Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 3 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur Verwendung der Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit aus Beitragsmitteln der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zugunsten von Arbeitslosen
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt: 2,2 Millionen registrierte Arbeitslose, 1,3 Millionen Arbeitslose, die keiner mehr zählt, die sogenannte stille Reserve. Oder andersherum gesagt: Seit Sie regieren, jedes Jahr Ihres Handelns oder Nichthandelns 300 000 Arbeitslose mehr. Die manipulationsbereinigten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit von heute werden nichts anderes signalisieren.
100 000 Jugendliche im letzten Jahr ohne Ausbildungsplatz, 460 000 Jugendliche zwischen 20 und 25 Jahren ohne Arbeit, 31 % aller Arbeitslosen seit über einem Jahr ohne Beschäftigung, nur 31% Empfänger von Arbeitslosengeld, schon bald die Hälfte aller Leistungsempfänger in der Arbeitslosenhilfe.Wer heute Arbeitslosengeld bezieht, erhält weniger als 1982; wer heute Arbeitslosenhilfe bekommt, nur geringfügig mehr als vor der Wende. 38 % aller registrierten Arbeitslosen erhalten nicht einmal die 950 DM oder 815 DM im Monat. Sie gehen völlig leer aus. Wahrlich, die Armut hat seit der Wende eine neue Bedeutung in einem der reichsten Länder der Welt.
760 000 Haushalte erhalten nur noch Sozialhilfe; in einem Drittel der Fälle ist Arbeitslosigkeit der Hauptgrund dafür.Was Wunder, daß die Bundesanstalt für Arbeit trotz Massenarbeitslosigkeit Haushaltsüberschüsse erwirtschaften konnte!
5,5 Milliarden DM sind in Nürnberg bereits aufgelaufen. Im nächsten Jahr kommen noch einmal 2,2 Milliarden DM dazu. Seien Sie nicht stolz auf diese Milliarden; sie sind ausschließlich Folge Ihrer schändlichen Leistungskürzungen bei den Arbeitslosen.
Sie nennen sich christlich, Sie reklamieren das Soziale, und Ihr Arbeitsminister glaubt, ein Gewerkschafter zu sein. Aber handeln Sie denn auch danach? Geben Sie, wenn Sie danach handeln würden, angesichts der Kassenüberschüsse das Geld an die Arbeitslosen zurück, wie das der Anstand gebieten würde!
Aber Sie denken nicht im Traum daran. Sie spielen „Aktion Eichhörnchen", um nach der Wahl nach Belieben diese Milliarden einsetzen zu können. Vom Blüm hört man, er werde die Bezugszeiten von Arbeitslosengeld verlängern; das bringt Einsparungen bei der Arbeitslosenhilfe. Die so frei werdenden Milliarden kann man dann zur Finanzierung des Babyjahres für die Trümmerfrauengeneration verwenden.
Von Stoltenberg hört man, er brauche das Geld dringend für andere Haushaltslöcher. Von der FDP hört man, das beste sei, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken und so die Betriebe zu entlasten.
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18238 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
LutzMit anderen Worten: Herr Cronenberg, nichts geht an die Arbeitslosen zurück.
Wenn wirklich etwas für Arbeitslose aufgewendet wird, dann nur zu dem erklärten Ziel, Geld für den Bund freizubekommen.
Weil Geld in der Kasse der Bundesanstalt ist, wollen Sie sich die Darlehen des Bundes aus dem Jahre 1974 zurückzahlen lassen: 1986 eine halbe Milliarde DM, 1987 auch noch einmal 500 Millionen DM, und — das ist Ihr frechster Plan —: Sie wollen die Kindergeldverwaltungskosten den Beitragszahlern der Bundesanstalt aufs Auge drücken.
— Das ist unglaublich, Herr Scharrenbroich. Aber das ist nicht die einzige Unglaublichkeit, die Sie zu verantworten haben.
Die Überschüsse — ich sage Ihnen das — gehören den Arbeitslosen. Deshalb werden wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds verlängern und das Leistungsverhältnis wieder auf die frühere Basis von 2:1 stellen.
Wir wollen die Berücksichtigung von Verwandteneinkommen bei der Arbeitslosenhilfe endlich abschaffen, weil es, schlicht gesagt, eine Schweinerei ist, wenn man den wegrationalisierten 50jährigen Facharbeiter auf das Renteneinkommen seiner 80jährigen Mutter verweist. Wir werden Schluß machen mit dem ständigen Absenken der Arbeitslosenhilfe für die Dauerarbeitslosen.Das ist unser Konzept der Menschlichkeit. Welten trennt es von Ihrer menschenverachtenden fiskalischen Politik. Wir können niemandem, auch nicht den Arbeitslosen, eine goldene Zukunft versprechen, aber eine Politik, die Arbeitslosigkeit bekämpft und den Arbeitslosen die Würde beläßt.Zugegeben: Es ist etwas schwerer, Anstand zu praktizieren, als ihn zu vergessen. Menschlichkeit hat ihren Preis, Menschlichkeit hat ihre Pflichten. Wir bejahen beides.
Das Wort hat der Abgeordnete Kolb.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 1969 waren 7 Milliarden DM in der Kasse der Bundesanstalt, und 7 Milliarden DM waren auch 1982 in der Kasse. Der Unterschied bestand allerdings in folgendem: 1969 waren die Zahlen schwarz, 1982 waren sie rot. Das war Ihr Marsch ins „moderne Deutschland".
— Herr Kollege, darauf werden wir schon noch kommen.Wie war es denn 1982? Als Sie merkten, was Sie alles getan haben, haben Sie die Reißleine gezogen.
Das erste Haushaltssicherungsgesetz stammte von Ihnen. Dort haben Sie eine Reduzierung um 5,2 Milliarden DM vorgenommen. Heute sagen Sie draußen, wir seien diejenigen, die diesen bösen Sozialabbau betrieben haben.
— Hervorragend.Sie haben gleichzeitig den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 4 % auf 4,6 % erhöht, weil Sie merkten: Es ging nichts mehr.Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren: Das ist doch alles nur die halbe Miete. Als Sie nämlich 1980 nichts mehr hatten, haben Sie plötzlich erkannt: Man könnte ja die Arbeitslosenhilfe von der Bundesanstalt auf den Bund verlagern. Wenn man es nachliest, sieht man, daß Ihre Begründung lautete, Nürnberg habe kein Geld mehr, deswegen müsse Bonn zahlen. Sie haben es immer wieder verstanden, die Dinge zu verschieben. Das hat Nürnberg trotzdem nicht davor gerettet, finanziell am Ende zu sein.Dann kommt ein Silberstreif am Horizont: Man sieht Geld. Liebe Frau Fuchs, wenn ich Ihre Presseerklärungen von damals nachlese, muß ich sagen: Kaum wird ein Wurstzipfel sichtbar, verteilen Sie die ganze Wurst. Das war immer Ihre Politik.
Deswegen muß ich Sie einmal fragen: Wie kommen Sie dazu, zu erklären, daß dieses Geld den Arbeitslosen gehört?
— Mein lieber Herr Lutz, aus Ihrem Fleisch kann man nicht viel herausschneiden; da ist nichts drin.Ich muß Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Dieses Geld gehört den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern. Denen haben wir es genommen. Wir haben mit diesem Geld sehr sorgfältig umzugehen. Zu Ihrer Erinnerung: 1970 war Geld in der Kasse, aber es gab keine Arbeitslosen. Dann haben Sie jedoch Ihre großen Verteilungsmechanismen eingeführt. Denken Sie einmal an die Umschulungsmaßnahmen, die Sie damals ins Leben gerufen haben:
Prokuristen wurden zu Managern, Lehrerinnen zuReitlehrerinnen. All diesen Unsinn haben Sie ge-
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Kolbmacht. In Nürnberg war Geld vorhanden, und es mußte verteilt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn sich einer hier als Moralist hinstellt, sollte er an seine eigenen Sünden denken. Herr Lutz, Sie hätten allen Grund, im Mauseloch zu verschwinden und still zu sein.
Meine Damen und Herren, für uns ist eindeutig: Ältere Arbeitslose werden länger Arbeitslosengeld bekommen.
— Herr Dreßler, meine Herren, wir machen es mit Vernunft und nicht in der jüdischen Hast, wie Sie es tun.
Aber jetzt hören Sie doch bitte einmal zu. Ältere Arbeitslose werden länger Geld erhalten. Aber das Alter allein wird nicht das Kriterium sein, sondern ein Kriterium wird auch sein, wie lange sie gezahlt haben.
— Herr Dreßler, entschuldigen Sie, Sie können bei Ihrer AfA so tönen, aber hier sollten Sie einmal vernünftig zuhören.
— Ach, Herr Vogel, wissen Sie, Sie wissen zu allem etwas. Herr Vogel, ich sage Ihnen hier von dieser Stelle: Sie haben noch nie Geld verdient, das Sie ausgegeben haben. Sie waren immer bei denen, die empfangen haben.
Sie haben nie Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt.
Aber jetzt, meine Damen und Herren, wenn wir in diese Hektik kommen wie Sie, Herr Dreßler, wenn ich daran denke, was Lukas Beckmann & Co. mit Arbeitslosengeld tun, dann animiert uns das doch sehr, äußerst vorsichtig vorzugehen; denn wir wollen diese Perfidie, sich an der „Staatsknete" zu bedienen und draußen als Moralist tätig zu werden, Herr Bueb, nicht unbedingt wahrnehmen.
Deswegen werden wir nicht das Schnellverfahren nehmen, das Sie sich hier vornehmen, sondern wir werden in Zukunft dafür sorgen, daß die Dinge langfristig finanziert werden, und vor allem dafür, daß mit dem Geld der Arbeitnehmer wesentlich sorgfältiger umgegangen wird, als Sie das je getan haben.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Bueb.
Meine Damen und Herren! Die Bundesanstalt konfrontiert uns mit einer widersinnigen Bilanz. Trotz hoher Massenerwerbslosigkeit meldet sie Überschüsse von 5,5 bis 6,5 Milliarden DM. Für die Bundesregierung ist das ein Erfolg ihrer unsozialen Sanierungspolitik. Für mich ist es ein Schandfleck bundesrepublikanischer sozialer Realität.Wie sieht die Situation der Erwerbslosen aus? Immer mehr Erwerbslose erhalten überhaupt keine Unterstützung mehr; 38 % sind es bis jetzt. Der Teil der Erwerbslosen, der Arbeitslosenhilfe statt des höheren Arbeitslosengeldes erhält, wird immer größer. Hier greift dann die Familiensubsidiarität. Erwachsene Kinder müssen bei ihren Eltern betteln gehen und umgekehrt.Die durchschnittliche Höhe des Arbeitslosengeldes sinkt seit 1982 laufend. Erwerbslose haben massive Einkommenskürzungen von mindestens 7 hinnehmen müssen. Immer mehr Erwerbslose sind auf die Hilfe zum Lebensunterhalt aus der Sozialhilfe angewiesen. Neue Formen der Verarmung entstehen: verschärfte Ausgrenzungsmechanismen, die sich vor allem gegen Frauen, ältere und nicht leistungsfähige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auch Jugendliche wenden.Dies alles ist für Herrn Blüm kein Ärgernis oder Grund zur Beunruhigung. Im Gegenteil, vor dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung begrüßte er ausdrücklich die Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit, die den sozial Schwachen zum Lebensunterhalt vorenthalten worden sind. Aber was soll man denn von einem Sozialminister erwarten, der in derselben Sitzung ausdrücklich begrüßt hat, daß die Hochverdienenden durch den unsozialen Kinderfreibetrag eine höhere Steuerrückvergütung erhalten als die sozial Schwachen?
In einer Situation, in der Millionen von Menschen ihr Recht auf Arbeit nicht wahrnehmen können und in ihrer materiellen Existenz beeinträchtigt sind, stellt die Bundesregierung eine mit statistischen Manipulationen und arbeitsmarktpolitischem Strohfeuer geschönte Arbeitsmarktpolitik vor und stellt auf dem Rücken der Erwerbslosen angehäufte Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit zur Disposition. Stoltenberg phantasiert natürlich schon, wie immer, von der Sanierung seiner Bilanzen.
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BuebDaneben startet die Bundesregierung einen wahltaktischen Versuch, mit dem sie sich als Anwalt der Arbeitslosen profilieren will. Sie sagt, die Arbeitslosengeldbezugsdauer für ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen solle weiter verlängert werden. Die Arbeitslosenhilfe würde dadurch entlastet. Anstatt aber die freiwerdenden Mittel im Bundeshaushalt zur materiellen Verbesserung der Situation der Erwerbslosen und deren Wiedereingliederung ins Arbeitsleben zu verwenden, soll ein anderer Unrechtszustand abgemildert werden, nämlich der Ausschluß der vor 1921 geborenen Mütter von der Anerkennung des Babyjahres in der Rentenversicherung.Was hier vorexerziert wird, ist ein Lehrstück christlich-liberaler Sozialpolitik. Ihnen, meine Damen und Herren, geht es eben weder um die Existenzsicherung der von Erwerbslosigkeit Betroffenen noch um die Sicherstellung von Anspruchsberechtigungen.Wir GRÜNE haben dagegen ein detailliertes Grundsicherungsmodell vorgelegt. Wir schlagen eine einheitliche existenzsichernde Grundsicherung von mindestens 1 000 DM monatlich für eine Einzelperson sowie darüber hinaus einen Freibetrag von 200 DM vor. Wir schlagen weiter vor,
eine Erweiterung der Anspruchsberechtigung vorzunehmen. Jeder, der sich erwerbslos meldet und die Bedürftigkeitskriterien erfüllt,
soll Anspruch auf die Grundsicherung im Rahmen des AFG haben. Die Familiensubsidiarität soll weitgehend eingeschränkt, das heißt auf die Ehegattensubsidiarität und die Unterhaltspflicht der Eltern für ihre minderjährigen, in Ausbildung befindlichen Kinder beschränkt werden.Die Einführung einer derartigen Grundsicherung ließe sich natürlich nicht allein mit den Überschüssen der Bundesanstalt für Arbeit finanzieren,
aber sie könnten einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung leisten. Die weiteren Mittel für die Aufstockung auf das Grundsicherungsniveau kann der Bund aufbringen.
Sie ließen sich mit Rücknahme der Steuererleichterungen, die Sie den Einkommensstärkeren zugeschanzt haben, leicht finanzieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich bei den Sozialdemokraten für diese Aktuelle Stunde bedanken. Sie ist zwar ein bißchen früh,
aber sie gibt uns immerhin die Gelegenheit, einige Feststellungen zu treffen, die in diesem Zusammenhang außerordentlich wichtig sind, nämlich erstens die Feststellung, daß es weitaus angenehmer ist, über volle Kassen zu diskutieren als über leere,
zweitens die Feststellung, daß es weitaus angenehmer ist, über kontinuierlich sinkende Arbeitslosenzahlen zu reden als über kontinuierlich steigende Arbeitslosenzahlen zu reden,
drittens die Feststellung nämlich, daß es weitaus angenehmer ist, über steigende Beschäftigtenzahlen als über sinkende Beschäftigtenzahlen zu reden.
Deswegen habe ich mich über die Abhaltung dieser Aktuellen Stunde heute morgen sehr gefreut.
Ich will nicht leugnen, daß es mehrere Ursachen für die Überschüsse bei der Bundesanstalt für Arbeit gibt. Eine der Ursachen sind die Leistungskürzungen; diese Ursache ist die geringste. Da ist auch ein bedauerlicher Wechsel vom Arbeitslosengeld zur Arbeitslosenhilfe festzustellen; aber auch diese Ursache ist nur eine Teilursache, und zwar die geringere.Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, die Hauptursache sind höhere Beitragseinnahmen, und dies auf Grund höherer Beschäftigungszahlen.
Wenn Sie mehr Beschäftigung wollen, dann müßten Sie sich über eine solche Feststellung freuen und dürften sie nicht mit Bedauern zur Kenntnis nehmen.
Wenn heute oder morgen die neuen Zahlen bekanntgegeben werden, wieviel Menschen im Lande heute weniger arbeitslos und wieviel Menschen mehr beschäftigt sind, dann hoffe ich sehr, daß Sie mit uns gemeinsam feststellen können, daß wir in unserem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit wiederum einen kleinen, aber bedeutsamen Schritt weitergekommen sind.
Kollege Lutz hat hier festgestellt, daß die Beiträge von den Arbeitnehmern gezahlt worden sind. Richtig, zur Hälfte; die andere Hälfte ist von den Arbeitgebern bezahlt worden. Kollege Lutz, wenn Sie hier schon vorschlagen, das Geld rückzuvergüten — dies ist auch gleichzeitig ein Appell an den Bundesarbeitsminister —, dann wäre das eine gute Gelegen-
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Cronenberg
heit, das im gleichen Verhältnis zu tun, in dem kassiert worden ist. Das heißt, daß Beitragsrückerstattungen ebenso wünschenswert wären wie Leistungsverbesserungen.
Aber immerhin, wir können uns heute morgen darüber unterhalten, daß die Leistungsseite einer Überprüfung unterzogen wird. In der Tat haben wir die Absicht, einen alten Plan, den insbesondere unser Fraktionsvorsitzender Mischnick immer wieder in die Gespräche eingebracht hat, die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes insbesondere für ältere Arbeitnehmer, weiterzuverfolgen.
— Lieber Herr Kollege Dreßler, da wir ja solche Überlegungen oft gemeinsam angestellt haben, aber leider nicht so weit gekommen sind, wie wir in der neuen Koalition gekommen sind, werden Sie sich sicher auch daran erinnern, daß es — mindestens dies sollten Sie aus der vergangenen Zeit gelernt haben —
außerordentlich unklug ist,
konkrete Pläne in Form von Staffeln hier jetzt im Plenum zu diskutieren.
Sie wissen, daß es für ein gutes Klima in einer Koalition sehr wichtig ist, solche Koalitionsgespräche vertraulich zu behandeln.
Je vertraulicher wir früher verhandelt haben, desto mehr Erfolg hatten wir.Da ich annehme, daß Sie uns in dem Bemühen, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer zu verlängern, Erfolg wünschen — denn das war j a auch mal Ihr Anliegen —, daß Sie also unsere Bemühungen unterstützen werden, werden Sie sicher auch Verständnis dafür haben, daß wir Ihnen heute morgen keinen konkreten Vorschlag auf den Tisch des Hauses legen.
Aber da Sie wissen, daß die Freien Demokraten, wenn sie solche Zusagen gemacht haben, diese auch einhalten,
können Sie sich darauf verlassen, daß es so kommt, und das wird Sie sicher beruhigen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es ist schon schlimm, daß die Bundesanstalt für Arbeit Überschüsse von ca. 5,5 Milliarden DM angehäuft hat,
und dies bei einer Massenarbeitslosigkeit von 2,3 Millionen im Jahresdurchschnitt 1985
und bei den tiefsten Leistungssätzen, die es beim Arbeitsamt je gegeben hat.Ich will dafür zwei Beweise nennen: Ein Versicherter ohne Kind erhält nach Ihrer Kürzung ein Arbeitslosengeld von 63 %. Das bedeutet bei einem Nettoverdienst von 1 400 DM im Monat ein Arbeitslosengeld von 882 DM im Monat. Er mag damit vielleicht gerade noch über der Sozialhilfe liegen, aber von Wohlstand können wir da schon nicht mehr reden.Wenn der gleiche Versicherte 56% Arbeitslosenhilfe erhält, hat er noch 784 DM Unterstützung im Monat. Damit liegt er schon sehr nahe an den Richtsätzen der Sozialhilfe.Nehmen wir nun den Versicherten mit Kind, der auf der Basis von 1 400 DM netto im Monat ein Arbeitslosengeld von 68 % erhält. Er bekommt 952 DM. Damit muß eine Familie leben.Wenn der gleiche Versicherte 58 % Arbeitslosenhilfe erhält, hat er nur noch 812 DM im Monat, und damit muß wiederum eine Familie leben. Damit liegt er voll in den Sozialhilferichtsätzen. Das haben Sie verursacht!Bei einer so geringen Arbeitslosenhilfe ist es doch geradezu zwingend, ist es doch logisch, daß mittlerweile 33% der Sozialhilfeempfänger Arbeitslose sind, deren Arbeitslosenhilfe durch Sozialhilfe aufgestockt wird.
Hier beginnen die Probleme der Gemeinden, die mittlerweile immer häufiger und nachdrücklicher fordern, die Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit zur Entlastung der Sozialhilfe zu verwenden. Meine Herren, auch die von Ihnen regierten Gemeinden fordern das!
Deshalb sagen wir: Gebt den betroffenen Arbeitnehmern die genommenen Unterstützungsleistungen zurück, nicht nur weil das Geld der Bundesanstalt den Arbeitnehmern gehört, sondern auch um die Kommunen von den ihnen zusätzlich aufgebürdeten Kosten zu entlasten.
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18242 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
ReimannDie Gemeinden werden dann die Finanzmittel durch Investitionsausgaben zum Abbau der Arbeitslosigkeit verwenden.Die vorgenommene Sanierung der Nürnberger Finanzen auf dem Rücken der arbeitenden Menschen und der Kommunen ist und bleibt in diesem Lande unseriös.
Dank des Beispiels der Gemeinden wissen wir doch heute, Herr Minister, daß das nicht nur unsozial, sondern auch beschäftigungshemmend und leistungsfeindlich ist.
Es wäre gut gewesen, wenn die Bundesregierung die Studie über die „Neue Soziale Frage" fortgeschrieben hätte, um eine aktuelle Untersuchung über den Stand der neuen Armut in unserem Lande in der Hand zu haben.
Daß sie das nicht getan hat, läßt doch nur die Erkenntnis zu, daß sich die Bundesregierung durch Fakten bis auf die Knochen blamiert hätte.
Die Gemeinden können diese Blamage schon jetzt bestätigen; denn ihre Ausgaben für Sozialhilfe sind mittlerweile auf 22,5 Milliarden DM jährlich gestiegen.
Als Dringlichkeitslösung ist deshalb geboten, die Überschüsse an die Betroffenen zurückzugeben,
insbesondere dadurch, daß die Arbeitslosenhilfe aufgestockt wird, damit sie dem Existenzminimum der Sozialhilfe entspricht und um als Folge davon eine erste spürbare Entlastung für die Gemeinden eintreten zu lassen.Eine weitere Lösung ist die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes bei Langzeitarbeitslosen für alle, nicht nur für ältere Arbeitnehmer; denn auch jüngere Arbeitnehmer mit Kindern sind in sozial gefährdeten Positionen und erwarten bei längerer Arbeitslosigkeit eine längere Arbeitslosenunterstützung.
Das wiederum würde auch die Gemeinden bei ihren Sozialhilfeleistungen entlasten.Das Gebot der Stunde heißt: Erhöhung und Ausweitung der Leistung für die betroffenen Arbeitnehmer durch Abbau der Überschüsse.Als wären die Sozialhilfeempfänger für eine Gesellschaft nicht schon skandalös genug, brüstet sich unser Arbeitsminister sogar noch mit der Tatsache, daß Sozialhilfe noch nie in der heutigen Höhe gezahlt worden sei.
Es ist peinlich für einen Minister, daß er seinen Erfolg in dieser Form nachweisen will, statt alles daranzusetzen, daß keine Sozialhilfe auf Grund von Arbeitslosigkeit gezahlt werden muß.
Denken wir daran: Massenarbeitslosigkeit und wachsende Armut, die inzwischen alle Altersgruppen und immer weitere Bevölkerungskreise erfassen, sind nicht nur unsozial und ungerecht, sondern zerstören auch das Zusammenleben der Menschen in unserer Gesellschaft.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meinen Beitrag mit zwei Beispielen beginnen und diese Ihrer Bewertung empfehlen.Erstens. Was würden Sie eigentlich zu folgendem sagen? Ein Betrieb wird in die roten Zahlen gewirtschaftet, macht Schulden, muß aufgeben. Dann kommt ein Nachfolger,
macht wieder Überschüsse. Und da erscheint der Versager und gibt dem Nachfolger, der den Betrieb saniert hat, Ratschläge, wie er die neuen Überschüsse verteilen soll.
Zweitens. Ein Wanderer versteigt sich im Gebirge.
— Ja, Sie sind der Versager!
Sie haben die Bundesanstalt in die roten Zahlen gewirtschaftet.Ich bringe das zweite Beispiel: Jemand versteigt sich im Gebirge. Die Bergwacht holt ihn heraus, und anschließend beschimpft der Gerettete den Retter.
In der Tat, die SPD meldet sich zu Wort, nachdem sie es zu verantworten hatte,
daß die Bundesanstalt für Arbeit im Jahre 1982 mit 7 Milliarden DM in den Miesen war, 7 Milliarden DM Zuschuß brauchte. 1983 — das ist die Bergrettung — stand, wenn nichts geschehen wäre, ein De-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18243
Bundesminister Dr. Blümfizit von 14 Milliarden DM ins Haus. Das ist mehr, als die ganze Kriegsopferversorgung kostet.Wir haben die Bundesanstalt gerettet. Wir haben nicht über soziale Sicherheit geredet, sondern wir haben die soziale Sicherheit gerettet!
Gott sei Dank gibt es wieder Überschüsse. Dafür gibt es vier Gründe.Erster Grund: Die Beschäftigtenzahl nimmt zu.
Eine halbe Million Beschäftigte in zwei Jahren heißt eine halbe Million mehr Beitragszahler. Erfolg unserer Politik!
Zweitens. Die Arbeitslosenzahlen nehmen ab. Ich empfehle Ihnen im übrigen die Pressekonferenz des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, die er heute abhalten wird.
— Wenn Sie die kennen, dann werden Sie ja wissen: Dies ist die niedrigste Arbeitslosenzahl seit November 1982.
Drittens. Ich bekenne, daß auch die Überschüsse das Ergebnis von Konsolidierung sind. Natürlich, wir haben sparen müssen.
— Frau Fuchs, auch das empfehle ich Ihrer Aufmerksamkeit. Ihre Zwischenrufe regen mich an, die Sache zu vertiefen.
Wir haben, wenn Sie es hören wollen, durch Leistungseinschränkungen in dieser Legislaturperiode 2 000 034 000 DM gespart. Wir haben in der gleichen Zeit die Leistungen um 3,274 Milliarden DM verbessert.
Die Verbesserungen lagen also um über eine Milliarde DM höher als das Sparen. Das nennen Sie Sozialabbau. 3 ist meines Erachtens mehr als 2. Wir haben 2 Milliarden DM gespart und um 3 Milliarden DM an der richtigen Stelle ausgeweitet.Der vierte Grund — auch das bekenne ich — ist ein Grund, der unsere Aktivitäten auslöst. Immer mehr Arbeitslosengeldbezieher wandern in die Arbeitslosenhilfe ab. Darauf antworten wir mit Sozialpolitik, nicht mit Gerede. Wir haben darauf mit einer Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs für die älteren Arbeitslosen geantwortet. Das sind nämlich in der Regel die Arbeitslosen, die am längsten arbeitslos sind. Wir machen eine ganz konkrete Sozialpolitik, nicht eine mit der Gießkanne. Dort, wo Hilfe gebraucht wird, lassen wir niemanden im Stich. Deshalb gab es die Siebte Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz, und deshalb wird es auch die Achte geben.
Wir lassen die Arbeitslosen nicht im Stich. Der wichtigste Punkt ist, daß die Arbeitslosen wieder Arbeit bekommen. Eine noch so hohe Arbeitslosenunterstützung macht das Recht auf Arbeit nicht vergessen.
Nie hat die Bundesanstalt für Arbeit mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben als unter unserer Verantwortung.
Im letzten Jahr Ihrer Regierungsverantwortung — Frau Fuchs, schreien Sie nicht, hören Sie zu — haben Sie 5,7 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben. Jetzt werden dafür 11,5 Milliarden DM aufgewandt. 11,5 Millarden sind mehr als 5,7 Milliarden.Man muß auch die soziale Lage der Arbeitslosen sehen. Darüber kann man natürlich nicht zur Tagesordnung übergehen. Aber wir haben den Arbeitslosengeldbezug verlängert und den Ehegattenfreibetrag in der Arbeitslosenhilfe verdoppelt. Wir haben die Sozialhilfe um 8 % angehoben — falls Ihnen auch das entgangen ist.
— Die Preissteigerungsrate — auch das ist ein guter Zwischenruf — liegt im Moment bei 0 %.
Meine Damen und Herren, wir werden — ich kündige das an —
den Arbeitslosengeldbezug für die, die besonders in Not sind, für die älteren und die Dauerarbeitslosen, verlängern. Wir werden das auf Grund einer Strukturanalyse machen, die Ende dieses Jahres vorliegt. Denn wir machen nicht Politik ins Blaue, schon gar nicht ins Grüne hinein, auch nicht ins Rote.
— Ja, richtig; ins Schwarze trifft man. Das ist richtig.
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18244 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Bundesminister Dr. BlümIch bedanke mich für den wichtigen Beitrag des Herrn Fraktionsvorsitzenden Vogel, der bestätigt hat, daß unsere Sozialpolitik treffsicher ist.
