Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung teile ich dem Hause mit, daß ich aus Anlaß des Todes des Präsidenten des amerikanischen Repräsentantenhauses dem Präsidium und dem Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten von Amerika die herzliche Anteilnahme dieses Hauses zum Ausdruck gebracht habe.Glückwünsche zu Geburtstagen spreche ich aus Herrn Dr. Dr. h. c. Friedensburg zum 75. Geburtstag,
dem Herrn Abgeordneten Jakob Altmaier zum 72. Geburtstag,
dem neuen Mitglied des Hauses Herrn Dr. Poepke zum 60. Geburtstag.
Heute hat auch ein jüngerer Kollege Geburtstag; er liegt jedoch noch unter der Grenze, von der ab er hier verkündigt wird.
Aber der Herr Abgeordnete Bäumer feiert heute den 60. Geburtstag und hat damit gerade die Grenze erreicht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um die Behandlung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP betr. Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses — Drucksache IV/31 —. Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Es ist eingegangen die Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im 2. Vierteljahr des Rechnungsjahres 1961 — Drucksache IV/4 —. Ist das Haus mit der Überweisung der Vorlage an den Haushaltsausschuß einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. — Es ist so beschlossen.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 18. November 1961 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Richarts, Gibbert, Holkenbrink, Dr. Zimmer und Genossen betr. Rationalisierungsmaßnahmen der Deutschen Bundesbahn Im Eifelgrenzraum — Drucksache IV/7 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/23 verteilt.Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 20. November 1961 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Stecker und Genossen betr. Sicherheitsvorschriften für Erdölfernleitungen — Drucksache IV/2 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/25 verteilt.Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Verteidigung hat unter dem 24. November 1961 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Verlängerung der Dienstzeit der Soldaten auf Zeit um 3 Monate und Einberufung der Wehrpflichtigen zu einer 3 Monate dauernden Wehrübung im Anschluß an den Grundwehrdienst — Drucksache IV/10 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/29 verteilt.Der Herr Präsident der Versammlung der Westeuropäischen Union hat die Texte von sechs Empfehlungen, die von der Versammlung während des Ersten Teils ihrer Siebten Ordentlichen Sitzungsperiode vom 29. Mai bis a. Juni 1961 in London angenommen wurden, sowie die von den zuständigen Ausschüssen hierzu ausgearbeiteten Begründungen übersandt. Sie sind als Drucksache IV/3 verteilt.Meine Damen und Herren, ich befinde mich vor einer anderen Schwierigkeit; wir haben sie heute im Ältestenrat erörtert. Wir brauchen unbedingt mindestens drei Ausschüsse, die jetzt an die Arbeit gehen müssen: den Haushaltsausschuß, den Sozialpolitischen Ausschuß und den Außenhandelsausschuß. Ich schlage dem Hause vor, daß wir diese Ausschüsse bitten, sich zu konstituieren — ich nehme an, daß die Benennungen für diese Ausschüsse von den Fraktionen erfolgt sind oder in diesen Tagen erfolgen werden —, und daß wir bitten, daß so lange der Älteste in diesen. Ausschüssen den Vorsitz führt, bis über die allgemeine Frage der Ausschußorganisation für die 4. Legislaturperiode in diesem Hause entschieden ist. Ich habe heute die Herren Fraktionsgeschäftsführer gebeten, ihre endgültigen Meldungen darüber bis zum 12. Dezember, vormittags 10 Uhr, dem Präsidenten des Hauses abzugeben.Wir müssen versuchen, jetzt möglichst alle Ausschüsse zu konstituieren und an die Arbeit zu bringen. Ich wiederholte meinen Vorschlag, daß, bis alle Ausschüsse konstituiert sind, in diesen drei Ausschüssen der jeweils Älteste den Vorsitz führt. Einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Insoweit ist also die bereits beschlossene Überweisung einer Vorlage an den Haushaltsausschuß bestätigt.Meine Damen und Herren, wir kommen zur Tagesordnung.Ich rufe Punkt 1 auf:Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung.Ich gebe das Wort dem Herrn Stellvertreter des Bundeskanzlers.
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22 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1961
Dr. Dr. h. c. Erhard, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Stellvertreter des Herrn Bundeskanzlers habe ich die Ehre, in seinem Namen dem Hohen Hause zu Beginn der Arbeit der 4. Legislaturperiode die Erklärung der Bundesregierung zur Kenntnis zu bringen.Die Wahlen zum 4. Deutschen Bundestag und die Bildung einer neuen Bundesregierung vollzogen sich in einer besonders spannungsreichen Zeit. Der Ost-West-Gegensatz, die Berlin-Krise, deren weltweite Bedeutung durch die Wiederaufnahme der sowjetischen Atomversuche und durch die Drohung mit der Superbombe sichtbar wurde, erfüllen uns alle mit Sorge. Um so höher ist die Besonnenheit unserer Bevölkerung zu werten.Die Bundestagswahlen haben eine weitere Konzentration des Wählerwillens ergeben. Während im ersten Deutschen Bundestag zwölf Parteien vertreten waren, gehören unserem Parlament jetzt nur noch Vertreter von drei Fraktionen an. Radikale Splittergruppen sind durch den Wähler zur völligen Bedeutungslosigkeit verurteilt worden, — ein ermutigendes Zeichen.Da es bei dieser Wahl keiner Partei gelungen ist, die absolute Mehrheit im Bundestag zu erreichen, stellte sich die Aufgabe, eine Koalitionsregierung zu bilden. Es hat Befürworter einer All-ParteienRegierung gegeben. Wir hielten eine solche Lösung nicht für angebracht. Ich selbst habe stets aus allgemein staatspolitischen Erwägungen die Auffassung vertreten, daß in diesem demokratischen System eine Opposition absolut notwendig ist. Das bedeutet nicht, daß wir nicht alle Bemühungen unternehmen sollten, um gerade in den wichtigsten Lebensfragen unseres Volkes zu übereinstimmenden Auffassungen und zu gemeinsamem Handeln aller im Bundestag vertretenen Parteien zu kommen.Eine Koalition zwischen CDU/CSU und FDP bot sich als die naheliegende' Lösung an, zumal diese Parteien im Verlaufe der für den Aufbau unseres Staatswesens entscheidenden Jahre schon zusammengearbeitet hatten. Ein erneutes Zusammengehen entsprach nach unserer Auffassung am besten dem Willen der Wählerschaft. Die Verhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP führten nach eingehender Überprüfung der wichtigen Fragen unserer Politik zu jener Übereinstimmung, die die Bildung der amtierenden Bundesregierung ermöglichte.Verschiedentlich wurde die Dauer dieser Verhandlungen gerügt. Dazu möchte ich feststellen, daß auch nach den Bundestagswahlen der Jahre 1949, 1953 und 1957 jeweils eine Frist von über einem Monat bis zur Ernennung und Vereidigung einer neuen Bundesregierung benötigt wurde. Wenn es diesmal um ein Geringes länger gedauert hat, so kann ich darin keinen Grund zur Beanstandung finden. Die Bundesregierung ist vielmehr der Auffassung, daß diese Verhandlungen der Koalitionspartner notwendig waren, weil dadurch eine zuverlässige, solide Basis für die gemeinsame Arbeit geschaffen wurde, deren eine handlungsfähige Regierung in einer so unruhigen Zeit wie der unsrigen bedarf.In der Koalitionsvereinbarung wurde im Geiste loyaler Partnerschaft eine gemeinsame Konzeption der Grundzüge der uns erwartenden Regierungsarbeit niedergelegt. Die in der letzten Zeit erhobenen Vorwürfe, eine solche Vereinbarung stehe nicht im Einklang mit unserer Verfassung, halte ich für unberechtigt. Diese Arbeitsrichtlinien, bei denen es sich praktisch um das Ergebnis sorgfältiger Prüfung handelt, inwieweit die einen gemeinsamen Weg suchenden Partner in ihren Auffassungen übereinstimmen, können so wenig verfassungswidrig sein wie etwa programmatische Festlegungen einer einzelnen Partei. Weder die Verfassung noch der von den Mitgliedern dieser Regierung geleistete Eid werden durch das Vorhandensein einer solchen Vereinbarung beeinträchtigt, sie bleiben vielmehr bei jeder einzelnen Entscheidung verbindlich. Es versteht sich von selbst, daß auch die in der Verfassung garantierte freie Gewissensentscheidung der zur Koalition gehörigen Abgeordneten dieses Hohen Hauses unangetastet bleibt.
Unser Vorgehen ist auch nicht ohne Beispiel. Die Parteiengruppierung, welche die gegenwärtige niedersächsische Landesregierung bildet, hat ebenfalls einen Koalitionsvertrag abgeschlossen, ohne daß seit Jahr und Tag irgend jemand darin einen Verfassungsverstoß gefunden hätte.Der heutigen Bundesregierung gehören 20 Bundesminister an.
Neugeschaffen wurden das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und das Bundesministerium für Gesundheitswesen. Außerdem ist ein Bundesminister für besondere Aufgaben berufen worden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle den ausscheidenden Mitgliedern der bisherigen Bundesregierung für ihre hingebungsvolle Arbeit, mit der sie dem Wohle unseres Volkes und Landes gedient haben, den herzlichsten Dank aussprechen.
Die Kritik an der Vergrößerung der Zahl der Bundesminister erscheint nicht berechtigt. Die Kritiker verkennen, daß die Zahl der Ministerien nur Ausdruck dafür ist, daß zahlreiche Aufgaben für den Staat neu entstanden sind,
sei es aus der besonderen politischen Situation unserer Zeit, aus der ständigen Komplizierung der modernen Gesellschaft oder auch aus der manchmal beklemmenden technischen Entwicklung.
Schon in der Regierungserklärung vom 20. September 1949 hat der Herr Bundeskanzler auf diesen Sachverhalt hingewiesen, ohne daß damals schon das ganze Ausmaß der sich uns ständig neu stellenden Probleme erkennbar war. Ein Ministerium muß für seinen Chef überschaubar bleiben,
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1961 23
Vizekanzler Dr. Dr. h. c. Erhardwenn er nicht in der Routine der Verwaltungsaufgaben aufgehen soll, sondern wenn er — wie es notwendig ist — sich den Blick frei halten will für seine politischen Aufgaben, für seine Verantwortung für das Ganze. Um diesem Erfordernis zu entsprechen, mußten wir — nicht erst bei dieser Regierungsbildung — für einige in ihrer Bedeutung enorm gewachsene Zweige bisheriger sogenannter klassischer Ministerien besondere Ressorts schaffen.Davon abgesehen aber bin ich der Meinung, daß wir im internationalen Vergleich durchaus bestehen können, selbst wenn man die nach dem föderativen Aufbau unseres Staatswesens gegebene Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern berücksichtigt. Großbritannien z. B. hat ein Kabinett von 30 Mitgliedern, von denen 21 stimmberechtigt sind. Die Regierung Italiens besteht aus 24 Mitgliedern, die alle stimmberechtigt sind, davon drei ohne Portefeuille. In Frankreich hat das unter dem Staatspräsidenten de Gaulle gebildete Kabinett 28 Mitglieder, alle stimmberechtigt, davon 18 Minister; zehn sind Staatsminister und Staatssekretäre.Schließlich möchte ich auch ein Wort dazu sagen, warum abweichend von der bisherigen Gepflogenheit diese Regierungserklärung nicht am Tage der Vorstellung und Vereidigung des Bundeskabinetts abgegeben wurde. Zwar sind, wie ich schon ausgeführt habe, in den Koalitionsverhandlungen klare Vorstellungen über die Grundsätze des Regierungsprogramms erarbeitet worden. Es ist aber selbstverständlich, daß die neu in die Regierung eingetretenen Mitglieder ein Recht darauf hatten, bei der Festlegung der Einzelheiten dieser Regierungserklärung ihren persönlichen Einfluß geltend zu machen.
Das aber war in der bis zur Vereidigung der Bundesregierung zur Verfügung stehenden Zeit schon deshalb nicht möglich, weil unmittelbar nach der Wahl und Ernennung des Bundeskanzlers eine aus der außenpolitischen Situation sich ergebende außergewöhnliche Beanspruchung des Regierungschefs einsetzte, die es ihm zur Pflicht machte, dieser Arbeit vorübergehend alle anderen Belange unterzuordnen. Er ist der Meinung, daß er sich nach der Aussprache, die er vor seiner Abreise nach Washington am 17. November 1961 mit den Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen hatte, auf diese Ausführungen beschränken kann.Lassen Sie mich nun einigen Schwerpunkten der künftigen Regierungsarbeit mich zuwenden.Mit einer gewissen Sorge hat die Bundesregierung der vergangenen Legislaturperiode die Entwicklung des Bund-Länder-Verhältnisses beobachtet. Die Bewältigung der vor uns allen liegenden schweren Aufgaben macht es notwendig, daß alles getan wird, eine fruchtbare und reibungslose Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu sichern.
Ohne eine solche sind diese Aufgaben nicht zu meistern; bei ihrer Durchführung wird die Bundesregierung vielmehr in verstärktem Maße auf die Mitwirkung der Länder angewiesen sein. Die Bundesregierung bekennt sich aus Überzeugung zu dem in der Verfassung niedergelegten Grundsatz eines föderativen Staatsaufbaus und zur gegenseitigen Treuepflicht zwischen Bund und Ländern. Ihr kommt es aber auch zu, das Wohl der Bundesrepublik als Ganzes nachdrücklich zu wahren und zu vertreten.
In den vergangenen Legislaturperioden war es leider noch nicht möglich, ein Parteiengesetz zu verabschieden.
Ich glaube aber, daß die Erörterung der damit zusammenhängenden schwierigen Probleme inzwischen so weit fortgeschritten ist, daß eis in dieser Legislaturperiode gelingen wird, ein Gesetz zu schaffen, das den politischen Parteien die Erfüllung ihres verfassungsmäßigen Auftrags gewährleistet.Für die Bewältigung der uns gestellten Aufgaben ist ein zuverlässiges, unbestechliches und pflichtgetreues Berufsbeamtentum eine wesentliche Voraussetzung. Es zu erhalten und zu festigen sowie in seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Stellung zu sichern, wird auch für die kommende Legislaturperiode eine wichtige Aufgabe sein.Die Bundesregierung sieht es nach wie vor als eines ihrer grundsätzlichen Anliegen an, die rechtsstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik zu sichern und auszugestalten.Rechtspolitisch ist in der letzten Legislaturperiode ein gewisser Abschnitt erreicht worden: Die Bereinigung des deutschen Rechts gegenüber der Zeit von 1933 bis 1945 und die Wiederherstellung der deutschen Rechtseinheit gegenüber den Jahren von 1945 bis 1949 konnten im wesentlichen ebenso vollendet werden wie die Ablösung des Besatzungsrechts. Die Sammlung des bereinigten Bundesrechts steht unmittelbar vor ihrem Abschluß; sie wird der Praxis eine große Hilfe bedeuten.Im Mittelpunkt der Aufgaben der neuen Wahlperiode werden drei große Reformwerke stehen: das neue Strafgesetzbuch, das neue Aktiengesetz und das neue Urheberrechtsgesetz.Als Ergebnis jahrelanger Vorarbeiten werden diese Entwürfe bereits in nächster Zeit dem Bundestag vorgelegt werden können.Als besonders dringlich ist die Verabschiedung der Strafprozeßnovelle anzusehen, die bereits dem letzten Bundestag zugegangen war. Die europäische Rechtsangleichung werden wir weiter nachdrücklich zu fördern haben.Wie in der Vergangenheit wird es auch in der Zukunft besonderer Anstrengungen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung bedürfen. Dies ist von zentraler Bedeutung für die Entfaltung der geistigen Kräfte unseres Volkes und für seine Geltung in der Welt. Die eingeleiteten Maßnahmen werden unter Berücksichtigung der Vorschläge des Wissenschaftsrats in enger Zusammenarbeit mit den Ländern durchgeführt. Die Bundesregierung erklärt erneut ihre Bereitschaft, sich an der Errichtung neuer wissenschaftlicher Hochschulen zu beteiligen. Angesichts der wachsenden Zahl von Studierenden soll-
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Vizekanzler Dr. Dr. h. c. Erhardten die zuständigen Stellen unverzüglich. alles tun, damit unsere wissenschaftlichen Hochschulen ihre Aufgaben sachgemäß erfüllen können.Die Bundesregierung wird ihre Anstrengungen zur Förderung der Kernforschung und zum Aufbau einer Atomwirtschaft fortsetzen. Sie wird sich dabei auch der Weltraumforschung und der Raumfahrttechnik annehmen.Angesichts der großen Bedeutung, die die Erhaltung der Gesundheit für den einzelnen und für unser Volk hat, hat sich die Bundesregierung entschlossen, ein Bundesministerium für Gesundheitswesen einzurichten. Zu dessen vordringlichen Aufgaben wird es gehören, sich der Fragen der Reinhaltung des Wassers und der Luft
sowie der Bekämpfung des Lärms anzunehmen.
Vor allem in den Ballungsgebieten haben die negativen Begleiterscheinungen unserer Zivilisation einen besorgniserregenden Umfang angenommen. Es wird alles getan werden müssen, um die auf diesem Gebiet notwendigen Maßnahmen mit Energie voranzutreiben.
Ich rechne hierbei auf eine enge Zusammenarbeit mit den Ländern, der Industrie und den Gemeinden. Das Bundesministerium für Gesundheitswesen wird sich ferner mit der Verbesserung der Verhältnisse unserer Krankenhäuser befassen müssen.
Die in der dritten Legislaturperiode des Deutschen Bundestags verabschiedeten grundlegenden Gesundheitsgesetze sollten beschleunigt durchgeführt und die Vorarbeiten für die noch ausstehenden Regelungen auf den Gebieten der Heilmittelwerbung, der Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind und des gesundheitlichen Schutzes gegen Strahlengefahren sowie für die Gesamtreform des Lebensmittelrechts baldigst abgeschlossen werden.Der Sport wird unter Berücksichtigung des vom Deutschen Olympischen Komitee vorgelegten „Goldenen Plans"
zur sportlichen Ertüchtigung unseres Volkes verstärkt gefördert werden. — Ich freue mich über Ihren Beifall.
Angesichts der großen Aufgaben und Anforderungen, die von der Bundesrepublik in den nächsten Jahren bewältigt werden müssen, kommt es ganz entscheidend darauf an, die Leistungskraft unsererVolkswirtschaft zügig weiterzuentwickeln. Die Bundesregierung sieht daher in der konsequenten Fortführung der nunmehr seit zwölf Jahren bewährten Sozialen Marktwirtschaft das beste Mittel, um diesen Notwendigkeiten gerecht zu werden.
Damit ist die Möglichkeit für weiteres wirtschaftliches Wachstum und die Gewißheit für wirtschaftliche Sicherheit im besten Wortsinn gegeben. Westdeutschland leistet damit an der Nahtstelle zwischen Ost und West einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der westlichen Welt vor kommunistischer Zersetzung und Infiltration.
Die Fortführung und Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft wird es gestatten, die immer neuen Probleme, vor die uns die moderne Industriegesellschaft stellt, befriedigend zu lösen. Nur so werden wir in der Lage sein, den in letzter Zeit verschärften internationalen Wettbewerb zu bestehen. Die enge internationale Verflechtung hat mit dazu beigetragen, in Deutschland die Vollbeschäftigung zu sichern und den Millionen von Heimatvertriebenen eine neue Existenz zu gewähren. Aus dieser führenden Position erwächst aber auch die Verpflichtung, um die Ordnung der internationalen Beziehungen, besonders auch des internationalen Zahlungsverkehrs, bemüht zu sein.Wichtigste Voraussetzung für diese gesunde wirtschaftliche Entwicklung bietet die Stabilität unserer Währung. Wirtschaftswachstum darf nicht mit Preissteigerungen erkauft werden.
