehmen der Telekommunikation die Bundesrepublik verlassen und sich in einem anderen Land der Europäischen Gemeinschaft niedergelassen hat, mit ausdrücklichem Hinweis darauf, daß die Kosten für die Übertragung von Daten bei uns zu hoch sind. Es gibt diese Beispiele. Deshalb würde ich Sie wirklich bitten — Sie sind ja offenbar, wie ich dem Bundestagshandbuch entnommen habe, ein Experte für Rationalisierungen, arbeiten im Moment allerdings an der Universität in Bremen — , daß Sie sich diese

(Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Briefs [GRÜNE]: Das ist eine Auszeichnung, Herr Minister!)

Beispiele einmal sehr genau ansehen.
Meine Damen und Herren, die Reformvorschläge der Bundesregierung sind deswegen das Minimum dessen, was wir brauchen, um die Post modernisieren zu können und um dazu beizutragen, daß Kommunikationsleistungen nicht mehr am Markt und an den Wünschen der Kunden vorbei produziert werden.
Markt und Wettbewerb sind nämlich Instrumente, die Kundenwünsche transportieren. Sich gegen Markt und Wettbewerb zu wehren heißt im Zusammenhang mit Post und Telekommunikation, daß man gegen die Bürger und gegen die Kundenpost ist. Markt und Wettbewerb sind die besten Mittel, um den Bürgern und den Kunden zu dem zu verhelfen, was sie sich wünschen. Das Umgekehrte, eine autoritäre Struktur, ist das Gegenteil von Kunden- und Bürgerpost.

(Paterna [SPD]: Können Sie das mal am Beispiel der Breitbandverkabelung verdeutlichen?)

— Also, Sie haben ja nicht das Beispiel mit der Breitbandverkabelung gebracht, sondern das war der neben Ihnen sitzende Kollege Börnsen. Ich habe ihm doch durchgehen lassen, daß er Investitionen und Verluste gleichsetzt. Wenn man nach diesen Maßstäben allerdings ein neues Unternehmen der Bundespost leiten würde, wenn Sie die Gelegenheit dazu hätten, wäre das allerdings eine Katastrophe.
Investitionen und Verluste kann man natürlich nicht gleichsetzen. Daß Sie aber auch noch als gelernter Schiffbauer gesagt haben, eine unmoderne Antriebsanlage beeinträchtige die Stabilität des Schiffes Post, das nehme ich Ihnen nicht mehr ab. Das muß man Ihnen auch übelnehmen; als gelernter Schiffbauer sollten Sie wissen, daß die Stabilität eines Schiffes von den Gewichten abhängt, und zwar erstens von den produktionsbedingten Verteilungsgewichten und zweitens von der Zuladung, aber niemals vom Antrieb. Aber nachdem Sie schon Investitionen und Verluste durcheinanderbringen, muß ein Schiffbauer bei der SPD wohl auch vom Schiffbau nichts verstehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109404000
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Paterna?

Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID1109404100
Erst, Frau Präsidentin, wenn mir Herr Paterna seinen Beruf mitteilt, damit ich weiß, in welchem Fach er vielleicht etwas versteht.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)


Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1109404200
Das kann ich Ihnen sehr gern mitteilen, obwohl das nach der Geschäftsordnung nicht zulässig ist. Ich bin stolz darauf, Volks- und Realschullehrer zu sein.
Jetzt möchte ich Ihnen eine Frage stellen, die ich nicht auf dem pädagogischen Seminar gelernt habe: Ist es nicht richtig, daß neue Dienste wie etwa Bildschirmtext oder neue Infrastrukturen wie die Breitbandverkabelung eben nicht über marktwirtschaftliche Mechanismen durchsetzbar sind und daß insofern Telekommunikation in vielen Bereichen etwas anderes ist als die Wirtschaftsbereiche, an die Sie denken?

Dr. Martin Bangemann (FDP):
Rede ID: ID1109404300
Nein, das ist nicht wahr. Natürlich gibt es hohe Kosten, die bei den in der Tat übermäßig hohen Investitionen anfallen und die am Anfang nicht ohne weiteres in die entsprechenden Preise umgesetzt werden können. Wenn man diese Preise genommen hätte, die bei der Verkabelung aufgetreten wären, dann wäre der Marktpreis in der Tat so hoch gewesen, daß wenigstens Anfangsschwierigkeiten aufgetreten wären, die dann natürlich zu Anlaufverlusten geführt hätten, die vielleicht im Laufe der Investition gar nicht wieder hereingekommen wären.

(Paterna [SPD]: Oder die Investition wäre gar nicht passiert!)

Der Erfolg dieser Investition hängt auch von der Breite ab. Der Kollege Schwarz-Schilling hat sich darum bemüht, daß man wenigstens in der Breite so schnell Fortschritte macht, daß es sich wieder einspielt. Der



Bundesminister Dr. Bangemann
Erfolg war davon abhängig, daß man das in der Tat zu begünstigen versucht hat.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Wo ist denn das beim Bildschirmtext der Fall?)

Geben Sie das doch zu! Sie haben davon gesprochen, daß man sich mal draußen umhören sollte. Gehen Sie doch mal in die Großstädte des Ruhrgebiets, wo sich die Oberbürgermeister der SPD alle um Anschluß an das Kabel bemühen, während Sie hier noch so tun, als ob das die größte Fehlinvestition der Geschichte der Bundespost wäre!

(Linsmeier [CDU/CSU]: Einschließlich Hamburg!)

— Sie können hingehen, wohin Sie wollen.

(Abg. Paterna [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

— Würden Sie mir gestatten, jetzt weiterzumachen? Das würde mir zwar nicht auf die Zeit angerechnet, aber ich möchte trotzdem nicht dazu beitragen, daß Sie weit über 13 Uhr hinaus debattieren müssen.
Diese Reform — das kann man zusammenfassen — schafft überhaupt erst die Voraussetzungen für eine Bürgerpost. Es ist eine Verkehrung der Tatsachen, und man stellt nun wirklich alles von den Füßen auf den Kopf, wenn man behauptet, daß sich die Struktur der Bundespost mit dieser Reform von den Wünschen der Kunden entfernt. Das Gegenteil ist der Fall, und gerade die Breitbandverkabelung beweist doch zur Genüge, daß die Verbraucher, die Kunden heute die Vorteile dieser Investition nicht nur erkannt haben, sondern sich sogar dringend darum bemühen, diese Vorteile auch praktizieren zu können.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie greifen das heute hier immer noch an. Da faßt man sich wirklich an den Kopf und fragt — —

(Paterna [SPD]: Aber, verehrter Herr Minister, die Breitbandverkabelung, von der Sie die ganze Zeit reden, hat doch mit Marktwirtschaft nichts zu tun! — Roth [SPD]: 10 Milliarden DM Subventionen! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Ich bitte sehr um Nachsicht; ich habe mich auf das Beispiel Ihres Kollegen, der neben Ihnen sitzt, bezogen, der diese Investition als Verlust bezeichnet hat. Das ist in der Tat weder marktwirtschaftlich noch betriebswirtschaftlich.
Die Vorschläge der Bundesregierung müssen aber auch in einem anderen Kontext gesehen werden. Auch deswegen habe ich mich zu Wort gemeldet und nicht, um zum Ausdruck zu bringen, daß wir als Wirtschaftsministerium damit zufrieden sein können, was wir in der Tat sind. — Da muß man überhaupt nicht den Kopf schütteln und darf nicht sagen, daß es etwas ganz Fürchterliches sei. Wenn die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland vorankommen soll, wenn wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen sollen, was Sie immer wollen, dann müssen wir Maßnahmen ergreifen, die der Wirtschaft das Leben im internationalen
Wettbewerb erleichtern. Das ist doch das Entscheidende.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Briefs [GRÜNE]: Wir sind doch Spitze!)

Deswegen hat das Ganze auch eine europäische Dimension. Das Grünbuch der Kommission war ja der Anfang dieser ganzen Bemühungen. Die Vollendung des Binnenmarktes wird die Konkurrenzvoraussetzungen der deutschen Industrie auf den Prüfstand bringen. Dazu gehören nun einmal die Kosten der Kommunikation. Wir werden in diesem Zusammenhang einer Konkurrenz gegenüberstehen, die sich im Wettbewerb und am Markt bereits bewährt. Wir werden unsere Märkte, auch die Beschaffungsmärkte, nicht mehr abschließen können. Das ist auch gut, wichtig und richtig so; denn wir sind, wie Sie alle wissen, ein Exportland.
Wir haben in diesem Jahr vermutlich wieder einen Handelsbilanzüberschuß, der von unseren Handelspartnern natürlich nicht mit großer Begeisterung begrüßt wird. Gerade in den USA ist die Öffnung des Telekommunikationsmarktes für die wettbewerbsfähigen amerikanischen Firmen ein Schlüsselproblem dafür, daß die USA weiter im Klub der freihändlerischen Länder vertreten sind. Wenn wir ihnen da, wo sie im Wettbewerb stark sind, die Möglichkeiten nehmen, bei uns aufzutreten, darf man sich nicht wundern, wenn sie eines Tages völlig protektionistisch werden. Deswegen ist es angesichts dieser internationalen Situation nicht nur nationalistisch, sondern geradezu auch kurzsichtig, hier Bedenken gegen Wettbewerb und Markt zu äußern.
Wir werden die Post so, wie sie bei uns konstruiert war, nicht halten können, und zwar aus mehreren Gründen nicht: erstens weil wir uns damit selbst einen Schaden antäten; zweitens weil das im europäischen Binnenmarkt überhaupt nicht möglich ist; drittens weil wir unseren eigenen anderen Interessen schadeten, wenn wir es täten. Denn wir würden ein Beispiel für Protektionismus als ein Land bieten, das sich Protektionismus am wenigsten leisten kann.
Deswegen ist das eine ganz wichtige Reform, die jeder hier unterstützen sollte. Wenn Sie dann die Einzelheiten in den parlamentarischen Beratungen prüfen, ist das in Ordnung. Da kann sicherlich manches auch anders gemacht werden. Herr Kollege Funke hat ja mit Recht darauf hingewiesen, die FDP würde das eine oder andere anders machen. Aber letztlich den Charakter dieser Reform zu bestreiten und ein so wichtiges Unternehmen mit emotionalen Angriffen wie „Hier wird die Bürgerpost zerschlagen" zu diskreditieren nützt niemandem, am wenigsten der Bundesrepublik.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Roth [SPD]: Nun hört es aber auf! Wer diskreditiert denn?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109404400
Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.

Hans Gottfried Bernrath (SPD):
Rede ID: ID1109404500
Frau Präsident! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Die Post macht sich fit für die Zukunft" wird der Öffentlichkeit in einer schludrig gemachten Werbeschrift des Postministers suggeriert.



Bernrath
Fragen wir — das können wir, Herr Linsmeier, ganz redlich tun; ich will das auch in ganz schlichten Worten machen —, wofür im einzelnen und wie sie sich fit machen will. Dazu ist aus dieser Schrift nichts zu erfahren. Allenfalls wird deutlich, daß es sich um einige Zauberformeln oder um Konzepte aus den 50er und 60er Jahren handeln muß.
Wesentliches Merkmal der innovativen Mittel, die der Postminister in dieser Schrift in Aussicht stellt, sind dabei eine aufwendige, unübersichtliche, zusammengestoppelte und teure Organisationsstruktur und ein Personalkonzept, das auf willkürliche Abhängigkeiten, widersprüchlich begründete Dienst- und Arbeitsverhältnisse, die eigentliche Absicht verratende Disziplinierungsmittel setzt statt auf zielgerichtete Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen.

(Beifall bei der SPD)

Nach den vorliegenden Entwürfen wird sich die Post künftig im wesentlichen mit sich selbst beschäftigen; denn statt bisher drei Aufbauebenen in einem übersichtlich gegliederten Unternehmen werden es künftig fünf sein. Die drei selbständigen Unternehmen sollen außerdem durch einen Wust unübersichtlicher, ganz und gar unpraktikabler Einzelregelungen, vor allem im betriebsmittelbaren und sozialen Bereich, zusätzlich und untereinander wieder verflochten werden. Niemand vermag dafür sachliche, einleuchtende Begründungen zu vermitteln. Jedermann gibt aber hinter vorgehaltener Hand zu erkennen, daß es der jetzigen politischen Führung der Post in diesem Zusammenhang nicht um mehr Effizienz, sondern ausschließlich um die Schwächung der Personalvertretung im weitesten Sinne, also der Personalräte und der Gewerkschaften, geht.

(Paterna [SPD]: So ist es!)

Das ist ein — das muß ich sagen — wahrhaft unternehmerisches Motiv, wohl das einzige Unternehmerische am Gesetzentwurf überhaupt. Allerdings möchte ich ausdrücklich sagen, daß es sich dabei um Pseudounternehmer handeln muß, keinesfalls um Unternehmer — ich zitiere hier wieder diese Propagandaschrift — , „die sich den Herausforderungen der Zukunft" gewachsen zeigen könnten.
Wer die Deutsche Bundespost reformieren, also befähigen will, mit den sich verändernden Aufgaben, Techniken usw. und Märkten unter den Bedingungen unserer Verfassung fertig zu werden, muß eine straffe, übersichtliche Struktur erhalten oder festigen, in die dann ein zeitgerechtes, auf rationelle Aufgabenerfüllung, auf vertrauensvolle Zusammenarbeit und — in der Demokratie selbstverständlich — Formen der Beteiligung des Personals aufgebautes Personal- und Führungssystem passen.
Aber wie, sehr geehrter Herr Minister, wollen Sie aufgabenbezogene, schnelle und verantwortliche Entscheidungen bewirken, wenn Sie selbst nach wie vor nichts anderes — das gilt nicht nur für den personellen Bereich — als der Vollzugsbeamte des Finanzoder Wirtschafts- oder des Innenministers sind und bleiben werden?
Natürlich müssen Sie die unterschiedlichen Interessenlagen, das Kräfteparallelogramm der vielen Interessen in unserer Gesellschaft — die sich auch in den verschiedenen Ressorts ausdrücken — , im Sinne einer einheitlichen und dem gesamtwirtschaftlichen Ergebnis der Produktion nützlichen Unternehmenspolitik berücksichtigen. Aber als Spitze eines künftig fünfstufigen komplizierten Aufbaus sollten Sie sich dann auch tatsächlich auf die grundsätzlichen Entscheidungen konzentrieren können und diese dann aber auch treffen dürfen. Ihr Entwurf weist Ihnen aber in dieser Hinsicht lediglich die Aufgabe der Entscheidungsvorbereitung zu. Tatsächlich werden die Entscheidungen anderswo getroffen werden.
Die in Aussicht gestellten vorbereiteten Verordnungen beispielsweise im Personalbereich unterstreichen diese Tendenz noch. Sie sind in ihrer Zufälligkeit außerdem ungeeignet, die notwendige personelle Flexibilität zu fördern. Wir fragen uns auch, warum sie, wenn sie erforderlich sind, nicht schon jetzt in Kraft gesetzt werden. Ausreichende Rechtsgrundlagen dafür stehen zur Verfügung. Darüber hinaus fragen wir Sie: Was ist nun mit dem Funktionsvorbehalt nach Art. 33 des Grundgesetzes? Gilt dieser Funktionsvorbehalt nur für das ausführende Personal, nicht aber für die Leitungskräfte? Oder wird dieser Vorbehalt lediglich zur Verbilligung des Einsatzes der Arbeitskräfte und repressiv, also zur Einschränkung der Grundrechte eines Teils der Beschäftigten, in Anspruch genommen? Entbeamtung in der Spitze und zunehmende, starke Verbeamtung im Bereich des ausführenden Personals aus machtpolitischem Kalkül.
Nach Ihren Feststellungen in den Begründungen zum Gesetzentwurf reicht die Bezahlung der Beamten nicht aus, die regelmäßigen Anforderungen an sie zu entgelten. Warum für die Honorierung der regelmäßigen Anforderungen Leistungszulagen erforderlich sind, ist mir unerklärlich. Hier müßte doch zunächst einmal das allgemeine Besoldungsniveau verbessert werden. Auch dazu stehen Ihnen zur Zeit ausreichende Mittel und auch Mehrheiten zur Verfügung. Wir vermuten, daß es sich hier eher um willkürliche Dotationen handeln wird, die ohne Beteiligung der Personalvertretung, also willkürlich, vergeben werden.
Das neuerlich so oft beschworene Leistungsprinzip, im Dienst- und Besoldungsrecht der Beamten übrigens ausdrücklich verankert, ist zweifellos das dominierende Prinzip in der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik. Gleichwohl findet es durch andere Prinzipien seine Ergänzung. Eine perfekte Leistungsgesellschaft — auch auf einen Betrieb bezogen — wäre unmenschlich. Dieses Leistungsprinzip — ich sage noch einmal: das gilt auch für die Post — kann nur funktionieren, wenn es gelingt, ein annäherndes Gleichgewicht aller sozialen Einflußkräfte im Betrieb und darüber hinaus in der Gesellschaft herzustellen. Sie aber wollen es nutzen, um vorhandene Strukturen auszubauen und zu stabilisieren und damit — wie Sie, Herr Linsmeier, sagten — Macht auszuüben.
Das unternehmerische Interesse steht dem aber meines Erachtens entgegen. Sie schaffen damit auch keine besseren Führungsstrukturen, sondern Sie werfen Sand in das Getriebe. Außerdem verteuern Sie Betrieb und Verwaltung der Post, wobei man unterstellen darf, daß diese Verteuerung später dazu her-



Bernrath
halten soll, umfangreiche Privatisierungen bei den Dienstleistungen unter Hinweis auf die Unfähigkeit des öffentlichen Dienstes, kostendeckend zu arbeiten, zu begründen.
Diese und viele andere Fragen werden wir im Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen und in der Anhörung stellen. Ich nehme an, daß wir uns dann über die Antworten, die wir bekommen, im Sinne Ihrer Bereitschaft, den Entwurf noch zu verändern, auseinandersetzen werden.
Im übrigen wäre es höchst angebracht, die Ernsthaftigkeit Ihrer Absichten etwa im personellen Bereich dadurch zu untermauern. daß Sie den Innenminister endlich dazu bewegen, auch im Interesse der Post einmal zu erklären, wie er sich denn die Beseitigung der Strukturschwächen im öffentlichen Dienst überhaupt vorstellt und wie er die bei Ihrer gemeinsamen Beamtenideologie notwendige Einheit des Dienstrechts bei Bund, Ländern und Gemeinden sich entwickeln sieht. Bisher wurden alle noch so berechtigten Forderungen nach einer zeitgerechten Anpassung des öffentlichen Dienstes unter Hinweis auf diese Notwendigkeit der Einheitlichkeit zurückgewiesen. So wird es dann auch Ihren Verordnungen ergehen.
Wann endlich — so fragen wir — werden junge Ingenieure oder Fachhochschulabsolventen so bezahlt werden können, daß die Post wenigstens die Chance hat, die von ihr selbst ausgebildeten Ingenieure einzustellen?
Sie, Herr Minister, sagen uns — Sie haben es eben gesagt — , wir sollten uns ansehen, was diese Regierung macht. Sie machen nichts anderes, als in die Strukturen der 60er Jahre zurückzukehren. Damals hat uns — das wird von Ihnen verschwiegen — eine ähnlich zusammengesetzte Regierung eine Post mit dicken roten Zahlen hinterlassen, eine Post, die wirklich nach dem Prinzip der Dampflokomotive arbeitete.
Wenn Sie darüber hinaus fragen — gestatten Sie noch den einen Satz — , was denn nun in den Jahren zwischen 1969 und 1972 geschehen ist, muß ich Sie fragen: Was ist denn seit 1982 geschehen? Wir haben die Organisation der Post gestrafft. Wir haben die Zahl der Ämter verringert, Direktionen aufgelöst, ein funktionierendes, heute noch bei Ihnen angewandtes personalwirtschaftliches System und eine Leistungs- und Kostenrechnung mit Beamten, die im übrigen hier sitzen und das damals mit großem Sachverstand betrieben haben, eingeführt, während wir während ihrer Amtszeit nur Verpackung feststellen können. Sie reden sehr modern und sehr einleuchtend; aber Sie haben im Bereich der Post bis zur Stunde keine einzige tatsächliche Veränderung bewirkt.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109404600
Das Wort hat der Abgeordnete Bühler.

Klaus Bühler (CDU):
Rede ID: ID1109404700
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Paterna, zunächst ganz kurz: Sie haben die Abwesenheit des Bundeskanzlers moniert. Ich bin beauftragt und komme diesem Auftrag gerne nach, Sie davon zu unterrichten, daß der Bundeskanzler zur Zeit eine Reihe von französischen Gästen empfängt und dafür um Verständnis bittet.

(Roth [SPD]: Sagen Sie mal, was ist jetzt mit dem Finanzminister? Der hat vier Staatssekretäre, und keiner ist anwesend!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109404800
Sie haben nicht das Wort, Herr Kollege. Stellen Sie bitte eine Zwischenfrage.

(Roth [SPD]' Das steht ja schon im Protokoll!)


Klaus Bühler (CDU):
Rede ID: ID1109404900
Das war das Wesentliche für Sie.
Es geht ja nicht um die Frage der jetzigen Präsenz; es geht darum, daß wir dieses Leistungsunternehmen Bundespost auf einen Weg bringen, von dem wir alle hoffen, daß es zukunftsträchtig ist.
Meine Damen und Herren, es wurde vorhin angesprochen, daß überall Reformbereitschaft vorhanden sei. Ich möchte an ein Zitat eines Ihrer Experten in diesem Bereich erinnern, der heute leider nicht mehr da ist; die Gründe dafür liegen irgendwo anders. Es ist Herr Dr. Glotz, der vor kurzem in einem Referat vor der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Ausdruck gebracht hat:
Ich bin in der Tat der Auffassung, daß die Reform des Fernmeldewesens, daß ein neues institutionelles Arrangement für die Entwicklung der Telekommunikation zu den wichtigsten Vorhaben dieser Legislaturperiode gehört.
Es ist die Frage, warum sich diese Einsicht nicht bei den Gremien durchgesetzt hat, die bei den Sozialdemokraten im Augenblick das Sagen haben. Es ist auch die Frage, ob damit letztlich nicht auch zusammenhängt, in welcher Form dieser Herr Dr. Glotz dann bei den Vorstandswahlen auf Ihrem Parteitag mehr oder weniger ein Ergebnis fand, das ihm nicht mehr die Möglichkeit gab und leider auch nicht mehr gibt, hier seinen Sachverstand in diesem Bereich einzubringen.

(Roth [SPD]: Warum das denn nicht? — Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Ich glaube, da liegt ein Mißverständnis vor!)

Es wurde vorhin zu Recht gesagt, Herr Wirtschaftsminister, daß eines unserer Hauptprobleme der Erhalt des Industriestandortes Bundesrepublik Deutschland ist. Ich möchte ein Bild aus dem Sport aufnehmen: Die Bundesrepublik Deutschland ist jetzt im zweiten Jahr der Tabellenführer der Weltliga der Exportländer. Eine der Aufgaben, die dieser Reform zugrundeliegt — wie vielen anderen Reformen auch — , ist, daß wir diesen Tabellenstand — Tabellenführer der Weltliga der Exportländer — im Interesse unserer Arbeitsplätze halten.
Herr Dr. Briefs, wenn ich „Arbeitsplätze" sage, dann ist das ein Bestandteil der Wirtschaft. Wenn Sie aber das Wort „Wirtschaft" hören, dann geht bei Ihnen die ideologische Scheuklappe herunter. Als Sie vorhin Ihre Ausführungen dargebracht haben, habe



Bühler (Bruchsal)

ich — vielleicht manch anderer auch — in leidvoller Erfahrung an unsere gemeinsame Japan-Reise denken müssen. Es hat sich hier also einiges wiederholt.
Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, wie wichtig das zukünftig erwartete Wachstum gerade auf diesem Sektor ist; ich möchte das nur noch einmal betonen und unterstreichen.
Es wurde vorhin von Ihnen, Herr Kollege Bernrath, die Zeit von 1982 bis 1988 angesprochen. Es gibt da einen sehr interssanten Vergleich, der für die Mitarbeiterschaft und für die Unternehmensführung dieses Unternehmens Deutsche Bundespost spricht; ich habe das lange Zeit auch nicht mehr gewußt. Ich wurde vor kurzem gefragt: Was hat 1969 eine Postkarte und was hat 1969 ein Brief gekostet? Ich habe geantwortet: 40 Pfennig und 50 Pfennig. Daraufhin hat mir der Fachmann gesagt: Eine Postkarte kostete 20 Pfennig, und ein Brief kostete 30 Pfennig. 1982, als wir angetreten sind, kostete der Brief 80 Pfennig und die Postkarte 60 Pfennig. Heute, nach sechs Jahren, bezahlt man für die beiden Angebote noch immer den gleichen Preis.

(Roth [SPD]: Nicht mehr lange!)

— Moment! — Das ist damals eine Steigerung um 200 % bei dem einen Bereich und um 166 % bei dem anderen Bereich gewesen.
Ich nenne das Beispiel nur deswegen, weil die Deutsche Bundespost, ihre motivierten Mitarbeiter und die Unternehmensführung, damit einen nicht wegzudenkenden Dienst an der Preisstabilität, am Wirtschaftswachstum, an dem, was wir als Grundlage für eine wesentliche Entwicklung in diesem Lande brauchen und haben, geleistet hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diesen Weg wollen wir weiter beschreiten, auch im internationalen Konzept.

(Bernrath [SPD]: Vergleichen Sie doch einmal die Investitionen!)

Ich bin Mitglied im Verkehrsausschuß — es sind Kollegen anwesend. Da weiß ich aus leidvoller Erfahrung, wie schwierig es ist, ein Unternehmen dann wieder flottzumachen — ich denke an die Deutsche Bundesbahn — , wenn man dort jahrelang die Signale auf „rot" hat stehenlassen und wenn man erst dann unter großen Schwierigkeiten versuchen muß, dieses Unternehmen auf ruhigere Bahnen zurückzuführen.
Das nächste, was ich noch ganz kurz ansprechen wollte, ist die Frage Europa, die wir bis 1992 auch in dieser Form klären müssen. Da steht uns einiges bevor. Es ist zu Recht gesagt worden: Wir wollen kein Europa der Krämerseelen. Das will niemand von uns. Wir wollen ein Europa, in dem wir unsere sozialpolitischen Standards, aber auch unsere Wirtschaftskraft und damit die Sicherung unserer Arbeitsplätze mit einbringen können.
Frau Präsidentin, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir, einem durch die Exekutive geschädigten Vertreter der Legislative, zum Schluß noch kurz das Wort gegeben haben. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109405000
Das Wort hat Frau Abgeordnete Faße.

Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1109405100
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Fitmachen für die Zukunft hört sich gut an, aber wir meinen, der Weg, der hier vorgeschlagen wird, ist wirklich ein falscher Weg.
Das kleine Dorf, in dem ich wohne, heißt Imsum, liegt in Niedersachsen und hat 840 Einwohner. Es ist ein Dorf wie viele andere: Wir haben einen Kinderspielkreis, wir haben einen Lebensmittelladen, eine Kirche und viele Vereine. Wir haben keine Schule mehr, keinen Bahnhof mehr und auch keine Poststelle mehr.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Den hat der Bernrath wegrationalisiert! Das hat er gerade begrüßt!)

— Auch Sie lernen doch aus Fehlern, nicht? — Die Post hat sich in den letzten Jahren konsequent und stetig weiter aus der Fläche zurückgezogen. Öffnungszeiten wurden gekürzt, Poststellen geschlossen, freiwerdende Arbeitsplätze nicht wieder neu besetzt.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Alles unter der SPD!)

Ein schlechtes Angebot für den Kunden führt zu mangelnder Auslastung, und dies hat die Reduzierung des Angebots zur Folge.
Was bedeutet nun aber die Neustrukturierung für den ländlichen Raum? Die drei Bereiche Postdienst, Postbank und Telekom sollen eigenwirtschaftlich, d. h. ja wohl nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen, handeln. Wir alle wissen, daß die gelbe Post Minus macht. Heißt das nun, daß die Quersubventionierung automatisch in Kraft tritt, oder heißt das zuerst einmal Einsparung an Personal, Einsparung an Leistung, und/oder heißt das: Leistung wird teurer? Man lese doch einmal die Begründung des § 29 des Poststrukturgesetzes ganz genau:

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Sie müssen Bernrath noch einmal nachlesen!)

Das Unternehmen Deutsche Bundespost Postdienst und das Direktorium der Deutschen Bundespost werden darum bemüht sein, den Ausgleich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Kostenreduzierung zu minimieren.
Die kostenaufwendige Postversorgung des flachen Landes ist sicher ein wichtiges Einsparpotential. Mir kann doch hier heute keiner erzählen, daß die gelbe Post nicht in Gefahr sei.
Sie, Herr Minister, wissen doch sicherlich, daß in Ihrem Ministerium eine Untersuchung unter dem Motto „Welchen Nutzen hat ein flächendeckender Paket- und Zeitungsdienst?" in Ihrem Ministerium vorbereitet wird. Im Paketbereich sind schon heute die Privaten tätig, mit Erfolg, die Zahlen bei der Post gehen zurück, und mit dem Erfolg der Rosinenpickerei, wenn man bedenkt, daß die privaten Unternehmen nicht rentable Pakete einfach bei der nächsten Poststelle zur Beförderung aufgeben. Die Pflichtdienste sind überhaupt noch nicht definiert. Die Bundesregierung will hier erst einmal sorgfältig beobachten.



Frau Faße
Aber wenn nicht in allen Gebieten des Landes gleiche Leistungen im Telekombereich angeboten werden, bedeutet das eindeutig Nachteile für den Menschen und Nachteile für die Ansiedlungspolitik. Lohnen werden sich für die freien Anbieter alle Hauptadern, nicht aber die peripheren Gebiete, deren Entwicklungschancen damit erschwert werden. Der scharfe Protest der Bundesländer kann hier doch nicht als Schwarzmalerei abgetan werden. Auch wenn Sie, Herr Minister, aus dem Poststrukturrat einen Infrastrukturrat gemacht haben, mußten Sie doch den berechtigten Forderungen der Länder nachkommen.
Die Deutsche Bundespost wird gewendet, an privatwirtschaftlichen Maximen ausgerichtet. Die Versorgung des ländlichen Raumes muß sich den Zielvorgaben der Kostendeckung und der Gewinnerzielung unterordnen. Gestrichen ist unter dem berechtigten Protest der Länder die Verpflichtung, bei der Vergabe von Lieferungen und Leistungen Industrie, Handel und Gewerbe jedes Landes angemessen zu berücksichtigen.
Ich zitiere in dieser Hinsicht gerne Herrn Stoiber:
Eine Postreform, die zu einem Rückzug aus dem flachen Lande zu der Reduzierung der Dienstleistungsbreite der gelben Post oder zu drastischen Preiserhöhungen für den privaten Kunden der Post führt, darf es nicht geben.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Wird es nicht geben!)

— Sehr schön, aber bisher sind es nur mündliche Versprechungen.
In der Bundesrepublik ist das Post- und Fernmeldewesen vom Grundgesetz ganz bewußt nicht allein den freien Kräften des Marktes überlassen worden. Die Sicherstellung der öffentlichen Infrastruktur für das Post- und Fernmeldewesen ist und bleibt Kernaufgabe des Staates.

(Beifall bei der SPD)

Aber wie, frage ich mich, sieht die Rolle der Post eigentlich schon heute aus? Schon heute wird eindeutig Vorarbeit geleistet, z. B. bei der Aushöhlung des Rationalisierungsschutzes, bei der sprunghaften Zunahme von ungeschützten Arbeitsverhältnissen, vorrangig für Frauen, bei der steigenden Zahl der Beschlußverfahren, bei der — als Umschreibung für Arbeitsplatzvernichtung — Entrümpelung und bei der Reduzierung des Kunden- und Sicherheitsdienstes. Auch die neue Idee, den Briefkastenleerungsdienst zu überdenken, zeigt doch eindeutig, in welche Richtung hier gearbeitet wird.
Die Bediensteten der Post haben dies und die zusätzliche Verschlechterung ihrer Position nach Verabschiedung dieses Gesetzes klar erkannt. Das Arbeitnehmervotum ist eindeutig: 96 To der Befragten sind gegen den Regierungsentwurf, und selbst im Ministerium war über die Hälfte dagegen. Herr Minister, alle kostenträchtigen Info-Kampagnen konnten die Beschäftigten nicht überzeugen. Verbesserungen wird es nämlich nur für sehr wenige geben. Was aber mit diesem Entwurf gewollt ist, eindeutig gewollt ist, ist eine Schwächung der Deutschen Postgewerkschaft durch die Zerschlagung der einheitlichen Interessenvertretung. Dieses führt zu einer Entsolidarisierung, dazu, daß eine sozial verträgliche Bewältigung des Strukturwandels nicht stattfinden kann. Die Beschäftigten, Herr Minister, spielen dieses Spiel nicht mit. Konsens ist nicht erreicht worden.
Daß die Sorge um den Arbeitsplatz berechtigt ist, zeigen die Erfahrungen aus dem Ausland. Die SPD setzt sich dafür ein, daß bei der Bundespost die Arbeits- und Ausbildungsplätze erhalten und zukunftssicher ausgebaut bzw. neue geschaffen werden. Die Erfahrungen mit Privatisierung und Deregulierung im Ausland haben gezeigt, daß genau das Gegenteil passiert. Die Regierungskommission Fernmeldewesen weist in ihrem Bericht zur Neuordnung der Telekommunikation darauf hin, daß British Telecom seit der Privatisierung 27 000 Arbeitsplätze abgebaut hat. In den nächsten vier Jahren sollen weitere 24 000 folgen. Bei AT &T waren es nach Angaben der Kommission seit der Entflechtung rund 50 000 Arbeitsplätze. Einschließlich der Zulieferbetriebe addiert sich die Zahl der abgebauten Arbeitsplätze nach unseren Informationen auf insgesamt 200 000. Der Ausbildungsbereich ist drastisch zurückgefahren worden. So wurden beispielsweise bei British Telecom vor der Privatisierung ca. 5 000 junge Menschen ausgebildet; nach der Privatisierung sind es weniger als 50.
Postlerinnen und Postler, Herr Minister, stehen zu ihrer Post. Sie arbeiten unter erschwerten Bedingungen, im Schichtdienst, unter Streß, im geteilten Dienst, in ungeschützten Arbeitsverhältnissen, als Abrufkräfte, viele ohne Chance auf eine Vollzeitbeschäftigung und viele für einen nicht gerade als hoch zu bezeichnenden Lohn. Herr Minister, die Postlerinnen und Postler stehen trotzdem zu ihrer Post. Tun Sie alles, um die Motivation zu erhalten. Eine Reform gegen die Bediensteten ist eine schlechte Reform. Wir Sozialdemokraten werden bei den Beratungen im Ausschuß sehr drauf bedacht sein, das Schlimmste dieser sogenannten Reform zu verhindern. Unser Ziel ist, daß die Post nicht nur eine Post der Wirtschaft wird, sondern eine Post aller Bürger und Bürgerinnen dieses Landes.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109405200
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Entwurf eines Poststrukturgesetzes und die Unterrichtung der Bundesregierung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte ohne Aussprache auf.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzvertrag vom 21. Oktober 1986 zum Auslieferungsvertrag vom 20. Juni 1978 zwischen der Bundesre-



Vizepräsident Frau Renger
publik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika
— Drucksache 11/1610 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/2289 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Dr. de With

(Erste Beratung 55. Sitzung)

Ich rufe den Gesetzentwurf mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf.
Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. Mai 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
— Drucksache 11/1831 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 11/2777 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Meyer zu Bentrup (Erste Beratung 77. Sitzung)

Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf.
Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich ebenfalls, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. Oktober 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über die Rechtshilfe und Rechtsauskunft in Zivil- und Handelssachen
— Drucksache 11/2026 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 11/2896 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Eylmann Stiegler

(Erste Beratung 74. Sitzung)

Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf.
Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe die Punkte 7 und 8 der Tagesordnung auf:
7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 426/86 über die gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse
— Drucksache 11/2089 Nr. 15, 11/2281 —
Berichterstatter: Abgeordneter Pfuhl
8. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Entscheidung des Rates für eine spezifische Hilfe zur Entwicklung der Landwirtschaftsstatistik in Irland
— Drucksache 11/2350, Nr. 2.9, 11/2574 —
Berichterstatter: Abgeordneter Oostergetelo
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft. Wer für diese Beschlußempfehlungen des Ausschusses auf den Drucksachen 11/2281 und 11/2574 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind bei Gegenstimmen der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß)

Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens
— Drucksache 11/2906 —
Berichterstatter: Abgeordneter Buschbom
Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens auf Drucksache 11/2906 ab. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 77 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/2883 —



Vizepräsident Frau Renger
b) Beratung der Sammelübersicht 78 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/2884 —
c) Beratung der Sammelübersicht 79 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/2885 —
d) Beratung der Sammelübersicht 80 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/2886 —
e) Beratung der Sammelübersicht 81 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/2887 —
Wir stimmen jetzt über die Sammelübersichten 77 bis 81 des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 11/2883 bis 11/2887 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN haben wir Zustimmung.
Ich rufe die Punkte 11 bis 16 der Tagesordnung auf:
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Dezember 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Kuwait zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen
— Drucksache 11/2553 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen
— Drucksache 11/2675 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Agrarstatistiken

(Agrarstatistikgesetz — AgrStatG)

— Drucksache 11/2851 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fischwirtschaftsgesetzes (FWG)

— Drucksache 11/2852 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung von Meldungen in der Mineralölwirtschaft (Mineralöldatengesetz — MinÖlDatG)

— Drucksache 11/2043 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Innenausschuß
16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rock, Frau Teubner, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN Erhöhung der Sicherheit von Lkw-Transporten, insbesondere beim Transport von Sonderabfällen und Gefahrgut
— Drucksache 11/2878 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr (federführend) Finanzausschuß
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Gibt es andere Vorschläge? — Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Die Fragestunde wird vorzeitig gegen 14.30 Uhr beendet sein. Interfraktionell ist daher vereinbart worden, die Beratungen unmittelbar nach dem Ende der Fragestunde um 14.30 Uhr mit der Aktuellen Stunde fortzusetzen. — Es erhebt sich kein Widerspruch.
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung von 13.07 bis 14.00 Uhr)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109405300
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Wir treten in die
Fragestunde
— Drucksachen 11/2924 und 11/2943 — ein.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Inneren auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatssekretär Neusel zur Verfügung.
Ich rufe die Dringliche Frage 1 des Herrn Abgeordneten Wüppesahl auf:
Welche Informationen hat die Bundesregierung insgesamt — nachdem Bundesminister Dr. Stoltenberg das SchrotflintenAttentat auf Staatssekretär Dr. Tietmeyer bereits in Zusammenhang mit den Protesten gegen die IWF-Tagung gerückt hat —über die Hintermänner, Geldgeber der Attentäter sowie über deren eventuelle Verbindungen zu welchen Staatlichen Stellen, Teilen der Industrie oder in- oder ausländischen Banken?
Bitte sehr.




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109405400
Die Antwort auf die Dringlichkeitsfrage 1 lautet: Keine.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109405500
Zusatzfrage bitte.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1109405600
Herr Kollege, teilt die Bundesregierung die Einschätzung — vielleicht etwas mehr sagend, als die Antwort eben ausgesehen hat —, daß die Rote Armee Fraktion eine Interessenlage hat, zu diesem jetzigen Zeitpunkt ein Attentat dieser Qualität anzusetzen, um den Staat entsprechend ihrer eigenen Logik zu Überreaktionen zu provozieren, die unser Staat in der Tat auch im Übermaß mit seinen zum Gutteil rechtswidrigen Kontrollanordnungen vollzogen hat? Das ist die erste Zusatzfrage, Herr Staatssekretär.
Neusel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Ihre Dringlichkeitsfrage 1 fragt danach, ob der Bundesregierung Informationen über Hintermänner, Geldgeber der Attentäter sowie über deren eventuelle Verbindungen zu welchen staatlichen Stellen, Teilen der Industrie oder in- oder ausländischen Banken vorliegen. Die Antwort kann nur sein: Keine. Ich möchte die Frage im übrigen nicht näher qualifizieren.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109405700
Also, Herr Abgeordneter, eine präzisere Antwort als „Ja" oder „Nein" kann eigentlich ein Abgeordneter gar nicht erwarten. — Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1109405800
Das stimmt, Herr Präsident. Das Problem liegt nur darin, daß auf die Zusatzfrage eben gar nicht geantwortet worden ist, ob aus der inneren Logik der RAF heraus dieses Attentat mit den entsprechenden Konsequenzen, die wir zur Zeit in der Öffentlichkeit erleben, seitens der Bundesregierung ebenfalls so eingeschätzt wird.
Aber die zweite Zusatzfrage, Herr Stücklen. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, daß, ähnlich wie bei der ersten Fragestellung, die Interessenlage fast gleich groß ist bei dem rechtsradikalen, sehr stark dem Alkohol zuneigenden Generalbundesanwalt, um seine rechtswidrigen Anordnungen, die er im Bereich der Kontrollstelleneinrichtungen getroffen hat, im nachhinein zu legitimieren und vor allen Dingen die zukünftigen — —

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109405900
Herr Abgeordneter Wüppesahl, es geht nicht an, daß Sie hier Unterstellungen vornehmen. Sie haben eine Frage zu stellen, und auf die Frage wird dann die Regierung antworten. Aber die Rechtskritik weise ich zurück.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1109406000
Ich führe die Frage zu Ende: ob die Bundesregierung die Einschätzung teilt, daß seitens der Bundesanwaltschaft ein ähnlich großes Interesse besteht, um nachträglich die getroffenen Maßnahmen zu legitimieren und die weiteren, jetzt an diesem und in den nächsten Tagen getroffenen Maßnahmen mit Polizei und anderen Eingriffsbehörden ebenfalls in der Öffentlichkeit zu legitimieren.
Neusel, Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109406100
Ich rufe die zweite Dringliche Frage des Herrn Abgeordneten Wüppesahl auf:
Welche Informationen hat die Bundesregierung ggf. über die Erwägungen der Attentäter bzw. ihrer Hintermänner beim „Timing" des Anschlags kurz vor der Pressekonferenz von Bundesminister Dr. Stoltenberg und vor beginnenden Protesten der IWF-Kritiker/innen sowie über die von ihnen damit erhofften propagandistischen Erfolge?
Neusel, Staatssekretär: Die Antwort auf die Dringlichkeitsfrage 2 lautet: Keine.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109406200
Haben Sie eine Zusatzfrage?

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1109406300
Ja, Herr Präsident. Ich finde es peinlich, wie meine Fragen in dieser Situation, in der wir in der Bundesrepublik stecken, beantwortet werden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109406400
Herr Abgeordneter, stellen Sie eine Frage!

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1109406500
Ich möchte wissen, ob die Bundesregierung die Einschätzung teilt, die zu diesem Anschlag auch in der Kriminalistik weit verbreitet ist: daß er keinen Sinn macht, wenn er von der RAF ausgeführt worden sein soll, weil — die Frage in ihrer Schlußphase — die RAF bislang noch nie mit Schrot gearbeitet hat, und zum anderen, wenn ein Anschlag von ihr gemacht wird, dann ernsthaft, also mit tatsächlicher Gefährdung des Staatssekretärs, der in diesem Fall nicht gefährdet war. Teilt die Bundesregierung diese Einschätzung?
Neusel, Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt diese Einschätzung nicht.

(Wüppesahl [fraktionslos]: Ich habe keine weiteren Zusatzfragen.)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109406600
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Parlamentarischer Staatssekretär Frau Berger zur Verfügung. Ich rufe Frage 7 des Abgeordneten Niegel auf:
Wird der Bundeskanzler nach seiner Richtlinienkompetenz dem Bundesminister der Justiz die Erlaubnis erteilen, einen Gnadenakt des Herrn Bundespräsidenten für die RAF-Terroristen Speitel und Boock gegenzuzeichnen und mit welcher Begründung?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109406700
Herr Präsident, wegen des Zusammenhangs bitte ich die Fragen 7 und 8 gemeinsam beantworten zu dürfen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109406800
Einverstanden? Niegel (CDU/CSU): Einverstanden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109406900
Dann rufe ich auch Frage 8 des Abgeordneten Niegel auf:
Welche Rolle wird bei der Prüfung der Gegenzeichnung durch die Bundesregierung die Begnadigung der ehemaligen RAF-Mitglieder Wackernagel und Jünschke spielen?

Lieselotte Berger (CDU):
Rede ID: ID1109407000
Nach Art. 60 Abs. 2 des Grundgesetzes übt der Bundespräsident



Pari. Staatssekretärin Frau Berger
das Gnadenrecht für den Bund aus. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, wann der Bundespräsident über die vorliegenden Gnadenanträge entscheiden wird.
Die Fragen 7 und 8, Herr Abgeordneter Niegel, unterstellen eine bestimmte Entscheidung des Bundespräsidenten. Zu hypothetischen Fragen nimmt die Bundesregierung nicht Stellung.
Zu Einzelheiten des Meinungsbildungsprozesses im Rahmen der Gnadenprüfung des Bundespräsidenten äußert sich die Bundesregierung nicht.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109407100
Zusatzfrage, bitte.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID1109407200
Frau Staatssekretärin, meine Frage bezieht sich auf das Verfahren. Kann die Gegenzeichnung des Bundesjustizministers bei einem Gnadenakt auch durch einen anderen Bundesminister ersetzt werden?

Lieselotte Berger (CDU):
Rede ID: ID1109407300
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen bereits mitgeteilt, daß der Bundespräsident Herr des Verfahrens ist, daß der Regierung nicht bekannt ist, wann er über die vorliegenden Gnadenanträge entscheiden wird. Insoweit ist Ihre Frage hypothetisch.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109407400
Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID1109407500
Frau Staatssekretärin, wie ist bei früheren Begnadigungen durch das jeweilige Staatsoberhaupt verfahren worden? Sind der Justizminister oder der Bundeskanzler oder der Generalbundesanwalt vor oder nach der Begnadigung unterrichtet worden mit der Bitte um Gegenzeichnung?

Lieselotte Berger (CDU):
Rede ID: ID1109407600
Herr Präsident, ich bitte Sie zu entscheiden, ob die Zusatzfrage in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Fragen 7 und 8 steht.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109407700
Frau Staatssekretär, es geht hier um die generelle Frage, wie es in der Vergangenheit war. Es hat mit diesem Verfahren nichts zu tun. Es geht um die Frage: Wie ist verfahren worden, ja oder nein?

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID1109407800
Es geht um das Gnadenverfahren, Herr Präsident.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109407900
Es geht nicht um das Gnadenverfahren, das zur Diskussion steht, sondern nur generell.

Lieselotte Berger (CDU):
Rede ID: ID1109408000
Es gab in der Vergangenheit Gnadenverfahren, die in der Zuständigkeit des Bundespräsidenten lagen. Über Einzelheiten kann ich Ihnen im Augenblick keine Auskunft geben. Das reiche ich Ihnen gern nach.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109408100
Weitere Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID1109408200
Frau Staatssekretärin, ist bei den Überlegungen der Bundesregierung auch die neue Tatsache des Anschlags auf Herrn Staatssekretär Tietmeyer mit berücksichtigt worden?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109408300
Herr Abgeordneter, das geht in die Bewertung dieses Verfahrens hinein, das ausschließlich in die Kompetenz des Herrn Bundespräsidenten fällt. Daher lasse ich diese Frage nicht zu.
Eine weitere Zusatzfrage.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1109408400
Frau Staatssekretärin, sind Sie der Auffassung, daß der Bundespräsident als Verfassungsorgan und in seiner herausgehobenen Stellung in unserem Land bereits dadurch Schaden genommen hat, daß eine Verzögerung in seinem Fahrplan für die Entscheidung, ob er begnadigt oder nicht — —

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109408500
Herr Abgeordneter Wüppesahl, das bezieht sich auf den Vorgang des Gnadenaktes. Ich lasse diese Frage nicht zu.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1109408600
Herr Präsident, das war bezogen auf exakt diesen Gnadenakt, ob dadurch, daß der Fahrplan in Verzug geraten ist, der Herr Bundespräsident in seiner herausgehobenen Stellung nicht bereits Schaden genommen hat.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109408700
Herr Abgeordneter, dies bezieht sich auf die verfassungsmäßige Handlungsweise des Bundespräsidenten. Ob eine Verzögerung eingetreten ist oder nicht, ist allein eine Sache, die der Bundespräsident bejahen oder verneinen könnte.
Ich lasse die Frage in diesem Hause nicht zu, weil dieses Haus nicht das Kontrollorgan für den Bundespräsidenten ist

(Wüppesahl [fraktionslos]: Das sehe ich auch so!)

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Schäfer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Werner (Ulm) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Verhalten der polnischen Behörden, den in den Oder-Neiße-Gebieten lebenden Deutschen die Gründung von deutschen Vereinigungen zu untersagen bzw. durch die „polnische Staatsraison" angeblich bedingte Auflagen und durch Aufforderungen zu Spitzeldiensten so zu erschweren, daß die deutschen Antragsteller gezwungenermaßen die Vereinsgründung nicht durchführen können?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109408800
Herr Kollege, die Bundesregierung bedauert, daß sich die Behörden der Volksrepublik Polen bisher nicht bereit gefunden haben, den in den Oder-Neiße-Gebieten lebenden Deutschen die Möglichkeit einzuräumen, sich zur Pflege deutscher sprachlicher und kultureller Tradition in Vereinen zusammenzuschließen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109408900
Zusatzfrage? — Bitte.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1109409000
Herr Staatsminister, was hat die Bundesregierung in den vergangenen Monaten getan, und was gedenkt sie noch zu tun, um hier seitens der polnischen Regierung eine Bereitschaft zu eröffnen, ähnlich zu verfahren, wie sie dies etwa mit anderen Volksgruppen innerhalb der polnischen Volksrepublik offensichtlich tut?



Schäfer, Staatsminister: Die Bundesregierung, Herr Kollege, hat sich nicht nur in den vergangenen Monaten, sondern eigentlich schon davor in Gesprächen mit der polnischen Führung auf den verschiedensten Ebenen immer wieder mit Nachdruck dafür eingesetzt, daß die Volksrepublik Polen eine entgegenkommende Haltung gegenüber den Deutschen an den Tag legt, die sich in Vereinen zusammenschließen und ihre deutschen sprachlichen und kulturellen Traditionen pflegen wollen.
Besonders eindringlich ist dies zuletzt durch den Bundesminister des Auswärtigen im Zusammenhang mit seinem Besuch in Warschau geschehen. Wir werden darüber hinaus unsere Bemühungen fortsetzen, damit diese unliebsame Verhaltensweise der polnischen Regierung überwunden werden kann.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109409100
Keine weitere Zusatzfragen?

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Zu dem Punkt nicht!)

— Auch aus dem Hause nicht? — Dann rufe ich die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Werner (Ulm) auf :
Wird die Bundesregierung diesen Sachverhalt mit allem Nachdruck bei dem bevorstehenden Besuch des polnischen Außenministers in Bonn ansprechen und auch in der UN-Menschenrechtskommission sowie der nächsten KSZE-Nachfolgekonferenz darlegen, daß das Verhalten der polnischen Behörden im Widerspruch zu der von der Volksrepublik Polen unterzeichneten KSZE-Schlußakte, der UN-Charta und den beiden UN-Menschenrechtspakten steht?
Bitte sehr.
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, bei allen Begegnungen mit der polnischen Führung ist die Lage der Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten für die Bundesregierung ein vorrangiges Gesprächsthema. Das gilt selbstverständlich auch für die Begegnungen des Bundesministers des Auswärtigen mit dem polnischen Außenminister.
Die Bundesregierung hat die Lage der Deutschen in der Volksrepublik Polen Ende 1986 bereits mit Nachdruck auf dem Wiener KSZE-Folgetreffen angesprochen. Die Belange der in der Volksrepublik Polen und anderen Warschauer-Pakt-Staaten lebenden Deutschen gehören zu den zentralen Anliegen der Bundesregierung bei den Verhandlungen in Wien.
Die Bundesregierung setzt sich darüber hinaus in anderen zuständigen internationalen Gremien laufend für die Beachtung der Menschenrechte ein.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1109409200
Darf ich Sie präziser fragen, Herr Staatsminister: Gedenkt die Bundesregierung, auch bei dem bevorstehenden Besuch unmittelbar, ganz konkret auf die Verweigerungen seitens der polnischen Behörden, so möchte ich es einmal klassifizieren, hinzuweisen und darauf aufmerksam zu machen, daß sich die polnische Regierung hier eigentlich „rechtswidrig" gegenüber selbst geleisteten Unterschriften verhält?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich will das Verhalten der polnischen Regierung jetzt nicht politisch qualifizieren. Aber Sie gehen bei Ihrer Frage wohl von dem Besuch des polnischen Außenministers bei uns aus, der zu erwarten ist.

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Ja!)