Es kommt hinzu, daß wir eine solche Verbesserung im Gespräch mit den Sozialpartnern erarbeiten. Wie bei der Siebten Novelle, so sind auch diesmal die Gewerkschaften eingeladen, konkrete Vorschläge zu machen, wie wir die Lage der Arbeitslosen verbessern können. Wir sind auf das Gespräch angewiesen. Nicht Agitation hilft den Arbeitslosen, sondern gemeinsame Anstrengungen. Wir haben der Bundesanstalt für Arbeit bereits mitgeteilt, daß ihr Überschuß auch für die Verbesserung der Lage der Arbeitslosen, für die Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs in Anspruch genommen werden soll.Jetzt frage ich nach der Alternative der SPD. Da müssen Sie etwas sortieren. Der hessische Arbeitsminister, ein Sozialdemokrat, schreibt mir, er möchte die Überschüsse für die Anhebung der Beiträge der Bundesanstalt für Arbeit an die Rentenversicherung verwenden. Das kostet 5 Milliarden DM. Die Bundestagsfraktion der SPD möchte dieselben 5 Milliarden DM für die Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs ausgeben. Das ist die himmlische Rechenkunst der SPD. Die gibt eine Mark zweimal aus. Mit dieser Rechenkunst haben Sie die Sozialpolitik heruntergewirtschaftet.
Jede Mark kann man nur einmal ausgeben. Das lernt schon ein kleines Kind in den ersten Mathematikstunden. Sie befinden sich im sozialpolitischen Vorschulalter, wenn Sie eine Mark zweimal ausgeben wollen.
Ich will diese Aktuelle Stunde auch dazu benutzen, die Betriebe aufzurufen, nicht nur den Maschinenpark zu modernisieren, sondern auch die Arbeitnehmer zu qualifizieren, auch die älteren Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den technischen Neuerungen standzuhalten, Maschinen zu beherrschen; denn ich glaube, gerade das ist wichtig: daß wir die Modernisierung unserer Wirtschaft mit der Qualifizierung der Arbeitnehmer verbinden. Das ist ein wichtiger Beitrag, Arbeitslosigkeit zu beseitigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was wir heute morgen diskutieren müssen, ist eines der schlimmsten Beispiele für geistig-moralische Erneuerung durch diese Bundesregierung.
Das läßt sich auf die Formel reduzieren: Wenn mehr Menschen länger arbeitslos sind,
dann freuen sich die christdemokratische Union und die Freie Demokratische Partei über volle Kassen. Das ist die Formel.
Um im christdemokratischen Sprachgebrauch des Jahres 1982 zu bleiben, Herr Blüm: Wir haben also mehr als zwei Millionen Arbeitslose der Ara Blüm und Kohl. Zur gleichen Zeit haben wir rund 5,6 Milliarden DM Überschüsse in der Arbeitslosenversicherung. Wir hatten die diversen Kürzungen der Leistungen für die Arbeitslosen, wir hatten die Kürzung der Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose, die diesen auch noch die Rentenansprüche schmälert.
Zur gleichen Zeit haben wir Überschüsse in Milliardenhöhe.
Dieser sogenannte Überschuß der Bundesanstalt — bis zum Jahresende 5,6 Milliarden DM — ist alles andere als ein Erfolg der Arbeitsmarktpolitik. Er ist ausschließlich die Folge der nachhaltigen Demontage der Arbeitslosenversicherung.
Denn die Zahl der Arbeitslosenhilfeempfänger, Herr Blüm, hat sich seit 1982 verdoppelt. Sie hat sich verdoppelt, Herr Blüm!
Dagegen tun Sie nichts. Aber Sie haben die Statistik manipuliert. Sie haben dafür gesorgt, daß die Berechnung der Zahl der Dauerarbeitslosen frisiert wurde. Kurzfristige Unterbrechungen, zum Beispiel durch dreitätige Wehrübungen, werden als Unterbrechung der Arbeitslosigkeit unterstellt, obwohl sich für die Arbeitslosen überhaupt nichts ändert.
Sie haben die älteren Arbeitslosen aus der Statistik herausgeschmissen. Inzwischen sind das mehr als 40 000. Und die zynische Unterscheidung, Herr Blüm, zwischen richtigen und falschen Arbeitslosen machen Sozialdemokraten nicht mit.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18245
DreßlerSie brüsten sich mit Beschäftigungszahlen, die vorn und hinten nicht stimmen. Nach vier Jahren wirtschaftlicher Erholung 160 000 neue Arbeitsplätze auszuweisen, was richtig wäre, erscheint Ihnen als Erfolgsbilanz zu mager. Das ist ja wohl auch so. Deshalb lassen Sie den Beschäftigungsabbau während Ihrer Regierungszeit einfach weg und nennen nur die Zahlen der letzten zwei Jahre, wohl wissend, daß diese Betrachtung schief ist. Auch das nenne ich statistische Täuschung, Herr Blüm. Sie vergessen absichtlich, daß das, was es an Beschäftigunszuwachs gegeben hat, von den Gewerkschaften durch die Arbeitszeitverkürzung gegen Ihren erbitterten Widerstand und gegen den Widerstand der Arbeitgeber hart erkämpft worden ist.
Sie wollen die Frist für den Bezug von Arbeitslosengeld verlängern:
Ankündigungen.
— Das wäre überhaupt nicht im Streit, Herr Blüm. Aber ich frage an dieser Stelle noch einmal: Wo ist Ihr Gesetzentwurf?
Sie sagen vor dem Wahltermin nicht, was Sie machen wollen und wie Sie es machen wollen. Das hat Gründe. Sie wollen bei der Arbeitslosenhilfe einsparen, Sie wollen den Bund entlasten, indem die Kindererziehungszeiten für ältere Mütter auf Kosten und zu Lasten der Arbeitslosen finanziert werden.
Ich sage Ihnen: Wer bei der Arbeitslosenhilfe sparen will, der kennt die Probleme nicht oder will sie nicht wahrhaben. Daß der wegrationalisierte 55jährige Schriftsetzer aus der Arbeitslosenhilfe ausgegrenzt wird, weil er sich zur Sicherung des Lebensunterhalts gefälligst an seine 78jährige Mutter zu wenden hat — das verstehen Sie unter Generationensolidarität. Das ist die konservative Familienpolitik, so wie sie tatsächlich aussieht.
Meine Damen und Herren! Es fehlte jetzt nur noch, Herr Seiters, daß aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung auch noch die pseudowissenschaftlichen Untersuchungen zur Diffamierung der Arbeitslosen finanziert würden. Das fehlte allerdings noch.Wir sagen Ihnen: Unsere Position ist klar: Der Überschuß der Bundesanstalt für Arbeit — in Wahrheit sind es vorenthaltene Versicherungsleistungen — ist nicht der Sparstrumpf des Herrn Stoltenberg. Er gehört den Arbeitslosen und ihren Familien und sonst niemandem.Danke.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Adam Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, der Kollege Dreßler vergißt immer wieder, daß das Plenum hier nicht die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen ist.
Dort kann er in der Weise agitieren, wie er das gerade wieder versucht hat. Aber hier im Saal gibt es jede Menge Kollegen, die sich auskennen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, mit Zwischenrufen doch etwas zurückhaltender zu sein.
— Nein, es gehört auch zur Demokratie, daß man zuhören kann, Herr Abgeordneter Lutz.
Das sage ich im Interesse aller Seiten, aller Seiten des Hauses.
Ich möchte nur zwei Dinge richtigstellen, die Sie, Herr Kollege Dreßler, hier angesprochen haben.Erstens. Sie haben behauptet, die Rentenansprüche der Arbeitslosen würden geschmälert, seitdem die Beiträge nicht mehr nach dem vollen fiktiven Lohn berechnet würden. Das ist objektiv falsch.
Und als Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung sollten Sie das eigentlich wissen. Wir haben lange genug darüber diskutiert. Die Beiträge werden zwar nach 68 % bemessen, aber die Leistungen werden nach 100 % des fiktiven Lohnes bemessen.
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18246 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Frau Dr. Adam-SchwaetzerEs kann überhaupt keine Rede davon sein, daß ihre Rentenansprüche geschmälert würden. Im Gegenteil, es ist hier ein Auseinanderfallen von Beiträgen und Leistungen zu beobachten, über das man durchaus diskutieren müßte.Zweitens. Herr Dreßler, Sie haben behauptet, durch Beschluß der Regierung und des Parlaments würden die 58jährigen aus der Arbeitsmarktstatistik herausgenommen. Auch das ist falsch. Jeder einzelne Arbeitslose entscheidet, wenn er im Alter von 58 Jahren dies für richtig hält, ob er sich selber noch für den Arbeitsmarkt zur Verfügung halten oder ob er aus dieser Arbeitsmarktstatistik herausgenommen werden will.
Es ist eine individuelle Entscheidung. Das ist auch korrekt so.Meine Damen und Herren, es ist ein Punkt hier natürlich noch nicht zur Sprache gekommen. Das wundert mich eigentlich, gerade weil das früher immer so eine große Rolle gespielt hat. Es ist richtig, daß Überschüsse bei der Bundesanstalt für Arbeit entstanden sind. Aber man hätte natürlich auch dafür sorgen können, daß diese Überschüsse gar nicht erst entstanden wären, indem die Beitragssätze niedriger festgelegt worden wären.
Meine Damen und Herren, ich erinnere Sie an viele Diskussionen aus den Jahren 1980 und 1981. Da haben wir leider die Arbeitsmarktentwicklung ein wenig zu positiv eingeschätzt. Jetzt haben wir in der Vorausschau die Arbeitsmarktentwicklung ein wenig zu negativ eingeschätzt.
Und es gehört auch zu einer solchen Stunde, hier darauf hinzuweisen. Ich möchte es deshalb noch einmal sagen: Seit mehreren Monaten steigt die Beschäftigung konstant in einem Ausmaß von etwa 1,1 % über dem Vorjahresniveau an. Das heißt, seit Anfang 1985 hat es nicht einen Monat gegeben, wo die Beschäftigung unterhalb des Vorjahresmonats gelegen hätte, sondern es ist ein kontinuierlicher Anstieg zu beobachten gewesen. Und das, meine Damen und Herren, ist j a doch das wichtigste Ergebnis von Politik: daß hier wieder mehr Menschen Hoffnung bekommen haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen noch einen Punkt sagen: Es ist durch Beschluß dieses Bundestages mit der siebenten Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes eine Menge Zusätzliches geschehen, damit mehr Arbeitslose die Möglichkeit haben, qualifizierende Maßnahmen in Anspruch zu nehmen. Es sind noch nie so viele qualifizierende Maßnahmen in Anspruch genommen worden wie gerade in diesem Jahr, ein Ergebnis unserer Qualifizierungsoffensive, die wir mit der siebenten Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes eingeleitet haben.
Das aber sind genau die Maßnahmen, die dazu führen, daß auch langfristig Arbeitslose mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Trotzdem — das können wir nicht wegdiskutieren, wir wollen es auch nicht wegdiskutieren — drückt uns das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit sehr. Deshalb möchte ich noch einmal betonen, was der Kollege Cronenberg hier schon gesagt hat: Die Überschüsse, die jetzt bei der Bundesanstalt für Arbeit entstanden sind, werden dazu verwandt, für längerfristig Arbeitslose die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld zu erhöhen,
damit sie länger die Chance haben, auch auf Grund ihrer langjährigen Beitragszahlung, Arbeitslosengeld zu beziehen.
In diesem Zusammenhang möchte ich den Arbeitsminister bitten, doch jetzt endlich dafür zu sorgen,
daß in seinem Hause die Vorbereitungen dazu getroffen werden, daß individuelle Beitragskonten für die Arbeitnehmer eingerichtet werden, damit man hier überhaupt eine Bezugsgröße hat, die dann in den weiteren Diskussionen verwendet werden kann.
— Herr Dreßler, den Gesetzentwurf werden Sie so frühzeitig auf den Tisch bekommen,
daß noch ausreichend Zeit besteht, über ihn zu diskutieren, damit am 1. Juli 1987 die Verlängerung der Bezugsdauer in Kraft treten kann.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Keller.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer hätte bei unserer Regierungsübernahme vor vier Jahren daran gedacht, daß wir heute über die Verwendung von Überschüssen in der Bundesanstalt für Arbeit reden können.
Seit Wochen höre ich im bayerischen Wahlkampfund natürlich auch hier in Bonn, nur durch drasti-
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Kellersche Leistungskürzungen der Bundesanstalt für Arbeit seien überdurchschnittliche Überschüsse in Milliardenhöhe erwirtschaftet worden. Die Frau Anke Fuchs machte es sich in einer Presseerklärung der SPD vom 17. September noch einfacher, als sie behauptete — so wörtlich —:Die Rücklagen sind ausschließlich auf die nachhaltige Demontage der Arbeitslosenversicherung und die Leistungskürzungen der letzten Jahre zurückzuführen.
— Wenn das wahr ist, Frau Fuchs, dann frage ich Sie einfach einmal: Ist es für oder gegen die Arbeitslosen, daß wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängert haben? Ist es für oder gegen die Arbeitslosen, daß wir den Umfang der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verdreifacht haben? Ist es für oder gegen die Arbeitslosen, daß wir die Anreize für die berufliche Bildung wesentlich verbessert haben? Meine Damen und Herren, wer so argumentiert wie die SPD, es aber besser wissen müßte, der hat bis heute noch nicht den engen Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft verstanden.
Richtig ist, daß es der erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzpolitik der jetzigen Regierung zu danken ist, daß wieder Überschüsse und — wir können in dieser Legislaturperiode zum drittenmal darüber diskutieren — auch Reserven bei der Bundesanstalt für Arbeit entstanden sind. Dafür gibt es gute Gründe.Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, die Tatsache, daß Sie heute überhaupt eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragen können, haben Sie uns, dieser Regierung, zu verdanken.
Nun noch eine Bemerkung zur Ausgangslage, weil das den Kontrast zwischen 1982 und heute aufzeigt. Damals — 1981 und 1982 — war ein rascher Anstieg der Zahl der Arbeitslosen zu verzeichnen; der jährliche Anstieg betrug ca. 40 %.
— Er war bei Ihnen Minister. — Dafür sank die Zahl der offenen Stellen um so schneller. Im Januar 1981 sank die Zahl der offenen Stellen gegenüber dem Vorjahr um 200 000; im Oktober 1982, als wir die Regierung übernehmen mußten, sank die Zahl der offenen Stellen nur noch um 70 000. Nebenbei verschweigt die SPD auch noch, daß der Beitragssatz nur Arbeitslosenversicherung unter ihrer Regierungsverantwortung von 1,4 % im Jahre 1969 auf 4 % im Jahre 1982 gestiegen ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem immer wiederkehrenden Vorwurf machen — auch Lutz undDreßler haben ihn erhoben —, wir würden die Arbeitslosenstatistik manipulieren.
In der Zeitung der IG Metall vom 3. Oktober ist heute der schöne Satz zu lesen — er ist zwar falsch, aber ich wiederhole ihn trotzdem —: „Über 3 Millionen Arbeitslose kehrt die Bundesregierung im Wahlkampf unter den Aufschwungteppich."
Da gibt es immer das Gerede von der „stillen Reserve", also von denjenigen Arbeitslosen, die nicht beim Arbeitsamt gemeldet sind und daher auch kein Arbeitslosengeld und keine Arbeitslosenhilfe erhalten. Ich erinnere die Frau Anke Fuchs bloß einmal an die Antwort, die sie als Parlamentarische Staatssekretärin am 10. April 1981 gegeben hat. Die ist doch heute noch gültig. Oder gilt nicht mehr, was Sie damals sagten? Ich zitiere wörtlich:Die Bundesregierung wird diese stille Reserve für ihre arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten nicht zugrunde legen, weil sie davon ausgeht, daß sich jeder, der arbeiten will, beim Arbeitsamt meldet.Ich empfehle Ihnen als früherem Vorstandsmitglied der IG Metall, Ihren Kolleginnen und Kollegen dort das einmal deutlich zu machen und ihnen einen freundlichen Brief zu schreiben, damit diese falsche Behauptung, die immer wiederholt wird, nicht mehr erhoben wird.Meine sehr geehrten Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion ist entschlossen, eine 8. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz, die die soziale Sicherungsfunktion der Arbeitslosenversicherung noch weiter stärken wird, in Kraft zu setzen.Wir sollten auch beachten, daß die Bildung von Reserven zur Vorsorge grundsätzlich wirklich nur in Zeiten einer guten Wirtschaftslage, wie wir sie heute haben, möglich ist, um dann in schwierigen konjunkturellen Lagen eine entsprechende Rücklage zu haben. Eine verbesserte finanzielle Unterstützung ist sicher eine echte Hilfe für alle Arbeitslosen und auch für deren Familien. Aber wir müssen auch immer wissen, daß hier nur das Symptom und nicht die Ursache kuriert wird, nämlich der Mangel an Arbeit. Entscheidend ist, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß wir die arbeitslosen Frauen und Männer wieder in Arbeit bringen.
Diese Regierung hat bewiesen, daß sie dies besser kann als ihre Vorgänger-Regierung.
Das Wort hat der Abgeordnete Louven.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lutz, als Sie
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18248 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Louvenhier in der vergangenen Woche zur Aussperrung sprachen, hat der Kollege Seiters dazwischengerufen: „Ein völlig neues Lutz-Gefühl!"
Sie hielten damals eine moderate Rede, heute waren Sie wieder der alte Lutz.
Die Gift-und-Galle-Rede des Herrn Dreßler
setzte Ihren Ausführungen noch die Krone auf.
Sie malen wieder Ihre Horrorgemälde und versuchen, damit zu vertuschen, daß Sie die Verursacher und wir Erbe der Arbeitslosigkeit sind und die damit auftretenden Probleme bewältigen müssen.Herr Dreßler, wenn Sie sagen,
um darauf einmal kurz einzugehen, wir hätten die Älteren aus der Statistik hinausgeworfen: Dies ist im Einvernehmen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund geschehen. Dies scheinen Sie zu vergessen. Ich kann mir nicht vorstellen, meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie selbst glauben, was Sie hier an Polemik vortragen. Sollten Sie dies glauben, dann sind Sie allerdings von Ihren Genossen draußen weit weg; die sehen die Lage realistisch.
Wir sind Ihnen für diese Aktuelle Stunde dankbar. Denn es ist in der Tat erfreulicher, über Überschüsse als über leere Kassen zu reden, wie wir sie lange Zeit hatten.
Ich empfehle Ihnen, in der nächsten Woche wiederum eine Aktuelle Stunde zu beantragen, in der wir hier dann über die Sanierung und über die inzwischen wieder vorhandenen Überschüsse in der Rentenversicherung reden können.
Meine Damen und Herren, wenn hier von neuer Armut gesprochen wird, dann muß ich Ihnen sagen: Es ist Ihre Armut,
die Sie uns 1982 hier hinterlassen haben. Die Wirtschaft wuchs nicht mehr, Inflationsrate: 5,3%, Defizit im Haushalt: 55 Milliarden DM,
Rentenversicherung: leere Kassen, Arbeitslosenversicherung: leere Kassen. Heute: Die Wirtschaft wächst,
Inflationsrate: null, Renten: gesichert, Staatsfinanzen: in Ordnung. Der dramatische Anstieg der Arbeitslosigkeit ist gestoppt, 600 000 neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Sie und der DGB haben uns doch noch im Jahre 1984 ermahnt und gesagt: Ihr Nichtstun führt dazu, daß wir im Winter 3,5 Millionen Arbeitslose haben werden.
Aber Sie rechnen neuerdings die stille Reserve dazu, die wir nie dazurechnen durften, meine Damen und Herren.
— Ja, j a.Herr Reimann, Sie haben sich hier darüber beklagt, daß die Kommunen die Soziallasten tragen müssen. Ich darf Sie, Herr Reimann, einmal darauf hinweisen: Das Defizit bei den Kommunen betrug im Jahre 1981 noch 10,1 Milliarden DM. Bereits 1984 gab es einen Finanzierungsüberschuß von 1,5 Milliarden DM.
— Im Durchschnitt von allen. Und, Frau Fuchs: Diese Zahlen wären noch besser, wenn es da nicht dieses Land Nordrhein-Westfalen gäbe.
Und hier erlaubt es sich die SPD, den Kommunen nochmals 1,5 Milliarden DM bei der Grunderwerbsteuer wegzunehmen. Dies ist das Land des Kanzlerkandidaten Rau.
Wir, meine Damen und Herren, haben gehandelt, und wir sind stolz darauf. Wie handlungsunfähig Sie waren, möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen: 1981 wollten Sie den Zumutbarkeitserlaß verschärfen. Sie beauftragten damit den Abteilungsleiter Baden im Sozialministerium.
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LouvenWaren Sie es nicht, Herr Lutz,
der dann anschließend in die „Frankfurter Rundschau" ging und den DGB dagegen aufhetzte? Das Ergebnis war: Ein hoch angesehener Beamter wurde in die Wüste geschickt, statt Herrn Ehrenberg zu schicken, und später kam ein pflaumenweicher Erlaß.Meine Damen und Herren, der Verwaltungsausschuß hat am 15. Juli 1986 einen Beschluß gefaßt, in dem er empfiehlt, einen möglicherweise sich ergebenden finanziellen Spielraum für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik und insbesondere auch zur Wahrung der sozialen Sicherungsfunktion der Arbeitslosenversicherung einzusetzen.
— Genau dies, Herr Dreßler, werden wir tun.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Steinhauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich habe nicht die Absicht, auf dem Deutschen Apothekertag zu sprechen, sondern hier im Deutschen Bundestag.
Vom Höhepunkt der Erwerbstätigkeit 1981, meine Herren und Damen der Koalition, sind Sie weit entfernt. Ich sehe aber noch Ihre Zeitungsmeldungen: Wir werden die Arbeitslosigkeit unter 1 Million bringen.
Diesen Stand erreichen Sie noch längst nicht, im Gegenteil, Sie erreichen nicht mal den Stand von 1982,
trotz der von Ihnen so verpönten Arbeitszeitverkürzung. Es ist schon ein Novum: Bei steigender Massenarbeitslosigkeit
und sich ausbreitender Armut unter den Arbeitslosen werden Milliarden in den Kassen der Bundesanstalt für Arbeit angesammelt. Das als Erfolg herauszustellen, ist schon Zynismus. Das ist ausschließlich die Folge der nachhaltigen Demontage der Leistungen in der Arbeitslosenversicherung. Neue Armut ist entstanden, weil Leistungssätze gekürzt, die Bezugszeiten verschlechtert wurden und die Dauer der Arbeitslosigkeit weiter steigt. Trotzdieser unbestreitbaren Fakten wird ein FrankeTurm angelegt, und das ist unvernünftig, ja töricht, und d. h. das Sozialstaatsgebot weiter zu durchlöchern.
Ich weiß, wie diesem Unsinn ein Ende bereitet wird. Sozialpolitiker von Ihnen haben sich ja Gedanken gemacht, allerdings wieder mal ohne Erfolg.Wir haben eben schon gehört, Sie wollen mit dem Gesetzentwurf kommen — wo ist der denn? —, damit die schlimmen Folgen der Massenarbeitslosigkeit beseitigt werden. Sie werden weiter zuschauen, überlassen die Lasten den Beitragszahlern und den längerfristig Arbeitslosen, so daß der Finanzminister Reibach macht. Sie wollen die Kindererziehungszeiten stufenweise für die älteren Mütter damit finanzieren, und der Bund will sich entlasten. Er will sogar die Verwaltungskosten des Kindergeldes der Bundesanstalt auflasten.
Das haben Sie von der Koalition konkret vorbereitet, damit wollen Sie nur in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen.
Sie wollen das lediglich noch ein bißchen verschleiern.Sie haben seit der Wende die finanziellen und sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit immer mehr auf die Betroffenen, ihre Familien und die Sozialhilfeempfänger abgewälzt.
Jede Gemeindeverwaltung kann Ihnen das konkret vorrechnen. Was Sie mit den Familien angerichtet haben, kann Ihnen außerdem jeder Sozialarbeiter Punkt für Punkt erläutern. Sprechen Sie mal mit Vertretern der Kirche und der Sozialverbände!
Besonders schlecht sind in dieser Situation auch noch die Frauen dran. Mittlerweile sind genausoviel Frauen arbeitslos wie Männer, und dabei muß man erwähnen, daß Frauen lediglich einen Anteil von 37 % an der Erwerbstätigkeit haben.
Die Arbeitslosenquote ist auch höher als bei den Männern, nämlich mit 10% überdurchschnittlich. Außerdem sind die Frauen erheblich länger arbeitslos als Männer. Jüngere Frauen haben es besonders schwer; besonders schwer haben es auch die jungen Mädchen und Frauen, nach der qualifizierten Ausbildung übernommen zu werden, und das ist bei ihnen viel schwieriger als bei ihren Kollegen. Frauen sind auch von der Arbeitslosenhilfe ausgeschlossen. Nach den Unterlagen der Bundesanstalt ist der Anteil der Arbeitslosenhilfeempfänger von 15,9 auf 26,8 % gestiegen, und der Anteil der Arbeitslosengeldempfänger ist von 50% auf 36,3 % gesun-
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Frau Steinhauerken. Männer beziehen mit einem Anteil von 35,3% Arbeitslosenhilfe und Frauen zu 16 %. Dazwischen liegen Welten. Fast jede Frau erhält überhaupt nichts mehr. Die Arbeitslosen in Armut absinken zu lassen ist eine Bankrotterklärung des Sozialstaates. Wir haben das mit unserem Gesetzentwurf des letzten Jahres abzumildern versucht. Sie haben das kaltschnäuzig abgelehnt. Eine Wiederherstellung des Schutzes bei Arbeitslosigkeit wollen Sie nicht. Jetzt ist es endlich an der Zeit, daß die Milliarden, die in der Kasse der Bundesanstalt angesammelt wurden, zum Abbau der Not der Arbeitslosen verwendet werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin von dem enttäuscht, was die Redner der SPD heute morgen hier vorgetragen haben. Meine Damen und Herren, das ist immer wieder das gleiche Strickmuster.
Im Schimpfen und im Miesmachen sind Sie Weltmeister.
Statt Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln, schüren Sie Angst und machen eine miese Stimmung.
Wer bereit ist, sich an Fakten zu orientieren — und Adam Riese gehörte ja noch keiner Partei an —, der wird feststellen, der entscheidende Unterschied zwischen Ihrer Politik und der unsrigen ist der:
Bei Ihnen stiegen die Arbeitslosenzahlen von Jahr zu Jahr trotz staatlich verordneter Beschäftigungsprogramme, bei der CDU steigen die Beschäftigtenzahlen, in den vergangenen zwei Jahren um über 500 000. Bei der SPD stiegen die Defizite bei der Bundesanstalt, und bei der CDU steigen die Überschüsse.
Stabile Preise, Wirtschaftswachstum und eine traumhaft gute Außenhandelsbilanz haben dafür die Grundlagen geschaffen. Meine Damen und Herren, alle Prognosen renommierter Wirtschaftswissenschaftler machen deutlich, daß mit dem Aufschwung noch eine lange Zeit zu rechnen ist.
Wir wissen, daß wir nicht allein mit Wirtschaftswachstum die Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen. Dazugehört auch eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Ich möchte Norbert Blüm ganz herzlich dafür danken, daß er das mit großem Erfolg getan hat.
Ich will nur ein Beispiel nennen. Die Zahl der im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Beschäftigten ist in den vergangenen Jahren um das Vierfache gestiegen, nämlich von 29 200 auf 111 800. Das ist eine Steigerung um fast 300%. Damit sind viele ältere Arbeitslose, aber auch junge Leute, die ohne Arbeit auf der Straße standen, in eine Beschäftigung gekommen. Der große Erfolg zeigt sich darin, daß jeder zweite, der im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt ist, später auch übernommen wird.
Das, was gestern abend im Fernsehen am Beispiel Duisburg berichtet wurde, bezweifle ich. Ich halte das nicht für ein repräsentatives Beispiel. Ich bin dafür, daß wir noch mehr Geld ausgeben, damit wir noch mehr Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanzieren. Heute geben wir über 3 Milliarden DM für diese Maßnahmen aus.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß heute endlich einmal der Kanzlerkandidat der SPD hier im Deutschen Bundestag anwesend ist.
Ich habe gestern beim Festakt in der Düsseldorfer Oper Johannes Rau reden gehört. Johannes Rau hat die Vorzüge unseres Bundeslandes herausgestellt.
Aber, Johannes Rau, Sie haben nicht mit einem einzigen Wort davon geredet, daß die Arbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen mit 10,5% um 2 % höher als im Bundesdurchschnitt liegt.
Wie kommt es denn, daß in einer heute veröffentlichten Statistik — das liest sich j a wie die Wertung beim Eiskunstlauf — Nordrhein-Westfalen beim Zuwachs neuer Arbeitsplätze ganz unten liegt? Ich darf das einmal bekanntgeben: Saarland minus 2,8 %, Nordrhein-Westfalen minus 4,4 %, Hamburg minus 7,2 %, Bremen minus 9,5 %. Das ist die Bilanz der SPD.
Die Bilanz der CDU/CSU-geführten Länder: Bayern plus 10,4 %, Baden-Württemberg plus 5,2 %, Schleswig-Holstein plus 5,1 %, Rheinland-Pfalz plus 4,4 % und Niedersachsen plus 0,5%, bezogen auf den Zuwachs an neuen Beschäftigtenstellen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18251
Die deutschen Arbeitnehmer wissen schon, was sie am 25. Januar zu tun haben.
Sie werden mehrheitlich unserer Politik den Vorzug geben.
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß.
Die Rezepte der SPD taugen nichts. Deswegen werden die Arbeitnehmer uns vertrauen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jagoda.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich bei der SPD herzlich für diese Aktuelle Stunde bedanken, da Sie uns die Möglichkeit geben, vor der deutschen Öffentlichkeit einmal mehr darauf hinzuweisen,
wie erfolgreich unsere Politik ist.Die Bevölkerung soll die ganze Wahrheit erfahren,
und zwar von mir, Herr Kollege Lutz, denn das, was Sie hinterlassen haben, waren ruinierte Staats- und Sozialkassen.