Es ist auch notwendig, für eine verstärkte Koordinierung der Konjunkturpolitik, nicht zuletzt im internationalen Rahmen, zu sorgen. Wir müssen dabei für eine Erweiterung des konjunkturpolitischen Instrumentariums sorgen.
Von den Sozialpartnern erwartet die Bundesregierung Unterstützung durch eine maßvolle und besonnene Lohnpolitik. Diese muß den Produktivitätsfortschritt berücksichtigen. Von der Einhaltung der durch Predsstabilität und Sicherung eines gesunden wirtschaftlichen Wachstums gesetzten Grenzen wird es abhängen, ob gegebenenfalls neue Lösungen und Formen der Zusammenarbeit der Sozialpartner gefunden werden müssen.
: Nur an eine Seite! — Abg. Wehner: Hört! Hört! — Weitere Zurufe von der
Die Bundesregierung wird den Leistungswettbewerb weiter fördern. Sie wird die Entstehung wirtschaftspolitisch schädlicher marktbeherrschender Unternehmen wie auch den Mißbrauch bereits vorhandener Macht verhindern.
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Vizekanzler Dr. Dr. h. c. ErhardDas Kartellgesetz wird unter diesem Gesichtspunkt überprüft and verbessert werden, wobei die Sicherung der Preiselastizität in der Wirtschaft besondere Aufmerksamkeit verdient. Der Kartellpolitik im Rahmen des Gemeinsamen Markts kommt wachsende Bedeutung zu. Die Ergebnisse der bereits eingeleiteten Enquete über Entstehen und Vorhandensein wirtschaftlicher Macht wird die Grundlage für Vorschläge und Maßnahmen der neuen Regierung bilden.In der Mittelstandspolitik werden wir fortfahren, gute Lebensbedingungen für die breite Mittelschicht mit den vielen gesunden selbständigen Existenzen im Handwerk, Handel und Gewerbe, in der Landwirtschaft und in, den freien Berufen zu fördern. Neben dem Willen, die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der vorhandenen Betriebe zu stärken, steht als wichtige Aufgabe, das Selbständigwerden bisher abhängiger Existenzen zu ermöglichen.
Die Steuerung des wirtschaftlichen Prozesses durch Markt, Preise und Wettbewerb stellt die Wirtschaft vor die Aufgabe, sich den ständigen Änderungen der Marktverhältnisse anzupassen. Derartige Anpassungsvorgänge sind unvermeidlich, ja, sie bewirken den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt. Es wäre weder ökonomisch noch gesellschaftspolitisch zu rechtfertigen, sie verhindern zu wollen. Staatliche Hilfe erscheint aber dort vertretbar, wo aus der Eigenart der Produktionsbedingungen ungewöhnliche Anpassungsschwierigkeiten entstehen und die betreffenden Wirtschaftszweige aus eigenen Kräften alles tun, um die Schwierigkeiten zu bewältigen. So wird auch der Steinkohlenbergbau künftig bei seinen Anpassungsbemühungen unterstützt werden.Die räumliche Verteilung der Wirtschaft muß durch geeignete Maßnahmen der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik so beeinflußt werden, daß übermäßige Zusammenballungen vermieden und für die Bevölkerung in allen Teilen der Bundesrepublik befriedigende Lebens- und Erwerbsbedingungen gegeben sind.
Daher wird die Hilfe für strukturell schwache Gebiete und Zonenrandgebiete fortgesetzt werden. Die wirtschaftliche Hilfe für Berlin stellt eine besondere Aufgabe und Verpflichtung dar. Ihr Vorrang bedarf keiner besonderen Erläuterung.
Die Finanzpolitik der Bundesregierung steht in den kommenden Jahren vor vielfältigen und schwierigen Aufgaben. Auch sie wird einen wichtigen und unentbehrlichen Beitrag zur Sicherung von Konjunktur und Beschäftigung zu leisten haben. Sie muß zu ihrem Teile auch dazu beitragen, daß unsere gesamte Volkswirtschaft weiter wächst. Ihr oberstes Ziel ist die Sicherung der Kaufkraft unseres Geldes.An den Bundeshaushalt werden in den kommenden Jahren erhebliche Mehranforderungen herantreten. Neben Mehrlasten für die militärische und zivile Verteidigung erfordern die Erhaltung der Lebensfähigkeit Berlins, die Anpassung unserer Landwirtschaft an eine veränderte Wirtschaftsstruktur und ihre allmähliche Einfügung in den gemeinsamen europäischen Markt, die Entwicklungshilfe an andere Völker sowie der kulturelle Fortschritt in Wissenschaft und Bildung wachsende finanzielle Anstrengungen. Der Ausgleich des Bundeshaushalts wird in den kommenden Jahren Deckungsprobleme aufwerfen, die wir in den vergangenen Jahren nicht gekannt haben. Zur Sicherung des Haushaltsausgleichs werden strenge Sparsamkeit bei allen Bundesausgaben und die Aufnahme von Kredit beitragen müssen. Alle Ausgleichsmöglichkeiten im Rahmen des Gesamthaushalts von Bund und Ländern müssen erschöpft werden, bevor etwa zur Deckung von wirklich unausweichlichen Mehrausgaben des Bundeshaushalts Steuererhöhungen erwogen werden können. Steuerausgleich und Steuerumbau gehen vor Steuererhöhung.
Das innere Gleichgewicht der Gemeindehaushalte ist infolge der zurückgebliebenen Bewertung des Grundvermögens einerseits und des mächtigen Wachstums der Gewerbesteuer andererseits gestört. Bei der Neuordnung der Gemeindesteuern müssen der Bund und die Länder eng zusammenarbeiten. Im
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Vizekanzler Dr. Dr. h. c. ErhardRahmen eines ausgewogenen Systems gemeindeeigener Steuereinnahmen muß die Selbstverantwortung der Gemeinden für ihre Ausgabengebarung und für dire Höhe der örtlichen Steuern im größtmöglichen Umfange gewahrt bleiben.
Die Neuordnung der Gemeindesteuern ist Teil einer der wichtigsten finanzpolitischen Aufgaben, die jetzt vorbereitet werden müssen, nämlich der Neugestaltung der Finanzverfassung für Bund, Länder und Gemeinden auf längere Sicht. Die derzeitige Trennung von Steuerquellen und Steuererträgen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden erweist sich zunehmend als überprüfungsbedürftig. Eine verbesserte Finanzverfassung wird davon ausgehen müssen, daß der gesamte öffentliche Finanzbedarf von der gesamten Volkswirtschaft aufgebracht werden muß. Der Einheit von Wirtschaft und Gesellschaft in einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet muß eine Einheit der öffentlichen Aufgaben und des Finanzbedarfs im öffentlichen Gesamthaushalt von Bund, Ländern und Gemeinden entsprechen.
Die Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden, wie sie durch die Verfassung zugewiesen werden, sind grundsätzlich gleichwertig. Für diese legitimen Aufgaben sollten jedem Aufgabenträger ausreichende Deckungsmittel in einem ausgewogenen, unter sich verbundenen und beweglichen System eigener Steuerquellen und großer Überweisungssteuern zugewiesen werden.
Diese Neuordnung der Finanzverfassung des Grundgesetzes, deren außergewöhnlichen politischen Rang ich nicht hervorzuheben brauche, erfordert eine sorgfältige Vorbereitung. Die Bundesregierung wird die politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhänge durch eine Kommission erfahrener und unabhängiger Persönlichkeiten untersuchen lassen. Diese Kommission soll der Bundesregierung in angemessener Frist geeignete Vorschläge zur Verbesserung der Finanzverfassung unterbreiten.
Wir kennen die Sorgen und Schwierigkeiten der Landwirtschaft. Wir kennen ihren Mangel an Arbeitskräften und die dadurch noch verstärkte Notwendigkeit einer kostspieligen Technisierung. Wir kennen auch ihre Sorgen, daß durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft die Lage der deutschen Landwirtschaft noch schwieriger werden könnte.Mit der fortschreitenden Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes und der Eingliederung der deutschen Landwirtschaft in diesen Integrationsprozeß werden die deutsche Agrarpolitik und damit auch die deutsche Landwirtschaft sehr bald vor ernste Entscheidungen gestellt werden. Von diesem Integrationsprozeß, der eine notwendige Folge der Römischen Verträge ist, kann die Landwirtschaft nicht ausgenommen werden.Die Bundesregierung vertritt jedoch die Auffassung, daß dieser Eingliederungsprozeß organisch und behutsam vor sich gehen muß. Sie ist weiter der Auffassung, daß die deutsche Agrarpolitik sich nach wie vor nach den Zielen des deutschen Landwirtschaftsgesetzes auszurichten hat. Die derzeitige Wirtschafts- und Einkommenslage der deutschen Landwirtschaft darf nicht verschlechtert, sie muß, wo sie unzureichend ist, verbessert werden. Bei ihren Entscheidungen zur Entwicklung einer gemeinsamen Agrar- und Ernährungspolitik unter den sechs EWG-Ländern, insbesondere in den Fragen des Agrarschutzes und der Preisbildung, wird die Bundesregierung diesem Grundgedanken Rechnung tragen.
Landwirtschaft und Forstwirtschaft bleiben auch in unserem Industriestaat ein unentbehrlicher Teil der Volkswirtschaft. Die Förderung des Leistungsvermögens der Landwirtschaft und ihrer Kaufkraft ist ein wichtiger Bestandteil unserer eigenen volkswirtschaftlichen Interessen. Die Erhaltung einer breiten Schicht eigentumsbejahender und heimatverbundener Bauern und Landarbeiter sowie der mit ihnen verbundenen mittelständischen Existenzen auf dem Lande und in den kleinen Städten ist auch aus vielen anderen Gründen für uns von größter Bedeutung.
Wir wollen daher die Landwirtschaft in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch die Landbevölkerung in ihrer Sozial- und Lebensordnung fördern. Damit soll den Gefahren weiterer Menschenzusammenballungen in Großstädten und Industriezentren begegnet werden. Diese Förderung wird die Kosten-und Ertragslage auf Grund der gemeinsamen Agrarpolitik im Rahmen der EWG zu berücksichtigen haben, um ordnungsgemäß geführten Bauernbetrieben mit durchschnittlichen Produktionsbedingungen die wirtschaftliche Existenz einer bäuerlichen Familie zu gewährleisten; das Landwirtschaftsgesetz ist — soweit erforderlich — entsprechend zu ergänzen.Unverändertes Ziel der Agrarpolitik bleibt es, die Produktion von Bodenerzeugnissen in einer durch intensiven Landbau geprägten Kulturlandschaft gesund zu erhalten.Bei der steigenden Bedeutung der Veredelungswirtschaft wird aber neben der Bodenproduktion die Veredelungserzeugung besonders gefördert werden müssen.Die Verbesserung der Agrarstruktur soll fortgeführt, das ländliche Bildungswesen und die Wirtschaftsberatung weiter ausgebaut werden.Auch sollen die allgemeinen Lebensbedingungen für die auf dem Lande lebenden Menschen durch Schaffung der notwendigen Grundausrüstung in den Dörfern und durch Entwicklung sogenannter zentraler Orte verbessert und die schwach strukturierten Gebiete gefördert werden.Die durch den Mangel an Arbeitskräften zunehmende Arbeitsbelastung der in der Landwirtschaft tätigen Menschen soll durch weitere Rationalisierung mit zinsgünstigen Krediten gemildert werden.
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Vizekanzler Dr. Dr. h. c. ErhardAuch die bäuerliche Hauswirtschaft muß weiter gefördert werden, um die schwer arbeitende Hausfrau zu entlasten.In verstärktem Maße wird jedoch der Selbsthilfewille der Landbevölkerung unterstützt werden, insbesondere da, wo sich eine Anpassung der Erzeugung, des Angebots und des Absatzes an veränderte Umweltbedingungen oder Marktverhältnisse als notwendig erweist. Der Agrarkredit wird bei der Finanzierung solcher Maßnahmen sehr wichtig sein.Eine gute Unterbringung der Menschen ist eine Voraussetzung für ihr soziales Wohlbefinden, ihre innere Aufgeschlossenheit und ihre berufliche Leistungsfähigkeit. Die Förderung des Wohnungsbaus gehört deshalb zu unseren vordringlichen Aufgaben. Wir werden trotz aller früheren Erfolge nicht ruhen, bis auch die letzte Wohnungsnot beseitigt ist. Aber nicht die Wohnungsbeschaffung allein ist wichtig, es ist auch wichtig, möglichst vielen Menschen eine unmittelbare Beziehung zu Haus und Boden zu verschaffen.
Der Bau von Familienheimen wird daher bei allen Förderungsmaßnahmen den Vorrang behalten, ebenso die Unterbringung kinderreicher und junger Familien. Für alle diese Maßnahmen bleiben die Baulandbeschaffung sowie vernünftige Baupreise ein dringendes Gebot.
— Das verspricht ja eine gute Zusammenarbeit, meine Herren!
In dem Maße, in dem die Wohnungsnot beseitigt wird, soll der ganze Wohnungsbestand in die Soziale Marktwirtschaft übergeführt werden.
Die Eigentumspolitik im Wohnungsbau behält daneben ihren Vorrang.
Die finanziellen und steuerlichen Hilfsmaßnahmen zur Instandsetzung und Modernisierung des Altwohnungsbestandes werden fortgesetzt.Das soziale Miet- und Wohnrecht wird weiter ausgebaut. Ein endgültiges Gesetz über Wohnbeihilfen soll jeder Familie das notwendige Mindestmaß an Wohnraum wirtschaftlich sichern. Der Mieter wird auch nach dem Auslaufen des Mieterschutzgesetzes den notwendigen rechtlichen Schutz genießen.Im Zuge der Umstellung auf die Soziale Marktwirtschaft wird die Wohnungswirtschaft neue Aufgaben erhalten. Dabei wird in besonderem Maße den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen die Aufgabe zukommen, zur Schaffung von Eigentum für breite Schichten der Bevölkerung beizutragen.
Die Erfolge der bisherigen Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung haben die Voraussetzung dafür geschaffen, jetzt eine umfassende Städtebaupolitik in Angriff zu nehmen. Dabei müssen zunächst die überalterten und ungesunden Wohn- undArbeitsgebiete erneuert, die Städte aufgelockert und durchgrünt, die Baudichte im Zusammenhang mit der Beseitigung der Verkehrsnotstände vermindert werden.Alle diese Maßnahmen sind ein wesentlicher Teil der nach Maßgabe der Verfassung dringlich in Angriff zu nehmenden großen Aufgabe der Raumordnung.
Hierzu gehören nicht nur die Entlastung der Ballungsgebiete, die Ordnung des überörtlichen Verkehrs und die Erhaltung der Erholungsflächen, sondern ebenso die Förderung der Wirtschaftskraft der schwach strukturierten Gebiete der Bundesrepublik sowie die Verbesserung der Agrarstruktur.
Eine wirksame Raumordnung ist die Voraussetzung für unsere gesellschaftspolitische Entwicklung. Sie erfordert gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden sowie innerhalb der Bundesregierung selbst die Mitwirkung mehrerer Ressorts. Für diese Arbeit sind die gesetzlichen und finanziellen Voraussetzungen schnellstens zu schaffen.Aber nicht nur das Eigentum an Haus und Boden, auch die sonstige Eigentumsbildung in allen sozialen Schichten und eine breite Streuung des sich neu bildenden Vermögens sind für uns in Zukunft ein vordringliches Anliegen. Privates Eigentum stärkt die wirtschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit des einzelnen und der Familie.
Die breite Streuung des privaten Eigentums ist eine Voraussetzung für die Stabilität unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die Entstehung neuen Vermögens der öffentlichen Hand soll daher, soweit irgend möglich, verhindert werden.Die so erfolgreichen Maßnahmen zur breiten Vermögensbildung werden durch weitere Privatisierung des Erwerbsvermögens des Bundes und Ausgabe weiterer Volksaktien fortgesetzt werden.
Die Zahl der seit 1957 bereits um das Vierfache auf zwei Millionen gestiegenen Besitzer von Aktien wird sich weiter erhöhen.Vermehrte Eigentumsbildung erfordert vermehrtes Sparen. Die Sparfähigkeit, namentlich der unteren und mittleren Einkommensschichten, wird verstärkt werden.
Den Vertriebenen und Flüchtlingen wird dabei unsere besondere Aufmerksamkeit gelten.Die Aufgaben des ERP-Sondervermögens werden fortgeführt und erweitert. Dieser Kapitalfonds für Struktur- und Entwicklungsaufgaben im In- und Ausland wird insbesondere künftig der Förderung der Berliner Wirtschaft, der Erleichterung von Startbedingungen des Mittelstandes, aber auch der Förderung von Investitionen in Entwicklungsländern und der Reinhaltung von Wasser und Luft dienen.
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Vizekanzler Dr. Dr. h. c. ErhardDie wirtschaftliche und technische Entwicklung machen eine großzügige Förderung der Bildung und Ausbildung der Jugend, insbesondere auch der Arbeiterjugend notwendig. Die Bundesregierung wird daher ihre Bemühungen zur Leistungsförderung und Ausbildung verstärken. Sie erwägt, Einnahmen aus dem Privatisierungserlös des Volkswagenwerks in Höhe von 500 Millionen DM für einen solchen großzügigen Bundesplan einzusetzen.
Auf dem Gebiet des Verkehrs muß dafür gesorgt werden, daß die Verkehrsträger Kraftverkehr und Binnenschiffahrt und das sie tragende mittelständische Gewerbe gesund und leistungsfähig bleiben. Wir werden auch die weitere Gesundung der Bundesbahn anstreben und sie bei der Rationalisierung und Modernisierung ihres Betriebs unterstützen.Wir werden auch künftig auf die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen der binnenländischen Verkehrsträger hinwirken, um sie auf der Grundlage der Verkehrsgesetzgebung der 3. Legislaturperiode an die Soziale Marktwirtschaft heranzuführen. Wir werden damit einen verstärkten Preiswettbewerb und gleichzeitig eine volkswirtschaftlich sinnvolle Aufgabenteilung unter den Verkehrsträgern fördern. An den gemeinwirtschaftlichen Aufgaben der Deutschen Bundesbahn wird auch in Zukunft grundsätzlich festgehalten werden.Das dringlichste Anliegen unserer Verkehrspolitik ist die Sorge für die Sicherheit des Menschen im Straßenverkehr. Wir werden deshalb vor allem den steigenden Anforderungen an den Straßenbau Rechnung zu tragen haben. Die Mittel für den Ausbau der Bundesfernstraßen müssen weiter erhöht werden. Um zu einem leistungsfähigen Gesamtstraßennetz zu kommen, werden wir auch die Interessen der kommunalen Baulastträger berücksichtigen. Den Verkehrsnotständen in den Gemeinden und großen Städten werden wir nähertreten, sobald die von uns berufene Sachverständigenkommission ihre Untersuchungen abgeschlossen hat.Der Ausbau der Wasserstraßen wird, soweit zweckmäßig und notwendig, fortgesetzt werden.Das Bestreben der Seehäfen, der Seeschiffahrt und der zivilen Luftfahrt, mit der Entwicklung des modernen Weltverkehrs trotz des verstärkten internationalen Wettbewerbs Schritt zu halten, erkennen wir ausdrücklich als förderungswürdig an.An der Entwicklung und Verwirklichung einer gemeinsamen europäischen Verkehrsordnung werden wir weiterhin nach Kräften mitarbeiten. Dabei werden auch die Voraussetzungen ,des Wettbewerbs der deutschen Verkehrsträger gegenüber ausländischen Verkehrsträgern überprüft werden müssen.Auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldewesens wird die Bundesregierung durch weitere Maßnahmen zur Technisierung, Automatisierung und Rationalisierung des Betriebs den Leistungsstand der Deutschen Bundespost aufrechterhalten, um den Anforderungen der deutschen Volkswirtschaft auch in Zukunft voll gerecht werden zu können. Sie wird ihr Augenmerk besonders auch darauf richten, daß das Verhältnis der Deutschen Bundespost zu den Benutzern ihrer Einrichtungen durch ein neues Postgesetz und eine neue Postordnung sowie durch eine Reform des Gebührenwesens auf eine zeitgemäße Grundlage gestellt wird. Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß ein den Anforderungen des Verkehrs gerecht werdendes Nachrichtennetz nicht nur von nationaler, sondern bei der Lage der Bundesrepublik im Herzen Europas auch von internationaler Bedeutung ist. Es wird daher das Bestreben der Bundesregierung sein, zur Verbesserung des internationalen Post- und Fernmeldeverkehrs beizutragen.
