Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich gratuliere der Frau Kollegin Dr. Bleyler zum heutigen Geburtstag.
Meine Damen und Herren, es besteht eine interfraktionelle Vereinbarung, daß die Erste Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Getreidegesetzes — Drucksache 1375 — auf die Tagesordnung für heute gesetzt werden soll. Einverstanden? --
— Das Haus ist einverstanden. Dieser Punkt wird in die Tagesordnung aufgenommen.
Der Schriftliche Bericht des Außenhandelsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Neunten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1959 — Drucksachen 1365, 1380 — soll nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ebenfalls auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gesetzt werden, und zwar nach der Fragestunde. — Das Haus ist damit einverstanden.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde .
Ich rufe zunächst die Frage des Abgeordneten Wittrock betr. die Gefährdung der Rheinschiffahrt auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei Niedrigwasser des Rheins, insbesondere bei Bingen und bei Kaub, gefährliche Stromschnellen und Felsbarrieren die Schiffahrt wesentlich behindern?
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung einleiten, um diese Gefährdung der Rheinschiffahrt zu beseitigen?
Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Behinderung der Rheinschiffahrt bei Niedrigwasser in der sogenannten Gebirgsstrecke, insbesondere beim Binger Loch, ist bekannt. Um diese Schwierigkeit zu beseitigen, wird die Möglichkeit einer Vertiefung des Fahrwassers zwischen Mannheim und St. Goar von 1,70 m auf 2,10 m Fahr-
tiefe mit ihren dabei zu erwartenden Folgeerscheinungen untersucht.
Im Vierjahresplan für den Ausbau der Binnenwasserstraßen sind für diesen Zweck 400 000 DM vorgesehen. Die Kosten für die Ausführung der geplanten Baumaßnahmen werden sich auf insgesamt etwa 90 Millionen DM stellen, wovon 40 Millionen DM auf die Strecke beim Binger Loch entfallen. Für die Bauzeit sind nach Beginn etwa fünf Jahre veranschlagt.
Eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Wittrock!
Herr Staatssekretär, läßt sich übersehen, wann mit den Bauarbeiten begonnen werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist vorgesehen, daß die Voruntersuchungen im Jahre 1961 beginnen, dann also die 400 000 DM für die förmlichen Voruntersuchungen in Anspruch genommen werden. Wann mit den Bauarbeiten begonnen werden kann und wird, hängt natürlich von dem Ergebnis der Voruntersuchungen ab. Wahrscheinlich sind dafür auch noch internationale Verhandlungen über eine etwaige Mitbeteiligung der Ausländer an den Gesamtkosten erforderlich, da die Strecke zu 50 % von Ausländern befahren wird.
Ich rufe auf die weitere Frage des Herrn Abgeordneten Wittrock betreffend die Versuche, künstlich Regen zu erzeugen:
Hält die Bundesregierung es nach einem in Wiesbaden erfolgreich durchgeführten Versuch, auf künstlichem Wege Regenfälle zu bewirken, für angebracht und nach sonstigen Erfahrungen für wirtschaftlich vertretbar, diese Möglichkeit einer künstlichen Bewässerung für Notstandsfälle zu fördern?
Wird die Bundesregierung gegebenenfalls die hierfür notwendigen organisatorischen und technischen Voraussetzungen schaffen?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Deutsche Wetterdienst hat die zur Zeit des Experiments von Wiesbaden herrschende Wetterlage und die Niederschlagstätigkeit dieses Tages untersucht. Er hat dabei festgestellt,
Metadaten/Kopzeile:
4872 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Staatssekretär Dr. Seiermanndaß der Versuch bei einer Wetterlage stattfand, die für eine Erfolgsprüfung wenig geeignet war.Es ist richtig, daß durch sogenanntes Impfen von Wolken Regenfälle bei günstigen Voraussetzungen ausgelöst werden können. Voraussetzung ist aber, daß Regenwolken bereits vorhanden sind,
daß also eine entsprechende Wetterlage gegeben ist. Ohne eine solche Wetterlage und ohne Regenwolken lassen sich künstliche Niederschläge nicht erzeugen. Die Kosten des „Impfens" sind nicht unerheblich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wittrock!
Wird die Bundesregierung in Erwägung ziehen, einmal vom Wetterdienst her die organisatorischen Voraussetzungen zu prüfen und auch die mit dem Problem zusammenhängenden Rechtsfragen zu untersuchen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung verfolgt bereits seit Jahren die groß angelegten Versuche, wie sie z. B. in den Vereinigten Staaten in den Jahren bis 1957, glaube ich, durchgeführt worden sind, dort aber auch mit einem Ergebnis, das nicht besser ist als jenes des sogenannten Wiesbadener Versuchs, den ich Ihnen zuvor kurz skizziert habe.
Darüber hinaus sind wir an den in Oberbayern stattfindenden Versuchen unmittelbar beteiligt. Wir stellen den führenden Meteorologen für diese Versuche, und wir verfolgen auch sonst im Rahmen der regulären Tätigkeit des Wetterdienstes die Zusammenhänge zwischen Wettermachen und Wetterbeobachten auf das genaueste.
Danke schön!
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage des Abgeordneten Schmitt betreffend Behörden-Kennzeichen für Kraftfahrzeuge auf:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Noch eine Frage? — Nicht.
Noch einmal der Abgeordnete Schmitt . Seine zweite Frage betrifft Lärmbelästigung durch Kraftfahrzeuge:
Was unternimmt die Bundesregierung bzw. das KraftfahrtBundesamt, um bei der Zulassung von Fahrzeugtypen, insbesondere von Zweirädern, die Lärmbelästigung soweit irgend vertretbar zu mindern?
Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Die Bundesregierung hat im Rahmen der ihr obliegenden Aufgaben die erforderlichen Bestimmungen in der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung und mit den Richtlinien für die Geräuschmessung an Kraftfahrzeugen und Anhängern erlassen. Das Kraftfahrt-Bundesamt sorgt bei der Typenprüfung der Kraftfahrzeuge für die Beachtung dieser Vorschriften und trägt die zugelassenen Werte in die Kraftfahrzeugscheine ein. Die Überwachung der in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuge auf Einhaltung dieser Vorschriften ist Sache der Länder und ihrer Polizeiorgane.
Keine Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4873
Präsident D. Dr. GerstenmaierFrage des Abgeordneten Koch betreffend Lärmbelästigung durch Kraftfahrzeuge:Was gedenkt der Herr Bundesverkehrsminister zu tun, um die vielenorts fast unerträglich gewordene Belästigung durch den Verkehrslärm — hauptsächlich verursacht durch Krafträder, Mopeds und Lastkraftwagen — auf ein erträgliches Maß herabzumindern?Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Wie ich bei der vorangegangenen Frage bereits ausgeführt habe, sind die erforderlichen und nach dem Stand der technischen Entwicklung ausreichenden Vorschriften in der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung und in der Straßenverkehrsordnung erlassen. Ich habe auch darauf hingewiesen, daß die Überwachung der Vorschriften Aufgabe der Länder und der von ihnen eingesetzten Polizeiorgane ist.
Zusatzfrage?
Wann glauben Sie, Herr Staatssekretär, ein erstes Ergebnis der Arbeiten des von Ihnen einzusetzenden Ausschusses vorlegen zu können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Ausschuß ist im Oktober dieses Jahres gebildet worden, und ich glaube nicht, daß vor sechs Monaten mit konkreten Vorschlägen zu rechnen sein wird.
Zusatzfrage? — Keine.
Frage des Herrn Abgeordneten Mischnick betreffend Autobahnverbindung zwischen Bad Hersfeld und Würzburg:
Wann ist mit dem Bau einer Autobahnverbindung zwischen Bad Hersfeld und Würzburg zur Entlastung der Autobahn Kassel—Frankfurt—München zu rechnen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Autobahnstrecke Hersfeld-Würzburg ist in dem Gesetz über den Ausbauplan der Bundesfernstraßen vom 27. Juli 1957 in die sogenannte dritte Baustufe eingereiht. Mit den Arbeiten an den in diese Stufe eingereihten Autobahnstrecken wird im zweiten Vierjahresabschnitt, also ,ab 1963, begonnen.
Zusatzfrage? — Keine Zusatzfrage.
Frage des Herrn Abgeordneten Memmel betreffend Schritte der Deutschen Botschaft im Falle Podola:
Welche Beweggründe hatte die Deutsche Botschaft in London dafür, gerade im Falle Podola tätig zu werden und damit einseitig in das auch in England umstrittene Problem „Todesstrafe" einzugreifen?
Zur Beantwortung der Bundesminister für Bundesratsangelegenheiten in Vertretung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen.
Die Deutsche Botschaft in London hat im Rahmen ihrer gesetzlichen Beistandspflicht auf Bitten des Verteidigers das von ihm eingereichte Gnadengesuch für den deutschen Staatsangehörigen Günther Podola aus menschlichen Gründen unterstützt. In diesem Vorgehen der Botschaft kann ein Eingreifen in das in Großbritannien umstrittene Problem der Todesstrafe nicht gesehen werden.
Zusatzfrage? Memmel : Ich verzichte, danke.
Frage der Abgeordneten Frau Dr. Hubert betreffend Ratifizierung des europäischen Abkommens über den Austausch von therapeutischen Substanzen menschlichen Ursprungs:
Wie weit sind die vorbereitenden Arbeiten für die Ratifizierung des am 15. Dezember 1958 von der Bundesregierung unterzeichneten europäischen Abkommens über den Austausch von therapeutischen Substanzen menschlichen Ursprungs fortgeschritten?
Wann wird mit einer entsprechenden Vorlage im Bundestag gerechnet?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder in Vertretung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen.
Von den beteiligten Ressorts mußte zunächst geklärt werden, ob für die Ratifizierung dieses Abkommens die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erforderlich ist. Die inzwischen abgeschlossenen Untersuchungen haben ergeben, daß die Ratifizierung nicht ohne vorherige Verabschiedung eines Zustimmungsgesetzes erfolgen kann, da sich die vertragschließenden Parteien nach Art. 5 des Abkommens verpflichten, alle Maßnahmen, also auch gesetzgeberische, zu ergreifen, um therapeutische Substanzen menschlichen Ursprungs von allen Einfuhrzöllen freizustellen. Der Entwurf eines Zustimmungsgesetzes wird gegenwärtig vorbereitet und nach seiner Fertigstellung den gesetzgebenden Körperschaften unverzüglich vorgelegt werden.
Zusatzfrage?
Ja! Die Frage ist noch nicht beantwortet, wann mit der entsprechenden Vorlage gerechnet werden kann. Ist dafür keine Zeit abzusehen?
Ich bin nicht befugt, einen genauen Termin zu nennen. Die Arbeiten sind aber sehr weit fortgeschritten.
Keine weitere Zusatzfrage? —
Metadaten/Kopzeile:
4874 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Präsident D. Dr. GerstenmaierFrage der Abgeordneten Frau Herklotz betreffend grenznahen Grundbesitz pfälzischer Familien in Frankreich:Ist der Bundesregierung bekannt, daß entlang der deutschfranzösischen Grenze in der Pfalz pfälzische Familien sogenannten grenznahen Grundbesitz in Frankreich hatten, der ihnen nach dem Kriege durch ein französisches Gesetz genommen wurde?Ist der Bundesregierung weiterhin bekannt, daß von der französischen Regierung große Flächen dieses Grundbesitzes an französische Staatsbürger verkauft wurden?Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um wenigstens einen Teil dieses Grundbesitzes den rechtmäßigen deutschen Eigentümern wieder zuzuführen?Wie und wann sollen die früheren deutschen Eigentümer, die ihren Besitz nicht zurückerhalten können, entschädigt werden?Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder in Vertretung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen.
Der grenznahe deutsche Grundbesitz in Frankreich unterliegt als Teil des deutschen Privatvermögens in Frankreich — —
Einen Augenblick, Herr Bundesminister!
Ist Frau Abgeordnete Herklotz nicht da? Sie hat sich auch nicht vertreten lassen? — Die Frage wird nicht mündlich beantwortet. Ich bedanke mich.
Frage des Herrn Abgeordneten Bauer betreffend Umwandlung des Beobachter-Status in der Belgrader Donau-Konvention in eine ordentliche Mitgliedschaft:
Welche Gründe halten die Bundesregierung davon ab, den Beobachter-Status in der Belgrader Donau-Konvention durch regulären Beitritt in eine ordentliche Mitgliedschaft innerhalb dieses Gremiums umzuwandeln, und ist sie bereit, ihren bisherigen Standpunkt zu revidieren?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder in Vertretung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen.
Ist der Herr Abgeordnete Bauer da?
— Bitte sehr.
Zu dem ausführenden Organ der Belgrader Donau-Konvention, der in Budapest ansässigen Donau-Kommission, werden zur Aufrechterhaltung der deutschen Donauflotte technische Kontakte unterhalten. Es muß verständlich erscheinen, daß für die Bundesregierung in dieser Frage mancherlei Überlegungen, nicht zuletzt die Tatsache, daß die Bundesrepublik zu der Mehrzahl der Mitgliedstaaten der Belgrader Konvention keine diplomatischen Beziehungen unterhält, von Bedeutung sind. Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung auf diesem Gebiet laufend und hält es nicht für ausgeschlossen, zu einem späteren, geeigneteren Zeitpunkt die Frage einer Änderung des derzeitigen Zustandes eingehend zu untersuchen. .
Zusatzfrage?
Ist dem Bundesministerium des Auswärtigen bekannt, daß es von unserem Nachbarstaat Österreich begrüßt würde, wenn die Bundesrepublik Mitglied würde, und ist man im Auswärtigen Amt nicht der Ansicht, daß die Ausübung eines Einflusses dadurch besser gewährleistet wäre als durch einen Beobachter-Status?
Ich beschränke mich auf die gegebene Antwort.
Keine Zusatzfrage. —
Frage des Abgeordneten Schmitt betreffend Gesetzesinitiative der Bundesregierung:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß im Falle einer Gesetzesänderung, die sie als berechtigt anerkennt, vom Bundeswirtschaftsministerium mit Verbänden entsprechende Gespräche geführt werden, die ihren Niederschlag dann in einem Rundbrief eines Verbandes an alle Abgeordneten finden, in dem die Bitte ausgesprochen wird, den übersandten Gesetzentwurf als Initiativantrag einzubringen?
Ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß sie selbst verpflichtet ist, entsprechende gesetzliche Vorlagen einzubringen, wenn sie gesetzliche Änderungen für sachlich geboten hält?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Wohnungsbau in Vertretung des Herrn Bundesministers für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Bundeswirtschaftministerium hat keine Gespräche mit Wirtschaftsverbänden geführt, die das in der Anfrage erwähnte Vorgehen eines Verbandes zum Ziele gehabt hätten. Ein solches Vorgehen müßte auch bei Gesetzesänderungen, die die Bundesregierung sachlich für geboten hält, in jedem Fall mißbilligt werden.
In dem Falle, der offenbar Anlaß zu dieser Frage gegeben hat, hatte der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband unter Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs angeregt, die im Gaststättengesetz enthaltene dreißigjährige Befristung der Schankerlaubnis für juristische Personen aufzuheben. Der zuständige Referent des Bundesministeriums für Wirtschaft hat dieses Anliegen in der Sache gebilligt, dem Verband jedoch mitgeteilt, daß eine solche Gesetzesänderung von dem Ministerium nur im Zusammenhang mit anderen in Vorbereitung befindlichen Änderungen des Gaststättengesetzes verfolgt werden könne.
Da der Verband jedoch eine Vorwegregelung der erwähnten Einzelfrage anstrebte, mußte es ihm überlassen bleiben, sein Anliegen anderweit zu verfolgen. Daraus, daß sich der Verband hierbei an Abgeordnete des Deutschen Bundestages gewandt hat, dürfte kein Vorwurf gegen das Bundesministerium für Wirtschaft abgeleitet werden.
Eine Zusatzfrage?
Ich darf daraus entnehmen, daß der Verband seine Verhandlungen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4875
Schmitt
mit dem Ministerium in seinem Brief an die Mit-glieder des Hauses nicht richtig wiedergegeben hat?
Keine Antwort.
Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel betreffend Doppelstecker:
Betrachtet die Bundesregierung das Verlangen des Verbandes Deutscher Elektrotechniker als berechtigt, wonach ab 1. November 1959 deutsche Firmen künftighin Doppelstecker mit dem Gütezeichen des VDE nicht herstellen sollen?
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß diese „Vorschrift" des VDE gesetzlich verpflichtende Kraft besitzt und sich mit dem Grundgesetz im Einklang befindet?
Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um den berechtigten Interessen der breiten Masse der Verbraucher gerecht zu werden, die sich von dieser „Vorschrift" eines privatrechtlichen Verbandes überfahren fühlen?
Welche Stellung nimmt die Bundesregierung zu der Behauptung des VDE in bezug auf zahlreiche Unglücksfälle, die auf die Benutzung von Doppelsteckern zurückzuführen sein sollen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Wirtschaft, in Vertretung der Herr Bundesminister für Wohnungsbau!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel darf ich wie folgt beantworten. Die von dem Verband Deutscher Elektrotechniker — VDE — aufgestellte sicherheitstechnische Regel, wonach Abzweigstecker vom i . November 1959 an nicht mehr dem Stand der Elektrotechnik entsprechen und deshalb künftig nicht das VDE-Prüfzeichen erhalten können, ist berechtigt.
Der VDE ist der technisch-wissenschaftliche Fachverband, der seit mehr als 60 Jahren die anerkannten Regeln der Elektrotechnik in freiwilliger Zusammenarbeit mit allen beteiligten Kreisen einschließlich der Behörden als Vertreter der Öffentlichkeit mit Erfolg entwickelt.
Die nach § i der zweiten Durchführungsverordnung zum Energiewirtschaftsgesetz vom 31. 8. 1937 aufgestellte Regel hat keine unmittelbare rechtliche Wirkung. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz ist in diesem Zusammenhang nicht festzustellen.
Die Regel dient dem Schutz der Verbraucher elektrischen Stromes gegen Lebens-, Gesundheits- und Brandgefahren. Der VDE wird gebeten, in Zukunft mehr noch als bisher vor Herausgabe neuer Regeln, die weite Kreise der Verbraucher betreffen, zur Aufklärung der Bevölkerung durch Presse und Rundfunk beizutragen.
Über die Zahl der Unfälle durch Abzweigstecker besteht keine besondere Statistik. Jedoch sind nachweisbar in den letzten fünf Jahren sechs tödliche Unfälle eingetreten. Aber nicht die unmittelbare Zahl der Unfälle ist entscheidend. Vielmehr verlangt allein schon der vorbeugende Gefahrenschutz die in Rede stehende Regelung.
Eine Zusatzfrage?
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der Maßnahmen des VDE, wenn sie berücksichtigt, daß in der Bundesrepublik 13,9
Millionen Wohnungen mit zusammen etwa 42 Millionen Wohnräumen vorhanden sind, wenn also bei Annahme auch nur einer neuen Brennstelle pro Raum 42 Millionen Mal entsprechende Anschaffungen gemacht werden müssen, die bei Zugrundelegung eines Durchschnittspreises von nur 10 DM pro Raum einen Kostenaufwand von etwa 420 Millionen DM verursachen? Sollen die Mieter und die Eigentümer von Einfamilienhäusern diese Kosten tragen, Herr Minister?
Lücke, Bunde te r für Wohnungsbau : Herr
Kollege Ritzel, ich stehe hier in Vertretung des verhinderten Kollegen Erhard. Ich werde veranlassen, daß diese Frage schriftlich beantwortet wird.
Eine zweite Zusatzfrage?
Ich muß angesichts der Erklärung des Herrn Wohnungsbauministers auf die zweite Zusatzfrage verzichten, Herr Präsident; denn dann wird der Herr Minister dasselbe sagen. Aber ich lege in aller Form gegen die Mißachtung der Rechte des Parlaments in diesem Zusammenhang die schärfste Verwahrung ein.
Herr Abgeordneter, wir sind in der Fragestunde! Sie hätten sich zur Geschäftsordnung zum Wort melden müssen. — Aber wir haben es auch so gehört.
— Ich hoffe, daß wir in dieser Sache irgendwie Abhilfe schaffen können.
Ich rufe die Frage des Herrn Abgeordneten Simpfendörfer betreffend Behördenhandel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß ein Beamtenverein in einem umfangreichen Katalog verbilligte Einkaufsmöglichkeit, u. a. Uhren bis zu 45 v. H. und Photoartikel his zu 15 v. H. enter Ladenpreisen, anbietet?
Weiß die Bundesregierung, daß als Bezugsquelle auf einen Angehörigen der Zollfahndungsstelle Stuttgart und des Zollamtes Waiblingen hingewiesen wird?
Wie stellt sich die Bundesregierung mit ihrem mittelstandserhaltenden Programm zu einem solchen mittelstands- und steuerschädigenden Verhalten einer Bundesbehörde, und was gedenkt sie dagegen zu tun?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Wohnungsbau in Vertretung des Herrn Bundesministers für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Simpfendörfer wie folgt beantworten:Die Vermittlung verbilligten Wareneinkaufs durch Beamtenvereine ist nur insoweit verboten, als sie gegen gesetzliche Vorschriften, z. B. das Rabattgesetz, oder gegen den Erlaß des Bundesministers des Innern über Behördenhandel vom 28. 11. 1952 — Gemeinsames Ministerialblatt 1953 Nr. 35 Seite 560 — verstößt. Ob solche Verstöße vorliegen, muß im Einzelfall geprüft werden.
Metadaten/Kopzeile:
4876 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Bundesminister LückeDie erst verspätet eingegangenen Unterlagen über den der Anfrage zugrunde liegenden Einzelfall sind dem zuständigen Bundesminister des Innern zur Prüfung übersandt worden.Im übrigen darf ich auf die zur Zeit laufenden Beratungen des Ausschusses für Mittelstandsfragen des Deutschen Bundestages über den Betriebs- und Belegschaftshandel verweisen.
Zusatzfrage!
Wie hat sich diese Empfehlung des Ministeriums, daß der Belegschaftshandel bei den Behörden auf ein Mindestmaß zu beschränken ist, ausgewirkt, Herr Minister?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da ich hier in Vertretung des Kollegen Erhard spreche, bin ich auf Zusatzfragen nicht vorbereitet; ich werde sie schriftlich beantworten lassen.
Ich rufe die nächste Frage — des Herrn Abgeordneten Dr. Brecht — auf betreffend Zinsverbilligungsmaßnahmen des Wohnungsbaurninisters im Rahmen der Aktionen „Junge Familie" und „Besser und schöner wohnen":
iWas gedenkt die Bundesregierung zu tun, um in den beiden
Aktionen „Besser und schöner wohnen" und „Junge Familien" entsprechend einer in der Öffentlichkeit erhobenen Kritik zu erreichen, daß „nicht nur eine kleine, wirtschaftlich gutgestellte Bevölkerungsgruppe im Rahmen dieser Aktionen zu einem Eigenheim gelangt", sondern auch diejenigen, bei denen °nur normale Einkommensverhältnisse" vorliegen.
Ist die Bundesregierung bereit, zu diesem Zweck die unterschiedlichen Bedingungen der beiden Aktionen zu vereinheitlichen und die Dauer der Zinsverbilligung zu verlängern?
Zur Beantwortung der Herr Wohnungsbauminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Brecht wie folgt beantworten.
Die Aktion „Junge Familie" ist nach den Berichten der Spitzenverbände der Sparkassen und Kreditgenossenschaften gut und offensichtlich mit großer Breitenwirkung angelaufen. Die am 11. Februar 1959 zur Verfügung gestellten Zinszuschußkontingente in Höhe von insgesamt 2,4 Millionen DM sind durch Zusagen bereits voll belegt. Es ist damit zu rechnen, daß über den im Haushalt 1959 bereitgestellten Betrag von 5 Millionen DM bis zum Ende des Rechnungsjahres ganz oder fast ganz verfügt sein wird. Dies beweist meines Erachtens hinreichend, daß „nicht nur eine kleine, wirtschaftliche gut gestellte Bevölkerungsgruppe über die Aktion ,Junge Familie' zu einem Eigenheim gelangt". Es ist auch nicht beabsichtigt, die Dauer der Zinsverbilligung bei der Aktion „Junge Familie" zu verlängern, zumal den besonderen Bedürfnissen der Bauherren mit geringem Einkommen, die Sie wohl besonders im Auge haben, Herr Kollege Brecht, bereits durch das Zweite Wohnungsbaugesetz Rechnung getragen wird.
Die Aktion „Besser und schöner wohnen" ist als Zuschußmaßnahme erst vor einem Vierteljahr angelaufen. Ein abschließendes Urteil darüber, ob eine Angleichung der Bedingungen für diese Maßnahme an die Bedingungen der Aktion „Junge Familie" geboten ist, ist daher noch nicht möglich. Die Bundesregierung wird jedoch selbstverständlich die Frage der Vereinheitlichung beider Förderungsmaßnahmen prüfen und entscheiden, sobald ausreichende Erfahrungen vorliegen.
Zusatzfrage!
Geht die Bundesregierung dabei davon aus, daß bei diesen beiden Maßnahmen zwar keine Familienzusatzdarlehen verwendet werden, sehr wohl aber öffentliche Darlehen im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das isst der Bundesregierung bekannt.
Zweite Zusatzfrage!
Ist ihr auch bekannt, daß aus der Praxis, und zwar in diesem Falle vor allem von den Baugenossenschaften des Siedlungswerkes „Neue Heimat" in Karlsruhe, immer wieder der Wunsch vorgebracht wird. beide Maßnahmen zu vereinheitlichen und die Zinsverbilligung zu verlängern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage wird geprüft, und zu gegebener Zeit werden wir wohl im Sinne Ihrer Überlegungen entscheiden.
Es folgt die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Brecht betreffend Richtlinien für die Gewährung von Zinszuschüssen für Wohnungsbaudarlehen:Beabsichtigt die Bundesregierung, die Aufsplitterung der öffentlichen Mittel für die Förderung des Wohnungsbaues in zahlreiche Einzel- und Teilmaßnahmen künftig noch weiter fortzusetzen und dadurch zu steigern, daß auch noch für die Gewährung von Zinszuschüssen mehrere und voneinander abweichende „Richtlinien° erlassen werden?Könnten nicht alle schon bisher erlassenen und weiterhin geplanten Teilmaßnahmen in einer einzigen Richtlinie fiber die Gewährung von Zinszuschüssen zusammengefaßt werden, um bei der Hergabe von Darlehen für den Wohnungsbau die Auswüchse zu vermeiden, die seit langem — aber erfolglos — beanstandet werden?Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.Lücke.Bundesminister für Wohnungsbau: Die erste Teilfrage des Herrn Kollegen Dr. Brecht darf ich mit nein beantworten.Zum zweiten Teil der Frage darf ich folgendes ausführen. Darüber hinaus bleibt die Bundesregierung bemüht, soweit das irgend möglich ist, ein einheitliches Wohnungsbau- und Finanzierungsprogramm nach einheitlichen Richtlinien zu erreichen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4877
Bundesminister LückeNaturgemäß muß dabei aber sichergestellt werden, daß im Enderfolg auch die Zweckbestimmung der Mittel erfüllt wird. Ich erinnere an die Unterbringung der Sowjetzonenflüchtlinge. Das ist in gewissem Umfange nun einmal ohne besondere Bestimmungen und Auflagen bei der Verteilung der Mittel nicht möglich. Die gleichen Gesichtspunkte gelten auch für die Gewährung von Zinszuschüssen.
Eine Zusatzfrage!
Können Sie nicht davon ausgehen, Herr Minister, daß bei der Gewährung von Zinszuschüssen der gleiche wirtschaftliche Sachverhalt zugrunde liegt? Das heißt also, daß für Kapitalmarktmittel Zinszuschüsse gewährt werden sollen, gleichgültig, für welchen Zweck die Wohnungen verwendet werden. Es ist doch unverständlich, daß heute bereits vier oder fünf Zuschußaktionen nebeneinander bestehen, die sehr wohl vereinheitlicht werden könnten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Brecht, Sie kennen den gemeinsamen Erlaß des Vertriebenenministeriums, des Finanzministeriums und meines Hauses, der dahin geht, den Ländern die Möglichkeit zu geben, im Rahmen eines einheitlichen Programms auch diese Maßnahmen durchzuführen. In dieser Richtung werden wir fortfahren.
Letzte Zusatzfrage!
Ist dem Herrn Minister bekannt, daß dieser berühmte Erlaß vom 3. August — er wird vom Herrn Vertriebenenminister etwas anders ausgelegt — in der Praxis unwirksam ist, solange der Ersttausch von Wohnungen, die mit Aufbaudarlehen aus dem Lastenausgleich erstellt sind, verboten ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es handelt sich hier um eine sehr schwierige Materie. Der erste Erlaß hat bei seiner Durchführung Schwierigkeiten mit sich gebracht. Wir arbeiten daran, das Verfahren zu verbessern.
Es folgt die Frage des Abgeordneten Höhmann betreffend Schulbauplatz der Stadt Waldkappel im Kreise Eschwege:
Ist dem Herrn Bundeswohnungsbauminister bekannt, mit welchen Methoden der Stadt Waldkappel im Kreise Eschwege am 15. März 1944 ein als Schulbauplatz deklariertes, ca. 10 000 qm großes Baugrundstück zugunsten der Siedlungsgesellschaft der sogenannten Deutschen Arbeitsfront ,Neue Heimat" abgepreßt wurde?
Welche Wege sieht die Bundesregierung, dieses Unrecht wiedergutzumachen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf dem Herrn Abgeordneten Höhmann wie folgt antworten.