Deswegen mußten wir in diesem Bereich die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,5 % erhöhen und, um die Belastung der Arbeitnehmer in Grenzen zu halten, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken. Das führte zunächst rechnerisch für den Haushalt 1986 zu einem Defizit von 2,6 Milliarden DM bei der Bundesanstalt für Arbeit, die wir durch Entnahmen aus der Rücklage ausgeglichen haben.Nun hat unsere Politik so gegriffen, daß wir die Rücklage nicht brauchen.
Wir brauchen nicht 2,6 Milliarden DM, sondern wahrscheinlich nur 200 Millionen DM. Das ist wegen dieser erfolgreichen Politik zu verzeichnen.
— Ja, Frau Kollegin Fuchs, wir brauchen weniger für Kurzarbeit, weil weniger Kurzarbeit in der Bundesrepublik Deutschland entsteht. Das ist ein großer Vorteil.
Nun, Herr Kollege Dreßler: Auch wenn man wie Sie rhetorisch geschickt vorträgt, bleibt Unwahrheit Unwahrheit. Sie wird ja dadurch nicht zur Wahrheit. Ich will Ihnen einmal sagen — Sie haben ja erzählt, daß die Renten sinken würden —: Sie sind sehr vergeßlich. Ich würde Ihnen die Drucksache 9/1957 einmal zur Lektüre empfehlen, nämlich einen Gesetzentwurf u. a. der Fraktion der SPD vom 7. September 1982. Da lesen Sie auf dem Deckblatt unter III: „Bemessung der Beiträge für die Arbeitslosen an die Renten- und Krankenversicherung"; dort haben Sie die Bemessung auf 70% zurückgenommen, aber uns machen Sie den Vorwurf. Wir haben in diesem Bereich dafür gesorgt, daß es für den einzelnen keine Rentenbenachteiligung gibt.
Einen weiteren Punkt möchte ich ansprechen. Ich bin j a auch kommunalpolitisch tätig und kenne Bürgermeister, egal welcher Schattierung, die sich immer aufregen, daß die Sozialhilfe mehr Geld kostet. Aber wenn Baumaßnahmen 1 Million DM oder etwas mehr kosten, wird das alles finanziert.Ich kann Ihnen nur sagen: Die Zinsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland hat den örtlichen Trägern der Sozialhilfe mehr Entlastung gebracht, als die Sozialhilfe je gekostet hat. Das muß man einmal in dieser Sache sagen.
Ich sage noch einmal, Herr Kollege Dreßler: Sozialhilfe ist ein Rechtsanspruch. Ich fordere heute wieder alle Leute in der Republik auf, die einen Anspruch darauf haben, diesen Anspruch geltend zu machen. Wir machen kein Gesetz für die Cleveren.Nun zu Ihrem Vorwurf, wir würden durch Leistungsbeschränkungen die Leute belasten.
— Ich bringe Ihnen doch ein Beispiel.Wir haben nicht nur die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld verlängert, sondern wir haben auch die Familien- und Kinderfreibeträge bei der Arbeitslosenhilfe erhöht. Ich bringe Ihnen nun ein ganz konkretes Beispiel: Ein Arbeiter mit einem Stundenlohn von 13,72 DM wird arbeitslos. Nachdem sein Anspruch auf Arbeitslosengeld erloschen ist, bezieht er Arbeitslosenhilfe. Seine Frau ist mit einem Bruttolohn von 2 135 DM — das entspricht einem Nettolohn von 1 487,70 DM — als Verkäuferin tätig.Vergleichen wir einmal die Höhe der Arbeitslosenhilfe während Ihrer Regierungszeit und während unserer Regierungszeit. Während Ihrer Regierungszeit hätte dieser Mann eine Arbeitslosenhilfe von 53,24 DM zu bekommen gehabt.
— Wenn er Arbeit hatte, Herr Kollege Reimann, bekam er keine Arbeitslosenhilfe.Das Familieneinkommen
— nun hören Sie doch einmal zu —, das dieser Familie zur Verfügung stand, betrug während Ihrer
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18252 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
JagodaRegierungszeit 1 690,94 DM. Durch unsere Verbesserungen steigt die Arbeitslosenhilfe für diesen Mann im Jahre 1986 von 53,24 DM auf 399,89 DM, und das Familieneinkommen steigt auf 2 037,59 DM. Wir haben in diesem Gesetz gleich festgelgt, daß der Betrag im nächsten Jahr noch einmal steigt.Ich will die Berechnungen in diesem Fall fortführen. Der Mann bekommt im nächsten Jahr eine Arbeitslosenhilfe in Höhe von 681,56 DM, und das Familieneinkommen steigt auf 2 319 DM. Bei Ihnen hätte das Familieneinkommen 1 690 DM betragen, bei uns beträgt es 2 319 DM. Das ist eine entscheidende Verbesserung des Leistungsrahmens in der Arbeitslosenversicherung.
So werden wir fortfahren. Wir lassen die Leute nicht im Stich. Wir sorgen erstens für mehr Arbeit, wir sorgen zweitens bei denjenigen, die keine Arbeit haben, für bessere Leistungen beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16 auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Energiebericht der Bundesregierung
— Drucksache 10/6073 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Forschung und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Schulte , Tatge und der Fraktion DIE GRÜNEN
Energiesparprogramm für den Wärmemarkt
— Drucksache 10/5976 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
Zu Tagesordnungspunkt 16 a liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6104 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 16a und 16b und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
— Ich bitte den Präsidenten während seiner Amtshandlungen hier nicht zu stören.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Energiebericht zieht die Bundesregierung die Bilanz ihrer Politik der letzten vier Jahre — einer erfolgreichen Politik — und legt die Schwerpunkte für die Energiepolitik der nächsten Jahre dar.
Auch das aktuelle Thema der Nutzung der Kernenergie, über das wir bereits gestern eingehend diskutiert haben, wird in den Gesamtzusammenhang dieser Politik gestellt, und in diesen Zusammenhang gehört es auch.Folgende Feststellungen kann man treffen. Erstens. Unsere Versorgungssicherheit ist größer geworden. Unsere Ölversorgungsquellen sind breiter gestreut; der Anteil der OPEC ist deutlich zurückgegangen. Die Entwicklung auf den Mineralölmärkten und die entspannte Preissituation sind Ergebnis einer Politik, die vor allem auf Energieeinsparung und Nutzung aller verfügbaren Energiequellen ausgerichtet ist.
Meine Damen und Herren, es wird oft gesagt, uns sei der Rückgang der Ölpreise in den Schoß gefallen. Das ist nicht richtig.
Die Politik, die die Bundesregierung zusammen mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft betrieben hat, nämlich über die Energieeinsparung, über das Durchschlagenlassen der Preise auf das Verhalten der Verbraucher und insbesondere über die Entwicklung neuer Energiequellen, hat dazu geführt, daß wir einen Käufermarkt bekommen haben. Gegenüber diesem Einfluß des Marktes hat sich auch das OPEC-Kartell als unwirksam erwiesen. Das ist der Grund, warum dieses Kartell auseinandergebrochen ist.Zweitens. Die Umweltbelastung durch Energie ist deutlich geringer geworden. Energie- und Umweltpolitik haben hier zusammengewirkt. Energieeinsparung und emissionsarme Energieträger haben zur Umweltentlastung beigetragen. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die TA-Luft und die Einführung der schadstoffarmen Kfz werden zu nachhaltigen Entlastungen führen.Wer hier der Bundesregierung vor kurzem noch Untätigkeit gegen Waldsterben und Umweltverschmutzung vorgeworden hat, der sollte heute höhere Umweltlasten als unvermeidbare Folge eines Verzichts auf Kernenergie nicht bagatellisieren.
Drittens. Unverändert wichtiges Ziel der Energiepolitik für unser Land ist es, ein wettbewerbsfähiges Energiepreisniveau zu sichern. Durch die Integration unserer Energiewirtschaft in die Weltmärkte vor allen Dingen bei Öl und Gas ist auch dieses Ziel weitgehend verwirklicht. Ich füge aber hinzu: Die hohen Aufwendungen für den Sicherheitsbeitrag der deutschen Steinkohle sowie für die
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18253
Bundesminister Dr. BangemannUmsetzung der notwendigen Umweltmaßnahmen sind einseitige Lasten für die deutschen Strompreise. Schon heute bieten europäische Partnerländer auch mit einem hohen Kernenergieanteil der Industrie attraktive Preise. Für stromintensive Unternehmen ist der Strompreis verständlicherweise bei der Standortwahl ein ganz entscheidender Faktor. Wer durch Verzicht auf kostengünstige Kernenergie ohne Not unser Preisniveau in die Höhe treibt, geht leichtfertig mit Wachstum und Beschäftigung um.Die großen Fortschritte bei der Energieeinsparung haben einen entscheidenden Beitrag zu dieser guten Bilanz geleistet. Auch hier sind die Ergebnisse besser, als selbst Optimisten während der beiden Ölpreiskrisen erwartet hatten.Seit 1973 ist das Bruttosozialprodukt um fast 25% gewachsen, der Primärenergieverbrauch aber nur um wenige Prozentpunkte. Das heißt, die Energieeinsparungspolitik hat es möglich gemacht, Wachstum des Bruttosozialprodukts ohne denselben proportionalen Anstieg des Primärenergieverbrauchs zu erreichen.Die deutsche Industrie hat durch die Energieeinsparung international rationelle Energieverwendungen eingeführt und damit eine Spitzenstellung erreicht. Wir haben auch im Verkehr durch diese Einsparpolitik, und zwar ohne bürokratische Reglementierungen, große Erfolge erzielt. Seit 1978 ist der spezifische Kraftstoffverbrauch pro 100 km bei neuen Pkw um deutlich über 20% zurückgegangen.Die Leitlinie der Bundesregierung war und wird auch hier sein: Primat für die Kräfte des Marktes und — wo das nötig ist — eine sinnvolle Ergänzung durch staatliche Maßnahmen. Auf dieser Basis und ohne großen Einsatz öffentlicher Mittel, ohne Subventionen ist in den vergangenen Jahren ein flächendeckendes Energieeinsparprogramm entstanden. Ich nenne hier das Energieeinspargesetz, Vorschriften für den Wärmeschutz, die finanzielle Förderung der Energieeinsparung und Programme zur Energieberatung von privaten Verbrauchern, kleinen und mittleren Unternehmen.Meine Damen und Herren, diese Politik hat sich als richtig erwiesen; sie wird fortgesetzt. Auch gerade bei der Energieeinsparung garantieren die Marktkräfte Flexibilität und eine Anpassung der Ressourcen, die nicht durch reglementierende Vorschriften in gleicher Weise erreicht werden könnten.Maßnahmen, die z. B. von der Fraktion der GRÜNEN und auch von der SPD für die Wärmedämmung vorgeschlagen werden, führen nach unserer Auffassung zwar zu hohen Mitnahmeeffekten und zu einer Erhöhung des öffentlichen Haushaltsdefizits, nicht aber dazu, daß die Verbraucher ihr Verhalten dauerhaft ändern.
Sie tun das dann, wenn sie vom Markt her dazu angeregt und gezwungen werden, aber nicht, wenn man versucht, sie zu subventionieren.
Übermäßige staatliche Eingriffe und Bürokratie würden Fortschritte in der Energieeinsparung nicht fördern, sondern hemmen. Beispielsweise Wärmedämmstandards zu oktroyieren, die bei unseren klimatischen Bedingungen absolut unwirtschaftlich sind, würde im übrigen die Akzeptanz dieser Politik bei den Bürgern auch nicht vergrößern.Auch bei der Stromeinsparung gibt es deutliche Erfolge. Die früher hohen Zuwachsraten gibt es nicht mehr. In der Diskussion wird oft die Dynamik des laufenden Einsparprozesses unterschätzt. Wir wollen deswegen nicht auf staatliche Reglementierungen zurückgreifen. Das gilt z. B. für die vorgeschlagene staatliche Reglementierung des Energieverbrauchs bei elektrischen Haushaltsgeräten. Ihr spezifischer Energieverbrauch ist in den letzten Jahren ohne jede staatliche Reglementierung um bis zu 37 % gesunken. Das wird bei den schon aus Umweltgründen hohen Strompreisen auch in Zukunft so weitergehen.Wer der Öffentlichkeit weismachen will, der Stromverbrauch werde real zurückgehen, verkennt die wirtschaftlichen Realitäten. Strom ist in vielen Fällen die erste Voraussetzung für weitere Rationalisierung. Eine weitere Rationalisierung, eine weitere Automatisierung unseres Produktionsprozesses ist dann unverzichtbar, wenn man unser ausreichendes und jedem Einkommen gewährendes Lohnniveau beibehalten und steigern will, und vor allem dann, wenn man die deutsche Industrie mit ihrem hohen Exportanteil wettbewerbsfähig halten will. Wir können auf Automation nicht verzichten, und deswegen brauchen wir vernünftige Strompreise. Das wird dazu führen, daß wir die Stromversorgung ausbauen müssen.
Deswegen glauben wir, daß diese Politik der Bundesregierung nicht ersetzt werden kann. Wir werden auch die Förderung der neuen und erneuerbaren Energien fortsetzen. Die Bundesregierung wird die Forschungsmittel hierfür aufstocken.Meine Damen und Herren, wir haben auch durch Verhandlungen, nicht durch Gesetze eine neue Regelung für die Einspeisung von Strom in das öffentliche Netz erreicht. Die Vergütung wird um durchschnittlich 30 % erhöht. Hinzu kommt, daß die Elektrizitätswirtschaft auch ihre eigenen Investitionen in regenerative Stromerzeugungsanlagen intensivieren wird. Dadurch weden die Chancen alternativer Stromerzeugungsanlagen verbessert und zusätzliche Potentiale erschlossen.Trotzdem ist klar — darin stimmen auch alle Sachverständigen überein —, daß der Beitrag der regenerierbaren Energiequellen auf absehbare Zeit begrenzt bleibt. Forschungsinstitute schätzen ihren Anteil für das Jahr 2000 auf höchstens 4 bis 7 % des
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18254 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Bundesminister Dr. BangemannPrimärenergieanteils. Ihr Beitrag zur Stromerzeugung kann also nach den Schätzungen selbst bei den optimistischsten Annahmen nur um 2 % gesteigert werden. Auch hier wäre es aber verfehlt, durch Dauersubventionen gegen den Markt einen substantiell höheren Anteil zu erzwingen.Die Entwicklung auf den internationalen Ölmärkten der vergangenen Monate hat gezeigt, daß trotz aller Fortschritte grundlegende Probleme und Herausforderungen in unserer Energiepolitik fortbestehen. Auch in Zukunft werden unsere Energiemärkte vom Weltölmarkt abhängig bleiben. Das Mineralöl bleibt auf absehbare Zeit der bedeutendste Energieträger. Sosehr unsere Volkswirtschaft im Moment von den gesunkenen Ölpreisen profitiert — und wir wollen diesen Vorteil durch künstliche Abgaben nicht wieder zunichte machen —, so können und dürfen wir doch nicht damit rechnen, daß diese Entwicklung von Dauer ist. Wir werden mit steigenden Ölpreisen zu rechnen haben.Zu Recht stellt deshalb die Bundesregierung die Fortführung der marktwirtschaftlichen Politik in den Vordergrund. Die Devise „Mehr Markt und weniger Dirigismus" hat zu diesen Erfolgen bei der Energiepolitik geführt. Deswegen sollte man sie nicht ändern.
Man kann sie nicht durch einen Katalog von Verboten oder Subventionen ersetzen, so wie das die Opposition fordert.Meine Damen und Herren, das gilt auch für die Forderung nach dem sofortigen oder baldigen Ausstieg aus der Kernenergie. In diesen Zusammenhang muß man auch die Forderung einreihen, den Strom im Wärmemarkt zu verbieten. Wer den Einsatz von Nachtstromheizungen verbieten will, behindert übrigens den Absatz deutscher Steinkohle.
Meine Damen und Herren, dieser Zusammenhang zwischen dem, was heute für die Steinkohle möglich ist, und dem, was nicht mehr möglich wäre, wenn man diese Reglementierungen durchsetzen würde, ist offenbar insbesondere der SPD-Fraktion bis jetzt verborgen geblieben;
sonst würde sie sich in diesen Fragen an den Konsens erinnern, der früher zwischen allen Fraktionen bestanden hat und der auch heute die Grundlage für die Sicherung des deutschen Steinkohlebergbaus ist.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung bedauert, daß dieser Konsens verlorengegangen ist, und sie wird alles tun, um ihn wiederherzustellen; denn die Kohlepolitik der Bundesregierung wird nur Erfolg haben können, wenn sie von einem breiten Konsens getragen wird.
Wir wollen dazu beitragen, daß der Anteil der deutschen Kohle an der Energieversorgung gesichert werden kann.
Deswegen haben wir die Durchführung des Verstromungsvertrages und die Flankierung des neuen Hüttenvertrages durch die Bundesregierung vorgeschlagen und durchgesetzt.
Auch die Erfolge bei den Bemühungen um eine für uns tragfähige EG-Kohlebeihilferegelung unterstreichen das.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat sich ganz wesentlich dafür eingesetzt, daß diese Grundlagen für die deutsche Steinkohle beibehalten werden können.
Wir haben in der EG eine Formulierung durchgesetzt, die uns die Fortführung unserer Kohlepolitik gestattet. Wir haben den Kohlepfennig im Laufe dieser Legislaturperiode erhöht, weil das Weltmarktpreisniveau bei der Kokskohle das erfordert hat. Wir haben einen neuen Hüttenvertrag ausgearbeitet, und wir werden auch bei der Verstromung der Kohle dafür sorgen, daß die Grundlagen für die Steinkohle erhalten bleiben. Aber das alles können wir nur durchsetzen, wenn wir uns in diesen wichtigen Fragen einig bleiben.
Wenn die SPD-Opposition das alles verläßt oder gefährdet, wird das nicht möglich sein. Die Verstromungsregelung sichert der deutschen Steinkohle den Absatz von über der Hälfte ihrer Förderung, und sie wird, wie 1980 verabredet, mit steigendem Einsatz deutscher Steinkohle durchgeführt.Meine Damen und Herren, wir haben die Mehrbelastungen, die von dieser Politik auch auf den Haushalt ausgehen, nicht nur hingenommen, sondern auch akzeptiert, weil wir diese Politik fortsetzen wollen. Ich bin sicher, daß der deutsche Steinkohlebergbau alle Anstrengungen unternehmen wird, um zu einer rationellen Förderung zu kommen.
Wir erkennen die bisherigen Leistungen auf diesem Gebiet ausdrücklich an.Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Gesamtdarstellung der Energiepolitik im Energiebericht macht deutlich: Trotz der aktuellen Diskussion um die Kernenergie ist Energiepolitik auch heute nicht allein Kernenergiepolitik.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18255
Bundesminister Dr. BangemannEs wäre verfehlt, unter dem Eindruck des Unfalls von Tschernobyl nunmehr die Lösung aller energiepolitischen Probleme nur unter dem Blickwinkel der Kernenergie zu sehen.
Langfristig angelegte Politik ist nur dann erfolgreich — und zwar gerade als Energiepolitik nur dann erfolgreich —, wenn sie die richtigen Rahmenbedingungen für eine zugleich sichere, umweltfreundliche und preisgünstige Energieversorgung setzt. Dafür haben wir die Weichen richtig gestellt.Dazu gehört auch der Einsatz der Kernenergie auf überschaubare Zeit.
Die Bundesregierung hat die Sicherheit der Kernkraftwerke immer an die erste Stelle gesetzt. Deshalb ist die Nutzung der Kernenergie zu verantworten. Wir müssen dafür wirken, daß Sicherheitsüberlegungen in anderen Ländern den gleichen Rang bekommen.Der Energiebericht hat die wirtschaftlichen und die ökologischen Vorteile im einzelnen dargelegt. Umweltentlastung, Schonung der begrenzt vorhandenen fossilen Ressourcen — auch und vor allem im Interesse der Entwicklungsländer —, Verminderung von Klimarisiken, kostengünstige Stromerzeugung im Interesse von Wachstum und Beschäftigung und die Nutzung der Kernenergie als moderner Technologie sind die entscheidenden Gründe. Verantwortliche Politik gebietet, all diese Faktoren und die Risiken in die Abwägung einzubeziehen.Deswegen, meine Damen und Herren, können wir für einen absehbaren Zeitraum auf die Nutzung von Kernenergie nicht verzichten. Wir brauchen es auch nicht, weil die Sicherheitsvorschriften, die wir anwenden, zu den besten gehören, die es auf der Welt gibt.
Auf lange Sicht wird die Zukunft der Kernenergie davon abhängen, ob es gelingt, in bezug auf Sicherheit, Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit bessere Versorgungsalternativen zu finden. Daran arbeitet die Bundesregierung. Für uns ist die Kernenergie nicht das letzte Wort. Aber wir müssen sie jetzt nutzen, um auch diese Zukunftsmöglichkeiten zu erreichen. Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß uns das gelingen wird.Die Bundesregierung wird daran arbeiten. Sie wird ihre erfolgreiche Energiepolitik fortsetzen und damit eine Grundlage auch für eine gedeihliche Entwicklung unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft schaffen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Ministerpräsidenten des Landes NordrheinWestfalen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt ihren Energiebericht in einer Situation vor, in der die Energiepreise weltweit einen Kollaps erleben
und ihre weitere Entwicklung ungewisser ist denn je und in der eine heftige Debatte über die künftige Energieversorgung die Bürger tief bewegt. In dieser Situation erwarten die Menschen Orientierung, Perspektive, politische Führung.
An diesen Ansprüchen gemessen, kommt man nicht zu einem positiven Urteil über diesen Energiebericht.
Wer ihn liest,
wird sich fragen: Sind das nicht Steine statt Brot?
Ist das nicht ein Dokument politischer Sprachlosigkeit, das zukunftsweisende Antworten verweigert?
Wir in Nordrhein-Westfalen sind von diesem Energiebericht und seinen Inhalten im Wortsinne betroffen.
Als Ministerpräsident des Energiezentrums Nordrhein-Westfalen, in dem fast jede zweite Kilowattstunde Strom hergestellt wird und aus dem 90 % der deutschen Steinkohle und Braunkohle kommen,
sage ich der Bundesregierung: Die Energiepolitik, für die dieser Bericht steht, hat keine Zukunft.
Mehr noch: Sie gefährdet auf mittlere Sicht
Zehntausende von Arbeitsplätzen im Kohlebergbau.
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18256 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Die Politik der sozialliberalen Regierung, die Politik Helmut Schmidts, war getragen von der Oberzeugung: Wir brauchen einen leistungsfähigen Steinkohlebergbau, der uns jedenfalls in gewissem Umfang vor weltwirtschaftlichen Risiken schützt. Wir brauchen eine Energiepolitik, die der Steinkohle Chancen auf den Energiemärkten in unserem Lande erhält und sie bewußt unterstützt.
Es war unsere gemeinsame Überzeugung, daß das nicht nur im Interesse der Kumpel ist, sondern in unser aller Interesse.
Auch der gegenwärtige Bundeskanzler hat solche Erklärungen abgegeben.
Aber wenn man den Energiebericht liest, dann stellt man fest, daß diesen Worten keine Taten folgen.
Die Bundesregierung scheint die aktuellen Probleme der Kohle nicht zu sehen.
Sie sieht tatenlos zu, wie die kostengünstige Braunkohle wider alle ökonomische Vernunft aus der Verstromung gedrängt wird.
Sie verschließt die Augen davor, daß der weltweite Verfall der Ölpreise die Steinkohle erneut in Bedrängnis bringt.
Wie sehen die Zahlen aus? — 1984 wurden 127 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert, 1985 nur noch 121 Millionen Tonnen, und in diesem Jahr werden es voraussichtlich noch 115 Millionen Tonnen sein.
Manche fürchten sogar, die rheinischen Braunkohlenwerke würden in diesem Jahr die Förderung um 10 Millionen Tonnen zurücknehmen. Dafür gibt es einen einzigen, sehr einfachen Grund: Das RWEverstromt weniger Braunkohle, statt dessen geht das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich ans Netz.Ich frage: Ist es energiepolitisch vertretbar, daß die teure und risikoreiche Atomenergie die kostengünstige Braunkohle aus der Stromversorgung verdrängt?
Wäre es nicht besser, der Braunkohle den Rücken zu stärken und uns ein Stück Versorgungssicherheit zu erhalten?
Wer vom Energiebericht der Bundesregierung darauf eine Antwort erwartet, wird enttäuscht. Er findet nur Allgemeines und Unverbindliches.
Wenn dieser Energiebericht unkorrigiert verwirklicht würde, dann hieße das im Klartext: Es kommt zu weiteren Zechenstillegungen und zu weiterem Beschäftigungsabbau.
Die Förderung geht zurück. An der Ruhr wird schon heute kurzgearbeitet. Wenn sich die Lage nicht ändert, wird weitere Kurzarbeit unvermeidbar.
Der Absatz der deutschen Steinkohle betrug 1985 insgesamt rund 92 Millionen Tonnen.
Für 1986 rechnen die Bergbauunternehmen mit knapp 80 Millionen Tonnen. Damit sich jeder ein Bild davon machen kann, was das für die Menschen praktisch bedeutet, nenne ich einige Beispiele. Mitte vergangenen Jahres wurde die Schachtanlage Gneisenau in Dortmund mit sechstausend Arbeitsplätzen stillgelegt. Die Schachtanlage Zollverein in Essen mit viertausend Arbeitsplätzen wird Ende dieses Jahres auslaufen.
„Minister Stein" in Dortmund mit viereinhalbtausend Arbeitsplätzen verfährt Ende 1987 die letzte Schicht. In Essen und Dortmund wird in Zukunft keine Kohle mehr gefördert.
Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist im Kokskohlenbereich zu finden. Die Rohstahlerzeugung ist rückläufig. Koks wird teilweise durch billigeres 01 oder durch Gas ersetzt.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerstein?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18257
Herr Ministerpräsident, würden Sie mit mir übereinstimmen, daß die Stillegungen der von Ihnen genannten Schachtanlagen durchgeführt worden sind, weil die Lagerstätten erschöpft sind und einen vernünftigen Abbau nicht mehr zulassen, und daß es sich hier um notwendige Rationalisierungsmaßnahmen oder Zusammenlegungsmaßnahmen des deutschen Steinkohlebergbaus handelt,
die in der Kohlerunde vereinbart sind und die mit den augenblicklichen Absatzschwierigkeiten der deutschen Steinkohle überhaupt nichts zu tun haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Gerstein, wenn es zu solchen Schließungen aus solchen Gründen kommt, brauchen wir einen Energiebericht, der die Zukunftsperspektive für die Kohle sichert und der zusätzliche Absatzmärkte ermöglicht, statt einfach so weiterzumachen wie bisher.
Noch sehr viel ernster zu nehmen ist die Entwicklung im Verstromungsbereich, wenn hier im Augenblick die Absatzmengen auch stimmen, der Jahrhundertvertrag also noch erfüllt wird. Ich will, daß die heimische Stein- und Braunkohle auch in Zukunft Grundlage einer sicheren und zuverlässigen Energieversorgung bleibt.
Da genügt eine scheinbar objektive Beschreibung vorhandener Tendenzen und Trends nicht. Da ist es nötig, die Instrumente der Kohlepolitik weiterzuentwickeln.
Ich stimme Hans-Werner Meyer, dem Vorsitzenden der IG BE zu, der sagt: „Jetzt muß über die deutsche Kohle und die Bergleute geredet werden, wenn eine verhängnisvolle Schieflage in der energiepolitischen Diskussion vermieden werden soll."
Darüber muß jetzt geredet werden.Die Verhandlungen zwischen dem Steinkohlebergbau und der Elektrizitätswirtschaft über eine unbefristete Verlängerung des sogenannten Jahrhundertvertrags über die Anpassung der Ausgleichsabgabe müssen sehr bald beginnen. Und wer die Kohle wirklich in den Wärmemarkt einbringen will,
der muß die Entwicklung und den Einsatz umweltschonender und verbraucherfreundlicher Techniken fördern.
Es kann nicht richtig sein, jetzt über umfangreichere Steinkohleimporte nachzudenken,
vor allem nicht, solange unsere heimische Steinkohle unter großem Druck steht. Ich sage das bewußt in alle politischen Richtungen.
Der Steinkohlebergbau braucht auch in Zukunft angemessene Innovations- und Investitionshilfen.Ich fordere das als Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, das in den vergangenen zwei Jahrzehnten aus seinem Landeshaushalt fast 14 Milliarden DM für den Steinkohlebergbau gezahlt hat, die Verzinsung nicht einmal eingerechnet.
— Nein, die vergesse ich nicht. Aber die Bundesregierung hat ein eigenes Gesetz, das ihr Gelder bringt, nämlich über die Heizölsteuer, die sie einsetzt, um damit die Kohlelasten zu finanzieren. Länder haben solche Gesetze nicht, Herr Kollege.
Im Landeshaushalt 1987 sind zusätzlich 1,25 Milliarden DM für diese eigentlich gesamtstaatliche Aufgabe vorgesehen.Was sagt nun die Bundesregierung in ihrem Energiebericht zu den Perspektiven der Kohle? Sie verbreitet Freude über die niedrigen Ölpreise und über die Entlastung für die Verbraucher.
Ich finde es kurzsichtig. Denn wir alle wissen doch: Es wird nicht so bleiben, und es kann nicht so bleiben.
Ich warne mit Hans-Werner Meyer davor, daß wieder einmal der Kohlebergbau — ich zitiere — „unter der Welle billigen Öls in Atemnot kommt".
Wer heute die heimische Kohle schwächt, der ist morgen wieder erpreßbar.