Die Bundesrepublik steht seit langem im Zeichen der Vollbeschäftigung. Die Bundesregierung wird alles daransetzen, diesen hohen Beschäftigungsstand zu halten. Sie rechnet ,auch in der neuen Legislaturperiode mit der verantwortungsvollen Unterstützung und Mithilfe der Sozialpartner. Aufgetretene Spannungen auf dem Arbeitsmarkt wird sie durch geeignete Maßnahmen zu mildern versuchen.Ihre besondere Aufmerksamkeit wird die Bundesregierung auch weiterhin den Fragen der beruflichen Aus- und Fortbildung widmen. Sie ist der Überzeugung, daß den Investitionen und Förderungsmaßnahmen auf diesem Gebiete kein geringerer Wert als anderen Investitionen zukommt. Eine stetig wachsende Zahl von Menschen mit sehr hohem Bildungsstand ist in der Welt der industriellen und gewerblichen Arbeit für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eine unabdingbare Voraussetzung.Die Bundesrepublik ist ein sozialer Rechtsstaat.
— Sie ist es!
Die in den vergangenen Legislaturperioden erzielten Fortschritte auf sozialpolitischem Gebiet können uns alle mit Genugtuung erfüllen.
Sie zu erhalten, zu festigen und auszugestalten erachtet die Bundesregierung für ihre verfassungsmäßige Pflicht. Sie wird weiterhin den sozialpolitischen Belangen größte Aufmerksamkeit widmen und bestrebt sein, den sozialen Fortschritt zu fördern.Soziale Sicherung ist notwendig. Ihre Grenze liegt aber dort, wo die persönliche Freiheit des einzelnen gefährdet und durch ein Übermaß von Forderungen die Grundlage aller sozialen Sicherheit, die Währungsstabilität, bedroht wird.
Die Sozialpolitik darf nicht Selbstzweck sein, sie ist aber überall dort berechtigt, wo die Verhältnisse sie erfordern. Sie hat dem Menschen bei der Entfaltung seiner Persönlichkeit zu dienen und soll ihm helfen, die Lebensrisiken zu bewältigen. Was der Mensch für sich und die Seinen aus eigener Kraft leisten kann, bedarf nicht der gesetzlichen Regelung.
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Vizekanzler Dr. Dr. h. c. ErhardDie Bundesregierung wird daher bei allen sozialpolitischen Maßnahmen auch Bedacht darauf nehmen, daß die Eigenverantwortung des Menschen gestärkt und seine persönliche Freiheit nicht geschmälert wird.
Die Sozialreform wird fortgeführt, das ist selbstverständlich. Die Bundesregierung wird Entwürfe für die Reform der Krankenversicherung und der Unfallversicherung, die diesen Grundsätzen entsprechen, vorlegen.Neben den Fragen der Arbeit und des Arbeitsplatzes steht die Sorge für die Familie, die der Mittelpunkt der Menschen ist und deren wirtschaftliche und soziale Stellung von höchster, auch politischer Bedeutung ist. Wir wollen unsere Arbeit für die Familie konsequent fortsetzen. Beispielsweise werden wir dem Schutz der Mutter mit pflege- und erziehungsbedürftigen Kindern unsere besondere Aufmerksamkeit widmen. Ein Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Kindergeldrechts soll, sobald es möglich ist, die Aufbringung der für die Zahlung von Kindergeld insgesamt erforderlichen Mittel regeln.Die Sorge für die Kriegsopfer wird uns auch weiterhin ein wichtiges Anliegen sein. Wir werden uns insbesondere bemühen, den Kriegsopfern eine Heilbehandlung zu ermöglichen, die dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht.
Die Sorge für die Vertriebenen und Flüchtlinge bleibt uns eine soziale Verpflichtung und ein nationales Anliegen.
Wir werden bestrebt sein, die notwendigen Wohnungen zu erstellen, eine Verbesserung des Lastenausgleichs zu erreichen und eine beschleunigte Auszahlung der Hauptentschädigungen zu sichern. Wir werden ihnen helfen, neues Vermögen zu bilden, und uns bemühen, die durch Vertreibung und Flucht auseinandergerissenen Familien wieder zusammenzuführen. Die Ansiedlung der vertriebenen und geflüchteten Bauern wird entsprechend der bisherigen Planung fortgesetzt. In einem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge mit den Heimatvertriebenen auf allen sozialen Gebieten erreicht werden. Ein weiterer Gesetzentwurf wird zur Beweissicherung oder zur Feststellung der in der sowjetischen Besatzungszone und ,dem Sowjetsektor von Berlin erlittenen Schäden vorgelegt werden.Die Pflege des mittel- und ostdeutschen Kulturguts wird fortgesetzt.In der 4. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags wird auch versucht werden, auf allen Gebieten der Kriegsfolgengesetzgebung zu einer Schlußgesetzgebung zu kommen. Hierzu würde auch vordringlich das Schlußgesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes gehören.Die uns allen am Herzen liegende Wiedergutmachung wird aller Voraussicht nach in dieser Legislaturperiode im wesentlichen zu Ende geführt werden können. Gewisse, vor allem technische Ergänzungen und Änderungen der bisherigen Bestimmungen werden in einem Wiedergutmachungsschlußgesetz zusammenzufassen sein.Lassen Sie mich nun zur Außenpolitik kommen.Seit ihrem Bestehen bemüht sich die Bundesrepublik um gute Beziehungen zu allen Staaten. Es ist ihr gelungen, mit den meisten Ländern freundschaftliche Verbindungen aufzunehmen und sie von Jahr zu Jahr enger und fester zu gestalten.Das gilt für viele Staaten Asiens. Auch die Beziehungen zu den lateinamerikanischen Ländern. haben sich sehr erfreulich entwickelt. Die Regierungen dieses Kontinents haben sich in, den letzten Monaten fast einmütig, zuletzt noch auf der 16. Vollversammlung der Vereinten Nationen, für die Forderungen des deutschen Volkes auf Wiedervereinigung und Selbstbestimmung eingesetzt, wofür ich ihnen auch von dieser Stelle aus danken möchte.
Den politischen Umwandlungsprozeß auf dem afrikanischen Kontinent verfolgt die Bundesregierung mit Sympathie und lebhaftem Interesse. Sie ist an einer ungestörten und gesunden politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der afrikanischen Staaten interessiert, und sie ist bereit, ihnen bei ihrem wirtschaftlichen Aufbau im Rahmen ihrer Kräfte zu helfen. Mit Genugtuung hat sie die Entschließung der zwölf afrikanischen Staaten, die kürzlich in Tananarive zusammentrafen, zur Kenntnis genommen, die sich gegen die gewaltsame Abtrennung des östlichen Teils von Berlins wendet und eine baldige Lösung der Deutschland-Frage auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts fordert. Auch hierfür möchte ich im Namen der Bundesregierung danken.In den Rahmen unserer Bemühungen um ein friedliches Zusammenleben mit allen Völkern fällt auch unser Bestreben, den Entwicklungsländern zu helfen. Wir haben schon Erhebliches geleistet. Allein für die Jahre 1961 und 1962 sind Kapitalhilfen in Höhe von insgesamt 5 Mrd. DM vorgesehen. Zur Ergänzung dieser öffentlichen Leistungen bemühen wir uns, die Initiative der Wirtschaft zu fördern. Von privatwirtschaftlichen Investitionen erwarten wir auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe eine besonders große Wirkung. Wir werden die Entwicklungshilfe wie bisher ohne politische Bindungen leisten. Wir werden dabei aber nicht außer acht lassen dürfen, daß das deutsche Volk es nicht verstehen würde, wenn wir in eine Entwicklungspartnerschaft mit Staaten träten, die unser Selbstbestimmungsrecht nicht anerkennen.
Mehr noch als bisher wird die Bundesregierung in der Zukunft darauf achten, daß sich unsere Förderungsmaßnahmen in eine sinnvolle Gesamtplanung für den Wirtschaftsaufbau der Entwicklungsländer eingliedern. Gerade bei der Finanzhilfe sollte es zu einer dauerhaften Zusammenarbeit zwischen Geberländern und Entwicklungsländern kommen. Hier eine geeignete Form — auch auf multilateraler
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Vizekanzler Dr. Dr. h. c. ErhardBasis — zu finden ist eine wichtige Aufgabe. Wir werden uns aber auch nicht dem Appell entziehen, soweit wie möglich durch den Abbau der noch bestehenden Handelsschranken und der für einige Erzeugnisse hohen Fiskalabgaben die Absatzmöglichkeiten für Produkte der Entwicklungsländer zu vergrößern.
Bei der Bedeutung der Entwicklungshilfe schien es uns daher gerechtfertigt, Aufgaben auf diesem Gebiet einem besonderen Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu übertragen.Auch die. kulturpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik mit dem Ausland werden in der vor uns liegenden Legislaturperiode verstärkt werden müssen, wobei wir besondere Anstrengungen auf dem Gebiet der Bildungshilfe machen werden, die zugleich auch eine wirksame Entwicklungshilfe ist.Die Kulturarbeit im Ausland darf nicht mit der Information- und Öffentlichkeitsarbeit verwechselt werden.
Aber auch sie, die seit dem Beginn der BerlinKrise in größerem Umfange aufgenommen wurde, und die — besonders durch das Berlin-BesucherProgramm — nachhaltige Erfolge gebracht hat, bedarf der Verstärkung und Verbesserung. Die Zusammenarbeit mit den drei Westmächten hat sich erfreulich entwickelt. Wir müssen aber noch mehr tun, der Weltöffentlichkeit die Berlin- und Deutschland-Frage nahezubringen, damit sie erkennt, daß es dabei auch um ihre eigenen vitalen Interessen geht.
In ihrem Bemühen um freundschaftliche Beziehungen sieht es die Bundesregierung nach wie vor als eine ihrer vornehmsten Aufgaben an, nationalsozialistisches Unrecht wiedergutzumachen. Neben den gesetzlichen Regelungen, die ich schon erwähnt habe, sind in den letzten Jahren Verträge auf dem Gebiet der Wiedergutmachung abgeschlossen und Verpflichtungen von rund einer Milliarde D-Mark zugunsten der geschädigten Angehörigen einer Reihe von Ländern übernommen worden.Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, wenn wir auch der UNO nicht angehören. Wir sind aber Mitglied in allen Sonderorganisationen und arbeiten auch in vielen Gremien der Vereinten Nationen aktiv mit, besonders in solchen humanitären Charakters. Wir haben von Jahr zu Jahr größere finanzielle Beiträge geleistet, auch für die Entwicklungsprojekte der Vereinten Nationen. Die Bundesregierung erhofft ihrerseits, daß diese Mitarbeit eines Nicht-Mitgliedstaates dadurch anerkannt wird, daß die Vereinten Nationen unseren deutschen Problemen Verständnis entgegenbringen. Wir haben daher mit großer Genugtuung festgestellt, daß eine eindrucksvolle Mehrheit der Delegierten für das Selbstbestimmungsrecht des ganzen deutschen Volkes während der jüngsten Generaldebatte eingetreten ist.
Eine besonders erfreuliche Entwicklung — trotz aller Krisen in der Welt — ist auf dem Gebiete des europäischen Zusammenschlusses zu verzeichnen. Unsere vor elf Jahren begonnene Arbeit für die Integration Europas hat bereits zur Bildung eines Kraftzentrums in Europa geführt, dem wirtschaftlich und politisch große Bedeutung zukommt und das auch zur inneren Stabilität der Mitgliedstaaten beiträgt. Die Bundesregierung hofft, daß in den kommenden Jahren ein weiterer bedeutender Schritt in Richtung auf einen politischen Zusammenschluß der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft getan werden kann.Grundlage dieser europäischen Einigungspolitik war die deutsch-französische Aussöhnung. Die inzwischen entstandene enge deutsch-französische Freundschaft betrachtet die Bundesregierung als eines der großen Ereignisse der jüngsten Geschichte und als eine Garantie für Frieden, Sicherheit und Wohlstand in Europa.
Die Bundesrepublik, die mit den fünf anderen europäischen Staaten zu einer immer engeren Gemeinschaft zusammenwächst, wünscht und hofft, daß Großbritannien und andere europäische Staaten baldmöglichst den Europäischen Gemeinschaften beitreten.
Ein gesundes, starkes und freies Europa wird nur unter gewissen Opfern und in unablässiger Arbeit geschaffen werden können. Europa ist aber unsere Hoffnung. Gelingt es uns, es zu schaffen, so wird das entscheidend dazu beitragen, daß uns und unseren Kindern Frieden und Freiheit erhalten bleiben.
So positiv die eben erwähnten Punkte zu bewerten sind, so ernst ist die Lage im Hinblick auf den Sowjetblock. Ende 1958 begann die Berlin-Krise, die seit dem Sommer dieses Jahres erneut in ein akutes Stadium getreten ist. Die Sowjetunion hat angekündigt, daß sie mit der sowjetischen Besatzungszone einen Separatfriedensvertrag abschließen will. Dieser Vertrag würde den Namen Friedensvertrag nicht verdienen. Die Sowjetunion möchte einen Separationsvertrag herbeiführen, einen Vertrag, der die Teilung Deutschlands zementieren soll. Die Sowjetunion behauptet, mit diesem Vertrag nur ihren Machtbereich konsolidieren zu. wollen. Aber dazu braucht sie keine Abmachung mit einem von ihr besetzten Gebiet! Die Erklärung Chruschtschows, daß er die Folgen dieses Separatvertrages auch mit Gewalt durchsetzen, d. h. den Krieg mit Atomwaffen riskieren will, zeigt klar, daß er viel mehr davon erwartet, als er sagt. Ihm geht es in Wirklichkeit nicht um die Konsolidierung seines Machtbereichs, sondern um die Isolierung der Bundesrepublik und die Zerstörung der NATO. Chruschtschow hofft, daß eine irgendwie geartete Anerkennung der Sowjetzone das Bündnis zwischen der Bundesrepublik und ihren Partnern zersetzen wird. Gleich-
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Vizekanzler Dr. Dr. h. c. Erhardzeitig versucht er, der Bundesrepublik innerhalb des atlantischen Bündnisses einen minderen Status aufzwingen und auch auf diese Weise die von ihm gewünschte Isolierung einzuleiten.Es kommt ihm nicht auf juristische Konstruktionen an, sondern auf die langsame Aushöhlung der Freiheit Berlins, die Stabilisierung der sowjetischen Besatzungszone, um von dort aus seine Expansionspolitik gegen den Westen fortsetzen zu können, die Herauslösung der Bundesrepublik aus der NATO und damit die tödliche Schwächung beider.Der Präsident der Vereinigten Staaten hat mit aller Deutlichkeit erklärt, daß es in Berlin drei vitale Interessen gibt, die die Vereinigten Staaten verteidigen werden und für die sie auch die größten Risiken zu übernehmen bereit sind. Es sind diese: die Anwesenheit der Truppen der drei Mächte in Berlin, der freie Zugang nach Berlin und die Freiheit und Lebensfähigkeit Berlins.Dieser Erklärung stimmen wir voll und ganz zu. Auch die Bundesrepublik ist bereit, die zur Verteidigung dieser Interessen notwendigen Opfer und Risiken auf sich zu nehmen. Wir stimmen auch darin mit unseren Verbündeten überein, daß jeder vertretbare Versuch gemacht werden sollte, um diese Gefahren abzuwenden, die Lage zu entschärfen und insbesondere auch zu Verhandlungen zwischen den beteiligten Mächten zu kommen.Auf Grund schmerzlicher Erfahrungen hält es die Bundesregierung jedoch für ihre Pflicht, darauf hinzuweisen, daß Verhandlungen nur dann Aussicht auf Erfolg bieten, wenn sie von beiden Seiten in dem Willen geführt werden, zu einem vernünftigen Ausgleich zu kommen. Verhandlungen, die nicht in diesem Geiste aufgenommen werden, sind zum Scheitern verurteilt und tragen nicht zur Verbesserung der Lage bei, sondern eher zu einer Erhöhung der Spannung.Bei den bevorstehenden Verhandlungen sind drei Grundsätze zu beachten, die nicht preisgegeben werden dürfen: die Sicherheit der Bundesrepublik, die Erhaltung der bestehenden politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Bindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik, freier Zugang der Zivilbevölkerung und die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Deutschland-Politik, d. h. die Wiedervereinigung unseres Landes in Frieden und Freiheit, die Nichtanerkennung des sowjetisch besetzten Teils Deutschlands und des dort herrschenden Regimes, die Regelung der Grenzfragen in einem wirklichen Friedensvertrag, der mit einer gesamtdeutschen Regierung abzuschließen ist und für dessen Zustandekommen wir uns weiter mit aller Kraft einsetzen wollen.
Die Bundesregierung weiß, daß diese Ziele nicht mit Gewalt erreicht werden können. Jeder dahingehende Versuch würde zur Zerstörung unseres Landes und großer Teile der übrigen Welt führen. Es wäre das Ende jeder Deutschland-Politik. Die Bundesregierung hat daher mehrfach feierlich erklärt, daß sie auf die Anwendung von Gewalt oder dieDrohung mit Gewalt zur Erreichung ihrer politischen Ziele ein für allemal verzichtet. Sie erneuert diese Versicherung in diesem Augenblick, und sie ist bereit, in jeder geeigneten Weise diesen Gewaltverzicht auch zum Gegenstand internationaler Verhandlungen zu machen.
Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit bleibt das unverrückbare Ziel der deutschen Politik, auch wenn wir heute noch keinen Zeitpunkt für seine Verwirklichung angeben können. Keinem Volk kann das Selbstbestimmungsrecht auf die Dauer vorenthalten werden. Die derzeitige unnatürliche Spaltung unseres Volkes hat immer wieder zu schweren Spannungen und Krisen geführt. Die Bundesregierung fordert daher die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts, eine Rechts, das zu einem verbindlichen allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts geworden und in der Satzung der UNO verankert ist.Die Bundesregierung wird sich daher auch dafür einsetzen, daß nichts geschieht, was die Wiedervereinigung erschweren oder verhindern könnte. Eine Anerkennung des kommunistischen Regimes in Mitteldeutschland lehnt sie entschieden ab. Die Machthaber Mitteldeutschlands sind keine Regierung, die auf Grund des nationalen Selbstbestimmungsrechts zustandegekommen ist. Sie sind lediglich Vollzugsorgane der sowjetischen Besatzungsmacht. Selbst zu Regimen, die mit totalitären Mitteln arbeiten, besteht ein fundamentaler Unterschied: In der sowjetisch besetzten Zone lehnt das Volk mit überwältigender Mehrheit nicht nur das Regime, sondern auch die Existenz eines separaten deutschen Teistaates ab.