Aus dem Schriftwechsel mit der Gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsbaugesellschaft mbH, Kassel — Gewobag Kassel, jetzt Tochtergesellschaft der „Neuen Heimat", Hamburg — ist bekanntgeworden, daß die Stadtverwaltung Waldkappel während des Krieges der Gewobag, Kassel, die damals eine Tochtergesellschaft der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront war, ein für Schulbauzwecke vorgesehenes Grundstück zur Errichtung von Behelfsheimen — sogenannte Finnenhäuser — verkauft hat. Die Behelfsheime sollten nach Angaben der Stadt Waldkappel Familien von Funktionären der NSDAP als Ausweichquartiere während des Krieges dienen. Glaubwürdig sind die weiteren Angaben, daß die Kaufverhandlungen unter politischem Druck stattfanden.
Der Gewobag wurde damals ein Reichsbaudarlehen in Höhe von 304 000 RM zur Errichtung von Behelfsheimen auf dem erworbenen Baugrund gewährt. Die Behelfsheime wurden nicht erstellt, da die Fertigteile für die Bauten auf dem Transport nach Waldkappel während eines Luftangriffs zerstört worden sind.
Die Stadt Waldkappel bemüht sich um den Rückerwerb des Grundstücks von der Gewobag. Diese macht die Rückübertragung von der Bedingung abhängig, daß die Stadt an Stelle der Entrichtung eines Kaufpreises das der Gewobag für die Errichtung der Behelfsheime gewährte Reichsbaudarlehen von 304 000 RM — umgestellt auf 30 400 DM — übernimmt. Hierzu ist die Zustimmung versagt worden, weil das Darlehen, das bestimmungsgemäß der Förderung des Wohnungsbaues dienen muß, nicht nachträglich einem anderen Schuldner, nämlich der Stadt Waldkappel, für Schulbauzwecke überlassen werden kann.
Ob das Darlehen ausnahmsweise für einen anderen Zweck verwendet und der Stadt Waldkappel zu günstigen Bedingungen überlassen werden kann, wird zusammen mit dem Finanzministerium geprüft. Ich hoffe, Ihnen dann unverzüglich eine Antwort geben zu können.
Eine Zusatzfrage? — Keine Zusatzfrage.
Frage des Herrn Abgeordneten Lohmar betreffend Abdruck der drei Strophen des Deutschlandliedes in einem Kommentar zum Grundgesetz.
Wie stellt sich die Bundesregierung zu der Tatsadie, daß der leitende Beamte im Bundesinnenministerium Dr. R. W. Füsslein jetzt im Verlag Lutzeyer einen von ihm verfaßten und als Volks- und Schulausgabe deklarierten Kommentar zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erscheinen ließ, in dem eingangs alle drei Strophen des Deutschlandliedes unter der irreführenden Bezeichnung „Nationalhymne" abgedruckt worden sind?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte dem Herrn Kollegen antworten, daß die Bundesregierung zu der von ihm angeführten Tatsache keine Stellung nimmt.Ich darf vielleicht darauf hinweisen, Herr Kollege, daß sich der einschlägige Briefwechsel zwischen dem
Metadaten/Kopzeile:
4878 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Bundesminister Dr. SchröderHerrn Bundeskanzler und dem Herrn Bundespräsidenten im Bulletin der Bundesregierung vom 6. Mai 1952 findet unter der Überschrift: „Das Deutschlandlied ist Nationalhymne".
Keine Zusatzfrage.
In Vertretung des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt fragt der Herr Abgeordnete Jahn wegen des Erlasses des Herrn Bundesministers des Innern vom 28. August 1959 betreffend Beflaggung der Dienstgebäude des Bundes.
Hält die Bundesregierung es für vereinbar mit dem Grundgesetz, dem Bundesgesetz über das Bundesverfassungsgericht und dem Rang des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan, daß sie durch ihren Erlaß vom 28. August 1959 über die Beflaggung der Dienstgebäude des Bundes den — ihrer Dienstaufsicht nicht unterstehenden — Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts mit der Verwaltungsaufgabe beauftragt, im Lande Baden-Württemberg und in der Stadt Karlsruhe die Beflaggung der Dienstgebäude des Bundes anzuordnen, und daß sie dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung erteilt, wann das Bundesverfassungsgericht im allgemeinen und wann es auf Weisung des Bundesinnenministers zu flaggen hat?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf darauf folgendes antworten:
Nach dem Erlaß der Bundesregierung über die Beflaggung der Dienstgebäude des Bundes vom 28. August 1959 liegt die Befugnis, die Beflaggung aus regionalen und örtlichen nichtpolitischen Anlässen zu veranlassen, bei dem jeweils höchsten leitenden Bundesbeamten oder -richter. Damit wird eine schnelle und reibungslose Durchführung der oft kurzfristig anzuordnenden Beflaggung gewährleistet. Die Bundesregierung hat sich unter Berücksichtigung der Verfassungsordnung und des Ranges, der dem Bundesverfassungsgericht als Verfassungsorgan zukommt, vor Herausgabe des Erlasses mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts in Verbindung gesetzt. Dieser hat sich mit der im Erlaß vorgesehenen Ausübung der Befugnis als einer zweckmäßigen Regelung ausdrücklich einverstanden erklärt. Es kann daher nicht davon gesprochen werden, daß die Bundesregierung den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts beauftragt habe oder ihm Anordnungen erteile.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, diese Erklärung ist ja wohl nicht ganz überzeugend; denn in dem Erlaß steht ausdrücklich, daß hier dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts eine Aufgabe übertragen wird. Ich muß Sie deshalb doch noch einmal fragen, ob sich die Bundesregierung nicht bewußt ist, daß das Bundesverfassungsgericht ein unabhängiges und dem Bundestag und der Bundesregierung durchaus gleichberechtigtes Verfassungsorgan ist, dem Sie keine Weisungen erteilen können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort habe ich vorweggenommen, Herr Kollege.
Die Antwort lautet, daß im Einverständnis mit dem Präsidenten so gehandelt worden ist.
Soll ich daraus entnehmen, Herr Minister, daß Sie nicht bereit sind, diesen Flaggenerlaß insoweit zu ändern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
Herr Abgeordneter Felder fragt nach dem Ausländerlager bei Zirndorf.
Ist dem Herrn Bundesinnenminister bekannt, daß die der Stadt Zirndorf für das dortige Ausländerlager des Bundes zugesagte Begrenzung der Aufnahmekapazität auf 500 bis höchstens 700 Personen auch nach der Fertigstellung der vom Bund beschlossenen Erweiterungsbauten unmöglich garantiert werden kann, wenn die Asylverordnung vom 6. Januar 1953 unverändert bleibt?
Ist der Herr Bundesinnenminister bereit, raschmöglichst eine Konferenz aller Beteiligten einzuberufen, um endlich eine Klärung der immer noch in scharfem Widerstreit befindlichen Zuständigkeitsfragen hinsichtlich der Kosten, der Verbesserung des Sicherheitszustandes und der Begriffsauslegung „Lagerbezirk" zu erreichen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, die Antwort ist leider etwas länger, als ich es gern sähe; aber das liegt an der Kompliziertheit des Gegenstandes.In den Lagern Nürnberg und Zirndorf befanden sich Ende Oktober dieses Jahres insgesamt 689 Asylsuchende gegenüber 1059 zu Beginn dieses Jahres. Diese Zahl wird bis zur Fertigstellung der Neubauvorhaben im Lager Zirndorf weiter absinken. Das Absinken der Belegungsstärke ist auf die Verwaltungsmaßnahmen zurückzuführen, die der Bund im Einvernehmen mit den Ländern sowie den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege getroffen hat. Danach werden alle Ausländer, die für das Anerkennungsverfahren nicht mehr benötigt werden — d. h. spätestens nach drei Monaten —, entweder in den Arbeitsprozeß eingegliedert oder, soweit sie nicht arbeitsfähig sind, in Heimen untergebracht. Mit dieser Regelung ist es auch gelungen, diejenigen Ausländer außerhalb des Lagers unterzubringen, denen die Anerkennung als Flüchtlinge rechtskräftig versagt werden mußte.Dieser Erfolg hätte sich durch eine Änderung der Asyl-Verordnung nicht erreichen lassen, da sich Art. 119 des Grundgesetzes, auf dem die Asyl-Verordnung beruht, nur auf diejenigen Ausländer bezieht, die einen Anspruch auf Anerkennung als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention haben.Zu dem zweiten Teil der Frage lautet die Antwort wie folgt:Für die Aufbringung der Mittel und die Verbesserung des Sicherheitszustandes des Lagers sind ausschließlich die Behörden des Landes Bayern zuständig. Der Begriff „Bezirk des Lagers" ergibt sich aus § 4 Abs. 1 der Asyl-Verordnung. Nach dieser Vorschrift wird Ausländern der Aufenthalt „unter Beschränkung auf den Bezirk des Lagers" gestattet. Über die nach Ihrer Ansicht, Herr Kollege, strittigen Fragen besteht zwischen dem Bayerischen Staatsministerium des Innern und dem Bundesministerium des Innern volle Übereinstimmung. Daher er-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4879
Bundesminister Dr. Schröderübrigt sich eine Konferenz zwischen dem Bund und dem Lande Bayern zur Klärung dieser Fragen. Das Bundesministerium des Innern ist selbstverständlich bereit, sich an Besprechungen zwischen dem Lande Bayern, dem Landkreis Fürth und der Gemeinde Zirndorf zu beteiligen, wenn das zuständige Bayerische Staatsministerium des Innern hierzu einladen sollte.
Eine Zusatzfrage?
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß Herr Staatssekretär Ritter von Lex in einer Besprechung am 14. Juli 1958 erklärt hat: Wir werden dafür Sorge tragen, daß Zirndorf aus den Mitteln schadlos gehalten wird, die der Bund an den Staat Bayern gibt? Er meinte damit die Sicherheits-und Verwaltungsfrage. Er erklärte weiter: Ich will dafür Sorge tragen, daß dem Landkreis und der Gemeinde eine bestimmte Summe zukommt. Gedacht wurde dabei an eine Summe von etwa 130 000 DM. Bis zur Stunde ist nichts geschehen. Die am 14. Juli 1958 den Betroffenen zugesagte weitere Besprechung ist bisher nicht zustande gekommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich habe den ersten Teil der Frage nicht verstanden; Sie waren schwer zu verstehen. Wer hat die Erklärung abgegeben, die Sie zitiert haben?
Ich habe gefragt, ob Ihnen bekannt ist, daß Herr Staatssekretär Ritter von Lex diese Erklärung abgegeben hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist mir nicht in Erinnerung; aber er hat sicher keine Zusage wegen Bundesmitteln gegeben.
Es ist bis jetzt nichts eingehalten worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich habe die Erklärung nicht vor mir. Ich kann nur sagen: ich weiß von der Erklärung nichts. Mir wird aber von den hier anwesenden Herren gesagt, es sei keine Zusage wegen Bundesmitteln gegeben worden.
Es liegt protokollarisch fest.
Keine Zusatzfrage.
Herr Abgeordneter Jahn fragt nach dem Bürgerkrieg ausländischer Terrororganisationen in der Bundesrepublik:
Was hält die Bundesregierung von dem Bürgerkrieg ausländischer Terrororganisationen auf dem Gebiet der Bundesrepublik?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister der Justiz.
Das Wort von dem Bürgerkrieg ausländischer Terrororganisationen auf dem Gebiet der Bundesrepublik bezieht sich wohl richtiger auf ,einzelne Sprengstoffattentate und Mordanschläge, die von der öffentlichen Meinung französischen oder algerischen Terrororganisationen zugeschrieben werden. Ich darf dazu folgendes bemerken.
Dem Hohen Hause wird bekannt sein, daß die zuständigen Staatsanwaltschaften der Länder wegen dieser Attentate und Mordanschläge Ermittlungsverfahren eingeleitet haben. Diese Verfahren sind, soweit der Bundesregierung bekannt ist, noch nicht abgeschlossen. Außerdem führt der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, wie dem Hohen Hause bereits auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der SPD Drucksache 1023 mitgeteilt worden ist, Ermittlungen darüber, ob in der Bundesrepublik von Ausländern gebildete Geheimbünde oder von Ausländern gegründete kriminelle Vereinigungen im Sinne der §§ 128, 129 des Strafgesetzbuchs bestehen. Diese mit allem Nachdruck und unter Ausnutzung sämtlicher erreichbarer Erkenntnisquellen geführten Ermittlungen sind ebenfalls noch nicht ,abgeschlossen. Da diese Verfahren noch anhängig sind, sieht sich die Bundesregierung nicht in der Lage, Auskunft über den Stand der Ermittlungen zu geben.
Eine Zusatzfrage.
Was ist die Bundesregierung bereit zu unternehmen, um den Bürgern dieses Landes einen ausreichenden Schutz vor der Hereinziehung in solche Attentate und Mordanschläge zu gewähren?
Die Bundesregierung ist bereit, alles zu tun, um diese Attentate und Mordanschläge zu verhindern bzw., wenn sie geschehen sind, die Schuldigen rechtzeitig zu bestrafen.
Eine weitere Zusatzfrage?
Ja. Ist die Bundesregierung bereit, mit den in Frage kommenden ausländischen Regierungen Verhandlungen darüber aufzunehmen, damit diese die ihnen geeignet erscheinenden und möglichen Maßnahmen ergreifen?
Selbstverständlich ist die Bundesregierung, wie ich bereits gesagt habe, bereit, unter Umständen mit den ausländischen Regierungen über die Strafverfolgung und die Durchführung von Strafverfahren zu verhandeln. Das gilt auch für den Auslieferungsanspruch, wenn sich Personen, die im Verdacht stehen, beteiligt zu sein, im Ausland aufhalten.
Metadaten/Kopzeile:
4880 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Nur zwei Zusatzfragen sind gestattet.
Damit, meine Damen und Herren, sind die Fragen für heute beantwortet. Die nächste Fragestunde ist am 2. und 3. Dezember. Sperrfrist für eingehende Fragen: 26. November, 12 Uhr.
Ich rufe die beiden Punkte auf, um die die heu-
tige Tagesordnung ergänzt worden ist. Zunächst: Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Neunten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1959 (Drucksachen 1365, 1380) .
Ich frage, ob der Herr Abgeordnete Bauer als Berichterstatter den Schriftlichen Bericht ergänzen will? — Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.
Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 1380 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei zwei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe weiter auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Getreidegesetzes .
Ich frage, ob das Wort zur Einbringung gewünscht ) wird. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldungen. Die Aussprache is t geschlossen.
Es ist beantragt Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Außenhandelsausschuß —
mitberatend —. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit kommen wir zu Punkt 21 unserer verbundenen Tagesordnung. Ich rufe auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Mietrecht .
Wird das Wort zur Einbringung des Gesetzentwurfs gewünscht? — Der Herr Bundesminister für den Wohnungsbau!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 1234 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Mietrecht mit der Stellungnahme des Bundesrates und der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates vorgelegt. Die Drucksache enthält eine eingehende Begründung des Gesetzentwurfs.. Darüber hinaus habe ich mir erlaubt, den Damen und Herren des Hohen Hauses eine Denkschrift zuzuleiten, die ebenfalls das Ziel und den Inhalt des Gesetzeswerkes im einzelnen erläutert.Der hier vorliegende Gesetzentwurf will eines der schwierigsten Kapitel der letzten Jahrzehnte bereinigen, und zwar die bis zur Perfektion getriebene Wohnungsnotgesetzgebung. Die über 40 Jahre andauernde Wohnungszwangswirtschaft fand Eingang in zahlreiche Gesetze und Verordnungen. Die gesetzliche Bereinigung bedurfte einer außerordentlich gründlichen Vorarbeit der beteiligten Ressorts. Wenn nun gelegentlich der Vorwurf laut wurde, die Vorlage sei zu kompliziert, ja sie sei perfektionistisch, so kann man dafür wohl nur die äußerst schwierige Materie verantwortlich machen, nicht aber die an der Vorlage beteiligten Ministerien. Auch ich hätte lieber einen Entwurf vorgelegt, der in wenigen Bestimmungen den stufenweisen Abbau der Wohnungszwangswirtschaft vorgeschlagen hätte. Leider verbot sich dieser Weg sowohl aus rechtlichen als auch aus sozialen Gründen. Ein Sprung ins kalte Wasser würde soziale Härten und Spannungen mit sich gebracht haben. So schlägt Ihnen die Bundesregierung einen wohl abgewogenen Plan vor, der Schritt für Schritt auch auf dem Gebiete der Wohnungswirtschaft die Marktverhältnisse wiederherstellt, zugleich aber notwendige soziale Maßnahmen vorsieht.Zunächst stellt sich für das Hohe Haus die Frage: „Ist der Zeitpunkt schon gekommen, den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft einzuleiten?" Ich darf Ihnen hierzu einige Zahlen über das noch bestehende Wohnungsdefizit und die Wohnungsbauleistungen der letzten Jahre bekanntgeben.Am Ende des zweiten Weltkrieges fanden wir im Gebiete der Bundesrepublik weniger als 81/2 Millionen benutzungsfähige Wohnungen vor. Davon hatten 2 bis 21/2 Millionen leichte oder mittelschwere Schäden. Seitdem sind nicht nur die beschädigten Wohnungen wiederhergestellt, sondern außerdem etwa 5 Millionen Wohnungen gebaut worden. Ende dieses Jahres wird der Wohnungsbestand an 14 Millionen Vollwohnungen heranreichen. Der Wohnungsfehlbestand betrug 1959 noch 1,5 Millionen Wohnungen, also noch gut 10% des Wohnungsbestandes. Dazu kommt ein jährlicher Neubedarf von 150- bis 200 000 Wohnungen als Folge des natürlichen Bevölkerungszuwachses durch neue Eheschließungen und die Zuwanderung von Flüchtlingen, in 5 Jahren also ein Neubedarf von etwa 1 Million Wohnungen. Um diesen durch den Zuwachs bedingten Bedarf und das Defizit abzudecken, werden daher noch etwa 21/2 Millionen Wohnungen gebraucht, so daß in den Jahren 1959 bis 1963 jährlich etwa 500 000 Wohnungen gebaut werden müssen. Seit 1953 wurde diese Leistung regelmäßig erbracht, meist aber erheblich überschritten. In diesem Jahre wird voraussichtlich die höchste Bauleistung der letzten Jahre erzielt werden. Wahrscheinlich werden an die 580 000 Wohnungen fertiggestellt werden. Auch kann heute schon für das Baujahr 1960 dank des großen Überhangs eine Wohnungsbauleistung in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4881
Bundesminister LückeHöhe von 500- bis 550 000 erwartet werden. Selbst wenn in den nächsten 4 bis 5 Jahren jährlich im Durchschnitt nur etwa 500 000 Wohnungen gebaut würden, wäre bis dahin das Wohnungsdefizit beseitigt. Natürlich wird es auch dann noch örtliche Bedarfsschwerpunkte geben; sie haben in der Vorlage entsprechende Berücksichtigung gefunden. Bei der Darstellung dieser Zahlen ist nicht berücksichtigt, daß nach Wegfall der Wohnraumbewirtschaftung aus dem Altwohnungsbestand Wohnungen auf den Markt kommen. Diese Zahlen machen eindringlich deutlich, daß der Zeitpunkt überfällig ist, die ersten Schritte zum Abbau der Wohnungszwangswirtschaft zu tun.Die zweite Frage schließt sich hier an: „Ist der Wohnungsbau in den nächsten Jahren finanziell gesichert?" Zunächst darf ich auf das Wohnungsbau-und Familienheimgesetz verweisen, das bis 1962 den Bau von jährlich möglichst 300 000 Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues vorsieht. In diesem Jahr wird diese Leistung erheblich überschritten. Entsprechend der im Gesetz festgelegten Degression der Bundeshaushaltsmittel läuft dann 1967 der mit öffentlichen Mitteln geförderte Wohnungsbau nach diesem Gesetz aus. Der frei finanzierte und steuerbegünstigte Wohnungsbau, also der Wohnungsbau ohne öffentliche Mittel, nimmt erfreulicherweise ständig zu und beträgt derzeit etwa die Hälfte des gesamten Wohnungsbauvolumens. Die Degression der Bundeshaushaltsmittel wird durch die fortschreitend stärkere Heranziehung der Kapitalmarktmittel zur Finanzierung des sozialen Wohnungsbaues mehr als ausgeglichen. Die günstige Kapitalmarktlage erlaubt es, daß immer mehr öffentliche Mittel durch Mittel des Kapitalmarktes ersetzt werden können. Die Bundesregierung fördert mit Nachdruck diese Entwicklung. Alle Maßnahmen der Bundesregierung, ob es sich nun um „Besser und schöner wohnen" oder um „Junge Familien" oder um die Bemühungen handelt, die Länder zu einer stärkeren Aktivierung der Aufwendungsbeihilfen zu veranlassen, haben zum Ziel, im Wohnungsbau allmählich zu einer Marktsituation überzuleiten. In Kürze werde ich die neuen Bürgschaftsrichtlinien des Bundes herausgeben. So wird auch im Wohnungsbau immer stärker die marktgerechte Finanzierung, und zwar auch im sozialen Wohnungsbau, zum Tragen kommen. Der Grundsatz „Nur soviel Staatshilfe wie notwendig" wird damit immer mehr auch auf diesem Gebiet zur Geltung gelangen.Dennoch sind die vom Bund direkt bereitgestellten Wohnungsbaumittel wesentlich größer, als es allgemein angenommen wird. Der immer wiederholte Hinweis auf die Degression der Bundeshaushaltsmittel, die für das Baujahr 1960 noch 490 Millionen DM ausmachen, ist einfach irreführend. Der Bund hat für die verschiedenen Programme für den Wohnungsbau 1957 rund 2 Milliarden DM, 1958 rund 2,5 Milliarden DM, 1959 rund 2,5 Milliarden DM, also ein Vielfaches der Bundesmittel, die nach dem Wohnungsbau- und Familienheimgesetz bereitgestellt werden müssen, ausgezahlt. Die vom Bundesrat erhobene Forderung auf Wegfall der Degression kann unter diesen Umständen nicht mehr aufrechterhalten werden. In diesem Jahre wurden dieGrenzen der Baukapazität erreicht. Auch im kommenden Jahr ist eine wesentliche Ausweitung der Bauprogramme nicht möglich. Die Anwendung der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Finanzierungsmethoden auch im sozialen Wohnungsbau sichert die finanzielle Durchführung der Wohnungsbauprogramme bis 1963.Wie Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesen Darlegungen entnehmen, hat sich also im Rahmen der Förderung des Wohnungsbaues schon eine sehr viel stärkere Anpassung an die marktwirtschaftlichen Gegebenheiten vollzogen, als das im allgemeinen angenommen wird. Diese Anpassung ist bisher reibungslos verlaufen und soll noch verstärkt werden. Mögen auch die öffentlichen Mittel in diesem oder jenem Bereich allmählich zurückgehen, so wird durch diese Entwicklung der Ausfall durch Verstärkung der Kapitalmarktmittel mehr als wettgemacht.Alle diese Maßnahmen — das darf ich an dieser Stelle mit Nachdruck zum Ausdruck bringen — würden aber nicht zum Erfolg führen, wenn nicht die zwangswirtschaftlichen Bindungen, die dem Altwohnungsbaubestand noch auferlegt sind, fielen. Darum ist die baldige Verabschiedung der Ihnen vorliegenden Gesetzesvorlage auch aus diesen Gründen so dringend.Ich darf nun zur Begründung und Erläuterung der Regierungsvorlage kommen.Die Bundesregierung geht bei dieser Vorlage von drei Grundvoraussetzungen aus:1. In dem Maße, in dem der Wohnungsmangel beseitigt wird, kann die Wohnungszwangswirtschaft schrittweise fallen.2. Soziale Härten und Spannungen sollen während der Übergangszeit durch ein modernisiertes Mieterschutzgesetz und die Neugestaltung des Räumungs- und Vollstreckungsschutzes vermieden werden.3. Ein soziales Mietrecht soll jeder Familie der Bundesrepublik ausreichenden Wohnraum wirtschaftlich und rechtlich sichern.Die Erfüllung dieser Forderungen ist sinnvoll nur im Rahmen einer Gesamtkonzeption möglich. Die Vorwegnahme von Teillösungen wird daher mit Nachdruck abgelehnt. In dieser Forderung wurde die Bundesregierung durch die Beschlüsse des Bundesrates bestärkt. Auch die Ergebnisse der von der Bundesregierung gewünschten breiten Diskussion dieser schwierigen Frage in der Öffentlichkeit drücken sich in zahlreichen zustimmenden Entschließungen vor allem der an der Lösung dieser Fragen besonders interessierten Verbände aus. Besonders kommt es der Bundesregierung darauf an, durch Festlegung eines Schlußtermins im Rahmen des Stufenplans das Ende der zwangswirtschaftlichen Eingriffe festzulegen.Ich darf nun auf die Einzelbestimmungen der Vorlage eingehen. Von dem Mietstopp sind vor allem die 5 Millionen Altbauwohnungen betroffen. Die Auswirkungen des Mietstopps haben in der Vorstellung der Bevölkerung den Wert des Gutes4882 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959Bundesminister LückeWohnung" stark getrübt. Man hat sich daran gewöhnt, nur wenige Prozent des Einkommens für die Wohnung auszugeben. Im Gesamtdurchschnitt betragen die Ausgaben der Arbeitnehmerfamilie für die Miete heute etwa 9 v. H. der Gesamtausgaben, bei allen Haushalten der Bundesrepublik nach den nunmehr vorliegenden Ergebnissen der amtlichen Interviewerhebung von 1957 nur rund 10 v. H. des Nettoeinkommens der Haushalte. Dabei sind in diesem Gesamtdurchschnitt auch die zum Teil wesentlich höheren Mieten der Neubauwohnungen der letzten Jahre mit enthalten. Die verhältnismäßig geringen Ausgaben für das Gut „Wohnung" sind längst in die Einkommensverwendung der Einzelhaushalte einkalkuliert worden, so daß jeder sich verständlicherweise gegen eine Mieterhöhung wehrt.Es widerspricht aber dem Grundsatz des sozialen Rechtsstaates, dem Althausbesitz eine kostendeckende Miete vorzuenthalten und die Lasten einseitig dem Hauseigentümer aufzubürden.
Das erstarrte Mietpreisgefüge hat auch zu einem unhaltbaren sozialen Unrecht gegenüber den Althausbesitzern geführt. Ihnen wird eine erhebliche Einkommensschmälerung, wenn nicht ein Substanzverlust, zugemutet. Längst nicht alle Hauseigentümer sind, wie das gelegentlich draußen verlautet, „Kapitalisten", und längst nicht alle Mieter sind „arme Leute".
Die Eigentümer des Althausbesitzes sind im allgemeinen keineswegs jene Schicht unseres Volkes, bei der sich seit der Währungsreform wieder das meiste Vermögen angesammelt hat. Es ist weithin nicht bekannt, daß nicht weniger als 1,5 Millionen Wohngebäude mit eigengenutzten und vermieteten Wohnungen im Eigentum von Arbeitern und Rentnern stehen, mehr als 0,5 Millionen Wohngebäude im Eigentum berufsloser Personen oder solcher ohne nähere Berufsangabe, also meist von Bevölkerungschichten, die für die Instandsetzung und Erhaltung der Mietshäuser im wesentlichen auf den Mietertrag angewiesen sind.Die sich über mehr als vier Jahrzehnte erstrekkende Wohnungszwangswirtschaft hat aber nicht nur für die Vermieter, sondern auch für die Mieter zu sozialen Ungerechtigkeiten großen Umfangs geführt. Aus dem Mietrecht ist ein Mietunrecht geworden. Die Mieter zerfallen heute hinsichtlich des Preises, den sie für die Wohnungen zahlen müssen, in mehrere Klassen.Es hat zwar schon immer Mietunterschiede je nach den Gemeindegrößen, der Ausstattung und der Lage der Wohnungen gegeben. Die Zwangswirtschaft hat aber diese Unterschiede grotesk vergrößert und Verhältnisse herbeigeführt, die auf die Dauer auch sozial nicht mehr vertreten werden können. Die umfassende amtliche Wohnungserhebung vom Herbst 1956 hat z. B. festgestellt, daß die durchschnittliche Monatsmiete für eine Wohnung mit drei Zimmern und Küche zwischen rund 30 DM und mehr als 100 DM schwankt. Nach den mir vorliegenden Unterlagen, die sich auf Erhebungen derPreisbehörden gründen, beträgt beispielsweise in der Stadt Essen im Ruhrgebiet die Miete für eine vor dem ersten Weltkrieg gebaute Wohnung im Schnitt 0,70 DM je qm. Eine 65 qm große Wohnung kostet demnach zur Zeit in Essen 45 DM. Eine gleichgroße und gleichausgestattete Wohnung des .sozialen Wohnungsbaus, für die in Essen eine Richtsatzmiete von 1,10 DM je qm festgelegt worden ist, kostet im Monat 72 DM, und eine in jüngster Zeit unter dem Geltungsbereich des Zweiten Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes erbaute Wohnung kostet je Quadratmeter 1,65 DM Miete im sozialen Wohnungsbau. Diese Familie zahlt 107 DM. Drei gleiche Familien! Die eine zahlt 45 DM, die andere 72 DM und die dritte 107 DM für die Wohnung. Das bedeutet also, daß eine vierköpfige Arbeitnehmerfamilie, deren Monatslohn 600 DM beträgt, für die Altraumwohnung 7 1/2 %, für die unter dem Geltungsbereich des Ersten Wohnungsbaugesetzes geförderte gleichgroße Wohnung 12% und für die öffentlich geförderte Wohnung neuesten Datums 18 % ihres Nettofamilieneinkommens für die Miete aufzubringen hat. Es entscheidet hier ein reiner Zufall. Die Mieten im frei finanzierten und steuerbegünstigten Wohnungsbau sind in diesen Vergleich nicht einbezogen. Nun ist es ja meistens so, daß die billigen Wohnungen von Familien bewohnt werden, deren Haushaltung von dem Krieg und seinen Folgen weitgehend verschont geblieben ist. Die Ausgebombten dagegen, die Flüchtlinge, die Vertriebenen, aber nicht zuletzt die uns am Herzen liegenden jungen Familien, die finanziell oft am schlechtesten dastehen, können in der Regel nur zu Neubauwohnungen kommen.
