Rede von
Erwin
Stahl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde soll die langjährige, teils beschwerte und mit zahlreichen Finessen angereicherte Diskussion über eine Phase der Energieforschung weiterführen, weil wieder einmal das Geld ausgegangen ist. Die neuen „Wartekosten", über die wir hier reden, belaufen sich pro Jahr auf 105 Millionen DM. Ich füge hinzu, verehrter Herr Kollege Laufs: Der Gesamtumsatz der Stromwirtschaft in der Bundesrepublik liegt bei 93 Milliarden DM/Jahr. All denen im Deutschen Bundestag, die schon immer alles besser wußten und den Reaktor ablehnten, wird diese Aktuelle Stunde eine leichte Genugtuung verschaffen, aber denen, die die Brutreaktorlinie für vertretbar hielten und auch noch halten, soll wohl aufgezeigt werden, daß sie unverantwortlich handelten und heute handeln.
Meine Damen und Herren, ich meine, so einfach ist das Thema nicht. Als Ingenieur gehöre ich
zu den Abgeordneten, die Vertrauen in die Fortentwicklung der Energietechnik zur Lösung unserer Energie- und Umweltprobleme haben. Ich gehöre zu denen, die der Entwicklung der Technik, auch der Brütertechnologie, gerne eine Chance geben würden.
Aber ich muß zur Kenntnis nehmen, daß ein großer Teil derer, die die Schnellbrutreaktorlinie bislang als notwendig erachtet haben, verehrter Herr Laufs, dieser Reaktorlinie in den nächsten 30 bis 40 Jahren unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten keine Chance des Einsatzes einräumen. Dabei ist derzeitig offensichtlich, daß ein großer Teil von Wirtschaftsfachleuten die Geschehnisse mit Skepsis verfolgen, ohne ihre Meinung öffentlich zu sagen; sie schauen sozusagen als Unbeteiligte zu. Meine Damen und Herren, diesen Opportunismus in den Chefetagen der Unternehmen halte ich, ob am Ende dieses neuen Prozesses nun ja oder nein steht, für verfehlt.
Ich habe den Eindruck, sie werden ihrer Verantwortung nicht gerecht.
Ich stimme dem Bundesforschungsminister und dem Umweltminister zu, die sagen, der Schnellbrutreaktor darf kein Staatsreaktor werden. Es liegt mir heute fern, verehrte Kollegen von den Regierungsparteien, an die kräftigen Ausdrücke vieler Parlamentskollegen aus Ihren Fraktionen in den Debatten zu erinnern, da sie heute Regierungsverantwortung tragen. Was haben Sie damals nicht alles gesagt, was Sie besser, was Sie schneller machen wollten. Führen Sie jetzt nicht — vom Thema abgehend — allein die nordrhein-westfälische Landesregierung an! Die Wirtschaft, vor allem ihre Spitzenleute in der Energiewirtschaft, für deren Unternehmen die Forschung und Entwicklung betrieben wurde, werden angesichts der neuen Fakten schweigsam. Natürlich kann sich jeder, der in Forschung und Entwicklung tätig ist, über einen so langen Zeitraum irren. Oder anders gesagt: Neue, andere Fakten können die vor Jahren vorhandene Situation heute in ein anderes Licht stellen. Nicht umsonst sagen wir Bergleute: Vor der Hacke ist es duster.
Aber, meine Damen und Herren, wenn das so ist, gilt das natürlich auch für die Politik, verehrte Frau Garbe. Da hilft auch nicht der neu aufgewärmte Vorschlag, diese Reaktorlinie als Plutoniumverbrennungsanlage zu betreiben. Der Fachkundige weiß, daß man Pu als Brennstoff in den Leichtwasserreaktoren voll rezyklieren kann. Außerdem müssen aus der Wiederaufarbeitung in Frankreich in den nächsten Jahren größere Mengen abgenommen und teuer bezahlt werden.
Ich meine, es ist an der Zeit, daß die zur Zeit verdeckten Karten der langfristigen Energiepolitik am Spieltisch aufgedeckt werden, damit mit einem verstärkten Willen zum Konsens einzelne Punkte der Energiepolitik ernsthafter geprüft, abgelegt oder entschieden werden.
Dabei muß die Bundesregierung folgende Fragen schnell aufarbeiten und beantworten.
Erstens. Genügen allein forschungspolitische Aussichten dieses Reaktors, um für die nächsten 30 Jahre diesen Bereich der Technologie aufrechtzuerhalten,
um Gelder von Staat und Wirtschaft, die über den Preis vom Bürger aufgebracht werden, aufzuwenden, um diese Technologie für diesen langen Zeitraum — so sage ich nochmals — aufrechtzuerhalten?
Zweitens. Welche Kosten kommen auf uns zu, wenn sich nach einigen Jahren der jetzt wohl weiter von der Regierung eingeschlagene Weg als Sackgasse erweist?
Drittens. Ist es bei den günstigen Uranpreisen nicht auf Dauer notwendig, auch hier z. B. über die Wiederaufarbeitungsanlage zu sprechen?