Dies vor allem ist es, was die sowjetisch besetzte Zone von allen Staaten in der Welt unterscheidet. Dies ist der Grund, warum die Bundesregierung die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Regime der sowjetisch besetzten Zone oder die Unterzeichnung eine separaten sogenannten Friedensvertrages mit dem Regime der Zone als einen unfreundlichen Akt gegen das deutsche Volk und als Stellungnahme gegen die. Wiedervereinigung und für die fortdauernde Spaltung Deutschlands ansehen muß.Mit den Gewaltmaßnahmen des 13. August 1961 in Berlin, mit den Evakuierungen an der Demarkationslinie und mit der Steigerung des Terrors in ganz Mitteldeutschland hat das dortige Regime von neuem seine brutale Unmenschlichkeit offenbart. Unablässig werden menschliche Grundrechte verletzt. Unbeschreiblich ist die seelische Not der durch Stacheldraht und Betonmauern von uns getrennten Menschen. Die Bundesregierung fordert mit Nachdruck die Wiederherstellung des Rechts in ganz Deutschland. Vor allem müssen die Sperrmaßnahmen in Berlin wieder aufgehoben werden.
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Vizekanzler Dr. Dr. h. c. ErhardDie Schandmauer muß verschwinden!
Freie Verbindungswege zwischen Berlin und Westdeutschland müssen gewährleistet sein.Ich komme nun zu einer Frage, die für das Schicksal des deutschen Volkes und auch aller europäischen Völker von entscheidender Bedeutung ist: zur Frage der europäischen Sicherheit. Für die Bundesregierung gibt es in dieser Frage einige Grundsätze, die sie nicht preisgeben kann. Nach Auffasung der Bundesregierung gehört die Frage der europäischen Sicherheit nicht in den Zusammenhang der Berlin-Krise. Die Probleme der europäischen Sicherheit können nur in Verbindung mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit erörtert werden.Wir lehnen auch regionale Sicherheitsmaßnahmen in Europa ab, wenn sie als Vorstufe eines Abkommens über eine allgemeine Abrüstung deklariert werden, da die Hauptforderung des Westens — Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Kräfteverhältnisses Ost-West — nur in weltweitem Rahmen erfüllt werden kann.Die Bundesregierung ist dagegen bereit, sich an Überlegungen zu beteiligen, die dem Ziel dienen, die Gefahr von Überraschungsangriffen zu vermindern oder zu beseitigen, soweit es sich dabei um weltweite Maßnahmen handelt.Ich wiederhole also: die Bundesregierung ist nicht bereit, Maßnahmen zuzustimmen, die unter der Bezeichnung „Europäische Sicherheit" in Wirklichkeit die Unsicherheit vergrößern würden.
Sie ist indessen bereit, nicht nur solchen Maßnahmen zuzustimmen, die geeignet sind, die Lösung der politischen Probleme Europas zu ermöglichen, sondern darüber hinaus auch solchen, die der Wahrung eines gerechten Friedens dienen.
Eines der obersten Ziele der deutschen Außenpolitik bleibt daher die allgemeine und kontrollierte Abrüstung. Die Bundesregierung begrüßt das von der amerikanischen Regierung im September dieses Jahres den Vereinten Nationen vorgelegte Programm für eine allgemeine und vollständige Abrüstung in einer friedlichen Welt. Sie betrachtet dieses Programm als eine realistische Grundlage weiterer Abrüstungsverhandlungen.Die Bundesregierung bedauert, daß die Abrüstungsverhandlungen seit Juni 1960 unterbrochen sind; sie hofft, daß eine Wiederaufnahme dieser Verhandlungen alsbald ermöglicht wird.Die Bundesregierung bedauert besonders, daß durch das Verhalten der sowjetischen Regierung die Verhandlungen für eine kontrollierte Einstellung der Kernwaffenversuche, die zeitweise vor einem positiven Abschluß zu stehen schienen, erneut verzögert worden sind. Die Bundesregierung wünscht dringend einen baldigen Vertrag der Atom-Mächte über die kontrollierte Einstellung dieser Versuche. Sie hofft, daß die Wiederaufnahme derVerhandlungen am 28. November in Genf zu einem Ergebnis führen wird.Die Aussichten, der Welt durch Abrüstung den Frieden zu erhalten und zu sichern, sind leider nicht ermutigend. Im Gegenteil, die von der Sowjetunion hervorgerufene Krise um Berlin zeigt mit aller Deutlichkeit, daß die freien Völker sich gegen einen mit militärischen Mitteln ausgeübten Druck gemeinsam sichern müssen.Daher betrachtet die Bundesregierung die Stärkung der NATO als das Gebot der Stunde, und zwar durch verbesserte politische Konsultationen und durch militärische Verstärkung.Nach Auffassung der Bundesregierung sollte der Plan einer NATO-Atom-Streitmacht baldmöglichst verwirklicht werden. Die Aufstellung einer solchen Streitmacht ist erforderlich, um die Streitkräfte der NATO in ihrer Abwehrkraft auf die gleiche waffentechnische Stufe zu heben, auf der sich der Gegner befindet. Mit dieser Forderung entkräftet die Bundesregierung zugleich den Vorwurf, atomare Waffen für sich selbst erwerben zu wollen. Die Bundesregierung hat diese Forderung niemals erhoben.
Die Organisation des Nordatlantik-Pakts ist ein auf Verteidigung der gemeinsamen Interessen gerichtetes Bündnis der freien Völker. Die Bundesrepublik ist ein loyaler Partner dieses Bündnisses. Der Verteidigungscharakter der deutschen Streitkräfte kann nicht besser demonstriert werden als durch die Tatsache, daß die deutschen Verbände dem alliierten Oberbefehlshaber unterstellt sind.Wenn wir die Stärkung der NATO als die dringendste Aufgabe ansehen, die es zu bewältigen gilt, so kommt es darauf an, unsere Mitarbeit durch praktische Maßnahmen zu beweisen, d. h. wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um unsere Verpflichtungen in der NATO zu erfüllen. Wir werden zu diesem Zweck die Wehrdienstpflicht auf 18 Monate verlängern müssen, und wir werden die für die Erhaltung unserer inneren und äußeren Sicherheit erforderliche Gesetzgebung umgehend zu verabschieden haben. Das Grundgesetz bedarf der Ergänzung, um für den Fall Vorsorge zu treffen, daß der Bestand oder die freiheitlich demokratische Grundordnung unseres Staates bedroht werden. Auch andere Gesetzentwürfe, die der Vorsorge für den Krisenfall dienen sollen, wird die Bundesregierung dem Bundestag bald vorlegen. Ich erwähne nur den Schutz der Bevölkerung in den Wohnungen und Betrieben, die Regelung einer Umstellung von Wirtschaft, Ernährung und Verkehr auf die besonderen Erfordernisse eines Krisenfalles und die Einführung einer zivilen Dienstpflicht, um im Ernstfall die Versorgung und den Schutz der zivilen Bevölkerung sowie die Aufrechterhaltung öffentlicher Dienste sicherzustellen.Die zur Verbesserung der Kampfkraft unserer Streitkräfte erforderlichen Maßnahmen führen zwangsläufig zu einer wesentlichen Erhöhung der Verteidigungslasten. An Länder und Gemeinden,
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Vizekanzler Dr. Dr. h. c. Erhardaber auch an Wirtschaft und Bevölkerung richten wir den dringenden Appell, unsere zur Verstärkung der gemeinsamen Verteidigung notwendigen Maßnahmen, vor allem auf dem Gebiet der Landbeschaffung, der Produktion und der Bauten, zu unterstützen. Viele der Maßnahmen, die die Bundesregierung treffen muß, werden tief in das Leben jedes einzelnen Deutschen eingreifen. Die Bundesregierung ist sich dessen bewußt. Sie muß diese Opfer, die dem Ernst der Lage entsprechen, vom deutschen Volk verlangen.Wir sind davon überzeugt, daß nur eine ganz klare, entschlossene Haltung uns helfen kann, Sicherheit und Frieden zu erhalten. Je stärker wir Deutschen innerhalb der NATO diese entschlossene Haltung durch Taten beweisen, um so mehr dürfen wir darauf vertrauen, daß unsere Verbündeten in künftigen Verhandlungen mit der gleichen Entschlossenheit und Festigkeit den sowjetischen Forderungen begegnen werden.Das Bündnis der freien Völker ist ein unteilbares Ganzes. Die Bundesregierung ist sich in besonderem Maße der Verpflichtungen bewußt, die ihr aus der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO erwachsen. Sie ist zutiefst davon überzeugt, daß Sicherheit und Freiheit des deutschen Volkes nur in dieser engen Gemeinschaft mit ihren Verbündeten gewährleistet werden können.Die Begegnung, die vor wenigen Tagen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten stattfand, ist sinnfälliger Ausdruck für die engen und fruchtbaren Bindungen, die sich zwischen den Mitgliedern des Nordatlantik-Bündnisses entwickelt haben.Es ist selbstverständlich, daß in dieser Allianz den Vereinigten Staaten von Amerika eine besondere Führungsrolle zufällt. Daher ist es besonders dankenswert, daß gleich zu Beginn der Amtszeit der Bundesregierung Gelegenheit zu einem offenen und herzlichen Gedankenaustausch mit Präsident Kennedy gegeben worden ist.Diese Gespräche haben, wie Sie wissen, zu einer Übereinstimmung der Auffassungen in den wesentlichen Fragen geführt. Sie haben erneut bestätigt, daß, wie seit vielen Jahren, das Verhältnis nicht nur der Regierungen, sondern auch des amerikanischen und des deutschen Volkes zueinander durch gegenseitiges Vertrauen und Freundschaft bestimmt wird. Die Gespräche in Washington haben erneut den Beweis dafür erbracht, daß wir — Amerikaner und Deutsche — uns aufeinander verlassen können.In Kürze werden Gespräche mit General de Gaulle und Premierminister Macmillan stattfinden. Für Dezember ist die alljährliche Konferenz der NATO-Mitglieder in Paris anberaumt. Auch diese Begegnungen dienen dem Ziel, den Zusammenhalt und die Festigkeit unseres Bündnisses zu stärken.Unsere Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft freier Völker gibt uns die Zuversicht, daß wir die vor uns liegenden Schwierigkeiten meistern werden.Je fester wir alle in diese Gemeinschaft hineinwachsen, je mehr wir das Gemeinsame in Rechten und Pflichten begreifen und verwirklichen, um sostärker werden wir sein. Wir müssen den Rahmen, der in der Organisation des Nordatlantik-Paktes gegeben ist, ausfüllen. Wir müssen die gemeinsame Verteidigungskraft stärken, unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit ausbauen und unsere Politik noch enger aufeinander abstimmen. Dann werden wir nicht nur den Anforderungen der Gegenwart entsprechen können, sondern auch den Grundstein für eine Zukunft legen, in der Frieden und Freiheit Wirklichkeit sind.
Vor uns stehen große und schwierige Aufgaben.
Diese können nur gelöst werden, wenn wir alle Kräfte zusammenfassen.
Die Gemeinschaft der deutschen Anstrengungen sollte sichtbaren Ausdruck finden.
— Sofort!Die Bundesregierung ist zuversichtlich, daß alle Mitglieder dieses Hohen Hauses den Grundprinzipien ihrer Außenpolitik und ihrer Verteidigungspoltik als dem zentralen Anliegen des deutschen Volkes zustimmen.
Nur wenn wir diese Grundprinzipien befolgen,
kann — das ist die Auffassung der Bundesregierung — das Leben des deutschen Volkes auch in Zukunft gesichert bleiben.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Erklärung der Bundesregierung gehört.Ehe ich den nächsten Punkt der Tagesordnung aufrufe, begrüße ich den Präsidenten der Versammlung der Westeuropäischen Union, M. Arthur Conte, und heiße ihn hier in diesem Hause herzlich willkommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1961
(Drucksache IV/16).
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Präsident D. Dr. GerstenmaierDas Wort zur Einbringung hat der Herr Bundesarbeitsminister.
— Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu behalten, die Arbeit geht weiter. Wir sind bei Punkt 2 der Tagesordnung und haben noch vier weitere zu erledigen.
— Meine Herren, Sie können von einem Minister unmöglich verlangen, daß er hier spricht, während Sie an der „Klagemauer" stehen.
Daß der Herr Kollege Dr. Friedensburg jetzt weitere Glückwünsche in Empfang nehmen muß, das verstehen wir. — Herr Arbeitsminister, fangen Sie bitte an!
— Die Mauer muß weg! Ja, auch diese!
Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. Bitte sehr, Herr Minister!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit der Vorlage des Sozialberichts 1961 erfüllt die Bundesregierung ihre Verpflichtung, über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung, die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderung des Volkseinkommens je Erwerbstätigen in dem voraufgegangenen Kalenderjahr zu berichten. Der Sozialbericht ist den gesetzlichen Vorschriften entsprechend von der Bundesregierung bis zum 30. September 1961 dem Deutschen Bundestag zugeleitet worden. Die in diesem Ihnen, meine Damen und Herren, vorliegenden Bericht vertretenen Auffassungen werden auch von der neuen Bundesregierung geteilt. Der Aufbau dieses Berichtes ist der gleiche wie bei den vorhergehenden. In Teil A wird über die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik im Jahre 1960 mit einem Ausblick auf die Jahre 1961 und 1962 berichtet. Teil B enthält die Darstellung der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen. In Teil C sind die Schlußfolgerungen gezogen, die sich im Hinblick auf eine Rentenanpassung aus den Teilen A und B ergeben.Ich möchte mich auf die im Vordergrund stehenden zwei Fragen beschränken: erstens die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und zweitens die Finanzlage der Rentenversicherungen.Auch in diesem Jahr hat sich die Bundesregierung mit der Frage beschäftigt, ob zwischen einer Anpassung der laufenden Renten an die Erhöhung der allgemeinen Bemessungsgrundlage des Jahres 1961 und dem Ziel der Wirtschaftspolitik, den Geldwert stabil zu halten, Einklang besteht. Dafür ist neben der voraussichtlichen Konjunktursituation im Zeitpunkt der Rentenanpassung vor allem Höhe und Art der Verwendung der zusätzlichen Rentenbeträge von Bedeutung. Eine Anpassung der laufenden Renten um 5 v. H. ab 1. Januar 1962 erforderteinen Jahresbetrag von 760 Millionen DM. Aus verwaltungstechnischen Gründen kommt die erste volle Monatsrate der Anpassung Ende März für April 1962 zur Auszahlung; für die ersten drei Monate des Jahres 1962 erfolgt voraussichtlich wie bei den drei voraufgegangenen Rentenanpassungen eine Einmalzahlung Mitte März 1962. Auf Grund der durch die konjunkturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung und der Deutschen Bundes, bank veränderten Bedingungen ist die Erwartung gerechtfertigt, daß eine Anpassung der laufenden Renten in dem bezeichneten Ausmaß mit den Bemühungen zur Stabilisierung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vereinbar ist. Diese Erwartung berücksichtigt nicht nur das Größenverhältnis zwischen der aus einer Rentenanpassung in Höhe von 760 Millionen DM im kommenden Jahr erwachsenden zusätzlichen Konsumgüternachfrage und dem im Jahre 1962 zu erwartenden Zuwachs des Angebots, sondern auch die zeitliche Verteilung der Erhöhungsbeträge innerhalb des Jahres, die eine Massierung der zusätzlichen Kaufkraft ausschließt.Zur Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung möchte ich auf folgendes hinweisen. Für das Jahr 1961 ist im Sozialbericht 1961 ein Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben von etwa 1260 Millionen DM in der Arbeiterversicherung und 720 Millionen DM in der Angestelltenversicherung vorausgeschätzt worden., Die Finanzlage der Rentenversicherung hat sich besonders durch das erhöhte Beitragsaufkommen, in dem sich der hohe Grad der Beschäftigung und die Zunahme der Versichertenentgelte spiegelt, günstiger gestaltet, als vorher angenommen wurde. Jedoch wird die Finanzlage nicht nur durch die derzeitigen Kassenüberschüsse bestimmt, sondern auch dadurch, wie sich in Zukunft die Ausgaben und die Einanhmen entwickeln werden, und das ist im wesentlichen wieder abhängig von der künftigen Entwicklung der Anzahl der Rentner und der Beitragszahler.Da ist nun festzustellen, daß sich das Verhältnis der Anzahl der Rentner zur Anzahl der Beitragszahler verändern wird. Denn während zur Zeit noch die Mehrzahl der Rentner aus den noch nicht so geburtsstarken Jahrgängen vor der Jahrhundertwende stammt und ein Großteil der Versicherten noch aus den starken Geburtsjahrgängen zwischen 1900 und 1914, werden später die starken Geburtsjahrgänge zwischen 1900 und 1914 von Beitragszahlern zu Rentnern geworden sein. In die Gruppe der Beitragszahler werden immer mehr die schwächeren Geburtsjahrgänge seit dem ersten Weltkrieg hineinwachsen. Diese Entwicklung muß man sich vor Augen halten, wenn man die Möglichkeiten der jetzigen Rentenanpassung untersucht.Die vorgeschlagene Erhöhung um 5 v. H. verursacht Mehraufwendungen, wie ich sagte, in Höhe von 760 Millionen DM für das Jahr 1962, von denen 455 Millionen DM auf die Arbeiterversicherung, 220 Millionen DM auf die Angestelltenversicherung :und 85 Millionen DM auf die knappschaftliche Rentenversicherung entfallen.Es ist darauf hingewiesen worden, daß in diesem Jahre ein Nachholen der Anpassung durchgeführt
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1961 35
Bundesarbeitsminister Blankwerden sollte. Wir liegen bekanntlich mit unseren Anpassungen immer uni ein Jahr gegenüber den neu zugehenden Renten zurück. Das hat die Bundesregierung bei den bisherigen Anpassungsgesetzen in Kauf genommen. Grund hierfür war, daß die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherungen zur Vorsicht mahnt. Auch in diesem Jahr ist von der Bundesregierung und dem Sozialbeirat eingehend die Möglichkeit einer nachholenden Anpassung geprüft worden. Die Bundesregierung hat es jedoch für richtig gehalten, nicht durch eine nachholende Anpassung in diesem Jahr weitere Anpassungen in der Zukunft zu gefährden. Die Kosten der nachholenden Anpassung würden sich für das Jahr 1962 auf 1960 Millionen DM belaufen, von denen 1170 Millionen DM auf die Arbeiterversicherung, 570 Millionen DM auf die Angestelltenversicherung und 220 Millionen DM auf die knappschaftliche Rentenversicherung entfallen würden.Der Mehrbedarf der nachholenden Anpassung an die allgemeine Bemessungsgrundlage des Jahres 1962 gegenüber der Anpassung an die allgemeine Bemessungsgrundlage -des Jahres 1961 in Höhe von insgesamt 1200 Millionen DM würde, soweit er mit 715 Millionen DM auf die Arbeiterversicherung und mit 350 Millionen DM auf die Angestelltenversicherung entfällt, von diesen Versicherungsträgern zu tragen sein, soweit er mit 135 Millionen DM auf die knappschaftliche Rentenversicherung entfällt, vom Bund zu übernehmen sein.Die Bundesregierung hat auch untersucht, ob die Mehrkosten der nachholenden Anpassung gegenüber der Anpassung an die allgemeine Bemessungsgrundlage des Vorjahres bei der derzeitigen Finanzlage der Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten diesen beiden Versicherungen auferlegt werden können.Die Vorausberechnungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß bei Anpassung an die allgemeine Bemessungsgrundlage des Jahres der Anpassung schon die 5. Rentenanpassung ab 1. Januar 1963 kaum mehr durchgeführt werde könnte, ohne daß das gesetzlich vorgeschriebene Rücklage-Soll am 31. Dezember 1966 unterschritten würde, und daß durch die 7. und 8. Rentenanpassung das RücklageSoll sogar um mehr als 50 Prozent angegriffen würde. Bei der Anpassung an die allgemeine Bemessungsgrundlage des Vorjahres dagegen ist noch die 5. Rentenanpassung und die 6. ohne wesentliche Unterschreitung des Rücklage-Solls möglich; auch bei der dann folgenden 7. und 8. Rentenanpassung würde das Vermögen am 31. Dezember 1966 noch erheblich über 50 v. H. des Rücklage-Solls Liegen.Da die Bundesregierung im Interesse der Rentner eine gleichmäßige Regelung für mehrere Jahre für günstiger hält als den Wechsel von besonders günstigen und besonders ungünstigen Regelungen, hat sie sich beim Entwurf des 4. Rentenanpassungsgesetzes für die Anpassung an die allgemeine Bemessungsgrundlage des Vorjahres entschieden.Der Ihnen, meine Damen und Herren, vorgelegte Entwurf der Bundesregierung für ein 4. Rentenanpassungsgesetz schließt mit seinen Regelungenim Prinzip an die bisherigen Rentenanpassungsgesetze an. Er sieht eine Erhöhung sämtlicher Renten, die auf Versicherungsfällen beruhen, die im Jahre 1960 oder früher eingetreten sind, um 5 v. H. vor, d. h. um den Vomhundertsatz, um den die allgemeine Bemessungsgrundlage für die im Jahre 1961 neu zugegangenen Renten gegenüber dein Vorjahre erhöht worden ist. Mit der Erhöhung der allgemeinen Bemessungsgrundlage von 1960 auf 1961 war ab 1. Januar 1961 auch eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze sowohl in den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten — nämlich von 10 200 DM auf 10 800 DM jährlich — als auch in der knappschaftlichen Rentenversicherung — von 12 000 DM auf 13 200 DM — verbunden.In praktischer Hinsicht wird die Regelung der bisherigen Rentenanpassungsgesetze dadurch verbessert, daß der Gesetzentwurf den Versicherungsträgern nicht mehr bis ins einzelne das technische Verfahren der Anpassung vorschreibt. Um die Durchführung des Gesetzes unter Berücksichtigung von Wünschen der Versicherungsträger zu erleichtern, bestimmt der Entwurf nur noch das Ergebnis, das durch die Anpassung erreicht werden soll. Im übrigen bleibt es den Versicherungsträgern überlassen, wie sie die vorgesehene Erhöhung der Renten verwaltungstechnisch erreichen.Da sich die Beitragsbemessungsgrenze in sämtlichen drei Zweigen der Rentenversicherung erhöht hat, haben sich nicht nur die Renten-Höchstbeträge in den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten, sondern diesmal auch in der knappschaftlichen Rentenversicherung erhöht. Das hat zur Folge, daß in der knappschaftlichen Rentenversicherung an der diesjährigen Anpassung auch die Renten teilnehmen, die infolge Erreichens oder Überschreitens der Rentenhöchstbeträge bei den vorhergehenden Anpassungen ganz oder zum Teil ausgeschlossen waren. Das gilt auch für den Leistungszuschlag und den Silikosefreibetrag, die entsprechend der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze angepaßt werden.In der Vergangenheit ist immer wieder die unterschiedliche Höhe der Kinderzuschüsse zu den nach altem Recht berechneten Vergleichsrenten bemängelt worden. Der Gesetzentwurf sieht auch hier eine Bereinigung vor, die für viele Rentner eine Vergünstigung bedeutet. Es ist vorgesehen, daß im Wege der Anpassung der Kinderzuschuß nach der allgemeinen Bemessungsgrundlage des Jahres 1961 zu berechnen ist. Damit wird erreicht, daß die Kinderzuschüsse bei den Renten, die der Anpassung unterliegen, nunmehr 'einheitlich nach neuem Recht bemessen werden.Da den Versicherungsträgern nicht vorgeschrieben ist, wie sie die Anpassung durchzuführen haben, kann die Masse der anzupassenden Renten von den Rentenrechnungsstellen der Bundespost mit Hilfe elektronischer Rechenautomaten umgerechnet werden, ohne daß die Versicherungsträger dabei eingeschaltet werden müssen.Die Renten werden — wenn das Gesetz noch in diesem Jahre in der vorgeschlagenen Fassung verabschiedet wird — nach dem eingespielten Verfah-
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Bundesarbeitsminister Blankren umgerechnet. Der Berechtigte erhält bei der Auszahlung der Rente für den Monat März 1962 eine schriftliche Mitteilung über die Anpassung. Die Post wird dann in der Lage sein, die Erhöhungsbeträge für die Monate Januar, Februar und März im Laufe des Monats März 1962 auszuzahlen. Die laufende Auszahlung des neuen Rentenzahlbetrages wird ab April 1962 erfolgen.Ich möchte auch in diesem Jahre, wo ich zum viertenmal ein Rentenanpassungsgesetz vorlege — es ist das erste Gesetz, das diesem Hohen Hause vorgelegt wird —, nicht verfehlen, dem Sozialbeirat zu danken, der in eingehenden Beratungen in verantwortungsbewußter Arbeit sein Gutachten erstellt hat, das der Bundesregierung mit eine wesentliche Grundlage für ihren Gesetzentwurf gegeben hat.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, dieses Gesetz im Interesse der deutschen Rentner so bald wie möglich zu verabschieden.
