Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir können der Tatsache gedenken, daß zwei unserer Kollegen ihren siebzigsten Geburtstag feiern konnten: am 15. Februar Herr Kollege Wittmann und gestern Herr Kollege Professor Dr. Böhm . Beiden gelten unsere herzlichen Wünsche.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in .das Protokoll aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 12. Februar 1965 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz über Personalvertretungen im Bundesgrenzschutz .
Gesetz zur Regelung der Verbindlichkeiten nationalsozialistischer Einrichtungen und der Rechtsverhältnisse an deren Vermögen.
Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und des Kapitalsteuergesetzes.
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol.
Gesetz zur Änderung des Berlinhilfegesetzes .
Gesetz zur Änderung des Bewertungsgesetzes und des Vermögensteuergesetzes.
Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter.
Drittes Gesetz zur Änderung des Mühlengesetzes.
Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 20. April 1959 über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge.
Gesetz zur Änderung des Grundsteuergesetzes. Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung. Blindenwarenvertriebsgesetz .
Gesetz zu dem Vertrag vom 21. September 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Madagaskar über die Förderung von Kapitalanlagen.
Gesetz zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1962 zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates über die Ausgabe eines internationalen Gutscheinheftes für die Instandsetzung von Prothesen und orthopädischen Hilfsmitteln an militärische und zivile Kriegsbeschädigte.
Gesetz über das Verfahren bei Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes.
Gesetz über die Reisekostenvergütung für die Bundesbeamten, Richter im Bundesdienst und Soldaten .
Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes.
Der Bundesrat hat in der gleichen Sitzung beschlossen, hinsichtlich der folgenden Gesetze zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird:
Sechzehntes Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes. Gesetz über Vorsorgemaßnahmen zur Luftreinhaltung.
Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Deutsche aus der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin.
Seine Schreiben werden als Drucksachen IV/3072, IV/3073, IV/3074 verteilt.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat am 11. Februar 1965 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Diekmann, Sanger, Frau Renger, Dr. Dr. h. c. Baade, Regling, Haase , Rehs, Dr. Tamblé und Fraktion der SPD — betr. Förderung der Wirtschaft Schleswig-Holsteins im Rahmen der EWG — Drucksache IV/2900 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Druck sache IV/3063 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat am 10. Februar 1965 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Bundesdisziplinarordnung — Drucksache IV/3002 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/3065 verteilt.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat am 9. Februar 1965 unter Bezugnahme auf § 17 Abs. 5 des Postverwaltungsgesetzes den Voranschlag der Deutschen Bundespost für das Rechnungsjahr 1965 übersandt. Der Voranschlag liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rats über die Einordnung von Quark und verschiedenen anderen Käsearten in die Warengruppe Nr. 11 des Anhangs I zur Verordnung Nr. 111/64/EWG über die Gruppenbildung auf dem Gebiet der Milch und Milcherzeugnisse — Drucksache 1V/3047 —
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 26. Februar 1965.
Verordnung des Rats über einzelstaatliche Interventionsmaßnahmen und den innergemeinschaftlichen Warenverkehr bei Emmentaler- und Cheddar-Käse, der Gegenstand dieser Maßnahme war — Drucksache IV/3056 —
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 26. Februar 1965.
Verordnung Nr. 6/65/EWG des Rats vom 26. Januar 1965 über die teilweisen Aussetzungen des bei der Einfuhr von gefrorenem Rindfleisch anzuwendenden Satzes des Gemeinsamen Zolltarifs
an den Außenhandelsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend —, mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden.
Verordnung Nr. 8/65/EWG, 2/65/Euratom zur Änderung des Artikels 95 des Statuts der Beamten der EWG und der EAG
an den Ausschuß für Inneres mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt I:
Fragestunde .
Zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung. Ich rufe die von dem Herrn Abgeordneten Dr. Lohmar gestellte Frage XIV/1 auf:
Wie steht die Bundesregierung zur Errichtung eines ProtonenGroßbeschleunigers in der Bundesrepublik Deutschland?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist international noch völlig offen, ob die bei der Europäischen Organisation für Kernforschung — CERN - in Genf erörterten Pläne für einen Großbeschleuniger verwirklicht werden können. Das Projekt würde der Forschung über die Elementarteilchen der
Metadaten/Kopzeile:
8064 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Staatssekretär Dr. CartellieriMaterie und damit der Erforschung grundlegender Naturgesetze dienen. Es würde der Stellung der europäischen Hochenergiephysik in der Welt in hervorragendem Maße zugute kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8065
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
8066 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8067
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
8068 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8069
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
8070 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8071
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
8072 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8073
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
8074 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8075
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
— Nein, solche Äußerungen haben wir nie gemacht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, Herr Abgeordneter, es ist nicht meine Aufgabe, darauf zu antworten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sänger!
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung aus den von dem früheren Bundeskanzler Dr. Adenauer hinterlassenen Akten und Aufzeichnungen etwas über einen Plan oder eine Abrede mit dem früheren Präsidenten der Vereinigten Staaten John F. Kennedy bekannt, daß Mittelstreckenraketen entwickelt und in Europa stationiert werden müßten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist das nicht bekannt.
Eine weitere Frage? - Bitte, Herr Abgeordneter Sanger!
Kann die Regierung dann erklären, Herr Staatssekretär, wie der ehemalige Herr Bundeskanzler zu einer solchen Behauptung kommt, die nach dem Bericht des Herrn Sulzberger ausgesprochen worden sein soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch diese Frage zu beantworten, Herr Abgeordneter, sehe ich nicht als meine Aufgabe an.
Metadaten/Kopzeile:
8076 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Frage VII/8 — des Abgeordneten Dr. Mommer —.
Ist es richtig, daß die Bundesregierung der Regierung der Vereinigten Arabischen Republik die Zusicherung gegeben hat, sie werde die diplomatischen Beziehungen zu Israel nicht aufnehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Antwort auf Ihre Frage lautet: Nein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mommer!
Herr Minister, wer hat denn diese Behauptung — —
Hier antwortet der Staatssekretär, Herr Abgeordneter Dr. Mommer. Ich meine zwar, er hat das Format, aber — —
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich, daß diese Behauptung in die Öffentlichkeit gekommen ist, und ist es richtig, daß der von der Bundesregierung in Anspruch genommene Vermittler mit dieser Aussage belastet wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Marqués de Nerva hat mir gegenüber erklärt, daß er eine derartige Erklärung niemals abgegeben habe.
Eine weitere Frage des Abgeordneten Dr. Mommer!
Herr Minister,
— richtig; ich bin dabei, Herrn Carstens aufzuwerten —
ist es sicher, daß keiner unserer Botschafter oder
einer ihrer Stellvertreter den arabischen Regierungen gegenüber eine ähnliche Aussage gemacht hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich halte das für völlig sicher, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage zunächst des Herrn Abgeordneten Jahn!
Herr Staatssekretär, darf aus Ihren Äußerungen geschlossen werden, daß niemand Anlaß zu der Annahme hat, die Bundesregierung habe in dieser Richtung ernsthafte Überlegungen angestellt oder Pläne erwogen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Niemand hat Anlaß zu der Annahme, Herr
Abgeordneter, daß sich die Bundesregierung in dieser Frage irgendeinem dritten Staate gegenüber gebunden habe.
Dann Herr Abgeordneter Metzger zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, hätte die Regierung es nicht für richtig gehalten, sofort die Behauptung, daß keine diplomatischen Beziehungen zu Israel angeknüpft würden, zu dementieren, also dagegen Stellung zu nehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das hat der Sprecher der Bundesregierung sofort getan.
Wann ist das gewesen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
An demselben Tage, an dem Herr Marqués de Nerva in Bonn war.
Außerdem, Herr Abgeordneter, darf .ich noch folgende Bemerkung machen, die ich für wichtig halte: Mir hat Herr Marqués de Nerva gesagt, er selbst habe gegenüber der Presse in Bonn diese umlaufende Behauptung richtiggestellt.
Herr Abgeordneter Sänger zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung noch die politische Reaktion in Erinnerung, die in der freien Welt auf jene Äußerung des ehemaligen französischen Ministerpräsidenten Debré erfolgte, der auf einen Hinweis, Frankreich habe ja nur ein geringes Atomwaffenpotential, antwortete: „Es genügt eine Bombe, die zweite müßte dann von den Vereinigten Staaten gezündet werden"?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist diese Äußerung nicht in Erinnerung. Ich vermag auch den Zusammenhang mit der vorliegenden Frage nicht zu erkennen.
Herr Abgeordneter Sanger, ich erkenne auch nicht den Zusammenhang.
Dann darf ich durch meine zweite Frage den Zusammenhang deutlich machen. Die zweite Frage geht nämlich dahin, ob die Bundesregierung es billigt, daß der ehemalige Bundeskanzler, Herr Dr. Adenauer, nach diesem Bericht des Herrn Sulzberger — der ja ein Interview sein soll —
gesagt hat, mit der Zündung der französischen Atombombe müsse eine nachfolgende atomare Intervention der Vereinigten Staaten erzwungen werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8077
Herr Abgeordneter Sanger, die Frage bezieht sich nicht auf die aufgerufene Frage Nr. 8. Ich kann sie also nicht zulassen. — Herr Abgeordneter Dr. Bechert!
Herr Staatssekretär, bedeutet die Antwort, die Sie vorhin gegeben haben — Sie hielten es für sicher, daß kein Angehöriger einer deutschen Vertretung eine solche Erklärung abgegeben habe —, daß Sie es sicher wissen, oder bedeutet sie, daß Sie sich noch nicht danach erkundigt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, meine Antwort bedeutet: Ich bin auf Grund aller mir zugänglichen Informationen sicher, daß eine solche Erklärung nicht abgegeben worden ist.
Eine weitere Frage des Abgeordneten Dr. Bechert!
Bedeutet in diesem Zusammenhang das Wort „sicher" das, was in der Umgangssprache damit gemeint ist, nämlich daß Sie es nicht sicher wissen?
Das ist wohl keine Frage.
Ich rufe die von dem Abgeordneten Dr. Mommer gestellte Frage VII/9 auf:
Wie lautet die Mitteilung, die die Bundesregierung den Regierungen der arabischen Staaten über die Einstellung von Waffenlieferungen an Israel gemacht hat?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat, wie mehrfach bekanntgegeben worden ist, den Beschluß gefaßt, künftig keine Vereinbarung über die Lieferung von Waffen in Spannungsgebiete einzugehen. Diese Grundsatzentscheidung ist nicht auf irgendein bestimmtes Land bezogen, sondern gilt für .Spannungsgebiete schlechthin.
Im übrigen möchte ich zu Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, bemerken, daß es nicht üblich ist und deshalb ,der Bundesregierung auch nicht möglich ist, über Mitteilungen, die sie auf diplomatischem Wege an andere Regierungen gegeben hat, öffentlich Auskunft zu geben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Heißt das in bezug auf die Waffenlieferungen an Israel: sofort, es geht nichts heraus, was noch in unserer Verfügungsgewalt ist, oder: es geht noch heraus, was z. B. schon in Kisten ist, sich in der Expedition befindet? Oder bedeutet es: die Verpflichtungen, die eingegangen sind, werden eingehalten, und dann tritt der Stopp ein? Das sind sehr verschiedene Dinge!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich möchte zunächst noch einmal 'unterstreichen, daß der Beschluß der Bundesregierung sich nicht .auf Israel, sondern auf Spannungsgebiete im allgemeinen bezieht. Zu Ihren konkreten Fragen möchte ich vorschlagen, daß sie im Auswärtigen Ausschuß in vertraulicher Sitzung behandelt werden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Herr Minister — —
— Herr Staatssekretär, noch! , Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, zu welchem genauen Zeitpunkt die Telegramme an unsere Botschaften in den arabischen Ländern hinausgegangen sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich Ihnen aus dem Gedächtnis nicht sagen. Ich kann es feststellen und Ihnen die Mitteilung zugehen lassen.
War das Dienstag?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann das aus dem Gedächtnis nicht beantworten.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen zu einer Zusatzfrage!
Nachdem der spanische Vermittler nach seiner Rückkehr hier ja wohl etwas ungnädig empfangen worden ist, erlaube ich mir die Frage: Wer hat vorher mit dem Vermittler ein Gespräch über Ziel und Umfang seiner Verhandlungen mit Ägypten geführt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte zunächst Ihre Frage, Herr Abgeordneter, zum Anlaß nehmen, um das zu wiederholen, was für die Bundesregierung schon einmal gesagt worden ist, daß nämlich die Bundesregierung Veranlassung hat, der spanischen Regierung und dem Marqués de Nerva für seine Vermittlungsaktion zu danken.
Die Vorstellungen der Bundesregierung über das, was der Marqués de Nerva sagen sollte, sind der spanischen Regierung auf diplomatischem Wege übermittelt worden.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Eine unmittelbare Fühlungnahme mit dem Auswärtigen Amt hat also vor Aufnahme dieser Mission nicht stattgefunden?
Metadaten/Kopzeile:
8078 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Metzger!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß die Frage, wie die Waffenlieferungen behandelt werden, auch das deutsche Volk auf das lebhafteste interessiert und daß Geheimnistuerei hier mehr schaden als nutzen kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, ich habe das, woran die Öffentlichkeit ein Interesse hat und worauf sie auch einen Anspruch hat, es zu erfahren, hier mit aller Deutlichkeit ausgesprochen.
Ist es nicht so, daß Sie eine sehr konkrete und allgemein interessierende Frage des Herrn Kollegen Mommer im Augenblick nicht beantwortet haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe die grundsätzliche Seite der Sache in aller Klarheit vorgetragen und vorgeschlagen, daß gewisse Detailfragen in einer vertraulichen Ausschußsitzung beantwortet werden. Das halte ich nach wie vor für richtig.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Bechert.
Herr Staatssekretär, bedeutet die Antwort, die Sie auf die Frage des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen gegeben haben, daß die spanische Regierung oder Herr Marqués de Nerva die Vermittlungsaktion unternommen hat, ohne daß vorher eine Fühlungnahme mit der Bundesregierung erfolgt ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das bedeutet meine Antwort nicht.
Herr Abgeordneter Jahn, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, gehören zu den Spannungsgebieten, in die keine Waffenlieferungen mehr erfolgen sollen, auch solche Gebiete, bei denen das Problem der Tätigkeit deutscher Waffentechniker und Wissenschaftler in den vergangenen zwei Jahren schon eine Rolle gespielt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß das kein Kriterium für die Frage ist, ob ein bestimmtes Land in einem Spannungsgebiet liegt older nicht, sondern das wird unter Abwägung aller Umstände im .einzelnen Fall festgelegt werden müssen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Jahn!
Wird die Bundesregierung ihre Überlegungen zum Verhalten gegenüber Spannungsgebieten auf die. Tätigkeit deutscher Wissenschaftler erstrecken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wird 'die Bundesregierung prüfen.
Frage VII/10 — des Abgeordneten Hirsch —:
Warum hat das Auswärtige Amt die Auszahlung der sogenannten Wiedereingliederungsbeiträge gesperrt, die an die ,,Aktion Sühnezeichen" bisher für Jugendliche, die von SühnezeichenAuslandseinsätzen zurückkehren, ausgezahlt worden sind?
Ist Herr Abgeordneter Hirsch im Saal? — Herr Abgeordneter Jahn übernimmt ,die Frage.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wie der „Aktion Sühnezeichen" mitgeteilt worden ist, hat es die Haushaltslage im Jahre 1964 leider nicht zugelassen, die früher beantragten und gewährten sogenannten Wiedereingliederungsbeihilfen zu bewilligen. Der „Aktion Sühnezeichen" ist jedoch anheimgestellt worden, einen entsprechenden Antrag für das Rechnungsjahr 1965 vorzulegen. Das Auswärtige Amt sieht der Vorlage eines solchen Antrags entgegen. 'Es wird ihm im Hinblick auf die verdienstvolle Tätigkeit der „Aktion Sühnezeichen" im Rahmen der verfügbaren Mittel entsprechen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jahn!
Herr Staatssekretär, wie hoch sind die Mittel, die insgesamt für die Dauer eines Rechnungsjahres in Frage kamen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es tut mir leid, Herr Abgeordneter, das weiß ich nicht. Ich muß Ihnen die Frage schriftlich beantworten, wenn Sie damit einverstanden sind.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Jahn!
Ist die Bundesregierung angesichts der sehr niedrigen Beträge — es handelt sich hier um 150 bis 300 DM — nicht der Auffassung, daß die außerordentlich verdienstvolle und für das Ansehen der Bundesrepublik mehr als hilfreiche Tätigkeit der „Aktion Sühnezeichen" nicht nur mit haushaltsrechtlichen Erwägungen beantwortet und bewertet kann?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8079
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, die Zahl, die Sie genannt haben, bezieht sich auf jeden einzelnen Teilnehmer der Aktion. Die dabei insgesamt herauskommenden Beträge sind natürlich wesentlich höher; sie sind hier für das Jahr 1964 mit 16 000 DM angegeben worden. Aber ich habe gesagt: Die Bundesregierung mißt dieser Aktion eine große Bedeutung bei und wird bemüht sein, den Anträgen im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu entsprechen.
Herr Abgeordneter Metzger zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie ernsthaft der Meinung, daß eine so wichtige Sache wie die „Aktion Sühnezeichen" nicht unterstützt werden darf, wenn es sich um 16 000 DM handelt, wenn Sie überlegen, welche Wirkungen in bezug auf die Versöhnung zwischen Deutschland und anderen Staaten da erzielt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der „Aktion Sühnezeichen" sind nach den mir vorliegenden Unterlagen im Jahre 1964 16 000 DM Zuschüsse ausgezahlt worden. Ihre Wünsche gingen, soweit ich unterrichtet worden bin, auf einen höheren Betrag. Diesen Wünschen hat nicht stattgegeben werden können. Das Auswärtige Amt wird aber prüfen, ob für das laufende Jahr ein weiterer Zuschuß möglich ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Albgeordneter Metzger!
Herr Staatssekretär, sollen wir Ihnen wirklich glauben, daß nicht etwas über 16 000 DM hinaus geleistet werden kann, wenn man guten Willens ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie kennen, glaube ich, aus vielen Erklärungen, die hier für die Bundesregierung abgegeben worden sind, die außerordentlichen Schwierigkeiten, vor die unsere Kulturarbeit im Ausland in finanzieller Hinsicht gestellt ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Heinemann!
Herr Staatssekretär, hatten Sie also nicht doch Zahlen zur Hand, als Sie nachher die Antwort geben konnten: 16 000 DM?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich hatte die Zahl des Betrages zur Hand, der der „Aktion Sühnezeichen" zur Verfügung gestellt worden ist. Ich hatte nicht die Zahl zur Hand, nach der Herr Abgeordneter Jahn mich gefragt hat. Er fragte nämlich, wie hoch der Titel ist, aus dem diese Beträge gezahlt werden.
Herr Abgeordneter Bechert zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, glauben Sie wirklich, vor dem Plenum vertreten zu können, daß ein Betrag, der, sagen wir, etwa zweimal oder dreimal höher wäre als 16 000 DM — was etwa ein Millionstel des gegenwärtigen Haushalts ausmachte —, nicht zur Verfügung gestellt werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich muß das mit Bezug auf die Vergangenheit leider sagen. Mit Bezug auf das laufende Jahr
kann ich sagen, daß die Frage mit dem Versuch
geprüft werden wird, diesem Antrag stattzugeben.
Herr Abgeordneter Schäfer, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihre letzte Antwort so aufzufassen, daß das Bundeskabinett oder der Bundesfinanzminister einen Antrag von Ihnen ablehnend beschieden hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Derartiges habe ich nicht gesagt, Herr Abgeordneter.
— Nein, das war nicht so aufzufassen.
Keine weitere Zusatzfrage. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirtschaftsgesetzes .
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bauknecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der diesjährige Grüne Bericht, der dem Parlament von der Bundesregierung erstattet wurde, hat ein gewisses besonderes Kennzeichen. Zunächst ist es der zehnte Bericht. Ich will jetzt nicht von einem Jubiläum reden, aber das gibt doch Anlaß nachzudenken: wie hat sich das Landwirtschaftsgesetz insgesamt in den zehn Jahren ausgewirkt?Eine zweite Tatsache ist hier in den Vordergrund zu stellen. Die Entwicklung in der neuesten Zeit. Wir stehen mitten im Werden der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Am Ende des vergangenen
Metadaten/Kopzeile:
8080 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
BauknechtJahres sind für die Gestaltung des Agrarpreisniveaus in der Zukunft entscheidende Beschlüsse gefaßt worden. Wenn man nun die Kommentare der Tagespresse näher untersucht, so kann man dort im allgemeinen lesen, daß es der Landwirtschaft wieder gut geht. Eine Reihe von Kommentaren besagen sogar, es sei der Landwirstchaft in diesen zehn Jahren noch nie so gut gegangen wie im Augenblick. Das ruft natürlich Widersprüche hervor, und man fragt sich dann mit Recht: Wieso soll von diesem Jahr an die Hilfe für die Landwirtschaft noch bedeutend verstärkt werden? Sie kennen alle die Abmachungen des vergangenen Herbstes. Die Gründe, warum der Bericht in diesem Jahr so gut ausgefallen ist, sind verschiedenartiger Natur. Man muß sich die Frage vorlegen: Ist diese Besserung gesichert, wird sie anhalten, oder sind das nur Augenblickserscheinungen? Werfen wir kurz einen Blick auf die Entwicklung des laufenden Jahres. Der Herr Bundesernährungsminister hat bekanntgegeben, er glaube, daß die gute Entwicklung anhält, hat aber bereits eine Einschränkung gemacht, indem er sagte, daß die Gesamtproduktion und damit auch die Verkaufserlöse im laufenden Jahr wahrscheinlich niedriger sein werden als in den vergangenen Jahren.Tatsächlich ist ausschlaggebend für die Verbesserung der Ertragslage im laufenden Jahr und im vergangenen Jahr, auf das sich der Bericht bezieht, die sowohl nach Menge als auch nach Qualität gute Ernte in ,den beiden Jahren und darüber hinaus im letzten Berichtsjahr die bessere Gestaltung der Preise für tierische Erzeugnisse. Nur ist es bei der Witterungsabhängigkeit der Landwirtschaft natürlich immer eine vage Sache, anzunehmen, daß im nächsten Jahr die Verhältnisse wieder so gut sind. Wir erinnern uns alle noch gut an den Zustand vor ein paar Jahren, als wir eine so schlechte Ernte hatten.Auch was die Frage der letztjährigen guten Preise für tierische Veredlungsprodukte angeht, müssen wir leider feststellen, daß wir mitten in einer Rückwärtsentwicklung sind, und zwar gerade bei den bodenunabhängigen Produkten. Wer sich in den Dingen auskennt, der weiß, daß beispielsweise die Schlachtschweinepreise heute auf einem Niveau stehen, das unter dem Durchschnitt der Jahre 1950 bis 1952 liegt. Auch der Rückgang der Eier- und der Schlachtgeflügelpreise gibt uns zu denken. Daher die Frage: Inwieweit kann man Hoffnungen haben, daß sich in der Zukunft eine bessere Entwicklung anbahnt? Es gibt eben eine gewisse Grenze der Aufnahmefähigkeit für diese Güter. Die Mägen können nicht ausgeweitet werden, und über ein bestimmtes Konsumvolumen kann man nicht hinausgehen.Ich möchte in diesem Zusammenhang gleich etwas einfügen. Bei meinem Ernährungsausschuß liegen zwei Anträge der CDU und FDP, die bestimmten Befürchtungen in dieser Hinsicht den Grund entziehen sollen. Der allzu große Optimismus, daß sich die tierische Veredlungsproduktion infolge der Senkung der Getreidepreise wesentlich verbilligen könnte, geht sicher zu weit, wenn es nicht gelingt, die tierische Veredlungsproduktion den bäuerlichen Betrieben zuwachsen zu lassen; denn ein Leitmotivder EWG ist ja die Stärkung des bäuerlichen Familienbetriebs. Die Länder der EWG müssen sich ernsthaft mit der Frage beschäftigen, ob es gelingt, eine Lizenzierung für eine gewerbliche Erzeugung der bodenunabhängigen Produkte einzuführen. Wenn das nicht gelingt, können wir erleben, daß an der Küste und an den Flußhäfen, wo das ausländische Getreide sehr billig sein wird, eine rein gewerbliche Produktion entsteht und daß dann gerade die Hilfen, die man dem bäuerlichen Familienbetrieb zukommen lassen wollte, illusorisch sind.Lassen Sie mich zurückblenden auf den Inhalt des Grünen Berichts. Sie finden dort zum erstenmal einen großen Differenzbetrag zwischen den Verkaufserlösen auf der einen Seite und den Ausgaben auf der anderen Seite. Leider ist es so, daß diese 7,1 Milliarden DM, die in dem Grünen Bericht genannt werden, in der Öffentlichkeit oft so betrachtet werden, als ob das der Betriebsgewinn der Landwirtschaft wäre. In Wirklichkeit muß davon der Barlohn für annähernd 2 Millionen Familienarbeitskräfte in der Landwirtschaft abgezogen werden.
Wenn Sie diesen Barlohn in Rechnung stellen und dafür den Betrag von etwa 300 DM je Monat ansetzen, der damals als Barlohn für Fremdarbeitskräfte, die Kost und Wohnung hatten, gang und gäbe war, so gehen von dem Differenzbetrag allein 6 Milliarden DM ab. Es bleiben dann nur noch 1,1 Milliarden DM übrig.Hier erhebt sich die Frage, Herr Bundesernährungsminister, ob man nicht beim nächsten Grünen Plan den Lohnanspruch der mitarbeitenden Familienkräfte schon als Betriebsausgabe einsetzen sollte, damit nicht eine Zahl entsteht, die immer wieder falsch ausgelegt werden kann. Das wäre ein großes Plus. Ihr Haus und Ihr Beirat sollten sich mit dieser Frage beschäftigen.Ich darf dabei feststellen: wenn man diesen Barlohn abzieht, bleibt noch nichts übrig für den Betriebsleiterzuschlag und für die Verzinsung des investierten Kapitals, von Rücklagen für das Risiko solcher Jahre, in denen die Ernten nicht die gleichen Höhen erreichen, ganz zu schweigen.Ein weiterer wichtiger Punkt des Grünen Berichts ist der Vergleich der Löhne, die in der Landwirtschaft erzielt werden konnten, mit den Löhnen der Berufsgruppen der gewerblichen Wirtschaft. Sicher können wir mit Freude feststellen, daß die Diskrepanz sich zum erstamal auf 21 % zurückentwickelt hat. Aber wenn die Direkthilfen des Grünen Plans nicht wären, würde der Unterschied heute noch 35 % ausmachen. Das muß man immer wieder sagen. Der absolute Abstand zwischen dem Lohn, der in der Landwirtschaft erzielt werden konnte, und dem Lohn, den diese Berufsgruppen der gewerblichen Wirtschaft erhalten, beträgt immer noch 1488 DM im Jahre.In diesem Zusammenhang noch eine andere Frage, Herr Bundesernährungsminister. Ich habe mit Befriedigung festgestellt, daß Ihr Grüner Beirat sich mit der Frage beschäftigt, ob denn der Vergleichslohn heute noch auf einer richtigen Basis steht. Bis-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8081
Bauknechther hat man nur die Gruppen berücksichtigt, die auf dem Dorfe, wie man sagt, „Tür an Tür" mit den Bauern wohnen. Inzwischen ist aber die Entwicklung in der gewerblichen Wirtschaft anders vor sich gegangen. Wir haben heute 1 Million Fremdarbeitskräfte. Sie werden aufgenommen und sie gehen weg wie warme Wecken. Die aus der Landwirtschaft abwandernden Kräfte werden heute nicht nur für die bestimmten Gruppen, die hier zum Vergleich herangezogen werden, eingestellt, sondern auch für alle anderen Gruppen.Es erhebt sich daher die Frage, ob wir nicht zu einem besseren Vergleich kämen, wenn wir praktisch den Durchschnitt sämtlicher Arbeitslöhne nähmen, die in der Bundesrepublik gezahlt werden. Ich glaube, wir würden dann einen echteren Vergleich anstellen, und ich bitte, diese Anregung für das nächste Jahr zu verwerten. Wenn man den reinen Industriearbeiterlohn aller Gruppen berücksichtigt, so kommt man zu dem Ergebnis, daß deren Einkommen um weitere 1500 DM höher liegen als in der Landwirtschaft.Nicht allein auf Grund des Barlohnes sehen sich so viele veranlaßt, aus der Landwirtschaft auszuscheiden — das wissen Sie ja alle —, sondern vor allem wegen der Tatsache, daß die Zahl der Arbeitsstunden in der gewerblichen Wirtschaft um einige hundert Stunden im Jahr niedriger ist als in der Landwirtschaft. Eine Rolle spielt auch die Tatsache, daß man in Betrieben mit Viehwirtschaft kein arbeitsfreies Wochenende und keine völlig arbeitsfreien Sonn- und Feiertage hat. Das sind eben wesentliche Gründe, die die Menschen veranlassen, abzuwandern. Die Abwanderung ist also nicht ausschließlich eine Folge der Mechanisierung, sondern auch eine Folge der Verhältnisse, die ich Ihnen geschildert habe. Es ist leider so. Wir wollen niemanden halten, der gern aus der Landwirtschaft abwandern oder der seinen Betrieb zum Nebenerwerbsbetrieb zurückentwickeln will. Wir können bereits heute feststellen, daß sich auch zahlreiche Hoferben, die eigentlich für die Übernahme der Betriebe vorgesehen waren, nicht mehr halten lassen und wegen der dort günstigeren Verhältnisse in die gewerbliche Wirtschaft abwandern wollen, obwohl die Betriebsgröße nach den bisherigen Vorstellungen der Größe eines bäuerlichen Familienbetriebs entspricht.Ich weiß aus meiner Heimat, daß es trotz der Mechanisierung Betriebe von 20, 30, 40, 50 ha gibt, wo der Bauer mit seiner Frau und den noch schulpflichtigen Kindern allein in dem Betrieb ist. Wenn man diese Dinge betrachtet, muß man sich fragen, wieviel Reserven an Arbeitskräften überhaupt noch da sind und welcher Grad von Abwanderung hier noch zu verantworten ist.
Eine andere Sache, die wir nicht in der Hand haben, die offenbar nicht in die Verfügungsgewalt der Bundesregierung und des Parlaments gestellt ist, ist die Entwicklung der Löhne in der gewerblichen Wirtschaft. Sie wissen um den Fortgang dieser Entwicklung. Sicher kann man Löhne und Gehälter aufbessern, sofern es der Zuwachs an Sozialprodukt erlaubt und sofern die Arbeitsproduktivität entsprechend gesteigert werden kann. Aber die Verhältnisse sind in dieser Beziehung sehr vielfältig. Es gibt Industrien, wo man diese Faktoren rasch und eminent steigern kann, es gibt die Dienstleistungsberufe, wo eine Steigerung überhaupt nicht möglich ist. Aber die Löhne gehen in die Höhe. In der Landwirtschaft aber hat der Rationalisierungseffekt irgendwo seine Grenze, und die ist heute wahrscheinlich bereits völlig erreicht. So wird es bei dieser Entwicklung im kommenden Jahr bei einem Vergleich der Löhne in der Landwirtschaft und in der gewerblichen Wirtschaft wieder einen Rückschlag geben.Nun will man das Preisniveau in der Landwirtschaft in der EWG wirklich senken. Daher muß man sich fragen, wie sich die Dinge entwickeln werden. Aus diesen Gründen bitte ich auch zu verstehen, daß die Vorfeldbereinigung, wie man es nennt, diese zusätzliche Hilfe, geleistet werden muß. Meine Damen und Herren, nur zwei Zahlen! Ich will Sie damit nicht belasten, aber Tatsache ist: aus dein Grünen Bericht ist zu ersehen, daß sich in den Jahren 1951 bis 1962 die Produktion in der Landwirtschaft um 53 % erhöht hat, während zur gleichen Zeit 44 % der vorhandenen Arbeitskräfte abwanderten. Damit hat sich die Pro-Kopf-Leistung auf das Zweidreiviertelfache gegenüber der Zeit vor 15 Jahren erhöht. Es gibt kaum eine Industrie, in der entsprechende Leistungen vollbracht werden können.Die Mechanisierung kostet aber eine Menge Geld. In der Industrie laufen die Maschinen manchmal Tag und Nacht in mehreren Schichten. In der Landwirtschaft können die Maschinen zum Teil nur wenig benutzt werden; ich brauche hier nur das Wort Erntemaschinen zu nennen. Daher ist seit zehn Jahren, seit es einen Grünen Bericht gibt, die Tatsache zu verzeichnen, daß das Aktivkapital je Arbeitskraft von 26 000 auf 50 000 DM gesteigert werden mußte.Es ist nicht gelungen, diesen Kapitalbedarf aus eigener Kraft, aus Überschüssen der Betriebe zu erwirtschaften. Daher haben wir heute bereits eine Verschuldung von 17 Milliarden DM zu verzeichnen, die ständig steigt. Was über diese 17 Milliarden DM noch an Schulden vorhanden ist, die nicht notiert sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Es wird sich aber auch um eine erhebliche Summe handeln.Ich habe vorhin schon die Veränderungen in der Agrarstruktur angeschnitten; sie gehen weiter. Der Trend zur Aufgabe zahlreicher Betriebe hält an. Manche glauben, aus diesem Grünen Bericht eine Verlangsamung entnehmen zu können. Das ist aber nicht der Fall. Es muß auch darüber nachgedacht werden, was es heißt, einen Betrieb, einen Beruf von heute auf morgen völlig aufzugeben. Das ist doch eine ganz wichtige Entscheidung, die kann man nicht so schnell treffen.Ich weiß auch, daß die Landabgabe etwas zögernd vor sich geht. Die Bundesregierung hat sich angestrengt und glaubte, einen Weg finden zu können; über eine langfristige Verpachtung sollte ein Anreiz gegeben werden. Offenbar geht das nicht so ein-
Metadaten/Kopzeile:
8082 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Bauknechtfach. Man hat hier den guten Willen, aber das Ganze ist doch mit einer Hypothek belastet. Das Land soll auf 12 oder 18 Jahre verpachtet werden, und die Pacht soll vorausgezahlt werden. Wenn sich diese Sache realisieren ließe, wäre es gut. Aber die neuen Erfahrungen zeigen, daß hier offenbar wenig Anreize bestehen.Das gilt auch für den Landverkauf. Mein Heimatland Baden-Württemberg und auch Nordrhein-Westfalen halben beispielsweise allen jenen, die Land freiwillig abgeben und es solchen zur Verfügung stellen, die aufstocken wollen, ein Kapitaldarlehen in der Höhe des Betrages gewährt, der für das verkaufte Land erzielt worden ist; dieses Darlehen wurde mit einer Zinzverbilligung von 5 % gegeben. Dennoch nehmen relativ wenige diese Vergünstigung in Anspruch. Daran erkennen Sie die Schwierigkeiten.Wir haben neue Formen entwickelt. Ich habe mit Befriedigung festgestellt, welche Entwicklung in bestimmten Gegenden vorhanden ist. Derjenige, der nicht verkaufen und verpachten will, geht zu seinem Nachbarn, der auch einen Betrieb hat, der aber zu klein ist, und sagt ihm: Du übernimmst die Bewirtschaftung meines Hofes, das heißt, du machst alle Arbeiten, die in der Feldwirtschaft — es kann sich nur um die Feldwirtschaft handeln — anfallen, im Lohn; ich wandere in die Industrie ab, und du hast ein zusätzliches Einkommen als Zuerwerbslandwirt dadurch, daß du meinen und vielleicht auch den Betrieb eines anderen kleinen Bauern bewirtschaftest. Diese Erkenntnis setzt sich nun durch. Das wäre vielleicht ein Weg, den wir begünstigen sollten. Ich habe schon einmal bei einer anderen Gelegenheit in diesem Hause über die Zuerwerbslandwirte gesprochen; diese Möglichkeit sollte man nicht aus dem Auge lassen. Wir wollen den Nebenerwerbslandwirt. Er soll auf dem Dorfe wohnen bleiben, er soll nicht in die verdichteten Räume abwandern, von denen er dann am Freitagabend fluchtartig auf das Dorf zurückwandern würde. Diese Form ist durchaus sinnvoll; in diesem Zusammenhang begrüßen wir auch die Raumordnung.Der Zuerwerbslandwirt hat in vielen Gegenden noch einen besonderen Wert. Ich meine die Gegenden, wo noch Wald vorhanden ist. Allein in meinem Lande, in Baden-Württemberg, halben wir 80 000 Waldarbeiter, die hauptberuflich Landwirte sind und als Zuerwerb im Wald arbeiten. Das sind eminent wichtige Dinge, deren Entwicklung wir auch begünstigen sollten.Ich sage das deswegen, weil man vielfach meint, man dürfe gezielte Hilfen des Grünen Planes nur denen geben, die hauptberuflich Landwirte sind. Ich möchte das ausdrücklich auch auf den Zuerwerbslandwirt beziehen, den wir nicht unterschätzen sollten.
Ich habe vorhin auf die Vorfeldbereinigung hingewiesen. Man könnte im Hinblick auf die Anpassung an den Gemeinsamen Markt auch von einem Nachholbedarf sprechen. Ich weiß, daß gerade in den letzten Wochen heftigste Diskussionen über die Verwendung dieser Mittel im Gange waren. Manhat es durchaus bejaht, daß ein großer Teil auf das soziale Gebiet gegeben wurde. Man hat es auch bejaht, daß zurückliegende Altschulden verbilligt werden, man hat es auch bejaht, daß bei den Betriebskosten die Kaufpreise für das Dieselöl mit denen in unseren Nachbarstaaten gleichgezogen werden. Aber eine heftige Diskussion ist um die übrigen 380 Millionen DM entstanden.Da müssen wir uns zunächst einmal fragen: woher kommen denn gerade diese 380 Millionen DM, wie sind sie denn entstanden, warum sind es nicht 400 oder 350 Millionen DM? Das muß man immer wieder berücksichtigen: die Hälfte dieser 380 Millionen DM ist ungefähr der Betrag für den Lastenausgleich, den die deutsche Landwirtschaft einseitig zu zahlen hat und den die anderen EWG-Partner nicht zu zahlen haben; die übrigen 190 Millionen DM sind dadurch entstanden, daß die anderen weniger Flächensteuer zu zahlen haben als die bundesrepublikanischen Landwirte. Dadurch ergeben sich die 380 Millionen DM. Daher auch die Lastensen-kung, der Erlaß der Hälfte der Grundsteuer und der Erlaß des Lastenausgleichs.Nun wird wohl ein anderer Weg beschritten, soviel man hört. Sie wissen, daß die Berufsorganisation nach wie vor an dem anderen festhält, weil sie sagt: ,das ist eine effektive Sache, die uns in der Bundesrepublik Deutschland zusätzlich belastet. Man sucht nun einen anderen Weg. Es entsteht ein gewaltiger Klamauk gegen das sogenannte Gießkannensystem, also dagegen, daß man jedem einfach das Geld an ,die Rippen wirft und jeder damit anfangen kann, was er will. Wenn ich von der Senkung der Lasten 'ausgehe, muß ich auf die Tatsache hinweisen, daß die meisten schon investiert haben. Sie brauchen das Geld notwendig, um ihre Schulden zu verzinsen und abzubezahlen. Die anderen, die Investitionen noch vorhaben, brauchen es, weil sie aus dem eigenen Betrieb das nötige Kapital nicht erwirtschaften können.Die Sache, die man hier vorhat, ist also durchaus zu 'bejahen. Sie wissen, daß man einen modifizierten Plan hat. Sie wissen, daß man nicht etwa das Geld über die Fläche ausgießt. Diejenigen, die es besser wissen mußten und auch gewußt haben, haben trotzdem 'solche bösen Schlagworte wie die „GrafenPrämie" in die Welt gesetzt. Man sollte die politische 'Meinungsbildung draußen nicht so vergiften, wenn man weiß, daß die Dinge anders gehandhabt werden.
Ich halte das für falsch. Das entfernt nur Stadt und Land wieder voneinander. Ich kann den Steuerzahler begreifen, wenn er sagt: Warum soll ich dafür Geld zahlen? Nein, .das wird nicht sein. Man macht die Dinge so gerecht wie möglich. Ich will auf die Einzelheiten jetzt nicht eingehen.Meine Fraktion hat allergrößten Wert darauf gelegt, daß nicht etwa nur die Bauern, die hauptberuflich Landwirte sind, einen Nutzen ziehen können, sondern auch die Nebenerwerbslandwirte, nicht nur diejenigen, die in der Alterkasse sind, sondern auch solche, die der Alterskasse nicht angehören. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen Bauern, die im wesent-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8083
Bauknecht
Metadaten/Kopzeile:
8084 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8085
Metadaten/Kopzeile:
8086 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Ich darf Ihnen versichern, es bereitet mir nicht die mindeste Spur von Genugtuung, daß alle meine Warnungen und Befürchtungen eingetroffen und zum Teil sogar noch übertroffen worden sind.
Es dürfte keinen Agrarpolitiker in diesem Hause geben, der die Beschlüsse des Ministerrats kritiklos hinnimmt und der nicht mit mir heute der Meinung ist, daß eine von Anfang an andere Verhandlungstaktik ein für die deutsche Landwirtschaft und die Bundesrepublik besseres Ergebnis gebracht hätte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ertl?
Bitte sehr!
Herr Kollege Schmidt, haben diese Ihre Warnungen nur den Kollegen der Koalitionsfraktionen oder auch Ihren Kollegen, die in Straßburg und Brüssel so wacker mitgemischt haben, gegolten?
Meine Kollegen waren in Straßburg nicht allein. Es waren auch Ihre Kollegen und einige von der CDU dabei.
Im übrigen richtete sich meine Mahnung insbesondere an die Regierung.
Als ich das am 10. Dezember dies letzten Jahres offen erklärte, hielt es Herr Minister Schmücker für angebracht, von „unverschämten Beleidigungen" und ähnlichem zu sprechen. Was sagt er aber seinem Parteifreund Baron von Feury in München, der meinte, 'daß es jeder Viehhändler in Brüssel besser gemacht hätte als der Wirtschaftsminister?
40 Stunden später brachte es Minister Schmücker fertig, den Mansholt-Plan zu unterbieten und sich dabei auch noch überglücklich zu fühlen.
Ich will dieses Thema hier nicht weiter vertiefen, denn die Würfel sind nun einmal gefallen. Jetzt kommt es darauf an, das Beste aus der Sache zu machen. Um dafür die notwendigen Anhaltspunkte zu erhalten, muß man sich allerdings darüber im klaren sein, was diese Brüsseler Beschlüsse, für die Sie, meine Damen und Herren von dier Koalition, allein .die politische Verantwortung tragen, nun eigentlich bedeuten. Wenn man aber draußen im Lande den Berufsstand vor den Karren zu spannen versucht, dann mag das Ihre Sache sein. Es ändert nichts an der Tatsache, daß Ihre Regierung diese Entscheidung getroffen hat.Man muß sich darüber im klaren sein, daß mit der Entscheidung über den Getreidepreis nicht nur die Höhe der Preise für Veredelungsprodukte bestimmt worden ist, sondern auch die Preise für Hackfrüchte, also die Preise für Kartoffeln, Zuckerrüben, Raps, und wahrscheinlich auch die Preise für Milch und Rindfleisch festgelegt worden sind. An dieser Interdependenz aller Agrarpreise, die wissenschaftlich belegt und durch das Beispiel der 'USA bewiesen ist, ist in einer liberalen Agrarkonzeption nicht zu rütteln und zu deuteln, und ich möchte deshalb nicht versäumen, die beiden Koalitionsparteien eindringlich davor zu warnen, neue Kartenhäuser aufzubauen, die in Kürze ebenso zusammenfallen wie die schönen Entschließungen zum Getreidepreis.
Man muß sich darüber im klaren sein, daß das Datum des 1. Juli 1967 auch nach dem erklärten Willen der Bundesregierung für ,die Landwirtschaft eine Verkürzung der Übergangszeit um zweieinhalb Jahre bedeutet, und zwar nicht nur auf dem Gebiete
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8087
Dr. Schmidt
des Warenverkehrs. Auch wir in diesem Hause werden die Verlagerung der Kompetenzen, die nun einmal in der Logik ,der Entwicklung liegt, sehr gründlich zu spüren bekommen, und es dürfte schon jetzt feststehen, daß von der heute bereits mehr als beschränkten Entscheidungsfreiheit des Deutschen Bundestages auf agrarpolitischem Gebiet bei der Debatte des Jahres 1968 über den Grünen Bericht nur noch Spuren und Reminiszenzen übrigbleiben werden.Nach dem Kalender sind es bis zum 1. Juli 1967 noch 865 Tage; es sind nicht einmal 1000, wie neulich in einem Leitartikel einer bedeutenden Tageszeitung zu lesen war. Aber jedermann in diesem Hause sollte sich darüber im klaren sein, daß nur ein Bruchteil dieser Zeit zur Verfügung stehen wird, um den nun schon seit drei Jahren von meinen Freunden geforderten Kurswechsel vorzunehmen. Ehe wir in Schwung sind, wird der Tag X da sein.
Ein solcher Kurswechsel müßte vor allem in einer anderen Taktik in Brüssel zum Ausdruck kommen. Unsere Delegation im Ministerrat sollte es nun endlich aufgeben, immer nur die Rolle des erschreckten Kaninchens zu spielen, das in seiner Angst glaubt, mit einem Zeitgewinn sei schon die Hälfte gewonnen. Eben das war doch die Taktik des Herrn Ministers Schwarz und seiner Kollegen, die am 15. Dezember mit Glanz und Gloria zu einer totalen Niederlage geführt hat.
Was jetzt not tut, ist der offensive Kurs auf den gemeinsamen Agrarmarkt. Seien Sie überzeugt davon, daß Brüssel mit Elan und mit Geschick die letzten Entscheidungen auch über die anderen Preise unter neuen Aspekten erzwingen wird. Verfolgen Sie bitte die GATT-Gespräche sehr genau, und Sie werden dann nicht überrascht sein. Und wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, jetzt endlich die gesetzten Daten ein wenig ernster nähmen als früher, dann wäre schon etwas gewonnen. Die Vergangenheit sollte Ihnen doch eine Lehre sein.Die Zollunion wird bis zum 1. Juli 1967 verwirklicht, und die gemeinsame Agrarpolitik wird bis zu diesem Termin im wesentlichen abgeschlossen sein. Mit diesem Datum geht jeder Schutz im Innern der EWG zu Ende, wie ich Ihnen schon im Dezember vergangenen Jahres darlegen konnte. In 865 Tagen wird der freie Wettbewerb innerhalb der Sechs mit voller Kraft hereinbrechen. In 865 Tagen ist der Binnenmarkt perfekt, ja, Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß schon Monate vorher die Auswirkungen dieses Termins zu spüren sein werden. Alle Überlegungen sollten daher jetzt darauf abgestellt werden: nur noch 865 Tage Zeit!Zweifellos sind die Probleme nicht einfach, die bis dahin gelöst sein müssen. Ich erinnere nur an den EWG-Fonds und an die sehr komplizierte Frage der Milchmarktordnung und der Milchbeihilfen. Wann wird sich die Bundesregierung auch endlich einmal ernsthaft der Weinfragen, der Sonderkulturen wie Tabak und anderen mehr annehmen? Oder hat sie diese schon völlig abgeschrieben?Die Erfahrung mit dem Getreidepreis zeigt, daß das Ergebnis um so ungünstiger ist, je länger wir warten. Die Erklärung dafür liegt ganz einfach darin, daß unsere Nachbarländer bestrebt sind, die Übergangszeit so gut wie möglich zu nutzen. Ihre Anstrengungen sind größer als die unsrigen, und es ist durchaus denkbar, daß wir manchen Vorsprung, den wir heute noch haben, verlieren werden, wenn wir auf Zeitgewinn spekulieren.Herr Minister Schwarz ist stolz darauf, daß er in Brüssel vorerst keine neuen Daten für neue Beschlüsse akzeptiert hat. Man ist beglückt darüber, daß die EWG-Kommission auf die Festsetzung des gemeinsamen Erzeugerrichtpreises für Milch entgegen den ursprünglichen Beschlüssen für 1965 verzichtet hat. Eingeweihte wollen wissen, daß hinter diesem Vorschlag der Kommission auch politische Motive im Hinblick auf die Bundestagswahl eine Rolle spielen. Aber das alles kann morgen bereits anders sein.Nachdem sich unsere Vorleistungen nicht ausgezahlt haben, wäre es allmählich angebracht, mit unserem Pfund etwas mehr zu wuchern. Das ist durchaus nicht symbolisch gemeint; denn unsere stärkste Trumpfkarte ist zur Zeit die Agrarmarktfinanzierung. Es erscheint mir unverständlich, warum man bisher damit auf Kosten der Steuerzahler so großzügig umgegangen ist, anstatt für die sehr beachtlichen Leistungen der Bundesrepublik auch entsprechende Gegenleistungen zu fordern, beispielsweise einen Abbau der direkten Wettbewerbsverzerrungen.Lassen Sie mich dazu noch einen Satz hinzufügen. Die EWG-Kommission ist dabei, einen Katalog aller Subventionen aufzustellen, was sie eigentlich schon längst hätte tun sollen. Sie bedient sich dabei der in den Haushalten der Länder ausgewiesenen Positionen. Bei uns ist das besonders einfach. Wenn man die Drucksache zu IV/2990, S. 24 bis 33, aufschlägt, findet man das alles bestens geordnet. Da werden u. a. Beseitigung von Hochwässerschäden, Förderung der Bienenzucht, Verbesserung der Stromversorgung, die ländliche Wasserversorgung, der Deichbau, die Seuchenbekämpfung, die Steuervergünstigungen im Landarbeiterwohnungsbau usw. usf. der Landwirtschaft unmittelbar als Hilfen angelastet. Das muß ja bei den anderen Partnern ein schiefes Bild geben. Es ist durchaus verständlich, daß die Bundesregierung wieder einmal in arge Bedrängnis geraten ist und aus der Verteidigungsposition nicht herauskommt. Im übrigen kann man nur hoffen, daß die Bundesregierung genügend Material in der Hand hat, damit überall alles ans Tageslicht kommt. Mit dieser Aufstellung kann es aber nicht genug sein. Der ganze Katalog wird der EWG-Kommission für politische Entscheidungen wenig nützlich sein, wenn man nicht einen Kosten- und Lastenvergleich der Mitgliedstaaten vornimmt.Die Bundesregierung täte gut daran, endlich einmal Fortschritte auf dem Gebiet der Verkehrspolitik zu fordern, die schließlich für die Landwirtschaft von nicht untergeordneter Bedeutung ist. Der leider nur von Minister Schwarz in sehr bescheidener Weise unternommene Vorstoß auf dem Gebiet der
Metadaten/Kopzeile:
8088 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Dr. Schmidt
Agrarfrachten hat bisher nur zu einer vagen Resolution geführt, was von Kennern der Verhältnisse darauf zurückgeführt wird, daß man auch auf deutscher Seite kein ganz reines Gewissen hat, hier allerdings nicht bei den Agrarfrachten, sondern bei den Tarifen für gewerbliche Güter. In der gemeinsamen Verkehrspolitik haben sich die sechs Partnerländer offenbar zu einem Kartell der Sünder zusammengefunden, das nach dem Motto handelt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.Zu einem offensiven Kurs gehört es auch, daß man sich gelegentlich selbst etwas einfallen läßt, anstatt darauf zu warten, was andere tun. Ich möchte nicht so weit gehen, der Bundesregierung zu empfehlen, das französische Beispiel zu kopieren, obwohl man nicht umhinkann, zuzugeben, daß von diesem Land einiges zu lernen ist. Die Methoden, mit denen die französische Regierung beispielsweise bei Schlachtgeflügel eine Änderung der Marktordnung und der Exportfinanzierung aus dem EWG-Agrarfonds durchzusetzen versuchte, sind zwar wenig fair noch vornehm. Aber es nötigt einen gewissen Respekt ab, mit welchem Geschick und mit welcher Energie sich hier eine Regierung für die Interessen ihrer Landwirtschaft einsetzt. Wenn die Bundesregierung auch nur einen Bruchteil dieses Elans in Brüssel an den Tag legte, brauchte uns um die Zukunft unserer Landwirtschaft nicht bange zu sein. Unsere Betriebe sind heute schon einer fairen Konkurrenz gewachsen. Sie sind in ihren fachlichen Leistungen jedem Partner ebenbürtig. Wir können und sollten ihnen Gelegenheit geben, das so rasch wie möglich zu beweisen. Sie besitzen Mut zur Initiative. Sie warten nur auf den Fingerzeig der Verantwortlichen im Lande, um nicht umsonst gearbeitet und Opfer gebracht zu haben.Wenn man sich freilich ansieht, daß die Bundesregierung beispielsweise den Agrarexport eher drosselt als fördert, kann man fast den Mut verlieren. Ich meine damit nicht nur den Export von Gütern der Ernährungsindustrie, sondern vor allem die deutsche Ausfuhr von hochwertigen Veredelungsprodukten. Obwohl die EWG-Marktordnungen auch für uns einen breiten Kanal geschaffen haben, ist es in der Tat in der Bundesrepublik ein kleines Rinnsal.Aber wen nimmt das schon wunder, wenn man weiß, daß die Federführung in den Agrarverhandlungen in Brüssel beim Bundeswirtschaftsminister liegt und der Ernährungsminister immer mehr eine Randfigur des Geschehens wird! Herr Kollege Bauknecht, das scheinen Sie bisher noch nicht erfaßt zu haben. Aber es ist so. Von Jahr zu Jahr hat sich der Ernährungsminister mehr Kompetenzen abnehmen lassen. Die mühsam aufgebaute EWG-Gruppe im Ernährungsministerium, die unmittelbar dem Staatssekretär unterstellt war, scheint sich in völliger Auflösung zu befinden.