Selbstverständlich wird auch bei diesem Besuch mit
dem ja inzwischen neuen Außenminister, der unsere
Republik zudem gut kennt, weil er lange Jahre Botschafter in Bonn war, über diese Frage gesprochen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109409300
Weitere Zusatzfrage? — Bitte.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1109409400
Gedenkt, Herr Staatsminister, die Bundesregierung, das Problem der Volksgruppenrechte aller Nationalitäten, aber insbesondere auch der Deutschen in der Volksrepublik Polen und in den anderen osteuropäischen Staaten, auf den vorhin erwähnten Foren, KSZE und anderen, auf der Tagesordnung auch in Zukunft in den Vordergrund zu stellen, was sicherlich nicht immer ganz einfach, aber notwendig ist?
Schäfer, Staatsminister: Selbstverständlich wird die Bundesregierung immer bemüht sein, den Rechten solcher Volksgruppen, wie Sie sie nennen, bei allen denkbaren internationalen Verhandlungen und Foren, auf denen über Menschenrechte gesprochen wird, einen ganz wichtigen Platz einzuräumen. Und wir werden selbstverständlich auch in Zukunft unsere Bemühungen fortsetzen, damit gerade die Menschen in einigen Staaten des Ostblocks mehr als bisher Gelegenheit haben, sich vor Ort ihren kulturellen Traditionen zu widmen, ihre Sprache zu pflegen und ihre religiösen Veranstaltungen auch in ihrer eigenen Sprache durchzuführen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109409500
Keine weiteren Zusatzfragen. — Zu dieser Frage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1109409600
Herr Staatsminister, umfassen die soeben von Ihnen geschilderten Bemühungen der Bundesregierung auch die Bemühung darum, daß den Vereinen deutscher Volksangehöriger, die sich in den Oder-Neiße-Gebieten und in anderen Teilen der Volksrepublik Polen herausgebildet haben, nun endlich die Zulassung widerfährt, auf die sie nach allen internationalen völkerrechtlichen Menschenrechtsabkommen eigentlich Anspruch haben?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, auch das ist natürlich Teil unserer Bemühungen. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß sich der Bundesaußenminister bei seinem Besuch in Warschau mit dieser ganz wesentlichen Gruppe getroffen hat, um zu dokumentieren, daß er sie anerkennt und er ihr großen Wert beimißt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109409700
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Kastning auf:
Welche Auswirkungen hat die Steuergesetzgebung der USA (Tax Reform Act 1986) für deutsche Studenten, Praktikanten und Wissenschaftler/Nachwuchswissenschaftler in den USA, wenn diese Stipendien, Fördermittel oder vergleichbare Zuwendungen erhalten, die von amerikanischen Stellen gezahlt werden?
Bitte sehr.



Vizepräsident Stücklen
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die neue Steuergesetzgebung der USA, der sogenannte Tax Reform Act von 1986, hat auch zu einer verstärkten Besteuerung ausländischer Studenten und Wissenschaftler geführt. Dies geschieht durch eine Erweiterung der Tatbestände, an die die Steuerpflicht anknüpft, sowie durch eine Einschränkung bisheriger Ausnahmetatbestände. Die deutschen Studenten, Praktikanten und Wissenschaftler werden wie die anderen Ausländer ohne ständigen Wohnsitz in den USA als „non-resident aliens" zur US-Steuer veranlagt, soweit sie Mittel aus amerikanischen Quellen empfangen.
Da die meisten Direktaustauschprogramme deutscher Hochschulen auf dem Prinzip der gegenseitigen Übernahme der Aufenthaltskosten beruhen, werden deutsche Studenten in diesen Fällen belastet. Selbst der Erlaß von Studiengebühren ist in den USA steuerlich relevant, da der dabei entstehende Vermögensvorteil zu versteuern ist. Die bisherigen weiteren Ausnahmetatbestände, wie z. B. der Examensbezug der Studien, sind eingeschränkt. Die neue Steuergesetzgebung führt zu einer Erschwerung des deutschamerikanischen Wissenschaftsaustausches.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109409800
Zusatzfrage, bitte.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1109409900
Herr Staatsminister, schätze ich es richtig ein, daß in den meisten Fällen Studenten, Stipendiaten und sogar Hochschulabsolventen, die als Stipendiaten dort drüben sind — mir scheint, daß es auch für Praktikanten gilt —, ein Stipendium, ein Entgelt in einer Höhe erhalten, das, wenn es durch Steuerbelastungen beeinträchtigt wird, dazu führt, daß ein halbwegs vernünftiger Lebensstandard nicht mehr aufrechtzuerhalten ist?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, eine solche Gefahr besteht dann, wenn es sich um Stipendien amerikanischer Geldgeber handelt, also amerikanischer Universitäten oder Hochschuleinrichtungen, nicht dann, wenn die Stipendien von der Bundesrepublik vergeben werden. Es ist aber richtig, daß solche Einbußen eintreten. Deshalb bemühen wir uns ja auch um eine bessere Regelung. Aber darauf kommen wir in Ihrer nächsten Frage zurück.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109410000
Eine weitere Zusatzfrage.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1109410100
Da ich den Sachverhalt möglichst klar und mit Zustimmung von Kollegen aus den Koalitionsfraktionen öffentlich dargelegt haben möchte, frage ich: Ist es richtig, daß derzeit auch Entgelte, die als eine Art Arbeitsentgelt für ein Praktikum oder eine Tätigkeit wissenschaftlicher Art dort gelten, auf BAföG-Leistungen aus bundesdeutscher Quelle angerechnet werden, so daß auch für diejenigen eine Steuerbelastung eine starke Beeinträchtigung darstellt?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, das ist eine so detaillierte Frage, daß sie weit über das hinausgeht, was Sie vorher gefragt hatten. In bezug auf BAföG müßten wir das erst mit dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft klären. Ich kann nur sagen: Es ist zutreffend, was Sie in Ihrer Frage anschneiden, daß durch die Gesetzgebung des amerikanischen Kongresses, die wir im übrigen als Regierung nicht zu ändern vermögen, Härten für deutsche Austauschstudenten, Stipendiaten, Forscher und Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten eingetreten sind. Wir sind bemüht, Abhilfe zu schaffen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109410200
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Kastning auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um negative Auswirkungen durch das neue Steuerrecht für deutsche Studenten und Wissenschaftler in den USA zu verhindern oder finanziell auszugleichen, ohne daß dadurch die Zahl der geförderten Stipendiaten und Wissenschaftler sinkt?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat bei verschiedenen Gelegenheiten die amerikanischen Partner auf die nachteiligen Auswirkungen der neuen amerikanischen Steuergesetzgebung auf den bilateralen Wissenschaftsaustausch hingewiesen. Sie hat das Thema auch bei den deutschamerikanischen Kulturkonsultationen im Mai dieses Jahres in Washington zur Sprache gebracht. Seitdem wird versucht, im Rahmen der laufenden Doppelbesteuerungsverhandlungen im Interesse unserer Wissenschaftler und Studenten wie auch des bilateralen Wissenschaftsaustausches insgesamt eine allseits befriedigende Lösung zu erarbeiten. Dies dient auch dem Ziel, der Gefahr einer Verringerung des Volumens des deutsch-amerikanischen Wissenschaftsaustausches entgegenzuwirken.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109410300
Zusatzfrage, bitte sehr.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1109410400
Da nach meinem Eindruck bei den Gesprächen — auch in unseren Bundestagsausschüssen — über das Doppelbesteuerungsabkommen bisher sehr stark Fragen der Anrechnung der Kapitalertragsteuer, der Einkommensteuer usw. im Vordergrund standen, möchte ich doch fragen, welchen Stellenwert dieser Punkt hat bzw. wie weit die Gespräche gediehen sind, nicht im Detail, aber in der Tendenz.
Schäfer, Staatsminister: Ich kann dazu nur sagen, daß das für uns einen hohen Stellenwert hat, weil wir — die amerikanische Seite übrigens auch — immer wieder betonen, daß wir großen Wert darauf legen, daß es zu einem regelmäßigen und umfangreichen Austausch deutscher Studenten und Wissenschaftler mit den Vereinigten Staaten kommt. Von daher bin ich der Auffassung, daß nicht nur die Bundesregierung diesen hohen Stellenwert bei den Verhandlungen entsprechend wahrt, sondern daß, Herr Kollege, auch der Ausschuß von seinen Möglichkeiten Gebrauch macht, als Kontrolleur der Bundesregierung darauf zu achten, daß bei der Behandlung des Doppelbesteuerungsabkommens dieser wichtigen Frage ein entsprechender Stellenwert eingeräumt wird.




Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1109410500
Herr Präsident, wenn Sie jetzt großzügig sind, möchte ich eine weitere Zusatzfrage, die mir zusteht, stellen, die aus zwei Teilen besteht.
Wären Sie dann, wenn sich die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten als aussichtslos erweisen sollten, bereit, gemeinsam mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft ernsthaft zu prüfen, wie dann möglicherweise über die Aufstockung von Stipendien oder Geldleistungen in etwa ein Ausgleich geschaffen werden kann, und würden Sie mir für das Auswärtige Amt vielleicht zum Jahresende mitteilen, wie der Stand der Verhandlungen über das Doppelbesteuerungsabkommen ist?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, wenn ich mit der letzten Frage beginnen darf: Es ist selbstverständlich, daß das Auswärtige Amt Ihnen jederzeit, auch bis zum Jahresende, Auskunft über den Stand der Verhandlungen gibt.
Nun zu Ihrer ersten Frage: Bevor wir uns öffentlich auf die mögliche Bereitschaft der Bundesregierung festlegen, für finanzielle Ausfälle einzutreten, die deutschen Studenten durch die amerikanische Steuergesetzgebung entstehen, sollten wir zunächst einmal unser Verhandlungspotential ausschöpfen. Wir schwächen es, wenn wir hier öffentlich erklären: Gleichgültig, wie es ausgeht, werden wir dafür sorgen, daß kein Schaden entsteht. Wir wollen im Doppelbesteuerungsabkommen ganz großen Wert darauf legen, daß diese Tendenz gebremst wird und daß eine pragmatische Lösung im Sinne unserer Studenten und Wissenschaftler gefunden wird.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1109410600
Die Zeit läuft gegen die Betroffenen!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109410700
Keine weiteren Zusatzfragen!
Die Fragen 17 und 18 des Herrn Abgeordneten Lowack sollen auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatssekretär Dr. Knittel zur Verfügung.
Die Fragen 59 des Abgeordneten Dr. Weng (Gerlingen) sowie 60 und 61 des Abgeordneten Dr. Rose sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 62 des Herrn Abgeordneten Antretter auf:
Welches sind die Auswirkungen der versuchsweisen Einführung eines Tempolimits in der Schweiz auf die Zahlen der Verkehrsunfälle und ihre Folgen sowie auf die Schadstoffemissionen, und welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung daraus zu ziehen?
Bitte sehr.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109410800
Herr Abgeordneter, die Schweizer Bundesregierung hat die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 auf 120 km/h und die auf anderen Außerortstraßen von 100 auf 80 km/h mit Wirkung vom 1. Januar 1985 herabgesetzt — diese Regelung ist bis Ende 1989 befristet — und hat auf einem begrenzten Streckennetz die Auswirkungen untersucht. Nach Auskunft des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements ergab sich im Vergleich 1983/84 zu 1985/86 und zum Teil zu 1987 folgendes:
Bezogen auf die Fahrleistungen auf dem gesamten Autobahnnetz, hat die Zahl der Unfälle um 8 %) zugenommen. Die Zahl der Getöteten und Verletzten hat um 3,9 % abgenommen, die Unfallschwere — das ist die Anzahl der Verletzten pro Unfall — um 11,5 %.
Auf den anderen Außerortsstraßen ging die Zahl der Unfälle um 2,5 %, die der Getöteten und Verletzten um 10 %) und die Unfallschwere um 7,8 % zurück.
Nach den Modellrechnungen der Schweizer Behörden führte die Temporeduktion auf 80 bzw. 120 km/h zu einer Verminderung der Stickoxidemissionen um rund 3 %. Bezogen auf den gesamten NOX-Ausstoß in der Schweiz — Industrie, Gewerbe, Haushalte und Verkehr — betrug der Rückgang 2 %.
Ebenso wie in fast allen anderen westeuropäischen Staaten stiegen jedoch in der ersten Jahreshälfte 1988 auch in der Schweiz die Unfallzahlen. Bis Juni 1988 stieg z. B. die Zahl der Getöteten um 4 %.
Ergänzend muß ich aber noch auf folgendes hinweisen. Die schweizerischen Darlegungen beziehen sich auf Ausgangswerte, die hier nicht bekannt sind. Deutsche Vergleichszahlen lassen sich daher nicht ohne weiteres bilden. Legt man die absoluten Zahlen für die Vergleichszeiträume 1983 —1984 und 1985-1986 zugrunde, so ergibt sich im Vergleich der Schweiz zu Deutschland, bezogen auf die Autobahnen, folgende Zahlen: In der Schweiz: Getötete plus 0,2 %, Verunglückte plus 7 %; für die Bundesrepublik Deutschland: Getötete minus 10 %, Verunglückte minus 18 %. Diese Zahlen sprechen nicht unbedingt für den Erfolg der Temporeduzierung in der Schweiz. Sie lassen jedenfalls erkennen, daß in Deutschland unter dem Gesichtspunkt Tempolimit auf den Bundesautobahnen kein Handlungsbedarf besteht.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109410900
Zusatzfrage, bitte.

Robert Antretter (SPD):
Rede ID: ID1109411000
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, in diesem Zusammenhang zur Kenntnis zu nehmen, daß die Unfallzahlen in der Bundesrepublik deutlich gestiegen sind, hingegen erfreulicherweise in einer Übergangszeit die Unfallschwere, die sich in Verkehrstoten und Schwerverletzten kennzeichnet, zurückgegangen ist, daß dieses jedoch im wesentlichen mit der überfälligen bußgeldbewehrten Anschnallpflicht zu tun hat, die — wenn auch spät — von der Bundesregierung verfügt wurde? Sind Sie angesichts dieser Tatsache willens, doch noch einmal Konsequenzen im Sinne eines Tempolimits aus den Unterlagen und Ergebnissen, die uns das Schweizer Modell bietet, vor allem hinsichtlich der geringeren Zahl an schweren Unfällen zu ziehen?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich glaube, daß sich die beiden Bereiche nicht so vergleichen lassen, wie Sie es hier angedeutet haben. Im übrigen ist die Bundesregierung der Auffassung, daß



Staatssekretär Dr. Knittel
die Unfallzahlen dieses Halbjahres, die in allen europäischen Ländern mit zwei Ausnahmen angestiegen sind, erst noch näher analysiert werden müssen.
Lassen Sie mich, Herr Abgeordneter, in diesem Zusammenhang auf eines hinweisen: Es ist so, daß von den 480 000 Kilometern Straßennetz in der Bundesrepublik 98,4 % von vornherein einer Geschwindigkeitsbegrenzung unterliegen, als Ortsstraßen oder Außerortsstraßen. Das heißt, nur 1,6 % unseres Straßennetzes, nämlich 8 200 Kilometer Autobahnen, sind grundsätzlich von Geschwindigkeitsbeschränkungen ausgenommen. Auch davon sind in der Regel wieder rund 20 % mit Geschwindigkeitsbegrenzungen belegt, sei es auch nur temporär wegen Bauarbeiten oder sonst, im Einzelfall, streckenabschnittsweise wegen der besonderen Sicherheitslage.
Ich darf ein letztes in diesem Zusammenhang bemerken: Wir sind dabei, die Straßentechnik weiterzuentwickeln, d. h. wir bauen und setzen auch auf die Entwicklung der Wechselschilder. Ich darf daran erinnern, daß wir gerade erst im Juli auf der Strecke zwischen Aachen und Düren solche Wechselschilder in Betrieb genommen haben, die dem Kraftfahrer genau anzeigen — situationsbedingt — , welche Geschwindigkeit zwischen 40 und 120 Kilometer geboten ist, die zugleich anzeigen, aus welchem Grunde, nämlich wegen Stau, Unfall, Nebel usw. Wir meinen, daß diese den Kraftfahrer im Einzelfall konkret informierende Regelung die größte Aussicht auf Erfolg hat, denn — das muß ich noch erwähnen — in der Schweiz ist es so, daß mit der Herabsetzung der Geschwindigkeit auch zugleich die Einhaltung der Geschwindigkeitsgrenzen erheblich sinkt. Die Überschreitensrate hat sich in der Schweiz verdoppelt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109411100
Weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Robert Antretter (SPD):
Rede ID: ID1109411200
Herr Staatssekretär, Ihr Einvernehmen unterstellend, daß ich diesen Schritt der Bundesregierung als positiv im Sinne der Verkehrssicherheit anerkenne, möchte ich Sie fragen, ob Sie sich überhaupt das Ergebnis eines Modells der Geschwindigkeitsbegrenzung in irgendeinem Land vorstellen können, das die Bundesregierung bzw. den Bundesverkehrsminister veranlaßt, von ihrer starren Haltung gegen ein Tempolimit Abstand zu nehmen?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Ich halte nicht viel von theoretischen Modellen. Natürlich beobachten wir alle Entwicklungen, sowohl die Entwicklung des tatsächlichen Verkehrs als auch der Unfälle im eigenen Land wie in anderen Ländern. Wir werden selbstverständlich auch sämtliche Modellversuche und deren Auswertungen weiter verfolgen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109411300
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Antretter auf:
Liegen der Bundesregierung die Ergebnisse über die Zahl der Verkehrsunfallopfer auf den italienischen Autobahnen während der Zeit vor, da ein auf die Autobahnen begrenztes Tempolimit angeordnet war, und welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung daraus zu ziehen?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Der Bundesregierung liegen bisher noch keine Informationen der italienischen Staatsregierung vor, die eine Bewertung der befristet eingeführten Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen und Landstraßen in Italien zulassen. Wir haben uns bemüht, bereits unmittelbar nach Schluß dieser Regelung in Italien die Zahlen offiziell zu bekommen. Das ist uns bisher nicht gelungen. Wir haben das auch über die deutsche Botschaft versucht, bisher noch ohne Erfolg. Wir werden uns weiter darum bemühen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109411400
Herr Staatssekretär, werden Sie, wenn die Zahlen vorliegen, dem Herrn Abgeordneten Antretter diese unaufgefordert zur Verfügung stellen?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Sehr gern, Herr Präsident.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109411500
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Robert Antretter (SPD):
Rede ID: ID1109411600
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Ankündigung dieser Unterrichtung. Wären Sie darüber hinaus bereit, sich dafür zu verwenden, daß das Ergebnis des zeitlich begrenzten italienischen Tempolimits auch im Verkehrsausschuß beraten wird, und sich, wenn es, wovon ich nach den mir zur Verfügung stehenden Zahlen aus dem italienischen Verkehrsministerium ausgehe, auch von Ihnen unter dem Strich als erfolgreich bewertet wird, dann auch für eine Tempolimitregelung in der Bundesrepublik einzusetzen?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich halte das zunächst für eine hypothetische Frage. Die Bundesregierung wird immer nach dem konkreten Ergebnis von Prüfungen und Beratungen entscheiden.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist nicht wahr!)

Selbstverständlich sind die Bundesregierung und der Verkehrsminister gern bereit, diese Fragen mit den Ergebnissen im Verkehrsausschuß zu diskutieren. Nachdem Sie erwähnt haben, daß Sie offizielle Zahlen aus dem italienischen Verkehrsministerium haben, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diese zur Verfügung stellen würden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109411700
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1109411800
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bei der Überprüfung der Experimente, also etwa des italienischen, aber auch anderer, die Erfahrung gemacht, daß die Frage der Tempolimits immer die Frage der Überwachung ist, und hat sie aus dieser Bewertung die Erfahrung gezogen, die wir täglich auf den Straßen machen, daß die schönste theoretische Vorschrift für eine Geschwindigkeitsbegrenzung nichts nützt, wenn niemand da ist, der ihre Einhaltung auch tatsächlich überwacht?
Dr. Knittel, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es ist sicher so, daß in jedem Land ein Teil der Kraftfahrer von sich aus diese Geschwindigkeitsbeschränkungen



Staatssekretär Dr. Knittel
einhält, ein Teil der Kraftfahrer wohl dazu neigt, diese gelegentlich oder häufiger zu durchbrechen. Für diesen Teil ist sicher eine Kontrolle nötig oder jedenfalls hilfreich, um die Einhaltung durchzusetzen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109411900
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur weiteren Finanzierung des Projekts „Schneller Brüter" in Kalkar
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem oben genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1109412000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als vor 28 Jahren in den Vereinigten Staaten der erste Schnelle Brüter Atomstrom lieferte, schien das Zeitalter einer billigen und unbegrenzt zur Verfügung stehenden Energieversorgung angebrochen zu sein.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Der Schein trog!)

Heute sind alle visionären Hoffnungen in den Schnellen Brüter geplatzt. Wir alle — übrigens auch die Bundesregierung — wissen: Der Schnelle Brutreaktor ist sicherheitstechnisch nicht zu verantworten, wird nie wirtschaftlich zu betreiben sein, ist forschungspolitisch überflüssig.
In der größten Industrienation der Welt, den USA, hat dieses Wissen Anfang der 80er Jahre unter dem konservativen Präsidenten Ronald Reagan zur Aufgabe des Schnellen Brüters geführt. Im konservativen Großbritannien Maggie Thatchers wurde vor kurzem das Milliardensteuergrab Brüter endgültig versiegelt.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist nicht richtig! Nach 20 Jahren Forschungsarbeit läuft das aus!)

In Frankreich verschwanden fünf geplante Brüterprojekte stillschweigend im Reißwolf. Der Super Phénix wurde auf unabsehbare Zeit eingemottet. Kurzum: Die einst hochgelobte Brütertechnologie stirbt international ab.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist nicht zutreffend!)

Große Industrienationen sind aus dieser Technik ausgestiegen, weil sie keinen Nutzen bringt, sondern nur mit großen ökologischen und ökonomischen Risiken verbunden ist. Überall dort, wo mit spitzen Bleistiften gerechnet wird, sind die Brüterprojekte zu ungeliebten Investitionsruinen geworden.
Die Strommanager aus Baden-Württemberg haben mit ihrer Weigerung, dieses energiewirtschaftlich und forschungspolitisch sinnlose Projekt weiter mitzufinanzieren, endlich die Katze aus dem Sack gelassen. Sie sind aber nur die Stoßtruppe der gesamten deutschen Stromwirtschaft. In Briefen und Interviews wird von der Stromwirtschaft offen vom überflüssigen Brüter in Kalkar geredet. Die Stromversorger gehen von Bord.
Auch die baden-württembergische Landesregierung hat sich von diesem Projekt verabschiedet. Damit hat Lothar Späth, der Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, den energiepolitischen Kurs der CDU in einem wichtigen Punkt verlassen.
Dagegen geben Kanzler, Forschungsminister und Bundesumweltminister unverdrossen Durchhalteparolen aus, obwohl von der deutschen Stromwirtschaft zu hören ist, daß die Stromversorger den Brüter lieber heute als morgen aufgeben würden.
Warum will die deutsche Stromwirtschaft aufgeben? Einfach, weil sie nicht weiter für ein Projekt zahlen will, das keinen erkennbaren Nutzen zeigt.
Was läßt diese Bundesregierung an diesem Projekt festhalten?

(Kastning [SPD]: Starrsinn!)

Ist es energie- und forschungspolitische Blindheit? Ist es mangelnde wirtschaftspolitische Kompetenz? Oder ist es Angst vor Franz Josef Strauß, der diese Technologie partout weiter will?
Die Bundesregierung und die Mehrheit der CDU/ CSU wollen die Risiken der Kernenergie der Bevölkerung auf Dauer zumuten. Deshalb halten sie am Schnellen Brüter fest. Deshalb hat diese Regierung Angst, daß das Ende des Brüters auch zum Aus für Wackersdorf wird. Sie wissen, daß mit der Aufgabe des Brüters und der Wiederaufarbeitung der Damm in der CDU gegen die weitere Nutzung der Kernenergie endgültig bricht.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das ist nun unfair!)

Deshalb halten Sie wider besseres Wissen an diesem Projekt fest.
Dabei wissen doch auch Sie seit Jahren — wie übrigens die gesamte Stromwirtschaft — , daß der Schnelle Brüter null Nutzen bringt. Trotzdem muten Sie den Menschen die damit verbundenen Risiken zu. Sie setzen unbeirrt auf eine Dinosauriertechnologie und verpulvern dafür knappe Steuermittel.
Wir wollen dagegen eine Politik, die Energieeinsparung, die erneuerbare Energiequellen und die umweltfreundliche Kohlenutzung fördert und unterstützt, für die Sie kein Geld ausgeben wollen.
Sie, Herr Riesenhuber, haben es zugelassen, daß in den letzten Jahren, seit Sie regieren, mehr als 4 Milliarden DM für den Brüter verschleudert wurden. Sie lassen es weiterhin zu, daß Jahr für Jahr Hunderte von Millionen D-Mark an Steuergeldern ohne Sinn und Verstand ausgegeben werden.

(Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Wieviel haben Sie damals verschleudert?)

Deshalb: Geben Sie endlich das unsinnige Brüterprojekt auf!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)





Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109412100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1109412200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Schäfer, Sie täuschen sich. Dies ist nicht die Stunde des Triumphes der SPD, auch wenn sie sich ihrem Ziele nahe wähnt. In dieser Stunde bewegt uns große Sorge um das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland als Industriestandort,

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

um ihr Ansehen als internationaler Vertragspartner bei der Erforschung und Erprobung von Zukunftstechnologien und auch große Sorge um den Vollzug von Recht und Gesetz und um die Bundestreue in unserem föderativen Staat. Es geht uns um das vitale Interesse aller Bürger, für die fernere Zukunft umweltverträgliche Optionen zur Sicherung unserer Energieversorgung zu erarbeiten.
Der Brutreaktor in Kalkar ist 1972 von der SPD-Bundesregierung beschlossen und mit vielen Milliarden DM Steuergeldern errichtet worden.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das war schlimm genug!)

Dann kam von der SPD ein apodiktisches Nein zu jeder Kernenergienutzung und die erklärte Absicht, das Brüter-Projekt zu Fall zu bringen. Die Taktik liegt offen zutage: Das in der Zuständigkeit der Düsseldorfer SPD-Landesregierung durchgeführte Genehmigungsverfahren soll so weit verzögert, verteuert und finanziell unkalkulierbar gemacht werden, bis die Energiewirtschaft vor diesem Faß ohne Boden resigniert und das Handtuch wirft. Die SPD stiehlt sich aus der Verantwortung und versucht auf schäbige Weise, jeden finanziellen und politischen Schaden der Bundesregierung anzulasten. Das ist die Tatsache.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Sie tut dies, nachdem sie 17 Teilerrichtungsgenehmigungen erteilt und jedesmal ein positives Gesamturteil abgegeben hat.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Und 17mal schlauer geworden ist!)

Seit 1985 ist der Brüter in Kalkar praktisch fertiggestellt. Die nichtnuklearen Inbetriebnahmearbeiten sind nahezu abgeschlossen. An der technischen Sicherheit und Genehmigungsfähigkeit des Reaktors gibt es keinen grundsätzlichen Zweifel,

(Stratmann [GRÜNE]: Unsinn!)

und das Genehmigungsverfahren tritt trotzdem auf der Stelle. Schon bei Aufträgen für Gutachten werden die Vergabeverhandlungen verzögert, die Abnahme fertiger Gutachten hinausgeschoben, und Sachverhalte werden ohne erhebliche Gründe immer wieder problematisiert und begutachtet,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Gott sei dank!)

obwohl bereits Genehmigungsentscheidungen vorliegen wie zum Bethe-Tait-Störfall. Über Verfahrensstreitigkeiten bleibt die Sacharbeit liegen. Sitzungen der Reaktorsicherheitskommission wurden boykottiert. Als schließlich die Bundesregierung Ende April
zum Mittel einer verfahrenslenkenden Weisung griff, verweigerte die SPD-Regierung die Befolgung.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr gut!)

Ein Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht stand unmittelbar bevor, als Düsseldorf nach nunmehr fünf Monaten Zeitverlust einlenkte. Pro Monat entstehen Wartekosten in Höhe von 9 Millionen DM.
So geht es nicht weiter, daß Düsseldorf für den atomrechtlichen Vollzug in Auftragsverwaltung in vollem Umfang zuständig ist, diese Zuständigkeit mißbraucht und jede Verantwortung nach Bonn abschiebt.
Der SNR 300 ist ein internationales Gemeinschaftsprojekt und in ein Forschungsprogramm eingebunden, an dem auch Frankreich wesentlich beteiligt ist. Er ist der modernste Brutreaktor Europas. Herr Kollege Schäfer, das sollten Sie hier auch einmal zur Kenntnis nehmen: Die Japaner bauen gegenwärtig nach seinem Vorbild einen Schnellen Brüter, der 1992 in Betrieb gehen soll.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Diese Technik erschließt ein fast unerschöpfliches Energiepotential, das weit größer als alle fossilen Energiereserven dieser Erde ist.
Wir erwarten von den Energieversorgungsunternehmen, daß sie im Interesse der energiepolitischen Zukunftsvorsorge dieses Forschungsprojekt weiter mittragen und im vorgesehenen Umfang an der Finanzierung beteiligt bleiben. Der SNR 300 kann ohne sie nicht betrieben werden.
Die vom Bundesforschungsminister vorgeschlagene Verteilung der Finanzierungslast zwischen Energiewirtschaft, Hersteller und Bund stellt einen tragfähigen Kompromiß dar.
Die SPD soll ruhig aufhören, den baden-württembergischen Ministerpräsidenten, den sie sonst wegen des neuen Kernkraftwerks in Neckarwestheim ja aufs heftigste angreift, als Kronzeugen für ihre Kernenergie-Ausstiegspläne zu bemühen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!)

Späths Ansichten über den forschungspolitischen Nutzen des SNR 300 teile ich nicht.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Aha!)

Von der Bundesregierung erwarten wir, daß sie im Rahmen ihrer Bundesaufsicht alles tut, damit in Kalkar Recht und Gesetz angewendet werden. Recht und Gesetz stehen nicht zur Disposition von SPD-Parteitagen. Wir brauchen eine Umkehr zu neuer Sachlichkeit, damit wir unsere Zukunft nicht verspielen und das Notwendige nicht versäumen.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109412300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wetzel.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109412400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Laufs, was Sie uns



Wetzel
gerade vorgetragen haben, war ja nichts anderes als die Wiederholung und Nachahmung des grundsätzlichen forschungs- und technologiepolitischen Glaubensbekenntnisses, das Herr Forschungsminister Riesenhuber nicht müde wird, in fast jeder Ausschußsitzung vorzutragen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Weil es richtig ist!)

— Herr Kollege Laufs, darüber unterhalten wir uns gleich.
Das Glaubensbekenntnis lautet: Wir müssen den Mut zu forschungs- und industriepolitischen Risiken aufbringen, weil andernfalls die Bundesrepublik als Industriestandort gefährdet wird.
Meine Damen und Herren, wenn Mut im Sinne dieser kindisch-soldatisch männlichen Tugend zum einzigen Prinzip von Forschungspolitik wird und das ganze bereits 7 Milliarden DM gekostet hat und diesem guten Geld jährlich weitere 100 Millionen DM nachgeschmissen werden sollen, dann ist dieser Mut absolut lächerlich und gesellschaftlich und politisch nicht vertretbar.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ähnlich verhält es sich mit der Raumfahrt; ähnlich verhält es sich — da haben Sie ja bereits Erfahrungen machen können — mit der Lasertechnologie. Das sind alles Fehlinvestitionen. Diese Regierung sollte endlich einmal aus ihrer falsch angelegten, nämlich ach so mutigen Forschungspolitik lernen.
Aber diese Bundesregierung hat sich bisher in Sachen Schneller Brüter allen vernünftigen Argumenten verschlossen.
Ich habe mich gefragt, und viele fragen sich: Womit mag das zu tun haben? Erst einmal eine Beschreibung: In meinen Augen — ich weiß, daß das ein sehr hartes Urteil ist — ist in dieser Bundesregierung so etwas wie das Barschel-Syndrom eingebrochen. Man hat sich dermaßen in Fehleinschätzungen und in Täuschungen der Öffentlichkeit verstrickt, daß diese Regierung nicht mehr weiß, wie sie ohne Gesichtsverlust aus dem Brüter herauskommen soll.
Das wirtschaftliche Argument spricht gegen den Brüter. Kalkar wird niemals — das sagen uns alle wirtschaftspolitischen Fachleute — wirtschaftlich Strom liefern. Heute fallen aus diesem Grunde — darauf wurde bereits hingewiesen — die baden-württembergischen Stromerzeuger von diesem Projekt ab. Morgen werden es andere sein. Sie erinnern sich, daß das RWE — ich glaube, es war im Februar — sagte: Wenn in der Finanzierung nicht eine Solidarität aller Stromerzeuger herstellbar ist, dann scheiden auch wir aus. — Ich darf darauf hinweisen, daß eine Regierungskommission in Großbritannien im Mai ausdrücklich einen wirtschaftlichen Nutzen dieser Technologie bestritten hat.
Es gibt auch keine energiepolitischen Argumente für den Brüter. Jede aktuelle Prognose zum künftigen Energiebedarf widerspricht den reinen Zweckprognosen der sechziger und siebziger Jahre, die dazu herhalten mußten, den Schnellen Brüter durchzusetzen.
Auch der von Herrn Riesenhuber so sehr in den Vordergrund geschobene forschungspolitische Nutzen ist ein Windei. Die Brütertechnologie ist international gesehen längst durchgetestet. In den USA ist man aus der Brütertechnologie ausgestiegen. In Frankreich dokumentiert eine reparaturbedingte Stillegung nach der anderen das Risikopotential.

(Gerstein [CDU/CSU]: Und der Phénix?)

Selbst wer diese Technologie bejaht, wird mit Hilfe des Schnellen Brüters in Kalkar auf keine einzige neue Erkenntnis stoßen können. Das wußte im übrigen Herr Minister Riesenhuber nach meinem Dafürhalten auch; denn sonst hätte er sich selbst und dieser Bundesregierung nicht das Armutszeugnis ausgestellt, sich in diesem Jahr von einer Atomberatungsfirma ausdrücklich ein Gefälligkeitsgutachten erstellen zu lassen. Meine Damen und Herren, wir haben das im Ausschuß besprochen. Es wurde unter systematischer Vermeidung der Hinzuziehung von kritischen Wissenschaftlern — es wurde also selektiv vorgegangen; nur Befürworter wurden überhaupt gefragt — ein Gutachten erstellt, das dann den angeblichen forschungspolitischen Nutzen belegen sollte. Das nenne ich Gefälligkeitsgutachten. Viele von Ihnen — im übrigen auch in Ihren Kreisen — waren von diesem Manöver des Ministers nicht nur enttäuscht, sondern haben das als sehr bedenklich angesehen.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Das halte ich für ein Gerücht, Herr Kollege!)

Schließlich: Auch rechtliche Argumente sprechen gegen den Brüter. Auch für ihn gilt, daß die nach dem Atomgesetz erforderliche sichere Endlagerung nicht nachgewiesen ist.
Weiterhin sind es sicherheitspolitische Bedenken, die gegen den Brüter erhoben werden. Diese Bedenken teilt ja inzwischen offenbar selbst der Umweltminister dieser Regierung.
Nicht zuletzt stehen aber auch politische Argumente gegen diese verfehlte Technologiepolitik. Nicht nur innerhalb der FDP, sondern bis weit in den Kreis der CDU hinein schmilzt der Kern der Befürworter zusammen. Wir hören beispielsweise von einer Bürgerinitiative der CDU gegen den Brüter in Kalkar, die sich der bundesweiten Antiatombewegung angeschlossen hat. Wir hören davon, daß der Konkurrent des Bundeskanzlers, Ministerpräsident Späth, auf Distanz geht.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109412500
Ihre Zeit ist abgelaufen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109412600
Wie immer passiert es mir auch jetzt, daß ich in Zeitnot komme. — Ich habe am Schluß ein Plädoyer an Sie:

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109412700
Nein, der Schluß ist schon da; Herr Abgeordneter, es geht nicht mehr. Mit Ablauf der fünf Minuten ist der jeweilige amtierende Präsident nach der Geschäftsordnung gezwungen, keine weitere Redezeit zuzulassen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109412800
Herr Präsident, natürlich akzeptiere ich das. — Ich schließe mit dem Aufruf: Keine Haushaltsmittel für die Inbetriebnahme des Brüters.



Wetzel
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109412900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Laermann.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1109413000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der SPD hat beantragt, in einer Aktuellen Stunde das Thema Finanzierung des Schnellen Brüters zu behandeln. Ich will mich jetzt diesem Thema zuwenden, weil ich glaube, daß wir die generelle Behandlung des Themas Brütertechnik hier heute in der Aktuellen Stunde mit allen Facetten nicht werden durchstehen können.
Ich möchte als Prämisse, zu Beginn meiner Ausführungen, folgende Anmerkung machen: Es war und ist für die FDP-Fraktion unzweifelhaft, daß dieses Forschungsprojekt nur dann in Betrieb genommen werden kann, wenn die Sicherheit dieses Reaktors gewährleistet ist und wenn mindestens kein größeres Risikopotential als bei einem Leichtwasserreaktor vorhanden ist. Ich möchte dies ausdrücklich an den Beginn meiner Ausführungen stellen.

(Zuruf von der SPD: Das ist sehr vernünftig!)

Dies hat auch der Deutsche Bundestag über mehr als 15 Jahre hinweg, verehrte Kollegen von der SPD-Fraktion, immer wieder deutlich gemacht, hat über zwei Legislaturperioden eine Enquete-Kommission arbeiten lassen, deren Ergebnisse akzeptiert und ihre Empfehlungen aufgenommen. Es wäre schon interessant, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Geschichte der Brüterdiskussion und vor allem die Rolle und die Position der SPD darzustellen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Kein Problem!)

Vieles scheint mir bei Ihnen, verehrte Kollegen, in Vergessenheit geraten zu sein. Auch dazu, darauf einzugehen, ist hier und heute leider keine Zeit.
Aber ich frage Sie: Wer hat denn eigentlich dieses Unternehmen zu verantworten? Wer hat noch Ende 1981 — war das Ihr Forschungsminister, Herr von Bülow? — die Mittel für die THTR-Entwicklung, für die Hochtemperaturreaktorentwicklung, zugunsten der weiteren Finanzierung des Schnellen Brüters streichen wollen? Ich frage Sie: Haben Sie das alles vergessen?
Hier geht es nicht darum, visionäre Hoffnungen aufrechtzuerhalten. Vielmehr hat uns die damalige Bundesregierung unter dem damaligen Bundeskanzler Schmidt in die gesamte internationale Vertragslage hineingebracht.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Sie müssen jetzt erklären, wie Sie aus dieser Situation wieder herauskommen. Das ist Ihre Verpflichtung; daraus entlassen wir Sie nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, das Genehmigungsverfahren — ich hoffe, wir sind uns darüber einig — ist ein Verwaltungsverfahren, welches nach der geltenden Rechts- und Gesetzeslage abzulaufen hat. Es ist nicht mehr in erster Linie eine Angelegenheit des Parlaments. Dieses Verfahren liegt in der Zuständigkeit der Exekutive, ist Angelegenheit der zuständigen Ressorts der Bundesregierung und des Landes Nordrhein-Westfalen.
Aber, meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, daß dieses Parlament davon ausgehen kann, daß dieses Verfahren nach Recht und Gesetz abläuft. Wenn aber der Eindruck entsteht, daß hier aus politischen Gründen eine Verzögerungstaktik verfolgt wird,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Neue Erkenntnisse!)

dann hat das Parlament das Recht und die Pflicht — das betone ich — , auf eine definitive, sachlich und nicht ideologisch begründete Entscheidung zu drängen und die Beteiligten aufzufordern, die Unabsehbarkeit des derzeitigen Genehmigungsverfahrens aufzulösen.
Wie sich die derzeitige Situation darstellt, muß das Parlament jetzt fordern, umfassend über den Stand des Verfahrens unterrichtet zu werden: Was ist noch in der Prüfung? Welche Auflagen sind vom Errichter noch zu erfüllen? Welche Nachweise, insbesondere sicherheitsrelevante Nachweise, sind noch zu führen? Welche neuen Auflagen seitens der Genehmigungsbehörde sind womöglich noch zu erwarten? In welchem Zeitrahmen wird das weitere Genehmigungsverfahren ablaufen? Hier muß, meine Damen und Herren, Klarheit geschaffen werden, und dazu müssen alle Beteiligten an einen Tisch. Ich schlage auch vor, den zuständigen Minister der Landesregierung Nordrhein-Westfalen zu bitten, dem Deutschen Bundestag in den befaßten Ausschüssen Antwort auf die vorgenannten Fragen zu geben.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Aber genauso — auch dies sage ich mit aller Deutlichkeit — fordern wir die Elektrizitätswirtschaft auf, ihre definitive Bewertung zum Forschungsprojekt Schneller Brüter vorzulegen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das ist nötig!) Steht sie noch zu diesem Projekt?


(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das wissen Sie doch!)

Ich sage: Eine endgültige Entscheidung über den Schnellen Brüter ist längst überfällig.

(Vosen [SPD]: Gefallen!)

Ich wiederhole das, was ich schon an anderer Stelle gesagt habe: Das Sterben des Forschungsprojekts auf Raten, das politische Gezerre, die Verzögerungsstrategie der nordrhein-westfälischen Landesregierung und die derzeitigen Auseinandersetzungen unter den Energieversorgungsunternehmen um ihre Finanzierungsanteile sind nicht länger vertretbar. Offensichtlich scheuen die Beteiligten eine rational begründbare Entscheidung, weil wegen der gegebenen Vertragslage sowohl außenpolitische Konsequenzen der europäischen Vertragspartner als auch finanzielle Regreßansprüche in Milliardenhöhe zu erwarten sind.

(Glocke des Präsidenten)




Dr.-Ing. Laermann
— Meine Damen und Herren, leider ist die Zeit in der ersten Runde für mich abgelaufen. Ich werde meine Ausführungen zu weiteren Fragen der Finanzierung nachher fortsetzen.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109413100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1109413200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde soll die langjährige, teils beschwerte und mit zahlreichen Finessen angereicherte Diskussion über eine Phase der Energieforschung weiterführen, weil wieder einmal das Geld ausgegangen ist. Die neuen „Wartekosten", über die wir hier reden, belaufen sich pro Jahr auf 105 Millionen DM. Ich füge hinzu, verehrter Herr Kollege Laufs: Der Gesamtumsatz der Stromwirtschaft in der Bundesrepublik liegt bei 93 Milliarden DM/Jahr. All denen im Deutschen Bundestag, die schon immer alles besser wußten und den Reaktor ablehnten, wird diese Aktuelle Stunde eine leichte Genugtuung verschaffen, aber denen, die die Brutreaktorlinie für vertretbar hielten und auch noch halten, soll wohl aufgezeigt werden, daß sie unverantwortlich handelten und heute handeln.

(Wetzel [GRÜNE]: Gut beobachtet!)

Meine Damen und Herren, ich meine, so einfach ist das Thema nicht. Als Ingenieur gehöre ich

(Wetzel [GRÜNE]: Ich bin auch Ingenieur!)

zu den Abgeordneten, die Vertrauen in die Fortentwicklung der Energietechnik zur Lösung unserer Energie- und Umweltprobleme haben. Ich gehöre zu denen, die der Entwicklung der Technik, auch der Brütertechnologie, gerne eine Chance geben würden.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Aber ich muß zur Kenntnis nehmen, daß ein großer Teil derer, die die Schnellbrutreaktorlinie bislang als notwendig erachtet haben, verehrter Herr Laufs, dieser Reaktorlinie in den nächsten 30 bis 40 Jahren unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten keine Chance des Einsatzes einräumen. Dabei ist derzeitig offensichtlich, daß ein großer Teil von Wirtschaftsfachleuten die Geschehnisse mit Skepsis verfolgen, ohne ihre Meinung öffentlich zu sagen; sie schauen sozusagen als Unbeteiligte zu. Meine Damen und Herren, diesen Opportunismus in den Chefetagen der Unternehmen halte ich, ob am Ende dieses neuen Prozesses nun ja oder nein steht, für verfehlt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich habe den Eindruck, sie werden ihrer Verantwortung nicht gerecht.
Ich stimme dem Bundesforschungsminister und dem Umweltminister zu, die sagen, der Schnellbrutreaktor darf kein Staatsreaktor werden. Es liegt mir heute fern, verehrte Kollegen von den Regierungsparteien, an die kräftigen Ausdrücke vieler Parlamentskollegen aus Ihren Fraktionen in den Debatten zu erinnern, da sie heute Regierungsverantwortung tragen. Was haben Sie damals nicht alles gesagt, was Sie besser, was Sie schneller machen wollten. Führen Sie jetzt nicht — vom Thema abgehend — allein die nordrhein-westfälische Landesregierung an! Die Wirtschaft, vor allem ihre Spitzenleute in der Energiewirtschaft, für deren Unternehmen die Forschung und Entwicklung betrieben wurde, werden angesichts der neuen Fakten schweigsam. Natürlich kann sich jeder, der in Forschung und Entwicklung tätig ist, über einen so langen Zeitraum irren. Oder anders gesagt: Neue, andere Fakten können die vor Jahren vorhandene Situation heute in ein anderes Licht stellen. Nicht umsonst sagen wir Bergleute: Vor der Hacke ist es duster.
Aber, meine Damen und Herren, wenn das so ist, gilt das natürlich auch für die Politik, verehrte Frau Garbe. Da hilft auch nicht der neu aufgewärmte Vorschlag, diese Reaktorlinie als Plutoniumverbrennungsanlage zu betreiben. Der Fachkundige weiß, daß man Pu als Brennstoff in den Leichtwasserreaktoren voll rezyklieren kann. Außerdem müssen aus der Wiederaufarbeitung in Frankreich in den nächsten Jahren größere Mengen abgenommen und teuer bezahlt werden.
Ich meine, es ist an der Zeit, daß die zur Zeit verdeckten Karten der langfristigen Energiepolitik am Spieltisch aufgedeckt werden, damit mit einem verstärkten Willen zum Konsens einzelne Punkte der Energiepolitik ernsthafter geprüft, abgelegt oder entschieden werden.
Dabei muß die Bundesregierung folgende Fragen schnell aufarbeiten und beantworten.
Erstens. Genügen allein forschungspolitische Aussichten dieses Reaktors, um für die nächsten 30 Jahre diesen Bereich der Technologie aufrechtzuerhalten,

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das war aber immer so!)

um Gelder von Staat und Wirtschaft, die über den Preis vom Bürger aufgebracht werden, aufzuwenden, um diese Technologie für diesen langen Zeitraum — so sage ich nochmals — aufrechtzuerhalten?
Zweitens. Welche Kosten kommen auf uns zu, wenn sich nach einigen Jahren der jetzt wohl weiter von der Regierung eingeschlagene Weg als Sackgasse erweist?
Drittens. Ist es bei den günstigen Uranpreisen nicht auf Dauer notwendig, auch hier z. B. über die Wiederaufarbeitungsanlage zu sprechen?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109413300
Herr Abgeordneter Stahl, Ihre Zeit ist abgelaufen. Darf ich bitten?

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1109413400
Ich bin sofort fertig.
Ist eine zügige Regelung der Entsorgungsfrage nicht vorrangig?
Welche Konsequenzen bezüglich der Regreßansprüche aus der Wirtschaft und der Auslandsbeteiligung kommen auf den Forschungsminister bei Einstellung des Projektes zu?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109413500
Herr Abgeordneter Stahl, Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich bitte, daß sich alle Redner an die Redezeit halten.




Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1109413600
Abschließender Satz: Verehrter Herr Forschungsminister, diese Fragen, meine ich, müssen in einer konzertierten Aktion zwischen Ihnen, der Elektrizitätswirtschaft, der anderen Wirtschaft, den Bundesländern und der Forschung nun endlich abgearbeitet werden. Nicht umsonst sagte Herr Spalthoff gegenüber dem WDR

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109413700
Herr Abgeordneter Stahl, ich entziehe Ihnen das Wort. Bitte, verlassen Sie das Podium.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1109413800
— dies ist einer der führenden Leute in der Stromwirtschaft — : Dieser Reaktor ist überflüssig geworden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109413900
Herr Abgeordneter Stahl!

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1109414000
Schönen Dank, Herr Präsident.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109414100
Nein, mit dem Dank allein ist es nicht getan. Hier muß Disziplin herrschen. Ich muß gegenüber allen, die hier am Rednerpult stehen, pflichtgemäß handeln. Ich bitte, sich auch daran zu halten und mir das Leben nicht unnötig zu erschweren.

(Zuruf von den GRÜNEN: Von den GRÜNEN lernen!)

Das gilt auch für langjährige Kollegen, denen ich sonst in Freundschaft verbunden bin.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Dabei war es die beste Rede der SPD! Und kein Beifall!)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerstein.

Ludwig Gerstein (CDU):
Rede ID: ID1109414200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Horrorgemälde des Kollegen Schäfer und des Kollegen Wetzel war das eine wohltuende Rede, wie wir sie eigentlich von dem Kollegen Stahl auch gar nicht anders erwartet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Er hat allerdings — aber dafür muß man Verständnis haben — die peinliche Rolle der Landesregierung Nordrhein-Westfalen in der Frage der Genehmigungspraxis des Schnellen Brüters vornehm verschwiegen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Nein!)

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal daran erinnern, daß sich das Land Nordrhein-Westfalen Anfang der '70er Jahre vehement um die Ansiedlung des Projektes Schneller Brüter gekümmert und alle Vorteile, die mit dem Bau, mit den Arbeitsplätzen verbunden sind, in Anspruch genommen hat. Ich möchte auch daran erinnern, daß die Genehmigungsbehörden in Nordrhein-Westfalen, wenn auch in einer sehr langen Frist, insgesamt 17 Genehmigungen fast bis zur Fertigstellung erteilt haben. Ich möchte ferner daran erinnern — und das scheint mir wichtig zu sein — , daß das Verwaltungsgericht Düsseldorf noch 1984 festgestellt hat, daß alle bis dahin erteilten Genehmigungen rechtskräftig erteilt worden sind. Und ich möchte noch einmal an den Beschluß des Deutschen Bundestages erinnern, den wir hier gemeinsam gefaßt haben, nicht zuletzt nach den Beratungen in der Enquete-Kommission, mit dem wir den Inbetriebnahmevorbehalt aufgehoben und festgestellt haben, daß der möglichen Inbetriebnahme des Schnellen Brüters in Kalkar hinsichtlich der Fragen der Sicherheit und Anlagensicherheit eben keine politischen Bedenken gegenüberstehen. Für uns gilt diese Feststellung und Festlegung auch heute noch.

(Vosen [SPD]: Und morgen!)

Das Land Nordrhein-Westfalen — Herr Ministerpräsident Rau und Minister Jochimsen — verkündet dauernd — so ähnlich wie Herr Schäfer —, der Brüter könne, solle nicht mehr genehmigt werden.

(Rixe [SPD]: Das ist richtig!)

Auf der anderen Seite verkündet Herr Jochimsen als Chef der Genehmigungsbehörde, das Genehmigungsverfahren würde nach Recht und Gesetz abgewickelt.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber Herr Gerstein, Sie reden am Thema vorbei!)

— Nein. (Stahl [Kempen] [SPD]: Doch, das tun Sie!)

— Die Rolle des Landes Nordrhein-Westfalen muß hier deutlich gemacht werden. Deswegen muß auch die Frage gestellt werden:

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Keine Spur von Nachdenklichkeit!)

Ist denn in diesem Umfeld — Herr Schäfer hat ein Beispiel für das Umfeld gegeben; das ist bei manchen nordrhein-westfälischen SPD-Politikern ja nicht anders — ein ordnungsgemäßer Abschluß des Genehmigungsverfahrens überhaupt möglich?

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist unerhört, was Sie tun!)

Daher rühren die Schwierigkeiten, über die wir uns heute hier unterhalten.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Dann sagen Sie ein Wort zum Töpfer-Brief! Sagen Sie ein Wort zum Brief des Ministers Töpfer!)

Gelegentlich muß man ja sagen, daß es erstaunlich ist, daß es beim Genehmigungsverfahren ein paar Beamte gibt, die dem politischen Druck standhalten

(Schäfer [Offenburg [SPD]: Unerhört!)

und das Genehmigungsverfahren vernünftig fortzuführen versuchen.
Ich möchte noch einschieben, daß es eigentlich ein Stückchen Bewährung des Systems „Schneller Brüter" ist, daß es bisher allen Anfechtungen und Prüfungen des Genehmigungsverfahrens, eines sehr rigorosen Genehmigungsverfahrens, standgehalten hat und die Genehmigungsbehörde immer wieder zu dem Ergebnis gekommen ist, daß es keinen Grund für Nichtgenehmigung gibt.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber Herr Gerstein, das ist nicht der entscheidende Punkt!)

— Ich gehe sonst auf Zwischenrufe gerne ein. Aber das kann man hier in fünf Minuten nicht machen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Ja, da stimme ich Ihnen zu!)

Deutscher Bundestag — 11, Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1988 6421
Gerstein
Lassen Sie mich noch einmal darauf hinweisen, daß wir nach wie vor gerade unter dem Gesichtspunkt, daß es heute nicht darauf ankommt, Brütertechnologie kommerziell zu nutzen, den forschungsorientierten Betrieb des SNR 300 für besonders wichtig halten und ihm eine zusätzliche Bedeutung zumessen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Wollen Sie jetzt 40 Jahre subventionieren, Herr Gerstein?)

Ich möchte noch einmal die Frage stellen: Was tun wir eigentlich am Ende der Lebenszeit der heutigen Leichtwasserreaktoren im nächsten Jahrhundert? Ist es nicht so, daß wir auch unter dem Eindruck der neuen Erkenntnisse über die Risiken unserer derzeitigen Energieversorgung

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist Steinzeitkenntnis, energiepolitische Steinzeit!)

vielleicht wieder zu der Erkenntnis kommen — ich meine, wir stünden kurz davor — , daß wir der Kernenergie im Rahmen einer Gesamtstrategie zur Minderung der CO2-Emission

(Lachen bei den GRÜNEN)

eine ganz neue Rolle zumessen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gerade dafür scheint mir die Option Schneller Brüter notwendig zu sein.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Endlich läßt er die Katze aus dem Sack!)