Sie müssen die höhere Miete zahlen. Von den Altbaumietern werden also praktisch Renten erzielt, während dem Vermieter diese Beträge für die Erhaltung der Wohnung fehlen.Die künstlich niedrig gehaltenen Mieten für Mietwohnungen haben zusammen mit dem starren Mieterschutz dazu geführt, daß der Wohnungsmarkt völlig erstarrt ist. Es findet keine Bewegung auf dem Wohnungsmarkt statt, die sich nach den Mieten bzw. Einkommensverhältnissen richtet. Das hat zur Folge, daß kleinere Haushalte vielfach in großen Wohnungen verbleiben, weil der Preis in der Wohnungswirtschaft noch nicht die regulierende Funktion zurückerhalten hat. Damit hat die Wohnungszwangswirtschaft die Wohnungsverhältnisse völlig versteinert.Besonders unbefriedigend ist der Zustand, daß heute in hohem Maße größere Wohnungen von Alleinstehenden blockiert werden, die auf diese Wohnungen nicht angewiesen sind und sie auch nicht behalten würden, wenn für die Wohnung eine kostendeckende Miete gefordert werden könnte. Die Wohnungszählung 1956 hat gezeigt, daß über 700 000 alleinstehende Personen im Rahmen der 5 Millionen Altbauwohnungen größere Altbauwohnungen innehaben, die nicht mit Untermietern belegt sind. Es liegt auf der Hand, daß ein erheblicher Teil dieser alleinstehenden Personen den Wohnraum hortet, ganz einfach, weil er billig ist. Erst
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4883
Bundesminister Lückewenn der Mietpreis schrittweise wieder seine regulierende Funktion erhält und das Ende der Zwangswirtschaft für jedermann erkennbar geworden ist, wird ein großer Teil dieser Wohnungen wieder auf den Markt kommen und damit der Verminderung des vorhandenen Wohnungsfehlbestandes dienen.Eine allmähliche Anhebung der niedrigen Stoppmieten entspricht auch einer volkswirtschaftlichen Notwendigkeit. Die zur Zeit im Bundesgebiet vorhandenen rund 14 Millionen Wohnungen stellen einen Vermögenswert — Zeitwert — von 170 bis 180 Milliarden DM dar. Davon stammen 9 Millionen Wohnungen aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Infolge der niedrig gehaltenen Mieten waren die Eigentümer und Vermieter dieser älteren Wohngebäude seit Jahren nicht in der Lage, die notwendigen Reparaturen und Modernisierungen an ihren Häusern vorzunehmen. Auch die seit Kriegsende zugelassene pauschale Mieterhöhung hat die Situation nicht wesentlich verändert. Denn während sich das allgemeine Preisniveau in der Bundesrepublik im Zusammenhang mit den Kosten- und Lohnsteigerungen, gemessen an dem Preisindex der Lebenshaltung, gegenüber der Vorkriegszeit — Stichjahr 1938 — um 86 v. H., die Bau- und Reparaturkosten sogar um 170 v. H. erhöhten, liegen die Altbaumieten gegenwärtig nur um durchschnittlich 28 v. H. höher als 1938.Die aufgestauten Instandhaltungskosten wurden 1957 von dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin bei den über 9 Millionen Wohnungen des Althausbestandes aus der Zeit vor der Währungsreform auf insgesamt 13 bis 14 Milliarden DM beziffert — gemessen an den Preisen von 1955. Wie dringend aber gerade die Modernisierung ist, dafür einige Zahlen. Nur 20 v. H. aller Altbauwohnungen verfügen über ein eigenes Bad,
während eine derartige Ausstattung heute bei über 90 v. H. aller neu errichteten Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues vorhanden ist. Eine ganz große Anzahl von Wohnungen hat noch nicht einmal eine Toilette mit Wasserspülung. Im Bundesgebiet sind es ein Drittel aller Wohnungen, in den kleinen Gemeinden — sage und schreibe! — drei Viertel aller Wohnungen. Ja es gibt — und ich spreche von Deutschland und nicht von einem fernen Erdteil! — noch immer Wohnungen, die nicht an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen sind.
Ich glaube, meine Damen und Herren, es verbietet sich, noch ein weiteres Wort darüber zu verlieren, wie notwendig die Modernisierung ist. An der Modernisierung sind aber die Mieter ebenso interessiert wie die Vermieter. Bei den jetzigen unzulänglichen Mieten kann man es keinem Hausbesitzer verdenken, wenn er etwaige Ersparnisse aus seinem sonstigen Einkommen lieber auf die Sparkasse trägt.Die Bundesregierung hat nun zwar in den vergangenen Jahren viel getan, um Härten, die sich aus den Preisbindungen für den Hausbesitz ergeben, nach Möglichkeit zu lindern. So sind z. B.im Lastenausgleichsrecht beträchtliche Erleichterungen geschaffen worden, um die Durchführung notwendiger Reparaturen zu ermöglichen. Auch im Steuerrecht werden Reparaturen und neuerdings auch Modernisierungen begünstigt. Außerdem hat der Bund seit 1952 320 Millionen DM für Instandsetzungs- und Modernisierungsdarlehen zur Verfügung gestellt. Sie sind namentlich Hauseigentümern in bedrängter wirtschaftlicher Lage zugute gekommen. Auch die Länder dürften inzwischen Darlehnsmittel in einer Größenordnung von etwa 200 Millionen DM zur Verfügung gestellt haben. Darüber hinaus haben Bund und Länder Zinszuschüsse gezahlt für Darlehen, die der Hausbesitzer am Kapitalmarkt aufgenommen hat. Hierdurch sind Reparaturen im Umfange von einer halben Milliarde DM gefördert worden. Aber das alles ist und bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein.
Letzten Endes kann der Hausbesitz nur wieder aus sich selbst gesunden. Das setzt unabdingbar voraus, daß man ihm eine kostendeckende Miete nicht länger vorenthält.Natürlich ist es ausgeschlossen, heim Abbau der Wohnungszwangswirtschaft in die Verhältnisse von vor 1914 zurückzufallen. Niemals sollte die Zeit wiederkehren, in der Grundstücks- und Bodenspekulanten uns jene trostlosen Mietskasernen mit den Hinterhöfen des Elends bescherten, die heute noch, soweit sie erhalten geblieben sind, wie eine Anklage gegen die damalige Zeit wirken.
Niemals darf die Zeit wiederkehren, in der Menschen in sogenannte Tuberkulosewohnungen gezwängt wurden. Ebenso wie wir in der Wirtschaft von einer „sozialen Marktwirtschaft" sprechen, ebenso kann der Abbau der Wohnungszwangswirtschaft nur in einem neuen „sozialen Mietrecht" ausmünden. Es bedeutet aber, daß der Staat bei aller zu erwartenden Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit die Menschen und die Dinge auf dem Gebiete des Wohnungswesens nicht völlig dem freien Spiel der Kräfte überlassen kann.Aus diesem Grunde trägt der von der Bundesregierung verabschiedete Gesetzentwurf den zweiten Titel „Gesetz über ein soziales Mietrecht". Zu dem Begriff „soziales Mietrecht" darf ich vielleicht schon jetzt anregen, bei den künftigen Beratungen im zuständigen Ausschuß diese Bezeichnung durch „soziales Miet- und Wohnrecht" zu ersetzen. Seit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung ist diese Anregung von verschiedenen Seiten an mich herangetragen worden. Man hat mich darauf hingewiesen, daß der Begriff „soziales Mietrecht" zu eng sei, weil das Gesetz nicht nur den Mieter, sondern genauso auch den Eigentümer und Kleinsiedler vor einem unverschuldeten Verlust seiner Wohnung im eigenen Hause schützen will. Das Gesetz will schlechthin das Recht jedes Menschen in der Bundesrepublik auf eine angemessene Wohnung sichern.
Metadaten/Kopzeile:
4884 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Bundesminister LückeDeshalb ist für die mehrjährige Übergangszeit die Gewährung von Miet- und Lastenbeihilfen vorgesehen. Sie sollen für leistungsschwache Mieter einen sozialen Schutz gewähren und das elastische Instrument des Gesetzes sein, im Einzelfall notwendige soziale Korrekturen zu ermöglichen. Durch die Beihilfen wird garantiert, daß die vorgesehenen Mieterhöhungen in keinem Fall — ich wiederhole: in keinem Fall — zu untragbaren Härten führen können.
Diese Hilfe wird all denen zugute kommen. die ihrer bedürfen. Entsprechend diesem Grundsatz geht der Entwurf davon aus, daß jeder Mieter zunächst einen bestimmten Anteil seines Einkommens für die Miete aufwenden muß, bevor er vom Staat eine Hilfe verlangen kann. Die Höhe der dem Mieter zugemuteten Eigenleistung richtet sich nach der Zahl der Familienangehörigen. Die Prozentsätze schwanken zwischen 8 v. H. und 18 v. H. des Familieneinkommens; z. B. werden für eine Familie mit 2 Familienmitgliedern, ein Ehepaar also, 18 v. H., für eine Familie mit 5 Familienmitgliedern 15 v. H. als tragbar angesehen. Die Mieterhöhung wird von Bund und Ländern übernommen, soweit sie über die tragbare Miete hinausgeht. Berücksichtigt wird der Wohnraum, der für die angemessene Unterbringung der Familie notwendig ist, also der Größe der Familie entsprechenden Raum bietet. Die Mietbeihilfen haben keinerlei Wohlfahrts- und Fürsorgecharakter. Außer den Mietbeihilfen sieht — wie ich schon andeutete — der Gesetzentwurf auch Lastenbeihilfen für jene Familien vor, welche ihre Wohnungsversorgung durch Erwerb eines Familienheims oder einer Eigentumswohnung selbst auf sich genommen haben. Die soziale Sicherstellung der Wohnraumversorgung kann nicht auf den Mieter beschränkt bleiben, sondern muß in gleicher Weise dem Eigentümer eines Eigenheims und der Eigentumswohnung gewährleistet sein.
Ich muß immer noch an die unheilvolle Entwicklung der dreißiger Jahre, 1929, 1930 und die folgenden, zurückdenken. Damals wurden zahllose Familien durch die Arbeitslosigkeit aus ihrer Wohnung getrieben, weil sie die Miete oder die Lasten des Eigenheims nicht mehr bezahlen konnten. Sie zogen in vorstädtische Wohnlauben und Baracken und kamen damit in das soziale Gefälle. Sie werden mir, glaube ich, voll darin zustimmen, daß sich co etwas nie mehr wiederholen darf.
Das kann sich die Bundesrepublik in ihrer politischen Lage zwischen Ost und West überhaupt nicht leisten.
Deshalb sind die Bestimmungen über die Beihilfenvon ausschlaggebender Bedeutung für die Bundesregierung, weil sie sicherstellen, daß jeder Familieich betone: jeder Familie — angemessenerWohnraum wirtschaftlich und rechtlich gesichert wird. Hinzu kommt das Bemühen der Bundesregierung, möglichst vielen Familien zu Haus und Boden zu verhelfen, um sie krisenfest und immun gegen das zerstörerische Gift der kommunistischen Unheilslehre zu machen.
Die Bedeutung dieses Gedankens ist klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß seit der Währungsumstellung eine ganze Million Familien ein Familienheim gebaut oder erworben hat und daß über 40 v. H. aller Bausparer, die dieses Ziel verfolgen, Arbeiter sind.Die Miet- und Lastenbeihilfen sind in der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Form zunächst für die Übergangszeit vorgesehen. Sie sollen jedoch zu einem wichtigen Pfeiler der Sozialpolitik ausgebaut und fortentwickelt werden. Der Übergangsregelung wird eine endgültige gesetzliche Dauerregelung folgen. Die endgültige Regelung muß jeder Familie das ihr zukommende Mindestmaß an Wohnraum und Eigentum sichern. ,Dabei ist im besonderen Maße der kinderreichen Familien gedacht, die aus wirtschaftlichen Gründen und auch aus einer falschen Einstellung der Vermieter zu den kinderreichen Familien — das ist kein Ruhmesblatt für die Wohnungsverhältnisse — oft nicht die Wohnung bekommen und beziehen können, die sie zur Entfaltung eines gesunden Familienlebens benötigen. Im Jahre 1950 hatten von den über 15 Millionen Familien der Bundesrepublik über 1 Million drei und mehr Kinder unter 15 Jahren. Es ist vornehmste Aufgabe des sozialen Miet- und Wohnungsrechts, daß künftig in Deutschland der noch hier und da bestehende unwürdige Zustand beseitigt wird, der es kinderreichen Familien erschwert, ja oft unmöglich macht, den erforderlichen Mindestwohnraum zu bekommen und, wenn sie ihn bekommen haben, ihn wirtschaftlich sich zu erhalten und ihn rechtlich sich zu sichern. Kindergeschrei in einer Wohnung darf kein Kündigungsgrund sein.
— Ich komme darauf zurück, Herr Kollege.Neben dieser wirtschaftlichen Sicherung soll das soziale Miet- und Wohnrecht aber auch so ausgestaltet werden, daß es das Heim für die Familie in rechtlicher Hinsicht schützt. Allerdings kann das Gesetz dem Mieter nicht ein unentziehbares Dauerrecht gewährleisten wie etwa das Wohnungseigentum. Damit würden die Unterschiede zum echten Eigentum gänzlich verwischt werden. Der oft angestellte Vergleich mit dem Schutz des Arbeitsplatzes ist insofern nicht überzeugend, als sich im Arbeitsrecht im Laufe der Jahre der Grundsatz herausgebildet hat, ein wesentlicher Bestandteil des Arbeitsverhältnisses sei die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Im Wohnungsrecht gibt es einen Grundsatz, daß den Vermieter eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Mieter treffe, nicht. Wohl aber muß vom Vermieter ein soziales Verhalten gegenüber dem Mieter verlangt und der Ausschluß der Willkür, Herr Kollege Mommer, gesetzlich gesichert werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4885
Bundesminister LückeIch darf in diesem Zusammenhang kurz darauf eingehen, welche Lösungen der Entwurf für den Mieterschutz vorsieht. Während der Übergangszeit soll der Mieterschutz grundsätzlich bestehenbleiben, wenn auch nicht in der bisherigen überholten, star- ren und unbrauchbaren Form. Die Bundesregierung schlägt deshalb eine neue Fassung des Mieterschutzgesetzes vor, die Verbesserungen gegenüber der bisherigen Rechtslage enthält. Bisher konnten Mietverhältnisse nur durch Urteil aufgehoben werden. Nach dem Entwurf soll der Vermieter wieder das Recht zurückerhalten, das Mietverhältnis zu kündigen, wenn er einen bestimmten Grund hierfür hat. Dem Mieter wird aber das Recht eingeräumt, der Kündigung zu widersprechen. Stellt das Gericht dann im Räumungsprozeß fest, daß der Widerspruch des Mieters gerechtfertigt ist, so z. B. weil der Mieter innerhalb einer bestimmten Frist keine angemessene Ersatzwohnung zu zumutbaren Bedingungen erhalten kann, so ist die Kündigung unwirksam, und die Klage muß abgewiesen werden.Vielfach hat man befürchtet, daß diese Regelung Lawinen von Räumungsklagen auslösen wird. Das Gegenteil wird der Fall sein. Diese Änderung des Mieterschutzgesetzes ist eher eine Verstärkung des Mieterschutzes während der Übergangszeit. Wir brauchen während der Übergangszeit Ruhe. Die Neuregelung wird dazu führen, daß die Räumungsklagen in den Gebieten, in denen noch ein stärkeres Wohnungsdefizit vorhanden ist, zurückgehen. Denn nach dem alten Mieterschutzgesetz durfte das Gericht die Frage des Vorhandenseins einer Ersatzwohnung nicht prüfen. Das führte zwangsläufig dazu, daß sich in einzelnen Orten mit besonders schwierigen Wohnungsverhältnissen die nicht vollstreckbaren Urteile häuften. In Zukunft wird in solchen Orten die Klage abzuweisen sein. Das wird die Vermieter von selbst davon abhalten, den Klageweg zu beschreiten. Entspannt sich — das ist der Sinn des Plans — schrittweise die Lage am Wohnungsmarkt in diesen Gebieten, so werden es umgekehrt die Mieter in vielen Fällen nicht auf eine Räumungsklage ankommen lassen, sondern sich veranlaßt sehen, eigene Initiative zur Beschaffung einer Ersatzwohnung zu entfalten, Kommt es aber während der Übergangszeit zu einem Räumungsurteil, so werden Härten durch mehrere Schutzbestimmungen, die im Entwurf vorgesehen sind, gemildert.Nach der Übergangszeit, also nach Beseitigung der Wohnungsnot, soll das soziale Mietrecht im Rahmen des Bürgerlichen Gesetzbuches fortgelten. Insbesondere soll eine Sozialklausel für Kündigungsfälle in das BGB eingefügt werden. Danach wird der Vermieter zwar wieder frei kündigen können, ohne die Kündigung begründen zu müssen; aber dem Mieter — das ist hier neu — ist für alle Zukunft ein Widerspruchsrecht eingeräumt, wenn die Kündigung für den Mieter oder für seine Familie eine unbillige Härte darstellt. Wenn dieser Widerspruch begründet ist, bleibt das Mietverhältnis bestehen. Im übrigen bleibt bei einer Verurteilung zur Räumung auch hier die Möglichkeit zur Gewährung von Schutzfristen. Diese Bestimmung wird ergänzt durch eine Reihe von weiteren Schutzvorschriften für denMieter, die im Mietvertrag nicht mehr abbedungen werden können. Dadurch soll vor allem verhindert werden, daß in den sogenannten Formularverträgen der Inhalt des Mietvertrages einseitig von der Vermieterseite diktiert wird.Während der Mieterschutz in der Übergangszeit in verbesserter Form bestehenbleibt, kann mit dem Abbau der Wohnraumbewirtschaftung sofort begonnen werden. Von der Wohnraumbewirtschaftung werden nicht nur die 5 Millionen Altbauwohnungen, sondern alle Wohnungen außer den frei finanzierten und steuerbegünstigten Wohnungen der Nachkriegszeit betroffen. Gerade auch bei den Eigentümerwohnungen wirkt sich die Aufrechterhaltung der Wohnraumbewirtschaftung besonders schädlich aus. Die Wohnraumbewirtschaftung hält das Angebot vom Markte fern. Mancher Eigentümer eines ländlichen Anwesens würde diesen und jenen Raum mehr vermieten, wenn er nicht befürchten müßte, daß er sich dadurch dem Zugriff des Wohnungsamtes aussetzt. Auch die Mieter sind es überdrüssig, sich vom Wohnungsamt nachmessen zu lassen, ob sie einen oder zwei Quadratmeter Wohnfläche zuviel haben.In weiten Kreisen der Bevölkerung ist wohl einhellig die Meinung, daß es an der Zeit ist, die Wohnungsämter aufzulösen.
Die Wohnungsämter haben — das möchte ich hier ausdrücklich erklären — anerkennenswerte Leistungen in der schweren Notzeit in der Vergangenheit vollbracht. Aber dort, wo es nichts mehr zu bewirtschaften gibt, sollten sie aufgelöst werden.
Der Regierungsentwurf sieht deshalb vor, daß die Wohnraumbewirtschaftung bei Inkrafttreten des Gesetzes in allen Landkreisen und kreisfreien Städten entfällt, in denen der Wohnungsfehlbestand am 31. Dezember 1958 weniger als 3% betragen hat. 52 Land- und Stadtkreise von den insgesamt 557 Kreisen der Bundesrepublik haben erfreulicherweise dieses Ziel bereits erreicht. In den übrigen Kreisen soll die Wohnraumbewirtschaftung zunächst für die größeren und teureren Wohnungen, dann für die mittleren und schließlich für die billigen Kleinwohnungen aufgehoben werden.Ich bin der Meinung, daß dieses Abbautempo jetzt noch verstärkt werden kann, nachdem die im Regierungsentwurf vorgesehenen Termine zeitlich überholt sind und sich obendrein zwischenzeitlich der Wohnungsbestand um weitere 580 000 Wohnungen vergrößert hat. Ich möchte deshalb dem Hohen Hause vorschlagen, bei den Ausschußberatungen die Regierungsvorlage in diesem Punkte weiter auszubauen. Durch diese zeitliche Entwicklung ist es möglich, alle Kreise und kreisfreien Städte von der Wohnraumbewirtschaftung auszunehmen und die Wohnungsämter aufzulösen, wo das Wohnungsdefizit am 31. Dezember 1959 weniger als 3% beträgt. Dadurch würde sich die Zahl der frei werdenden Kreise von 52 im Jahre 1958 auf über 100 erhöhen.4886 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959Bundesminister LückeIn den folgenden Jahren könnten dann in Fortführung dieses Systems jeweils am 1. Juli diejenigen Kreise von der Wohnraumbewirtschaftung ausgenommen werden, in denen am 31. Dezember des Vorjahres der Wohnungsfehlbestand die 3 %-Grenze unterschritten hat. Das würde bedeuten, daß auch 1961 und 1962 etwa je 100 Kreise aus der Wohnraumbewirtschaftung herausfallen.Für die endgültige Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung — das gleiche gilt für den Mieterschutz — sollte der 31. Dezember 1965 als Schlußtermin beibehalten werden, der sich auf Grund des späteren Inkrafttretens des Gesetzes und im Hinblick auf die Ermächtigung zur Hinausschiebung der Termine schon aus der Regierungsvorlage ergibt.Bei der Feststellung des Defizits — es wird immer gefragt, wie diese Zahlen ermittelt werden — werden die Zahlen über die Wohnparteien der amtlichen Bevölkerungsstatistik entnommen. Als Wohnparteien rechnen dabei alle Mehrpersonenhaushalte und die Hälfte aller Einpersonenhaushalte, die in diesen Kreisen ansässig sind. Der Berechnung der Normalwohnungen werden die Zahlen der amtlichen Baustatistik, die schon seit über 30 Jahren in allen Bundesländern geführt wird, und der fortzuschreibenden Wohnungsstatistik von 1956 zugrunde gelegt. Zu den Normalwohnungen gehören nicht die Wohnungen in Notgebäuden, Baracken, Nissenhütten, Behelfsheimen, Wohnlauben, Bunkern oder Wohnungen in Kellergeschossen.Wie Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, macht die Feststellung des Wohnungsfehlbestandes keine praktischen Schwierigkeiten, vor allem ist sie objektiv. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Statistiken einen viel höheren Bedarf ausweisen, als er in Wirklichkeit besteht. Das liegt u. a. daran, daß von der Statistik Haushalte 'erfaßt werden, die nie einen selbständigen Haushalt zu führen gedenken. Ich darf beispielsweise auf die Bauernhäuser verweisen, in denen oft mehrere Familien im Familienverband wohnen. Sie gelten im Sinne der Statistik als verschiedene Wohnparteien. Es wird also ein Defizit ausgewiesen, obwohl die Wohnparteien — namentlich die alten Leute gar nicht daran denken, jemals mit einem Wohnbedarf an den Markt zu treten.Nun ist vom Bundesrat — auch aus Kreisen der SPD — vorgeschlagen worden, die Freigabe von der Wohnraumbewirtschaftung den Gemeinden zu überlassen, da sie hierfür am geeignetsten seien. Diesen Vorschlag halte ich für undurchführbar.Im Bundesgebiet gibt es nahezu 25 000 Gemeinden aller Größen. Schon rein verwaltungsmäßig ist es unmöglich, den schrittweisen Abbau der Wohnraumbewirtschaftung bis in die einzelnen Dörfer und kleinen Marktflecken hinunter zu atomisieren.Wenn man bei dem Vorschlag vielleicht nur an die größeren Gemeinden gedacht hat, so ist es natürlich denkbar, daß man diese Gemeinden beim Abbau der Wohnraumbewirtschaftung als selbständige Einheiten behandelt, auch wenn sie kreisangehörig sind. Das läßt aber schon der Regierungsentwurf in gewissem Umfange zu. Denn alle Großstädte der Bundesrepublik sind selbständige kreis-freie Städte, auch der weitaus überwiegende Teil der größeren Mittelstädte mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern. Auch ein maßgebender Teil der Städte mit weniger als 50 000 Einwohnern sind kreisfreie Städte, so daß hier für ,die Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung nach dem Kreisprinzip die besonderen Verhältnisse der einzelnen Stadt durchaus zum Tragen kommen.
Warten wir, Herr Kollege Jacobi!Der Ausschuß wird prüfen können, ob man den Kreis dieser Städte vielleicht noch etwas erweitern sollte. Ich weiß, daß es Fälle geben kann, insbesondere bei Großkreisen mit bestimmten städtischen Entwicklungstendenzen, bei denen es sich vielleicht empfiehlt, die eine oder andere kreisangehörige Stadt gesondert zu behandeln und gegebenenfalls, ,getrennt vom übrigen Kreisgebiet, etwas später von der Wohnraumbewirtschaftung freizustellen. Hierbei wäre freilich Voraussetzung, daß das errechnete Defizit für diese kreisangehörige Stadt erheblich von dem Defizit des übrigen Kreisgebietes abweicht. Doch diese Überlegungen werden sicherlich den Ausschuß beschäftigen. Ich kann mich auf den Hinweis beschränken, daß die Regierungsvorlage bereits solche Ansatzpunkte enthält.Der Bundesrat hat nun weiter mit Mehrheit vorgeschlagen, die Wohnraumbewirtschaftung nur dort aufzuheben, wo die Unterversorgung 0 % beträgt. Das ist praktisch nicht durchführbar and würde zu einer Verewigung der Wohnraumbewirtschaftung führen. Die Bundesregierung hält daher an ihrer Forderung fest, die Wohnraumbewirtschaftung dort aufzuheben, wo die Unterversorgung 3 % erreicht hat.Mit dem Abbau der Wohnraumbewirtschaftung hängt ein anderes, sehr ,ernstes Problem zusammen. Wir müssen im Laufe der nächsten Jahre zu einer Auflockerung der Ballungsräume kommen.
Der Sog, den die Großstädte und Ballungszentren auf die jüngeren nachwachsenden und einströmenden Arbeitskräfte ausüben, läßt in diesen Gebieten durch Zuwanderung immer wieder neuen zusätzlichen Wohnungsbedarf entstehen. Die Bemühungen, eine ausgeglichene Wohnungsversorgung auch in den Großstädten und Ballungszentren schrittweise zu erreichen, werden dadurch wesentlich erschwert, wenn nicht gar vereitelt. Dieses Problem. kann auf die Dauer nur dadurch gelöst werden, daß der Ballungstendenz entgegengewirkt wird. Hierzu wird es sicher einer wesentlichen Aktivierung der regionalen Wirtschaftspolitik und der Raumordnung bedürfen, um mit marktkonformen Mitteln der gewerblichen Wirtschaft, vor allem in kleineren und mittleren Städten, größere Entwicklungsimpulse zu geben. Auch bei der Verteilung der staatlichen Wohnungsbaumittel wird eine bedeutungsvolle Lenkungsaufgabe zu erfüllen sein. Das Zweite Wohnungsbaugesetz — Familienheimgesetz — gilt auch in den sogenannten weißen Kreisen weiter,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4887
Bundesminister Lückein denen die Wohnraumbewirtschaftung entfallen ist.Es ist möglich und notwendig, der weiteren Konzentration der Bevölkerung in den Großstädten und Ballungszentren auch dadurch entgegenzuwirken, daß der Wohnungsbau mehr und mehr in die Randgebiete und in das Umland gelenkt wird.
Einen gegenüber den übrigen Gebieten anteilig höheren Wohnungsbau in den Großstädten und Ballungszentren würde ich als eine Fehlleitung größten Ausmaßes ansehen. Der Wohnungsbau darf nicht noch dazu dienen, die Landflucht zu fördern, sondern soll ihr möglichst entgegenwirken.