Die Bundesregierung und auch Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, sprechen von einer Fortsetzung der marktwirtschaftlichen Politik. Wissen Sie nicht, daß im Bereich der Energiewirtschaft Markt und Wettbewerb wenig, Monopol und Marktbeherrschung dagegen viel bedeuten?
Da wird viel über die Steinkohle als Subventionsempfänger und davon gesprochen, daß die Hilfenaus dem Verstromungsfonds, insbesondere der Öl-
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18258 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Ministerpräsident Dr. h. c. Rau
ausgleich, überprüft werden müßten. Es wäre gut, wenn statt dessen von dem Versorgungsauftrag gesprochen würde, den die heimische Steinkohle erfüllt und der uns wenigstens in gewissem Umfang vor Risiken der Energieversorgung schützt.
Es wäre auch gut, wenn von den vielen Menschen in den Bergbaurevieren an der Ruhr, bei Aachen und im Saarland gesprochen würde,
deren wirtschaftliche Existenz von der Steinkohleförderung und von der hohen Leistungsfähigkeit unseres Bergbaus abhängt, die in Europa einmalig ist.Es ist jetzt viel von den Umweltproblemen der Kohle die Rede. Gewiß, niemand darf darüber hinwegsehen, daß Kohlekraftwerke Schwefeldioxid und Stickoxide emittieren. Ich bedarf wirklich keiner Belehrungen zum Thema Waldsterben. Aber es muß dann auch gesagt werden,
daß Kohle umweltfreundlich verbrannt werden kann und daß wir in Nordrhein-Westfalen gewaltige Anstrengungen unternehmen, um die Kraftwerke umweltfreundlich umzurüsten.
Bei uns sind heute Kraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 10 000 MW mit Rauchgasentschwefelungsanlagen ausgerüstet.
Schon heute werden im Jahr 120 000 Tonnen Schwefeldioxid und 40 000 Tonnen Stickoxide weniger an die Umwelt abgegeben als 1983.
— Und was Ibbenbüren und Buschhaus angeht, Herr Abgeordneter:
Dieses Kraftwerk erfüllt in vollem Umfang alle Anforderungen,
die im Jahr 1984 in der ersten Buschhausdebatte von allen vier Fraktionen dieses Hauses an die Entschwefelung gestellt worden sind.
Und bei der Entstickung, die bei der dort verwendeten Kohle besonders schwierig ist, halten wir es mit den Betreibern, bei einem Zeitplan, den wir präzise einhalten.
Ich meine, der Hinweis auf das Kohlendioxid sollte kein Argument sein, um die Kohle schlechtzumachen, und kein Argument, um der Atomkraft den Weg zu bereiten. Wie ehrlich ist es gemeint, wenn jetzt auch noch das Totschlagargument einer Klimakatastrophe an die Wand gemalt wird?
Keine Frage, das Problem ist ernst zu nehmen; aber man muß die Dimensionen sehen. In der weltweiten Gesamtemission von Kohlendioxid, die aus dem Verbrennen fossiler Energieträger kommt, hat die heimische Steinkohle einen Anteil von weniger als 2 %.
Und im übrigen: Wenn ich vom notwendigen Umsteuern in der Energiepolitik rede,
dann meine ich zunächst, daß Forschung und Entwicklung auf umweltfreundlichere Nutzung der Kohle umgesteuert werden müssen, statt weiterer Förderung der Kernenergie.
Für Nordrhein-Westfalen, aber nicht nur für Nordrhein-Westfalen, erwarten wir, daß sich die Bundesregierung zum Versorgungsauftrag der heimischen Kohle deutlicher bekennt und daß sie ihn konkret beschreibt und sichert,
daß sie die Dinge nicht weiter auf die Schließungweiterer Zechen hintreiben läßt, daß sie den im Verstromungsgesetz festgelegten Auftrag ernst nimmt
und jetzt den Anteil der Kohle an der Stromerzeugung langfristig sichert und daß sie eine Politik der nationalen Energiesicherung betreibt und die heimische Kohle nicht aus kurzsichtigen Erwägungen preisgibt.
Bisher sind wir in einem nationalen Konsens von der Unverzichtbarkeit der heimischen Kohle ausgegangen. Nach diesem Energiebericht besteht Anlaß, zu warnen. Wer die heimische Kohle im Stich läßt, trägt die Verantwortung dafür, daß die Bundesrepublik energiepolitisch wieder erpreßbar wird,
daß in den Steinkohlerevieren wieder die Angst vor Zechenschließungen und dem Verlust des Arbeitsplatzes umgeht. Dieser Energiebericht richtet sich gegen die Interessen Nordrhein-Westfalens und des Saarlandes. Er richtet sich vor allem gegen die im
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18259
Ministerpräsident Dr. h. c. Rau Bergbau arbeitenden und vom Bergbau lebenden Menschen.
In der Energiepolitik ist es an der Zeit, umzudenken und umzusteuern. Das hat auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Josef Kardinal Höffner, auf dem Katholikentag in Aachen gefordert. Und er hat recht.
Er war es, der aus seiner Verantwortung heraus uns allen ins Gewissen geredet und beim Namen genannt hat, was passiert, wenn in einem Atomkraftwerk der nie auszuschließende Ausnahmefall eintritt.
Dann gibt es— so sagt Kardinal Höffner —nicht einen Unfall, dann gibt es eine Katastrophe für Menschen und kommende Geschlechter, weit über die Grenzen der Länder hinaus.Und da sagen Sie, Herr Minister Bangemann, man solle nicht ohne Not auf Kernenergie verzichten! Das wäre Not, Herr Bundeswirtschaftsminister.
Da hilft kein Herumdeuteln. In dieser Frage spricht Kardinal Höffner
— wenn Sie mich schon nicht hören wollen, vielleicht wollen Sie ihn und das, was er sagt, hören —
für die große Mehrheit der Menschen in unserem Land. Und ich bitte Sie eindringlich: Nehmen Sie diese Sorgen der Menschen ernst.
Ich bitte Sie auch: Ignorieren Sie doch nicht die wesentlichen Ergebnisse aller in den letzten Monaten vorgelegten Gutachten, auch der von der Bundesregierung selbst in Auftrag gegebenen Gutachten
über die Chancen einer sicheren Energieversorgung ohne Atomkraft!
Ich frage die Koalition: Was ist angesichts des vorliegenden Energieberichts von den vielen unterschiedlichen, ja widersprüchlichen Äußerungen aus Ihren eigenen Reihen in den vergangenen Wochen und Monaten zu halten?
Professor Biedenkopf
hat in einem Interview, übrigens in der „taz", vor vier Wochen gesagt:Wenn ich es nüchtern betrachte, reduziert sich die Auseinandersetzung zwischen CDU und SPD auf die Frage, in welchen Zeiträumen sich die gegenwärtige Energieversorgung verändern läßt. Die SPD sagt, das ist in zehn Jahren möglich, die CDU sagt, das geht in 30 bis 50 Jahren.
Ich sehe die Unterschiede nicht so wie Professor Biedenkopf aber ich wäre schon froh, wenn die Bundesregierung Herrn Biedenkopf wenigstens in diesem Punkt folgen würde.
Der Energiebericht tut das eindeutig nicht. Die Worte von einer Übergangslösung, von einer im nächsten Jahrhundert anstehenden Ablösung der Kernenergie:
Meine Damen und Herren, war das alles nur Semantik, war das nur taktische Anpassung an die Mehrheitsmeinung?
Der Energiebericht geht von der zeitlich unbefristeten und der unbegrenzten Nutzung der Kernenergie aus.
— Das ist der Punkt.
Diese Aussage steht in deutlichem Widerspruch zu allen rhetorischen Beteuerungen. Sie macht klar: Die Bundesregierung will nicht, was eine große Mehrheit der Menschen bei uns will: daß wir uns so schnell wie möglich von einer Technik trennen, die
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18260 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Es geht um mehr als um die isolierte Diskussion einer einzelnen Technologie.Sie wissen: Für das Land Nordrhein-Westfalen hat Atomstrom keine besondere Bedeutung; sein Anteil beträgt nur 3 % an der Stromversorgung des Landes.
— Im Moment nicht.
Mir geht es aber um eine grundsätzliche Frage, die für die Glaubwürdigkeit und damit für die Festigkeit unserer demokratischen Ordnung von zentraler Bedeutung ist. Eine wachsende Zahl von Menschen — nicht nur von jungen Menschen — spricht uns Politikern die Fähigkeit umzudenken ebenso ab wie die Bereitschaft umzusteuern.
Nicht wenige fragen sich, ob wir Politiker überhaupt noch fähig sind, Neues hinzuzulernen.
Und es gibt leider Anlässe zu solchen Fragen. Auch der Energiebericht ist ein Beispiel dafür.
Ich sage: Es ist kein Ausweis von Entschlossenheit und Tatkraft, an einmal getroffenen Entscheidungen festzuhalten — ohne Rücksicht auf die Folgen, ohne Rücksicht auf gemachte Erfahrungen, ohne Rücksicht auf neue Einsichten.
Die Bereitschaft, aus Erfahrungen zu lernen, ist Voraussetzung jeder verantwortungsbewußten Politik.
Ich weiß selber, wie schwer das ist.
Aber ich bin überzeugt, wir sind das unseren Mitbürgern und Mitbürgerinnen schuldig.
Dem Umlernen muß das Umsteuern folgen.
Wer dazu nicht bereit oder nicht in der Lage ist, der kann die Zukunft nicht gestalten.
Man darf mit den Ängsten und Sorgen der Menschen nicht spielen.
Aber man spielt auch mit ihnen, wenn man sie verdrängt, verharmlost oder ignoriert.
Man darf sich nicht wundern, wenn Menschen einem dann keinen Glauben mehr schenken.
— Herr Kollege, ich dachte, Sie wollten hören und nicht stören; Sie hatten mich doch eingeladen —:
weder bei Aussagen über die Sicherheit von Atomkraftwerken noch bei anderen technischen Großprojekten.Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich habe dem Bundeskanzler am 10. Mai 1985 in einem Brief meine im Laufe der Jahre immer stärker gewordenen Bedenken gegen die Technologie des Schnellen Brüters ausführlich mitgeteilt. Ich habe in diesem Brief am 10. Mai 1985 geschrieben:In den letzten zweieinhalb Jahren, die seit der grundsätzlichen Diskussion im Deutschen Bundestag vergangen sind, hat sich eine Reihe neuer Aspekte ergeben, die uns veranlassen, über einige Fragen neu nachzudenken. Meinem Eindruck nach haben sich bei uns, aber auch in anderen Ländern die Zweifel verstärkt, ob mit Schnellen Brütern ein zweckmäßiger und verantwortbarer Weg eingeschlagen wird, die Energieversorgung für die Zukunft zu sichern.Das war vor 17 Monaten. Hier geht es nach meiner Überzeugung — und darum wiederhole ich das — um eine qualitativ neue Entscheidung.
Aus meiner Sicht ist der Einstieg in die großtechnische, in die kommerzielle Plutoniumwirtschaft ein Irrweg!
Wir dürfen uns keine zusätzlichen Probleme undkeine nicht abschätzbaren Risiken schaffen, wo wir
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18261
Ministerpräsident Dr. h. c. Rau schon mit den vorhandenen Risiken große Sorgen haben.
Und darum sage ich nein zu Kalkar und nein zu Wackersdorf.
Auf der politischen Ebene wird die Inbetriebnahme von Kalkar ja nicht nur von uns Sozialdemokraten abgelehnt.
Auch in den Reihen der Koalitionsfraktionen, Herr Abgeordneter
— das war gerade durch den Zuruf bekanntgeworden; das schien vorher nicht deutlich zu sein —, gibt es viele, die erhebliche Zweifel am Sinn dieses Projektes haben.
Die CDU und die FDP in Nordrhein-Westfalen haben jedenfalls in den vergangenen Monaten deutlich kritische Distanz erkennen lassen.
Auch sie halten die Inbetriebnahme inzwischen offenbar nicht mehr für realistisch.
Die, die heute noch auf Kalkar setzen, werden nachvollziehen müssen, was den niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht damals bewegte, als er jenseits aller technischen und rechtlichen Probleme in Gorleben einen Bau mit der Begründung stoppte, das Projekt sei politisch nicht durchsetzbar. Ich weiß aus Gesprächen mit maßgeblichen Vertretern der Energiewirtschaft: Auch ihnen ist klar, daß ohne breite gesellschaftliche Akzeptanz auf Dauer keine Energiepolitik betrieben werden kann.Wir brauchen, meine Damen und Herren, einen neuen energiepolitischen Konsens. Bei der Energieeinsparung, der rationellen Verwendung von Energie und bei den regenerativen Energiequellen gibt es riesige technologische und industriepolitische Chancen. Der intelligente Einsatz der Mikroelektronik kann den Energieverbrauch deutlich senken.
Ich halte es für wichtiger, die Nachfrage nach Strom auf diese Weise zu vermindern, als das Angebot an Strom durch den Bau immer neuer Kraftwerke zu vergrößern.
Dazu ist freilich Voraussetzung, daß das volkswirtschaftlich Vernünftige sich auch betriebswirtschaftlich rechnet. Solange auf Grund der Stromtarife die Kilowattstunde im Durchschnitt um so billiger wird, je höher der Stromverbrauch ist, bleiben Investitionen zur rationellen Energienutzung unwirtschaftlich.
Das behindert die Entwicklung, und das behindert den Einsatz moderner Techniken. Wir brauchen eine Änderung der Tarifstruktur.
Meine ebenso herzliche wie dringende Bitte an die Bundesregierung ist deshalb: Blockieren Sie nicht unsere Zukunftschancen im Bereich der Energietechnik, blockieren Sie nicht Kreativität, Phantasie und Leistungswillen der Wissenschaftler und der Techniker, der Ingenieure und der Arbeitnehmer gerade in den mittelständischen Betrieben,
indem Sie bloß beschreiben, was sich ergeben hat, statt zu sagen, was sein soll.
Wer heute weiter auf Atomkraft setzt, provoziert in diesem Bereich neuer Technologien einen gigantischen Investitionsstau.
Darum bitte ich: Setzen Sie nicht weiter auf die Vergangenheit, sondern öffnen Sie sich für die Zukunft!
Ich will verhindern, daß an der Ruhr noch einmal schwarze Fahnen wehen; es würde sie aber geben.
Es gab einmal schwarze Fahnen an der Ruhr, und das war dann auch das Ende der Regierung Erhard, meine Damen und Herren.
Ich will verhindern, daß es an der Ruhr noch einmal schwarze Fahnen gibt.
Es gäbe sie aber, wenn der vorliegende Energiebericht Grundlage der Energiepolitik bliebe. Das darf nicht sein; wir müssen jetzt umsteuern zu einer umweltverträglichen, sicheren Energieversorgung, die Atomkraft durch wirklich moderne Techik ersetzt.
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18262 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Rau hat einen Satz gesprochen, den wir alle sehr ernst nehmen.
Er hat davon gesprochen, daß wir die Ängste der Menschen ernst nehmen müssen, daß wir nicht mit ihnen spielen dürfen.
Herr Ministerpräsident, Sie haben in der letzten Passage Ihrer Rede davon gesprochen, daß schwarze Fahnen an der Ruhr wehten, weil die Zechen geschlossen werden müßten. Was Sie da machen, ist ein Spiel mit den Ängsten der Menschen.
Was Sie hier entwerfen, ist nicht in der Politik der Bundesregierung begründet. Was die Bundesregierung angelegt hat, was hier der Herr Bundeskanzler in verschiedenen Erklärungen gesagt hat, daß wir auf der Seite der Kumpel stehen, daß wir den Bergbau unterstützen,
daß wir den Kohlepfennig erhöht haben, daß unsere Kohlepolitik konsistent weitergeht, daß sie bis jetzt im Konsens mit den Gewerkschaften getragen worden ist, daß — dies hat der Bundeskanzler in diesen Tagen gesagt — wir auch in der Solidarität der Bundesländer das Land Nordrhein-Westfalen nicht allein lassen, das von Strukturkrisen bedrängt ist, das ist die Grundlage der Politik der Bundesregierung, auch und gerade im Bereich der Kohle.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Das muß ich jetzt im Zusammenhang darstellen.
Herr Rau sprach hier von der Frage der Kernenergie und ihrer Problematik. Die Grundlage der Kernenergie und der Energiepolitik ist immerKernkraft plus Kohle gewesen. Eine Kernenergiepolitik war nie isoliert.
Kerntechnik und Kohle waren immer ein gemeinsames Konzept als Begründung für einen vernünftigen Mix im Strompreis, als Begründung für eine vernünftige Solidarität der Länder, die keinen Bergbau haben, mit den Ländern, die einen Bergbau haben.
Wer diesen Konsens aufkündigt, der eine Grundlage der Energiepolitik über viele Regierungen hinweg gewesen ist, gefährdet die Zusammenarbeit, gefährdet die deutsche Kohle, gefährdet eine Grundlage für unser Land.
— Herr Kollege Wolfram, wir kennen uns lange und haben viele Energiedebatten gemeinsam geführt, Sie wissen, in welcher Weise ich immer eingetreten bin für den Rang der deutschen Kohle als Grundlage unserer Energieversorgung.
Sie wissen, wie wir das hier zugrunde gelegt haben, und dies wird auch so bleiben.
Es ist hier über die Gewerkschaften und ihre Sorgen gesprochen worden. Eine große Leistung ist das hohe Maß an Konsens zwischen Gewerkschaften und Unternehmen, zwischen Land und Bund, mit dem die schwierigen Strukturänderungen an der Ruhr und an der Saar durchgeführt worden sind. Wenn die SPD ein bißchen mehr auf den Rat der IG Bergbau und Energie zur Energiepolitik hören würde, die sie oft in Anspruch nimmt — Sie haben wieder Herrn Meyer zitiert —, dann wäre es um den Konsens um unsere Energiepolitik, um ihre Zukunftsfähigkeit besser bestellt. Wir brauchen den Konsens — dem stimme ich zu —, aber nicht einen Konsens zu Lasten der Sache, sondern in der Sache begründet.
Sie haben, Herr Ministerpräsident, hingewiesen — —
— Ich will mich hier an eine sehr begrenzte Redezeit halten. Ich habe nicht die Zeit, die Herr Rau hatte. Ich muß jetzt die Punkte halten.
Deutscher Bundestag — 10. ahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18263Bundesminister Dr. RiesenhuberSie haben hier von dem gesprochen, was an neuen Techniken anzugehen sei. Sie sagten, wir brauchten ein Umsteuern zu den Kohletechniken, die umweltfreundlich seien. Was wir in den letzten Jahren in den Energietechniken über ein großes Spektrum der Kohletechnik gemacht haben, war der Versuch — und in vielen Bereichen der gelungene Versuch —, Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sich die Kohle neue Märkte erschließt, im Wärmemarkt vorangeht, daß sie dezentral umweltfreundlich gefeuert werden kann. Das war die Technik der Wirbelschicht, der druckgefeuerten Wirbelschicht, das war eine Vielfalt von neuen Techniken, bei denen neue Märkte, neue Umweltfreundlichkeit für die Kohle erschlossen werden soll.
Aber wir können hier nicht sozusagen von oben einer Technik vorgreifen, die noch nicht da ist. Das Zusammenspiel in der Energiepolitik ist immer das Zusammenspiel der Vielfalt aller Techniken, die wir haben können,
und die Anstrengung, die bestmögliche Technik zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu kriegen.
Wir haben, was für die Kohle an Zukunft aufgebaut werden kann, in den neuen Techniken vorangebracht.Wenn hier wenig über die Braunkohle gesprochen wird, dann nicht deshalb, weil wir ihren Rang nicht kennen, sondern deshalb, weil sie bis jetzt über alle Regierungen hinweg in Ruhe und Stetigkeit ihre Arbeit tun konnte. Gerade in diesen Tagen haben wir die neue Stufe der Braunkohlevergasung, den Winklervergaser, eingeweiht. Dies ist nur ein Teil einer langfristigen Strategie, die für Stein- und Braunkohle Zukunft eröffnen soll in der Kohlevergasung, in der Kohleverflüssigung, in den neuen Kohletechniken. Wenn hier die Großanlagen im Moment noch nicht aufzubauen sind, werden wir die Zeit nützen — und das tun wir —, um alternative Prozesse zu entwickeln in Bottrop, in Fürstenhausen, in Laar, so daß wir dann, wenn wir die Verfahren brauchen, für unsere Kohle und für den Export der Techniken das Bestmögliche haben, nicht nur wirtschaftlich vernünftig, sondern auch umweltfreundlich, um die begrenzten Ressourcen zu nutzen. Hier ist die kostbarste Ressource in unserer Erde die Kohle. Deshalb bauen wir die neuen Techniken.
Was erreicht worden ist, z. B. in der Schichtleistung der Kumpel, in der Umweltfreundlichkeit, in der Humanisierung des Arbeitsplatzes, in der Sicherheit am Arbeitsplatz, in einem großen Spektrum von Techniken, war in einer großen Kontinuität über die Regierungen hinweg — ich möchte dies ausdrücklich sagen — die Voraussetzung dafür, daß wir Kohle erfolgreich einsetzen können.Sie sprachen von der Führung, Herr Ministerpräsident; Sie sprachen von der Stetigkeit. Jawohl, aber Führung bedeutet nicht, daß man sich der jeweils letzten Demoskopie anpaßt.
Führung kann nur dann standfest sein, wenn sie die Sache ins Auge nimmt, wenn sie die neuen Probleme aufgreift, wenn sie mit Sensibilität die Fragen stellt, wenn sie immer wieder das prüft, was an Neuem aufkommt, aber dann auch entscheidet und auf die Entscheidung so Verlaß ist, daß Umwelt geschützt werden kann, daß Technik entwickelt werden kann, daß langfristige Energieversorgung gesichert werden kann. Nur dann ist Führung verläßlich, und nur dann verdient sie diesen Namen, aber nicht in der Einstellung auf den Moment.
Sie haben über die Energieeinsparung gesprochen, Herr Ministerpräsident. Dies ist wirklich einer der Punkte, bei dem wir im Markt — Herr Bangemann hat darauf hingewiesen — Fortschritte gemacht haben, die die meisten gar nicht sehen: Unser Energieverbrauch lag 1985 kaum über dem von 1973, aber unsere Wirtschaft ist ständig weiter gewachsen. Die, die sagen: Auch in Zukunft Energieeinsparung, und die, die vorschlagen, was wir an Verordnungen einführen sollen, sollen sehen, wie die Wirklichkeit aussieht. Ein zu dichtes Netz von Verordnungen setzt nicht die Initiative der Bürger frei, die sparen müssen; im Gegenteil, das hemmt die Initiative, die Tatkraft und den Unternehmungsgeist. Die Leute werden sich nicht darauf konzentrieren, Energie zu sparen, sondern darauf Vorschriften zu beachten oder zu umgehen. Wir setzen auf die Verantwortlichkeit des einzelnen. Dadurch haben wir enorme Fortschritte erreicht.
— Herr Kollege Schierholz, ich kann Ihnen mit Zuversicht sagen, — das sagen Meyer-Abich und Schefold, sie zitieren die Prognosen für das Jahr 2000 —: Das, was uns Prognos für das Jahr 2000 bei einer Fortsetzung unserer derzeitigen Energiepolitik an Energieeinsparungen voraussagt, entspricht dem, was Meyer-Abich und Schefold als Ziele setzen. Unsere Energiepolitik ist die Energiepolitik, die Innovationen ermöglicht, die die Initiative des einzelnen freisetzt und Energie in einer Weise spart, wie es in anderen Bereichen überhaupt nicht erreichbar gewesen wäre.
Die Frage der neuen Techniken kann ich Ihnen auch konkreter beantworten: Wir haben eine Fülle
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18264 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Bundesminister Dr. Riesenhubervon Einzeltechniken entwickelt. — Sie kennen sie alle —: in den Kraftwerken, in den Industrieanlagen, die Nutzung von Abwärme, die Wärmeschiene Saar, Wärmeanlagen an der Ruhr. Jetzt haben wir bei der rationellen Energieverwertung die Chance einer neuen Generation neuer Techniken. Was wir auch anzugehen haben, sind Techniken, die schon aufgegeben schienen: MHD-Technik — Magnetohydrodynamik —; da haben wir neue Materialien. Bei der Brennstoffzelle haben wir neue Ansätze. Die Supra-Leitung mit einer erheblichen Einsparung in der Energieerzeugung ist eine neue Chance, weil wir neue Techniken haben. Ich will die Techniken nicht im einzelnen aufzählen. Ich will nur zeigen, daß wir eine Fülle von neuen Techniken anlegen, die wir so fördern, daß sie marktfähig werden. Durchsetzen umsetzen, zum Erfolg führen muß sie die Industrie. Dies kann der Staat nicht von oben her reglementieren. Hier müssen wir auf den Unternehmungsgeist der Unternehmer setzen. Dafür sind sie da.
Sie haben darüber gesprochen, daß wir den neuen Energien eine Chance geben müssen. Wir haben dies in den Gesetzen, in den Verordnungen gemacht, bei Windanlagen und Biomasse, die in § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung sind. Wir haben sie überall dort neu angesetzt, wo neue Fragen sind.
Es gibt Techniken, die quasi fertig sind: Bei der Elektrowärmepumpe können Sie nichts mehr entwickeln. Wenn Sie es doch weiterführen, wird die Pumpe nicht besser, sondern sie versäuft im Geld.Wir haben andere Gebiete, wo wir neue Fragen haben und zunehmend Geld draufsetzen.
Wir haben die Photovoltaik; wir sind mit Photovoltaik ständig in höhere Förderbeträge gekommen. Wir sind nicht nur in höhere Beträge gekommen, sondern die Industrie hat jetzt wiederum den Preis für die Chips halbiert. Wir prüfen, was wir machen können, und verhandeln mit großen Firmen an großen Demonstrationsvorhaben: mit den Elektrizitätsversorgungsunternehmen, mit den großen Herstellern. Es geht um Anlagen, die zeigen, was die Photovoltaik bei der Stromerzeugung leisten kann, wie auf diesem Wege Wasserstoff gewonnen werden kann, wie Wasserstoff speicherbar ist, wie er genutzt werden kann, welches sein Rang in einem langfristigen System sein kann.Wir gehen in die nächste Dimension der Windanlagen. Damit meine ich nicht die Großprojekte wie GROWIAN — daraus haben wir etwas gelernt —, sondern ich meine das, was realistisch ist, was Serien ermöglicht, was alles nutzt, was vorhanden ist, was Techniken rechtzeitig vorbereitet.Aber wir behaupten im Zusammenhang mit den neuen Techniken nicht, dies alles hätten wir schon. Wir entwickeln sie, wie sie sich uns darbieten. Wir steigen nicht aus Techniken aus, bevor wir die neuen Techniken haben, in die wir einzusteigen haben.
Wir tun gleichzeitig alles, um diese neuen Techniken rechtzeitig der Überprüfung zu unterziehen.Wir arbeiten mit den Ländern der Dritten Welt zusammen. Wir haben mit den Ländern der Dritten Welt die Solarenergieparks, die dezentralen Parks, die schon meine Vorgänger angelegt haben, fortgeführt. Wir befinden uns da auf einer Lernkurve. Wir haben von Anlage zu Anlage mehr über die sinnvolle Integration von Sonne und Wind in neue Systeme gelernt. Wir haben auf Helgoland eine integrierte Anlage geschaffen. Überall da, wo wir die Chancen haben, neue Technik zu demonstrieren, tun wir das. Das gilt für alle Techniken.Es wurde auch die Kernfusion genannt. Sie stellt eine langfristige Chance dar. Wir unterstützen und fördern sie nach Kräften, aber nicht mit der Behauptung, wir hätten sie schon. Nichts ist für die Entwicklung einer Technik gefährlicher, als wenn man Hoffnungen in sie weckt, die nicht begründet sind. Dann wird die Technik überfordert, dann bricht sie zusammen, bevor sie ausreifen konnte. Sie können nicht mit mehr Geld mangelnde Ideen ersetzen, sondern Sie können nur versuchen, durch eine vernünftige Förderung vorhandener Ideen die Zukunft zu gestalten.
Herr Ministerpräsident, ich möchte durchaus auch das Stichwort vom Schnellen Brüter aufgreifen, das Sie in die Debatte geworfen haben. Ich sage in aller Ruhe: Die Frage ist, ob hier der Einstieg in die — wie Sie sagen — großtechnische Plutoniumwirtschaft gegeben ist. Es war bei allen Vorgängerregierungen und allen Vorgängern in meinem Amt Konsens, daß wir hier einen Forschungsreaktor, ein Demonstrationskraftwerk haben, daß wir damit eine Technik haben, die uns — so ist es damals von Ihnen formuliert worden, Herr Hauff — die Option auf eine Entscheidung in der Zukunft eröffnet, nicht mehr.
— Die eine Option für die Zukunft eröffnet.
Es ist nicht etwa ein Rückgang des internationalen Interesses zu verzeichnen. Japan baut jetzt einen Reaktor, der in Größe und Konzept mit Kalkar fast gleich ist. Die Engländer haben sich unserem Verbund angeschlossen.
Ich sage nicht, daß dieses die Technik sein wird, aber ich sage, daß wir eine Technik, die wir in einem internationalen Verbund erforschen können, die die äußersten Sicherheitsstandards aufweist, die wir verwirklichen können, nicht aufgeben kön-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18265
Bundesminister Dr. Riesenhubernen, solange wir nicht wissen, wann wir diese Technik eventuell brauchen werden.Wir müssen — dies war immer die Forderung aller meiner Vorgänger — die Optionen — so haben Sie gesagt — für die Techniken offenhalten.
Nur dann, wenn wir die Optionen offenhalten, können wir zur rechten Zeit angemessen entscheiden. Dies ist die Politik, die wir hier betreiben.