Wir müssen sie aufrechterhalten, bis wir darüber Klarheit haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109414300
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Forschung und Technologie.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1109414400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß auch zu einem so schwierigen und oft streitigen Thema eine nachdenkliche und sachliche Debatte im Deutschen Bundestag möglich ist. Einige der Grundsatzfragen, die in der Öffentlichkeit oft heftig umstritten waren, haben hier nicht im Vordergrund gestanden. Konsens besteht darüber, daß der Schnelle Brüter dann und nur dann ans Netz geht, wenn er gemäß unserem Gesetz die strengsten Sicherheitsauflagen erfüllt. Diskutiert wurde nicht über die Frage Plutonium oder Höllenfeuer. Denn jeder weiß, daß der Schnelle Brüter in Kalkar

(Frau Unruh [GRÜNE]: Der geht nicht ans Netz!)

mehr Plutonium verbrennen wird, als er erzeugen kann.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Und warum heißt er Brüter?)

Er verbrennt unter dem Strich Plutonium.

(Vosen [SPD]: 0,96 ist die Brutrate!)

Was sich dabei ergibt, ist, daß wir hier insgesamt, wie Herr Stahl das in eine eindrucksvollen Weise getan hat, Bedingungen zur weiteren Arbeit erwägen können. Ich möchte hier nicht die Historie, auch nicht die finanzielle Historie aufblättern.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Das wäre aber schön!)

Aber in 1982 war die Sache so, daß die Schätzungen der Kosten für den Brüter von ursprünglich 1,5 Milliarden DM auf 6,5 Milliarden DM gestiegen waren.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber das war in den letzten 15 Jahren, Herr Riesenhuber!)

4,4 Milliarden DM waren verfügt und 660 Millionen davon nicht gedeckt.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber ausverhandelt!)

— Ja, ausverhandelt, aber zu Bedingungen, die so schlecht waren, daß man in sie nicht eintreten konnte. Sie waren als Ziele schlechter als das, was wir dann im Ergebnis erreicht haben. Das zeigen die Zahlen eindeutig. Das war keine Hilfe, sondern eine Erschwernis.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Nun fangen Sie nicht an, Erbsen zu zählen!)

Bis 1982 war die Wirtschaft mit 8 % beteiligt. Die Kosten waren gestiegen. Wir haben uns neu geeinigt: Die Wirtschaft trägt 54 % der noch offenen Kosten von fast 2,8 Milliarden DM.

(Vosen [SPD]: Der Stromkunde, Herr Minister!)

Die Wirtschaft hat für eigenes Geld gekämpft. Die Wirtschaft blieb in den Zeitplänen und in den Kostenplänen. Der Brüter ist 1986 praktisch fertig gewesen.
Dann gab es die Frage der Rationalität des Genehmigungsverfahrens. Die Teilerrichtungsgenehmigung VII/6 wurde noch von der Genehmigungsbehörde Nordrhein-Westfalen im Herbst 1985 für Frühjahr 1986 angekündigt. Sie ist bis heute nicht da. Wann sie kommt, wissen wir nicht.
In dieser Situation war die Frage zu stellen: Wie errichten wir eine verläßliche Grundlage für die weitere Arbeit?

(Frau Wollny [GRÜNE]: Wir wollen sie gar nicht!)

Wir haben uns für dieses Jahr darauf geeinigt, daß wir die Partnerschaft weiter durchhalten: zwischen den Elektroversorgungsunternehmen, den Herstellern Siemens/KWU und der Bundesregierung.
Warum? Ich hielte es für verhängnisvoll, wenn auch nur der Eindruck entstände, auf das Genehmigungsverfahren werde Druck ausgeübt, weil das Geld ausgeht. Daher haben wir es so angelegt, daß Finanzierungen gesichert sind. Aber die zweite Sache gehört genauso dazu: daß das Genehmigungsverfahren — ich zitiere Herrn Jochimsen — nach Recht und Gesetz, also zügig, durchgeführt wird, daß es in seinen Zielen, Zeitplänen und Ergebnissen absehbar ist, daß Rationalität, die die Wirtschaft braucht, um planen und arbeiten zu können, wieder in einer überzeugenden Weise da ist.



Bundesminister Dr. Riesenhuber
Ich habe hier in meiner Rolle als Forschungsminister das Genehmigungsverfahren nicht zu kritisieren.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Gut!)

Aber wenn ich sehe, daß hier die Wirtschaft die Zeitpläne nicht mehr absehen kann, daß nicht mehr zu sehen ist, wie der ganze Zeitplan abläuft und was wann zu erwarten ist, dann sind wir in einer schwierigen Lage,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Aufhören!)

nicht nur für eine Industrie und nicht nur für eine Technik, sondern für die Wirtschaft schlechthin. Unsere Wirtschaft ist ausgezeichnet und erfolgreich. Aber der Staat hat die Pflicht, in Bund und Ländern verläßliche, eindeutige und dauerhafte Rahmenbedingungen so zu setzen, daß Markt sich darin in Wettbewerb und Konkurrenz verläßlich entwickeln kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Unruh [GRÜNE]: Und die Politiker tun nichts! Das hätten Sie wohl gern!)

Was wir hier angelegt haben — ich gehe jetzt nicht auf die Diskussionen innerhalb der EVUs und von Baden-Württemberg ein —, ist dies: Der Grundsatz ist,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber das ist doch die entscheidende Frage für die Zukunft der Reaktorlinie, Herr Bundesminister!)

lieber Herr Kollege Stahl, daß an dieser Stelle die Elektroversorgungsunternehmen untereinander zu einem Konzept kommen sollen, wie sie ihr Drittel an den Wartekosten tragen. Das ist für mich nicht nur eine fiskalische Frage. Vielmehr können wir — da stimme ich Ihnen ja zu — so etwas nur dann bauen und weiterführen, wenn wir es im Rahmen eines vernünftigen gemeinsamen Konzeptes mit Partnern betreiben. Der Bund ist kein Reaktorbetreiber. Der Bund betreibt keine Kraftwerke. Wir brauchen hier eine vernünftige Partnerschaft auch mit Blick auf langfristige Entwicklungen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wir wollen sie nicht!)

Herr Stahl, hier haben Sie in einem Zwischenruf einen Punkt gebracht, der mir wesentlich ist. Sie haben gesagt: Sollen wir die 50 Jahre lang subventionieren? Herr Stahl, die Vereinbarungen, die wir mit den Stromversorgungsunternehmen ausdiskutiert hab en, sehen so aus, daß die Einnahmen aus den Stromerlösen die Betriebskosten decken, und dies zu einem Preis, der etwa zwischen den Preisen von Steinkohle und Leichtwasserreaktor liegt. Dies ist die Grundlage.

(Zuruf des Abg. Vosen [SPD])

— Dies war nie anders vorgesehen, Herr Vosen. Alle Investitionen waren nie anders vorgesehen.
Was sich daraus ergibt, ist die zweite Frage, die Herr Stahl gestellt hat, die Frage nach dem forschungspolitischen Nutzen und der weiteren Zukunft.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Und der gesellschaftlichen Auswirkungen!)

Hierzu verweise ich darauf, daß die Aussagen des Motor-Columbus-Gutachtens nicht ernsthaft bestritten worden sind. Der SNR 300 ist der modernste Testreaktor der 90er Jahre in Europa. Er erlaubt die Erprobung verschiedener Kerne. Er erlaubt die Erprobung einer spezifischen Technik, auch der deutschen Sicherheitstechnik. Er ist der Beitrag im Zusammenspiel der europäischen Kraftwerkbauer und Reaktorhersteller. Die Kooperation mit Frankreich ist nicht etwa eine Alternative, sondern der Bau und der Betrieb des Schnellen Brüters sind der Beitrag, den Deutschland noch in den 70er Jahren in Vereinbarungen mit Frankreich und anderen Partnern als unseren Kooperationsbeitrag festgelegt hat.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Hängen Sie sich nicht so weit zum Fenster raus!)

Es bleibt die Frage, was Brüter hier langfristig bedeuten kann. Ich kann hier heute nur sagen, daß ich nicht hinreichend sicher die Zukunft kenne, um jetzt schon behaupten zu können, wir könnten auf den Brüter verzichten. Wir sind in einer Situation, wo der Energiebedarf der Welt wächst, wo die fossilen Ressourcen begrenzt sind, wo die Verbrennung von Öl und Kohle nicht beliebig erlaubt ist, weil, wie Gerstein sagte, unser Klima bedroht ist. Wir sind in einer Situation, in der die Kernfusion trotz größter Anstrengung noch in der Zukunft liegt. Wir befinden uns in der Situation, daß wir bei der Erforschung und Entwicklung der regenerativen Energien international eine Spitzenposition haben, und trotzdem wird der Beitrag dieser Energien in den kommenden Jahren begrenzt sein.
In dieser Zeit auf eine Technik zu verzichten, die wir beherrschen können, die wir entwickeln können, ist nicht vertretbar, auch im Zusammenspiel mit anderen Staaten, die ihre Sicherheitstechnik gemeinsam poolen werden. Wenn Japan aufbaut, wenn die Sowjetunion in den nächsten zehn, zwölf Jahren sechs bis acht Brüter errichten wird, dann scheint es mir wichtig, daß wir in einem internationalen Zusammenspiel auch unsere äußerst anspruchsvolle Sicherheitstechnik mit einbringen. Dies gehört zu unserer Aufgabe.
Eine Industrienation wie die Bundesrepublik darf sich nicht aus Techniken ausklinken, die sie verantwortlich entwickeln und gestalten kann. Wir müssen hierzu alle Partner finden, die wir finden können. Wir müssen für nächste Generationen — ich greife das Stichwort auf — Voraussetzungen schaffen, daß sie wählen können, ob sie eine Technik einsetzen können und einsetzen wollen oder nicht. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, in Freiheit und Verantwortung ihre Zukunft zu entscheiden.

(Stratmann [GRÜNE]: Sie sind ein Zyniker!)

Wir müssen dafür die Voraussetzung schaffen, aus unserer Verantwortung und aus unserer heutigen Kompetenz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109414500
Ich erteile das Wort dem Herrn Minister für Bundesangelegenheiten des Landes Nordrhein-Westfalen.




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109414600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich formuliere es sehr vorsichtig, wenn ich sage, daß auf seiten der bisherigen Befürworter des SNR 300 gegenwärtig offensichtlich ein Umdenken stattfindet.

(Gerstein [CDU/CSU]: Freuen Sie sich nicht zu früh!)

— Ich beschuldige sie ja nicht. Hören Sie doch erst einmal zu, bevor Sie hier dazwischenlabern.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Hier labert keiner! — Wir verbitten uns das „labern" ! Kommt daher und sagt „labern" ! Was ist das für eine Sprachregelung!)

Teile der Elektrizitätswirtschaft, der zitierte Ministerpräsident aus Baden-Württemberg, Teile der FDP stellen mittlerweile den forschungspolitischen Nutzen des SNR 300 in Frage, und sie bezweifeln seine Wirtschaftlichkeit. Umweltpolitische Sprecher der CDU fordern eine grundlegende Überprüfung des SNR 300.
Auch dem RWE kommen nunmehr Zweifel an der energiepolitischen Notwendigkeit des SNR 300.

(Gerstein [CDU/CSU]: Wer hat das wohl organisiert?)

Schließlich: Auch der Bundesumweltminister sieht eine Reihe von sicherheitsrelevanten Fragen als von den Betreibern des SNR 300 noch nicht beantwortet an.
Ich will nicht verhehlen, meine Damen und Herren, daß Nordrhein-Westfalen diese Entwicklung des Nachdenkens durchaus auch mit Genugtuung sieht.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Ihre Genugtuung sieht man Ihnen an!)

Wir haben das bereits seit Jahren mündlich und schriftlich gegenüber Bundeskanzlern und anderen geäußert. Ich freue mich, daß bei einigen jetzt endlich die Bereitschaft besteht, ebenfalls so darüber nachzudenken.

(Beifall bei der SPD — Zustimmung der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Ich stelle aber auch fest, daß dieser Umdenkprozeß in der Bundesrepublik sehr spät — manche meinen sogar: zu spät — einsetzt. In anderen Ländern, beispielsweise in Großbritannien, ist man da sehr viel weiter. Frau Thatcher hat den Ausstieg aus der Brütertechnologie bereits beschlossen,

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht richtig!)

die Abschaltung des britischen Prototyps spätestens 1993/94, die Abschaltung der dazugehörigen Wiederaufarbeitungsanlage noch 1997, die Entscheidung: keine Beteiligung Großbritanniens an Planung und Errichtung eines großen europäischen Brüters.
Nun ist das, was ich eben nannte, nämlich die Frage nach dem forschungspolitischen Nutzen, nach Wirtschaftlichkeit, nach energiepolitischer Notwendigkeit die eine Seite der Medaille, über die man durchaus unter politischen Vorzeichen streiten kann.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist ein Forschungsprojekt!)

Die atomrechtliche Genehmigung des SNR 300 ist die andere Seite. Beide Seiten sind nach unserer Auffassung ganz klar voneinander zu trennen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr wahr!)

Die atomrechtliche Genehmigung hat ausschließlich nach Recht und Gesetz zu erfolgen. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen führt das Genehmigungsverfahren im Auftrag des Bundes durch. Sie hat sich dabei bisher strikt an das Atomgesetz gehalten, und sie wird auch bei der Fortführung des Genehmigungsverfahrens ausschließlich nach den Vorschriften des Atomgesetzes vorgehen.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Und das die nächsten 30 Jahre lang!)

Ich füge aber hinzu, ob Ihnen das paßt oder nicht: Allerdings werden wir ganz strikt und ganz penibel darauf achten, daß die Anforderungen des Atomgesetzes für die Inbetriebnahme des SNR 300 in vollem Umfang erfüllt sind.

(Beifall bei der SPD — Schmidbauer [CDU/ CSU]: Das ist Ihre Pflicht!)

— Aber anscheinend muß man Ihnen das wohl sagen, daß das unsere Pflicht und unser Recht ist.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Nein, Sie haben das doch betont!)

Die Landesregierung stimmt mit dem Bundesumweltminister darin überein, daß die Sicherheit des Kernkraftwerks Kalkar absolute Priorität vor den Fragen der Finanzierung hat. Dies bedeutet, daß die sicherheitstechnischen Prüfungen der atomrechtlichen Genehmigungsbehörde auch ohne Zeitdruck zu Ende geführt werden müssen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sehr wahr!)

Ich muß mich jedoch, meine Damen und Herren, gegen die von verschiedenen Seiten und auch heute wieder erhobenen Vorwürfe wehren, daß die atomrechtliche Genehmigungsbehörde die Prüfung absichtlich verzögert, um die Mittel der Antragstellerin zu erschöpfen.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Das schaut so aus! — Dr. Laufs [CDU/CSU]: So sieht das aber aus!)

— Das sieht nicht so aus, und ich weise Ihre Unterstellung zurück. Und wenn Sie Ihre Ankündigungen hier wiederum vortragen, dann beweisen Sie damit, Herr Abgeordneter, daß Sie entweder nicht begreifen, worüber Sie reden,

(Lachen bei der CDU/CSU)

oder Sie wiederholen das böswillig und wider besseres Wissen. Eines können Sie sich aussuchen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Ich weiß das sehr genau, und ich kann Ihnen das nachweisen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Im übrigen, Herr Abgeordneter Gerstein, muß ich Ihnen mal in aller Deutlichkeit sagen: Ich bedaure, daß Sie, der Sie mit den energiepolitischen Voraussetzungen des Landes Nordrhein-Westfalen doch sehr gut vertraut sind, der Landesregierung Nordrhein-



Minister Einert (Nordrhein-Westfalen)

Westfalens hier praktisch Rechtsbruch unterstellen. Das ist eine Unverschämtheit, die weise ich zurück.

(Beifall bei der SPD — Schmidbauer [CDU/ CSU]: Was unverschämt ist, können Sie von dem Pult aus nicht beurteilen! — Gerstein [CDU/CSU]: Lesen Sie doch einmal nach, was Ihr Ministerpräsident gesagt hat! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Das habe ich hier für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen zu beurteilen und nicht ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages, damit Sie ganz klar sehen.

(Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU — Glocke des Präsidenten)

Wissen Sie, hier vorzutragen, daß Sie sich auf einige Beamte verlassen müßten, weil die Landesregierung ihre Pflicht nicht erfüllen würde — und da sage ich Ihnen ganz klipp und klar, was ich von diesen Formulierungen halte — , ist eine Unverschämtheit.

(Beifall bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist unglaublich, was Sie hier herunterreden! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU — Beckmann [FDP]: Das ist hier kein Unterbezirksparteitag!)

Die Unhaltbarkeit dieser Behauptung wurde im Juli dieses Jahres auch durch das bekanntgewordene Schreiben des Bundesumweltministers an den Bundesminister für Forschung und Technologie belegt. Der Bundesumweltminister behandelt und bemängelt in diesem Schreiben deutlich — lesen Sie es nach — die unzureichende sicherheitstechnische Nachweisführung der Antragstellerin

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Hört! Hört!)

sowie die zögerliche Vorlage der Antragsunterlagen. Er bemängelt in dem Schreiben nicht das Verhalten der Landesregierung, sondern bemängelt das der Antragstellerin hinsichtlich dessen, was sie bisher vorgelegt hat.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Sie sind das personifizierte schlechte Gewissen!)

Auch aus den Sicherheitsfragen, die in dem vorgenannten Schreiben des Bundesumweltministers angeführt sind, folgt, daß sie von der atomrechtlichen Genehmigungsbehörde nicht vorgeschoben sind. Ich nenne Ihnen z. B. den Brand im natriumgekühlten Sonnenkraftwerk in Almeria in Spanien. Oder wollen Sie unterstellen, wir hätten den Brand angezettelt, um das Verfahren zu verzögern? So kommt's mir doch allmählich vor.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Zutrauen würde man Ihnen das schon! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Wissen Sie, wenn wir so miteinander diskutieren — — Ich habe Ihren Zwischenruf „Unterstellen würde er uns das schon!" schon gehört. Überlegen Sie einmal, was Sie damit behaupten!

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben das doch in den Raum gestellt, nicht wir! — Schmidbauer [CDU/CSU]: Dann sagen Sie doch so etwas nicht! Das ist doch das Primitivste an Unterstellung! Was ist das für ein billiger Auftritt! Das ist ein Polemiker erster Güte! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU — Beckmann [FDP]: Das ist ganz billig!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109414700
Herr Minister, darf ich bitten, daß wir uns alle wieder ein bißchen beruhigen. Das gilt für alle Seiten, einschließlich des Redners. — Darf ich bitten fortzufahren.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109414800
Danke schön, Herr Präsident. — Die dabei aufgetretenen Temperaturen in Almeria sind aber weit höher als die Auslegungstemperaturen des Kernkraftwerks in Kalkar gegen Natriumbrand. Die atomrechtliche Genehmigungsbehörde ist gesetzlich verpflichtet, die Konsequenzen dieser neuen Erkenntnis zu überprüfen.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das ist doch unstreitig!)

Ähnlich verhält es sich mit dem Störfall am oben erwähnten britischen Prototypreaktor in Schottland.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Jawohl!)

Dort sind binnen einer Minute mehr als 40 Dampferzeugerrohre gebrochen. Der Anlagenauslegung
— ebenso wie beim SNR 300 — ist aber nur der Bruch eines einzigen Rohres zugrunde gelegt worden. Sicherlich sind beide Typen nicht unmittelbar miteinander vergleichbar. Aber zumindest müssen die möglichen Konsequenzen eines solchen Vorfalls geprüft werden.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch überhaupt kein Problem zwischen uns!)

Es soll nicht verschwiegen werden, füge ich hinzu, daß hinsichtlich der Notwendigkeit und der Tiefe einzelner Prüfungen zwischen der atomrechtlichen Genehmigungsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bundesaufsichtsbehörde, Bundesumweltminister, unterschiedliche Auffassungen bestehen.

(Hört! Hört! bei der FDP)

— Natürlich. — So wurde die atomrechtliche Genehmigungsbehörde angewiesen, ein beabsichtigtes Gutachten an den TÜV zur Überprüfung möglicher Konsequenzen aus dem Tschernobyl-Unfall für den SNR 300 nicht zu vergeben.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Hört! Hört!)

Wir widersprechen dieser Auffassung, fügen aber hinzu, daß die atomrechtliche Genehmigungsbehörde dieser Weisung nicht zuwiderhandeln wird. Wir haben aber die Erwartung, daß in gemeinsamen Gesprächen die Auffassungsunterschiede doch noch beigelegt werden, um so einen möglichen Gang nach Karlsruhe entbehrlich zu machen.
Abschließend möchte ich vor allem im Hinblick auf die voraussichtliche Dauer des derzeitigen sogenannten Wartebetriebes des SNR 300 noch eine kurze Angabe zum Stand des gegenwärtigen Verfahrens machen. Nachdem die Antragstellerin ihren Antrag auf Einlagerung des Reaktorkerns in die unfertige Anlage im Dezember vergangenen Jahres zurückgenommen hat, steht für den nächsten Genehmigungsschritt lediglich die Errichtung bzw. die Änderung von Anla-



Minister Einert (Nordrhein-Westfalen)

geteilen zur Bescheidung an. Die Begutachtung der noch nicht vollständigen Antragsunterlagen durch den TÜV kann frühestens in etwa neun Monaten abgeschlossen werden.
Vor diesem Termin ist — auch in Übereinstimmung mit dem Bundesumweltminister — eine Teilgenehmigung ausgeschlossen. Nach den Bestimmungen des Atomgesetzes ist eine Teilgenehmigung überdies nur zulässig, wenn ein vorläufiges positives Gesamturteil über den späteren sicheren Anlagebetrieb möglich ist.

(Gerstein [CDU/CSU]: Was es schon sechzehnmal gegeben hat!)

Ein derartiges Urteil ist der atomrechtlichen Genehmigungsbehörde derzeit nicht möglich.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Und trotzdem haben Sie schon Ihre Verweigerung angekündigt!)

Die dazu erforderlichen Sicherheitsnachweise stehen entweder noch aus oder sind vom TÜV noch nicht begutachtet. Erst nach der vorstehend beschriebenen Teilerrichtungsgenehmigung steht die Bescheidung der nuklearen Inbetriebnahme an.
Nach der Terminabschätzung des TÜV, die im erwähnten Brief des Bundesumweltministers vom 8. Juli 1988 ausdrücklich bestätigt wird, wird die Begutachtung der Antragsunterlagen für den nuklearen Betrieb nicht mehr im Jahre 1989 abgeschlossen werden können.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Gott sei Dank!)

Eine atomrechtliche Entscheidung über die Inbetriebnahme der Anlage — mit welchem Ergebnis auch immer — ist deshalb frühestens im Jahre 1990 möglich.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Trotzdem haben Sie schon gesagt, daß Sie keine Genehmigung erteilen werden!)

Ich empfehle dem Bundesforschungsminister, bei seiner Planung der Finanzierung auch diese nicht verkürzbaren Termine des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens mit völlig offenem Ergebnis entsprechend im Auge zu behalten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Gerstein [CDU/CSU]: Nach Herrn Rau steht das Ergebnis aber schon fest! — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Nämlich ein Nein!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109414900
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wo sind die Flossen? Wo ist die rote Badekappe?)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109415000
Wollten Sie das noch vertiefen, Herr Abgeordneter Schäfer?

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Bei anderer Gelegenheit!)

Ich wußte, daß ich Ihnen diesen Lustgewinn verschaffen würde. Von daher gesehen können wir vielleicht wieder zur ernsthaften Arbeit übergehen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Empfehle ich Ihnen auch!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch als Nichtmitglied dieses Hohen Hauses sei es mir einleitend gestattet, den Kollegen Einert daran zu erinnern, daß Argumente im allgemeinen nicht besser werden, wenn sie mit erhobener Stimme und mit der Drapierung von Unverschämtheiten hier vorgetragen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Unerhört!)

Man muß, Herr Kollege Einert, ganz im Gegenteil sogar sehr besorgt fragen: Wie schwach müssen denn eigentlich die Argumente sein, wenn sie hier so vorgetragen werden, und wie ungut muß das Gewissen einer Genehmigungsbehörde erst sein, wenn Sie in dieser Form Ihre Meinung hier so vertreten?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dabei bin ich ja an vielen Stellen in außerordentlicher Übereinstimmung mit Ihnen, zunächst in der Grundposition, daß es völlig richtig ist, die Fragen der Finanzierung und der wirtschaftlichen Möglichkeiten sowie des forschungspolitischen Interesses einerseits und die Genehmigungsfragen andererseits zu trennen.
Ich unterstreiche mit Nachdruck, daß es auch unter dem Gesichtspunkt der bundesaufsichtlichen Zuständigkeiten meines Ministeriums keinen Zeitdruck hinsichtlich der Finanzierungsfähigkeit geben wird — um das ganz klar zu sagen. Es gibt keine Abstriche von sicherheitsrelevanten Fragen mit Blick auf mögliche Finanzierungsdefizite. Dies ist und bleibt unstrittig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen, meine Damen und Herren, ist die Bundesaufsicht auch in diesem Genehmigungsverfahren nicht einäugig vorgegangen. Wenn man das tut, hat man die Besorgnis, daß man dann bewußt mißverstanden wird — völlig richtig — , weil Sicherheit an der ersten Stelle steht. Deswegen muß sich die Bundesaufsicht auch fragen: Inwieweit sind im laufenden Genehmigungsverfahren alle Unterlagen vom Antragsteller beigebracht worden, die zu einer abschließenden Sicherheitsbeurteilung dieses Reaktors erforderlich sind? Dies habe ich dem Kollegen Riesenhuber mitgeteilt, und dies haben wir den Antragstellern ebenfalls übermittelt. Dazu gehörte der Almeria-Störfall, dazu gehörte Dounreay, dazu gehörte das Sicherungsgutachten, und dazu gehören einzelne andere Positionen. Nur, Herr Kollege Einert, wenn Sie am Donnerstag dieser Woche an diesem Pult stehen, sollten Sie sich bitte von Ihrem Kollegen Jochimsen auch das Ergebnis des am letzten Montag vorgenommenen Statusgesprächs über den Schnellen Brüter mitgeben lassen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der ist zu Hause geblieben!)

Da haben nämlich die Genehmigungsbehörde, meine
Mitarbeiter, der Antragsteller und der Gutachter des



Bundesminister Dr. Töpfer
Landes Nordrhein-Westfalen, der TÜV Essen, zusammengesessen und haben festgestellt, daß der Antragsteller die dafür erforderlichen Unterlagen nunmehr erbracht hat. In Übereinstimmung mit den Mitarbeitern des Kollegen Jochimsen ist fixiert worden, daß er sie erbracht hat.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! — Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das hat Herr Einert unterschlagen!)

Ich sage nicht, daß ich darüber sehr glücklich bin, weil ich der Meinung war, das hätte man vielleicht schon etwas früher machen können. Aber ich halte zumindest fest: Seit diesem Termin ist wieder einmal — und ich begrüße das nachhaltig — eine Synchronisierung in der Beurteilung der Genehmigungsunterlagen zwischen der Genehmigungsbehörde in Düsseldorf einerseits und meinen Mitarbeitern andererseits hergestellt worden. Dies ist die eine Seite.
Ich bin der festen Überzeugung, daß ich mit der gleichen Nachdrücklichkeit wie bisher sehen werde, ob diese Unterlagen hinreichend sind und wie sie geprüft werden. Sehen Sie, Herr Kollege Einert, das unterscheidet uns möglicherweise voneinander und unterscheidet vielleicht auch den einen oder anderen hier im Hohen Hause

(Frau Unruh [GRÜNE]: Und den Späth!)

von mir: Wenn wir denn wirklich ernsthaft sagen, daß wir prüfen, frage ich mich in der Tat: Woher kommen Sie auf einmal zu dem Ergebnis, daß vor 1990 kein Ergebnis vorliegen kann?

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wollen Sie den Brüter wirklich?)

Von mir, Herr Kollege Einert, werden Sie einen Termin für den Abschluß eines offenen Sicherheitsprüfungsvorgangs nicht bekommen, weil ich das nämlich für eine Unmöglichkeit halte. Wenn ich Sicherheit vor alles stelle, kann ich nicht sagen, wann ich diese Fragen abschließend beantwortet habe. Dies kann nicht sein.

(Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kempen] [SPD]: Es gibt doch Schätzungen! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wollen Sie den Brüter wirklich?)

Nun kommt der zweite Teilbereich.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Herr Töpfer, wollen Sie den Brüter wirklich? — Roth [SPD]: Es ist eine einfache Frage, die Herr Schäfer Ihnen stellt!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109415100
Herr Abgeordneter Schäfer, die Fragestunde haben wir schon abgewickelt! Ich bin sehr nachsichtig, aber ich darf Sie doch bitten!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109415200
Deswegen habe ich doch einleitend gefragt: Wie schlecht muß das Argumentationsfeld des Kollegen Einert sein, wenn er so etwas tut? Ich kann doch seinen Hinweis an dieser Stelle mit dem Nachsatz, den er gesagt hat, der Herr Kollege Riesenhuber solle sich das bei seiner Finanzierung merken, eigentlich nur als die schlichte Drohung ansehen, daß das eben länger geht und daß man dies doch endlich nicht mehr weiterführen sollte, weil wir es nicht mehr finanzieren können.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Nehmen Sie das doch einmal als Feststellung der Fakten!)

Das ist doch der Zusammenhang!
In den Sicherheitsfragen werden wir uns — Herr Kollege Einert, das sollte Ihnen auch in der ganzen Diskussion in Nordrhein-Westfalen nie aus dem Sinn geraten — von niemandem überprüfen lassen.

(Zurufe von der SPD: Übertreffen?)

- Von niemandem übertreffen lassen! Überprüfen gerne, von vielen!

(Frau Unruh [GRÜNE]: Die Bürger haben auch noch was zu sagen!)

Jetzt komme ich auf die zweite Ebene. Das ist die Frage: Wird dieses Genehmigungsverfahren von anderen Einflußfaktoren freigehalten? Deswegen, Herr Kollege Einert, weil wir in den letzten Monaten dieser Meinung nicht waren, haben wir im Mai dieses Jahres eine Zweckmäßigkeits- und Verfahrensweisung an Nordrhein-Westfalen gegeben. Auch diese Weisung ist vom Kollegen Jochimsen zunächst sehr empört zurückgewiesen worden. In der Zwischenzeit hat er mir mitgeteilt, daß er sich dieser Weisung anschließt.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Ich begrüße das sehr, denn ich möchte nicht Weisungen vor dem Bundesverfassungsgericht weiterverfolgen, sondern möchte diese Dinge in einem guten Verhältnis von Bund und Ländern zu einem Abschluß bringen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Ich halte zum zweiten Teilbereich nur fest: Die Weisung ist akzeptiert, und damit ist das Verfahren vorangebracht worden, vorangebracht worden nicht durch die freie Entscheidung und Entwicklung in Nordrhein-Westfalen, sondern durch eine verfahrensleitende Weisung des Bundesumweltministers.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Leider wahr!) Dies ist die Situation.

Ich hoffe sehr, daß dies nicht nur ein taktisches Manöver ist, sondern daß wir auf diesem Gebiet ein gutes Stück weiterkommen, und ich sage das abschließend nicht unter dem Gesichtspunkt,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Zur Finanzierung kein Wort!)

daß ich an dieser Stelle erklärte: Dann und dann ist der Brüter genehmigt. Herr Abgeordneter Stahl, diese Anfrage kann ich leider nicht beantworten. Würde ich sie beantworten, würde man mir zu Recht eine vorgefaßte Meinung unterstellen. Gerade deswegen, Herr Abgeordneter Schäfer, sage ich zur Finanzierung nichts und sage ich zum forschungspolitischen Nutzen nichts. Denn es kann keinen forschungspolitischen Nutzen geben, der so hoch angesiedelt ist, daß ich über Sicherheitsbedenken hinwegginge. Es kann keine Finanzierungsregelung geben, die so schwerwiegend ist, daß ich über Sicherheitsbedenken weggehe. Aber umgekehrt geht es auch nicht, daß wir unter dem Gesichtspunkt politischer Ziele Genehmi-



Bundesminister Dr. Töpfer
gungsverfahren so betreiben, daß sie sich eben zum Aushungern durchentwickeln. Diesen Weg zu finden, ist schwer, aber er kann nur gegangen werden, wenn wir uns in Sachlichkeit begegnen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109415300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daniels (Regensburg).

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109415400
: Liebe Kalkarkritiker auf der linken und liebe Kalkargemeinde auf der rechten Seite! Vor genau elf Jahren fand am Baugelände des Schnellen Brüters in Kalkar eine erste Großdemonstration mit über 50 000 Menschen statt. Heute stehen wir vor dem Scherbenhaufen sozialdemokratischen Machbarkeitswahns und bedingungsloser christdemokratischer Technologiegläubigkeit. Das hat uns der Herr Laufs heute noch einmal vorgeführt. Es wäre an der Zeit, daß sich die Damen und Herren der Altparteien Gedanken über ihren Umgang mit unbequemen Mahnern machen, die ihre regierungsamtliche Herrlichkeit kritisieren.
Nicht auszudenken, wie viele Milliarden sinnvoll in die Entwicklung und Markteinführung umweltfreundlicher Energien hätten investiert werden können,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Sie sind der neue Prophet!)

wäre nicht auf Biegen und Brechen und gegen jede Vernunft am Schnellbrüterkonzept festgehalten worden. Mit Interesse betrachten wir natürlich die ersten Antiatomdemonstrationen von CDU-Mitgliedern. Spätestens das sollte der Regierungskoalition zu denken geben. Aber nein, kaum haben wir das eine Milliardengrab geschlossen, wird bereits der nächste Sargdeckel mit der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf geöffnet.
Schon heute ist abzusehen, daß in der Oberpfalz ein neues finanzielles Debakel für Steuerzahler und Stromkunden vorbereitet wird, daß diese Regierung in eine neue technologiepolitische Sackgasse rennt und wir spätestens in zehn Jahren wieder vor der Frage stehen, wer die Verschwendung von über 10 Milliarden DM zu verantworten hat. Auch dann wird es Diskussionen geben, wie wir sie heute erleben, nämlich wenn Ihre Parteifreunde und Koalitionspartner versuchen, sich gegenseitig die Verantwortung für das Debakel in die Schuhe zu schieben. Offensichtlich weigert sich die Bundesregierung aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, wenn sie versucht, ihre altbewährte Taktik bei sogenannten unpopulären Entscheidungen fortzusetzen, sich diskussionsbereit zu zeigen, um damit Zeit zu gewinnen und sich gleichzeitig in Beton gegossene Tatsachen zu verschaffen. Das beweist in besonderer Deutlichkeit die Vorgehensweise beim Genehmigungsverfahren für die geplante Wiederaufarbeitungsanlage. Die Bundesregierung deckt dabei die rechtswidrigen Machenschaften der Bayerischen Staatsregierung. Unsere Konsequenz aus 20 Jahren Debatte um Kalkar kann deswegen nur sein: keine Plutoniumwirtschaft, keine Inbetriebnahme von Kalkar sowie der sofortige Baustopp für Wackersdorf.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109415500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1109415600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der forschungspolitische Nutzen des Brüters, über den hier sehr viel geredet worden ist, muß unter — da gebe ich dem Kollegen Stahl ausdrücklich recht — veränderten energiewirtschaftlichen Umständen in unserem Land und in Europa sicherlich überprüft werden. Die Frage ist: Welche Konsequenzen ziehen wir aus den Veränderungen, die gegenüber dem Zeitraum, in dem dieses Projekt anfänglich geplant wurde, eingetreten sind? Ich stimme Herrn Bundesminister Riesenhuber ausdrücklich zu: Wir können nach dem heutigen Kenntnisstand nicht schon auf diese Technologie verzichten, weil — so meine Meinung — nicht auszuschließen ist, daß wir sie noch brauchen. Wenn man sich die wesentlichen Optionen für eine Energieversorgung national wie weltweit

(Vosen [SPD]: Wir nicht, unsere Enkel vielleicht!)

vor Augen führt und auf die umweltverträglichen Energiequellen beschränkt, d. h. eben auch auf CO2freie Energiequellen, so müssen wir einräumen, daß diese Technologie, um mit der Brundtland-Kommission zu sprechen, als erneuerbare Energiequelle eine mögliche Energieversorgung in 40 oder 50 Jahren sein kann. Ich weiß nicht, ob dies so sein könnte.

(Gerstein [CDU/CSU]: Keiner weiß das!)

Aber unabhängig von dieser Fragestellung halte ich auch die Frage von Herrn Ministerpräsident Späth für berechtigt, ob wir uns, wenn die Brütertechnologie zur Plutoniumerzeugung benötigt würde, nicht im europäischen Binnenmarkt der englischen oder der französischen Erfahrung bedienen können. Ich finde, diese Frage, ob unsere Stromerzeugung für diesen Fall abhängig sein kann von England oder Frankreich, ist zunächst auch eine Frage an unsere Stromerzeuger selbst. Deshalb ist es erst recht vor dem Hintergrund der klaren, ausdrücklich zu begrüßenden Haltung der Bundesregierung zur Finanzierungsfrage zunächst eine Frage an die Betreiber, ob und unter welchen Bedingungen sie Kalkar wollen.
Herr Spalthoff sagte dazu in diesen Tagen, daß man wenigstens noch einige Forschungsziele mit diesem Reaktor realisieren könne. Die Frage ist, welche.
Ob ein Brüter zusätzliches Plutonium erbrüten oder aber in größerem Umfang verbrauchen soll, als derzeit vorgesehen, oder ob der Forschungsbetrieb z. B. auch mittel- und langfristig genutzt werden könnte, um die Aktinidenverbrennung zu erforschen, das hängt zunächst vom Antragsteller ab.
Das Genehmigungsverfahren würde z. B. nicht verlängert, wenn man die Erprobung von Reaktorkernen mit maximalem Plutoniumverbrauch mit einem Nachladekern des SNR 300 einleiten würde. Um Mißverständnisse, denen offenbar die Opposition, aber nicht



Dr. Göhner
nur sie erliegt, auszuschließen: Mit einem solchen auf Plutoniumverbrennung ausgerichteten Nachfolgekern würde ein flexibler Reaktor erprobt, der Plutonium optimaler als in Leichtwasserreaktoren verbrennen kann,

(Vosen [SPD]: Das hat Ihnen der Häfele erzählt! — Stahl [Kempen] [SPD]: Das hat uns der Wirtschaftsminister Riemer schon mal vorgeführt! Das ist schon lange her!)

andererseits aber später, wenn es notwendig sein sollte, auch wieder Plutonium erzeugen kann. Die Forschungseinrichtung Kalkar würde schon aus Mengengründen damit nicht zur Entsorgungseinrichtung, wie Sie, Herr Vosen, abwegigerweise gemeint haben,

(Zuruf von der SPD: Jetzt spricht Häfele!)

sondern zur Erforschung und Erprobung dieser Flexibilität des neuartigen Reaktorkerns dienen.
Oder ein anderes, viel schwierigeres, möglicherweise aber für unsere Entsorgung nach Wiederaufarbeitung wichtiges Forschungsziel: Zur weiteren Verringerung der Radiotoxizität der in einem Endlager noch zu deponierenden restlichen hochaktiven Abfälle nach Wiederaufarbeitung könnten möglicherweise in einem Brutreaktor — nirgendwo sonst — die besonders langlebigen Aktiniden verbrannt werden. Ich will damit deutlich machen, daß Kalkar auch unter veränderten energiewirtschaftlichen Umständen andere Forschungsoptionen eröffnen könnte.

(Vosen [SPD]: Es muß bald ein Ende haben mit dem Ding!)

Das weitere Verfahren in Sachen Kalkar ist vor diesem Hintergrund aus meiner Sicht klar.
Erstens. Die Betreiber müssen eindeutig klären, ob und mit welchem Betriebsmodus Kalkar als Forschungseinrichtung genutzt werden soll.

(Stratmann [GRÜNE]: Als Industriemuseum!)

Zweitens. Die Genehmigungsbehörde hat alle Sicherheitsfragen sorgfältigst zu prüfen, auch die neu aufgetretenen, aber endlich nach Recht und Gesetz und nicht nach ideologischer Obstruktion zu verfahren.
Drittens. Außer den zugesagten weiteren Bundesmitteln ist es nicht gerechtfertigt, weitere Finanzmittel von Bundesseite zu investieren, wenn die Elektrizitätswirtschaft selber den forschungspolitischen Nutzen geringer veranschlagen würde als die weiteren notwendigen Aufwendungen.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Dahinter stecken ja die Länder!)

Viertens. Auch unter veränderten energiewirtschaftlichen Umständen kann Kalkar für neue Forschungsziele sinnvoll bleiben, selbst wenn wir auf das Erbrüten zusätzlichen Plutoniums niemals angewiesen wären.

(Vosen [SPD]: Der kann gar nicht brüten!)

Vor diesem Hintergrund, denke ich — auch im Sinne
der Fragen, die der Kollege Stahl gestellt hat —, sollte
die langfristige Konzeption des Brüters auch von den Betreibern kritisch überprüft werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109415700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vosen.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1109415800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der vorgetragenen Dinge möchte ich mal auf meine vorbereitete Rede verzichten und auf das eine oder andere eingehen. Ich beschäftige mich seit acht Jahren mit diesem Gerät

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Das darf nicht wahr sein!)

— das ist so — und komme als Ingenieur zu folgendem Ergebnis.
Erstens. Der Superphönix erzeugt überall auf der Welt, wo er steht, viel teureren Atomstrom als jeder andere vergleichbare Reaktor. Die Strommenge, die dort in Kalkar erzeugt wird, ist gering und bedeutungslos, auch angesichts der Überkapazitäten, die wir an Strom hier in der Bundesrepublik haben.
Zweitens. Die Plutoniumwirtschaft ist sehr gefährlich. Es ist eine Technologie, die nicht sozialverträglich ist.
Drittens. Uran für die Betreibung von normalen Leichtwasserreaktoren ist für die nächsten 200 Jahre reichlich vorhanden. Wir brauchen kein Plutonium, selbst dann nicht, wenn man an der Kernenergie festhalten will.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Der Schnelle Brüter in Kalkar, so sage ich — das sind alles Fakten; das wird ja noch geprüft —, wird im Endeffekt nicht genehmigungsfähig sein.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Das ist genau die Chance, dort auszusteigen. Er führt zu polizeistaatlichen Methoden. Die Plutoniumwirtschaft ist, wenn man so will, der Weg in einen Polizeistaat. Das ist sozial unverträglich.

(Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN)

Der Schnelle Brüter ist nicht exportfähig. Wir haben die Dritte Welt ja schon mit nicht angepaßten Technologien ruiniert. Das werden wir doch hoffentlich nicht weitermachen. Er ist nicht exportfähig.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich sage als forschungspolitischer Sprecher: Er ist auch forschungspolitisch völlig sinnlos, es sei denn, man will auf diesem künstlichen Mittelgebirge im Rheintal, welches wir errichtet haben, Windmühlen ausprobieren. Dafür könnte man ihn forschungspolitisch eventuell noch brauchen.
Er ist auch deshalb nicht nötig, weil sich das RWE mit 1 Milliarde DM am Super Phénix beteiligt hat und dort über 100 Leute beschäftigen könnte, um diese Technik zu studieren.



Vosen
Wir geben jetzt noch jedes Jahr 250 Millionen DM aus dem Forschungshaushalt

(Hört! Hört! bei der SPD)

— jedes Jahr! — für diese technische Linie aus. Die könnten wir sinnvoller für andere Projekte nutzen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man alles addiert, was dagegen spricht, dann muß man zu dem Ergebnis kommen — wie die EVUs das jetzt tun — : Es lohnt sich nicht mehr. Wir machen nicht mehr mit.
Warum sagt das Herr Minister Riesenhuber nicht und Herr Töpfer nur versteckt?

(Sehr wahr! bei der SPD)

Er sagt es deshalb nicht, weil bei Ihnen noch zu viele — ich sage einmal — Atomgläubige sitzen, weil er nicht den Mut hat, sich mit dieser Gruppe Ihrer Fraktion anzulegen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das ist der Grund für Minister Riesenhuber.
Der Grund für Minister Töpfer ist der, daß der Bundeskanzler ihm das Wort verboten hat.

(Oh-Rufe bei der CDU/CSU)

Er hat ihn stumm gemacht per Verbot. Das sind die Tatsachen.
Und warum sagt die FDP nicht laut und deutlich nein? Weil auch die FDP glaubt, daß Sie sich langsam bewegen, daß der Widerstand des Koalitionspartners langsam abbröckelt. Bewegen Sie sich etwas schneller, meine Damen und Herren. Diese Bewegungslosigkeit kostet unserem Staat zuviel Geld. Wir brauchen dieses Geld an anderer Stelle.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich möchte Sie also herzlich bitten: Bewegen Sie sich, machen Sie voran, und kommen Sie endlich über!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109415900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Laermann.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1109416000
Meine Damen und Herren! Ich möchte auf einige der Ausführungen, die hier gemacht worden sind, eingehen. Bevor ich das aber in der Sache tue: Herr Minister Einert, ich bin doch leicht bestürzt gewesen über die Art und Weise Ihrer Argumentation.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ich nicht!)

Ich denke, daß uns Lautstärke und drastische Worte, die nicht zur Sache gehören, bei der Lösung unseres Problems überhaupt nicht weiterbringen. Ich meine, wir sollten hier keine Antipositionen verfestigen. Als Nordrhein-Westfale sage ich Ihnen: Ich bin doch zumindest — um das vorsichtig auszudrücken — sehr bestürzt gewesen.

(Müntefering [SPD]: Tun Sie doch nicht so fein, Sie sind doch sonst nicht so!)

— Das mag ja Ihr Stil sein. Aber überlassen Sie bitte mir, wie ich mich verhalte.
Ich möchte nun einiges zu der Frage sagen, ob der Schnelle Brüter forschungspolitisch noch notwendig sei, ob er energiepolitisch noch sinnvoll sei. Es handelt sich in der Tat um ein Forschungsprojekt. Niemals, zu keiner Zeit — auch nicht zu der Zeit, als die SPD das Sagen in dieser Angelegenheit hatte — ist behauptet worden, daß dieses Unternehmen wirtschaftlich arbeiten könnte. Denn man hat hier absolutes Neuland betreten. Wollen wir doch bei diesen Fakten bleiben. Die Frage, ob der Schnelle Brüter energiepolitisch notwendig ist, mag aus heutiger Sicht, aus der heutigen Situation heraus natürlich leicht zu verneinen sein. Aber ich frage Sie: Sind Sie eigentlich dagegen, daß wir weiterhin die Kohleverflüssigungsanlage finanzieren? Sind Sie dagegen, daß wir die Kohlevergasungstechnik weiterhin finanzieren? Sie ist zur Zeit energiepolitisch auch nicht notwendig, und sie rechnet sich wirtschaftlich auch nicht, aber wir sind dennoch daran interessiert, diese Technologie zu erhalten.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/CSU — Vosen [SPD]: Die kostet aber keine Milliarden!)

Seien wir doch bitte nicht doppelzüngig und schieben wir nicht Argumente vor, die mit der Sache und Ihrem Anliegen eigentlich überhaupt nichts zu tun haben. Ich bitte hier doch wirklich um ehrliche Argumentation.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nun zur Frage der forschungspolitischen Notwendigkeiten. Herr Vosen, es ist doch seltsam, daß Sie heute behaupten, dieses Unternehmen sei forschungspolitisch völlig sinnlos.

(Vosen [SPD]: Das ist es!)

Ich frage mich: Warum eigentlich haben wir uns dann gemeinsam acht Jahre lang um die forschungspolitische Notwendigkeit und die Durchsetzung dieses Projekts gestritten? Warum denn hat sich damals die nordrhein-westfälische Landesregierung intensiv um den Standort Kalkar bemüht?

(Vosen [SPD]: Weil wir damals zuviel den Wissenschaftlern geglaubt haben!)

— Ja, auf die setzen Sie ja heute auch noch sehr stark, vielleicht auch der Herr Göhner, der mit der Plutoniumverbrennungsanlage kommt.

(Vosen [SPD]: Wir sind hereingelegt worden!)

Entschuldigen Sie bitte, Herr Göhner, ich weiß nicht, wie man sich das vorstellen soll, denn dann müßten Sie solch ein Ding ja in Betrieb nehmen, und genau um die Inbetriebnahme geht es ja bei dieser Angelegenheit, ob nun als Brüter oder als — ich sage einmal — schlichter Reaktor. Außerdem müßten Sie dann erklären, wie oft Sie eigentlich Aktiniden rezyklieren wollen und wie Sie sie dann wiederaufarbeiten wollen, ob die Technologie dafür vorhanden ist und ob das nicht ein neues Genehmigungsverfahren voraussetzt. Ich denke, wir sollten, wenn es um die grundsätzliche Frage: Brüter ja oder nein geht, überhaupt



Dr.-Ing. Laermann
nicht in diese Diskussion eintreten, denn sie endet bei der grundsätzlichen Frage.

(Wetzel [GRÜNE]: Richtig!)

Ich wiederhole hier noch einmal, daß meine Fraktion und ich — vielleicht auch im Gegensatz zu Herrn Minister Töpfer — der Auffassung sind, daß hier endlich Klarheit geschaffen werden muß, wie es weitergehen soll. Ich persönlich sage: Mir ist jetzt völlig egal, ob man ja oder nein zu dem ganzen Unternehmen sagt, aber bitte, es muß eine Entscheidung getroffen werden, und es muß Klarheit geschaffen werden, ob, wie, unter welchen Bedingungen und Prämissen es weitergehen soll. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, daß — lassen Sie mich das hier noch einmal wiederholen — alle Beteiligten an einen Tisch gebracht werden müssen und daß sie sich darüber Gedanken machen, wie man den sicherheitstechnischen, sicherheitspolitischen Anforderungen gerecht wird und wie man das dann auch noch in politisches Handeln umsetzt.
Meine Damen und Herren, deswegen sagen wir Ihnen: Es kann nicht vertreten werden — das hat dann auch überhaupt nichts mehr mit Forschungsförderung zu tun — , wenn wir einen Wartezustand finanzieren. Der Hauptteil der jetzt noch aufzubringenden Finanzmittel dient im wesentlichen der Kostendeckung eines Wartezustandes. Hier möchten wir einen Endpunkt erreichen. Wir möchten wissen, wie weit das geht. Deswegen hält es die FDP-Fraktion nicht für vertretbar, nun noch zusätzliche Mittel in den Etat des Forschungsministers einzusetzen.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie wird auch darauf drängen, daß eine definitive Klarstellung über die weitere finanzielle Entwicklung und den voraussichtlichen Zeitrahmen herbeigeführt wird. Davon muß die endgültige Entscheidung über die weitere Finanzierung abhängig gemacht werden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Stahl [Kempen] [SPD]: Sie haben aber auch die Markteinführung vergessen!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109416100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vahlberg.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1109416200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Laufs, Sie haben den Industriestandort Bundesrepublik beschworen. Wie vereinbart sich diese Beschwörung mit der Tatsache, daß bereits die US-Regierung unter Carter aus der Brüter-Technologie und aus der Wiederaufarbeitungs-Technologie ausgestiegen ist?

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Erklären Sie, warum Japan jetzt ganz massiv einsteigt!)

Wie vereinbaren Sie Ihre Beschwörung mit der Tatsache, daß der britische Energieminister Cecil Park aus der Brüter-Technologie aussteigen will?

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

— Natürlich, das hat er erklärt. — Und wie stellen Sie
sich eigentlich zu dem kritischen Brief Ihres Ministers
Töpfer an Herrn Riesenhuber? Nachdem ich ihn hier heute gehört habe, muß ich allerdings sagen: Es ist schon ein Eiertanz, den Sie hier aufführen, Herr Töpfer,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Er schwimmt gern!)

nach dem Motto: Mögen haben wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.

(Heiterkeit bei der SPD)

Herr Laermann, wir schleichen uns nicht aus der Verantwortung,

(Dr.-Ing. Laermann [FDP]: Wir nehmen Sie beim Wort! — Gerstein [CDU/CSU]: Sie rennen aus der Verantwortung!)

sondern wir geben zu, daß auch uns vor 20 Jahren Enrico Fermis wunderbare Vorstellung eines energiepolitischen Perpetuum mobile fasziniert hat. Aber wir haben seitdem Erkenntnisse gewonnen, und wir ziehen aus diesen Erkenntnissen Schlußfolgerungen. Wir haben den Mut, zu sagen: Wir haben uns geirrt. Das unterscheidet uns von Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr.-Ing. Laermann [FDP]: So billig kommt die SPD nicht davon!)

Herr Riesenhuber, Sie haben sich hier auf das Gutachten der Schweizer Firma Motor-Columbus bezogen und haben gesagt, das würde bisher unwidersprochen im Raum stehen. Ich will hier Widerspruch einlegen. Ich meine, daß es sich um ein Gutachten der Atomlobby handelt.

(Zustimmung bei der SPD) Das ist ein Gefälligkeitsgutachten


(Vosen [SPD]: Ein bestelltes!)

und ein bestelltes Gutachten, das sich in vielen Punkten widerlegen läßt.

(Dr.-Ing. Laermann [FDP]: Wie 1981 Herr von Bülow!)