Der Gesetzentwurf ist eingebracht. Ich eröffne die Beratung der ersten Lesung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur ersten Beratung dieses Gesetzes habe ich für die sozialdemokratische Fraktion einige Feststellungen zu treffen.Erstens. Wenn wir dieses Rentenanpassungsgesetz, das am 1. Januar 1962 in Kraft treten soll und zu dessen Vorbereitung noch eine Reihe von Maßnahmen erforderlich ist, erst heute in der ersten Lesung beraten können, so ist das auch eine Folge des Hin und Her bei der Regierungsbildung. Im Zusammenhang damit steht auch der Tatbestand, daß der Sozialbericht nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden konnte, wie das bisher immer die Übung war, und zwar deshalb, weil die neue Bundesregierung— wegen der Verzögerung in der Regierungsbildung — diesen Sozialbericht dem Hause nicht zugeleitet hat. So wird uns als sogenanntes Material zu Drucksache IV/16 formlos der Sozialbericht der früheren Bundesregierung zugeleitet.
— Der Bundesarbeitsminister hat zwar soeben erklärt, die neue Bundesregierung teile die Auffassungen des Sozialberichts der früheren Bundesregierung. Es muß aber beanstandet werden, daß die neue Bundesregierung diesen Sozialbericht dem 4. Bundestag nicht offiziell zugeleitet hat,
damit er ordnungsgemäß auf die Tagesordnung hätte gesetzt werden können.Zweitens. Aus diesem Sozialbericht ergibt sich eine Steigerung des Bruttosozialprodukts in jeweiligen. Preisen um 11,3 %. Das Statistische Bundesamt hat wenige Tage später mitgeteilt, daß diese Steigerung sogar 11,6 % betrage. Gegenüber dieser Wirtschaftsentwicklung muß es als unbefriedigend bezeichnet werden, daß die Bundesregierung in dem Entwurf ides Rentenanpassungsgesetzes nur eine Anpassung der Renten in Höhe von 5 % vorschlägt. Der Herr Bundesarbeitsminister hat soeben dargelegt, diese Anpassung um nur 5 % hänge auch mit der allgemeinen Bemessungsgrundlage zusammen. Diese allgemeine Bemessungsgrundlage stützt sich auf die Lohn- und Gehaltsentwicklung der Jahre 1957 bis 1959. Meine Damen und Herren, diese Praxis, eine durchschnittlich vier Jahre zurückliegenden Lohnentwicklung als Bemessungsgrundlage für die Anpassung zu nehmen, ist sozialpolitisch völlig unbefriedigend.
Das ergibt sich aus den Zielen der Rentenreform.Aufgabe der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze war und ist es doch, daß die Alten, die Arbeitsunfähigen, die Witwen und die Waisen mit ihren Renten nicht hinter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zurückbleiben.
Mit diesem Ziel ist eine Anpassung in Höhe von 5 % bei gleichzeitiger Steigerung des Sozialprodukts um über 11 °/o unvereinbar.
Eine dritte Feststellung. Es ist ein schwerwiegengender Mangel der bisherigen Rentenanpassung, daß — der Herr Bundesarbeitsminister hat nur kurz darüber gesprochen — die Altrenten ein Jahr hinter den Neurenten zurückbleiben. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß diese ausgefallene Anpassung unbedingt nachgeholt werden muß, damit endlich die Gleichbehandlung der Alt- und Neurentner verwirklicht wird. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit.
Darüber hinaus würde durch eine solche Nachholung der Anpassung, die wir für unbedingt erforderlich halten, die Kluft zwischen dem Anpassungssatz von 5 °/o, den die Bundesregierung vorschlägt, und der tatsächlichen Entwicklung des Sozialprodukts beseitigt.Im Sozialbeirat wurde, wie wir aus dem Sozialbericht entnehmen können, eine nachholende Anpassung von der Hälfte der Beiratsmitglieder — also über die Vertreter der Versicherten hinaus auch von den Vertretern der Wirtschaftswissenschaften —, wie es wörtlich im Sozialbericht und im Gutachten des Beirats heißt, „mit besonderem Nachdruck befürwortet".
Das bestärkt uns in der Auffassung, daß diese Nachholung der Anpassung nun endlich vollzogen werden muß.Nun hat — damit komme ich zur vierten Feststellung — der Herr Bundesarbeitsminister behauptet — das kommt auch in dem Gesetzentwurf zum Ausdruck —, daß eine über den Satz von 5 % hinaus-
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Dr. Schellenberggehende Anpassung wegen der Auswirkungen auf die Finanzen der Rentenversicherungen und in Rücksicht auf die zukünftigen Anpassungen nicht vertreten werden könne.Die tatsächliche Entwicklung der Finanzen der Rentenversicherungen spricht gegen die Bedenken der Bundesregierung, die der Herr Bundesarbeitsminister soeben vorgetragen hat. Ich stütze mich dabei auf das Material, das die Bundesregierung dem Bundestag vorgelegt hat. Die einzige spezifizierte Vorausschätzung, die die Bundesregierung bisher unterbreitet hat, ist im Sozialbericht des Jahres 1958 enthalten. Damals rechnete die Bundesregierung für die Jahre 1959, 1960 und 1961 unter Berücksichtigung von laufenden Anpassungen mit Überschüssen in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten von zusammen 966 Millionen DM. Tatsächlich haben aber die Überschüsse, wie sich aus dem heute vorliegenden Sozialbericht errechnen läßt, in den letzten drei Jahren 4314 Millionen DM betragen.
Die Überschüsse betrugen also tatsächlich mehr als das Vierfache dessen, was die Bundesregierung in ihrer letzten offiziellen Kalkulation am 15. Oktober 1958 dem Bundestag und der Offentlichkeit mitgeteilt hat.
— Natürlich wollen wir darüber ,froh sein. Daserleichtert es uns auch, gewisse Vorschläge zu machen, zu denen Sie, Herr Winkelheide, sich bei der Abstimmung dann bekennen können.
Im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers muß ich noch auf einen anderen finanziellen Tatbestand hinweisen. Bei der Verabschiedung der Rentenreformgesetze hat die Bundesregierung erklärt, daß das Vermögen der Rentenversicherung — Stand Mitte 1956 — 8363 Millionen DM betrage. Aus dem vorliegenden Sozialbericht ergibt sich, daß das Vermögen der Rentenversicherung am Ende dieses Jahres einschließlich der Erstattung nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes 18,350 Milliarden DM betragen wird. Er hat sich also seit Beginn der Rentenreform mehr als verdoppelt und ist um mehr als 10 Milliarden DM gestiegen.Nun noch eine fünfte Feststellung und Entgegnung auf die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers. Die Bundesregierung und der Herr Bundesarbeitsminister sind der Auffassung, daß ungeachtet dieser günstigen finanziellen Entwicklung eine Nachholung der ausgefallenen Anpassung, eine sozial gerechtfertigte und volkswirtschaftlich begründete Anpassung nicht durchgeführt werden könne, damit, wie der Herr Bundesarbeitsminister wörtlich sagte, weitere Anpassungen in den nächsten Jahren nicht gefährdet werden. Meine Damen und Herren, derartige Erklärungen haben wir von der Bundesregierung bei jeder Anpassung und bei jedem Sozialbericht vernommen. Ich bitte auch die neugewählten Damen und Herren, sich der Mühe zu unterziehen, die Sozialberichte 1958, 1959 und 1960zu studieren. Sie werden daraus entnehmen, daß die Bundesregierung jedes Jahr erklärt hat, es könne gerade — gewissermaßen mit Ach und Krach — noch eine Anpassung durchgeführt werden, jede weitere Anpassung sei finanziell unmöglich.Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß Erklärungen, wie sie der Herr Bundesarbeitsminister hier hinsichtlich der Schwierigkeiten von weiteren Anpassungen vorgetragen hat, konkret und detailliert begründet und belegt werden müssen. Das, meine Damen und Herren, sollte und muß geschehen durch sogenannte versicherungstechnische Bilanzen.Bekanntlich war nach den Rentenversicherungsgesetzen erstmalig für den 1. Januar 159 eine versicherungstechnische Bilanz aufzustellen. Dann sollten alle zwei Jahre weitere Bilanzen vorgelegt werden. Wir haben in diesem Haus die Bundesregierung wiederholt daran erinnert. Im letzten Jahr, bei der Verabschiedung des 3. Rentenanpassungsgesetzes, hat das Haus ausdrücklich beschlossen, die Bundesregierung zu beauftragen, diese Bilanz für den 1. Januar 1959 spätestens im Zusammenhang mit dem neuen Rentenanpassungsgesetz vorzulegen. Wir Sozialdemokraten stellen fest, daß die Bundesregierung diesen Auftrag des Hauses wiederum nicht erfüllt hat.Beim ersten Durchgang dieses Rentenanpassungsgesetzes im Bundesrat hat der Herr Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium erklärt, daß der Aussagewert solcher Bilanzen im allgemeinen überschätzt werde und daß sie nur begrenzte Bedeutung hätten. Der Herr Staatssekretär hat — das möchte ich zugeben — dafür eine Reihe beachtlicher Gründe angeführt. Aber das kann doch keine Entschuldigung dafür sein, daß die Bundesregierung den Auftrag, die Bilanzen auf den Tisch des Hauses zu legen, bisher nicht erfüllt hat.Wir sind bereit, im Ausschuß mit den Regierungsparteien und der Regierung gemeinsam die vielfältigen Probleme zu erörtern, die mit der Verzögerung der Vorlage dieser Bilanzen zusammenhängen, und das gesamte Problem mit allem Für und Wider eingehend zu besprechen. Es ist festzustellen, daß die Bundesregierung bisher Finanzunterlagen nicht vorgelegt, aber der Herr Bundesarbeitsminister dennoch ohne eindeutige Begründung erklärt hat, weitere Anpassungen seien gefährdet, wenn den Altrentnern Gerechtigkeit bei der Anpassung zuteil wird.Eine sechste Feststellung. Schon im vergangenen Jahr mußten wir beanstanden, daß der Sozialbericht in seinen Aussagen über die zukünftige finanzielle Entwicklung immer dürftiger wird. Diesmal sind im Sozialbericht überhaupt keine konkreten Zahlen über die zukünftige finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung enthalten, sondern es werden nur Prozentsätze genannt. Offenbar will es die Bundesregierung mit dieser sehr eigenartigen Praxis unmöglich machen, daß in Zukunft ihre Vorausschätzungen mit den tatsächlichen Rechnungsergebnissen konfrontiert werden können. Durch derartige Methoden können unsere Forderungen auf Gleichbehandlung der Altrentner mit den Neurentnern
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Dr. Schellenbergund auf eine wirtschaftlich und finanziell gerechte Anpassung aller Renten nicht abgetan werden!Im übrigen ist festzustellen, daß die finanziellen Perspektiven, die sich ergeben, wenn man versucht, aus diesen Prozentsätzen Prognosen für die zukünftige finanzielle Entwicklung abzuleiten, weit günstiger sind, als von der Bundesregierung bisher behauptet wurde.Dennoch, ungeachtet der günstigen finanziellen Entwicklung, sind wir bereit, um allen möglichen Bedenken über die zukünftige finanzielle Entwicklung,
die uns allen gleichermaßen am Herzen liegt — und darin lassen wir uns von niemandem im Hause übertreffen —,
Rechnung zu tragen, mit Ihnen zu erörtern, ob die unbedingt notwendige Nachholung der Anpassung schrittweise vorgenommen werden kann. Das könnte etwa in der Weise geschehen, daß jetzt als erster Schritt zur Nachholung der Anpassung die Hälfte der ausgefallenen Anpassung von 6,6 % gezahlt wird. Danach würde sich praktisch ergeben: 5 % Anpassung nach dem Vorschlag der Bundesregierung plus die Hälfte der Nachholung = 3,3 %, insgesamt ein Anpassungssatz von 8,3 % für 1962. Dadurch würde sich der Mehraufwand für die Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung um 425 Millionen DM für das nächste Jahr erhöhen.
Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß ein Betrag in dieser Größenordnung bei einem Vermögen von 18 Milliarden DM ohne jedes Risiko für die zukünftige finanzielle Sicherheit und ohne Gefahr für die Anpassungen in den späteren Jahren von der Rentenversicherung verkraftet werden kann.
Siebentens noch zwei Dinge, die finanziell kein großes Gewicht haben, aber für die Betroffenen von großer sozialer Bedeutung sind. Einmal geht es darum, daß auch die Bezieher der kleinsten Renten in den Genuß des vollen Anpassungsbetrages kommen sollten,
das heißt also, daß der sogenannte Sonderzuschuß nicht von der Anpassung ausgenommen werden sollte.
— Ich nehme das als freudige Zustimmung, was Sie da sagen, Herr Kollege Winkelheide.Und noch ein anderes Problem. Es ist ein wichtiges soziales Anliegen, daß die Anpassungsbeträge nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet werden, damit endlich mit der unerfreulichen Praxis Schluß gemacht wird, von der die Menschen sagen: die eine Hand gibt, und die andere Hand nimmt es wieder durch die Anrechnung.
Wir haben uns hier im Hause mit beiden Problemen schon in den vergangenen Jahren beschäftigt. In diesem Zusammenhang darf ich eine Bemerkung an die Kollegen von der FDP richten. Sie haben uns bei unseren beiden Anliegen, nämlich Einbeziehung des Sonderzuschusses in die Anpassung und Ausschluß der Anrechnung bei Anpassungsbeträgen, in der vorigen Legislaturperiode zugestimmt.
So haben wir eine starke Hoffnung, daß wir bei diesen Anliegen im Hause eine Mehrheit gewinnen können.
Lassen Sie mich zum Schluß noch kurz über eine Frage sprechen, die die Öffentlichkeit bewegt. Im Hinblick auf das Weihnachtsfest erhalten Beamte und Versorgungsempfänger des öffentlichen Dienstes gewisse Sonderzuwendungen. Diese Leistungen stehen rechtlich in keiner Beziehung zur Rentenversicherung, aber moralisch besteht doch unbestreitbar ein Zusammenhang.