Meine Damen und Herren! Auch nach der Übergangszeit — 1963 — sollen und müssen die nach Kriegsende mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues — in diesen Bereich sind his zur Stunde rund 30 Milliarden DM öffentliche Mittel investiert worden — ihrer Zweckbestimmung erhalten bleiben. Diese Wohnungen müssen auch nach Auflösung der Wohnungsbehörden sozial schutzwürdigen Bevölkerungskreisen, vornehmlich eben den Einkommensschwachen, zu tragbaren Mieten vorbehalten bleiben. Deshalb müssen die früheren Bindungen auf privatrechtlicher Grundlage aufrechterhalten werden. Auch die Belegungsbindungen, vor allem auch die zugunsten der Lastenausgleichsberechtigten und der Neuflüchtlinge, müssen vorerst bestehenbleiben, wenn auch I die Austauschbarkeit unter den verschiedenen begünstigten Personengruppen erleichtert wird. Diese Wohnungen werden zusammen mit dem übrigen Wohnungsbestand der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in der Zeit nach Abbau der Wohnungszwangswirtschaft — dann werden es immerhin etwa 1/3 aller Mietwohnungen sein! — eine wichtige soziale Funktion zu erfüllen haben.Ich komme zu dem letzten Zweig der Zwangswirtschaft, zu dem schwierigsten Kapitel: der Mietpreisbindung. Hier muß ich zunächst einige Mißverständnisse richtigstellen. In der Öffentlichkeit ist vielfach die Besorgnis entstanden, daß mit Inkrafttreten des Gesetzes die Mieten in einer unvertretbaren Weise hochgehen würden. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Nach der Regierungsvorlage bleiben die Mieten für die 5 Millionen vermieteten Altbauwohnungen bis zum Jahre 1963 gebunden. Die Freigabe der Mieten ist erst für 1963 vorgesehen, und zwar nur für den Fall, daß die Vollversorgung mit Wohnraum erreicht ist. Bis dahin werden noch mehr als 31/2 Jahre ins Land gehen. Innerhalb dieser Zeit werden etwa 2 Millionen neue Wohnungen gebaut werden. Sicherlich werden sich nach der Freigabe der Mieten manche Änderungen vollziehen. Wohnungen in besonders bevorzugter Lage werden sicher auch in der Zukunft teuer sein. Auf der anderen Seite werden Wohnungen an Verkehrsstraßen, die Tag und Nacht durch den Verkehrslärm gestört sind, bei einer Neuvermietung nicht mehr die bisherige Miete erzielen, möglicherweise für Wohnzwecke überhaupt ungeeignet sein. Für die künftigen Mieten wird im übrigen sehr viel davon abhängen, was die Eigentümer der älteren Wohngebäude in den nächsten Jahren für die Instandsetzung und Modernisierung ihrer Häuser tatsächlich tun. Ich darf das hier mit allem Nachdruck betonen.Es kommt eins hinzu. Ein wesentlicher Teil der Wohnungen bleibt auch nach 1963 kostengebunden. Dies gilt vor allem für die schon von mir erwähnten Sozialwohnungen, die unter dem Ersten und Zweiten Wohnungsbaugesetz errichtet worden sind und die in den kommenden Jahren noch gebaut werden. Hierher gehören ferner die zwischen den beiden Kriegen von den gemeinnützigen Unternehmen errichteten Mietwohnungen. Im Jahre 1963, also zu dem Zeitpunkt, für den die Mietfreigabe vorgesehen ist, wird es in der Bundesrepublik über 31/2 Millionen solcher neuer Wohnungen bzw. Sozialwohnungen geben bei einem Gesamtbestand von gut 10 Millionen Mietwohnungen. Im Jahre 1963 wird also jede dritte Mietwohnung eine Sozialwohnung mit reiner Kostenmiete sein. In den Großstädten werden diese kostengebundenen Wohnungen nach dem Ersten und Zweiten Wohnungsbaugesetz vielfach sogar schon die Hälfte des gesamten Mietwohnungsbestandes ausmachen. Meine Damen und Herren, dieser Block gut ausgestatteter Wohnungen wird zweifellos preisregulierend auch auf die übrigen Mietwohnungen wirken. Diese Wohnungen sind besser ausgestattet als die alten Wohnungen aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, und der Althausbesitz wird Mühe haben, konkurrenzfähig zu bleiben.Allerdings muß bis dahin noch ein Problem gelöst werden. Die preisdämpfende Funktion der Sozialwohnungen kann nur zur Auswirkung kommen, wenn ständig ein Teil dieser kostengebundenen Wohnungen frei wird und an den Markt kommt. Nun wohnen in den im letzten Jahrzehnt errichteten Sozialwohnungen heute zum Teil Mieter, die auf Grund ihres gestiegenen Einkommens nicht mehr in diese Wohnungen gehören.
Es werden geeignete Mittel und Wege gefunden werden müssen, um zu erreichen, daß die Bewohner der öffentlich geförderten Sozialwohnungen, die nach der Höhe ihres Einkommens nicht mehr zu diesem Personenkreis zählen, veranlaßt werden, sich um eine andere Wohnung zu bemühen. Diese Wohnungen sind vorzugsweise für Einkommensschwache gebaut worden; sonst könnte man die Milliardenbeträge nicht rechtfertigen, die vom Bund, von den Ländern und den Gemeinden zinslos zur Verfügung gestellt worden sind.
Während der Übergangszeit sind in gewissem Umfange Mieterhöhungen vorgesehen, vor allem auch unter Berücksichtigung der Wohnwerte der Wohnungen, um den späteren Übergang zu der Marktmiete vorzubereiten. Hier darf kein Sprung ins kalte Wasser erfolgen. Diese Mieterhöhungen halten sich aber in einem engen Rahmen und können überhaupt nicht in Vergleich gesetzt werden zu den zum Teil harten Maßnahmen, die in anderen euro-
Metadaten/Kopzeile:
4888 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Bundesminister Lückepäischen Ländern getroffen worden sind. In England beispielsweise hat man die Mieten teilweise um mehr als 100 °/o angehoben, und die Bevölkerung hat dies als wirtschaftlich richtig und notwendig erkannt und auch bestätigt.
Ich werde mir erlauben, Ihnen in Kürze einen Überblick über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft in den anderen europäischen Ländern zur Verfügung zu stellen, eine durchaus lesenswerte und interessante Schrift.
Nach der Regierungsvorlage ist eine pauschale Mieterhöhung bis zu 15 % für 5 Millionen Altbauwohnungen möglich, der sich eine weitere Mieterhöhung im Rahmen der freigegebenen Gruppen bis zur Wohnwertmiete anschließen kann. Im Höchstfalle können also bis 1963 beide Mieterhöhungen zusammen, wenn die Wohnung besonders gut ausgestattet ist, auf 38% kommen. Im Durchschnitt werden die Mieterhöhungen für diese Gruppen 25 % nicht übersteigen. Dabei weiß ich noch nicht einmal, ob alle Vermieter diese gesetzlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen werden. Das ist bisher beim Bundesmietengesetz auch nicht der Fall gewesen. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß mancher Eigentümer älterer Wohngebäude alles Interesse daran haben wird, gute Mieter zu halten. Er muß mit ihnen sprechen, auch über die Höhe der Mieten.Nun noch ein Wort zu dem Stufenplan für die Mieterhöhungen, der etwas anders gestaltet ist als derjenige bei dem Abbau der Wohnraumbewirtschaftung. Sie wissen, daß die zugelassenen Mieterhöhungen, abgesehen von dem generellen 15prozentigen Zuschlag zunächst für die großen und besonders gut ausgestatteten Wohnungen — das sind 25% der vermieteten Altbauwohnungen —, dann für die mittleren Wohnungen — das sind 30 % der vermieteten Altbauwohnungen — und erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt, und zwar etwa 21/2 Jahre später, für die kleineren und meist einfacher ausgestatteten Wohnungen vorgesehen sind. Für diese Maßnahmen waren sowohl volkswirtschaftliche als auch soziale Überlegungen maßgebend. An den großen und älteren Wohnungen mit 6, 7 und mehr Räumen besteht heute kaum noch ein Mangel mehr. Bei dem Zug nach „draußen", bei dem vielfachen Wunsch nach moderner Ausstattung und ruhiger Lage sind diese Wohnungen nicht mehr so gefragt, trotz ihrer meist soliden Bauweise und trotz des Umstandes, daß diese Wohnungen weniger hellhörig sind als die neu gebauten Wohnungen. Hier könnten die zwangswirtschaftlichen Bindungen am ehesten entbehrt werden. Daß an diesen größeren alten Wohnungen kein solcher Mangel mehr besteht, kann man auch daran erkennen, daß sich die Wohnungsämter um diese Wohnungen nicht mehr gekümmert haben.Neben diesen Überlegungen war bei der Festlegung der Stufen und Schritte auch der soziale Gesichtspunkt maßgebend. Gerade in den kleineren Altwohnungen mit den bescheidenen Mieten undentsprechender Ausstattung lebt die Mehrzahl der einkommensschwachen Bevölkerung, soweit sie zur Miete wohnt. Deshalb erschien es nicht vertretbar, für diese Wohnungsinhaber alsbald eine weitere Mieterhöhung schon jetzt zuzulassen, wenn auch bei der Gesetzesvorbereitung wiederholt darauf hingewiesen wurde, daß gerade bei diesen alten Wohngebäuden mit den kleinen und einfachen Wohnungen eine Mieterhöhung besonders notwendig wäre, um die erforderliche Instandsetzung und Modernisierung zu erleichtern.Der vorliegende Gesetzentwurf über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft will die Initiative der Hausbesitzer und der Mieter wieder beleben und mit der staatlichen Bevormundung und dem behördlichen Dirigismus endlich Schluß machen. Letzten Endes hat sich immer wieder gezeigt, daß der freie Bürger in seinem Interessen- und Lebensbereich seine Sache am besten bestellt,
nicht der Bürger, der dem Staat seine Versorgung überläßt.Das Gesetz über ein soziales Mietrecht, wie sein zweiter Titel heißt, ist aus der Grundüberlegung der Bundesregierung erwachsen, daß die Wohnung keine Ware ist, sondern ein Gut besonderer Art, weil in ihr Menschen und Familien leben, von deren Wohl und Wehe die Gemeinschaft, der Staat schlechthin, abhängt.
Das Gesetz wird nicht nur der Gesundung des Hausbesitzes dienen, sondern ebenso im wohlverstandenen Interesse der Mieter liegen.Der Gesetzentwurf stellt deshalb ab auf eine Synthese der verschiedenen wirtschaftlichen Interessen und der sozialen Belange, auf eine sinnvolle und behutsame Einfügung der Wohnungszwangswirtschaft, deren Abbau überfällig ist, in unsere so erfolgreiche Marktwirtschaft und auf eine Fortentwicklung des überalterten Mietrechts in das soziale Miet- und Wohnungsrecht der Zukunft.Ich darf an dieser Stelle zugleich an den Bundesrat appellieren, der Vorlage seine Zustimmung nicht zu verweigern. Der Bundesrat hat in 107 Punkten Abänderungsanträge gestellt. Hierüber war vielleicht mancher von Ihnen, meine Damen und Herren, im ersten Augenblick erschrocken. Aber bei Lichte besehen betrifft der allergrößte Teil der Anträge des Bundesrats nur redaktionelle Dinge und kleine sachliche Verbesserungen. Die Bundesregierung hat sie schon beim Rücklauf der Vorlage fast vollständig übernommen. Es bleiben einige wenige Grundsatzfragen offen. Ich bin der festen Überzeugung, daß hier Lösungen zu finden sind, die auch für den Bundesrat annehmbar sind. Mit neuen Vorschlägen über eine Beschleunigung des Abbaues der Wohnraumbewirtschaftung unter stärkerer Abstellung auf die objektive Wohnungsmarktlage habe ich schon eine Möglichkeit aufzuzeigen versucht. Diese Möglichkeit wird dem Bundesrat, soweit ich weiß, entgegenkommen. Ich nehme auch an, daß das vom Bundesrat geforderte nullprozentige Woh-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4889
Bundesminister Lückenungsdefizit nur eine Maximalforderung war und der Bundesrat sie bei nochmaliger Überprüfung nicht aufrechterhalten wird, weil sie einfach unrealistisch ist. Ich glaube, daß wir auch in den anderen wenigen offenen Fragen mit dem Bundesrat zu einer Verständigung kommen werden. Vielleicht ist es zweckmäßig, daß der Bundestagsausschuß nach dem bewährten Verfahren der Vergangenheit vor der endgültigen Beschlußfassung eine gemeinsame Sitzung mit dem Ausschuß des Bundesrates abhält.Ich bitte Sie, mir zu glauben, daß in den jahrelangen Vorbereitungen alle Probleme sorgfältig durchleuchtet worden sind. Unterstützt durch die Bundesregierung, erkläre ich Ihnen: das Gesetz muß kommen, und es muß so bald wie möglich kommen. Beseitigen Sie durch eine baldige Entscheidung die Ungewißheit in der Bevölkerung darüber, was das Hohe Haus auf diesem Gebiet beschließen wird. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Überleitung der Wohnungswirtschaft in die soziale Marktwirtschaft vor sich gehen soll. Die Bevölkerung ist in den letzten Monaten zum Teil durch unverantwortliche Falschmeldungen über den Inhalt der Regierungsvorlage geradezu eingenebelt worden.
Ihre Entscheidung, meine Damen und Herren, wird auch hier die wünschenswerte und notwendige Klarheit schaffen.
Ihre Entscheidung wird aber auch die letzte Insel der Zwangswirtschaft zum Wohle aller Bürger beseitigen. Eine neue Epoche des deutschen Wohnungswesens kann dann eingeleitet werden.Ich erinnere an die so erfolgreiche Wohnungsbaupolitik der letzten zehn Jahre — es ist ein Erfolg, 5 Millionen Wohnungen gebaut zu haben —
und an die wichtigen, durch dieses Hohe Haus zum Teil einstimmig verabschiedeten Gesetze, die die Grundlage für diese Politik bildeten. Ich möchte den Wunsch aussprechen, daß Sie auch diesem Gesetz im Hinblick auf seine Bedeutung Ihre gemeinsame Zustimmung geben.
Sie haben die Einbringung des Gesetzentwurfs gehört. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hesberg.
— Ich höre Beifall von den Tribünen. Das ist in diesem Hause nicht gestattet.
Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage, die der Herr Bundeswohnungsbauminister soeben begründet hat, macht die Bundesregierung nach Auffassung der CDU/CSU, für die zu sprechen ich die Ehre habe, einen entscheidenden Schritt zum Abbau des Staatseinflusses in der Wohnungswirtschaft. Nachdem wir in der zweiten Legislaturperiode das Familienheimgesetz geschaffen haben, das eine auf die Marktwirtschaft überleitende Methode für die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus und gleichzeitig auch kostendeckende Mieten gewährleistet hat, soll nunmehr etappenweise der pseudosoziale Dirigismus im Altwohnungsbestand abgebaut und eine den Gegebenheiten der Wohnungswirtschaft gemäße soziale Marktwirtschaft verwirklicht werden.Aber nicht allein deswegen, weil der Entwurf der grundsätzlichen Einstellung der CDU entspricht, begrüßen wir die Initiative des Herrn Wohnungsbauministers Lücke. Wir sind auch der Meinung, daß die Gesamtkonzeption der von ihm und den anderen beteiligten Ministerien erarbeiteten Vorlage geeignet ist, eine möglichst reibungslose Überleitung in die Marktwirtschaft zu gewährleisten.
In dieser Auffassung werden wir namentlich durch die eingehende Prüfung der teilweise überlaut vorgebrachten kritischen Einwendungen bezüglich der wohnungswirtschaftlichen, der volkswirtschaftlichen und auch der sozialen Gegebenheiten bestärkt.Zur positiven Beurteilung gaben besonders die günstigen Erfahrungen Anlaß, die beim Abbau der' Wohnungszwangswirtschaft zwischen den beiden Weltkriegen gemacht worden sind, ferner auch die Erfahrungen, die in den europäischen Ländern in den letzten Jahren gesammelt werden konnten.Es ist nicht uninteressant, daß auch in den anderen Ländern bei den Regierungen und von den Verbrauchern das Verlangen nach freiheitlicher Ordnung in der Wohnungswirtschaft laut wurde, und es ist weiterhin interessant, daß dort weitaus drastischere Korrekturen des erstarrten Mietgefüges durchgeführt worden sind, als sie für Deutschland jetzt vorgesehen sind. Schließlich ist bemerkenswert, daß diese Maßnahmen nach anfänglicher Kritik der Verbraucher akzeptiert worden sind. Den schlagendsten Beweis dafür haben die Wahlen in England erbracht, wo bekanntlich die Mieterhöhungen der Regierung Macmillan arg kritisiert und teils als Wahlschlager herausgestellt worden sind. Aber diese Kritik ist nicht honoriert worden.Meine Damen und Herren, in diesen Ländern wird es ebenso sein wie bei uns. In der Öffentlichkeit kommt doch meist nur die Kritik der am Preisstopp und an den Bindungen Interessierten zum Ausdruck. Die Stimmen der zur Marktwirtschaft neigenden Verbraucher kommen weniger zur Geltung. Es verdienen daher Meinungsumfragen vermerkt zu werden, bei denen fast die Hälfte der Befragten gegen die Bevormundung durch die Wohnungsämter votiert hat. Sie hat sich für die Selbstverantwortung in der Wohnungsversorgung ausgesprochen. Man erblickt in der Wohnungsbewirtschaftung eine Be-
Metadaten/Kopzeile:
4890 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Dr. Hesbergschränkung der Freizügigkeit, und nicht selten ist auf die im Grundgesetz garantierte Freizügigkeit hingewiesen worden.Die nach dem Wohnraumbewirtschaftungsgesetz möglichen Zwangseinweisungen schaffen in der Regel von vornherein Spannungen, die für den Mieter das Wohnen nicht angenehm machen. Bei kleinsten Differenzen, die nach solchen Reibungen aus Anlaß des Bezugs der Wohnung auftreten, finden dann Explosionen statt. Die Zahl der Räumungsklagen wäre geringer, wenn das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter nicht so oft von Anfang an durch den Eingriff des Wohnungsamtes belastet wäre.
Meine Freunde und ich bekennen sich daher zur möglichst beschleunigten Überleitung zu einer freiheitlichen Ordnung,
zur Selbstverantwortung des Bürgers auf dem Gebiet der Wohnungsversorgung. Wir erblicken in der Vorlage die Voraussetzung für eine schrittweise Verwirklichung unserer Grundsätze und glauben, daß das Verhältnis zwischen Eigenverantwortung und Hilfe der Gemeinschaft, wie sie in den Miet-und Lastenbeihilfen zum Ausdruck kommt, wohlabgewogen ist.Kritiker, meine sehr verehrten Damen und Herren, fragen: Kann die freie Konsumwahl denn jetzt schon angebahnt werden, oder liegt sie überhaupt im Bereich des Möglichen? Bei dieser Frage wird dann auf den ungedeckten Bedarf an Wohnungen hingewiesen, der vom Herrn Wohnungsbauminister eingehend dargelegt worden ist. Demgegenüber kann nur hervorgehoben werden, Grundsatz der Vorlage ist, daß der Abbau nach Maßgabe der Beseitigung des Wohnungsdefizits erfolgt. Der Minister hat dargelegt, daß dies in den Übergangsiahren fortschreitend erreicht wird, daß sich hier sehr bald Teilmärkte bilden werden und die Auslösung des Marktmechanismus eine bessere Verteilung gewährleisten wird. Wir teilen diese Auffassung ides Herrn Wohnungsbauministers. Auch wir halten nichts von den Übertreibungen der Statistiken über den ungedeckten Bedarf an Wohnungen.Heute ist es wie 1927 nach der damaligen Wohnungszählung. Seinerzeit legten die einen die Statistik so aus, daß eine Überversorgung von über 100 000 Wohnungen vorhanden sei, andere rechneten mit einer Unterversorgung von 1 Million. Genauso wird heute mit den Millionen jongliert.Interview-Erhebungen haben aber ergeben, wie der ungedeckte Bedarf, namentlich der Wohnungsbedarf derjenigen zu werten ist, die als Einzelpersonen oder Familien zur Untermiete wohnen. Sie haben ergeben, daß die Zahlungsbereitschaft nicht immer so groß ist, daß die Wünsche der Untermieter in vollem Umfang als Wohnungsnachfrage angesetzt werden könnten. Der ermittelte ungedeckte Bedarf ist eher geringer, als er sich aus den Berechnungen des Wohnungsbauministeriums ergibt und als in der Vorlage unterstellt worden ist.Denken Sie, meine Damen und Herren, etwa an die Wohnhäuser in landwirtschaftlichen Gebieten. Darin wohnen häufig Altenteiler, und zwar mit der Hauptfamilie in einem Wohnhause, mit der sie praktisch einen Haushalt bilden. Aber in diesem Falle sind in der Statistik zwei Familien in einer Wohnung gezählt worden, so daß eine Wohnung als ungedeckter Bedarf in der Statistik erscheint. Das ist ein sehr erheblicher Prozentsatz von Wohnungen gerade in den Gebieten mit landwirtschaftlicher Struktur. Wir können andere Beispiele anführen, die die Annahme, die ich soeben vorgetragen habe, belegen.Für die Beurteilung des ungedeckten Bedarfs an Wohnungen ist sehr beachtlich, daß die Belegungsdichte, die bei der Wohnungszählung ermittelt worden ist, annähernd die gleiche wie in der Vorkriegszeit, also vor dem zweiten Weltkrieg, ist. Natürlich ergibt die Änderung der Bevölkerungsstruktur heute einen höheren Bedarf pro Familie, einen höheren Bedarf für die Einpersonenhaushaltungen als in der Vorkriegszeit. Dieses Mehr an Wohnungen werden wir mit berücksichtigen müssen, und die Vorlage hat dieses Mehr anscheinend richtig getroffen.Somit kann wohl gesagt werden, daß der vorhandene Bedarf durch die erwarteten Umbauten und teilweise durch den Bestand gedeckt werden kann, es kann wohl erwartet werden, daß die erhöhten Mieten und die Wiedereinsetzung des Eigentümers in sein Verfügungsrecht mit dazu beitragen werden, daß die Vermieter ihre Wohnungen daraufhin überprüfen, inwieweit sie heute noch unterbelegte Wohnungen der Nutzung zuführen können. Es ist hier auch die Frage aufzuwerfen, ob man nicht etwa gerade bei den großen Wohnungen, von denen der Herr Minister gesprochen hat, die so unterbelegt im Sinne des Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes sind, durch Wohnungsteilung ähnlich wie zwischen den beiden Weltkriegen neue selbständige Einheiten schaffen und damit zu einer besseren Versorgung in der Wohnungswirtschaft kommen kann.
Alles in allem sind die Vorschläge zum Abbau der Wohnraumbewirtschaftung zu billigen. Auch in der Weimarer Republik erfolgte zunächst der Abbau der Wohnraumbewirtschaftung. Damit wurde frühzeitig in den Gemeinden ohne Wohnungsmangel begonnen, dann bezog man die großen und mittleren Wohnungen in diesen Abbau ein, und schließlich bezog man auch die Mietpreise und den Mieterschutz mit in diese Abbaumaßnahmen ein. Man hat damals günstige Erfahrungen mit einer Methodik gemacht, wie sie heute in ähnlicher Weise zur Anwendung kommen soll. Ich empfehle allen denjenigen, die mit diesen Dingen nicht so vertraut sind, einmal die Berichte nachzulesen, die zu den einzelnen Abbauverordnungen beispielsweise vom damaligen preußischen Volkswohlfahrtsminister Hirtsiefer herausgegeben worden sind.
Nun ist die Empfehlung ausgesprochen worden, wegen der Diskonterhöhung den Beginn des Ab-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4891
Dr. Hesbergbaus der Wohnungszwangswirtschaft hinauszuschieben. Meines Erachtens ist eigentlich kein Grund ersichtlich, warum die Zahlen im Wohnungsbau, deren Erreichung sich die Bundesregierung I zum Ziel gesetzt hat, nicht erreicht werden sollten. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß diese Zahl neuer Wohnungen — sie ist im Gesetz vorgeschrieben und entspricht im übrigen auch dem, was im Schnitt der vergangenen Jahre erzielt worden ist — erreicht wird, daß also die zur Abdekkung des Fehlbedarfs erforderlichen Neubauwohnungen erstellt werden.Ich erinnere an die Besorgnisse, die 1955, 1956 bei den Beratungen des Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes wegen der Entwicklung des Wohnungsbaus und wegen mangelnder Finanzierung geäußert worden sind; sie haben sich alle als gegenstandslos erwiesen. Wir haben höhere Zahlen erreicht, als wir bei den Beratungen zugrunde gelegt haben. Die Totenglocken des sozialen Wohnungsbaus, von denen so viel geredet worden ist, haben nicht geläutet. Die Bundesregierung ist, unterstützt von den Ländern, noch immer mit den Problemen, mit den vorübergehenden Engpässen fertig geworden.Erinnern wir uns an die Verknappungen auf dem Kapitalmarkt und die Besorgnisse, die uns alle, die wir auf diesem Gebiete zu arbeiten pflegten, erfüllten, als sich vor zwei Jahren plötzlich eine Verknappung der Wohnungsbaumittel auf dem Realkreditmarkt bemerkbar machte. Auch damals setzte sofort eine unmittelbare Initiative ein; sie ist erfolgreich gewesen, so daß wir den damaligen Engpaß überwinden konnten. Das wird Ihnen allen noch in Erinnerung sein.Die Situation auf dem Kapitalmarkt ermöglicht es unseres Erachtens sogar, die Finanzierung durch die Mittel des Kapitalmarktes noch auszuweiten. Wir begrüßen, daß entsprechende Bürgschaftsrichtlinien des Bundes herauskommen sollen. Wir kommen dadurch zu einer marktwirtschaftlichen Orientierung der Wohnungsbaufinanzierung und durch marktkonforme Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Wohnungsbaugesetz zu weiteren Fortschritten. Wir begrüßen dies um so mehr, meine Damen und Herren, weil wir der Überzeugung sind, daß die Maßnahmen auf dem Gebiete der Wohnungsbewirtschaftung und des Mietpreisrechtes, die wir heute besprechen, geeignet sind, neue Initiative zum Bau von Familienheimen und eventuell auch von Mietwohnungen auszulösen.
—Ja, ich glaube daran, Herr Jacobi. Nach zwei Jahren werden wir uns wieder sprechen; Ihr Pessimismus hat sich noch immer als unbegründet herausgestellt.
Man wird mir vielleicht entgegenhalten, daß wir es beim Bauland mit einem Engpaß zu tun haben und daß vielleicht dadurch die Wohnungsbauzahlen nicht erreicht werden können. Ich kann daher nur einen Appell aussprechen, die Verabschiedung des Bundesbaugesetzes zu beschleunigen, damit all dieMaßnahmen wirksam werden, mit deren Hilfe wir uns eine Auflockerung des Baulandmarktes versprechen.Abschließend darf ich erklären: wir halten den Abbaurhythmus und die Endtermine der Wohnraumbewirtschaftung für realistisch, vielleicht sogar für zu vorsichtig angesetzt. Wir billigen die vorgeschlagenen Methoden. Ich darf noch hinzufügen, daß der Abbauplan der Bundesregierung eine bemerkenswerte Bestätigung durch wissenschaftliche Untersuchungen erfährt, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung veranlaßt hat und deren Ergebnis es 1955 herausgegeben hat. Es ist eine Arbeit von Arndt, die zu dem Ergebnis kommt, daß sämtliche Normen der Zwangswirtschaft 1962 entbehrlich sein dürften. Diese Zeitangabe kommt dem Termin des Planes der Bundesregierung also sehr nahe.Zu den Mietpreisbestimmungen des Entwurfs, meine Damen und Herren, sei zunächst folgendes bemerkt. Von einer Mietpreisfreigabe in den Übergangsjahren, von der in der Öffentlichkeit so oft gesprochen und in großer Aufmachung in manchen Zeitungen auch geschrieben worden ist, kann nicht die Rede sein. Das hat auch der Herr Bundeswohnungsbauminister soeben herausgestellt. Die Aufhebung der Mietpreisbindungen steht vielmehr erst am Ende der Überleitungsjahre.Irrtümlich wird auch immer berichtet, die Mieten für Wohnungen des Vorkriegsbestandes würden um 15 bzw. 38 v. H. der derzeitigen Mieten steigen. Diese Sätze beziehen sich aber wohlgemerkt auf die Grundmiete im Sinne der Altbaumietenverordnung. Danach besteht nämlich die preisgebundene Miete aus einer unveränderlichen Grundmiete und aus den Umlagen für Wassergeld, Mehrbelastung aus Steuern, Gebühren usw., aus Untermietzuschlägen und aus Zuschlägen für gewerbliche Nutzung. Die Umlagen sind aber unterschiedlich hoch; sie betragen in der Bundesrepublik mindestens 5% und erreichen im Schnitt 8 bis 10%. Wenn jedoch beispielsweise Umlagen für Heizung und Warmwasserversorgung in der Miete enthalten sind, ist der Anteil der Umlagen an der Gesamtmiete wesentlich höher. Berücksichtigt man diese Umlagen bei der Berechnung, dann kommt man bei 5% Umlagen, die in der Gesamtmiete enthalten sind, zu einem Höchstsatz von 36% und bei einer 10%igen Umlage zu einer Mehrbelastung von 35 % der Gesamtmiete.Die Höchstsätze — und das ist das Wichtige, was immer herausgehoben werden muß — werden aber nur erreicht, wenn ein erheblicher Abstand der derzeit geltenden Miete oder der in der ersten Stufe um 15% erhöhten Miete vom Mietenplafond besteht. Nach der allgemeinen Mieterhöhung von 15 % der Grundmiete erfolgen nämlich keine schematischen Mieterhöhungen. Die Heranführung an das Mietgefüge des sozialen Wohnungsbaues hat bekanntlich zum Inhalt, daß die Mieten nach den Wohnwerten, nach der Ausstattung der Wohnungen, abgestuft sind. Über den Mietsatz, der sich aus der Tabelle ergibt, hinaus kann der Vermieter Vereinbarungen mit dem Mieter treffen. Aber die
Metadaten/Kopzeile:
4892 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Dr. Hesberghöchstmögliche Mieterhöhung ist nur 20 °/e, wenn die 15%ige Mieterhöhung erfolgt ist.Im Gegensatz zum Bundesrat halten meine Freunde und ich die Absicht der Bundesregierung, in den weiteren Stufen individuell zu verfahren, für richtig, weil dadurch das Mietgefüge entzerrt wird und eine Anpassung der Mieten an den Wohnwert erfolgt. Damit kommt man auch der in etwa zu erwartenden marktwirtschaftlichen Preisbildung entgegen.