Nur weiter so, meine Herren Agrarpolitiker von der Koalition! Bald ist es dann geschafft.Der Mut zur Offensive sollte sich aber nicht auf das Brüsseler Schlachtfeld beschränken. Es wäre für mich ein leichtes Spiel, in der derzeitigen Situation der Bundesregierung und Ihnen von der Koalition, meine Damen und Herren, noch einmal eine lange Liste von Versäumnissen vorzuhalten und hier in diesem Hause dann daran die Forderung nach einem groß angelegten und detaillierten Programm zu knüpfen, das im Laufe der nächsten Jahre verwirklicht werden soll. Ebensowenig wie wir die Beschlüsse des Ministerrats wieder rückgängig machen können, können wir die Tatsache aus der Welt schaffen, daß es die Bundesregierung bisher nicht fertiggebracht hat — trotz unserer wiederholten Forderung —, ein EWG-Anpassungsprogramm zu entwickeln. Andernfalls hätte sie es nach den Beschlüssen von Mitte Dezember 1964 aus der Schublade geholt. Es ist also nichts vorhanden.In Anbetracht der wenigen Wochen, die bis zur Sommerpause noch zur Verfügung stehen, würde ich es begrüßen, wenn die Agrarpolitiker der drei Fraktionen sich unverzüglich über eine Dringlichkeitsliste für die Behandlung derjenigen Maßnahmen in Form von Gesetzen und Anträgen verständigten,
die bis Juli unbedingt erledigt sein sollten. — Hören Sie zu, Herr Bauer! Jetzt kommt es gerade, worauf ich mich berufe! — Ich stimme in den Appell unseres Vorsitzenden des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, unseres Kollegen Bauknecht, ein, der in seinem Artikel „Rückblick und Ausblick" vom 31. Dezember des letzten Jahres im „Ernährungsdienst" zu finden ist. Dort heißt es, daß „die Zeit bis zur Getreidepreissenkung agrarpolitisch äußerst aktiv ausgenutzt werden muß, um nachzuholen, was bisher zur Kräftigung der Landwirtschaft versäumt
und zur Vorbereitung auf den Gemeinsamen Markt immer vor sich her geschoben wurde."
Man kann es kaum glauben, aber es ist wahr: Artikelschreiber war Herr Bauknecht.
— Noch gar nichts.
Zu den Dringlichkeitsaufgaben gehören nach meiner Auffassung: 1. die Verbesserung der Marktstruktur einschließlich der Absatzförderung, 2. der Fragenkomplex der Beihilfen für freiwillige Landabgabe — ich werde das alles noch begründen —, 3. die Verbesserung der ländlichen Sozialgesetzgebung und. 4. die Aufstellung eines mehrjährigen Strukturprogramms.Lassen Sie mich dazu folgendes bemerken. Wenn ich den Fragenkomplex der Marktstrukturverbesserung voranstelle, so hat das seinen Grund. Der Vorsprung der Agrarexportländer im Markt ist außer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8089
Dr. Schmidt
Zweifel. Wir haben zu lange gezögert und das Ganze nicht ernst genug genommen. In 865 Tagen werden Proteste der Bauernorganisationen, der Politiker und von wem auch sonst nicht mehr zur Kenntnis genommen. Der Markt diktiert dann den Ablauf des ökonomischen Geschehens.Die immer größer werdenden Verteilerorganisationen werden ihre Warenmengen höchster Qualität dort holen, wo sie im ganzen EWG-Raum zu finden sind. Dann wird die Parole „Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch" nur noch werbewirksam sein, wenn eben aus diesen deutschen Landen große Mengen einheitlicher Ware in bester Qualität angeboten werden können.
— Die Grüne Woche in Berlin, die vor wenigen Tagen ihre Pforten geschlossen hat, müßte doch für alle eine Lehre sein. Wenn man erst den Markt verloren hat, wird es nur sehr schwer und dann mit eigenen schweren Opfern der Bauern möglich sein, ihn wieder zu gewinnen. Deshalb sollten alle entsprechenden Aktionen der Landwirtschaft, ihrer Genossenschaften und des Landhandels gefördert und ausgebaut werden. Wer hier bremst, der versündigt sich an der Zukunft vieler bäuerlicher Existenzen.Meine Fraktion hat den Entwurf eines Marktstrukturgesetzes vor vielen Wochen vorgelegt. Es ist kein Geheimnis, daß sich dieser Entwurf auf einen Vorschlag des Deutschen Bauernverbandes und des Deutschen Raiffeisenverbandes stützt. Wir haben diesen Vorschlag verbessert. Inzwischen ist von der gewerblichen Wirtschaft und der Landwirtschaft ein neuer Gesetzentwurf ausgearbeitet worden, der sich aber in fast allen Teilen an unsere Vorlage anlehnt.
— Größtenteils sogar abgeschrieben. Wir haben kein Verständnis dafür, wenn mit den Beratungen so lange gewartet werden soll, bis selbst die Koalitionsfraktionen sich auf eine Vorlage geeinigt haben.
Das kann sehr lange dauern. Man kennt ja die verschiedenen Bestrebungen in Ihren Reihen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schmidt, ist Ihnen bekannt, daß der Bauernverband eine interfraktionelle Verabschiedung seines Entwurfs wünschte, und glauben Sie, daß es sehr loyal war, daß Sie diese Zusagen nicht eingehalten haben und vorgeprescht sind?
Darauf eine Antwort: Wir hatten eine solche Vereinbarung zwischen den Fraktionen bis zu einem bestimmten Termin. Aber dann stellte sich heraus, daß die größte Fraktion an diesem Gesetz nicht mehr interessiert war, und wir haben daraus die Konsequenzen gezogen, den Entwurf zu verbessern und selbst einzubringen. Das ist die Sachlage.
Wir haben kein Verständnis dafür, daß mit den Beratungen so lange gewartet werden soll. Noch in der ersten Sitzung des CDU-Arbeitskreises Landwirtschaft Ende August in Bonn, also in der Sommerpause, wurde die Forderung nach einem Marktstrukturgesetz lautstark verkündet, natürlich damals noch einmütig. Dann wurde es still darum.Es tauchte der Entwurf eines Marktfondsgesetzes auf; von der Anpassung der Produktion, deren Struktur und deren Vermarktung an die Erfordernisse des Marktes war dann keine Rede mehr. Die wichtigste Aufgabe dieses Fonds sollte die Intervention sein, das hat auch Herr Bauknecht hier eben bestätigt. Eine solche Maßnahme ist aber nicht nur kartellmäßig unmöglich, sie bleibt auch verfassungsrechtlich bedenklich. Vom Politischen her gesehen ist sie geradezu ein Unding, bedeutet sie doch den Versuch, die EWG-Entwicklung rückgängig zu machen, die innerhalb des EWG-Raums auch den freien Agrarmarkt zum Ziele hat. 90 % der landwirtschaftlichen Produktion sind von EWG-Marktordnungen bzw. -Marktregelungen erfaßt, in denen nach 1967 gemeinschaftliche Interventionen vorgenommen werden sollen. Einzelstaatliche Interventionen würden das Gegenteil bedeuten, nämlich den nutzlosen Versuch, die eigene Landwirtschaft innerhalb der EWG zu isolieren. Auch faktisch wäre eine solche Intervention aus finanziellen Gründen nicht realisierbar, da sämtliche Überschüsse unserer Partner, die auf den deutschen Markt drängen, vom Fonds absorbiert werden müßten, und das ist doch irreal.Die andere Aufgabe des Fonds, Abwehrmaßnahmen gegen eine gezielte Absatzstrategie ausländischer Marktzusammenschlüsse, ist ebenso problematisch. Sollen etwa die einzelstaatlichen Überschüsse innerhalb der EWG ständig hin- und hergeschickt werden mit dem Ziel, beim Partner Marktzusammenbrüche zu erzwingen? Eine gemeinsame Agrarpolitik kann doch einen solchen Zustand überhaupt nicht zulassen. Herr Kollege Bauknecht, natürlich werden die in Frankreich und in Holland bestehenden Verzerrungen beseitigt werden müssen.
Das wäre ein Punkt, der zum Brüsseler Verhandlungskonzept der Bundesregierung gehören sollte. Im übrigen kann man mit einem solchen Fonds die Versäumnisse des Bundes in bezug auf die Marktstruktur nicht kaschieren.
Das aber scheint doch der Hintergedanke dieses Vorschlages zu sein.
Inzwischen hat auch Bundesminister Schwarz in Richtung Struve eingelenkt und ein Marktstrukturgesetz für unnötig erachtet. Süddeutsche CSU-Poli-
Metadaten/Kopzeile:
8090 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Dr. Schmidt
tiker glauben, mit Verbesserungen der Richtlinien im Grünen Plan auszukommen. Wenn das so ist, warum in Gottes Namen haben Sie das nicht schon längst getan?!
Sie hatten das doch alles in der Hand. 'Das konnten Sie tun. Was die FDP will, das wird sie uns heute noch erzählen. Jedenfalls richte ich den dringenden Appell an Sie, unverzüglich 'mit den Beratungen unseres Entwurfs im Ausschuß zu beginnen. Weitere Verzögerungen wären nicht mehr zu verantworten.
Der Fragenkomplex der Beihilfen für die freiwillige Landabgabe ist nicht neu. Meine Fraktion hat vor genau einem Jahr einen entsprechenden Antrag eingebracht, der auch vom Ausschuß und im Plenum angenommen wurde. Dabei wäre vor allem an Hilfen für ältere Kleinlandwirte zu denken, die ohne Übernehmer ihrer Hofstelle und daher bereit sind, sich vorzeitig von ihrem Land ganz oder teilweise zu trennen, die einerseits zu alt sind, um einen neuen Beruf zu ergreifen, andererseits aber noch nicht alt genug sind, um in den Genuß der Altershilfe zu kommen. 'Soweit der Verkaufserlös nicht ausreicht, um die Zeit bis zur Gewährung des Altersgeldes zu überbrücken, wäre die Gewährung einer zusätzlichen Rente angebracht, die bereits vom 55. Lebensjahr an gegeben werden sollte und die später bei der Zahlung 'von Altersgeld mit diesem verrechnet werden 'könnte. Das wäre nur ein Fall. Ein anderer Fall wäre, die langfristige Verpachtung solcher Betriebe oder Teile der Betriebe ins Auge zu fassen; usw. usw. Die Wünsche der Abgeber sollten, ja, müssen stets respektiert werden. Ich wehre mich mit aller Entschiedenheit dagegen, daß man hier von Landvertreibung spricht. Niemand soll vom Land vertrieben werden; im Gegenteil, jeder soll sich seinen Neigungen und Bindungen gemäß seine noch verbleibende Neben- oder Zuerwerbsstelle frei gestalten. Er bleibt frei und soll es 'bleiben.Für diejenigen, die aus dem landwirtschaftlichen Hauptberuf 'freiwillig ausscheiden, müssen gleichzeitig neue Einkommensquellen, soziale Sicherheit und die Erhaltung des Eigentums garantiert werden. Mit einem solchen Anreiz müßte es möglich sein, in 'verhältnismäßig kurzer Zeit 'bedeutende Flächen für die Aufstockung benachbarter entwicklungsfähiger Betriebe freizumachen, die bei aller Tüchtigkeit ihrer Inhaber ohne Landzulage keine Chance haben, den Vergleichslohn jemals zu erreichen. Wie Sie vielleicht wissen, sind derartige Maßnahmen in Frankreich und Holland bereits angelaufen und von der EWG-Kommission ausdrücklich gebilligt worden. Hier bietet sich also ein Weg, einen Teil der Mittel für die Vorfeldbereinigung vertragskonform und gegen Brüsseler Zugriffe gesichert anzulegen. Es 'muß damit sofort begonnen werden
— nein, nein! —, denn seit einem Jahr liegen bei der Landwirtschaftlichen Rentenbank für diese Zwecke 30 Millionen DM, die bisher nicht verausgabt wurden,
weil, wie so oft, Herr Kollege Bauknecht, der Bund dem Problem nicht die Bedeutung beigemessen und nicht die Verwendungsrichtlinien in Absprachen mit den Ländern vorangetrieben hat. Das soll aber wohl, wie Herr 'Staatssekretär Hüttebräuker neulich äußerte, in der nächsten Woche geschehen. Hoffen wir also das beste.Im Grünen Plan sind dafür weitere 10 Millionen DM 'vorgesehen. Zu überlegen wäre, ob man für diese Maßnahmen nicht eine gesetzliche Grundlage schaffen sollte, um den Betroffenen eine höhere Sicherheit zu geben.Das dritte Dringlichkeitsanliegen betrifft den sozialen Bereich. Ich meine hier die bäuerliche Krankenversicherung. Mein Kollege Frehsee wird sich dazu noch äußern.Die Aufstellung eines mehrjährigen Strukturprogramms, das den Schwerpunkt auf Maßnahmen mit möglichst großer Breitenwirkung legt, ist schon längst fällig. Angesichts der bedauerlichen Haushaltskürzungen, der zwanzigprozentigen Sperre für alle Baumaßnahmen und angesichts der steigenden Kosten für alle Maßnahmen in der Agrarstruktur müßten 'Überlegungen angestellt werden, inwieweit die Einzelmaßnahmen auf Grund ihrer Bedeutung und Wirkung neu zu orientieren sind. Man kann sie in Zukunft nur im Rahmen einer modernen Regionalpolitik sehen. Aus Zeitgründen möchte ich hier im Augenblick auf die Vertiefung dieser Aspekte verzichten.Ich gebe gern zu, daß diese vier Punkte nur einen Teil der Themen enthalten, mit denen sich dieses Hohe Haus dringend befassen müßte. In Kenntnis der Geschäftslage unseres Hauses werden Sie mir aber zustimmen, daß eine Beschränkung auf einige wenige Punkte dringend erforderlich ist, wenn überhaupt noch ein konkretes Ergebnis erreicht werden soll. Trotz der Zeitnot könnte mit einem guten Willen auf allen Seiten noch eine ganze Menge erreicht werden.Was meine politischen Freunde und mich betrifft, so sind wir dazu bereit, ja, wir bieten Ihnen für die nächsten Wochen sogar einen Waffenstillstand, wenn Sie so wollen, an, wenn Sie bereit sind, sich mit uns über einen realisierbaren Zeitplan zu einigen. Überlegen Sie sich doch einmal, wie sehr unser agrarpolitischer Spielraum eingeschränkt ist, wenn im kommenden Jahr alle Entscheidungen im EWG-Ministerrat nur noch der qualifizierten Mehrheit bedürfen. Um der Sache willen möchte ich Sie fast beschwören, sich für die nächsten Monate auf eine konzentrierte Arbeit im Ausschuß einzurichten und mit uns diese Fragen vorwärtszutreiben und zu erledigen.
Sie können natürlich auch, wie es eine Fraktion und CSU-Kollegen bereits angekündigt haben, mit bombastischen EWG-Anpassungsgesetzen hausieren gehen, die Sie kurz vor Toresschluß einbringen, um sich im Wahlkreis ein Alibi dafür zu verschaffen, daß Sie vier Jahre lang nur vom Getreidepreis geredet haben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8091
Dr. Schmidt
Die Erfahrung mit den FDP-Programmen 1961 hat doch "gezeigt, was bei den voluminösen Plänen schließlich herauskommt:
ein großes Wahlkampfgetöse, und dann ist vier Jahre lang Windstille.
Um Ihre Erwartungen nicht allzu hoch zu schrauben, darf ich Ihnen aber schon im voraus sagen, daß Sie bei zwei Themen nicht mit unserer Unterstützung rechnen können, erstens bei dem von der CDU geplanten Marktfonds und zweitens bei der von der Koalition in Aussicht genommenen Verteilung der sogenannten Investitionshilfe in Höhe von 380 Millionen DM. Den Marktfonds hätten Sie sich vor 10 Jahren einfallen lassen müssen. Daß Sie ausgerechnet jetzt, kurz vor dem Ende der EWG-Übergangszeit damit vor die Landwirtschaft und vor die Öffentlichkeit treten, ist wohl der überzeugendste Beweis dafür, wie wenig die Bundesregierung bei der Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen im Gemeinsamen Markt erreicht hat.
Unser Heil nun über die Hintertreppe zu versuchen, das geht uns zu weit.Ein besonders bemerkenswertes Kapitel der derzeitigen Agrarpolitik ist das nun schon seit einem Vierteljahr andauernde Hickhack über die Verteilung der sogenannten Investitionshilfe, von der auch heute noch niemand so recht im einzelnen weiß, wie sie eigentlich unter die Leute gebracht werden soll. Als ich mir am 10. Dezember 1964 erlaubte, vondieser Stelle aus einige kritische Anmerkungen über die Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung zu machen, erhielt ich von den Ministern Schwarz und Schmücker so energischen Widerspruch, daß ich fast die Hoffnung hatte, ich würde diesmal, also heute, glänzend widerlegt. Aber leider habe ich wieder einmal recht behalten, denn es bleibt bei der unseligen Gießkanne.Um nicht mißverstanden zu werden, möchte ich hier ausdrücklich betonen, daß ich die Überlegung, die ursprünglich der Bauernverband gehabt hatte, nämlich eine Entlastung der Betriebe auf der Kostenseite, im Prinzip für durchaus richtig halte. Aber da dessen Vorschläge nun nicht einmal zu verwirklichen sind, muß man einen anderen Weg einschlagen. Tatsache ist jedenfalls, daß Herr Minister Schmücker bewußt eine falsche Auskunft gegeben hat, als er hier am 10. Dezember erklärte, die ganzen deutschen Maßnahmen zur sogenannten Vorfeldbereinigung seien EWG-konform. Das ist eben nicht der Fall. Herr Schmücker hat dazu am 10. Dezember ausgeführt — ich zitiere —:Wir sind verpflichtet, unserer Landwirtschaft bei .dem ungeheuren schwierigen Strukturwandel zu helfen, und wir müssen bei der Wirtschaftskraft, die wir haben, dafür auch die notwendigen Mittel aufbringen.Schön und gut, die Mittel sind da. Aber mit derMethode, die der Koalition vorschwebt, werden wirden Strukturwandel sicher nicht beeinflussen. Beeinflußt werden dagegen mit Sicherheit die öffentliche Meinung über die Landwirtschaft und die Stimmung in den Dörfern, wo man heute schon landauf landab von der „Grafenrente" spricht,
die vor allem denjenigen zugute kommt, die genug verdient haben
ja, es ist peinlich, das glaube ich Ihnen —,
,um 'investieren zu können, und die denjenigen vorenthalten wird, die unbedingt investieren müßten. Hier soll das Geld in einer verantwortungslosen Weise verplempert werden. Die Kollegen im Ernährungsausschuß wissen aus den Beratungen der letzten Wochen sehr genau, daß große Investitionsvorhaben nicht bedient werden können, weil die Mittel fehlen. Wenn Sie den Grünen Bericht wirklich gelesen hätten, dann wüßten Sie, was zu tun ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schultz?
Herr Kollege, bei dieser Gelegenheit möchte ich fragen: Haben Sie nicht einmal einen Kleinbauernverband gegründet? Was ist eigentlich aus ihm geworden?
Erstens gehört es nicht zum Thema. Und zweitens bin ich gern bereit, Ihnen darüber nachher Auskunft zu geben, die Sie beruhigen dürfte.
Wenn Sie den Grünen Bericht wirklich gelesen hätten, dann wüßten Sie, was zu tun ist. Dann wüßten Sie u. a. auch, daß das entscheidende Problem für diejenigen Betriebe, die unter dem Durchschnitt liegen, die unzureichende Landausstattung ist.
Gestatten Sie wiederum eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weber?
Bitte sehr.
Herr Kollege Dr. Schmidt, darf ich Sie fragen: bei welcher Größe würden Sie eigentlich die Grenze ziehen, wo man genug verdient hat?
Herr Kollege Weber, wenn Sie wirklich Fachmann sind — und ich unterstelle das —, wissen Sie ganz genau, daß man eine Größe nach Schema F hier einfach nicht nehmen kann. Natürlich hängt das ab vom Klima, vom Boden, von der Verkehrslage und dergleichen mehr.
Metadaten/Kopzeile:
8092 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Dr. Schmidt
Aber das ist alles darin eingeschlossen. Lesen Sie doch einmal den Grünen Bericht ganz genau! Ich glaube, Sie haben ihn nicht gelesen; sonst würden Sie die Frage nicht stellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ertl?
Herr Kollege Schmidt, würden Sie mir dann sagen, nach welchen Kriterien Sie jemand als Kleinbauern bezeichnen?
Der Begriff „Kleinbauer", Herr Kollege Ertl, hat auch eine weltanschauliche Seite.
Herr Kollege Schmidt, würden Sie uns einmal die Satzung Ihres Kleinbauernverbandes zuleiten?
Herr Kollege Ertl, auch die können Sie haben, obwohl sie bereits zu den Akten gelegt ist.Die Wahlstrategen von ,der CDU
haben etwas ganz anderes im Sinn. Verlassen Siesich darauf: Sie machen die Rechnung ohne den Wirt!
Dessen 'bin ich ganz sicher, nachdem ich selber in den letzten Wochen die Stimmung auf dem Lande habe testen 'können.
Um wenigstens einen letzten Versuch zu machen, der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen, hat meine Fraktion einen Antrag eingebracht, der Ihnen noch 'heute zugehen wird. Wir schlagen darin vor, die 380 Millionen DM als Investitionshilfe für landwirtschaftliche Betriebe und zur Verbesserung der Marktstruktur 'dem Zweckvermögen der Landwirtschaftlichen Rentenbank zuzuführen.
Wenn ich auch unbescheiden genug bin, das Erstgeburtsrecht für diese Fonds-Idee zu beanspruchen, so bin ich doch ehrlich genug, zuzugeben, daß ich nicht der 'einzige war, der einen solchen Gedanken gehabt hat. Ich befinde mich damit in allerbester Gesellschaft beispielsweise mit den Staatssekretären Dr. Hüttebräuker und — vom Wirtschaftsministerium — Dr. Langer und den Ministern Schwarz, Schmücker und Dr. Dahlgrün. Nur der Schattenlandwirtschaftsminister der CDU wollte etwas anderes,
und er hat sich damit durchgesetzt. Herr Kollege Struve, wenn in diesem 'Hause eine geheime Abstimmung über unseren Antrag möglich wäre, dann würde er hier, dessen 'bin ich sicher, nicht nur eine einfache, sondern eine überwältigende Mehrheit finden.Abgesehen von dem wahltaktischen Effekt, den Sie sich irrtümlicherweise von Ihrer „Gießkanne" versprechen, scheint mir Ihr Vorgehen auch damit zusammenzuhängen, daß Sie sich offensichtlich nicht entschließen können, die Zusagen des Bundeskanzlers gesetzlich abzusichern. Dieser Wunsch der Landwirtschaft scheint nach den mehrjährigen Erfahrungen in der Haushaltsführung im Einzelplan 10 mit den vielen hohen Resten durchaus berechtigt zu sein. Was von diesen Zusagen übrigbleiben wird, wenn die derzeitige Koalition auch die nächste Regierung bilden sollte, das hat Herr Hüttebräuker in der Fragestunde des 47. Dezember in überzeugender Weise dargelegt. Wenn Sie das, was Herr Hüttebräuker gesagt hat, mit der Verlautbarung vergleichen, die nach der Besprechung zwischen Bauernverband und Bundesregierung am 30. November herausgegeben worden ist, dann werden Sie feststellen, daß der Wechsel, den man der Landwirtschaft vor einem Vierteljahr ausgestellt hat, heute schon nur noch die Hälfte wert ist, und bei der Art und Weise, mit der die Bundesregierung immer neue Interpretationen erfindet, um 'aus ihren Zusagen herauszukommen, kann man sich leicht vorstellen, was davon in einem Jahr übrigbleiben wird. Wir glauben deshalb, daß es die beste Lösung wäre, zumindest diese 380 Millionen DM einem Fonds anzuvertrauen.In diesem Zusammenhang wäre auch zu prüfen, ob nicht auch bestimmte Mittel des Grünen Plans auf diesen Fonds übertragen werden können, beispielsweise die Mittel für die horizontale und vertikale Vebundwirtschaft und eine Reihe andere Töpfe und Töpfchen. Sie wissen alle, daß es damit wegen der Reste und der Übergangsfinanzierung ständig Ärger gibt.Entscheidend ist, daß solch ein EWG-Anpassungsfonds in Brüssel nicht auf Schwierigkeiten stoßen würde. Es dürfte vielleicht interessieren, daß eine Einrichtung dieser Art in Holland geschaffen und inzwischen von der EWG-Kommission nicht nur anerkannt, sondern sogar begrüßt worden ist. Mit der Gießkanne — das hat Herr Minister Schwarz inzwischen in Berlin erklärt — werden Sie dagegen in Brüssel und bei unseren Partnern wenig Beifall finden. Selbst in seiner Einführungsrede hat Herr Minister Schwarz in der vergangenen Woche gesagt, daß das Geld für wohldurchdachte Umstellungs- und Anpassungsprogramme gegeben werden solle. Aber damit kann er wohl noch nicht einmal die modifizierte Gießkanne gemeint haben. Nun, Herr Minister Schwarz kann sich natürlich die Sache leicht machen. Er hat seinen Abschied bereits eingereicht und kann nun zusehen, wie sich die anderen mit seinem nicht sehr gehaltvollen Erbe abplagen.Die übrigen Maßnahmen des Grünen Plans könnten 'ebensogut von vornherein im Einzelplan 10 verbucht werden; denn schließlich weist die Bundesregierung bei der Aufstellung des Haushalts nicht nur die Globalsumme des Grünen Plans, sondern auch die Ausstattung der einzelnen Positionen aus.Mein Kollege Schoettle hat vor einiger Zeit darauf hingewiesen, daß das bei den Grünen Plänen angewandte Verfahren haushaltsrechtlich sehr be-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8093
Dr. Schmidt
denklich und im Laufe der Zeit auch praktisch sinnlos geworden ist, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens ist der Zusammenhang mit dem Grünen Bericht inzwischen verlorengegangen. Zweitens ist durch die Umstellung des Haushaltsjahrs auf das Kalenderjahr auch die Verbindung mit dem Haushalt verlorengegangen.
Drittens bestehen für die parlamentarische Beratung nur bei ganz wenigen Positionen Änderungsmöglichkeiten. Viertens — darauf möchte ich Sie nun heute besonders hinweisen — werden die Grünen Pläne durch die Entwicklung im Gemeinsamen Markt früher oder später sowieso überholt sein.Diese Kritik richtet sich selbstverständlich nicht gegen die für die Förderung der Landwirtschaft bereitgestellten Beträge. Meine Gedanken gehen in Richtung einer Neuformung des Einzelplans 10 einschließlich des Grünen Plans, die gerade im Hinblick auf die EWG-Entwicklung nicht zu umgehen sein dürfte.Meine Damen und Herren, wenn Sie morgen, wenn das Protokoll vorliegt, noch einmal in Ruhe durchlesen, auf welche Maßnahmen und Initiativen ich den Schwerpunkt der agrarpolitischen Aktivität in den verbleibenden Monaten gelegt wissen will, werden Sie zweifellos feststellen, daß es noch genügend Ansätze für ein erfolgreiches Vorgehen gibt. Wenn Sie das Interesse der Landwirtschaft im Auge haben, dann sollten Sie mit uns versuchen, diese I Chance zu nützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wächter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hat mir die Aufgabe übertragen, heute in der Debatte über den Grünen Plan und über den Grünen Bericht zu sprechen. Ich übernehme damit zum erstenmal eine Aufgabe, der sich in den letzten Jahren meine Kollegen Logemann, Walter und Ertl unterzogen haben.Ich möchte dieser Aufgabe dadurch gerecht werden, daß ich mich zunächst objektiv analysierend mit dem Grünen Bericht 1965 auseinandersetze und anschließend auf einige besonders wichtige agrarpolitische Probleme eingehe. Ich bin aber der Meinung, daß ich zuerst mit wenigen Worten auf das eingehen sollte, was der Kollege Dr. Schmidt soeben gesagt hat. Wir haben Verständnis für seinen Vorschlag, daß man zunächst einmal das Protokoll durchlesen sollte, um ein abschließendes Bild von seinen verschiedenen Aussagen und Vorschlägen zu bekommen. Ich fühle mich jedoch verpflichtet, auf zwei Tatsachen hinzuweisen.Der Kollege Dr. Schmidt hat uns -den Koalitionsparteien — soeben ein Friedensangebot gemacht, indem er gesagt hat: „Waffenstillstand für die nächste Zeit". Außerdem hat er den Standpunkt vertreten, es sollte ein gemeinsames EWG-Überleitungsgesetz von allen drei Parteien eingebracht werden. Ich darf Ihnen von mir aus, Herr Kollege Schmidt , sagen, daß wir schon etwas weiter sind; gegebenenfalls würden wir bereit sein, Ihnen unseren Rohentwurf zur Verfügung zu stellen. Ich sollte Ihren Vorschlag wohl nicht so auffassen, als ob Sie allein nicht in der Lage wären, das EWG-Überleitungsgesetz zu entwerfen. Wenn das jedoch der Fall sein sollte — Herr Kollege Dr. Schmidt (Gellersen), ich stelle das lediglich als Frage in den Raum —, wird Ihnen sicher Ihr Gesinnungsfreund, der Vizepräsident der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Herr Mansholt zur Verfügung stehen.
Ich habe mich nun mit Ihnen, Herr Kollege, noch auseinanderzusetzen, weil gerade in den letzten Tagen auf unsere Höfe ein Flugblatt kam, in dem als Herausgeber angegeben wird: „Vorstand der SPD, Bonn; Redaktion: Wolfgang Jansen". Aber dann ist Ihr Bild darin.
— Ich muß Ihnen sagen — jetzt möchte ich im rheinischen Dialekt antworten —: „Dat is ein außerordentlich jutes Bild! Aus welchem Jahrgang stammt et denn?"
In diesem Flugblatt machen Sie uns — weniger der FDP als vielmehr der CDU/CSU — einige Vorwürfe. Überschrift: „Minister zurückgetreten, fünfzig Abgeordnete legten Mandat nieder, Regierung gestürzt, EWG-Vertrag zerrissen." Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe vorhin mit einem der führenden Agrarpolitiker gesprochen; der hat sich das im einzelnen durchgelesen und ist zu dem Ergebnis gekommen: Das sind alles ausgesprochen alte Kamellen, wie man zu sagen pflegt.Weiter muß ich auf die letzte Seite eingehen. Da schreiben Sie: „Das Schicksal meistern! 1. Im Wettbewerb müssen alle die gleichen Chancen haben. 2. Die indirekten und direkten Exportbeihilfen, die die Landwirtschaft anderer Länder begünstigen, müssen beseitigt werden. . . . 6. Ein langfristiges Strukturprogramm muß aufgestellt und seine Finanzierung gesichert werden. 7. Die Investitionen in den Betrieben müssen gefördert werden. 8. Zur Unterstützung der Investitionstätigkeit müssen in ausreichendem Umfange Kredite zu bevorzugten Zins- und Amortisationsbedingungen bereitgestellt werden." Ich habe einmal die Agrarpolitischen Rundbriefe der FDP durchgelesen und habe festgestellt, ,daß wir vor gut einem Jahr dasselbe gesagt haben.
Ich kann nur zu einer bestimmten Schlußfolgerung kommen; die möchte ich hier allerdings nicht aussprechen. Ich sage deswegen in diesem Falle: „Zwei Seelen und ein Gedanke!"Ich sollte aber noch etwas Weiteres sagen. Sie haben vorhin die Verteilung der 380 Millionen DM erwähnt. Sie vertreten den Standpunkt, daß diese
Metadaten/Kopzeile:
8094 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Wächter380 Millionen DM in einen besonderen Fonds bei der Rentenbank übergeleitet werden sollten. Ich darf Sie daran erinnern, daß die 380 Millionen DM von der Bundesregierung speziell auf Grund der Vorstellungen des Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes bereitgestellt worden sind. Dieser hatte zunächst als eine Direkthilfe die Abschaffung des Lastenausgleichs und eine entsprechende Reduzierung der Grundsteuer gefordert. Sie wissen, daß dagegen Bedenken bestehen, und so ist man eben einmalig zunächst zu diesem Ergebnis gekommen. Mein Kollege Reichmann wird Ihnen das wahrscheinlich heute noch näher vortragen.Lassen Sie mich aber jetzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu dem eigentlichen Grünen Bericht kommen.Der Grüne Bericht und der Grüne Plan müssen unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, daß die deutsche Landwirtschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft das größte und — das sollte ich hier mit allem Nachdruck sagen — auch das vorzeitigste Opfer bringen muß. Daran sind wahrlich die deutschen Bauern von heute nicht schuld.Wird nun der Grüne Bericht seiner Aufgabe gerecht? Ich bin der Meinung, daß man diese Frage hundertprozentig bejahen kann. Diese Feststellung verpflichtet mich, Ihnen, Herr Minister, Ihrem Herrn Staatssekretär, allen Herren Ihres Hauses, den nachgeordneten Dienststellen — dabei denke ich an die Landwirtschaftskammern und an die Kreislandwirtschaftsämter — und darüber hinaus auch den Inhabern der 8000 Testbetriebe unseren besonderen Dank auszusprechen. Nach meinen jetzt dreijährigen Feststellungen wird das im Grünen Bericht gegebene Material an allgemeinen Hinweisen, Vergleichen, Beweisen von Jahr zu Jahr erschöpfender und präziser. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, daß der Grüne Bericht in der Zwischenzeit ein unentbehrliches Handwerkszeug eines jeden Agrarpolitikers sein sollte.Solche positiven Feststellungen entbinden uns natürlich nicht davon, uns mit dem Grünen Bericht auseinanderzusetzen, ergänzende positive Vorschläge zur weiteren Vervollständigung zu machen und selbstverständlich die Ergebnisse zu analysieren und daraus unsere Schlüsse zu ziehen.In welcher Richtung sind Vorschläge zu machen?Zunächst glaube ich sagen zu können, daß das Ergebnis der Testbetriebe deswegen kein vollkommen objektives Bild von der die Wirklichkeit der durchschnittlichen Ertragslage der Landwirtschaft abgibt, weil zwangsläufig als Testbetriebe nicht Betriebe genommen werden, die an der unteren Grenze liegen. Entscheidend ist aber auch — so ist es jedenfalls in meinem Kammerbezirk —, daß die Testbetriebe deswegen jährlich steigende Ergebnisse zeigen, weil die Betriebsinhaber zweimal im Jahr zusammengezogen werden und ihnen die Ergebnisse ihrer Betriebe vorgelegt und zu den Durchschnittsergebnissen in Vergleich gestellt werden. Zusätzlich finden dann betriebswirtschaftliche Vorträge statt. Diese wirken sich nachweisbar außerordentlich positiv aus. Deswegen sollte man die Ergebnisse der Testbetriebe bei der Betrachtung derSteigerung des Vergleichslohnes nicht überbewerten.Weiterhin wird, so meinen wir, der prozentuale Anteil der verschiedenen Betriebsgruppen in der Zahl der getesteten Betriebe nicht sichtbar. Das mag aus der Feststellung hervorgehen, daß beispielsweise im Lande Niedersachsen 65 getestete Zuckerrübenbaubetriebe 130 getesteten Futterbaubetrieben gegenüberstehen, obwohl flächenmäßig die letzten die ersten um ein Vielfaches übertreffen.Ich sollte hier auch — darauf ist vorhin schon der Kollege Schmidt eingegangen — den Wunsch nach einem zeitigeren Erscheinen des Grünen Berichts und des Grünen Plans zum Ausdruck bringen. Hier vertreten wir den Standpunkt, daß die Vorlage auf den 15. Dezember eines jeden Jahres vorgezogen werden und die Verabschiedung des Grünen Plans noch vor Weihnachten erfolgen sollte. Wir dürfen annehmen, daß unsere Begründung, der Grüne Plan sollte für die Haushaltsberatungen zur Verfügung stehen, von Ihnen allseitig anerkannt wird.Wir können uns nicht den Standpunkt des Bundeslandwirtschaftsministers zueigen machen, daß der Grüne Plan nach der Vorschau des Grünen Berichts vorgelegt werden sollte. Wir meinen, daß bei einem solchen Vorgehen keine konkreten Unterlagen für die Haushaltsberatungen aller beteiligten Stellen zur Verfügung stehen. Besser ist also nach unserer Meinung die Vorverlegung auf den 15. Dezember. Diese Vorverlegung erscheint auch deswegen möglich, weil der Grüne Bericht bekanntlich schon Anfang Dezember fertig ist.Diesen Vorschlägen möchten wir eine Kritik anschließen. Wir bitten darum, den Grünen Bericht und den Grünen Plan nicht schon vor Unterrichtung des Parlaments zu veröffentlichen. Wir haben volles Verständnis für den Wissensdurst der Presse, glauben aber einen ebenso berechtigten Anspruch wie diese auf Information zu haben.Ich bitte Sie nun, Herr Minister, Ihrerseits Verständnis dafür zu haben, wenn wir erneut für eine Verbesserung des Grünen Berichts durch einen verbesserten Lohnvergleich eintreten. Ich erinnere mich noch sehr genau Ihrer ablehnenden Haltung im letzten Jahr. Sie sollten unseren Standpunkt auch unter dem Gesichtspunkt sehen, daß sich in der Zwischenzeit die Arbeitszeit in der Industrie sehr wesentlich verkürzt hat. Wenn Sie, Herr Minister, den Grünen Bericht auf Seite 45 nachlesen, können Sie feststellen, daß die Notwendigkeit unserer Forderung von Ihrem Hause bejaht wird. Zudem wollen Sie bitte bedenken, daß die abwandernden Arbeitskräfte ihren neuen Arbeitsplatz weniger in den gewerblichen Betrieben auf dem Lande als in der benachbarten Industrie suchen. Der Lohnunterschied zwischen den gewerblichen Betrieben auf dem Lande und der benachbarten Industrie beträgt aber nach dem Grünen Bericht 17 %, und daraus entsteht die Unzufriedenheit.In diesem Zusamenhang möchte ich auf den Antrag meiner Fraktion auf Drucksache IV/2653 hinweisen. Mit diesem Antrag fordern wir insbesondere, die volle Bewertung der Arbeitsleistung der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8095
WächterBauersfrau mit zur Berechnung heranzuziehen. Hier in diesem Hohen Hause, Herr Minister, sind so viele Lobreden auf die Einsatzbereitschaft und auf die Tüchtigkeit der deutschen Bauersfrau gehalten worden, daß diese Einsatzbereitschaft und Tüchtigkeit auch entsprechend honoriert werden sollte.Lassen Sie mich abschließend zu diesem Teil meiner Ausführungen der Bundesregierung noch eine Empfehlung mit auf den Weg nach Brüssel geben. Unser Grüner Bericht sollte allen anderen EWG-Staaten als Beispiel für eine Verbesserung der agrarpolitischen Unterlagen dienen. Das scheint uns für die Beurteilung der Marktversorgung, der Agrarstruktur und des EWG-Finanzierungs- und Ausrichtungsfonds innerhalb der EWG wichtig zu sein.Ich darf mich jetzt analysierend mit den Ergebnissen des Grünen Berichts auseinandersetzen. Dabei ist es eine Selbstverständlichkeit, daß ich nicht auf die Vielzahl aller Probleme eingehen kann.Das Kernstück des gesamten Grünen Berichts ist zweifellos die Disparität des landwirtschaftlichen Einkommens gegenüber dem vergleichbarer Berufe. Das Problem der Einkommensparität ist bekanntlich in allen Industrieländern aktuell. Die Wege, dieser Disparität zu begegnen, sind allerdings unterschiedlich.Gewiß ist es erfreulich, daß die Disparität im Berichtsjahr von 29 auf 21 °/o zurückgegangen ist. Das ist relativ gesehen der niedrigste Stand seit dem Inkrafttreten des Landwirtschaftsgesetzes. Aber hier meinen wir, mit aller Deutlichkeit darauf hinweisen zu sollen, daß dafür drei Faktoren entscheidend sind: zunächst einmal — und das ist das Wesentlichste — ein außerordentlich günstiger Witterungsverlauf, zweitens steigende Weltmarktpreise und nach unserer Überzeugung erst an letzter Stelle die Auswirkungen der Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft.Deswegen gibt die an sich erfreuliche Entwicklung vorläufig — das möchte ich mit aller Deutlichkeit unterstreichen — noch keine Veranlassung zu einem Daueroptimismus. Auch sollten wir uns nicht scheuen, die Gesamtdisparität anzusprechen, die unter Zugrundelegung des Jahreslohnvergleichs bei drei Milliarden DM liegt. Wenn aber der Stundenlohn nach unseren Vorstellungen zugrunde gelegt werden würde, wäre die Disparität sehr viel größer. Drei Milliarden DM und noch mehr werden also der deutschen Landwirtschaft vorenthalten, auf die sie Anspruch hätte, wenn sie nach den gleichen Grundsätzen behandelt werden würde wie die übrige Wirtschaft.Dabei steht sie unter folgenden belastenden Momenten: Erstens dem Zwang zu einer ständig wachsenden Mechanisierung, die auch unter dem Druck der ständigen Veränderung der Wirtschaftsweise steht. Wir halten mit 1,6 PS Schlepperbesatz pro Hektar den absoluten Weltrekord; das weist der Grüne Bericht ,aus. Zweitens resultiert 'daraus die Notwendigkeit zu immer fortschreitender Intensivierung, um die ständig steigenden Unkosten auf einevermehrte Produktion zu verteilen. Wir haben in zehn Jahren die Mechanisierung nachgeholt, für die andere 30 Jahre benötigten.Demgegenüber steht ,die bange Frage, die allerdings in den beiden letzten Jahren nicht so aktuell war: Wo ist die Grenze der Produktionssteigerung vom Markt her gesehen, damit diese uns nicht selbst ins Gesicht schlägt? Noch beträgt der Anteil der inländischen Erzeugung am Gesamtverbrauch 69 %. Das letztere ist ein Kapitel, auf das ich später noch einmal eingehen will. Der Grüne Bericht zeigt, daß der Kapitaleinsatz in der Landwirtschaft ständig steigt und — auf die Arbeitskraft berechnet — höher liegt als in der Industrie. Dabei ist bekannt, daß das eingesetzte Maschinenkapital gegenüber der Industrie durch den nur zeitweisen Gebrauch der Maschinen mit erheblich höheren Unkosten belastet ist. Zudem sind die Preise für landwirtschaftliche Betriebsmittel, verglichen mit den Erzeugerpreisen, um gut das Doppelte gestiegen.Der ständige Rückgang der Arbeitskräfte, der aus der verstärkten Mechanisierung resultiert, zeigt sich in den letzten Jahren mit 4,5 % konstant. Demgegenüber steht die Zunahme in der übrigen Wirtschaft mit 0,4 %. Besorgniserregend ist die Analyse über den Rückgang der in der Landwirtschaft Beschäftigten bis 1972, der bei den 15- bis 70jährigen bei 14 % und bei den 20- bis 65jährigen sogar bei 20% liegt. Zweifellos ist das mit eine Folge der sich ständig abzeichnenden Verkürzung der Arbeitszeit für Industriearbeiter bei steigenden Bruttoverdiensten. Andererseits ist es erfreulich, eine Verjüngung der überalterten Betriebsleiter festzustellen. Dies ist sicher ein Erfolg der landwirtschaftlichen Alterskasse, die es ermöglichte, daß die jüngeren Bauern früher zum Zuge kommen.Die Allgemeinheit merkt wenig davon, daß unrentable Betriebe bzw. solche, deren Inhaber aus anderen Gründen ihren Betrieb verlassen, ausscheiden. Sicher ist in vielen Fällen die Lage der kleinen Betriebe drückender als die der größeren Betriebe. Das weist auch der Grüne Bericht aus. Manchmal ist aber — und darauf sollte ich doch, meine ich, hinweisen — die finanzielle Situation der kleineren Betriebe nicht ungünstiger. Dies resultiert allerdings aus 'einer starken Einschränkung der eigenen Lebensbedürfnisse, der Ausnutzung aller Möglichkeiten im Betrieb und der Sorgsamkeit, mit der die anfallende Arbeit erledigt wird.Werfen wir noch einen Blick auf die Herkunft .der eingeführten Nahrungsmittel. Für 4,3 Milliarden DM beziehen wir Nahrungsmittel aus den EWG-Ländern und für 7,4 Milliarden DM aus dritten Ländern. Bei beiden Gruppen zeichnet sich eine steigende Tendenz ab, die allerdings sehr unterschiedlich ist. Bei den EWG-Ländern sind es 84 % und bei den Drittländern 20 %. Dabei stellen wir uns doch unwillkürlich die Frage, ob diese Steigerung in den nächsten sieben Jahren in demselben Tempo oder noch verstärkt weitergehen wird. In der Bundesrepublik liegt nämlich die Eigenerzeugung in der Veredelungswirtschaft bei Schweinen immerhin bei 100 %, bei Butter bei fast 100%, während wir bei
Metadaten/Kopzeile:
8096 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Wächterden Eiern im letzten Jahr eine Steigerung von 60 auf 80 % zu verzeichnen hatten. Dabei — das ist jedenfalls die Äußerung von Professor Hallstein — darf die EWG in der Lebensmittelerzeugung nicht autark werden, weil auch dieser Raum hochindustrialisiert ist rund sich deswegen nach seiner Meinung die Kompensationsmöglichkeiten für Industriegüter mit Nahrungsmitteln aus Drittländern nicht verbauen darf. Hieraus ergeben sich weitere Schlußfolgerungen, auf die ich später noch einmal eingehen werde.Auch die Entwicklung des Fremdkapitals, also der Schulden, bedarf der Erwähnung. Immerhin stiegen die Schulden in den letzten Jahren um 1,1 Milliarde DM jährlich; sie haben die beachtliche Höhe von rund 17 Milliarden DM erreicht. Ihnen standen in den letzten Jahren Nettoinvestitionen in der Höhe des Anwachsens der Schulden gegenüber. Die Steigerung der Verkaufserlöse und die Zinsleistungen haben sich fast gleichmäßig bei wenig veränderten Zinssätzen nach oben entwickelt. Die kurzfristigen Kredite haben noch immer den beachtlichen Anteil von 33% bei schwach rückläufiger Entwicklung. Deswegen fordern wir Freien Demokraten eine verstärkte Konsolidierung aller Altschulden - ein uraltes FDP-Anliegen — und eine Zinsverbilligung auf den Stand der anderen EWG-Länder.Ich sagte einleitend schon, daß man nicht alle in der Fülle des Grünen Berichts enthaltenen Probleme, so wichtig sie auch im einzelnen für das Gesamtbild sein mögen, hier behandeln kann.Lassen Sie mich jetzt zu einigen wichtigen agrarpolitischen Fragen kommen, die an sich außerhalb des Grünen Berichts liegen, aber für die zukünftige Gesamtsituation der Landwirtschaft von eminenter Bedeutung sind. Die wichtigsten Einzelposten innerhalb der landwirtschaftlichen Produktion bilden in allen Ländern der EWG mit Ausnahme von Italien bekanntlich die Milch und die Milchprodukte. Die Bundesrepublik erzeugt bei einem Bestand von 5,9 Millionen Kühen rund 20 Milliarden kg Milch mit einem Erlös von fast 4 Milliarden DM. Die durchschnittliche Qualitätsprämie beträgt 5,88 Pf und macht insgesamt einen Betrag von 1 Milliarde DM aus. Wir Freien Demokraten verweisen darauf, daß unser derzeitiger Antrag auf Erhöhung des Trinkmilchpreises unter Einbeziehung des Werk-Trinkmilchausgleichs der deutschen Landwirtschaft einen zusätzlichen Betrag von 130 Millionen DM bringt. Für die künftige Situation sehen wir die Erhaltung des Milchpreises unter Berücksichtigung der jetzigen Verhältnisse und der Preis-Kosten-Relation auch über das Jahr 1970 hinaus als unbedingt erforderlich an. Gerade die Einnahmen aus der Milch sind für die klein- und mittelbäuerlichen Betriebe die entscheidende Einnahmequelle. Jeder anderen Preisentwicklung, falls sie nach unten zielen sollte, werden wir Freien Demokraten uns mit aller Energie entgegenstellen. Vorläufig steht die Erklärung der Bundesregierung im Raum, daß die Qualitätsprämie in voller Höhe bis 1970 erhalten bleibt. Sollte sich eine andere Entwicklung anbahnen, ist es Pflicht der Bundesregierung, nach allen Möglichkeiten zu suchen, dieser mit allen Mitteln zu begegnen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher?
Bitte.
Herr Kollege Wächter, da Sie gesagt haben, daß vorläufig die Erklärung der Bundesregierung im Raum steht, daß die Prämie bis 1970 erhalten bleibt, frage ich: Sind Sie sich darüber im klaren, daß neuerdings doch eine echte Möglichkeit besteht, daß das schon 1967 nicht mehr der Fall sein wird?
Darauf komme ich gleich noch im Laufe meiner Ausführungen.
Die deutsche Milchwirtschaft darf nicht der belastenden Situation ausgesetzt sein, daß nach 1970 —bzw. .schon vorher, Herr Kollege Dröscher — die Preisentwicklung durch einen Abbau der Milchprämie rückläufig wird. Hier gilt es, Herr Kollege Dröscher, rechtzeitig vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen bzw. nach Auswegen zu suchen. Hierfür bieten sich mancherlei Möglichkeiten an, insbesondere auch auf dem Gebiet der Verbesserung der Molkereistruktur.
Herr Abgeordneter Wächter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ?
Bitte.
Herr Kollege Wächter, würden Sie die Fragen der Trinkmilchmarktordnung noch in diesem Jahr oder erst 1966 und später behandeln?