Das gibt uns Sozialdemokraten die Hoffnung, daß Sie unseren Vorschlägen für eine verbesserte Anpassung und eine Beseitigung der Härten bei der Anpassung zustimmen werden. Auf diese Weise könnte dem sozialen Anliegen, um das es im Grunde geht, in einer Art Rechnung getragen werden, die den Prinzipien und Methoden der Rentenversicherung entspricht.Über den Rahmen des hier zur Beratung anstehenden Gesetzentwurfs hinaus haben wir Sozialdemokraten, wie Ihnen nicht unbekannt sein wird, zur Beseitigung der Härten und Ungerechtigkeiten in der Rentenversicherung und zur Weiterentwicklung der Rentenreform konkrete Vorstellungen entwickelt. Wir werden darauf zu gegebener Zeit zurückkommen. Ich fühle mich verpflichtet, das schon heute zu betonen, weil in der Regierungserklärung, die wir soeben gehört haben, kein Wort über die soziale Sicherung für unsere Alten, Arbeitsunfähigen und Witwen gesagt wird.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lieber Kollege Schellenberg, in der Zwischenzeit haben sich die Fronten in diesem Hause durch das Wahlergebnis ja etwas geändert.
Da wir uns aber so lange kennen, lieber KollegeSchellenberg, muß ich doch eines sagen: Was hätte
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Spitzmüllerdie Bundesregierung eigentlich tun sollen oder tunmüssen, um nicht vorweg Ihr Mißfallen zu erregen?
Sie wissen doch genau wie wir alle, daß dieserSozialbericht bis zum 30. September vorzulegen istund daß ,die dritte Bundesregierung das getan hat.
Sie wissen auch, daß wir, der 3. Deutsche Bundestag und die dritte deutsche Bundesregierung, bis zum 15. Oktober im Amt gewesen sind. Die dritte Bundesregierung hat also zweifellos ihre gesetzliche Verpflichtung erfüllt.Nun hätte die vierte Bundesregierung die Möglichkeit gehabt, den Bericht zu übersenden. Aber, sehr geehrter Herr Kollege Schellenberg, welche Argumentation hätten Sie dann gefunden, um vielleicht zu sagen, daß hier eine Fristversäumnis vorliege, weil der Bericht erst im Oktober oder November zugeschickt worden sei.
Lieber Kollege Schellenberg, ich glaube, wir können hier ganz eindeutig feststellen: Die Bundesregierung hat ihre gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt.Etwas anderes ist es mit der Gesamtproblematik, von der Sie gesprochen haben. Da stimme ich Ihnen durchaus darin zu, daß wir zum vierten Male hier im Bundestag vor der Entscheidung stehen, in welcher Weise die Bestandsrenten ,den Zugangsrenten angepaßt bzw. nachträglich an diese herangezogen werden sollen. Wenn man reformerisches Neuland in der Gesetzgebung beschreitet, ist es klar, daß man immer mit Imponderabilien zu rechnen hat. Die bisherige Entwicklung hat hier doch eigentlich einiges erkennen lassen. Daher meinen auch wir Freien Demokraten, daß man darangehen könnte, hier und dort mit einer wirksamen Korrektur anzusetzen.Wenn wir Abgeordneten dieses Haus vor einem Gesetz mit einer so großen finanziellen Tragweite stehen, können wir ihm unsere Zustimmung aus ehrlichem Herzen nur geben, wenn uns gewisse Daten, gewisse Unterlagen zur Verfügung stehen. Wir bedauern es mit der Fraktion der CDU/CSU und mit Ihnen von der SPD, daß die versicherungsmathematische Bilanz nicht vorgelegt wurde. Wir sind der Meinung, daß diejenigen, die alle diese Gesetze im Jahre 1957 beschlossen haben, heute, wenn sie ehrlich sind, erkennen müssen, daß die Gesamtgestaltung dieser Materie wesentlich schwieriger ist, als es bei der Geburt der Idee damals schien.Damit käme ich im Grunde genommen auf die Rentenformel. Müssen wir uns hier nicht wirklich einmal überlegen, ob es nicht durch eine Korrektur der jetzt geltenden Rentenformel möglich wäre, Härten, die insbesondere bei den Beziehern der Kleinrenten festzustellen sind, zu mildern? Die Anpassungen, die nach dem jetzt geltenden Recht vorgenommen werden, schaffen einen Zustand — das müssen wir ehrlich bekennen —, der von vielen als soziales Unrecht empfunden wird. Die Differenzierung wird aber durch die Anhebung nicht vermindert, sondern sie wird sich gerade für die Kleinrentner verstärken, weil eben dort die Anhebung nur um den gleichen Prozentsatz erfolgt wie bei denen, deren Renten weit oberhalb des allgemeinen Fürsorgerichtsatzes liegen.Für viele Rentenempfänger, gerade diejenigen, die kleine Renten beziehen, stellt die Rentenerhöhung, das Nachziehen, nichts anderes dar als einen billigen Ausgleich für die inzwischen eingetretene Teuerung. Man hat ursprünglich gesagt: Der alte Mensch soll nicht von der Entwicklung ausgeschlossen sein, die er durch seine eigene Arbeit mit herbeigeführt hat; es soll ermöglicht werden, daß er auch im Alter an den Früchten seiner früheren Arbeit partizipiert. Jedoch gerade die Automatik ist es, die die Unterschiedlichkeiten schafft. Das Denken in Quoten, Prozenten und Indexziffern hat manches Verführerische, so etwas wie die Zauberformel „Sesam, öffne dich". Aber erkennen wir doch nach vier Jahren Anlaufzeit der Rentenreform, daß diese Zauberformel der Vielfalt ides menschlichen Lebens doch nicht in allen Bereichen gerecht werden kann!Nach dem jetzt geltenden Recht hinken die Altrenten hinter den Neurenten her — das ist sehr deutlich angesprochen worden —, und daß das kein guter Zustand ist, ist ebenfalls unumstritten; denn mit ihm klassifiziert man .die Rentenempfänger in zwei Schichten.Wir stehen aber heute unter dem Zwang des Handelns. Die Altrenten müssen nachgezogen werden. Ob sie aber in der Form nachgezogen werden können, daß man sie tatsächlich auf den Stand der Neurenten anhebt, auf den der Zugangsrenten, das wage ich zu bezweifeln, jedenfalls so lange zu bezweifeln, wie uns die versicherungsmathematische Bilanz nicht vorliegt und damit keinerlei Schlüsse auf die Zukunft gezogen werden können.Die FDP hat bereits dem vergangenen Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die ganze Entwicklung in etwas ruhigere Bahnen lenken sollte. Wir meinen, daß es zweckmäßig wäre, diese Dinge noch einmal in aller Ruhe zu überprüfen und neu zu durchdenken. Wir sind am Anfang einer Legislaturperiode. Wir sollten nicht sagen: „Wir haben viel Zeit", sondern wir sollten jetzt die Zeit wirklich nützen, auch schon bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs. Wir sollten im Sozialpolitischen Ausschuß des Deutschen Bundestages versuchen, über das Trennende hinweg schließlich das Gemeinsame zu finden, das in so großem Maße vorhanden ist, und uns zusammenraufen im Interesse der alten Rentner, aber auch im Interesse derer, die erst in Zukunft Rentenempfänger sein werden.Wir haben — das möchte ich sehr klar zum Ausdruck bringen — nicht nur die Verpflichtung, für das Wohlergehen der Rentner von heute, sondern auch für die Rentner von morgen zu sorgen, d. h. für die Arbeiter von heute. Wir dürfen uns den Blick nicht trüben lassen und müssen deshalb diese Probleme sehr vorsichtig anpacken.
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SpitzmüllerIch bin der Überzeugung, daß die Politik und gerade die Sozialpolitik sich nicht danach ausrichten sollte, daß man gut über die nächste und die übernächste Runde kommt, sondern man sollte bei einem solchen Gesetzgebungswerk wirklich auf lange Sicht planen und vorkalkulieren. Wir dürfen uns nicht durch die im Augenblick günstige finanzielle Lage der Rentenversicherung verführen lassen, denn diese hat bestimmte Ursachen. Die Ursache liegt zunächst einmal in der Lohnbezogenheit der sozialen Abgaben und zum anderen in der völligen Ausschöpfung unserer Arbeitsreserven. Sogar ausländische Arbeitskräfte, die in großer Zahl hereinkommen, zahlen ihre Beiträge an die Versicherungen. Diese Erfassung aller möglichen Arbeitskräfte, diese Eingliederung in den Arbeitsprozeß wirkt sich im Moment nur nach der positiven Seite aus, nämlich in der Form, daß erhöhte Eingänge von Zahlungen für spätere Rentenansprüche festzustellen sind. Eben diesen Zahlungen aber stehen Verpflichtungen in den nächsten zehn, fünfzehn, fünfundzwanzig Jahren gegenüber. Als Negativum muß — das hat der Herr Bundesarbeitsminister schon sehr klar gesagt - auch die ungünstige Entwicklung der Alterspyramide im deutschen Volk betrachtet werden, von der der Herr Familienminister ein besonderes Lied singen könnte.Ich komme zum Schluß. Bei dem uns vorliegenden Gesetzentwurf geht es um die Anhebung der Bestandsrenten. Auf die Dauer gesehen halten wir es für schlecht und für nicht gerecht, wenn die unterschiedliche Behandlung der Alt- und Neurentner keine Korrektur erfährt. Hier muß ich auf Ihre Ausführungen, sehr geehrter Herr Kollege Schellenberg, noch einmal zurückkommen. Sie haben davon gesprochen, daß Alt- und Neurentner gleichbehandelt werden müssen. Wenn ich das Wort „Gleichbehandlung" aus Ihrem Munde höre, habe ich den Verdacht, daß Sie damit die volle Automatik für die Neurentner und für die Altrentner fordern, und da muß ich nun sagen: Es gibt doch in der Wirtschaft Apparaturen, die, wenn sie einmal in Gang gekommen sind, den Menschen das Tempo vorschreiben, ohne daß danach gefragt wird, ob der einzelne Mensch dieser Belastung gewachsen ist. Gerade das sollten wir verhindern, daß der Mensch zum Werkzeug von Apparaturen, Mechanismen und Automatismen wird.
Was aber in diesem Zusammenhang gilt, gilt um so mehr im politischen Bereich. Gerade im politischen Bereich. müssen wir uns davor hüten, uns immer mehr in Schemata einzuzwängen; je mehr das geschieht, um so mehr beschneiden wir unsere politische Entscheidungsfreiheit.
Nachdem von der Regierung im Bundesrat ausgeführt worden ist, daß die versicherungsmathematische Bilanz kurz vor dem Abschluß stehe — „nahezu fertig" sei, heißt es dort wörtlich —, haben wir immer noch die Hoffnung, daß es möglich ist, diese versicherungsmathematische Bilanz noch zu Rate zu ziehen, damit wir dann an Hand der Unterlageneiner Erhöhung auch mit gutem Gewissen zustimmen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß unsere sozialdemokratische Opposition mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht voll zufrieden sein wird, war von vornherein nicht anders zu erwarten. Ähnliche Diskussionen haben wir in den letzten Jahren bei allen Rentenanpassungen erlebt. Wir haben aber seinerzeit bei der Rentenreform in Kauf genommen, daß wir uns Jahr für Jahr in diesem Saal mit dem Problem der Rentenanpassung auseinandersetzen müssen.
Wir haben das deswegen getan — Herr Kollege Spitzmüller, das gilt Ihnen —, weil wir damals wie heute gemeint haben, man dürfe die Anpassung der Bestandsrenten nicht einer Automatik überlassen, sondern müsse die Anpassung der laufenden Renten für die 8 Millionen Rentenempfänger in die Hand nehmen und Jahr für Jahr in eigener Verantwortung entscheiden, ob und in welchem Umfang angepaßt werden soll.Herr Kollege Schellenberg hat mit Recht auf die relativ erfreuliche Entwicklung der Finanzlage bei den Rentenversicherungsträgern hingewiesen. Die Überschüsse der Rentenversicherungsträger haben sich Jahr für Jahr vermehrt. Das läßt sich nicht leugnen. Im Jahre 1958 betrugen die Überschüsse der Einnahmen gegenüber den Ausgaben 0,7 Milliarden, 1959 0,9 Milliarden, 1960 1,4 Milliarden und 1961 2 Milliarden DM.Herr Kollege Schellenberg hat ferner mit Recht auf Seite 15 des Sozialberichts hingewiesen, wo verschiedene Daten der wirtschaftlichen Entwicklung angegeben sind. Es heißt dort — das läßt sich nicht bestreiten —, daß sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die in der Zunahme des Sozialprodukts 1960 zum Ausdruck kommt, nominell um 11,3%, real um 8 % entwickelt hat und daß sich die gesamtwirtschaftliche Produktivität um 5,9 % und das Volkseinkommen je Erwerbstätigen um 9,8 % erhöht hat.Meine Damen und Herren, das spricht für unsere Wirtschaftspolitik, die wir in den letzten Jahren betrieben haben.
Das haben wir unserer Wirtschaftspolitik und unseren gemeinsamen Anstrengungen zu verdanken.
Wir dürfen aber nicht übersehen, daß es durchaus möglich ist, daß sich auf der einen Seite jahrelang die Produktivität unserer Wirtschaft relativ günstig nach oben entwickelt, daß sich auf der anderen Seite unabhängig davon die Finanzlage bed den Rentenversicherungsträgern anders, ja sogar gegenläufig entwickelt. Wir dürfen uns von der derzeiti-
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Rufgen Kassenfülle der Rentenversicherungsträger auf keinen Fall täuschen lassen. Die Bank deutscher Länder, eine unabhängige Institution, hat schon im Juli-Bericht darauf hingewiesen, daß die gegenwärtige günstige Finanzlage der Rentenversicherungen nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß bei fortgesetzter Anpassung der Renten an die Bemessungsgrundlage sich schon im laufenden Deckungsabschnitt die Frage einer zusätzlichen Erhöhung der Einnahmen stellen kann. Die Bundesregierung hat auch im jetzigen Sozialbericht, der etwas optimistisch und günstig gestimmt ist, immerhin gesagt, daß die Finanzsituation der Rentenversicherungen auf der Grundlage neuester Zahlenergebnisse es gebiete, Entscheidungen über Anpassungen mit Vorsicht zu treffen. Nur darum geht es, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir diese Entscheidungen mit Vorsicht treffen.Wir müssen sie deswegen mit Vorsicht treffen, weil wir genau wissen, worauf die relativ günstige Kassenlage der Rentenversicherungen zurückzuführen ist. Sie hat sich insbesondere deswegen günstig gestaltet — das wurde noch nicht erwähnt, deshalb darf ich darauf hinweisen —, weil die allgemeine Bemessungsgrundlage in den letzten Jahren Jahr für Jahr weniger gestiegen ist als die Durchschnittsarbeitsverdienste aller Arbeitnehmer in den Rentenversicherungsträgern. Sie wissen, wir haben die Renten um 6,1 %, dann um 5,94 %, dann um 5 % angepaßt. Die effektiven Verdienste sind aber in dem letzten Jahr, im Jahre 1960, z. B. um 9,45 gestiegen. Sie werden nach Schätzungen im Jahre 1961 um 9,7 % steigen.Das bedeutet nach der Gestaltung unserer Rentenformel, bei der die allgemeine Bemessungsgrundlage nun einmal die Grundgröße ist, daß sich diese Lohnerhöhung der letzten beiden Jahre erst im Jahre 1962 auswirken wird. Sie wird sich voll erst in weiteren zwei Jahren auswirken. Höhere Einnahmen in der Rentenversicherung bedeuten nun einmal zu einem späteren Zeitpunkt zwangsläufig höhere Ausgaben. Das läßt sich nicht vermeiden.Es wurde schon wiederholt gesagt, daß die Erwerbsquote und das Verhältnis der Erwerbstätigen zu den Rentnern sich verschlechtern. Es wurde auch schon darauf hingewiesen, daß wir das Reservoir an Arbeitskräften ausgeschöpft haben. Es wäre noch zu sagen, daß wir selbstverständlich sehr viele Beitragseinnahmen der Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften zu verdanken haben. Man kann ungefähr sagen, daß 500 000 ausländische Arbeitskräfte im Jahr eine Zunahme der Beitragseinnahmen von etwa einer halben Milliarde D-Mark mit sich bringen. Aber wer sagt Ihnen, meine Damen und Herren, daß diese ausländischen Arbeitskräfte auf die Dauer und für alle Zeiten bei uns sein werden? Wer sagt überhaupt, daß die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin in alle Zukunft unbedingt in einer Einbahnstraße steil nach oben gehen wird? Wir müssen uns auch auf andere Tatbestände einstellen, wenn wir verantwortungsbewußt handeln wollen.Ferner wäre darauf hinzuweisen, daß wir in den letzten Jahren einen sehr starken Wanderungsgewinn durch die Sowjetzonenflüchtlinge hatten.Es ist Ihnen bekannt, daß von den Sowjetzonenflüchtlingen, die in letzter Zeit zu uns gekommen sind, 60 bis 65 % erwerbsfähig waren, junge Menschen waren, die hier sofort ins Arbeitsleben übernommen werden konnten. Auch hier hat sich in der Zwischenzeit einiges geändert.Die Bundesregierung spricht im Sozialbericht mit Recht von gewissen demographischen Zwangsläufigkeiten. Ich empfehle Ihnen, gerade auch dieses Kapitel über die Entwicklung der Bevölkerung und der Erwerbstätigkeit noch einmal nachzulesen.Aber vor allen Dingen ist für uns entscheidend, was der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat und was auch im Sozialbericht steht: Die Vorausberechnungen, die von verantwortlichen Stellen gemacht worden sind, haben ergeben, daß sowohl in der Rentenversicherung der Arbeiter als auch in der Rentenversicherung der Angestellten nur die vierte und die fünfte Rentenanpassung durchgeführt werden können, ohne daß die gesetzlich vorgeschriebene Rücklage unterschritten wird. Das bedeutet, meine Damen und Herren, daß die sechste vielleicht noch, die siebte und achte Rentenanpassung aber dann nicht durchgeführt werden können. Nach dem Rentenanpassungsgesetz, das wir seinerzeit beschlossen haben, könnten wir zu bestimmten sehr unpopulären und unbequemen Maßnahmen gezwungen sein, wenn wir jetzt nicht entsprechend verantwortungsbewußt und vorsichtig verfahren.Herr Kollege Schellenberg, Sie haben am Schluß Ihrer Ausführungen einen Vorschlag gemacht. Wir werden, davon dürfen Sie überzeugt sein, im Ausschuß über diesen Vorschlag reden; nicht nur reden, sondern wir werden den Vorschlag prüfen. Aber sehen Sie: Sie haben selber darauf hingewiesen, daß Sie hinsichtlich der Rentengestaltung noch einige Wünsche an die Rentenversicherungen haben. Auch wir haben Wünsche; auch wir wissen, daß da noch nicht alles befriedigend geregelt ist und daß einige Dinge noch zu ändern sind. Ich erinnere nur an die Witwenrenten; ich könnte noch mehr anführen. Aber gerade weil wir das wissen und weil wir das noch vorhaben im Interesse derjenigen Rentner, die wirklich darauf angewiesen sind, müssen wir uns hier bei den prozentualen Rentenanpassungen entsprechend zurückhalten.Wir sollten, glaube ich, sowieso darauf sehen, nicht so sehr eine quantifizierende Sozialpolitik zu treiben, die jeweils die Leistungen prozentual erhöht. Das bewirkt nämlich, daß diejenigen, die viel haben, noch mehr bekommen und diejenigen, die wenig haben, nicht das bekommen, was sie eigentlich haben sollten.Wir sind also dafür — es ist eigentlich überflüssig, das noch einmal zu betonen —, daß die Rentner an der wirtschaftlichen Entwicklung teilnehmen. Deswegen haben wir ja letzten Endes seinerzeit die Rentenreform beschlossen und die Gesetze so gemacht, daß in Zukunft die Arbeitnehmer, wenn sie aus dem Arbeitsleben ausscheiden, nicht in ihrem Lebensstandard absinken. Wir haben aber seinerzeit auch die Verantwortung dafür mit übernommen, daß das, was wir jetzt gewähren, auch für
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42 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. November 1961
Rufdie Dauer sichergestellt bleibt und daß die Renten auch in aller Zukunft nach diesen Regeln gezahlt und finanziert werden können. Das liegt in unserer Verantwortung; das tun wir im Interesse der Rentner und nicht zuletzt auch im Interesse der aktiven Arbeitnehmer, um deren Einkommen nicht über Gebühr durch Beiträge beanspruchen zu müssen. Auch hier liegt eine Verpflichtung, meine sehr verehrten Damen und Herren, der wir uns nicht entziehen dürfen.Wir werden die Dinge im Ausschuß gewissenhaft prüfen, und wir hoffen, daß wir uns recht bald hier bei der zweiten und dritten Lesung wiedersehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur zwei kurze Feststellungen!