Sie sagen nein zur Wiederaufarbeitung. Ich spreche jetzt nicht vom Verwertungsgebot des Atomgesetzes. Ich spreche davon, daß von Bundeskanzler Schmidt im Konsens mit den Ministerpräsidenten aller Bundesländer 1979 gesagt wurde: Dies ist die jetzt verfügbare genehmigungsfähige Entsorgung. Die Entsorgung ist die eigentliche Anforderung, der wir uns zu stellen haben.Die Forderung der Kernenergiegegner lautete: Ihr könnt hier nicht einen Reaktor bauen und betreiben, wenn Ihr die Entsorgung nicht sichergestellt habt. — Deshalb bauen wir die Anlagen zur Entsorgung. Dann können jetzt nicht dieselben Personen sagen: Die Entsorgung ist falsch.Wir müssen die Techniken dieser Generation verantwortlich beherrschen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?
Ich muß Sie allerdings darauf aufmerksam machen, daß die Zeit, die Sie sich selbst vorgenommen haben, schon überschritten ist. Aber bitte, Sie haben das Recht zu reden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte um Verständnis. Ich habe in jeder Debatte hier Zwischenfragen erlaubt, aber heute ist mein Zeitplan sehr knapp.Ich möchte hier eine letzte Bemerkung machen: Herr Ministerpräsident Rau, wir nehmen die grundsätzliche Frage, die Sie am Ende Ihrer Rede angesprochen haben, sehr ernst, die Frage, inwieweit das, was wir in der Technik — übrigens nicht nur in der Energietechnik — tun, sittlich verantwortbar sei. Ich kann von mir selbst sagen: Dies treibt mich sehr um.
— Dann lesen Sie einmal nach, was die Bischofskonferenz 1980 diskutiert hat. Dort gab es nämlicheine Eröffnungsrede, die von einer reinen Gesinnungsethik ausgegangen ist. Die Bischöfe haben damals darüber diskutiert und haben gesagt, daß Kerntechnik — und auch alle Technik — der sinnvollen Abwägung zu unterwerfen ist, daß nicht nur die Frage der Verantwortbarkeit des Einsatzes zu stellen ist, sondern auch die Frage der Verantwortbarkeit des Verzichts, daß beides hier erwogen werden muß.Es gibt keine Energietechnik, die ohne Probleme ist. Herr Rau hat darauf hingewiesen, wie gefährlich Ölabhängigkeit sein kann. Bei Kohle spreche ich gar nicht von den Kosten, ich spreche auch von der Belastung der Umwelt, die wir ständig herunterdrücken. Wir können es anhand der unterschiedlichsten Techniken zeigen; keine ist unproblematisch.
Aber wir müssen schauen, daß wir in einer begrenzten Welt für eine wachsende Menschheit eine Zukunft eröffnen, so daß dauerhaft — so sagt Hans Jonas — menschliches, menschenwürdiges Leben auf dieser Erde möglich ist.
Da gibt es nichts, was simpel, einfach und trivial ist, sondern wir müssen immer zwischen verschiedenen Techniken, die jeweils ihre Probleme haben, abwägen. Unsere Aufgabe ist es, die Probleme zu beherrschen und zu mindern. Unsere Aufgabe ist es gleichzeitig, die Zukunft so anzulegen, daß auch für künftige Generationen von Menschen menschenwürdiges Leben auf dieser begrenzten Erde nicht nur für einen begrenzten Zeitraum möglich ist, daß wir nicht in wenigen Generationen verbrauchen, was unwiederbringlich ist,
daß wir bei den Rohstoffen Grundlagen für künftige Generationen schaffen.
Was wir hier anlegen ist eine Energiepolitik, die in der Tat Perspektive hat. Sie ist gegründet auf der Sozialen Marktwirtschaft und auf der Offenheit für die Initiative des einzelnen. Sie nimmt Rücksicht auf die Umwelt mit strengen Gesetzen des Staates. Sie fördert die Innovationen und die Durchbrüche zum Neuen, die allein in einer begrenzten Welt das Überleben erlauben.Dies ist eine Energiepolitik mit Perspektive. So ist dies im Energiebericht angelegt.
Herr Rau, wir würden gerne diese Perspektive in Ihren Aussagen sehen. Sagen Sie klar und deutlich: Wann wollen Sie aussteigen, wo wollen Sie einsteigen? Wir haben gesagt, wie wir die Zukunft begrün-
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Bundesminister Dr. Riesenhuberden wollen, und so werden wir die Zukunft auch gestalten.
Das Wort hat der Minister für Umwelt und Energie des Landes Hessen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, wir wurden in dieser Woche Zeugen eines makabren Schauspiels, eines Gleichklangs der Systeme von Kommunismus und Kapitalismus, das einen an der menschlichen Vernunft und Einsichtsfähigkeit verzweifeln lassen könnte:
Am Mittwoch dieser Woche, Herr Waigel, las man in den Zeitungen, daß die Sowjetunion in Tschernobyl den ersten Reaktorblock wieder in Betrieb genommen hat, ganze fünf Monate nach dieser säkularen Atomkatastrophe im Frühjahr dieses Jahres.
Am selben Tag verkündete der Bundesatomminister Walter Wallmann, daß das Atomkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe ebenfalls ans Netz gehen könnte.
Das also heißt bei Minister Wallmann und der Bundesregierung: „die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen". Das haben wir darunter zu verstehen. Ganze fünf Monate nach Tschernobyl hat es offensichtlich sein Bewenden mit der neuen Nachdenklichkeit und Sensibilität
gegenüber den Atomängsten der Bevölkerung. Jetzt hat es sich offensichtlich ausgeängstigt. Jetzt wird die Schraube in Richtung Atomstaat wieder kräftig angezogen.
Gestern durften und mußten wir erleben, wie sich die Bundesregierung unter dem verharmlosenden Namen eines „Strahlenschutz-Vorsorgegesetzes" an der Informationsfreiheit und der Gesundheit der Bevölkerung im Falle einer atomaren Katastrophe fortan zu vergehen gedenkt.Meine Damen und Herren, ginge es beim Ausstieg aus der Atomkraft nicht um Macht und sehr viel Geld, sondern allein um einen rationalen Diskurs, um die Berücksichtigung der besseren Argumente und um den Mehrheitswillen der Bürger, so müßte die Bundesregierung ihre Energiepolitik grundsätzlich ändern.
Alle nicht an die Interessen von Betreibern von Atomkraftwerken gebundenen Studien belegen nämlich, daß der Ausstieg möglich, machbar, ökologisch, ökonomisch und sozial verkraftbar ist.
Wir müssen der Bundesregierung ja dafür danken, daß sie ihren Beitrag zu solch objektiven Studien mit geleistet hat.Ich halte die zentralen Argumente des Energieberichts über die Atomkraft für falsch; ja, ich halte sie für eine bewußte Irreführung, weil Sie es besser wissen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung.
Eine Technik, die nicht versagen darf, weil sie sonst Schäden an Mensch, Umwelt und Natur anrichtet, die irreversibel sind und mit technischen Mitteln nicht mehr behoben werden können, die buchstäblich grenzen- und zeitlos sind, ist von Menschen nicht zu verantworten. Eine Technik, bei der Menschen niemals versagen dürfen, ist daher zutiefst unmenschlich.Die bisherige Technikentwicklung beruhte auf dem grundlegenden Prinzip von „Versuch und Irrtum". Technische Innovationen waren niemals von Anbeginn an fehlerfrei. Durch praktische Erfahrung konnten die Irrtümer der Vergangenheit korrigiert werden. Bei der Atomkraft ist dieses Prinzip der Technikentwicklung außer Kraft gesetzt. Menschliches Versagen — dies wissen wir seit Tschernobyl — ist bei der Atomtechnologie tödlich.Die „Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke" aus dem Jahre 1979 errechnete als maximale Folge eines Super-GAUs in der BRD 14 500 sofortige Todesfälle, in 20 bis 30 Jahren 104 000 Todesfälle infolge von Leukämie und anderen Krebskrankheiten. Bedenken wir dabei: Tschernobyl lag 130 km von der nächsten Großstadt, von Kiew entfernt; etwa 100 000 Menschen mußten evakuiert werden. Ein Super-GAU im AKW Stade oder Krümmel würde die Evakuierung der gesamten Bevölkerung von Hamburg und seiner Umgebung erfordern, bei Biblis in Hessen die Evakuierung von über 2 Millionen Menschen im Rhein-Main- und Rhein-Neckar-Gebiet.Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wie soll das im Ernstfall jemals funktionieren? Wohin wollen Sie die Menschen evakuieren? Wie können Sie solch monströse Zukunftsaussichten, allein um angeblich niedrigerer Energiepreise willen, vor sich selbst tatsächlich verantworten?
Wie können Sie das vor Ihrer Familie, vor Ihren Kindern verantworten?
Aber unsere Atomkraftwerke — damit komme ich zum entscheidenden Argument der Bundesregierung — sind j a die sichersten in der Welt; wir haben es heute wieder gehört. Woher wissen Sie
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18267
Staatsminister Fischer
das eigentlich? Wo sind die Beweise? Es gibt keine einzige international vergleichende Studie, die beweist, daß westdeutsche Atomreaktoren die sichersten auf der Welt sind. Auch Herr Bangemann oder Herr Kohl wissen es nicht, aber
sie glauben es, sie behaupten es, ebenso wie Frau Thatcher kraft Amtes die englischen AKW zu den sichersten in der Welt erklärt, Reagan die amerikanischen, Gorbatschow die russischen.
Kurz gesagt: Die jeweiligen Regierungen erklären jeweils ihre AKW zu den sichersten. Es ist sozusagen die Herrschaft des Superlativs, die wir hier vorfinden.
Aber Gott sei Dank haben wir ja noch unsere unabhängigen regierungsnahen oder sogar regierungsamtlichen Experten. Erst kürzlich hat der Vorsitzende der Reaktorsicherheitskommission, Professor Birkhofer, für westdeutsche Atomreaktoren einen dem französischen Atomkraftwerk Cattenom vergleichbaren Sicherheitsstandard festgestellt. Wer es bis dahin noch nicht wußte, erfährt aus berufenem Munde, wie es um die Sicherheit der sichersten Atomkraftwerke der Welt steht.Bei dem bisher größten Zwischenfall, welcher der letzte in einer ganzen Reihe von Pannen und Zwischenfällen in Cattenom war, bemerkte die Bedienungsmannschaft angeblich stundenlang nichts davon, daß sich ein Fluß von der Größe der Mosel in den Kraftwerkskeller verirrt hatte, weil, so die Erklärung, angeblich ein Schieber nicht geschlossen werden konnte. Ich halte dies für eine makabre Groteske!
Nach dem Bekanntwerden des technischen Desasters wird unter Anleitung von Minister Wallmann ein Informationsdesaster angerichtet, das dem von Tschernobyl vier Monate vorher in nichts nachsteht, nur daß hier nicht eine finstere kommunistische Diktatur, sondern die enge Zusammenarbeit zwischen einem französischen Staatsmonopolunternehmen und einem CDU-Atomminister die Informationsfreiheit bedrohte.
Da wird erst erklärt, es seien 8 000 m3 Kühlwasser ausgetreten, und nach einigen Tagen stellt sich heraus, daß es 400 000 m3 waren. Alle Lobpreisungen der „internationalen Zusammenarbeit" bei der Information über Atomzwischenfälle erweisen sich als das, was sie sind: als blanker Unsinn.Meine Damen und Herren, während die saarländische Landesregierung und die rheinland-pfälzische Landesregierung tagelang im dunkeln tappen, wird der zuständige Atomminister einen Tag nach dem Bekanntwerden des Zwischenfalls abends imFernsehen gefragt, ob er über die Ereignisse in Cattenom informiert sei und was er denn zu tun gedenke. Die Antwort verdient es, zitiert zu werden. Originalton Wallmann:Wir befinden uns ständig in Kontakt mit Frankreich, und natürlich ist uns dieser Störfall Veranlassung gewesen, erneut Kontakt aufzunehmen.
Um 5.30 Uhr gestern sind die verschiedenen in Betracht kommenden Instanzen von Frankreich, von den dortigen Behörden, informiert worden. Wir selbst hier in Bonn sind heute morgen unterrichtet worden. Einzelheiten sind noch nicht bekannt.
Zwei Tage nach dem Zwischenfall hieß es, jetzt kommt es wieder:Ich habe Kontakt aufgenommen mit der französischen Botschaft, und ich habe gesprochen mit dem Vorsitzenden unserer Reaktorsicherheitskommission, Professor Birkhofer. Er hat inzwischen Kontakt aufgenommen mit seinem französischen Kollegen.
Meine Damen und Herren, es wäre zum Lachen, wenn dies alles nicht bitterer Ernst wäre, dieses elende Kontaktgeschwafel, hinter dem sich letztendlich ein fahrlässiger Umgang mit Sicherheitsfragen in der Atomenergie verbirgt.
Meine Damen und Herren, was der Energiebericht zum Thema „Sicherheit" zum besten gibt, bietet in der Tat Stoff für eine weitere traurige Satire. Da wird schon auf Seite 2 behauptet, die deutschen Atomkraftwerke seien sicher und die praktische Erfahrung von Tschernobyl habe daran nichts geändert. Ein paar Zeilen darunter wird dann festgestellt, die Sicherheit müsse weiter erhöht werden. Die sichersten Atomkraftwerke der Welt werden also noch sicherer als die sichersten schon sind.
Auf Seite 4 wird gefordert, die deutschen Atomkraftwerke auf eventuell notwendige technische Verbesserungen zu überprüfen,
Untersuchungen und Forschungsarbeiten zu diesem Thema zu überprüfen und die Reaktorsicherheitsforschung auszuweiten. Hinzugefügt wird im Energiebericht ganz trocken, dies alles sollte bis zum Ende des Jahres erledigt sein.
Die hessische CDU des Herrn Wallmann ist da im Hessischen Landtag wesentlich ehrlicher gewesen. Sie schlug dort als Konsequenz dieser alten und
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18268 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Staatsminister Fischer
neuen Atomenergiepolitik und als Konsequenz aus der Tschernobyl-Katastrophe vor, den Bunkerbau in Hessen zu intensivieren.Und auch die eigentliche Aufgabe des Bundesatomministers ist in den letzten Monaten deutlicher geworden. Sie besteht offenbar ausschließlich in der Produktion von Sicherheitslyrik, d. h. in der Bearbeitung der Gefühle und Ängste der Menschen,
nicht aber in der Änderung technischer Gegebenheiten und der Beseitigung der realen Gefahren.
Deshalb stützt er sich bei seinen Vorschlägen auch auf die praktischen Erfahrungen des Alltagslebens, z. B. wenn er den Gedanken lanciert, das Containment von Atomkraftwerken künftig mit einem Sicherheitsventil auszustatten, um so das Bersten im Falle eines Super-GAUs zu verhindern. Das ist das in jedem Haushalt bekannte Teekesselprinzip! Wenn es also fortan in einem der deutschen Atommeiler zu heiß wird und sich bei einer Kernschmelze ein Überdruck bildet, pfeift nach unserem Bundesatomminister der deutsche Meiler eine atomare Wolke ab. So einfach ist das also, folgen wir Herrn Wallmann und der Bundesregierung.
Was will Herr Wallmann uns damit praktisch sagen? Daß die Atomkraftwerke doch nicht ganz so sicher sind, daß ein Super-GAU am Ende selbst bei den sichersten Atomkraftwerken der Welt, den deutschen, doch möglich ist, daß das Containment doch nicht stabil genug ist, um den Druck eines Kernschmelzunfalls auszuhalten?Meine Damen und Herren, der Zynismus, mit dem hier über erfahrungsbegründete Ängste hinweggeredet wird, ist so offensichtlich, daß selbst bewährte Gefolgsleute der konservativen Regierung die Gefolgschaft aufkündigen. So etwa jüngst Professor Wilhelm Hennis, Ordinarius für politische Wissenschaften an der Universität Freiburg und Gründungsmitglied des Bundes „Freiheit der Wissenschaft", also wahrhaftig kein Sympathisant der GRÜNEN. Er schreibt — ich zitiere —:Die Konsequenzen eines zerstörten Reaktors für die nach uns Kommenden hatte auch ich nie bedacht. Bedenkt sie eigentlich Minister Wallmann bei der von ihm geforderten „Nachrüstung" von Atomkraftwerken? Für den Fall, der bisher als ganz unwahrscheinlich galt?Und er stellt fest — ich fahre im Zitat fort —:Die Möglichkeit eines GAU in einem deutschen Atomkraftwerk ist seit einigen Wochen offizieller Bestandteil der Kernenergiepolitik dieses Landes. Selbst wenn die unmittelbaren Folgen in der Umgebung eines Kernkraftwerks durch den Einbau der vorgesehenen Ventile geringer sein würden als im April in Tschernobyl — die Ewigkeitsfolgen wären die gleichen. Hat Wallmann auch sie moralisch einkalkuliert?— Ende der Frage; Ende des Zitats.
Soweit also die geänderte Meinung eines hervorragenden intellektuellen Vertreters der neokonservativen Wende. Die Antwort von Kohl und Wallmann ist leider — ich sage hier: leider — so einfach wie düster: Brokdorf geht ans Netz!
Herr Minister, bitte, ich muß Sie einen Moment unterbrechen! — Von der Geschäftsordnung her habe ich zwar nicht die Möglichkeit, einem Minister die Rede zu beenden. Aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Redezeit, die Ihre Fraktion mit den anderen vereinbart hat, nun vorüber ist. Ich bin insoweit schon großzügig gewesen.
— Entschuldigung! Dies ist, wie mir mitgeteilt worden ist, eine Vereinbarung der Geschäftsführer. Ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich danke für den Hinweis. Ich weiß, daß der einzige grüne Minister in dieser Republik irgendwie quer zu allen Vereinbarungen steht.
Ich bedauere dies zutiefst. Ich nehme an, im nächsten Jahr wird sich das anders regulieren.
— Beckmann [FDP]: Schönen Gruß anHerrn Rau!)Ich nehme also den Hinweis dankend auf und bitte darum, mich meine Rede jetzt zu Ende bringen zu lassen.
Ich halte das ganze Gerede — vor allem von dem technisch besonders versierten Bundesatomminister — über Containment, kontrollierte Freisetzung von Radioaktivität durch ein Notventil und fehlerverzeihende Technik
nur für ein Ablenkungsgerede von der eigentlichen Sache.Die Mitgliederzeitschrift des Vereins Deutscher Elektrotechniker ist da ehrlicher. Ihre SeptemberAusgabe erscheint mit der Hauptüberschrift „Die abwegige Idee des Ausstiegs. Nutzung der Technik heißt auch Bereitschaft zum Risiko". Also, meine Damen und Herren von der Union, warum sagen Sie nicht offen, daß Sie diese Bereitschaft zum Risiko bei der Atomkraft von uns, von der Bevölkerung, fordern? Das wäre ehrlicher, und allein darum geht es und nicht um neue Nachdenklichkeit.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18269
Staatsminister Fischer
Daß der Ausstieg aus der Atomkraft in der Bundesrepublik heute trotz eines Atomstromanteils von gegenwärtig etwa 36 % sofort möglich ist, das haben ironischerweise die großen Verbund-EVU und AKW-Betreiber durch ihre Politik des maximalen Kapazitätsausbaus und durch die extremen Fehlinvestitionen in Gas- und Ölkraftwerke der 70er Jahre selbst ermöglicht. Dabei handelt es sich im Gegensatz zu einigen Atomkraftwerken keineswegs um Schrottmühlen, wie der Energiebericht der Bundesregierung suggeriert.Zwischen 1970 und heute wurden mehr als 15000 MW 01- und Gaskraftwerke weitgehend für die Grundlastenstromerzeugung zugebaut, die heute nur zur Spitzenlastenreserveabdeckung eingesetzt werden. Sie müßten, um den kurzfristigen Ausstieg zu ermöglichen, wieder in Betrieb genommen werden, wobei durch Begleitmaßnahmen, wie sie hier im Hause bereits ausführlich diskutiert und vorgestellt wurden, die Emissionen gesenkt werden können.Auch die mittel- und langfristigen Möglichkeiten einer anderen Energiepolitik sind bekannt, und sie werden in anderen hochindustrialisierten Ländern mit großem Erfolg praktiziert.
Das Land Hessen fördert solche Alternativen — ich hoffe, Bayern wird sich demnächst anschließen —,
die weniger fossile Energieträger benötigen, weniger Schadstoffe und Kohlendioxid emittieren und weniger Kosten verursachen als der Irrweg der Atomtechnologie.
Meine Damen und Herren, Tatsache ist: Wenn man die 5 Milliarden DM, die ein Atomkraftwerk kostet, in Energiespartechniken investiert oder investieren würde, dann kann man damit weit mehr Kilowattstunden einsparen, als ein Atomkraftwerk jemals erzeugen kann. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein nach dänischen und schwedischen Normen wärmegedämmtes Haus braucht nur ein Drittel bis ein Fünftel der Energie eines bundesdeutschen Neubaus bei gleichem Komfort.Dasselbe gilt für rationelle Energienutzung. Dänemark z. B. baut seit zehn Jahren ausschließlich Kraftwerke, die sich zur Auskoppelung von Fernwärme eignen, und hat bei der Fernwärme einen Anschlußgrad von 36 % erreicht. Die Bundesregierung hält in ihrem Energiebericht dagegen bereits eine Erhöhung des Anschlußgrades hierzulande auf 8% für wenig realistisch. Das sind die Fakten, Herr Riesenhuber. Das sind die Unterschiede. Sie werden nicht sagen können, daß es den Dänen schlechter geht als uns.
Gerade die Fernwärmenutzung ist nicht nur wegender Energieersparnis, sondern vor allem wegen desWegfalles der Emissionen aus dem Hausbrand extrem umweltfreundlich.Die Bundesrepublik, meine Damen und Herren, hängt in bezug auf praktisch alle Einspartechniken weit hinter dem internationalen Niveau zurück, ganz anders, als Sie es gerade behauptet haben.
Diesbezüglich ist die Bundesrepublik technologisches Entwicklungsland.Was technisch-politisch von Ihnen gewollt wird, Herr Riesenhuber — dazu hätten Sie etwas sagen können —, erkennt man am Forschungsetat. Ganze 201 Millionen DM stehen 1986 für erneuerbare Energiequellen und Einspartechniken zur Verfügung.
1982 waren es noch 315 Millionen DM. Die Tendenz ist, wie sich aus der mittelfristigen Finanzplanung ergibt, weiter sinkend. Das sind Fakten und keine allgemeinen, erbaulichen Sprechblasen, wie wir sie vorher gehört haben. Mehr als das Fünffache, Herr Riesenhuber, über 1,1 Milliarden DM, werden allein für die Forschung auf dem Atomsektor verbraucht, die Milliardensubventionen für Wackersdorf und Kalkar nicht gerechnet.Hier, meine Damen und Herren, wird die Entwicklung in einem Zukunftstechnologiesektor — darauf sind Sie sonst immer so scharf — ganz einfach verschlafen oder, was noch schlimmer wäre, bewußt verhindert.Der Energiebericht der Bundesregierung, meine Damen und Herren, wischt Tschernobyl einfach weg, als ob nichts passiert wäre. Er schreibt in dumpfer Sturheit die bisherige Atomenergiepolitik fort. Er ignoriert alle praktischen Beispiele und alle Untersuchungen über Alternativen bei der Energieversorgung. Begründet wird diese Dienstleistung an der Atomlobby mit schlichten Unwahrheiten — um diese nicht gar Lügen zu nennen. Vier sind es an der Zahl.Die erste Unwahrheit oder Lüge ist die Behauptung, deutsche Atomkraftwerke seien sicher. Das ist dieselbe Behauptung, die auch die Regierungen in anderen Ländern aufstellen. Hunderte von Störfällen auch in deutschen Atomkraftwerken werden ignoriert. Dazu wird hier nichts gesagt.
Vernünftige Argumente dafür werden nicht genannt. Es gibt nur Aussagen von Experten, die von der Atompolitik gut leben.Die zweite Unwahrheit, die zweite Lüge, auf der dieser Energiebericht aufbaut, ist die Kostenlüge. Tatsache ist, daß die drei Verbundenergieversorgungsunternehmen in der Bundesrepublik, die die höchsten Strompreise verlangen, nämlich die Energie-Versorgung Schwaben, die Hamburgischen Electricitäts-Werke und das Badenwerk, Energie-
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18270 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Staatsminister Fischer versorgungsunternehmen, mit einem hohen Anteil von Atomstrom sind.
Auch international gibt es keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Atomstromanteil und Strompreisen. So hat Frankreich den vierthöchsten Strompreis für die Industrie und den sechsthöchsten Strompreis für Haushalte in vergleichbaren Ländern. Gleichzeitig hat Frankreich einen Atomstromanteil von fast 60%.
— Daß Ihnen diese Fakten nicht passen, daß Ihnen nicht paßt, daß solche Fakten hier im Bundestag vorgetragen werden, leuchtet mir vollkommen ein. Trotzdem werden Sie sie sich bis zum Ende anhören müssen.
— Sie meinen also, die Preise wären niedriger, wenn die Franzosen privatisieren würden?
— Nun warten wir einmal ab. — In Dänemark hingegen, das überhaupt keine Atomkraftwerke betreibt, ist sowohl Industrie- als auch Haushaltsstrom billiger als in der Bundesrepublik.Daß eine Umorientierung der Energieversorgung auf eine sparsame, rationelle und dezentrale Energiestruktur Arbeitsplätze oder gar die technologische Entwicklung gefährden würde, ist eine reine Zweckbehauptung. Das Gegenteil ist der Fall. Der Aufbau einer solchen neuen Energiestruktur wäre das umfangreichste und ökologisch sinnvollste Modernisierungs- und Arbeitsbeschaffungsprogramm für die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten.
Bedenken Sie eines, meine Damen und Herren: Die deutsche Kohleförderung würde durch eine umweltfreundliche Nutzung der heimischen Kohle auf Dauer gesichert, während sie gegenwärtig durch den Atomstrom vom Markt verdrängt zu werden droht. Es ist nicht wahr, daß Kohle und Atomkraft auf Dauer nebeneinander existieren werden. Das wissen Sie so gut wie ich. Wenn Sie den Weg in den Atomstaat weitergehen, wird er vor allem auf dem Rücken des Ruhrgebiets und der Kumpel gegangen werden.
Ich bedaure in diesem Zusammenhang, daß manche Gewerkschafter dies bis heute noch nicht erkannt haben. Ich bedaure, daß der DGB die Chance nicht nutzt und sich nicht an die Spitze der Ausstiegsbewegung stellt. Denn ein Arbeitsplatzbeschaffungsprogramm, wie er es fordert, hätte er im Falle des Ausstiegs bei maximaler sozialer und Umweltverträglichkeit.
— Ich komme gleich zum Schluß.Die dritte Unwahrheit, meine Damen und Herren, ist die Emissionslüge, wie ich es mal nennen will. Ausgerechnet diejenigen, die die Totengräber des Waldes waren und sind, die sich zu keiner Verminderung der Stickoxidemissionen im Verkehr bereit fanden und die die Entgiftung der Großfeuerungsanlagen auf Druck der Industrie immer wieder vertagten, rechnen jetzt die Luftbelastung gegen die katastrophalen Schäden der Atomenergienutzung auf.
— Hören Sie doch mit Ihrem Katalysator auf! Wenn Sie ihn tatsächlich eingeführt hätten, würde ich Beifall klatschen und sagen: Weiter so, CDU! Was Sie erreicht haben, ist doch, daß der geringste Teil der Autos mit Katalysatoren ausgerüstet wird.
— 0,7 %. Das ist genau das, was wir an Ihnen kritisieren. Genauso haben Sie sich bisher geweigert, unverbleites Benzin tatsächlich zur Marktführung zu bringen.Meine Damen und Herren, die Alternative bei der Luftbelastung gegenüber der Atomenergie heißt nicht entweder-oder, sondern weder-noch.
Es ist praktisch bewiesen, daß durch das Energiesparen und durch die Nutzung umweltfreundlicher Energietechniken die Belastung der Wälder durch Luftschadstoffe sehr viel wirksamer gesenkt wird als durch alles, was die Bundesregierung in ihrer Energie- und Verkehrspolitik bisher geleistet hat.Auch über die Gefährdung der Atmosphäre durch CO2 sollte nicht reden, wer gleichzeitig die Stromheizung und die Kohleverflüssigung propagiert,
also Techniken, die nur einen winzigen Bruchteil — das wissen Sie, Herr Riesenhuber — der eingesetzten Energie beim Endverbraucher ankommen lassen.Die vierte Unwahrheit ist die Rede von der Dritten Welt. Ich finde diese Argumentation moralisch am bedenklichsten.
Die Schonung von Energieressourcen für die Menschen in der Dritten Welt, die darauf angewiesen sind, billige Energie zum Kochen, zum Heizen und zum Wirtschaften zu haben, als Vorwand für den weiteren Ausbau der Atomwirtschaft zu nehmen ist für mich ein einsamer Höhepunkt von Wallmanns Argumentation. Die Atomkraftnutzung kann zur Lösung der Weltenergieprobleme nichts beitragen. Im Gegenteil, die Atomkraftwerke, die zum Beispiel von der Bundesrepublik auf die Philippinen und in den Iran oder die von anderen westlichen Ländern in die Dritte Welt geliefert wurden, haben sich bei näherem Hinsehen als hochgefährlicher Schrott er-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18271
Staatsminister Fischer
wiesen, mit dem findige Unternehmer die korrupten Regierungen dieser Länder letztlich betrogen haben.