Die wollen wir doch sicher gemeinsam noch in 'diesem Jahr 'behandeln.Wir müssen 'diese nach unserer Ansicht eminent wichtige Frage auch unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Rinderbestände in der EWG und speziell in der Bundesrepublik sehen. Darauf ist vorhin schon mein Kollege Bauknecht eingegangen. Ich möchte deswegen die Dinge nicht noch näher beleuchten.Aber ich glaube, ich sollte noch eine andere Frage anschneiden, die für die deutsche Landwirtschaft, aber auch für ,die Landwirtschaft innerhalb der EWG eine ,entscheidende Bedeutung hat. Wir sind insbesondere den Kollegen der CSU dankbar, daß sie in der Frage der Begrenzung der Veredlungswirtschaft mit uns auf einer Linie liegen. Dabei kann man uns nicht den Vorwurf des Plagiats machen, weil wir unseren Antrag bereits 14 Tage früher eingereicht haben. Aber damit soll auch nicht von mir gesagt werden, daß ich einer anderen Seite diesen Vorwurf machen will; denn unsere Anträge unterscheiden sich in einigen Punkten.All die Erklärungen von berufener Seite, auch von der Bundesregierung und von diesem Hohen Hause, in der. Frage der Erhaltung der bäuerlichen Familienbetriebe werden doch abgewertet, ja, sie
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8097
Wächtersind platonisch, wenn in dieser Hinsicht nicht klare Verhältnisse zum Schutz der bäuerlichen Familienbetriebe geschaffen werden. Nach der Senkung des Getreidepreises wird unser Anliegen noch bedeutungsvoller. Selbstverständlich muß unsere Forderung nach Schaffung eines einheitlichen Plafonds mit einer oberen Grenze von jährlich 800 Schweinen oder 5000 Legehennen in der bäuerlichen Veredlungswirtschaft und nach Lizenzierung der gewerblichen Betriebe unter dem Gesichtspunkt der EWG gesehen werden. Es sind unnatürliche Verhältnisse, wenn bei uns in der Bundesrepublik Berufsfremde, nicht etwa hauptberuflich, sondern aus Gründen welcher Art auch immer, mit Größenordnungen in die Veredlungswirtschaft einsteigen, die vor wenigen Jahren noch in das Reich der Phantasie gehörten.Aber auch in der bäuerlichen Veredlungswirtschaft muß der Ausdehnung nach oben Einhalt geboten werden. Es geht nicht an, daß sich in diesem Bereich durch ständige Flächenvergrößerungen, die fast ausschließlich über Zupachtungen erfolgen, Betriebsgrößen ergeben, die die Haltung von 100 000 Hühnern und mehr ermöglichen, und dabei Steuereinsparungen durch Fortfall der Umsatz- und Gewerbesteuer erfolgen, die ebenfalls eine beträchtliche Höhe einnehmen. Trotzdem werden gerade in diesen Betrieben alle Vorteile des Grünen Plans in einem Ausmaß wahrgenommen, bei dem sicher den klein- und mittelbäuerlichen Betrieben Beschränkungen auferlegt werden.Mit diesem Problem hat sich auch die DLG auf ihrer letztjährigen Wintertagung befaßt. Danach sind in den anderen EWG-Staaten erste Anzeichen für eine stärkere Vergrößerung der bäuerlichen und gewerblichen Veredlungsbetriebe vorhanden. Hierfür gibt es eine ganze Anzahl von Beispielen, die besonders auf diese Gefahren hinweisen. Denken Sie an die Beispiele in Amerika, wo es Veredlungsbetriebe in einer Größenordnung gibt, die für uns heute noch unvorstellbar ist, morgen aber schon für uns Wirklichkeit werden kann, wenn wir nicht bald innerhalb der EWG den Weg zu einer Begrenzung finden. Deshalb fordern wir alle, die guten Willens sind, auf, im Interesse der Erhaltung der bäuerlichen Familienbetriebe diesen Weg gemeinsam mit uns zu beschreiten.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Jedem von uns sind von der Zeit und auch von der Sache her, wenn auch nicht offiziell, Grenzen gesetzt. Eine Fülle von aktuellen Problemen ist von mir nicht erwähnt worden. Ich denke an die Anpassung des Marktes, an die außerordentlich wichtigen Entscheidungen, die am 15. April 1964 in Brüssel getroffen worden sind, an die Vorfeldbereinigung, die Verteilung der 380 Millionen DM, auf die ich soeben nur ganz kurz bei der Auseinandersetzung mit dem Kollegen Dr. Schmidt eingegangen bin. Diesen Katalog kann man um vieles ergänzen.Ich möchte von mir aus nur noch einmal den einmütigen Willen meiner Fraktion herausstellen: wir werden uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen wehren, daß die deutsche Landwirtschaft bei der Integration in den GemeinsamenMarkt weitere Schäden hinnehmen muß. Agrarpolitik ist für uns Freie Demokraten nun einmal ein Bestandteil der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Das sollte auch bedeuten: gleiche Chancen für die Bauern gegenüber anderen Berufen bei gleichen Leistungen. Agrarpolitik ist für uns Freie Demokraten auch Ernährungssicherungspolitik. Daran hat das ganze Volk ein ureigenes Interesse; es hat ähnliche Verpflichtungen wie gegenüber dem Bergbau. Agrarpolitik ist für uns Freie Demokraten aber auch eine entscheidende Frage der Gesellschaftspolitik, der wir uns besonders verpflichtet fühlen.
Uns liegt aus vielerlei Gründen an einem weitgestreuten Eigentum, auch auf dem Lande. Wir haben bislang unter Beweis gestellt, daß wir uns in unserer konsequenten Agrarpolitik nicht gern von anderen überflügeln lassen. Wir sind der festen Überzeugung, daß wir auch in Zukunft in dieser Hinsicht unsere bisherige Position halten werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Ehnes.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat, wie im Landwirtschaftsgesetz vom 5. September 1955 vorgesehen, den Grünen Bericht und im Zusammenhang damit den Grünen Plan 1965 diesem Hohen Hause fristgerecht vorgelegt. Bei Betrachtung der umfangreichen und sehr sorgfältig ausgearbeiteten Vorlage, die für jeden Landwirt nach meiner Auffassung eine Fundgrube für statistisches Material darstellt, ist festzustellen, daß wir mit der Agrarpolitik, die von der CDU/CSU seit dem Jahre 1949 ohne Unterbrechung hier in Bonn vertreten wird, auf dem richtigen Weg sind. Diese Feststellung möchte ich eingangs treffen.
Metadaten/Kopzeile:
8098 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8099
Metadaten/Kopzeile:
8100 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8101
Metadaten/Kopzeile:
8102 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
— Er will ein Marktstrukturgesetz, und wir wollen einen Marktstrukturfonds und ein Marktstrukturfondsgesetz schaffen, Herr Kollege Marquardt, das viel besser ausgestaltet sein wird als das kleine Gesetz, das Sie hier beantragt haben. Darüber werden wir uns in aller Kürze unterhalten. Gehen Sie aber bitte mit, wenn es darum geht, entscheidende Positionen in den Markstrukturfonds einzubauen; denn nur das ist die Garantie einer marktgerechten Versorgung der Bevölkerung und eines gesicherten Einkommens der deutschen Landwirtschaft in der Zukunft.Ich muß aber auch noch kurz darauf eingehen, Herr Kollege Dr. Schmidt, daß Sie von einem Fiasko gesprochen haben und sich bereits kurze Zeit später bewogen fühlten, dem selbst zu wiedersprechen. Sie haben von einem Fiasko der Agrarpolitik gesprochen und genau zehn Minuten später — ich habe auf die Uhr geschaut — haben Sie erklärt: „Unsere Betriebe sind einem fairen Wettbewerb gewachsen."
Wenn unsere Betriebe einem fairen Wettbewerb gewachsen sind, dann nur deswegen, weil die Bundesregierung und die Länderregierungen die Voraussetzungen geschaffen haben, daß unsere Betriebe auch im europäischen Konkurrenzkampf bestehen können, und nicht deswegen, weil man Kritik geübt hat, ohne Vorschläge zu machen.
Diese Art, Herr Kollege Dr. Schmidt, muß zurückgewiesen werden. Ich glaube, daß der gemeinsame Weg vorzuziehen ist gegenüber einer Polemik, die hier zutage getreten ist.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Mittagspause eintreten, habe ich noch bekanntzugeben, daß der Staatssekretär des Auswärtigen Amts im Nachtrag zu seiner Beantwortung der Frage des Abgeordneten Hirsch in der heutigen Fragestunde ein Schreiben an den Präsidenten des Hauses gerichtet hat, das eine teilweise Berichtigung seiner Ausführungen darstellt. Ich nehme an, wir nehmen das Schreiben zu Protokoll *).
Ich unterbreche die Sitzung bis 15.00 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren in der Beratung des Punktes II der Tagesordnung, Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft, fort. Das Wort hat der Abgeordnete Frehsee.
— Sie kommen etwas spät, aber — —
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Haus hatte sich gestern interfraktionell darauf geeinigt, daß wir heute um 15 Uhr mit der zweiten Beratung des Einzelplans 04 des Bundeshaushalts anfangen. Wir müssen daher die Beratung des Agrarhaushalts und des Grünen Berichts unterbrechen. Ich bitte, Herr Präsident, zunächst, wie zwischen den Fraktionen abgesprochen, den Einzelplan 04 aufzurufen.
Gegen Verabredungen der Fraktionen ist selbst der amtierende Präsident machtlos. Wir werden also so verfahren, wie die Fraktionen vereinbart haben.Wir kommen zu Punkt III der Tagesordnung:Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsahr 1965 (Drucksache IV/2500); Berichte des Haushaltsausschusses (13. Ausschuß).Ich rufe die einzelnen Berichte des Haushaltsausschusses 'auf, und zwar zunächst:Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes .Das Wort hat der Herr Bundeskanzler, *) Siehe Anlage 2
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8103
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn der Aussprache zum Einzelplan des Bundeskanzleramts möchte ich zu einigen außenpolitischen Fragen, vor allem zur Lage in Nahost, Stellung nehmen.Lassen Sie mich zunächst erklären, daß gerade auch in diesem Problemkreis unserer Politik unser Vorgehen von der Wahrnehmung deutscher Interessen bestimmt wird. Das mag selbstverständlich erscheinen; aber es zu betonen scheint notwendig, weil im Ablauf der 'Ereignisse — jedenfalls nach vielen schriftlichen und mündlichen Äußerungen — dieser oberste Grundsatz unterzugehen droht.Manches Verkennen der Lage ist verständlich; denn im Nahen Osten überschneiden sich politische Kraftlinien verschiedenster Richtungen und unterschiedlichen 'Gewichts. Um so entscheidender ist es, daß die Bundesregierung und die politisch verantwortlichen Kräfte in Deutschland in diesen Fragen soweit nur immer möglich eine gemeinsame Haltung bezeugen. Achten wir dabei nicht so sehr auf den Beifall oder das Mißfallen des Tages, sondern seien wir uns bewußt, daß wir durch eine Gewitterzone hindurch müssen, in der wir vor schwierige Situationen gestellt sein werden, wir alle, meine Damen und Herren!Es sind drei Tatsachen, an denen die deutsche Politik gerade auch im Nahen Osten nicht vorbeigehen kann: Unser Verhältnis zu Israel und zur gesamten jüdischen Welt ist nach wie vor von der Tatsache einer tragischen und noch nicht vergessenen Vergangenheit überschattet. Dann ist es die Spaltung unseres Vaterlandes, die von der sowjetischen Politik zunehmend — gerade auch von den neuen Machthabern — dazu mißbraucht wird, um ihr Satrapenregime in Pankow in der nicht gebundenen Welt politisch hoffähig zu machen. Hinzu kommt die zunehmende Zerklüftung der Welt in eine Fülle gegensätzlicher, verfeindeter oder sich mißtrauender Kräfte, die die deutsche Politik vor noch schwierigere Aufgaben als in der Vergangenheit stellt.1. Die Spannungen mit Ägypten sind nicht entstanden, weil Deutschland Israel Waffen lieferte, sondern weil die Regierung in Kairo, die mit kommunistischer Hilfe selbst in einem unerhörten Maße aufrüstete, Ulbricht einlud. Israel hat bekanntlich von vielen Seiten militärische Ausrüstung erhalten. Wegen eines Teils unserer so gearteten Hilfe, die wir in einer Ausnahmesituation gewährten und in der wir uns in Übereinstimmung mit unseren Alliierten befanden, sind nun Schwierigkeiten aufgetreten. Sie kennen die Stellungnahme des israelischen Ministerpräsidenten Eschkol, die er in der Knesseth abgab. Wir haben wohl Verständnis für die Lage Israels, und wir werden uns weiter um ein gutes Verhältnis zu diesem Land und zum jüdischen Volk bemühen. Niemand kann aber auch bestreiten, daß wir aus dem Gefühl einer tiefen moralischen Verpflichtung außerordentliche Leistungen erbracht haben.
Die Bundesregierung hat sich gleichzeitig um eine Normalisierung der Verhältnisse im Nahen Ostenbemüht. Den arabischen Staaten gegenüber konnten unsere Beziehungen auf eine lange Tradition nie getrübter Freundschaft gestützt werden. Unsere Beziehungen zu Israel hingegen waren auf das schwerste belastet. Deutschland stand und steht unter der Schuld, die ihm das Dritte Reich aufgebürdet hat. Dem Frieden wäre ein guter Dienst geleistet worden, wenn die arabischen Staaten, deren stolze Geschichte viele Beispiele von Größe und Edelmut aufweist, die Ehrenschuld des deutschen Volkes gegenüber den Juden besser verstanden und ihrer Tilgung durch die Bundesrepublik nicht ständig Schwierigkeiten in den Weg gelegt hätten.
Wir schulden niemandem eine Erklärung für unsere Unterstützung Israels im Ringen um seine Existenz. Wir schulden aber auch niemandem den Verzicht auf das Leben unserer Nation. Unsere Sympathien für unsere ehemaligen jüdischen Mitbürger gründen sich auf eine jahrhundertealte Schicksalsgemeinschaft. Die Wiedergutmachung dessen, was in den 12 Jahren nationalsozialistischer Herrschaft geschah, ist für uns Deutsche ein Wert, den wir um unseres eigenen Friedens willen ohne Rücksicht auf politische Verhältnisse hoch einschätzen.
Ich verhehle nicht, daß ich von der Reaktion der israelischen Regierung auf unser Angebot enttäuscht bin. Wir haben unsere Leistungen an Israel stets als eine Pflicht verstanden; aber wir glaubten nach mehr als einem Jahrzehnt getreulicher Erfüllung Grund zu der Hoffnung zu haben, daß man in unserem Handeln unsere redliche Gesinnung anerkennen würde.
Wir haben keine eingegangene Verpflichtung einseitig aufgekündigt, sondern lediglich das Verlangen nach einer einvernehmlichen Ablösung einer restlichen Verpflichtung ohne materielle Benachteiligung Israels vorgeschlagen. Wenn von einem „Gesinnungswandel" und einem „moralischen Versagen" gesprochen wird, weil wir in einer schweren Konfliktsituation an das Verständnis Israels appellierten, so raubt man damit dem deutschen Volk die Hoffnung, daß es überhaupt möglich sein könnte, begangenes Unrecht durch Opfer wiedergutzumachen.
Der Bundestag und die Öffentlichkeit haben sich auch mit der Frage befaßt, wie weit die Ausrüstungshilfe für Israel und andere Staaten mit den Fraktionen erörtert worden ist. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen. Die Verantwortung für die Ausrüstungshilfe trägt die Bundesregierung. Sie hat wegen der politischen Bedeutung nach Abklärung mit den damaligen Vorsitzenden der Fraktionen von Brentano, Ollenhauer und Mende die Vertreter der Fraktionen des Hohen Hauses v o r ihren Ent-
Metadaten/Kopzeile:
8104 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhardscheidungen laufend unterrichtet und die Projekte wiederholt abgestimmt.
Was die Lieferungen an Israel angeht, so kam es im Jahre 1962 zu ersten Verhandlungen über ein längerfristiges Hilfsprogramm. In der Sitzung vom 28. März 1962 war im Haushaltsausschuß Einverständnis darüber erzielt worden, daß sich das Bundesverteidigungsministerium vor Inangriffnahme von Projekten der Ausrüstungshilfe mit je zwei Abgeordneten der Fraktionen verständigen solle. Nacheiner Besprechung, die das Verteidigungsministerium am 18. Juni 1962 mit den Herren Fraktionsvorsitzenden bzw. ihren Vertretern, den Abgeordneten Dr. Kliesing, Draeger, Erler, Diekmann und Schultz, führte, wurden folgende Abgeordnete seitens der Fraktionen benannt: für die CDU/CSU die Abgeordneten Dr. Kliesing und Leicht, für die SPD durch Schreiben des Abgeordneten Erler vom 20. Juni 1962 die Abgeordneten Dr. Mommer und Dr. Schäfer und für die FDP durch Schreiben des Abgeordneten Schultz vom 24. Juni 1962 die Abgeordneten Dr. Dehler und Dr. Emde.Diese Abgeordneten wurden in der Folgezeit über alle Vorhaben der Ausrüstungshilfe für Israel unterrichtet. Die erste Unterrichtung 'der als Vertreter der Fraktionen genannten Abgeordneten fand am 13. Dezember 1962 statt.
Anwesend waren die Herren Abgeordneten Dr. Kliesing und Leicht für die CDU, Dr. Schäfer und Dr. Mommer für die SPD. Da die Herren Abgeordneten der FDP an diesem Tage an der Besprechung nicht teilnehmen konnten, wurde die Unterrichtung am 17. Dezember 1962 nachgeholt.Weitere Unterrichtungen fanden in der Folgezeit statt, so am 5. Februar 1963, am 10. Februar 1964, am 30. Juni 1964, am 7. Oktober 1964 und am 10. Februar 1965.
Der Kreis der sechs Abgeordneten war ab Mitte Juni 1964 um je einen weiteren Vertreter jeder Fraktion, nämlich um die Abgeordneten Dr. Jaeger, Wischnewski und Freiherr von Mühlen, erweitert worden. Aus den Unterlagen ergibt sich, daß vor allem in der Besprechung am 20. Februar 1964 die politischen Aspekte des Hilfsprogramms für Israel erörtert wurden. Dabei wurde von allen Beteiligten erneut das Einverständnis zur Durchführung des Vorhabens zum Ausdruck gebracht.
Ich hielt mich für verpflichtet, diese Tatsachen dem Hohen Hause mitzuteilen.2. Wir haben der Sorge der arabischen Welt über die deutschen Waffenlieferungen an Israel unter Beachtung unserer Abmachungen mit Israel Rechnung zu tragen versucht. Über unsere Lebensfragen aber scheint sich die VAR hinwegsetzen zu wollen. Geordnete Beziehungen zwischen den beiden Völkern setzen gegenseitige Rücksichtnahme voraus.
Wir haben stets durch Taten bewiesen, wie ernst es uns um die Bewahrung einer alten Freundschaft ist. Darum haben wir ein Recht, zu fragen, wie es jetzt um den Beweis der ägyptischen Freundschaft steht. Wer Ulbricht als Staatsoberhaupt eines souveränen Volkes behandelt, paktiert mit den Spaltern der deutschen Nation.
Das ist ein feindseliger Akt; denn wer die Spaltung Deutschlands gutheißt, kann sich nicht länger einen Freund des deutschen Volkes nennen.
Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß sie zwei Dinge nicht hinzunehmen gewillt ist: die Zwangsherrschaft in der Zone und die widernatürliche Spaltung Deutschlands. Wer in der Welt das Recht der Selbstbestimmung des deutschen Volkes nicht anerkennt, sondern die unrechtmäßigen und unmenschlichen Zustände durch engere politische Beziehungen zu jenem Zwangsregime noch ausdrücklich sanktioniert, muß damit rechnen, daß die Bundesrepublik daraus, wie bereits erklärt, wirtschaftliche und gegebenenfalls darüber hinaus auch politische Konsequenzen zieht.
Ulbricht ist der Exponent jenes unmenschlichen Zwangsregimes in der Zone. Er ist von den Sowjets als Statthalter eingesetzt. Seine Stellung stützt sich auf die russischen Divisionen in der Zone. Präsident Nasser kann diese fragwürdige Politik Ulbrichts nicht unbekannt sein, und er kennt sie auch. Er muß wissen — und ich benutze diese Gelegenheit dazu, es noch einmal klarzustellen —, daß unsere Beziehungen zu Ägypten durch diesen Besuch aufs schwerste belastet werden. Wir werden unsere Wirtschaftshilfe einstellen. Politische Schritte behalten wir uns vor.Gleichzeitig aber möchte ich mit gleichem Nachdruck erklären, daß wir unsere Freundschaft zu jenen Staaten besonders pflegen werden, die für unsere nationalen Belange eintreten: das sind der Anspruch auf Selbstbestimmung und die Wahrung der Menschenrechte.
3. Ich glaube, daß es geboten erscheint, sich in diesem Hohen Hause und im deutschen Volke über die ernsten Belastungsproben klarzuwerden, denen sich unsere Deutschlandpolitik ausgesetzt sieht. Wir dürfen keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß wir dieser Gefahr mit aller Festigkeit begegnen werden. Es wäre sinnlos und unwahrhaftig, in wortreichen Entschließungen und Treuekundgebungen Bekenntnisse zur Selbstbestimmung und zur Wiedervereinigung abzugeben, wenn wir angesichts einer ernsten Anfechtung dieser Grundsätze und unseres Alleinvertretungsrechts zu resignieren oder gar zu kapitulieren bereit wären.
Wir müssen gerade in dieser in immer mehr Parteiungen zerfallenden Welt auf diesem Recht bestehen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8105
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. ErhardWenn uns jemand sagen wollte: Werft doch die sogenannte Hallstein-Doktrin über Bord!, so können wir nur antworten: Es geht hier nicht um einen Fetisch, sondern um das Leben und die Zukunft von 17 Millionen deutscher Menschen.
Es geht um die Grundlagen eines kommenden Friedens und um allgemeingültige sittliche Maximen, an denen wir auch um der übrigen an sie glaubenden Menschheit nicht rütteln lassen wollen.4. Die VAR, die die kommunistische Gefahr im Innern bisher erfolgreich bekämpft hat, kann nicht blind gegenüber den Folgen sein, die ein weiteres Vordringen des kommunistischen Blocks im Nahen Osten mit sich bringen würde. Nur zu dem Zweck, aus dem ganzen Nahostraum ein Pulverfaß zu machen, aber nicht etwa aus Liebe zu den Arabern, hat die Sowjetunion seit Jahren Milliardenwerte an Kriegsmaterial nach Ägypten eingeschleust. Es ist einfach nicht wahr, daß die in vergleichsweise geringem Umfang an Israel geleisteten deutschen Lieferungen eine Gefahr für die arabische Welt darstellen. Es trifft aber ebensowenig zu, daß eine Umwandlung der noch ausstehenden Reste in nichtmilitärische Leistungen die Verteidigungsfähigkeit Israels in Frage stellen wird. Im übrigen ist der von Ulbrichts Seite offen zur Schau getragene judenfeindliche Opportunismus ein schlechter Ersatz für die ehrliche Partnerschaft eines freien Volkes.5. Die Nachfolger Chruschtschows haben das Etikett „Entspannungspolitik" nur nach außen beibehalten. Ihre Maßnahmen im osteuropäischen Bereich und ihr Eingreifen in Südostasien lassen vielmehr vermuten, daß sie wieder zu einer offen imperialistischen Politik zurückkehren wollen. Sie wollen dabei offensichtlich das Anwachsen nationalistischer Tendenzen in manchen der neuen Staaten und die Gegensätze in weiten Teilen der Welt ihren Zielen nutzbar machen. Der Weltkommunismus hat auch seine militärischen Aggressionen zeitweilig verlagert. An anderen Stellen schürt er statt dessen mit arbeitsteiligen Methoden Unterwühlung, Bürgerkriege, Rassen- und Völkerverhetzung.Die Bundesrepublik Deutschland ist einen friedlichen Weg gegangen. Unter Entbehrungen und Opfern haben die Deutschen ihr Land wiederaufgebaut. Unter Entbehrungen und Opfern haben sie sich bemüht, Schulden abzutragen, die ihnen das „Dritte Reich" aufgebürdet hat. Unter Entbehrungen und Opfern haben sie aber auch jenen Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika geholfen, deren wirtschaftlich-technische Entwicklung noch in den Anfängen steht.Dieses redliche Verhalten der Deutschen gibt niemandem das moralische Recht zu Erpressungen oder Beschimpfungen. Die Bundesregierung wird mit aller Festigkeit und Entschlossenheit zu verhindern suchen, daß die gewaltsame Teilung unseres Vaterlandes zum Objekt politisch-wirtschaftlicher Spekulationen herabgewürdigt wird.
Wer den Deutschen die staatliche Einheit, Freiheitund Selbstbestimmung verweigert, kann von ihnenkeine Unterstützung in der Verfolgung eigener nationaler Ziele erwarten.Der Kommunismus in all seinen Spielarten spekuliert seit je auf die Uneinigkeit und den Zerfall der freien Welt. Er fühlt sich ermutigt, weil er heute statt der früheren geschlossenen Einheit des Westens gegensätzliche Gruppierungen und Auflockerungstendenzen zu erkennen meint. Die Gefahren werden um so größer, je weniger deutlich sich die Geschlossenheit des Westens repräsentiert und je mehr sich die kommunistischen Länder gerade dadurch zu neuen Aggressionen ermutigt fühlen.Ich will in diesem Zusammenhang gleichwohl der Erwartung Ausdruck geben, daß wir in den nächsten Wochen mit der Solidarität und Unterstützung unserer Verbündeten in der Deutschlandfrage und ihren Auswirkungen im Nahen Osten rechnen können. Wir vertrauen darauf, daß die guten Beziehungen innerhalb der freien Völker gefestigt und vertieft werden. Wir wollen das Unsere dazu beitragen getreu dem Deutschlandvertrag, dem NATO-Vertrag und all unseren anderen internationalen Verpflichtungen. Wir erwarten Solidarität und Verständnis für unsere Lage und Haltung bei allen Völkern, die guten Willens sind und denen gleich uns Selbstbestimmung, Freiheit und Frieden die höchsten Werte bedeuten.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es, daß der Herr Bundeskanzler zur Einleitung dieser Aussprache über seinen Haushalt zu den brennenden Fragen der Nahost-Politik Stellung genommen hat. Ich werde auf die Probleme der Gewitterzone, in der sich augenblicklich die deutsche Politik dort befindet, im Verlauf meiner Ausführungen zurückkommen.Jedermann wird verstehen, daß die Debatte über den letzten Haushalt des Bundeskanzlers in dieser Legislaturperiode Anlaß geben muß zu einer Rückschau auf die gesamte Politik in dieser Zeit. In mehreren Regierungserklärungen wurden viele Vorsätze verkündet, von denen aber nur wenige durchgeführt wurden. Trotz der 67 Seiten Pseudo-Erfolgsbilanz, die man vertrauenswürdigen Journalisten in die Hand gedrückt hat, wurden, unter dem Druck der Wahlen, einige Vorlagen unter Dach gebracht, manche darunter unausgereift und nicht frei vom Beigeschmack ,des Wahlgeschenks.Das gilt z. B. für die seit Jahren geforderte und versprochene, aber erst zum Wahljahr 1965 in Kraft gesetzte Senkung .der Einkommensteuer. Erst mit Blick auf die Wahlurne hat man die Auffassung korrigiert, daß Weihnachtsbezüge mit dem Beamtenrecht angeblich nicht zu vereinbaren seien.
Metadaten/Kopzeile:
8106 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
ErlerDas Schülergeld von 40 DM war ein überhastet eingebrachter Entwurf und entspricht nicht den Anforderungen an eine gründliche Ausbildungsförderung.
Die seit Jahren angekündigte Härtenovelle zur Rentenversicherung soll jetzt kurz vor Toresschluß im Hinblick auf die Wahlen verabschiedet werden. Jetzt wurden von der CDU/CSU zahllose neue Anträge eingebracht mit sechs verschiedenen Terminen des Inkrafttretens, zwischen 1957 und 1965. Die sogenannte Vorfeldbereinigung in der Landwirtschaft soll nach wie vor nach dem Gießkannensystem gestaltet wenden, wobei man lediglich die Löcher verschieden großgebohrt hat.
Dagegen hat sich harte Kritik in der Öffentlichkeit und bei weiten Teilen der Landwirtschaft selbst erhoben, die eine vernünftige Stärkung der Leistungskraft und der Wettbewerbsfähigkeit eindeutig der Berieselung mit Wahlgeldern vorziehen.
In vielen wichtigen Fragen blockieren sich die Mehrheitsparteien wechselseitig, so bei der Krankenkassenreform und bei der Vermögensbildung.
Es 'fehlt an klarer Führung. In der Sozialpolitik geht es zu, als hätten wir keinen Bundeskanzler.
Bei den Verjährungsfristen war der Kanzler nicht stark genug, für seine bessere Einsicht zu kämpfen.
Über die Einzelheiten hierzu wird ja demnächst nach Vorlage ides Berichtes der Regierung zu sprechen sein.
Von einer anständigen Regelung hängt das Vertrauen zur demokratischen Entwicklung Deutschlands ab.
Natürlich ist dabei nicht fremder Druck entscheidend. Wir müssen das eigene Haus in Ordnung halten.
Es wäre eine unerträgliche Belastung des Rechtsbewußtseins, wenn derjenige, der mit eigenen Händen gemordet hat, anders behandelt würde als derjenige, der dem anderen die Befehle gegeben hat.
Falls man sich auf Befehlsnotstand wie in vielen Prozessen berufen kann, dann muß die Frage gestellt werden, wer denn die anderen in jenen Befehlsnotstand hineingebracht hat; das kann doch nicht in allen Fällen Adolf Hitler persönlich gewesen sein.
Im Bereich der Innenpolitik sind große Aufgaben nicht angepackt worden, oder man ist weit hinter der Ankündigung zurückgeblieben. Vor allem gilt dies für die großen Gemeinschaftsaufgaben unserer Zeit, bei denen man ja den Sprachgebrauch der sozialdemokratischen Opposition übernommen hat.
—Sicher! Ich weiß, daß das weh tut. Sie meinen immer, wir hätten bei Ihnen abgeschrieben; ich könnte Ihnen einen ganz netten Katalog Ihres Abschreibens vorlegen.
Der Bildungsnotstand wurde zuerst aus Ihren Reihen bestritten, dann aber wurden die sich daraus ableitenden Aufgaben im Prinzip richtig beschrieben. Nur im Haushalt wurden keine Konsequenzen daraus gezogen. Im Forschungsbericht des Wissenschaftsministeriums hieß es:Aufgaben für Wissenschaft und Forschung sind die entscheidenden Investitionen für unsere Zukunft.24 Stunden später haben Koalitionsabgeordnete im Haushaltsausschuß den Antrag gestellt, die Ansätze zur Förderung wissenschaftlicher Einrichtungen und Hochschulen um 77 Millionen DM zu kürzen.
Unter diesen Umständen war der Protest des Wissenschaftsrats verständlich. Ein erheblicher Teil der Mittel ist der zusätzlichen Landwirtschafts-Milliarde zum Opfer gefallen.Meine Damen und Herren, es fehlt jener politische Impuls bei den Gemeinschaftsaufgaben, den nur die Spitze der Bundesregierung geben kann. Vorsitzender des Wissenschaftskabinetts müßte der Kanzler selbst sein. Die Zusammenfassung der Bundeszuständigkeiten im Wissenschaftsministerium ist immer noch nicht einwandfrei geregelt. Auch dort stellen wir bisher nur Flickwerk fest.Ähnlich sieht es bei der Gesundheitspolitik aus. Entscheidende Aufgabe dort ist das Vorbeugen gegenüber den bestehenden Gefahren, eine bessere Erziehung unserer Bevölkerung, die Veränderung der Umweltbedingungen.
Die Krankenkassenreform blieb auf der Strecke — nach mehr als elf Jahren!
Noch spukt die sogenannte Selbstbeteiligung in einigen Köpfen. Sie ist Ausdruck ungerechtfertigten Mißtrauens gegenüber einem fleißigen Volke und seinen Ärzten.
Statt die Menschen vom Arzt wegzuschrecken, mußman dafür sorgen, daß in bestimmten regelmäßigenAbständen ohne zusätzliche finanzielle Erschwer-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8107
Erlernisse ärztliche Überprüfung möglich gemacht, angeboten werden kann. Beim Automobil haben Sie alle den Nutzen der Inspektion längst begriffen, bei den Menschen offenbar noch nicht.
Natürlich muß man daraus auch Folgerungen ziehen, die der Gesunderhaltung dienen. Da darf ich daran erinnern, daß die Koalition auf einem wichtigen Gebiet, nämlich dem der Mütter- und Säuglingssterblichkeit, die Beratung des Entwurfs des sozialdemokratischen Mutterschutzgesetzes verzögert hat, das eine bessere Gesundheitsvorsorge für Mutter und Kind bringen sollte, und dann nach einjähriger Unterbrechung der Beratungen plötzlich einen eigenen Entwurf angekündigt hat.Zur Erziehung gehört der Sport. Der Bund erfüllt seinen Anteil am Goldenen Plan nicht. Zur Erziehung gehört auch eine bessere Aufklärung der Bevölkerung über die Gesundheitsgefahren unserer Zeit.Schließlich muß man, um dieser Gefahren Herr zu werden, die Umweltbedingungen verändern. Wie wurden die Sozialdemokraten 1961 verhöhnt, als sie sich einsetzten für eine Reinigung der Luft, für klares Wasser, für die Bekämpfung des Lärms.
Inzwischen hat die CDU auch Gesundheitskongresse abgehalten, um sich mit den Themen zu beschäftigen. Die Ergebnisse sind dürftig.
Ich erinnere an den Grundsatz des alten preußischen Gewerberechts, daß jemand, der mit seinen industriellen Anlagen erheblich viel Geld verdiente, angehalten werden sollte, die Kosten für die nach dem Stand der Technik möglichen Vorkehrungen zur Abwehr von Gesundheitsgefahren für seine Mitbürger zunächst einmal aus seiner Tasche zu bezahlen. Ich weiß, daß das zu einem großen Teil Sache der Länder ist. Aber es bleibt dann immer noch sehr viel für die öffentliche Hand, für die Gemeinschaft, übrig. Hier können nur Bund, Länder und Gemeinden zusammen arbeiten.An diesem Impuls, an der Bereitschaft des Bundes, sich hier entscheidend mit den anderen Beteiligten zusammenzusetzen, hat es bisher gefehlt. Das gilt auch für die Bekämpfung des Lärms durch Forschungsaufträge und Überlegungen z. B. bei der Kraftfahrzeugsteuer. Es war erschütternd, neulich die Gesundheitsministerin am Fernsehen den Ausspruch tun zu hören, sie könne nicht in drei Jahren die Versäumnisse von 15 Jahren aufholen.
— Meine Damen und Herren, wer hat denn in jenen 15 Jahren regiert, Sie eigentlich, oder jemand anders?
Bei der Raumordnung, die ein Stück Strukturpolitik ist, geht es um eine bessere Zuordnung als bisher von Arbeitsplatz, Wohnort, Erholungsmöglichkeit, kulturellem Mittelpunkt, Einkaufszentren, Verwaltungsmittelpunkt. Wir wissen genau, daß das keine Aufgabe ist, die in kurzer Zeit gelöst werden kann, weil wir in unserem dicht bevölkerten Land keine Städte auf die grüne Wiese bauen können. Um so wichtiger ist es, den Häutungsprozeß, in dem sich alle 30 Jahre eine moderne Industriegesellschaft verändert, allmählich in den Griff zu bekommen. Das erfordert langfristige Vorausschau. Einen ersten schüchternen Ansatz dazu macht das kürzlich verabschiedete Bundesraumordnungsgesetz; wesentlich ist Zusammenarbeit und nicht zentraler Befehl.Aber langfristige Strukturpolitik widerspricht nun einmal einigen Dogmen, die davon ausgehen, daß das Vorausdenken gewissermaßen das Monopol großer Privatunternehmen zu bleiben habe. Strukturpolitik ist auch der wirkliche Schlüssel für die Lösung unserer Landwirtschaftsprobleme. Es geht dabei auch um die Überwindung des regionalen Gefälles in der Wirtschafts- und damit auch in der Leistungs- und Steuerkraft in unserem Lande. Es geht um eine Erhöhung des Angebots an Ausbildungsmöglichkeiten und auch an nichtlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen auf dem Lande, damit Menschen sich ein menschenwürdiges Einkommen erarbeiten können, auch in anderen als landwirtschaftlichen Berufen Aufstiegschancen haben, ohne die Heimat verlassen zu müssen. Dazu gehört dann auch eine bessere Ausbildungsmöglichkeit für die in der Landwirtschaft verbleibende Bevölkerung, um sie fähig zu machen, unternehmerisch im Wettbewerb bestehen zu können.Das Städtebauförderungsgesetz — oft angekündigt — ist noch nicht eingebracht. Der Finanzminister scheut die Konsequenzen. Der Lücke-Plan hat angeblich nur gute Folgen gehabt. Wir können uns in den Sprechstunden vor seinen Opfern kaum retten.
Seitdem herrscht Unruhe im Lande.
— Meine Damen und Herren, verantwortlich für die Unruhe ist derjenige, der die Politik zu verantworten hat, und nicht derjenige, der darüber spricht.
Räumungsurteile sind sehr oft nicht einmal vollziehbar — was für den Betroffenen aber ein magerer Trost ist —, weil die Gemeinden gar nicht imstande sind, die entsprechenden Notunterkünfte zur Verfügung zu stellen.
Wir haben in Voraussicht dieser Entwicklung damals verlangt, die Termine hinauszuschieben. Damals wurde uns das abgelehnt. Nach den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen und vor der Bun-
Metadaten/Kopzeile:
8108 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Erlerdestagswahl ist bei Ihnen plötzlich die Einsicht in diese Zusammenhänge lebendig geworden.
Bei der Verkehrspolitik liegt eine Fehlanzeige vor für den intensiven Ausbau der Wasserstraßen, für die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen, für die Überwindung der Verkehrsnotstände in den Gemeinden und Großstädten, die ohne Bundeshilfe nicht behoben werden können. Geradezu unverständlich ist das Verhalten des Bundes — etwa nur als Beispiel — bei der kürzlichen Unterzeichnung der Abmachungen in München, wo ohne die Mitarbeit der Bundesbahn als einer Hauptinteressierten gar keine Lösung der dortigen U-Bahn-Probleme gefunden werden kann, wo dann der Bundesbahnpräsident von Bonn her zurückgepfiffen worden ist.Die Sanierung der Bundesbahn und der Bundespost — seit Jahren wird darüber gesprochen — wurde sträflich hinausgezögert. Deren Krankheiten sind nicht von heute, sondern sind seit vielen Jahren offensichtlich. Die Bundesregierung wurde erst durch eine halbe Konkurserklärung des Postministers aufgeschreckt, der ausgeführt hat: „In meinem Ministerium gehört kaum mehr ein Stuhl der Post" — weil zuwenig Eigenkapital und zuviel Schulden dort vorhanden seien.
Die Regierung wurde auch aufgeschreckt durch die Debatte über die Telefongebühren mit idem kläglichen Hin und Her der Regierung.
Bei der Bundesbahn wurde 'sie endlich alarmiert durch den steigenden Zuschußbedarf und durch radikale Stillegungspläne der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn. Die Sanierung ist seit langem angekündigt worden. Die sozialdemokratischen Vorschläge in der Vergangenheit wurden stets abgelehnt, z. B. bezüglich der Entlastung von betriebsfremden Aufgaben. Kürzlich hat beispielsweise ein Mann wie Herr Abs, der kein Mitglied der SPD ist, auf diesen Punkt noch einmal sehr deutlich aufmerksam gemacht. Jetzt erst befassen sich die Arbeitskreise der CDU/CSU mit „Initiativen". Wo bleibt eigentlich die von Ihnen getragene Regierung auf diesen Feldern?Auch die soziale Sicherheit weist noch erhebliche Lücken ,auf. Soziale Sicherheit macht frei, nicht unfrei, wie man manchmal hören kann. Freiheit von Not ist Bestandteil der Menschenwürde. Es kommt hier darauf an, die noch vorhandenen Lücken zu schließen.Ein schmerzliches Kapitel ist der Leidensweg der oft versprochenen Härtenovelle. Wir schleppen das jetzt zum zweitenmal durch eine ganze Legislaturperiode hindurch. Erst in der letzten Stunde fällt es Ihnen ein, weil Wahlen vor der Tür stehen.
Lange liegt die Zeit zurück, als man von Ihrer Seite Sozialpolitik aus einem Guß versprach.Meine Damen und Herren, Veränderungen am Arbeitsplatz verändern auch die Funktionen vonArbeitern und Angestellten. Daraus sind noch immer nicht die richtigen Konsequenzen gezogen worden. Wir wollen nicht nivellieren durch Wegnehmen, sondern Gleichberechtigung durch Anheben auf den besseren Stand.
Dies gilt vor allem für die arbeitsrechtliche Lohnfortzahlung auch 'an die Arbeiter. Das ist bisher von der CDU vor jeder Wahl versprochen und hinterher nicht gehalten worden. Grund dafür ist die Zerrissenheit der Koalition und sind die Flügelkämpfe in den Unionsparteien zu dieser Frage.Natürlich wissen wir, daß man dabei einen Risikoausgleich für Handwerks- und mittelständische Unternehmen schaffen muß.
— Sicher! Warum sind Sie eigentlich so erstaunt? Anscheinend haben die Herren, die sich jetzt hier mit ihrem Erstaunen bemerkbar machen, seit vielen Jahren die sozialdemokratischen Vorschläge dazu überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.
Statt der Besserstellung hat der Bundeskanzler sogar eine Schlechterstellung der Arbeiter versucht, nämlich durch Einführung einer Einkommensgrenze bei der Rentenpflichtversicherung der Arbeiter. Dies wurde in den Ausschüssen erfolgreich abgewehrt. Das hätte nicht nur den Arbeitgeberbeitrag auf die Arbeiter überwälzt, sondern Gefahren für die Altersversorgung selbst heraufbeschworen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Eher sollte man auch den Angestellten durch die Gestaltung der Versicherung den Anreiz geben, immer in der Versicherung zu bleiben. Das ist leider nicht durchgesetzt worden. Immerhin will man jetzt die Einkommensgrenzen erhöhen. Ein magerer Kompromiß!Meine Damen und Herren, der Schlüssel für die Gemeinschaftsaufgaben liegt selbstverständlich sowohl in der Reform der Finanzverfassung als auch bei der Finanz- und Steuerpolitik. Hierzu wird mein Freund Alex Möller im weiteren Verlauf der Beratungen ausführlich Stellung nehmen.
— Selbstverständlich, Sie werden es hören. Immer nur Geduld!Es ist der Regierung nicht gelungen, die Stabilität der Währung zu wahren.
Das Preisniveau ist weiter gestiegen.
Von der Erweiterung des konjunkturpolitischen Instrumentariums wurde nur gesprochen, sie wurde nicht durchgeführt. Die Koordinierung der Konjunkturpolitik auf internationalem Felde ist noch sehr unvollkommen. Das angekündigte konjunkturpolitische Rahmenprogramm liegt nicht vor. Hierzu gehören die Förderung des Leistungswettbewerbs und die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8109
ErlerVerhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht zu Lasten des Verbrauchers. Die angekündigte Verbesserung des Kartellgesetzes wurde nicht verwirklicht. Gegen die preistreibende Wirkung der Preisbindung der zweiten Hand wurde nichts unternommen. Die vorliegenden Ergebnisse der Konzentrationsenquete sind nicht, wie angekündigt, als Grundlage für Maßnahmen der Regierung benutzt worden.Die bisherige Politik der Vermögensbildung für einkommensschwache Bevölkerungskreise und für die Verstärkung der Sparfähigkeit dieser Einkommensschichten hat sich nach der Aussage des Bundesarbeitsministers selbst als Mißerfolg herausgestellt. Mit Ausnahme kleinerer Geschenke im Steueränderungsgesetz 1964 geschah nichts. Die geplante Form der Teilprivatisierung der VEBA dient diesem Zweck kaum. Sie hat wohl mehr mit der Bundestagswahl als mit dem Kapitalbedarf jenes Unternehmens zu tun.Die verschiedenen Sparförderungen sollten noch in dieser Legislaturperiode harmonisiert werden. Das wurde auf unbestimmte Zeit vertagt. Die Tariffähigkeit der Bestimmungen des Vermögensbildungsgesetzes ist in der Koalition immer noch umstritten.
— Ich stelle nur fest, wie das so ist. Die Unionsparteien schwenkten erst unter dem Druck des LeberPlans und des sozialdemokratischen Gesetzentwurfs
zum Herbst 1964, und zwar wohl auch im Hinblick auf die Bundestagswahl, ein. In der Vergangenheit wurden sozialdemokratische Anträge mit Ihren Stimmen abgelehnt entsprechend dem Grundsatz, daß man den linken Flügel der CDU vor den Wahlen vorzeigt und daß er nach der Wahl nichts zu sagen hat.
Zur Erfüllung des Grundgesetzauftrags zu einem Parteiengesetz hatte die Regierung 1961 eine Vorlage angekündigt, aber später keine eingebracht. Dafür gibt es jetzt einen Entwurf der Koalition, der höchstens als Maßanzug für die vom Staat zu großen Teilen ausgehaltenen Parteien CDU, CSU und FDP anzusehen ist. Dieser Maßanzug entspricht weder den Anforderungen des Grundgesetzes noch dem Grundsatz von der Unabhängigkeit der politischen Parteien.
Auf dem großen Gebiet der Vorsorge für Notfälle muß die Regierung endlich davon Kenntnis nehmen, daß die Sozialdemokraten aus demokratischer Verantwortung angesichts der Lehren unserer Geschichte einige Grundprinzipien nicht aufgeben können und nicht aufgeben werden. Es wird keine Neuauflage des Art. 48 der Weimarer Verfassung und infolgedessen kein Notverordnungsrecht für die Bundesregierung geben.
Darin steckt die Gefahr der Willkür. Wir sind unsdarüber einig, daß es keine Desertion des Parlaments wieder geben darf wie in der schmerzlichsten Zeit der Weimarer Republik. Wir erkennen die Notwendigkeit an, daß unter Umständen schnell Gesetze erlassen werden müssen. Deshalb unser Gedanke des Notparlamentes, falls der Bundestag nicht zusammentreten kann. Er weist den Vorteil auf, daß dann nicht ohne Opposition entschieden werden kann, während eine Übertragung an die Bundesregierung — ganz abgesehen davon, daß sie nach der Verfassung gar nicht zulässig ist, weil die Gewaltenteilung nicht aufgehoben werden kann — praktisch eine Übertragung nur an die jeweilige Regierungsmehrheit wäre.
— Warum haben Sie sich denn eigentlich vorher so aufgeregt, wenn Sie meinen, wir hätten keine Opposition?
Herr Kollege Rasner, wenn die Opposition in pflichtbewußter Weise ihr Amt der kritischen Wachsamkeit ausübt — ich komme noch darauf zu sprechen —, dann handelt es sich nach Ihrer Meinung um hämische Krittelei. Wenn die Opposition aus Verantwortung von Volk und Staat in manchen Fragen Zurückhaltung übt, auch in Fragen, für die Sie allein verantwortlich sind, dann heißt es nachher: Wir haben keine Opposition.
Zurück, meine Damen und Herren, zu den Fragen der Vorkehrungen für Notfälle! Es muß auch gesichert sein, daß mit allem, was dort geschaffen wird, kein Mißbrauch getrieben werden kann bei Arbeitskämpfen. Ein Notstand von Staat und Volk ist nur mit den Arbeitnehmern und ihren Organisationen überwindbar, nicht gegen sie.
Auch die Pressefreiheit darf nicht stranguliert werden. Die Meinungsfreiheit selbst bedarf überhaupt keiner Einschränkung. Das Wesentliche, worauf man sich verständigen können wird und muß, ist die Begrenzung der Informationsfreiheit in jenem Umfang, der in Krisenzeiten wohl auch von der Presse eingesehen wird.Meine Damen und Herren, ich fasse hier zusammen: Die Koalition hat keine Zweidrittelmehrheit. Sie sollte endlich davon Kenntnis nehmen, daß das durch noch so lange Beratungen nicht anders wird. Wenn dem Bundeskanzler an der Lösung dieser Fragen liegt, dann muß er bei seinen eigenen Freunden für eine vernünftige und sachgerechte Lösung eintreten. Daran scheint es bisher gefehlt zu haben.Im übrigen weise ich darauf hin, daß ich mich in einer Reihe dieser Fragen in sehr guter Gesellschaft befinde. So hat z. B. kürzlich der Kollege Dr. Steinmetz im „Handelsblatt" geschrieben:Das Parlament wird nicht bereit sein, lediglich im Interesse einer schnellen Verabschiedung der Gesetze in Kauf zu nehmen, daß unklare Formulierungen und zu weitgehende Eingriffe unsere Wirtschaftsordnung stören oder sogar8110 Deutsche Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965Erlerzerstören könnten, solange die direkte Aggression auf unseren Staat solche Maßnahmen nicht unbedingt erforderlich macht.Weiter schrieb dieser CDU-Abgeordnete:Es gilt, unsere freiheitliche und rechtsstaatliche Ordnung nicht schon wegen kleineren Krisen und im Zuge der Vorsorgemaßnahmen in Frage zu stellen.
Meine Damen und Herren! In seiner Regierungserklärung — der ersten — hat Bundeskanzler Erhard gute Grundsätze über das Verhältnis der Regierung, Regierungsmehrheit und Opposition zueinander verkündet. Er hat sich aber nicht danach gerichtet. Er ist den Weg gegangen vom Volkskanzler zum gelegentlich recht rücksichtslosen Machtgruppenkämpfer.
Im Bundestag hieß es — ich zitiere Professor Erhard —:Sie dürfen mir nicht unterstellen, daß ich — —
— Aber entschuldigen Sie, ich habe doch eben nur der Bitte des Kollegen Rasner entsprochen, endlich einmal zu zeigen, daß es eine Opposition gibt. Nun sind Sie auch wieder nicht zufrieden.
— Im Bundestag!
— Ja, Herr Kollege Rasner, ganz so viel Wahlreklame, wie Sie hier zu machen pflegen, kann ich beim besten Willen nicht zusammenbringen.
Sie müssen sich daran gewöhnen, daß bei der Haushaltsberatung die Gesamtpolitik der Regierung und ihrer Mehrheit zur Debatte steht, und davon werden Sie mich nicht abbringen.
Wir sollen ja hier schließlich abstimmen. Da muß man doch wissen, worüber eigentlich abgestimmt wird.
Im. Bundestag hieß es — ich zitiere Professor Erhard —:Sie dürfen mir nicht unterstellen, daß ich keine echte staatspolitische Befriedigung darüber empfinde, wenn wir uns in manchen Fragen nähergekommen sind.So weit Professor Erhard. Draußen im Lande wird diese doch wohl gegenseitige Annäherung in wichtigen Fragen als ein fluchwürdiges Verfahren bezeichnet, um sich die Macht zu erschleichen.Auf Parteitagen der Regierungspartei wird die Opposition beschuldigt, sich durch Mehranforderungen für jeden einzelnen Zweck lieb Kind zu machen,
und dann wird der schärfste Angriff gegenüber der Opposition zu einer nationalen Pflicht erklärt. Das sagte der gleiche Kanzler, der sich gegen finanzielle Anforderungen aus den eigenen Reihen offenkundig nicht genug zur Wehr setzt.
Er hat seinerzeit gegen die Verbesserung der Kriegsopferversorgung erbitterten Widerstand geleistet.
Bei der Landwirtschaftsdebatte war davon nichts zu spüren.
Dort wird Geld zur Verfügung gestellt, bevor man überhaupt weiß, wie die ganze Summe sinnvoll ausgegeben werden soll.
Gegen die Flut der Wahlanträge aus den eigenen Reihen spürt man keinen Widerstand. Von den Milliardenanträgen der Wirtschaft zum Steueränderungsgesetz sagt man nichts. Noch liegt auch der Antrag der 116 auf dem Tisch und stand erst in der letzten Woche friedlich auf der Tagesordnung des Lastenausgleichsausschusses. Er ziert die Beratungen des Hauses bis zum heutigen Tage. Und dann ist der Widerstand gegen die Opposition, meine Damen und Herren, „nationale Pflicht"! Die Opposition hat in der 'gesamten Legislaturperiode zusammen nicht .annähernd ein solches Volumen an Anträgen vorgelegt wie dieser eine Milliardenantrag aus den Reihen der Koalition allein.