— Herr Laermann, Sie bringen mich jetzt vom Konzept ab. Das ist Ihr Ziel, und es wird Ihnen natürlich auch gelingen.
Ich will Ihnen nur sagen: Bülow hat ein Gegengutachten in Auftrag gegeben. Dies lag im Sommer 1982 vor. Er hat damals mit dem Kanzler Schmidt über dieses kritische Gutachten gesprochen. Sie haben ein Verfahren vereinbart, wie man dies in die Öffentlichkeit bringt und wie man den Ausstieg organisiert. Die FDP hat uns damals leider verlassen und ist aus dieser Regierung ausgestiegen, so daß das damit vom Tisch war. Das ist so, Herr Laermann.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich auf einige Punkte eingehen, was das Gutachten von Motor-Columbus anlangt. Der Haupteinwand gegen die Brütertechnologie wird in diesem Gutachten gar nicht behandelt, nämlich die Unwirtschaftlichkeit.

(Gerstein [CDU/CSU]: Es ist ein forschungspolitisches Gutachten!)




Vahlberg
— Was heißt Forschungsreaktor? In dem Gutachten wird festgestellt, daß die gesamte Brütertechnologie frühestens in 50 Jahren wirtschaftlich sein kann.

(Vosen [SPD]: Wenn überhaupt! — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sie wäre heute schon gegenüber der deutschen Steinkohle sehr wirtschaftlich!)

Es geht also nicht nur um Kalkar, sondern um die Brüterlinie insgesamt. Was soll das Ganze? Sie selbst haben doch gesagt, daß Sie im Jahre 2020 oder spätestens 2030 aus der gesamten Kerntechnologie aussteigen wollen.
Weiterhin wird der richtige Einwand, mit dem Brüter stiegen wird in die Plutoniumwirtschaft ein, einfach weggewischt,

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist falsch! Das ist Unsinn, was Sie dauernd behaupten!)

indem man sagt — auch Sie, Herr Riesenhuber, haben es hier noch einmal unterstrichen — : Der Brüter verbraucht mehr Plutonium, als er produziert. Sie und Ihr Gutachten unterschlagen dabei, daß der Brüter zwangsläufig zur Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf führt und daß das natürlich der Einstieg in die Plutoniumwirtschaft ist.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

— Sie bestätigen das, was ich hier an Defiziten anmerke.
Genauso sträflich wird das Thema Nonproliferation behandelt, d. h. der Kernwaffenvorbehalt. Es wird einfach unterschlagen, daß man natürlich immer, wenn man Brüter denkt, auch Wackersdorf mitdenken muß.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

— Ja, natürlich. Das ist richtig. Der Herr Probst aus Bayern bestätigt dies noch einmal. Das ist der Einstieg in die Plutoniumwirtschaft.
Als letzten Einwand möchte ich aufgreifen, der Brutreaktor sei nicht sozialverträglich. Dieser richtige und wichtige Einwand wird mit dem Hinweis auf die USA und Großbritannien ebenfalls weggewischt. Die Herren Gutachter hätten sich einmal in Brokdorf und in Schwandorf bei der WAA aufhalten sollen, dann hätten sie registriert, was für einen Sicherheitstanz und was für Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen die bayerische Staatsregierung dort durchzieht.
Meine Damen und Herren, solche interessengeleiteten Gefälligkeitsgutachten von Firmen, die mit der Atomindustrie verschwistert und verschwägert sind, sind das Papier nicht wert. Lassen wir uns das Ding begraben.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109416300
Herr Abgeordneter!

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1109416400
Ich bin sofort fertig; ein Schlußsatz. Lassen Sie uns die Beerdigungsfeierlichkeiten abkürzen. Jedes Jahr Betrieb kostet eine viertel Milliarde DM. Herr Riesenhuber und Herr Töpfer, mit dieser viertel Milliarde könnten wir wunderbare Förderprogramme zur Markteinführung der Solarwasserstofftechnologie machen. Das würde der Umwelt und den Menschen mehr nutzen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109416500
Herr Abgeordneter, das ist ein zu langer Schlußsatz. Ich muß Sie unterbrechen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seesing.

Heinrich Seesing (CDU):
Rede ID: ID1109416600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Willy Brandt, Hans Leussink, Klaus von Dohnanyi, Horst Ehmke, Helmut Schmidt, Hans Matthöfer, Volker Hauff und Andreas von Bülow müssen sich doch eigentlich etwas dabei gedacht haben, als sie es durchsetzten, daß in Kalkar ein gewaltiges, auf die Energieversorgung des 21. Jahrhunderts ausgerichtetes Bauwerk entstand. Ich habe diese unendliche Geschichte von Anfang an und aus nächster Nähe erleben müssen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sie haben sich geirrt!)

Das Projekt ist von der Politik auf den Weg gebracht worden, zu einem Zeitpunkt, als — Zitat — „in Deutschland die Demokratie erst so richtig anfing" .
Ich sage das bewußt; denn einige Leute, die damals noch demjenigen kräftig zujubelten, der diesen Ausspruch getan hat, behaupten heute, der Staat habe mit dem Projekt SNR 300 den Plutoniumstaat errichten und damit die Demokratie abschaffen wollen.
Der Schnelle Brüter ist also von sehr honorigen Leuten auf den Weg gebracht worden. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß Forschung und Industrie die damalige Bundesregierung und die Landesregierung Nordrhein-Westfalen so unter Druck gesetzt haben, daß diese wider Willen dem Bau des Reaktors zugestimmt haben.
Im Gegenteil: Die Grundsätze, die damals den weitaus größten Teil der Bevölkerung am Niederrhein veranlaßten, dem Projekt zuzustimmen, gelten nach wie vor:

(Dr. Hirsch [FDP]: Da kann ich Ihnen aber etwas anderes sagen!)

Erstens. Das Kraftwerk muß sicher sein, so sicher, wie es menschliche Kreativität und Technik nur eben machen können. Bis 1985 ist es von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen immer wieder schriftlich gegeben worden, daß es mit der Sicherheit des SNR 300 aufs beste bestellt sei. Nach den mir bekanntgewordenen Fakten hat sich an dieser Einschätzung nichts geändert. In diesem Punkte verlasse ich mich voll und ganz auf die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, daß sie pflichtgemäß ihre Prüfungen aufs strengste und genaueste vornimmt.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das können Sie!)

Es ist nur bedauerlich, daß man gelegentlich den Eindruck haben muß, daß diese Prüfungen nicht nach den Bestimmungen des Atomgesetzes, sondern nach den Beschlüssen irgendwelcher Parteigremien der SPD durchgeführt wurden oder werden. Ich will davon ausgehen, daß die Landesregierung alles tun



Seesing
wird, diesen Eindruck auszuräumen. Denn sie kann doch wohl nicht wollen, daß man glauben soll, ihre Beamten würden durch parteipolitische Außerungen ihres Ministerpräsidenten oder ihrer Minister unter Druck gesetzt.
Zweitens. Das Kraftwerk muß notwendig sein. Die Notwendigkeit liegt sicherlich nicht in der Stromerzeugung, wenigstens nicht im Jahre 1988. Seit 15 Jahren ist uns von den Forschungsministern immer gesagt worden, daß es sich beim SNR 300 um einen Reaktor handele, der vorwiegend Forschungszwekken dienen werde. Ich bin auch heute noch der festen Überzeugung, daß dieser Forschungauftrag nach wie vor besteht. Wenn auch mein Parteifreund, der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth, glaubt, die Franzosen seien uns in der Brütertechnologie um 20 Jahre voraus, so übersieht er völlig, daß diese französischen Brüter bei uns kaum, wahrscheinlich sogar gar nicht genehmigungsfähig sind.
Weltweit wird die Brütertechnologie weiterentwikkelt. Die EG steuert auf einen Euro-Brüter zu. Es würde mich schon sehr beruhigen, daß dafür eine erprobte deutsche Sicherheitstechnologie zur Verfügung stünde, wenn in etwa zehn Jahren Entscheidungen zu treffen sind.

(Beifall bei CDU/CSU und der FDP)

Drittens. Die dritte Forderung, die in der heutigen Debatte eigentlich die wichtigste Rolle spielen sollte, nämlich die Sicherung der Finanzierung, ist bei uns am Niederrhein nie laut erhoben worden. Denn wir waren davon ausgegangen, daß Veranlasser und Antragsteller, also die Bundesregierung und die EVUs, das Problem gelöst hätten. Die Erfahrung hat anderes gelehrt. Da hat es ab Mitte der 70er Jahre manche Hängepartien gegeben, die Betreibern, Belegschaft, besonders aber den Mitarbeitern der Firmen, die am Bau des SNR 300 beteiligt waren, unter die Haut gegangen sind.
Ich habe für mich gelernt, daß man die Industrie einschließlich EVUs nur dann für zügiges Arbeiten gewinnen kann, wenn es um das eigene Geld geht. Das hat auch die letzte Phase der Fertigstellung des SNR 300 so gezeigt; das gilt auch für die jetzige Warteschleife. Es soll dabei bleiben, daß Bund, EVUs und Hersteller dafür sorgen, daß das Werk auf die Inbetriebnahme hin vorbereitet bleibt.
Im übrigen fordere ich alle auf, nicht von Kalkar zu sprechen, wenn Sie nur den Schnellen Brüter meinen. Denn Kalkar ist viel mehr als nur der Standort eines Schnellen Brüters. Jeder, der von und über Kalkar spricht, sollte eigentlich verpflichtet werden, wenigstens eine Woche in dieser schönen Kulturlandschaft zu verleben.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109416700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fellner.

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1109416800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch Wackersdorf und die Oberpfalz ist selbstverständlich eine schöne Gegend und ein schöner Ort, aber wir sind hier leider gezwungen, jetzt über den Schnellen Brüter zu sprechen.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Viel zu schade für einen Schnellen Brüter!)

Ich sage deshalb „leider" , weil natürlich auch diese Aktuelle Stunde so inaktuell und so überflüssig ist wie alles, was Sie zu diesem Thema jemals beantragt haben.

(Vosen [SPD]: Wir hätten gar nicht erst über das Thema reden müssen!)

Lassen Sie mich zusammenfassend noch einmal auf ein paar Punkte hinweisen. Lassen Sie mich dabei feststellen, daß eine langfristige Finanzierungszusage sicherlich notwendig ist. Ich bin der Meinung, die EVUs müssen sich darauf einrichten, daß sie die Finanzierung über 1991 hinaus gewährleisten, ebenso wie die sonstigen Partner. Bei einer Genehmigungsbehörde, die nicht nur bremst, sondern auch blockiert — das schlechte Gewissen hat ja vorhin in Form von Herrn Einert hier gesprochen — , die nur durch Weisungen zu einem korrekten Verhalten angehalten werden kann und es durch wiederholt aufgeworfene, längst beantwortete Fragen immer wieder schafft, Verzögerungen zu bewirken, so daß eine Terminprognose für eine Genehmigung durch die Behörde reine Spekulation wird, muß man sich auf einen solch langen Zeitraum bis zu einer möglichen Inbetriebnahme einrichten.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Nun warten Sie einmal ab, wie das bei Ihnen in Bayern ist!)

Dies hat allein die Genehmigungsbehörde in Nordrhein-Westfalen zu vertreten. An der Bereitschaft des Bundes, seine finanzielle und rechtsaufsichtliche Pflicht zu tun, wird Kalkar nicht scheitern. Das bedeutet aber nicht, daß es bei der Bewertung der Sicherheitsfragen irgendwelche Oberflächlichkeiten geben dürfte. Der Bund war und bleibt der Sachwalter von Sicherheitsinteressen der Bürger. Wenn eine Anlage in England in den nächsten Jahren aus dem Betrieb genommen wird, dann kann man schon jetzt sagen, daß das nicht aus Sicherheitsgründen geschieht, sondern einfach deshalb, weil der Forschungszweck nach 20 Jahren Forschungsbetrieb der Anlage eben erfüllt ist. Man soll also nicht aus jeder Stillegung einer Anlage schließen, sie sei aus Sicherheitsgründen stillgelegt worden.
Der Bund bleibt allerdings auch denen verpflichtet, die einen Genehmigungsantrag gestellt haben und einen Anspruch haben, daß darüber nach Recht und Gesetz entschieden wird und nicht nach opportunistischen, tagespolitischen oder parteipolitischen Interessen und zudem in Vollzug von irgendwelchen Parteitagsbeschlüssen.
Lassen Sie mich ein paar Sätze zur WAA und zu Kalkar sagen. Das von der früheren Bundesregierung entwickelte und von dieser Koalition nach wie vor getragene Entsorgungskonzept ist durch einen Verzicht auf Kalkar beileibe nicht hinfällig. Es ist reine Augenwischerei, was dazu in der Öffentlichkeit immer wieder gesagt wurde. Richtig ist, daß der Brutreaktor wiederaufgearbeitetes Material braucht, während Wiederaufarbeitung auch ohne den Brutreaktor



Fellner
sinnvoll ist und sinnvoll bleibt. Die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente und der Wiedereinsatz der zurückgewonnenen Kernbrennstoffe in Kernkraftwerken ist für unsere Energieversorgung nach unserer Überzeugung nach wie vor unverzichtbar.
Lassen Sie mich unter dem Eindruck, daß das Geld natürlich knapp ist und jeder lieber weniger zahlen würde, doch noch eine grundlegende Frage stellen, und zwar etwas tiefergehend, als der Kollege Vosen es mit der Frage „Lohnt es sich noch?" getan hat. Ich möchte fragen: Was hat sich auf der Welt denn eigentlich geändert, seitdem die SPD — Eppler — die Brütertechnologie visionär als einen Segen für die Dritte Welt gepriesen hat? Es hat sich nur eines geändert: Die SPD hat sich aus jeder Verantwortung abgeseilt und längst von all dem verabschiedet, was sie selbst initiiert und lange Zeit einmal vertreten hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber, meine Damen und Herren, der steigende Energiebedarf der Welt ist geblieben,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Die Vernichtung von Menschen in der Welt!)

ebenso das Bestreben der Armutsländer, sich industriell zu entwickeln. Auch wenn sie mit Energie nicht so großzügig umgehen, wie wir es getan haben,

(Vosen [SPD]: Und es noch tun!)

werden sie mehr Energie brauchen. Sollen es mehr tropische Regenwälder sein, liebe Freunde, oder sollen sich diese Länder dann mit Ihnen und den GRÜNEN darüber streiten, wer mehr vom Öl, von Kohle und Gas bekommt? Ich meine, wer aus jeder Energietechnologie aussteigt, wer die Erkenntnisse vernichten will, mit denen künftigen Generationen

(Frau Unruh [GRÜNE]: Die werden sie verfluchen!)

das Weiterleben irgendwo auf der Erde ermöglicht werden soll — falls bei uns die Lust am Aussteigen, die Lust am Untergang schon so groß sein sollte —, der wird seiner Verantwortung nicht gerecht.

(Vosen [SPD]: Sagen Sie das einmal den Leuten nach Tschernobyl!)

Wenn es um die Sicherstellung der Endlagerung geht, um die Frage, ob wir gefährlichen Abfall aus der Kernenergienutzung so lagern können, daß über Tausende von Jahren kein Mensch dadurch gefährdet wird, reden Sie mit glänzenden Augen von Ihrer Verantwortung für die künftigen Generationen, wollen aber trotz der sich verdichtenden Erkenntnis, daß damit für die nächsten Generationen globale katastrophale Umweltprobleme hervorgerufen werden können und Klimaveränderungen hervorgerufen werden, aus der Kernenergie aussteigen und verstärkt auf Kohle, Öl und Gas übergehen. Sie reden von Ihrer Sorge für künftige Generationen und nehmen Risiken für Ihre Kinder schon jetzt ohne weiteres in Kauf. Ich halte das, was Sie betreiben, für eine absolut unverantwortliche Politik.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109416900
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aktuellen Stunde.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ich Ihnen foglendes mitteilen: Ausweislich des mir inzwischen vorliegenden stenographischen Wortprotokolls der Fragestunde hat der Abgeordnete Wüppesahl den Generalbundesanwalt in herabsetzender Weise diffamiert. Ich erteile dem Abgeordneten Wüppesahl einen Ordnungsruf.
Ich rufe Punkt 17 und Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:
17. a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 22. März 1985 zum Schutz der Ozonschicht
— Drucksache 11/2271 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß)

— Drucksache 11/2946 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schmidbauer Frau Dr. Segall
Müller (Düsseldorf)

Dr. Knabe
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 11/2947 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Struck Schmitz (Baesweiler) Dr. Weng (Gerlingen) Frau Vennegerts

(Erste Beratung 84. Sitzung)

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen
— Drucksache 11/2676 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (21. Ausschuß)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hauff,
Schäfer (Offenburg), Frau Dr. Hartenstein,
Müller (Düsseldorf), Roth, Bachmaier, Frau



Vizepräsident Stücklen
Blunck, Catenhusen, Duve, Fischer (Homburg), Grunenberg, Dr. Hauchler, Heistermann, Ibrügger, Jansen, Jaunich, Dr. Jens, Jung (Düsseldorf), Kiehm, Kühbacher, Lambinus, Lennarzt, Frau Dr. Martiny, Müller (Schweinfurt), Nagel, Peter (Kassel), Reimann, Reuter, Schanz, Stahl (Kempen), Urbaniak, Vahlberg, Vosen, von der Wiesche, Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Schutz der Ozonschicht durch Verbot des Einsatzes von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Briefs, Dr. Daniels (Regensburg), Frau Garbe, Dr. Knabe, Wetzel und der Fraktion DIE GRÜNEN
Klimaschutzprogramm: Sofortmaßnahmen
gegen den Abbau der Ozonschicht und die Auswirkungen des Treibhauseffekts
— Drucksachen 11/678, 11/788, 11/2472 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schmidbauer Schäfer (Offenburg)

Dr. Knabe
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller (Düsseldorf), Schäfer (Offenburg), Ganseforth, Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Ibrügger, Bachmaier, Blunck, Jung (Düsseldorf), Kiehm, Lennartz, Müller (Schweinfurt), Reschke, Reuter, Schanz, Schmidt (Salzgitter), Schütz, Dr. Sperling, Stahl (Kempen), Dr. Wernitz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Schutz der Ozonschicht — Drucksache 11/2939 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft Finanzausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1109417000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Verabschiedung des Wiener Übereinkommens und der ersten Beratung des Montrealer Protokolls stehen wir auf der untersten Sprosse einer langen Leiter, die buchstäblich gen Himmel gerichtet sein muß. Mit diesen beiden Übereinkommen haben wir zum erstenmal weltweit ein Instrumentarium in der Hand, mit dem wir unter Vorsorgegesichtspunkten Maßnahmen gegen drohende Umweltschäden einleiten können.
Wir erkennen immer stärker, daß der alarmierende stratosphärische Ozonabbau zu ökologischen Folgeschäden mit gravierenden Auswirkungen auf die gesamte Menschheit führt, die in ihrer Dimension heute weder überschaubar noch genau abschätzbar sind. Gleichzeitig wissen wir, daß durch den sogenannten Treibhauseffekt eine Klimakatastrophe auf uns zukommen kann, deren Ausmaße wir nur in Umrissen erahnen können.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das ist richtig!)

In der Wissenschaft ist heute unbestritten, daß vor allem die Fluorchlorkohlenwasserstoffe für den Abbau des Ozons in der Stratosphäre entscheidend verantwortlich und auch am Treibhauseffekt mitbeteiligt sind. Die Täter, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sind also ermittelt.
Die bereits eingetretenen Schäden kennen wir allerdings nur aus Meßergebnissen. Wir können sie den Menschen nicht bildlich darstellen, wir können sie nicht medienwirksam vorführen. Wir haben es mit einem unsichtbaren Ozonschild in der Stratosphäre zu tun, der dünner wird, der Löcher besitzt und der es deshalb auch möglich macht, daß eine unsichtbare härtere Strahlung auf unsere Biosphäre zukommt. Das sind Phänomene, die wir selbst nicht sehen können, deren Auswirkungen aber in ihrer Dramatik für jeden spürbar werden, allerdings erst zu einem Zeitpunkt sichtbar werden, der dann eine Reparatur sicher unmöglich macht.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist das Problem!)

Deswegen müssen wir heute handeln. Je später wir uns dazu entschließen, desto schwieriger wird eine entsprechende Reparatur

(Beifall bei allen Fraktionen)

und desto gravierender müssen die Eingriffe sein.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, bei diesem Thema will ich sehr dankbar darauf hinweisen, daß dies von allen Fraktionen dieses Hauses so beurteilt wird und daß wir gemeinsam heute einen Entschließungsantrag zur Abstimmung stellen, daß wir dies gemeinsam in der Enquete-Kommission erarbeiten und daß dies ohne großen Dissens geschieht, in Harmonie und der Erkenntnis, daß wir hier eine Dramatik vor uns haben, die uns zum politischen Handeln verpflichtet.
Was ist heute der wissenschaftliche Sachstand?
Neben der alarmierenden Ozonabnahme über der Antarktis, dem sogenannten Ozonloch, wurde inzwischen auch eine Abnahme des stratosphärischen Ozons in der nördlichen Hemisphäre festgestellt. Der Durchschnittswert der Gesamtozonkonzentration hat von 1969 bis 1986 zwischen 30 und 60° Nord um insgesamt 1,7 bis 3 % abgenommen. Der Ozonschwund in der südlichen Hemisphäre reicht mindestens bis 55° Süd, möglicherweise sogar bis 50° Süd, das heißt bis in die südlichen Landesteile Argentiniens und Chiles. Die Ausdehnung umfaßt heute eine Fläche wie etwa die der Vereinigten Staaten. Auch die neuesten Messungen sprechen von einer weiteren Abnahme der stratosphärischen Ozonkonzentration von bis zu



Schmidbauer
5 %, was zu einer etwa 10 %igen Zunahme der schädlichen ultravioletten Strahlen führt.
Die daraus resultierenden ökologischen Folgeschäden sind, wie ich sagte, in ihrer Dimension nicht überschaubar, und sie sind heute nicht abschätzbar. Die bisherige Entwicklung wurde durch keine Modellrechnung vorausgesagt. Das zeigt, daß die aktuellen Modellrechnungen, die dramatische Entwicklungen vorhersagen, wenn nicht weltweit massive Gegenmaßnahmen ergriffen werden, von der Wirklichkeit noch übertroffen werden können. Die vergangenen Jahre zeigen uns, daß wir nicht nur die Spitze des Eisbergs, sondern inzwischen auch deutlich die Umrisse der gigantischen Auswirkungen unserer Versäumnisse in den vergangenen Jahrzehnten erkennen können. Tatkraft, Flexibilität und Bereitschaft zu übergreifender Zusammenarbeit sind in Anbetracht dieser Problemstellung gefragt, um das Ausmaß der Schäden so weit wie möglich zu begrenzen. Das ist keine nationale Maßnahme, sondern wir müssen alle Maßnahmen darauf konzentrieren, dies abgestimmt international zu realisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und den GRÜNEN)

Damit wird auch die Dramatik deutlich.
Hier bietet uns das Wiener Übereinkommen als Rahmenvereinbarung die Voraussetzung dafür, daß die weltweite Forschungszusammenarbeit koordiniert und intensiviert wird. Ferner ist es die Grundlage dafür, daß darauf aufbauend in Einzelvereinbarungen konkrete Reduzierungsmaßnahmen eingeleitet werden können. Deswegen ist es wichtig, daß wir den entsprechenden Gesetzentwurf heute verabschieden, um damit die baldige Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten.
Eine erste schrittweise Umsetzung des Wiener Übereinkommens wird mit dem Montrealer Protokoll verwirklicht. Darin wird zum erstenmal eine bestimmte Quote festgeschrieben, nämlich die Reduzierung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen um 50 To in der Endstufe ab Mitte 1998. Damit — das will ich deutlich sagen — ist zwar ein Anfang gemacht, doch die aktuelle wissenschaftliche Situation, die Erkenntnisse zeigen uns deutlich, daß damit im Endeffekt noch keine Reduzierung der FCKW erreicht wird und deshalb erhebliche Verschärfungen im Protokoll vorgenommen werden müssen.

(Beifall der Abg. Frau Dr. Hartenstein [SPD])

Trotzdem — und dies ist kein Widerspruch — ist es im Augenblick die wichtigste Maßnahme, daß wir das Protokoll so rasch wie möglich ratifizieren, damit es am 1. Januar 1989 in Kraft treten kann. So ist es auch vorgesehen. Allerdings ist es dazu notwendig, daß sich die Ausschüsse unmittelbar nach der heutigen ersten Lesung an die Arbeit machen und dafür Sorge tragen, daß bereits in Kürze die abschließende Beratung hier im Deutschen Bundestag stattfinden kann. Das ist von besonderer Bedeutung, weil nur bei Vorliegen einer bestimmten Anzahl von Ratifikationsurkunden bis zum Jahresende das rechtzeitige Inkrafttreten des Protokolls gewährleistet ist.
Auch wenn wir heute feststellen müssen — ich habe das eben getan — , daß Montreal de facto noch zu keiner Reduzierung der Fluorchorkohlenwasserstoffe führt, so ist es dennoch ein Sprungbrett für weitere, bessere Beschlüsse, die einen wirklichen Fortschritt in der Sache erbringen.
Wir wissen um die Schlupflöcher. Wir wissen um die Ausnahmetatbestände. Wir wissen, daß in der Praxis eher ein Ansteigen erfolgt, ob mit oder ohne Montreal. Das ist im Augenblick nicht zu verhindern. Wir wissen aber, daß wir hier ein Instrument in der Hand haben, um den Weg zu beschreiten. Auch wenn wir wissen, daß es nicht ausreicht, ist es doch ein erster Schritt. Ein erster internationaler Anfang ist gemacht. Dieses Instrumentarium muß fortgeschrieben und — dies ist im Protokoll auch vorgesehen — 1990 entsprechend den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen fortentwickelt werden. Hier liegt die Aufgabe auch des Parlaments: auf diese Punkte aufmerksam zu machen. Das bedeutet:
Erstens. Die Fristen für die Reduzierung müssen verkürzt werden. Es macht keinen Sinn, im Jahre 2000 um 50 % zu reduzieren, wenn man um das Tempo, um die Dramatik der Abnahme des stratosphärischen Ozons weiß. Deshalb: Fristenverkürzung.
Zweitens. Die loopholes, die Schlupflöcher müssen zugemacht werden. Es muß dafür Sorge getragen werden, daß keiner umgehen kann.
Drittens. Wir wollen, daß bis zum Jahr 2000 mindestens 95 % der Fluorchlorkohlenwasserstoffe weg sind, daß nur noch ein kleiner Teil vorhanden ist, für den bestimmte Tatbestände gelten.
Ich stimme auch denen zu, die in vielen Bereichen noch weitere Forderungen auf die Tagesordnung bringen. Es lohnt sich, nicht nur über die fünf regulierten nachzudenken, sondern auch darüber, welche zusätzlichen Stoffe aufgenommen werden müssen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Wir kennen immer neue Spurengase, die gewaltige Schäden verursachen.
Wir müssen alles dazu beitragen, daß viele Staaten diesem Abkommen beitreten, daß die Industrie mit der Kooperation Ernst macht, nämlich weder eine Neuproduktion noch eine Produktionsausweitung von FCKW in Nichtunterzeichnerstaaten des Montrealer Protokolls vorsieht, und daß wir vor allem Importe aus Nichtunterzeichnerstaaten verhindern. Auch dies ist wichtig: daß wir Sorge tragen, daß eine effiziente Kontrolle des Montrealer Protokolls stattfindet. Es ist ebenso dringend geboten, daß exakte Daten über Produktion und Verbrauch ermittelt und den politischen Kontrollinstanzen zugänglich gemacht werden.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir müssen dafür sorgen, daß das Versteckspiel mit Zahlen aufhört.

(Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sehr richtig!)

Erste Schritte dazu sind gemacht. Das Montrealer Protokoll sieht dies vor, allerdings in einer Form, die wir auf Dauer sicher nicht akzeptieren.
Wir brauchen weltweit eine Kennzeichnung FCKW-haltiger Produkte. Unabhängig davon muß



Schmidbauer
bei allen Hinweisen auf alle internationale Maßnahmen deutlich gemacht werden: Wir können national nicht auf internationale Maßnahmen warten,

(Beifall bei allen Fraktionen)

sondern wir müssen auf nationaler Ebene möglichst rasch eine positive Kennzeichnung haben, damit die Verbraucher auch die Möglichkeit haben und auch ins Boot genommen werden können, das Tempo der Einführung von Ersatzprodukten oder Ersatztechnologien zu erhöhen. Dies ist wichtig.
Was die Schlupflöcher betrifft, wurde in Gesprächen der Enquete-Kommissiun im vorigen Monat mit Vertretern einiger lateinamerikanischer Länder deutlich, daß diese Länder gar nicht so sehr an bestehenden Ausweitungsquoten interessiert sind. Im Gegenteil, auch sie wollen eine Verschärfung der Quoten, auch sie wollen schneller vorangehen, weil auch sie die Bedrohung, die auf uns alle zukommt, erkennen.
Nur, was diese Länder brauchen, sind keine Schlupflöcher, sondern moderne Technologien. Sie müssen an der Forschung über Ersatzstoffe teilhaben. Sie müssen in die Lage versetzt werden, Ersatzstoffe und Ersatztechnologien möglichst rasch ebenfalls zum Einsatz zu bringen. Es lohnt nicht, Ladenhüter in den Entwicklungsländern zu produzieren. Dies ist auf Dauer auch aus ökologischer Sicht nicht möglich und nicht gut.
Ein schneller Technologietransfer liegt auch in unserem eigenen Interesse, denn nur dadurch wird diesen Ländern die Möglichkeit eingeräumt, einen Beitrag zur Ressourcenschonung und zur Reduktion der weltweiten Umwelt- und Klimagefahren zu leisten.
Sollen das Wiener Übereinkommen und das Montrealer Protokoll einen Erfolg bringen und nicht nur auf dem Papier stehen bleiben, dann müssen wir mit der Umsetzung Ernst machen; dann müssen wir auch hier darangehen, die darin enthaltenen Möglichkeiten umzusetzen. Wir müssen das Abkommen voll ausschöpfen. Daraus folgt: Wir müssen unsere wissenschaftliche Forschung intensivieren. Wir brauchen eine verstärkte Atmosphärenforschung. Wir brauchen geeignete Meßplattformen. Wir brauchen in Europa geeignete Flugzeuge und Satelliten, denn nur durch eine kontinuierliche Messung können wir die Ozonverteilung, die Ozondichte und die Konzentration von Spurengasen in ihrer Entwicklung verfolgen.
Wir bemerken hier ein gewisses Monopol, und wir wissen, daß im Augenblick nur noch ein einziger Satellit — und auch der ist bereits im Trudeln — in der Lage ist, kontinuierliche Messungen durchzuführen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Ein guter Hinweis!)

Europa darf sich hier nicht abmelden. Hier müssen wir dafür sorgen, daß wir eine Verstärkung haben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Nur wenn wir das tun, lohnt es sich, daß wir hier unterschreiben. Denn das steht darin als wichtiger Punkt.
Dadurch werden sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse verdichten; die Dramatik der Situation kann stärker verdeutlicht und damit natürlich auch der Druck für politische Maßnahmen erhöht werden. Nur durch eigene Messungen, eigene wissenschaftliche Untersuchungen sind wir in der Lage, im Rahmen der Verhandlungen zur Verschärfung des Montrealer Protokolls unsere Position zu stärken und das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland, das Gewicht Europas mit in die Waagschale zu werfen.
Eigene wissenschaftliche Erkenntnisse erlauben es uns, die Zeitachse genauer festzulegen und entsprechenden Druck auf Maßnahmenverschärfungen auszuüben.
Wir können eigenständig die Entwicklung beurteilen, eigenständig dafür sorgen, daß neue Maßnahmen ergriffen werden.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir die Initiativen der Bundesregierung. Es war richtig, daß der Bundeskanzler die Problematik der Ozonschicht in seiner Regierungserklärung aufgegriffen und sie in den jüngsten Gipfelgesprächen — sowohl beim Weltwirtschaftsgipfel in Toronto als auch beim jüngsten EG-Gipfel in Hannover — thematisiert hat und dadurch im internationalen Bereich weitere Impulse ausgelöst wurden.
Wir begrüßen die bisherigen nationalen Maßnahmen, die der Bundesumweltminister eingeleitet hat, die Vereinbarungen mit der Industrie im Aerosolbereich, die schneller als festgelegt zu Erfolgen geführt haben, die Verhandlungen zu einer entsprechenden Vereinbarung im Klima- und Kältemittelbereich, die kurz vor dem Abschluß stehen. Herr Minister Töpfer, wir bitten Sie dringend, dafür zu sorgen, daß wir dies auch überbringen. Ich weiß aus Gesprächen in den letzten Tagen mit Ihnen, wie sehr Sie sich auf der europäischen Schiene gerade bei dieser Problematik einsetzen. Wir müssen hier ein Beispiel geben. Wir dürfen nicht zuwarten, auf andere warten.
Wir begrüßen die Bemühungen des Bundesumweltministers im Rahmen der deutschen EG-Präsidentschaft, die dazu geführt haben, die Verordnung zur EG-weiten Umsetzung des Montrealer Protokolls bereits verabschieden zu können. Darüber hinaus konnte erreicht werden, daß in einer Entschließung zum EG-Verordnungsentwurf eine Reihe weitergehender Maßnahmen verabredet wurden.
Wir begrüßen die Bemühungen des Bundesforschungsministers, das von ihm kürzlich vorgelegte Ozonforschungsprogramm und die Einrichtung eines Klimabeirats. Er wird dafür auch die Unterstützung der Enquete-Kommission haben, genauso wie wir die Unterstützung der Bundesregierung bei unserer Arbeit brauchen.
Aber wir dürfen bei diesen bisherigen intensiven Bemühungen auf nationaler Ebene nicht stehenbleiben. Wir müssen weitere Maßnahmen in die Wege leiten. Maßnahmen, die sich heute bereits anbieten, sind in der vom Umweltausschuß einvernehmlich verabschiedeten Entschließung zur Wiener Übereinkunft, die heute ebenfalls zur Abstimmung steht, aufgelistet. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert,



Schmidbauer
sich mit Nachdruck für deren Realisierung einzusetzen.
Dazu gehört u. a., daß der Informationsaustausch und die Forschung auf dem Gebiet der stratosphärischen Ozonchemie sowie in bezug auf Ersatzstoffe und Ersatztechnologie noch stärker als bisher intensiviert werden. Dazu gehört, daß so bald wie möglich auf EG-Ebene eine Kennzeichnung FCKW-haltiger Produkte ermöglicht wird und bereits vor einer Verschärfung des Montrealer Protokolls auf freiwilliger Basis EG-weit stärkere Reduktionsquoten erreicht werden, als sie im Montrealer Protokoll vorgegeben sind. Weitere Forderungen habe ich bereits zuvor genannt.
Auch die Fraktion der SPD hat in einem heute eingebrachten Antrag eine Reihe von Vorschlägen aufgelistet, über deren Zielsetzung es überhaupt keinen Streit geben kann. Über eine Reihe von Maßnahmen sind wir uns einig. Eine Reihe von Formulierungen sind mir wohlbekannt. Man sollte sich nicht selber zitieren. Ich hätte mir gewünscht, daß wir zu dieser Thematik gerade wegen der Übereinstimmung in der Sache gemeinsam einen Antrag im Bundestag eingebracht hätten.

(Zuruf des Abg. Müller [Düsseldorf] [SPD])

Aber ich gehe davon aus, daß wir dies bei der Verabschiedung — Herr Kollege Müller, ich bin dankbar für den Zwischenruf — wieder tun und damit unterstreichen, wie sehr wir gemeinsam an diesen Fragen interessiert sind. Allerdings gibt es auch einige Punkte, Herr Kollege, die intensiver überprüft werden müssen. Meines Erachtens gibt es bei näherem Hinsehen EG-rechtliche Vorbehalte, über die wir reden müssen. Ich weiß, daß wir dies dann gemeinsam auch an anderer Stelle tun.
Ich sage zum Abschluß: Die Einzelberatungen zu diesem Antrag dürfen allerdings nicht dazu führen, daß die abschließenden Beratungen zum Montrealer Protokoll verzögert werden und dadurch die Gefahr besteht, daß das Protokoll seitens der Bundesrepublik Deutschland zu spät ratifiziert würde. Lassen Sie uns wie bisher gemeinsam handeln, schnell handeln, soweit wie möglich vorangehen und weltweit so viele Partner wie möglich suchen, die uns auf unserem Weg begleiten. Uns allen muß bewußt sein, daß dies auch unser Auftrag ist, denn — wie es eine amerikanische Forschergruppe formuliert hat — : the sky is the limit, der Himmel ist die Grenze.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109417100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller (Düsseldorf).

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1109417200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat ist es richtig: Die wissenschaftlichen Fakten haben sich in der Zwischenzeit zu eindeutigen Schlußfolgerungen verdichtet. Die Gefahr der Atmosphärenzerstörung ist real. Deshalb, Herr Kollege Schmidbauer, ist es sehr wichtig, daß wir gerade angesichts dieser neuen Dimension globaler Umweltkrisen innerhalb der Enquete-Kommission ein sehr gutes und sehr sachliches Arbeitsklima haben.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie wir unserer politischen Verantwortung in einer so wichtigen Frage anders gerecht werden können.
Allerdings kann ich in Ihre Lobarie für die Bundesregierung so nicht einsteigen.

(Fellner [CDU/CSU]: Das haben wir erwartet!)

— Ich will es auch begründen — im Gegensatz zu Ihnen stelle ich nicht nur eine Behauptung in die Welt — , und zwar mache ich es an der Beantwortung der Anfrage des Kollegen Knabe über den Treibhauseffekt durch die Bundesregierung fest. Da steht dann beispielsweise der Satz drin, daß wissenschaftlich nicht nachgewiesen sei, daß die FCKW-Problematik für die Schädigung der Ozonschicht verantwortlich ist. Also, wer als Bundesregierung heute noch so etwas behauptet, der macht sich in der Diskussion in einer gewissen Weise ein bißchen lächerlich. Und insofern ist es gut, daß wir zumindest in der EnqueteKommission auf einer sehr sachlichen, sehr einvernehmlichen Ebene weiter sind, ganz eindeutig weiter sind.
Ich werde mich hier in meinem Beitrag auf die Ozon-Problematik konzentrieren; wir haben uns das entsprechend aufgeteilt. Es ist in der Tat so, daß die Ausdünnung und Zerstörung der Ozonschicht heute eine schleichende Umweltzerstörung globalen Ausmaßes ist, eine Umweltzerstörung, die der Mensch mit seiner Produktionsweise und mit seinen Lebensweisen selbst erzeugt. Wissenschaftlich unbestritten ist — und da ist es deutlich anders als in der Beantwortung der vorhin genannten Anfrage durch die Bundesregierung — , daß die Spurengase für diese Problematik heute als verantwortlich anzusehen sind. Sie sind für den katalytischen Abbau des Ozons in der Stratosphäre verantwortlich.
Die Abnahme der Ozonsäulendichte geht auch über die natürlichen Schwankungen eindeutig hinaus. Es gab ja eine Zeitlang die Theorie, daß man sagte, im Zusammenhang mit dem etwa elfjährigen Sonnenzyklus-Rhythmus sei der Rückgang normal. Dies kann als These heute nicht mehr aufrechterhalten bleiben. Die Vernichtung, die Zerstörung der Ozonschicht und die Umschichtung der Ozonschicht gehen weit über die natürlichen Schwankungen hinaus, und das ist das entscheidende Problem.
Problem Nummer eins: In der nördlichen Hemisphäre erleben wir in der letzen Zeit auch im bodennahen Bereich Ozonlöcher. Es beschränkt sich also nicht mehr nur auf den südpolaren Bereich.
Punkt zwei: In der antarktischen Atmosphäre, insbesondere im südpolaren Frühling, ist es in der Zwischenzeit dramatisch. Dies gilt besonders für den Bereich des Südpols selbst, wo wir den Begriff des Ozonlochs geprägt haben. Alles deutet darauf hin, daß es hier durch menschliche Verantwortung zu gewaltigen Störungen in der stratosphärischen Chlorchemie gekommen ist. Die Faktenlage ist also eindeutig; über die Dramatik der Entwicklung gibt es keinen Zweifel mehr.
Die Auswirkungen sind in Szenarien beschrieben. Ich glaube, da brauche ich hier nicht mehr viel zu



Müller (Düsseldorf)

sagen. Die bekannteste Problematik ist die Zerstörung des Pflanzenwuchses, die Verminderung von Ernteerträgen, die Auswirkung auf Zoo- und Phytoplankton, die Zerstörung der Nahrungskette der Meere und auch die Auswirkung auf die Gesundheit — speziell auf den Immunstatus des Menschen — : Krebs, Augenerkrankungen.
Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von Fragen, die bisher erst in Ansätzen nachvollziehbar sind, die erst ansatzweise erforscht sind, die aber noch auf eine weit größere Problematik hinweisen. Dazu gehören — ich will nur ein paar Beispiele nennen — folgende Fragen: Wir wissen nicht genau, welchen Einfluß die FCKW-Problematik auf die Wetterbildung hat.

(Baum [FDP]: Hurrikan!)

Wir wissen nicht genau, was beispielsweise die Zerstörung der Pole für die Stabilität der Erde langfristig bedeutet. Auch da ist das Ozonloch in einer gewissen Weise mit beteiligt. Wir wissen wenig über die Kombinationswirkungen von klimawirksamen Spurengasen. Aber wir wissen — und das ist der letzte Punkt, den man hier weiter verfolgen muß — , daß die Fluorchlorkohlenwasserstoffe doch einen erheblichen Einfluß auf die Klimaänderung haben. In unserem Bericht sagen wir: einen Anteil von ungefähr 20 %.
Meine Damen und Herren, die Frage des Verbots von Fluorchlorkohlenwasserstoffen ist sicherlich keine einfache Sache. Aber sie ist sicherlich doch sehr viel einfacher als der Umbau des Energiesystems in der Bundesrepublik.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wer also beispielsweise die Klimaproblematik ernst nimmt und auf die Debatte über die Atomenergie verzichtet, dem muß ich zum Teil wirklich Ablenkung vorwerfen.

(Beifall bei der SPD)

Die schnellsten Handlungsansätze sind eindeutig, wenn ich im Bereich der Fluorchlorkohlenwasserstoffe zu drastischen Verboten komme.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, die dramatische Zunahme und die Schnelligkeit der Ozonausdünnung machen aber auch die Grenzen bisheriger Umweltpolitik in zwei weiteren Punkten deutlich, die ich für sehr wichtig halte.
Erstens. Der Zusammenbruch des luftchemischen Systems erfolgte nicht linear, also nicht in kausalen Entwicklungstendenzen, sondern er erfolgte in Schüben und Sprüngen. Das bedeutet aber, daß wir in der Realität einen klaren Widerspruch zu dem vorherrschenden physikalischen Weltbild unserer Politik und unserer umweltpolitischen Maßnahmen sehen, wo wir nämlich von naturgesetzlichen, analytischen, linearen Entwicklungstendenzen ausgehen. Dies ist zweifellos bei einer Vielzahl von Umweltprozessen heute nicht haltbar. Es gibt eben nicht nur lineare Prozesse in der Natur, ganz im Gegenteil: Wir erleben zunehmend Prozesse, die sozusagen mit den einfachen mechanistischen Gesetzen der Physik nicht erfaßbar sind.

(Zuruf des Abg. Dr. Knabe [GRÜNE])

— Eben, weil es um sehr viel mehr geht. Das Problem ist nur, daß unsere Umweltpolitik auf den physikalischen Gesetzen aufbaut und von daher im Verhältnis von Schäden und der Korrektur von Schäden auf linearen, analytischen Wirkungsketten beruht, die in der Natur immer weniger haltbar sind.

(Frau Blunck [SPD]: Richtig!)

Der zweite Punkt, den wir in aller Deutlichkeit sehen müssen — der Kollege Schmidbauer hat es zu Recht angesprochen — , wodurch die bisherige rechtliche Architektur unserer Umweltschutzpolitik in Frage gestellt wird, ist, daß es enorme zeitliche Verzögerung zwischen Verursachung und Wirkung gibt.

(Beifall des Abg. Dr. Knabe [GRÜNE])

Die heutige Zerstörung der Ozonschicht ist das Ergebnis von FCKW-Freisetzungen vor 10 bis 15 Jahren. Das heißt, selbst wenn wir heute zu einem radikalen Verbot kommen, wird die Ozonproblematik über 10, 15 Jahre weiter zunehmen; dann wird die Situation über lange Zeit stabil bleiben, und erst dann wird es zu einer Sanierung in diesem Bereich der Erdatmosphäre kommen. Dies ist in der Tat mit unseren bisherigen reparierenden, kompensatorischen Umweltschutzmaßnahmen nicht mehr zu bewältigen. Diese Problematik erfordert eine andere Architektur von Umweltpolitik.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der CDU/CSU)

Bei diesem Sachverhalt, meine Damen und Herren — das ist eigentlich die Herausforderung —, bedeutet nämlich die Erweiterung des Wissens noch lange keinen Zugewinn an ökologischer Sicherheit und verbesserter Gefahrenabwehr. Es bedeutet in der Konsequenz, daß wir nämlich ohne eine in der Tat auf konsequente Vorbeugung ausgerichtete Umweltschutzpolitik diese globalen Herausforderungen nicht bewältigen können. Das heißt, daß wir neben unserer wichtigen Politik der Umweltreparatur zu einem massiven Umbau des ökonomischen und rechtlichen Systems in der Bundesrepublik kommen müssen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Insofern geht es bei der Ozonzerstörung nicht allein um einen begrenzten ökologischen Sachverhalt. Dahinter steht vielmehr die Herausforderung zum Umbau der industriellen Mechanismen in Richtung auf eine umweltverträgliche Produktionsweise. Das bedeutet im Kern, daß die Politik herausgefordert ist, nach der Jahrhundertleistung, nämlich der Durchsetzung des sozialen Rechtsstaats zur Abmilderung der sozialen Risiken des industriellen Prozesses, diese soziale Rechtsstaatsfunktion heute um die ökologische Einbettung der industriellen Prozesse zu erweitern.
Wir sollten uns nichts vormachen: Industrialisierung in den bisherigen Mechanismen bedeutet immer wieder die Produktion von neuer Unordnung und von neuen Problemen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)




Müller (Düsseldorf)

Deshalb müssen wir zu neuen Mechanismen in der Architektur gesetzlicher und wirtschaftlicher Regelungen kommen. Dies ist ohne einen grundlegenden ökologischen Umbau nicht möglich. Das bedeutet: Wir brauchen eine neue Kultur gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse.
Herr Daniels, Sie nennen die Probleme. Das finde ich ja in Ordnung. Aber wir sollten nicht so tun, als ob wir damit auch schon Lösungen hätten. Wir sollten gemeinsam versuchen, diese zu entwickeln. Da haben wir nämlich alle Mängel, und zwar zum Teil erhebliche.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Das heißt, es geht heute um eine Kultur des Bewahrens; denn Wachstum und Umweltzerstörung sind auf Grund der industriellen Mechanismen eine Synthese eingegangen, die heißt: schonungsloser Naturverbrauch.

(Frau Blunck [SPD]: Richtig!)

Insofern geht es heute in der Tat um eine Umkehrung der industriellen Beschleunigung hin zu Maßnahmen der industriellen „Entschleunigung", der Zusammenfassung, der Ganzheitlichkeit, der Überschaubarkeit und vielem anderen mehr.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Auch im sozialen Bereich!)

Das ist wirklich nur zu erreichen, wenn wir den Mut haben, neue, unkonventionelle Wege zu gehen. Wir sollten uns nichts vormachen: Ein solcher Umbau ist mit Risiken verbunden, sicherlich auch mit Verzicht, mit Einschränkungen. Wir sollten uns aber erst recht nichts vormachen im Hinblick auf folgendes: Unterbleibt der Umbau, werden die Risiken von Tag zu Tag größer. Auch das, was der Kollege Schmidbauer gesagt hat, kann ich nur unterstreichen. Es heißt: Heute sind Weichenstellungen erforderlich. Es kann kein „Augen zu und durch" geben.
Meine Damen und Herren, wir haben zum Thema „FCKW" einen Antrag eingebracht, und dazu möchte ich einige wenige Sätze sagen. Wir sind der Auffassung, daß wir das Ziel eines weitgehenden oder nahezu vollständigen Verbots von Fluorchlorkohlenwasserstoffen bis 1995 erreichen müssen; jedes Jahr früher ist um so besser.

(Beifall bei der SPD)

Das bedeutet, daß wir schon jetzt eine Strategie der schrittweisen Einschränkung brauchen. Ein zentrales Problem bei den Fluorchlorkohlenwasserstoffen ist ja, daß dahinter eine relativ preisgünstige Verwertung des Chlorüberschusses in der Bundesrepublik steht. Das heißt, FCKW-Produkte sind sehr preiswerte, aber gleichzeitig in vielen Bereichen sehr lukrative Produkte, so daß meines Erachtens ohne ökonomische und auch gesetzliche Maßnahmen die schnelle Reduzierung der FCKWs nicht zu erreichen ist. Entsprechend müssen wir Maßnahmen, wie wir sie in dem Antrag vorgeschlagen haben, vorsehen.
Zuletzt will ich noch einen einzelnen Punkt ansprechen, weil darauf auch Herr Schmidbauer eingegangen ist. Das Problem ist, daß wir in solchen Gegenstrategien immer mehr von der europäischen Rahmengesetzgebung und von den Rahmendaten, die die EG-Kommission uns setzt, abhängig sind. Es ist in der Tat nicht eindeutig geregelt, ob wir in diesen Fragen ein nationales Verbot erreichen können, obwohl wir wissen: Wir müssen es erreichen.

(Frau Blunck [SPD]: Richtig!)

Es gibt zwei Artikel im Rahmen des europäischen Rechts, die eine Möglichkeit zu nationalen Verboten bieten. Es sind Art. 36, der sogenannte Gesundheitsvorbehalt, und Art. 130t mit dem zwingenden Erfordernis. Es ist aber, wie gesagt, nicht sicher, ob wir das erreichen können. Deshalb schlagen wir vor, über eine ökonomisch wirkende Abgabe zusätzlichen Druck zu erzeugen,

(Beifall bei der SPD)

damit die Produktion von FCKWs ökonomisch nicht mehr lukrativ ist. Das ist die Ergänzung, die wir zu den gesetzlichen Maßnahmen wollen.
Ich meine, darüber müssen wir diskutieren. Natürlich ist es notwendig, ins finanzpolitische und ins wirtschaftspolitische Steuerungssystem solche Mechanismen einzubauen. Ich glaube, wenn wir nicht die Kraft finden, zumindest bei der Klimaproblematik endlich zu solchen Maßnahmen zu kommen, werden wir es nie schaffen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109417300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1109417400
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wir beschäftigen uns heute in der zweiten Lesung mit dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht, kurz, zum Wiener Abkommen, womit wir die Voraussetzungen für eine Ratifizierung durch die Bundesregierung schaffen. Damit sind wir einen Schritt weitergekommen — auf unser Ziel hin, daß dieses internationale Abkommen so schnell wie möglich von allen Vertragsparteien unterzeichnet werden kann. Dieses Übereinkommen hat zum Ziel, die Ozonschicht vor verändernden Einwirkungen durch den Menschen zu schützen. In dem Abkommen haben sich darum die Vertragsparteien verpflichtet, durch entsprechende Maßnahmen für eine Regelung, Begrenzung, Verringerung und Vermeidung solcher Einwirkungen Sorge zu tragen.
Die Konkretisierung des Abkommens hinsichtlich der Maßnahmen ist in dem Protokoll von Montreal niedergelegt worden, in dessen parlamentarische Beratung wir heute mit der ersten Lesung gehen. Ich hoffe, daß das Klima der Beratungen ähnlich wie in der Enquete-Kommission für diese wichtige Arbeit gedeihlich sein wird. Die gemeinsame Beschlußempfehlung des Umweltausschusses ist ein gutes Zeichen dafür. Auch der ausführliche Antrag der GRÜNEN bietet, auch wenn er im Ausschuß mehrheitlich über-



Frau Dr. Segall
stimmt wurde, sicher manchen Beitrag für die Diskussion.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das freut uns natürlich!)