Durch diese Regelung werden die ungewöhnlichen Spannen gemildert. Wir schließen uns der Argumentation in der Stellungnahme des Deutschen Volksheimstättenwerks an, die Ihnen allen zugegangen ist und in der ausgeführt wird, daß schematische Mieterhöhungen die bestehende Verzerrung des Mietengefüges nur vergrößern würden und die daraus resultierenden sozialen Ungerechtigkeiten nur erhöhen dürften. In etwa, wenn auch vergröbert, ist das Prinzip, das dieser individuellen Mietenerhöhung zugrunde liegt, bereits im Ersten Bundesmietengesetz zu erkennen, nach dem die Zuschläge, die damals auf die Grundmiete gewährt wurden, mit 10, 15 und 20 vom Hundert bemessen waren.Überwiegend wird der Höchstsatz der Mieterhöhung von 38 % der Grundmiete nicht erreicht. Durchschnittlich kommt die Heranführung der Mieten an die Plafondmiete zu einer Mieterhöhung von etwa 23 % bei den Komfort- und Großwohnungen, von 25% bei der zweiten Gruppe der mittelgroßenWohnungen und von 30 % bei der dritten Gruppe der Kleinwohnungen. Diese Unterschiede sind darauf zurückzuführen, daß in den beiden ersten Gruppen, den Groß- und Komfortwohnungen, die höheren Mietzuschläge von 15 und 20% im Jahre 1955 gewährt sind und damit schon seinerzeit die Rentabilität stärker verbessert worden ist.In der Diskussion wird immer wieder gesagt, es bleibe nicht allein bei diesen allgemeinen und den individuellen Mieterhöhungen, sondern durch höhere Grundsteuern kämen noch sehr beträchtliche Mehrbelastungen für die Mieter, sei es als Folge einer neuen Einheitsbewertung, sei es als Folge einer Erhöhung der Grundsteuer-Meßzahlen, wie sie die Gemeinden fordern und wie sie auch kürzlich in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium empfohlen worden sind. Im Verlauf der Übergangsjahre werden wir aber nicht mit einer neuen Einheitsbewertung zu rechnen haben. Daher werden auch keine steuerlichen Auswirkungen von der Einheitsbewertung zu erwarten sein. Meine Freunde und ich stehen im übrigen aber einer Gemeindepersonensteuer, die die Grundsteuer als Verteilungsmaßstab, zugrunde legt, ablehnend gegenüber.
Das ist bekanntlich der Inhalt des Vorschlags des Wissenschaftlichen Beirats und der Gemeindeverbände.Wenn man die breiten Kreise der Bevölkerung zur Finanzierung der Gemeindeaufgaben heranziehen will, indem man die Grundsteuer erhöht und diese Grundsteuer auf die Mieter umlegt, dann schafft man damit praktisch eine Mieten- oder Wohnraumsteuer. Diese ist auf jeden Fall als unsozial abzulehnen,
weil sie denjenigen stärker trifft, der mit großer Familie und geringem Einkommen eine größere Wohnung nötig hat, und denjenigen begünstigt, der mit kleiner Familie unter Umständen auch nur eine kleine Wohnung bewohnt. Eine solche Maßnahme müssen wir unter allen Umständen als der Wohnungswirtschaft nicht gemäß ablehnen. Wir können daher die genannten Ziffern, die ich als Durchschnittswerte für die Gesamtmehrbelastung der Mieter angegeben habe, als Obergrenze ansehen.Im übrigen sind wir in Übereinstimmung mit Herrn Wohnungsbauminister Lücke nach den Erfahrungen mit dem Ersten Bundesmietengesetz der Auffassung, daß zahlreiche Vermieter die Höchstgrenzen nicht ausschöpfen werden, und zwar aus den verschiedensten Gründen, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat.Wir sind also der Meinung, daß das Ausmaß der Mieterhöhung im Vergleich zu England und Dänemark maßvoll ist. Übersehen wir nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir gerade beim Altwohnraumbestand eine Angleichung an das Mietniveau der Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus vollziehen und daß es sich bei diesen Mieten des sozialen Wohnungsbaus um ein Mietenniveau handelt, das durch den Einsatz öffentlicher Mittel gedrückt ist, daß also hier mit Hilfe der Steuergelder eine Mietverbilligung eingetreten ist.Die Rendite, die aus den Altbauten erzielt wird, ist deswegen auch nach Durchführung des Zweiten Bundesmietengesetzes bescheiden. In Anlehnung an Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auf der Basis des Zeitwertes von 1949 kommt man zu einer Rendite von 4 bis 5 °/o, wobei zu bemerken ist, daß hierin die Bodenwerte nicht einbezogen sind und daß es sich um Werte des Jahres 1949 handelt. Man kann rechnen, daß die Rendite, auf diese Zeitwerte von 1949 bezogen, sich unter Berücksichtigung des Bodenwerts daher bestenfalls auf 31/2 bis 41/2% stellt.Wenn wir uns der Ausführungen des Herrn Bundeswohnungsbauministers zur sozialen Lage der Vermieter erinnern und davon ausgehen, daß Aufgabe der Mieterhöhung nicht nur die Wiederherstellung der Rentabilität ist, sondern auch die Deckung des aufgestauten Instandsetzungsbedarfs, und daß diese zusätzlichen Gelder mit zur erforderlichen Modernisierung dienen sollen, dann wird einem klar, daß von großen Geschenken an die Vermieter, die der Regierungsvorlage unterstellt werden, nicht die Rede sein kann.Die Mietenkonzeption kann im übrigen um so mehr gutgeheißen werden, weil die Miet- und Lastenbeihilfen nicht tragbare Mehrbelastungen auffangen. In Fortführung des Ersten Bundesmietengesetzes und des Familienheimgesetzes wird durch diese Konzeption der Vorlage jeder Familie eine
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4893
Dr. Hesbergangemessene Wohnung gewährleistet. Das charakterisiert in der Tat diese Vorlage als Maßnahme in der sozialen Marktwirtschaft, als sozialen Fortschritt von größter Bedeutung und als einen wichtigen Beitrag zur Familienpolitik unserer Bundesregierung und unserer Partei.
Die Miet- und Lastenbeihilfen verhindern, daß Familien, die unverschuldet in wirtschaftliche Notlage geraten, unter einen bestimmten Wohnungsstandard heruntersinken. Sie bewirken, daß sie nicht ihr Heim — sei es nun Mietwohnung oder Einfamilienhaus verlassen und in Bunker und Nissenhütten ausweichen müssen.Bedauerlich ist es, wenn angesichts solch wohlabgewogener Gesamtkonzeption von „sozialer Demontage" geredet und geschrieben worden ist. Die Entschließung des Deutschen Volksheimstättenwerkes, die ich schon erwähnte, trifft das Richtige, wenn darin ausgeführt wird:Indem versucht wird, durch Mietbeihilfen und folgerichtig auch durch ihnen entsprechende ebenso notwendige Lastenbeihilfen jeder Familie eine angemessene Wohnung zu gewährleisten, dient der Gesetzentwurf dem Gedanken des sozialen Rechtsstaates, dessen Schaffung dem Gesetzgeber durch Art. 20 unseres Grundgesetzes aufgegeben ist.In der Entschließung, die auch die Vorschläge zur Mietanhebung billigt, werden im übrigen folgende bemerkenswerten Feststellungen getroffen:Die Verwirklichung beider Ziele setzt die Einsicht voraus, daß für das lebensnotwendige Gut Wohnung auch ein angemessener Preis gezahlt werden muß. Millionen Familienheim- und Bausparer, deren Interessen das Deutsche Volksheimstättenwerk vertritt, haben eindeutig bewiesen, daß breite Schichten unseres Volkes hierzu bereit und in der Lage sind. Die finanzielle Belastung, die diese Familien für das Eigenheim auf sich genommen haben, steht vielfach in krassem Mißverhältnis zu den Mieten, die selbst wohlhabende Bevölkerungsschichten für gleichgroße und gleich ausgestattete Altbau- und öffentliche geförderte Sozialwohnungen zu zahlen haben. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen erscheinen geeignet, diese Diskrepanz zu mindern und damit den Willen zum Eigenheim in zusätzlichen Bevölkerungsschichten zu wecken.Nun wende ich mich dem Mieterschutz zu. Zunächst möchte ich feststellen, daß der wirksamste Bestandsschutz in den Miet- und Lastenbeihilfen liegt. Sie machen zahllose Wohnungswechsel entbehrlich, die in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und vor dem ersten Weltkrieg üblich waren, und ersparen einen großen Teil der Mietaufhebungsklagen wegen Mietrückstandes.Daß der Mieterschutz für die Dauer der Übergangsjahre aufrechterhalten bleibt, wenn auch mit gewissen Modifikationen, wird in den Berichten über diese Vorlage vielfach unterschlagen. Vielleicht, meine Damen und Herren, trägt dazu das Kündigungsrecht der neuen Prägung bei. Oberflächliche Berichterstatter und demagogische Kommentatoren verschweigen, daß dem Mieter ein Widerspruchsrecht gegeben ist und daß damit dann im Gefolge der Fortbestand der bisherigen Normen gewährleistet ist.
Vor allen Dingen wird viel zuwenig beachtet, daß nach der Aufhebung des Mieterschutzes, nach den Übergangsjahren das soziale Mietrecht an die Stelle des Mieterschutzes tritt. Wer das Mieterschutzgesetz und seine Methoden als Dauerrecht will, verkennt, daß es in der bisher gültigen Form nur in ,außergewöhnlichen Zeiten vertretbar ist, daß es die normalen Beziehungen zwischen Vermieter und Mieter vielfach wesentlich beeinträchtigt hat und daß es sich nicht zuletzt auch zuungunsten der Mieter auswirken kann. Es verengt den Wohnungsmarkt.Immer lauter werden die Klagen, von denen eben schon Herr Minister Lücke gesprochen hat, daß Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues für die Schichten blockiert sind, die da hineingehören, weil man wegen dies Mieterschutzes jene nicht herausbekommen kann, die nach der Entwicklung ihrer Einkommensverhältnisse nicht mehr in diese Wohnungen gehören. Es wird daher gefordert, diesen Zustand abzustellen. Es wird zu prüfen sein, wie man garantieren kann, daß der Block der Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues den Kreisen vorbehalten bleibt, denen sie seinerzeit zugedacht gewesen sind und denen sie nach dem Gesetz ausschließlich dienen sollen.Mit der Beseitigung der Notstände wird im Interesse der Normalisierung der Verhältnisse von Vermieter und Mieter ein an wirtschaftlichen Gesichtspunkten orientiertes und von sozialer Verantwortung getragenes Recht an die Stelle des Mieterschutzes treten müssen. Es ist uns daher beim sozialen Mietrecht die Aufgabe gestellt, eine Regelung für einen auch in normalen Zeiten anzuerkennenden Schutz des Mieters zu finden. Dieser ist eine Konsequenz der sozialen Bindung des Eigentums. Es muß aber andererseits mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 des Grundgesetzes im Einklang stehen.Abschließend darf ich namens meiner Freundefeststellen, daß wir in dem Entwurf der Bundesreein geschlossenes System zur Überleitungder Wohnungswirtschaft in eine freiheitliche Ordnung erblicken. Es ist eine Regelung, die den wohnungswirtschaftlichen und sozialen Belangen weitestgehend gerecht zu werden versucht, eine Grundlage, die gleichermaßen den volkswirtschaftlichenBelangen und unserem wohnungspolitischen Wollen gerecht wird, nämlich der Erhaltung bedeutender volkswirtschaftlicher Werte sowie der Hebungdes Wohnungsstandards. Mit der Verwirklichungder Zielsetzungen dieses Entwurfs sollte unverzüglich begonnen werden. Mit Herrn Minister Lückeund mit der erwähnten Entschließung des Volksheimstättenwerkes stimmen wir überein, daß eine
Metadaten/Kopzeile:
4894 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Dr. HesbergVerzögerung die uns gestellte Aufgabe nur erschweren und die Gefahr von Fehlinvestitionen im Wohnungsbau erhöhen würde. Ich darf daher an das Hohe Haus appellieren, die sorgfältige, aber auch beschleunigte Beratung des Entwurfs tatkräftig zu fördern.
Das Wort hat der Abgeordnete Hauffe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nach der großzügigen Verkündung der Gesamtkonzeption dieses Gesetzentwurfes damit beginnen, daß ich ganz nüchtern frage: was will der sogenannte Lücke-Plan? Es handelt sich um drei Punkte: erstens die Beseitigung des Mieterschutzes, zweitens die Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung und drittens Mieterhöhungen. Ziel dieser Maßnahmen soll die Überführung der Wohnungswirtschaft in die Marktwirtschaft sein. Voraussetzung dafür ist aber, daß der Markt da ist. Die Frage ist, ob er vorhanden ist.Das Gesetz heißt: Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Mietrecht. Das ist ein Titel, der verfänglich ist. Wenn Sie mich fragen, ob ich den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft will, dann werden Sie mich nicht dazu bekommen, daß ich mich zum Verteidiger einer Zwangswirtschaft mache.
Aber Sie werden selber zugeben, daß auch Sie in Notzeiten mit derartigen Maßnahmen arbeiten müssen. Über das Ziel sind wir uns eigentlich durchaus einig. Es ist wünschenswert, die Zwangswirtschaft abzubauen.
Wir sind uns bloß wahrscheinlich nicht einig über den Zeitpunkt, darüber, ob die versprochenen Maßnahmen wirklich zu diesem Zeitpunkt die Zielsetzung möglich machen.Ein bißchen anders ist es schon mit der Formulierung „Soziales Mietrecht". Ob das, was hier als Ersatz für den zu beseitigenden Mieterschutz bezeichnet wird, als soziales Mietrecht angesprochen werden kann, darin sind einige Zweifel zu setzen.Nun, wir wollen diese Probleme einmal einzeln angehen.Ich möchte vorweg, damit wir nicht — wie man so gern sagt — uns bloß in der Polemik bewegen, folgendes sagen. Schlechte Beispiele — um den einen oder den anderen Teil zu beschuldigen — lassen sich in jeder Provinz finden. Man darf nicht derart vereinfachen, daß man sagt: „Alle Mieter sind schlecht, alle Hausbesitzer sind gut", oder umgekehrt. Damit kann man an das Problem nicht herangehen.Ich möchte des weiteren sagen: wir sollten bei diesen grundsätzlichen Betrachtungen Zwischengruppen ausscheiden. Eine der größten Zwischen-gruppen sind die Eigenheime. Sie stehen bei dieser Frage und bei diesem Gesetz nicht in dem Maße zur Diskussion, in dem sie zur Beweisführung angeführt werden. Der Besitzer eines Eigenheimes hat eine Zwischenstellung zwischen dem Mieter und dem Miethausvermieter. Er ist zwar Besitzer, aber er hat eigengenutztes Eigentum. Diese Zwischenstellung geht ganz klar auch daraus hervor, daß Sie ihn bei den Miet- und Lastenbeihilfen in die Stellung des Mieters setzen. Deshalb möchte ich bitten, daß wir bei diesem Meinungsaustausch die beiden Gegenspieler klar herausstellen. Das sind der gewerbsmäßige Hausbesitz und der Mieter. Diese beiden Gruppen stehen sich gegenüber.Genauso, wie man hier nicht Eigentümer gleich Eigentümer setzen kann, kann man überhaupt nicht schlechthin Eigentum gleich Eigentum setzen, wie es in dieser Diskussion oftmals gemacht wurde. Gerade beim Wohnungsbau tritt die soziale Verpflichtung des Eigentums mehr in den Blickpunkt als bei allen anderen Dingen. Ich möchte ganz offen sagen: Wer Kapital im Wohnungsbau investiert, muß sich darüber im klaren sein, daß er in einem Gebiet investiert, in dem die soziale Verpflichtung sehr groß ist, und daß er dort stärkere Bindungen auf sich nehmen muß, als wenn er in einem anderen wirtschaftlichen Bereich Kapital investiert.
Die einschlägigen Verfassungsbestimmungen über die soziale Bindung des Eigentums sind sehr schön herausgestellt in der Zeitschrift „Soziale Ordnung, Christlich-Demokratische Blätter der Arbeit", und zwar von Herrn Dr. W e i m a r. Er weist darauf hin, daß ein Artikel des Grundgesetzes sagt: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung." Zum zweiten sagt das Grundgesetz: „Die Wohnung ist unverletzlich." Drittens: „Das Eigentum . . . wird .gewährleistet . . . Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." — Nun, ich glaube, ich habe damit einen Zeugen angerufen, der auch für Sie unverdächtig ist.Deshalb möchte ich sagen, daß wir in dieser Diskussion nicht vom primitiven Eigentumsdenken ausgehen können, ungefähr in der Art, daß man sagt: Ich kann mit meinem Eigentum machen, was ich will. Der Gegenpol zu diesem primitiven Eigentumsdenken ist nämlich das Kolchosendenken. Ich glaube, in diesem Raum wollen wir uns nicht bewegen.
So primitiv kann man mit dem Eigentumsbegriff bei der Diskussion der Wohnungsprobleme nicht operieren. Deshalb möchte ich es ablehnen, mich bei dieser Diskussion auf solche Vergleiche einzulassen, wie sie in einem Zeitungsartikel angezogen worden sind, der hier auf die Versorgung mit Persianermänteln hingewiesen hat.
In einem anderen Artikel wird gesagt: Wohnungist gleich Eigentum, genauso wie die Maschine imBetrieb. Wenn man zu dieser Art der Eigentums-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4895
Hauffedefinition im Wohnungsbau kommt, dann muß man nämlich auch sagen — ich will es nicht sagen —: die Wohnung ist nichts anderes als ein Behälter zur Aufbewahrung von Menschen; und ich glaube, da machen wir alle miteinander nicht mit. Wenn man in dieses primitive Eigentumsdenken gerät, dann ist nämlich die Verfügung über diesen Behälter mit der Eigentumsverfügung über eine Kiste gleichzusetzen. Wenn mir der Inhalt nicht gefällt, schmeiße ich ihn heraus und tue etwas anderes hinein. Ich sage das bewußt, weil ich glaube, wir können uns darauf einigen, daß wir so nicht vereinfachen können.Daraus dürfte klar hervorgehen, daß der Mieterschutz nicht einfach wie ein Ableger der Zwangswirtschaft behandelt werden kann, sondern der Mieterschutz ist ein Bestandteil unseres sozial- und rechtsstaatlichen Denkens geworden; andernfalls sollte man nicht mit dem Begriff der Unverletzlichkeit der Wohnung operieren. Die Wohnung ist das Heim der Familie, und das Heim bedarf eines besonderen Schutzes. Positive Familienpolitik ist für mich ohne Mieterschutz nicht denkbar. Die Wohnung ist nicht etwa ein Gut, das man wie Luxusgüter behandeln kann.
Das möchte ich zur Frage des Mieterschutzes grundsätzlich sagen.Nun zur Frage der Aufhebung der Bewirtschaftung. Da ist grundsätzlich die Frage zu stellen: Will man die Aufhebung vor der Deckung des Bedarfs oder nach der Deckung des Bedarfs? Man stützt sich auf Statistiken. Hier sagt man, alle Statistiken seien in einer gewissen Art falsch, und man versucht, die Unzuverlässigkeit der Statistiken dazu zu 'benutzen, daß man hier den Schluß zieht, man müsse an die Aufhebung der Zwangswirtschaft herangehen, bevor die Bedarfsdeckung nachzuweisen sei. Nun, Herr Bundewohnungsbauminister Lücke bewegt sich ja mit den Zahlen, die er nennt, ungefähr auf derselben Linie wie der Deutsche Gewerkschaftsbund. Beide nennen einen Fehlbestand von 2 1/2 Millionen Wohnungen. Leider kommen sie nicht zu denselben Schlüssen. In einer Zeitung wird diese Zahl bezweifelt. Man behauptet, sie enthalte den Nachholbedarf nicht. Hierbei handelt es sich nicht um eine Zeitung aus dem Kreise meiner politischen Freunde, sondern um das Hamburger Sonntagsblatt. Die Berichte des Statistischen Bundesamtes sagen ganz klar, daß bei allen Statistiken die individuellen Wohnungswünsche und Wohnungsabsichten nicht zu berücksichtigen sind. Ich glaube, das ist richtig. Aber ich möchte mich gegen einen Vergleich wehren, der zu gern immer angestellt wird, indem man nämlich Statistiken aus der Vergangenheit heranzieht und sagt, die Belegung der Wohnräume sei heute geringer als beispielsweise vor 40 Jahren zur Zeit der Einführung der Wohnungszwangswirtschaft. Wenn man von einem solchen Vergleich ausgehen wollte, würde man praktisch dem kleinen Mann die Teilnahme am sozialen Fortschritt verwehren. Ich möchte jedenfalls nicht zu der Wohnraumbelegung des Jahres 1916 — um nur eine Jahreszahl zu nennen — zurückkehren.
Ich glaube, wir sollten uns darauf einigen, daß solche Vergleiche indiskutabel sind.Im Ausschuß wird uns die Frage sehr beschäftigen, was bei der Bestandsaufnahme zu erfassen ist, die die Grundlage für die einzelnen Termine des Stufenplans bildet. Sie haben dabei eine Ziffer genannt, die man näher beleuchten müßte, um überhaupt ihre Zuverlässigkeit beurteilen zu können. Ich denke an die 50%ige Erfassung der 1-PersonenHaushalte. Ich kann mir vorstellen, daß die 1-Personen-Haushalte örtlich je nach der Struktur sehr verschieden sind. Man sollte sich doch lieber bemühen, die Ergebnisse der ersten Erfahrungen zugrunde zu legen.Die Auswirkung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes wird ebenfalls die Bestandsaufnahme bis zum Jahr 1963 beeinflussen. Mich betrübt, daß die Mittel, die zur Förderung des Wohnungsbaues für den Normalverbraucher zur Verfügung stehen, immer problematischer werden.
Wir haben zwar sehr viel Sondermittel, aber der Kreis der wohnungsuchenden Normalverbraucher wird immer größer.Schauen wir uns doch einmal die Mittel näher an, die für den Normalverbraucher vorhanden sind: 700 Millionen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz. Im nächsten Jahr, wenn laut Stufenplan mit dem Abbau begonnen werden soll, gehen von den 700 Millionen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes 210 Millionen ab, nämlich dreimal die Degression von 70 Millionen. Es bleiben dann 490 Millionen übrig. Davon gehen wieder die Prämien ab, soweit sie nicht durch das Prämiengesetz mit 100 Millionen gedeckt sind. Ich möchte schätzen, daß es im nächsten Jahr 240 Millionen sein werden. Wir können uns vielleicht um 10 Millionen streiten, aber einigen wir uns einmal auf die genannte Summe. Dann bleiben für die Versorgung des Normalverbrauchers noch 250 Millionen, die an die Länder zu verteilen sind, wohlgemerkt: nicht in diesem Jahr, sondern im nächsten Jahr, wo der Stufenplan beginnen soll. Davon sind auch noch die Beträge für Sondermaßnahmen abzuziehen, nämlich einmal die 50 Millionen zum Ausgleich des Baues von Landwirtschaftswohnungen, zum anderen der Verfügungsfonds des Ministers mit 10 Millionen, der auch zur Förderung von Studentenwohnheimen und zu anderem verwendet wird. Alles das geht in den Bereich von Töpfchen, so daß im nächsten Jahr für den Normalverbraucher noch 190 Millionen zur Verteilung an die Länder zur Verfügung stehen. Mit diesem merkwürdigen Bild werden wir uns im Ausschuß sehr eingehend befassen müssen.Hinzu kommt, daß durch die bevorzugte Eigenheimförderung ein größerer Teil der Mittel naturnotwendig in die ländlichen Gegenden geht, weil die Bauplätze für den Eigenheimbau in den Großstädten nicht ausreichen. Das soll kein Vorwurf, sondern einfach die Feststellung sein, daß der Normalverbraucher in den Ballungszentren, ganz besonders in den Großstädten, noch einmal benachteiligt
Metadaten/Kopzeile:
4896 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Hauffewird. Jetzt habe ich die Frage zu stellen: wie sehen hei Aufhebung der Bewirtschaftung und Überführung in die Marktwirtschaft die Verhältnisse in den Ballungsgebieten und Großstädten auf der einen Seite, in den ländlichen Bezirken auf der anderen Seite aus? Ich halte es nicht für bedenklich, in den ländlichen Bezirken nach dem Stufenplan zu verfahren, wenn die Entwicklung so weitergeht. Aber das Kriterium werden die Ballungsgebiete und die Städte sein. Denn die Grundvoraussetzungen der Marktwirtschaft, nämlich die freie Konsumwahl und die Regelung des Preises durch Angebot und Nachfrage, sind dort einfach bis dahin nicht zu schaffen.Die Aufhebung jeder Preisbindung — die Preisbindung soll ja im Jahre 1963 generell fallen — vor der Deckung des Bedarfs schafft keine ausgependelte Miete, sie schafft keine Wohnwertmiete, sondern sie wird eine Knappheits- oder Konjunkturmiete schaffen.
Das ist die Befürchtung, die wir hierbei haben.Wenn es Ihnen auch theoretisch und praktisch möglich sein mag, einen Mietpreiswucher zu vermeiden, so wird bei Entfallen der Förderung des Wohnungsbaus für Normalverbraucher und Überführung in die Marktwirtschaft — die beiden Termine fallen ja zusammen — die künftige Miete sich an der Kostenmiete des freien Wohnungsmarktes als Orientierungsmiete ausrichten, wie ich sie einmal nennen möchte, und eine beträchtliche Höhe erlangen. Denn die Kostenmiete beträgt bei Objekten, die ohne öffentliche Mittel gebaut und nur mit Kapitalmarktmitteln und privatem Kapital finanziert sind, heute schon 3 bis 3,75 DM pro Quadratmeter. Obwohl anzunehmen ist, daß in den nächsten Jahren noch eine Steigerung eintreten wird, will ich einmal von der unteren Grenze von 3 DM ausgehen, damit man mir keine Schwarzmalerei nachsagt.Wir müssen, wenn wir diese Aufgabe in Angriff nehmen, ein Ziel im Auge haben: wir müssen zu einer zumutbaren Miete gelangen, die sich am Durchschnittslohn des Personenkreises orientiert, den wir heute im sozialen Wohnungsbau betreuen. Wir müssen davon ausgehen, daß die Orientierungsmiete der oben bezeichneten Art mindestens 3 DM pro Quadratmeter betragen würde. Sie muß nämlich kostendeckend sein; denn man kann nicht annehmen, daß bei einer Finanzierung ohne öffentliche Mittel jemand Kapital investiert, wenn er praktisch noch draufzahlen muß. Oder Sie müßten bis dahin erreichen, daß die die Miethöhe bestimmenden Zinsen auf dem Kapitalmarkt so weit sinken, daß zumutbare Mieten ermöglicht werden, „zumutbar" im Hinblick auf den Durchschnittslohn. Geht man von einer Orientierungsmiete von 3 DM pro Quadratmeter aus, kostet eine 60-Quadratmeter-Wohnung — das ist eine Normalwohnung für einen Drei- bis Vier-Personenhaushalt — 180 DM. Stellen wir diesem Betrag das Einkommen gegenüber, das der Herr Minister zugrunde gelegt hat, nämlich 600 DM pro Monat! Leider ist ein solches Einkommen, das von einem Stundenlohn von 3 DM ausgeht, noch die Ausnahme; der Durchschnitt hat noch lange nicht diese Höhe erreicht. Aber selbstbei einem solchen Lohn macht. eine Miete von 180 DM 30% des Einkommens aus, und das ist zuviel.Daher muß der Wohnungsbau — und jetzt sage ich ein Wort, das manchem vielleicht nicht gefällt — so lange wir notwendig weiter subventioniert werden; denn nur so kann ein tragbares Verhältnis zwischen Lohn und Miete erhalten werden. Andernfalls lösen Sie Lohnforderungen aus, mit denen von der anderen Seite her ein angemessenes Verhältnis zu den Mieten angestrebt werden müßte.
Diese Folge wäre wohl weitaus schlimmer.Es wird jetzt bloß von den kleinen Erhöhungen gesprochen. Wenn es bloß die kleinen Erhöhungen wären, wenn da nicht die Kurzfristigkeit wäre und wenn nicht die andere Maßnahme, die auf uns zukommt, praktisch vor der Haustür stünde, würde ich gar nichts sagen; dann ließe ich mit mir über die 15% oder die 10 Pf pro Quadratmeter bei den Erstwohnungen des sozialen Wohnungsbaus reden. Aber auch hier werden Sie annehmen können, daß bis zu dem Zeitpunkt der Aufhebung dieser 15 % in den meisten Fällen auf die möglichen 38 % angestiegen sind. Zu den um 10 Pf je Quadratmeter erhöhten Mieten wird in der nächsten Zeit wegen des Fortfalls der Grundsteuerbefreiungen meistens noch die Umlage der Grundsteuer hinzukommen. Die Grundsteuerbefreiungen sind auf eine gewisse Zeit bemessen.Im Wohnungsbau ist das reine Rendite-Denken einfach nicht möglich. Wenn wir den Wohnungsbau wieder auf das reine Rendite-Denken abdrängen und wenn uns in einigen Jahren bloß noch Privatmittel und Kapitalmarktmittel für die Finanzierung des Wohnungsbaus zur Verfügung stehen, dann folgt daraus ganz natürlich, daß wir uns wieder einigermaßen dem früheren Mietskasernenbau nähern. Allerdings wird die Ausstattung anders sein. Der private Mann, der Kapital investiert hat, drängt selbstverständlich danach, aus dem Objekt die größtmögliche Rendite zu bekommen. Er wird versuchen, aus dem Grundstück herauszuholen, was herauszuholen ist, und wird das Grundstück in dem Maße bebauen, wie es die Baupolizei gerade noch zuläßt. Dann sind wir wieder bei den Verhältnissen, die wir nicht wünschen. Der Bau von großen modernen Wohnanlagen, wie wir sie heute sehen und die uns so gut gefallen, wird mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt.Für mich sind zwei Orientierungsmieten diskutabel. Es sind die Wohnwertmiete und. die Kostenmiete. Ich freue mich, daß die Wohnwertmiete, die ich bereits bei der Beratung des Ersten Bundesmietengesetzes gefordert habe und die mir damals von dem seinerzeitigen Herrn Bundeswohnungsbauminister Dr. Preusker soviel Spott eingebracht hat und als unrealisierbar usw. bezeichnet worden ist, jetzt salonfähig geworden ist, allerdings nicht als Orientierungsmiete, sondern als obere Auffanggrenze bis zur Freigabe der Mieten. Das ist das, was mir daran nicht gefällt. Aber wenn man damals gesagt hat, die Wohnwertmiete sei als Orientierungsmiete nicht praktikabel, weil das zu kompli-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4897
Hauffeziert werde, dann kann ich nicht verstehen, wieso sie jetzt ausgerechnet für die geringe Übergangszeit praktikabel sein soll.