Und hier die Mär von der Importkohle zu verbreiten, die wir angeblich den Ländern der Dritten Welt wegkaufen, Ländern, die die Preise für diese Kohle schon heute nicht im entferntesten bezahlen könnten, wenn sie sie kaufen wollten, finde ich ebenfalls unverfroren.
Es ist nicht die Anti-AKW-Bewegung und es ist nicht die Opposition gegen die Atomkraftwerke, die die Handelsbedingungen und die Warenströme sowie die Ungleichheit zwischen Nord und Süd, das Nord-Süd-Gefälle, zu verantworten haben. Es ist auch nicht die Anti-AKW-Bewegung und es ist nicht die Opposition gegen die Atomenergie, die Waffen exportiert, anstatt regenerative Energietechniken zu entwickeln und in diese Länder zu exportieren.Wer der Dritten Welt helfen will, der muß die Nutzung anderer Energiequellen, zum Beispiel der Sonnen- und der Windenergie,
die dort wirtschaftlich und dezentral eingesetzt werden können, fördern.Wenn die Bundesregierung plötzlich zu der Absicht gekommen sein sollte, ihre moralische Verpflichtung gegenüber der Dritten Welt ernst zu nehmen, dann sollte sie lieber damit aufhören, mit den weißen Rassisten in Südafrika Geschäfte zu machen, und den geforderten Sanktionen endlich zustimmen.
Meine Damen und Herren, die Nutzung der Atomenergie hat seit Tschernobyl ihre Unschuld verloren. Bis zu der Katastrophe in der Ukraine konnten die Atomenergiebefürworter sagen, sie hätten nichts gewußt. Das gilt heute nicht mehr. Heute wissen sie ganz genau, was sie tun.Ich finde es zum Verrücktwerden: Die Alternativen sind da, die Alternativen sind bekannt, und die Alternativen sind finanzierbar. Die Risiken der Atomenergie sind für jeden erkennbar. Sie sind weder gegenüber der jetzt lebenden noch gegenüber den späteren Generationen politisch und moralisch zu verantworten. Die Bundesregierung antwortet darauf monoton wie der Esel, der da drischt: Wir steigen nicht aus.
Noch ein Argument, meine Damen und Herren. Eine Diktatur wie die Sowjetunion hat die Katastrophe politisch relativ unbeschadet überstanden. Aber was passiert eigentlich mit einem Staat wie der Bundesrepublik, der Informationsfreiheit, Freizügigkeit, freie Arztwahl, eine freie Auswahl bei der Nahrungsmittelversorgung und andere Rechte garantiert? Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik als freiheitlicher Staat, als freiheitlicher Verfassungsstaat, als Demokratie wäre nach einer vergleichbaren Katastrophe in diesem kleinen, dicht besiedelten Land nicht mehr wiederzuerkennen. Ich finde es auch völlig verrückt, daß man von einem Energieerzeugungssystem, vom Festhalten an einer hochgefährlichen Technologie die Verfassung, die Freiheit und das Wohl der Bevölkerung abhängig macht. Ich kann das nicht verstehen.Aber die Bundesregierung verkündet weiter völlig ungerührt: Wir steigen nicht aus — gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung und obwohl ihr die Alternativen bekannt sind, durch Gutachten belegt, die sie selbst in Auftrag gegeben hat. Ich halte dies, was hier im Hause heute von der Regierungsseite gesagt wurde, für ein Trauerspiel,
für genauso ein Trauerspiel wie dieser Energiebericht, der ein klassisches Dokument zu der Frage ist:
Wie hintergeht eine Regierung ihr Volk? Muß denn auf Harrisburg, Tschernobyl erst noch ein deutscher Name folgen, bevor Sie endlich umkehren und aussteigen aus der Atomenergie?Lassen Sie mich ein Allerletztes sagen, weshalb wir aussteigen müssen
— auch allein, Herr Kittelmann —: Im Falle eines weiteren Super-GAUs werden Sie, werde ich, werden wir gemeinsam mit unseren Familien
froh sein für jede hundert Kilometer, die zwischen uns und dem Ort einer atomaren Katastrophe liegen werden. In Frage steht doch nicht mehr, ob ausgestiegen wird, in Frage steht nur noch der Preis, der bis dahin gezahlt werden muß. Und wenn Sie so weitermachen, meine Damen und Herren, wird der Preis furchtbar sein.Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, bitte schön.
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18272 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sprache kann einen Menschen verraten.
Die Sprache von Herrn Fischer hat deutlich gemacht, wer er ist und welchen Respekt er vor der Meinung anderer hat.
Wer Begriffe wie „Lüge" hier in die Diskussion einer so ernsten Frage einführt, wer einem Mann wie Heinz Riesenhuber Sprechblasen unterstellt, dem will ich sagen:
Dieser Minister Dr. Riesenhuber unterscheidet sich z. B. dadurch von uns, daß er nicht nur ein exzellenter Politiker, sondern ausgewiesener Naturwissenschaftler dazu ist.
Wer von „Sprechblasen" redet, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß zur Kenntnis nehmen, daß dieser Forschungsminister einen Haushalt übernommen hat, in dem 200 000 DM für Forschungsprojekte im Hinblick auf Waldschäden vorgesehen waren, daß der Projektbestand bei diesem neuen Forschungsminister, seit vier Jahren im Amt, 75 Millionen DM beträgt und in diesem Jahr alleine etwa 25 Millionen DM ausgegeben werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies spricht alles für sich, und ich hoffe, daß möglichst viele Mitbürgerinnen und Mitbürger diese Rede hier eben gehört haben
und vorher die Rede des Bundesforschungsministers. Daran wird deutlich, wer sich wie mit den Fragen auseinandersetzt und wer nichts anderes vorhat, als Stimmung zu machen.
Und was die Frage des Energieberichtes anlangt — ich komme noch einmal darauf zurück; dann muß ich leider auch Sie, Herr Ministerpräsident Rau, ansprechen —,
habe ich vor allem den Eindruck, daß Sie diesen Bericht gar nicht gelesen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Man kann ja eine andere Meinung vertreten, aber ich komme darauf noch einmal zurück. —Gestatten Sie, daß ich nur eine Bemerkung zu Brokdorf mache. Brokdorf übrigens soll, wie ich der Presse wie Sie entnehmen konnte, nach Meinung der ÖTV ans Netz gehen. Also nicht nur CDU/CSU, FDP, Bundesregierung und die zuständige Landesregierung in Schleswig-Holstein sind der Auffassung, daß hier genehmigt werden sollte, sondern auch die ÖTV ist dieser Meinung. Brokdorf und Tschernobyl in einem Atemzug zu nennen, meine sehr verehrten Damen und Herren, zeigt entweder totale Unkenntnis
oder völlige Verantwortungslosigkeit.
Dahinter steht nichts anderes, als den Menschen zu suggerieren, Tschernobyl sei in der Bundesrepublik Deutschland möglich.
Dies ist falsch, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Sie wissen ganz genau: Bei diesem Reaktortypus gibt es weder ein Containment noch eine Fernüberwachung noch Simulatoren noch inhärente Sicherheit noch Trainee-Programme. Dies ist von den Vertretern der Sowjetunion auch ausdrücklich so bestätigt worden.
— Nein, Herr Hauff, Sie mögen nachher in einem eigenen Beitrag dazu Stellung nehmen. Sie haben bei letzter Gelegenheit davon gesprochen, Harrisburg und Tschernobyl seien in gleicher Weise zu beurteilen. In Harrisburg ist es Gott sei Dank nicht so gewesen wie in Tschernobyl, daß die Isotopen herausgeschleudert worden sind. Dort gab es ein Containment. Niemand verharmlost an irgendeiner Stelle.
Ich sage bei dieser Gelegenheit auch: Für mich ist eine dreifache und vierfache Sicherheit, wenn wir sie erreichen können, dringlich geboten. Mir reicht im Interesse der Mitbürgerinnen und Mitbürger hier in unserem Land nicht die einfache oder die doppelte Sicherheit.
Sie Herr Fischer, als Minister eines Bundeslandes nehmen hier nicht ein einziges Mal die Gelegenheit wahr, um etwa darzustellen, was Sie in den vergangenen Jahren eigentlich geleistet haben. Was haben Sie denn — etwa wie wir — getan? Wasser-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18273
Bundesminister Dr. Wallmannhaushaltsgesetz, Abwasserabgabengesetz, Großfeuerungsanlagen-Verordnung, Technische Anleitung Luft, Schadstoff-Verordnung, Chemikaliengesetz: Sie haben nichts dergleichen gemacht. Sie haben einen Entwurf eingebracht, und sind sofort von der Staatskanzlei zurückgepfiffen worden, weil man wußte: Das alles war mit der Verfassung nicht in Übereinstimmung zu bringen. Das ist die Lage, in der wir uns wirklich befinden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage Ihnen auch: Bei uns werden Experten nicht nach dem zahlenmäßigen Stärkeverhältnis der Fraktionen berufen, wie das beispielsweise in Hessen der Fall ist, etwa nach dem Motto: Drei darfst du, und drei dürfen wir; und dann setzt man sich zusammen. Schließlich ist noch einer in dieser Expertenrunde, von dem der zuständige Technikminister des Landes Hessen vorher gesagt hat: Die Qualität dieses Mannes reicht nicht aus. Dann wird gedienert, und dann wird gesagt: Jawohl, wir ziehen mit.
Nein, die Fachleute, die hier in Bonn berufen worden sind, und zwar sowohl in die Reaktorsicherheitskommission als auch in die Strahlenschutzkommission, sind von der Regierung Helmut Schmidt berufen worden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
Wenn dann — das ist auch so typisch für den Versuch, Stimmung zu machen — im Zusammenhang mit Brokdorf von der Evakuierung Hamburgs gesprochen wird,
dann sage ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wissen Sie eigentlich nicht, daß nicht weit entfernt, nämlich auf der anderen Seite der Grenze,
nahe Stendal, nahe Greifswald, Kernkraftwerke stehen? Wenn Sie sich Sorgen machen, dann müssen Sie sich darüber Sorgen machen.
Sie sollten mit uns versuchen, international so viel Sicherheit wie überhaupt nur möglich zu erreichen.Ich könnte ja hier auch vorlesen, was z. B. der Herr Lafontaine gesagt hat, als er in Moskau war. Er hat gesagt, er habe für die zögerliche Informationspolitik der Sowjetunion nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ein gewisses Verständnis.
— Ich trage Ihnen das vor. — Er sagte, er habe seine Bedenken zwar immer deutlich ausgesprochen, aber er sehe auch das Argument als zutreffend an, daß die Versorgung der Opfer Vorrang gehabt habe vor dem Interesse Informationshungriger im Westen. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, was hat eigentlich das eine mit dem anderen zu tun?
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Präsident, ich möchte im Zusammenhang vortragen. — Im übrigen hat Herr Lafontaine dort gesagt, er könne nach eigenem Bekunden die Überlegungen der Bundesregierung, Schadenersatz zu verlangen, nicht nachvollziehen. Sehen Sie, so wird hier mit zwei Ellen gemessen.Politik muß in Verantwortung und aus Verantwortung formuliert werden.
Wir müssen die Wahrheit aussprechen, auch wenn sie unbequem ist. Wir haben zur Kenntnis zu nehmen — ich sage es auch heute —, daß 94 Staaten auf der IAEO-Sonderkonferenz in Wien einstimmig beschlossen haben,
daß der Ausstieg aus der Kernkraft nicht verantwortet werden könne. Sie haben noch mehr gesagt: Im Interesse der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung müsse die friedliche Nutzung der Kernenergie weiter andauern.
Und dann stellen Sie sich hier hin und sagen: Aber wir haben uns geirrt — das hören wir ja insbesondere auch von der SPD —, wir haben uns geirrt in der Frage der Sicherheitspolitik, wir haben uns geirrt in der Frage der Entsorgungspolitik, wir haben uns geirrt in der Frage der Energiepolitik.
Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wer soll eigentlich eine Partei wählen, die von sich dauernd behauptet, permanent Irrtümern unterlegen zu sein?
Ich frage in aller Offenheit: Wenn Sie sich schon so oft geirrt haben, woher wissen Sie eigentlich, daß Sie sich jetzt nicht irren?
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18274 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Bundesminister Dr. WallmannIn diesem Zusammenhang sage ich mit allem Nachdruck: Die ökonomischen und die sozialen Folgen eines sofortigen oder mittelfristigen Ausstiegs stehen für uns nicht auf Platz eins unserer Überlegungen, sondern es sind jene Überlegungen, von denen ich gesprochen habe, nämlich: Was bedeutet dies für die Dritte Welt? In welchem Umfange sind wir überhaupt noch imstande, als große Industrienation unseren Beitrag zur Hilfe für Hunderte von Millionen Menschen zu leisten, die dort in Hunger und in Elend leben?
— Sie sagen, das ist scheinheilig.
Das sind die Positionen, die Sie selbst einmal vertreten haben. Wenn wir aus dieser Großtechnologie aussteigen, dann können wir uns das finanziell vielleicht erlauben — und morgen gehen dann auch nicht die Lichter aus —, aber ethisch können wir es uns nicht erlauben. Das ist das Entscheidende.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist hier das Totschlagsargument von der Klimaveränderung in der Welt — ich glaube, es ist Herr Ministerpräsident Rau gewesen — angeführt worden: Ihr früherer Bundeskanzler Schmidt ist es gewesen, der am 1. Juli dieses Jahres in der Marktkirche in Hannover sehr eindrucksvoll darüber gesprochen hat. Er hat gesagt, die Antworten findet man eben nicht im Katechismus, sondern man muß die Folgen bedenken, man muß abwägen.
Und er hat wörtlich formuliert: „Im nächsten Jahrhundert werden die Folgen bereits zu Buche schlagen."Ich habe hier einen Aufsatz von Professor Pestel dabei, einem Mann, der im Vorstand des Club of Rome ist. Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich ganz kurz etwas daraus vortrage:Die Belastung der Umwelt durch einen solchen Kohle-Einsatz übersteigt alles, was den gegenwärtig vorliegenden Berechnungen für die in Zukunft durch den Anstieg des Luftanteils von Kohlendioxid für möglich erachteten Klimaveränderungen zugrunde liegt, von den übrigen Umweltbelastungen Schwefeldioxid, Stickoxide und Stäube ganz abgesehen. Und sollte die Ausstrahlung der bundesdeutschen „Vorbildfunktion" so mächtig sein, daß die ganze Welt aufKernenergie verzichten würde, dann würden nicht nur die Weltvorräte an Kohle, die heute in Höhe von über einer Billion Tonnen als wirtschaftlich gewinnbar geschätzt werden, bis zum Ende des nächsten Jahrhunderts erschöpft werden, nachdem Erdöl und Erdgas schon viel früher von der Menschheit verbrannt worden sind, und damit durch menschliche Kurzsichtigkeit, Habgier und Opportunismus einige der wertvollsten über Milliarden von Jahren in der Erde entstandenen Rohstoffe unwiederbringlich vergeudet worden sind.
Meine Damen und Herren, das ist die Dimension, in der wir zu denken haben.Ich sage auch hier bei dieser Gelegenheit: Wo gibt es denn einen vernünftigen Menschen, der kernkraftsüchtig ist?
Wo gibt es denn jemanden, der eine bestimmte Energieart verehrt — oder wie Sie das sonst unverantwortlich formulieren? Die Frage ist vielmehr, ob wir es uns aus ethischen Gründen erlauben dürfen, jetzt, in diesem Augenblick, in dem wir noch keine sicherere andere Energieart haben, auszusteigen. Ich füge hinzu — das ist auch immer wieder zum Ausdruck gebracht worden —: Wenn wir national aussteigen, ändern wir im Hinblick auf die Sicherheitslage qualitativ überhaupt nichts. Ich sage es noch einmal: 374 Kernkraftanlagen sind in Betrieb, und 151 werden gebaut.
Und was die Vorbildfunktion angeht, so habe ich dazu soeben schon meine Anmerkungen gemacht.Verzeihen Sie, Herr Ministerpräsident Rau, ich habe mir einen Moment überlegt, als ich Sie hier sprechen sah und hörte, daß eigentlich dieses große bedeutende Land Nordrhein-Westfalen einmal die Hoffnung nicht nur in der Bundesrepublik, sondern für die Bundesrepublik Deutschland zu sein schien.
Damals in den 50er Jahren schaute man nach Nordrhein-Westfalen, dort schien nicht nur, aber vor allem auch die industrielle Zukunft zu liegen.
Ich denke in diesem Zusammenhang daran, daß z. B. Bayern mitleidsvoll belächelt wurde, das hinter dem Wald irgendwo lag, keine Infrastruktur, keine Zukunft habe.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18275
Bundesminister Dr. WallmannIch überlege mir, wie die Mitbürgerinnen und Mitbürger heute stolz sind, wenn beispielsweise der bayerische Ministerpräsident über die Entwicklung seines Bundeslandes, des Freistaates Bayern, spricht,
was daraus geworden ist, nämlich eine der Spitzenpositionen in der Bundesrepublik Deutschland. Und wo sind Sie in diesem Augenblick, Herr Ministerpräsident Rau?
Ich will noch einmal darauf zurückkommen: Was wollen Sie eigentlich an Vertrauen erwarten, wenn Sie z. B. erklären, Wackersdorf und Kalkar bedeuteten den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft?
Ich möchte zunächst einmal fragen, was sich eigentlich seit der Zeit geändert hat, in der Sie dieses Energieentsorgungskonzept damals am 28. September 1979 unter dem Bundeskanzler Schmidt beschlossen haben, einstimmig vereinbart mit allen Regierungschefs.
Was hat sich eigentlich geändert in Kalkar, seit unter sozialdemokratischer Führung 17 von 19 Teilerrichtungsgenehmigungen ergangen sind, nachdem Sie 4 Milliarden DM bis 1982 ausgegeben hatten?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie es mich so sagen: Dieses Thema ist zu ernst, es ist zu sensibel,
es bewegt die Menschen zu sehr, als daß man es in der Art, wie von Herrn Ministerpräsidenten Rau und vor allem von Herrn Minister Fischer hier geschehen, in Schwarzweißmalerei behandeln darf und den Menschen bei dieser Gelegenheit Angst macht.
Diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition werden wie in der Vergangenheit auch in Zukunft nachdenklich und entschlossen zugleich im Interesse unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger die gebotenen Entscheidungen treffen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Thema ist in der Tat zu ernst, als daß man es so behandeln könne, wie das in der letzten Rede des Kollegen Wallmann geschehen ist.
Wenn Sie, Herr Kollege Wallmann — daher rührt mein Zwischenruf — sich in der Tat um die Länder der Dritten Welt Sorgen machen, dann bleibe ich dabei: Dann müßte die Priorität Nr. 1 sein: Rationelle und sparsame Energieverwendung und Energietechnologien mit zu entwicklen, die dort wirklich eingesetzt werden können.
Wenn Sie die Probleme des Klimaeffekts wirklich ernst nehmen, dann müßten Sie mit uns zusammen für eine andere Entwicklungspolitik eintreten, die endlich die wahnsinnigen ökonomischen Ursachen für das Brandroden und Abholzen der tropischen Wälder beseitigt.
Wenn Sie dieses Thema wirklich so ernst nehmen, wie Sie hier vorgeben, dann müßten Sie als Umweltminister längst die Gesetze eingebracht haben, wie in den USA und Schweden, zum Verbot der Treibgase, nachdem die Wissenschaftler sagen, daß diese zu 50 % ursächlich sind.
Ich möchte an das Wort von Herrn Riesenhuber vom Abwägen anknüpfen. Zu diesem Thema hat sich auch der Generalsekretär der Christlich Demokratischen Union geäußert. Er hat Maßstäbe für das Abwägen genannt und folgendes zum Thema Restrisiko bei der Kernenergie gesagt — ich zitiere aus dem von der CDU verteilten Manuskript:Wer der Auffassung ist, mit dem Tod sei alles zu Ende, der kann halt mit dem sogenannten Restrisiko naturgemäß weniger gut leben als derjenige, der diese irdische Existenz als eine vorläufige und gleichzeitig auf ein ganzheitlich unendliches Ziel ausgerichtet begreift.Meine Damen und Herren, diese Art von falschverstandenem Christentum, wo der Hinweis auf das ewige Leben benutzt wird, um soziale Ausbeutung auf der Erde zu betreiben wie im vergangenen Jahrhundert, diese Art von Mißbrauch mit dem Hinweis auf das ewige Leben, ökologische Ausbeutung heute mitzumachen, werden wir jedenfalls auf keinen Fall mitmachen.
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18276 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Dr. HauffWas ich dieser Bundesregierung vorwerfe, ist nicht, daß sie unseren Vorschlägen nicht gefolgt ist — das habe ich nicht erwartet —, sondern ist, daß sie überhaupt nicht daran arbeitet, den Konsens auf energiepolitischem Gebiet wiederherzustellen.
Sie macht das Gegenteil von dem, was sie ankündigt.Nehmen wir mal die Fakten zur Kenntnis. Die Bundesregierung sagt, wir nehmen das Energiesparen wirklich ernst. Nun sind für das Thema Aufklärung, Beratung und Markteinführung im Jahre 1982 40 Millionen DM ausgegeben worden, im Jahre 1986 17 Millionen DM. Herr Wallmann, ist das die neue Aufgeschlossenheit und ist es die Bereitschaft, auf die Sorgen und Nöte der Bürger einzugehen, indem Sie die Mittel für die Aufklärung und Beratung der Bürger abbauen?Herr Riesenhuber, wir brauchen nicht neue Technologien. Die wichtigste Technik zur rationellen Energieverwendung ist Nahwärme und Fernwärme. Wenn Sie die Priorität „rationelle Energieverwendung" wirklich ernst nehmen würden, warum läuft dann eigentlich das Programm zum Ausbau der Fernwärme aus, die entscheidende Maßnahme, um da voranzukommen?
Sie sagen, Sie seien für eine Kohlevorrangpolitik und wollten den alten Konsens festhalten. Mit Recht hat der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, über dessen industrielle Zukunft, Herr Wallmann, Sie sich keine Sorge zu machen brauchen — das ist in guten Händen dort —,
darauf aufmerksam gemacht: seit es diese Bundesregierung gibt, wachsen die Kohlehalden in diesem Lande wieder; das ist die Wirklichkeit.
Es gibt keinen Zweifel, sowohl bei der Braunkohle als bei der Steinkohle findet zur Zeit ein Verdrängungswettbewerb der Kernenergie gegen die Kohle statt, ob Ihnen das gefällt oder nicht. Gucken Sie dazu die Zahlen an.
Sie sagen, alles wird getan, um die nichtnuklearen Energietechniken zu entwicklen. Die Alternative zur Atomkraft stand 1981 mt 616 Millionen DM im Haushalt. Es war geplant, daß sie bis 1985 auf 780 Millionen DM ansteigt. Tatsächlich, Herr Kollege Riesenhuber, stehen in Ihrem Haushalt 1986 428 Millionen DM statt vorgesehener 780 Millionen DM. Sie blinken links und fahren nach rechts, das gibt keine vernünftige Politik auf diesem Gebiet.
Jetzt zur Kernenergie. Da hört man ja verschiedene Stimmen aus der Union: Zitiert wurde bereits von Ministerpräsident Rau das Wort von Herrn Biedenkopf, man werde in 20 bis 30 Jahren aussteigen können. Der Herr Lambsdorff spricht von 50 bis 70 Jahren. Der Kollege Stoltenberg spricht davon, daß es eines Tages geschehen werde, und der Herr Genscher sagt, drei Tage, bevor der Energiebericht im Kabinett verabschiedet wird, man solle möglichst schnell aussteigen, weil das eine risikoreiche Technik ist.
Ich sage Ihnen, wenn Sie das wirklich ernst nehmen mit dem Aussteigen — und sei es, daß Sie 50 Jahre als Zeithorizont vornehmen —, dann gibt es überhaupt keinen Grund mehr zu sagen, der Schnelle Brüter sei eine wesentliche Grundlage für die Energieversorgung,
dann haben Sie kein Argument mehr, um das so vorzutragen, und dann wäre das ein erster Ansatzpunkt, um einen neuen Konsens in unserem Lande herzustellen; nur, davon sind wir wirklich weit entfernt.
Nun noch ein Wort zu den internationalen Entwicklungen. Es wird immer gesagt, alle Welt macht doch weiter. Also, zunächst gibt es einige Länder, wo der Ausbau der Atomkraft zum Stillstand gekommen ist, die Vereinigten Staaten von Amerika seit mehreren Jahren, wie jedermann weiß. Es gibt einige Länder, da wurde fertiggebaut, und die Dinger werden nicht in Betrieb genommen: Österreich, im Augenblick ganz aktuell die Philippinen: fertiges Kernkraftwerk. Da gibt es Länder, die ihre Planungen gestoppt haben, z. B. Jugoslawien, z. B. Brasilien, z. B. Italien, z. B. die Niederlande. Da gibt es einige Länder, die beschlossen haben: Wir wollen raus, ganz! Dazu zählt Schweden, dazu zählt Finnland. Und da gibt es einige Länder in Europa und anderswo auf der Welt, die überhaupt keine Kernkraft benutzen: in Europa Norwegen, Dänemark, Irland, Griechenland. Und es gibt Länder, in denen in den letzten Jahren eine öffentliche Diskussion stattgefunden hat, z. B. in Großbritannien und bei uns, aber auch, wenn Sie offene Ohren haben, in einigen Staaten des Warschauer Pakts. Wer angesichts dieser Lage meint, darauf hinweisen zu müssen, daß nur in der Bundesrepublik eine Diskussion zu diesem Thema stattfindet, hat einfach nicht Augen und Ohren offen, um die Welt zu sehen, wie sie ist, sondern macht sich etwas vor.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal erinnern: Wer meint, das Thema Restrisiko so behandeln zu können, daß man sagt, das sei eben etwas für Menschen, die ihre irdische Existenz als vorläufige begreifen, und die anderen hätten da größere Schwierigkeiten, dem sage ich als Christ: Ich habe
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18277
Dr. Hauffgrößere Schwierigkeiten, obwohl ich dabei das irdische Leben als vorläufiges begreife.
— Ich habe dieses Argument nicht eingeführt. Erkundigen Sie sich bei Ihrem Generalsekretär, warum er das eigentlich getan hat.Dieser Energiebericht der Bundesregierung, der zu allen wichtigen Fragen — vom Sparen über regenerative Energiequellen zu der Frage: Was heißt eigentlich Übergangstechnologie? — kein einziges Wort ausführt, der den Wert eines abgerissenen Kalenderblattes mit schönen Sprüchen hat, ist für die Lösung der Zukunftsprobleme unbrauchbar. Er ist weder schädlich noch nützlich. Aber er ist ein Zeichen dafür, wie wenig ernst diese Bundesregierung die wirklichen Zukunftsprobleme unseres Landes nimmt.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß zu Tagesordnungspunkt 16 a zwischenzeitlich Entschließungsanträge von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/6118, von der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/6116 und 10/6117 und von der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6120 eingebracht worden sind. Wenn Sie sie lesen mögen, wird gebeten, sie draußen von dem Drucksachenwagen abzuholen.
Jetzt hat Herr Abgeordneter Beckmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zahlreichen Debatten, die wir in den letzten Wochen und Monaten über die Nutzung der Kernenergie geführt haben, waren angesichts des Reaktorunfalls von Tschernobyl wichtig und notwendig, aber häufig leider nur auf diese Möglichkeit der Energiegewinnung beschränkt. Alle anderen Energieträger wurden mehr oder weniger an den Rand gedrängt. Ich darf Sie an die dritte Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung von 1983 erinnern, in der die Zielvorstellungen für die künftige Energieversorgung formuliert worden sind. Diese Vorstellungen sind damals von Regierung und Opposition anerkannt worden.Es sollten jeweils ein Drittel das Öl, die Stein- und Braunkohle sowie Erdgas, Kernenergie, Wasser und regenerative Energiequellen ausmachen. Unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit und Flexibilität unserer Energieversorgung war dies eine Idealvorstellung.
— Auf dem Weg dahin, Herr Kollege Wolfram, sind wir ein gutes Stück vorwärtsgekommen.Der vorliegende Energiebericht ist hierzu eine ermutigende und beeindruckende Bilanz.
Der Anteil des Mineralöls liegt nunmehr bei 42 %, wobei die Versorgung hin zu weniger krisenanfälligen Lieferquellen entscheidend verbessert wurde. Stein- und Braunkohle machen zusammen 30 % aus. Dadurch haben wir insgesamt die Diversifizierung unserer Energiequellen vorangetrieben und die Abhängigkeit in der Energieversorgung verringert.Wir haben Energie zu international wettbewerbsfähigen Preisen; wir haben die Umweltbelastung bei der Energieerzeugung und den Verbrauch drastisch reduziert, und wir gehen sparsamer und rationeller mit Energie um. Diese Einsparerfolge wurden erreicht, weil wir auch in der Energiepolitik so weit wie möglich auf die erfolgreichen Kräfte des Marktes gesetzt haben. Investoren und Verbraucher haben die wichtigen Konsequenzen aus den Preissignalen gezogen. Der sich ergebende Nachfragerückgang und die Entwicklung eines zusätzlichen Energieangebotes haben insbesondere zu einem tendenziellen Ölüberangebot geführt. Damit haben die Verbraucher im Gegenzug den Beweis erhalten, daß sie sich bei richtigem Verhalten gegenüber Pressionen wehren können. Sie sollen deshalb auch an den sich nun ergebenden Vorteilen teilhaben. Insgesamt wird sich durch den Ölpreisrückgang ein zusätzliches reales Wachstum der Inlandsnachfrage um 1 % ergeben.Dennoch müssen wir uns darüber im klaren sein, daß das Einsparpotential in dieser Größenordnung in einer Volkswirtschaft nur einmal zu aktivieren ist. In Zukunft wird dies alles viel schwieriger und langsamer zu mobilisieren sein.Eines aber — das sage ich in die Richtung der Opposition — zieht mit Sicherheit nicht: die aus dem Gruselkabinett der SPD stammende Energieverbrauchsordnung oder die Erhöhung von Steuern und die Einführung von neuen Abgaben.