Etwas verwundert hat mich hingegen der Antrag der SPD, der uns gestern noch ins Haus geflattert ist, aber vielleicht kommen wir in der Beratung im Ausschuß auch hierzu zu einer gemeinsamen Resolution.
In dem erwähnten Protokoll sind die Pflichten der Vertragsparteien zum Schutz der Ozonschicht konkretisiert. Verringert werden sollen fünf Chlorverbindungen, FCKWs, und drei Bromverbindungen, Ha-lone. Die Parteien verpflichten sich auf eine weitere Maßnahme, nämlich darauf, die Produktion der besagten Stoffe einzufrieren bzw. Stück für Stück zu reduzieren.
Obwohl die FDP staatlichen Kontrollmaßnahmen immer kritisch gegenübersteht, begrüßen wir, daß das Sekretariat des Übereinkommens die Einhaltung der Beschlüsse überwachen wird. Gerade auf internationalem Gebiet ist diese Kontrolle unverzichtbar. Ohne sie stände nämlich zu befürchten, daß das Protokoll von einigen Vertragsstaaten schlicht ad acta gelegt werden würde. Die fortlaufende Überprüfung durch das Sekretariat kann diesem Risiko entgegenwirken.
Ich finde es auch gut, daß in dem Abkommen Handelsbeschränkungen mit Nichtvertragsparteien vorgesehen sind. So wird dafür Sorge getragen, daß auch andere Staaten dem Protokoll beitreten oder aber daß es wenigstens nicht zu einem Export der verbotenen Stoffe kommt.
Ich möchte jedoch nochmals die Vorschriften, die den Entwicklungsländern bei der Produktion gewisse Privilegien einräumen, kritisieren. Im Kern wird darin den Entwicklungsländern eine Zehnjahresfrist eingeräumt, ehe sie mit der Reduzierung bzw. mit der Einhaltung der im Protokoll vorgeschriebenen Regelungsmaßnahmen beginnen müssen, falls ihre grundlegenden nationalen Bedürfnisse dies nötig machen. Natürlich sind wir uns der besonderen Lage der Entwicklungsländer bewußt, doch diese Gummiklausel öffnet nicht nur einem Mißbrauch Tür und Tor, in vielen Entwicklungsländern liegt die Bedingung für die Zehnjahresfrist per definitionem vor. Eben weil sie Entwicklungsländer sind, sind die nationalen Bedürfnisse immer grundlegende Bedürfnisse. Hier liegt ein entscheidender Haken des Abkommens. Es wird wenig helfen, wenn sich die Vertragsparteien verpflichten, den Entwicklungsländern alternative Stoffe und Technologien zugänglich zu machen.
Doch nicht nur hier ist Kritik anzumelden. Sowohl was die Größenordnung der Reduktionen als auch deren Zeitpunkte anbetrifft, ist Beschleunigung geboten.

(Beifall bei der FDP — Beckmann [FDP]: Sehr gut!)

Allerdings — dies muß man auch bei einem internationalen Abkommen sehen — ist es schwierig, gerade im Umweltbereich bei allen Staaten die Bereitschaft zu erzeugen, die notwendig wäre, um zügiger zu einer
Reduzierung zu gelangen. Darum wiederhole ich die schon bei der ersten Lesung des Wiener Abkommens vorgetragene Kritik ein weiteres Mal.
Wir alle, die wir in der Enquete-Kommission sitzen, sind uns über alle Parteigrenzen hinweg einig, daß das Montrealer Protokoll in diesem Sinne nachgebessert werden muß. Auch die Bundesregierung hat dies erkannt und bemüht sich um eine weitere weltweite Reduzierung der Emissionen von FCKWs. Bundeskanzler Kohls Eintreten für dieses Ziel auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Toronto ist ein Beispiel dafür. Die FDP unterstützt diese Bemühungen, erwartet jedoch weitere kontinuierliche Anstrengungen seitens der Bundesregierung.
Neben diesen politischen Anstrengungen bedarf es auch noch erheblicher Anstrengungen der Wissenschaft, um die Ursachen und Wirkungszusammenhänge des Klimas zu ergründen oder doch wenigstens besser zu verstehen.
In der Umweltpolitik besteht immer ein ganz unmittelbarer Zusammenhang zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und politischem Handeln. Wir werden immer im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip schon dann legislativ tätig werden müssen, wenn noch keine abschließenden Erkenntnisse vorliegen.
Es ist wohl überflüssig, zu konstatieren, daß das jedoch nicht heißen kann, jeder Schreckensnachricht aus dem Umweltbereich Glauben zu schenken und bei jeder neuen Katastrophenmeldung neu legislativ tätig zu werden. Man würde sich verzetteln und Kräfte vergeuden, die zur Bekämpfung wirklicher Gefahren nötig sind.
Bei den Gefahren, die unserem Erdball durch die Veränderung des Klimas drohen, müssen politisches Handeln und Verstärkung der Forschung parallel laufen. Notwendig sind dazu kontinuierliche Langzeitmessungen zur Beobachtung der Veränderung der Spurengaskonzentration einschließlich der Aerosole in der Tropo- und der Stratosphäre sowie episodische Intensivmeßphasen zur Aufdeckung wichtiger, die Konzentration der Ozonschicht beeinflussender Prozesse. Die Bedeutung der durch menschliche Aktivitäten entstandenen Spurengase muß noch genauer untersucht werden.
Neuland ist mit der sogenannten Klimawirkungsforschung zu betreten, also mit der Klärung der Fragen über Ausmaß und Folgen einer durch menschliche Aktivitäten hervorgerufene globale Erwärmung. Die zur Zeit verfügbaren Klimamodelle können die verschiedenen Formen der Rückkoppelung — Wechselwirkung mit den Ozeanen, Bedeutung der Bewölkung, Rolle der Aerosole — noch nicht zufriedenstellend behandeln.
Die Vorhaben des Bundesministers für Forschung und Technologie, den ich hier heute leider vermisse, auf dem Gebiet der Klimaforschung sind wichtige Elemente zur Erkundung der Ursachen des Ozonlochs. Die ausgesprochen umfangreichen Mittel, die für Weltraumprogramme ausgegeben werden, sind für uns nur dann vertretbar, wenn im Zuge ihrer Durchführung auch die im Moment lebenswichtigeren Daten über klimatische Veränderungen in der Atmo-



Frau Dr. Segall
sphäre erhoben werden. Nehmen Sie das bitte mit, Herr Staatssekretär!

(Frau Ganseforth [SPD]: Das wird doch nicht gemacht!)

— Ich werde dafür kämpfen. Verlassen Sie sich darauf!
Man darf aber nicht nur in der Größenordnung internationaler Abkommen und in Milliardenbudgets denken, wenn es um die Verbesserung unseres Klimas geht. Hier möchte ich auf einen schon jetzt feststellbaren Bewußtseinswandel in der Bevölkerung hinweisen. Aus zahlreichen Zuschriften, die mir im Zusammenhang mit meiner Arbeit in der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" zugegangen sind, weiß ich, wie sehr die Welt-klimagefahren — Stichwort Ozonloch, Treibhauseffekt — die Bevölkerung beunruhigen. Dieses neue Bewußtsein kann politisch genutzt werden. Ich möchte an Herrn Umweltminister Töpfer dringend appellieren, zu prüfen, ob man etwa durch freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie zu einer Kennzeichnung von FCKW-freien Produkten kommen kann. Die durchaus vorhandene Sensibilität in der Bevölkerung würde so dazu führen, daß auch die Industrie noch stärker und noch schneller die FCKW-Produktion begrenzen würde. Nötig wäre eine solche freiwillig vereinbarte Kennzeichnungspflicht in den Bereichen, in denen bis heute noch FCKWs eingesetzt werden.
Bedauernswert ist es jedoch, daß in den Nachbarstaaten ein solcher umfassender Umdenkungsprozeß noch nicht eingesetzt hat. Internationale Abkommen sind natürlich ein wichtiger Schritt, aber man sollte überlegen, ob neben diesen Abkommen nicht wenigstens EG-weit verstärkt auf das Bewußtsein der Bevölkerung hingewirkt werden kann. Ich möchte so weit gehen, zu sagen, daß Verbesserungen für unser Klima in gleichem Maße wie durch internationale Abkommen auch durch einen internationalen Umdenkungsprozeß in der Bevölkerung erreicht werden können.
In Anbetracht der Bedrohung kann man sich jedoch nicht allein auf Umdenkungsprozesse bei den Menschen verlassen, und auch die jetzt beschlossenen internationalen Maßnahmen können nur ein erster Schritt sein.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb fordere ich für die Liberalen die Bundesregierung auf, durch internationale Verhandlungen erstens eine Verringerung der FCKW-Emissionen um 90 bis 95 % zu erreichen und zweitens die Fristen für die Reduktion wesentlich kürzer festzulegen

(Beifall des Abg. Baum [FDP])

sowie drittens die Forschungskooperation zu verstärken zur besseren Ermittlung der Wirkungsmechanismen in der Stratosphäre und zur Entwicklung von Ersatzstoffen und/oder anderen Technologien in allen Einsatzbereichen der FCKWs.
Die Verringerung der FCKW-Emission weltweit ist nicht nur wegen des Erhalts der Ozonschicht dringend geboten, sondern auch wegen der Gefahren, die von den FCKWs als Spurengas bei der Verstärkung des Treibhauseffekts ausgehen.
Da die Emission der anderen Spurengase, wie z. B. Kohlendioxid oder Methan, wesentlich schwieriger zu verhindern ist, ist es ein Gebot der Vorsorge für unsere Erde, die FCKWs so schnell wie möglich drastisch zu reduzieren.
Wir können aber auch nicht mehr lange untätig bleiben, was den Treibhauseffekt anbetrifft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die verschiedenen Spurengase müssen ebenso wie die FCKWs so schnell wie möglich reduziert werden. Da viele der Spurengase aus unkontrollierbaren Quellen emittiert werden, z. B. das Methan aus Reisfeldern oder Kuhmägen oder das CO2 aus den Brandrodungen, wird sich die Möglichkeit zur Einschränkung von Spurengasen auf jene konzentrieren müssen, die überhaupt eine Möglichkeit zur Reduzierung bieten, und das sind in erster Linie die Kohlendioxidemissionen, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen. Ein weltweites CO2-Abkommen nach dem Muster des Wiener Abkommens ist nach Ansicht der FDP dringend erforderlich.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Göhner [CDU/CSU])

Welche weiteren Schritte notwendig sind, wird sich u. a. aus dem Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" ergeben, der bereits in Kürze vorgelegt wird. Ich möchte schon jetzt den zuständigen Ministerien die Lektüre des Berichts empfehlen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109417500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1109417600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! 1974 haben Sherwood Rowland und Mario Molina von der Universität in Kalifornien herausgefunden, daß sich bestimmte Fluorchlorkohlenwasserstoffe, die FCKW, nach ihrer Freisetzung aus Spraydosen oder Kühlaggregaten als unerwartet langlebig erweisen. Ihre damalige Veröffentlichung in der Zeitschrift „Nature", in der sie die Bedrohung der Ozonschicht durch FCKW beschreiben, fand weltweit ein großes Presseecho.
Auf der politischen Ebene tat sich zunächst wenig. Das uns allen bekannte Argument, man müsse erst die genauen Ursachen erforschen, wurde als Vorwand für Nichtstun benutzt.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Erst vier Jahre später, aufgeschreckt von einer Studie der nationalen Akademie der Wissenschaften der USA, wurden dort erste Konsequenzen gezogen. Mit Wirkung vom 31. Dezember 1978 wurde der Einsatz von FCKW als Treibgas in Spraydosen verboten. Kanada, Schweden und Norwegen zogen innerhalb kürzester Zeit nach.
Von der Bundesregierung unter dem Antiökologen Helmut Schmidt konnte man so etwas natürlich nicht erwarten. Aber auch nach der Wende passierte zunächst nichts. Es dauerte ganze zehn Jahre seit dem



Dr. Knabe
Verbot in den USA, bis der nun von der CDU gestellte Bundesumweltminister wenigstens eine freiwillige Vereinbarung zwischen der Aerosolindustrie und der Bundesregierung zustande brachte. Derselbe Minister polemisierte allerdings noch vor wenigen Wochen in meinem Wahlkreis Mülheim/Ruhr gegen Umweltschützer, die Verbote als Königsweg des Umweltschutzes forderten.
Nein, Herr Töpfer, wir brauchen keinen Königsweg, aber den Schutz der Bevölkerung vor giftigen Substanzen und den Schutz unseres Planeten vor Stoffen, die das gesamte Klima durcheinanderbringen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Verbote sind da ein wirksames Instrument, das in dringenden Fällen eingesetzt werden muß, aber natürlich nicht pauschal und überall — da stimme ich Ihnen zu —, sondern gezielt, wie das in unserem Klimaschutzprogramm präzise beschrieben ist.
Bis die internationale Staatengemeinschaft auf die neue Herausforderung reagierte, mußten elf Jahre nach der Entdeckung von Rowland und Molina vergehen; elf Jahre, in denen vielleicht 10 Millionen Tonnen FCKW in die Atmosphäre entlassen worden sind. 10 Millionen Tonnen zuviel!

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Mindestens elf!)

— Ich gebe auch elf. — Erst im März 1985 wurde in Wien das Übereinkommen zum Schutze der Ozonschicht unterzeichnet, das heute zur Abstimmung steht. Zweieinhalb Jahre später, im September 1987, wurden in Montreal von Regierungsvertretern der Unterzeichnerstaaten konkrete Ausführungsbestimmungen zur Wiener Konvention festgelegt. Auch dieses Montrealer Protokoll steht heute zur Diskussion, aber nicht zur Abstimmung.
Konkret sieht das Protokoll vor, daß die Unterzeichnerstaaten ab 1990 nur noch so viel FCKW verbrauchen wie im Jahre 1986, daß ab Juli 1994 maximal 80 % der Menge von 1986 verbraucht wird und daß bis Juli 1999 die Verbrauchsmenge auf 50 % der Menge von 1986 reduziert wird.
Aber sowohl Industrieländer als auch Entwicklungsländer können diese Zielvorgaben des Montrealer Protokolls drastisch unterschreiten, wenn sie — wie Frau Segall und andere schon ausgeführt haben — grundlegende nationale Bedürfnisse geltend machen. Wenn die Unterzeichnerstaaten die möglichen Ausnahmeregelungen ausschöpfen, wird bis zur Jahrtausendwende keine nennenswerte Reduzierung der Produktion erreicht werden.
Hinzu kommen Unsicherheiten. Eindeutige Produktionszahlen sind nicht bekannt. So kann man die Reduzierung schwer überblicken. Man könnte fragen: 50 % von was? In der Enquete-Kommission haben Vertreter aller Parteien die völlig unkooperative Haltung der deutschen Produzenten Kali-Chemie und Hoechst kritisiert, die sich weigerten, konkrete Zahlen auf den Tisch zu legen.
Eine weitere Unsicherheit ist das Verhalten der Nichtunterzeichnerstaaten. Werden sie einer Verlagerung der Produktion von Unterzeichnerstaaten zustimmen?
Wir können festhalten: Das Montrealer Protokoll ist in der jetzt vorliegenden Form völlig untauglich, die Zerstörung der Ozonschicht zu stoppen. Das ist auch weitgehend Konsens in der Enquete-Kommission.
Wenn wir GRÜNEN trotzdem für den Beitritt der Bundesrepublik zur Wiener Übereinkunft und zu dem Montrealer Protokoll plädieren, so deshalb, weil das der erste Schritt zu den dringend notwendigen internationalen Vereinbarungen ist. Ein Problem mit derart globalem Charakter wie der Zerstörung der Ozonschicht kann nicht auf nationalstaatlich bornierte Weise gelöst werden. Es bedarf einer grenzüberschreitenden Kooperation.
Wir schlagen deshalb vor, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen und gleichzeitig zu beschließen, dazu aufzufordern, daß die Bundesregierung international tätig wird, um das Montrealer Protokoll zu verschärfen. Unser Ziel muß sein, Verbrauch und Produktion der FCKW bis zum Ende des Jahrhunderts auf Null herabzufahren. Ansätze für eine solche Haltung finden sich in der gemeinsam verabschiedeten Entschließung des Ausschusses.
Diese Erklärung enthält jedoch zwei Passagen, die uns, wie Herr Müller schon erwähnt hat, eher peinlich berühren. Ich kann ja verstehen, lieber Kollege Bernd Schmidbauer, daß man in einer Erklärung der CDU den Bundeskanzler und den Umweltminister lobend erwähnt, um Rückenwind für eigene Vorstellungen zu bekommen. Aber in einer gemeinsamen Erklärung bei so geringen Verdiensten?

(Zuruf von der CDU/CSU: Na!)

Das Lob hätte eher der Photo-Journalist Camillo Fischer verdient, der bei dem Empfang des Bundeskanzlers am 9. Juni das Mikrophon ergriff und auf die drohende Vernichtung der tropischen Regenwälder hinwies.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Man hat ihm dort den Saft abgedreht, aber die positive Reaktion der Teilnehmer war für den Bundeskanzler Anlaß genug, das Thema in Toronto anzusprechen. Ich sage: dank Camillo Fischer.
Der Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre hat drei ganz fatale Folgen.
Diskutiert wurde die lebensfeindliche ultraviolette Strahlung, die jetzt stärker durchkommt.
Wenig bekannt ist die Verschiebung im Höhenprofil, in der Verteilung des Ozons. Der Abnahme des Ozons in der Stratosphäre steht nämlich eine Zunahme in der Troposphäre gegenüber, und dort schützt dieses Gas nicht mehr, sondern es reizt Augen- und Luftwege des Menschen, und es beeinträchtigt den Stoffwechsel der Pflanzen. Damit wird die Stratosphäre kälter und die Troposphäre wärmer. Aber die eigentlichen Urheber aller dieser Reaktionen, die FCKW, zerstören nicht nur das stratosphärische Ozon, sondern tragen noch mehr zum Treibhauseffekt bei. Die Wirkung eines Moleküls für die Wärmeisolierung der Luft ist etwa zehntausendfach größer als die eines CO2-Moleküls.

(Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE]: Hört! Hört!)




Dr. Knabe
So machen diese Verbindungen trotz der begrenzten Emission von nur einer Million Tonnen pro Jahr bereits 20 % des gesamten globalen Treibhauseffektes aus.
Wir müssen also handeln, wir müssen rasch handeln, aber überlegt handeln. Die GRÜNEN haben deshalb bereits im vorigen Dezember ein umfassendes Klimaschutzprogramm vorgelegt, was heute zur Abstimmung steht.

(Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Es ist abgelehnt worden!)

— Ja.
Wir haben die Öffentlichkeit mit einer Broschüre informiert. Wir haben versucht, sie anzusprechen, sie in Bewegung zu setzen. Die Koalition setzte damals auf weitere Forschung und verweigerte sich konkreten Maßnahmen. Der Umweltausschuß empfiehlt Ablehnung. Es ist offensichtlich unheimlich schwer, vernünftigen Vorschlägen einer kleinen Oppositionspartei einmal zu folgen.

(Beifall der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Ich kann nur appellieren, nicht weiter zu warten, sondern mindestens die von der Enquete-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zu beschließen. In dieser Kommission arbeiten Leute zusammen, die den Ernst der Lage erkannt haben, und ich hoffe sehr, daß unser Zwischenbericht konkrete Sofortmaßnahmen benennt.
Heute lautet unsere politische Forderung: FCKWSofortausstieg in vielen Bereichen. Das adäquate Instrument hierzu ist ohne Zweifel das Verbot. Noch gestern abend sagte mir eine Besucherin aus Oberbayern beim Pressefest angesichts der Schaumstoffteller, die auch FCKW enthalten: „Im kleinen bemüht man sich, diesen Abfall zu vermeiden. Offenbar ist das im großen so schwierig, oder man macht sich keine Gedanken. " — Dabei darf es nicht bleiben.
Die FCKW-Haarsprays, Wegwerfgeschirr und Schaumstoffverpackungen sind langfristig ein tödlicher Luxus. Auch die für Abfall zuständigen Dezernenten in den Kommunen werden uns danken, wenn wir die Flut von Wegwerfmüll endlich eindämmen, abgesehen davon, daß der Mac-Donald's-Fraß aus Schaumstoffverpackungen ohnehin nicht schmeckt. In bestimmten Anwendungsbereichen wie bei der Wärmeisolierung kann es auch einmal zu Zielkonflikten zwischen der Forderung nach Energieeinsparung und der FCKW-Problematik kommen. Hier muß man politisch abwägen und gleichzeitig durch intensive Forschung neue Stoffe entwickeln.
Unser Klimaschutzprogramm beschränkt sich nicht auf Verbote, sondern wir fordern auch die Wiedergewinnung, das Recycling, von FCKW. Viele Kommunen haben bereits damit begonnen, da der Umweltminister bisher nichts gestartet hat. Die Kennzeichnung ist erwähnt worden. Das Vorschreiben geeigneter Rückhalteverfahren und geschlossener Produktionskreisläufe, all das sind wichtige Dinge.
Lassen Sie mich noch eine Erfahrung aus Südamerika berichten. In Buenos Aires sagte man sehr eindringlich: „Ihr auf der Nordhalbkugel produziert 95 dieser Stoffe, die die Ozonschicht zerstören, und wir im Süden müssen darunter leiden. Wir haben Zeugen dabei. Wir sind den Strahlen wehrlos ausgesetzt." Das heißt, wir in der Bundesrepublik produzieren doppelt so viel FCKW wie die gesamte Südhalbkugel.
Wir fordern deshalb von der Bundesregierung eine Doppelstrategie. Auf der internationalen Ebene sollte sie darauf hinwirken, daß die Wiener Vereinbarung und das Montrealer Protokoll überarbeitet werden, und zwar mit dem Ziel, bis 1999 eine 95prozentige FCKW-Reduktion zu erreichen. Auf nationaler Ebene dagegen ist ein prinzipielles FCKW-Verbot bis 1994 anzustreben. Schweden hat einen solchen Beschluß soeben gefaßt. Hinter Schweden darf die Bundesrepublik nicht zurückfallen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Abschließend möchte ich noch auf einen grundsätzlichen Aspekt der Klimakatastrophe hinweisen, der sowohl die Zerstörung der Ozonschicht als auch den Treibhauseffekt betrifft. Diese beiden katastrophalen Entwicklungen sind nach Ansicht der GRÜNEN lediglich Erscheinungen einer grundsätzlich falschen Entwicklung. So wie das Waldsterben die Folge unseres verschwenderischen Umgangs mit der Energie und unserer Form der Mobilität und der schleichende Tod von Nord- und Ostsee lediglich die Kehrseite unseres kollektiven Reinlichkeitswahns und der Unterwerfung des Landbaus unter die Gesetze der Industrie ist, so spiegelt sich in der Zerstörung des Ozongürtels nur unser rapides Fortschreiten in Richtung Plastik- und Kunstwelt wider. Wer in Plastikhäusern auf Plastikstühlen an Plastiktischen sitzt, um dort von Plastiktellern mit Plastiklöffeln zu essen, der ist der Natur eben nicht nur entfremdet, sondern trägt auch in der Regel zu ihrer, wenn auch indirekten Zerstörung bei. Wenn sich unsere Gesellschaft nicht ein grundsätzlich anderes Verhältnis zur Natur zulegt, wenn nicht eine Abkehr von rein materialistischem Denken stattfindet und wenn eine freiwillige Selbstbeschränkung nicht endlich an die Stelle von manischer Wachstumsfixierung tritt, wird sich ökologisch nichts zum Besseren verändern.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Bei der Debatte über die Ursachen der Klimakatastrophe stehen deshalb nicht nur technische Details, Effizienzfragen und verbesserte Filtermethoden zur Debatte, sondern auch der „way of life" unserer Gesellschaft. Mit oberflächlichen Korrekturen im technischen Bereich ist es nicht getan; es geht um Grundsätzliches. Hierzu brauchen wir die Zusammenarbeit aller Parteien dieses Bundestages und aller Verbraucher in diesem Lande.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109417700
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109417800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Bewertung



Bundesminister Dr. Töpfer
der Umweltrelevanz der FCKW gibt es keine Unterschiede. Ich möchte das sehr deutlich an den Anfang setzen. Sie sind als entscheidende Täter bei der Zerstörung der Ozonschicht und auch und gerade beim Klimaeffekt erkannt und dingfest gemacht. Wenn an einer Stelle noch Forschung eingefordert wird, dann sicherlich in der auch vom Abgeordneten Müller gekennzeichneten Fortentwicklung der mittelbaren Wirkungen dieser Spurengase. Wenn sie noch gefordert wird, dann in der Richtung, wie sie der Abgeordnete Schmidbauer vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Erforschung von alternativen Produkten zu einer Substitution von FCKW mit angesprochen hat.
Ich glaube, eines aber muß auf jeden Fall klar sein: Forschung kann auf diesem Gebiet nicht zum Alibi für Handeln gemacht werden. Dies ist ohne Zweifel richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Genauso richtig ist, daß auch internationale Abstimmungsnotwendigkeit nicht zum Alibi für eigene nationale Zusatzmaßnahmen werden darf.
Dennoch, meine Damen und Herren, muß man schon — der Abgeordnete Knabe hat das, wie ich meine, zu Recht als Doppelstrategie bezeichnet — auf beiden Ebenen handeln.
Da gegenwärtig hier die zweite und die abschließende Lesung des Wiener Übereinkommens und das Montrealer Protokoll zur Diskussion stehen, lassen Sie mich zunächst auf die internationale Ebene gehen. Ich bin der Überzeugung — dies ist hier mehrmals zum Ausdruck gekommen —, daß das Wiener Übereinkommen und das Montrealer Protokoll, das es als erstes ausfüllt, wichtige und notwendige Schritte im internationalen Rahmen sind. Sie sind zum erstenmal erfolgreich gewesen. Man kann der UNEP und ihrem Generaldirektor Tolba dazu gratulieren, daß es dazu kommen konnte, daß im September letzten Jahres in Montreal dieses Protokoll unterzeichnet wurde.
Dies bedeutet, meine Damen und Herren, für die Bundesregierung nicht, daß der Inhalt dieses Protokolls bereits ausreichend sei. Ich möchte das deutlich unterstreichen.
Wir standen als Präsident der Europäischen Gemeinschaft vor der Frage, ob wir uns dafür einzusetzen haben, die Europäische Gemeinschaft insgesamt zur Unterzeichnung des Montrealer Protokolls zu bekommen, oder ob wir nicht darauf verzichten sollten, um gleich eine Nachbesserung anzustreben. Wir sind weltweit, von den USA genauso wie von der UNEP, dringlich gebeten worden, alles daranzusetzen, um in unserer Präsidentschaft eine europäisch harmonisierte Durchsetzung des jetzt verabschiedeten Montrealer Protokolls zu erreichen. Dies haben wir getan; und ich glaube, daß es richtig ist, daß wir es getan haben. Ich meine, daß damit wirklich ein Ansatz gefunden worden ist, um einige andere Teilbereiche zu bewältigen.
So haben wir etwa in der Verordnung, die wir in Europa abgeschlossen haben, im Art. 11 nun wirklich eine klare Datenberichterstattung. Denn ich halte es schon für eine mittelschwere Belastung, wenn man
Daten über solche problematischen Stoffe hinterherjagen muß.
Ich darf einmal aus dem Art. 11 den Abs. 1 vortragen:
Bezogen auf den Zeitraum vom 1. Januar 1989 bis zum 30. Juni 1989 und jeden Sechsmonatszeitraum danach teilt jeder Hersteller, Importeur und Exporteur von Fluorchlorkohlenwasserstoffen und Halonen der Kommission mit Durchschrift an die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaates bis zum 31. August bzw. 28. Februar des Jahres folgende Angaben in dem Anhang .. . mit.
Von dem Augenblick an — ich sage ganz deutlich: das ist für mich zentral und wichtig gewesen — haben wir nun wirklich eine klare Übersicht über die Produktions- und Importstrukturen bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, nicht integriert.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Was machen Sie da mehr?)

— Ich will doch nur einmal unterstreichen, daß wir da ein Ärgernis, unter dem wir einigermaßen gelitten haben — die Enquete-Kommission hat es weiß Gott durchgepaukt — , auf diese Art und Weise wegbekommen. — Ich möchte hinzufügen: Es müssen Produktionszahlen, Mengen, die innerhalb der Gemeinschaft in Verkehr gebracht werden, Einfuhren in die Gemeinschaft usw. mitgeteilt werden. Ich glaube, das ist ein wichtiger zusätzlicher Punkt.
Dieser Ansatz ist also in unserer Präsidentschaft möglich geworden. Wir haben gleichzeitig eine zusätzliche Resolution gemacht, die darüber schon hinausgeht. Aber auch das reicht nicht hin.
Aber, meine Damen und Herren, dies ist ein kennzeichnendes Merkmal unserer internationalen umweltpolitischen Arbeit insgesamt. Wir haben im November dieses Jahres das NOx-Protokoll der ECE in Sofia zu unterschreiben, die Nachfolge des SO2-Protokolls. Wir haben uns intensivst bemüht, eine Besserung zu erreichen. Was in der ECE, also auch unter Einschluß der Ostblockstaaten, erreichbar war, ist eine Festschreibung der NOx-Emissionen auf dem Stand von 1986. Weil wir damit nicht zufrieden sind, werden wir mit weiteren sechs Staaten in Sofia die „like-minded countries" bilden und unterschreiben, daß wir eine zusätzliche Minderung um 30 % durchführen.
Ich meine, daß sich derselbe Ansatzpunkt auch in der Diskussion, die wir jetzt mit der UNEP über den Export gefährlicher Abfallstoffe haben, darstellt.

(Zuruf der Abg. Frau Blunck [SPD])

— Ich bin bei dem ersten Absatz, den internationalen Handlungsnotwendigkeit. Lassen Sie mich das entsprechend der von Herrn Knabe angeregten Doppelstrategie entwickeln. — Auch dort gilt es, das herauszuholen, was international überhaupt festschreibbar ist, um wenigstens erst einmal einen Start zu haben und dann mehr zu tun.
Wir werden — ich habe das in dieser Woche dem neuen Präsidenten der Gemeinschaft, dem griechischen Kollegen, bereits mitgeteilt — in der Sitzung



Bundesminister Dr. Töpfer
der Kommission am 24. November dieses Jahres den Antrag einbringen, ebenfalls eine Verpflichtung für eine zusätzliche Minderung um 30 % zu dem, was dort verabschiedet worden ist. Das hieße bei uns bereits eine Verminderung um 80 %. Ich glaube, wenn wir das in der Europäischen Gemeinschaft auf den Weg bringen, haben wir zumindest einen wesentlichen Schritt dahin getan.
Meine Damen und Herren, dies — ich sage es noch einmal — ist der internationale Bereich. Es war wichtig, ihn voranzubringen, und es war dringend notwendig, darauf aufbauend weiteres anzustreben.
Nun kommen wir zum nationalen Bereich. Beim nationalen Bereich — auch das ist, glaube ich, unstrittig — kann man wirklich nicht mehr davon ausgehen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht handelten. Wir haben eine Produktion von FCKW — ich glaube, hier sind wir nun wirklich auf der richtigen Seite — von insgesamt etwa 112 000 Tonnen.

(Frau Blunck [SPD]: Von etwa oder genau?)

— Ich hatte doch auf die Probleme der Datenbeschaffung hingewiesen und gerade deswegen den Art. 11 vorgetragen.
Ich gehe also von 112 000 Tonnen aus. Wir sind uns eigentlich darüber im klaren, daß davon 1986 etwa 26 000 Tonnen in den Spraydosen waren. Man kann sich auch darüber unterhalten, ob das der gute Weg ist: Aber allein durch das Selbstbeschränkungsabkommen haben wir die 26 000 Tonnen immerhin in 18 Monaten bis auf einen Rest von etwa 5 000 Tonnen Ende dieses Jahres zurückgeführt. Man kann darüber nachdenken, ob man das noch schneller erreichte. Aber wenn ich bei uns eine Verbotsverordnung mache, muß ich sie, wie jeder weiß, der bei uns in der Bundesrepublik Deutschland Politik betreibt, notifizieren. Wenn ich die Rechtszeiten berücksichtige, die ich brauche, um zur Verbotsverordnung zu kommen, und die Notifizierung hinzunehmen, brauche ich länger als 18 Monate, Herr Abgeordneter Knabe. Deswegen bin ich der Überzeugung, daß der eingeschlagene Weg richtig war.

(Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE]: Was wird mit den 5 000 Tonnen? — Baum [FDP]: Was ist mit den Importen?)

— Das ist inklusive Importe. Das ist nicht die Produktion, sondern die Verwendung von FCKW in Spraydosen.
Zweiter Teilbereich: Kühlgeräte. Auch hier gibt es, glaube ich, unter uns über die Mengen kaum Diskussionen. Wir gehen davon aus, daß die Kühlflüssigkeit eine Größenordnung von etwa 4 000 Tonnen ausmacht. Hinzu kommen ca. 3 000 Tonnen FCKW, die allerdings im Montrealer Protokoll nicht geregelt sind. Wir sind, wie Sie wissen, im übrigen dabei, die Schaumstoffe aus diesen Kühlgeräten — und natürlich die Kühlflüssigkeit selbst einem Recycling zuzuführen. Die entsprechenden Angebote liegen vor, auch die Technik ist vorhanden. Wir sind ferner dabei
— die Verordnung ist fertig — , zu einer Kennzeichnungspflicht hinsichtlich dieser Geräte zu kommen. Herr Abgeordneter Baum, weil Sie das immer angesprochen haben: Hier habe ich unter Zurückstellung von Bedenken vieler Mitarbeiter die Meinung, daß wir auf der Grundlage des § 14 des Abfallgesetzes handeln können.

(Baum [FDP]: Sehr gut!)

Der zweite Bereich ist also nationales Handeln: Wiedergewinnung plus Kennzeichnung.
Der dritte Bereich sind die Schäume. Auch dort haben wir, Hart- und Weichschäume zusammen, eine Größenordnung von etwas über 20 000 Tonnen. Wir sind der Überzeugung, daß wir hier an dem Verschäumungsprozeß selbst ansetzen müssen. Deshalb haben wir die TA Luft entsprechend geändert und gehen davon aus, mindestens 3 000 Tonnen FCKW aus der Umwelt herauszuhalten. Darüber hinaus gehen wir davon aus, daß der entscheidende Punkt, der jetzt in der Diskussion steht, die Lösemittel sind; dies war der Graubereich. Ich bin mit dem Umweltbundesamt der Meinung, daß wir hier eine Größenordnung von 40 000 Tonnen haben. An dieser Stelle besteht noch entscheidender Handlungsbedarf — das will ich mir zurechnen lassen — , weil wir bei der Substitution von Lösemitteln immer in die Schwierigkeiten mit schwierigen anderen Stoffen, Stichwort Perchlorethylen, kommen und damit einen Teufel durch den Beelzebub substituieren. Das ist schlicht und einfach die sachliche Lage.
Ich kann Ihnen garantieren, daß wir die 80 % Minderung, die hier angesprochen worden sind, aus dem Konzept für die Bundesrepublik Deutschland heraus verwirklichen. Damit leisten wir einen wesentlichen Beitrag und zeigen, daß auch andere ohne Aufkündigung wirtschaftlicher Stabilität dieses Ziel erreichen müssen. Darüber hinaus greifen wir gerne auf, die gesetzlichen Grundlagen zu verbessern. Ich erinnere an das Chemikaliengesetz. Ich brauche eindeutig die Kennzeichnungspflicht im Chemikaliengesetz; davon bin ich überzeugt. Eine Spraydose ist nicht nach dem Abfallgesetz zu kennzeichnen, sondern wenn, dann nach dem Chemikaliengesetz; dafür brauche ich das. Wir arbeiten an der Novelle. Ich bin der Überzeugung, daß wir unter diesem Gesichtspunkt eine Novelle nicht unbedingt des Abfallbeseitigungsgesetzes brauchen, aber sicherlich des Bundes-Immissionsschutzgesetzes; dies ist in Arbeit.
Insgesamt gesehen ergibt sich, in der Kürze der mir verfügbaren Zeit dargestellt, ein Boden von Handlung und Maßnahmen und nicht von Ankündigung. Ich glaube, daß wir uns bei dem, was wir getan haben, weiß Gott nicht selbstgefällig zurücklehnen dürfen, aber einen wesentlichen Schritt vorwärts gemacht haben. Wir werden uns weder in der europäischen Gemeinschaft noch an irgendeiner anderen Stelle übertreffen lassen.
Abschließend muß, um die Doppelstrategie zu verbinden, aber auch noch eines gesagt werden. Nationale Maßnahmen sind wichtig. Aber gerade mit Blick auf die Ozonschicht muß man sagen: Es gibt nicht die nationale Ozonschicht, es gibt nicht die Ozonschicht der Wissenschaftler und der Politiker, sondern es gibt die Ozonschicht dieser Welt. Deswegen muß eben jeder, der national etwas tut, das immer mit dem Ziel machen, damit auch international multiplikative Wir-



Bundesminister Dr. Töpfer
kungen auszulösen, die uns wirklich zu einer Lösung führen.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich sehe gerade an diesem Punkt einen Beleg dafür, daß wir nicht in die Steinzeit des Wohlstands zurück müssen, wenn wir auf diese Stoffe verzichten. Diese Wohlstandsgesellschaft ist nicht von FCKW abhängig. Aber selbst wenn sie es wäre, müßte man, glaube ich, diesen Abstrich vom Wohlstand in Kauf nehmen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1109417900
Das Wort hat Frau Abgeordnete Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1109418000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder wissenschaftliche Klimakongreß bestätigt, daß wir auf eine Klimakatastrophe zutreiben. Ich möchte das doch noch einmal etwas zuspitzen. Der Zusammenhang zwischen dem Abbau des Ozons in der Stratosphäre und den Fluorchlorkohlenwasserstoffen und Halonen ist eindeutig. Durch den Abbau des Ozons können die harten ultravioletten Strahlen ungehindert bis zum Erdboden durchdringen. Sie rufen beim Menschen Hautkrebs und Augenleiden hervor und haben auf das Pflanzenwachstum und Planktonwachstum negative Einflüsse. Auch zum Treibhauseffekt tragen die FCKW mit etwa 20 % bei. Der Ausdruck Klimakatastrophe beschreibt also das, was durch menschliches Handeln auf uns und vor allen Dingen auf die kommenden Generationen weltweit zukommt, genau. — Soweit noch einmal zum Einstieg der Beschreibung zur Klimakatastrophe.
Mein Eindruck ist aber, daß, je drastischer wir das beschreiben, was auf uns zukommt, desto weniger gehandelt wird. Hier war heute auch sehr viel von Einvernehmen die Rede, es schien so, als stünde alles zum Besten. Ganz deutlich ist das eben noch einmal beim Minister Töpfer geworden, der hier als Erfolg aufgeführt hat, daß wir Mitteilungen über die Angaben der Herstellung von FCKW bekommen werden. Er hat auch feste Überzeugungen über das, was vielleicht erreichbar sein wird, von sich gegeben. Ich muß sagen, daß mir das nicht nur zu langsam geht, sondern ich teile nach gewissen Erfahrungen — ich erinnere nur an die Vereinbarungen über die PET-Flasche — diese festen Überzeugungen nicht. Das ist mir entschieden zu wenig.

(Beifall bei der SPD)

Wir reden, und Sie reden, wir warnen, Sie reden, und die Zeit verstreicht. Auch was wir heute an Lob dieser Regierung und darüber, was alles getan werde, gehört haben, ist nur ein Ablenken davon, daß im Grunde nichts getan wird; denn bei den FCKW handelt es sich ja — und das ist auch heute deutlich geworden — um Stoffe, die wir erst seit wenigen Jahrzehnten haben, ohne die wir noch vor wenigen Jahrzehnten ausgekommen sind. Zugegeben, sie haben gute Eigenschaften, sie sind nicht giftig, nicht brennbar, nicht explosiv, wärmeisolierend und vor allen Dingen wirtschaftlich. Daher haben sie schnell viele Anwendungsgebiete gefunden, vom Einsatz in Spraydosen
über die Verschäumung von Kunststoffen, im Kühlmittelsektor und als Präzisionsreiniger.
Nun weiß man aber schon seit vielen Jahren — und das hat sich zunehmend erhärtet — , welche verheerende Wirkung auf das Klima, d. h. auf den Ozonabbau und den Treibhauseffekt, die FCKW haben. Daß es trotz dieses jahrelangen Wissens nicht zu einem sofortigen Verbot der FCKW von seiten der Regierung bzw. zur Einstellung der Produktion von seiten der Industrie — die will ich hier durchaus miteinbeziehen — gekommen ist, kann man nur kriminell nennen.
Zwei Firmen sind es in der Bundesrepublik, die Firmen Hoechst und Kali-Chemie. Das Wissen ist da, es wird aber weiter produziert.
Sicher, die Bundesrepublik bringt einen Entwurf über ein Gesetz zum Montrealer Protokoll vom 16. September 1987, also von vor einem Jahr, über Stoffe ein, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen. Das Montrealer Protokoll, haben hier heute alle gesagt, ist als erster Schritt zu begrüßen. Auch wir tun das, vor allem weil es eine internationale Abmachung ist; denn der Schutz des Klimas erfordert nicht nur nationales, sondern auch internationales Handeln.
Wir sind uns auch alle einig, daß das, was in diesem Protokoll vereinbart wird, bei weitem nicht ausreicht. Hier sind viele Beispiele über die Schlupflöcher genannt worden. Ich möchte noch eines erwähnen, das ich für sehr typisch halte. Nach dem Montrealer Protokoll kann die Produktion der FCKW und Halone zunächst sogar noch gesteigert werden. Man muß sich das so vorstellen, daß jemand, der eine Entziehungskur macht, vorher noch einen ordentlichen Schluck aus der Pulle nimmt. Das steht in diesem Protokoll. Das ist natürlich ein Unding, wenn man weiß, wie die Zusammenhänge sind.
Wenn wir uns aber darüber klar sind, daß wir weitergehende Maßnahmen dringend brauchen, dann ist es nicht zu verstehen, warum die Regierungskoalition nicht unserem, dem SPD-Antrag zustimmt, der nationale und internationale Maßnahmen vorsieht, um Produktion und Verbrauch von FCKW um 95 To zu reduzieren. Vorhin wurde angedeutet, daß Sie das eventuell doch positiv sehen. Wenn das so ist, dann muß ich daran erinnern, daß wir im August letzten Jahres einen Antrag eingebracht haben, der das Verbot von FCKW forderte. Dieser Antrag ist in den entsprechenden Ausschüssen abgelehnt worden.
Die Beschlußempfehlung, die der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit den Stimmen der Koalaition eingebracht hat — auf Drucksache 11/2472 — bestätigt nur das Montrealer Protokoll und das Bemühen, das zu beschleunigen. Dann heißt es in der Beschlußempfehlung — das möchte ich zitieren, weil es für meine Begriffe ziemlich schlimm ist — , daß „die Selbstverpflichtung der Industriegemeinschaft Aerosole ... gegenüber dem Bundesminister . . ., bis Ende 1989 die Verwendung von FCKW in Spraydosen um mindestens 90 % zu reduzieren", geeignet ist, „das Vertragsziel des Protokolls von Montreal früher ... und ohne rechtsetzende Maßnahmen zu erreichen". Minister Töpfer hat eben auf diese Zusage hingewiesen. Im Spraybereich soll um 90 % re-



Frau Ganseforth
duziert werden. Angeblich wird damit das Montrealer Protokoll beschleunigt. Sie wissen aber doch — Sie haben es eben angedeutet —, daß das, was im Spraybereich reduziert wird, im Reinigungsmittelbereich bei weitem zugelegt wird, daß also unter dem Strich überhaupt keine Reduzierung herauskommt.

(Beifall bei der SPD — Frau Blunck [SPD]: Der Schluck aus der Pulle bei der Entziehungskur!)

Diese FCKW werden in dem Vorschlag des Ausschusses überhaupt nicht mehr erwähnt.
Über den Einsatz bei der Kunststoffverschäumung und im Kühlmittelbereich heißt es in Ihrer Beschlußempfehlung, daß „baldmöglichst" eine „Regelung über die Rücknahme und Wiedervermittlung gebrauchter Kühlmittel ... mit der Industrie abzuschließen" ist. Es heißt weiter: „Soweit es nicht zu entsprechenden Vereinbarungen kommt, wird die Bundesregierung aufgefordert, den Einsatz dieser Stoffe nach angemessener Umstellungszeit" — was immer das sein mag — „zu verbieten, wenn eine Substitution durch geeignete andere Stoffe" — was immer das sein mag — „möglich oder das Recycling nicht gesichert ist". Diese windelweiche Formulierung ist geradezu ein Freibrief für die Industrie, weiterzumachen und uns mit den Zahlen weiter an der Nase herumzuführen. Sie haben angedeutet, welche Schwierigkeiten wir oder vor allen Dingen Sie hatten.

(V o r sitz : Vizepräsident Frau Renger)

Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes und darüber hinaus, wie es vorhin hieß, in der Dritten Welt, in Südamerika, und die nachfolgenden Generationen erwarten etwas anderes von uns als solche Formulierungen.

(Beifall bei der SPD)

Im Antrag der SPD, den wir heute auf der Drucksache 11/2939 einbringen, sind Maßnahmen im nationalen und internationalen Rahmen gefordert. Maßnahmen im nationalen Rahmen machen deshalb Sinn, weil die Bundesrepublik immerhin zu etwa 10 % an der FCKW-Produktion der Welt beteiligt ist, wenn wir richtige Zahlen haben. Wir haben das Problem ja angedeutet.
Wir fordern das Verbot der Anwendung der FCKW in Spraydosen sowie in Verpackungsmaterial und Wegwerfgeschirr. Wir wollen keine freiwillige Vereinbarung, sondern das Verbot. Für die Kältemittelindustrie fordern wir ein Recycling bzw. den Ersatz durch Stoffe, die die Ozonschicht nicht schädigen. Im Bereich der Lösemittel, zur Verschäumung und als Präzisionsreiniger — das ist sicher das schwierigste Gebiet — sollen nach unserem Verlangen die Verwendung der FCKW zeitlich begrenzt werden.
Dazu kommt das Thema Halone, die in Feuerlöschgeräten eingesetzt werden. Sie sind von der Menge her nicht soviel wie die FCKW, aber von der Ozonschädlichkeit her wesentlich dramatischer zu sehen. Wir fordern, daß diese Halone nur noch im Brandfall, aber nicht für Übungen eingesetzt werden. Und — Herr Müller hat das vorhin angedeutet — auf die Produktion und den Import von FCKW ist eine marktwirtschaftlich wirkende Abgabe einzuführen. Diese
Abgabe soll dazu führen, daß Ersatzstoffe und Ersatzverfahren wirtschaftlich interessanter sind als der Verbrauch von FCKW. Unsere Überlegungen gehen dahin, nicht Stoff durch Stoff zu ersetzen, sondern alternative Verfahren zu entwickeln oder auf manches schlicht zu verzichten.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der hier ebenfalls eine Rolle gespielt hat und den ich sehr ärgerlich finde. Wir brauchen eine gezielte und effiziente Klimaforschung. Der Bundesforschungsminister legt hier immer wieder wortreiche selbstlobende Papiere vor, die aber nur notdürftig verdecken, was für Forschungslücken bestehen.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Heute ist er auch nicht da!)

— Auch ich finde das sehr bedauerlich. Wir haben gestern über den Haushalt gesprochen. Es wäre sehr sinnvoll, wenn der Herr Forschungsminister einmal zur Kenntnis nähme, was für Erwartungen in der Wissenschaft vorhanden sind.
Was die Erforschung der chemischen und der dynamischen Vorgänge beim Ozonabbau und Klimamodelle anlangt, haben unsere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bisher wichtige Beiträge geleistet. Aber das internationale Bild wird von der amerikanischen Wissenschaft bestimmt, weil sie durch ihre durchweg bessere finanzielle Ausstattung ganz andere Möglichkeiten hat, vor allem was die Messungen betrifft. Es ist dringend erforderlich, daß auf nationaler und europäischer Ebene Meß- und Forschungsprogramme initiiert werden. Dazu habe ich die Aussagen von Herrn Schmidbauer vorhin sehr erfreut zur Kenntnis genommen. Denn erst der Wettbewerb der Wissenschaft wird schnell zu optimalen Ergebnissen führen.
Auch die Wirkungsforschung — zum Beispiel darüber, wie sich die ultravioletten Strahlungen auf Ökosysteme und Menschen auswirken — steckt noch in den Kinderschuhen. Hier gibt es große Unbekannte und Unsicherheiten. Die Verärgerung und Enttäuschung der Wissenschaft über zu geringe Förderung und — Herr Probst, da bitte ich Sie zuzuhören — über unnötige bürokratische Hindernisse bei der Forschungsförderung durch den Forschungsminister gehen sehr weit. Sie haben ihren Grund aber auch darin, daß die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht in Handeln umgesetzt werden. Das ist mehr eine Aussage, die den Herrn Minister Töpfer betrifft. Die Verärgerung, die man auf wissenschaftlichen Kongressen von den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen hört, geht sehr weit. Es ist sehr wichtig, daß die Regierung das aufnimmt und in Handeln umsetzt.
Wir fordern — und da sind wir uns wieder einig — internationale Anschlußverhandlungen, um das Montrealer Protokoll zu verschärfen. Für die Länder der Dritten Welt fordern wir den Technologietransfer von ozonverträglichen Ersatzstoffen und Ersatzverfahren sowie die technische Beratung. Wir fordern, daß dem Parlament jährlich ein Bericht über die nationalen und die internationalen Fortschritte bei der Verringerung des Einsatzes von FCKW und Halonen vorgelegt wird.



Frau Ganseforth
Aber — um auf den Anfang zurückzukommen — ich fürchte, es wird geredet und nicht gehandelt. Dieser Eindruck hat sich heute bei mir nicht verwischen können. Aber Sie können ja unseren Antrag noch unterstützen und mittragen. Dann kann ich vielleicht das nächste Mal einen anderen Schluß meiner Rede finden.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109418100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lippold

Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1109418200
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wissenschaftler machen uns die drängenden komplexen Probleme bewußt, die unser Überleben belasten: die Bedrohung der Ozonschicht der Erde, die Erwärmung des Globus, die Verwüstung der landwirtschaftlichen Böden. Wir reagieren darauf, indem wir mehr Einzelheiten fordern und indem wir die Probleme an Institutionen weiterleiten, die schlecht mit ihnen fertigwerden können.
Ich habe diese Eingangssätze aus dem Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft" zitiert, dem BrundtlandBericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Ich finde, diese Aussage macht nachdenklich, macht betroffen, macht aber auch unabweisbar klar, daß schnelles, entschiedenes, konsequentes Handeln zwingendes Gebot ist.

(Beifall der Abg. Frau Blunck [SPD])

Es gibt keine Ausrede für Zögern. Deshalb verstehe ich unsere heutige Entscheidung als einen ersten Schritt, den ich ausdrücklich begrüße, als einen ersten Schritt allerdings auf einem langen und schwierigen Weg. Wir werden deutlich im Tempo zulegen und die Gangart wesentlich verschärfen müssen, wenn wir nicht zu spät ans Ziel gelangen wollen.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Ja!)