Ich glaube, wenn wir uns bereits damals darangemacht hätten, hätte sie sich heute weitgehend eingespielt und zur Entzerrung des Mietenwirrwarrs wesentlich beigetragen.
— Ich bin ja bereit, mich für die Wohnwertmiete als Dauerorientierungsmiete auszusprechen, nur soll sie nicht die augenblickliche obere Auffangsgrenze sein, da sie zu einem Zeitpunkt, wo sie sich eingespielt hat, praktisch schon wieder überholt ist und ad acta gelegt wird. Das ist doch das Kriterium. Ferner bin ich auch dafür, daß man die Kostenmiete zu einer Grundlage der Berechnung macht.Ich habe schon bei der Beratung des Ersten Bundesmietengesetzes einen Vorschlag in dieser Richtung gemacht. Wir sind uns darüber im klaren, daß die Kostenmiete immer eine manipulierte Miete ist. Sie schwankt je nachdem, wieviel öffentliche Förderung drinsteckt. Zur echten Kostenmiete kommt man dann, wenn keine öffentliche Förderung mehr da ist. Das ist dann die von mir abgelehnte Orientierungsmiete des Jahres 1963.Aber bei der Kostenmiete, ganz besonders beim Althausbesitz, darf nicht vergessen werden, daß in den Belastungen des Objekts Hypotheken sind, die nicht für das Objekt verwandt wurden, sondern einfach etwa zur Beschaffung von Betriebsmitteln fürs Geschäft oder derartige Dinge mehr, weil nämlich jeder Betrieb, der mit fremden Belastungen arbeiten muß, konkursreif ist. Dieser Grundsatz muß auch beim Wohnungsbau gelten.Ich möchte den Herrn Bundeswohnungsbauminister an das erinnern, was er uns in Berlin bei der Besichtigung des Wedding gesagt hat, daß nämlich diese Wohnungen eine Schande für uns seien. Ich weiß nicht mehr, was er wörtlich genau gesagt hat. Aber, lieber Herr Bundeswohnungsbauminister, auch die Mieten für diese Wohnungen sind damals nach dem Ersten Bundesmietengesetz erhöht worden, weil sie noch nicht in dem von Ihnen aufgestellten Katalog der „Bruchbuden" enthalten sind. Sie werden wieder unter die neuen Erhöhungen fallen. Das ist auch eine Begleiterscheinung, die Ihren Plan nicht gerade angenehm dekoriert.Jetzt möchte ich Sie noch daran erinnern, daß ich bereits bei der Beratung des Ersten Bundesmietengesetzes einen Antrag gestellt hatte, einen Versuch mit der Anpassung der Altbauwohnungen an die modernen Wohnbedürfnisse zu machen. Ich hatte damals im Auftrage meiner Fraktion den Antrag gestellt, probeweise 50 Millionen DM zur Verbesserung des Althausbesitzes zur Verfügung zu stellen und diese 50 Millionen auszugeben, damit wir uns nachher ein Bild über den Erfolg machen könnten. Allerdings sollte dabei eine Bedingung gelten: diese 50 Millionen DM sollten im Notfall, wenn das Objekt erhaltungswürdig ist, sogar zu den Bedingungen des sozialen Wohnungsbaus ausgegeben werden. Derjenige aber, der diese Mittel in Anspruch nimmt, hätte auch die andere Bedingung des sozialen Wohnungsbaus erfüllen müssen, nämlich die Wirtschaftlichkeitsberechnung auf den Tisch des Hauses zu legen. Daran ist die Geschichte damals gescheitert.Im Verfolg dieser Diskussion haben ganz gescheite Leute sogar die dynamische Miete gefordert; sie haben gesagt: Wenn wir dynamische Renten haben, brauchen wir auch dynamische Mieten; dann paßt sich alles immer recht schön an. — Aber ich glaube, das hieße von vornherein den Arbeitnehmer von jedem Fortschritt ausschließen, wenn nämlich jede Lohnerhöhung durch entsprechende Preiserhöhung — ist es bei den Mieten so, kommt es auf anderen Gebieten gleich nach — wieder fortgenommen wird.Daß nicht alles so ideal ist, wie Sie es hier verkündeten, dürfte aus einer Tatsache hervorgehen: Wie immer bei solchen. Ankündigungen, werden bereits jetzt vorsorglich Kündigungen vorgenommen, um die Mieterhöhungen möglichst schnell beanspruchen zu können. Aber das nur nebenbei.Jetzt möchte ich einiges Grundsätzliche zur Frage der Mieterhöhungen sagen. Ich bin nun einmal —man hat mich bisher noch nicht anders überzeugen können — kein Freund von staatlichen Mietbeihilfen. Es soll eine Ausnahme, eine Notmaßnahme, und zwar die letzte Notmaßnahme sein in dem Fall, daß jemand einen Antrag auf diese Hilfe stellen sollte. Einem solchen Antrag haftet nämlich der Arme-Leute-Geruch an. Gerade Sie beklagen doch immer, daß der Kreis von Personen, die keine Hemmungen haben, öffentliche Mittel in Anspruch zu nehmen, zu groß ist. Deshalb sollte man nicht noch einen neuen Personenkreis in eine solche Richtung abdrängen, auch wenn hier gesagt wird, diese Beihilfen seien nicht rückzahlungspflichtig.Was mir bei der Mietbeihilfe nicht gefällt, ist, daß man das sogenannte Familieneinkommen zugrunde legen will. Bei der Festsetzung der zumutbaren Miete — hier komme ich wieder auf das Problem zurück — geht es doch darum, eine Miete zu finden, die für die Dauer für die Familie tragbar ist. Die Familie darf nicht je nach Fallen oder Steigen des Familieneinkommens umziehen müssen. Sonst gibt es eine nicht erwünschte Bewegung auf dem Wohnungsmarkt. Normalerweise ist doch das sogenannte Familieneinkommen groß, wenn die jungen Leute heiraten. Dann arbeiten nämlich beide Eheleute, und zwar deshalb, weil der Mehrverdienst für die Gründung des Haushalts gebraucht wird. Dieses Familieneinkommen sinkt in dem Moment, in dem die Kinder kommen. Solange die Kinder schulpflichtig sind, ist die Familie größer und wird das Familieneinkommen kleiner. Das Familieneinkommen steigt wieder, wenn die Kinder mitverdienen, wenn sie in die Lehre kommen oder gar ausgelernt haben und noch im Haushalt sind. Es fällt dann wieder, wenn sie heiraten, und es fällt noch einmal, wenn die Eltern die Altersgrenze erreichen.Meiner Meinung nach müssen wir eine Durchschnittsquadratmetermiete finden, die sicherstellt,
Metadaten/Kopzeile:
4898 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Hauffedaß das Heim der Familie trotz dieser Schwankungen auf die Dauer erhalten bleibt und das Wandern der Ausnahmefall wird.Ich muß Ihnen ganz offen gestehen, daß verschiedene Begründungen, die zu diesem Gesetz gegeben worden sind, vermuten lassen — und jetzt sage ich es ganz deutlich, weil ja auch wir in einigen Punkten hierbei sehr deutlich angespitzt worden sind —, daß ein Wunsch des Herrn Dr. Handschuhmacher erfüllt werden soll, den dieser einmal dem Herrn Bundeskanzler vorgetragen hat. Ich darf dies vielleicht mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Herr Dr. Handschuhmacher hat einmal an den Herrn Bundeskanzler geschrieben:Ich habe es auf mich genommen, vor den letzten Bundestagswahlen eine klare Parole gegen die SPD und für die Regierungskoalition auszugeben. Ich glaube, darauf ist es nicht zuletzt zurückzuführen, daß die Wahlbeteiligung aus dem Mittelstand so groß war. Immer wieder war den Hausbesitzern versichert worden, es läge nur an ihnen selbst, wenn ihre gerechte Sache nicht siegte; sie sollten endlich die Wahlmüdigkeit überwinden. Das haben sie getan.An anderer Stelle dieses Schreibens weist Herr Dr. Handschuhmacher den Bundeskanzler darauf hin, dauernd seien durch prominente Politiker, Minister wie Abgeordnete der CDU und der übrigen Koalitionsparteien, bestimmte Versicherungen dahin gehend abgegeben worden, daß den Forderungen des Hausbesitzes Rechnung getragen würde.Nun, ich glaube, hier wird jetzt rasch noch etwas erfüllt, damit es nicht gar zu sehr in die Nähe des Wahltermins kommt. Deshalb sind — das müssen wir klar und deutlich sagen —, wenn Sie auf diesem Gesetz bestehen, einige Dinge unumgänglich.Zunächst ein Wort zu den Terminfestsetzungen. Der Herr Minister hat schon eine Teilkonzession gemacht, indem er auf unsere Forderung eingegangen ist, die Terminfestsetzung durch die Gemeinde vornehmen zu lassen. Ich bin mit ihm der Meinung, daß man das nicht der letzten Gemeinde mit 500 Einwohnern übertragen kann, sondern daß wir hierbei von den kommunalen Körperschaften ausgehen müssen, die die Wohnraumbewirtschaftung durchführen. Das sind nicht in allen Fällen die Landkreise; das ist örtlich sehr verschieden. In diesem Punkt können wir uns wahrscheinlich sehr nahekommen.Ferner fordern wir, daß die letzte Entscheidung nach diesem Gesetz in einem Bereich durchgeführt wird, der für den Bürger überschaubar ist. Deswegen die Forderung, es in die Gemeinden zu legen.Ferner müssen wir darum bitten, daß der soziale Wohnungsbau auch über den Auslauftermin des Zweiten Wohnungsbaugesetzes hinaus weitergeführt wird. Es ist einfach unvorstellbar, daß bis zu diesem Termin in den Ballungsgebieten der Bedarf auch nur einigermaßen gedeckt sein wird.Schließlich: der Mieterschutz darf nicht abgebaut werden, sondern er muß durch ein modernes Mieterschutzgesetz ersetzt werden.Vor allen Dingen ein Wunsch: Versuchen Sie, das Gesetz in eine Form zu bringen, daß es für den Bürger lesbar und verständlich ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Will.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen! Es passiert nicht oft, daß man als Fraktionsangehöriger der Freien Demokratischen Partei zu einem Gesetz mit einer solchen Befriedigung Stellung nehmen kann, wie bei diesem Gesetz zum Abbau der Zwangswirtschaft auf dem Gebiet des Wohnungswesens. Es handelt sich hier um eine echte Liberalisierung, um die Beseitigung eines Bodensatzes aus zwei Weltkriegen. Es ist an der Zeit, den bewährten Grundsätzen der freien Marktwirtschaft auch auf diesem wichtigen Gebiet der Boden-und der Wohnungswirtschaft Geltung zu verschaffen.Es liegt nahe, zu glauben — und es wird geglaubt —, daß es sich hier nur um einen Teil der zu regelnden Materie handelt. Wir sind ja nicht nur dabei, die Wohnungswirtschaft zu regeln, sondern auch ein Bundesbaugesetz zu schaffen — und zwar im Auftrage des Plenums des Deutschen Bundestages — mit dem Ziel, der Bodenspekulation entgegenzuwirken. Es handelt sich also, wenn ich mich so ausdrücken darf, um die Backen einer Zange, die wir ansetzen wollen, um die erstarrte Wirtschaft auf dem Gebiet des Wohnungswesens und des Baumarktes einmal in Bewegung zu bringen.Nun ist die Frage — wir sprechen heute nur von der Wohnungswirtschaft —, ob der Zeitpunkt gekommen ist, diesen wichtigen Schritt zu tun. Der Herr Bundeswohnungsbauminister ist ausgezogen, ich möchte beinahe sagen, wie ein getarnter Erzengel mit einer Lanze, um den Drachen der Zwangswirtschaft auf dem Gebiete des Wohnungswesens zu erlegen.
— Das muß sich noch herausstellen. Jedenfalls hat er die Sympathie aller Fraktionen dieses Hauses, die dafür sind, daß die Zwangswirtschaft auf allen Gebieten beseitigt wird. Soeben habe ich aus dem Munde des Kollegen Hauffe gehört, daß er der gleichen Meinung ist. Das möchte ich ausdrücklich feststellen.Ich habe angesichts des nicht gerade übermäßig gefüllten Hauses und im Hinblick darauf, daß wir uns in der ersten Lesung auf Grundsatzbemerkungen beschränken wollen, nicht die Absicht, ins Detail zu gehen. Dazu wird in dem bewährten Ausschuß für Wohnungswesen, dessen loyale Arbeit ich hier gebührend hervorheben möchte, Gelegenheit sein.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4899
Dr. WillAber einige grundsätzliche Bemerkungen sind vom Standpunkt der Freien Demokraten aus unbedingt erforderlich. Sie wissen, daß die Zwangswirtschaft auf dem Gebiet des Wohnungswesens eine Hydra mit drei Köpfen ist. Der eine Kopf ist, wie Sie wissen, die Bewirtschaftung durch das Wohnungsamt, der andere sind die Preisbestimmungen mit Stopppreisen und allem, was dazugehört. Das dritte sind die geltenden Mieterschutzbestimmungen. Darüber wird, glaube ich, meine Kollegin Frau Diemer aus ihrer Praxis noch etwas sagen, um das Problem aufzuhellen.Die Beseitigung der Wohnungszwangswirtschaft ist ein Anliegen des ganzen Hauses. Wie sollte auch eine Behörde, die sich in so ungeheurem Umfange als überflüssig erwiesen hat, nicht auf das schnellste beseitigt werden! Wir haben Jahr für Jahr für die Wohnungsämter nicht weniger als ca. 50 Millionen DM ausgegeben. Im Grunde genommen ist es praktisch doch so gewesen, daß in den Rathäusern die längsten Schlangen und die längsten Bänke mit verzweifelten Bürgern regelmäßig vor den Wohnungsämtern zu finden waren. Wenn die Leute dann in die Amtsstuben kamen, galt dort, wenn der Spruch auch nicht an der Wand hing, das Wort: Laßt alle Hoffnung fahren, die ihr eintretet. Jeder dieser Beamten, die da saßen, hatte einen Zettel: „Haben wir nicht!" Wenn er keinen Zettel hatte, auf dem das stand, hätte er jedenfalls nach Lage der Sache einen solchen haben müssen.Diese Bewirtschaftung durch die Wohnungsämter muß ein Ende nehmen, und zwar nach unserer Auffassung möglichst bald.
Man sollte dieses Ungeheuer — natürlich nicht die Beamten, sondern die Wohnungsämter als solche — erschlagen. Es ist ein beschwerlicher Weg, die Wohnungsämter nur in Etappen abzubauen, aber wir sehen ein, daß ein gewisser Übergang erforderlich ist. Wir glauben jedoch nicht, Herr Bundeswohnungsbauminister, daß wir die vorgesehenen drei Etappen werden mitmachen können. Wir sollten nach einem Weg suchen, um das zu vereinfachen. Mir sind aus Großstädten Zahlen bekanntgeworden, die einen Hinweis dafür geben, daß, wenn diese Regelung einmal in Gang gekommen ist, die Wohnungsbewirtschaftung wahrscheinlich nicht mehr zu halten ist. Ich hörte beispielsweise aus München, daß dort nicht nur 23 %, sondern 76 % der Wohnungen zur Kategorie eins gehören. Wenn hier eine Freigabe, d. h. eine Loslösung von der Bewirtschaftung und von der Bindung erfolgen sollte, wird die behördliche Kontrolle überhaupt nicht mehr zu halten sein. Über diese Details werden wir uns noch unterhalten müssen; ich will das jetzt nicht vertiefen. Ich bin sicher, daß wir auch über die zeitliche Abstufung zu einer Einigung kommen werden.Die Wohnungsämter sollten also — das ist unsere Meinung — möglichst schnell verschwinden; denn noch nie hat ein Wohnungsamt eine Wohnung geschaffen. Die Wohnungsämter haben eigentlich nicht die Wohnungen, sondern lediglich den Wohnungsmangel verwaltet. Eine solche Einrichtung sollten wir schnellstens aus unserer Verwaltung entfernen.Das zweite Problem ist die Mietpreisbindung. Das ist ein, wie ich zugebe, nicht einfaches Thema, mit dem wir uns zu befassen haben. Aber es ist uns doch schließlich allen klar, daß ein ausgesprochenes Unrecht beseitigt werden muß. Es ist einfach nicht möglich, daß z. B. in einer Firma mehrere Angestellte in vergleichbarer Situation, mit vergleichbarem Einkommen absolut unterschiedliche Mieten zahlen; der eine zahlt 45, der andere 145 DM. Solche Beispiele haben wir doch heute gehört. Das ist ein Unrecht, das auf die Dauer nicht erträglich ist.Hinzu kommt, wie wir gehört haben, der drohende Verfall des Althausbesitzes. Ich darf in Erinnerung bringen, daß wir jetzt immerhin 14 Millionen Wohnungen im Bundesgebiet haben, von denen 5 Millionen Neubauwohnungen sind. Von den übrigen 9 Millionen sind etwas mehr als die Hälfte Wohnungen des Mietwohnungsbestandes, der Rest sind eigengenutzte Wohnungen. Es kann und muß erwartet werden, daß die Wohnungen des Althausbesitzes instand gesetzt werden; denn die Eigentümer müssen mit ihren Wohnungen konkurrenzfähig sein, wenn in einigen Jahren das Angebot an Neubauwohnungen so groß ist, daß eine veraltete Wohnung ohne Komfort nicht mehr vermietet werden kann. Ich gehöre noch der Generation an, die sich ganz dunkel der Zeiten erinnern kann, in denen in den Großstädten an den Fenstern vieler Wohnungen der berühmte gelbe Zettel hing: „Zu vermieten." Das ist schon sehr lange her; es ist eine dunkle Erinnerung aus der Kindheit. Aber ich kann mir denken, daß, nachdem die Zwangswirtschaft über 40 Jahre bestanden hat, die Wiederkehr eines solchen Zustandes nur verhindert werden kann, wenn ein erheblicher Teil des Altwohnungsbestandes weitgehend modernisiert und den Lebensgewohnheiten, die wir heute entwickelt haben, angepaßt wird.Das ist in der Tat ein Grund, den Eigentümern von Altwohnungen zu einer Instandsetzung der Wohnungen zu verhelfen, damit sie sich dem Marktgeschehen anpassen können und konkurrenzfähig bleiben, wenn über kurz oder lang Neubauwohnungen in großem Umfang angeboten werden. Schon wohnt, wie wir ja alle wissen, jeder vierte Deutsche in einer Neubauwohnung. Wenn die Entwicklung so fortschreitet, wird es in wenigen Jahren bereits jeder dritte sein.Daß das sich natürlich sehr stark auf die Existenz des Altwohnungsbaues auswirken muß, bedarf keiner Frage. Wir sind deshalb grundsätzlich der Meinung, daß das Mietniveau angehoben werden muß, natürlich unter Berücksichtigung des Wohnwertes. Aber diese Berücksichtigung ergibt sich schon daraus, daß auf einem freien Wohnungsmarkt Wohnungen mit geringem Wohnwert überhaupt keine Mieter mehr finden werden. Das wird sich einspielen.Wir glauben auch nicht, daß die Freigabe zu Luxuspreisen führen wird. Nach den Beispielen, die Sie alle kennen — ich brauche nicht gerade an Neuß zu erinnern; wir haben diese Denkschrift
Metadaten/Kopzeile:
4900 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Dr. Willin unseren Unterlagen, die zeigt, welche Entwicklung dort eingetreten ist —, bin ich überzeugt, daß ein erheblicher Wohnungstausch stattfinden wird. In der Stadt Neuß sind in einigen Jahren 80 % der Einwohner umgezogen, weil sie sich mit ihrem Wohnbedürfnis nach den Gegebenheiten gerichtet haben, die sich teilweise durch den Neubau, natürlich aber auch durch die eingetretene Preisentwicklung einstellten. Das ist ein Beispiel für viele andere. Wir haben immerhin zur Kenntnis genommen, daß jede Wohnung, die gewechselt wurde, nicht ein oder zwei, sondern sogar drei Wohnungsuchenden auf die Dauer zu einer anderen Wohnung verholfen hat. Diese Vorgänge, die wir von den Geschäftsraummieten und überhaupt aus der freien Marktwirtschaft kennen, werden sich hier wiederholen, allerdings unter der Voraussetzung, daß wir den Wohnungsbau noch auf eine Reihe von Jahren in der Größenordnung wie bisher betreiben können.Bisher haben wir über 5 Millionen Wohnungen bauen können. Man spricht in diesem Jahr von einer Maximalleistung von beinahe 600 000 Wohnungen. Sollte das noch zwei oder drei Jahre fortgesetzt werden können — und alles spricht dafür —, so glauben wir in der Tat, daß es an der Zeit ist, diesen Zustand zu berücksichtigen, damit wir nicht immer hinterher, wenn es zu spät ist, daran denken, daß etwas geschehen muß.Wir werden uns im Ausschuß über die Frage der Mietpreisbindung im Sinne dies Vorschlags der Bundesregierung ausführlich zu unterhalten haben. Ich glaube, daß wir auch hier einen Kompromiß finden werden. Dabei wird es uns selbstverständlich obliegen, weder die Interessen der Vermieter noch die Interessen der Mieter einseitig zu vertreten, sondern — das ist die Aufgabe des Deutschen Bundestages und seiner Abgeordneten — ohne Ansehen der Person das Bestmögliche für die Gesamtheit der beiden Parteien herauszuholen. Dies jedenfalls bewegt uns und wahrscheinlich Sie alle.In dieser Einstellung werden wir, wie ich hoffe, zu einer Lösung kommen, die vermutlich den Vorschlägen, die die Bundesregierung in ihrer Vorlage dem Hause gemacht hat, sehr nahe kommen wird.Nun wäre noch ein Wort über die Veränderungen bzw. die Beseitigung der Mieterschutzgesetzgebung in der gegenwärtigen Form zu sagen. Daß auf dem Gebiete der Wohnungswirtschaft eine gewisse soziale Verpflichtung besteht, wird vermutlich von niemandem bestritten. Das kann aber nicht dazu führen, daß etwa ein Renditedenken, d. h. ein wirtschaftliches Denken, im Wohnungsbau ausgeschlossen ist; denn dann würden auf diesem Gebiet natürlich überhaupt keine Investitionen mehr vorgenommen. Dann würde die öffentliche Hand von der Subventionierung des Wohnungsbaues niemals herunterkommen. Es kann auf die Dauer nicht die Aufgabe des Staates sein, Wohnungen zu bauen. Seine Aufgaben sind andere. Immer ist es die Aufgabe der Wirtschaft gewesen, für die Bedürfnisse der Bürger von sich aus auf dem freien Markt zu sorgen, und das ist ihr auf allen anderen Gebieten gelungen.Daß bei diesen Überlegungen auch die Interessen der Mieter nicht zu kurz kommen dürfen, ist Allgemeingut und auch unsere Auffassung. Die Bundesregierung hat die Bedeutung dieses Problems erkannt, indem sie Mietbeihilfen und Lastenbeihilfen für Wohnungseigentümer eingeführt hat. Herr Kollege Hauffe und andere haben Beispiele für eine 30%ige Belastung gebracht. Sie wissen aber, daß eine Familie mit zwei Kindern für ihre Wohnung nur 15% ihres Familieneinkommens zahlen darf, nicht 200 DM oder noch mehr. Natürlich ist auch hier eine Ausschuß-Beratung erforderlich. Man wird die Zahlen gegeneinander abwägen müssen. Aber an dem System, das sich im übrigen schon an anderer Stelle bewährt hat, wird nichts geändert werden können und geändert zu werden brauchen. Was hier angestrebt wird, nämlich jedem Bürger bei einer für ihn tragbaren Miete zu einem modernen, gesunden und ausreichenden Heim zu verhelfen, ist doch letzten Endes auch das Ziel dieses Gesetzes, dem ich infolgedessen von meinem liberalen Standpunkt aus durchaus zustimmen kann.Ich möchte von mir aus zu dem ganzen Fragenkomplex im Augenblick nicht mehr sehr viel hinzufügen; denn es hat sich bei der ersten Lesung nur darum gehandelt, eine grundsätzliche Stellungnahme auch der Freien Demokratischen Partei abzugeben. Ich möchte glauben, daß der Entwurf notwendig war. Wir sollten ihm eine baldige Verabschiedung in diesem Hause wünschen. Für den Herrn Wohnungsbauminister, dessen Verdienste ich hier — ich kann das tun, da ich seiner Partei nicht .angehöre — durchaus hervorheben möchte, wäre es kein schlechtes Geburtstagsgeschenk — er hat nämlich morgen Geburtstag, wenn ich richtig unterrichtet bin —, wenn das Haus den Vorschlägen in diesem Sinne zustimmte.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Preusker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich bedauere, daß sich die heutige Debatte vor einem so schwach besetzten Hause abspielt. Hier wird doch eine der in der Öffentlichkeit am meisten diskutierten Fragen behandelt. Wahrscheinlich würden sehr viele ein sehr erstauntes Gesicht machen, wenn sie sähen, von wie wenigen Abgeordneten diese Debatte bis zum Schluß verfolgt wird. Andererseits begrüße ich eis um so mehr, daß diese Diskussion bis jetzt auf allen Seiten in einer Atmosphäre der Sachlichkeit geführt werden konnte. Ich möchte wünschen, daß sie bis zur Verabschiedung dieses Gesetzes anhält; denn nur dann wird die ganze Schwierigkeit und die ganze Tragweite dieser Angelegenheit vollauf begriffen werden können.Etwas anderes noch ist als ein Fortschritt herauszustellen. Alle Sprecher haben erklärt, sie betrachteten eine Wohnungszwangswirtschaft keineswegs als ein Ideal, auch nicht als einen notwendigen Dauerzustand. Alle haben erklärt, sie hielten die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4901
Dr. PreuskerZwangswirtschaft für etwas, was man so schnell wie möglich beseitigen sollte. Aber die Unterschiede in der Auffassung über den Zeitpunkt, zu dem man diese Aufhebung der Zwangswirtschaft für möglich hält, und verständlicherweise auch darüber, was man dann als Dauerzustand etwa erreicht haben möchte, und auch über die Methoden, wie man den Übergang vollziehen könnte, sind natürlich sofort in Erscheinung getreten.Nun muß ich aber eine These wieder in den Vordergrund rücken. Der Kollege Hauffe hat das auch getan. Er sagte: Bei den Wohnungen handelt es sich nicht um eine „Kiste" — ich darf das einmal vereinfachend so sagen --, sondern immerhin um ein Gut höherer Ordnung, bei dessen Behandlung eine besondere soziale Verpflichtung vorliegt. Ich glaube, daß dieser These auf allen Seiten des Hauses in vollem Umfange zugestimmt werden kann.Ich darf ihr eine andere These entgegenstellen. Herr Kollege Hauffe, wenn man die Dinge ganz gerecht darstellen will, muß man sagen, daß nicht nur das Eigentum — in besonderem Maße das Eigentum am Haus, am Mehrfamilienhaus — verpflichtet, sondern daß auch bei der Nutzung fremden Eigentums die Verpflichtung um so größer wird, je höher das Gut in der Rangordnung der sozialen Verpflichtungen eingestuft wird.Diese beiden Thesen müssen sich entsprechen. Sonst gehen wir nämlich an wesentlichen Tatbeständen vorbei.Im Hinblick auf den Hausbesitzer, den Sie den gewerbsmäßigen Hausbesitzer genannt haben, also den Hausbesitzer, der Wohnungen für andere baut, möchte ich einmal folgendes sagen. Die Anlage von Mitteln in einem Haus im eigenen Lande soll ein wesentlich geringeres Risiko darstellen als etwa die Anlage des gleichen Kapitals in Aktien einer Goldmine von Südafrika; ich will als Extrem einmal eine rein spekulative Eigentumsanlage herausgreifen. Das Haus muß dem Besitzer doch wenigstens so viele Chancen bieten, daß er nicht in die eben genannte andere, volkswirtschaftlich viel weniger dringliche, spekulativere Kapitalanlage abgedrängt wird. Davon hätte gerade derjenige nicht das mindeste, der sich nicht selber eine Wohnung bauen will, der sich nicht ein Eigenheim schaffen will, sondern der eine Wohnung zur Miete bewohnen möchte, die ein anderer baut; dann würde es nämlich den anderen, der ihm Wohnungen baut, einfach nicht mehr- geben.Wir müssen versuchen, einen Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen zu finden, bei dem die beiderseitigen Interessen abgewogen und bei dem den volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten beider Seiten Rechnung getragen wird. Bei aller „Sozialpflichtigkeit" muß der Anreiz bestehen bleiben, daß Menschen für andere Menschen Wohnungen schaffen. Es dürfen denen, die Wohnungen schaffen wollen, nicht solche Fesseln angelegt werden, daß sie diese Art der Kapitalanlage für unzumutbar und für unmöglich halten.