Der Kern der Ausführungen der beiden Vorredner war, daß praktisch die Renten hinter der Steigerung des Sozialprodukts zurückbleiben sollten. — Erste Feststellung.
Zweite,, interessante Feststellung: Die Koalitionsparteien haben heute als Sprecher zwei Persönlichkeiten benannt, die prinzipielle Gegner der Rentendynamisierung waren.
B) Über alles andere werden wir im Ausschuß beraten.
Das Wort hat der Abgeordnete Weber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haben Sie keine Sorge — wenn auch die Sozialpolitiker als Monomanen beschimpft werden —, ich werde mich bemühen, es kurz zu machen; aber ich sehe mich genötigt, Herrn Professor Schellenberg noch eine Antwort zu geben, und zwar vom Grundsätzlichen her.
Alle Jahre wieder stehen wir hier und werden wir in Zukunft wieder hier stehen, so lange, bis das Rentenneuregelungsgesetz geändert sein wird, so lange, ,bis entweder die SPD mit ihrer Meinung gesiegt hat und alles bis zum letzten automatisch gemacht ist oder diese Zwitterstellung beseitigt ist und nicht die automatische, sondern die wirkliche Produktivitätsrente geschaffen wird.
— Und wenn wir den gleichen Prozentsatz haben! Herr Kollege Ruf, lassen Sie sich folgendes sagen: Die Sorgen, die Sie vorgetragen haben, die im Sozialbericht enthalten sind, und die Sorgen wegen des Nachhinkens, die Herr Kollege Schellenberg vorgetragen hat, sind berechtigt. Die Beseitigung des Nachhinkens, der Rentenschere, ist genauso
unser Anliegen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition.
Herr Professor Schellenberg, ich möchte Ihnen eines sagen: In dem Moment, wo die automatische Dynamik bei der Änderung der Rentenformel beseitigt wird, in dem Moment — ich möchte sehr genau unterscheiden —, wo die Automatik beseitigt wird und die Renten durch Gesetz der Entwicklung angepaßt werden, wird auch die FDP ihr volles Ja dazu geben; dann wird nämlich diese Schere sofort beseitigt. In dem Moment werden diese 6,6 % sofort nachgeholt werden.
Noch etwas in diesem Zusammenhang zu unseren Bemühungen, Herr Kollege Schellenberg, die das Problem des Mitziehens, Ihren Antrag mit den Sätzen 14 und 21 DM, betreffen. Darf rich Ihnen ganz offen sagen, daß wir so das Problem nicht lösen. In Wirklichkeit liegt es viel tiefer, nämlich in der ganzen Systematik dieses Gesetzes, das die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses noch sehr oft in Anspruch nehmen wird. Es geht nämlich um die Frage, ob wir den Bundeszuschuß, der zur Aufbringung der Mittel gegeben werden muß, wirklich gerecht verteilen. Das heutige Verfahren ist falsch. Die Rentenanpassung partizipiert an den Bundesmitteln und nimmt den Bundeszuschuß mit in die Höhe.
Ich werfe diese Frage auf und möchte sie an einem ganz einfachen Beispiel drastisch erklären. Seit der Rentenneuregelung sind die Renten um rund 20 % erhöht worden. Das heißt, die 400-DMRente ist — nur um ein theoretisches Beispiel zu geben — um 80 DM auf 480 DM erhöht worden. Von diesen 80 DM muß rund ein Drittel — wenn ich nur die eine Gruppe der Arbeiterrentenversicherung nehme — als Bundeszuschuß gegeben werden. Das sind rund 27 DM. Der Schnitt bei allen drei Rentenversicherungsträgern liegt tiefer; dus weiß ich. Ich will nur das Beispiel geben.
Auch die 40-Mark-Rente ist um 20 % erhöht worden, also auf 48 DM. Von dem Differenzbetrag von 8 DM ist ebenfalls ein Drittel Staatszuschuß. Es sind rund 2,70 DM gegen 27 DM bei der 400-DM-Rente. Die Mittel des Bundes werden heute nach folgendem Prinzip gegeben — ich will Ihnen dazu einen alten Bibelspruch sagen —: Wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe, und ich könnte fortfahren: wer da wenig hat, bekommt weniger. Meine Damen und Herren, das ist eine Ungerechtigkeit.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schellenberg?
Bitte!
Herr Kollege Weber, wollen Sie damit sagen, daß Sie nicht das Leistungsprinzip in der Rentenversicherung bejahen?
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Doch, Herr Kollege Dr. Schellenberg, sogar sehr wohl. Aber wir anerkennen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz als den höchsten, und Bundesmittel haben nichts mit dem Leistungsprinzip zu tun. Sie sind nach unserer Auffassung als erstes auszusondern und gerecht aufzuteilen. Deshalb haben wir uns seinerzeit auch für die Mindestrente eingesetzt. Solche öffentlichen Mittel sind in erster Linie den Armen, und zwar mindestens in gleichem Maße wie den anderen, wenn nicht in noch höherem Maße, zu geben.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, daß in dem ganzen Problem sehr viele Schwierigkeiten stecken, und es wird notwendig sein, diese Dinge zu bereinigen. Herr Kollege Dr. Schellenberg, gute Sozialdemokraten, Männer Ihrer Partei, haben mir schon offen zugestanden, daß es ihnen bei der Automatik, die der heutigen Rentenberechnung innewohnt, nicht wohl ist. Es ist meine felsenfeste Überzeugung, daß die Automatik beseitigt werden muß, um zu einer wirklichen Produktivitätsrente zu kommen. Die Renten müssen in Zukunft durch den Gesetzgeber in uneingeschränkter Verantwortung entsprechend der Lohnentwicklung — dies muß der Hauptmaßstab sein —, entsprechend der Entwicklung des Sozialprodukts und entsprechend der Entwicklung des Einkommens je Erwerbstätigen festgesetzt werden.
Ich sage Ihnen noch eins: nicht nur der Erwerbstätige gehört zu diesem Maßstab, sondern auch die Entwicklung des Einkommens je Einwohner; denn die jeweils arbeitende Generation in einem Volk muß die Alten tragen. Wenn im Endergebnis alle diese Gesichtspunkte in der versicherungstechnischen Bilanz, die uns vorgelegt werden wird, ihren Niederschlag finden werden, dann erst können wir an die wirkliche Bereinigung, an die Korrektur oder, wenn Sie so wollen, an die notwendige Reform der seitherigen Rentenreform gehen, um alle diese Ungerechtigkeiten zu beheben.
Das Wort hat der Arbeitsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur noch ein paar Worte! Der bisherige Verlauf der Debatte veranlaßt mich, Sie zu bitten, sich doch so bald wie möglich mit dem vorgelegten Gesetzentwurf, nämlich .mit der von den Rentnern erwarteten Rentenanpassung, zu beschäftigen. Denn, meine Damen und Herren, jeder von uns weiß, daß das große Werk der Rentenreform vom Jahre 1957 wie alles menschliche Werk auch mit Fehlern und Irrtümern behaftet ist, und jeder weiß, daß wir seit Jahren registrieren, was wir später einmal ändern zu müssen glauben. Was aber dieses Rentengesetz braucht, ist einmal eine Reihe von Jahren ungestörter Entwicklung; das ist das Entscheidende für die Rentner.
Ich glaube, es ist nicht an der Zeit, von einer Reform dieser Rentenreform zu sprechen, dies um so weniger, als wir, wie Sie alle wissen, erhebliche Mühe hatten, die Rentenumstellungen vorzunehmen, als das neue Gesetz geschaffen war, und es trotz vieler Mühe noch immer nicht fertig gebracht haben, daß es keinen Stau von Rentenanträgen gibt. Deshalb möchte ich Sie, unbeschadet des einen oder anderen, was Sie bei Ihrer Beratung finden mögen, bitten abzuwarten, bis sich einmal diese gesamten Verhältnisse normalisiert haben. Das, glaube ich, erwarten die deutschen Rentner.
Noch ein Wort zu der versicherungstechnischen Bilanz! Meine Damen und Herren, erwarten Sie doch keine Wunderdinge von einer solchen Bilanz, mit der man die Entwicklung über einen Zeitraum von einem Vierteljahrhundert voraussehen soll. Eine solche Vorausschau ist mit so vielen Unsicherheitsfaktoren behaftet, daß es vermessen wäre, zu glauben, wenn man im Besitz dieser Bilanz sei, habe man den Stein der Weisen und könne nunmehr Beschlüsse fassen, die in keiner Weise mehr irrig seien. So ist das nicht. Ich habe veranlaßt, daß die aufgestellten Berechnungen noch in mehrfacher Weise variiert wurden. Ich glaube, Sie können sich der Hoffnung hingeben, daß diese Bilanz in Kürze dem Sozialbeirat vorgelegt wird und daß ich sie dann zusammen mit dem Gutachten des Beirats Ihnen vorlegen werde.
Aber, worum ich Sie gerade im Hinblick auf die Diskussion bitten wollte, war dieses: Verabschieden Sie dieses Rentenanpassungsgesetz! Darauf warten die Rentner, nicht auf eine „Reform der Reform".
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gewiß werden wir dieses Rentenanpassungsgesetz möglichst schnell beraten. Daß wir das Gesetz nicht früher beraten konnten, hängt, wie ich vorhin schon erklärt habe, mit der verzögerten Regierungsbildung zusammen.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesarbeitsminister ist in seinen letzten Ausführungen an der Kardinalfrage des heutigen Gedankenaustausches vorbeigegangen. Die Kardinalfrage ist die Höhe der Anpassung. Darüber werden wir uns im Interesse der Rentner nun im Ausschuß auseinandersetzen.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Vorlage soll dem Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Ist das Haus einverstanden? — Es ist so beschlossen.Bei dieser Gelegenheit möchte ich einige Ausführungen des Herrn Präsidenten ergänzen. Wir haben zwar heute morgen im Ältestenrat die Ausschüsse
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Vizepräsident Dr. Schmidnoch nicht konstituieren können, haben aber doch eine Zwischenlösung vereinbart. Danach sollen alle Ausschüsse, die in dieser Zeit arbeiten müssen, sich provisorisch konstituieren: jeweils der älteste Abgeordnete soll den Ausschuß einberufen, und der Ausschuß wählt dann für die Zeit bis zum 15. Januar einen provisorischen Vorsitzenden und einen stellvertretenden Vorsitzenden. Nach dem 15. Januar wird hoffentlich eine Einigung der Parteien über die Verteilung der Ausschußvorsitze erzielt sein. Auf diese Weise können alle Ausschüsse arbeiten, die vom Hause mit Arbeit versehen werden; auch die Ausschüsse, die glauben, ohne einen besonderen Auftrag zusammenkommen zu sollen, können dann tätig werden. Ich denke, daß ich verstanden worden bin. Diese Regelung bezieht sich also nicht nur auf die drei Ausschüsse, die heute mittag genannt wurden, vielmehr sollen sich alle Ausschüsse, für die es Arbeit gibt, auf diese Weise konstituieren.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Beratenden Versammlung des Europarates .Die Fraktionen haben im Wege einer interfraktionellen Vereinbarung eine Liste vorgelegt, die Sie auf Drucksache IV/32 finden. Ich brauche sie wohl nicht zu verlesen. — Ist das Haus einverstanden, I daß die dort genannten Abgeordneten die Vertreter der Bundesrepublik in der Beratenden Versammlung des Europarats sein sollen? — Wer dafür ist, der erhebe die Hand. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Abgesehen von zwei Enthaltungen einstimmige Wahl.Punkt 4 der Tagesordnung:Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zum Europäischen Parlament .In der Drucksache IV/33 finden Sie einen Vorschlag der Fraktionen des Hauses. Ich brauche ihn wohl nicht zu verlesen. — Wer damit einverstanden ist, daß die dort genannten Abgeordneten die Vertreter der Bundesrepublik im Europäischen Parlament sein sollen, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Wahl fest.Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Zahlung eines Weihnachtsgeldes an Beamte und Versorgungsempfänger des Bundes .Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Gscheidle.Gscheidle ; Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion ersucht in ihrem Antrag Drucksache IV/27 die Bundesregierung, eine Rechtsgrundlage far die Gewährung eines Weihnachtsgeldes an die Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes zu schaffen.Das Thema ist allgemein bekannt. Seat ungefähr zehn Jahren wird in der Öffentlichkeit unter der Überschrift „Alle Jahre wieder" das Für und Wider erörtert. Im November 1960 antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion, daß die Gewährung von Weihnachtszuwendungen an Beamte, Soldaten, Richter und Versorgungsempfänger des Bundes im Zusammenhang mit den Vorarbeiten für eine Novelle zum Bundesbesoldungsgesetz erneut geprüft werde. Bei den Beratungen des Zweiten Besoldungserhöhungsgesetzes hat der Abgeordnete Kühlthau im Namen der CDU/CSU-Fraktion erklärt, daß die Gewährung einer Weihnachtszuwendung mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nicht zu vereinbaren sei. Er hat jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen, daß er sich nicht gegen eine gesunde Fortentwicklung dieser Grundsätze stellen werde.Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei hat im Juni bei der Änderung des Bundesbeamtengesetzes noch einmal versucht, eine Rechtsgrundlage für diese Zahlung zu finden. Ihr Antrag wurde abgelehnt. Dagegen wurde ein Antrag der CDU/ CSU-Fraktion angenommen, mit dem die Bundesregierung erneut ersucht wurde, die Frage der Gewährung von Weihnachtszuwendungen zu prüfen. Ich stelle diese Tatsachen fest, um klarzumachen, daß es nicht an Anregungen seitens dieses Hauses gefehlt hat und daß auch ausreichend Zeit zur Prüfung der Frage vorhanden war.Inzwischen haben die meisten Länder für ihre Beamten die Vereinbarkeit von Weihnachtszuwendungen mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums durch Erlaß entsprechender Regelungen bejaht.In der öffentlichen Diskussion wurde im Zusammenhang mit der Forderung nach einem Weihnachtsgeld für Beamte auch die Frage von Weihnachtszuwendungen an Rentner diskutiert. Der Abgeordnete Schellenberg hat darauf bereits hingewiesen; ich brauche dem nichts hinzuzufügen.Das neue Bundeskabinett hat sich am 23. November dieses Jahres offenbar mit der Gewährung von Weihnachtsgeld an Bundesbeamte beschäftigt. Das Bundespresse- und Informationsamt hat über den Beschluß der Bundesregierung mitgeteilt, die Bundesregierung beabsichtige, im kommenden Frühjahr eine Novelle zum Beamtenbesoldungsgesetz vorzulegen. Nach dieser Meldung hat das Kabinett ferner beschlossen, im Hinblick auf diese Vorlage den Bundesbeamten, Richtern und Soldaten einen Vorschuß zu gewähren; die Höhe dieses Vorschusses wurde in der Meldung genannt. Die Meldung spricht nicht von Weihnachtszuwendungen oder von Weihnachtsgeld, sondern von einem Vorschuß auf eine Erhöhung, die durch eine Novelle zum Beamtenbesoldungsgesetz vorgenommen werden soll. Eine Verbindung mit dem hier zur Diskussion stehenden Weihnachtsgeld besteht nur insofern, als die genannten Sätze in ihrer Höhe dem tariflichen Weihnachtsgeld entsprechen, das die Angestellten und Arbeiter des Bundes erhalten.
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GscheidleEinige Abgeordnete dieses Hauses erinnern sich noch an die Erregung, die im Jahre 1960 auf Grund der Tatsache entstanden ist, daß das Bundesinnenministerium mit Hilfe eines Tricks das abgelehnte Weihnachtsgeld ersetzt hat; damals wurden die Januarbezüge bereits im Dezember ausbezahlt.Die Reaktion in der Beamtenschaft, die im Augenblick auf Grund der angeführten Pressemitteilung vorhanden ist, ist die gleiche wie damals. Es ist nämlich unklar geblieben, wie dieser Beschluß auszulegen ist. Wie groß die Unklarheit war, zeigen am besten die Überschriften von vier großen Tageszeitungen, die am 24. November 1961 darüber berichtet haben. Die Bonner Rundschau schrieb „Vorschuß für Bundesbeamte vor Weihnachten", die Frankfurter Allgemeine Zeitung „Der Bund zahlt Weihnachtsgeld", die Deutsche Zeitung „Weihnachtsgeld für Beamte" und Die Welt „Statt Weihnachtsgeld Vorschuß für Beamte". Nach den Meldungen handelt es sich um einen Vorschuß auf eine Erhöhung, die eine Gesetzesvorlage der Bundesregierung mit unbestimmtem Inhalt bringen soll. Diese Absicht wurde inzwischen durch eine neuere Erklärung des Herrn Bundesinnenministers bestätigt.Folgendes wäre unseres Erachtens zu klären, erstens: Beabsichtigt die Bundesregierung, im Frühjahr bei einer Novelle zum Besoldungsgesetz eine Rechtsgrundlage für die Zahlung von Weihnachtsgeld an den genannten Personenkreis zu schaffen? Zweitens: Erhalten die Bundesbeamten, Richter und Soldaten im Beamtenverhältnis sowie die Versorgungsempfänger des Bundes die vorgesehenen Beträge im Dezember 1961 ohne Anrechnung auf spätere Zahlungen nach dem Bundesbesoldungsgesetz? Beide Fragen können weder auf Grund von früheren Meldungen noch auf 'Grund der jüngsten Meldung beantwortet werden.Wir ersuchen deshalb die Bundesregierung dringend, nach den bis heute eingetretenen und von uns nicht verschuldeten Verzögerungen nunmehr rasch zu einer klaren Regelung zu kommen. Wir beantragen, unseren Antrag an den Ausschuß für Inneres und an den Haushaltsausschuß zu überweisen.
Das Wort hat der Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Gscheidle hat in weiten Zügen eine sehr zutreffende Wiedergabe der ganzen Entwicklung gegeben, die ich bestätigen kann. Ich darf nun auf einige weitere Fragen eingehen. Es ist bereits gesagt worden, daß auch der neue Bundestag — nun schon in der vorweihnachtlichen Zeit — wie alle seine Vorgänger mit dieser Frage konfrontiert wird.Der Antrag, den die verehrliche Opposition vorlegt, enthält zwei Dinge. Einmal wird die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf einzureichen. Zweitens soll sie alle technischen Voraussetzungen dafür treffen, daß nach dem Gesetz, das hier beschlossen werden soll, noch rechtzeitig vor Weihnachten diese und jene Zahlungen geleistet werden können. Meine Damen und Herren, selbst wenn das Hohe Haus einen solchen Gesetzentwurf der Bundesregierung in der vorgeschriebenen Zeit noch akzeptieren und für zweckmäßig halten würde, wäre es, nachdem sich das Parlament so spät konstituiert hat, technisch unmöglich, diese Dinge durchzuführen.