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind unendlich groß. Wir kennen zur Zeit die Größe dieser Aufgabe nur in Umrissen. Aber sie stellt sich klar genug, um mit dem Handeln zu beginnen.
Hier darf ich eines einflechten: Ich glaube, wenn wir die Bundesrepublik im internationalen Maßstab vergleichen, dann wird deutlich, daß wir dank der Aktivität der Bundesregierung und insbesondere des Umweltministers wesentlich weiter sind als viele andere in der Welt. Wir sind insbesondere weiter als die anderen in Europa. Dafür danke ich auf der einen Seite dem Umweltminister. Aber ich danke auch dem angesprochenen Forschungsminister Riesenhuber dafür, daß er im Klimaforschungsprogramm Akzente gesetzt hat, daß er die europäische Entwicklung vorangetrieben hat, daß er die internationale Kooperation gefördert hat.
Ich möchte darauf hinweisen, daß sein Staatssekretär hier anwesend ist und deshalb Kritik am Ministerium nicht angebracht ist. Der Minister stand und steht in der Enquete-Kommission zur Verfügung. Ich finde, wir sollten dieses kleinliche Parteiengezänk weglassen. Es geht um eine Sache mit ganz anderen
Perspektiven und nicht um Profilierung in diesem Bereich.
Mit der Ratifikation des Abkommens bekräftigt die Bundesrepublik Deutschland auch international sichtbar ihren Willen, an einem weltumspannenden Programm zum Schutz der atmosphärischen Ozonschicht mitzuwirken. Sie schafft damit gleichzeitig eine der Voraussetzungen für die Ratifikation des Protokolls von Montreal, das nach dem Wunsch aller Beteiligten zum 1. Januar 1989 völkerrechtlich in Kraft treten soll. Dieses Protokoll ergänzt die Rahmenvereinbarungen von Wien um erste konkrete Maßnahmen zur Verringerung der Emission von FCKW und Halonen.
Das Ozonproblem ist — ich sage es noch einmal — weltweit und nicht national zu lösen. Inzwischen haben über 30 UNEP-Mitgliedstaaten eine Rahmenregelung zum Schutz der Ozonschicht unterzeichnet, darunter die Bundesrepublik Deutschland und weitere acht EG-Mitgliedstaaten sowie die Europäische Gemeinschaft. Dieses Übereinkommen tritt drei Monate nach Hinterlegung der zwanzigsten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde in Kraft. Zur Zeit haben 26 Staaten entsprechende Urkunden unterzeichnet. Damit kann das Abkommen in Kraft treten. Ich begrüße dies ganz nachdrücklich. Vor wenigen Monaten waren es nur 16 Staaten. Wir haben also die kritische Schwelle übersprungen.
Wir werden mit aller Kraft darauf hinarbeiten, daß auch die Länder beitreten, die noch fernstehen, die aber wegen ihres industriellen Potentials wesentliche Beiträge zur Problemlösung leisten könnten.
Ich unterstreiche noch einmal: Dies ist nur ein erster Schritt. Erkannte Lücken müssen gestopft werden, gesteckte Ziele müssen schneller als jetzt vorgegeben realisiert werden.
Das ist auch Ziel der Arbeit der Enquete-Kommission, die sich mit der langfristigen Klimaproblematik beschäftigt. Wir haben analysiert und können feststellen, daß wir insbesondere im Ozonbereich wesentlich verschärfte Situationen haben gegenüber dem, was wir erwartet haben. Das Ozon-Trends-Panel besagt eine Abnahme der Gesamtozonkonzentration der nördlichen Hemisphäre um im Durchschnitt 1,7 bis 3 %. Die damit verbundenen Auswirkungen entziehen sich bislang noch einer Abschätzung. Das Ozonloch im antarktischen Frühling mit einer erheblichen Abnahme des stratosphärischen Ozons um bis 95% macht aber deutlich, wie weit diese Dinge gehen und treiben können. Die beobachteten Änderungen werden ganz oder teileise auf den Anstieg der Spurengase zurückgeführt.
Selbst wenn wissenschaftlich nicht alles exakt bewiesen wäre — die Handlungsnotwendigkeit ist gegeben. Da die Ozonschicht einen Teil der Sonnenstrahlung, der UV-B-Strahlung, absorbiert, werden für den Fall eines Ozonabbaus erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und die Lebensbedingungen von Fauna und Flora erwartet. Bei einer Zunahme der UV-B-Strahlung um 10 % — das ist, meine Damen und Herren, kein utopischer Wert — könnte der weltweite Ernteertrag spürbar zurückgehen. Verheerende Hungerkatastrophen könnten die Folge sein. Fachleute schätzen diese Entwicklung zu-



Dr. Lippold (Offenbach)

nehmend dramatischer ein als z. B. die mögliche Zunahme von Hautkrebserkrankungen.
Was wir auch in diesem Zusammenhang vermeiden müssen, ist eine vorschnelle Beruhigung nach der Art, das sei ja nur ein Problem der Antarktis. Das stößt völlig ins Leere. Das ist ein Problem sowohl der nördlichen als auch der südlichen Hemisphäre.
Die möglichst schnelle Reduktion der FCKW hilft auch bei der Beseitigung der Treibhausproblematik; denn zusätzlich zu dem erwarteten Einfluß der FCKW auf das stratosphärische Ozon wird ihr Beitrag zum Klimaproblem auf 20 % geschätzt. Das ist ein ganz erheblicher Anteil. Die Reduktion der FCKW-Emission hilft also auch bei der Bewältigung der Treibhausproblematik.
Lassen Sie mich hier zur Einschätzung der Situation beim Treibhauseffekt etwas sagen. In den nächsten 50 Jahren wird sich die globale Mitteltemperatur durch den Treibhauseffekt um 1,5 bis 4,5 Grad erhöhen, wenn die Emission der Treibgase unvermindert weitergeht. Wir haben bereits in der Vergangenheit eine Erwärmung um 0,5 bis 0,7 Grad. Auch wenn es hier keine klaren Ursache-Wirkung-Beziehungen und naturwissenschaftlichen Beweise für den Zusammenhang zwischen Spurengas, CO2-Emission sowie Wasserdampf einerseits und Klimaerwärmung andererseits gibt, ist es doch so, daß nach Meinung der Wissenschaftler ausreichende Indizien für Wirkungsbeziehungen vorliegen, die in der Wissenschaft einen so breiten Konsens finden, daß kein Grund besteht, dringend erforderliches Handeln aufzuschieben.
Die Klimaänderung kann eine polorientierte Verschiebung von Klima und Vegetationsbedingungen zur Folge haben: Fruchtbare Zonen können versteppen, versteppte Zonen fruchtbar werden. Auch dies kann auf die Ernährungssituation der Welt ganz erheblich Einfluß haben. Desgleichen: Wenn sich — was sein könnte — die Voraussage bestätigt, daß der Meeresspiegel um 1,5 Meter ansteigt, dann könnten große Flächen der Welt überflutet werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Wissenschaft erwartet, daß sich der Einfluß der Treibhausgase möglicherweise noch erhöht, als deren wichtigste Quelle u. a. die Verbrennung fossiler Energieträger im Verkehr und in den Kraftwerken sowie in der Landwirtschaft anzusehen ist. Wir müssen also in erster Linie hier ansetzen. Die zunehmende Energienachfrage als Folge der Industrialisierung, der Bevölkerungsexplosion, der Verstädterung und des gesellschaftlichen Reichtums hat zu einer extrem ungleichen globalen Verteilung des Primärenergieverbrauchs geführt. 1980 betrug der Weltenergieverbrauch umgerechnet 10 Milliarden Tonnen Steinkohle. Wenn man den Pro-Kopf-Verbrauch auf dem heutigen Stand stehenlassen würde, würde eine Weltbevölkerung von 8,2 Milliarden Menschen eine Zunahme von 40 % der Schadstoffemissionen bewirken. Wenn allerdings der Energieverbrauch pro Kopf auf den Verbrauch der westlichen Industrienationen ansteigen würde, würde dies eine Zunahme um 550% zur Folge haben. Daraus wird deutlich, daß Handlungsbedarf besteht, Handlungsbedarf dergestalt, daß wir den Zuwachs nicht nur stoppen, sondern daß wir den Zuwachs am Verbrauch der fossilen Stoffe reduzieren.
Und da müssen wir alles in Betracht ziehen: Da müssen wir einsparen, da müssen wir Energieverbrauch effizienter gestalten, da müssen wir aber auch — ich sage das ganz deutlich — die Bewertung der Kernenergie vor dem Hintergrund des Klimaproblems neu vornehmen — Kernenergie, die in dieser Beziehung schadstofffrei ist.

(Abg. Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Keine Zwischenfrage. — Ich sage das vor allen Dingen deshalb — und das auch in Richtung auf die SPD-Fraktion —, weil es natürlich schlecht angeht, daß der Kollege Stahl im Wirtschaftsausschuß die Zunahme des Kohleverbrauchs und Mehrverbrennung fordert, eine Zunahme des Strombedarfs mit Kohle sicherstellen will, und Sie auf der anderen Seite hier — gleich wie wir — die zunehmende Bedeutung dieses Problems für das Weltklima erkennen. Das sind Widersprüche, die Sie bei sich ausräumen müssen.

(Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD])

Das sind Widersprüche, bezüglich der Sie auch deutlich machen müssen, daß hier Handlungsbedarf ist.
Ich darf sagen, was getan wurde: Die Bundesregierung hat die Klimaforschung national vorangetrieben, auf europäischer Ebene das EUREKA-Projekt EUROTRAC initiiert und zum Laufen gebracht. Die Emissionswerte der TA Luft werden die Emissionen bei den sogenannten Weichschaumstoffen um etwa 90 % mindern. Für die Verwendung von FCKW als Kältemittel wird intensiv nach geeigneten Ersatzstoffen gesucht. Und wir haben mit den Herstellern über die Beschleunigung dieses Prozesses gesprochen. Da wird etwas getan, und wir sind dabei, hier etwas zu tun. Allerdings muß ich auch deutlich sagen: Wenn wir dann Ersatzstoffe haben, müssen wir administrative Hemmnisse beiseite schieben, die ihrer schnellen Einführung im Wege stehen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit auf dem richtigen Weg, auch wenn wir das Montreal-Abkommen schneller realisieren müssen, was wir ja alle gemeinsam anstreben. Wir wollen Lücken schließen und dies durch globale Abkommen sichern sowie Ersatzstofforschung beschleunigen. Wir müssen insbesondere die Forschung im biologischen Bereich intensivieren; das ist unabweisbar.
Aber auch hinsichtlich des Treibhausproblems ist schnelles Handeln angesagt. Die Verbrennung fossiler Stoffe, Kohle, Öl, Erdgas, muß drastisch reduziert werden. Die Wissenschaftler verlangen eine Reduktion von 50 bis 80 % in den nächsten Jahren. Das erfordert unwahrscheinliche Eingriffe. Ich sage noch einmal: Das kann nicht allein in der Bundesrepublik geleistet werden. Wir haben nur einen Weltmarktanteil an der Schadstoffemission von gut 3,7 %. Die weltweite Problematik erfordert ein weltweites Klimaschutzprogramm; das bedingt weltweite Energieabkommen. Das ist Sache der Regierungschefs, das muß auf Weltwirtschaftsgipfeln und Weltenergiekonferenzen angegangen werden — und nicht erst übermorgen.



Dr. Lippold (Offenbach)

Vor diesem Hintergrund danken wir dem Bundeskanzler, daß er in seinen Gesprächen auf der internationalen Ebene sowohl beim Weltwirtschaftsgipfel als auch bei anderen Treffen diese Problematik deutlich anspricht, diese Problematik nachhaltig in das Bewußtsein der anderen Regierungschefs bringt und so dafür sorgt, daß die Basis für das notwendige internationale Tun geschaffen wird. Ich mache noch einmal deutlich, daß eine Neubewertung des Kernenergieeinsatzes geboten ist.
Aber wir müssen auch sagen, daß die Entwicklungs- und Schwellenländer selber gefordert sind. Das bezieht sich auf die steigenden Bevölkerungszahlen und ihre Bedeutung fur den Energieverbrauch, der berücksichtigt werden muß. Hier stellt sich die Frage der Geburten- und Familienplanung, die nicht ausgeklammert werden dürfen. In diesem Zusammenhang müssen wir auch fragen, wie sich die Religionen zu dieser Frage stellen.
Wir müssen auch an das Problem des tropischen Regenwaldes herangehen, das sich in dieser Dimension für uns vorher gar nicht gestellt hat. Wir alle haben uns nicht deutlich gemacht, daß allein am Amazonas 250 000 km2 an tropischem Urwald — das entspricht in etwa der Größe der Bundesrepublik Deutschland — durch Brandrodung vernichtet worden sind. Das entspricht einer CO2-Emission, umgerechnet auf die Weltrate, von 20 %. Auch dies ist kein Problem, das vernachlässigt werden darf.
Sicher sind in erster Linie die Industrieländer gefordert. Aber auch die Entwicklungs- und Schwellenländer müssen einen Beitrag leisten: durch Bewußtseinsänderung auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch dadurch, daß sie Mechanismen abschaffen, die die Brandrodung von Urwald durch Subventionen prämieren, durch Steuererleichterungen fördern. Daß wir dabei Hilfestellung leisten müssen, ist für mich klar. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Wege, dieses hier zu initiieren, wie der Vorstoß des Entwicklungshilfeministers deutlich gemacht hat.
Auch hier haben wir das Problem erkannt. Aber es geht nur in Partnerschaft mit den Entwicklungsländern. Es ist nicht ausreichend, daß die Industrieländer allein Geld zur Verfügung stellen. Auch die Schwellenländer müssen handeln. Ich glaube, daß sich dieses Bewußtsein langsam durchsetzt. Wir werben dafür, nicht nur bei uns, sondern auch international.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich glaube, es ist gut, daß wir heute einen vernünftigen ersten Schritt getan haben. Wir tun aber gut daran, weltweit zügig und konsequent weiter voranzuschreiten; denn diese Katastrophe duldet nichts anderes.
Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109418300
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (SPD):
Rede ID: ID1109418400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die bisherige Debatte verfolgt hat, der wird feststellen, daß wir uns alles in allem genommen doch in erstaunlich vielen Punkten einig sind,

(Frau Verhülsdonk [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

sowohl in der Frage des Ozonabbaus und der notwendigen Gegenmaßnahmen als auch in der Bewertung des Treibhauseffekts und der drohenden Klimakatastrophe. In dieser Übereinstimmung spiegelt sich nicht zuletzt — das möchte ich ausdrücklich sagen, auch wenn der Herr Vorsitzende nicht zuhört — die sachliche und konstruktive Zusammenarbeit in der Enquete-Kommission wider.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Allerdings gibt es auch deutliche Differenzen, meine Damen und Herren. Wir sind uns einig, solange es um die Analyse der Situation und um die Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse geht. Wir sind uns auch einig bei der Bejahung des weiteren Forschungsbedarfs. Ich kann noch einen Schritt weitergehen und sagen: Wir sind uns über die Parteigrenzen hinweg auch darüber einig, daß dringender Handlungsbedarf besteht, insbesondere in der Energiepolitik. Sobald es aber darum geht, den erkannten Handlungsbedarf umzusetzen — sprich: die Weichen in der Politik neu zu stellen — , driften die Meinungen dort deutlich auseinander.
Wir haben nicht mehr viel Zeit; denn die Nagelprobe kommt erst noch, wenn es an die Handlungsfähigkeit der Politik geht. Alles, was hier zur Ratifizierung des Montrealer Abkommens und zu dessen notwendiger Verschärfung gesagt wurde, findet unsere volle Unterstützung. Warum aber — so frage ich — gehen wir nicht jetzt national bis an die Grenze des Möglichen,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

wenn es uns ernst damit ist, daß bis 1995 die FCKW um 90 % reduziert sein sollen, und zwar generell, Herr Minister Töpfer, nicht nur in Spraydosen. Sie haben uns heute ja bestürzende Zahlen genannt, die wir bis jetzt so nicht kannten, nämlich einen Verbrauch von 40 000 t im Lösungsmittelbereich — wenn ich es richtig gehört habe. Hier darf zwischen Erkenntnis und Handeln künftig keine Lücke klaffen. Dasselbe gilt für den Treibhauseffekt, genauer gesagt, für die notwendigen, für die fälligen politischen Entscheidungen in der Energiepolitik.
Meine Damen und Herren, die Umweltbedrohungen, vor denen wir heute stehen, nehmen wahrhaft globale Ausmaße an. In der Enquete-Kommission bekommen wir das überdeutlich vor Augen geführt. Es ist ja schon längst nicht mehr damit getan, einzelne Schäden nachträglich zu reparieren oder sie mit Hilfe eines komplizierten Regelwerks von Grenzwerten wenigstens einschränken zu wollen. Solche Anstrengungen zur Schadensbegrenzung sind zwar auch künftig nötig, ohne Zweifel, aber es bleibt eine traurige Tatsache, daß Anstrengungen und Schadensfortschritte in einem schreienden Mißverhältnis zueinander stehen. Mittlerweile drohen gerade die großen Ökosysteme einer nicht wieder umkehrbaren Zerstörung anheimzufallen: die Nordsee, die Alpen, unsere heimischen Wälder und erst recht der tropische Re-



Frau Dr. Hartenstein
genwald. Dieser tropische Regenwald ist als „grüne Lunge" für die Sauerstoffproduktion auf der Erde unentbehrlich!
Wir müssen auch ehrlich zugeben: Alle diese Zerstörungsprozesse sind menschengemacht, auch das Aufheizen der Erdatmosphäre. Wenn wir es nicht schaffen, die Verbrennung fossiler Brennstoffe drastisch zu reduzieren, wird sich die Kohlendioxidkonzentration in der Luft in den nächsten 50 bis 100 Jahren nahezu verdoppeln. Keiner kann heute mehr sagen, die Entwicklung habe uns überrascht. Amerikanische Wissenschaftler warnten schon vor 20 Jahren vor der — so wörtlich — „thermischen Umweltverschmutzung". Die Autoren des Buches „Grenzen des Wachstums" haben 1972 die CO2-Konzentration hochgerechnet und sind exakt zu den Zahlen für 1988 gekommen, die wir heute haben, nämlich eine Konzentration von 350 ppm. Es ist eben die Eigenart der Ökosysteme, daß sie lange belastbar sind, dann aber katastrophenartig zusammenbrechen, wenn die Abwehrkräfte erschöpft sind.
Heute legt uns die Wissenschaft erschreckende Zahlen auf den Tisch. Wird die Entwicklung nicht gestoppt, so kann es zu einer Temperaturerhöhung von 1,5 bis 4,5 Grad Celsius kommen, und zwar innerhalb der nächsten 50 bis 100 Jahre; zu einer Temperaturerhöhung mit unabsehbaren Folgen für die Verschiebung der Klimazonen. Der Temperaturanstieg in den arktischen Regionen ist jeweils doppelt so hoch anzunehmen wie der globale Durchschnitt. Steigt der Meeresspiegel nur um einen Meter an, so könnten die europäischen Nordseeküsten zwar noch standhalten, da sie durch Deiche gut geschützt sind, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Tropen existieren keine Deiche, und es fehlt auch das Geld für die entsprechenden Schutzmaßnahmen. In Bangladesch beispielsweise liegen zwei Drittel des Landes unterhalb des Meeresspiegels. Ähnlich gefährdet wären die Philippinen, Indonesien und zahlreiche andere Inselstaaten. Zusätzlich würde das Meerwasser in die Flußmündungen eindringen und heute fruchtbare Gebiete in unfruchtbare Salzwüsten verwandeln.
Würde der Meersspiegel gar, wie manche Klimamodelle es voraussagen, um fünf Meter ansteigen, so würden weltweit Küstenregionen überflutet, von denen heute direkt oder indirekt die Hälfte der Weltbevölkerung abhängt. Das Risiko für die Menschheit ist wirklich hoch. In diesem Spiel kann es nur Verlierer geben. Die extreme Dürre in den USA und die Überschwemmungskatastrophen in Indien und Bangladesch, die 30 Millionen Menschen obdachlos gemacht haben, könnten erste Warnsignale sein. Wir haben — ich sagte es schon — wahrlich nicht mehr viel Zeit zum Gegensteuern.
Was ist also zu tun? Wenn die Menschheit einen Klimakollaps vermeiden will, muß sofort gehandelt werden, denn die nächsten Jahre entscheiden darüber, ob die Erde im dritten Jahrtausend noch bewohnbar bleibt. Es darf eben nicht zu der prognostizierten Verdoppelung des CO2-Gehalts kommen! Wenn wir den Temperaturanstieg auf 1 bis maximal 2 Grad begrenzen wollen, so müssen die CO2-Emissionen und die Emissionen der anderen Spurengase in den nächsten 50 Jahren halbiert werden. Dies bedeutet: konsequente Reduzierung der Verbrennung fossiler Brennstoffe. An oberster Stelle stehen — das haben uns die Wissenschaftler bei den zahlreichen Anhörungen gesagt — die Erhöhung der Energieeffizienz, z. B. durch Kraft-Wärme-Kopplung, und die Nutzung der vorhandenen enormen Energieeinsparpotentiale. Lieber Herr Kollege Lippold, am Vorrang der Energieeinsparung wird auch der Kollege Stahl keinen Zweifel anmelden; dessen bin ich ganz sicher.
Im Bereich der Raumheizung, die bei uns einen gewaltigen Brocken des Energiekonsums ausmacht, sprechen die Experten von technischen Einsparmöglichkeiten von 80 % innerhalb der nächsten 40 Jahre. Auch bei Haushaltsgeräten sind noch erhebliche Einsparpotentiale vorhanden, ebenso im Verkehrssektor.
Was hier übrigens unter dem Druck steigender Preise möglich ist, das hat der erste Ölpreisschock 1973 in den USA — die ja traditionell verschwenderisch mit Energie umgehen — gezeigt, dort ist innerhalb von zehn Jahren eine Halbierung des Treibstoffverbrauchs bei den Kraftfahrzeugen erreicht worden, und nach Schätzungen von Fachleuten wäre bis zum Jahre 2000 eine nochmalige Halbierung des Verbrauchs möglich.
Weltweit ist übrigens nach Erhebungen des Washingtoner Worldwatch-Institutes seit 1973 der Energieeinsatz in der Industrie je Produktionseinheit um 12 % zurückgegangen. Auch dies ist ein Erfolg. Eben jenes Institut fordert nichts Geringeres als eine zweite Energierevolution.
In der Prioritätenliste werden nach der Energieeinsparung und der Erhöhung der Energieeffizienz die erneuerbaren Energien eine wesentliche Rolle spielen. Das gilt vor allem für die noch zu wenig erforschten Möglichkeiten der Solarwasserstofftechnologie.
Fortschritte, so konstatiert das genannte Institut, sollten nicht nur nach rein wirtschaftlichen Kriterien bemessen werden, sondern auch danach, wie weit es gelingt, Klimaveränderungen zu verhindern und die Übersäuerung des Bodens abzubauen.
Mit anderen Worten: Die vermiedenen Umweltkosten müssen in die Bilanz hineingeschrieben werden, sonst kommen schiefe Vergleiche zwischen den verschiedenen Energiearten zustande.
Heute werden weltweit rund 20 Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr in die Atmosphäre ausgestoßen. Die Industrienationen, einschließlich China, emittieren gut drei Viertel der CO2-Gase, das restliche Viertel verteilt sich auf die Länder der Dritten Welt. Wenn eine rasche Reduzierung stattfinden soll, dann liegt die Hauptverantwortung unstreitig bei den hochentwickelten Industrieländern: erstens weil sie die größten Emittenten sind, zweitens weil sie das technische Know-how besitzen, um neue Wege zu beschreiten, drittens weil die nördlichen Länder — mindestens im Vergleich zu den südlichen — reich und deshalb am ehesten in der Lage sind, die finanziellen Mittel zur Umstrukturierung aufzubringen, und viertens weil nur dann, wenn wir es fertigbringen, eine neue Energiestrategie zu verwirklichen, die nicht mehr, wie heute, zu 90 % auf Verbrennung nicht erneuerbarer Ressourcen setzt und die sich auch nicht von soge-



Frau Dr. Hartenstein
nannter „sauberer" Energie aus Atomkraftwerken abhängig macht — hier würde nur eine gigantische Gefährdung gegen eine andere, ebenso gigantische ausgetauscht! —, weil nur dann, wenn wir zuerst auf dem neuen Wege vorangehen, auch die Völker der Dritten Welt bereit sein werden mitzugehen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Das ist meine feste Überzeugung.

Das verlangt von uns selbst, von jedem einzelnen, einschneidende Verhaltensänderungen.

(Baum [FDP]: Sehr richtig!)

Aber Hand in Hand damit muß — ich hoffe, Sie sagen jetzt auch „sehr richtig", lieber Kollege Baum — auch eine neue Weichenstellung in der Politik erfolgen. Es ist falsch, das Fernwärmeausbauprogramm aufzugeben.

(Beifall bei der SPD)

Es ist falsch, immer noch zehn mal mehr Forschungsmittel in die Atomenergie zu stecken als in die Entwicklung der Solarwasserstoff-Technologie.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist falsch und höchst bedauerlich, daß diese Regierung das 1982 ausgelaufene Energiesparprogramm bis heute nicht wieder aufgenommen hat.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, eine besonders bedrükkende Rolle spielt bei der Klimaproblematik die gegenwärtig in Gang befindliche, nahezu systematische Vernichtung der tropischen Regenwälder. Durch Abholzung und Brandrodung — Sie haben es schon gesagt — sind allein in Brasilien im letzten Jahr 200 000 Quadratkilometer zerstört worden. In Extremfällen fielen pro Tag ca. 400 000 Hektar den Flammen zum Opfer. Die Brandrodungen haben für unser Klima einen doppelten Negativeffekt. Zum einen, weil dadurch riesige Mengen CO2 in die Luft geblasen werden, und zum zweiten, weil mit den tropischen Urwäldern die größte CO2-Senke zu Lande verschwindet. Die Pflanzenmassen des Regenwaldes binden auf dem Weg der Photosynthese gewaltige Mengen an Kohlenstoff und geben zugleich Sauerstoff an die Atmosphäre ab. Wenn das Klima stabil bleiben soll, dann ist der tropische Regenwald unentbehrlich.
Die Gründe für die verheerende Waldvernichtung sind vielfältig. Ich kann sie aus Zeitgründen nicht mehr nennen. Aber eine wesentliche Rolle dabei spielt die katastrophale Verschuldung der Entwicklungsländer; darauf möchte ich doch hingewiesen haben. Auf Brasilien lasten 115 Milliarden Dollar Auslandsschulden. Die Zinslast, die das Land zu zahlen hat, ist höher als alle Entwicklungshilfe zusammen, die es erhält. Eine überzogene Industrialisierungspolitik hat in diesen Ländern häufig gleichzeitig zu einem ökonomischen und ökologischen Desaster geführt.
Ich bin rasch fertig, Frau Präsidentin.
Mitschuldig ist übrigens auch eine verfehlte Kreditphilosophie der Weltbank. Solange sie bevorzugt Straßenbau und Staudämme finanziert, leistet sie einen aktiven Beitrag zur Vollstreckung des Todesurteils am tropischen Regenwald. Auch hier muß eine Umkehr stattfinden. Wir brauchen Wiederaufforstungsprogramme, wir brauchen den Aufbau wirksamer Kontrollsysteme, wir brauchen die Entwicklung einer Forstwirtschaft in den Tropenländern, die auch das Prinzip der Nachhaltigkeit respektiert. Notwendig ist schließlich eine Entschuldungskampagne, die den Zwang zum Export um jeden Preis beseitigt.
Selbstverständlich wird die Forderung nach einer internationalen CO2-Konvention von uns unterstützt, aber es müssen alle Spurengase, alle Treibhausgase, Herr Schmidbauer, einbezogen werden. Wir müssen entschieden den Vorreiter bei der Energiewende machen; wir dürfen nicht nur davon reden. Wenn wir den Wettlauf gegen die Kräfte des Verderbens gewinnen wollen, dann müssen wir morgen und nicht erst übermorgen beginnen, z. B. bei der Energieeinsparung. Das wäre wirklicher Fortschritt, ein Fortschritt ökologischer und ökonomischer Vernunft.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109418500
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Übereinkommen vom 22. März 1985 zum Schutz der Ozonschicht, Tagesordnungspunkt 17 a.
Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig angenommen.
Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/2946 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN angenommen.
Zu Tagesordnungspunkt 17 b und Zusatztagesordnungspunkt 3 wird interfraktionell vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/2472 ab. Das ist der Tagesordnungspunkt 17c. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/2472 unter Ziffer I Ziffer 1 bis 6 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD gegen die Stimmen der GRÜNEN mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 11/2472 unter Ziffer II weiter, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/678 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? — Gegen-



Vizepräsident Frau Renger
probe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Das zweite ist eindeutig die Mehrheit. Damit ist die Beschlußempfehlung abgelehnt.
Der Ausschuß empfiehlt darüber hinaus auf Drucksache 11/2472 unter II, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/788 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Beschlußempfehlung ist zugestimmt worden mit den Stimmen der CDU/ CSU und FDP bei Enthaltung der SPD und gegen die Stimmen der GRÜNEN. Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abgehandelt.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wieczorek-Zeul, Daubertshäuser, Antretter, Bamberg, Büchner (Speyer), Diller, Ewen, Faße, Gerster (Worms), Dr. Götte, Haar, Hasenfratz, Dr. Hauff, Horn, Ibrügger, Jahn (Marburg), Klein (Dieburg), Kretkowski, Leonhart, Müller (Pleisweiler), Nehm, Dr. Niese, Pauli, Peter (Kassel), Reimann, Reuter, Scherrer, Sielaff, Dr. Sperling, Dr. Timm, Dr. Pick, Pfuhl, Voigt (Frankfurt), Walther, Weiler, Weyel, Dr. Wieczorek, Wittich, Zander, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Stationierung von Flugzeugen der US-Streitkräfte auf dem Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim
— Drucksache 11/2868 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit — mitberatend —
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Mechtersheimer, Frau Schilling, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN
Keine Stationierung von US-Kampf hubschraubern auf dem Flughafen WiesbadenErbenheim
— Drucksache 11/2890 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— mitberatend —
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Mechtersheimer, Frau Schilling, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN
Rücknahme der Einverständniserklärung der Bundesregierung zur Stationierung von amerikanischen Kampfhubschraubern auf dem Militärflughafen Wiesbaden-Erbenheim
— Drucksache 11/2891 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— mitberatend —
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes 30 Minuten vorgesehen. Es erhebt sich kein Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1109418600
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir fordern in dem vorgelegten Antrag der SPD-Bundestagsfraktion die Ablehnung der Stationierung von Kampfhubschraubern und Flugzeugen in Wiesbaden-Erbenheim,

(Sehr gut! bei den GRÜNEN)

die die US-Streitkräfte bis 1993 durchsetzen wollen. Uns geht es unmittelbar um die Menschen in der Stadt Wiesbaden, deren Bundestagsabgeordnete ich bin,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Und Frau Rönsch! Die ist zumindest direkt gewählt worden!)

um die Menschen in den umliegenden Gemeinden und Kreisen im Verdichtungsgebiet Rhein-Main. Sie alle blicken heute auf die Beratungen des Deutschen Bundestages. Sie alle haben hohe Erwartungen, einschließlich der Vertreter der Städte und Kreise, die diese Diskussion heute auf der Tribüne verfolgen.
Die Menschen in dieser Region leiden schon bisher unter extremen Belastungen durch Fluglärm, durch Zersiedelung der Landschaft und durch die Flugbewegungen, die heute schon auf dem Flugplatz Erbenheim stattfinden. Dort sind 57 Hubschrauber und Flugzeuge stationiert, die die vorgeschriebene Zahl der Flugbewegungen häufig überschreiten, und das in einem dicht besiedelten Gebiet, das dadurch besonders belastet ist.
Wiesbaden-Erbenheim ist aber längst mehr, nämlich der Testfall dafür, ob wir es zulassen, wie Minister dieser Bundesregierung, namentlich der Bundesverteidigungsminister und der Bundesverkehrsminister, mit Menschen umgehen, wie sie mit Gerichtsurteilen und geltendem Recht umgehen, und der Testfall für die Frage, wie die Bundesregierung die Interessen der deutschen Bevölkerung gegenüber den US-Streitkräften vertritt.

(Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/ CSU]: Das möchten Sie wohl gern haben!)

1979 uns 1982 wurde der Wunsch nach einer Nutzungsänderung des Flugplatzes Erbenheim dem Land Hessen von den US-Streitkräften signalisiert. Bis dahin war, seit 1976, dieser ehemalige Militärflugplatz ein Übungsgelände für Panzer.
Die hessische Landesregierung unter Holger Börner mußte in einem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin, das 1985 begann, die Bundesregierung erst zwingen, ein Anhörungsverfahren nach geltendem deutschen Luftverkehrsgesetz zur geplanten Stationierung durchzuführen. Der damalige Verteidigungsminister Wörner argumentierte nämlich, das sei nicht erforderlich, weil es sich nicht um eine wesentliche Änderung der Nutzung handele.
Man stelle sich vor, liebe Kollegen und Kolleginnen: 181 Hubschrauber und Flugzeuge, bis zu 110 000



Frau Wieczorek-Zeul
Flugbewegungen im Jahr würde das bedeuten. Das wäre, wie manche Kollegen in manchen Fraktionen schon wissen, ein Drittel der gesamten heutigen Flugbewegungen des Frankfurter Flughafens.
Während des Anhörungsverfahrens, das am 29. Dezember 1987 begann, hat der damalige Bundesverteidigungsminister Wörner gegenüber US-General Otis am 3. Mai — obwohl das Anhörungsverfahren lief — schriftlich erklärt: „Mit diesem gebotenen und für 1988 notwendigen Stationierungsschritt bin ich einverstanden". — Das heißt: Er hat seine Zustimmung, sein Einverständnis zur vorweggezogenen Stationierung signalisiert. Dies ist ein klarer Bruch geltenden Luftverkehrsrechts, ganz eindeutig.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es kommt ein weiterer Skandal hinzu: Im Mai und im Juni kamen der Flugplankoordinator und die Bundesanstalt für Flugsicherung in Schreiben an die Hessische Landesregierung zu der Konsequenz, daß bereits die heute stationierten Kampfhubschrauber eine nicht unerhebliche Behinderung des Flugverkehrs am Flughafen Frankfurt und damit auch eine Sicherheitsgefährdung bedeuten.
Was tut Bundesverkehrsminister Warnke? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, kassierte er diese Gutachten. Er unterdrückt sie. Damit macht er etwas, was er kraft seines Amtes auf keinen Fall machen darf: Er leistet gegenüber dem Bundesverteidigungsminister und gegenüber den USA vorbeugenden und unangebrachten Gehorsam. Es ist völlig unakzeptabel, daß ein solches Verhalten Platz greift.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Hessische Landesregierung aus CDU und FDP jedenfalls hat die beiden Gutachten zur Grundlage ihrer Stellungnahme gemacht.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Endlich mal eine gute Regierung!)

Nun kommt die letzte Ausflucht der Minister Warnke und Scholz. Sie sagen, die Kampfhubschrauber flögen ja nach Sicht. Folglich sei das Luftverkehrsgesetz nicht berührt.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

Das ist blanker Zynismus. Weil die Hubschrauber für Schlechtwetterflüge nicht über hinreichende Instrumente verfügen, nimmt man in Kauf, daß sehr niedrig geflogen werden muß. Und was heißt das, liebe Kolleginnen und Kollegen? Das bedeutet eine zusätzliche Belastung der Bevölkerung durch Lärm und eine zusätzliche Flugunfall-Gefährdung, und das in einem Gebiet, in dem ein großer Teil der deutschen chemischen Industrie angesiedelt ist.

(Zustimmung bei der SPD)

Unsere Fraktion hat den Text der ablehnenden Stellungnahme der Hessischen Landesregierung wortgleich als Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht und begehrt, daß sich der Deutsche Bundestag diesem Votum anschließt:

(Zustimmung bei der SPD)

Der Bundesverkehrsminister und der Bundesverteidigungsminister werden aufgefordert, das geltende
Luftverkehrsgesetz und Gerichtsurteile zu respektieren und keine Stationierung zuzulassen.
Apropos: Fünf Urteile sind vom Verwaltungsgericht Wiesbaden zugunsten der Stadt Wiesbaden und gegen den Bundesverteidigungsminister gefallen. Zuletzt hat das Verwaltungsgericht entsprechend der Klage der Stadt Wiesbaden dem Bundesverteidigungsminister am 25. August 1988 ins Stammbuch geschrieben, auch bei der Änderung von Militärflugplätzen sei grundsätzlich ein Genehmigungsverfahren durchzuführen. Die Bundesregierung verstecke sich; sie schiebe die politische Verantwortlichkeit den amerikanischen Streitkräften zu. Sie erkenne faktisch eine Art von Besatzungsrecht an. Schließlich kassierte das Verwaltungsgericht das Verlangen des Verteidigungsministers auf sofortigen Vollzug. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was muß eigentlich noch passieren, damit der Rechtsprofessor Verteidigungsminister Scholz endlich Gerichtsurteile respektiert und sich nicht hinter das Oberverwaltungsgericht in Kassel zurückzieht?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Nickels [GRÜNE]: Rechtsverdreher!)

Was tut er? Er rügt das Gericht und will die politische Verantwortung an das Kasseler Oberverwaltungsgericht weitergeben. Ich frage Sie, Herr Verteidigungsminister: Muß erst ein schreckliches Unglück passieren, damit Sie Ihre politische Verantwortung wahrnehmen? Die Wahrheit ist, Herr Minister Scholz: Die Bundesrepublik ist viel souveräner, als Sie glauben machen möchten. Denn Sie sind offensichtlich bereit, den US-amerikanischen Streitkräften mehr Rechte zuzugestehen, als ihnen nach dem Truppenstatut und dem Zusatzabkommen zukommen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ein solches Verhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen, nämlich die USA vorzuschieben und sich dahinter zu verstecken, schadet aber dem Verhältnis zu den USA mehr, als wenn man die Interessen der deutschen Bevölkerung gegenüber den USA klar vertritt.
Nun sagt Herr Scholz — ich habe es schriftlich —, die Stationierung im September sei deshalb nötig, weil sonst — ich zitiere — „wegen der Abrüstungsmaßnahmen im nuklearen Bereich für die NATO und die Bundesrepublik Deutschland eine nicht hinnehmbare Sicherheitsgefährdung" die Folge sei.
Habe ich richtig verstanden?

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ja!)

Weil die Pershing wegkommen, müssen die Kampfhubschrauber her? So haben wir doch nicht gewettet, Herr Scholz.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie haben gar nicht gewettet! Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, ständen sie noch! Sie müssen sich erst mal in das Thema einarbeiten!)

Im übrigen kann ich den Kolleginnen und Kollegen, die Sorge haben, daß sicherheitspolitische Fragen tangiert seien, nur eines sagen: Die Stationierung, die für den September geplant war, hatte überhaupt keinen



Frau Wieczorek-Zeul
sicherheitspolitischen Hintergrund, sondern lediglich den, daß die Hubschrauberpiloten in den USA aus dem Camp heraus mußten und es deshalb bequemer war, sie gleich nach Wiesbaden zu bringen.
Lassen Sie mich zum Schluß, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Anmerkung machen, die grundsätzlicher Art ist. Alle arbeiten auf die Entwicklung und Stationierung von Kampfhubschraubern hin: die USA, Frankreich und die Bundeswehr. Wir müssen rechtzeitig das Ganze sehen. Wenn wir nicht Einhalt gebieten, werden wir bei den Hubschraubern bald in einer ähnlichen Situation der Belastung der Bevölkerung sein wie bei den Tiefflügen.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre mit einer solchen grundsätzlichen Haltung auch einer „Verschiebetaktik" das Handwerk gelegt. Denn Kampfhubschrauber sind für die Region Wiesbaden auf Grund der spezifischen Situation, die ich Ihnen geschildert habe, besonders unerträglich. Aber sie sind eine extreme Lärmbelästigung auch für die Bevölkerung überall in der Bundesrepublik: in Ramstein, in Mainz, in Fulda, in Illesheim und in Ansbach.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hört sich bei den SPD-Verteidigungspolitikern aber anders an!)

Meine Fraktion fordert: Keine Reaktivierung des Flugplatzes Erbenheim, sondern eine Null-Lösung.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ist das Ihre Meinung oder die Meinung Ihrer Fraktion?)

Wir erwarten vom Verkehrsausschuß eine sachgerechte Beratung und Unterstützung unseres Antrages.
Ihnen würde ich speziell empfehlen: Die sachliche Haltung, die der Herr Kollege Gries in diesen Fragen gezeigt hat, würde Ihnen außerordentlich gut anstehen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Nein, Ihre Verteidigungspolitiker sagen immer etwas anderes als Sie! Das ist nämlich Ihr Problem! Sie machen hier Schaulaufen!)

— Wissen Sie, mancher paßt halt nicht mehr so ganz in die Zeit. Das gilt offensichtlich für Sie wie für den Verteidigungsminister.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Doppelstrategie! Hier hü und da hott!)

Wir fordern jedenfalls den Bundeskanzler auf, den Verteidigungsminister anzuweisen, keine vollendeten Tatsachen zu schaffen. Wir wollen die sachliche Beratung und Unterstützung unseres Antrags im Verkehrsausschuß. Wir erwarten, daß die Beratungen des Deutschen Bundestages respektiert werden. Jedes andere Verhalten wäre ein Bruch rechtsstaatlicher und parlamentarischer Prinzipien.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ein Votum des Deutschen Bundestages — damit wende ich mich an die Kolleginnen und Kollegen, die bereit sind, in diesen Fragen dazuzulernen, die sich also nicht schon vorher in all diesen Fragen entschieden haben — wäre ein sachlich richtiges Votum, ein Votum für die Menschen in der Region und auch ein Stück Hoffnung auf die Handlungsfähigkeit von Politik.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109418700
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Abgeordnete Rönsch.

Hannelore Rönsch (CDU):
Rede ID: ID1109418800
Frau Präsidentin! Meine Herren! Meine Damen! Sachlichkeit wurde eben eingefordert. Sachlichkeit hätte ich auch erwartet, Frau Kollegin.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zur Sachlichkeit hätte gehört, daß man das SanktFlorians-Prinzip vielleicht etwas hintan läßt. Zur Sachlichkeit hätte gehört, daß man sagt: Bitte nicht meine Region, aber wo dann? Das hätte ich unter Sachlichkeit verstanden.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Haben Sie nicht zugehört?)

Sachlichkeit wäre auch gewesen, wenn Sie gesagt hätten: Wir wollen gar nicht; wir wollen — wie ich das schon sehr oft von Ihnen gehört habe —, daß die Amerikaner wieder ganz abziehen. Das wäre Sachlichkeit gewesen.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Kennen Sie nicht die Problematik des Rhein-MainFlughafens?)

Ich versuche jetzt, zur Sachlichkeit zurückzukommen.
Meine sehr geehrten Herren, meine Damen, der Erbenheimer Militärflughafen war vor fast genau 40 Jahren schon einmal groß in den Medien und schon einmal in der Öffentlichkeit. Vor 40 Jahren wurde von diesem Militärflughafen aus die geteilte Stadt Berlin, die durch die Sowjets belagert wurde, versorgt. Die Bürger wurden mit Lebensmitteln, mit Brennstoff und mit Baumaterialien versorgt.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Reden Sie über die Probleme von Rhein-Main!)

Ich verstehe, daß die Sozialdemokraten und besonders die GRÜNEN das vergessen machen wollen. Aber ich sage auch von dieser Stelle den Amerikanern dafür herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Abg. Frau Blunck [SPD])

Sie haben der geteilten Stadt und ihren Bürgern damit das Überleben und uns allen ein Stück Freiheit ermöglicht.
Man sollte diesen historischen Bezug nicht aus den Augen verlieren. Denn die heutige Diskussion um die Airbase in meiner Heimatstadt Wiesbaden dreht sich im Kern um dieselbe Frage wie damals: Was sind wir für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland aufzubringen und auf uns zu nehmen bereit? Das



Frau Rönsch (Wiesbaden)

frage ich gerade Sie, meine Herren und Damen von der SPD.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Halten Sie die Rede mal in Wiesbaden!)

— Dort komme ich her; das ist mein Wahlkreis. Sie werden auch dort von mir nichts anderes hören, Frau Kollegin.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das unterscheidet mich sehr von manchen SPD-Kollegen, die hier noch freundschaftlich den Amerikanern auf die Schulter klopfen, aber in jeder kleinen Wahlkreisveranstaltung verlangen, daß die Amerikaner endlich nach Hause gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nach den amerikanischen Planungen sollten bis 1993 insgesamt 181 Fluggeräte in Wiesbaden-Erbenheim stationiert werden. Diese Anzahl hielt die Wiesbadener CDU schon immer wegen des sehr stark belasteten Luftraums für unrealistisch. Schon 1984 verhandelte der damalige Oberbürgermeister Dr. Hans-Joachim Jentsch mit den Amerikanern über eine Reduzierung der Stationierung im Umfang auf etwa 100 Fluggeräte. Der Nachfolger unseres Oberbürgermeisters hatte das allerdings nicht mehr im Kopf. Er ließ alle Kontakte zu den Amerikanern abreißen. Man reiste zwar in die USA, aber zu Hause wurde der Abzug der Amerikaner gefordert.
Ein internes Werbekonzept riet diesem SPD-Oberbürgermeister gar, möglichst durch viele spektakuläre Auftritte in den Medien zu erscheinen, weil das sein Wahlkampfkonzept vorschrieb. Die Verteidigungspolitik wurde als werbewirksam erkannt, Verteidigungspolitik wurde kommunalisiert, und man versuchte an einzelnen Punkten und in einzelnen Kommunen der Verteidigungspolitik, die die Regierung Schmidt noch mitgetragen hat, zuwiderzulaufen. Für unseren Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim wurde plakativ die Null-Lösung gefordert.

(Frau Schilling [GRÜNE]: Unserer ist das nicht!)

— Nein, aber meiner; ich komme dorther. Ihrer muß es nicht sein. Ich fühle mich dafür verantwortlich; Verantwortlichkeit kann ich bei Ihnen nicht erkennen.
Die Wiesbadener Bürger haben aber bis heute von den Verhandlungen, die der Oberbürgermeister geführt hat, nichts. Die Wiesbadener Bürger erwarten zu Recht seriöse und nachdrückliche Verhandlungen, die die Sicherheit der Bevölkerung, also auch die militärische Sicherheit, gewährleisten.
Im November 1987 schlossen der Bund und das Land Hessen zur Stationierungsfrage einen Vergleich. Demnach sollte zunächst vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin eine Anhörung stattfinden. Sie sollte Auskunft darüber geben, ob die Stationierung in diesem Umfang möglich und rechtmäßig ist. Offensichtlich ist man aber dieser Vereinbarung nicht in allen Punkten nachgekommen.
Ich sehe daher heute die Bundesregierung und die amerikanischen Streitkräfte in der Pflicht, sich wieder auf diese Abmachung zu besinnen. Ich erwarte heute, daß das Anhörungsverfahren, Herr Minister, umgehend durchgeführt wird, daß alle vorliegenden Gutachten Berücksichtigung finden und daß sie ausgewertet werden. Bis zu seinem Abschluß erwarte ich auch von den Amerikanern, daß auf jegliche weitere Stationierung verzichtet wird. Die bei der Anhörung vorgetragenen Bedenken sind sorgfältigst zu prüfen und zu werten. Erst dann ist über eine weitere Stationierung nachzudenken.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Haben Sie jetzt Ihre Minister gescholten?)

Nur so kommen Sie zu einem tragfähigen Kompromiß zwischen Frieden in Freiheit — das mag für Sie ein Fremdwort sein — ,

(Oh-Rufe bei der SPD — Zurufe von der SPD: Meine Güte, eine Arroganz!)

aber gesichert durch Verteidigungsbereitschaft einerseits und Lebensqualität der Bürger andererseits.
Sie, meine Herren und Damen von der Opposition, frage ich jetzt: Wie sieht es eigentlich mit Ihrem Konzept zur Verteidigungspolitik aus? Stehen Sie noch zur Stationierung amerikanischer Truppen in der Bundesrepublik? Es scheint Sie sehr unruhig zu machen, und man hört von Ihnen sehr, sehr widersprüchliche Meinungen. Unter Helmut Schmidt konnte man sich darauf noch verlassen.
Wenn ja, wenn Sie noch zu dieser Verteidigungspolitik stehen: Sind Sie bereit, auch die damit verbundenen Lasten mitzuverantworten und mitzutragen? Ich höre nichts davon. Sind Sie bereit, sich an der Suche nach geeigneten Standorten zu beteiligen? Meine Vorrednerin hat ihre ganze Region ausgenommen: Bitte bei uns nicht, aber woanders auch nicht. — Oder haben Sie sich aus dem westlichen Verteidigungsbündnis klammheimlich verabschiedet? So sieht es aus.

(Widerspruch bei der SPD)

Ich begrüße da die klaren Worte unseres Hessischen Ministerpräsidenten in seiner Regierungserklärung vorgestern vor dem Hessischen Landtag. Er hat sich eindeutig zur gesamtstaatlichen Verantwortung und zur Verteidigungspolitik der Bundesregierung bekannt. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben dem nichts mehr hinzuzufügen.
Ihre Anträge, meine Herren und Damen von den GRÜNEN und von der SPD, überweisen wir — federführend — an den Verkehrsausschuß; dort sollen sie beraten werden. Der Verteidigungsausschuß kann dann mitberaten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109418900
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schilling.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109419000
Die GRÜNEN beantragen, daß die Bundesregierung ihr durch nichts zu rechtfertigendes Einverständnis zur Reaktivierung des US-Geländes in Erbenheim unverzüglich und vorbehaltlos zurücknimmt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nicht die Amerikaner, sondern die Bundesrepublik
als souveräner Staat, als Rechtsstaat, als demokrati-



Frau Schilling
sches Gemeinwesen, hat darüber zu entscheiden. So ist es z. B. im Luftverkehrsgesetz und im NATO-Truppenstatut geregelt. Die Verantwortung liegt beim Bundesminister der Verteidigung, beim Bundesminister für Verkehr, der Bundesregierung und bei diesem Parlament.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Worum geht es? Seit Mitte der 70er Jahre wurde der Flugplatz Erbenheim nicht mehr von der US-Luftwaffe, sondern der Armee zur Stationierung einer Panzerbrigade genutzt. Angesichts dieser Nutzungsänderung wurde im regionalen Raumordnungsplan dringend benötigtes Bauland ausgewiesen. Nachdem aber die US-Army seit 1982 an neue Strategien gebunden war, die nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung" ausgelegt sind, betraf dies u. a. Erbenheim mit militärischem Landfraß und dem Wunsch nach Umwidmung in einen Heeresflugplatz für Transport- und Kampfhubschrauber, für die Luft/LandSchlacht, Air/Land-Battle. Beispielhaft kann hier vorgeführt werden, wie nach Gutdünken Recht gebeugt, verdreht und mißbraucht wurde und wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Durch Verweigerung eines Anhörungsverfahrens für das Land Hessen wurde fürs erste ein Verwaltungsverfahren verhindert und geltendes Recht außer Kraft gesetzt. Der 1984/85 durchgeführte Feldversuch endete mit politischen, flugsicherungsplanerischen, regionalplanerischen und rechtlichen Einwänden der Betroffenen. Selbst erfolgreichen Klagen des Landes Hessen und dem zugestimmten Vergleich auf Durchführung einer Anhörung des Landes und Abwägung der verschiedenen Interessen wurde bis jetzt nicht ordentlich entsprochen. Es muß im Einvernehmen mit dem Verkehrsminister entschieden werden. Oder hat Herr Warnke schon längst einem Deal zugestimmt? Die folgenden Daten mögen für sich sprechen: 1. Juli 1988: Gespräch Scholz/Warnke, 4. Juli: Warnke zieht nach einem Gespräch mit Burt sein Gutachten zurück, 6. Juli: Scholz gestattet Warnke, den militärischen Luftkorridor in der Sommerzeit zur Lösung seiner zivilen Probleme mit zu benutzen.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Scholz entscheidet einfach: Dieser Stationierungsschritt ist keine wesentliche Änderung und bedarf daher keiner besonderen Genehmigung oder Zustimmung; die Bundesrepublik habe keine rechtlichen Möglichkeiten. In Klammern gesagt: Nach Ramstein hat Herr Scholz das auch anders gesehen.
Aber wer sich die Mühe macht, die Einwände der beteiligten Behörden und Ämter, der Arbeitsgemeinschaft Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim, der Bürgerinitiative, anerkannter Naturschutzverbände und Rechtsgutachter einmal zu lesen, der kann nach der gebotenen Abwägung, die bisher unterblieben ist, zwischen den Belangen der Verteidigung und den zivilen Belangen nur zu der Entscheidung kommen: Die beabsichtigte Reaktivierung ist rechtlich und politisch unzulässig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In den Ausschüssen des Bundestages muß das Projekt in seinem ganzen Ausmaß diskutiert und beraten werden, weil die Bundesregierung, speziell den Herrn Scholz, offensichtlich gar nichts erschüttert: nicht die erhöhte Unfallgefahr bei militärischen Flügen und Tiefflügen, zu denen die Hubschrauber dort gezwungen sind, im Ballungsgebiet Rhein/Main; keine Mindestflughöhe wird eingehalten, keine Sicherheitsabstände. Kein Luftkorridor ist so dicht beflogen wie der über Rhein/Main. Der Luftraum dort ist bereits zu, Herr Scholz. Nicht die Lärm- und Umweltbelastung erschüttert ihn, die nachgewiesenermaßen eintretenden gesundheitlichen Schädigungen der Bevölkerung durch Hubschrauber, die Tag und Nacht fliegen sollen, müssen und werden. Zahlen hierzu: nachts das Doppelte des bereits jetzt zulässigen Lärmpegels; tags liegt der Dauerschallpegel um ca. 30 % höher als erlaubt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109419100
Frau Kollegin, würden Sie bitte zum Schluß kommen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109419200
Ja.
Nicht die Ablehnung von Wiesbaden-Erbenheim durch all die verschiedenen Organisationen, die bereits angesprochen wurden, erschüttert ihn, keine grobe Verletzung der Planungshoheit von Gemeinden, auch nicht die eigenen Parteifreunde in Wiesbaden und in Rheinland-Pfalz, auch nicht die jüngste Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden, daß das Verhalten des Verteidigungsministers deutschem Recht widerspricht. Es interessiert ihn nicht einmal als Jurist, daß er selbst noch nach dem NATO-Truppenstatut Handlungsmöglichkeiten hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109419300
Würden Sie bitte Ihre Schlußbemerkung machen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109419400
Ich komme zum Schluß.
Ich frage mich: Was wollen Sie denn? Die nächste Katastrophe abwarten und dann wieder sagen: ich habe doch nur genehmigt, wie immer? Es ist nicht zu fassen, welche unglaublichen Verstöße gegen geltendes Recht sich die Bevölkerung von einem Staatsrechtler im Gewand des Verteidigungsministers bieten lassen muß.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109419500
Das war Ihre Schlußbemerkung. Vielen Dank, Frau Kollegin. Sie haben die Zeit schon zwei Minuten überzogen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109419600
Ich möchte Sie trotzdem zum Schluß an Ihren — —

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109419700
Frau Kollegin, halten Sie sich bitte an die Geschäftsordnung. Ich habe Ihnen zwei Minuten mehr gegeben, was ich gar nicht darf.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109419800
Also den einen Satz —

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109419900
Sie haben alles gesagt, was Ihnen eingefallen ist. Danke schön.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP — Frau Schilling [GRÜNE]: Nein, das Vizepräsident Frau Renger habe ich nicht gesagt! — Beifall bei den GRÜNEN)




Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Gries.

Ekkehard Gries (FDP):
Rede ID: ID1109420000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß ich in der auch mir nur kurz zur Verfügung stehenden Zeit alles sagen kann, was mir eingefallen ist. Ich bitte auch um Nachsicht, daß die FDP hier nicht weiblich auftritt, aber es ist Aufgabe des verkehrspolitischen Sprechers, sich hier zu äußern.

(Zuruf von der CDU/CSU: Quotenregelung?)

Ich will mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, einige Passagen aus einem Beschluß des Bundesfachausschusses Verkehr der FDP vorlesen, der unsere Position, wie ich finde, was Wahrheit und Fakten angeht, deutlich macht. Da heißt es:
Wir fordern die Bundesregierung auf, das Land Hessen bei seinen Bemühungen zu unterstützen, eine weitere Stationierung von Hubschraubern und anderem Fluggerät auf dem Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim zu verhindern.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wegen der unmittelbaren Nähe dieses Flugplatzes zum Flughafen Frankfurt ist eine Behinderung der Abwicklung des zivilen Flugverkehrs in Frankfurt und der Sicherheit sowohl der Flieger wie der Bürger nicht mehr auszuschließen. Im übrigen sind wir der Auffassung, daß die Lärmbelästigung der Bewohner in diesem wohl dichtestbesiedelten Gebiet der Bundesrepublik erreicht oder schon überschritten ist.