Sonst käme es zwangsläufig dahin, daß Wohnungen für andere, d. h. Mietwohnungen, ausschließlich der Staat zu schaffen hätte. Wenn wir einmal von der genannten Zahl von 21/2 Millionen Wohnungen ausgehen und wenn wir die durchschnittlichen Baukosten nur mit 20 000 DM pro Wohnung ansetzendas ist heutzutage schon viel zu niedrig; besser ist es, von 30 000 DM auszugehen —, dann kommen wir zu einem Betrag von 75 Milliarden DM, die der Staat innerhalb von fünf Jahren aufbringen müßte; das wären 15 Milliarden DM pro Jahr. Sie sehen daran, daß das gar nicht möglich ist.Die verschiedensten Überlegungen also führen dahin, daß auch das Häuserbauen für andere, das Wohnungenbauen für andere eine lukrative und attraktive Angelegenheit sowohl für das Sparkapital der Hypothekenbanken, Versicherungen und Sparkassen wie auch für den individuellen eigentumswilligen Kapitalanleger bleiben oder wieder werden muß. Das möchte ich als die eine These hier voraus-stellen. Wir müssen bei der Betrachtung dieses Problems darauf sehen, die Bindungen, die dem Eigentum auferlegt werden, mit den Anforderungen, die wir an die Wohnungsnutzer stellen, in eine möglichst harmonische Übereinstimmung zu bringen.Es geht auf die Dauer nicht an, Lasten infolge sozialer Notstände, wie sie nach zwei verlorenen Kriegen in unserem Volke übriggeblieben sind, einer bestimmten Wirtschaftsgruppe allein aufzuerlegen. Es muß vielmehr eine Aufgabe des Staates sein, diese sozialen Notstände auszuräumen.Man wird ja auch nicht sagen können oder sagen wollen: „Weil es noch soundso viele Menschen gibt, denen es nicht gut geht, müssen die Mieten von den Hausbesitzern niedrig gehalten werden; weil aber die Mieten niedrig gehalten werden müssen, müssen auch die Löhne der Bauarbeiter besonders niedrig gehalten werden, denn sonst können die Häuser nicht gebaut werden." Meine Damen und Herren, wenn Sie diesen nächsten Schritt in der Überlegung tun, erkennen Sie, daß das volkswirtschaftlich gar nicht geht. Selbstverständlich würden die Bauarbeiter in andere Bereiche der Wirtschaft überwechseln, und es würden einfach keine Häuser gebaut werden können, schon weil es keine Bauarbeiter mehr dafür gäbe. Naturnotwendig müssen die in der volkswirtschaftlichen Rangordnung der einzelnen Wirtschaftsgruppen notwendigen Löhne genauso gut wie alle anderen Kosten für die Produktion von Häusern aufgebracht werden. Das bedeutet, daß es ganz bestimmte kostendeckende Preise auch hier geben muß; werden sie nicht zugestanden, wird kein Haus gebaut.Nun sagen Sie — ich darf das vielleicht einmal herausgreifen —: „Man wird bei den bestehenden Einkommensverhältnissen auf längere Sicht gar nicht darum herumkommen, doch eine Verbilligung der Wohnungen vorzunehmen." Wenn Sie auch das Mittel der — von uns bejahten — individuellen Miet- und Lastenbeihilfen als weniger angenehm empfinden, so möchte ich doch sagen: Wenn man um solche individuellen Hilfen herumkommen könnte, würde auch ich das begrüßen. Die Verbilligung der Wohnungen aber auf die Dauer nur
Metadaten/Kopzeile:
4902 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Dr. Preuskermittels Verbilligung der Baukosten durch unrentierliche Landesbaudarlehen zu bewerkstelligen, meine Damen und Herren, ist volkswirtschaftlich gesehen eine ungerechtfertigte Ausweitung von Staats- und Steuermitteln, die Sie in diese Aufgabe hineinstecken. Es ist hier von allen Seiten gesagt worden: Man kann gar nicht ausschließen, daß in Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues Leute bleiben, die ursprünglich einmal ihrem Einkommen nach hineingepaßt haben, nachher aber herausgewachsen sind. Wie soll man sie wieder herausbekommen? Ich kenne aus meiner früheren Amtszeit Fälle, in denen in solche Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues bei den besonderen Verhältnissen von Bonn sogar Staatssekretäre hineingeraten sind.
Auch die waren gar nicht so leicht herauszubekommen. Ich kenne doch nun diese menschlichen Dinge zur Genüge: Wenn jemand in den Genuß einer besonders vorteilhaften und billigen Sache gekommen ist, wird er sich immer mit Händen und Füßen dagegen wehren, daß man ihm den Genuß dieser Dinge irgendwie verkürzt. Aber kollektiv für Millionen über den tatsächlichen Bedarf hinaus Wohnungen zu verbilligen, wird eben viel teurer, als wenn man auf die individuellen Möglichkeiten abstellt. Man wird auch hier sehen müssen, wie man den Goldenen Schnitt vornehmen kann. Es gibt Tatbestände, bei denen man weiß, daß sie eine dauernde Belastung für kleine Einkommen darstellen werden. Denken Sie an Rentner und ähnliche Gruppen. Andererseits gibt es Gruppen wie etwa die Sowjetzonenflüchtlinge, die als junge Menschen herüberkommen, nach zwei oder drei Jahren mitten im Produktionsprozeß stehen und gut verdienen, so daß sie gar nicht allgemein subventioniert zu werden brauchen, sondern durchaus in der Lage sind, die volle Miete zu zahlen. Ich möchte also sagen: man sollte nicht unter allen Umständen das eine oder das andere als nur möglich oder auch als auf die Dauer notwendig bezeichnen.Nun haben Sie, Herr Kollege Hauffe — und da gestatten Sie mir, einmal eine Korrektur anzubringen —, hier zumindest möglicherweise den Eindruck erweckt, alles, was jetzt mit diesem Gesetzentwurf zur Überleitung der Wohnungszwangswirtschaft in die Marktwirtschaft geschehen soll, treffe gewissermaßen die ganze deutsche Bevölkerung und müsse bei der ganzen Bevölkerung bestimmte Konsequenzen hinsichtlich des Lohnniveaus bzw. des Preisniveaus usw. auslösen. Sie haben die Formulierung gebraucht, man sollte überlegen, ob die Folgen nicht schlimmer seien, wenn man die Löhne in ein angemessenes Verhältnis zu den gestiegenen Mieten bringen müßte, als wenn man die Mieten in einem angemessenen Verhältnis zum Lohnniveau beließe. Man wird auch hier die Dinge wieder ganz nüchtern so betrachten müssen, wie sie sind. Die Bundesregierung hat das Zahlenmaterial ja auf den Tisch gelegt, und davon werden wir jetzt ausgehen können: 14 Millionen Wohnungen. Davon werden durch dieses Gesetz 5 Millionen Wohnungen des Altwohnungsbestandes unmittelbar betroffen. Das ist praktisch nicht mehr als ein Drittel. Diese Wohnungen stehenin preispolitischer und bewirtschaftungsmäßiger Hinsicht zur Debatte. Auf der andern Seite handelt es sich um 5 Millionen Neubauwohnungen, von denen rund 21/2 Millionen soziale Wohnungen sind mit einem im Durchschnitt immerhin gegenwärtig wesentlich höheren Mietniveau, als wir es bei preisgebundenen Altbauwohnungen haben. Die rest- lichen 4 Millionen sind eigengenutzte Wohnungen, Eigenheime, Bauernhäuser und alles, was hierzu gehört. Diese Zahlen kennen Sie genausogut wie ich; aber ich glaube, man muß es immer wieder sagen: es handelt sich eben nicht um ein Problem, das die Gesamtheit betrifft, sondern um eine Frage, die tatsächlich nur einen Teil berührt.
— Immerhin einen ziemlich großen Teil.Jetzt komme ich zu der anderen Seite. Die Bundesregierung hat in ihrem Plan ausdrücklich vorgesehen, daß die Bindungen des sozialen Wohnungsbaues bestehenbleiben sollen. Sie werden zwar in der Form gewandelt; sie werden von der bisherigen gesetzlichen Ebene auf die vertragliche Ebene übergeführt. Über die Frage, ob das bindungsmäßig ausreicht, kann man sich unterhalten. Aber ich bejahe vorbehaltlos die Notwendigkeit, daß Wohnungen, die mit so erheblichen öffentlichen Mitteln gebaut und als soziale Wohnungen für die breiten Schichten der Bevölkerung bestimmt worden sind, so lange in dieser Bindung zu bleiben haben, wie diese Mittel einen wesentlichen Teil der Finanzierung darstellen.Wir haben nach dem Ersten, Wohnungsbaugesetz 1,8 Millionen Wohnungen gebaut und werden nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz bis 1962 — ich glaube, daran zweifelt in der Sache niemand —weitere 1,8 Millionen Wohnungen gebaut haben, zusammen also 3,6 Millionen Wohnungen. Dann haben wir aus der Zeit zwischen den beiden Kriegen rund 200 000 Wohnungen, die in der gleichen Kategorie gebaut worden sind, die sogenannten Arbeiterwohnstätten, die ,ebenfalls in dieser Bindung bleiben sollen. Das macht 3,8 Millionen Wohnungen, also rund 25 % des normalen Gesamtbestandes, wenn ich ihn einmal nach dem äußersten Bedarf auf 16 Millionen Wohnungen schätzen darf.Wenn man das gegenüberstellt, dann wird man doch wohl hoffen können, daß in den Jahren 1962 und 1963, um die es hier geht, über 25 % unserer Bevölkerung nicht mehr als ausgesprochen einkommensschwach bezeichnet werden müssen, und für einen so hohen Prozentsatz ist dann also bis dahin vorgesorgt.Sicher lassen sich dabei einige Zahlen hin und her austauschen. Es wohnen eben schon jetzt Leute in diesen Wohnungen, die eigentlich nicht mehr hineingehören. Aber ich bejahe auf der anderen Seite auch das fortdauernde Regulativ des sozialen Wohnungsbaues. Die Mittel fließen ja immer wieder, auch in den späteren Jahren, in Größenordnungen von über 100 Millionen DM pro Jahr zum Bund zurück. Hinzu kommen die Mittel, die zu den Ländern und Gemeinden zurückfließen. Ich bejahe
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4903
Dr. Preuskermit diesem Regulativ insbesondere auch den Einsatz auf dem Sektor des gemeinnützigen Wohnungsbaues, der besondere Knappheitsmieten verhindert.Man wird also bei nüchterner Betrachtung der Zahlen beim besten Willen nicht sagen können, daß hier irgendein Risiko entsteht, daß etwa für die Gesamtheit der Bevölkerung oder auch nur für den Teil der Bevölkerung, der weiterhin in Verhältnissen leben könnte, die besonders zu berücksichtigen sind, später eine kritische Lage entsteht. Im Gegenteil, es wird sich erweisen, daß für keine Seite die Bäume in den Himmel wachsen.Lassen Sie mich noch einmal an die Erfahrungen erinnern, die wir alle in den letzten Jahren seit 1948 mit dem Übergang von der Zwangswirtschaft zur Marktwirtschaft bei den Nahrungsmitteln, bei der Bekleidung und bei den übrigen Wirtschaftsgütern gemacht haben.
— Das hat damit nichts zu tun; das liegt auf einem ganz anderen Gebiet. Eine Wohnung ist keine „Kiste", aber sie ist ein Wirtschaftsgut, das ohne Zweifel immer so lange produziert werden wird, wie ein Bedarf dafür vorhanden ist und eine Kostendeckung gefunden werden kann. Das wird sich auf dem Wohnungsgebiet genauso vollziehen wie bei den Nahrungsmitteln und bei den Kleidungsgegenständen, die auch keine Kisten oder keine Säcke zu sein haben.Wir haben das alles seit 1948 erlebt und können wirklich in einem erheblichen Maße auf unsere Erfahrungen vertrauen. Wir stehen doch heute schon vor der Situation, daß die Lieferfristen für Autos länger geworden sind als die Bauzeiten für eine Wohnung. Hier hat sich doch eine Umkehrung vollzogen, die wohl nicht ganz uninteressant ist.Gestatten Sie mir, Herr Kollege Hauffe — nur damit es bei Ihnen keine falschen Rückerinnerungen gibt —, noch ein Wort zur Frage der Wohnwertmiete. Sie haben gesagt, ich hätte das damals beim Ersten Bundesmietengesetz zurückgewiesen. Ich sage Ihnen: jawohl, aber ich habe die individuelle Wohnwertmiete zurückgewiesen, die auf jede einzelne Wohnung angewendet werden sollte. Ich habe davor gewarnt, etwa ein ganzes Heer von Wohnwertschätzern durch die deutschen Lande zu schikken, die sich dann noch darüber streiten könnten, ob hohe Fenster wertvoller seien als niedrige Fenster, weil niedrige Fenster im Sommer weniger Licht und im Winter weniger Kälte hereinlassen. Darum geht es nicht. Die Kategorien, wie sie heute vorgesehen sind, hatte ich damals genauso vorgesehen. Das fing bei den Bruchbuden an und ging über die normalen Wohnungen zu den Wohnungen mit einfacher und gehobener Mehrausstattung, bei denen eine Erhöhung um 15 bzw. 20 0/o zulässig war. Derselbe Weg wird auch hier gegangen.Vom Standpunkt unserer Fraktion aus bedauern wir sogar, daß man diesen Weg etwas zu zaghaft geht. Jedenfalls halte ich diesen Weg keineswegs für ungangbar. Es handelt sich nicht um individuelleWohnwertbestimmungen — wozu in der Tat erst Behörden geschaffen werden müßten —, sondern um die Einteilung nach Kategorien, die man leicht übersehen kann.Ich darf nunmehr auf die wesentlichen Wünsche eingehen, die unsere Fraktion zu dem vorliegenden Gesetzentwurf vorzutragen hat. Wir erkennen an, daß man angesichts der politischen Realitäten nicht darum herumkommen wird, stufenweise vorzugehen. Wir bedauern allerdings, daß man die Fristen zum Teil etwas zu weit gesteckt hat. Eine Erstreckung der Übergangsregelung bis zum 31. Dezember 1965 werden wir hoffentlich gar nicht mehr nötig haben.Einen durchaus gangbaren Weg sehen wir in der Regelung, daß eine Herausnahme aus der Zwangsbewirtschaftung erfolgen soll, wenn in dem betreffenden Kreis das Wohnungsdefizit unter 3 % gesunken ist. Nun ist in Zweifel gezogen worden, ob die Festlegung der Grenze auf 3 % zweckmäßig sei. Auf der einen Seite hält man es für erforderlich, die Grenze niedriger anzusetzen, auf der anderen Seite glaubt man, man könne sie vielleicht sogar auf 5% festlegen. Wir wollen uns doch einmal vor Augen halten, wie vergänglich angesichts der lebhaften Dynamik auf dem wirtschaftlichen Gebiet im allgemeinen und auf dem Wohnungssektor im besonderen, die wir selber in den letzten Jahren erlebt haben, ein solcher Streit um 1 oder 2 % ist. Ich zitiere hier nur die beiden Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts, die angeben, wie sich in den 557 Kreisen vom 25. September 1956 über den 31. Dezember 1957 bis zum 31. Dezember 1958 das Wohnungsdefizit entwickelt hat. 1956 lag das Defizit nur in 80 Kreisen unter 10%, 1957 schon in 163 Kreisen und 1958 in 261 Kreisen. Wenn man diese Entwicklung sieht und weiß, daß in diesem Jahr nochmals zwischen 580- und 600 000 Wohnungen hinzukommen, dann kann man sagen, daß 1 °/o mehr oder weniger wirklich keine entscheidende Rolle spielen.Abwegig wäre es jedoch, ein Absinken des Defizits auf null Prozent zu verlangen, weil die Zahl von null Prozent statistisch nicht nachweisbar ist, ehe nicht eine völlige Umkehr der Dinge eingetreten ist. Ich darf auf das Beispiel der Kohle verweisen. Das Beispiel der Kohle hat Ihnen gezeigt, wie bei einem verspäteten Herauslassen aus allen möglichen Preisbindungen — Fixierungen auf Preisen, die nicht ausreichend waren; man mußte die Investitionshilfe erfinden, um zusätzliche Investitionen zu ermöglichen — aus einer Mangellage auf einmal eine vollendete Kohlenhaldenlage entstanden ist. Wir werden genauso in die „Wohnungshaldenlage" kommen.
— Nein! Hören Sie bitte zu, ich will Ihnen das Beispiel ganz exakt bilden. Wenn Sie erst freigeben und den Anreiz zum Bauen von Wohnungen erst dann schaffen wollen, wenn null Prozent erreicht sind, dann baut doch kein Mensch mehr. Wofür denn? Wenn wir aber die Freigabe bei diesen 3% vornehmen, von denen wir alle wissen, daß sie mehr oder weniger praktisch null Prozent
Metadaten/Kopzeile:
4904 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Dr. Preuskerbedeuten, dann entsteht ein solcher Anreiz zu zusätzlicher privater Bautätigkeit, weil dann noch ein Bedarf wirklich marktmäßig gedeckt werden kann, wodurch sehr schnell die null Prozent erreicht werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Bitte sehr!
Herr Dr. Preusker, ich will so unzart sein, Sie an die Prognosen zu erinnern, die Sie als Wohnungsbauminister gegeben haben. Damals sagten Sie, Sie würden in kurzer Zeit Ihr Amt zur Verfügung stellen, weil der Wohnungsbedarf bald gedeckt sei. Sie haben es zur Verfügung gestellt, aber nicht wegen der Deckung des Wohnungsbedarfs. Darf ich Sie an Ihr Rundfunkgespräch aus dem Jahre 1957 erinnern — ich habe es vor mir —, in dem Sie festgestellt haben, daß nicht mehr als 1,5 Millionen Wohnungen fehlen. Der heutige Bundeswohnungsbauminister gab zu, daß heute, zwei Jahre später, 2,5 Millionen Wohnungen fehlen. Glauben Sie, daß Ihre Prognosen, die Sie heute hier bezüglich der Wohnungshalden aufstellen, richtiger sind?
Ich bekenne mich nach wie vor zu meiner damaligen Prognose; denn ich bin felsenfest davon überzeugt, daß in demselben Moment, wo man den Mut hätte, die ganze Zwangswirtschaft abzuschaffen, eine solche Belebung der Wohnungsbautätigkeit einsetzen würde, daß der Mangel sehr viel schneller, als irgend jemand glaubt, beseitigt wird.
Ich habe mich in Hamburg in diesem Frühjahr sehr deutlich dafür eingesetzt, im Augenblick eine ganze Reihe von öffentlichen Bauten — beispielsweise Kongreßhallen und ähnliche Einrichtungen —zurückzustellen
und statt dessen etwas mehr Spielraum für die Wohnungsbautätigkeit zu geben. Ich bin nach wie vor dieser Meinung und sage Ihnen auch offen dasselbe, was ich 1955 den Herren der Notenbank gesagt habe, die damals schon erklärt haben, man solle den Wohnungsbaumarkt doch nicht überhitzen. Der Wohnungsbaumarkt kann sich von sich aus am wenigsten überhitzen. Solange auf diesem Gebiet ein Bedarf besteht und dieser finanzierungsmäßig gedeckt ist, ist das Verlangen des Wohnungsbaumarktes, bevorrechtigt befriedigt zu werden, absolut legitim.
Ich darf dazu noch eines sagen. Ich habe heute inder neuesten Nummer der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen,- die ich im Augenblick aufmeinem Platz liegen habe, noch einmal eine Zustimmung zu dieser These der Bundesbank gefunden, auf die auch Herr Brecht vor einigen Tagen kritisch eingegangen ist. Dort wird nämlich gesagt, man solle den Wohnungsbau in gewisser Weise als eine Konjunkturreserve betrachten. Ich habe schon damals jemandem, der mir einen ähnlichen Rat gab, gesagt, er möge mit mir zusammen einmal in ein Flüchtlingslager gehen und dort sagen: ,,Wohnungsbau ist Konjunkturreserve", ich würde dagegen sagen: es werden alle nur denkbaren Wohnungen gebaut, und wer dann lebendig herauskomme, solle seine politische Auffassung durchsetzen können. Ich möchte das auch heute wieder sagen. Der Wohnungsbau kann doch insbesondere bei Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, Anhänger und Vertreter einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu sein, nicht als Konjunkturreserve zurückgedrängt werden, solange der Bedarf vorhanden und finanziert ist. Dann muß eben wirklich einmal der Aufwand bei der öffentlichen Hand — mit Kongreßhallen und ähnlichem — zurückgestellt werden.
Vielleicht gelingt es aber auch, die Herren der Notenbank und andere davon zu überzeugen, daß es hier um mehr geht als um die Vorstellungen, die sie im Augenblick entwickeln. Dabei kann ich nur hinzufügen: sie erreichen ja gar nicht das, was sie wollen; denn wenn sie selber sagen, der Wohnungsbau sei bis 1961 finanziert, können sie jetzt nicht mit ihren Maßnahmen auf eine Eindämmung des Wohnungsbaus abzielen. Das ist vielleicht das Gute, was man in der Praxis sagen kann.Ich komme auf die 3 % zurück. Diese Lösung betrachten wir als gut, weil sie obendrein der Bevölkerung selbst zeigt, daß die Wohnungsbewirtschaftung nun nicht gewissermaßen willkürlich und ohne Vorsorge vor Eventualitäten von schwerwiegender Bedeutung aufgehoben wird, sondern daß ein gewisser Schutz in der Anpassung an die tatsächliche Bau- und Bedarfsentwicklung vorhanden ist.Wenn das aber so ist, sollte man nach unserer Meinung in demselben Augenblick auch den Mut haben, mit der Bewirtschaftung auch die Preisbindung aufzugeben; denn am allerwenigsten wird passieren können, wenn jeder weiß, daß Angebot und Nachfrage sich praktisch bereits ausgeglichen haben. Die Hausbesitzer, die ja immer die Bösen sein sollen, haben in dieser Lage das größte Interesse daran, ihre guten Mieter nicht zu verlieren und nicht zu verärgern, weil sie ja gar keine anderen mehr bekommen, sobald die Wohnungslage ausgeglichen ist. Man hätte damit sogar den Testfall, der die Befürchtung des Herrn Kollegen Hauffe widerlegen könnte, daß etwa gewaltige Mietpreissteigerungen insgesamt einträten.Andererseits legen wir natürlich Wert darauf, daß gerade die Großwohnungen und die Einfamilienhäuser, die mittleren Wohnungen, in die erste Stufe der überfälligen Maßnahmen mit einbezogen werden. Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat hier gesagt, daß bereits 700 000 Mehrraumwohnungen von Einzelpersonen ohne Untervermietung bewohnt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4905
Dr. Preuskerwerden. Das spricht nur zu deutlich dafür, wie notwendig eine solche Maßnahme ist, um zusätzliche Fehlinvestitionen gigantischen Ausmaßes zu verhindern.Lassen Sie mich aber noch, ohne daß ich nun hier auf Einzelheiten eingehen möchte, zu einem Problem sprechen, das schon verschiedentlich angeschnitten wurde, aber, wie ich glaube, nicht deutlich genug herausgestellt werden kann, zu dem Problem der Modernisierung des Althausbestandes. Ich bin sowohl Herrn Hesberg wie auch Herrn Will sehr dankbar, daß sie diesem auch nach dem Entwurf der Bundesregierung beabsichtigten Vorhaben besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Sie sind sich aber, glaube ich, alle nicht ganz bewußt, was das bedeutet und welche außergewöhnlich große Gefahr darin liegt, daß diese Wohnungen, wenn bis zum Jahre 1962 die Modernisierung, d. h. die Anpassung an die Mindestausstattung des sozialen Wohnungsbaus von heute nicht durchgeführt wird, später unbewohnbar, unvermietbar, Schrott, „Wohnungsschrott" werden, nachdem wir sie glücklich über zwei Weltkriege gerettet haben. Ich glaube, das können wir alle uns nicht leisten.
— Das versuche ich der Öffentlichkeit auch sehr eindeutig klarzumachen. Wenn man nämlich diese 9 Millionen Wohnungen mit einem Neubauwert von immerhin 180 Milliarden DM nebenher neu bauen wollte, weil man es jetzt unterläßt, sie mit einem Aufwand von vielleicht 20 Milliarden DM zu modernisieren, wäre das volkswirtschaftlich der größte Wahnsinn, den wir überhaupt begehen könnten.
Die Bestimmungen, die der Gesetzentwurf enthält, damit diese Modernisierung möglich wird, sind nach unserer Auffassung leider noch nicht ausreichend. Hier muß noch ein Weg gesucht werden, der sicherstellt, daß eine solche Modernisierung überall dort, wo sie möglich ist und auch in ihren mietmäßigen Konsequenzen im Rahmen des Zumutbaren bleibt, auch ohne Verzögerung durchgeführt werden kann. Wir haben dem Herrn Bundesminister für Wohnungsbau unsere Gedankengänge in dieser Beziehung schon nahegebracht, und er hat dankenswerterweise auch seine besondere Bereitschaft erklärt, in dieser Hinsicht jeden nur irgendwie gangbar erscheinenden Weg mitzugehen.Nun noch ein Wort zu dem Kapitel soziales Mietrecht. Da komme ich auf das zurück, was der Herr Kollege Hauffe angesprochen hat. Er hat besonders hier eine neue Regelung gefordert. Um es ganz klarzumachen: auch unsere Fraktion möchte, weil wir eben eine Wohnung, auch eine Mietwohnung, nicht als eine „Kiste" betrachten, nicht, daß es hier bei den gewöhnlichen bürgerlich-rechtlichen Regelungen allein bleibt, die das vorige Jahrhundert einmal für ausreichend gehalten hat. Also man soll schon dem Charakter dieser besonderen Bindungen — allerdings eben nach beiden Seiten hin, sowohl in der Verpflichtung des Mieters gegenüber dem Eigentümer wie in der Verpflichtung desEigentümers gegenüber den berechtigten Anliegen der Mieter — Rechnung tragen.Man kann diese Dinge unter Umständen auch völlig in das Gegenteil dessen verkehren, was beabsichtigt war. In dieser Hinsicht scheinen uns jedenfalls manche Bestimmungen des Gesetzentwurfs entschieden zu weit zu gehen. Als ein Beispiel darf ich den § 565a zitieren, der in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt werden soll. Nach ihm soll in Zukunft der Mieter der Kündigung eines Mietverhältnisses widersprechen können — und zwar dauerhaft —, wenn sie wegen besonderer Umstände des Einzelfalles einen Eingriff in die Lebensverhältnisse des Mieters oder seiner Familie bewirken würde. Wir sind der. Ansicht: Einschränkungen des Eigentums, ja; aber wenn sie den Charakter des Eigentums so denaturieren, daß sie praktisch den Nutzer zum wirtschaftlichen Eigentümer machen, ohne daß der Eigentümer noch die geringste Möglichkeit hat, dagegen etwas zu unternehmen, wird es eben keinen Eigentümer mehr geben, der für andere Menschen Wohnungen bauen wird.
Das ist eben die Grenze, die wir innehalten müssen.Auch hier müssen Rechte und Pflichten in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen, damit nicht aus einer durchaus lobenswerten sozialen Absicht nachher eine unsoziale Wirklichkeit wird. Denn damit wäre niemandem gedient, am wenigsten denen, die heute noch auf eine Wohnung warten und die sicher um so eher zu dieser Wohnung kommen, je eher man die übermäßigen Beschränkungen des Eigentums und des Prinzips der Wirtschaftlichkeit beseitigt, die allein noch dem Hausund Grundbesitz und dem Wohnungseigentümer in dieser Bundesrepublik auferlegt sind.Ich glaube, es ist unser gemeinsames Ziel, den Wohnungsbedarf so schnell und so sicher wie möglich und unter möglichst weitgehender Schonung des Steuerzahlers zu decken. Wir sind der Ansicht, daß der uns vorliegende Gesetzentwurf noch in mancher Hinsicht verbessert werden muß. So müssen wir dafür sorgen, daß die Ziele, die nach dem Entwurf in bestimmten Stufen angestrebt werden, schneller erreicht werden. Ein soziales Mietrecht wird auch von uns durchaus bejaht. Eine gute Absicht darf jedoch in der Praxis nicht ins Gegenteil verkehrt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Mick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem, was dieser Debatte in der Öffentlichkeit vorausgegangen ist, hätte man hier etwas mehr Pfeffer erwarten können. Der Bundestag scheint doch besser zu sein als sein Ruf, den er bei manchen Leuten hat, denn hier wird sachlich diskutiert.Ich glaube, es geht nicht an — das hat auch der Kollege Hauffe schon erklärt —, zu sagen: alle Mie-
Metadaten/Kopzeile:
4906 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Mickter sind gut, und alle Hausbesitzer sind schlecht; oder wie man es ähnlich einmal in einem Bericht in der „Frankfurter Allgemeinen" lesen konnte: alle Mieter fahren nach Italien in Urlaub, und alle Hausbesitzer bringen sich ein Butterbrot zur Hausund Grundbesitzerversammlung mit, weil sie sich kein Abendessen erlauben können.