Die Reden im Lande - und nun werden Sie vielleicht mein hartes Urteil doch etwas besser verstehen — klingen bis zu jenem Tiefpunkt der Geschmacklosigkeit, wonach im Jahre 1964 die SPD wohl „vom Heiligen Geist beschattet" werden sollte. Das kann man allenfalls einem Wahlkämpfer der fünften Garnitur durchgehen lassen; 'für den Regierungschef ist eine solche 'Sprache schlechthin unverständlich.
Dabei erhebt sich die Frage, ob dies die Ratschläge des Wahlkampfteams sind, das in das Bundeskanzleramt leingebaut worden ist. Die dortige Public-Relation-Mannschaft soll dm wesentlichen die persönliche Wahlkampfwerbung für den Kanzler betreiben. Deshalb ist der sozialdemokratische Antrag auf Kontrolle Ides Tit. 300 um so mehr gerechtfertigt.
Hierzu hat der Bundeskanzler am 2. September 1963 im Fernsehen selber gesagt — ich .zitiere —: „Ich muß Ihnen sagen, ich bin willens, einen Teil dieses ,Reptilienfonds' offenzulegen 'und der Kontrolle des Haushaltsausschusses zu unterwerfen." Von dieser
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8111
ErlerBereitschaft war bisher noch nichts zu spüren. Und warum nur einen Teil? Was hat denn da eine interne Kontrolle zu scheuen? Wo es um die Interessen des Staates geht, gibt es Möglichkeiten, die Kontrolle so zu gestalten, daß daraus kein Schaden erwächst. Es muß aber gesichert sein, daß öffentliche Mittel nicht zur Bekämpfung des politisch Andersdenkenden und damit für den Zweck einer politischen Partei mißbraucht werden.
Wenn der Bundeskanzler sein Wort einlösen will, müßte er dafür eintreten, daß der Antrag, den wir Ihnen vorgelegt haben, jetzt angenommen wird. Wir bitten Rum Annahme.Die Informationspolitik geht ohnehin seltsame Wege. Die Regierungsparteien setzen sich doch sonst für den Wettbewerb der Informationsmedien ein. Die Bundesregierung wehrt sich immer gegen Regiebetriebe und bekennt sich in der Theorie zur objektiven und sachlichen Unterrichtung. Allerdings hat sie schon einmal beim Fernsehen versucht — aber das war nicht die jetzige, sondern die frühere Regierung, wenn auch von 'denselben Parteien getragen —,
ein Regierungsunternehmen in privatwirtschaftlicher Form betreiben zu lassen. — Ich gebe zu, es war die CDU/CSU allein; mit Ihrem Widerspruch haben Sie recht. Aber 'dann müssen Sie bitte entsprechend Ihrer damaligen Haltung dafür sorgen, daß die Regierung ihre Absichten hinsichtlich der Wochenschau doch noch ändert.
Jetzt wiederholt sich das nämlich bei der Wochenschau. Sonst sind Sie für die Privatisierung; hier sind Sie für die Verstaatlichung.
Wenn eine Bank einen von einer Privatfirma gehaltenen Anteil an diesem Unternehmen erwerben will, erblickt die Regierung darin ein Unheil, nur weil ihr die Bank nicht genehm ist und weil dann vielleicht für etwas mehr Gleichgewicht gesorgt werden könnte.
Voller Angst kauft die Bundesregierung den entsprechenden Anteil selbst und hält damit das Unternehmen Wochenschau allein in ihrer Hand. Wozu eigentlich kaufen, wenn nach der Meinung des Staatssekretärs von Hase durch den Beirat sowieso alles zum besten bestellt ist? Durch den Erwerb einer Minderheitsbeteiligung durch einen anderen würde sich ja daran nichts ändern.Meine Damen und Herren, die volle Überführung dieses Unternehmens in die Hand des Bundes — und darum handelt es sich — sollte schrecken. Wir müssen uns alle gegen jedes staatliche Meinungsmonopol wenden.
— Ausgerechnet! Ich weiß, daß Sie den sehr verschieden gearteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten sehr gern den Garaus machen würden.
Aber mir ist auch hier die rechtlich gesicherte Unabhängigkeit lieber als die Verstaatlichung der Medien der Meinungsbildung.
Die Bundesregierung sollte sich hüten, auch nur entfernt in Nachbarschaft zu solchen Regierungen zu geraten, die das staatliche Meinungsmonopol zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft benötigen.
Wenn die Bundesregierung von ihren Leistungen so überzeugt wäre, wie sie das glauben machen will, dann brauchte sie die Herrschaft über die Wochenschau nicht und brauchte dafür auch nicht die Gelder des Steuerzahlers in Anspruch zu nehmen.
Aus dieser Manipulation spricht ihre Angst vor objektiver Berichterstattung.
Meine Damen und Herren, vielleicht hängt das damit zusammen, daß wir auch in der uns alle bewegenden großen Frage der deutschen Politik, in der Frage der Wiederherstellung der nationalen Einheit in gesicherter Freiheit, in der letzten Zeit nicht vorangekommen sind.
— Herr Barzel, ich habe Sie ein wenig auf die Geduldsprobe gestellt. Sonst hätten Sie sich nämlich diesen Teil nicht angehört. Ich hielt ihn aber für wichtig und meinte, Sie sollten alles hören. Es war unklug, propagandistische Initiativen anzukündigen, wenn in naher Zukunft keine praktischen Schritte zu erwarten waren. Schon innenpolitisch geht der Widerspruch zwischen großen Ankündigungen und fehlender Ausführung zu Lasten der Regierung.
In der Deutschlandfrage kann das leicht zu Enttäuschung, Niedergeschlagenheit oder gar Abkehr von den Verbündeten führen. Sie aber, die Verbündeten, brauchen wir dabei. Wir wissen alle, daß kein Alleingang in dieser Frage möglich ist. Deswegen müssen wir sehr ernst nehmen, was alle Verbündeten über den Gesamtzusammenhang der Probleme sagen, auch der französische Staatspräsident!Ich erinnere an den Ausspruch des Bundeskanzlers auf dem Parteitag der CDU in Hannover am 16. März 1964:Im Osten wurden von Stalin Zustände geschaffen, die das deutsche und das polnische Volk nicht verbinden, sondern zu trennen geeignet sind.
Metadaten/Kopzeile:
8112 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
ErlerUnd weiter der 'Bundeskanzler:Darüber wollen wir mit unseren östlichen Nachbarn sprechen.
Aber wir wollen nicht, daß man unsere redlichen Absichten ständig als Revanchismus brandmarkt.So weit der Bundeskanzler. Ich 'weiß mich völlig mit ihm eins. Offenbar wird diese Auffassung von Ihnen zu einem großen Teile nicht geteilt. Es ist daher eine Führungsaufgabe, diese richtige Erkenntnis nicht von übereifrigen Artilleristen im Wahlkampf zerschießen zu lassen. Den Nachteil hat das deutsche Volk!
Es entstünden sonst Zweifel entweder am Wiedervereinigungswillen oder an der Glaubwürdigkeit des Gewaltverzichts. Beides dürfen wir — auch der Umwelt gegenüber gar nicht erst aufkommen lassen.Hierzu ein weiteres Zitat Professor Erhards:Aber es ist eben leider nicht immer so, daß es nur an der richtigen Einsicht oder Erkenntnis fehlt. Es gehört dazu auch die politische Kraft, das Rechte durchzusetzen.Ich wünsche Ihnen in dieser Frage vollen Erfolg, Herr Bundeskanzler!
— Sicher! Ich wünsche Ihnen vollen Erfolg bei der Erfüllung unserer großen nationalen Aufgaben; ich wünsche Ihnen weniger Erfolg bei der Bekämpfung des innenpolitisch Andersdenkenden — das werden Sie verstehen.
Notwendig sind eigene gründliche Überlegungen zum Gesamtproblem als Voraussetzung für die Herausarbeitung einer gemeinsamen westlichen Plattform, mit der man die Sowjetunion konfrontieren kann. Wir sind uns wohl einig darüber: der Adressat, dem man die westliche Plattform zu präsentieren hätte oder mit dem man über den ganzen Fragenkomplex zu reden hat, ist die Sowjetunion und nicht das Ulbricht-Regime. Denn wir wissen alle, daß kein Rezept gefunden worden ist und gefunden werden kann, nach dem man mit einem Regime dieser Art über die Bedingungen seiner eigenen Abschaffung verhandeln könnte. Darin stimmen wir alle in vollem Umfang überein.Es besteht nun die Gefahr, daß die Viermächte-verantwortung für die Wiederherstellung der deutschen 'Einheit ausgehöhlt wird. Ich begrüße jede Stimme, die sich auch draußen in der Welt für das Recht unseres Volkes einsetzt und auf den Zusammenhang von Wiedervereinigung und dauerhaftem Frieden in Europa aufmerksam macht, vom französischen Staatspräsidenten über Präsident Johnson bis zum 'britischen Premierminister Wilson. Dieserhat kürzlich im Unterhaus auf die zentrale Bedeutung der Wiedervereinigung Deutschlands für die wirkliche Befriedung Europas hingewiesen und dabei folgendes gesagt:Ich glaube, daß das ganze Haus die Auffassung akzeptiert hat und weiterhin akzeptieren wird, daß die Probleme in diesem Teil der Welt nicht gelöst werden können, bis wir ein wiedervereinigtes Deutschland auf der Basis einer demokratischen Wahl einer Regierung dieses vereinigten Deutschland bekommen. Ich glaube, daß wir alle der Ansicht sind, daß dies enorme Geduld und eine recht beträchtliche Zeit erfordern und nur erreicht werden wird, wenn wir es fertigbringen, eine fortschreitende Entspannung zwischen Ost und West über eine ganze Reihe von Fragen zu erreichen. Wir werden— so Wilson —diese Entspannung nicht erreichen, indem wir Positionen der Stärke aufgeben, die wir .heute innehaben.Es ist, glaube ich, gut, diesen Satz des britischen Regierungschefs vor diesem Hause noch einmal in Erinnerung zu rufen und ihm ausdrücklich zuzustimmen.Meine Damen und Herren, ich wünsche, daß alle Stimmen möglichst klar sind und nicht einer zusätzlichen deutschen Interpretation bedürfen, um Mißverständnisse auszuräumen.
Ich erinnere an die Verpflichtung der Drei Mächte, die sie in einem Vertrage verbrieft haben, zusammen mit der Bundesregierung die Wiederherstellung der deutschen Einheit in gesicherter Freiheit zu betreiben. Pacta sunt servanda — Verträge sind einzuhalten. Dies gilt nicht nur für uns, und deshalb darf es bei diesem Komplex kein Herausdrängen des wichtigsten Partners, nämlich der Vereinigten Staaten von Amerika, geben. Ihr Gewicht am Verhandlungstisch ist lebenswichtig für ein gutes Ergebnis im Interesse der deutschen Sache. Würde dieses Gewicht fehlen, dann würden Europa und die deutsche Frage der sowjetischen Übermacht, die sich auch politisch und diplomatisch auswirken würde, ausgeliefert sein.Es genügt nicht, mit allen gut Freund zu sein. Eine klare, würdige Darlegung unserer Sorgen und Interessen und der Gemeinschaftsnotwendigkeiten ist erforderlich. Sonst verlieren Kommuniqués über die „völlige Übereinstimmung" mit erst A und dann B, wenn A und B selbst nicht übereinstimmen, an Wert, und es entstünden infolgedessen Zweifel an unserer Meinung.Unvereinbar mit den großen Worten über neue Deutschland-Initiativen ist übrigens die von der Regierungsmehrheit durchgesetzte Kürzung der Mittel für die Kulturarbeit im Ausland.
Gerade diese Arbeit ist unentbehrlich, um anderen Völkern unsere Sorgen und Probleme verständlich zu machen. Die Kürzung wird uns dort, wo Interesse
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8113
Erleran unseren kulturellen Leistungen besteht, bestimmt nicht beliebter machen, zumal Herr Ulbricht mit erheblichem finanziellen Aufwande auf diesem Gebiete tätig ist. Die Kulturarbeit gehört mit zu den Vorbeugungsmaßnahmen gegen die Versuche des Ulbricht-Regimes, außerhalb des sowjetischen Machtbereichs Fuß zu fassen.In geradezu dramatischer Weise sind wir jetzt mit einem solchen Versuch konfrontiert. Welche Frontverschiebung zu unseren Lasten hat sich in wenigen Wochen abgespielt! Auf die Ankündigung des Ulbricht-Besuchs wurde zunächst mit der scharfen Reaktion geantwortet, es sei von der Bundesrepublik Deutschland selbstverständlich mit sehr harten Gegenmaßnahmen zu rechnen. Dann erlebten wir es, daß der Spieß umgedreht worden ist.Das Ergebnis einer Vermittlungsaktion, bei der übrigens keiner der Beteiligten Beziehungen zu Israel unterhält, ist folgendes: Die Beziehungen zu Israel sind — leider — verschlechtert. Ulbricht kommt doch. Er soll in Räumen für Staatsoberhäupter wohnen. Von den deutschen Waffentechnikern in Ägypten ist keine Rede mehr, obwohl die Regierung in dieser Frage im Wort ist, ein entsprechendes Gesetz zustande bringen zu helfen. Und schließlich konnte man den Eindruck gewinnen: Wenn wir uns Ägypten auch sonst gefällig erweisen, dann wird Präsident Nasser die diplomatischen Beziehungen zu uns nicht abbrechen.Lassen Sie mich ein Wort über das „besondere Geschick" dieser Vermittlungsaktion sagen. Ich habe hier vor mir das Interview mit jenem Manne, der auf Bitten der Bundesregierung und durch Entsendung seiner Regierung tätig geworden ist. Er hat gesagt, er sei sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Er habe dort Vorbesprechungen geführt, und man sei, nachdem das Problem im Prinzip gelöst war, dann von Präsident Nasser empfangen worden. Auf die Frage, ob das Ergebnis denn richtig sei, daß Deutschland die Waffenlieferungen nach Israel einstellt und die Vereinigte Arabische Republik diese Handlungsweise als ausreichend akzeptiert, heißt es: „Genau!"Von deutscher Seite hat man sich entschlossen, alle Waffentransporte nach Israel sofort einzustellen. Aber natürlich wird es auch auf ägyptischer Seite in den kommenden Wochen Maßnahmen und Gesten des guten Willens geben.Es wurde nun gefragt: Hängen diese Maßnahmen mit Herrn Ulbricht zusammen? —Das ist eine Angelegenheit, die nicht unmittelbar damit verbunden ist, oder, sagen wir, das ist eine Sache, die nicht im Mittelpunkt der Krise stand.Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat mit Recht hier dargetan: Im Mittelpunkt der Krise steht der Ulbricht-Besuch und nicht die Waffenlieferung an Israel.
Mit welch 'seltsamen Instruktionen muß dieser Vermittler ans Werk gegangen sein, wenn er sich so äußern kann?!Schließlich:Zweifellos wird der Ulbricht-Besuch stattfinden. Aber immerhin dürfe die ägyptische Regierung eine Haltung zeigen, die im Prinzip ohne politische Bedeutung sein wird.Ganz zum Schluß:Hat man auch von der Anerkennung Israels gesprochen?Dazu:. . . die Regierung der VAR wußte, daß Bonn nicht Israel anerkennen wird, daß eine Versicherung abgegeben worden ist im Sinne der Nichtanerkennung.
Meine Damen und Herren, das nimmt doch dem Gewicht dieser Äußerungen im Fernsehen nichts, wenn man sich hinterher sogar vom Vermittler distanzieren muß, wie es geschehen ist.
Hier handelt es sich um einen schweren Kunstfehler, der dann in der Auswahl des Vermittlers begangen worden ist.
Zu diesem Desaster gab es dann vor einigen Wochen ein interessantes Präludium. Dr. Adenauer hat damals einer israelischen Zeitung versichert, wenn er noch Kanzler wäre, dann gäbe es längst diplomatische Beziehungen zu Israel, und dann wären auch keine deutschen Waffentechniker mehr in Ägypten.
Die Frage ist doch wohl erlaubt, warum der frühere Bundeskanzler das eigentlich nicht durchgesetzt hat, als er noch Kanzler war.
Er hat damals statt klarer Verhältnisse die Hintertreppe gewählt — mit allen Nebengerüchen, meine Damen und Herren! Dadurch sind wir in .die schwierige Lage geraten.
— Die Bundesregierung trägt die Verantwortung, und zu dem Thema Information werde ich Ihnen jetzt auch noch etwas sagen. Vor dem Abschluß des nach der „Politisch-Sozialen Korrespondenz" - das ist Ihr Blatt, nicht meines — im Jahre 1960 getroffenen Geheimabkommens wurde niemand von uns informiert. Bis heute hat niemand von uns den Text gesehen. Informationen ,gab es erst auf schriftliches Drängen Erich Ollenhauers, der auf den Titel „Ausbildungshilfe" im Einzelplan 14 von seinen Freunden aufmerksam gemacht worden war. Dann wurden Mitteilungen über längst getroffene Vereinbarungen und daraus sich ergebende Lieferungen gemacht.
Ich möchte wissen, welches Verratsgeschrei sich erhoben hätte, wenn damals Herr Dehler, Herr Leicht,
Metadaten/Kopzeile:
8114 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Erler1 Herr Mommer oder ein anderer vertraulich Informierter die Geheimhaltungspflicht gebrochen und Alarm geschlagen hätte.
Meine Damen und Herren, meine Freunde verlangten damals mindestens die Unterrichtung der Verbündeten, vor allem der Vereinigten Staaten von Amerika. Nach den mir damals in dem Ausschuß gewordenen Mitteilungen, Herr Bundeskanzler, war das bis dahin nicht geschehen. Man hat sich über einen sehr komplizierten Weg unterhalten, wie die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika durch Einschaltung anderer verständigt werden könnte.
Meine Damen und Herren, unsere Haltung war immer klar: die Beziehungen im Nahen Osten seien so zu gestalten, daß sie das Licht des Tages nicht zu scheuen brauchten, und zwar bevor die Sowjetunion sich in der Weise in Ägypten festgesetzt hatte, wie es bedauerlicherweise inzwischen geschehen ist. Aber alle diese Fragen schob man vor sich her und benimmt sich nun Nasser gegenüber wie ein ertappter Missetäter. Die Art der Behandlung der NahostPolitik in diesen Jahren wird nicht durch jene Unterrichtung über einen Teil vorher getroffener Abmachungen aus der Welt geschafft.Ich möchte folgende Feststellungen hierzu treffen.Erstens. Viele Staaten unterhalten diplomatische Beziehungen zu den arabischen Staaten und Israel, z. B. Frankreich sehr gute. Warum muß man es hinnehmen, daß man sich nur an Deutschland rächen zu können glaubt, wenn es sein Verhältnis zu Israel so wie andere auch ordnet?
Zweitens. Nachdem Millionen jüdischer Menschen von einem deutschen Gewaltregime ermordet worden sind, muß es auch unsere deutsche Sache sein, ein neues drohendes Massaker gegen einen Teil der Überlebenden verhindern zu helfen.
Drittens. Dieses Problem übersteigt die deutsche Kraft und kann nur Gegenstand einer gemeinsamen Nahost-Politik mit unseren Verbündeten sein.Viertens. Wer anderwärts wie Herr Nasser als Vorkämpfer der Befreiung von Kolonialherrschaft auftreten will, der ist unglaubwürdig, wenn er sich mit einem nur auf fremde Gewalt gestützten Kolonialregime im Herzen Europas solidarisiert.
Fünftens. Ein solcher Akt der Solidarität mit dem Ulbricht-Regime zerstört das Fundament freundschaftlicher und hilfreicher Zusammenarbeit mit dem deutschen Volk und der zur Wahrnehmung der Interessen des ganzen deutschen Volkes verpflichteten Bundesregierung. Dies dürfte der Meinung des ganzen Hauses entsprechen und Anlaß für die ägyptische Regierung sein, sich ihre nächsten Schritte wohl zu überlegen.
Sechstens. Wirklicher Grund für das ägyptische Verhalten im Gegensatz zu dem gewählten Vorwand dürfte jene Politik der Sowjetunion sein, die sich unter großen finanziellen und rüstungswirtschaftlichem Aufwand eine Basis im Mittelmeerraum und in Nordafrika zu schaffen sucht.Siebtens. Dies weist darauf hin, daß unsere Nahost-Politik in allen ihren Aspekten sorgsam mit unseren Verbündeten überprüft werden muß, um einem weiteren Abbröckeln westlicher Positionen entgegenzuwirken, die Risiken gemeinsam zu tragen und die Bundesrepublik Deutschland nicht allein den durch die Spaltung unseres Landes verursachten Möglichkeiten zu weiteren Erpressungen auszusetzen.
Es muß dabei — hier teile ich die Meinung der Bundesregierung — idas Ziel bleiben, der weiteren Festigung der Spaltung Deutschlands durch die Art der Beziehungen zwischen dritten Ländern und dem Ulbricht-Regime entgegenzuwirken. Die dabei einzusetzenden Mittel müssen gemeinsam mit unseren Verbündeten überprüft werden, ,damit wir nicht nahezu schutzlos weiteren Erpressungen ausgesetzt sind.Achtens. Das Parlament — darauf habe ich vorhin schon hingewiesen — ist vom Beginn bis zum bitteren Stand der Sache zu spät, dann unvollständig oder nur halbwahr, auch und gerade während der Zuspitzung der letzten Wochen, unterrichtet worden. Das fing mit jenem niemals vorgelegten Geheimabkommen oder jener Geheimabsprache an, auf dessen Spur man erst durch die Wachsamkeit .der Sozialdemokraten im Haushaltsausschuß stieß.
Das setzte sich fort, als man es nach der Reise des Bundestagspräsidenten unterließ, die sich damals abzeichnenden Möglichkeiten einer Normalisierung unserer Beziehungen im Nahost-Raum diplomatisch energisch zu erkunden.Hier zeigt sich, daß die Methode des Alles-vorsich-Herschiebens, die Entschlußlosigkeit und die Führungslosigkeit nun auch auf die Außenpolitik übergegriffen haben. Sie haben dort verheerende Wirkungen gehabt. Von der Vermittlung eines fremden Diplomaten erfuhr der Auswärtige Ausschuß erst, als sie bereits im Gange war. Telegramme mit weitreichenden Informationen an unsere Botschaften in den arabischen Ländern waren heraus, als sie dem Auswärtigen Ausschuß noch verschwiegen wurden, der zu jener Zeit tagte.
Der ägyptischen Seite wurden Zusagen in einer solchen Form übermittelt, daß 'sie dort anders verstanden wurden, als sie hier gemeint waren. Außerdem wurden diese Zusagen ohne die notwendigen zu vereinbarenden Gegenleistungen gemacht. Vor allem konnte man natürlich auch keine Zusagen machen, ahne sich mit jenem Beteiligten, mit dem man einen Vertrag eingegangen war, darüber zu verständigen. Änderungen dieser Art — das hat der Bundeskanzler heute zum Ausdruck gebracht — fordern Einvernehmen, wenn man nicht vertragsbrüchig
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8115
Erlerwerden will. Hier ist im ganzen ein Stück Glaubwürdigkeit deutscher Politik verspielt worden. Das Vertrauenskapital, das wir in 15 Jahren mühsam in aller Welt angesammelt haben — und daran waren nicht nur die Regierungspolitiker, sondern daran waren wir alle beteiligt —, ist schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Aber auf dem Felde des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesregierung für das ganze deutsche Volk ist kein Zentimeter Boden dort gutgemacht worden. Auf der Aktivseite ist nichts zu verbuchen. Die Bilanz ist eindeutig negativ.Das Echo in der Weltmeinung ist auch einhellig und unerfreulich. Auch in der deutschen Presse hat sich das inzwischen niedergeschlagen. Ich will Ihnen jetzt gar nicht im einzelnen dartun, wie große Zeitungen wie die Schweizer „Tat" etwa
— na sicher — oder die „L'Aurore", die große französische Zeitung, oder „Dagens Nyheter" in Schweden unid viele andere — ich weise ausdrücklich auf Blätter hin, die der Bundesrepublik Deutschland nicht ablehnend gegenüberstehen — diese Dinge beurteilen.Nicht nur die 'Bundesregierung, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland hat Schaden gelitten durch das würdelose Schauspiel der letzten Zeit, für das die Bundesregierung verantwortlich ist. Wir haben ein gemeinsames Interesse, aus dieser Sackgasse herauszukommen. Das wird schwer genug sein. Die Sozialdemokratische Partei ist bereit —selbstverständlich —, auch ihr bescheidenes Ansehen als zuverlässige demokratische Kraft draußen in der Welt einzusetzen, um der Bundesregierung zu helfen. Das geht aber nur, wenn man über Entscheidungen spricht, bevor sie gefallen sind, und nicht, wenn Abmachungen oder Entscheidungen anderer Art, Vermittlungsaktionen u. ä., schon getroffen worden sind.Die Bundesrepublik Deutschland hat eine schwere Niederlage erlitten. Ihr Ansehen ist nicht nur im Nahen Osten in Mitleidenschaft gezogen. Abgesehen von einigen kleinen Meinungsverschiedenheiten mit Freunden ist Bundeskanzler Erhard jetzt zum erstenmal in ernsthafte außenpolitische Schwierigkeiten gekommen. Zum erstenmal ist er, wenn auch auf neutralem ägyptischem Boden, mit der politischen Aktivität des Ostens konfrontiert worden. Das Ergebnis ist dort ein Scherbenhaufen. Es stellt den außenpolitischen Fähigkeiten des Bundeskanzlers ein denkbar schlechtes Zeugnis aus.
Unter diesen Umständen ist es an der Zeit, die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung unter ihrer jetzigen Führung und in ihrer jetzigen Zusammensetzung noch weiter amtieren kann.
Unter diesen Umständen ist es die Pflicht der sozialdemokratischen Opposition — —
— Nein, nicht Günther Grass; bevor der geschrieben hat, gab es Nachrichten darüber, daß das Problem in Ihren eigenen Reihen erörtert worden ist. Man konnte das in einigen Düsseldorfer Zeitungen lesen.
Unter diesen Umständen ist es die Pflicht der sozialdemokratischen Opposition, zu diesem Haushalt und damit zur Führungslosigkeit der amtlichen Politik ein klares Nein zu sagen.
Wir befinden uns, wie Sie inzwischen wohl gemerkt haben werden, mitten in der allgemeinen Aussprache über den Einzelplan 04. Ich habe das nur festgestellt, weil der Gang der Verhandlungen etwas entgegen dem Reglement verlief. — Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Als wir darauf verzichteten, die erste Diskussionsrede zur Erklärung des Herrn Bundeskanzlers selbst zu halten — wie es uns zusteht —, da hatten wir die Hoffnung, daß die Opposition auf die sehr abgewogene und verantwortungsbewußte Erklärung des Herrn Bundeskanzlers eine konstruktive Antwort geben würde.
Statt dessen haben wir leider, zu dreiviertel — nichtganz, aber zu dreiviertel — eine Wahlrede gehört,
und das war eine schlechte mit einem kleinlichen Negativkatalog und ohne einen wesentlichen Gedanken.
Herr Kollege Erler, wenn ich die ersten Passagen Ihrer Rede richtig verstanden habe, dann haben Sie ja nicht nur Gesetze kritisiert, denen Sie selbst zugestimmt haben, sondern dann war Ihre Rede doch eigentlich so: Was wir richtig machen und was wir tun, ist ein Wahlgeschenk, und was wir nicht machen, das ist ein Versäumnis.
Nun, Herr Erler, so sollte man über den letzten Haushalt des Bundeskanzlers nicht debattieren. Sonst kommt das, was Sie „Pseudoerfolgsbilanz" nannten, doch leicht in den Geruch einer Neuauflage der marxistischen Veredelungstheorie.
— Wie man in den Wald hineinruft, so schallt esheraus, Herr Erler! Meine Damen und meine Herren,nachdem Herr Erler von einer Pseudoerfolgsbilanz$1;Metadaten/Kopzeile:
16 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Dr. Barzelgesprochen hat, wären wir versucht, die Erfolgsbilanz sozialistisch regierter Länder Europas der Erfolgsbilanz dieser Bundesregierung entgegenzusetzen.
Wir wollen das jetzt nicht tun. Wir haben aber das Material sorgfältig vorbereitet.
— Es kommt, es kommt! Man sollte doch die Erfolge, die in diesen Jahren erzielt worden sind, Herr Kollege 'Erler, wirklich nicht so diskreditieren. Aber eigentlich haben Sie es ja auch nicht getan; denn Sie sprachen doch davon, daß es noch ein paar Lücken gebe. Nun, Lücken sind ganz kleine Punkte in einem Großen, das sind also eigentlich kleine Beanstandungen. Sie haben aber von einer Pseudoerfolgsbilanz gesprochen. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie mir erlauben, Ihnen ein paar Zahlen zu sagen.Wir haben Vollbeschäftigung,
wir haben steigende Reallöhne, wir haben steigende Sozialleistungen. Ist das alles „pseudo" ? Glauben Sie, daß die arbeitenden Menschen das als einen Pseudoerfolg betrachten, daß sie so weit gekommen sind, wie es dank der Politik dieser Bundesregierung möglich geworden ist?
Nein, Herr Kollege Erler.
— Sie geben es auf. Ich merke, ich kann den Punkt verlassen.
Hier liegt ein Haushalt der Stabilität vor, der seinen Beitrag dazu leistet, unser gutes deutsches Geld stabil zu halten, und der den Mut hat — anders als die Verlautbarungen der Opposition —, ganz klar zu sagen, daß man nicht alles zugleich, nicht alles auf einmal, sondern nur nach Schwerpunkten und nacheinander kann.
Ich muß nun leider, Herr Kollege Erler, weil Sie in dieser Lage, wie ich glaube, wenig hilfreich persönliche Angriffe auf den Bundeskanzler geführt haben, das ein bißchen zurückgeben. Ich brauche nicht zu bekunden — das wissen Sie und das werden Sie durch die Abstimmung sehen und das werden Sie auch des weiteren aus den Ausführungen der ganzen Koalition, wie ich hoffe,
sehen, daß dieser Bundeskanzler und diese Regierung das volle Vertrauen der großen Majorität dieses Hauses haben und, ich bin ziemlich sicher, auch über die Wahl behalten werden. Wenn Sie nämlich so agieren, Herr Kollege Erler, macht das einen ganz miserablen Eindruck.
Herr Kollege Erler, ich habe hier etwas mitgebracht.Ich habe gehofft, wir hätten diese Debatte nicht zuführen brauchen, aber Sie haben so angefangen. Ich muß Ihnen erwidern.
Ich habe hier einige Punkte, und Sie hatten ein fertiges Manuskript. Ich darf mir die Freiheit nehmen, auf den Mann zu sprechen zu kommen, der leider nicht hier sitzt, mit dem wir hier leider nicht sprechen können, der Mann, der, ohne dem Hause anzugehören und ohne sich hier zu stellen, auf diesen Stuhl möchte. Darüber wollen wir doch einmal sprechen.
Es gibt da bei diesem Mann, ich meine den Regierenden Bürgermeister von Berlin, z. B. folgende Situation: Als die Opposition in Berlin — die CDU; damit eis jeder weiß — dort die Regierung wegen ein paar merkwürdiger Dinge der Informationspolitik, wegen Polizeiaktionen und ähnlichem interpellierte, da passierte es, daß man die Redezeit beschränkte.
Ich will nur diesen einen Fall, Herr Kollege Erler, hier herausnehmen, um daran anzuschließen: so will Deutschland nicht regiert werden;
und wenn Sie mehr wissen wollen, ich habe eine ganze Dokumentation hier.Nachdem Sie die Liebenswürdigkeit hatten, Herr Erler, eine in Düsseldorf erscheinende Zeitung zu zitieren, darf auch ich vielleicht eine in Düsseldorf erscheinende Zeitung — die Ausgabe vom 2. Februar — hier in die Debatte einführen. Es ist eine Zeitung, die so freundlich war, ein ganzseitiges Interview ihres Kanzlerkandidaten zu veröffentlichen. Ich zitiere aus diesem Interview:Frage: Wie verhält es sich mit den im Godesberger Programm angeführten Investitionskontrollen?Antwort von Brandt: Man kann nicht eine Passage aus dem Godesberger Programm heraussuchen und dann kommentieren. Man könnte auch Stellen finden, die das Gegenteil besagen.
Meine Damen, meine Herren! Dies ist die härteste Kritik, die an dem Programm der SPD möglich ist. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Nun genug in der ersten Abteilung, Herr Erler. Ich komme zu meiner zweiten. Sie haben dem Bundeskanzler vorgeworfen, daß er angeblich die Opposition nicht genügend und nicht rechtzeitig genug höre. Nun, Herr Kollege Erler, ich glaube, daß man das weder in dem Fall, der hier ansteht und zu dem der Bundeskanzler völlig klarstellende Ausführungen gemacht hat, noch generell sagen kann und auch nicht sagen sollte. Ich erinnere mich so mancher Besprechung drüben mit Ihren Herren. Als Nassers Einladung an Ulbricht bekanntwurde, hat dieser Bundeskanzler als erstes die Fraktionsvorsitzenden aller drei in diesem Hause vertretenen Parteien gerufen. So war es bei Zypern, so war es
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8117
Dr. Barzelbei Vietnam, so war es bei den Passierscheinen, so war es, als er aus Amerika wiederkam. Das sollten Sie diesem Bundeskanzler nicht vorwerfen. Suchen Sie sich bitte ein passendes Argument, wenn Sie ihnangreifen wollen.
Die wichtigste Erklärung, Herr Kollege Erler, für uns aus Ihrer Rede war die zum Notstand. Ich möchte dazu noch ein Wort sagen. Ich weigere mich, heute hinnehmen zu sollen, daß dies wirklich praktisch das endgültige Nein der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands sei. Ich frage, Herr Kollege Erler: was soll sein — was doch möglich ist —, wenn das Notparlament nicht zusammentreten kann? Glauben Sie, daß dann der Notstand nicht ausbricht? Glauben Sie, daß, wenn es hier nicht ein Recht gibt, wir die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte erreichen können? Nein, Herr Kollege Erler.
— Bitte schön.
Was, glauben Sie, passiert, wenn die Bundesregierung, die ungefähr genauso viel Mitglieder hätte wie das Notparlament, nicht zusammentreten kann?
Aber, Herr Kollege Erler, dies lenkt doch ab.
— Dann lesen Sie doch einmal die Vorlage der Bundesregierung: es soll möglichst das Parlament handeln; wenn das nicht kann, das Notparlament, wenn dieses nicht kann, die Bundesregierung. Wie soll es denn anders sein? So wie Sie vorschlagen, Herr Kollege Erler, wird es, so fürchte ich, keine Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte geben. Darum geht es der Bundesregierung. Ich weigere mich deshalb, das als ein endgültiges Nein hier entgegenzunehmen.
Hier geht es um eine ganz schwerwiegende Frage unseres Staates, nicht einer Regierung und nicht einer Opposition. Vielleicht erlauben Sie mir, Herr Kollege Erler, daran zu erinnern, daß es Friedrich Ebert war, der mit 133 Notverordnungen seine Geburtshilfe für das Werden einer ersten Demokratie, des Weimarer Staates, in Deutschland geleistet hat, durch das Instrument der Notverordnungen. Das wollen wir nicht. Aber für die Stunde der Not muß es ein Mittel geben, damit der Rechtsstaat nicht untergeht, — weil Not dann angeblich kein Gebot kenne. Das ist die Lage; wir werden sie noch zu erörtern haben.
Ich weigere mich, Ihre Position als endgültig anzunehmen.Erlauben Sie mir, zur Situation im Nahen Osten — dem Punkt, den der Herr Bundeskanzler erwähnt hat — in meiner nächsten Abteilung etwas zu sagen.Ich begrüße dem Grund nach — ich will das vorweg sagen —, daß der Kollege Erler in dieser Abteilung seiner Rede weitgehend die gemeinsame Haltung dieses Hauses ermöglicht hat. Ich glaube, daß das gut ist.Wir sind in eine kritische Situation geraten.
Noch kann keiner übersehen, ob das, was in Kairo geschieht, punktuell zu werten ist oder ob es als Glied einer größeren Operation gesehen werden muß. In solchen Situationen ist es immer gut, prinzipiell zu handeln und ganz klar zu sagen, was ist. Der Herr Bundeskanzler hat das getan, und für diese Klarheit und Offenheit gebührt ihm zusätzlich Dank.Wir stehen im Nahen Osten alle miteinander in einem großen Dilemma. Aber dieses Dilemma ist weder von dieser noch von der vorigen Bundesregierung verschuldet.
— Herr Kollege Mommer, wir können ein Privatissimum machen; lassen Sie mich in Ruhe hier fortfahren! — In demselben Dilemma befinden sich alle Staaten, die den Frieden im Nahen Osten wollen, auch Frankreich, auch Großbritannien, auch die USA. Es mag sein, daß der Westen in früheren Jahren hier Fehler gemacht hat. Sie können nicht der Bundesregierung angelastet werden. Entscheidend ist doch die Tatsache, daß Sowjetrußland die Spannungen dort systematisch verschärft und zuspitzt. Das ist die erste Tatsache.Aber davon ist die Bundesrepublik besonders betroffen, weil Sowjetrußland in einer Weise, die man nur als unverantwortlich bezeichnen kann, die SBZ als einen Feind Israels und als einen angeblichen Freund der Araber ins Spiel gebracht hat. Nach allem, was im deutschen Namen geschehen ist, ist dieser Vorgang ungeheuerlich. Wir sollten ihm, trotz des Wahljahres, in Einigkeit begegnen. Ulbricht manifestiert durch seine antisemitische Haltung, daß er im Dienst einer fremden Macht steht; denn Deutsche sind davon ein für allemal geheilt.
Ulbricht gibt sich dazu her, im Interesse Rußlands den deutschen Namen zu schänden, und spaltet nicht nur das Land, sondern sucht auch noch dem Deutschen schlechthin Abbruch zu tun.Israel würde keine militärische Hilfe brauchen, würde die Kriegsgefahr in diesem Raum nicht durch die Waffen, die der Ostblock in ihn hineinschleust, ständig geschürt.Die Bundesregierung ist mit ihrem Arrangement bis an die äußerste Grenze des Zumutbaren gegangen. Wir kapitulieren nicht vor Nasser, sondern stellen uns auf die neue sowjetische Offensive ein. Nur das tun wir, wenn wir Israel bitten, mit uns ein Gespräch über unsere Hilfe zu führen. Wir werden keinen Vertrag brechen. Aber wir bitten um Verständnis für unsere Lage. Würde die Bundesrepublik Deutschland durch Moskau mittels Pankow aus dem8118 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode —.164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965Dr. BarzelNahen Osten hinausgedrängt, so wäre dies ein Triumph des Kommunismus, an dem keiner in der freien Welt — auch Israel nicht — interessiert sein kann.
Unsere Haltung gegenüber Nasser muß deshalb klar und fest und entschieden sein. Aber wenn wir uns hier streiten — ich hoffe, am Schluß der Debatte wird sichtbar sein, daß wir es nicht tun, wenigstens auf diesem Gebiet nicht —, dann rufen wir nicht den Eindruck hervor, den wir brauchen. Wir haben nämlich viele Freunde in der arabischen Welt, die nicht bereit sind, Nassers Ostkurs mitzumachen. Deshalb sagen wir laut und deutlich, was wir darüber denken, daß Nasser den Feind der deutschen Einheit, Herrn Ulbricht, zum Staatsbesuch eingeladen hat.Wir stehen hinter der Erklärung des Bundeskanzlers, daß dies ein feindseliger Akt gegen das deutsche Volk ist.
Wir sind voll und ganz mit der Entscheidung der Bundesregierung einverstanden, daß die VAR wegen der Einladung Ulbrichts von uns keine Entwicklungshilfe mehr erwarten kann. Die Hilfe der Bundesrepublik sollte nicht Erpressern zufließen, sondern den zuverlässigen Freunden des deutschen Volkes; und ihnen muß so geholfen werden, daß man sieht, was uns treue Freundschaft wert ist.
Wir werden den Besuch Ulbrichts in Ägypten aufmerksam zu beobachten haben. Es wäre nichts falscher gewesen — auch dies an die Adresse der Kritik im Methodischen, die Herr Erler hier erhoben hat —, als sich selbst möglichst durch vorherige öffentliche Ankündigung alle Hände für alle möglichen Reaktionen zu binden. Nachher, wenn der Besuch gewesen ist, wird die Konsequenz zu ziehen sein. Und die Politik wird eine feste Politik sein. Es ist Nassers Frage, ob er den völligen Bruch mit der Bundesrepublik Deutschland will. Wir wollen und dürfen ihn nicht im Zweifel darüber lassen, daß er ihn selbst vollzöge, wenn er Pankow anerkennte. Angesichts der sowjetischen Offensive müssen wir unbedingt an dem Prinzip festhalten, daß die Beziehungen zu uns selbst abbricht, wer dem deutschen Volk mit der Anerkennung Pankows in den Rücken fällt.Noch ein Wort an Israel. Wir verstehen seine Lage. Wir sind uns auch im klaren darüber, wie schwer es Israel fallen muß, Verständnis für alles aufzubringen. Trotz der Enttäuschung, von der auch der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, über die erste negative Reaktion auf sein Angebot halten wir fest, daß man auch in Israel offenbar nicht gewillt ist, nun alles zusammenbrechen zu lassen und zu vergessen, was für die Versöhnung und für das wachsende Verständnis hinüber und herüber getan worden ist. Wir bekennen uns zu unseren moralischen Verpflichtungen und auch zu der Hypothek, die durch unsere Geschichte auf uns lastet. Und weil wir so denken, glauben wir, daß auch aus dieserschweren Krise ein Ausweg gefunden werden kann und wird.Ich möchte mich hier in fünf Punkten noch ein bißchen präzisieren.Erstens. Was die Kommunisten „DDR" nennen und als solche international ins Spiel zu bringen sich bemühen, ist in Wirklichkeit die SBZ, die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands. Meine Damen, meine Herren, wenn alle in unserem Staat sich in unserem Land und im Ausland an diesen Sprachgebrauch gehalten hätten, wäre die Situation in dieser Frage heute wahrscheinlich besser.
In dieser SBZ, in der sowjetisch besetzten Zone, amtieren, gestützt auf 400 000 Soldaten der Roten Armee, Kommunisten gegen den Willen der Deutschen. Diese SBZ ist ein Raum ohne Menschenrechte, ohne Selbstbestimmung und also, nach einem Wort Kennedys, ein Raum ohne Frieden. Wer die Machthaber dort stärkt, handelt deshalb wider das Völkerrecht, wider den Frieden und gegen Deutschland.
Zweitens. Ulbricht ist ein Satrap Moskaus. Wer sich mit diesem Beauftragten einer fremden Macht, einem Abhängigen also, einem in keiner Weise souveränen Mann einläßt, gerät leicht in den Verdacht, selbst nicht mehr — aus welchen Umständen auch immer — ganz frei zu sein.
Drittens. In diesem 20. Jahr nach Kriegsschluß muß die Welt zweierlei verstehen. Zum einen, daß unsere Ungeduld wegen der Fortdauer der deutschen Spaltung wächst. Und zum anderen dieses: Indem wir uns mit Ulbricht nicht arrangieren, indem wir unsere Position des Rechts verteidigen, uns nicht arrangieren mit der rechtswidrigen Macht dort, machen wir auch unsere gewandelte Gesinnung deutlich. Wer den Deutschen vorwirft, sie hätten um 1933 zu leicht und zu schnell und zu zahlreich sich mit der Macht arrangiert, der sollte heute zumindest unsere gesamtdeutsche Position aus solchem gewandelten Denken verstehen.
Von unseren Freunden erwarten wir, daß sie ihrbeitreten; und wir verstehen niemanden, der unsetwa zu opportunistischem Arrangement raten sollte.Viertens. Was in Kairo geschieht, geht alle Partner des Deutschlandvertrages an. Ja, ich meine, es geht dort um eine gemeinsame Sache der Interessen der freien Welt. Die Bundesregierung hat auch aus diesem Grunde unsere voilé Unterstützung, wenn sie sich gerade jetzt um eine neue Initiative in der Deutschlandfrage bemüht. Gerade jetzt muß die Welt sehen, daß wir nicht allein sind. Wir danken deshalb unseren Freunden, die uns halfen und die uns, gerade jetzt, hier helfen und beistehen.Fünftens. Die Welt sieht unsere ökonomische Position. Sie sieht unsere Rolle in der Freien Welt. So ist es für manche im Ausland natürlich, uns — sei es in Zypern, sei es in Vietnam, sei es an anderem Orte — zu verstärktem Arrangement zu drän-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8119
Dr. Barzelgen. Und Ida unsere Freunde mit uns in und fürBerlin stehen, ist es klar, daß wir uns gegenübersolchen Fragen nicht immer taub stellen können.Vielleicht kommt allerdings hinzu, daß mancher draußen unsere Bereitschaft, auch zur atomaren Sicherheit im Bündnis beizutragen, mißverstanden hat oder mißverstehen wollte. Vor diesem Hintergrund werden wir einige Überlegungen anstellen müssen. Aber dieses, glaube ich, kann man schon heute sagen — und ich sage das auch auf eine Ihrer Passagen wegen der diplomatischen Beziehungen, Herr Kollege Erler —: Wir können wegen der Spaltung nicht alles, was andere tun.
Wir sind keine Großmacht. Unsere Politik muß in allen Bereichen der Lage des gespaltenen Landes entsprechen. Unsere Bundeswehr ist unser unverzichtbarer Beitrag zur Sicherheit im Bündnis. Soviel dazu.Meine Damen, meine Herren! Der Herr Bundeskanzler Erhard hat, als er seine Regierungstätigkeit antrat, in einer großen Regierungserklärung, auf die Herr Erler Bezug nahm, seine Perspektiven und seine praktische Politik der nächsten Zeit dargetan. Diese Erklärung, 'die damals den Beifall des Hauses fand — und ich erinnere mich ,an den Ausspruch des Kollegen Möller von damals mit einem gewissen Vergnügen —, ist langfristig angelegt und nicht nur auf die Tage bis zum September. Wir wollen 'sie jetzt nicht im einzelnen wiederholen, weil unsere Bilanz gut ist. Es wird bei der Debatte der einzelnen Ressorts ja deutlicher werden als das, was mein Kollege Erler so mühsam versuchte in einer Stunde — was gar nicht möglich ist — zusammenzuschreiben.Wenn man es recht sieht, dann hat jede Bundesregierung im wesentlichen drei Aufgaben. Sie hat die Aufgabe, den freiheitlichen sozialen Rechtsstaat zu entfalten, sie hat 'die Aufgabe, für die Wiedervereinigung zu arbeiten, und sie hat die Aufgabe, für die Vereinigung 'Europas zu arbeiten. Ziehen wir die Bilanz 'auf all den drei Gebieten, dann müssen wir 'sagen: Sie ist gut. Es 'bleibt noch einiges zu tun,
aber das, was ¡geschehen ist und war hier geschafft worden ist in 16 Jahren, das — ich sage es ganz freimütig — sollten Sie einmal nachzuahmen versuchen. Es würde Ihnen mit den sozialistischen Prinzipien auf keinen Fall gelingen.
Es sollte sich herumgesprochen haben, daß wir an der Spitze der sozialen Leistungen stehen und daß deshalb das, was Sie hier ,ausführten, Herr Kollege Erler, doch wenig glaubhaft ist.Sie haben dann ausgeführt — wenn ich es recht notiert habe —, daß wir bei den Gemeinschaftsaufgaben und insbesondere bei der Bildung versagt hätten. Herr Kollege Erler, Sie werden mir gestatten, daß man das, ich will es so sagen: auch anders sehen kann und wahrscheinlich muß; denn die erste Gemeinschaftsaufgabe, als wir 1949 hier anfingen,war auf einem ganz anderen Gebiet. Die Gemeinschaftsaufgaben in der Phase des Wiederaufbaus und der Eingliederung waren doch andere als die der jetzt begonnenen Phase des Ausbaus und der kulturellen Gestaltung.
Aber, meine Damen, meine Herren, Sie wissen das ja selbst. Ich brauche Ihnen die Zahlen hier nicht vorzutragen. Ich meine nur, wenn wir an die Straßen, an die Wohnungen denken, wenn wir an die Löhne, an die finanzielle Gesundung der Sozialversicherungsträger denken, wenn wir an die Flüchtlinge, an die Vertriebenen, an all diese Dinge denken, dann haben wir eine vorzügliche Bilanz.Wenn Sie, Herr Kollege Erler, hier noch einmal das Erstgeburtsrecht für den Kampf gegen Luftverunreinigungen und solche Dinge in Anspruch nehmen wollen — dort sitzt der Kollege Dr. Schmidt; er kann Ihnen über diese Dinge einiges sagen; er hat das nämlich im Landtag Nordrhein-Westfalen schon angepackt.Zu dem, was über Bildung gesagt wurde: Herr Kollege Erler, ich habe mich wirklich etwas geärgert, daß Sie das Ausbildungsförderungsgesetz mit den 40 DM als ein „Studentengeld",
— als „Schülergeld", als etwas, das unausgegoren sei, bezeichnet haben. Das, glaube ich, wird dem Anliegen nicht gerecht. Weil es eine Situation gibt, in der soziologische Expertisen uns sagen, daß einige Familien, die es eigentlich schaffen könnten, sich weigern, ihre Kinder weiter zur Schule zu schicken, wollen wir ihnen helfen, und wir haben den familienpolitischen Gedanken mit dem bildungspolitischen Gedanken gekoppelt. Das ist ein neuer Gedanke. Daß er Ihnen nicht paßt, weil er Ihnen nicht eingefallen ist, kann ich verstehen.
Auch auf dem zweiten Gebiet, dem des Bemühens um die Wiedervereinigung, hat der Kollege Erler, glaube ich, nicht ganz fair bilanziert. Ich will jetzt nicht die ganze Geschichte dieser 16 Jahre darlegen, was ja von uns aus auch ein Rückblick auf 16 Jahre Opposition sein könnte. Aber ich sage Ihnen mit allem Freimut: Wenn die Bundesregierung, unterstützt von den Koalitionsfraktionen, immer stärker nach einer gesamtdeutschen Initiative ruft, dann ist es wenig förderlich, wenn man dem die gesamtdeutsche Kleinmütigkeit entgegensetzen muß, die den Führer der Opposition in seinen Erklärungen zum Weihnachtsfest offenbar befallen hat.
Das Dritte: Europa. Ich mache es kurz, weil ich zum Schluß kommen möchte. Auch hier könnten wir nach hinten debattieren, Herr Kollege Erler. Wir haben das gar nicht nötig! Unsere Bilanz heute ist vorzüglich. Der beste Gradmesser dafür, daß offensichtlich in Europa wieder etwas los ist, ist doch das wiederbelebte britische Interesse an der Vereinigung Europas.
Metadaten/Kopzeile:
8120 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Dr. BarzelDas ist doch ein schlagendes Argument für das, was heute ist. Die Bundesregierung sollte an diesem Weg festhalten und wirklich in das führen, was wir damals unter dem Gelächter der Opposition hier einen „europäischen Frühling" genannt haben. Er ist möglich, und er wird uns miteinander gut bekommen. Seien Sie ganz sicher: auch dieses Stück Europapolitik machen wir wieder, wie das bisherige, für Sie mit.
Damit einige Mißverständnisse gar nicht erst entstehen, möchte ich noch eines darüber sagen, was wir mit Europa meinen. Wir meinen dieses Europa nicht gegen andere; wir meinen es nicht als einen Hort des Neutralismus; wir meinen es als einen Partner in der großen atlantischen Gemeinschaft.
Das, glaube ich, ist eine klare Erklärung, und man sollte nun, Herr Kollege Erler, nachdem das hier gesagt worden ist, auch niemanden verdächtigen. Denn wir wollen ja, da wir jetzt die „aktuelle Stunde" haben, die Debatte hier führen und sie nicht mehr an dritte Orte verlagern. Was hier gesagt wird, das gilt, und ich glaube, so sollten wir bleiben.
— Ach, mit dem Bundeskanzler Adenauer rede ich viel öfter als Sie, so oft, daß ich Ihnen wirklich glaube sagen zu können, daß er sehr dafür ist, daß dieses Parlament sich verlebendigt; schon deshalb, weil er weiß, daß hier die CDU/CSU mit den besseren Leuten vertreten ist.