(Beifall bei der FDP)

Das ist der Inhalt eines Beschlusses des Bundesfachausschusses; er ist Gegenstand eines Antrages, den wir zu unserem Bundesparteitag eingereicht haben. Und ich bin ganz sicher, daß die Liberalen das auch beschließen werden.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Keine Mehrheit für den Minister! Er soll zurücktreten!)

Das heißt im Klartext in aller Kürze: Die Sicherheit des zivilen Flugverkehrs und das Wachstum und der Ausbau des Frankfurter Flughafens haben für uns hohen Stellenwert; ich könnte aus meiner persönlichen Sicht auch sagen: Sie haben Vorrang. Der Frankfurter Flughafen ist nicht irgendein Flughafen; er ist die Drehscheibe des Verkehrs, er ist der größte Arbeitgeber in Hessen, vor allen anderen großen Unternehmen, die es in Hessen gibt. Das hat meines Erachtens eine Bedeutung, die man auch in einer solchen fachlichen Diskussion nicht einfach vernachlässigen kann.
Das Zweite ist: Dieses Ballungszentrum — und ich beziehe, weil die Belastungen meistens nicht an Landesgrenzen enden, Mainz mit ein — , Mainz/Wiesbaden/Frankfurt, ist in hohem Maße — glücklicherweise! — durch Industriebetriebe, durch Verkehrsabwicklungen, aber eben auch durch den Flugverkehr belastet. Die Grenze ist da erreicht. Sie darf nicht überschritten werden. Ich bin der Auffassung, daß die Politik dem Rechnung zu tragen hat.
Ich sage auch — ich erlaube mir das auch als Koalitionsabgeordneter, Herr Verteidigungsminister —: Diese Tatsache muß auch ein Verteidigungsminister anerkennen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich sage das auch in Richtung der von uns sehr geschätzten Verbündeten. Ich glaube, die FDP ist völlig frei davon — und ich erst recht — , sich hier in irgendeiner Weise in ideologische verteidigungspolitische Diskussionen einzumischen. Das müssen auch die von uns so sehr geschätzten Verbündeten einsehen. Ich sage — auch für mich selber — ganz deutlich: 180 oder 181 oder 183 zusätzliche Kampfhubschrauber können nicht die Zukunft einer Region und der Bürger in dieser Region gefährden.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Was sagt die FDPFraktion?)

Raumordnungsgrundsätze, Fragen der Lebensqualität, der Standortqualität gelten auch in der harten Auseinandersetzung widerstreitender Interessen. Und das ist hier der Fall. Das finden wir vor. Das ist der Grund, weshalb wir Verständnis für das Bemühen der Hessischen Landesregierung haben, die ja dieser Koalition nicht ganz fernsteht, wenn sie sich dagegen wehrt, daß weitere Stationierungen in Erbenheim stattfinden.
Ich sehe aber auch — das sollte vielleicht die Opposition stärker berücksichtigen — den Konflikt, in dem wir stehen. Wir haben auf Grund unserer geographischen Lage und der politischen Situation in besonderer Weise ein Interesse, unsere Sicherheit zu gewährleisten und sie durch Verbündete gewährleistet zu bekommen, weil wir das aus eigener Kraft nicht können. Wir haben einen Verteidigungsauftrag nach der Verfassung, den wir erfüllen müssen. Das Sankt-Florians-Prinzip hilft uns in der Tat nicht weiter. Es hilft uns auch nicht weiter, zu sagen: Erbenheim nein, Ramstein ja. So einfach sind die Dinge nicht mehr zu lösen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich meine also, wir sollten auch ehrlich sein.
In unserer Verteidigungsstrategie — das mag ja nicht Ihre sein, Sie wollen ja nichts verteidigen; wir wollen aber die Sicherheit und die Freiheit unserer Bürger verteidigen —

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Garbe [GRÜNE]: Wir wollen mehr verteidigen als Sie!)

hat der Kampfhubschrauber, hat der Panzerabwehrhubschrauber einen hohen Stellenwert.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir haben ihn gewollt. Wir entwickeln ihn. Wir haben
unsere Alliierten gebeten, ihn hier auch zu stationie-



Gries
ren. Dann müssen wir ihnen auch zu einer sinnvollen operativen Lösung verhelfen.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Zu einer guten Rede gehört jetzt die Flugbenzinsteuer!)

Nein, nein, meine Damen und Herren, das gehört zur Wahrheit dazu. Ich glaube, daß unsere Verbündeten, insbesondere die Amerikaner, das von uns auch erwarten können. Wer Erbenheim nicht will — ich habe hier deutlich gesagt, daß ich oder auch wir eine weitere Stationierung eigentlich nicht wollen —,

(Frau Nickels [GRÜNE]: Was wollen Sie denn uneigentlich?)

der muß sich einfach um der Redlichkeit, um der Ehrlichkeit willen Gedanken über Alternativen machen.

(Wartenberg [Berlin] [SPD]: Tun Sie es doch!)

Er muß sie gegebenenfalls auch anbieten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Alles andere ist Augenwischerei, meine Damen und Herren.
Ich bin sehr froh, daß wir uns darüber verständigen konnten, daß diese Anträge in die Ausschüsse gehen sollen, in den Verkehrsausschuß federführend, in den Verteidigungsausschuß und auch in den Umweltausschuß — ich habe da überhaupt keine Bedenken —, damit wir Gelegenheit haben, dieses Problem länger als in fünf Minuten wirklich zu diskutieren, und die Möglichkeit haben, über alternative Standorte oder gar prinzipielle Fragen — wie Heide Wieczorek-Zeul angedeutet hat: Hubschrauber, ja oder nein? — zu diskutieren. Das ist notwendig. Es ist ja auch der Sinn der Ausschußberatungen.
Ich sage zum Abschluß: Für heute gilt jedenfalls, daß das Land Hessen und seine Bürger ein Recht auf ein faires Anhörungsverfahren haben,

(Zustimmung bei der SPD)

wo alle Interessen abgewogen werden und wo nicht vorher vollendete Tatsachen geschaffen werden. Das ist das mindeste, was man verlangen kann,

(Beifall bei der FDP und der SPD)

sowohl aus hessischer Sicht als auch von unserer Erwartung her. Darauf legen wir Wert. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung das in ausreichendem Maße berücksichtigt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Wir haben unsere Erfahrungen mit Anhörungsverfahren!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109420100
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Scholz.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109420200
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mich nach den Beiträgen aus den Koalitionsfraktionen, für die ich mich ausdrücklich bedanken darf, relativ kurz fassen.
Meine Damen und Herren, hier stellt sich ein Problem — das ist unbestreitbar — , bei dem es um Interessenabwägung geht. Diese Interessenabwägung sieht natürlich auch der Verteidigungsminister. Es ist gar kein Zweifel, daß in dem Bereich Rhein/Main unterschiedliche Rechtsgüter, unterschiedliche Schutzgüter betroffen sind, wenn es um die Frage der Stationierung von Kampfhubschraubern geht. Auf der einen Seite steht — das muß ich hier nachdrücklich unterstreichen — das verteidigungspolitische Interesse an eben der Stationierung dieser Kampfhubschrauber, dieser Panzerabwehrhubschrauber, die wir in der Bundesrepublik nicht haben und die ein unverzichtbarer Bestandteil unserer konventionellen Verteidigung sind.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Auch wenn Sie das meinen, dürfen Sie kein Recht beugen!)

Es ist etwas, was für unsere Sicherheit von den Amerikanern geleistet wird. Es ist nicht etwas, Frau Wieczorek-Zeul, was sozusagen im Verzicht gegen die US-Streitkräfte durchzusetzen ist. Im Gegenteil: Diese Stationierung — das möchte ich sehr deutlich sagen — erfolgt in unserem sicherheitspolitischen Interesse. Das haben wir mit Dank aufzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der zweite unbestreitbare Aspekt ist, daß es hier natürlich um eine dichtbesiedelte Region geht, die — das sehen wir sehr klar; das sieht der Bundesverkehrsminister ebenso wie der Bundesverteidigungsminister — bereits mit hohen Belastungen versehen ist, und daß es gilt, nach Möglichkeit — ich betone: nach Möglichkeit — zu vernünftigen Kompromißlösungen zu kommen.
Der dritte Punkt ist der Rhein-Main-Flughafen. Er ist ein Flughafen, der natürlich als ein Herzstück unseres Luftverkehrs und der zivilen Luftfahrt insgesamt geschützt und entwickelt werden muß. Auch dies ist ein legitimes und deutliches Interesse des Landes Hessen wie der Bundesrepublik insgesamt.
Es geht darum, zwischen diesen drei Zielsetzungen einen vernünftigen Kompromiß zu finden, zu dem ich mich ja ausdrücklich bekenne, einen Kompromiß, der — Herr Gries, wenn ich das aufnehmen darf — in der Tat in einem fairen Verfahren zu finden ist. Die Voraussetzungen für dieses faire Verfahren sind geschaffen.

(Zurufe von der SPD)

Ich stehe in engem Kontakt mit der Hessischen Landesregierung und Ministerpräsident Wallmann, für dessen Ausführungen vor dem Hessischen Landtag ich mich auch an dieser Stelle ausdrücklich bedanke.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

Diese Ausführungen von Ministerpräsident Wallmann entsprechen genau dem, was für die Güterabwägung und den zu findenden Kompromiß auch von unserer Seite vorgegeben ist.
Im übrigen merke ich an dieser Stelle nur soviel an: Jene Kampfhubschrauber — das darf ich hier aus-



Bundesminister Dr. Scholz
drücklich für den Bundesverkehrsminister mit sagen — sind ein Fluggerät, das den zivilen Luftverkehr vom Rhein-Main-Flughafen nicht beeinträchtigt. Beeinträchtigungen, Kollisionen kann es über Starrflügler geben, aber nicht über Hubschrauber.
Ungeachtet dessen betone ich noch einmal — und hiermit beende ich meine hiesigen Ausführungen — : Wir werden in einem fairen Verfahren rasch den richtigen Kompromiß finden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109420300
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache:
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag der Fraktion der SPD sowie die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/2868 (neu), 11/2890 und 11/2891 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß und den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. Das Haus ist damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Zur Erinnerung: Die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 e sind abgesetzt worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20f, 20g und 20h auf:
f) Beratung der Sammelübersicht 74 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/2546 —
g) Beratung der Sammelübersicht 75 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/2547 —
h) Beratung der Sammelübersicht 76 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/2548 —
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/2940 und 11/2941 vor.
Interfraktionell ist eine Beratung der Tagesordnungspunkte 20f und 20h mit zwei Beiträgen bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Das heißt, wir haben zwei Debattenrunden. Für den Tagesordnungspunkt 20g ist eine Aussprache nicht vorgesehen. — Auch hiermit ist das Haus einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Wir sprechen jetzt zuerst über die Sammelübersicht 74, also den Tagesordnungspunkt 20 f. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ibrügger.

Lothar Ibrügger (SPD):
Rede ID: ID1109420400
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion beantragt, eine Entscheidung des Petitionsausschusses im Sinne der Anlieger der Kanalstraße in der Ortschaft Danker-sen der Stadt Minden zu ändern.
Kurz zu dem Hintergrund. Anfang der 80er Jahre bemüht sich die Westfälische Ferngas AG, eine Gashochdruckleitung zu verlegen. Seit 1982 bemühen sich die Anlieger der Ortschaft Dankersen, die Verlegung dieser Gashochdruckleitung durch ihr Wohngebiet zu verhindern. Sie haben wohl einiges vorausgeahnt. Sie hatten befürchtet, daß die notwendige Sicherheit nicht gewährleistet werden könne, wenn eine solche Gashochdruckleitung mitten durch ein Wohngebiet gelegt wird. Im März 1984 explodiert eine Gashochdruckleitung in Erlangen und reißt einen 6 mal 20 Meter großen Krater. Das Gas entzündet sich. Die Bundesautobahn wird über mehrere Kilometer stundenlang gesperrt. Die Feuerwehr braucht über zwei Stunden, um an die Brandstelle vorzudringen.
Wohl in Ahnung dessen hatte die Bürgerschaft in Dankersen gesagt: Wir wollen eine solche Gashochdruckleitung nicht in der Ortschaft, wir verlangen eine Überprüfung der Sicherheitsrisiken.
Die Folge war: Gutachten wurden vom TÜV vorgelegt. Das Endergebnis lautete: Eine Gashochdruckleitung, die nach dem Stand der Technik verlegt ist, darf und kann eben nicht explodieren. Mit anderen Worten: Lieb' Bürger, magst ruhig sein, eine Gashochdruckleitung explodiert nicht; das ist Stand der Technik. — Wir haben an anderen Stellen andere Erfahrungen gemacht: Erlangen ist ein deutliches Beispiel dafür, wie ein solches Unglück zu unübersehbaren Auswirkungen führen kann.
Die Petenten haben zunächst beim Landtag Nordrhein-Westfalen beantragt, die Trasse der Leitung zu ändern. Der Petitionsausschuß des Landtags teilte die Sicherheitsbedenken der Petenten vollinhaltlich, aber erklärte sich auf Grund der durchgeführten Planfeststellungsverfahren außerstande, noch eine Änderung der Leitungsführung zu bewirken.
Dann wandten sich die Petenten an den Deutschen Bundestag. In zwei Punkten: der Bundesverkehrsminister möge seine Genehmigung zur Querung des Mittellandkanals nicht erteilen, und er möge nicht länger dulden, daß für die Verlegung dieser Gashochdruckleitung der Damm der Bundesstraße 482 in Anspruch genommen wird.
Im Petitionsausschuß des Bundestages ist es leider nicht gelungen, diesen Sicherheitsbedenken der Petenten dadurch Rechnung zu tragen, daß wir den Bundesminister für Verkehr auffordern, die Genehmigung nach § 31 des Wasserstraßengesetzes nicht zu erteilen und in Zukunft die Inanspruchnahme des Damms einer Bundesstraße nicht zu dulden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus Zeitgründen keine großen Ausführungen mehr. Aus dem Unglück von Erlangen haben wir gelernt: Es sind vor allem auch äußere Einwirkungen, die bedacht werden müssen. Wer von uns kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen, daß es nach der Verlegung der Leitung zu Hebungen und Senkungen der Leitung mit der Folge der Bruchgefahr und des Berstens und der Entzündung der Leitung kommt?

(Frau Nickels [GRÜNE]: Keiner!)

— Keiner! Wer kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen, daß ein Verkehsunfall auf der Bundesstraße 482 passiert? Beispielsweise haben wir 7 000 britische Stationierungsstreitkräfte



Ibrügger
bei uns in Minden mit einer Vielzahl gepanzerter Fahrzeuge. Wer kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen, daß ein „Leopard" oder ein gepanzertes Fahrzeug in diesen Damm der Bundesstraße 482 stürzt und die Erdüberdeckung der Gashochdruckleitung beschädigt, mit der Folge des Berstens der Leitung?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Redezeit geht zu Ende. Unser Vorschlag, unsere Bitte ist, daß sich der Deutsche Bundestag nicht dem Vorwurf aussetzt, solche Bedenken nicht anerkannt zu haben. Es muß vorrangig unsere Aufgabe sein, Ängste ernst zu nehmen und die Ursachen dieser Ängste beseitigen zu helfen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109420500
Das Wort hat der Abgeordnete Kossendey.

Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1109420600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Petitionsausschuß hat es sich bei der Bearbeitung dieser Petition wirklich nicht leichtgemacht. Gerade der Kollege Ibrügger, der Kollege Nolting und der Kollege Reinhard Göhner haben außerordentlich deutlich zu machen versucht, wie die Interesssen der Bürger dort sind.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Andere Interessen waren stärker!)

Leider hat der Petitionsausschuß nur die Möglichkeit, über Dinge zu entscheiden, die im Rahmen seiner Zuständigkeit liegen. Hier geht es eindeutig nur um § 31 des Bundeswasserstraßengesetzes. Nur in diesem Punkt haben wir Vorschläge zu machen.
Ich will Ihnen die Geschichte dieses ganzen Verfahrens in die Erinnerung zurückrufen, damit Sie sehen, daß in diesem Verfahren nicht von heute auf morgen und unbesonnen entschieden worden ist.
Die Planungen dieser Gasleitung sind erstmals im Jahre 1980 erfolgt. Das Bundesverkehrsministerium ist seit 1982 mit dieser Planung befaßt. Es gab zugegebenermaßen von Anfang an von den Anwohnern Widerstände gegen diese Gasleitung, die dazu geführt haben, daß der Petitionsausschuß in Nordrhein-Westfalen zweimal mit der Angelegenheit befaßt wurde. Es wurde jedoch zweimal kein Ergebnis erzielt, das den Anwohnern gerecht geworden wäre.
Die Angelegenheit wurde dann in der Verwaltung mit Rücksicht auf die betroffenen Bürger — ich will es einmal sehr vorsichtig formulieren — nicht gerade sehr zügig behandelt, so daß ein Verwaltungsgericht dem Regierungspräsidenten nach einer Untätigkeitsklage bescheinigt hat, daß er eigentlich viel schneller hätte handeln müssen. Dieses Verwaltungsgericht hat sich mit den Sorgen und Nöten der Anwohner ausführlich auseinandergesetzt und festgestellt, daß die Sorgen und Nöte, insbesondere was die Gefahr der Explosion dieser Leitung angeht, eben nicht berücksichtigt werden konnten, ganz einfach deshalb, weil sie durch Gutachten widerlegt worden sind.
Es ging dann weiter: Da man gedacht hatte, diese Untätigkeitsklage würde zur Genehmigung des Baus dieser Erdgasleitung führen, haben sich die Petenten an den Ausschuß des Bundestages gewandt, um zu erreichen, daß der Bundesverkehrsminister die notwendige Genehmigung nach § 31 Abs. 5 des Wasserstraßengesetzes nicht gibt.
Der Petitionsausschuß hat sich seit Januar dieses Jahres damit befaßt, und wir haben uns diverse Gutachten wieder vorlegen lassen. Wir haben Staatssekretär Knittel vom Verkehrsministerium eingeladen. Staatssekretär Knittel ist in diesem Zusammenhang nach allen Problemen befragt worden. Er hat zur Überzeugung der Mehrheit im Petitionsausschuß klarmachen können, daß die Gefahr, die die Bürger befürchten, eben nicht besteht. Er hat auch deutlich nachgewiesen, daß der Vorfall in Erlangen — dies wird immer wieder als Beispiel herangezogen, auch der Kollege Ibrügger hat es soeben angeführt — nicht zu besonderer Besorgnis Anlaß gibt, weil die technischen Voraussetzungen in Minden eben andere sind, als sie in Erlangen vorhanden waren.

(Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

— Zeitungsartikel, liebe Frau Nickels, haben für uns noch nicht die Qualität von Gutachten. Befürchtungen von Betroffenen sind zwar sicher zu respektieren
— sie sind durch Gutachten zu prüfen — , aber dann müßten wir uns allerdings nicht der Emotion, sondern dem Sachverstand der Gutachter beugen. Nichts anderes ist hier passiert.
Ich bitte Sie also nach diesen langen Bemühungen im Petitionsausschuß recht herzlich darum, das Votum der Mehrheit zu verstehen, das sich nur auf § 31 Abs. 5 des Wasserstraßengesetzes bezieht, wonach der Verkehrsminister die Genehmigung zu erteilen hat. Sobald alle planungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, sobald alle Einwendungen der Bürger — und die sind ja in mehrstufigen Verfahren geprüft worden — ausgeräumt worden sind, hat der Betreiber einen Rechtsanspruch auf Erteilung dieser Genehmigung.
Der Petitionsausschuß konnte bei allem Verständnis für die emotionalen Sorgen der Bürger leider kein anderes Votum fällen, als diese Petition als erledigt zu betrachten. Wir konnten nicht helfen, obgleich sich die Kollegen, wie ich eingangs gesagt habe, sehr darum bemüht haben. Die sachlichen Gründe sprachen dagegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109420700
Das Wort hat Frau Abgeordnete Garbe.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109420800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Unsere Aufgabe im Petitionsausschuß ist es, die Eingaben der sich vertrauensvoll an uns wendenden Bürgerinnen und Bürger zu prüfen. Die Prüfung in dem vor uns liegenden Fall hat ergeben: Die Sorgen und Bedenken der Anlieger sind berechtigt, und Alternativen sind machbar.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ferngasleitungen, meine sehr verehrten Herren und Damen, sind keine Wasserleitungen. Wenn, wie



Frau Garbe
ja auch schon geschehen, eine Leitung undicht wird, kann es zu katastrophalen Explosionen kommen.
Das Anliegen der Petenten ist klar: Die Trasse der Ferngasleitung soll nicht durchs Wohngebiet geführt werden, die Trasse soll nicht am Mittellandkanal geführt werden und ihn an einer Stelle kreuzen, wo das Kanalbett 10 Meter über der Landschaft liegt. Bei einem etwaigen Leitungsleck und nachfolgender Gasexplosion könnte sich hier eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes aufbauen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Genau!)

Dieser Katastrophe soll vorgebeugt werden. Sehr vernünftig — sollte man denken, denn alternative Trassenführungen sind, wie schon gesagt, möglich.
Aber warum konnte denn nun die CDU diesem vernünftigen Vorschlag nicht zustimmen? Ein Blick ins Amtliche Handbuch des Deutschen Bundestages genügt, und man weiß den Grund, meine sehr verehrten Herren und Damen. Der CDU-Kollege Herr Dr. Grünewald ist Mitglied des Beirats der Westfälischen Ferngas AG, jener Aktiengesellschaft also, die diese Ferngasleitung den Petenten vor die Haustüre legen will. Wer nun im Beirat einer solchen Aktiengesellschaft ist, hat dafür zu sorgen, daß der Rubel rollt, und darf nicht gegen die Interessen seiner Aktiengesellschaft handeln. Das hat der Kollege Grünewald dann auch getan. Treu dem Aktiengesetz ergeben handelte der Kollege und schwor, obwohl er noch nicht einmal Berichterstatter für diese Petition war, seine CDU-Kollegen und -Kolleginnen darauf ein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109420900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin, des Herrn Abgeordneten Göhner?

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109421000
Ach, ich bin gerade so schön in Fahrt.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Am Schluß, am Schluß!)

— Ja, am Schluß, kleinen Moment noch. — Die Petition wurde für erledigt erklärt.
Meine sehr verehrten Herren und Damen, die Moral dieser gefährlichen Geschichte ist: Wer die Eingaben sich vertrauensvoll an uns wendender Bürger und Bürgerinnen objektiv prüfen und behandeln will, darf nicht zum Nachteil der Petenten in derartigen Abhängigkeiten einer Aktiengesellschaft sein und sich in sie begeben, wie das geschilderte Beispiel zeigt. Es spricht alles, aber auch wirklich alles für die Anliegen der Petenten.
Wir unterstützen aus diesem Grunde den Vorschlag, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Wir hoffen, daß Sie sich, meine Herren und Damen von der CDU, die Sache doch noch einmal durch den Kopf gehen lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109421100
Es wird noch um eine Zwischenfrage gebeten. Gestatten Sie die von Herrn Kossendey?

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109421200
Ja, ich lasse noch eine Frage zu.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109421300
Herr Kossendey, bitte schön.

Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1109421400
Frau Kollegin Garbe, sind Sie vielleicht so gütig, den Vorwurf zurückzunehmen, daß wir im Petitionsausschuß von einem Interessenvertreter einer Aktiengesellschaft eingeschworen worden sind? Das ist — zumindest was meine Person angeht — nicht der Fall.
Zweitens. Sind Sie so gütig, zur Kenntnis zu nehmen, daß zwei Gutachten von namhaften Sachverständigen vorgelegen haben, die in keiner Weise im Petitionsausschuß erschüttert worden sind?
Sind Sie drittens bereit, zuzugeben — —

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109421500
Moment mal, nur eine Zwischenfrage! Das ist ja ein ganzes Programm.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109421600
Das ist ja ein ganzer Fragenkatalog. Herr Kollege Kossendey, ich habe gesagt, warum ich der Auffassung bin, daß man nicht objektiv verhandeln kann, wenn man in so einer Abhängigkeit ist.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Nein, Sie haben ihn beschuldigt!)

Ich habe mich gewundert, daß sich der Kollege Grünewald so immens dafür eingesetzt hat, daß diese Sache erledigt würde.

(Kossendey [CDU/CSU]: Er hat uns eingeschworen, haben Sie gesagt!)

— Das war mein Eindruck.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109421700
Gestatten Sie noch weitere Zwischenfragen, Frau Kollegin Garbe?

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Moment, Moment. Sie haben ja keine Zwischenfrage.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ich habe keine Zwischenfrage, ich mache nur Zwischenrufe!)

Jetzt Herr Kollege Göhner. Gestatten Sie, Frau Garbe?

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109421800
Ja.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109421900
Bitte schön, Herr Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1109422000
Frau Kollegin, da Sie den Kollegen Grünewald vorhin verdächtigt haben, bestimmte Interessen wahrzunehmen, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß sich der Kollege Grünewald, wenn er sich denn dafür so vehement eingesetzt hätte, wie Sie behauptet haben, für die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung schließlich festgelegte Trasse eingesetzt hätte. Würden Sie Herrn Grünewald als Lobbyisten der nordrhein-westfälischen Landesregierung bezeichnen?

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109422100
Auf keinen Fall. Es tut mir sogar leid, hier sagen zu müssen, daß ich mich gestern



Frau Garbe
bei der konzertierten Aktion „Sondermüll" gewundert habe, wie die nordrhein-westfälische Landesregierung geurteilt hat. Von daher paßt das nicht zusammen.
Ich bin am Ende.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109422200
Meine Damen und Herren, jetzt hat Frau Dr. Segall das Wort.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1109422300
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Diese erste Petition, mit der wir uns hier jetzt beschäftigen, haben der Sache nach bereits meine Vorredner erörtert. Mir liegt daran, nach kurzem Eingehen auf die Details dieser Petition die grundlegende Problematik, die dahintersteht und die allen Parlamentariern zu denken geben sollte, klarzumachen.
Im Mittelpunkt der Petition steht die Frage, ob die Sicherheitsbedenken der Petenten zutreffen. Wie den Genehmigungsbehörden, so fehlt erst recht uns Parlamentariern der technische Sachverstand, um die Sicherheit der Verlegung einer Hochdruck-Ferngasleitung zu beurteilen. Feststellen kann man jedoch, daß die beiden eingeholten Gutachten alle geltend gemachten Befürchtungen der Petenten, insbesondere die Explosion einer Gasleitung bei Erlangen im Jahre 1984, berücksichtigen. Nicht zuletzt auf dieses Unglück gehen nämlich die Befürchtungen der Petenten zurück, durch die Hochdruck-Ferngasleitung gefährdet zu werden. In beiden Gutachten wird festgestellt, daß weder der Mittellandkanal, an dem die Gasleitung entlanggeführt wird, noch die Bundesfernstraße zu Sicherheitsbedenken Anlaß geben.
Nun sind mir die grundlegenden Einwände gegen Gutachten bekannt. Allzuhäufig wird einem Gutachten, das die eigene Meinung bestätigt, von der Gegenseite Parteilichkeit vorgeworfen. Wie wenig dieser mögliche Vorwurf im vorliegenden Fall berechtigt ist, zeigt gerade der Umstand, der dem Petenten so große Angst macht. Es handelt sich dabei um die bereits erwähnte Explosion einer Ferngasleitung im Jahre 1984 bei Erlangen. Auch für die damalige Ferngasleitung hat man ein Gutachten eingeholt, in dem die möglichen Explosionsfolgen sondiert werden sollten. In diesem Gutachten waren Explosionsfolgen für möglich gehalten worden, die weit über diejenigen hinausgingen, die sich dann tatsächlich ereigneten. Genau dieser scharfe Maßstab liegt wiederum den Gutachten zu der in Rede stehenden Ferngasleitung zugrunde. Nach menschlichem Ermessen können also die Sicherheitsbedenken der Petenten als unbegründet bewertet werden.
Auch zu der vorgeschlagenen Trassenalternative möchte ich etwas sagen. Zum einen ergibt sich aus dieser Alternative keine erhöhte Sicherheit, die die kostenerhöhende Verlegung rechtfertigen würde. Allerdings wäre es, würde man der vorgeschlagenen Alternative folgen, nötig, umfangreiche Enteignungen vorzunehmen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109422400
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1109422500
Ja, gerne. Vizepräsident Frau Renger: Herr Ibrügger, bitte.

Lothar Ibrügger (SPD):
Rede ID: ID1109422600
Frau Kollegin, darf ich Sie fragen, ob Sie überhaupt an einer Stelle in den vorgelegten TÜV-Gutachten eine Bemerkung über die Entzündung des Gases und die entsprechende Brandwirkung auf die Umgebung gelesen haben?

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1109422700
Das TÜV-Gutachten im einzelnen habe ich natürlich nicht gelesen. Ich habe die Petitionsakte gelesen. Sehen Sie sich doch einmal den Unterschied an! Was das Erlanger Unglück anlangt so war in dem ursprünglichen Gutachten eine derartige Möglichkeit angesprochen, und trotzdem ist da gebaut worden. Das neue Gutachten geht davon aus, daß so etwas in diesem Falle nicht möglich ist. Natürlich bin ich ein Laie — das sind wir im Ausschuß ja alle —,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Bis auf die GRÜNEN! Die wissen alles!)

aber wenn ich zwei Gutachten habe, die besagen, daß das, was in Erlangen passiert ist, hier nicht passieren kann, obwohl es damals in Erlangen in dem Gutachten schon durchaus als Möglichkeit vorhergesehen war, gehe ich einmal davon aus, daß ich mich auf diese beiden Gutachten verlassen kann. Mehr kann ich als Parlamentarier nicht machen.
Nun komme ich zu dem entscheidenden Punkt. Es geht hier doch im Grunde um die Frage, wie ich mich bei Entscheidungen in einem Genehmigungsverfahren verhalte. Wenn in einem solchen Verfahren alle für die Genehmigung nötigen Gutachten vorliegen und alle Vorschriften beachtet worden sind, gibt es nämlich ein Recht des Antragstellers bzw. Betreibers auf Genehmigung. Das ist ja ein Problem, das wir heute auch und gerade bei der Nuklearindustrie und in anderen Bereichen haben. Wir haben in unserer Rechtsprechung häufig die Schwierigkeit, daß es auch dann immer noch Probleme gibt, wenn alles vorliegt, was für eine Genehmigung vorliegen muß. Ich bin der Meinung, daß ein gleicher Rechtsanspruch, wie wir ihn für uns als Bürger erwarten, hier auch für Unternehmen gilt. Hinzufügen möchte ich noch, daß sowohl das Land Nordrhein-Westfalen wie auch die Stadt selbst ursprünglich dieser Genehmigung zugestimmt haben.
Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109422800
Meine Damen und Herren, wegen der besseren Übersicht würde ich gern gleich über die Sammelübersicht 74 abstimmen lassen. Dazu habe ich schriftliche Erklärungen nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Abgeordneten Nolting und Dr. Göhner vorliegen.
Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2940 ab. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/2546 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfeh-



Vizepräsident Frau Renger
lung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Sammelübersicht 75 unter Punkt 20 g der Tagesordnung ab. Hierzu wird das Wort nicht erbeten. Wer der Sammelübersicht 75 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Stimmenthaltungen der GRÜNEN angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Sammelübersicht 76 unter Punkt 20h der Tagesordnung.
Hierzu haben wir die Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1109422900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um was geht es bei der vorliegenden Petition? Die Petenten der Ortsverwaltung Frankfurt der Deutschen Postgewerkschaft wollen, daß die Praxis der Nichteinstellung von Radikalen in den öffentlichen Dienst, die das Wort Berufsverbot in andere Sprachen als Terminus technicus hat einfließen lassen, beendet wird. Die Petenten wollen, daß die Bundesregierung das ILO-Abkommen 111 gegen die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf anwendet und den sogenannten Radikalenerlaß aufhebt. Die Bundesregierung würde damit den Makel aus der Welt schaffen, daß ein Untersuchungsausschuß der ILO festgestellt hat, daß die Praxis des Radikalenerlasses nicht mit dem Abkommen 111 der Internationalen Arbeitsorganisation vereinbar ist.
Die von der Bundesregierung und den CDU/CSU- und auch FDP-Landesregierungen betriebene Vernichtung der beruflichen und auch menschlichen Existenz von Angehörigen des öffentlichen Dienstes allein wegen deren politischer Betätigung verstößt gegen die Bestimmungen des Abkommens und ist sowohl politisch als auch wegen der bestehenden politischen Kultur in der Bundesrepublik abzulehnen und zu kritisieren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es gibt Beispiele zuhauf: Es gibt das Gnadengesuch des Postbeamten Bastian an den Bundespräsidenten, es gibt beispielsweise in dem Land Rheinland-Pfalz eine Praxis, wo der Regierungspräsident von Rheinhessen-Pfalz einem Überprüften mitgeteilt hat, das Verfahren gegen ihn sei eingestellt. Dann stellt sich heraus, daß er sich geirrt hat, und er sagt dem Betroffenen: Es tut uns leid, wir haben uns leider geirrt. Es gibt Beispiele, das Beamten für 25jährige treue Dienste die Urkunde überreicht worden ist, und anschließend folgt umgehend der Rausschmiß aus dem öffentlichen Dienst. Ich glaube, das sind Beispiele, die deutlich machen, daß wir bei der Praxis der Berufsverbote in der Bundesrepublik an der Grenze der Menschenwürde entlangbalancieren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Beschluß des Untersuchungsausschusses wurde von der Bundesregierung unter der fadenscheinigen Begründung, es gebe im Untersuchungsausschuß ein Minderheitenvotum, nicht beachtet. Es ist fast Kabarett, wenn man sich vorstellt, dieselbe Bundesregierung würde sagen: Wir wollen Blockaden bei Verteidigungsanlagen, weil es ein Minderheitenvotum des Bundesverfassungsgerichts gibt, anders bewerten, als es das Strafrecht bisher auslegt.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Da gibt es inzwischen ein BGH-Urteil!)

Der Weg gegen die Verurteilung über den Internationalen Gerichtshof in Den Haag wurde jedoch nicht beschritten. Das ist das im ILO-Abkommen und in den ILO-Bestimmungen vorgesehene Verfahren, wenn einer Regierung vorgeworfen wird, sie richte sich nicht nach den ILO-Verträgen. Dann kann sie es überprüfen.
Inzwischen, im Mai 1988, hat der ILO-Überprüfungsbericht der Sachverständigenkommission darüber, ob in der Bundesrepublik die Praxis des Radikalenerlasses abgeschafft worden ist und so der Konvention 111 Geltung verschafft wurde, die Forderung des Untersuchungsausschusses bekärftigt. Die ILO fordert, daß administrative und legislative Maßnahmen ergriffen werden, um die Verletzung internationaler Normen durch Berufsverbote zu beenden. Dieser Untersuchungsausschuß hat besonderes Gewicht. Der Vorsitzende des Sachverständigenausschusses ist beispielsweise der Präsident des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Bei uns gibt es keine Berufsverbote!)

Hier gibt es einen einstimmigen Beschluß, meine Damen und Herren, einen Beschluß des Konferenzausschusses, der sagt: Der Bericht des Sachverständigenausschusses wird im vollen Umfang akzeptiert. Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Sinne der Empfehlung des Untersuchungsausschusses sowie des Sachverständigenausschußberichtes ihre Praxis zu überdenken und entsprechend zu ändern.
Die Vorlage eines neuen Berichts soll zum 15. Oktober 1988 erfolgen, und dann wird die Bundesregierung Gelegenheit haben, zu berichten, die Praxis habe sich in der Bundesrepublik verbessert, weil inzwischen das Land Schleswig-Holstein dankenswerterweise etwas für das Image der Bundesrepublik im internationalen Zusammenhang getan hat.

(Beifall bei der SPD)

Unser Antrag bedeutet für die Bundesregierung die Chance, ihren für die politische Kultur innenpolitisch und außenpolitisch schädlichen Weg endlich zu korrigieren.
Kolleginnen und Kollegen in anderen Staaten, die die Einhaltung der Menschenrechte anmahnen, müssen sich anhören, die BRD solle gefälligst ihre Berufsverbotspraxis ändern. Es wird tatsächlich Zeit, das historische Fossil des Radikalenerlasses zu überwinden. Wer im Zeitalter von Glasnost und Perestroika den Radikalenerlaß verteidigt, erweist sich selbst als historisch überholt.
Deshalb zum Schluß mein Appell: Fallen Sie nicht hinter die Position der Bundesregierung im Konferenzausschuß zurück, wo der Vertreter der Bundesregierung die Kooperation mit dem Ziel, die Hindernisse abzubauen, angekündigt hat, wo der Arbeitsminister das Porzellan wieder zu kitten versucht hat, das der



Peter (Kassel)

Innenminister mit seiner bornierten Praxis in der Innenpolitik der Bundesregierung zerstört!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109423000
Ihre Redezeit ist zu Ende.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1109423100
Ich bitte Sie, ich fordere Sie auf und appelliere an Sie: Überprüfen Sie deshalb Ihre Position und stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu! Es ist jetzt noch Zeit.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109423200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Grünewald.

(Zuruf von den GRÜNEN: Da ist er ja! Warum nicht vorher?)


Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1109423300
Auch darauf gebe ich Ihnen eine Antwort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten und lieben Kollegen! Herr Kollege Peter, es ist schon befremdlich, daß Sie die politische Kultur gegen geltendes Verfassungsrecht in unserer Republik bemühen, und das in diesen Tagen, wo wir leider Anlaß genug haben, uns ernstlich um das Konzept der wehrhaften Demokratie zu sorgen. Das voraus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun zur Sache: Das Ganze geht auf einen Beschluß der Delegiertenversammlung der Postgewerkschaftler im vergangenen Jahr in Frankfurt zurück. Die Petentin behauptet, die bei uns übliche Überprüfung der Verfassungstreue von Bewerbern und Angehörigen des öffentlichen Dienstes sei diskriminierend und im Ergebnis — das wurde gesagt, man höre und staune, kann ich nur sagen — als eine verfassungswidrige Berufsverbotpraxis zu werten.

(Conradi [SPD]: Das ist sie auch!)

Zur Begründung dieses schwerwiegenden Vorwurfs einer Grundgesetz- und einer Völkerrechtsverletzung bezieht sie sich insbesondere auf den Bericht des Untersuchungsausschusses der Internationalen Arbeitsorganisation, der hier schon zitiert wurde.

(Peter [Kassel] [SPD]: Der zweimal bestätigt wurde!)

Lassen Sie mich bitte dazu vorab folgendes feststellen. Der Bericht des IAO-Untersuchungsausschusses enthält ein gespaltenes Votum. Während die Ausschußminderheit — zugegebenermaßen — die richtige Meinung vertritt, daß ein internationales Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte im Arbeitsleben nicht so ausgelegt werden darf, daß es den Gegnern dieser Grundrechte bei ihrem Tun Schutz gewährt, spricht die Majorität des Ausschusses eine Reihe von Empfehlungen aus.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109423400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Peter?

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1109423500
Aber bitte sehr, wenn es mir auf die Zeit nicht angerechnet wird.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1109423600
Herr Kollege Dr. Grünewald, ist Ihnen entgangen, oder sind Sie bereit, es nachträglich zur Kenntnis zu nehmen, daß inzwischen, ein Jahr nach dem Votum des Untersuchungsausschusses, in dem es eine Minderheitenposition gab, der Sachverständigenausschuß der Internationalen Arbeitsorganisation und der Konferenzausschuß der Internationalen Arbeitsorganisation die Bundesregierung einstimmig aufgefordert haben, administrative oder gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, um die weiterhin zu beanstandende Praxis in der Bundesrepublik zu verändern, und ist Ihnen zweitens bekannt — —

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109423700
Herr Kollege, so geht es nicht. Sie antworten jetzt bitte, Herr Kollege!

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1109423800
Ich kann Ihnen sagen: Das ist mir bekannt, das ändert aber an der rechtlichen Beurteilung gar nichts, und ich müßte Sie an sich zurückfragen, ob Ihnen auch bekannt ist, daß sich der Verwaltungsrat diese Meinung nicht zu eigen gemacht hat, sondern daß der Verwaltungsrat diese Meinung nur billigend zur Kenntnis genommen hat, ohne sich zur Sache zu äußern. Ich komme aber noch auf die Empfehlungen zurück; denn diese Empfehlungen laufen im wesentlichen darauf hinaus, den im Arbeitsrecht geltenden funktionsbezogenen Treuebegriff auch für die Beamten anzuwenden.
Die eigentliche Kernfrage, Herr Peter, ob nämlich im Sinne des Konzepts der eben schon einmal bemühten wehrhaften Demokratie ausnahmslos alle Beamten die Pflicht haben, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen, hat der Ausschuß mehrheitlich zwar ausdrücklich bejaht, in eine Einzelprüfung hat er sich aber leider nicht eingelassen. Die Bundesregierung ist deshalb dieser rechtlich unverbindlichen Empfehlung völlig zu Recht nicht gefolgt.
Mit der Überprüfung der Verfassungstreue von Angehörigen des öffentlichen Dienstes hat sich der Petitionsausschuß übrigens schon zum wiederholten Male befaßt. Er ist jeweils nach eingehender Prüfung in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht, dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesarbeitsgericht immer zu der Auffassung gelangt, daß er der Bundesregierung keine Empfehlung geben kann, von ihrer Praxis abzuweichen. Zu einer Änderung dieser Haltung besteht für meine Fraktion auch heute wirklich keinerlei Veranlassung; denn wir müssen bei diesen besonderen Treuepflichten der Beamten gegenüber dem Staat und gegenüber unserer Verfassung bleiben. Daran können auch internationale Normen, die uns nicht binden können, nichts ändern.
Ich will es noch einmal in aller Deutlichkeit sagen, weil Herr Peter eben etwas anderes behauptet hat: In der Bundesrepublik Deutschland gibt es kein Beruf s-verbot!

(Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD — Conradi [SPD]: Trotzdem ist es eine Lüge!)




Dr. Grünewald
Das hat das Bundesverfassungsgericht 1975 in einer ganz grundlegenden Entscheidung ausdrücklich bestätigt.

(Zurufe von der SPD: Verdrehung! — Existenzvernichtung!)

Das politische Schlag- und Reizwort vom sogenannten Berufsverbot für Radikale ist völlig fehl am Platze. Es dient bestimmten Kreisen ganz offensichtlich nur dazu, politische Emotionen zu schüren.

(Richtig! bei der CDU/CSU)

Die Verfassungstreuepflicht der Beamten ist vom Grundgesetz her geboten und steht eben im Einklang mit unserem Grundgesetz und damit auch mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109423900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1109424000
Bitte schön. Aber wieder mit Blick auf die Zeit.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109424100
Das ist ganz klar. Bitte schön, Herr Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109424200
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß es in Niedersachsen Lehrer gibt, die ihr Leben lang guten Unterricht gegeben haben, gegen die keinerlei Beanstandungen hinsichtlich ihrer pädagogischen Tätigkeit vorliegen, die nur einmal bei einer Kommunalwahl kandidiert haben und die sogar ihre in 20 oder 30 Jahren mühsam erworbene Altersversorgung nicht mehr bekommen? Ist Ihnen das bekannt?

(Conradi [SPD]: Existenzvernichtung!)


Dr. Joachim Grünewald (CDU):
Rede ID: ID1109424300
Der Einzelfall, Herr Kollege, ist mir nicht bekannt.

(Conradi [SPD]: Natürlich nicht!)

Aber wenn dem so wäre, dann kann ich nur sagen: Die Betroffenen oder die vermeintlich Betroffenen mögen das Bundesverfassungsgericht, das dafür zuständig ist, anrufen und es entscheiden lassen.

(Richtig! bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Es ist doch seltsam und muß außerordentlich nachdenklich stimmen, daß bis jetzt noch niemand diesen Weg beschritten hat, das dafür zuständige Verfassungsorgan, nämlich unser Bundesverfassungsgericht, anzurufen, sondern daß wir im Petitionsausschuß immer wieder mit diesen Fragen bemüht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Peter [Kassel] [SPD]: Warum geht die Bundesregierung nicht zum Internationalen Gerichtshof?)

— Weil sie keine Veranlassung hat, zum Internationalen Gerichtshof zu gehen.

(Peter [Kassel] [SPD]: Weil sie Angst hat, da zu unterliegen!)

Ich kann nur sagen, daß diese immer wieder beanstandete Praxis völlig in Einklang steht mit den Bundes- und den Landesgesetzen. Sie orientiert sich an unserer Verfassung und an einer äußerst umfänglichen Rechtsprechung zu diesem Problem.

(V o r s i t z: Vizepräsident Cronenberg)

Es besteht also gar kein Spielraum für eine Änderung dieser Praxis. Wer das gleichwohl meint, dem kann ich nur noch einmal anempfehlen, bitte das Bundesverfassungsgericht anzurufen und nicht immer wieder den Petitionsausschuß zu bemühen.

(Peter [Kassel] [SPD]: Oder den Internationalen Gerichtshof in Den Haag!)

Deswegen können wir Ihren Antrag hier und heute auch nur ablehnen und für erledigt erklären.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109424400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Briefs.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1109424500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erschreckend, welches Maß an demokratischem Unverständnis hier auch auf der — von mir aus gesehen — Rechten zum Ausdruck kommt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit der Praxis der Berufsverbote, d. h. der Entfernung bzw. Entlassung aus dem öffentlichen Dienst aus politischen Gründen — wegen politischer Betätigung, wegen Parteizugehörigkeit oder auch einfach nur wegen politischer Gesinnung —, ist ein ganz düsteres Kapitel westdeutscher Nachkriegsentwicklung und Nachkriegspolitik angesprochen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nach internationalen Angaben gibt es in der Bundesrepublik ca. 10 000 Berufsverbotsopfer; betroffen sind 10 000 Menschen und deren Familien.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie glauben doch selber nicht, was Sie da erzählen!)

Etwa 5 Millionen Menschen sind seit Anfang der 70er Jahre durch die Mühlen der Gesinnungsschnüffelei, die mit der Praxis des sogenannten Radikalenerlasses verbunden ist, gegangen. Die BRD ist dadurch nachhaltig diskreditiert worden. — Sie insbesondere.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: „BRD", was ist das, Herr Kollege?)

— Das ist die Bundesrepublik Deutschland, das wissen Sie. Ihr politisches Bewußtsein reicht noch nicht einmal so weit, daß Sie wissen, wie diese Republik bezeichnet wird.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: In Ihren Kreisen, Herr Kollege!)

Aber ich bin sicher, daß Sie genau wissen, was AEG und Aufsichtsrat usw. bedeutet.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort „Berufsverbot" als deutsches Wort ist in das Vokabular der französischen und auch der niederländischen politischen Öffentlichkeit aufgenommen worden als Mittel zur berechtigten Anklage gegen



Dr. Briefs
undemokratische Verhältnisse in dieser Republik. Die ILO — der Kollege Peter hat das soeben schon angesprochen — hat die Bundesregierung förmlich verurteilt und aufgefordert, die Berufsverbotspraktiken zu beseitigen. Ist es da ein Wunder, daß unsere Nachbarn, die nach wie vor die Greuel der NS-Zeit und auch der Wehrmacht in Erinnerung haben, sich an diese Zeit erinnert fühlen, zumal diese Praxis in dieser Zeit ebenfalls existierte und erst damals so richtig geschaffen wurde? Ist es ein Wunder, daß Menschen im Zusammenhang mit den Berufsverboten die demokratische Substanz und Legitimation der Bundesrepublik in Frage stellen

(Zurufe von der CDU/CSU)

— gehen Sie doch einmal in die Niederlande; dort lacht man Sie doch aus wegen Ihrer Rückständigkeit —

(Lachen bei der CDU/CSU)

und Fragen nach dem Weiterbestehen von NS-Bewußtseins- und -Praxisrelikten in der Bundesrepublik stellen? Ist es ein Wunder, daß im Ausland und in der Bundesrepublik Empörung aufkommt, wenn man hört, daß Nazi-Richter mit Blut an ihren Händen in höchste westdeutsche politische Positionen gelangen konnten, während zugleich junge Lehrer, die der DKP beigetreten waren, die zum Teil parteilos waren oder die — auch solche Fälle hat es gegeben — praktizierende Sozialdemokraten waren, ihre berufliche Existenz zwangsweise aufgeben mußten?
Ein besonders schlimmes Stück hat sich jetzt die Landesregierung von Rheinland-Pfalz erlaubt. Sie verlangt von dem Lehrer Ulrich Foltz, einem Parteilosen, der sich aus christlichem Engagement an der Friedensbewegung beteiligt hat und der Mitglied der DFU geworden ist, 150 000 DM zurück. Man muß sich das einmal vorstellen; ich bitte die Bürgerinnen und Bürger, sich das einmal vorzustellen.

(Zuruf des Abg. Conradi [SPD])

— Richtig, das ist die christliche Handhabung solcher Dinge. — Mit diesen 150 000 DM hat ihn die Regierung in Rheinland-Pfalz alimentiert, bevor er durch rechtskräftiges Urteil endgültig aus dem öffentlichen Dienst entfernt wurde und die soll er jetzt zurückzahlen! Was sagt dies über die realexistierende politische Kultur dieses Landes aus, wenn man so gegen einen in einer zugelassenen politischen Organisation tätigen Lehrer vorgeht, während sich Politiker in Hannover gegenseitig riesige Spielbankeneinnahmen im Zusammenhang mit politischen Vorgängen zugeschoben haben?

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ach du meine Güte! — Zuruf des Abg. Kleinert [Hannover] [FDP] — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Die Monopolrente des Herrn Kleinert ist nun wirklich bekannt!)

Wer hat von dem früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger oder den Richtern des Volksgerichtshofs, die in der Nachkriegszeit in der BRD in Ruhe ihre Pensionen verzehren konnten, je
irgendeine „Wiedergutmachung" für die Opfer ihrer Bluturteile verlangt?

(Frau Nickels [GRÜNE]: Denen hat auch niemand die Rente abgenommen!)

Die Berufsverbote müssen weg. Sie sind schlicht und einfach ein Akt politischen Barbarentums.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Sie zeigen, wie unterentwickelt die politische Kultur in der BRD ist. Das ist ein ganz schlimmer Tatbestand.
Wir begrüßen deshalb die Initiative der Deutschen Postgewerkschaft Frankfurt, unterstützen sie und stimmen deshalb gegen den Beschluß des Petitionsausschusses. Wir unterstützen dagegen mit gewissen Schwierigkeiten — das sage ich offen — den Antrag der SPD, das ILO-Abkommen in der Bundesrepublik voll und ganz wirksam werden zu lassen. Allerdings geht uns — ich sage dies offen an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der SPD — diese SPD-Initiative nicht weit genug.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist uns schon klar! — Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Sie wohnen doch in Holland!)

— Richtig, deshalb bin ich ja auch für diese Fragen sehr stark sensibilisiert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber mit Ihrem Antrag wollen Sie den Nazis die Stellen öffnen!)

Sie glauben gar nicht, wie verheerend Ihr politisches Verhalten gerade in solchen Fragen in den Niederlanden wirkt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen Verhältnisse im öffentlichen Dienst und in der Gesellschaft in der Bundesrepublik insgesamt, die jede berufliche und auch sonstige Diskriminierung aus politischen Gründen unmöglich machen. Wir hätten allerdings von Ihnen von der SPD hier weitergehende Vorstellungen erwartet. Obwohl wir Ihrem Antrag zustimmen, werden wir uns dafür einsetzen, daß auch die sonstigen Relikte der Berufsverbotspolitik wegkommen. Schließlich — das kann ich Ihnen nicht ersparen — war es die SPD, die Anfang der siebziger Jahre den Radikalenerlaß für allgemeinverbindlich erklärt hat.

(Abg. Peter [Kassel] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Kollege Peter, hier blinkt es schon dauernd; ich muß wohl Schluß machen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109424600
Die Zeit ist schon deutlich überschritten. Ich kann eine Zwischenfrage nicht zulassen.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1109424700
Ich denke, daß hier schlicht und einfach etwas vorliegt, was aus einem demokratischen Grundkonsens heraus weg muß. Ich weiß, das ist vergeblich. Dazu sind Sie auf der Rechten politisch viel zu hartleibig. Ich würde aber im Interesse der vielen Betroffenen darum bitten, daß Sie wenigstens ein bißchen nachdenklich werden und vielleicht einmal



Dr. Briefs
versuchen, sich aus einem wohlverstandenen Verständnis dessen heraus, was die Bundesrepublik zu sein hätte, etwas anderes zu überlegen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109424800
Herr Abgeordneter Dr. Briefs, ich hoffe, daß es nicht vergeblich ist, wenn ich Sie bitte, Ihre Rede zu beenden. — Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das sind dieselben Leute, die in Ost-Berlin die Friedensgruppen niederknüppeln!)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1109424900
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die zweite Petition hat einen — wie wir gerade an der erregten Debatte gemerkt haben — sehr politischen Inhalt. Es geht um die sogenannte Berufsverbotspraxis. Schon dieses Wort halte ich für ungeeignet, den dahinterstehenden Sachverhalt zu bezeichnen.
Es geht nicht darum, daß der Staat bestimmten Personen die Ausübung des Berufs verbietet, wie es dieses Wort nahelegen könnte, sondern es dreht sich um eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz, um zu prüfen, ob Anzeichen vorliegen, die die Verfassungstreue des Beamten — lediglich des Beamten — in Frage stellen könnten. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt, daß diese Regelanfrage mit Art. 3 Abs. 3 und den Art. 5 und 12 des Grundgesetzes in Einklang steht.
Nun zu dem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation, auf die sich die Petenten beziehen. Richtig ist, daß darin festgestellt wird, durch die vorgestellte Praxis werde ein Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation verletzt. Allerdings — dies muß man hervorheben — handelt es sich dabei um ein gespaltenes Votum. Die Ausschußminderheit teilte diese Ansicht nämlich nicht. Entscheidend ist aber, daß dieses Votum der Ausschußmehrheit weder völkerrechtlich noch innerstaatlich bindende Kraft hat. Dies ist gerichtlich letztinstanzlich entschieden. Schon deshalb sollte nach Ansicht der FDP die Petition als erledigt angesehen werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109425000
Frau Dr. Segall, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt?