Diese Bevormundung des mündigen Bürgers spricht allen unseren Erfahrungen Hohn. Wie in allen wichtigen Politikbereichen verabschiedet sich die SPD auch von anderen maßgeblichen energiepolitischen Entscheidungen wie z. B. der Nutzung der Kernenergie,
die nur im Konsens, lieber Kollege Wolfram, mit allen politisch verantwortlichen Kräften und mit der Zustimmung der Bevölkerung verwirklicht werden kann.
Verantwortliche Politiker, Herr Kollege Wolfram, haben immer schon und lange vor Tschernobyl über den Umfang, die Verantwortbarkeit und die Notwendigkeit der Nutzung der Kernenergie und über ihre Probleme nachgedacht. Sie haben nach Möglichkeiten anderer Energieversorgungsstruktu-
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18278 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Beckmannren gesucht, allerdings nach seriösen und realisierbaren Lösungen.Die Enquete-Kommissionen zu Beginn der 80er Jahre haben hier anerkennenswerte Leistungen vollbracht, die zu einem weitgehenden politischen Konsens geführt haben. Wenn jetzt die SPD auf den populistischen Dreh kommt, in zehn Jahren sei ein Ausstieg aus der Kernenergie möglich, so ist dies ein großangelegter Versuch der Wählertäuschung. Da helfen auch nicht die bereits vielzitierten vom Bundesministerium für Wirtschaft in Auftrag gegebenen Gutachten weiter.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie nehmen daraus nur das, was Ihnen paßt; den Rest unterschlagen Sie. Ein Ausstieg innerhalb von zehn Jahren ist umweltpolitisch unverantwortbar, energie- und wirtschaftspolitisch unrealistisch sowie beschäftigungspolitisch gefährlich.Ich darf auf Ihre Bemerkung, Herr Kollege Hauff, hinsichtlich der Entwicklung in den übrigen Industrieländern eingehen. Sie haben hier unterschlagen, daß z. B. in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zur Zeit 25 Kernkraftwerke im Bau sind
und daß z. B. Japan beschlossen hat, seinen Kernenergieanteil in den nächsten Jahren zu verdoppeln. So, meine Damen und Herren, verhält es sich bei unseren hauptsächlichen Wettbewerbern auf den internationalen Märkten.
Energiepolitisch ist ein sofortiger Ausstieg unrealistisch; denn man kann nicht innerhalb von zehn Jahren von einer Großtechnologie, die in mindestens 30 Jahren entwickelt worden ist, in eine andere umsteigen. Auch Sie wissen genau, daß der Bau einer großtechnischen Anlage in der Bundesrepublik mehr als zehn Jahre Zeit benötigt. Wirtschaftspolitisch kämen auf uns Kostenbelastungen in einer Größenordnung zu, die dem Umfang Ihrer fossilen Konjunkturprogramme entsprechen. Da fragt man sich wieder, was Sie nun wirklich wollen.Beschäftigungspolitisch wäre von einem Abbau von mindestens 100 000 Arbeitsplätzen auszugehen. Der Abschreckungseffekt für andere Industriezweige, geplante Investitionen in sensitiven Technologien vorzunehmen, ist zahlenmäßig noch nicht einmal zu beziffern. Besonnene Gewerkschaftsführer haben denn auch schon vor diesen unrealistischen wie unseriösen Vorstellungen gewarnt.
Für uns Freie Demokraten ist das Wort „Übergangsenergie" überhaupt nichts Neues. Wir haben nie einen anderen Standpunkt vertreten,
und wir haben dies auch schon Ende der 70er Jahre auf unseren Bundesparteitagen so beschlossen.Nach Tschernobyl ist uns noch einmal deutlich geworden, wie wichtig gerade dieser Gesichtspunkt und diese Aussage gewesen sind und daß wir daran festhalten müssen. Der Zeitraum hierfür ist jetzt aber nicht festzulegen, jedenfalls so lange nicht, bis andere umweltfreundlichere Energieversorgungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.Mit großer Sorge beobachtet die FDP, wie durch die Absage der SPD an die Nutzung der Kernenergie das so wichtige Bekenntnis zum Verbund von Kohle und Kernenergie in Frage gestellt wird — und das gerade in Zeiten, die für die deutsche Steinkohle so schwierig sind.
Wir unterstützen die Politik der Bundesregierung, die Kohle als wichtigen heimischen Energieträger abzusichern. Dies hat in der Vergangenheit erhebliche finanzielle Opfer abverlangt und wird auch in Zukunft erhebliche Anstrengungen erfordern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Vielen Dank, Herr Kollege Wolfram. Wir können das hinterher weiter diskutieren.Ich darf an den Beschluß der Wirtschaftsministerkonferenz vom September 1985 erinnern, der zur Kohle- und Kernenergienutzung festgestellt hat: Eine von den Ländern gemeinsam mitgetragene deutsche Kohlepolitik kann auf Dauer nur dann erwartet werden, wenn auch andere Energienutzungen, so auch die Kernenergie, einschließlich Entsorgung von allen Ländern mitgetragen wird.Der Entschließungsantrag der SPD, der behauptet, die Bundesregierung entferne sich von dem Konsens in der Kohlevorrangpolitik, ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen.
Es ist die SPD, die durch den beabsichtigten Ausstieg aus der Kernenergie den Verbund mit der Kohle aufkündigt.
Wie anders ist es denn zu verstehen, wenn der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister den Energiekonzepten seiner Parteifreunde in Hamburg und Süddeutschland eine scharfe Absage erteilt, weil sie Kernenergie durch billige Importkohle aus Polen und — man höre — Südafrika ersetzen wollen. Wer einmal beginnt, die gesamtpolitische Solidarität aufzukündigen, darf sich nicht wundern, wenn sie im eigenen Lager abbröckelt.Meine Damen und Herren, wir werden die erfolgreiche Energiepolitik dieser Bundesregierung auch in den nächsten Jahren mit Nachdruck unterstützen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986 18279
BeckmannIch danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Tatge.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Wochen wurde hier im Bundestag über die ethische Orientierung und über die praktische Vernunft in der Politik gesprochen. Helmut Schmidt hielt seine Abschiedsrede, deren Kern ein Plädoyer für die pragmatische Sittlichkeit in der Politik war. Dies ist meines Erachtens nicht genug. Weder die Wortbeiträge von Schmidt noch die Bilanzierung der Redner von CDU/CSU damals und heute stellen sich ernsthaft die ethische Frage nach der Verantwortung um die Atomenergie. Daß es sich hier um ein moralisches Problem von planetarischen Ausmaßen handelt, daß jede Teilentscheidung für die Verwendung von Atomenergie die Natur und die Menschheit auf Tausende von Jahren belastet und gefährdet, wird nicht diskutiert.Die Entfesselung radioaktiver Strahlung schafft aber, wie Robert Spaemann betont, einen Umstand, der durch keinerlei spätere Entscheidung ungeschehen gemacht werden kann. Sie beeinträchtigt die biologischen Lebensbedingungen der Menschen auf unbegrenzte Zukunft erheblich und schränkt auch die Bedingungen freiheitlichen Lebens irreparabel ein. Wir haben es hier mit einem gänzlich neuartigen politischen und moralischen Problem zu tun. Das aber blenden die meisten Politiker aus. Sie handeln nach Maßstäben der pragmatischen Sittlichkeit.Die vorgegebenen Zielorientierungen, Erhaltung der Wohlfahrt, soziale Gerechtigkeit mit Produktionssteigerungen etc., werden nicht in Frage gestellt. Die aufgetretenen Krisenphänomene einschließlich der demokratischen Legitimationskrise und des Vertrauensverlustes in der Bevölkerung werden als bloße Steuerungsprobleme begriffen und angegangen. Die strategische Einstellung ist vorherrschend auch im Verhältnis zu den kritischen Bürgern. Diese werden nicht als kritische Argumentationspartner in einem gleichberechtigten Dialog ernstgenommen, sondern eher als Träger von Angst eingeschätzt und dementsprechend behandelt.Demgegenüber stelle ich einen Verantwortungsbegriff einer kritischen Moral, die universalistisch und diskursbezogen ist. Dieser Verantwortungsbegriff schließt die Rechtfertigung der Ziele samt ihrer voraussehbaren Folgen für alle Betroffenen ausdrücklich ein. Daß eine solche universalistische Verantwortung der Politik zugemutet werden muß, läßt sich aus der neuen Lage rechtfertigen, in die die Menschheit durch die moderne Technologie geraten ist. Die Folgen des technologischen Handelns einer Nation können heute den gesamten Planeten betreffen. Nicht allein Radioaktivität ist es, die keine Grenzen kennt.Wer jedoch in dem vorgelegten Energiebericht der Bundesregierung eine Überlegung der Nachdenklichkeit zu finden erwartet hätte, wird enttäuscht. Diese Bundesregierung hat ein weiteres Dokument der Ignoranz, der Unbelehrbarkeit, der Besserwisserei, des fehlenden Problembewußtseins und der Abhängigkeit von der Atomlobby vorgelegt.
Bezeichnend ist der Satz in Kapitel 2 — ich zitiere —: „Die energiepolitische Bilanz der Bundesregierung ist überzeugend positiv."
Eine Bilanz enthält Aktiva und Passiva, also Vermögen und Kapital. Wenn man nun als Opposition, sozusagen als Wirtschaftsprüfer, die energiepolitische Bilanz der Bundesregierung prüft, dann muß man zu dem Ergebnis kommen, daß, statt auf der einen Seite Vermögen auszuweisen, bei dieser Regierung allenfalls Unvermögen vorherrscht, und statt ungebundenen Kapitals auf der anderen Seite läßt sich die Bindung an das Kapital der Atomlobby und der Energiewirtschaft aus jedem Kapitel Ihres Berichts herauslesen.
Als Betriebswirt muß ich Ihnen auch sagen, daß Sie es mit den Grundsätzen der Bilanzwahrheit, Bilanzrichtigkeit und -vollständigkeit auch nicht sonderlich genau nehmen. In der Frage des Waldsterbens lügen Sie. In der Frage der Wirtschaftlichkeit der Atomenergie und der Kosten des Ausstiegs verschweigen und entstellen Sie. Die Fragen der Energiesparmaßnahmen und der Nutzung regenerativer Energiequellen mißachten Sie fast vollständig.Man kann nur zu dem Schluß kommen, daß der vorgelegte Bericht einer energiepolitischen Bilanz eine Bilanzfälschung ist. Wie heißt es in „Gablers Wirtschaftslexikon" unter „Bilanzfälschung"?Verstoß gegen das Prinzip der Bilanzwahrheit, falsche Darstellung der Vermögenslage des bilanzierenden Unternehmens mit dem Ziel, günstigere Verhältnisse vorzuspiegeln als tatsächlich gegeben.Genau das macht diese Bundesregierung.
Für uns heißt das, daß wir dafür sorgen müssen, daß die Bilanzfälscher in Gestalt von Minister Bangemann und des Kollegen Kohl so schnell wie möglich aus dem Verkehr gezogen werden.
Sie wollen den hemmungslosen Ausbau der Atomenergie und begründen das zynisch mit dem Waldsterben, für dessen Ausmaß Sie selbst verantwortlich sind und das Sie jahrzehntelang heruntergespielt haben.
Der Antrag der GRÜNEN betreffend Energiesparprogramm für den Wärmemarkt trägt der Er-
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Tatgekenntnis Rechnung, daß unsere größte Energiequelle das Energiesparen ist. Er unterstützt und ermöglicht Planungen zum Ausstieg aus der Atomenergie, während Sie den Ausbau forcieren, Brokdorf und Mülheim-Kärlich ans Netz gehen lassen wollen. Wo erste Ausstiegspunkte notwendig wären, setzen wir, die GRÜNEN, Ihnen unser Ausstiegsszenario entgegen.Erstens. Der Ausstieg ist technisch machbar und ökonomisch finanzierbar. In der Studie des RWI errechnen die konservativen Fachleute zum Schrecken des Kabinetts Kohl, daß ein sofortiger Ausstieg aus der Atomkraft keine gravierenden wirtschaftlichen Folgen hätte. Für den einzelnen Haushalt würde der Ausstieg monatlich mit 10 DM mehr zu Buche schlagen. Dies hat Professor HansJürgen Krupp, Direktor des DIW, berechnet. Das Baseler Prognos-Institut kommt auf Strompreiserhöhungen von 11 bis 12 % bei einem sofortigen Ausstieg. Für die Industrie sind die Belastungen mit teurem Strom nicht so schlimm, wie sie immer tut. Mit Ausnahme weniger, energieintensiver Branchen machen selbst hohe Preissteigerungen nur einen Bruchteil von Prozenten in der Kalkulation aus.
Die technische Machbarkeit ergibt sich eindeutig aus der Tatsache, daß es die Kraftwerksüberkapazität möglich macht, die Stromversorgung bei Abschaltung aller AKW uneingeschränkt fortzusetzen. Ende 1985 verfügten die öffentlichen Kraftwerke über eine Stromleistung von 78 400 Megawatt.16 200 Megawatt davon waren Atomstrom. An einem Höchstlasttag werden normalerweise 53 000 Megwatt Strom benötigt.
Mit Atomstrom beträgt die überschüssige Kraftwerksleistung 25 400 Megawatt; das sind 48 %. Ohne Atomstrom verringert sich die Kraftwerksreserve auf 9 200 Megawatt. Das sind immer noch 17% der maximal gebrauchten Menge an Atomstrom, also ein enormes Potential. Ein Energieüberschuß von17 % ist ausreichend, um auch in extremen Situationen genügend Strom zur Verfügung zu haben. Ein Vergleich mit Japan beweist dies.Der Ausstieg ist auch möglich, ohne die Emissionen aus Kohlekraftwerken in die Höhe zu treiben. Wir haben in unserem Atomsperrgesetz schon 1984 dargelegt, daß das Abschalten von Atomanlagen für uns immer mit einer ökologischen Optimierung der fossilen Kraftwerke verbunden ist. So wollen wir die sofortige Nutzung von zum Teil stillgelegten Gaskraftwerken, die bis 1979 ohnehin genutzt wurden. Der NOx-Ausstoß würde gegenüber dem Ausstoß bei Verwendung von Kohle und 01 drastisch fallen. Weiterhin sollen zirka 5 Milliarden Kubikmeter Erdgas in 01- und Kohlekraftwerken eingesetzt werden. Technisch ist das möglich. Das gilt für zirka 20 % der Ölkraftwerke und für zirka 20 % der Kohlekraftwerke mit Trockenfeuerung.Bis Ende 1988 ist es ebenso möglich, in allen Kohlekraftwerken Rauchgaswaschanlagen zu installieren. Bis zu diesem Zeitpunkt wollen wir den Einsatz schwefelarmer Importkohle und die kurzfristige Produktion bundesdeutscher Kohle auf Halde.
— Nicht aus Südafrika, Herr Kollege.
Die sofortige Reduzierung der Stickoxidemission ist möglich. Schon der vermehrte Einsatz von Erdgas — das habe ich eben dargelegt — führt zu einer deutlichen Verminderung der NOx-Emissionen. Durch Verringerung der Verbrennungstemperatur und Maßnahmen zur Beeinflussung der Sauerstoffzufuhr läßt sich eine weitere Verminderung des Stickoxidausstoßes bei allen fossilen Kraftwerken erreichen. Tatsache ist, daß in diesem Jahr der Stickoxidausstoß um 4 % gestiegen ist — wegen und trotz dieser Politik der Bundesregierung.
Ein Bündel von begleitenden Maßnahmen ist politisch gefordert. So würden eine andere Verkehrspolitik, das Verlagern von Gütern auf die Bahn,
ein Tempolimit, autofreie Sonntage und die richtige Förderung der Einführung von Katalysatorfahrzeugen zur Reduzierung von Stickoxiden und Schwefeldioxid beitragen.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ich erlaube mir noch einen Satz: Neben dem von mir dargestellten Maßnahmenbündel sind Energieeinsparungen und die forcierte Nutzung regenerativer Energiequellen Maßnahmen, die mittelfristig wirken, aber sofort anzugehen sind. An diesem energiepolitischen Konzept muß man festhalten.
Mit diesem energiepolitischen Konzept kann man anfangen,
wenn man eine ökologische Orientierung der Energiepolitik will.
Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider ist der Kanzlerkandidat der SPD, Johannes Rau, in der Debatte nicht mehr anwesend.
— Unsere Minister sind hier! Ein halbes Dutzend Minister ist anwesend!
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Herr Abgeordneter, ich glaube, es hat wenig Sinn, hier solche Debatten zu führen.
Mir scheint, daß diese Debatte für Johannes Rau, der mit einem hohen Anspruch angetreten ist, zu einem schwarzen Freitag geworden ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?
Nein, ich lasse keine Fragen zu, weil ich keine Zeit habe.Es ist unserem Minister für Forschung und Technologie, Heinz Riesenhuber, gelungen, die Argumentation des Ministerpräsidenten Rau total zu widerlegen, ja, zu zerlegen, so daß von dessen Argumenten absolut nichts übriggeblieben ist.
Ich möchte nur noch auf eine von ihm wiederum mißbräuchlich aufgestellte Behauptung eingehen, die Äußerungen von Kardinal Höffner betreffend. Rau hat hier wieder versucht, sich auf den Kardinal zu berufen, um Angst und Furcht und Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten.
Meine Damen und Herren, auf der Bischofskonferenz in Fulda hat Kardinal Höffner unmißverständlich erklärt, er habe sich keineswegs für einen sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen; es gelte in dieser Frage der „Grundsatz der Vernünftigkeit", wonach alle Folgen einer solchen Entscheidung berücksichtigt werden müßten. Das ist von Herrn Rau unterschlagen worden!
Meine Damen und Herren, ich kann mich nicht daran erinnern, daß ein Energiebericht der Bundesregierung allen Erfolgen zum Trotz jemals so irrationalen politischen Widersprüchen ausgesetzt gewesen ist wie in diesem Jahr. Einerseits konnte bisher keine Bundesregierung größere Erfolge in der Energie- und vor allem in der Umweltpolitik vorweisen als die Regierung Helmut Kohl.
Andererseits sind die von den großen Parteien seit Jahrzehnten gemeinsam getragenen Grundlagen dieser erfolgreichen Politik von der SPD spätestens auf ihrem Nürnberger Parteitag endgültig verlassen worden.
Die energie- und umweltpolitische Bilanz der Bundesregierung ist überzeugend positiv. Das aus den Ölkrisen der 70er Jahre geborene Konzept einer Politik „weg vom 01" war überraschend erfolgreich. Die Fortschritte bei der rationellen Energieverwendung und bei der Umstrukturierung der deutschen Energieversorgung sind größer als erwartet. Die von der Opposition geforderten staatlichen Zwangsmaßnahmen waren überflüssig. Das marktwirtschaftliche Konzept hat erneut seine Überlegenheit bewiesen.
— Herr Hauff, nachdem die SPD das Thema „Umweltschutz" in 13 Regierungsjahren regelrecht verschlafen hatte, hat die Regierung Kohl mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der Novellierung der TA Luft die Anforderungen zur Luftreinhaltung seit 1983 wirkungsvoll verschärft.
Auch die Einführung schadstoffarmer Pkw hat dazu geführt,
daß bereits 1987 drei von vier neu zugelassenen Pkw schadstoffarm sein werden.
Auch das von der Opposition geforderte Tempolimit hat sich als überflüssig erwiesen.Wir haben deshalb allen Anlaß, der Bundesregierung für ihr überzeugendes energie- und umweltpolitisches Engagement zu danken,
für ein Engagement, das, wie die gerade zu Ende gegangene Reaktorsicherheitskonferenz in Wien oder die Internationale Umweltkonferenz in München oder das beständige Drängen im EG-Bereich zeigen, längst zu einer internationalen Pionierfunktion geführt hat.
Meine Damen und Herren, angesichts dieser international anerkannten energie- und umweltpolitischen Erfolge dieser Bundesregierung wirken die Kampagnen der Opposition unglaubwürdig und provinziell. Die Frage „Ausstieg oder Nichtausstieg" ist derzeit bei uns das alles beherrschende energiepolitische Thema, wobei die Frage nach dem möglichen Sicherheitsgewinn vielfach gar nicht mehr gestellt wird. Es wird verdrängt, daß in Tschernobyl nicht die Kernenergie, sondern eine unzureichende Sicherheitstechnik versagt hat,
und es wird ignoriert, daß sich in Tschernobyl, wie viele Fachleute versichern, gar kein ziviler, sondern ein militärischer Unfall zugetragen hat.SPD und GRÜNE sollten endlich zur Kenntnis nehmen, daß sich weltweit 374 Kernkraftwerksblöcke in Betrieb und weitere 156 in Bau befinden und daß auch nach Tschernobyl so gut wie niemand daran denkt, aus der friedlichen Nutzung der Kern-
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Engelsbergerenergie auszusteigen. Im Gegenteil, sowohl die Sowjetunion nebst DDR und Tschechoslowakei als auch Frankreich, Belgien und Großbritannien, aber auch Japan und Indien haben inzwischen die Absicht erklärt, ihre Kernkraftwerke nicht nur weiterzubetreiben, sondern die friedliche Nutzung der Kernenergie noch weiter auszubauen.
Es ist deshalb kurzsichtig, den Ausstieg aus der Kernenergie gerade für unser Land zu fordern, in dem allen Fragen der Sicherheit kerntechnischer Anlagen von Anfang an Vorrang eingeräumt wurde.KWU-Chef Barthelt hat in seinem jüngsten „Spiegel"-Interview zu Recht auf folgendes hingewiesen — ich zitiere —:Wir gehen nicht davon aus, daß es Störfälle nicht geben darf. Im Gegenteil! Wir gehen davon aus, daß es technische Pannen gibt und daß menschliches Fehlverhalten passieren kann. Und wir sorgen durch unsere Technik dafür, daß die Sicherheit für die Umgebung erhalten bleibt.
Ich schließe aus, daß es Tote gibt. Ich schließe aus: verwüstetes Gelände, auf Dauer unbewohnbar, wie gewisse Horroszenarien angelegt sind. Ich schließe also aus: eine katastrophale Wirkung wie bei Tschernobyl.Meine Damen und Herren, so KWU-Chef Barthelt.
Meine Damen und Herren von der SPD, ist es nicht beschämend, wenn Sie den Sachverstand und die Arbeit deutscher Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure offenbar genauso gering einschätzen wie das, was wir in Tschernobyl an buchstäblich katastrophalem Unvermögen erlebt haben? Macht es Sie nicht betroffen, wenn Ihnen der IG- Bergbau-Vorsitzende Meyer voller Hohn zuruft: „Kernige Sprüche sind kein Ersatz für Kernkraft! Mit pathetischen Resolutionen kann kein Strom erzeugt werden." Die Kernenergie ersetzt heute bereits weltweit 400 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten pro Jahr an fossilen Energiestoffen. Das ist mehr, als dem gesamten Energieverbrauch der Bundesrepublik entspricht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauff?
Danke schön. Aber meine Zeit erlaubt es nicht, Herr Hauff.
— Das sind absolut richtige Zitate!
Bei weiter steigendem Weltenergiebedarf
wären deshalb ohne Kernenergie die Verknappung und die drastische Verteuerung der fossilen Energien vorprogrammiert.
Franz Josef Strauß trifft deshalb genau den Punkt, wenn er sagt: „Der Ruf nach weltweiter Entwicklungshilfe in die Länder der Dritten und Vierten Welt ist nur eine humanitäre Phrase, wenn man nicht gleichzeitig dafür sorgt, daß diesen Ländern und ihren Menschen ausreichend Energie zu dort bezahlbaren Preisen zur Verfügung steht."
Unglaubwürdig sind die Kernkraftgegner aber auch im Bereich der unstrittig erhöhten Umweltbelastung, obwohl alle Untersuchungen eines deutlich gemacht haben: Die einzig realistische Alternative zur Kernenergie wären heute nicht die sogenannten neuen, sanften Energien, sondern die alten, fossilen Energien Kohle und Öl.
Meine Damen und Herren, das ist der eigentliche politische Skandal. Was glauben Sie denn, welche gewaltigen Umweltprobleme bei uns zusätzlich eintreten, wenn etwa die Belgier und Franzosen ihren 60 %igen Kernenergieanteil an der Stromerzeugung durch Kohlekraftwerke ersetzen? Denn die Umweltprobleme, die durch fossile Brennstoffe verursacht werden, könnten auch dort mit Hilfe der modernen Technik nur verringert, aber nicht beseitigt werden. Dies gilt insbesondere für das größte Umweltproblem, vor dem uns die Wissenschaftler warnen, nämlich die Erhöhung der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre durch den vermehrten Einsatz fossiler Brennstoffe. Wir wissen, daß diese Belastung mit keiner Maßnahme zu beseitigen ist.
Ich fasse zusammen. Der einseitige Ausstieg aus der Kernenergie wäre für uns mit höchsten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Risiken verbunden, ohne daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch größere Sicherheit erlangen würde. Zu fordern ist deshalb nicht der einseitige Ausstieg aus der Kernenergie — bei dem uns niemand folgen würde —, sondern die Durchsetzung höchster internationaler Sicherheitsstandards. Wenn uns Wissenschaft und Technik neue Energiequellen anbieten, die mit weniger Risiko behaftet sind als die Kernenergie, so werden wir wie in der Vergangenheit auch künftig an der Spitze des umwelt- und energiepolitischen Fortschritts marschieren.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/6073 und 10/5976 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten
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Vizepräsident WestphalAusschüsse vor. Weiterhin schlägt der Ältestenrat zu Punkt 16b der Tagesordnung vor, den Antrag auf Drucksache 10/5976 zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu überweisen. Gibt es zu diesen Überweisungsvorschlägen andere Anregungen? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über die zu Punkt 16 a der Tagesordnung vorliegenden Entschließungsanträge. Ich habe den Versuch gemacht, eine sinnvolle Reihenfolge der Abstimmung herbeizuführen. Ob es gelingt, werden wir gleich merken. Ich weise jedenfalls jeweils auf die Antragsteller hin.Wir kommen zu dem Enschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/6118. Wer diesem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Entschließungsantrag ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe nun den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6104 auf. Wer diesem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Nun komme ich zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6116. Das ist der Antrag, der sich mit Hanau beschäftigt. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.Wir kommen zu dem zweiten Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6117. Das ist der Antrag, der sich mit Brokdorf beschäftigt. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen?— Dann ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.Wir kommen nun zu dem Antrag auf Drucksache 10/6120 der Fraktion der SPD. Wer diesem Antrag— auch zu Brokdorf — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Das war Punkt 16 der Tagesordnung.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktion der SPD IKRK-Konferenz in Genf vom 16. bis 31. Oktober 1986— Drucksache 10/6038 —Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 30 Minuten vorgesehen. — Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
— Ich wäre dankbar, wenn die Kollegen, die sich an dieser Debatte nicht beteiligen wollen, den Saal in Ruhe verließen.
Es gibt noch eine andere Anmerkung zu diesem Thema; die heißt: Wenn Sie nichts zu tun haben, tun Sie das nicht hier.
Jetzt ist der Abgeordnete Verheugen dran.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An der 25. internationalen Rotkreuzkonferenz, die noch in diesem Monat in Genf beginnen wird, wird nicht nur eine Delegation des Deutschen Roten Kreuzes teilnehmen, sondern — wie üblich — auch eine Delegation der Bundesregierung. Die Bundesregierung wird dabei in die peinliche Lage kommen, den versammelten Rotkreuzgesellschaften erklären zu müssen, warum sie die 1977 unterzeichneten Zusatzprotokolle zu den Genfer Rotkreuzkonventionen dem Deutschen Bundestag immer noch nicht zur Ratifizierung vorgelegt hat, obwohl das Deutsche Rote Kreuz diese Ratifizierung immer wieder und immer dringlicher verlangt und obwohl diese von der Bundesregierung selbst mehrfach in Aussicht gestellt worden ist.
Die Bundesregierung ist auch dem Bundestag eine Erklärung schuldig. Denn sie hat wirklich mehrfach versichert, die Ratifizierung solle noch in dieser Legislaturperiode erfolgen. Neuerdings sagt sie, sie wolle den Ratifizierungsvorgang erst dann einleiten, wenn eine Atommacht die Protokolle ratifiziert haben werde.Die Bundesregierung glaubt, sie könne sich ihre Untätigkeit und Pflichtvergessenheit in dieser Frage leisten, weil die ungeheure Tragweite der Genfer Zusatzprotokolle in der deutschen Öffentlichkeit nicht bekannt sei. Ich stimme ihr darin zu. Es ist in der Tat so, daß die deutsche Öffentlichkeit dieses Thema noch nicht in dem Maße zur Kenntnis genommen hat, wie es das verdiente.