Meine Damen und meine Herren, Sie sehen,
es ist gelungen, sowohl am Beginn wie am Ende der Rede die Heiterkeit herzustellen. Das ist, glaube ich, ganz gut.
— Es war eine sehr ernste Situation, die wir hier, besprachen, Herr Kollege Erler. Ich wollte an sich nur, so wie Sie es durch die Presse hatten ankündigen lassen, hier auf das replizieren, was Sie über den Nahen Osten gesagt haben. Es mußte mehr werden; denn es ist natürlich nicht möglich, daß Sie hier mit einer Wahlrede stehen, ohne daß wir auch nur widersprechen könnten.Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, an den Schluß ein Wort zu stellen, das der irische Ministerpräsident Lemass nach einem Besuch in Berlin sagte. Ich glaube, es paßt auf uns alle. Er sagte:In Europa gibt es so lange keinen Frieden, wie Deutschland geteilt ist. Aber der Sieg fällt nicht dem zu, der anderen das meiste Leid zufügt, sondern dem, der die größte Ausdauer hat.Das ist, glaube ich, ein gutes Wort in dieser Lage, in der es darum geht, unsere Position — wie ich hoffe, gemeinsam — zu verteidigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schultz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und ¡Herren! Herr Kollege Erler hat an den Schluß seiner Ausführungen die Feststellung gestellt, daß man, wenn man die Nahostpolitik der Bundesregierung betrachte, vor einem Scherbenhaufen stehe. Das war eigentlich das erste -Mal, daß die SPD-Fraktion an der Außenpolitik der Bundesregierung Kritik geübt hat. Bisher hatten wir durchaus den Eindruck, daß sie den Weg der Außenpolitik der Bundesregierung gemeinsam mitgegangen ist. Wir Freien Demokraten hatten eine moderne, zielbewußte und bewegliche Außenpolitik gefordert, die die Unterstützung der Opposition gewinnen kann. Ich hatte bisher immer den. Eindruck, daß die Außenpolitik der Bundesregierung diese Unterstützung der Opposition gewonnen 'hatte.Zu den Fragen der Innenpolitik, die Kollege Erler angeschnitten hat, hat Kollege Barzel schon vieles von dem gesagt, was von seiten der Koalition dazu auszuführen wäre. Einiges ist aber vielleicht noch nachzuholen.So wurde gesagt, daß der Bildungsnotstand zwar erkannt, daß aber nicht die notwendigen Folgerungen daraus gezogen worden seien, und es wurde auf die Kürzungen im Haushalt hingewiesen. Im einzelnen ist dazu ohne Zweifel bei der Beratung des Haushalts noch etwas zu sagen. Aber allgemein muß man doch feststellen, daß es der Bundesregierung gelungen ist, gerade in Fragen der Bildung mit den Ländern Verwaltungsabkommen zu schließen, die bisher noch nicht geschlossen waren und die nunmehr ein gemeinsames Wirken von Bund und Ländern gerade auf diesem Gebiet möglich machen.
Ich glaube, daß das doch ein Positivum ist.
Das Gebiet der Rechtspflege haben Sie gar nicht gestreift, Kollege Erler. Aber auch hier scheint mir eine gute Tat dieser Bundesregierung und dieses Parlaments in dieser Legislaturperiode vorzuliegen: Zwei Novellen zur Strafprozeßordnung, die ein freiheitlicheres Strafprozeßrecht bringen, sind verabschiedet worden. Und ein weiteres Positivum dieser Bundesregierung, dieser Koalitionsregierung: Fehler und Mißgriffe sind überall möglich; entscheidend ist aber, daß sie nicht vertuscht werden, daß sie in der Öffentlichkeit erörtert werden und daß die Konsequenzen gezogen werden. Auch das ist, glaube ich, der Koalition gelungen.In der Wirtschafts- und Finanzpoliitk haben Sie zusammen mit der Agrarpolitik die Verteilung der 380 Millionhen DM kritisiert. Ich darf Sie daran erinnern, daß das, was hier von der Bundesregierung beschlossen worden ist, letztlich die Folge des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8121
SchultzBeitritts zur 'EWG war. Es hat zwar eine Zeitlang gedauert, bis man das gemerkt hat; aber es ist in der Tat so. Daß nunmehr Dinge, die sich aus diesem Beitritt ergeben haben — Minderungen des Einkommens eines Berufsstandes, einer großen Schicht von selbständigen Existenzen bei uns —, ausgeglichen werden, kann man, glaube ich, nicht kritisieren.Hinzuweisen ist auch darauf, daß in der Sozialpolitik die Unfallversicherungsreform durchgeführt wurde, daß die Kindergeldreform erfolgt ist, wobei zweimal Leistungsverbesserungen vorgenommen wurden, und daß schließlich die von Herrn Kollegen Barzel schon erwähnte Politik der Ausbildungsbeihilfen begonnen wurde.Die Steuersenkung, von uns bereits 1961 gefordert, ist kein Wahlgeschenk. Was in der gesamtdeutschen Politik im vergangenen Jahr 'in Bewegung geraten ist, ist so bekannt, daß ich es nicht näher auszuführen brauche.Schließlich sagten Sie, daß sich in der Kriegsopfergesetzgebung die Bundesregierung erst auf den Druck des Parlaments hin zu größeren Maßnahmen bereit gefunden habe. In der Demokratie müssen Parlament und Regierung über die Dinge sprechen, und das 'Ergebnis allein ist entscheidend.Ich weise noch auf das Beweissicherungsgesetz und das Flüchtlingshilfegesetz hin, die von der Koalition in diesem Bundestag verabschiedet worden sind.Lassen Sie mich nun auf .die Probleme eingehen, die durch die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers aufgeworfen worden sind. Ich darf das auch deswegen tun, weil ich die Ehre hatte, 'in der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers persönlich genannt zu werden als einer von denen, die über die im Nahen Osten ergriffenen Maßnahmen unterrichtet worden seien. Ich muß 'sagen, daß sich für mich die Dinge etwas anders darstellen.Wir haben im Verteidigungsausschuß den Titel Ausrüstungshilfe erstmals am 21. März 1962 kennengelernt. Damals ist gesagt worden, daß über diese Dinge die Bundesregierung mit den Fraktionsführungen sprechen solle. Bei .dieser Erörterung im Verteidigungsausschuß waren beteiligt: Kollege Kliesing, Kollege Merten und unser verstorbener Kollege Döring. In der Orientierung, die wir dann erhielten, wurde allerdings von dem Problem Israel nichts gesagt, sondern darin war nur von Hilfe für afrikanische Staaten die Rede. Das muß hier auch einmal festgestellt werden. Es ist ja wohl so, daß mit diesen Dingen vor Beginn ,des Jahres 1961 bzw. vor Beginn der Legislaturperiode dieses Bundestages angefangen wurde.
Ich bin wie Kollege Barzel der Auffassung, daß wir in den Grundfragen der deutschen Außenpolitik, auch der Nahostpolitik, zu einer gemeinsamen Haltung kommen müssen und daß diese gemeinsame Haltung in der Unterstützung der Politik der Bundesregierung bestehen muß. Wir sind nicht der Auffassung, daß, wie Kollege Erler meint, die Bundesregierung zurücktreten sollte. Wir sind der Meinung, daß hier eine schwierige Strecke zu überwinden ist, daß wir aber die Männer haben, die sie überwinden können.
Nichtsdestoweniger scheint mir hier der Platz zu sein, über die 'Beweggründe, die die Politik gestalten sollten, zu sprechen. Der Herr Bundeskanzler hat schon darauf hingewiesen, daß drei Komponenten ,das Verhältnis der Bundesrepublik zu den Völkern des Nahen Ostens bestimmen. Diese drei Komponenten möchte ich aus unserer Sicht zusammenfassend so darstellen: Die eine Komponente ist die moralische Verpflichtung des deutschen Volkes gegenüber dem jüdischen Volk und der aufrichtige Wunsch nach Versöhnung mit diesem Volk. Die zweite Komponente ist die traditionelle Freundschaft des deutschen Volkes zur arabischen Welt. Eine dritte Komponente, die unser Handeln bestimmen kann, ist die Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland frei von dem Vorwurf des Kolonialismus ist. Vielleicht haben uns gerade deswegen unsere Verbündeten hier in ein Engagement gebracht, das weiter gegangen ist, als wir es auf uns nehmen konnten oder als wir es hätten auf uns nehmen sollen.
Die jüngste deutsche Geschichte mahnt uns, auch schon den Anschein einer Einmischung in die Angelegenheiten fremder Völker oder Gruppen zu vermeiden. Für uns stellt sich deshalb die Frage der Lieferung von Waffen in andere Länder in einem anderen Sinne als für alle 'anderen Völker der Welt. Ein Grundsatz allerdings erscheint unumstößlich: Waffenlieferungen in Spannungsgebiete sollte 'die Bundesrepublik unterlassen. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung durch ihren Entschluß, die Waffenlieferungen nach Israel einzustellen, inzwischen die Konsequenzen ,aus diesem Grundsatz gezogen hat.Auf der anderen Seite ist der Anspruch der Alleinvertretung des deutschen Volkes durch die Bundesregierung ein Kernstück unserer Außenpolitik. Die Bundesregierung und auch die Parteien im Hohen Hause haben sich zur Sicherung dieses Anspruchs für die „Hallstein-Doktrin" entschieden. Die Vorbehalte der Freien Demokratischen Partei gegen die „Hallstein-Doktrin" sind bekannt, und es wäre, glaube ich, 'unredlich, wenn ich das hier nicht noch einmal deutlich zum Ausdruck 'brächte. Unsere Vorbehalte gründen sich auf die Sorge, daß die „Hallstein-Doktrin" zu einer Immobilität der deutschen Außenpolitik führen könnte.Wir sind allerdings der Meinung — und ich glaube, hier befinden wir uns in Übereinstimmung mit 'denen im Hause, ,die unsere Vorbehalte teilen; sie sind wohl nicht allein auf unsere Partei beschränkt —, daß wir es ablehnen müssen, diese Doktrin unter Druck aufzugeben. Eine solche Entscheidung müßte in der ganzen Welt Verwirrung stiften und 'den Anschein erwecken, die Bundesrepublik 'wollte in Zukunft Idas Alleinvertretungsrecht nicht mehr geltend machen. Ich glaube aber, daß eine Modifizierung, wie sie z. B. in der Errichtung von Handelsmissionen in 'den Ostblockstaaten
Metadaten/Kopzeile:
8122 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Schultzzum Ausdruck kam, eine zielbewußte und elastische deutsche Außenpolitik ermöglicht, und die scheint uns für die deutschen Belange, insbesondere für die Frage der Wiedervereinigung, eine politische Notwendigkeit 211 sein.Es ist deswegen notwendig, zu vermeiden, daß uns Doktrinen in politische Situationen bringen, in denen die Anwendung der Doktrin unumgänglich ist. Aus diesem Grunde hat die FDP, die die Einladung Ulbrichts nach Kairo ebenso verurteilt wie die anderen Parteien, entgegen den Forderungen ,aus anderen politischen Lagern von Anfang an davor gewarnt, die Einladung Ulbrichts und seinen Besuch zum Anlaß vielleicht sogar des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zu nehmen. Wir haben darauf hingewiesen, daß das deutsche Verhältnis zur Vereinigten Arabischen Republik nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit den deutschen Beziehungen zu allen arabischen Staaten und zum Staat Israelgesehen werden muß.Die arabischen Staaten haben deutsche Wiedergutmachungsleistungen an Israel als Notwendigkeit erkannt und hingenommen. Sie waren sich allerdings auch 'einig in der Verurteilung von Waffenlieferungen an Israel. Die Einstellung der Waffenhilfe hat eine Klärung der Situation im Nahen Osten herbeigeführt. Damit ist der Ulbricht-Besuch in der Vereinigten Arabischen Republik wieder auf die Kernfrage reduziert, ob Ägypten bereit ist, auch in Zukunft das Alleinvertretungsrecht der Bundesrepublik zu respektieren oder nicht.
Wir erwarten, daß diese Haltung von Präsident Nasser erkannt wird und die entsprechenden Folgerungen gezogen werden.Zwischen der Einstellung der Waffenhilfe einerseits und der Vermeidung einer Zuspitzung der Situation andererseits ist das einzige Instrument der Bundesrepublik gegenüber der Vereinigten Arabischen Republik die Entwicklungshilfe. Wir sind der Auffassung, daß die Entwicklungshilfe ein sehr feines Instrument ist. Eine plötzliche Kappung könnte zu einer Verletzung wichtiger deutscher Interessen in Ägypten führen. Ich denke hier vor allen Dingen an den kulturellen Bereich. Wirksame finanzielle Einschränkungen können dagegen ein entscheidender Beitrag zur Stützung unserer politischen Forderungen sein. Daneben kommt es darauf an, die Beziehungen zu den anderen arabischen Staaten zu nutzen. Das scheint um so aussichtsreicher zu sein, als die Belastung der Beziehungen zu diesen Staaten inzwischen durch Einstellung der Militärhilfe beseitigt ist. Unser Appell geht in dieser Stunde auch an die drei verbündeten Mächte, die im Deutschland-Vertrag die Unterstützung des Anliegens der deutschen Einheit übernommen haben. Die Bundesrepublik ist ein verläßlicher Partner des Westens. Die verbündeten Mächte haben mit ihrem Bekenntnis zu Berlin ihre Entschlossenheit bezeugt, uns bei der Wahrung unserer vitalen Interessen zur Seite zu stehen. Diese Interessen sind im Augenblick im Vorderen Orient gefährdet. Wir müssen auch hier erwarten, daß alle drei verbündeten Mächte ihre Solidarität mit der Bundesrepublik bezeugen.Wir sind weiter der Auffassung, daß eine wirksame deutsche Reaktion auf den Ulbricht-Besuch in Kairo voraussetzt, daß die Politik der Bundesregierung von allen politischen Kräften unterstützt, aber von der Bundesregierung allein durchgeführt wird. Wir haben das Gefühl, daß in Israel und in Kairo zuviel private Initiative von einzelnen Politikern entfaltet worden ist.
Aus den in Tel Aviv und Kairo abgegebenen und sicher nicht immer koordinierten Erklärungen mag sich manche Fehleinschätzung der offiziellen deutschen Politik ergeben haben. Wir wissen, daß die Tatsache des gespaltenen Deutschlands uns auf der einen Seite zu einer besonderen Vorsicht in der Außenpolitik, andererseits zu einer besonderen Aktivität verpflichtet. Es ist sicher, daß es schwierig ist, zwischen diesen beiden Notwendigkeiten den richtigen Weg zu finden. Ich bin aber überzeugt, daß die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit diesen Weg finden wird.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat zu Eingang dieser Debatte sowohl die Lage als auch unsere Politik in der besonderen Situation dargestellt und erläutert. Ich möchte dem jetzt nichts hinzufügen, sondern mich nur mit ein paar Bemerkungen beschäftigen, die Herr Kollege Erler gemacht hat.Herr. Kollege Erler hat die Meinung geäußert, in dieser Sache sei das Parlament stets zu spät, zu unvollständig und halbwahr unterrichtet worden. Das deckt sich mit Ausführungen, die der Kollege Mommer gestern oder vorgestern vor der Presse gemacht hat, wo er insbesondere mir vorgeworfen hat, daß ich im Auswärtigen Ausschuß diese Sache nicht zutreffend dargestellt hätte. Ich habe den Kollegen Mommer darauf bereits unmittelbar angesprochen. Ich habe mir inzwischen das Protokoll des Auswärtigen Ausschusses besorgt. Aus ihm ergibt sich ganz einwandfrei, daß ich die Weisung, die die deutschen Botschafter in den arabischen Ländern erhalten haben, dort vorgetragen habe genau dahin, daß künftige Waffenlieferungen in den Nahen Osten nicht mehr vereinbart würden. Ich habe gleichzeitig ausgeführt, daß man sich gegenwärtig bemühe, den ausstehenden kleinen Teil des Waffenhilfeversprechens an Israel abzulösen. Ich muß mich also mit Nachdruck dagegen verwahren, daß der Auswärtige Ausschuß nicht richtig und wahrheitsgemäß unterrichtet worden sei.Was die Unterrichtung des Parlaments in dieser Sache angeht, so ist, glaube ich, in einer so schwierigen Situation so viel geschehen, wie überhaupt nur geschehen konnte. Der Herr Bundeskanzler hat die Fraktionsvorsitzenden gleich zu Anfang bei sich gehabt. Der Bundeskanzler und ich haben später gemeinsam den Auswärtigen Ausschuß unterrichtet,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8123
Bundesminister Dr. Schröderund jeder Vorwurf dieser Art ist also höchst unangebracht und muß zurückgewiesen werden.Sie haben ein Wort zu dem Marqués de Nerva gesagt, der freundlicherweise in dieser Sache seine guten Dienste geleistet hat. Ich möchte dazu, da er nach meiner Meinung hier zu Unrecht angegriffen worden ist, etwas sagen. Wir haben — im übrigen in 'Übereinstimmung mit dem, was im Auswärtigen Ausschuß besprochen worden ist —, unsere Freunde gebeten — das gilt sowohl für die übrigen arabischen Staaten wie für unsere westlichen Verbündeten und andere Freunde —, ihre guten Dienste zur Verfügung zu stellen. Die spanische Regierung hat sich dafür angeboten unter Bezugnahme auch darauf, daß sie das bereits einmal im Jahre 1959 anläßlich der damals in Verbindung mit dem Grotewohl-Besuch in Kairo entstandenen Schwierigkeiten getan hat. Der spanische Außenminister hat den Ministerialdirektor Marqués de Nerva nach Kairo entsandt, und Marqués de Nerva hat klare Richtlinien und dieselben klaren Instruktionen in dieser Sache gehabt wie unsere Botschafter in den arabischen Ländern. Es sind ihm danach eine Reihe von Äußerungen fälschlich zugeschrieben worden. Er hat diese Äußerungen richtiggestellt. Ich möchte ausdrücklich der spanischen Regierung noch einmal für ihre Bereitwilligkeit danken, mit der sie uns sofort in dieser Sache unterstützt hat.
Das ist alles, was ich zunächst bei diesem Stand der Debatte sagen wollte. Der Herr Bundeskanzler hat die Zone als eine Gewitterzone geschildert. Das ist, glaube ich, eine durchaus maßvolle Beschreibung der Dinge, mit denen wir derzeit zu tun haben. Aber ich möchte ganz klar eines sagen: Die durch den Ulbricht-Besuch bzw. seine Ankündigung entstandene schwierige Lage läßt sich nur mit Behutsamkeit, Festigkeit und Umsicht meistern. Dabei brauchen wir die Unterstützung aller unserer Freunde und dabei 'brauchen wir die Unterstützung des ganzen Hauses. Wir werden uns aber in Behutsamkeit, Festigkeit und Umsicht durch noch so harte Angriffe nicht beirren lassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Außenminister hat hier gesagt, ich hätte eine falsche Darstellung des Vorgangs der Unterrichtung des Auswärtigen Ausschusses über die Weisung an die deutschen Botschafter bei den arabischen Regierungen gegeben. Herr Minister, meine Kollegen, die mit dabei waren, aus meiner Fraktion, aber, ich glaube, auch aus der anderen, stehen mit dem Eindruck, den sie aus der Sitzung herausgenommen haben, dem entgegen, was Sie hier über das Protokoll berichtet haben, das da geführt worden sein soll. Wir sind alle ein wenig überrascht und mehr als überrascht gewesen, als gegen Ende der Sitzung mitgeteilt wurde — und zwar nicht durch Sie, sondern durch den Präsidenten dieses Hauses, dem man ein Fernschreiben hereinreichte daß die deutschen Botschafter bei den
arabischen Regierungen angewiesen worden seien, mitzuteilen, die deutschen Waffenlieferungen an Israel würden eingestellt. Bei uns allen war die Empörung ziemlich hell, daß wir stundenlang debattiert hatten und so die Dinge erörtert hatten, als ginge es noch darum, eine Lösung zu finden, und dann erfuhren, daß die eigentliche Trumpfkarte in dem ganzen Spiel von Ihnen weggegeben worden war, ohne irgend etwas dafür zu verlangen.
So war der wirkliche Sachverhalt, und weder in der Sitzung des Ausschusses noch danach, auch heute morgen in der Fragestunde nicht, ist es möglich gewesen, Klarheit darüber zu bekommen, was nun eigentlich gesagt worden ist, welche Mitteilung den arabischen Regierungen gemacht worden ist. „Die Einstellung der Waffenlieferungen" kann sehr Verschiedenes bedeuten. Das kann bedeuten, daß man alles, dessen man noch habhaft werden kann, auf der Bahn oder auf dem Kai, sofort festhält. Das kann 'bedeuten, daß man das, was in der Expedition ist, weiter expediert. Es kann auch bedeuten, daß man das, was versprochen ist, was abgemacht ist, auch dann noch liefert, sich also an seine vertraglichen Zusagen hält. Das ist völlig unklar geblieben, und auch jetzt haben wir keine Aufklärung über den wirklichen Sachverhalt bekommen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin wirklich auf das tiefste enttäuscht durch dieses Verhalten. Ich habe mich gestern bemüht, den Kollegen Mommer bereits aus dem Gedächtnis in demselben Sinne zu unterrichten, wie ich das jetzt an Hand des Protokolls tue. Herr Kollege Mommer, Sie sollten nicht diese Aufzeichnung, die nicht von uns stammt, sondern die natürlich das offizielle Protokoll ist, in irgendeiner Weise in Zweifel ziehen. Ich muß einem solchen Schritt, wie Sie ihn in der Öffentlichkeit getan haben, entgegentreten — ich tue das nur außerordentlich ungern — unter Verwendung einer vertraulichen Ausschußberatung. Sie haben die Vertraulichkeit gebrochen. Sie haben die Presse darüber unterrichtet.
Ich will Ihnen noch einmal den entscheidenden Satz vorlesen. Damit wird alles widerlegt, was Sie gerade ausgeführt haben. Dieser entscheidende Satz heißt:Die deutschen Botschaften in den arabischen Ländern hätten deshalb Weisung erhalten, zu erklären, daß künftige Waffenlieferungen— hier steht in Klammern noch einmal „pro futuro"; die Worte habe ich gebraucht —in den Nahen Osten nicht mehr vereinbart würden.Das ist wohl eine ganz klipp und klare Erklärung.
Metadaten/Kopzeile:
8124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Bundesminister Dr. Schröder— Das habe ich nicht am Ende der Sitzung erklärt, sondern ich habe es erklärt fünf Minuten, nachdem ich in den Saal hineinkam. Sie können das ja nachsehen.Dann habe ich weiter ausgeführt, man bemühe sich gegenwärtig, den ausstehenden kleinen Teil des Waffenlieferungsversprechens an Israel abzulösen. Ich bitte, das nicht weiter in Zweifel zu ziehen. Ich finde es wirklich tief beklagenswert, daß Sie sich so verhalten.
Es haben sich jetzt die Abgeordneten Erler, Mommer und Metzger gemeldet. Es ist schwer zu beurteilen, wer sich zuerst gemeldet hat. — Herr Abgeordneter Erler!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lediglich zu der Frage, ob hier ein vertraulicher Tatbestand unter Bruch der Vertraulichkeit — das war der Inhalt des soeben erhobenen Vorwurfs — der Öffentlichkeit unterbreitet worden ist.
— Was meinen Sie wohl, was Sie gemacht hätten, wenn in der Frage der Waffenlieferung damals jemand etwas gesagt hätte! — Also lediglich zu diesem Punkt möchte ich auf folgendes aufmerksam machen: Vor der CDU/CSU-Fraktion hat der Herr Bundeskanzler dargelegt, mit der Erklärung des ägyptischen Ministerpräsidenten Sabri vor dem ägyptischen Parlament, die Bundesrepublik wolle Israel nicht diplomatisch anerkennen und die Waffenhilfe einstellen, habe der ägyptische Ministerpräsident den Auftrag des spanischen Diplomaten sehr freizügig ausgelegt. So lese ich das. Ich war nicht dabei; das muß ja in Ihrer Sitzung gewesen sein.
In der gleichen Ausgabe der „Welt" findet sich die Wiedergabe von Agenturmeldungen aus dem Nahen Osten. Danach hat Ministerialdirigent Böker den libanesischen Außenminister Takla darüber informiert, daß die Bundesregierung beschlossen habe, Waffenlieferungen in Spannungsgebiete, vor allem in den Nahen Osten, einzustellen und in absehbarer Zeit keine diplomatischen Beziehungen mit Israel aufzunehmen. Ist das nun auch eine „freizügige" Äußerung?
Bei dieser Sachlage müssen wir leider dabei bleiben, daß es trotz der Erklärungen des Ministers außerordentlich schwer ist, in den Sachverhalt selbst völlige Klarheit hineinzubringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Sache muß der Wahrheit die Ehre gegeben werden.
Das Protokoll sagt nur etwas darüber aus, daß der Herr Minister etwas gesagt hat. Das Protokoll sagt nichts darüber aus, daß der_ Herr Bundestagspräsident überhaupt erst die Veranlassung zu dieser Aussage gegeben hat.
Tatsache ist, daß wir lange verhandelt haben, daß wir beinahe am Ende der Sitzung waren und der Herr Bundestagspräsident dann plötzlich ein Telegramm aus der Tasche zog, das aus Beirut kam und in dem stand, daß der Ministerpräsident der VAR erklärt habe, die Waffenlieferungen an Israel würden eingestellt. Daraufhin hat der Herr Minister sich dann geäußert. Das ist die Tatsache. Da beißt keine Maus einen 'Faden ab.
Herr Abgeordneter Dr. Mommer, wünschen Sie noch das Wort? — Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir aufrichtig leid, daß wir mit solcher Hartnäckigkeit einen solchen Punkt aufzuklären versuchen müssen, den man wirklich nur an Hand der Aufzeichnungen am besten darstellen kann. Ich bin in diese Sitzung — damit Sie es wirklich genau sehen; es tut mir leid, Herr Kollege Metzger, wenn Ihr Gedächtnis Sie täuscht — gekommen, nachdem sie von 18.35 Uhr bis 18.45 Uhr unterbrochen worden war.
— Ich will es Ihnen ja nur erzählen, weil Sie glauben, am Ende der Sitzung hätte sich etwas ereignet. Ich spreche vom Beginn der Sitzung. Ich spreche davon — das ist der einzige Punkt an der Sache, der mich interessiert —, ob ich den Ausschuß wahrheitsgemäß unterrichtet habe oder nicht. Das ist das einzige, was mich interessiert; alles andere ist uninteressant, und ich bin gerade dabei, das zu beweisen, um Sie dazu zu 'bewegen, unberechtigte Vorwürfe zurückzunehmen. Ich habe dann angeregt, keinen Bericht zu geben, sondern auf Fragen zu antworten. Dann hat der Abgeordnete Mommer eine Frage gestellt, die ich jetzt nicht weiter zitieren will. Dann hat der Vorsitzende um Stellungnahme zum Ergebnis der Beratungen des Unterausschusses Nr. 3 gebeten; darauf hat der Kollege Wischnewski eine Frage gestellt, und ich habe das Wort bekommen. Dann habe ich — ich sage es jetzt zum drittenmal — ausgeführt, daß die deutschen Botschaften in den arabischen Ländern Weisung erhalten hätten zu erklären, daß künftige Waffenlieferungen — pro futuro — in den Nahen Osten nicht mehr vereinbart würden. Ich habe gleichzeitig den Israel-Punkt behandelt und — ein paar Zeilen später — gesagt, man 'bemühe sich gegenwärtig, den ausstehenden kleinen Teil des Waffenhilfeversprechens an Israel abzulösen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie der Wahrheit die Ehre geben wollten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8125
Der Wahrheit soll man immer die Ehre gelben, Herr Minister, aber hier steht diese Aussage, die Sie aus dem Protokoll zitieren, gegen das, was alle meine Kollegen — nicht nur ich —, die 'anwesend waren, da nicht nur gehört, sondern empfunden haben, und 'so etwas haftet einem ganz besonders im Gedächtnis.
Fragen Sie mal Ihre Kollegen.
Ich besinne mich sehr wohl, daß auch .der Präsident dieses Hauses baß erstaunt war, als die Telegramme hereingereicht wurden,
denn bis dahin hatten wir debattiert, ohne zu wissen, daß der Zug, um den es ging, schon abgefahren war.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krümmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Diskussion, die hier um einen Tatbestand entbrannt ist, kann ich als in jener Sitzung erstmalig im Auswärtigen Ausschuß Anwesender nicht nur sagen, .daß ich die Dinge nicht nach meinen Empfindungen in Erinnerung habe, sondern auch, daß ich sie nach dem Tatbestand in Erinnerung habe, wie er jetzt aus dem Protokoll von dem Herrn Außenminister hier zum Vortrag gebracht worden ist. Mehr als das kann ich nicht sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige wenige Worte zur Klarstellung. Warum halben wir uns denn eigentlich im Auswärtigen Ausschuß bis zur letzten Minute darüber unterhalten, ob eine gesetzliche Initiative notwendig ist, wenn vom Auswärtigen Amt in dieser Frage 'bereits eine Anweisung an .die Botschaften ergangen war? 'In dem Augenblick, als der Inhalt des Telegramms bekanntgegeben wurde, wurde durch Herrn Präsidenten Dr. Gerstenmaier die Debatte eingestellt, weil wir uns darüber im klaren waren, daß es nicht mehr notwendig war, über diese Frage zusprechen, da der diskutierte Schritt bereits vollzogen war.
Herr Abgeordneter Metzger, wünschen Sie noch das Wort? — Bitte sehr.
Es geht hier um die Frage, ob das Parlament rechtzeitig unterrichtet worden ist. Dais 'Protokoll ist unvollständig; darüber gibt es keinen Zweifel. Denn die Tatsache, daß der Präsident Gerstenmaier ein Telegramm vorgelegt hat, steht im Protokoll überhaupt nicht drin. Das ist der entscheidende Punkt.
Das ist kein Eindruck, sondern das ist eine Tatsache.
Wir haben festgestellt, daß der Herr Minister zunächst einmal, als dieses Telegramm vorgelesen worden ist, in einige Verlegenheit 'gekommen ist, und daß dann 'die 'Erklärung .abgegeben worden ist: Dann hat 'der Herr Bundestagspräsident erklärt, jetzt habe es keinen Sinn mehr, über 'das Gesetz zu verhandeln, denn jetzt seien ja neue Tatsachen vorhanden. So ist der Hergang 'gewesen.
Das ist die Wahrheit. Der Herr Minister kann sich irren; 'das will ich ihm zugestehen. Ich will ihm nicht unterstellen, daß er tatsächlich die Unwahrheit gesagt hat. Das liegt mir fern. Aber er irrt sich. Darüber kann es keinen Zweifel geben. Vielleicht könnte der Herr Präsident des Bundestages sich entschließen, einmal hier heraufzugehen, um die Sache so zu schildern, wie er meint, daß sie sich zugetragen habe.
Zunächst hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß diese Sache zu ihrer Aufklärung soviel Zeit beansprucht. Ich habe vorgelesen, was sich zu Beginn der Sitzung auf Grund meines Vortrages ereignet hat, und habe damit dargetan, daß dies eine wahrheitsgemäße Darstellung der von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen sei. Dabei bleibe ich.
Sie haben zitiert, Herr Kollege Metzger, daß an einer späteren Stelle — das ist gegen Schluß der Sitzung gewesen — Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier eine soeben eingetroffene Meldung von upi und dpa aus Beirut verlesen habe, nach der in der Nationalversammlung von Ali Sabri erklärt worden sei, die Bundesregierung werde die Waffenlieferungen an Israel einstellen; damit erübrige sich jede weitere Diskussion.
Ich habe dazu gleich Stellung genommen — das war gegen Schluß der Sitzung — und habe gesagt, daß wir nur von künftigen Vereinbarungen gesprochen haben; dies sei also eine unrichtige Meldung. Wenn sie aus dem ägyptischen Parlament komme, könne ich das nicht verhindern. Das ist der Zusammenhang, das ist der zeitliche Ablauf.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Meine Damen und Herren! Ich komme mir so etwas vor, wie wenn man in den Zeugenstand gerufen wird.
Ich werde ohne Ansehung der Person genau dassagen, was ich für wahr und für richtig halte, und es
Metadaten/Kopzeile:
8126 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
D. Dr. Gerstenmaierso darstellen, wie es in meinem Bewußtsein steht. Ich muß aber auch dazu bemerken, daß ich nur ein fehlsamer und dem Irrtum unterworfener Mensch bin. Das vorausgeschickt, möchte ich folgendes sagen.Es ist richtig, was der Kollege Metzger hier gesagt hat, nämllich, daß gegen Ende einer langen Debatte, in der ich — das will ich ganz offen sagen — die Hoffnung hegte, zum Schluß doch noch die große Mehrheit des Ausschusses für einen Gedanken zu gewinnen, den wir am Tage vorher in einer vierstündigen sehr eingehenden und fleißigen Sitzung in dem Unterausschuß behandelt, beraten und schließlich auch formuliert hatten, also sozusagen kurz ehe wir diesen Antrag des Unterausschusses zur Abstimmung stellen konnten, mir von unserem Pressereferat eine Reutermeldung, ein kurzes Telegramm, hereingereicht wurde. In diesem Telegramm war der entscheidende Satz der, daß der ägyptische Ministerpräsident vor der ägyptischen Nationalversammlung festgestellt habe, daß die Bundesregierung erklärt habe oder habe erklären lassen, daß sie die Waffenlieferungen an Israel einstellen werde. Das ist im Verständnis des Deutschen ein Futurum. Ich las das vor. Der Herr Bundesaußenminister hat zunächst einmal gesagt: ja, er habe schon im Rahmen seiner Darlegungen dargestellt, daß die Bundesregierung zu dieser Einstellung von Waffenlieferungen kommen werde. In dem Augenblick griff er aber nach dem Telegramm, das ich ihm gab, und sagte, er sehe sich verpflichtet zu präzisieren. Herr Außenminister, ich erinnere mich, daß Sie wörtlich gesagt haben, das gelte pro futuro.
— Entschuldigen Sie! Ich sage ausdrücklich: ich erinnere mich in diesem Zusammenhang daran, daß Sie gesagt haben, das gelte pro futuro. Ich habe daraus den Schluß gezogen, daß es in diesem Augenblick keinen Sinn mehr habe, die Vorlage des Unterausschusses weiter zu verfolgen. Deshalb habe ich gesagt: Meine Herren, wir können uns schenken, darüber weiter zu verhandeln; ich glaube, daß damit die Sache aus ist. Ich habe deshalb auch davon abgesehen, die Vorlage des Unterausschusses zur Abstimmung zu stellen, und ich hatte den Eindruck, daß der gesamte Ausschuß einschließlich des Herrn Bundesaußenministers darin stillschweigend mit mir einverstanden war, denn siehe, es gab keine andere Wortmeldung mehr, es gab keine andere Meinung mehr. Tatsächlich hat man Schluß gemacht.Was dann allerdings nach der Sitzung kam, das finde ich betrüblich, weil es etwas die Klarheit vernebelt hat. Unglücklicherweise hat ein Sprecher des Auswärtigen Amts, während wir in der Sitzung waren, eine Erklärung abgegeben, daß von einer solchen Mitteilung — über wen sie auch immer gegangen ist, stand dabei gar nicht zur Debatte —, im Auswärtigen Amt, jedenfalls ihm, nichts bekannt sei. Das war natürlich im höchsten Maße verwirrend und führte eine Stunde später zu einem Anruf von Reuter bei mir, was denn nun los sei, ob denn diese Reuter-Meldung überhaupt vollständig falsch sei. Daraufhin habe ich gesagt: „Bitte, wenden Sie sich an den Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, der ist zuständig", und — als er sagte: „Istnicht zu erreichen" — „Wenden Sie sich an den Bundespressechef". Darauf 'er: „Nicht zu erreichen". Auf die Frage, ob in dieser Meldung eine Diskriminierung Israels zu sehen sei, habe ich geantwortet: „Eine solche Diskriminierung ist von der Bundesregierung, davon bin ich überzeugt, ganz gewiß nicht beabsichtigt. Ich bin nicht der legitimierte Sprecher der Bundesregierung, aber das weiß ich und das nehme ich auf meinen Eid: eine solche Diskriminierung ist von niemandem beabsichtigt. Und was den Deutschen Bundestag anlangt, kann ich Ihnen die bindende Erklärung abgeben: von keinem Mitglied des Deutschen Bundestages ist eine solche Diskriminierung beabsichtigt." Das muß festgehalten werden.Aber im übrigen mache ich auf das Futurum aufmerksam, weil mich der Reuter-Mann natürlich mit Recht gefragt hat: „Das entspricht doch Ihren eigenen Intentionen, Sie waren doch für die Beendigung der Waffenlieferungen jedenfalls an Länder außerhalb der NATO; Sie waren dafür schon seit Monaten, sind Sie denn auch jetzt dafür?" Daraufhin habe ich gesagt: „Das ist richtig. Ich bin auch jetzt dafür. Aber ich bin für eine Formel, die Israel nicht diskriminiert. Deshalb muß man eine objektive Lösung suchen." Dieses Hin und Her war der Auftakt von nicht gerade sehr klärenden Verlautbarungen hin und her.Ich mache den Vorschlag, meine Damen und Herren, daß diese Diskussion in diesem Augenblick hier nicht weitergeführt wird.
Ich schlage weiter vor, zu bekunden, daß das, was hier gesprochen worden ist — Herr Außenminister, ich glaube, damit könnten Sie auch einverstanden sein —, gesagt wurde ohne die Absicht der mindestens ehrenrührigen Unterstellung von der einen oder anderen Seite. Wir müssen davon herunter. Wir müssen weiterkommen. Denn es ist schwierig genug, in die Zukunft hineinzugehen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid zu insistieren. Aber es geht hier um die Frage — und das ist keine Bagatelle —, ob die Bundesregierung den Ausschuß von vornherein richtig unterrichtet hat oder ob sie ihn nicht richtig unterrichtet hat. Ich habe die Aufzeichnung vor mir. Sie läuft von Seite 1 bis Seite 12. Das, was ich gerade zitiert habe — ich will es jetzt nicht noch einmal wiederholen —, findet sich auf der Seite 3. Herr Präsident, es tut mir leid, ich habe einen gewissen Vorteil im Augenblick, daß ich die Aufzeichnung vor mir habe. Das dient zur Steuer der Wahrheit, und diese Aufzeichnung, das Protokoll ist sicherer
als das individuelle Gedächtnis.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8127
Bundesminister Dr. Schröder— Es tut mir leid. Dieser Text ist unwiderleglich, und der Ausdruck „pro futuro" fällt auf Seite 3.Ich stelle noch einmal fest: Der springende Punkt in dieser Frage war nicht, ob in der Zukunft geliefert wird, sondern: Wird es für die Zukunft weitere Vereinbarungen geben? Ich habe genau in Übereinstimmung mit allen Instruktionen, die wir erteilt haben, gesagt: Es wird keine weiteren Vereinbarungen geben. Ich habe ausdrücklich offengelassen, wieweit der ausstehende kleine Teil des Waffenhilfeversprechens an Israel abzulösen sei. Das ist das, was ich eingangs erklärt habe. Ich glaube, das sollte nun endgültig feststehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich der Auffassung des Herrn Bundestagspräsidenten anschließen, daß es nicht zweckmäßig ist, über diesen Punkt eine Detaildebatte fortzuführen, und möchte mich ausdrücklich auch seiner Erklärung anschließen — an wen es auch immer gerichtet sein mag —, daß zu diesem Punkt niemand in diesem Hause gegen ein anderes Mitglied des Hauses oder gegen ein Mitglied der Bundesregierung ehrenrührige Vorwürfe beabsichtigt habe.
Liegen zur allgemeinen Aussprache sonst noch Wortmeldungen vor? — Das ist nicht der Fall. Dann, meine Damen und Herren, kann ich die allgemeine Aussprache zum Einzelplan 04 schließen. Wir kommen aber noch zur Spezialaussprache.
Nun muß ich zuerst einmal das Haus fragen, ob es eigentlich noch die beiden Berichterstatter zu hören wünscht oder ob es darauf verzichtet. — Das Haus verzichtet auf die Berichterstattung.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 562 *) auf. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Hermsdorf das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause liegt der Antrag Umdruck 562 der sozialdemokratischen Fraktion vor. Er zerfällt in zwei Teile. Die Ziffer 1 möchte ich nicht begründen; die Begründung ist bereits vom Vorsitzenden meiner Fraktion gegeben worden.
Meine Damen und Herren, ich möchte um Ruhe für den Redner bitten.
Ich verstehe, daß man im Augenblick etwas unruhig ist; denn jetzt kommen wir zu dem eigentlichen Geschäft, da wird es immer
*) Siehe Anlage 3
unruhig. — Ich möchte mich nur mit Ziffer 2 des Antrags befassen.
Wir haben Ihnen unter Ziffer 2 vorgeschlagen, den im Haushaltsausschuß auf Antrag der CDU durchgesetzten neuen Tit. 314 — Aufklärung und Unterrichtung der Bevölkerung auf den Gebieten der Sozialinvestitionen — von 5 Millionen DM zu streichen. Ich möchte zur Begründung folgendes ausführen.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht, die Debatte über das Bundespresseamt im allgemeinen zu führen. Ich möchte hier nur feststellen, daß das Bundespresseamt unter der Leitung des Staatssekretärs von Hase zu mindest noch nicht begriffen hat, daß in diesem Hause eine Opposition vorhanden ist. Denn es sieht seine Aufgabe darin, die Aufklärungsarbeit ausschließlich für eine Partei zu betreiben, und er schweigt die Opposition tot oder kritisiert sie nur negativ.
Dieses Presseamt hat bisher eine ganze Menge Dispositionsfonds. Wir sind der Auffassung, daß die vorhandenen und schon bewilligten Mittel ausreichen würden, um auch das, wofür Sie hier einen neuen Titel aufführen, absolut zu befriedigen.
Ich möchte hinzufügen, meine Herren von der CDU, daß Sie uns im Haushaltsausschuß und auch hier im Plenum immer wieder dargelegt haben, Sie wollten unbedingt die magische Grenze einhalten. Sie haben bei allen Sachfragen Abstriche vorgenommen, wo es nur irgend ging. Sie haben selbst dort Abstriche vorgenommen, wo Sie es selber nicht verantworten konnten. Es hat Sie aber überhaupt nicht gehindert, um eines reinen Propagandazwecks willen plötzlich 5 Millionen DM neu einzusetzen. Das ist kein konsequentes Verhalten.
Wir sind nicht gewillt, die Doppelzüngigkeit, mit der Sie hier reden, indem Sie uns immer nachweisen wollen, daß Sie zu diesem oder jenem sachlichen Zweck kein Geld haben, aber dann, wenn es um Propagandazwecke für Ihre Partei geht, sofort in den Steuersäckel greifen, mitzumachen.
Ich bitte deshalb das Hohe Haus, diese 5 Millionen DM zu streichen, weil der Betrag reinen Propagandazwecken der CDU mit Steuergeldern dient.
Das Wort hat der Abgeordnete Gewandt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal mit aller Entschiedenheit Uhren Vorwurf, Herr Kollege Hermsdorf, zurückweisen, das Presseamt diene nur einer Partei. Wenn Sie das behaupten, dann müssen Sie den Beweis antreten. Auch Sie, Herr Kollege Erler, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, daß die Darstellung, die Sie hier zum Rückerwerb der Deutschen Wochenschau gegeben haben, einen falschen Eindruck entstehen ließ. Es ist nicht richtig, daß die Bundesregierung die Deutsche Wochenschau zurückerworben hat, um
Metadaten/Kopzeile:
8128 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Gewandtsich dieses Instrument dienstbar zu machen. Genau das Gegenteil ist der Fall: sie will die Unabhängigkeit dieses Instrumentes bewahren.
— Das will ich Ihnen beweisen. Meine Herren, Sie lachen, aber Sie lachen zu früh. Sie werden mir vielleicht gestatten, zunächst einmal eine Begründung zu geben. Dann wollen wir einmal sehen, ob Sie noch lachen. Die Deutsche Wochenschau war zehn Jahre lang im Besitze der Bundesregierung. Dann hat sie die Wochenschau privatisiert in der Hoffnung, die Filmwirtschaft könne sich dieses Instrumentes bedienen und werde einsteigen. Aber der Schrumpfungsprozeß in der Filmwirtschaft hat dazu geführt, daß die Filmwirtschaft nicht in der Lage war, diese Erwartung zu erfüllen. Es bestand die Gefahr, Herr Kollege Erler, daß sich Interessenten dieses Instruments durch Kauf bemächtigen würden. Das hat die Bundesregierung verhindert. Sie wissen ganz genau, Herr Kollege Erler, daß die Bundesregierung auf die redaktionelle Gestaltung überhaupt keinen Einfluß hat.
Die redaktionelle Gestaltung wird vielmehr durch einen 'Beirat wahrgenommen, dem Vertreter aller soziologischen Gruppen und aller Parteien dieses Hauses angehören.Nun möchte ich noch zu Tit. 300 etwas sagen. Wir kennen dieses Thema ja aus allen Haushaltsdebatten. Der Tit. 300 ist seit dem Jahre 1959 unverändert.
— Herr Kollege Schäfer, Sie können sich ja melden. — Ich werde Ihnen das auch begründen. Die Möglichkeiten der Regierung sind im Laufe der Jahre außerordentlich begrenzt worden, weil sich Kostensteigerungen ergeben haben, insbesondere im Ausland. Sie wissen, daß die Mittel zu einem erheblichen Teil für das Ausland bestimmt sind. Im Hinblick auf unsere auswärtigen Beziehungen wird eine besondere Art der Behandlung dieses Themas angewandt. Dabei handelt es sich nicht um Geheimniskrämerei, sondern diese Behandlung dient dem verfolgten Zweck. Das ist einer der Gründe für die besondere Behandlung, die in allen demokratischen Ländern, so auch in 'Großbritannien, üblich ist.Im übrigen ist es nicht so, daß die Bundesregierung diese Mittel für parteipolitische Zwecke mißbrauchen könnte. Es liegt eine ganz klare Zweckbestimmung vor, und der Rechnungshof nimmt eine Prüfung vor. Dabei prüft er nicht nur rechnerisch, sondern auch, ob diese Gelder entsprechend den Bestimmungen des Haushaltsvermerks verwandt worden sind.Abschließend möchte ich, Herr Kollege Hermsdorf, etwas zu Ihren Bemerkungen zu dem neuen Tit. 314 sagen. Ich habe immer gemeint, die SPD sei auch noch seit dem Godesberger Programm eine Partei der kleinen Leute. Der Mann, der über einen Wirtschaftsberater verfügt, der Mann, der einen Steuerberater hat, der Mann, der gute Bankverbindungen besitzt, wird darüber informiert, welche Möglichkeiten ihm die hier beschlossenen Gesetze geben, nicht aber der kleine Mann.
Diese Gesetze über Sozialinvestitionen und über Eigentumsbildung sind aber vor allem für den kleinen Mann gedacht; er muß darüber aufgeklärt werden, welche Möglichkeiten wir ihm bieten. Das hat mit Parteipropaganda überhaupt nichts zu tun. Denn Sie haben sich ja auch für die Sozialinvestitionen ausgesprochen; wir können also unterstellen, daß es sich um Wünsche des gesamten Hauses handelt. Deshalb sind wir 'für die Ablehnung Ihrer Anträge.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
— Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gewandt, gestatten Sie mir, daß ich zu Ihren Bemerkungen einige Klarstellungen gebe.Es ist erstens nicht richtig, wenn Sie sagen, daß sich der Titel 300 seit 1959 nicht geändert habe. Herr Kollege Gewandt, Sie wissen als Mitglied des Haushaltsausschusses genauso gut wie ich, daß eine ganze Reihe von Positionen aus dem Titel 300 herausgenommen und anderweitig im Informationsamt verlagert worden sind. Sie können also nicht sagen, er habe sich nicht geändert.Der zweite Punkt! Ich glaube nicht, daß Sie mit der Verstaatlichung der Wochenschau sozusagen die Unabhängigkeit der Wochenschau dadurch gewährleisten wollten, daß Sie nun ausgesprochen eine Wochenschau der Bundesregierung mit alleinigem Einfluß dieser Bundesregierung etablieren.Ich will Ihnen sagen, was wir am Bundespresseamt außer den Dingen, die ich vorhin angedeutet habe, auch noch kritisieren. Die Politik der Regierung und die Politik der Bundesrepublik müssen selbstverständlich überall in der Welt dargestellt werden. Wir sind aber der Meinung, daß es sich um eine Politik der Bundesrepublik und nicht um die einer bestimmten Richtung der Bundesrepublik handelt. Ich bin der Überzeugung, daß man diese Dinge in der freien Berichterstattung viel wirksamer und glaubwürdiger darstellen kann als mit rein staatlichen Institutionen. Was halten Sie denn davon, daß die Bundesregierung heute im Fernen Osten zwei Korrespondenten der dpa — also eines privaten Unternehmens — finanziert? Das tut Sie doch nicht etwa, weil Sie dpa helfen will, sondern sie tut es, weil Sie damit den Versuch macht, in einer bestimmten Richtung zu wirken.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8129
Hermsdorf— Herrn Sänger kann ich danach nicht mehr fragen, weil Sie es waren, die Herrn Sänger aus der dpa hinausgeschmissen haben.
Herr Abgeordneter Hermsdorf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Dr. Stoltenberg?
Bitte!
Herr Hermsdorf, ist Ihnen nicht bekannt, daß dpa schon zur Zeit von Herrn Sänger gewünscht hat, daß die Bundesregierung die Pressearbeit im Ausland — dpa — unterstützt, und daß Herr Kahn-Ackermann in seinen verschiedenen Vorschlägen zur auswärtigen Kulturpolitik immer wieder darauf hingewiesen hat, daß diese Förderung im öffentlichen Interesse liegt?
Herr Kollege Stoltenberg, hier gibt es einen ganz kleinen Unterschied. Ich habe gesagt, ich halte es für viel richtiger, mehr in der freien öffentlichen Berichterstattung zu wirken als mit staatlicher Unterstützung. Bei der auswärtigen Kulturpolitik ist auch die Frage, von wem sie dargestellt wird. Sie wissen genau, daß wir im Haushaltsausschuß sehr lange Diskussionen darüber geführt und festgestellt haben, daß hier einiges im argen ist. Nun nehmen Sie aber zur Kenntnis, daß
wir bei diesen Dingen auch immer das Presseamt kritisiert haben, weil wir das Presseamt für eine ganz eindeutige Schmalspur in der auswärtigen Kulturpolitik halten, weil es nicht umfassend berichtet. Deshalb sind wir für die freie Berichterstattung.
Jetzt komme ich also zu dem Argument, das Sie, Herr Abgeordneter Gewandt, vertreten haben. Sie meinten, es gehe bei dem Titel 314 um den kleinen Mann, und wir seien natürlich auch für Sozialinvestitionen. Darum geht es überhaupt nicht. Wir haben selbstverständlich in der Frage der Sozialinvestitionen unsere Stellung bezogen. Aber ich habe erstens bei der Begründung meines Antrages gesagt, daß nach unserer Auffassung die bisher im Bundespressamt vorhandenen Mittel ausreichen, und zweitens sage ich Ihnen auch: Wenn die Sozialinvestitionen vorn Bundespressamt, von Herrn von Hase dargestellt werden, dann weiß ich genau, was dabei herauskommt; es kommt nicht eine Aufklärung für den kleinen Mann heraus, sondern eine Wahlaufklärung Für die CDU.
Das Wort hat der Abgeordnete Gewandt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe Herrn Hermsdorf ermutigt, für seine kühnen Behauptungen hier einmal Beispiele anzuführen. Er ist uns diese Beispiele schuldig geblieben. Statt dessen hat er sich wieder
in allgemeinen, unpräzisierten Anschuldigungen ergangen.