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1109425100
Nein, danke, also heute abend wirklich nicht mehr.
Ich möchte nun aber nicht weiter auf die verschiedenen rechtlichen Überprüfungen, denen die Regelanfrage ausgesetzt war, eingehen. Die FDP verkennt nicht den politischen Gehalt dieses Problems.
Hier möchte ich doch einmal eine neue Anregung zur Debatte stellen. In Schleswig-Holstein hat die neue Regierung als erste Maßnahme diese Regelanfrage abgeschafft. Aber, Herr Kollege Peter, daß die Bundesrepublik diese Imageverbesserung dringend nötig hat, das möchte ich doch für die FDP ganz entschieden zurückweisen. Als Liberaler sind mir Dogmen ein Greuel, sowohl das sachlich nicht haltbare
Dogma linker Couleur, daß in der Bundesrepublik Deutschland ein Berufsverbot praktiziert werde,

(Conradi [SPD]: Das erste Berufsverbot kam von einem FDP-Innenminister in NordrheinWestfalen, von Herrn Hirsch!)

wie auch das Dogma, daß ohne diese Regelanfrage die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet werde.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Es handelt sich um politische Verfolgung einzelner Leute! — Weitere Zurufe)

— Herr Präsident, es wäre ganz nett, wenn Sie mir ein bißchen Ruhe verschaffen könnten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109425200
Ich wäre dankbar, wenn Sie die Zwischenrufe so beschränken würden, daß sie auch hörbar sind. Ihre Zwischenrufe heben sich gegenseitig auf.

(Conradi [SPD]: Wenn sie keine Zwischenfragen zuläßt, bekommt sie auch mehr Zwischenrufe!)


Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1109425300
Danke.
Meines Wissens hat man ja auch in Schleswig-Holstein nicht vor, Personen, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung vernichten wollen, als Beamte einzustellen. Man will eben nur auf die Regelanfrage verzichten.
Ich möchte nun anregen, daß das Bundesministerium des Innern und das Landesinnenministerium Schleswig-Holstein nach einiger Zeit einmal über die neue Praxis berichten. Es ist jedenfalls nötig, solche Personen vom öffentlichen Dienst fernzuhalten, die unsere Ordnung vernichten wollen — auf welchem Wege, ist dabei eine andere Frage —, und vielleicht weiß Schleswig-Holstein einen besseren Weg, dieses Ziel zu erreichen. Ein vergleichender Bericht könnte da weiterhelfen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109425400
Nach § 30 unserer Geschäftsordnung gebe ich dem Abgeordneten Peter (Kassel) das Wort.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1109425500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer ein Risiko, wenn Nichtmitglieder des Petitionsausschusses sich zu Anträgen des Petitionsausschusses melden. Wir im Petitionsausschuß sind daran gehalten, uns eng auf das Petitum des jeweiligen Petenten zu konzentrieren.
In der Ihnen nicht vorliegenden Begründung zum Antrag des Petitionsausschusses wird dieses Petitum bestimmt. Die Petentin bittet den Petitionsausschuß, sich dafür einzusetzen, daß die Bundesregierung das Ergebnis des Untersuchungsausschusses anerkennt, die von ihm behauptete verfassungswidrige Berufsverbotspraxis aufgibt, die Bestimmungen des Übereinkommens 111 einhält, gegenteilige Bestimmungen dem Völkerrecht anpaßt und die Betroffenen rehabili-



Peter (Kassel)

tiert. Das ist der Gegenstand unseres Antrags zum Petitionsverfahren.
Unbeschadet dessen und auch mit der Glaubwürdigkeit, eines Besseren belehrt worden zu sein, möchte ich hier ausdrücklich betonen, daß von der SPD-Fraktion die herrschende Berufsverbotspraxis in der Bundesrepublik abgelehnt wird und daß wir alles tun werden, die Praxis der sozialdemokratisch regierten Länder auf andere Bundesländer und auf das Bundesgebiet zu übertragen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU): Das fällt nicht

mehr unter den Paragraphen, nach dem Sie
reden!)
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109425600
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Sammelübersicht 76, und zwar zuerst einmal zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/2941. Wer diesem Änderungsantrag der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag wird mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/2548 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung wird mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Luftverunreinigungen in Innenräumen
Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen vom Mai 1987
— Drucksache 11/613 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2951 vor.
Im Ältestenrat ist beschlossen worden, daß jede Fraktion bei der Beratung einen Redebeitrag b i s zu zehn Minuten abgeben kann. — Widerspruch gegen diese Regelung erhebt sich nicht.
Dann können wir mit der Aussprache beginnen. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1109425700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen enthält die wichtige Feststellung, daß die Qualität der Innenraumluft häufig schlechter ist als die Qualität der Außenluft. Da wir uns vorwiegend in Innenräumen aufhalten, heißt das, daß wir der Reinhaltung der Luft in Innenräumen noch größere Aufmerksamkeit widmen müssen als der traditionellen Luftreinhaltung.
In Innenräumen sind wir Emissionen von Kohleherden, Öfen, Kaminen und dergleichen ausgesetzt, auch aus vermehrtem Einsatz von Chemikalien im Haushalts-, Hobby- und Heimwerkerbereich, der uns natürlich alle angeht.
Verbesserte Abdichtungen von Fenstern und Türen verstärken die Schadstoffkonzentrationen in Innenräumen. Diese sehr vielfältigen häuslichen Belastungen durch Stoffe bedeuten auch Risiken für Gesundheit und Umwelt.
Die „Leitlinien zur Umweltvorsorge durch Vermeidung und stufenweise Verminderung von Schadstoffen" vom September 1986 enthalten eine umfassende, die einzelnen Bereiche des Umweltschutzes übergreifende Konzeption zur Vorsorge gegen Umweltbelastungen durch Stoffe bzw. Stoffeinträge. Die Bundesregierung hat mit diesen Leitlinien den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. Februar 1984 erfüllt.
In konsequenter Umsetzung dieses Konzepts haben wir im Herbst 1986 die neue Gefahrstoffverordnung in Kraft gesetzt. Die Verordnung enthält neben zahlreichen Einzelvorschriften eine Liste mit über 1 200 Stoffen, für die der Umgang besonderen Regeln unterliegt. Die Gefahrstoffliste ist ab 1. Januar 1988 um weitere 50 Stoffe ergänzt worden. Im Zuge der kontinuierlichen Fortschreibung der Verordnung wird eine zusätzliche Erweiterung der Gefahrstoffliste voraussichtlich im nächsten Jahr in Kraft treten.
Das Chemikaliengesetz wird noch in dieser Legislaturperiode novelliert werden. Unser Ziel ist die bessere Erfassung von alten Stoffen, die Verschärfung der Kennzeichnungspflichten, die Erweiterung der Mitteilungspflichten der Hersteller, der Ausbau der Eingriffsermächtigungen für Verbote und Beschränkungen und die Einführung ökotoxikologischer Tests, und zwar dies bereits ab der Grundstufe.
Ich möchte einen Punkt des Sondergutachtens herausgreifen. Im Frühjahr 1987 hat die Bundesregierung den Entwurf einer Verordnung zum Verbot der Chemikalie Pentachlorphenol, PCP, verabschiedet. Damit hat der Umweltminister erstmals seit Inkrafttreten des Chemikaliengesetzes von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen einzelnen Stoff zum Schutz des Menschen und der Umwelt vollständig zu verbieten. Das Verbot umfaßt auch PCP-haltige Zubereitungen, zu denen vor allem Holzschutz- und Imprägnierungsmittel sowie mit PCP behandelte Erzeugnisse wie Hölzer und Textilien gehören. Das Verbot von PCP dient sowohl dem Gesundheitsschutz als auch dem Umweltschutz, denn Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von PCP sind im Hinblick auf die möglichen Gefahren nicht ausreichend.
Wir wollen ein Verbot von PCP aus Gründen der Vorsorge, weil sich dieser Stoff weiträumig verteilt, überall in der Umwelt vorkommt, biologisch schwer abbaubar ist, stark giftig auf die Umwelt wirkt und Anhaltspunkte für chronisch schädigende Wirkungen bestehen, obwohl die gesundheitsschädliche Wir-



Schmidbauer
kung von PCP bislang wissenschaftlich nicht erwiesen ist. Problematischer sind dabei die als Verunreinigung von PCP vorkommenden Dioxine und Furane, und durch ein Verbot wird der Eintrag dieser Schadstoffe in die Umwelt verringert.
Nur: Das Inkrafttreten der Verordnung ist bisher an der EG gescheitert. Nachdem die Verordnung bei der EG notifiziert wurde, hat die Kommission einen Entwurf vorgelegt, dessen Regelungen weit hinter der Verordnung der Bundesregierung zurückbleiben. Dies ist ein sehr bedauerlicher Punkt, über den wir reden müssen; deshalb packe ich das hier einmal in diese Darstellung ein.
Bereits 1977 hat das Bundesgesundheitsamt empfohlen, Holzschutzmittel mit PCP nicht mehr in Aufenthaltsräumen zu verwenden. Nach der Gefahrstoffverordnung ist die Anwendung von PCP-haltigen Holschutzmitteln in Aufenthaltsräumen ausdrücklich verboten. In der Bundesrepublik Deutschland verwenden alle bedeutenden Hersteller von Holzschutzmitteln bereits seit Mitte 1985 Pentachlorphenole nicht mehr. In Holzschutzmitteln mit gültigem amtlichen Prüfzeichen ist kein PCP mehr enthalten. Dies gilt für Holzschutzmittel für Innenräume ebenso wie für solche, die im Freien verwendet werden.
Nun kommt das Problematische, und das sind die Importe, und zwar insbesondere die Einfuhr von im Ausland mit PCP behandelten Hölzern und Textilien. Ein ausländischer Hersteller — ich will ihn nicht nennen, aber ich hoffe, daß auch in dieser Abendstunde die Botschaft noch dorthin getragen wird — plant offensichtlich, PCP als Stoff über eine deutsche Tochterfirma in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr zu bringen. Ein derartiges Ausnutzen des umweltbewußten Verhaltens deutscher Hersteller werden wir nicht hinnehmen.
Die Notwendigkeit eines Verbots ist durch die Klärschlammproblematik verstärkt worden. Es läßt sich nicht ausschließen, daß das im Klärschlamm gefundene Dioxin teilweise aus PCP-Importen herrührt. Hier hilft deshalb nur ein Verbot weiter, das — ich habe das noch nie gesagt — notfalls im nationalen Alleingang durchgesetzt werden muß. Hier ist der Punkt.

(Lennartz [SPD]: Ganz neue Töne!)

— Entweder kennen Sie mich nicht genau oder Sie hören jetzt zum erstenmal zu.
Ich sagte und will es noch einmal deutlich sagen: Es scheitert an einigen Farben in dem Land, von dem ich gerade rede, das ich nicht genannt habe. Ich sagte, daß wir hier deutlich den nationalen Alleingang erproben müssen. Das Urteil des EuGH von dieser Woche im Hinblick auf eine Klage gegen Dänemark gibt uns Hoffnung, daß wir hier einen Ansatz finden. Ich weiß mich in dieser Frage mit dem Minister einig, daß hier unter Umständen eine weitere Nagelprobe gemacht werden muß. Wir haben es mit unserer Verordnung im Einwegflaschenbereich realisiert. Gegen alle Unkenrufe, gegen alles Lamentieren ist dies so geschehen. Ich habe deshalb heute bei dieser Gelegenheit auf diesen Punkt hingewiesen.
Die Reinhaltung der Luft in Innenräumen ist durch eine Vielzahl der verschiedensten Regelungen gewährleistet. Nur ein Punkt ist: Die Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung sind sehr zerstreut, Herr Minister. Nicht von ungefähr hält es der Sachverständigenrat für Umweltfragen für erforderlich, daß die ministeriellen und sonstigen administrativen Zuständigkeiten, wie es dort heißt, hinsichtlich Regelungen, die Emissionsquellen oder die Qualität der Innenraumluft betreffen, eindeutig bestimmt und bekanntgemacht werden. Hier brauchen wir eine gezielte Kompetenzzuweisung. Auch hier weiß ich mich mit Ihnen einer Meinung.
Das Gutachten hat auch ergeben, daß ein erheblicher Forschungsbedarf besteht. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat zu den Voraussetzungen für die lufthygienische Beurteilung der Innenraumluft, zu den Zusammenhängen zwischen Luftschadstoffen in Innenräumen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie zu Emissionsminderungen durch Produktionsverbesserung konkrete Vorschläge gemacht.
Schließlich muß im Rahmen der von den Koalitionsfraktionen beabsichtigten Reform des Umwelthaftungsrechts auch geprüft werden, ob und inwieweit im Bereich der Gesundheitsbeeinträchtigung durch Stoffe ein zusätzlicher Novellierungsbedarf besteht.
Umwelt und Gesundheit sind in Verbindung mit Arbeitsschutz und allgemeinem Gesundheitsschutz für uns so bedeutsam, daß wir die Bundesregierung auffordern, den Gesamtkomplex aufzuarbeiten und uns einen Bericht vorzulegen. Inhalt des Berichts sollten sein eine Übersicht über die derzeitige Rechtslage und entsprechende Regelungslücken im nationalen und im EG-Bereich sowie eine Übersicht über die derzeit bestehenden nationalen und internationalen Zuständigkeiten. Von der Bundesregierung erwarten wir vor allem Vorschläge zur Ausfüllung etwaiger gesetzlicher Regelungslücken und zur Schaffung einer größeren Transparenz der gesetzlichen Regelungen, zu einer zwischen Bund und Ländern koordinierten Forschungsförderung, dazu, ob und inwieweit die rechtliche Situation von Geschädigten im Schadenersatzbereich verbessert werden kann und — ein letztes — zur Verbesserung der Aufklärung der Bevölkerung, damit auch der einzelne unabhängig von gesetzlichen Verboten durch sein Verhalten zu seinem persönlichen Schutz und zur Beeinflussung des Marktes beitragen kann. Gerade der letzte Punkt scheint mir sehr wichtig zu sein; denn oftmals kann durch eine gute, gezielte Information auch hier Hilfe möglich werden.
Ich weiß, daß diese Forderungen, Herr Minister, auch dazu führen werden, daß wir Sie in Ihren Anforderungen unterstützen, die personelle Situation Ihres Ministeriums zu verstärken.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109425800
Das Wort hat der Abgeordnete Weiermann.

Wolfgang Weiermann (SPD):
Rede ID: ID1109425900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Gefahr der Luftverun-



Weiermann
reinigung in Innenräumen wurde bereits vor über 100 Jahren erkannt. Schon bei Professor Dr. Pettenkofer ist zu lesen, daß auf reine Luft in Wohnungen „Strenge zu halten ist, da schlechte Luft die Quelle vieler chronischer Leiden ist". Auch wenn es heute nicht mehr wie bei Pettenkofer ausschließlich um Infektionskrankheiten geht, bleibt seine Aussage nach wie vor richtig.
Wir wissen vielfach noch zu wenig über die Belastung der Innenraumluft mit Schadstoffen und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken. Aber das, was wir wissen und was der Sachverständigenrat in seinem Gutachten dargestellt hat, gibt Anlaß zur Sorge, und es erfordert endlich Vorsorgemaßnahmen der Bundesregierung.
Das Leiden derjenigen, die Holzschutzmittel angewandt haben, sollte uns aus der Vergangenheit allen eine Mahnung sein.
Obwohl viele Menschen bis zu 90 % ihrer Zeit in Innenräumen verbringen und obwohl die Schadstoffkonzentration in Wohnungen oder Büroräumen oft um ein Vielfaches höher ist als in der Außenluft, gibt es in diesem Bereich weder regelmäßige Messungen noch Grenzwerte zum Schutz der Gesundheit.
Viele Aktivitäten des Menschen tragen zur Schadstoffbelastung in Innenräumen bei. Manche sind besonders problematisch. Ich denke hier z. B. auch an das Rauchen oder an die Benutzung von Reinigungsmitteln, Insektensprays, Klebstoffen und anderen Chemikalien für den Haushalts- und Heimwerkerbedarf. Der Tabakrauch ist eine der bedeutendsten Ursachen der Luftverunreinigungen in den Innenräumen. In diesem Rauch kommen mehr als 2000 chemische Verbindungen vor. Viele dieser Substanzen sind für den Menschen gesundheitsgefährdend. Sie enthalten zu einem großen Teil krebserzeugende Stoffe, die nicht nur den Raucher als Verursacher, sondern auch den Nichtraucher als Passivraucher erheblich gefährden. Insbesondere in Fahrzeuginnenräumen führt das Rauchen der Insassen zu enormen Belastungsquellen in der Luft. Zur Vermeidung dieser Gefahren sind in erster Linie folgende Maßnahmen zu fordern:
Erstens: allgemeine Rauchverbote in öffentlichen Bereichen zu erlassen, wo sich Nichtraucher dem Passivrauchen nicht entziehen können.
Zweitens. Für den privaten Bereich muß der Bevölkerung durch weitere verstärkte Aufklärung die Gesundheitsgefährlichkeit des Aktiv- und Passivrauchens immer wieder nahegebracht werden. Der auf allen Verpackungen von Tabakerzeugnissen angebrachte Hinweis auf die Gesundheitsgefährdung durch Rauchen muß die Nichtraucher ausdrücklich einbeziehen. Der Hinweis muß erweitert werden und sollte lauten: „Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit und ebenfalls die Gesundheit Ihrer Mitmenschen".

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ebenfalls kann der gedankenlose Umgang mit sogenannten umweltfreundlichen Sprays ein besonderes Gefahrenpotential für die Innenluft sein. Ich denke hier nur an die Verwendung bestimmter Ledersprays, deren Anwendung unvertretbare gesundheitliche Risiken für Mensch und Haustiere bringt. Im gesamten Bereich der Haushalts- und Heimwerkerchemikalien sind verbesserte Kennzeichnung der Produkte und verbesserte Verbraucheraufklärung nötig.
Auch bei Umbauten, Renovierungen und Reparaturarbeiten im Innenbereich kommt es in der Regel zu verschiedenartigen Luftbelastungen in den Innenräumen. Viele Baumaterialien, Farb- und z. B. auch Klebstoffe enthalten immer noch giftige Substanzen, die von dem unkundigen Heimwerker nicht als Gefahrenquelle erkannt werden. Ich darf ein Beispiel nennen. So wird beim Verkleben von 120 Quadratmeter Teppichboden die Tuluol-Belastung der Luft um das Dreihundertfache erhöht. Messungen haben ergeben, meine Damen und Herren, daß selbst nach 50 Tagen die Ausgangskonzentration noch nicht wieder erreicht wurde.
Asbesthaltige Stoffe bergen nach wie vor hohe Gesundheitsrisiken. Die bisherigen Beschränkungen hinsichtlich der Verwendung dieses Stoffes sind zwar Schritte in die richtige Richtung, gehen aber nicht weit genug. Wir brauchen ein allgemeines Verbot der Verwendung von Asbestprodukten in Gebäuden und bei Sanierungsmaßnahmen, wo die Konzentration zu hoch ist. Das Verbot sollte z. B. umfassen: ab sofort keine Asbestzementprodukte im Hochbau, Herabsetzung des Emissionsgrenzwerts für Anlagen nach dem Stand der Technik, Festlegung eines Sanierungsrichtwerts in Höhe von 500 Fasern pro Kubikmeter, Einstufung von Asbest in die Gruppe 1 des Anhangs II zur Gefahrstoffverordnung usw. In diesem Zusammenhang verweise ich auf den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vom Juli 1988 zu „Maßnahmen zur Verringerung der Umweltbelastung durch Asbest" , den wir in diese Überlegungen einbringen wollen. Es hilft, meine Damen und Herren, heute kein Lamentieren, sondern es sind in der Tat Entscheidungen gefragt.
Aber auch Emissionen aus Polstern in Kfz-Innenräumen und Verkleidungsmaterial, aus Farben und Lacken, Reinigungs- und Pflegemitteln und Kraftstoffverdunstungen bergen erhebliche Gefahren für die Insassen. Deshalb sind Vorkehrungen zu treffen, um das Eindringen von Schadstoffen in den Kfz-Innenraum einzuschränken.
Ein bisher zu wenig beachtetes Problem stellt die Belastung von Innenräumen mit dem radioaktiven Edelgas Radon dar. Etwa 1 % der Bevölkerung erhält eine Strahlenbelastung der Lunge von 5000 mrem aus diesen Quellen. Der Sachverständigenrat fordert hier zu Recht, daß die entsprechenden Gebäude durch gezielte Messungen ausfindig gemacht und saniert werden müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das gleiche gilt für die Belastungen in Gebäuden, die auf kontaminierten Standorten errichtet wurden. Auch hier sind Messungen und gegebenenfalls Sanierungen erforderlich.
Meine Ausführungen zur Luftverunreinigung in Innenräumen können, meine Damen und Herren, nicht erschöpfend sein. Es wird noch viele Gefahren geben, die auch die Wissenschaftler bisher noch nicht er-



Weiermann
kannt haben. Ob unsere Möglichkeiten jemals ausreichen werden, alle für eine fundierte Bewertung nötigen Kenntnisse in absehbarer Zeit bereitzustellen, ist ungewiß. Bereits erkannte Gefahren sollten jedoch beseitigt werden oder, falls das noch nicht möglich sein sollte, schnellstens verringert werden.
Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren. Das Sondergutachten des Sachverständigenrates macht deutlich, daß die Belastung von Innenräumen mit Schadstoffen ein bisher sträflich vernachlässigter Bereich der Umweltschutz- und Gesundheitspolitik ist.
Meine Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion und ich fordern daher die Bundesregierung auf, aus den Empfehlungen der Sachverständigen endlich Konsequenzen zu ziehen. Aber Forschung darf auch in diesem Bereich kein Ersatz für das Handeln sein.
Unsere vorrangigen Forderungen sind:
In einer „technischen Anleitung — Innenraum" müssen für die wichtigsten Schadstoffe in Innenräumen Grenzwerte festgelegt werden. Der Sachverständigenrat regt an, daß diese Grenzwerte bei einem Zwanzigstel der Werte für gewerbliche Arbeitsplätze liegen sollten.
Es muß eine generelle und verständliche Kennzeichnungspflicht für die Inhalte, Wirkungen, Gefahren und Anwendungsempfehlungen für Haushaltsund Heimwerkerchemikalien vorgeschrieben werden.
Der Einsatz von gesundheitsgefährdenden, insbesondere von krebserzeugenden Stoffen in Haushaltschemikalien muß verboten werden.
Der Nichtraucherschutz muß durch Rauchverbote in öffentlichen Bereichen und an Arbeitsplätzen, wenn Nichtraucher exponiert werden, verbessert werden.
Durch Vorschriften zur Filterung der angesaugten Außenluft muß die Belastung von Kraftfahrzeug-Innenräumen reduziert werden.
Gebäude, die durch kontaminierte Standorte (Altlasten), durch Verwendung asbesthaltiger Baumaterialien, durch das radioaktive Edelgas Radon oder andere Schadstoffe in problematischer Konzentration belastet sind, müssen durch systematische Untersuchungen erfaßt und saniert werden.
Nur wenn diese Vorsorgemaßnahmen unverzüglich ergriffen werden, kann gewährleistet werden, daß der Aufenthalt in Innenräumen für die Gesundheit nicht gefährlicher ist als der Aufenthalt im Freien.
Ich komme zum Schluß. Ich weiß, daß die GRÜNEN einen Antrag vorgelegt haben. Wir bitten Sie von der Fraktion DIE GRÜNEN, nicht darauf zu bestehen, daß schon heute darüber abgestimmt wird. Wir beantragen das, was das Haus ohnehin vorsieht: Überweisung an die entsprechenden Ausschüsse.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109426000
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1109426100
Herr Präsident! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen!
Mit dem Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen „Luftverunreinigungen in Innenräumen" liegt ein Papier vor, das auf ein Stiefkind des Umweltschutzes verweist. Dies ist verwunderlich, denn man muß doch einmal sehen, daß wir alle die Luftqualität von Büro- und Wohnräumen täglich genießen dürfen. Dadurch wird klar, daß wir uns hier mit einem ganz zentralen umweltpolitischen Thema beschäftigen.
Es ist erstaunlich, wenn man einmal genauer betrachtet, aus welchen Quellen Schadstoffe emittieren, die unsere Luft in Innenräumen verseuchen. Das geht vom Tabakrauch über Feuerstellen, über Reinigungs- und Pflegemittel, über Baumaterialien, Gebrauchsartikel und Werkstoffe für Heimwerker, Mikroorganismen und Allergene, die zu einer Luftverschlechterung in Innenräumen beitragen. Sogar Klimaanlagen können zur Luftverseuchung in Räumen führen. Die Fülle dieser Quellen zeigt deutlich, wie schwierig hier eine umfassende Reduzierung ist. Daß sie nötig ist, steht außer Frage, beachtet man die gesundheitliche Bewertung der von den genannten Quellen ausgehenden Schadstoffe.
Das Sachverständigengutachten mit seinem Thema „Innenräume" behandelt ein außerordentlich komplexes Gebiet. Betroffen sind viele Politikbereiche, ich nenne hier nur etwa Gesundheit, Arbeit, Wirtschaft, Verkehr und Forschung. Unsere Kollegen aus den anderen Ausschüssen sind herzlich eingeladen, intensiv dieses Gutachten zu beraten.
Der Sachverständigenrat gibt eine Fülle von Hinweisen und Empfehlungen zu vielen verschiedenartigen Themen, so daß es sicherlich wünschenswert wäre, wenn die Bundesregierung hierzu eine Stellungnahme abgeben könnte, sie also etwa eine Art Übersicht darüber gäbe, was nach ihrer Auffassung aus dem Gutachten für Konsequenzen gezogen werden müssen und welche Schwerpunkte die Bundesregierung bei dem Thema Luftverunreinigung in Innenräumen künftig setzen will.
Zum Tabakrauch weise ich auch auf das Passivrauchen hin. Gerade bei Kranken mit koronaren Durchblutungsstörungen, Asthma — wir wollen hier die Raucher nicht so scharf angucken; ja, ja; Sie wissen schon, wer gemeint ist, Herr Schmidbauer — oder Allergien kann schon eine kurzfristige Aussetzung mit Tabakrauch zur Verschlechterung des Gesundheitszustands führen.
Obwohl ich als Liberale grundsätzlich gegen staatliche Verbote bin, bin ich auch als Liberale dafür, daß man eigenverantwortlich nur die eigene Gesundheit aufs Spiel setzen darf, nicht aber die Gesundheit anderer.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie des Abg. Schmidbauer [CDU/CSU])

Aus diesem Grundsatz folgt, daß besonders für öffentliche Gebäude geprüft werden sollte, ob man ein generelles Rauchverbot ausspricht und den Rauchern ganz bestimmte Raucherräume zur Verfügung stellt. Leider ist Frau Blunck nicht mehr da.

(Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD])




Frau Dr. Segall
— Ja, ich weiß. Wir machen da eine unheilige Allianz auf.
Einem anderen Bereich sollte ebenfalls verstärkte Beachtung geschenkt werden. Kraftfahrzeuge verpesten nicht nur die äußere Luft, sondern es kommt insbesondere in den Fahrzeuginnenräumen zu einem erhöhten Kohlenmonoxidgehalt der Luft, etwa im Stau, in Tunnels oder in Unterführungen. Es geht soweit, daß es bei bestimmten Kohlenmonoxidkonzentrationen im Blut — dabei reicht schon eine Konzentration von 2,5 bis 5 % aus — zu Störungen des zentralen Nervensystems kommt und die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sein kann.
Besonders gefährlich ist dies bei Personen, die an Durchblutungsstörungen leiden. Dies wird deshalb besonders gefährlich, weil sich diese Personen ihrer Krankheit nicht bewußt sind und darum gleichsam als „fahrende Zeitbomben", die bei einem möglichen Herzinfarkt „in die Luft gehen können", herumfahren. Zugegeben: eine etwas plastische Kennzeichnung. Aber diese plastische Kennzeichnung trifft die Sache. Wenn etwa ein an Durchblutungsstörungen leidender Lkw-Fahrer staubedingt täglich einer erhöhten Kohlenmonoxidbelastung ausgesetzt ist und dann noch gefährliche Güter transportiert, handelt es sich um eine Zeitbombe.
Dieses Beispiel zeigt, daß wir uns nicht mit einer umweltpolitischen Nebensächlichkeit beschäftigen. Alle technischen Verbesserungen, wie sie nach dem Unglück in Herborn gefordert wurden, helfen nichts, wenn wir nicht auch den Risikofaktor Mensch kontrollieren. Der Mensch wird aber zunehmend zum Risikofaktor, weil er Umweltbelastungen ausgesetzt ist, die seine Funktionstüchtigkeit beeinträchtigen.
Wie ist nun Abhilfe zu schaffen? Beim Tabakrauch bin ich, wie gesagt, mit dem Sachverständigenrat der Ansicht, daß Rauchverbote zu erlassen sind für öffentliche Bereiche, wo sich Nichtraucher dem Passivrauchen nicht entziehen können, für Arbeitsplätze, wenn Nichtraucher exponiert werden, für Schulen wegen der höheren Schutzpflicht des Staates gegenüber Minderjährigen.
Auch bei der Reduzierung der Luftbelastung in KfzInnenräumen sollten die vorhandenen Möglichkeiten genutzt werden. Die „dicke Luft im Auto " kann nämlich wirksam reduziert werden: Schon nach dem heutigen Stand der Technik können durch derartige Filter alle Partikel zurückgehalten werden, die größer als ein Fünftausendstel Millimeter sind. Durch eine recht einfache Maßnahme kann also die Lebensqualität im Innenraum von Fahrzeugen erheblich verbessert werden. Ein europäischer Automobilhersteller baut diese Filter bereits serienmäßig ein. Daher meine ich, daß auch alle anderen Automobile mit derartigen Filtern ausgerüstet werden sollten.
Lassen Sie mich nochmals hervorheben, daß Luftverunreinigungen in Innenräumen zu einer gefährlichen Belastung der Menschen führen können und ihre Reduzierung eine wichtige umweltpolitische Aufgabe darstellt.
Das Sachverständigengutachten zeigt Handlungsbedarf in außerordentlich vielen Bereichen auf. Vieles davon haben wir uns ohnehin für diese Legislaturperiode vorgenommen. Ich nenne hier die vorgesehene Novellierung des Chemikalienrechts. Da wir uns schon am kommenden Montag in einer umfangreichen Anhörung des Umweltausschusses mit dieser Gesamtproblematik befassen werden, weise ich hier nur auf einige mir wichtig erscheinende Punkte hin, nämlich auf die Notwendigkeit der verbesserten Kennzeichnung von Chemikalien und anderen Produkten, die Erleichterung der Erfassung von Altstoffen und die Senkung der Schwelle für Verbote und Beschränkungen.
Auch im Forschungsbereich werden wir uns stärker als bisher den Zusammenhängen zwischen chemischen und physikalischen Eigenschaften der Luft in Innenräumen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen widmen müssen. Dies kann nicht zuletzt zu entsprechenden Konsequenzen bei Entwicklung und Herstellung von Produkten, die für die Innenraumluft relevant sind, führen.
Ich möchte noch zu dem erst jetzt vorliegenden Antrag der GRÜNEN Stellung nehmen. Wir können hier heute abend leider nicht zustimmen. Es sind so viele differenzierte Aussagen über Grenzwerte und Fristen darin enthalten, die wir heute abend so ad hoc wirklich nicht beschließen können. Ich denke z. B. an Asbest. Es bestehen auch Gefahren, wenn wir zu schnell Fristen, die wir der Industrie einmal gesetzt haben, zurücknehmen. Ich weiß, daß Sie am liebsten von heute ab sofort alles haben möchten. Das geht leider nicht. Wir meinen, wir sollten hier eine Politik betreiben, die es der Industrie noch ermöglicht, sich anzupassen.
Zum Schluß möchte ich den Ältestenrat darum bitten zu prüfen, ob sich auch der Ausschuß für Verkehr mit der Luftverschmutzung in Innenräumen befassen sollte. Heute vormittag hat man sich ja auch mit der Erhöhung der Sicherheit von Lkw-Transporten, insbesondere beim Transport von Sonderabfällen und Gefahrgut, beschäftigt. Der Ausschuß für Verkehr sollte bei seinen Sicherheitserwägungen die beschriebene Gefährdung durch Kohlenmonoxid und ihre Verhinderung prüfen.
Ich danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109426200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Garbe.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109426300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Manch einer schnüffelt gerne dran, andere halten sich die Nase zu. Sie, verehrte Kollegen und Kolleginnen, haben es sicher auf dem Schreibtisch stehen und ahnen, wovon ich rede. Tipp-ex begleitet uns seit Jahrzehnten, der praktische Haushaltsweißer — zumindest für die kleinen schwarzen Tippfehlerteufelchen.
Wir sind den Umgang mit Chemikalien im Haushalt seit Jahrzehnten gewöhnt. Wir belasten unsere Innenräume mit Dämpfen und Abgasen, über die wir uns allzuwenig Gedanken machen. Tipp-ex enthält 1,1,1Trichloräthan. Nun könnte ich ja sagen, das macht ja nichts, das merkt ja keiner, um mit Scheibner zu sprechen. Und außerdem schreiben die ja jetzt sogar schon



Frau Garbe
auf die Verpackung, was drin ist — und das auch noch freiwillig.
1, 1,1-Trichloräthan steht zwar noch nicht in der Liste der krebserzeugenden Arbeitsstoffe. Aber das ist offensichtlich nur eine Frage der Zeit. Denn: 1,1,2Trichloräthan, Trichlorethen und Trichlormethan sind bereits in der Liste der Stoffe mit begründetem Verdacht auf krebserzeugendes Potential aufgeführt.
Diese Chemikalien und viele andere Problemlüfte sind in unserer täglichen Innenraumluft. Hierüber eine systematische Begutachtung vorzunehmen war überfällig. Der Bundesregierung und dem Rat von Sachverständigen für Umweltfragen ist zu danken, daß nunmehr eine fundierte Zusammenstellung des Wissens um die Belastungen und Problemstoffe in unserer Innenraumluft auf dem Tisch liegt. Das Ergebnis allerdings ist deprimierend.
Seit 1971 eine systematische Umweltpolitik endlich institutionalisiert wurde, trat man der Belastung unserer Atemaußenluft mit Stickoxiden, Schwefeldioxiden, Ozon, Ruß und anderen Schadstoffen mehr oder weniger vehement entgegen, und die gemessenen Immissionen dieser Stoffe sind, was die Spitzenwerte in den Hauptbelastungsgebieten anlangt, für einzelne Schadstoffe heruntergedrückt worden, andere wie Ozon und Stickoxide steigen jedoch immer noch beständig.
Einen Blick in das Gutachten werfend, müssen wir feststellen: Die Behörden haben geschlafen, und wir aus den Bürgerinitiativen haben offensichtlich auch nicht genug Druck gemacht. Denn Tatsache ist, daß dort, wo überhaupt mal Innenraumluft untersucht wurde, die Konzentration an Schadstoffen und Schadgasen in der Innenraumluft ein Vielfaches der Außenluftschadstoffkonzentration beträgt. Das ist alarmierend, und insofern ist dieses Gutachten ein wichtiges und hilfreiches Instrument für unsere weiteren Bemühungen.
Aber, meine Herren und Damen, nun kommt das Aber: Der Sachverständigenrat beläßt es bei der Analyse und hebt den moralischen Zeigefinger. Die empfohlenen Maßnahmen sind zahm wie ein Lämmchen, und die Bundesregierung wird auch nicht getreten, endlich etwas zu tun. Alle können es sich also wieder in ihren Kuschelecken bequem machen.
Der Handlungsbedarf wird vom Sachverständigenrat individualisiert: Paßt auf, daß die Kinder nicht mitrauchen; denn der Nebenstromrauch ist schlimmer als gedacht, wir haben bislang falsch gemessen. Der Metabolit Cotinin weist nach, daß die Nichtraucher durch anwesende Raucher zehnmal so stark belastet werden, wie man bislang am Nikotin meinte ablesen zu können.
Die zweite Handlungsanweisung des Sachverständigenrats für Umweltfragen heißt: Lüften, dann wird alles besser.
Meine Herren und Damen, die beiden Resümees sind wichtig. Das Rauchen ist schlimm, und mitrauchen zu müssen ist furchtbar, gerade auch bei uns,

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

gerade auch für wehrlose Kinder. Wir haben entsprechende Anträge eingebracht, um die Situation für
Nichtraucher zu verbessern. Insofern kann das, was der Sachverständigenrat fordert, nur unterstrichen werden. Aber das reicht nicht.
Es reicht nicht für die Holzschutzmittelgeschädigten, für die Millionen von Allergikern. Im Chemikalienmarkt, bei den Haushaltschemikalien, bei den Baustoffen, bei den Klebern, bei den Lacken, da muß durchgegriffen werden.

(von der Wiesche [SPD] und Frau Hämmerle [SPD]: Ja!)

Die vom Sachverständigenrat geforderte Kennzeichnungspflicht ist wichtig, wird auch von uns gefordert. Aber die Gefahren durch die Chemikalien sind dadurch nicht zu bannen.
Das PCP aus den kleinen Obstkisten, die importiert werden, die in vielen Kellern rumstehen und — noch viel schlimmer — auch noch verbrannt werden, ist hier zu nennen. Die PCBs — „B", weich wie Berta — tropfen aus den alten Leuchtstoffröhren. Bis 1982 wurden sie in den Kondensatoren routinemäßig verwendet.
Das krebserzeugende Formaldehyd wird in Haushalten in Konzentrationen eingeatmet, die am Arbeitsplatz nicht erlaubt wären. Die Sanierung asbestverseuchter Gebäude wird durch die Tatsache konterkariert, daß die Bundesregierung zur Zeit jährlich 70 000 t Asbest Verwendung finden läßt, statt Asbest nach § 17 Chemikaliengesetz endlich einem Anwendungsverbot zu unterwerfen und ein Programm zur Sanierung asbestverseuchter Gebäude einzuleiten. Das geht nicht von heute auf morgen, aber man muß die Richtung sehen.
So ließe sich die Liste der Stoffe, die innenraumluftrelevant sind, fortführen. Hier glänzt die Bundesregierung durch Untätigkeit. Hier hat aber auch, wie gesagt, der Sachverständigenrat sich enthaltsam erwiesen.
Wir bringen nun, meine Damen und Herren, um punktuell wenigstens die Bundesregierung etwas anzutreiben, hier einen Entschließungsantrag zur Verringerung der Innenraumluftbelastung ein. Umfangreiche Anträge unserer Fraktion zu diesem Schadstoffproblem schmoren in den Ausschüssen, obwohl doch dringender Handlungsbedarf besteht. Wir möchten die heutige Gelegenheit nutzen, die Meinungsbildung in wenigen dringlichen Fragen wenigstens einer Entscheidung zuzutreiben. Ich hoffe, Sie stimmen mit uns, damit unsere Wohnungen, unsere Büros Reinluftgebiete werden und nicht Stätten übler myasmatischer Ausdünstungen bleiben.
Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, Sie werden mir Recht geben: Es besteht dringender Handlungsbedarf, vor allem im Umgang mit Asbest und Perchlorethylen. Perchlorethylen ist während der Beratungsdauer der betreffenden Anträge in den Ausschüssen als krebserregender Stoff eingestuft worden. Wir GRÜNEN haben daran ein gerüttelt Maß mitgewirkt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

PER hat krebserzeugende Eigenschaften. Das ist klar. Die verschiedensten Gremien, Parteien, Arbeitsgruppen, der Bundesrat und die UMK, also die Um-



Frau Garbe
weltministerkonferenz, haben verlauten lassen, daß die Betroffenen durch emissionsmindernde Maßnahmen und Grenzwerte für PER in Lebensmitteln und der Innenraumluft zu schützen seien. Bis heute ist nichts, aber auch gar nichts passiert. Dies könnte heute doch korrigiert werden.

(Lennartz [SPD]: Jawohl!)

Sie werden mir Recht geben: Es besteht dringender Handlungsbedarf. Deshalb möchte ich über den Entschließungsantrag, den wir vorgelegt haben, jetzt gleich abstimmen lassen. Diese Entschließung wieder in die Ausschüsse zu überweisen heißt, kostbare Zeit zu verlieren und dies bewußt in Kauf zu nehmen. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß wir das nicht mehr leisten können.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109426400
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109426500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unter den Umwelt- und Gesundheitsschutzaspekten, die uns beschäftigen und auf deren Lösung wir hinarbeiten, ist das Thema Luftverunreinigung in Innenräumen erst in den letzten Jahren in den Blickwinkel der Öffentlichkeit gerückt. Dies überrascht sicherlich; denn für den Menschen in unseren Klimazonen ist der Innenraum die eigentliche unmittelbare Umwelt. Trotzdem ist die Qualität der Luft in nichtgewerblichen Innenräumen erst seit etwa zehn Jahren Gegenstand intensiverer Untersuchungen, obwohl wir an den Arbeitsplätzen mit den MAK-Werten schon eine sehr viel längere Tradition haben.
Fragt man nach diesem späten Interesse an der Innenraumluftbelastung, so gibt es dafür eine ganze Reihe von Gründen. Einer liegt sicherlich darin, daß die Vordringlichkeit der Außenluftprobleme in den zurückliegenden Jahren — tatsächlich sind die Schadstoffmengen dort ja auch ungleich größer — uns sehr stark beschäftigt hat.
Meine Damen und Herren, es ist bemerkenswert, daß die erstmalige Erörterung der Innenraumluftproblematik eine etwas unterdurchschnittliche Berücksichtigung findet. Aber wir werden in den Ausschüssen sicherlich noch sehr viel Gelegenheit haben — ich möchte dem Abgeordneten Bachmaier sehr herzlich Recht geben —, uns damit ernsthaft weiter zu beschäftigen. Es ist traurig, daß die Beschäftigung in diesem Hohen Hause mit diesem Thema zu einer sehr ungünstigen Zeit passiert. Denn vieles von dem, was damit verbunden ist, betrifft eben gerade den einzelnen Bürger draußen sehr viel stärker als viele andere Dinge.

(Frau Traupe [SPD]: Fragen Sie einmal Ihre Fraktion, warum wir das so spät machen!)

— Ich klage doch niemanden an; ich wollte nur über die aufkommende Unruhe hinweg etwas anderes gesagt haben. Das war der Grund, wenn Sie es genau wissen wollen.
Es gab also ganz sicherlich viele Gründe dafür, daß die Außenluft im Vordergrund stand, etwa unter dem Gesichtspunkt von Waldschäden, etwa unter dem Gesichtspunkt von großen Belastungen auch der Böden, ganz sicher aber auch wegen der Tatsache, daß der Innenraum in höherem Maße Privatsphäre ist und daß man der Meinung ist, dort alles von seinen eigenen privaten Entscheidungen abhängig machen zu können.
In der Vergangenheit hat es dramatische Formen der Schadstoffbelastung gegeben, etwa die Kohlenmonoxidvergiftungen, die auf Gas oder auf unzureichende Feuerungsanlagen zurückzuführen waren. Auch ist ganz sicher das zu unterstreichen, was die Abgeordnete Frau Segall hier ausgeführt hat. Innenräume sind nicht nur Wohnräume im engeren Sinne, sondern auch etwa im Auto sind Innenraumluftbelastungen ganz erheblich mit zu berücksichtigen, und zwar auch unter dem Aspekt, daß unsere Autos immer stärker kunststoffhaltig werden und daß von daher nicht nur die von außen zugeführte Luft mit den Abgasen, sondern auch die in den Autos verarbeiteten Materialien eine Rolle spielen.
Wir sind natürlich auch einfach deswegen ein Stück weitergekommen, weil die Analytik, die Toxikologie und die Epidemiologie eine erhebliche Fortentwicklung gefunden haben. Vieles, was wir heute analysieren, war sicher auch früher belastend in der Luft; nur wurde es eben nicht analysiert, weil wir es bis in die Spurenanalytik hinein gar nicht nachvollziehen konnten. Sicherlich sind auch — ich komme darauf zurück, Frau Garbe — viele neue Belastungspfade entstanden, aber man muß ehrlicherweise doch sagen, daß es eine Kombination beider Bereiche gibt und daß wir viele Stoffe, die wir über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg als unproblematisch angesehen haben, durch die Analytik eben erst später in ihren negativen Seiten aufgedeckt haben. Ich will damit überhaupt nicht bagatellisieren, sondern nur noch einmal auch auf diesen Zusammenhang hinweisen.
Meine Damen und Herren, woher kommen diese vielfältigen neuen Dinge? Wir haben neuartige Baustoffe. In ganz besonderer Weise unterstreiche ich das, was hier im Blick auf Radon gesagt worden ist. Wir haben diese Diskussion jetzt international vor uns. Auch in der Bundesrepublik Deutschland gibt es Regionen mit einer deutlich höheren Radonbelastung, und es gibt auch Baustoffe, die eine gewisse Radonbelastung mitbringen.
Es ist ganz sicher richtig, hier auch die Querverbindungen zu den Allergien anzusprechen. Auch das ist ein Feld, das noch weiter intensiver Erforschung bedarf, wo aber auch heute schon Handlungsbedarf abgeleitet werden muß.
Ich greife gern das Thema „Tabakrauch" mit auf. Ich glaube, daß auch dies ein Beleg dafür ist, daß wir uns an vielen Stellen mit den von der Industrie ausgehenden Belastungen sehr viel intensiver beschäftigen als mit denen, die von unseren eigenen Handlungen bewirkt werden. Ich denke, daß man über diese Frage nicht hinweggehen kann.

(Lennartz [SPD]: Seit wann sind Sie Nichtraucher?)




Bundesminister Dr. Töpfer
— Herr Abgeordneter Lennartz, ich wollte darauf aufmerksam machen, daß ich vor anderthalb Jahren mit den Hinweis, man bräuchte so etwas wie einen Raucherpfennig, in dieses Amt gekommen bin. Dafür habe ich bei allen Parteien keine Resonanz gefunden. Man hat mir gesagt, dies sei auch ärgerlich, denn ich sei seit drei oder vier Jahren Nichtraucher — ich bin also entgegen einer Aussage im „Spiegel" , in dem man mich zu einem starken Raucher gemacht hat, Nichtraucher — und hätte deswegen den Raucherpfennig erfunden. Ich darf auch hier in allem Ernst darauf hinweisen: Es geht auch um das Passivrauchen, und schon deswegen müssen wir das viel ernster nehmen. Deshalb sind bis in mein eigenes Ministerium hinein Entscheidungen, daß man auf andere mit Rücksicht nimmt, getroffen worden.
Mir scheint, daß wir bei den Holzschutzmitteln das aufgreifen sollten, was der Herr Abgeordnete Schmidbauer gesagt hat. Es ist für mich schon ein gutes Stück Ärgernis, daß unsere Verbotsverordnung für PCP im europäischen Bereich nicht akzeptiert worden ist. Ich bin ja von dem zuständigen EG-Kommissar mit dem Hinweis angeschrieben worden, daß man einen entsprechenden nationalen Alleingang nicht hinnehmen, sondern uns verklagen wird. Gerade mit Blick auf die neuen Erkenntnisse der Belastungen von Klärschlämmen mit Dioxin, die uns ein ganz erhebliches zusätzliches Abfallproblem gebracht haben, bin ich aber der Meinung, daß wir sehr nachhaltig noch einmal darüber entscheiden müssen, ob wir nicht trotz dieser deutlichen Warnung und trotz der angesprochenen Vorbehalte der EG-Kommission diesen nationalen Alleingang unternehmen. Ich weiß, daß wir damit viel, viel Ärger — auch mit unseren nationalen Nachbarn — bekommen werden, aber ich meine, wir sollten das wirklich einmal durchziehen und probieren.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Probleme damit nicht unmittelbar beseitigt sind, denn es ist ja selbst angeführt worden, daß PCP bei uns nicht produziert und auch nicht mehr angewandt wird. Aber wir haben viele Stellen, über die wir es importieren. Wir importieren es über die entsprechend imprägnierten Hölzer aus Obstkisten oder ähnlichem. Wir importieren es an vielen, vielen Stellen über Textilien, die wir einführen, die gegen Pilzbefall damit behandelt sind. Deswegen ist es eine Sache, zu sagen, daß wir den nationalen Alleingang machen und PCP verbieten, und es ist eine andere Sache, dies auch wirklich über den Importweg einigermaßen vernünftig dann auch abzustellen. Diese Konsequenzen sind es, die man bedenken muß. Aber wenn ich jetzt sehe, daß wir flächendeckend eine nicht irrelevante Vorbelastung von Klärschlämmen mit Dioxinen haben, und mir die Wissenschaft sagt, vornehmlich sei es wohl PCP-bezogen — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Was ist das?)

— PCP heißt Pentachlorphenol. Es ist erfreulich, daß an dem späten Abend nicht nur die sonst bei der Umweltdebatte Anwesenden da sind; deswegen sollte man das auch noch mal ergänzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei allen Fraktionen — Schily [GRÜNE]: Da sehen Sie, was so eine Ankündigung bewirkt! Damit haben Sie richtige Zuhörer! Sie müssen uns dankbar sein!)

— Herr Abgeordneter Schily, ich weiß gar nicht wie dankbar ich Ihnen sein soll.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nur einige Worte zu dem Asbestantrag sagen. Hier wird gesagt: Da sind noch 70 000 Tonnen Asbest, die pro Jahr Verwendung finden. Es wird aber nicht dazugesagt, daß die Verwendung von Asbest in Innenräumen schon seit längerer Zeit verboten ist. Es wird nicht dazugesagt, daß schon mein Vorvorgänger im Amt eine entsprechende freiwillige Vereinbarung mit der Industrie getroffen hat, mit dem Ergebnis, daß wir im nächsten Jahr die Verwendung von Asbest im Hochbau überhaupt nicht mehr haben, und daß das, was jetzt noch an Asbest da ist, vornehmlich, fast ausschließlich Asbest im Tiefbau ist, und daß sich bis zur Stunde die Meinungen wirklich noch nicht verändert haben, daß die Verwendung etwa in Asbestwasserrohren zu Problemen führen könnten, wenn nicht bestimmte Qualitätsprobleme mit dem Wasser vorhanden sind. Das sollte man dann wirklich dazusagen.
Ich muß Ihnen auch dazusagen, daß wir in wichtigen Bereichen auch schon gehandelt haben. Wir haben beispielsweise kaum noch Asbest in Bremsbelägen. Das ist eine ganz wichtige Tatsache, weil wir die Grenzwerte,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Aber viele Jahre zu lange!)

die sie hier aufgeführt haben, nicht mehr nur in Innenräumen haben. Dann müßten wir eine große Kreuzung in der Hamburger Innenstadt verbieten, weil die nämlich höhere Belastungswerte mit Asbest hat als die, die sie hier aufgeschrieben haben.
Von daher bin ich wirklich der Meinung: Lassen Sie uns hier nicht über solche Anträge in einem Schnellverfahren entscheiden, sondern im zuständigen Ausschuß in Ruhe und mit Sachlichkeit diskutieren. Ich glaube, dann kommen wir ein ganz gutes Stück voran.
Meine Damen und Herren, natürlich wissen wir, daß uns darüber hinaus auch eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen ins Haus stehen. Wir haben in der Zwischenzeit mit den verschiedenen Ressorts, die hier betroffen sind, eine Arbeitsgruppe gebildet. Wir werden dem Hohen Haus einen entsprechenden Bericht auch mit den Maßnahmen — so wie das von der CDU/ CSU-Fraktion hier angefordert wurde — vorlegen. Ich bin herzlich dankbar dafür, daß man sieht, daß auch auf diesem Feld eine außerordentlich personalintensive Arbeit bezüglich der Altstoffe und in der Frage, wie wir möglichst frühzeitig Informationen über diese Stoffe gewinnen, die wir dann als Informationen an unsere Bürger weitergeben können, erforderlich ist.
Ich hoffe, daß diese Diskussion die Ausgangslage dafür war, auch das lange stiefmütterlich behandelte Thema der Innenraumluft intensiv und sachlich, aber auch mit Nachdruck zu behandeln.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109426600
Meine Damen und Herren, bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich die Geschäftslage klären. Wir haben über die Vorlage, die gemäß dem Vorschlag des Ältestenrats an die aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden soll, und über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2951 abzustimmen. Die GRÜNEN haben beantragt darüber abstimmen zu lassen. Mehrere Redner haben den Vorschlag gemacht, an die Ausschüsse zu überweisen. Ich frage, ob Sie auf Abstimmung in der Sache bestehen. Ohne Zustimmung der Antragsteller kann eine Überweisung an die Ausschüsse nicht erfolgen; dann müßte über den Entschließungsantrag selber abgestimmt werden.
Dann lasse ich zunächst über die Überweisung der Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig erfolgt.
Dann lasse ich über den Entschließungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 11/2951 abstimmen. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Freitag, den 23. September 1988, um 9 Uhr ein und wünsche Ihnen allen einen vergnüglichen und erholsamen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.