Es gibt kein Volk, für das namentlich das erste Zusatzprotokoll wichtiger wäre als für unseres. Denn dieses Protokoll regelt den Schutz der Zivilbevölkerung im Kriegsfall neu, weil die alten Bestimmungen hinter den Fortschritten — ich setze dieses Wort in Anführungszeichen — herhinken, die Krieg und Waffentechnik seit dem Zweiten Weltkrieg gemacht haben.Man muß sich einmal klarmachen, daß die Bundesregierung das Risiko auf sich nimmt, die eigene Bevölkerung in einem Krieg ohne den größtmöglich erreichbaren völkerrechtlichen Schutz zu lassen. Auf Schutzbestimmungen, die weiter gehen als früher, müssen demnach Frauen und Kinder verzichten.Ich möchte an dieser Stelle einflechten, daß die schrecklichsten Exzesse im Golfkrieg nicht hätten vorkommen können, wenn der Iran und der Irak
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Verheugendiese Protokolle ratifiziert hätten, daß zumindest aber das Internationale Rote Kreuz andere Möglichkeiten der Einflußnahme in diesem Krieg hätte. Hier ist bereits ein ganz konkreter Fall der Anwendung dieser neuen Protokolle gegeben.Aber auch die vielen hunderttausend Angehörigen der Hilfsorganisationen in der Bundesrepublik vom Deutschen Roten Kreuz bis zum bundeseigenen Technischen Hilfswerk werden zwar für den Ernstfall ausgebildet; sie sollen aber den besonderen Schutz des internationalen Rechts nicht genießen, wenn es zu diesem schrecklichen Ernstfall kommen sollte und sie eingesetzt werden müßten. Ich kann der Bundesregierung nur dringend raten, das Wort „Zivilschutz" aus ihrem Sprachschatz zu streichen und keine Sonntagsreden mehr bei den Hilfsorganisationen zu halten.
Wir verfolgen die Eiertänze der Bundesregierung in Sachen Zusatzprotokolle seit dem Sommer 1983. Immer heißt es, es müsse noch konsultiert werden und eine einheitliche Haltung des Bündnisses sei unverzichtbar.
Nun möchten wir von der Bundesregierung gern einmal erfahren, was denn an diesen Protokollen nun so schwierig und so kompliziert ist, daß seit neun Jahren darüber Konsultationen abgehalten werden müssen, obwohl alle NATO-Partner mit Ausnahme Frankreichs seinerzeit beide Protokolle unterzeichnet haben.
Die Regierungen werden doch wohl gewußt haben, was sie dort unterzeichnet haben.
Und wie stellt sich die Bundesregierung eigentlich jetzt noch eine einheitliche Haltung des Bündnisses vor, nachdem Norwegen, Dänemark, Italien und Belgien bereits ratifiziert haben und die Ratifizierung in den Niederlanden kurz vor dem Abschluß steht? Man muß sich das einmal vorstellen: Für die Streitkräfte der NATO-Staaten, auch für solche, die auf unserem Territorium stationiert sind, gelten heute bereits unterschiedliche Kampfführungsbestimmungen.Ein Hearing der SPD-Bundestagsfraktion im Herbst des vergangenen Jahres hat zutage gefördert, daß die Bundesregierung versucht hat, Parlament und Öffentlichkeit über die wahre Bedeutung des Zusatzprotokolls I für die Strategie der Abschreckung im unklaren zu lassen. Ein Ersteinsatz von Atomwaffen in Mitteleuropa wäre nach den Bestimmungen dieses Zusatzprotokolls nicht vorstellbar und müßte als Kriegsverbrechen gewertet werden.
Die Bundesregierung bestreitet Auswirkungen der Protokolle auf die Verteidigungsstrategie. Die Vereinigten Staaten von Amerika erklären dagegen jedem, der es hören will, zuletzt einer Delegation des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle, daß die neuen kriegsvölkerrechtlichen Bestimmungen des Zusatzprotokolls I „fundamentale Bedeutung für die NATO und ihre Strategie" hätten; das ist ein wörtliches Zitat von Herrn Pearl. Auch wir sehen das so.
Aber während wir meinen, daß dann eben die Strategie dem Völkerrecht angepaßt werden muß, will die Reagan-Administration das Völkerrecht ihren militärischen Vorstellungen unterordnen.
Die zentrale Frage, um die es heute geht, heißt nicht anders, nämlich ob die Bundesrepublik Deutschland den Schutz der eigenen Bevölkerung höher stellen will als amerikanische Militärdoktrinen oder nicht.
Die weitere amerikanische Begründung für die Verweigerung der Ratifizierung, das Zusatzprotokoll I stelle Terroristen unter den Schutz des Völkerrechts, ist geradezu absurd. Dieses Argument ist in der deutschen Diskussion bisher auch nicht aufgetaucht. Ich bin gespannt, ob es so bleibt oder ob wir einen Fall von nacheilendem Gehorsam erleben werden.Die rechtlichen Fragen, die mit diesem Problem zusammenhängen, sind bei uns ja schon ausgiebig diskutiert worden, als nämlich Angehörige der Roten Armee Fraktion im Jahre 1981 unter Bezugnahme auf Bestimmungen des Zusatzprotokolls I den Kriegsgefangenenstatus für sich in Anspruch genommen haben.Interessant ist hier übrigens, daß die Regeln über den Kombattantenstatus, den die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt vehement bekämpfen, seinerzeit von der Delegation der USA gegen den Widerstand der anderen Bündnispartner und auch gegen den Widerstand der damaligen Bundesregierung, in Genf durchgesetzt worden sind. So viel zum Thema Kontinuität der amerikanischen Außenpolitik.In der Debatte wird uns nachher sicher entgegengehalten werden, daß noch kein Warschauer-PaktMitglied die Protokolle ratifiziert habe. Das ist richtig, obwohl das Rote Kreuz über Informationen verfügt, daß der Ratifizierungsprozeß in Bulgarien jetzt eingeleitet wird. Es wartet eben hier eine Großmacht auf die andere. Aber für uns als Deutsche ist wichtig, daß, wiederum nach den Informationen des Roten Kreuzes, die DDR dazu bereit ist, die Ratifizierung der Protokolle zeitgleich mit der Ratifizierung in der Bundesrepublik zu vollziehen.Es wird ja nun viel und mit Recht von der gemeinsamen Verantwortung der beiden deutschen Staaten für den Frieden in Europa gesprochen. Hier
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Verheugenkann diese gemeinsame Verantwortung praktiziert werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann gewiß daran zweifeln, ob das Völkerrecht in einem Atomkrieg etwas nützen wird oder nicht.
Aber man kann nicht darüber streiten, daß die Beachtung der neuen Genfer Bestimmungen das Kriegsrisiko ein Stück geringer machen würde.
Deshalb wollen wir die Ratifizierung der Protokolle sofort und ohne Vorbehalt.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Todenhöfer — der offensichtlich nicht im Saal ist.
— Gemeldet worden ist mir Herr Dr. Todenhöfer.
Wollen Sie sich für Ihre Fraktion zu Wort melden? - Bitte schön, Graf Huyn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorab, Herr Verheugen, eine Bemerkung zum Verfahren: Bekanntlich werden zu den Zusatzprotokollen bereits zwei gleichgerichtete Anträge in den Ausschüssen beraten. Es wäre daher sicherlich im Sinne eines geordneten parlamentarischen Verfahrensablaufs, wenn die SPD erst einmal das Ergebnis jener anderen Anträge abwartete.Aber wir wollen dieser Debatte nicht ausweichen. Deswegen bleibt folgendes festzuhalten.Erstens. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Zusatzprotokolle. Wir werten sie als einen Fortschritt des humanitären Kriegsvölkerrechts.Zweitens. Es ist unser Ziel, daß die Bundesrepublik Deutschland die Protokolle ratifiziert. Insoweit sind wir uns mit Ihnen wohl einig. Abzulehnen ist allerdings die Leichtfertigkeit, mit der Sie von der SPD nun immer wieder die sofortige Ratifizierung ohne Rücksicht auf unsere lebenswichtigen Interessen fordern. Dies liegt natürlich ganz auf Ihrer politischen Linie, nämlich zu versuchen, unsere sicherheitspolitischen Positionen zu unterminieren.
Worum geht es denn hier? Was müssen unsere deutschen Interessen sein? Die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer zentralen Lage im sicherheitspolitischen Spannungsfeld, mit der Stationierung von Truppen mehrerer verbündeter Staaten bei uns, darunter denen der drei westlichen Atommächte, ist auf eine einheitliche Haltung insbesondere bei den Atommächten angewiesen. Letztere haben allesamt noch nicht ratifiziert.
Jeder Alleingang oder jedes undurchdachte Vorpreschen, wie Sie von der SPD es fordern, würde schaden.
Die Bundesregierung bemüht sich mit unserer Unterstützung, eine einvernehmliche Haltung mit unseren Hauptverbündeten herbeizuführen.
Es ist Ihnen von der SPD so gut wie uns bekannt, daß bei der Ratifizierung der Zusatzprotokolle nicht zuletzt auch eine Interpretationserklärung eine Rolle spielt, nämlich die sogenannte Nuklear-Erklärung. Insoweit ist es bezeichnend, daß die SPD heute wieder einmal eine sofortige Ratifizierung — ich zitiere aus Ihrem Antrag — „ohne Vorbehalte und ohne einschränkende Erklärung" beantragt.
Es ist schon ein starkes Stück, wenn Sie von der SPD die Position der früheren Regierung, die Sie selbst angeführt haben, hier wie auf so vielen anderen Gebieten verleugnen. Noch 1980 hat sich die damalige Bundesregierung unter Helmut Schmidt auf Grund von Konsultationen im Bündnis zugunsten einer Nuklear-Erklärung ausgesprochen.Das heißt — erstens —, die Kampfführungsbestimmungen des ersten Zusatzprotokolls sind in der Absicht aufgestellt worden, auf konventionelle Waffen Anwendung zu finden; zweitens unbeschadet sonstiger, für andere Waffenarten anwendbaren Regeln des Völkerrechts; drittens insbesondere beeinflussen, regeln oder verbieten die so eingeführten Bestimmungen nicht den Einsatz von Nuklearwaffen.Diese Interpretation des ersten Zusatzprotokolls entspricht sowohl den Erläuterungen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz als auch den Erklärungen der Atommächte Vereinigte Staaten, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion und der Vorgeschichte des Zusatzprotokolls, wie das schon der verstorbene Staatsminister Dr. Alois Mertes hier an dieser Stelle, im Deutschen Bundestag, am 14. Oktober 1983 festgestellt hat.Eine solche Interpretation ist erforderlich, weil es genügend Kräfte gibt, die die Zusatzprotokolle als Instrument mißbrauchen wollen, um die nukleare Komponente und damit die gesamte Strategie des Nordatlantischen Bündnisses mit der flexiblen Reaktion zu Fall zu bringen. Die SPD hat sich seit dem Verlust der Regierungsverantwortung 1982 in bedenkenlosem Opportunismus diesen destruktiven Kräften zugesellt.
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18286 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Graf HuynWir besitzen keine Atomwaffen, und wir wollen auch keine besitzen. Wir wollen und können die Nuklearfragen, die im Zusammenhang mit den Zusatzprotokollen bestehen, nicht allein lösen. Wir unterstützen daher die Bundesregierung in ihrer Haltung, den Meinungsbildungsprozeß innerhalb des Bündnisses voranzutreiben und das Zustimmungsverfahren für die Bundesrepublik Deutschland nach der Ratifizierung durch Nuklearmächte der Nordatlantischen Allianz einzuleiten.Die CDU/CSU beantragt, den heutigen Antrag der SPD abzulehnen.
Zusammenfassend möchte ich hier feststellen, daß unsere tragenden Grundsätze nach wie vor bleiben:Erstens. Auch nuklear sind unterschiedslose Angriffe auf die Zivilbevölkerung untersagt.Zweitens. Nach der rein defensiven Strategie, die unser Bündnis vertritt, bisher praktiziert hat und in Zukunft praktizieren wird, werden Waffen nur als Antwort auf einen Angriff eingesetzt.Drittens. Es bleibt Pflicht der Völkergemeinschaft, das Kriegsvölkerrecht auch hinsichtlich der Nuklearwaffen zum größtmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung weiterzuentwickeln.
Vizepräsident Westphal. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor ziemlich genau drei Jahren, nämlich am 23. September 1983, hat die Fraktion DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag das Ratifizierungsgesetz für die beiden Genfer Zusatzprotokolle in den Deutschen Bundestag eingebracht, flankiert von einem entsprechenden SPD- Antrag wenige Tage später. Ich erkläre hier für uns sehr klar: Wir GRÜNEN treten für eine sofortige und bedingungslose Ratifizierung dieser beiden Genfer Zusatzprotokolle ein. Wir unterstützen damit sowohl die Bemühungen des Deutschen Roten Kreuzes als auch des Internationalen Roten Kreuzes.Ich kann Herrn Verheugen in dem, was er zur Sache gesagt hat, in allen wesentlichen Fragen zustimmen.
Wir werden dem Antrag der SPD zustimmen, auch wenn er uns in einigen Punkten viel zu zahm ist. Es fehlen einige wichtige Differenzierungen. Denn das Verbot der unterschiedslosen Kriegsführung, das Übermaßverbot, der wirksame Schutz der Zivilbevölkerung im Kriegsfall im Genfer ZP I: für uns sind dies zwar alles außerordentlich wichtige, aber dennoch zweischneidige Bestimmungen des Völkerrechts, das unseren Vorstellungen von Friedensvölkerrecht bei weitem nicht genügt. Dennoch werdenwir, wie gesagt, zustimmen und wünschen uns dafür eine starke öffentliche Unterstützung. Ich verweise insbesondere darauf, daß sich die Zeitung „Die Zeit" durch einige sehr gute Artikel verdient gemacht hat.
Wir erwarten auch, um das klar zu sagen, daß sich die Sowjetunion im Rahmen der GorbatschowInitiativen zur Abrüstung eine weitere leisten sollte, nämlich jetzt ihrerseits die Genfer Zusatzprotokolle zu ratifizieren. Nur, wir befürchten, daß das Internationale Rote Kreuz auf der Tagung von Mitte bis Ende Oktober 1986 gleich in Trauerkleidung antreten kann. Denn — Herr Verheugen hat es schon gesagt — die Nichtratifizierung durch die USA ist praktisch beschlossene Sache, und das ist der eigentliche Skandal.
Warum ratifiziert die Bundesregierung nicht, Herr Möllemann, warum nicht, wo doch etwa Staaten wie Dänemark, Norwegen und Italien ratifiziert haben? Nun, es gibt nur einen Grund: Die Bundesregierung ist nun einmal der treueste NATO-Vasall, und nun ist Sie erheblich in der Bredouille. Ihre Argumente, die Sie etwa im Verteidigungsausschuß Ende Juni 1986 vorgetragen haben, wo Sie unseren Ratifizierungs-Gesetzentwurf abgelehnt haben, meine Damen und Herren von der Koalition, sind vorgeschoben, sind scheinheilig. Lesen Sie einmal nach, was in der Berliner „tageszeitung" vom 3. November 1984 über den Meinungsbildungsprozeß in der Union zu lesen war.
Lesen Sie das in der „taz" noch einmal nach.
Sie wollen sich den Griff zum Abzug an der Atombombe erhalten. Herr Todenhöfer hat das mehrfach erklärt.
— Die Todenhöfer-Äußerung, Herr Kollege, stand in der Zeitschrift „Europäische Wehrkunde".
Es war in Ihren Reihen klar darauf abgehoben, daß die Union die Option auf eine westeuropäische Atomstreitmacht aufrechterhalten müsse. Das Problem der Bundesregierung ist das des vorauseilenden, bedingungslosen Gehorsams gegenüber der
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Dr. SchierholzUS-Administration, ist das des NATO-Musterknaben.
Und das, meine Damen und Herren, sollte der Deutsche Bundestag hier nicht akzeptieren. Da die geltende NATO-Strategie dem Völkerrecht widerspricht, hat die Bundesregierung ein gespaltenes Verhältnis zum Völkerrecht.
Und es ist insbesondere an die Damen und Herren von der FDP, Herr Hoppe,
an Ihre Kolleginnen und Kollegen, die alle nicht mehr da sind, die Frage zu richten, wie sie es denn mit der Ratifizierung halten. — —
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit zu Ende ist.
Wir fordern — und unterstützen den Antrag der SPD — eine sofortige und bedingungslose Ratifizierung dieser Genfer Zusatzprotokolle
und wünschen von daher, daß das Internationale Rote Kreuz auf seiner Konferenz Mitte Oktober noch einmal deutliche und klare Worte spricht.
Herr Abgeordneter — — Dr. Schierholz : Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 25. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes, die vom 23. bis 31. Oktober in Genf stattfinden wird, ist nicht nur für die Internationale Rot-Kreuz-Bewegung von großer Bedeutung, sie berührt auch das Schicksal von Menschen in allen Kontinenten, die Opfer bewaffneter Konflikte oder innerstaatlicher Unruhen und Spannungen sind. Diese Konflikte und innerstaatlichen Auseinandersetzungen sind in den letzten Jahren immer häufiger, immer schlimmer und immer länger geworden. Sie haben sich im allgemeinen gleichzeitig abgespielt. Hat das Internationale Rote Kreuz 1970 noch Menschen in nur 30 Ländern Schutz und Hilfe gewährt, tat es dies 1980 bereits in 60 und 1984 sogar in 86 Ländern. So wird es zunehmend wichtiger, daß die Bestimmungen des humanitären Kriegsvölkerrechts in allen Fällen und unter allen Umständen respektiert werden.In Anbetracht dieser Entwicklung, verbunden mit wachsenden Aufgaben bei Gefangenenbesuchen, humanitären Hilfsaktionen und solchen des Zentralen Suchdienstes sieht sich die Internationale RotKreuz-Bewegung vor neue Herausforderungen gestellt, die auch eine Anpassung seiner meist seit 1928 in Kraft befindlichen Rechtsgrundlagen erforderlich machen.
— Ich rede gerade über die Sache dieser Konferenz des Internationalen Roten Kreuzes, nicht nur eine vermeintlich aus Ihrer Interessenlage interessante Sache. Das Rote Kreuz hat bei dieser Konferenz eine umfassende Agenda, und damit beschäftige ich mich.
Deshalb werden die wichtigsten Themen der 25. Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes die Frage der Achtung des humanitären Kriegsvölkerrechts und die Revision der Statuten des Internationalen Roten Kreuzes sein. Der Stand der Ratifikation der Genfer Zusatzprotokolle von 1977 zu den Rot-Kreuz-Konventionen von 1949 ist nicht das zentrale Thema der Konferenz.
Die Bundesrepublik Deutschland unterhält zur Internationalen Rot-Kreuz-Bewegung vielfältige Beziehungen. Unsere Regierungsdelegation wird sich an der Konferenz aktiv beteiligen. Wir hoffen, so auch zum Erfolg der Konferenz beizutragen.
Die Bundesregierung erkennt mit Dankbarkeit die helfende und friedensstiftende Tätigkeit des Roten Kreuzes an, seine Sanitäts- und Lazarettdienste in den Kriegen des letzten Jahrhunderts und die Betreuung von rund 3 Millionen deutscher Kriegsgefangener in den beiden Weltkriegen.
Allein im Zweiten Weltkrieg sind über 11 000 Lagerbesuche des Roten Kreuzes unmittelbar oder mittelbar deutschen Soldaten zugute gekommen.Mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz verbindet die Bundesregierung seit über 30 Jahren die treuhänderische Leitung des Internationalen Suchdienstes in Arolsen durch das IKRK. Die Tätigkeit des Internationalen Suchdienstes hat dazu beigetragen, daß mehrere hunderttausend Einzelschicksale des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte aufgeklärt werden konnten.Durch die wachsende Zahl von Aufgaben des IKRK entsteht ein Problem seiner Unterstützung durch die Staaten und des wachsenden Finanzbedarfs. Die Bundesregierung hat in den letzten Jah-
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18288 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Staatsminister Möllemannren die Bemühungen der Internationalen RotKreuz-Bewegung, Menschen in der ganzen Welt zu helfen, die unter Krieg, Terror, Gewalt oder unter Not infolge von Naturkatastrophen leiden, aktiv unterstützt.
So haben wir einmal unseren Beitrag zum ordentlichen Haushalt des IKRK in diesem Jahr von 750 000 auf 1,1 Millionen DM erhöht. Im Jahre 1985 haben wir dem IKRK für seine Hilfsprogramme unmittelbar 20 Millionen DM zur Verfügung gestellt.
Dieser direkte Beitrag zum außerordentlichen Haushalt des IKRK wird durch Zuwendungen des Deutschen Roten Kreuzes in Höhe von 31 Millionen DM unterstützt, an denen wir uns mittelbar ebenfalls beteiligen.
Das Deutsche Rote Kreuz, das auf der Konferenz durch eine eigene Delegation vertreten sein wird, ist ein wichtiges und angesehenes Mitglied der Internationalen Rot-Kreuz-Bewegung.
In diesem Zusammenhang begrüßt und unterstützt das Auswärtige Amt die Kandidatur des Präsidenten des DRK, Prinz Botho zu Sayn-Wittgenstein, für einen Sitz in der Ständigen Kommission des Internationalen Roten Kreuzes.
Die Bundesregierung bereitet ihren Konferenzbeitrag in enger Abstimmung mit der Delegation des Deutschen Roten Kreuzes vor; sie beteiligt sich für die Konferenzvorbereitung auch aktiv an der politischen Konsultation im Rahmen der EPZ.
— Setzen Sie sich hin, Herr Kollege! Sie haben hier nicht das Wort, und Sie kriegen es von mir übrigens auch nicht.
Dem IKRK ist in erster Linie daran gelegen — —
Herr Staatsminister, die Worterteilung erfolgt durch den Präsidenten.
Herr Präsident, Sie haben recht. Ich wollte nur sagen: Sollten Sie mich fragen, ich würde diesem Schreihals nicht das Wort erteilen.
Herr Staatsminister, ich muß Sie ermahnen. Ich muß hier für Ordnung sorgen.
Herr Präsident, ich verstehe das, halte den Begriff aber aufrecht.
Dem IKRK ist in erster Linie daran gelegen, Mittel und Wege zu finden, um eine bessere Anwendung des geltenden internationalen humanitären Völkerrechts zu erreichen. Es will die Unterstützung der Weltöffentlichkeit und der Staaten dafür gewinnen, daß alle Regierungen die sich aus den Genfer Konventionen von 1949 ergebenden Verpflichtungen erfüllen. Die Entwicklung der letzten fünf Jahre, über die das IKRK berichten wird, zeigt, daß Wege gesucht werden müssen, um eine verstärkte Achtung des humanitären Kriegsvölkerrechts sicherzustellen. Nach dem Selbstverständnis des IKRK hängt der Erfolg der Konferenz im wesentlichen davon ab, ob diese Initiative erfolgreich sein wird.
Es kann hierbei der Unterstützung der Bundesregierung sicher sein. Auch die Bundesregierung ist der Auffassung, daß alle Konfliktparteien die in Kraft befindlichen Genfer Abkommen von 1949 ebenso unter allen Umständen beachten müssen wie die diesbezüglichen gewohnheitsrechtlichen Normen des humanitären Kriegsvölkerrechts.
Die Bundesregierung mißt deshalb auch der Verbreitung der Kenntnisse des geltenden humanitären Kriegsvölkerrechts große Bedeutung bei. Insoweit unterstützt sie die Bemühung der Rot-KreuzBewegung im internationalen Raum. National hat sie alles in ihrer Kraft Stehende getan, um für eine Verbreitung dieser Kenntnisse, die Herr Kollege Verheugen hier angemahnt hatte — deswegen beziehe ich mich auf seinen Beitrag —, Sorge zu tragen.
Selbstverständlich ist auch die Fortentwicklung des humanitären Kriegsvölkerrechts notwendig. Die Bundesregierung hat sich deshalb an der Ausarbeitung neuer Regeln aktiv beteiligt. Sie betrachtet die Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer Konventionen von 1949 als einen wichtigen Schritt auf diesem Wege.
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Staatsminister MöllemannDas IKRK, das bestrebt ist, die weltweite Geltung der Zusatzprotokolle zu fördern, will mit dem diesbezüglichen Tagesordnungspunkt auf der Konferenz vor allem einen Bericht über den Stand der Ratifikationen vorlegen. Es will darüber hinaus den Staaten, welche die Zusatzprotokolle noch nicht ratifiziert haben, dies jedoch zu tun beabsichtigen, eine Möglichkeit einräumen, ihre Haltung hierzu darzulegen. Wie gesagt, das ist ein Tagesordnungspunkt von vielen.Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Ratifizierung der Zusatzprotokolle zu ihren politischen Zielen gehört. Es bleibt aber auch die Überzeugung der Bundesregierung — wie bekanntlich aller früheren, mit dem Thema befaßten Bundesregierungen —,
daß in den in diesem Zusammenhang auftretenden sensiblen Nuklearfragen dem Verhalten der Nuklearmächte eine besondere Bedeutung zukommt und daß die Bundesregierung daher das Zustimmungsverfahren erst nach der Ratifizierung der Zusatzprotokolle durch eine Nuklearmacht des Bündnisses einleiten möchte.
Diese und frühere Bundesregierungen sind immer davon ausgegangen, daß auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland Truppen mehrerer verbündeter Staaten stationiert sind und daß deswegen eine möglichst einheitliche Haltung innerhalb des Bündnisses über Inhalt und Tragweite kriegsvölkerrechtlicher Regeln besonders wichtig ist.
— Ja, das ist eben ein Rechenexempel. Wenn 5 von 16 ratifiziert haben, kann man noch nicht von Einheitlichkeit reden. Sie können aber auch sagen: Wenn von 16 erst 5 ratifiziert haben — —
Lesen Sie das in aller Ruhe nach, Herr Schierholz, oder hören Sie es sich jetzt mal in aller Ruhe an. Ich habe zwar keine Hoffnung, daß Sie das verstehen, aber ich wiederhole es noch mal.
Angesichts ihrer zentralen Lage hat die Bundesrepublik Deutschland mehr noch als andere ein Interesse daran, daß die Aufgabe der Friedenssicherung nicht durch Unklarheiten kriegsvölkerrechtlicher Regeln beeinträchtigt wird. Es ist deshalb stets das Ziel aller Bundesregierungen gewesen, eine unterschiedliche Entwicklung völkervertragsrechtlicher Verpflichtungen im Verhältnis zu unseren Hauptverbündeten zu vermeiden, die nachteilige Konsequenzen für unsere Teilhabe an der Bündnisintegration mit sich bringen müßte.
Daraus folgt die Notwendigkeit eingehender Konsultationen und engster Abstimmung, namentlichmit den Hauptverbündeten in allen mit den Zusatzprotokollen zusammenhängenden Fragen.
Dementsprechend hat der Bundessicherheitsrat 1980 unter dem Vorsitz von Helmut Schmidt beschlossen, die Entscheidung für die Einleitung des Zustimmungsverfahrens zurückzustellen, da die Bundesrepublik — —
— Ja, ja, aber trotzdem; damals hieß er wirklich Helmut Schmidt.
Unter dessen Vorsitz wurde es damals beschlossen.
— Ja, meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie am liebsten heute von dem Mann außer in Nachreden nichts mehr hören wollen, ist doch Ihr Problem, aber doch nicht unseres.
Ich wiederhole: Dementsprechend hat der Bundessicherheitsrat 1980 beschlossen, die Entscheidung für die Einleitung des Zustimmungsverfahrens zurückzustellen, da die Bundesrepublik Deutschland nicht vor ihren wichtigsten Verbündeten ratifizieren sollte.
— Herr Verheugen, Sie waren damals noch nicht bei der SPD. Deswegen kann ich Sie da nicht einbeziehen. Da haben Sie recht.
Herr Abgeordneter, da Sie offensichtlich als Fraktionssprecher gesprochen haben — ich nehme das jedenfalls nach der Art, wie Sie gesprochen haben, an —, muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit vorbei ist.
Ich habe, Herr Präsident, nicht als Fraktionssprecher gesprochen.
Das war aber deutlich erkennbar, Herr Abgeordneter.
Nein.Herr Präsident, ich habe heute mit Aufmerksamkeit zugehört, wie die Debatten geführt worden sind. Auch ein Mitglied der Bundesregierung hat
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18290 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 236. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. Oktober 1986
Staatsminister Möllemanndas Recht, eine pointierte Position vorzutragen. Ich tue das weiterhin.
Ich wiederhole: Dementsprechend hat der Bundessicherheitsrat 1980 beschlossen, die Entscheidung für die Einleitung des Zustimmungsverfahrens zurückzustellen, d a die Bundesrepublik Deutschland nicht vor ihren wichtigsten Verbündeten ratifizieren sollte. Die Einleitung der Ratifikation der Zusatzprotokolle noch vor dem 23. Oktober 1986 ist der Bundesregierung unter diesen Umständen nicht möglich.Die Bündniskonsultationen werden fortgesetzt. Die Bundesregierung wird sich am Meinungsbildungsprozeß innerhalb des Bündnisses auch weiterhin
aktiv beteiligen und ihre bekannte Haltung, die ich noch einmal skizziert habe, mit Deutlichkeit vortragen.
Auf der 25. Rot-Kreuz-Konferenz wird die deutsche Delegation bemüht sein, in der Frage der Geltung der Genfer Zusatzprotokolle von 1977 eine den Bestrebungen des IKRK Rechnung tragende konstruktive Haltung einzunehmen.
Wenn wir dabei bemüht sind — ich wiederhole es —, aus bündnispolitischen Gesichtspunkten den Einklang mit unseren wesentlichsten Bündnispartnern aufrechtzuerhalten,
folgen wir damit einer Leitlinie, die bestimmende Leitlinie aller Bundesregierungen gewesen ist. An diesen Voraussetzungen hat sich auf der Seite der Bundesregierung nichts geändert.
Herr Abgeordneter Mann, da Sie einen Zwischenruf gemacht haben, der nicht hinnehmbar ist, erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf, ohne das zu wiederholen, was Sie gesagt haben.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6038 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Oktober 1986, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.