Im übrigen, verehrter Herr Kollege Hermsdorf, wenn Sie schon unsere Tätigkeit im Ausschuß hier apostrophieren, dann werden Sie sich wohl auch ,genau daran erinnern, daß wir sehr sorgfältig überlegt haben, ob eine Möglichkeit besteht, 'Mittel für die außerordentlich notwendige Aufklärung über die Sozialinvestitionen zu beschaffen. Nach einer langen Debatte haben wir feststellen müssen, daß auf Grund der bescheidenen Mittel ,der Regierung 'hierfür keine Möglichkeit besteht, und nur deshalb haben 'wir 'diesen Antrag gestellt.
Das Wort hat der Abgeordnete Kahn-Ackermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gewandt, Sie haben eine wirklich rührende Darstellung der Intentionen der Bundesregierung 'hinsichtlich 'des Rückerwerbs der Deutschen Wochenschau gegeben. Vielleicht erinnern Sie sich noch, daß diese Wochenschau ursprünglich zum Ufi-Vermögen gehörte, zu dessen Verkauf die Regierung durch ein Gesetz, das wir hier beschlossen haben, verpflichtet war. Ich kann mich entsinnen, daß bei den damaligen Beratungen auf .die Frage, wie es mit späteren Rückverkäufen sei, .die Versicherung abgegeben wurde, daß die Bestimmungen des Gesetzes, die besagten, daß die Bundesregierung nie mehr diese Anteile in irgendeiner Form erwerben sollte, eingehalten würden. Wenn Sie heute behaupten, .daß das geschehen sei, um die Unabhängigkeit der Wochenschau sicherzustellen, so ist das wahrscheinlich nur daraus zu erklären, daß Sie die seit Beginn 'dieser Wochenschau ständig stattfindende einseitige Verherrlichung der Bundesregierung mittlerweile schon als den Normalzustand betrachtet haben. Das scheint mir Ihre Auffassung von Unabhängigkeit zu sein.
Es wird im übrigen noch zu prüfen sein, ob nach den gesetzlichen Bestimmungen des Ufi-Entflechtungsgesetzes und des Abwicklungsgesetzes diese Rückerwerbung durch die Bundesregierung überhaupt rechtens und zulässig gewesen isst.
Und Herr Kollege Stoltenberg, Sie können sämtliche Protokolle dieses Hauses durchlesen, — Sie werden zwar feststellen können, daß ich an der Arbeit der Bundesregierung im Ausland Kritik geübt habe; aber Sie werden nirgendwo finden, daß ich dafür eingetreten bin, daß Korrespondenten von dpa aus Staatsgeldern bezahlt werden, um tätig werden zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Gewandt.
Metadaten/Kopzeile:
8130 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ähnlich wie der Kollege Hermsdorf hat es auch der Kollege KahnAckermann vermieden, präzise auf die Dinge einzugehen. Es ging um den massiven Versuch einer Interessentengruppe, sich in den Besitz der Deutschen Wochenschau zu setzen, — und nennen wir doch einmal Roß und Reiter: der Bank für Gemeinwirtschaft.
Im übrigen haben Sie nach wie vor verschwiegen, daß die redaktionelle Verantwortung bei einem Beirat liegt, in dem alle politischen Strömungen vertreten sind.
Aber wenn Sie, meine Herren Sozialdemokraten, so viel Wert wie wir darauf legen, daß keine Monopole in Presse und Fernsehen entstehen, dann können wir Ihnen nur raten: Unterstützen Sie unsere Gesetzesinitiative zur Auflockerung des Wettbewerbs zwischen Presse und Fernsehen! Da können Sie in der Praxis demonstrieren, daß es Ihnen wirklich um einen Wettbewerb geht und daß Sie gegen Monopole eingestellt sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Sänger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer eine mißliche Sache, wenn man in eigener Angelegenheit etwas zu sagen hat. Aber die Frage des Herrn Kollegen Dr. Stoltenberg verlangt eine Klarstellung, nicht in meinem Interesse, sondern im Interesse der unabhängigen Deutschen Presseagentur.
Solange ich Geschäftsführer dieser GmbH war, Herr Dr. Stoltenberg und meine Damen und Herren, habe ich nicht nur einmal, sondern einige Male in Memoranden die damaligen Bundesregierungen darum gebeten, ja sogar dringend gebeten und aufgefordert, die Leistungen, die die Deutsche Presseagentur für die Bundesregierung und für Deutschland regelmäßig und fortdauernd vollbrachte —auch in unmittelbarer Lieferung der Dienste in dikken Mappen an die Bundesregierung —, auch zu bezahlen. Sie sind jahrelang nicht bezahlt worden. Dann ist ein kommerzieller Vertrag abgeschlossen worden, der unzweideutig Leistung und Entgelt regelte.
Aber zu jeder Zeit ist von meinen Kollegen und von mir sowie auch von der Aufsichtskörperschaft dieser Agentur abgelehnt worden, eine wie immer geartete Beteiligung der Bundesregierung, und sei es auch nur in mittelbarer Form durch direkte oder indirekte Bezahlung eines Korrespondenten im Ausland, zu akzeptieren. Eine solche Beteiligung — oder wie immer Sie es nennen wollen — der Bundesregierung an der unabhängigen Nachrichtenagentur haben wir und habe ich immer von neuem abgelehnt.
Wenn die Deutsche Presseagentur mehr Korrespondenten im Ausland beschäftigt und auf diese
Weise einen besseren Nachrichtendienst liefert, so ist dieser auch mehr wert und muß höher bezahlt werden. Dies ist der einzige gangbare Weg, auf dem eine unabhängige Agentur und eine Bundesregierung miteinander verkehren können.
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich kann abstimmen lassen.
Zur Abstimmung steht der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 562. Nach dem Wunsch der Antragsteller soll getrennt über die Ziffern 1 und 2 abgestimmt werden. Wer Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist abgelehnt. Wer Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ebenfalls abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über den Einzelplan 04 insgesamt abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Mit den Stimmen der Regierungsparteien gegen die der Opposition angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt .
Es wird vorgeschlagen, auf den Bericht zu verzichten.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich über den Einzelplan 01, Bundespräsident und Bundespräsidialamt, abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig 'angenommen!
Ich rufe auf:
Einzelplan 02 Deutscher Bundestag .
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte als Berichterstatter für den Haushalt des Deutschen Bundestages nur über einen einzigen Titel des Einzelplans 02, über die darüber im Bundestagsvorstand und im Haushaltsausschuß geführten Beratungen und über die von diesen beiden Gremien gefaßten Beschlüsse berichten, nämlich über 'den Tit. 710, dessen Zweckbestimmung lautet: „Neubauten für
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8131
Dr. GötzZwecke des Bundestages einschließlich der erforderlichen Ersteinrichtung." Ich hoffe, mit meinem Bericht vielleicht bei einzelnen Mitgliedern dieses Hohen Hauses noch vorhandene Bedenken ausräumen und darüber hinaus auch einen Beitrag zu einer sachgerechten Beurteilung dieser Frage in der Öffentlichkeit 'beisteuern zu können.Ich darf daran erinnern, daß bei der Beratung des Haushalts 1964 vor etwa Jahresfrist im Einzelplan 02 erstmalig ein Leertitel mit der von mir vorhin genannten Zweckbestimmung eingefügt wurde. In Ausführung dieses damals mit überwiegender Mehrheit beschlossenen Leertitels ermächtigte der Bundestagsvorstand in seiner Sitzung vom 28. April die Verwaltung, 'im Haushaltsentwurf für das Rechnungsjahr 1965 unter dem Tit. 710 einen Betrag von 12 Millionen DM einzusetzen und außerdem eine Bindungsermächtigung in Höhe von 15 Millionen DM für das Rechnungsjahr 1966 vorzusehen.Zwei Monate später, am 26. Juni 1964, befaßte sich der Vorstand eingehend mit den vorgelegten Bauplänen und faßte auf Vorschlag des Herrn Bundestagspräsidenten einstimmig — allerdings in Abwesenheit der Mitglieder der FDP-Fraktion — folgenden Beschluß:Der Vorstand des Deutschen Bundestages als zuständiges Beschlußorgan hat sich mit einigen Aspekten der öffentlichen Kritik an den Neubauplänen auseinandergesetzt. Er hat auch Kenntnis genommen von Alternativlösungen und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß diese Alternativlösungen unwirtschaftlich und nicht praktikabel sind. Er hat seinen Beschluß bestätigt, im Haushaltsplan 1965 12 Millionen DM für Erweiterungsbauten des Bundestages einzusetzen.So weit der damals einstimmig gefaßte Beschluß des Vorstandes.In der diesem Beschluß vorausgegangene Debatte bestand unter allen Mitgliedern des Vorstandes volle Einmütigkeit darüber, daß die architektonische Gestaltung des derzeitigen Bundeshauskomplexes unbefriedigend ist und in keiner Weise den Erfordernissen eines zeitgemäßen Parlamentsgebäudes entspricht. Ich meine, diese Auffassung des Vorstandes deckt sich wohl auch mit der Meinung aller Abgeordneten auf Grund ihrer Erfahrungen, die sie mit der oft qualvollen räumlichen Enge dieses Hauses machen.Bei den Beratungen des Vorstandes blieb auch unwidersprochen die Notwendigkeit von Um- und Erweiterungsbauten, und es blieb die Tatsache unwidersprochen, daß die Arbeitsbedingungen nicht nur für die Abgeordneten, sondern auch für die Verwaltung unzureichend und in manchen Fällen geradezu unzumutbar sind. Daß dadurch die Organisation der Arbeitsweise des Bundestages, seine Funktions- und seine Arbeitsfähigkeit stark beeinträchtigt werden, erfahren wir alle selbst immer wieder. Natürlich gab es auch mancherlei Bedenken und Einwände teils technischer, teils politischer Art. Mit zwei Einwänden, die man wohl als die beiden Haupteinwände bezeichnen kann, möchte ich mich etwas näher 'befassen.Einmal befürchtete man, daß die Inangriffnahme und Durchführung des ersten Bauabschnitts, nämlich die Errichtung eines Bürohauses, den zweiten Bauabschnitt des Ihnen ja bekannten Gesamtprojekts zwangsläufig nach sich ziehen würde. Zweitens hielt man den Bau eines Hochhauses nach dem vorliegenden Plan für zu aufwendig und glaubte, daß der räumlichen Enge auch mit einem wesentlich geringeren Aufwand abgeholfen werden könne.Meine Damen und Herren, der Vorstand hat sich mit beiden Einwänden sehr eingehend auseinandergesetzt, und ich darf hier das wiederholen, was dem Hohen Hause bereits bei der vorjährigen Debatte über das gleiche Thema zur Kenntnis gebracht wurde. Es versteht sich von vornherein, daß die Planentwürfe der Bundesbaudirektion nur unter der Bedingung verwirklicht werden können, daß man mit der derzeitigen Grundstückseigentümerin, nämlich der Stadt Bonn, zu einem Übereinkommen unter angemessenen Bedingungen kommt.Zu den Bedenken möglicher Folgewirkungen eines ersten Bauabschnitts möchte ich ausdrücklich feststellen, daß es bei der Beschlußfassung über Tit. 710 heute nicht um die Realisierung des Gesamtprojektes geht, sondern, wie aus den Erläuterungen zu Tit. 710 zu ersehen ist, lediglich um die Errichtung eines Bürohauses, in dem entsprechend dem festgestellten Bedarf Arbeitsräume für Abgeordnete und Sekretärinnen, Sitzungszimmer für Ausschüsse und Sekretariate sowie die Räume für die erforderliche Technik vorgesehen sind. Ich möchte hier ausdrücklich hinzufügen, daß das vorgesehene Raumprogramm nach Auffassung des Vorstands in keiner Weise, wie man das oft so in der öffentlichen Diskussion hören kann, übertrieben ist. Es entspricht dem festgestellten und für erforderlich gehaltenen Raumbedarf, der überhaupt nur unter der Voraussetzung, daß auch das jetzige Hochhaus an der Görresstraße in die künftige Raumverwendung einbezogen, wird, befriedigt werden kann.Dieser Bundestag — ich will es noch einmal betonen und wiederholen — legt sich — das 'ist auch die Meinung des Vorstands — mit der heute zu vollziehenden Bewilligung des bei Tit. 710 ausgewiesenen Betrages in Höhe von 2 Millionen DM und der vorgesehenen Bindungsermächtigung in keiner Weise auf das in der Öffentlichkeit viel diskutierte Gesamtprojekt für einen Bundestagsneubau fest. Das geplante Vorhaben, das einzig und allein der Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Parlaments dient, ist in seiner Planung so gehalten, daß es in sich sinnvoll ist und Folgebauten nicht zwingend notwendig macht. Die Entscheidung über letztere obliegt nicht diesem Bundestag.Ich darf vielleicht auch noch ein Wort zu dem Bedenken der Aufwendigkeit der vorgelegten Planung sagen. Verwaltung und Vorstand haben sich auch unter dem Gesichtspunkt äußerster Sparsamkeit sehr eingehend mit möglichen Alternativlösungen befaßt, und Vorstand und Verwaltung haben die Baudirektion beauftragt, jede überhaupt nur mögliche Lösung auf ihre Realisierbarkeit hin zu prüfen. Ich möchte im Rahmen meines Berichts nicht auf alle erwogenen Alternativlösungen eingehen, auf jene,
Metadaten/Kopzeile:
8132 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Dr. Götzdie von der Verwaltung angestellt und erwogen wurden, oder auf die Vorschläge, die Mitglieder des Vorstandes im Laufe der langen Beratungen gemacht haben. Der Berichterstatter glaubt aber sagen zu können, daß keine der möglichen Lösungen unberücksichtigt geblieben ist. Aber alle Alternativvorschläge oder alle aus den Kreisen des Vorstands heraus vorgeschlagenen Varianten zu den Bauplänen der Bundesbaudirektion erwiesen sich eben nach langen Beratungen, sei es aus technischen, sei es aus anderen gewichtigen Gründen, nicht als realisierbar. Wir hielten die Errichtung eines Hochhauses mit dem bestimmten Zweck, als Bürohaus zu dienen für die rationellste und wirtschaftlichste Bauweise.Sie ersehen aus den Erläuterungen, daß die Gesamtkosten dieses Bürohauses auf insgesamt etwa 48,5 Millionen DM errechnet wurden. Der Haushaltsausschuß hat im Hinblick darauf, daß sich der Baubeginn dieses Hochhauses, der ursprünglich etwa für April dieses Jahres vorgesehen war, um einige Monate verzögern wird, den zunächst vorgesehenen und vom Vorstand beschlossenen Ansatz in Höhe von 12 Millionen DM auf 2 Millionen DM gekürzt und eine Bindungsermächtigung in Höhe von 10 Millionen DM vorgesehen. Damit ist die Befriedigung des für das erste Baujahr eventuell entstehenden Geldbedarfs sichergestellt und gleichzeitig gegenüber der Stadt Bonn zum Ausdruck gebracht, daß der Bundestag ernsthaft beabsichtigt, nunmehr mit dem Bau des Bürohauses zu beginnen, uni den unzulänglichen Arbeitsbedingungen dieses Hauses abzuhelfen.Ich bitte das Hohe Haus, die Beschlüsse des Vorstands und des Haushaltsausschusses zu dieser Frage zu billigen 'und den Entwurf des Einzelplans 02 in der vorliegenden Fassung anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir kommen zur Aussprache. Das Wort hat der Herr Präsident des Deutschen Bundestages.
- Bitte sehr. Dann hat das Wort der Herr Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeiteinheit, nach der dieses Hohe Haus verfährt, ist die Legislaturperiode. Wer es bis jetzt noch nicht gemerkt hat, hatte heute mittag Gelegenheit, entsprechende Beobachtungen zu machen. Wenn ich hier zu Fragen des Parlaments und auch der Parlamentsreform im Jahre 1965, also in einem Wahljahr, Stellung nehme, kann es allerdings sein, daß der Vorwurf gebracht wird, es handle sich hier um unzeitgemäße Betrachtungen. Mag sein; es handelt sich aber nur um Betrachtungen zu einigen Einzelproblemen dieses Hohen Hauses. Ich hoffe, vielleicht trotzdem Gehör bei den Kolleginnen und Kollegen zu finden, die noch nicht in die Haut des hauptberuflichen Wahlkämpfers geschlüpft sind.Wir hatten im letzten Jahr einige öffentliche Diskussionen über die Parlamentsreform. Dann wurde es still, so still, daß man eigentlich denken mußte, jetzt komme bald der Vorwurf an uns, wir behandelten die Parlamentsreform nach dem Motto: Ist's nicht genug, daß wir's versprochen haben; müssen wir's denn auch noch halten? Aber es ist erfreulich, daß wir jetzt mit der Einführung der Aktuellen Stunde einen Anfang der Parlamentsreform gemacht haben.
Diese Aktuelle Stunde befindet sich im Experimentierstadium, und dieses Experimentierstadium scheint noch eine Zeitlang notwendig zu sein. Denn die Aktuelle Stunde soll nicht nur der Aktualisierung des Parlaments dienen, sondern auch einer weitergehenden Verbesserung unserer Arbeitsökonomie. Wenn die Aktuelle Stunde gut einschlägt, kann dies nicht ohne Rückwirkung auf die Handhabung der Großen Anfragen bleiben, weil damit viele Gebiete, die bisher in Großen Anfragen abgehandelt wurden, nun im Rahmen der Aktuellen Stunde diskutiert werden können. Wenn das kommt, dann ist es gut so, weil die Große Anfrage, früher Interpellation genannt, ein Restbestand aus der Zeit ist, in der die Regierung dem Parlament noch nicht verantwortlich war. Damals war die Interpellation die einzige Möglichkeit, die Regierung zur Antwort zu zwingen. Wir hoffen, daß, wenn sich die Aktuelle Stunde eingespielt hat, in Zukunft die Großen Anfragen nur noch den sehr komplexen und weitschichtigen Problemen vorbehalten bleiben, die man in einem Diskussionsbeitrag von höchstens fünf Minuten Dauer nicht behandeln kann.Diese Wirkung wird aber nur eintreten, wenn wir — und mit „wir" meine ich Bundestag und Bundesminister — den Mut haben, ins Unreine zu reden, den Mut haben, laut zu denken, den Mut haben zur Diskussion und nicht zum Fünf-Minuten-„statement", wie der modern gewordene Ausdruck heißt.Ganz kurz möchte ich noch ein anderes Kapitel erwähnen, das wir im Gange des Wahljahres nicht vergessen sollten: das Problem des parlamentarischen Hilfsdienstes. Natürlich brennen uns im Wahljahr manche Probleme ganz besonders auf den Nägeln. Wenn wir aber in diesem Jahr vergäßen, an die Frage zu denken, wie wir unsere guten Assistenten im Bundestag halten, damit sie nicht dahin und dorthin wegschwimmen — was wir ihnen eigentlich nicht übelnehmen können, wenn wir ihnen nicht genügend Aufstiegsmöglichkeiten verschaffen —, würden wir uns und dem Hohen Haus einen Bärendienst erweisen.Es ist nicht so, daß man sagen könnte, durch die Aktuelle Stunde und durch eine Verbesserung des parlamentarischen Hilfsdienstes hätten wir schon die Parlamentsreform. Nein, aber diese Parlamentsreform muß ja auch nicht uno actu verwirklicht werden. Es ist sogar gut, wenn sie nicht in einem Zuge, sondern stufenweise verwirklicht wird. Experimentierstadien wie jetzt bei der Aktuellen Stunde sind nötig.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8133
DürrWir brauchen eine weitere Parlamentsreform deshalb, weil wir ein richtiges ausgewogenes Verhältnis zwischen Regierung und Parlamentarier noch nicht ganz gefunden haben. Wenn ich hier „Regierung" sage, so meine ich weniger die Minister im Plenum als ihre Beauftragten in den Parlamentsausschüssen. In diesem Zusammenhang werden wir uns einige Gedanken machen müssen. Wir werden uns Gedanken machen müssen nicht nur über das Verhältnis und die Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesrat — dazu liegt schon ein Antrag vor —; wir müssen auf längere Sicht auch prüfen, ob jene Vorschrift in der Geschäftsordnung der Bundesregierung, die dafür sorgt, daß die Unterrichtung der Abgeordneten über Referentenentwürfe im allgemeinen durch Verbandsvertreter, genannt „Lobbyisten", erfolgt, auf die Dauer haltbar ist und ob sie dem wohlverstandenen Interesse des Parlaments dient.
Dabei müssen wir prüfen, ob diese Vorschrift der Geschäftsordnung der Bundesregierung modifiziert werden muß oder aber ob die Aktuelle Stunde sich so entwickelt, daß sie auch zur Erörterung von Problemen benutzt wird, die noch nicht zur Kabinettsreife, zum kabinettsreifen Gesetzentwurf gediehen sind. Das wäre unseres Erachtens möglich und wünschbar, erfordert aber erstens, daß die Referentenentwürfe nicht wie bisher mit dem ganz großen Geheimstempel versehen werden — auch wenn es sich gar nicht um geheime Angelegenheiten handelt —, zweitens auch die Bereitschaft, der Regierung zu konzedieren, daß auch sie ins Unreine sprechen und auch sie laut denken darf, nicht nur die Abgeordneten dieses Hohen Hauses.In diesem Jahr werden wir auch Überlegungen zur Praxis der Ausschüsse anstellen müssen. Es ist gut, wenn wir uns diese Überlegungen schon machen, bevor der nächste Bundestag seine konstituierende Sitzung hat. Unsere Ausschüsse gehen bei ihren Einzelberatungen manchmal sehr, sehr weit ins Detail. Wir haben einen Ausschuß, der sich zum Flaschenhals entwickelt hat: der Rechtsausschuß. Dieser Flaschenhals kann nicht dadurch geöffnet werden, daß man die Mitglieder des Rechtsausschusses zu noch größerem Fleiß anspornt. Sie sind schon so fleißig, daß dieser Fleiß wohl kaum noch gesteigert werden kann. Es sind in dieser Legislaturperiode große Justizgesetze auf uns zugekommen. In der nächsten Legislaturperiode werden weitere folgen. Denken Sie bloß an die Strafrechtsreform, die wohl in dieser Legislaturperiode nicht mehr fertig wird, denken Sie an das Einführungsgesetz zum neuen Strafgesetzbuch, an die notwendig werdende Reform der Strafprozeßordnung, an das Unehelichenrecht, an Restbestände aus dieser Legislaturperiode wie die Finanzgerichtsordnung und an die zahlreichen Gesetze, die der Rechtsausschuß auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin prüfen muß. Im letzten Jahr mußten schon der Rechtsausschuß und. der Strafrechtsausschuß parallel tagen. Das hat einigermaßen geklappt.Was für Folgerungen sind daraus zu ziehen? Ich weiß noch keine Patentlösung. Aber es wäre zu überlegen, ob man aus einem Rechtsausschuß mit 27 Mitgliedern etwa zwei nebeneinander tagende Rechtsausschüsse mit etwa je 15 Mitgliedern macht oder ob man einen Rechtsausschuß hat und einen Teil der rechtlichen Fragen dem Innenausschuß übergibt, eine Arbeit, die vom Innenausschuß nur dann bewältigt werden könnte, wenn die Beamtenrechtsfragen aus dem Innenausschuß ausgegliedert würden. Ich erwähne das nur, um diese Fragen sozusagen als Hausaufgaben für die Parlamentsferien zu geben, soweit man solche Hausaufgaben während des Wahlkampfes bearbeiten kann.
— Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, es freut mich immer, wenn ich von Ihnen Zwischenrufe bekomme; ich bin es seit meiner Jungfernrede gewöhnt; aber über 'diese Frage habe ich mich mit Herrn Kollegen Miessner bis dato noch nie unterhalten, und ich bin also, ohne Mitglied des Deutschen Beamtenbundes zu sein, zum selben Gedanken gekommen.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen zu einer Zwischenfrage!
Haben Sie denn an Sitzungen des Innenausschusses teilgenommen, um sich ein Bild über die 'Arbeit .zu machen?
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, man muß nicht unbedingt an den Sitzungen des Innenausschusses 'höchstpersönlich teilgenommen haben, um festzustellen, daß der Innenausschuß wohl kaum in der Lage ist, neben seinen bisherigen Aufgaben plus den Beamtenrechtsaufgaben noch weitere 'Aufgaben übernehmen zu können, mit denen der Rechtsausschuß trotz großen Fleißes bisher nicht fertig geworden ist.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen zu einer zweiten Zwischenfrage!
Herr Kollege Dürr, soll ich Ihnen die Protokolle anbieten, um sichtbar zu machen, daß wir in der Lage sind, mit der Arbeit fertig zu werden? Mehr sage ich nicht.
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich glaube, Sie haben sich bei dieser von mir abstrakt vorgetragenen Problematik persönlich betroffen gefühlt. Ich habe zumindest diesen Eindruck; solche Mißverständnisse räumt man ,am besten unter vier Augen aus. Trinken wir nachher, wenn es die Zeit erlaubt, eine Tasse Kaffee zusammen. Ich bin sicher, daß wir uns auch über dieses Problem einigen werden.
— Herr Kollege Erler, für den Fall, daß diese Zusammenkunft während der Plenarsitzung stattfindet, ist es ja gar nicht schlecht, wenn man Kaffee dabei trinkt.
Metadaten/Kopzeile:
8134 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Herr Abgeordneter Moersch zu einer Zwischenfrage!
Herr Kollege Dürr, halten Sie es für möglich, daß der Abgeordnete SchmittVockenhausen den Gang der Handlung nicht verfolgt hat und deswegen zu seiner falschen Fragestellung gekommen ist?
Ich würde sagen, auch dieses Problem gehört zu der Thematik, die im persönlichen Gespräch gut geklärt werden könnte.
Eine letzte Frage: die leidige Immunität. Die Öffentlichkeit versteht das, was über Immunitätsfragen in die Zeitungen kommt, allmählich wirklich nicht mehr, und zum Teil, meine Damen und Herren, verstehen wir den Sinn der Handhabung der Immunität in der zweiten Hälfte ides 20. Jahrhunderts selber nicht mehr. Ich denke daran, daß diesem Hohen Hause ein Antrag vorlag, die Immunität eines Kollegen wegen eines „ganz furchtbaren Deliktes" aufzuheben. Wegen dieses „furchtbaren" Deliktes ging der Antrag von der Polizei zum Oberstaatsanwalt, vom Oberstaatsanwalt zum Generalstaatsanwalt, vom Generalstaatsanwalt zum Landesjustizminister, vom Landesjustizminister zum Bundesjustizminister und von dort zum Bundestagspräsidenten.
— Richtig, Herr Kollege, aber das habe ich als bekannt vorausgesetzt. — Es handelte sich um das furchtbare Delikt, daß am Kraftwagen dieses ehrenwerten Kollegen die Plakette des Landratsamtes abgefallen war. Der Kollege wurde dann mit einigen anderen z. B. in einer meiner Heimatzeitungen namentlich unter der Überschrift „Abgeordnete als Verkehrssünder" genannt. So weit sind wir heute. Wir müssen uns zu einer Immunitätsreform entschließen, nicht wegen solcher Fälle, aber ganz bestimmt wegen jener Fälle, wo eine Immunität aufgehoben wird, was von der Öffentlichkeit als NeunZehntel-Verurteilung des Abgeordneten angesehen wird. Dann wird nach kurzer Zeit bei den Ermittlungen festgestellt, daß der Abgeordnete unschuldig ist. Dann wird der Anzeigeerstatter möglicherweise sogar wegen vorsätzlicher oder fahrlässig leichtfertiger Anschuldigung rechtskräftig verurteilt; davon steht dann nichts in den Zeitungen. Bei den Leuten heißt es dann: Der Abgeordnete Sowieso — war das nicht der, dessen Immunität damals wegen Verdacht der Erpressung oder irgend etwas aufgehoben worden ist?
Es muß hier jetzt etwas getan werden, und es kann nur dadurch etwas getan werden, daß der Art. 46 Abs. 2 des Grundgesetzes geändert wird. Schönheitsreparaturen am Immunitätsrecht sind nicht möglich, ohne daß der Art. 46 Abs. 2 eine Änderung erfährt.
Wie macht man das am zweckmäßigsten? Die erste Möglichkeit: Ich habe erfahren, daß die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft sich mit dieser
Frage befassen will. Ein dankenswertes Unternehmen! Es gibt auch eine zweite Möglichkeit, und der möchte ich den Vorzug geben: nämlich eine Kommission zu bilden aus aktiven und früheren Parlamentariern vom Bund und aus den Ländern — die haben nämlich dieselben Immunitätsprobleme — und dazu eine Reihe von Wissenschaftlern, von denen über das Immunitätsrecht bereits Bedeutendes und Gutes geschrieben worden ist. Eine solche Kommission hat den Vorzug, daß sie sich leichter durch die zahllosen Immunitätsprobleme durchfindet. Es geht nicht nur darum, dafür zu sorgen, daß die Aufhebung der Immunität erst nach Abschluß der Ermittlungen erfolgt, es geht nicht nur um eine mögliche Sonderbehandlung der Delikte im Straßenverkehr; es geht auch um das Problem der mitgebrachten Verfahren und das Problem der politischen Beleidigung oder, mit anderen Worten gesagt, um die Frage: Wo ist die Grenze des Abwehrrechts des Politikers zu ziehen? Es geht etwa um das Problem der Strafanträge von Abgeordneten gegeneinander, was wiederum die Frage einer Ehrenordnung dieses Hohen Hauses aufwirft.
Ich glaube, wir sollten den Herrn Präsidenten bitten, die erforderlichen Besprechungen demnächst in die Wege zu leiten, damit man sich über den Modus procedendi einer Immunitätsform möglichst bald verständigt.
Ich sagte bereits am Anfang: Parlamentsprobleme sind schwerlich für ein Wahljahr geeignet. Aber Parlamentsprobleme sind nicht nur Bauprobleme, wie es nach dem sehr fragwürdigen vorweggenommenen Plädoyer des Herrn Berichterstatters ein wenig den Eindruck hat. Zu diesem Bauproblem wird für meine Fraktion mein Kollege Dr. Rutschke noch Stellung nehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Conring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat zwei Fragenkomplexe angesprochen. Zunächst hat er die Frage behandelt, ob etwa durch die jetzige Fassung des Kap. 02 01 Tit. 710, die der Haushaltsausschuß dem Bundestag zur Genehmigung vorgeschlagen hat, ein Präjudiz für den gesamten Baukomplex geschaffen würde, der früher einmal zur Erörterung stand. Dann hat er die Frage angeschnitten, wie es eigentlich mit dem Volumen des Ausbaus des Bürohauses bestellt sei. Er hat gesagt, man wolle für das Bürohaus 2 Millionen DM und eine Bindungsermächtigung von 10 Millionen DM haben, und man beschränke sich auf dieses Bürohaus und brauche für dieses Jahr nur die eben genannten Mittel.Der Antrag der CDU/CSU Umdruck 570 *) geht von derselben Voraussetzung aus. Er möchte die Zweckbestimmung des Tit. 710, die ursprünglich allgemeiner lautete: „Neubauten für Zwecke des Bundestages einschließlich der erforderlichen Erst-*) Siehe Anlage 4
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8135
Dr. Conringeinrichtung" etwas näher präzisieren und auf das konkretisieren, was im Jahr 1965 geschehen soll und geschehen kann, nämlich die „Errichtung eines Bürohauses des Deutschen Bundestages einschließlich der erforderlichen Ersteinrichtung". Die Fraktion möchte damit zum Ausdruck bringen, daß dies dasjenige ist, was 1965 geschehen kann. Ein Präjudiz ist weder für den gesamten Baukomplex noch für den weiteren Ausbau des Bürohauses gegeben. Ob und was weiter in späteren Jahren geschehen kann, muß den folgenden Bundestagen zur freien Entscheidung überlassen bleiben.Wir wollten das durch unseren Antrag deutlich werden lassen. Wir wollten auch deutlich werden lassen, daß das Ausmaß des Ausbaus des Bürohauses in diesem Jahr auf die 2 Millionen DM und die Bindungsermächtigung begrenzt wird. Ob und inwieweit die nächsten Bundestage das Bürohaus weiter bauen möchten und wie weit sie dann den Stab stecken wollen, ist ihnen dann überlassen. Für dieses Jahr — 1965 — werden nur die 2 Millionen DM und die 10 Millionen DM Bindungsermächtigung gegeben, und darüber wird jetzt befunden.Uns liegt sehr viel daran, dies in diesem Hause deutlich in Erscheinung treten zu lassen. Deshalb haben wir zur Verdeutlichung 'unseres Willens diesen Antrag gestellt. Ich bitte Sie, den Umdruck 570 anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der FDP-Fraktion den Antrag Umdruck 558 *) zu begründen, und darf hierzu folgendes vortragen.Bei der Einbringung dieses Haushalts hat mein Fraktionskollege Zoglmann folgendes gesagt — ich darf ein paar Sätze mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen —:Aus diesem Grunde appelliere ich auch an die Mitglieder dieses Hohen Hauses, abzulassen von dem Vorhaben, ein Parlamentszentrum in Bonn zu errichten und damit den Anschein zu erwecken, als hätten wir uns ganz oder auch nur zur Zeit mit der Teilung Deutschlands abgefunden.Wenn dieses frei gewählte Parlament Deutschlands baut, dann baut es in Berlin!Das waren die Worte, die bei der Einbringung von der FDP-Fraktion durch den Kollegen Zoglmann vorgetragen worden sind.Wir bauen aber in Berlin. Aus dem Einzelplan 24— Geschäftsbereich des Bundesschatzministeriums — ersehen Sie, daß wir in diesem Jahr unter Tit. 712— Wiederherstellung des Reichstagsgebäudes in Berlin, 9. Teilbetrag — einen Betrag von 6 Millionen*) Siehe Anlage 5DM eingesetzt haben. Hinzu kommt noch eine Bindungsermächtigung von 4 Millionen DM.Die Planung der Wiederherstellung des Reichstagsgebäudes umfaßt einen Betrag von insgesamt etwa 95 Millionen DM. Bisher sind in Berlin für dieses Parlamentsgebäude 32 Millionen DM verbaut worden In diesem Jahr — 1965 — kommen, wie gesagt, 6 Millionen DM plus 4 Millionen Bindungsermächtigung hinzu. Wie Herr Bundesschatzminister Dollinger in einer Pressekonferenz vor etwa vier, fünf Monaten erklärt hat, wird das Reichstagsgebäude in Berlin Ende des Jahres 1968 fertiggestellt sein.In Tit. 712 steht: „Wiederherstellung des Reichstagsgebäudes in Berlin, 9. Teilbetrag". In der Erläuterung hierzu heißt es: „Das ehemalige Reichstagsgebäude wird für parlamentarische Zwecke des Bundes wieder aufgebaut". Wenn es uns damit ernst ist, daß das Reichstagsgebäude parlamentarischen Zwecken wieder zugeführt werden soll, ist es nicht recht verständlich, daß wir jetzt hier in Bonn eine Änderung anstreben, die weit über ein Provisorium hinausgeht. Wer die Frage genau prüft, wird zu dem Schluß kommen, daß — wenn auch nur unter dem etwas verniedlichten Motiv eines Bürogebäudes— ein Bau vorgesehen ist, der immerhin fast die Hälfte des Gesamtkomplexes von etwa 110 Millionen DM ausmacht. Denn dieses „bescheidene" Bürohaus, wie es uns heute angeboten wird, kostet an die 50 Millionen DM. Wir haben jetzt erst einen Betrag von 2 Millionen DM in den Haushalt eingestellt, aber es werden 10 Millionen DM Bindungsermächtigungen hinzugenommen. So möchte ich Sie bitten — —
— Gut, wir haben uns auch darüber oft aufgehalten— mit Recht, Herr Kollege Stecker —, daß auf diesem Gebiet die öffentliche Hand im Bauwesen sehr weit vorangeht, und wir haben das kritisiert. Wir sollten aber dann nicht auch diesen Fehler machen. Wenn schon Rathäuser in einem größeren Umfang als nötig gebaut werden, dann sollten wir nicht in denselben Fehler verfallen; denn ich meine, daß „der brave Mann an sich selbst zuletzt denken sollte". Das ist jedenfalls .ein Gesichtspunkt, der letzten Endes auch in der Politik seine Geltung haben sollte.Nun, meine Damen und Herren, wie sieht es mit einer zwingenden Verbesserung denn wirklich aus? Eines sage ich klar und deutlich — das hat die Fraktion der FDP nie bestritten —: daß es notwendig ist, die beengten Verhältnisse, die wir hier in Bonn haben, zu bereinigen. Es ist auf die Dauer ein unmöglicher Zustand, daß zwei oder drei Abgeordnete in einem Büro sitzen und sich gegenseitig zwangsläufig stören müssen. Das sehen wir ein. Hier ist Abhilfe notwendig und soll sie auch geschaffen werden. Ich glaube aber nicht, daß wir dazu einen Aufwand von nahezu 50 Millionen DM treiben müssen; sondern dann sollte man sich insbesondere 'im Hinblick auf die Verhältnisse in Berlin, wo das Reichstagsgebäude wiederaufgebaut wird, mit einer sparsameren Lösung zufriedengeben.
Metadaten/Kopzeile:
8136 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Dr. RutschkeIch habe eine Zusammenstellung über die notwendigen zusätzlichen Arbeitsräume gemacht und bin zu der Feststellung gekommen, daß, um jedem Abgeordneten einen Einzelraum für sich zur Verfügung stellen zu können, noch etwa 69 Arbeitsräume erstellt werden müßten. Hierin sind nicht Sitzungsräume enthalten, die ich auch für notwendig erachte; denn wir wissen alle, daß die Lösung in diesem Hause nicht die glücklichste ist.Wenn wir davon ausgehen, daß wir insgesamt —ich möchte hier großzügig rechnen — einen Bedarf von etwa 120 zusätzlichen Räumen haben — 120 Achsen, wie man sagt —, dann ist keineswegs einzusehen, daß wir uns vornehmen müßten, mit den von Ihnen jetzt beantragten Mitteln 561 Räume zu schaffen. Die sind keinesfalls notwendig. Wir kämen mit dem Neubau von einem Fünftel der in der Planung vorgesehenen Räume ,aus.
Uns scheint es nicht notwendig zu sein, daß wir ein Hochhaus mit 26 Geschossen bauen und dabei mit 3 Geschossen in den Erdboden gehen.Meine Damen und Herren, wenn ich mir überlege, was wir insbesondere der Situation in Berlin schuldig sind, dann kann ich nur wieder bestätigen, was mein Kollege Zoglmann eingangs dieser Beratungen, als der Haushalt eingebracht wurde, gesagt hat: Wenn man baut, dann soll man in Berlin bauen, wenn wir mit dem Anspruch, daß Berlin unsere Reichshauptstadt ist, glaubhaft bleiben wollen. Wir sollten uns hier in Bonn nicht in Stahl und Beton eingraben; denn das würde unser Volk in Gesamtdeutschland nicht verstehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Brese.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung über Tit. 710 des Einzelplans 02 halte ich für so wichtig, daß ich dazu auch noch einige Aufklärungen geben möchte. Ich bin als Mitglied des Haushaltsausschusses bestens über die ganzen Pläne im Bilde. Ich habe Modelle des Regierungsviertels gesehen. Deshalb stehe ich nicht auf dem Standpunkt des Herrn Berichterstatters, meines Freundes Götz, und stimme auch der Ansicht von Herrn Dr. Conring nicht zu, daß dieser Bau weitere Bauten nicht präjudiziert. Denn es handelt sich — das ist im wesentlichen eben schon von meinem Kollegen Rutschke hier gesagt worden — um ein Bürohaus mit dem Untertitel Arbeitsräume für Abgeordnete und Sitzungsräume für Ausschüsse.Herr Rutschke hat schon treffende Ausführungen darüber gemacht, wie wir unsere Arbeitsmöglichkeiten hier auf eine einfachere Art verbessern könnten. Nach meiner Meinung handelt es sich hier um den ersten Bauabschnitt des neuen Regierungsviertels, wobei klar ist, daß der nächste Bundestag die nächsten Beschlüsse zu fassen hat. Aber wenn manden Anfang gemacht hat, dann gibt es kein Halten mehr — das kennen wir ja -, und dann geht es lustig weiter.
— Ich weiß nicht, was Sie damit meinen. Wegen meines Arbeitsraums?
— Jedenfalls ist das meine Erkenntnis, die ich in meinem Leben gewonnen habe.
— Ich weiß, daß der Ihnen schwer auf der Seele liegt. Ich weiß auch, daß Sie einen ländlichen Wahlkreis in Schleswig-Holstein haben. Da werden Sie ja über die Lage der Landwirtschaft unterrichtet sein, wenn Sie in Ihren Versammlungen sind.Ich will mich aber hier nicht durcheinanderbringen lassen, sondern zu meinem Thema kommen.
— Landwirtschaft — weg damit!
— Sie bringen mich nicht durcheinander.Ich sehe hier also das Entstehen dieses Regierungsviertels, und da muß ich sagen: Ich halte das für außerordentlich gefährlich. Wie wollen wir dann noch der Welt klarmachen, daß Berlin die Hauptstadt Deutschlands ist? Bei allen Verhandlungen wird uns entgegengehalten werden: Sie haben den Glauben an die Wiedervereinigung verloren.
Herr Kollege Erler hat vorhin schon gesagt, es bestehe die Gefahr, daß die Dreimächteverpflichtung für die Wiedervereinigung ausgehöhlt werde. Daher sollten wir besonders vorsichtig sein und nicht Anlaß dazu geben, daß sie ausgehöhlt wird. Wir haben alle augenblicklich den Alpdruck, daß unsere Verbündeten nicht so ganz zu dieser Verpflichtung stehen.
— Ich kann ja wohl meine Meinung hier sagen. Ich bin ein freier Abgeordneter und rede nur nach meinem Gewissen; ich sage, wie ich die Dinge sehe. Aber ich will das nicht weiter vertiefen.Natürlich sollten wir auch alles tun, um die völlig überhitzte Baukonjunktur zu dämpfen. Wir sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Ich weiß, daß draußen noch sehr viel Wohnbedarf ist. Durch die vielen öffentlichen Bauten ist die Baukonjunktur dermaßen überhitzt, daß man dort maßhalten sollte. Wir sollten dabei mit gutem Beispiel vorangehen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8137
BreseDrittens bin ich der Meinung, ein etwas bescheideneres Auftreten in diesem Deutschland stände uns auch gut zu Gesicht.
Herr Abgeordneter Brese, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase? — Herr Abgeordneter Haase, bitte!
und sie bitten, dem Antrag der FDP zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gradl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist im Augenblick nicht so zumute, daß ich humorvolle Vorgänge fortsetzen möchte; ich meine, daß das Thema durchaus mit Ernst behandelt werden muß. Wir haben uns im Kreise meiner Freunde, in der Fraktion der CDU/ CSU, in den letzten Tagen wieder sehr gründlich damit befaßt, und Sie können sich denken, daß Berliner Abgeordnete über die Frage, vor die wir hier mit dem Tit. 710 gestellt sind, besonders sorgfältig nachdenken, um den rechten Weg zu finden.Wir befinden uns wirklich in einem Dilemma. Wir alle können uns sehr populär machen, wenn wir sagen: „Man muß Maß halten, man darf die Baukonjunktur nicht erhitzen, man muß dem Volk zeigen, daß man sich einschränkt, man darf nicht ein schlechtes Beispiel unter dem Gesichtspunkt der Wiedervereinigung geben" usw. Das wird alles sehr schön aufgenommen und verstanden.
Aber die Frage ist, wieweit es in bezug auf den konkreten Punkt, um den es hier geht, richtig ist, so zu argumentieren.
Als Mitglied dieses Hauses weiß ich, daß hier wirklich Raumnot besteht, daß unter Verhältnissen gearbeitet werden muß, die nicht zumutbar sind, und zwar nicht nur nicht zumutbar für die Abgeordneten, sondern auch nicht zumutbar für unsere Mitarbeiter, die Angestellten des Deutschen Bundestages.
Dies ist eine Realität. Herr Rutschke hat ja auch von sich aus zugegeben: Jawohl, hier bestehe in gewisser Weise ein wesentlicher Mangel.
Wenn das so ist, dann stehen wir vor der Frage, wie wir dies eine, das da getan werden muß, tun, ohne in einer ,anderen Richtung ,etwas Wesentliches zu verderben. Dais heißt, ganz konkret gesagt: Wir müssen das tun, was nach redlicher Prüfung und nachdem wir uns von gewissen großartigen Vorstellungen, die hier in bezug auf Bauprojekte bestanden, freigemacht und den Maßstab des wirklich Notwendigen angelegt haben, geschehen muß. Zu dem aber müssen wir uns auch bekennen.Auf der anderen Seite darf durch das, was wir tun, nicht der Eindruck entstehen, als ob wir selber uns widersprüchlich verhielten, indem wir mit Pathos von der Wiederherstellung der Einheit, von der Wiederherstellung der Funktion Berlins als deutsche Hauptstadt sprechen und uns andererseits in einem monströsen Bundestagsbau etablieren.Dies sind die Markierungspunkte, an denen wir uns zu orientieren haben, und ich will Ihnen sagen, Herr Kollege Rutschke, ich — und ich nehme an, alle in diesem Hause — nehme diesen zweiten Punkt sehr ernst.Vor fünf oder sechs Jahren hatten wir in Königswinter ein deutsch-englisches Gespräch, indem wir einen langen Tag über die deutsche Frage diskutierten und unseren englischen Freunden nahezubringen suchten, daß dies eine Frage ist, auf die wir immer drängender eine Antwort verlangen werden. Und dann fuhren wir abends in einem Bus zu einem Empfang in das Bundeskanzleramt. Der Zufall wollte es, daß neben mir auf der Zweierbank Herr Gaitskell saß, der inzwischen gestorben ist. Damals war er noch nicht Vorsitzender der Labour Party. Ich habe ihm auf der Fahrt hierher im Gespräch gezeigt oder erklärt, was er wissen wollte. Als wir auf der Koblenzer Straße die Höhe des Auswärtigen Amtes kamen, fragte er, was das sei. Ich sagte ihm, das sei das Auswärtige Amt. Ich werde nicht vergessen, 'wie er mich ansah, ich werde seinen Blick und seine Bemerkung nicht vergessen: „Und dann wollten Sie heute vormittag klar machen, daß Sie nach Berlin drängen?" Natürlich, meine Damen und Herren, weiß man, was man darauf antworten kann, und ich war auch nicht um eine Antwort verlegen. Aber dies ist eine Realität: die Wirkung, die von einem solchen Entschluß des Bauens
Metadaten/Kopzeile:
8138 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Dr. Gradlüberhaupt, den . wir aus den eingangs genannten Gründen bejahen müssen, ,ausgeht. Deshalb muß man in der Tat in diesem Augenblick genau wissen, was geschieht.Ich habe mit besonderer Sorgfalt angehört, was der Berichterstatter gesagt und was mein Kollege Conring bestätigt hat. Wenn idas ein Kollege in diesem Hause von diesem Platz ,aus sagt, dann glaube ich das. Wenn ich jetzt aber Falsches sage — ich frage im Hinblick auf die Bemerkungen ides Kollegen Brese —, dann bitte ich, mich auch von diesem Platz aus zu berichtigen; denn was hier gesagt wird, kommt ins Protokoll, und der künftige Bundestag wird ja sicherlich einmal dort nachschlagen müssen.Erste Frage: Ist es richtig, daß wir uns mit diesem Beschluß, der uns hier im Titel 710 aufgegeben ist, nicht auf das vieldiskutierte Großbauprojekt festlegen, das, wie ich glaube und hoffe, alle in diesem Hause ablehnen, d. h. den Plenarbau und einen gigantischen Turm hier am Rhein? Sind wir festgelegt oder nicht? Der Berichterstatter und der Kollege Conring haben gesagt, wir seien nicht darauf festgelegt.Zweite Frage: Ist es richtig oder nicht — ich glaube es; aber wenn eis nicht so ist, möchte ich es hier berichtigt haben —, daß wir uns mit idem Bauvorhaben, das jetzt begonnen ist, nicht auf einen Vollzug bis zur höchsten Spitze des Turms festlegen, sondern daß wir Abschnitt für Abschnitt dieses Baues in der Hand haben, um sehen zu können, Herr Kollege Rutschke, wie weit die echten Notwendigkeiten einen solchen Bau tatsächlich erforderlich machen? Das ist hier von den Kollegen Conring und Götz gesagt worden, und wenn es so ist, dann sollte man sich zu diesem Titel 710 so, wie er ist, entschließen.
Herr Abgeordneter Gradl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rutschke?
Bitte!
Herr Abgeordneter Rutschke!
Herr Kollege Gradl, sind Sie der Meinung, daß es zweckmäßig ist, mit einem Bau zu beginnen und dann so lange zu warten, bis man meint, daß man genug hat, oder sind Sie nicht vielmehr der Meinung, daß man die Raumzahl vorher planen müßte? Ich habe einen Vorschlag in dieser Richtung gemacht, indem ich gesagt habe: 120 Räume — —
Herr Abgeordneter Rutschke, Sie können nur fragen. Der zweite Satz ist nicht mehr zulässig.
Sind Sie nicht der Meinung, daß 120 Räume dann ausreichten statt 561?
Herr Kollege Rutschke, ich bin nicht davon ausgegangen, daß man ein Wunder vollbringen kann, wie Sie es offenbar für möglich halten: daß man für zwei Millionen Mark ein 26stöckiges Hochhaus hochziehen kann.
— Eben!
— Entschuldigen Sie, das ist der Anfang, und die Frage ist, was aus diesem Anfang werden soll. Wenn wir damit auf 26 Stockwerke festgelegt werden sollen, dann sage ich zu diesem Antrag nein. Aber bisher habe ich aus dem, was unsere Sprecher gesagt haben, die Überzeugung gewonnen, daß der künftige Bundestag es in der Hand hat, zu bestimmen, bis zu welchem Umfang der Bau errichtet werden soll. Dies will ich wissen. Wenn das nicht der Fall ist, dann bin ich in der Tat der Meinung, daß es besser wäre, der Bundestagsvorstand überprüft das Ganze noch einmal und überläßt dem nächsten Bundestag die Entscheidung darüber, wie hier gebaut werden soll.
Das Wort hat der Herr Präsident des Deutschen Bundestages.D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Meine Damen und Herren! Kontinuierlich scheint bei der Sache in diesem Hause nur zu sein, daß einige Kollegen uns jedes Jahr das gleiche Lied singen, ohne das Mindeste an neuen Argumenten und ohne die mindeste zureichende Alternative aufzuzeigen.
Bevor ich aber zu dem, was hier im ganzen gesagt worden ist, komme, möchte ich die beiden präzise gestellten Fragen des Herrn Kollegen Gradl beantworten. Herr Kollege Gradl, ich weiß nicht, warum Sie es für notwendig halten, daß die Ausführungen eines Berichterstatters, der ein Diener des ganzen Hauses ist und nicht parteipolitische Meinungen von sich zu geben hat, sondern der ,die Beschlüsse eines Beschlußorgans des Deutschen Bundestages, das nach der Geschäftsordnung mit den entsprechenden Rechten ausgestattet ist, dem Hause vorträgt, durch den Präsidenten des Hauses bekräftigt werden. Aber ich bin gern bereit, das zu tun.Zu Ihrer ersten Frage: Der Berichterstatter hat vollständig richtig berichtet — nicht nur in diesem Stück, aber insbesondere in diesem Stück —, und seine Auskunft stimmt vollständig mit dem überein, was Herr Kollege Dr. Conring zur Begründung seines Änderungsantrages angeführt hat. Der Deutsche Bundestag ist frei, jedes Jahr von neuem das zu beschließen, was er für richtig hält.
Was in diesem Jahr beschlossen werden soll, dasist die Errichtung eines Bürohauses. Der Deutsche
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8139
D. Dr. GerstenmaierBundestag wird, wenn er dem Vorschlag des Bundestagsvorstandes und des Haushaltsausschusses folgt — —
Der Kollege Gradl möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Eine Sekunde! Er soll mich doch erst einmal meinen Satz zu Ende führen lassen!
Der Deutsche Bundestag wird, wenn er das beschließt, dieses Bürohaus errichten, unter einer Bedingung — ich muß ergebenst darauf aufmerksam machen —: daß unser Partner bei dem ganzen Unternehmen, die Stadt Bonn, sich zur Zustimmung entschließt.