Das erschöpft aber die Problematik keineswegs. Die Bundesregierung hat, wie der Herr Kollege Gscheidle vorgetragen hat, einen Beschluß gefaßt, der aus zwei Teilen besteht. Einmal wird darauf hingewiesen, daß im Frühjahr eine Besoldungsnovelle zu erwarten ist. Diese wird einen Schwerpunkt haben, und zwar einen Schwerpunkt, der auf Vorarbeiten beruht, die eine Bund-Länder-Kommission seit dem Frühjahr trifft. In erster Linie soll etwas erreicht werden, was schon seit längerer Zeit dringend notwendig ist, nämlich eine Harmonisierung des Bundesrechts und des Länderrechts auf dem Gebiet der Besoldung. Diese Dinge haben sich auf der Kommunalebene wie auf der Länderebene, wie auf der Bundesebene so auseinanderentwickelt, daß es erstens dem Berufsbeamtentum selbst und zweitens diesen drei Ebenen zum Schaden gereicht. Das wird der Schwerpunkt dieser Novelle sein.Was die Novelle sonst noch enthalten wird, wird das Hohe Haus in weitem Umfang selbst mit zu bestimmen haben.Nun gibt es keinen Zweifel darüber, daß der Begriff des Weihnachtsgeldes aus dem Wirtschaftsleben stammt. Dort wurde es zunächst als freiwillige soziale Leistung gewährt. Das ist nicht ohne Anfechtung, ohne Kritik geblieben. So ist z. B. aus mittelständischen Kreisen dieser Umfang der freiwilligen sozialen Leistungen mit Recht als wettbewerbsverfälschend und -gefährdend angesehen worden. Andere Kreise haben diese freiwilligen sozialen Leistungen aus anderen Gründen angefochten. Immerhin kam aus diesem Bezirk der freiwilligen sozialen Leistungen in der Wirtschaft im Jahre 1955 durch eine Art Durchsickerung der Begriff „Weihnachtsgeld" in den Tarifbereich des öffentlichen Dienstes, wo es nun in der Höhe besteht, die vorhin mitgeteilt worden ist.Sie werden mir gleichzeitig zugeben müssen, meine Damen und Herren, daß es im Berufsbeamtentum noch niemals ein Element „Weihnachtsgeld" im klassischen Sinne gegeben hat. Es würde auch schon in der Anlage dem Aufbau der Beamtenbesoldung mit all den Differenzierungen nachdrücklich widerstreben und widersprechen.Es ist eine Grundsatzentscheidung, ob man einen solchen Begriff, der dem bisherigen Aufbau der Besoldungsgesetzgebung des Bundes und auch der Länder — bis auf die letzten Ereignisse — absolut widerspricht, der ganzen Tradition widerspricht, einführen will oder nicht. Das ist eine sehr wichtige Grundsatzentscheidung. Wenn den Beamten insge-
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Bundesinnenminister Höcherlsamt in der Verfassung eine bestimmte Stellung eingeräumt wird, so muß sich das in der Besoldungsgesetzgebung widerspiegeln. Diese Besoldungsrechtsgesetzgebung sollte sich meines Erachtens von den bisherigen klassischen Grundsätzen trotz aller Entwicklungen und Fortentwicklungen nicht entfernen. Wir werden ,im Frühjahr Gelegenheit haben, uns darüber zu unterhalten.Die Bundesregierung hat nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, den Beschluß gefaßt, daß neben der zu erwartenden Novelle eine Zahlung, und zwar, ein Vorschuß in der Höhe zu leisten ist, die dem Weihnachtsgeld in dem übrigen Bereich gleichkommt. Die Bundesregierung hätte, selbst wenn sie die Absicht gehabt hätte, ein Weihnachtsgeld zu zahlen, gar nicht mehr die Möglichkeit gehabt, eine solche Absicht gesetzgeberisch zu ver- wirklichen, allein aus zeitlichen Gründen nicht. Wir müssen vielmehr an den Haushaltsausschuß herantreten und ihn um Zustimmung bitten. Der Haushaltsausschuß kann aber nur über die Ausgabe, nicht über den Titel und die gesetzliche Grundlage entscheiden. Dazu ist vielmehr eine Änderung des Besoldungsgesetzes notwendig, die nicht mehr durchgeführt werden kann,
was Sie selbst genau wissen.Die Bundesregierung hat aber auch gar nicht eine solche Absicht. Die Bundesregierung steht vielmehr auf folgendem Standpunkt. Zunächst muß ein Höchstmaß von Gleichheit in der Besoldungsgesetzgebung auf den drei Ebenen — Bund, Länder und Gemeinden — erreicht und die Grundsatzentscheidung gefällt werden, ob man einen solchen Fremdkörper einbeziehen kann. Solange diese Grundsatzentscheidung nicht gefallen ist, steht die Bundesregierung — meines Erachtens im Interesse des Berufsbeamtentums — auf dem Standpunkt, daß ein solcher Fremdkörper nicht eingeführt werden sollte, sondern daß es bei den bisherigen Elementen der Besoldung verbleiben sollte.Im übrigen darf ich dem Hohen Hause versichern, daß wir alles daransetzen werden, die Arbeiten dieser Kommission zu beschleunigen, damit Sie recht bald Gelegenheit haben, die Entscheidung zu treffen. Nach wie vor steht die Bundesregierung auf dem Standpunkt, daß, wenn auch nicht eine individuelle, so doch eine globale Verrechnung dieses Vorschusses in irgendeiner Form und zu einer passenden Gelegenheit — vielleicht schon bei der nächsten Novelle — zu erfolgen hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wissen, daß wir dem Herrn Bundesinnenminister einen Vorschuß geben. Aber ich habe Sorge, daß er schon jetzt dabei ist,
ihn „anzuknabbern", so wie an seinem Ministerium „geknabbert" wird.
Herr Minister, der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung beschäftigen sich seit Jahren mit der Frage des Weihnachtsgeldes. Auch die CDU/ CSU-Fraktion hat bereits im Sommer die Bundesregierung zu einer Klärung dieser Frage aufgefordert. Leider ist die Klärung dieser Frage zurückgestellt worden, obwohl sie leichter zu klären gewesen wäre, als manches neue Ministerium zu errichten.
Nun stehen wir vor der Tatsache, daß Sie sich nicht zu einer klaren Entscheidung durchringen können. Es ist ein betrübliches Gefühl für Millionen Beamte draußen, daß man hier einen Vorschuß ins Ungewisse gibt, anstatt eine klare Regelung im Sinne ,des Weihnachtsgeldes zu fällen. Wir haben diese Regelung bei den Arbeitern und Angestellten seit Jahren. Sie ist jetzt im Bundesangestelltentarif enthalten. Für die Beamten haben sich fast alle Länder, Herr Minister, auch Nordrhein-Westfalen, zu einer entsprechenden Regelung durchgerungen. Das Weihnachtsgeld ist ein Element der Besoldungsgesetzgebung geworden.
Im Sinne des Art. 33 des Grundgesetzes ist jeder soziale Ausbau der Besoldungsgesetzgebung des Bundes und .der Länder möglich; daran kann doch kein Zweifel bestehen. Es handelt sich hier um einen solchen sozialen Ausbau.
Ich habe heute gelesen, .daß das Bundeskabinett sich noch einmal für die Vorschußregelung ausgesprochen hat. Zu meiner Freude habe ich aber erfahren, daß in der CDU/CSU-Fraktion heftige Kritik daran geübt worden ist, daß keine klare Regelung geschaffen worden ist. Wir hoffen, daß wir in den Ausschüssen recht bald zu einer völligen Klärung kommen. Sie liegt im Interesse der Beamten, die keine Vorschüsse für die Zukunft, sondern heute, vor Weihnachten, Klarheit haben wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hübner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich leider genötigt, die Ausführungen des Herrn Kollegen SchmittVockenhausen in einem Punkte zu berichtigen.Es ist in der Tat so gewesen, daß die Zahlung eines Weihnachtsgeldes den Ausschuß für Inneres und dieses Hohe Haus in .der vergangenen Legislaturperiode mehrfach beschäftigt hat. Meine Fraktion hat in allen diesen Beratungen den Standpunkt vertreten, daß diese Frage ihre grundsätzliche Erörterung nur im Zusammenhang mit einer Besoldungsneuregelung finden kann, die einer Besoldungsvereinheitlichung in Bund und Ländern dient. Deshalb, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ist es nicht ganz richtig, wenn Sie sagen, wir hätten 'eine Zusage gegeben. Im Gegenteil!
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Hübner — Wir haben die Prüfung im Rahmen der Besoldungsneuregelung zugesagt. Uns liegt diese Besoldungsneuregelung deswegen am Herzen, weil doch durch die Zersplitterung des Besoldungsrechts sowohl der Dienstbetrieb leidet als auch Schwierigkeiten für die Beamten entstehen und sogar Unruhe unter den Beamten hervorgerufen wird.
— Nein, in gar keiner Weise; denn wir wollen ja diese Frage jetzt in den Rahmen einer Gesamtregelung stellen, ganz gleich, wie die Neuregelung ausfällt. Wir halten es für einen Nachteil, daß die Länder in dieser Frage vorgeprellt sind.
Wir wollten unsererseits eine Präjudizierung vermeiden. Jetzt befinden wir uns aber in einer wesentlich schwierigeren Lage als vorher.Sie sprechen davon, daß Sie beabsichtigten, hier eine Sozialmaßnahme zu treffen. Wenn das bestehende Vorbild Geltung haben soll, dann sehe ich darin nicht einmal unbedingt eine Sozialmaßnahme. Auch Ihnen ist bekannt, daß bei den jetzigen Regelungen sowohl der Staatssekretär als auch der Amtsgehilfe die gleichen Beträge erhält. Eine solche Regelung kann man wohl nicht unter den Begriff „Sozialmaßnahme" stellen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Hübner, Sie haben ja genauso gute Verbindungen zu der Beamtenschaft. Sie wissen doch, daß im Augenblick die Beamten die Frage erregt, worauf sie einen Vorschuß erhalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir möchten jede Vorgriffslösung vermeiden. Wir halten es für gut, daß die Problematik nicht hier — es handelt sich um eine sehr komplexe Problematik —, sondern sehr ausgiebig im Ausschuß beraten wird. Deshalb folgen wir Ihrem Vorschlag, diesen Antrag dem Ausschuß für Inneres — federführend — und dem Haushaltsausschuß — mitberatend - zu überweisen.
— Ich muß mich allerdings dagegen wehren, diese Frage für sehr einfach zu halten; sie ist in der Tat sehr komplex.
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten begrüßen die von der Bundesregierung getroffene Entscheidung, den Beamten und Versorgungsberechtigten diesen Vorschuß noch vor Weihnachten als Vorschuß auf eine künftige Besoldungsneuregelung zu zahlen. Wir begrüßen sie, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, weil wir der Auffassung sind, daß diese gesetzliche Regelung vor Weihnachten sowieso nicht mehr getroffen werden könnte. Der Herr Innenminister hat Ihnen schon auf Ihren Antrag hin dargelegt, daß die Zeit nicht mehr ausreichen würde, das alles über die Bühne zu bringen.Die von der Bundesregierung getroffene Entscheidung bringt drei für uns wesentliche neue Gesichtspunkte, die auch uns dazu veranlassen, ihr mit einem sehr klaren Wort zuzustimmen. Die Zahlung erfolgt noch vor Weihnachten in der gleichen Höhe, wie sie nunmehr die Beamten in den Ländern und Gemeinden erhalten werden.
— Aber Herr Kollege, ob das ein Vorschuß oder ein Weihnachtsgeld ist, ist doch eine Frage, über die wir heute im Wege der Gesetzgebung nicht entscheiden können. Sie verlangen doch, daß die Bundesregierung eine solche gesetzliche Regelung nunmehr vorbereitet. Sie verlangen darüber hinaus gleichzeitig, daß die technischen Voraussetzungen erfüllt werden, obwohl Sie genau wissen, daß über das Grundsätzliche im Zusammenhang mit dem Weihnachtsgeld heute überhaupt nicht entschieden werden kann.
— Herr Kollege, Sie fragen: Vorschuß für wann und auf was? Aber gerade dazu ist doch die Entscheidung der Bundesregierung sehr deutlich bekanntgegeben worden! Es handelt sich um einen Vorschuß auf die Besoldungsneuregelung, die im kommenden Frühjahr auf uns zukommen wird. Darüber, daß darüber hinaus mit dieser Entscheidung der Bundesregierung zum erstenmal Beamte, die noch im aktiven Dienst sind, und Versorgungsberechtigte gleich behandelt werden, sind wir sehr erfreut. Wir sehen darin die Erfüllung eines alten Wunsches unserer Fraktion und unserer Partei, auch in der Frage der Gleichbehandlung der Versorgungsberechtigten eine wirklich vernünftige Regelung zu finden. Wir betrachten diese Entscheidung der Bundesregierung als einen ersten Schritt auf dem Wege zu einer neuen Diskussion über eine individuelle Überleitung.Darüber hinaus ist doch nach dem Beschluß der Bundesregierung sehr klar erkennbar, daß die dringend notwendige Novellierung der Besoldungsordnung für die Bundesbeamten nunmehr im nächsten Jahre erfolgen wird. Mit dieser Novelle dürften nach unserer Auffassung auch die größten Härten in der Besoldung für die Bundesbeamten — verglichen mit der Besoldungsregelung, die für die
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DornBeamten der Länder und Gemeinden in den letzten Jahren getroffen worden ist — ausgeglichen werden.Nun ist die Frage aufgeworfen worden, ob der Vorschuß, der jetzt gezahlt werden soll, bei einer späteren, endgültigen Entscheidung als Weihnachtsgeld zu betrachten sei oder nicht. Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß man jetzt nicht vor Weihnachten ad hoc eine derartige Einzelregelung treffen sollte, weil die Novelle zur Besoldungsordnung für die Bundesbeamten sowieso in wenigen Monaten in diesem Hause ausführlich besprochen werden muß. Über die Gewährung eines Weihnachtsgeldes wird spätestens im Frühjahr in diesem Hause eine Entscheidung gefällt werden. Sollte die Entscheidung dann so aussehen, daß das Weihnachtsgeld Bestandteil der Besoldung wird, kann man über die Frage, auf welchem Wege dieser rückzahlbare Vorschuß verrechnet werden soll, im Ausschuß erneut sprechen.
Aber man kann doch nicht heute eine Einzelregelung für diesen Gesamtkomplex fordern.
— Aber, sehr verehrter Herr Kollege, Sie haben selbst beantragt, daß Ihr Antrag und damit diese Materie an den Ausschuß überwiesen und im Ausschuß behandelt wird. Wir sind bereit, dieser Anregung zu folgen, auch wir stimmen der Überweisung Ihres Antrages an die Ausschüsse zu. Nach einer ausführlichen Sachdiskussion im Ausschuß werden wir uns dann hoffentlich sehr bald, Herr Kollege Schmitt, zu einer einheitlichen Regelung zuammenraufen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist durchaus einzusehen, daß eine gesetzliche Regelung in dieser Frage jetzt vor Weihnachten nicht mehr möglich ist. Darüber wird wahrscheinlich nicht einmal eine Meinungsverschiedenheit bestehen. Woran ich mich und woran sich wahrscheinlich sehr viele, gerade auch die Beamten, stoßen, ist die Bezeichnung „Vorschuß". Ich sehe nicht ein, was gegen eine einmalige Zahlung der Bundeskasse an die Beamten des Bundes sprechen soll, eine einmalige Zahlung, die ausdrücklich als solche bezeichnet wird. Das kann nach meiner Meinung auch keine verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten bereiten. Ich glaube, dafür wird man in diesem Hause — und dann meinetwegen im Haushaltsausschuß — die Zustimmung finden. Die gesetzliche Regelung kann ja dann zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.
Aber ein Vorschuß — vor allem ein materieller Vorschuß — auf eine Regelung, die erst später erfolgen soll, ist doch an sich beinahe eine Zumutung, und ich wundere mich gar nicht, daß ein Beamter mir gesagt hat: Ich habe keinen Vorschuß verlangt, und ich schicke ihn zurück.
Das Wort hat der Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zum Herrn Schmitt-Vockenhausen, mit dem ich, da er ja Vorsitzender des Innenausschusses wird, sehr viel Gelegenheit zur Zusammenarbeit haben werde! Ich weiß gar nicht, warum Sie mir schon gleich beim ersten Mal den guten Kredit, den ich angeblich bei Ihnen habe; absprechen.
— Sie brauchen keine Angst zu haben!Wir wissen alle, daß Herr Schmitt-Vockenhausen in der Darstellung ein großes Temperament besitzt. Die Erregung der Beamten, auf die hier von seiten der SPD hingewiesen worden ist, ist, glaube ich, nicht so groß.
Ich bin sogar der Meinung, daß die Beamten mit dem Beschluß der Bundesregierung und vor allem damit, daß sie wegen der gelungenen technischen Vorbereitungen nunmehr sehr rasch in den Genuß dieser Zahlung kommen, außerordentlich zufrieden sind. Ich meine, daß die Beamten gar keine Angst haben — so, wie Sie es darstellen.Nun, Herr Kollege Schoettle, folgendes! Sie stoßen sich aus haushaltsmäßigen Gründen daran, daß, wenn ein Vorschuß gewährt wird, verwaltungsmäßige Schwierigkeiten entstehen, Verrechnungen notwendig werden usw.; man solle doch eine einmalige Zahlung daraus machen. Sie wissen ganz genau, daß wir das gar nicht mehr vermögen. Das müßte durch einen Gesetzgebungsakt erfolgen. Durch Zustimmung des Haushaltsausschusses, daß diese Ausgabe getätigt werden kann, wird eine einmalige Leistung zu einem Bestandteil einer Besoldungsregelung für ein Jahr. Mit einer solchen schlechten Übung sollten wir gar nicht beginnen, sondern wir sollten uns darüber im klaren sein, daß es eine ernst zu diskutierende Frage ist, ob man eine Regelung mit solchen Bestandteilen, die gleichmäßig für jeden, ohne jede Differenzierung, gegeben werden — obwohl die Differenzierung sonst ein wesentlicher Bestandteil ,des Besoldungsrechtes ist —, im Interesse der Berufsbeamten überhaupt machen kann. Ob die das wünschen, ist die große Frage. Wenn wir in diesem Fall mit einer kleinen Sünde anfingen, würden wir vielleicht mit einer großen aufhören. Vor Weihnachten möchte ich das nicht empfehlen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; die Aussprache ist geschlossen.
Es ist beantragt, die Vorlage an den Ausschuß für Inneres — federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Die Herren Fraktionsgeschäftsführer haben vereinbart, daß Punkt 6 von der' Tagesordnung abgesetzt werden soll, weil offensichtlich Aussicht besteht, daß man sich hier einigt.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD
und FDP betreffend Wahl der Mitglieder des
Wahlprüfungsausschusses .
Der Antrag Drucksache IV/31 liegt Ihnen vor. Ich brauche ihn wohl nicht zu verlesen. Wer damit einverstanden ist, daß die dort aufgeführten Abgeordneten Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses werden sollen, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; die betreffenden Damen und Herren sind damit gewählt.
Wir sind damit am Ende unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 6. Dezember 1961, 9 Uhr.
Ich schließe die heutige Sitzung.