Der Präsident dieses Hauses hat im Einvernehmen mit dem Bundestagsvorstand den Grundsatz vertreten — und ich hoffe, daß ich dabei die Billigung des Hauses finde —, daß sich der Bundestag nicht in der Lage sieht, den gesamten Raumbedarf der Bundesregierung — der in sich begründet sein kann, ich kenne ihn nicht näher —, der aber natürlich weitergehende Verhandlungen und Arrangements mit der Stadt Bonn notwendig macht, an diesem Bürohaus mit aufzuhängen. Wir brauchen die Straße, die dort herunterführt, und wir brauchen einige Quadratmeter Land von der anderen Seite. Aber es ist einfach unrichtig, zu sagen, daß wir die Gronau verbauen wollten. Davon kann gar keine Rede sein.
Ich verstehe auf der anderen Seite — und das muß man fairerweise auch zugeben —, daß die Stadt Bonn sagt: Nun wird da irgendwo angefangen zu bauen, der Bundestag braucht Raum; wir möchten uns nicht nach der Salami-Taktik weiter einer Situation gegenübersehen, der wir uns jetzt 15 Jahre lang gegenübergesehen haben; wir möchten gern, daß, wenn wir schon irgendwelches Land abgeben sollen, darüber in einem Gesamtrahmen mit uns verhandelt und mit uns ein Abkommen getroffen wird, das unseren übrigen Notwendigkeiten, auch in finanzieller Hinsicht, gerecht wird. Meine Damen und Herren, das ist berechtigt. Nur hat es keinen Sinn, das nun ausgerechnet an diesen Quadratmetern aufzuhängen, die wir für unser Bürohaus brauchen. Darin war sich der Bundestagsvorstand einig. Ich sage also, auch diese Entscheidung, Bürohaus ja oder nein, ist jetzt insofern, Herr Kollege Gradl, eine einseitige Entscheidung von seiten des Bundestages. Daraus wird nur dann etwas, wenn wir den Vertragspartner, die Stadt Bonn, dazu bringen, uns dieses bißchen Platz zu überlassen. Kommt es dazu nicht, dann — das muß ich• dem Hause sagen —werden wir uns weiterhin in dieser qualvollen Enge herumdrücken, und dann nutzen alle Klagen der Kollegen gar nichts, daß sie so nicht mehr weiter arbeiten können. So steht die Sache; also eine klare Antwort zu Ihrer Frage eins. Ist das klar, Herr Kollege Gradl?
Herr Dr. Gradl möchte eine zusätzliche Frage stellen.
D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Bitte sehr!
Für mich ist es jedenfalls nicht ganz klar, Herr Präsident. Sie sagen, das bedeute, daß das Hochhaus gebaut- wird. Wenn wir diesen Beschluß fassen würden, hieße das dann, daß der Bundestag damit festgelegt ist, nicht nur die Möglichkeit zu haben, anzufangen, sondern nunmehr auch ein 26stöckiges Hochhaus zu bauen, d. h. 26 Stockwerke zu bauen? Ist er darauf festgelegt oder nicht?D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Herr Kollege Gradl, das ist Ihre Frage zwei; ich wollte mir erlauben, darauf noch zu kommen. Ich wollte nur wissen, ob meine Antwort auf Ihre Frage eins befriedigend klar ist. Ich will ausdrücklich noch hinzufügen, daß damit, wenn wir diesen Beschluß fassen, weder eine positive noch eine negative Festlegung für den Bundestag in künftigen Jahren gegeben ist, genauso wie es der Kollege Conring ausgedrückt hat. Meine Damen und Herren, das können wir gar nicht. Der künftige Bundestag ist frei. Aber wir stehen heute vor einer konkreten Entscheidung; diese muß getroffen werden. Sonst werden wir übrigens mit der Stadt Bonn überhaupt nicht mehr in den Verhandlungen auch nur zu dieser Sache weiterfahren können; dann verschwindet die Geschichte im Nebel, irgendwo in der Vergangenheit, es wird überhaupt nichts daraus, und dazu kann ich meine Hand nicht reichen.Nun zu der Frage zwei. Herr Kollege Gradl, der Bundestagsvorstand hat — ich habe mir gerade wieder einige Protokollauszüge gemacht — seit Februar 1961 geplant und an dieser Sache gearbeitet. Das Ergebnis liegt vor in dem Beschluß, ein Bürohaus zu bauen, das entweder 24 oder 26 Stockwerke hoch sein soll. Die Frage war dabei lang und breit, ob man überhaupt ein Hochhaus bauen solle. Der Bundestagsvorstand hat sich — soweit sich die einzelnen Mitglieder überhaupt beteiligt haben; es waren mit Ausnahme der sporadischen Anwesenheit der FDP alle anderen — einmütig dazu bekannt und sich dazu entschlossen, die Meinung zu akzeptieren, daß die Architekten wirklich recht haben und daß es keine andere Möglichkeit gibt.
— Meine Damen und Herren von der FDP, das ist wahr: sporadisch; es gibt hier Beschlüsse, an denen Sie gar nicht mitgewirkt haben und die deshalb einstimmig gewesen sind.
— Damit Sie es nur wissen.
Aber es kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, daß wir es hier mit klaren Beschlüssen des gesetzlich zuständigen Organs des Parlaments zu tun haben und nicht -mit irgendwelchen vagen Vereinbarungen. Es kann auch niemand - unterstellen, daß diese Beschlüsse nicht nach jahrelanger, sorgfältig-
Metadaten/Kopzeile:
8140 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
D. Dr. Gerstenmaierster Bemühung und Auseinandersetzung gefaßt worden sind. Das kann man doch einfach nicht bestreiten.Also, Herr Kollege Gradl, die Antwort auf Ihre Frage zwei: Wir können uns nur im Rahmen der Projekte bewegen, die uns die Bundesbauverwaltung, d. h. der Bundesschatzminister, vorgelegt hat. Wir haben diese Projekte auf das sorgfältigste unter sachlichen und gar keinen anderen Gesichtspunkten diskutiert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dieser Planung insoweit zuzustimmen, daß wir dem Haus vorschlagen, dieses Bürohaus zu bauen und dafür in diesem Jahr ,12 Millionen DM in der Form im Haushalt auszubringen, daß 2 Millionen DM gleich und 10 Millionen DM als Bindungsermächtigungen ausgewiesen werden. Damit sind die beiden Fragen des Herrn Kollegen Gradl beantwortet.Und nun, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, — —
— Herr Kollegen Rutschke, ich komme zu Ihnen. Passen Sie auf, ich komme ganz genau dahin. Aber ich möchte zunächst etwas anderes tun. Ich möchte nämlich einen Sprecher Ihrer Fraktion hier würdigen. Der Kollege Dürr hat wirklich den Versuch gemacht, im Rahmen des Einzelplans 02 — wo es nämlich tatsächlich hingehört — einige Fragen der Parlamentsreform einmal vor dieses Haus und damit vor die Öffentlichkeit zu bringen. 'Er hat sich vielleicht nicht mit sehr großem Erfolg darum bemüht, aber schon allein das Bemühen und die Art, wie er es getan hat, verdienen Respekt und Anerkennung, und dafür möchte ich ihm meinen Dank aussprechen.
Aber was muß ich sehen? — Der Herr Kollege Dürr gehört doch zur FDP-Fraktion. Er bringt mir nun klare Voten vor, von denen ich nur sagen kann, sie haben Sinn und Verstand, wie z. B. das vorzügliche Wort vom parlamentarischen Hilfsdienst. Es sind immerfort immer wieder neue Anträge und Anfragen unterwegs, die dann zu mir kommen. Neulich hat mich der Ausschuß einer großen Partei gefragt, ob es jetzt nicht höchste Zeit sei, daß wir hier selber einen Gesetzgebungsdienst einrichten. Wissen Sie, was ich dem Mann sagen mußte? — Genau das gleiche, was ich mir zu bemerken erlaube zu dem Vorschlag des Herrn Kollegen Dürr, den er hier zum parlamentarischen Hilfsdienst vorgetragen hat: Meine Damen und Herren, geben Sie mir erst einen Raum, wo ich einen Schreibtisch aufstellen kann! Im Augenblick habe ich nicht einen einzigen Raum, wo ich noch einen Schreibtisch hinstellen kann, — damit Sie es wissen.Sie halben ganz recht; wer hat denn hier vorhin von der Zweckentfremdung der Räume gesprochen? Der Abgeordneten-Ruheraum ist einfach zweckentfremdet; da hat Herr Haase völlig recht. Wenn man da unablässig entweder Ausschüsse oder Arbeitskreise tagen lassen muß — ich habe keine anderen Räume —, muß man die Abgeordneten hinauswerfen. Inzwischen, meine Damen und Herren, merkenwir doch an uns selber, daß wir 15 Jahre älter geworden sind. Herr Kollege Etzel, vor 15 Jahren waren wir noch ganz munter. Und jetzt nimmt man den Leuten hier in diesem Saal — und das nennt man dann „Einstehen für die Wiedervereinigung Deutschlands" — die Möglichkeit, auch nur einen Mittagsschlaf in einem Sessel zu halten. Genauso ist es.
— Glauben Sie, Herr Kollege Haase hätte das Blaue vom Himmel heruntergeschwätzt? So sieht die konkrete Situation aus.Ich will Ihnen noch etwas dazusagen. Sie sprachen von parlamentarischem Hilfsdienst usw. Herr Kollege Brese hat hier dem Faß den Boden ausgeschlagen, indem er die großartige Behauptung aufstellte, wir würden von der Bürokratie verdrängt. — Na, hören Sie mal! Diese Bürokraten sind unsere dienstwilligen Mitarbeiter. Wo stünden wir denn ohne sie?
Der Präsident dieses Hauses muß sich allmählich immer wieder die Frage vorlegen, ob und wie er viele dieser Mitarbeiter noch in angemessener, arbeitsrechtlich vorgeschriebener Weise unterbringen kann. Das kann er nämlich für alle gar nicht leisten mit dem, was wir jetzt halben.Außerdem haben wir Archive, die sind vollgestopft, sind gar nicht mehr zugänglich, sind ohne Licht und Luft, darin kann man sich gar nicht mehr bewegen. Ich frage: was hat ein Archiv dann für einen Zweck und Sinn? Unsere Wissenschaftliche Abteilung ist vorzüglich. Unsere Bibliothek ist unbestritten ausgezeichnet. Aber ich sage Ihnen: dies alles funktioniert eines Tages gar nicht mehr, wenn wir die wachsende Masse von Stoff nicht so aufgliedern können, daß wir sie jeden Augenblick den Mitgliedern des Hauses zugänglich machen können.
Wenn Sie meinen, daß es mir eine besondere Lust und ein besonderes Vergnügen wäre, jedes Jahr von neuem hier solche Sachen vorzutragen, so kann ich nur sagen: ich kenne noch sensationellere Themen der deutschen Politik, zu denen ich hier lieber reden würde. Wenn Sie schon meinen, daß ich nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht rede, dann ist es wahr: ich rede aus Pflicht. Aber ich erfülle diese Pflicht aus eigener Überzeugung und aus eigener Einsicht, und ich kann in dieser Sache doch auch an Ihre Einsicht appellieren.Wenn ich aus dem, was Herr Kollege Dürr hier gesagt hat, die praktische Konsequenz ziehe, dann kann ich nur sagen: Meine Herren von der FDP, nehmen Sie Ihren Änderungsantrag schleunigst zurück und werfen Sie ihn in den Papierkorb!
Denn das, was Herr Kollege Dürr gesagt hat, und das, was in diesem Änderungsantrag steht, paßt wie die Faust aufs Auge.Und nun, Herr Kollege Rutschke! Weil wir schon dabei sind: nach Dürr kommt Rutschke. Sehen Sie, da haben Sie jetzt zum erstenmal zwar nicht eine
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8141
D. Dr. GerstenmaierAlternative, aber, sagen wir mal, eine Aufgabenstellung für eine Alternative vorgelegt. Im Bundestagsvorstand habe ich das mit den 69 bzw. 120 Räumen im Laufe der Jahre so nicht gehört. — Aber bitte sehr!
Herr Kollege Rutschke, eine Zwischenfrage.
Das kommt nämlich sehr auf Ihre Fragestellung an, wohin Sie zielen und woraufhin geantwortet werden soll.Aber ich habe Ihnen damals gesagt und im Bundestagsvorstand vorgetragen, daß ich eine Alternative habe ausarbeiten lassen, die einigermaßen den Funktionen dieses Hauses gerecht wind. Und was war das Ergebnis? Daß der ganze Bundestagsvorstand einschließlich Ihrer Mitglieder nicht den Wunsch hatte, auf diese Alternative auch nur weiter einzugehen. Man konnte sie noch nicht einmal zur Abstimmung stellen. So ist sie schon in der Diskussion durchgefallen; und ich kann nur sagen: mit Recht. Denn sie hatte vorgesehen — ich kann es ja hier sagen — ein Barackenlager drüben auf der Wiese zwischen dem Bundespressamt und dem Bundeskanzleramt. Da hätte Bonn eine Freude gehabt, und Sie hätten 400 Meter hin- und herlaufen dürfen zwischen Arbeitsraum und Plenum. Außerdem wäre es nicht nennenswert billiger geworden als unser Bürohaus. Es wäre doch fahrlässig gewesen, wenn der Bundestagsvorstand über eine solche Geschichte auch nur noch weiter igeredet hätte.Es hat sich einfach herausgestellt — ich bringe damit nur ein Beispiel, meine Damen und Herren —, daß es im Laufe dieser Jahre trotz all der schönen Reden von Bescheidenheit und Wiedervereinigung usw. nicht gelungen ist, auch nur eine brauchbare Alternative in den Raum zu stellen, über die man ernsthaft reden könnte.Was diese 69 und 120 Räume betrifft, kann ich nur sagen, daß mir das unerfindlich ist. Aber lassen Sie mich an diese Zahlen, 69 bzw. 120, etwas anknüpfen, was nach meiner Überzeugung für das ganze Haus interessant ist und was auch bei der Beurteilung des Bürohauses, Herr Kollege Gradl, von grundlegender Wichtigkeit ist. Man kann es bedauern, meine Damen und Herren, daß sich der deutsche Parlamentarismus im Laufe dieser 15 Jahre so entwickelt hat, daß er sich vorwiegend in Arbeitskreisen der Fraktionen, in Ausschüssen, die Organe des Bundestages sind, und in der Einzelarbeit des Abgeordneten bzw. einiger Abgeordneten vollzieht. Das kann man bedauern; denn das bedeutet eine Verlagerung der Parlamentsarbeit aus dem Plenum heraus und damit natürlich weithin in die Unsichtbarkeit. Das wird von einem großen Teil der Öffentlichkeit nicht ohne Recht beklagt. Aber, meine Damen und Herren, das kann der Präsident dieses Hauses und das kann auch der Bundestagsvorstand mit seinen Mitteln nicht ändern. Außerdem hat diese Entwicklung einen gewissen Sinn.Wie man aber auch dazu Stellung nehmen will, eines ist sicher: Die Funktion dieses Parlaments hat sich immer mehr so entwickelt, daß sie in einem Ineinander von Einzelarbeit, von in Arbeitskreisen funktionierenden Fraktionen und von parallelen Ausschüssen des Bundestages und schließlich des Plenums besteht. Das ist die Funktion dieses Hauses. Ich sage noch einmal: wem das nicht paßt, der soll es sagen und Änderungsvorschläge machen. Nur muß er sich darüber im klaren sein, daß diese Änderungsvorschläge ganz tiefgreifend sein müßten.Wir haben gewisse Bemühungen angestellt, z. B. diese Aktuelle Stunde, die Herr Kollege Dürr gelobt hat; ich bedanke mich dafür. Das ist ein Versuch in dieser Richtung. Erlauben Sie mir, dazu zu sagen: wir sind dabei noch nicht ganz über den Bodensee. Wenn die nächsten Sitzungen auch so gut verlaufen wie die ersten, vielleicht noch ein bißchen besser, wie ich hoffe, und vielleicht noch etwas mehr Spontaneität besitzen, dann kommen wir auch vollends über den Bodensee in dieser Sache. Aber das ändert nichts daran, daß der Funktionalismus dieses Parlaments in der Kombination von Arbeitskreisen der Fraktionen mit den Ausschüssen und der Einzelarbeit des Abgeordneten besteht.Das ist der Grundgedanke, dem durch das Bürohaus Rechnung getragen werden soll, dessen Ge-
Metadaten/Kopzeile:
8142 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
D. Dr. Gerstenmaierheimnis einfach das ist, daß es die Büros der Abgeordneten in möglichste Nähe mit den Räumen bringt, die wechselweise als Sitzungs- und Arbeitsräume für die Arbeitskreise der. Fraktion und für die Ausschüsse zur Verfügung stehen. Herr Kollege Gradl, selbst wenn wir dieses Hochhaus haben, werden wir nicht in der Lage sein, z. B. den Fraktionen durchweg eigene Arbeits- und Sitzungsräume für ihre Arbeitskreise zur Verfügung zu stellen, sondern wir werden dieselben Räume für die Arbeitskreise der Fraktionen und für Ausschußsitzungen in Anspruch nehmen müssen. Das läßt sich einfach nicht anders machen. Wir werden dann aber mehr Raum und mehr Bewegungsmöglichkeit haben als seither, und ich glaube, es ist zumutbar, daß man sich hier rangiert. Ich sehe also beim besten- Willen überhaupt keine andere Möglichkeit — wenn dieses Haus weiterkommen will —, als dem Vorschlag im Einzelplan 02 zu folgen und die anderen Vorschläge abzuweisen.Herr Kollege Rutschke, ich habe gewisse Hemmungen, auf Ihren Lieblingsgedanken einzugehen, weil er etwas aus der Sphäre des Sachlichen herausführt. In ihr kann man immer streiten. Aber wofür man in diesem Haus nicht streiten sollte, ist folgendes. Sie stellen eine Behauptung auf, die aus einem bestimmten Grunde so gefährlich ist, daß ich sie auf jeden Fall abweisen muß, nämlich die Behauptung, daß ein entsprechendes Engagement des Bundestages hier mit seinem Bürohaus dem Gedanken der Wiedervereinigung abträglich sei. Wenn man diesem Gedanken folgt, ist man ganz nahe bei der Unterstellung. Man bringt sie natürlich nicht formuliert vor, mindestens aber legt sich das Mißverständnis oder die Mißdeutung außerhalb dieses Hauses nahe, daß es denjenigen, die hier aus Sachzwang heraus eine Aufgabe und einen Beschluß verfechten und verteidigen, den sie einfach dem Parlament als Ganzem schuldig sind, schließlich doch an der nationalen Gesinnung mangele.
Herr Kollege Dr. Rutschke, passen Sie jetzt bitte genau auf! Ihre Argumentation steht so sehr in der Nähe dieser Mißdeutung — ich sage nicht, daß Sie die Mißdeutung in die Welt gesetzt haben —, daß es sehr gefährlich ist, mit diesem Argument zu arbeiten.
Im übrigen hat der Kollege Gradl hier vom Dilemma gesprochen. Herr Kollege Gradl, ich kenne in der Politik und auch anderwärts im Leben das Dilemma. Wir befinden uns hier oft genug in einem Dilemma. Ich muß jedoch sagen: in dieser Sache halte ich es für möglich, daß wir mit dem Dilemma fertig werden, und zwar durch die einfache Überlegung: diesem Haus ist in allererster Linie, in erster Instanz, noch vor der Bundesregierung oder sonst jemandem, die Sorge für das deutsche Volk aufgetragen.
Dieses Haus ist nichts anderes als der Diener des deutschen Volkes. Wenn es diesen Auftrag wahrnehmen will und damit auch sein Bestes tun will für die Wiedervereinigung aller Deutschen, dannmuß es vor allem eines haben: Den Mut zu sich selber, und dazu gehört auch der Mut, die Tapferkeit und das Engagement, die Mittel zu wollen, die man zu diesem Dienst braucht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit dem beginnen, mit dem Herr Dr. Gerstenmaier aufhörte. Ich glaube, Herr Dr. Gerstenmaier, niemand von den Freien Demokraten kann man vorwerfen, daß es ihm irgendwie am richtigen politischen Engagement für diesen Staat und auch für diese provisorische Hauptstadt jeweils gefehlt hätte. Das ist natürlich eine Frage, die mit Mut oder nicht Mut gar nichts zu tun hat.
— Entschuldigen Sie, wenn wir das so betrachteten, wie Sie es jetzt hier glauben unterstellen zu können, dann würden wir uns in dieser Frage ganz anders engagiert haben, dann wären wir nicht zu einer sachlichen Auseinandersetzung bereit, sondern dann hätten wir das demagogisch gemacht. Nur so kann man es in der politischen Auseinandersetzung machen. Und wenn Sie zu Beginn Ihrer Ausführungen sagten: „Jedes Jahr dasselbe Lied, und es sind fast immer dieselben Sänger, die hier auftreten", dann lassen Sie mich sagen: zumindest ich bin in diesem Kreis dann ein neuer Sanger. Aber ich glaube, Herr Dr. Gerstenmaier, dieses Lied hat auch sehr viele Strophen in diesem Bereich, und die Strophen, die heute hier angeklungen sind, waren nach unserer Meinung nicht sehr glücklich. Denn was hier an Argumenten gegen unseren Antrag vorgetragen worden ist, hat uns in der Sache nicht überzeugen können, hat uns von unserem Antrag nicht einen Millimeter abrücken können.Lassen Sie mich gleich auf das eingehen, was der Herr Kollege Gradl vorher angefragt hat. Herr Kollege Gradl glaubte, daß wir uns jetzt also von den großartigen Vorstellungen frei gemacht hätten und uns nunmehr realistischeren Zahlen zuwenden würden. Herr Kollege Gradl, ich glaube, das ist eine Irrhoffnung gewesen; denn im Haushaltsplan steht ja eindeutig in den Erläuterungen zu Tit. 710: „Voraussichtliche Gesamtkosten 48,5 Millionen DM". Meine Damen und Herren, das bedeutet also nicht mehr und nicht minder, als daß diese 2 Millionen DM, um die es jetzt geht, in der Praxis nichts anderes als Vorarbeitskosten sind, um dann das Gesamtvolumen der 48,5 Millionen DM zu realisieren. Das ist die Diskussionsebene, auf der wir uns auseinanderzusetzen haben. Das, was Herr Dr. Gerstenmaier vorgetragen hat, geht doch ganz eindeutig in diese Richtung und kann uns nur Bestätigung für unsere Auffassung sein. Es wird also gesagt und es ist von Ihnen, Herr Dr. Gerstenmaier, gesagt worden, ,es seien keine Alternativen geboten worden. Nun, die Frage, ob im Vorstand des Deutschen Bundestages diese Alternativen schon sichtbar geworden
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8143
Dornsind oder nicht, ist eine Frage, die man wahrscheinlich so beantworten muß, wie wir sie hier beantwortet haben. Aber das entbindet uns doch nicht davon, daß das Parlament hier und heute zu entscheiden hat, ob es bereit ist, diesen Bau in dieser Größenordnung zu planen. Auch wenn wir — wie Sie sagen — im nächsten Jahr in unserer Entscheidung frei sind, haben wir hier in der Gesamtkonzeption mit dieser im Haushalt bereits ausgewiesenen Zahl nicht die Freiheit, uns mit der Sachentscheidung für das gesamte Projekt von Jahr zu Jahr neu zu entscheiden. Ich meine, man kann doch nicht sagen, daß es darum gehe, hier nun eine vorläufige Entscheidung zu treffen, die nur mit den 2 Millionen DM zusammenhänge.
Herr Abgeordneter Leicht zu einer Zwischenfrage.
Nur damit kein Mißverständnis entsteht: Verstehen Sie unter Gesamtprojekt das Bürohaus oder andere Dinge, Herr Kollege Dorn?
Nein, erst einmal nur das Bürohaus.
— Sie müssen etwas Geduld haben; ich komme halt nicht so schnell mit.
— Ja, ich hoffe, daß ich es auch noch lerne, wenn auch nicht so schnell wie Sie — vielleicht im Laufe der nächsten Legislaturperiode.
— Ich hoffe, Herr Dr. Martin.
Ich meine, es ist doch so, 'daß wir im Endergebnis davon ausgehen müssen — und da stimme ich dem Präsidenten dieses Hauses durchaus zu —, daß es weder für die Stadt Bonn noch für uns zumutbar ist, daß wir eine Salami-Taktik anwenden und sagen: Jetzt erst einmal die 2 Millionen DM; wenn wir die bewilligt 'haben, werden wir die anderen 46,5 Millionen DM in den nächsten zwei Jahren ebenfalls verbauen, und dann steht das Bürohaus mit seinen 26 Stockwerken, und darüber hinaus geschieht weiter nichts.Meine Damen und Herren, ich verstehe durchaus, daß die Stadt Bonn ein großes Interesse daran hat, bei der Gesamtplanung — jetzt komme ich dahin, Herr Kollege Windelen — zu berücksichtigen, was wir uns insgesamt vorstellen; denn die Stadt Bonn hat — auch darüber gibt es ja wohl keinen Zweifel — eine Fülle von Leistungen und Aufgaben und auch Belastungen in einem besonderen Maße auf sich nehmen müssen und muß sie noch weiter auf sich nehmen, da sie nun einmal Bundeshauptstadt ist. Bine solche Stadt muß natürlich daran interessiert sein, sich in einer Gesamtschau das Bauvolumenanzusehen und auch die Bauplanung kennenzulernen, bevor sie bereit ist, einzelnen Maßnahmen ihre Zustimmung zu geben. Das kann man der Stadt Bonn gar nicht verdenken. Wenn ich hier Vertreter dieser Stadt wäre, würde ich im Stadtrat nicht anders handeln.Damit kommt nämlich der zweite Komplex automatisch auf uns zu. Es heißt: Wir bauen jetzt erst einmal dieses Hochhaus. Wir kommen doch nicht daran vorbei, wenn wir mit der Stadt Bonn sprechen wollen, .die Gesamtkonzeption dieses Regierungsviertels und sein gesamtes Volumen zu diskutieren, das hier in naher oder späterer Zukunft — nach Auffassung der Freien Demokraten hoffentlich überhaupt nicht — entstehen soll. Ich glaube, Herr Dr. Gerstenmaier, das ist das Kriterium. Es geht nicht allein um die 2 Millionen DM. Die 2 Millionen DM sind der erste Schritt auf einem Wege, den wir dann natürlicherweise 'bis 'zum Ende gehen müssen, wenn man hier 'zu einer vernünftigen Regelung kommen will.Lassen Sie mich noch etwas zu den Fragen sagen, ,die hier ebenfalls angesprochen worden sind. Auch von uns ist zu keiner Zeit bestritten worden, daß die Arbeitsverhältnisse hier in diesem Hause nicht ideal sind. Jeder von uns hat mindestens genauso darunter zu leiden wie die Angehörigen der anderen Fraktionen dieses Hauses; bei uns ist das vielleicht in einem noch stärkerem Ausmaß der Fall, weil wir in bestimmte Möglichkeiten auf der anderen Seite der Straße nicht so gut ausweichen können; denn wir können zahlenmäßig nicht so berücksichtigt werden. Aber das schließt doch nicht aus, daß man sich mit einer Übergangslösung behilft, die bei weitern nicht die finanziellen Aufwendungen und darüber hinaus auch nicht die enormen Planungsvoraussetzungen erfordert, wie das hier notwendig ist. Wir müssen uns doch, wenn wir jetzt die 2 Millionen DM bewilligen, darüber dm klaren sein, daß wir für dieses Hochhaus von vornherein die Dinge baugestalterisch und bauplanerisch — bis zur Baustatik — vorantreiben müssen und daß dadurch in viel höherem Maße Kosten anfallen, als das bei einem anderen Bauvolumen der Fall wäre, zu dem wir uns vielleicht bereit erklären könnten.Die Ausführungen des Herrn Dr. Gerstenmaier zu den von meinem Kollegen Dürr aufgeworfenen Fragen haben doch gezeigt, daß natürlicherweise in diesem Parlament wie in jedem anderen Parlament Europas — andere außerhalb Europas kann ich aus 'eigener Sicht nicht beurteilen — die Abgeordneten unter nicht immer idealen Arbeitsbedingungen arbeiten müssen. Unsere englischen Kollegen arbeiten unter noch viel schwierigeren Voraussetzungen und Unterbringungsmöglichkeiten, .als das bei uns der Fall ist.Wir sind der Auffassung, daß hier einiges mit einem viel geringeren Aufwand und nicht mit dieser großen Planung, die vorgesehen ist, geschehen könnte. Darüber hinaus — lassen Sie mich das in aller Offenheit sagen — gibt es auch in diesem Hause noch Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsmethode des Hauses, der Ausschüsse und der Fraktionen, die mit keinerlei finanziellen Aufwen-
Metadaten/Kopzeile:
8144 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
•
Dorndungen verbunden sind; auch das sollte einmal in aller Offenheit angesprochen werden
Keiner von uns sollte heute diese Diskussion vorüberlassen, ohne sich nicht darüber im klaren zu sein, daß mit der Bewilligung dieser 2 Millionen DM 'automatisch weitere 46,5 Millionen DM auf uns zukommen, die bereits 'in den Erläuterungen des Haushaltsplanes vorgesehen sind. Das schließt nach unserer Auffassung auch ein, daß die Gesamtkonzeption dieses Regierungsviertels über kurz oder lang zwangsläufig im Gefolge der heutigen Entscheidung bewilligt werden müßte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verüble es meinem Vorredner, dem Kollegen Dorn, nicht, 'daß er hier — ähnlich wie seine Kollegen im Vorstand — zwar anerkannt hat, daß die Arbeitsverhältnisse unzureichend sind und daß etwas geschehen muß, um diesen Übelständen abzuhelfen, aber dann wiederum nur von Übergangslösungen spricht, ohne endlich einmal einen konkreten Vorschlag zu machen, welche Übergangslösung er sich vorstellt.
Ihre Kollegen im Vorstand kennen die Situation genau. Ich habe hier Protokolle von zwei Sitzungen des Vorstandes, in denen wir uns sehr ausführlich über alle möglichen Alternativlösungen unterhalten haben, angefangen bei der Barackenbaulösung bis zu der Frage, ob nicht hier draußen neben dem Haus noch ein Erweiterungsbau errichtet werden kann. Zu jeder Frage hat uns die Baudirektion Auskunft darüber gegeben, ob 'der Vorschlag technisch realisierbar 'ist und ob solche Provisorien finanziell vertretbar sind. Wir sind — ohne Widerspruch Ihrer Freunde — immer zu dem Ergebnis gekommen, daß dies keine brauchbaren, praktikablen Lösungen wären.
Herr Abgeordneter Moersch möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte.
Herr Kollege, glauben Sie wirklich, daß es Aufgabe der Abgeordneten oder der Fraktionen wäre, architektonische oder sonstige Lösungen 'herbeizuführen?
Nein, aber man soll dann Lösungen, die von Fachleuten vorgelegt werden und die den Anforderungen des Hauses entsprechen, nicht ständig 'kritisieren, ohne auch nur einmal den Versuch zu machen, einen alternativen Planungsauftrag zu geben. Daß sie keine statischen Berechnungen machen können, ist klar; aber sie sollten dann zumindest den Architekten sagen, welche Vorstellungen sie haben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke.
Herr Kollege Dr. Götz, sind Sie nicht der Meinung, daß es möglich sein muß, ein Haus mit 120 Zimmern zu bauen, wenn man in der Lage ist, ein Haus mit 561 Zimmern zu bauen?
Ja, darauf komme ich. — Zunächst möchte ich aber sagen, daß hier wiederum mit falschen Zahlen operiert wird, die schon im Vorstand widerlegt worden sind.
Herr Kollege Börner möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Dr. Götz, können Sie sich den Unterschied zwischen den Angaben und Berechnungen der FDP-Kollegen und denen des Bundestagsvorstandes dadurch erklären, daß die FDP-Fra'ktion nicht mehr damit rechnet, wieder in den Bundestag hineinzukommen, und dann ihre Fraktionsräume den anderen Abgeordneten zugute kommen?
Ich möchte nicht in dieser Form zu dieser Frage Stellung nehmen, in der heute schon einmal ein Kollege gesprochen hat, der offenbar das Rednerpult des Parlaments mit einer Bütt verwechselt hat.Sie, Herr Dr. Rutschke, haben zwei verschiedene Zahlen genannt als Grundlage Ihrer Berechnungen für eine Übergangslösung. Sie sprachen einmal von 69 Räumen und einmal von 80 Räumen. Ich finde es nicht gut, wenn man sich dann hier hinstellt und sagt: „Um 60 oder 80 Arbeitsräume für Abgeordnete zu bauen, sollen 50 Millionen DM ausgegeben werden." Wie das draußen ankommt, wissen wir alle. Aber das ist eine Verzerrung der Tatsachen.Erstens haben wir die Frage der Berechnung gründlich erörtert. Ich darf hier Ihren Kollegen Mertes zitieren, der 'bei seinen Berechnungen im Vorstand nicht auf eine Zahl von 60 oder 80 oder 120 Zimmern gekommen ist, sondern — laut Protokoll — auf einen Bedarf nur für Abgeordnete von immerhin 150 Zimmern, wobei allerdings der Kollege Mertes der Auffassung war, man könne von dem von der Bundestagsverwaltung errechneten Bedarf von 450 Räumen — ich lasse dahingestellt, ob die Zahl richtig ist — 150 für jene Abgeordneten abziehen, die in der Saemischstraße ihre Wohn- und Schlafzimmer haben. Ich weiß nicht, ob diejenigen Kollegen, die in der Saemischstraße ihre Zimmer haben, auf die Dauer bereit sind, für diese Zimmer eine Miete zu zahlen und sich die Zimmer als Arbeitszimmer anrechnen zu lassen. Eine rechtliche Handhabe, dies von den dort wohnenden Abgeordneten zu verlangen, hat dieses Haus nicht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8145
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Sind Sie nicht auch der Ansicht, Herr Kollege, daß es sich bei dieser Debatte im Vorstand des Deutschen Bundestages bei mir um eine überschlägliche Rechnung handelte, bei der es auf 10 Räume mehr oder weniger gar nicht ankommen konnte, daß aber diese Zahl 120 noch sehr großzügig angesetzt war gegenüber der von der Verwaltung des Deutschen Bundestages errechneten Zahl von 69 notwendigen Arbeitsräumen?
Aber wir streiten uns hier um 10 oder 20 Arbeitszimmer.
Ich meine: Das ist überhaupt nicht die Frage. Erstens kamen wir im Vorstand im Einvernehmen mit Ihnen zu einem sehr knapp berechneten Bedarf von mindestens 140 Räumen. Zweitens geht es nicht allein nur darum, Arbeitsräume für Abgeordnete zu schaffen. Es geht auch darum, ausreichende und zumutbare Arbeitsräume und Arbeitsbedingungen für die Verwaltung zu schaffen. Der Herr Präsident hat auf die Verhältnisse in diesem Hause hingewiesen. Man muß sich heute einmal ansehen, wie beispielsweise die Leute im Magazin arbeiten müssen oder in welchen räumlichen Verhältnissen die Ausschüsse tagen müssen. Vielleicht hängt die Tatsache, daß sich manche Abgeordneten nicht an den Ausschußsitzungen beteiligen, damit zusammen, daß sie den Aufenthalt in den Ausschußsitzungsräumen gesundheitlich für sich nicht für zuträglich erachten.
Wir müssen aber mindestens 100 Räume für Ausschußzimmer und -sekretariate schaffen. Das sollten wir dabei doch nicht unter den Tisch fallen lassen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie da drüben ein Bürohaus für Abgeordnetenzimmer und Ausschußsitzungszimmer schaffen wollen, aber die Sekretariate, die zu den Ausschußsitzungszimmern gehören, hier im Südflügel belassen. Dann würden wir die gesamte Arbetsweise des Bundestages desorganisieren und würden nicht zur Verbesserung der Funktions- und Arbeitsfähigkeit dieses Hauses beitragen.
Ich meine, man sollte auch bei den Fragen der Raumberechnung usw. mit richtigen Zahlen arbeiten und die Dinge nicht verzerren und dann daraus falsche Schlußfolgerungen ziehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat sagte jemand, die FDP-Fraktion wolle bei dieser Gelegenheit Punkte sammeln. Ich habe sie in Schutz genommen und gesagt, das sei völlig legitim, besonders wenn man so wenig Punkte habe.
Nun, es ist wohl klar, daß Erwägungen dieser Art hier eine Rolle spielen. Ich meine, wir sollten den Mut haben, hier im Parlament für das einzutreten, was wir für ordentliche parlamentarische Arbeit für nötig halten,
auch dann, wenn wir draußen manchmal klarmachen müssen, weshalb wir dies und das tun.
Herr Kollege Brese hat gesprochen. Ja, er ist jedesmal als Sparkommissar an das Rednerpult gekommen, wenn irgend etwas fürs Parlament getan werden sollte. Auch wenn etwa die Diäten den veränderten Verhältnissen angepaßt werden sollten, hat Herr Brese jedesmal zu den Rednern gehört, die widersprachen und meinten, alles sei in Ordnung. Wenn wir uns nach Herrn Brese richteten, dann wären wir noch in den Verhältnissen von 1949. Ich weiß nicht, ob Sie mit den Verhältnissen von 1949 noch auskommen, ob Sie etwa die Differenz gegenüber 1949 nicht persönlich in Anspruch nehmen. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Nun zu einem anderen Punkt. Wenn wir Sozialdemokraten hier zustimmen, dann bedeutet das Zustimmung zu diesem Projekt und nicht zu einem sogenannten Parlamentszentrum. Es geht darum, hier Arbeitsräume für die Abgeordneten, für die Ausschüsse und für das Personal zu schaffen.
Herr Abgeordneter Ritzel möchte eine Zwischenfrage stellen.
Eine Frage, Herr Kollege Dr. Mommer: Sehen Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen keine Möglichkeit, den Haushalt des Bundestages in den Grünen Plan einzubeziehen?
Dann würde Herr Brese auch widersprechen.
Herr Dr. Mommer, darf nun Herr Brese eine Zwischenfrage stellen?
Natürlich.
Es ist keine Frage an Sie, Herr Mommer. Ich möchte nur an den Kollegen Ritzel eine Frage richten.
Das ist nicht möglich. Bitte, Herr Abgeordneter Mommer, fahren Sie fort.
Wir stimmen mit unserer Zustimmung zu diesem Titel nichts anderem zu als dem, was in der Erläuterung gesagt wird. Wir sind auch mit der Ergänzung und Verbesserung, die von der CDU/CSU-Fraktion dazu vorgeschlagen wird, einverstanden.Die FDP-Fraktion erkennt dankenswerterweise den Ausgangspunkt an, daß wir hier, wie es hieß, in beengten Verhältnissen arbeiten müssen und daß es so nicht weitergehen kann. Sie behauptet, es
Metadaten/Kopzeile:
8146 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Dr. Mommergebe sparsamere Lösungen. Es ist schon einiges darüber gesagt worden. Darf ich auf das zurückkommen, was im Vorstand des Bundestages festgestellt wurde. Dort wurde die FDP-Fraktion gebeten, doch eine Alternative vorzuzeigen. Die Akten des Bundestages stehen bekanntlich jedem Abgeordneten, soweit es nicht Geheimakten sind, zur Verfügung. Die FDP-Fraktion hätte also die Möglichkeit gehabt, ganz konkret zu sagen: Nicht so, wie hier geplant, wollen wir den Bedarf decken, sondern anders, so, wie wir von der FDP es jetzt vorschlagen. Nichts dergleichen ist geschehen. Statt dessen bekommen wir eine pauschale Rechnung, daß nur 69 Räume nötig seien,
während im Vorstand des Bundestages gesagt wurde, daß gegenwärtig nur 72 der Abgeordneten wirklich gut und zufriedenstellend untergebracht sind, während für 449 Abgeordnete ausreichende Arbeitsmöglichkeiten in Einzelzimmern fehlen.
Herr Abgeordneter Rutschke möchte eine Frage stellen.
Bitte sehr!
Herr Kollege Dr. Mommer, ist Ihnen vielleicht vorhin entgangen, daß ich ausgeführt habe, daß, wenn man zur Berechnung zugrunde legt, daß jeder Abgeordnete ein Zimmer zur Verfügung haben soll — das ist ein Anliegen, das auch wir haben —, dann 69 zusätzliche Räume notwendig sind? Diese Berechnung habe ich von der Verwaltung bekommen. Das ist nicht meine Rechnung, sondern die Verwaltung hat das ausgerechnet. Das gilt selbstverständlich, wenn die Saemischstraße dabei ist; das gehört dazu.
Zu diesem Thema hat mein Vorredner, Herr Götz, schon einiges gesagt. Die Räume drüben, für die die Abgeordneten ganz normale Miete zahlen, sind keine Arbeitsräume der Abgeordneten. Das war ein guter Behelf. Wir müssen das ja auch noch jahrelang weiterführen, auch wenn wir hier heute beschließen. Aber das kann doch keine Lösung des Problems sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Herr Mommer, halten Sie es für möglich, daß man bei der Miete eine Regelung findet, die dem gerecht wird, oder halten Sie das für unüberwindlich?
Auch da hätten Sie die Möglichkeit gehabt, eine Alternative zu entwickeln und einen Plan vorzulegen. Das wäre ja Ihre Sache gewesen, nicht unsere hier.Nun ein Wort zu dem Bürohaus. Wir haben uns im Vorstand des Bundestages darüber unterhalten, welches nun die zweckmäßigste und auch relativbilligste Lösung des Problems ist. Dabei kam heraus, daß alle, die etwas von den Bauproblemen verstehen, der Meinung waren, daß heute, wo in dieser Gegend, in der wir hier sind, der Boden 250 DM pro Quadratmeter kostet, der beste und schließlich billigste Bau der Hochbau ist. Herr Kollege Gradl, auch Ihnen sage ich das. Stoßen Sie sich doch nicht daran, daß das Haus hoch sein soll, sondern überlegen Sie, was besser ist, ob ein hohes oder ein niedriges Haus. In diesem Hochhaus werden wir 20 000 qm Arbeits- und Nutzfläche haben. Wenn wir das etwa, wie es naive Leute vorschlagen, mit Baracken erreichen wollten, dann hätten wir erst einmal zwei Hektar Baracken nötig. Dazwischen muß aber auch noch Raum sein. Sogar in einem Kriegsgefangenenlager kommen auf einen Quadratmeter überbauten Raum zwei Quadratmeter nichtüberbauter Raum. Dann kommen Sie auf sechs Hektar. Wenn Sie einmal rechnen, was das kostet, stellen Sie fest, daß allein der Boden 15 Millionen DM kostet. Unsinnig ist das. Unsinnig ist es, Flächenbauten errichten zu wollen. Wenn man hier an unserer Stelle zweckmäßig bauen will, dann muß man notwendigerweise in die Höhe gehen.Ein Wort zu dem Thema Berlin. Das haben wir ja immer wieder gehört, wenn hier im Bundeshaus oder für unsere Verwaltung im Laufe der vergangenen fünfzehn Jahre irgend etwas gebaut werden sollte. Es wurde gesagt: „Ja, wie ist es dann mit der Hauptstadt Berlin?" Wir Sozialdemokraten haben vor fast zehn Jahren die Frage einmal gründlich mit unseren Freunden in Berlin diskutiert, die ja da besondere Verantwortung tragen und die — wenn einer — dafür sind, daß wir alle möglichst schnell nach Berlin kommen und uns nicht für immer in Bonn festsetzen. Aber wir waren uns mit unseren Freunden darin einig, daß man in Bonn, wo nun einmal die Verwaltung eines Staates mit 56 oder 57 Millionen Einwohnern ist und wo auch dieses Parlament, das von diesem Volk frei gewählt ist, arbeiten können muß, mit Baracken eben nicht auskommt, sondern daß man da vernünftig bauen muß. Und was so aufregend war wie der Bau des Auswärtigen Amtes, das stellte sich sehr bald als unzureichend heraus. Heute muß der Steuerzahler wieder zusätzlich dafür zahlen, daß das Auswärtige Amt Dienststellen ausquartieren muß, hohe Mieten zahlen muß. Es stellt sich heraus, daß wir gar nicht groß genug gebaut haben und keineswegs zu groß. Wenn man das nüchtern betrachtet, sieht das also anders aus.Eines aber dürfen wir hier in Bonn nicht tun: wir dürfen keine Bauten hinsetzen, die für die Ewigkeit geplant sind. Wir müssen Zweckbauten hinsetzen, ausschließlich Zweckbauten; nicht Repräsentation und „Selbstdarstellung unserer Zeit" und was man da alles sagen kann, sondern nüchterne Bauten, die uns unsere Arbeit erleichtern.Ich möchte hier auch den Wunsch meiner Fraktion vortragen, Herr Präsident, daß wir in Berlin am Reichstag zügig bauen, vielleicht noch zügiger als bisher. Es dauert etwas lange, bis das Reichstagsgebäude so weit wiederhergestellt ist, daß nicht nur — wie jetzt schon — die Ausschüsse, sondern auch das Plenum dort tagen können. Und wenn wir den Reichstag haben, auch schon vorher, wollen wir hier
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8147
Dr. Mommer.immer daran arbeiten, daß wir möglichst schnellBonn verlassen und nach Berlin übersiedeln können.Ich glaube, daß wir 1949 einen Fehler gemacht haben — wir alle allerdings —, als wir beschlossen, hier in Bonn zu bleiben. Es wäre besser gewesen und der Risiken wert gewesen, wenn wir — —
— Alle, die damals hier saßen. Sie persönlich nicht; aber die, die zu Ihrer Partei gehörten. Alle mit Ausnahme der Kommunisten, Herr Moersch. Die Kommunisten haben einen Antrag eingebracht: „Der Bundestag und die Bundesregierung treten in Berlin zusammen." Die hatten andere Gedanken dabei, als sie das vorschlugen. Aber wenn ich es heute rückschauend betrachte, meine ich, wir hätten so verfahren sollen. Es sähe manches in Deutschland anders aus. Aber niemand soll glauben, daß, wenn wir hier Zweckbauten errichten, die unsere Arbeit erleichtern, wir unser Herz daran hängen und weniger energisch daran arbeiten würden, die Wiedervereinigung Deutschlands zustande zu bringen und den Sitz auch des Bundestages nach Berlin zu verlegen.
Das Wort hat der Präsident des Hauses.
D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Meine Damen und Herren, es tut mir leid, daß wir diese Debatte unentwegt weiterführen müssen. Ich bin jedoch ganz bereit, die Erwägungen, mit denen sich der Bundestagsvorstand nun in vielen Sitzungen beschäftigt hat, auch hier vor dem Plenum weiterzuführen.
Zunächst eine Feststellung zu Ihrer immer wiederholten Behauptung, Herr Kollege Dr. Rutschke. Ich habe soeben den Direktor des Hauses gesprochen. Er sagte mir klar: Das ist Ihre Rechnung, aber nicht die Rechnung der Verwaltung des Bundestages, die Sie hier dem Hause vorgelegt haben.
350 Zimmer seien Ihnen mitgeteilt worden; aber durch Ihre Subtraktionsmethode kommen dann 69 heraus. Wie Sie diese Rechnung aufgestellt haben, das haben Sie bis jetzt dem Bundestagsvorstand vorenthalten.
Herr Präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rutschke?
D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Bitte sehr!
Herr Dr. Gerstenmaier, ich habe hier die Durchschriften eines Schreibens von „Verwaltung — 11 —" an mich, und hiernach ergibt sich eine Wohnraumzahl von 69.
D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Ich verstehe nicht — was steht darin?
Ein Schreiben der Verwaltung, in dem mir mitgeteilt wird, daß, vorausgesetzt, daß jeder Abgeordnete ein Zimmer allein haben soll, einschließlich Saemischstraße noch 69 Abgeordnete je ein Zimmer haben müßten. Das Schreiben Ihrer Verwaltung ist vom 17. Dezember 1964.
D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Das bedeutet also, Herr Kollege Rutschke, Sie gründen Ihre Zahl 69 auf folgende Überlegung: Wenn man alle die Wohnräume, die die Abgeordneten für sich gemietet haben, die sie übrigens nicht vom Bundestag gemietet haben, die zwar von der öffentlichen Hand bezuschußt worden sind, die die Abgeordneten aber selber bezahlen, weiterhin in die Gesamtrechnung einbezieht und auch noch diejenigen, die in dieser Richtung weiter gebaut werden sollen, und wenn man überhaupt nichts anderes mehr in Sicht nimmt als die Arbeitsräume für die Abgeordneten, dann kommt man zu der von Ihnen genannten Ziffer.
Ersten ist sie mir nicht vorgelegt worden. Zweiten ist sie vom Bundestagsvorstand nicht kontrolliert worden. Drittens habe ich dazu noch keine Äußerung von der Bundesbauverwaltung. Aber ich möchte Ihnen sagen: Warum Sie diese Sache hier im Plenum vorbringen und uns im Bundestagsvorstand bisher vorenthalten haben, ist mir unerfindlich. Im übrigen werde ich mir die Sache vorlegen lassen und werde sie zum Gegenstand einer Besprechung im Bundestagsvorstand machen; da werden wir es dann sehr genau nachrechnen.
Das kann mich aber nicht dazu bringen, von dem Grundgedanken abzugehen, der doch den Sinn des ganzen Bauunternehmens darstellt, daß wir nämlich auf die Funktion dieses Hauses hin bauen müssen, und das heißt: Verbindung von Einzelarbeitsräumen der Abgeordneten mit Räumen für die Arbeit der Fraktionen, übrigens auch für den zusätzlichen Fraktionsbedarf, plus Ausschußräume mit hinreichender Ausstattung. Und nun könnte ich hinzusetzen: noch eine ganze Reihe von Räumen, die sich einfach nicht unter dem Sammelbegriff von Herrn Kollegen Brese „Diese Bürokratie verdrängt uns" unterbringen lassen. Ich sage noch einmal: diese Bürokratie verdrängt uns gar nicht, wenn wir für unsere Bibliothek, unser Archiv, unseren wissenschaftlichen Dienst, unsere Kanzleien usw. Raum brauchen. Alle diese Abteilungen und Gruppen arbeiten für uns und nicht gegen uns, und deshalb müssen wir ihnen auch die notwendigen Räume geben.
Darf der Herr Abgeordnete Schultz eine Frage stellen?D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Bitte sehr.
Metadaten/Kopzeile:
8148 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Würden Sie mir glauben, Herr Kollege Dr. Gerstenmaier, daß die Maßnahme, daß die Wohnungen in der Saemischstraße gleichzeitig als Arbeitsräume gelten, für die FDP-Fraktion selbstverständlich ist und daß wir auch entsprechend gehandelt haben, weil wir anders gar nicht zurechtkommen?
D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Es ist ganz reizend von Ihnen, Herr Kollege Schultz, daß Sie so viel Opfersinn an den Tag legen. Ich nehme an, daß sich die anderen Fraktionen nicht von Ihnen an Opfersinn übertreffen lassen und sich deshalb auf der gleichen Linie bewegen werden. Aber das ist kein Grund für den Präsidenten des Bundestages. Der Präsident des Bundestages ist es von seinem Amt her schuldig, den Abgeordneten dieses Hauses von Amts wegen eine bescheidene, aber hinreichende Arbeitsmöglichkeit in diesem Hause zu geben. Wenn hier heute einer kommt und sagt, daß das ein Overstatement sei, daß das die vorgeschriebene Bescheidenheit für dieses Hauses verletze, dann kann ich nur sagen: Das ist doch unglaubwürdig. Kommen Sie doch mit echten Argumenten und nicht mit unechten! Das glaubt Ihnen doch bei dem heutigen Level in diesem Staat kein Mensch mehr. Das kann man doch einfach nicht machen.
Jedenfalls, was Sie auch immer tun wollen, meine Damen und Herren, — meine Pflicht ist es, dem Hause den Vorschlag zu machen, daß für jeden Abgeordneten, der diesem Hause von Rechts wegen angehört, ein bescheidener, aber hinreichender Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wird. Wenn diese Abgeordneten dann darauf verzichten, etwa aus Bescheidenheit, dann sollen sie es tun. Es gibt auch Stimmen, die mich am allermeisten ärgern, und zu denen Sie, Herr Dorn, kein Wort gesagt haben. Nicht nur, daß Sie gelegentlich meine nationale Gesinnung, nämlich meinen Wiedervereinigungswillen, in Zweifel ziehen — was einen Schwaben, einen Württemberger noch viel mehr ärgert, ist, daß man ihm auch noch unterstellt, er sei nicht sparsam genug.
Das ist beinahe das Allerschlimmste, was man einem Schwaben vorhalten kann. Da reagiere ich dann auch empfindlich.
Ich kann Ihnen nur sagen: Alles das, was Sie darüber in einen Teil der deutschen Presse lanciert haben oder was von selber dort hochgekommen ist, paßt einfach nicht in die Landschaft, und außerdem ist es unwahr. Sehen Sie sich die Pläne an — wir haben sie vorgelegt —, kontrollieren Sie sie durch! Ich fürchte, nachher wird- es so sein, daß, wenn das Bürohaus fertig ist, die Herren kommen und sagen werden: Was, in diese Zellen sollen wir hinein, dafür soviel Streit und soviel Ärger?! Das hat sich doch gar nicht gelohnt!
Darf der Abgeordnete Dorn eine Frage stellen?
D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Schön, lassen Sie den Herrn Abgeordneten Dorn fragen!
Herr Dr. Gerstenmaier, wenn Sie schon selber zu der Überzeugung kommen, daß wahrscheinlich nur Zellen in dem Hause sind, frage ich Sie, ob die Planung in der Form, wie Sie das zu begründen versucht haben, zu vertreten ist.
D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Ich sage, ich könnte mir vorstellen, daß zu dem Zeitpunkt, bis das Haus endlich fertig ist — vor allem wenn wir weiter so darüber beraten; dann werden wir nämlich überhaupt nicht fertig —,
das Lebensniveau so gestiegen ist, daß mancher noch gar nicht einmal besonders anspruchsvolle Kollege kommen und sagen könnte: Was, in solche Zellen will man uns hineintun?!
Das nehme ich hin. Ich will damit nur sagen: Das, was für uns geplant und vorgesehen ist, bewegt sich durchaus im Rahmen der uns gebotenen Bescheidenheit. Aber Understatements à tout prix — wie sie der Herr Abgeordnete Mommer hier mit Recht karikiert hat —, „um Punkte zu sammeln," sollten wir in einer solchen Sache nicht machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ichglaube, es ist nach den Ausführungen von Herrn Abgeordneten Gerstenmaier notwendig, daß wir doch noch ein paar Worte Tu dem Hergang der Sache selbst sagen.
Daß der Bundestag Arbeitsmöglichkeiten braucht, ist nie bestritten worden. Aber einige Argumente sind nicht ganz richtig gewertet worden, Herr Kollege Dr. Gerstenmaier.
Mein Kollege Dürr hat von der Notwendigkeit des parlamentarischen Hilfsdienstes gesprochen. Hier geht es darum, daß man zunächst einmal eine klare Konzeption für einen solchen Hilfsdienst haben muß. Dann sollte man auch die notwendigen Räume für ihn finden und die erforderlichen Baulichkeiten für ihn in den Haushaltsplan einstellen. Wir jedenfalls werden dann zustimmen. Aber ins Blaue hinein einer Sache 'zuzustimmen, deren Voraussetzung bisher seit Jahren von bestimmten Gruppen verhindert worden ist, das können Sie von uns doch nicht erwarten!
Darum geht es nämlich in Wahrheit. Wir sind es doch gewesen, die seit Jahren diesen Hilfsdienst gefordert haben. Herr Dr. Gerstenmaier, Sie wissen ganz genau, welche Kräfte es gewesen sind, die ihn verhindert haben.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar f965 8149
Moersch
— Herr Kollege Schoettle, ich kann es Ihnen schriftlich nachweisen.
— Ich habe die Freiheit, hier zu reden, genauso wie
Sie die Freiheit haben, Zwischenrufe zu machen.
— Bitte, Herr Dr. Mommer!
Herr Moersch, ist Ihnen bekannt, daß wir in der ersten Legislaturperiode einen besonderen kleinen Ausschuß hatten — dessen Vorsitzender sich war —, in idem wir konkrete Pläne für einen solchen Gesetzgebungshilfsdienst entwickelt haben?
Herr Dr. Mommer, das ist mir im einzelnen nicht bekannt. In der Sache habe ich darüber geschrieben. Aber ich bin Ihnen für diese Unterrichtung außerordentlich dankbar. Ich möchte Ihnen nur mitteilen: ich war damals noch nicht wählbar. Es tut mir sehr leid.
Der Herr Kollege Börner that es vorhin für notwendig befunden, eine Zwischenfrage zu stellen. Herr Kollege Börner, um das Selbstzeugnis, .das Sie sich hier ausgestellt haben, möchte ich und möchten meine Kollegen Sie nicht beneiden.
') Sie haben hier im falschen Laden eingekauft, wo es etwas unter Preis gegeben hat. Ich bitte Sie wirklich, dieses Niveau 'in diesem Hause nicht zu betreten.
Herr Präsident Dr. Gerstenmaier, Sie haben vom Sachzwang gesprochen. Auch hier anerkenne ich voll diese Argumentation. Aber Sie haben eines vergessen: nämlich weshalb in der Öffentlichkeit diese ganze Diskussion und Aufregung entstanden ist. Von keinem anderen Platz aus als von dem hier sind zur gleichen Zeit, zu der ein sehr überraschendes Projekt der Öffentlichkeit vorgelegt worden ist — überraschend im Ausmaß, in der Art der Darstellung und im Hergang der Sache —, von diesem Pult aus volkserzieherische Bemühungen unternommen worden, die in dem Wort „maßhalten" gegipfelt haben. Es war dann doch einigermaßen merkwürdig, daß ausgerechnet vom 'Bundestag aus eine gegenteilige Vorstellung entwickelt worden ist. Das hat doch ,die Öffentlichkeit damals beunruhigt.
Zur gleichen Zeit, da dieses Haus einen teilweisen Baustopp beschlossen und die öffentlichen Mittel für Bauvorhaben gekürzt hat, ist dieser Plan aufs Tapet gekommen. Das war doch in Wahrheit der ganze Hergang dieser Geschichte, und das ist es auch, was eis so außerordentlich erschwert, in Ruhe und Sachlichkeit über diese Fragen zu debattieren. Das bitte ich wirklich dabei zu bedenken.
Wir sind selbstverständlich dafür, daß sich das Parlament die Autorität verschafft, die es nun einmal braucht, und wir 'sind selbstverständlich dafür, daß
das auch hier getan wird. Aber meine Kollegen haben wohl durchaus richtig gerechnet, wenn sie glauben, mit einem Viertel der jetzt vorgeschlagenen Summe zu einem nützlichen Ergebnis kommen zu können. Darum und um nichts anderes geht es doch hier im wesentlichen.
Ich bitte Sie also, nun einmal wirklich nicht von Mißdeutungen uns gegenüber zu reden. Wenn es Mißdeutungen gegeben hat, dann sind sie deswegen entstanden, weil die Stelle, die diese Angelegenheit betrieben hat, meiner Ansicht nach zur falschen Zeit, am falschen Ort und mit falschen Belegen eine an sich richtige Sache gefördert hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sorgen, die wir Berliner — und ich bitte um Verständnis dafür — zunächst gehabt haben, sind durch die Erklärung, die wir von dem Berichterstatter, dem Kollegen Conring, erhalten haben, zerstreut worden. Die Fraktion der CDU/CSU hat das durch einen formellen Antrag noch ausdrücklich bestätigt. Insoweit würde ich also meinen, daß der Worte genug gewechselt sind. Wir können einen Einspruch gegen das, was hier geplant ist, mit gutem Gewissen nicht verantworten. Ich nehme an, daß mein Freund Gradl, die gleiche Ansicht hat. Berlin wird natürlich auch durch die anständige Arbeit, die hier geleistet wird, verteidigt, und die gesamtdeutsche Sache wird ebenfalls durch die anständige Arbeit, die hier geleistet wird, gefördert.
Dazu gehören selbstverständlich gewisse technische Voraussetzungen.
Ich bitte nochmal um Verständnis dafür, daß wir nicht gern den Eindruck erwecken, als wenn der vorläufige Charakter Bonns durch großartige und ehrgeizige Baupläne irgendwie allmählich in ein Definitivum verwandelt werde. Ich glaube, das werden Sie alle begreifen. Aber ich würde meinen: Jetzt sind der Worte genug gewechselt. Das, was wir gehört haben, scheint mir auszureichen.
Vielleicht sollte man die Zahl der notwendigen Räume noch einmal prüfen. Dazu gibt ja auch die Bewilligung durchaus Gelegenheit. Die Bedenken aber, die ursprünglich einmal bestanden haben, halte ich für beseitigt.
Herr Abgeordneter Dr. Götz hat als Berichterstatter das letzte Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist die Pflicht des Berichterstatters, einen Vorwurf, der gegen den Vorstand des Bundestages dergestalt erhoben worden
Metadaten/Kopzeile:
8150 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Dr. Götzist, wir hätten „ins Blaue hinein" geplant, entschieden zurückzuweisen.
Ich weise noch einmal darauf hin, daß der Vorstand sich seit dem Jahre 1961 in fast allen Vorstandssitzungen Gedanken darüber gemacht hat, wie den unzulänglichen Arbeitsverhältnissen am besten und am sparsamsten abgeholfen werden kann. Ich habe hier eine genaue Aufstellung über die notwendigen Räume für Abgeordnete, für Ausschüsse, für Sekretariate, für die Verwaltung und für die Technik. Ich will das alles nicht noch einmal wiederholen. Die Verwaltung ist, indem sie all den Klagen und Beschwerden der Abgeordneten, die an sie herangetragen wurden, in sehr engem Rahmen Rechnung getragen hat, auf eine Zahl von 450 Arbeitsräumen gekommen, Wir wollen es dahingestellt sein lassen, ob 450 oder 420 notwendig sind. Aber, meine Herren von der FDP, Sie haben selbst gesagt: Vielleicht kommt man mit einem Viertel weniger aus.
— Überhaupt nur mit einem Viertel?
— Dann kann ich nur eines sagen: Schön, im Ausschuß ist nach dem Protokoll die Frage gestellt worden, wie Sie beispielsweise über den Bau eines 15stöckigen Hochhauses dächten. Auch darauf keine Antwort.Ich meine, so kommen wir nicht voran, wenn wir immerfort nur von Übergangslösungen sprechen, von Alternativlösungen, dazu noch den Vorwurf hören, wir hätten ins Blaue hinein geplant, und Sie auch nicht einen praktikablen Vorschlag machen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Gradl?
Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Gradl.
Herr Kollege Götz, ich hatte geglaubt, Sie gingen noch auf die folgende Frage ein, die ich nun also in dieser Form stellen darf. Ich bin von Kollegen der FDP darauf aufmerksam gemacht worden, daß nach ihrer Meinung mit unserer Zustimmung zu Tit. 710 — 2 Millionen DM plus 10 Millionen DM Bindungsermächtigung —haushaltsrechtlich gleichzeitig idas gesamte Bauvorhaben, .das in der Anmerkung mit 48,5 Millionen DM beziffert ist, endgültig beschlossen sei. Ich bin von meinen eigenen Parteifreunden unterrichtet worden, daß das nicht der Fall ist. Die Frage ist wichtig. Ich würde gern Ihre Antwort wissen.
Herr Kollege Dr. Gradl, diese Frage hat eigentlich mein Kollege Conring bei der Einbringung des CDU/CSU-Antrages schon beantwortet. Er hat darauf hingewiesen, daß der nächste Bundestag Jahr für Jahr erneut darüber beraten muß, welche Mittel für die Fortführung des Baus eingesetzt werden sollen. Ich spreche jetzt nicht als Berichterstatter. In der Debatte wurde darauf
hingewiesen, daß auf Grund der von der Verwaltung angeforderten Berechnung nur 60 Räume erforderlich seien. Hier muß es sich um einen Irrtum handeln.
Ich meine als Mitglied des Vorstandes — ich habe es als Berichterstatter schon angedeutet —, daß man, um den Raumbedarf überhaupt befriedigen zu können, auch das jetzt schon vorhandene Hochhaus an der Görresstraße in die Raumverwendung einbeziehen muß. Ich glaube, es besteht durchaus die Möglichkeit, auch nach Annahme des Tit. 710 in seiner jetzigen Fassung den tatsächlichen Raumbedarf unter . Berücksichtigung des Hochhauses an der Görresstraße noch einmal zu überprüfen. Aber ich habe den Eindruck, daß selbst bei einer nochmaligen, sehr genauen Überprüfung etwa nur ein Viertel des jetzt errechneten Raumbedarfs — das wären 90 bis 100 Arbeitszimmer — eingespart werden könnten. Es würden dann, da in einem Stockwerk ungefähr 30 Arbeitszimmer geschaffen werden können, drei Stockwerke eingespart, und darüber haben wir uns jetzt drei Stunden unterhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Emde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin mit einem Satz fertig. Wir beschließen hier: Vorgesehen ist die Errichtung eines Bürohauses, voraussichtliche Gesamtkosten 48,5 Millionen DM, erste Rate 2 Millionen DM plus 10 Millionen DM Bindungsermächtigung. Damit kein Zweifel besteht: Damit wird die Gesamtsumme und damit werden 26 Stockwerke beschlossen.
Herr Abgeordneter Dr. Conring bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß ich aus Gründen des Haushaltsrechts den Darlegungen meines Kollegen Dr. Emde widersprechen muß. Es wird zwar in den Erläuterungen von den 48,5 Millionen DM gesprochen, aber die Sache ist haushaltsrechtlich doch so: Derjenige, der die 2 Millionen DM —plus 10 Millionen DM Bindungsermächtigung — genehmigen soll, muß durch die Erläuterungen in den Stand gesetzt werden, zu wissen, unter welchen Aspekten er diese in der Zweckbestimmung stehende Summe von 2 Millionen DM — plus 10 Millionen DM Bindungsermächtigung — genehmigen soll, ob das alles ist oder ob das Gesamtprojekt noch weitere Summen vorsieht. Er hat ein Anrecht darauf zu wissen, wie teuer das Gesamtprojekt nach der Planung sein soll.Eine ganz andere Frage ist aber, Herr Dr. Emde, ob die Summe von 48 Millionen DM durch die Zustimmung zu dem Betrag von 2 Millionen DM gleichzeitig bewilligt wird oder nicht. Die Antwort auf diese Frage ist haushaltsrechtlich allerdings eindeutig klar: Die Gesamtsumme von 48,5 Millionen DM wird nicht bewilligt. Die Erwähnung der 48,5 Millionen DM in den Erläuterungen dient eben nur zur Erläuterung dieser zu bewilligenden 2 Millionen DM und der 10 Milionen DM Bindungsermächtigung. Ich habe mich, um nicht etwas Un-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8151
Dr. Conringrichtiges zu sagen, soeben noch mit dem Leiter der Haushaltsabteilung des Bundesfinanzministeriums darüber unterhalten. Er hat mir die Richtigkeit dieser meiner Antwort ausdrücklich bestätigt. — Es ist in das freie Ermessen des Bundestages, des kommenden Bundestages gestellt, ob und welche weiteren Beträge er bewilligen will. Er kann bei 3 Stockwerken des Bürohauses haltmachen, bei 5, bei 10, bei 20 und letzten Endes maximal auch bei 24. Es ist sein freies Recht, das zu tun, was er nach Lage der kommenden Haushaltspläne für richtig hält.
Herr Abgeordneter Dr. Conring, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Ich wollte nur mit einem Satz schließen.
Sie gestatten also nicht?
Sofort, Herr Präsident. Ich will nur diesen Satz sagen. Wir haben doch beim sogenannten Abgeordnetensilo soeben die Erfahrung gemacht, daß nur e i n Stockwerk aufgesetzt werden konnte. Es wäre wesentlich besser gewesen, wenn die Grundlagen dieses „Abgeordnetensilos" so gewesen wären, daß wir drei Stockwerke hätten aufsetzen können. Das konnten wir nicht. Infolgedessen legen wir jetzt den Grund des Bürohauses so, daß je nach Lage später Stockwerke aufgesetzt werden können, die kommende Bundestage für richtig halten.
Herr Kollege Dr. Conring, sind Sie nicht auch der Meinung, daß die heutige Bewilligung von 2 Millionen DM plus 10 Millionen DM Bindungsermächtigung zwangsläufig weitere Bewilligungen bis zur Höhe von 48,5 Millionen DM für dieses Projekt nach sich ziehen, und sind Sie nicht auch der Ansicht, daß, wenn wir keine 26 Stockwerke bauen, die Fundamentierung von vornherein eine völlig andere sein müßte und, wenn das jetzt nicht geplant wird, dadurch noch höhere Kosten entstehen würden?
Ich bin dieser Meinung nicht. Meine Damen und Herren, wie würde es denn ein Privatmann machen, wenn er ein solches Bürohaus heute und hier baute? Würde sich der Privatmann auf wenige Stockwerke beschränken, oder würde er die Grundlage so legen — nach den Erfahrungen, die wir soeben mit dem Abgeordnetensilo gemacht haben —, daß man später auch aufstocken kann? Wie die Verhältnisse hier im Bundestag liegen, bei dem Raumbedarf, von dem Sie soeben in aller Breite gehört haben, ist es doch eine Selbstverständlichkeit, daß die Grundlage jedenfalls so gelegt werden muß, daß eine Reihe von Stockwerken später draufgebaut werden kann. Nur, wieviele Stockwerke draufkommen, das entscheiden heute nicht wir, sondern das entscheiden spätere Bundestage, und diese werden sich später darüber
schlüssig werden müssen, ob sie 5, 10, 20 oder 24 draufsetzen wollen. Ein Präjudiz in dem Sinne, daß sie 24 drausetzen müßten, ist jedenfalls nicht gegeben.
Mir kam es darauf an, hier haushaltsrechtlich eindeutig klarzustellen, daß heute nicht 48 Millionen DM bewilligt werden, sondern nur 2 Millionen DM plus 10 Millionen DM Bindungsermächtigung. Darüber muß sich das Haus völlig klar sein.
Herr Abgeordneter Ritzel bittet noch um das Wort. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da selbst in den Reihen der Haushaltsleute Verwirrung über die Interpretation der Drucksache besteht, die vor uns liegt, möchte ich meinen kleinen Beitrag auf Grund ausreichender Erfahrung dazu geben.
Eine Verwirrung der Begriffe ist möglich durch die Hinzufügung der Bindungsermächtigung von 10 Millionen DM. In dem Augenblick, in dem es sich schließlich darum handelt, 2 Millionen DM erstmals zu bewilligen für ein Bauprojekt, das technisch vorliegt — die Voraussetzungen des § 14 der Reichshaushaltsordnung sind damit erfüllt —, ist durchaus die völlige Freiheit des Bundestages gegeben, die 48 Millionen DM laufend pro Jahr zu beschließen oder nicht zu beschließen. Das liegt in seiner Macht und in seiner Freiheit. Wir haben damit, daß wir jetzt 2 Millionen DM bewilligen, nicht 48 Millionen DM beschlossen. Nur, wenn wir jetzt eine Bindungsermächtigung von 10 Millionen DM hinzufügen und die Bundesregierung auf Veranlassung des Herrn Bundestagspräsidenten von dieser Bindungsermächtigung über 10 Millionen DM Gebrauch macht, dann entsteht eine Situation, die die zukünftige Leistung, den zukünftigen Bau, verankert. Darüber muß man sich klar sein.
Es gibt einen ganz einfachen Weg. Wir bewilligen die 2 Millionen DM. Wir nehmen von den Erläuterungen Kenntnis. Wir billigen auch die Bindungsermächtigung von 10 Millionen DM, sagen aber: der Vorstand und der Haushaltsausschuß beraten, ehe die 10 Millionen DM jeweils verbraucht werden, noch einmal darüber, ob und in welchem Ausmaß Konsequenzen daraus entstehen. Wenn mit 10 Millionen DM ein Fundament gelegt wird, müssen wir schon wissen — man kann ja nicht so einen Stöpsel dahin stellen, bei dem dann eines schönen Tages mit dem Bauen aufgehört wird —, was wir endgültig verplanen können.
Sie stellen keinen Antrag, Herr Kollege Ritzel? — Sie stellen also keinen Antrag, sondern geben nur eine Anregung.Bitte, Herr Präsident!D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Meine Damen und Herren! Worin liegt die Würde eines Parlaments? — Nicht im hochgestockten mehr oder weniger bedeutenden Palaver,
Metadaten/Kopzeile:
8152 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
D. Dr. Gerstenmaierauch nicht in der großen akademischen Diskussion, sondern in der Kraft zur Entscheidung.
Darin liegt die Würde des Parlaments, und jetzt muß entschieden werden.Damit klipp und klar ist, worüber entschieden wird, sage ich ausdrücklich, daß der Herr Kollege Mertes mit seiner Frage ganz recht hat. Wer zu diesen 12 Millionen so oder so — 2 Millionen DM und 10 Millionen DM Bindungsermächtigung — ja sagt, der sagt ja zu einem Beschluß des Vorstands des Deutschen Bundestages, der dafür bestellt ist — nach dem Hausgesetz des Deutschen Bundestages —, und der redet mitnichten ins Blaue hinein. Das finde ich eigentlich eine ganz unselige Unterstellung, eine Beleidigung von Kollegen, wenn ich das hier einmal sagen darf. Wir haben vier bis fünf Jahre daran gearbeitet und reden gewiß nicht ins Blaue hinein. Sie beleidigen damit auch die Beamten, die an dieser Sache höchst gewissenhaft gearbeitet haben, und Sie beleidigen die Sachverständigen, die darüber hinaus noch zu Rate gezogen worden sind. So geht das nicht.Wer also zu diesen 12 Millionen DM ja sagt, der sagt ja zu dem vom Bundestagsvorstand nach den Vorschlägen der Bundesbauverwaltung beschlossenen Projekt. Dabei, Herr Kollege Conring, ist nur eine Frage offen, nämlich ob wir 24 oder 26 Stockwerke brauchen. Das weiß man in diesem Augenblick noch nicht. Das ändert aber nichts an der Kapitalplanung, die ja mit dem Fundament beginnen muß. Das ist doch ganz klar.Wer heute ja sagt, braucht aber damit noch nicht ja zu sagen zu dem, was hier gelegentlich das Gesamtprojekt genannt wurde. Da ist er völlig frei. Ob man später, in 10 Jahren oder früher, einmal einen anderen Plenarsaal oder noch etwas anderes bauen will, steht jetzt überhaupt nicht zur Debatte, geschweige zur Entscheidung. Das ist völlig offen.Aber man muß wissen, unter welchen Bedingungen man jetzt zu den 12 Millionen DM ja sagt, und ich kann das Haus nur bitten, endlich das zu tun, was es seiner eigenen Arbeit schuldig ist, nämlich ja zu sagen zu diesen 12 Millionen DM.
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe auf den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 558. Im allgemeinen ist es die Regel, daß wir positiv abstimmen. Es ist aber wohl zweckmäßig, daß wir den Streit über den Streichungsantrag entscheiden.
Wer dem Antrag der Fraktion der FDP, in Kap. 02 02 den Tit. 710 zu streichen, zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe dann auf den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 570. Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf den Einzelplan 02 in der Fassung des Ausschußantrages mit der eben beschlossenen Anderung. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 03 Bundesrat . Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Haase.
— Er verweist auf den Schriftlichen Bericht. Ich danke Ihnen für diesen Bericht. — Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. — Wer dem Einzelplan 03 in der Fassung des Ausschußantrages zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts .
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr, Conring.
— Der Abgeordnete Dr. Conring verweist auf den Schriftlichen Bericht. Ich danke ihm für seinen Bericht. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Bemerkungen zu den Kulturtiteln machen, die im Einzelplan 05 vorhanden sind. Die Öffentlichkeit hat sich über gewisse Kürzungen dieses Etats wie auch des Etats des Wissenschaftsministeriums sehr erregt. Die Frage ist, ob diese Erregung berechtigt ist, welche Tatsachen vor uns stehen und was von dem Hohen Hause verabschiedet werden soll. Ich habe an Hand amtlicher Unterlagen einige wenige Feststellungen zur Sache zu treffen, und diese Feststellungen sind um so notwendiger, als bei der letzten Sitzung ides Haushaltsausschusses, die dem Ausgleich Ides Bundeshaushalts 1965 galt, eine 7%ige globale Kürzung aller kürzbaren Titel beschlossen wurde, die ebenfalls der Entscheidung deis Hohen Hauses unterliegt. Im Haushaltsentwurf war ursprünglich eine Kürzung von 5 % vorgesehen, im Laufe der Debatte wurden im Haushaltsausschuß dann 6 % genannt, und schließlich kam man zu 7 %.Wenn Sie sich nun vor Augen halten, wie sich diese Kürzung auswirkt, finden Sie einige noch nicht endgültig festliegende Tatsachen. Ich appelliere schon im voraus an den Herrn Bundesfinanzminister und bitte ihn ebenso wie den Herrn Bundesaußenminister, den Fragen, die sich hier ergeben, seine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.Der Haushaltsausschuß hat einen Ansatz für das Kulturinstitut in Brüssel bereits um 400 000 DM gekürzt; er hat um 200 000 DM gekürzt einen Ansatz für das Kulturinstitut in Neu Dehli; er hat um 180 000 DM gekürzt den Ansatz für den Deutschen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8153
RitzelBundessttudentenring — ich nenne nur einige wenige Beispiele —, um 200 000 DM ,die Sachspenden für ausländische wissenschaftliche Institutionen, rum 250 000 DM die Ansätze für Erwachsenenbildung, um 46 000 DM den Ansatz des Sozialamtes des Deutschen Bundesstudentenrings.Meine Damen und Herren, halten Sie sich nun einmal vor Augen, daß das alles unter den Begriff der kurzbaren Titel fällt und daß die Hoffnungen der Sozialdemokraten im Haushaltsausschuß des Bundestages trogen. Wir waren der Meinung, daß, wenn wir uns in dem einen oder anderen Fall mit gezielten Kürzungen abfinden würden, eine Unterwerfung eines schon gekürzten Titels unter eine 7%ige oder sonstige globale Kürzung nichtmehr in Frage käme. Wir waren enttäuscht, als dort gesagt wurde, diese 7%ige Globalkürzung müsse auch auf bereits gekürzte Titel angewendet werden. Daraus entstehen Fragen von erheblichem politischem Gewicht. Ich nenne Ihnen einige: Wir haben einen Tit. 668, Weltkinderhilfswerk, UNICEF. Die Frage ist, ob wir es uns politisch leisten können, den nicht zu hohen Ansatz um 7 % zu kürzen. Wir haben einen Tit. 303, Schulen, der auf Antrag der Regierung von 55 auf 56,5 Millionen DM erhöht wurde. Obwohl diese Erhöhung absolut begründet war und noch sehr bescheiden genannt werden mußte, soll dieser Titel um 7 % gekürzt werden.Die öffentliche Meinung hat sich mit dem Problem der Auslandsschulen in ganz besonderer Weise auseinandergesetzt. Ich habe hier eine deutsche Wirtschaftszeitung, in der über die deutsche Schule in Den Haag berichtet wird, sie sei vom Einsturz bedroht. Da wird gesagt:Offenbar gehört die deutsche Schule in Den Haag nicht mehr zu den repräsentativen Kulturaufgaben. Der Notlage dieser Anstalt stellt man sich in Bonn blind und taub gegenüber. In Haager Amtskreisen schüttelt man den Kopf; zu Recht, denn die Räume dieser deutschen Schule befinden sich in einem Zustand, der aller Kritik Hohn spricht.An anderer Stelle wird gesagt, daß Leib und Leben der Kinder, die diese Schule besuchen, 'gefährdet seien. Es wird von anderen Auslandsschulen berichtet. Wir haben 'beispielsweise in London die Tatsache zu verzeichnen, daß dort augenblicklich eine neue Schule errichtet werden soll. In London ist in dieser Richtung eine lebhafte Bewegung im Gang. Aber die deutsche Schule in London wird nicht errichtet werden können, wenn diese Kürzung eintritt. Ich habe mir von der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes sagen lassen, daß sogar die im Aufbau befindliche deutsche Schule in Washington gefährdet sei. Ich könnte noch andere Beispiele nennen, verzichte darauf aber mit Rücksicht auf die späte Stunde.Für die deutschen Wissenschaftler im Ausland wurde der Ansatz für Zuwendungen um eine halbe Million DM gekürzt. Jetzt besteht die Drohung, daß diese Summe noch einmal um 7 % gekürzt werden soll. Wir haben eine besondere Bewilligung für die Erhöhung der Lehrergehälter im Haushalt mit etwa 11/2 Millionen DM vorgesehen. Wenn der Betrag um7 '0/o gekürzt wird, wird die Erhöhung der Lehrergehälter kaum möglich sein.
Das ist eine echte Sorge. — Sie brauchen nicht mit einer oder mit zwei Händen abzuwinken; das ist eine echte Sorge der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes.
— Wenn Rechtsverpflichtungen vorliegen, ist es etwas anderes. Aber bis jetzt liegen noch keine Rechtsverpflichtungen vor. Die Mehrbewilligungen stellen eine freiwillige Leistung dar, Herr Kollege; das müßten Sie wissen.Bei den Beträgen für Jugend- und Studentenkontakte wurden 0,5 Millionen DM eingespart. Wenn der verbleibende Betrag um 7 % gekürzt wird, wird ein noch schlimmerer Zustand eintreten, als er bis jetzt schon zu verzeichnen ist. Bei den deutschen Krankenhäusern im Ausland würde eine 7%ige Kürzung einen sehr schlimmen Effekt haben. Bei der zu befürchtenden Verringerung der Mittel für Ostblockkontakte wird eine Entwicklung eintreten, die das Gegenteil dessen bedeutet, was wir — das glaube ich gerade auf Grund der heutigen Debatte sagen zu können — alle anstreben. Im Auswärtigen Amt wird befürchtet, daß eine größere Anzahl von GoetheInstituten geschlossen werden muß. Mir liegen in einem Bericht Zahlen über eine drohende weitgehende Lahmlegung der Tonbandtranskription des Dienstes von Inter Nationes vor; die erwarteten und dringend benötigten etwa 2,4 Millionen DM werden auf 1,45 Millionen DM gekürzt, weil die Mittel noch herangeholt werden, um nicht an allen Stellen, die in Frage kommen, eine Kürzung um 7 % vornehmen zu müssen.Das sind bedauerliche Tatsachen. Sie sind um so bedauerlicher, als gewisse kleine Deckungsmöglichkeiten heute nicht die Zustimmung des Hohen Hauses gefunden haben. Wir haben hier beantragt, einen Propagandafonds in Kap. 04 03 mit 5 Millionen DM abzusetzen und diese 5 Millionen DM für diese Zwecke einzusparen. Wir sind der Auffassung, daß eine Reihe von anderen Mitteln und Möglichkeiten bestehen, so bei dem bereits abgelehnten Antrag, den Reptilienfonds des Herrn Bundeskanzlers um 5 Millionen DM zu erleichtern und diese 5 Millionen DM für solche Zwecke dienstbar zu machen. Die Mehrheit hat das abgelehnt. Wir haben eine Reihe von Positionen im Haushalt, wo vermögenswirksame Ausgaben im ordentlichen Haushalt erscheinen, die zweckmäßigerweise und systematisch in den außerordentlichen Haushalt verwiesen werden sollten.Es gibt eine Bewilligung, gegen die sich die Sozialdemokraten gewandt haben. Ich will sie einmal öffentlich nennen; sie ist unangenehm, ich weiß es. Ein süddeutscher Verlag wird mit 496 000 DM finanziert für das Herausbringen einer „Sowjetologischen Enzyklopädie". Ich frage mich, ob ausgerechnet wir in unserer Situation — und ausgerech-8154 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, .den 17. Februar 1965Ritzelheute — veranlaßt oder gezwungen sein sollten, derartige Mittel aufzuwenden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
sehen Sie eine Möglichkeit, in den dringenden Fällen, die sich auf Grund einer globalen 7%igen Kürzung ergeben und die schwere Nachteile auszulösen drohen für das Ansehen, für die Kulturpolitik und für die politischen Ziele der Bundesrepublik, in dem einen oder anderen Fall von einer solchen globalen 7%igen Kürzung abzusehen? Ich bin überzeugt, daß die Regierung ebenso wie das Hohe Haus eine zwingende Veranlassung haben sollte, bei der Kürzung solcher Kulturtitel, die politisch von ungeheurer Bedeutung sind, das Vermeidbare zu vermeiden. Ich wäre dankbar, wenn sowohl der Herr Minister der Finanzen als auch der Herr Minister des Auswärtigen dem Hohen Haus zu diesen Fragen eine klare Antwort gäben.
Herr Abgeordneter Dr. Conring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich würden auch wir von seiten der Regierungskoalition für die Pflege der kulturellen Beziehungen zum Ausland und für die Förderung des deutschen Schulwesens im Ausland gern etwas mehr tun. Ich möchte Sie aber darauf aufmerksam machen, daß diese Titel von Jahr zu Jahr erheblich erhöht worden sind. Ich habe in meinem Schriftlichen Bericht darauf ausdrücklich aufmerksam gemacht. Ich möchte für diejenigen Damen und Herren, die den Bericht nicht haben durchsehen können, diese Steigerungsquoten einmal vor Augen führen.
1954 begann der Kulturtitel — ich komme gleich auf den Schultitel —, Tit. 302, mit 6,8 Millionen DM. Im Jahre 1958 war dieser Titel auf 23,2 Millionen DM angewachsen. Weitere zwei Jahre später war er — ich runde ab — auf 45 Millionen DM angestiegen. Weitere zwei Jahre später war er auf 117 Millionen DM gestiegen. Weitere zwei Jahre später — ich nehme der Einfachheit halber gleich dieses Jahr —, 1965, ist er auf 128 Millionen DM angewachsen. Deutlicher kann doch wohl nicht der Wunsch der Koalition zum Ausdruck gebracht werden, daß sie bereit ist, Jahr für Jahr mehr für die Pflege der kulturellen Beziehungen zum Ausland zu tun.
Sie werden in dem beständigen Ansteigen beider Titel, sowohl des Kulturtitels wie des Schultitels, deutlich den Willen der Regierung erkennen, für die Pflege dieser Aufgaben jahraus jahrein mehr und mehr zu tun. Ich bedaure natürlich auch, daß wir nicht noch mehr tun können. Aber auf der anderen Seite haben wir nun einmal eine Begrenzung des Haushaltsplans aus sehr wohlüberlegten Gründen, die vor allen anderen unbedingten Vorrang haben, nämlich aus Gründen der Preisstabilität und der Erhaltung unserer Währung. Dieser Aufgabe, die den Vorrang vor allen anderen Gesichtspunkten hat, fühlen wir uns verpflichtet. Infolgedessen können wir die weitergehenden Wünsche in diesem Jahr nicht erfüllen. Ich habe das doch hier sagen wollen, und ich möchte auch hinzufügen: ich habe von dem Mitberichterstatter, Herrn Ritzel, bei den Beratungen im Haushaltsausschuß nicht gehört, daß er etwa gemeint hätte, wir möchten hier zu einer Ablehnung kommen. Er hat in der Haushaltsberatung als Berichterstatter diesen Kürzungen vielmehr zugestimmt.
Ich meine genügend deutlich gemacht zu haben, daß wir gern noch mehr für die Kulturaufgaben im Ausland getan hätten, daß wir aber gleichzeitig eine noch größere Aufgabe zu erfüllen haben, nämlich den Haushalt in seiner Begrenzung zu halten, um den weiteren Kaufkraftschwund verhindern und die Preisstabilität gewährleisten zu können.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Conring hat hier soeben Ausführungen zur Entschuldigung der vorgenommenen Streichung gemacht.
Herr Kollege Ritzel hat sie mit Recht angeprangert. Das ganze Problem muß man in einem größeren Zusammenhang sehen.Unser Kollege Erler hat heute darauf hingewiesen, wie lebenswichtig diese Aufgabe im Zusammenhang mit unserem ständigen Versuch des Alleinvertretungsrechts der Bundesrepublik für das ganze deutsche Volk ist. Sie haben hier eine Skala aufgeführt, wie das von Jahr zu Jahr erhöht worden ist. Demgegenüber möchte ich Sie daran erinnern, wie unsere Nachbarn, die keine Teilung haben und infolgedessen nicht vor diesen schwierigen Problemen stehen, diese Fragen beurteilen.
Im französischen Haushalt stehen für diesen Zweck beispielsweise 1,2 Milliarden Neue Franken. Das sind also fast 1 Milliarde DM. In seinen kürzlichen Ausführungen hat der Leiter der Kulturabteilung des französischen Außenministeriums gesagt: Jeder Franzose muß sich in Zukunft völlig darüber klar sein, daß die Ausbreitung unserer Sprache und unserer Kultur nicht mehr ein angenehmer mon-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8155
Kahn-Ackermanndäner Zeitvertreib ist, sondern daß sie eine der wesentlichen Elemente der französischen Macht in der Welt darstellt. Das, glaube ich, sind etwa die Dimensionen und die Grundsätze, unter denen man dieses Problem sehen muß.Aber ich habe mich nicht zu Wort gemeldet, weil ich hier über die Höhe der Zuwendungen für unsere kulturelle Auslandsarbeit rechten will, sondern weil ich ein paar Worte zu ihrem Inhalt anbringen will, was mir angesichts der Beratung des Etats des Auswärtigen Amts sinngemäß erscheint.
— Meine Damen und Herren, das gehört dazu.Die Kultusministerkonferenz hat kürzlich erfreulicherweise zu dem ganzen Problem der Auslandsschulen sehr vernünftige Entschlüsse gefaßt. Ihre Verwirklichung kann nur dann vollzogen werden, wenn sich die Bundesregierung endlich dazu aufrafft — was auch der Haushaltsausschuß bei den Beratungen des Haushalts des Auswärtigen Amts gefordert hat —, die Zentralstelle für unser Auslandsschulwesen zu errichten. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen ist es einfach unmöglich, für diese Schulen eine angemessene Schulaufsicht zu führen und die gegenwärtigen schwierigen Probleme der Behandlung und der Besoldung der Lehrerschaft ordentlich zu regeln.
Meine Kollegen, ist es denn in Ordnung, wenn beispielsweise Auslandslehrer drei Jahre lang warten müssen, bis sie ihre Mietzuschüsse bekommen? Ist es in Ordnung, daß Gehaltsverfügungen des Auswärtigen Amts vom Bundesverwaltungsamt, das dafür zuständig ist, einfach nicht anerkannt werden und daß die Lehrer, wenn sie nach Hause kommen und ihre Abrechnungen vorlegen, wesentlich weniger bekommen, als man ihnen draußen versprochen hat? Ist es ferner in Ordnung, daß in Ländern mit Inflation — da gibt es in Südamerika Beispiele — Lehrer, die genauso gut für unsere Kulturarbeit draußen im Ausland wirken wie die Beamten des Auswärtigen Amts, jahrelang oder monatelang darauf warten müssen, daß die nötigen Teuerungs- und Kaufkraftzuschläge gezahlt werden, die andere längst und selbstverständlich bekommen?Ich will das Thema nicht vertiefen. Man könnte zahlreiche Beispiele dafür nennen. Aber das ist ein Beweis dafür, daß raschestens die Vorschläge der Kultusministerkonferenz auch seitens der Bundesregierung verwirklicht werden müssen, damit Ordnung in diese Geschichte kommt.Wie ich höre — ich würde gern wissen, ob das wahr ist —, hat sich gegen die Verwirklichung dieser Pläne vorläufig der Herr Finanzminister quergelegt. Diese Frage, die im Schoße der Bundesregierung seit zwei Jahren beraten wird und bei der man zu keinem Ergebnis kommt, ist wirklich entscheidungsreif. Die Bundesregierung sollte sich nicht nachsagen lassen, daß sie jetzt das großzügige Angebot der Länder und die einheitliche Regelung, diefür diese Fragen von der Kultusministerkonferenz beschlossen worden ist, in der Luft hängen lasse.Ich bin der Kultusministerkonferenz noch für etwas anderes dankbar. Sie hat nämlich Richtlinien dafür aufgestellt, was man eigentlich als deutsche Auslandsschule ansehen muß. In diesen Richtlinien -steht u. a.:Die Arbeit der Schule muß von innerdeutschen Bildungszielen bestimmt sein.Danach wären jene — Jahr für Jahr mit Tausenden von Mark aus dem Schulfonds dotierten — Schulen nicht mehr in diese Kategorie einzureihen, für die der Schulvorstand verfügt, daß beispielsweise zeitgeschichtlicher Unterricht nicht erfolgen darf, oder in denen einer Lehrkraft beispielsweise ein Vortrag „Wie Hitler zur Macht kam" einfach verboten wird oder die vom Schulvorstand, um einen solchen Vortrag zu verhindern, für den betreffenden Tag geschlossen werden, weil angeblich desinfiziert werden muß. Herr Minister, auch das ist leider kein Einzelfall.Ich will die Sache hier nicht vertiefen. Aber ich sehe hier einen Beweis dafür, daß die Schulaufsicht bei der jetzigen Konstruktion und den wenigen Beamten, die da sind, sehr im argen liegt, daß auf der einen Seite Geld fehlt, um gute und nützliche Schulen zu errichten, daß aber auf der anderen Seite eine Menge Schulen mit unserem Geld erhalten werden, die zum großen Teil nichts als Standesschulen sind, wo Kinder reicher Eltern in einer fremden Sprache für ein fremdes Bildungsziel an einer sich deutsch nennenden Schule, die mit deutschem Unterricht sehr wenig zu tun hat, erzogen werden. Das würde durch die Richtlinien, die die Kultusministerkonferenz ausgearbeitet hat, in Zukunft beseitigt werden. Ich würde sehr erfreut sein, von der Bundesregierung zu hören, ob sie beabsichtigt, diesen Vorschlägen zu folgen.In diesem Zusammenhang noch ein Zweites. Ich habe in einer Denkschrift des Auswärtigen Amts u. a. gelesen, daß für die Erfüllung der Aufgabe, der die Kulturarbeit im Ausland dient, eine personelle Verstärkung der Auslandsvertretungen vor allem im Bereich der Öffentlichkeits- und der Kulturarbeit notwendig ist. Ich 'begrüße diese Stellungnahme sehr. Ich wünschte nur, daß ihr in der Praxis tatsächlich Rechnung getragen wird. Zu dieser Verstärkung gehört es ganz sicherlich nicht, wenn Sie beispielsweise Kulturattachés entsenden, die der Sprache des betreffenden Landes gar nicht mächtig sind, obwohl man aus den zur Verfügung stehenden Referenten sehr wohl solche auswählen kann. Ich könnte eine Reihe von Beispielen nennen. Ich will es wegen der fortgeschrittenen Zeit nicht tun. Aber es ist beispielsweise unsinnig, einen Mann, der nicht Spanisch kann, aus Schweden nach Südamerika zu schicken, wo er dreiviertel Jahre braucht, bis er einen Konsulatssekretär bekommt, mit dessen Hilfe er überhaupt erst arbeiten kann; daß man nach Brasilien einen Mann schickt, der nicht Portugiesisch kann; daß man umgekehrt einen Mann, der Portugiesisch kann, auf eine andere Stelle steckt. Das ist ein ungeheurer Leerlauf, der dazu führt, daß die
Metadaten/Kopzeile:
8156 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965
Kahn-AckermannKulturarbeit lange Zeit von dem Betreffenden gar nicht geleistet werden kann.Zu den Schulen noch ein Letztes, Herr Minister. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn sich unsere auswärtigen Missionen in Zukunft etwas mehr um die Lehrer draußen kümmerten und es beispielsweise nicht geschähe, daß, wenn diese Lehrer Eingaben an das Auswärtige Amt machen, einige Missionen — es gilt nur für einige wenige — die Antwort, die das Auswärtige Amt gibt, den Lehrern vorenthalten, ihnen gar nicht Einblick in die Antwort geben.Lassen Sie mich noch ein weiteres sagen. Diese Lehrer draußen und auch die Schulleiter müssen meistens bei Anfragen, die sie an das Auswärtige Amt richten, monatelang auf eine Antwort warten. Wenn es aber einmal einem Lehrer einfällt, in einer Leserzuschrift — wie es geschehen ist, an die „Zeit" — eine kritische Äußerung gegenüber der Bundesregierung zu tun, dann dauert es keine sieben Tage, daß der Mann zur Botschaft zitiert und gebeten wird, zu dieser Sache Stellung zu nehmen. Das wiederum scheint mir eine Eile zu sein, die aus diesem Anlaß nicht geboten ist. Außerdem haben Lehrer, auch wenn sie im Auslandsdienst sind, durchaus das Recht, sich zu innerdeutschen Angelegenheiten zu äußern.
Diese Bemerkungen wollte ich bei dieser Gelegenheit machen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre abwegig, wenn wir jetzt eine Kulturdebatte über die Einzelfragen beginnen wollten, die uns hier beschäftigen. Das können wir nicht. Ich habe mich deshalb zum Wort gemeldet, weil bei den gezielten und detaillierten Fragen, die Herr Ritzel diskutiert hat, die Gefahr besteht, daß das Bild unserer auswärtigen Kulturpolitik verzerrt wird. Dieses Bild wird auch noch dadurch verzerrt, daß Herr Kahn-Ackermann unzulässige Vergleiche mit anderen Staaten angestellt hat.
Wir haben in den letzten Tagen einen unverdächtigen Zeugen für die deutsche Kulturpolitik bekommen. Philipp Comes, der beste Kenner der Kulturpolitik aller Länder, hat sich in einem Buch mit dem Titel „Kultur — die vierte Dimension der Außenpolitik" geäußert. Darin gibt es einen lesenswerten Abschnitt über die deutsche Kulturpolitik im Ausland. Die Essenz dieses Abschnittes ist, daß von 1955 bis 1964 eine für das Ausland erstaunliche Entwicklung dieses Gebietes der deutschen Außenpolitik stattgefunden hat. Das muß man hier auch einmal sagen, wenn man im einzelnen kritisiert.
Ich kenne die Zahlenreihen, die Herr Conring angeführt hat, und es wäre leicht, hier darzulegen, daß auch in diesem Jahre erhebliche Aufwendungen gemacht werden. Meine Damen und Herren, jeder der meine Meinung in dieser Sache kennt, kann sicher sein, daß ich die Problematik durchaus empfinde, die hier spielt, weil wir zwischen Stabilität und Effizienz stehen und uns so oder so entscheiden müssen.
Wir müssen in der nächsten Woche dieses ganze Thema ausführlich erörtern. Ich möchte heute für Neugierige noch folgendes sagen. Wir werden es zum ersten Male erleben, daß es zu einem Bereich der Bundesregierung und ihrer Arbeit einen einhelligen, würdigenden Beschluß des Auswärtigen Ausschusses gibt. Der Auswärtige Ausschuß hat gesagt — er hat das schriftlich niedergelegt und einstimmig beschlossen, mit den Stimmen der Opposition —, daß die Arbeit der Abteilung VI des Auswärtigen Amtes, im Rahmen dessen, was überhaupt möglich war, gut und richtig gewesen ist. Ich halte diesen Beschluß deshalb für so gut, weil die Beamten der Abteilung VI, die unter schweren Lasten seufzen, und die Menschen draußen diese Ermutigung seitens des Deutschen Bundestages einmal nötig haben.
Dieser Bericht, den ich vorwegnehmen will, sagt freilich auch — und das ist auch meine Meinung —, daß wir jetzt über eine Schwelle zu gehen haben, eine neue Phase der auswärtigen Kulturpolitik beginnen müssen, weil sich die Situation unseres Landes enorm verändert hat. Wir alle wissen, daß auf diesem Gebiet noch sehr viel mehr getan werden muß. Denn, meine Damen und Herren, der Titel des Buches, den ich zitiert habe, lautet, „Kultur — die vierte Dimension der Außenpolitik", und die These geht dahin, daß die Aufwendungen für Politik, Verteidigung usw. in der Außenpolitik nur dann wirksam werden, wenn sie durch kulturpolitische Maßnahmen ergänzt werden. Das muß der Deutsche Bundestag zur Kenntnis nehmen, und er muß sich in seinen kommenden Beratungen danach richten.
Ich möchte noch ,ein Zweites sagen. Ich glaube, man idarf unterstellen, daß die ,Haushaltsleute, die die Sorge für die Stabilität in unserem Lande haben, sich darüber klar sind, daß im Laufe dieses Jahres auf diesem Gebiet Forderungen auftreten können, die unabweisbar werden können. Wenn wir beispielsweise in die Lage versetzt würden, daß wir eine Schule in London ,aus finanziellen Gründen nicht bauen könnten, und die SBZ versuchen würde, dort eine Schule zu errichten, dann darf es keine Haushaltsbestimmung geben, die uns daran hindern würde zu handeln. Ich glaube, das müßte auch für viele andere Dinge gelten. Ich meine, daß wir das Problem ruhig ansehen und vor allen Dingen die Einzeldiskussion auf dem Hintergrund der Leistungen, die bis jetzt schon erbracht worden sind, führen müssen.
Herr Abgeordneter Ritzel möchte eine Frage an Sie stellen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1965 8157
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die Gesamtsumme der Ansatzkürzungen, von denen ich vorhin nur einen Teil vorgelesen habe, die im Haushaltsausschuß außerhalb der 7 % Globalkürzung vorgenommen worden sind, einen Betrag von 3 419 000 DM ausmacht? Ist Ihnen bekannt, daß die Summe ,der Kürzung, die bei Inter Nationes geplant ist, bedeutet, daß etwa 40 % der Sendungen von Inter Nationes stillgelegt werden müssen, und daß das das beste Feld für das Eindringen der SBZ und der Sowjetunion ist?
Herr Ritzel, diese Zahlen sind mir genau bekannt; aber Ihnen ist genauso bekannt, daß die Verteilung der Kürzungen nicht so erfolgen muß, wie Sie sie soeben hier vorgetragen haben. Der Fehler dieser Debatte ist, daß Herr Kahn-Ackerman jetzt eine Diskussion vorausgenommen hat, die erst nächste Woche erfolgen kann. Oder noch besser: wir hätten am letzten Freitag diese Diskussion hier haben müssen; dann hätten wir heute im Detail diskutieren können. Das ist uns jetzt nicht möglich. Wir haben uns am letzten Freitag dagegen verwahrt, um 1/22 Uhr eine so wichtige Sache durchzudi'skuti'eren, und deshalb sind wir heute in dieser Verlegenheit.
Herr Abgeordneter Ritzel möchte noch eine Frage stellen.
Herr Abgeordneter Dr. Martin, wollen Sie bestreiten, daß mit der Verabschiedung des Einzelplans 05, vor der wir jetzt stehen, die Kürzungen, die ich vorhin im einzelnen genannt habe, Inhalt des Bundeshaushalts werden und damit vollzogen werden?
Ich habe nicht verstanden, Herr Ritzel.
Wollen Sie bestreiten — weil Sie sagten, es sei nicht richtig, das heute zu bringen —,
daß die Kürzungen, die ich hier genannt habe, Gegenstand und Inhalt des zu fassenden Beschlusses sind und damit eine krasse Realität werden?
Ich glaube nicht, daß das der Fall ist, Herr Kollege Ritzel. Ich glaube, daß wir über einen Prozentsatz entscheiden und nicht über einzelne Positionen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Bitte, Herr Bundesminister des Auswärtigen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Debatte nicht aufhalten, sondern nur auf eine Frage antworten, die der Herr Kollege KahnAckermann gestellt hat, die Frage nach unserer Haltung hinsichtlich der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen. Wir setzen uns nach wie vor dafür ein. Der derzeitige Stand dieser Sache ist der, daß ein Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit der Verwaltung eingeholt wird. Sobald das vorliegt, werden die Beratungen darüber weitergehen. Der Standpunkt des Auswärtigen Amtes in dieser Sache ist unverändert.
Ich schließe die Aussprache der zweiten Beratung über den Einzelplan 05. Wir stimmen ab über diesen Einzelplan in der Ausschußfassung. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Gegenstimmen angenommen.
Wir unterbrechen hier die Beratung des Haushalts. Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 18. Februar 1965, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.