Vor isolchen Einseitigkeiten sollten wir uns hüten.Herr Kollege Hauffe zitierte dann einen Artikel des Herrn Dr. Weimer aus der „Sozialen Ordnung". Wir haben zu diesem Artikel ausdrücklich geschrieben: „Diskussionsbeitrag". Das heißt, daß man über diese Dinge sehr ernsthaft diskutieren kann, ja daß wir sehr ernsthaft darüber diskutieren müssen.Daß man mit Eigentum nicht machen kann, was man will, haben wir bereits in der ersten Unterrichtsstunde der „Christlichen Soziallehre" vernommen, dazu allerdings auch, daß man mit dem Eigentum anderer Leute nicht machen kann, was man will; denn diese beiden Dinge gehören zusammen und stehen in einem kausalen Zusammenhang.•
Herr Hauffe, Sie zitierten die bekannte Maschine, ich nehme an, die des Herrn Kollegen Atzenroth. Ich gebe dem Herrn Kollegen Atzenroth recht. solange an dieser Maschine niemand beschäftigt ist. Wenn nämlich an dieser Maschine niemand beschäftigt ist, ist die Ansicht des Herrn Kollegen Atzenroth doch wohl schon ad absurdum geführt, denn dann lastet auf der Maschine eine Menge von Eigentumshypotheken.
— Das glaube ich kaum; es kommt darauf an, wases für eine Maschine ist. Wenn man seiner Fraueine Küchenmaschine kauft, trifft das wohl nicht zu.Eines ist erfreulicherweise hier nicht bestritten worden — auch die Bundesregierung hat ja schon im Titel des Gesetzes zum Ausdruck gebracht, daß es ein Gesetz „über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Mietrecht" ist —, daß in einer sozialen oder, wenn Sie so wollen, in einer Marktwirtschaft ein soziales Mietrecht nichts Gegensätzliches ist, nichts ist, was in diese freie Wirtschaft nicht hineinpaßt und was etwa nur ein Attribut der Zwangswirtschaft ist. Ich glaube, daß wir uns mit dieser Feststellung auf einer breiten Basis befinden, auf der man sehr wohl diskutieren und auch zu guten Ergebnissen kommen kann. Die Tatsache, daß in diesem sozialen Mietrecht das Recht auf Wohnung ausdrücklich anerkannt ist und dieses Recht auch durch einen finanziellen Beitrag in Form der Miet- und Lastenbeihilfen untermauert wird — ich werde nachher noch etwas dazu sagen —, scheint mir mehr zu sein als jede papierne Deklaration in irgendeiner Verfassung.
In der 75. Sitzung des Deutschen Bundestages hat der Herr Bundeswirtschaftsminister seine Meinungvom Recht auf Arbeit geäußert. Er hat damals 1 gesagt, man könne keinem Arbeiter die Garantie geben, daß er zeitlebens auf einem Arbeitsplatz bleibe, wohl aber müsse man ihm garantieren, daß er in seinem Milieu bleibe; er dürfe nicht persönlichen Schaden dadurch leiden, daß man ihn abrupt herausreiße. Mir schein die Wohnung noch vor dem Arbeitsplatz zu stehen; denn sie ist der individuellste Bereich des Menschen, vielleicht der einzige individuelle Bereich, den der moderne Mensch noch hat. In seiner Wohnung kann er seine Talente entfalten und seinen Liebhabereien nachgehen; hier ist der Lebensraum der Familie, der Lebensraum der Kinder, hier ist der Mensch er selbst, das trotz des Umstandes, daß viele Wohnungen, die wir nach dem Kriege gebaut haben, etwas hellhörig sind.Herr Kollege Hauffe, Ihre „Kiste" wird jetzt schon eine berühmte Kiste, nachdem auch der Herr Kollege Preusker diese Kiste so oft zitiert hat. Es ist durchaus richtig, daß wir die Wohnung nicht als ein Behältnis zur Aufbewahrung von Menschen ansehen dürfen, mit dem man umgehen kann, wie man will, wie mit einer Kiste, deren Inhalt man hinschmeißt, wenn man sie anders verwenden will. Nach dem „Münchner Merkur" haben Sie ja, Herr Kollege Hauffe, tosenden Beifall für diese Formulierung bekommen. Ich bedauere, daß ich diese Formulierung nicht auch in den Versammlungen unserer Freunde verwendet habe; ich bin nicht darauf gekommen.Aber wir müssen, Herr Kollege Hauffe, wenn wir Wohnungen wollen, die keine Behältnisse sind, oder wenn wir wollen, daß die Wohnungen keine Behältnisse werden, auch den Preis dafür zahlen; denn alles verlangt seinen Preis. Ich bin Vorstandsmitglied einer immerhin mittleren Wohnungsbaugenossenschaft und kann ein Lied davon singen, wie schwer wir uns bei den heutigen Mieten tun, die Wohnungen nicht zu Behältnissen werden zu lassen. Wenn wir uns darüber einig werden, daß die Mieten so sein müssen — über die Höhe mag man streiten —, daß die Wohnungen nicht zu Behältnissen zu werden drohen, sind wir einen großen Schritt weitergekommen. Ich glaube, jeder sieht ein, daß das so sein muß. Auch unsere Mieter sehen das ein; aber was sie, glaube ich, niemals einsehen werden, ist, das man von Kostenmiete, manipulierter Kostenmiete, Kostenvergleichsmiete, Marktmiete, Stoppmiete spricht. Bei diesem Mietenwirrwarr wird einem so dumm, als ginge einem ein Mühlrad im Kopf herum. Der Mieter kennt nur Miete, keine manipulierte und keine Kostenvergleichsmiete usw. Deshalb sollten wir bei diesem Gesetz mit diesen Dingen aufräumen und zu einer Miete kommen.
Dann mag der Herr Bundeswohnungsbauminister — und wir waren so frei, ihm die Mittel dafür zu bewilligen, obwohl Sie, meine Damen und Herren von der SPD, dagegen waren — dem deutschen Mieter, aber auch dem deutschen Hausbesitzer sagen, daß es auch der einfache Mann und die einfache Frau verstehen: Das ist notwendig, das wollen wir tun, das werden wir tun und — wenn wir mit un-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4907
Micksehen Beratungen zu Ende sind — das haben wir getan. Ich hoffe, daß wir im Ausschuß gut zusammenarbeiten und daß wir in Gemeinsamkeit zu einem anständigen Ergebnis kommen. Der Wohnungsbauminister wird aber kaum in der Lage sein, jedem einzelnen seine manipulierte Kostenmiete, seine Kostenvergleichsmiete usw. auszurechnen. Hier harrt also des Ausschusses eine segensreiche Aufgabe.Ich würde auch die vom Bundesrat geforderte lineare Mieterhöhung von vornherein als unsozial ablehnen.
Diese nur lineare Mieterhöhung trifft Gerechte und Ungerechte, sie läßt die Sonne aufgehen über dem Berliner Wedding genauso gut wie über den zwischen den Kriegen gebauten, im allgemeinen guten Wohnungen.Ich finde es daher gut — und Sie, Herr Kollege Hauffe, müßten an sich mit mir einiggehen —, daß man zumindest den Versuch gemacht hat, einen generellen Wohnwert nach bestimmten Merkmalen zu ermitteln. Das kann natürlich nicht für jede einzelne Wohnung geschehen. Herr Kollege Preusker hat schon die entsprechenden Argumente dafür gebracht. Auch in diesem Falle scheint mir schon ein gewisser Übergang in die Marktwirtschaft gegeben zu sein.Es ist geradezu frappierend, wie alle Herzen für die Marktwirtschaft schlagen. Wer hätte das vor einigen Jahren gedacht! Aber wir wollen nicht zurückdenken, sondern uns freuen, daß es so ist und daß die Marktwirtschaft so überzeugend zu wirken verstanden hat.Die Fragen nach dem Zeitpunkt und dem Ausmaß sind schon beantwortet. Die Beantwortung lautet generell: Abbau der Zwangswirtschaft in dem Maße, wie die Wohnungsnot beseitigt ist. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können sich darauf verlassen, daß wir hier die Regierung genauso beim Wort nehmen werden, wie Sie es zweifellos tun werden. Sie dürfen uns auch zutrauen, daß wir nicht die politische, sagen wir ruhig: die parteipolitische Dummheit begehen werden, Wirrwarr zu stiften. Das würde nicht uns, sondern wahrscheinlich Ihnen zugute kommen, und so töricht sind wir im allgemeinen nicht.Es ist also unser Bestreben, die Wohnungswirtschaft in die Marktwirtschaft abtröpfeln zu lassen und nicht gleich eine Sturzflut, wie es draußen der Frau Müller und dem Herrn Meier immer wieder dargestellt wird, sich in die Marktwirtschaft ergießen zu lassen. Ich bin erfreut darüber, daß der neue, verbesserte Plan uns noch vor dieser Debatte vorgelegt worden ist; denn hier ist das Abtröpfeln in die Marktwirtschaft nach meiner Überzeugung in einem bedeutend größeren Maße gewährleistet, als es in der ersten Regierungsvorlage der Fall war.Der Herr Minister kommt aus dem Bergischen, und wenn man aus unserer Geographie ins Bergische sieht, sagt man: Dort wohnen Dickköpfe, die nicht leicht von einer Meinung abzubringen sind. Aber wir sehen doch, daß der Herr Minister, obwohl er aus dem Bergischen kommt, Argumenten, die ihm entgegengehalten werden, ein offenes Ohr leiht unddaß er keinen Wert darauf legt, nun unbedingt in jedem Detail und in jeder Kleinigkeit recht zu behalten. Das heißt, daß ich noch manche Möglichkeit für eine Verbesserung des Systems sehe, daß ich aber noch keine bessere Erkenntnis für ein anderes System gewonnen habe. Ich habe mich sehr eingehend mit diesen Fragen beschäftigt, und ich muß sagen, daß das System als solches, wie es uns in der Regierungsvorlage vorgelegt worden ist, doch die größtmögliche Garantie gibt, das zu erreichen, was wir wohl allesamt wollen.Ein kurzes Wort zur Wohnraumbewirtschaftung! Wir werden ihr alle keine Träne nachweinen, obwohl wir das nicht so kaltschnäuzig sagen sollten. Die Menschen, die in dieser Wohnraumbewirtschaftung standen, haben all die Jahre ihr Brot sauer verdient. Wir sollten ihnen dankbar sein. Wer irgendwie einmal in einem solchen Apparat tätig war — und ich hatte einmal das Leiden, möchte ich sagen, in einem Ernährungsamt tätig zu sein —, der weiß, wieviel Ärger mit solchen Ämtern verbunden ist. Aber so, wie wohl heute niemand mehr ein Ernährungsamt zurückwünscht, wünscht niemand die Wohnraumbewirtschaftung; denn Mangel läßt sich ja nicht verteilen. Diese Wohnraumbewirtschaftung, der ich in Zukunft nur noch einen immer mehr theoretischen Wert zuerkenne, ist ja nun der Aufhänger für alle anderen Dinge, die sich anschließen sollen, geworden.Bei einem Fehlbestand von 3 % — so steht es in der Vorlage — sollen die Mieten frei werden. Herr Preusker, bei Ihrem Glauben an die Dynamik auch der Wohnungswirtschaft meine ich, daß wir uns bestimmt bei 2% einigen werden. Ihr Glaube an die Dynamik ist so stark, daß Sie nicht wegen 'des einen Prozents mit mir auf den Roßmarkt gehen werden, um dort zu feilschen. Über eines bin ich mir mit Ihnen klar: daß 0% eine Verewigung der Wohnraumbewirtschaftung bedeuten würde. Ich bin bereit, mich hier an Ihre Seite zu stellen.Eine weitere Frage werden wir im Ausschuß sehr eingehend beraten müssen — damit komme ich wieder zu Ihnen, Herr Kollege Hauffe, die Frage der Ledigenhaushalte. Ich bin nicht der Meinung, daß wir das in Köln anders als in Berlin und in Berlin anders als in Nürnberg handhaben können, sondern hier werden wir einen Generalnenner finden müssen. Darüber, ob 50 oder 60 oder wieviel Prozent, werden wir uns im Ausschuß sehr eingehend zu unterhalten haben, und ich hoffe, daß wir uns dann alle den besten Argumenten beugen, um das Beste herauszuholen.Über die Frage der Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung in den Gemeinden ist viel Druckerschwärze verspritzt worden. Ich habe dazu auch einiges beigetragen.
Ich bin an sich befriedigt, daß auch diese Diskussion sowohl im Diskussionsbeitrag des Herrn Hauffe als auch des Herrn Preusker, aber auch in der Darstellung des Herrn Ministers immerhin schon erkennbare Ansätze gezeigt hat. Wir werden hier sicher zu einer guten Regelung kommen. Es kann näm-
Metadaten/Kopzeile:
4908 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Micklich nicht so sein, daß wegen der Verhältnisse in einer größeren kreisangehörigen Stadt über lange Jahre hinweg in dem Gesamtbild des Kreises ein Wohnungsfehlbestand von, sagen wir, 2% in Erscheinung tritt oder daß bei einem Fehlbestand von 0 % im Kreise der 10%ige Fehlbestand in einer Kreisstadt einfach ignoriert wird. Wir werden darüber sprechen müssen, wie wir das am besten machen.Als Zeitpunkt für den endgültigen Übergang in die Marktwirtschaft ist das Jahr 1965 genannt worden.
Darüber werden wir ebenfalls sprechen müssen. Auch wenn man an die Dynamik der Dinge glaubt — wir haben keine Veranlassung, nicht daran zu glauben —, sollte man in diesem Falle auf Nummer Sicher gehen. Ich bin überzeugt, daß dadurch keine Wohnungshalden entstehen werden. Ich glaube nicht, daß man bei dem Gut „Wohnung" auf etwas anderes umspringen kann, wie das bei der Kohle durch den Übergang auf das Heizöl möglich ist.Herr Dr. Preusker, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß in bezug auf die Erhaltung des Althausbesitzes etwas getan werden muß; es muß sogar etwas Erhebliches getan werden, um diese volkswirtschaftliche Substanz zu erhalten. Ich möchte aber nicht Dinge erhalten haben, die nicht erhaltenswert sind. So möchte ich, um ein Beispiel zu nennen, nicht haben, daß im Berliner Wedding noch Badezimmer eingebaut werden und daß diese Gebilde dann noch 50, 60 oder noch mehr Jahre durchgeschleppt werden. Ich sehe, daß wir uns auch über diesen Punkt im klaren sind.Nun gibt es Leute, die sagen: Wer garantiert, daß der Hausbesitzer nun auch reagiert und seine Wohnungen entsprechend erneuert? Wenn der Hausbesitzer klug ist, wird er etwas tun. Ich glaube aber, daß wir alle es ablehnen, ihn zur Klugheit zu zwingen. Es entspricht auch der Marktwirtschaft, daß Wohnungen für einen Kreis von Menschen zur Verfügung stehen, die nicht gewillt sind, einen entsprechenden Anteil ihres Einkommens für Miete auszugeben, die bestrebt sind, an Miete zu sparen. Wenn diese Wohnungen bekommen, an denen nichts getan ist, entsteht nicht zuletzt für die Gemeinden eine große Entlastung. Sie müssen heute nämlich horrende Mittel für diesen Personenkreis ausgeben. Das ist eine Angelegenheit, bei der man fast von einer negativen Auslese sprechen kann.
— Nun, ich will doch damit ,nur sagen, daß Beihilfen, öffentliche Mittel, keine Diskriminierung bedeuten, sondern etwas, was — entschuldigen Sie den Ausdruck — unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist und was ich als einen großen sozialen Fortschritt bezeichne.
Wir werden uns noch eingehend darüber unterhalten müssen, ob das von der Regierung vorgeschlagene System so übernommen werden kann oder ob wir es noch verfeinern müssen — zumal da sich hier einige Zweifelsfragen eingeschlichen haben, die geklärt werden müssen —, um den Menschen auch wirklich etwas zu geben, was als ein Fortschritt bezeichnet werden kann. Wir werden vor der Freigabe der Wohnungswirtschaft auch die unabdingbare — für mich unabdingbare — Voraussetzung zu schaffen haben, daß auch nach der Übergangszeit die Miet- und Lastenbeihilfen garantiert sind.
Zur Frage des Mieterschutzes haben wir an sich schon in bezug auf die Hauffesche „Kiste" einiges gesagt. Ich will gar nicht allzuviel zu der Frage des Übergangs-Mieterschutzes sagen, weil sich nicht allzuviel verändert
— ich komme noch auf das, was Sie wahrscheinlich meinen — und es sich für diese Jahre nicht lohnt, hier nun stundenlange Debatten zu führen. Ich bin sogar der Meinung, daß wir an diesem Mieterschutz so wenig wie möglich ändern sollten — das, was unbedingt notwendig ist, schon! —, meine Damen und Herren von der SPD, um Ihnen keine Gelegenheit zu geben, darüber ein Jahr zu beraten.
Aber die Frage des End-Mieterschutzes beschäftigt uns doch sehr stark. Herr Kollege Preusker, hier haben Sie mich enttäuscht, weil Sie den § 565a leider nicht ganz zitiert haben. Das hätten Sie tun sollen. Sie haben zitiert bis:. „ ... Umstände des Einzelfalles einen Eingriff in die Lebensverhältnisse des Mieters oder seiner Familie bewirken würde,". Dann haben Sie nicht weiter zitiert: „dessen Härte auch unter voller Würdigung der Belange des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist." Herr Preusker, das müßte schon ein toller Fall sein, wenn da bei der Interessenabwägung Dinge herauskommen, wie Sie sie schildern. Hier bin ich etwas anderer Meinung. Ich meine nicht, daß man jeden Bescheid zu einem Ermessensentscheid des Gerichts machen sollte; ich meine, wir sollten versuchen, auch hier dem Richter schon so etwas wie ein Geländer zu schaffen, an das er sich halten kann. Das schützt den Richter vor Vorwürfen. Wenn ein Autofahrer verurteilt wird, sagt er: „Der Richter ist ja nicht Autofahrer; sonst hätte er ganz anders geurteilt." Ich möchte hier durch ein „Geländer" vermeiden, daß etwa die Richter im Blick der Öffentlichkeit als
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4909
MickHausbesitzer oder Mieter definiert werden könnten. Nehmen Sie zur Kenntnis, meine Damen und Herren, daß unsere Beratung unter dem Motto stehen wird: Hausbesitzer und Mieter, — jedem das Seine und damit das Beste für uns alle!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Brecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf hat interessanterweise in der Numerierung der Bundestagsdrucksachen die „Zensurskala" 1-2-3-4 bekommen, und so war auch die bisherige Debatte. Es wurden Zensuren ausgeteilt, die in der Regel gut waren; nur gelegentlich ging es mal in die Vier. Vielleicht haben einige auch schon gedacht, es ginge in die Fünf.
-- Auch von unserer Fraktion, Herr Dr. Czaja. Warum nicht? Wir sind gewöhnt — nicht nur bei diesem Gesetz, sondern auch bei anderen Gesetzen —, den Dingen sehr objektiv entgegenzutreten. Ich glaube, wir haben Ihnen bei der bisherigen Beratung des Bundesbaugesetzes trotz der heute bedauerlicherweise getroffenen Entscheidung keinen Anlaß gegeben, an unserer Objektivität und Sachkunde bei der Mitberatung irgendwie zu zweifeln.
Ich habe heute manchmal gehofft, einiges würde in der Grundsatzdebatte stärker herauskommen. Es ist sehr wohl ein ernstes Problem, ob man bei der Eigengesetzlichkeit der Wohnungswirtschaft ohne weiteres zur Marktwirtschaft übergehen kann. Es bleibt sehr wohl zu prüfen, ob es sich nicht darum handelt, lediglich gewisse marktwirtschaftliche Formen auf die Wohnungsversorgung anzuwenden, wobei die Eigengesetzlichkeit der Wohnungswirtschaft — die Wohnung ist eben keine Ware — berücksichtigt werden muß. Aber seien Sie sicher — mein Freund Hauffe hat es ja deutlich gesagt —: auch wir sind nicht für die Zwangswirtschaft. Wir möchten mit aller Schärfe betonen, daß wir mit diesem Gesetz etwas erreichen wollen, was für uns ein gesellschaftspolitisches Leitbild ist, nämlich die freie Konsumwahl der Wohnungskonsumenten. Nicht der Staat oder eine Behörde soll entscheiden, wie man wohnt, bei wem man wohnt, zu welchem Preis man wohnt, ob man das oder jenes darf und das oder jenes nicht darf, ob man unbedingt in einer schlechten Wohnung hausen muß oder ob man sich in eine gute Wohnung begeben kann, sondern wir wollen die freie Konsumwahl für die Wohnungskonsumenten. Unsere Beurteilung des vorliegenden Gesetzentwurfs werden wir an diesem oberen Leitbild orientieren.Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat in seiner Denkschrift und in vielen Reden eine ganze Menge sich zum Teil widersprechender gesellschaftspolitischer Leitbilder aufgestellt: Ertragssicherung des Hausbesitzes, Mietenentzerrung, Befreiung von der Subvention, Steuerersparnis usw. usw., ich will das gar nicht alles aufzählen. Aber gerade das Leitbild der freien Konsumwahl auch bei diesem Konsumgut vermißt man in der ganzen sogenannten Konzeption, die hier zugrunde liegen soll.Wir werden in bezug auf die Verwirklichung dieses Grundsatzes der freien Konsumwahl sehr konsequent sein und werden also sehr opponieren, daß in Art. IX — den haben viele von Ihnen wahrscheinlich gar nicht gelesen; denn der steht in diesem Mammutgesetz ganz hinten — völlig gegen diesen Grundsatz der freien Konsumwahl die „Töpfchenwirtschaft" aufrechterhalten wird: die ganze Ghettobildung, die wir in unserer Wohnungsversorgung bekommen haben, nach sozialen Gruppen, nach Berufsgruppen, statt einer soziologischen Mischung. Das alles soll in Art. IX erhalten werden. Nein, wenn man freie Konsumwahl will, wenn man gegen die Zwangswirtschaft ist, dann müssen auch solche Bindungen, soweit sie nicht aus anderen Gründen notwendig sind, aufgegeben werden. Dann wird das hohe Bundeswohnungsbauministerium, das jetzt gerade dabei ist, Zwangsmietverträge zu machen, sich auch in vielem anderen auf einen freiheitlicheren Stil besinnen müssen, der dann wie in die Wohnungsversorgung auch dort hineinkommen muß.Es ist heute viel von der Wohnungsproduktion gesprochen worden. Ich will dazu nicht allzu viel sagen. Ich halte die Bedarfszahlen, die der Herr Wohnungsbauminister angegeben hat — global 1,5 Millionen plus 1 Million — im wesentlichen für richtig. Wir müssen uns nur klar sein, daß in diesem Gesetzentwurf überhaupt keine Sicherung nach der Richtung enthalten ist, daß und wie lange und in welchem Umfang der Wohnungsbau fortgeführt wird. Da haben wir nur das Zweite Wohnungsbaugesetz, das ja inzwischen ausläuft. Der Bundesrat ist es allein, der eine Sicherung im Gesetz eingebaut haben will, um so den Wohnungsbau auch über diesen Termin hinaus zu sichern.
Das sollte man nicht von vornherein so willkürlich ablehnen, sondern darüber sollte man wirklich einmal nachdenken. Es gibt zwei Methoden des Übergangs von der gegenwärtigen Situation der Wohnungsversorgung in eine Marktwirtschaft. Die eine ist eine natürliche, die andere eine dirigistische. Die Bundesregierung wählt den dirigistischen Weg. der natürliche Weg wäre nämlich, durch verstärkte Wohnungsproduktion einen Markt zu schaffen und so viel Wohnungen auf den Markt zu bringen, daß ein Überangebot an Wohnungen vorhanden ist. Dann hebt sich mancherlei dieser Wohnungszwangswirtschaft von selbst auf.
Ich habe mit großen Bedenken hier einige Verlautbarungen gehört, die etwa darauf abzielten, die knappen öffentlichen Mittel, soweit überhaupt noch welche vorhanden sind, künftig mehr nach dem Lande, nach draußen in Gebiete zu lenken, in denen nach den statistischen Ergebnissen der geringere Wohnungsbedarf besteht. Man will die Ballungsgebiete bei der Hergabe der öffentlichen Mittel be-
Metadaten/Kopzeile:
4910 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Dr. Brechtnachteiligen. Genau umgekehrt müßte es sein; die öffentlichen Mittel müßten dorthin fließen, wo Bedarfsgebiete sind und nicht dorthin, wo schon ein Überfluß vorhanden ist.
— Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie oft haben wir mit Ihnen über wirkliche Maßnahmen der Raumordnung und der Landesplanung gerungen! Nichts ist daraus geworden.
Wir haben die beste Chance für eine Raumordnung und für eine Landesplanung, eine Chance, die wir in der Umstellung unseres Wirtschaftskörpers seit 1950 hatten, nutzlos vertan. Jetzt, nachdem wir am Ende der Wohnungsproduktion angelangt sind, kommen Sie und sagen: Jetzt muß alles mit Raumordnung gemacht werden.Also wir sind gar nicht für die Ballungsgebiete.
— Moment, Herr Dr. Czaja. Sie müssen etwas genauer hinhören. Wir sind nicht dafür, daß die Ballungsgebiete noch vermehrt werden.
Aber wenn in den Ballungsgebieten ein echter Wohnungsbedarf nachgewiesen wird und Sie im Übergang zur marktwirtschaftlichen Versorgung eben den Bedarf decken wollen, dann bleibt gar nichts anderes übrig als eben dem Bedarf nachzugeben und in den Bedarfsgebieten zu bauen.
Zur Finanzierung will ich nichts sagen; darüber ist schon von Herrn Dr. Hesberg und anderen gesprochen worden. Man könnte dafür manche andere Prognose geben. Ich möchte nur auf eines hinweisen. Vergessen Sie bei diesem Gesetz eines nicht: Sie fördern den Übergang von der Wohnungsbaufinanzierung zur sogenannten Finanzierung mit Aufwendungsbeihilfen. Gut, ich bin durchaus ein Verfechter auch der Finanzierungsmethode der verstärkten Kapitalmarktförderung und der Aufwendungsbeihilfen.Vielleicht wird das hohe Wohnungsbauministerium endlich auch einmal einsehen, daß dazu nicht die jetzigen Bürgschaftsrichtlinien ausreichen, auch nicht die, die in den nächsten Tagen herausgehen sollen, sondern wirklich eine neue konstruktive Bürgschaftsregelung. Ihnen ist sicherlich bekannt, daß die Aufwendungsbeihilfen auf fünf bis sechs Jahre befristet sind, sofern sie nicht in der Form von Zinszuschüssen für die Laufzeit der ersten Hypothek gegeben werden. Zu den Mieten nach diesem Gesetz im neu geförderten Wohnungsbau, kommen Steigerungen um 40 und 60 Pfennig, wenn die Aufwendungsbeihilfen nach fünf Jahren wegfallen, noch hinzu. Ich will nicht sagen, daß es da und dort nicht möglich wäre, aber man muß das in die Kalkulation der Mietpreisregelung unbedingt einbeziehen.Sie wollen künftig öffentliche Mittel wegen der Eigentumsförderung usw. vorzugsweise aufs Land hinausgeben. Schön, dann soll man eines Tages einfach sagen: das Zweite Wohnungsbaugesetz ist kein Gesetz mehr zur Beseitigung von Wohnungsnotständen, sondern ein Gesetz zur Eigentumsförderung. Dann lassen wir darüber mit uns reden. Aber dann müssen Sie eine neue Regelung treffen, um die echten Notstände in den Bedarfsgebieten zu überwinden.
Gehen Sie doch einmal in die Städte oder lesen Sie nur den Artikel von Herrn Brüggemann! Dann werden Sie finden, wo diese Wohnungsnotstände sind. Man kann nicht ihre Existenz einfach in Abrede stellen.Eine lebhafte Diskussion wird darüber geführt, wie groß der Wohnungsbedarf sei und wie er gedeckt werden solle. Das ist zweifellos ein ernstes, interessantes Anliegen. Ich habe im offiziösen Bundesbaublatt des Bundeswohnungsbauministers einen Artikel eines seiner oberen Beamtengelesen, worin es sinngemäß heißt, in Frankreich fehlten noch 2 Millionen Wohnungen, deshalb könne dieses Land noch nicht zur Beseitigung des Wohnungsbewirtschaftungs- und des Mietpreisrechts übergehen. Ich muß sagen, das ist genau die Situation, in der wir stehen. Wenn das für Frankreich gilt, müßte es in etwas abgewandelter Form auch für uns gelten.Bei all den Überlegungen über die Bedarfsermittlungen begeht man einen großen Fehler. Sowohl die Bundesregierung wie der Bundesminister für Wohnungsbau meinen, weil sie verwaltungswirtschaftlich und nicht marktwirtschaftlich denken, daß man hier ein statisches Prinzip anwenden müsse. Niemand anders als das Statistische Bundesamt hat darauf hingewiesen, daß diese statische Berechnung — das Ausgehen von einem bestimmten Stichtag — nichts über die marktwirtschaftliche Situation aussagt, daß für sie ganz andere Dinge maßgebend sind. Das ist der tiefere Grund, weshalb wir sagen, man kann nicht zentral einen Termin oder drei Termine festlegen, zu denen die Wohnraumbewirtschaftung aufzuheben ist, wenn vom echten Bedarf ausgegangen wird.Es ist nicht so, Herr Minister, wie Sie es dargestellt haben, daß man eine Korrespondenz mit 25 000 Gemeinden führen müßte. Niemand hat gesagt, daß der Wohnungsbauminister bei 25 000 Gemeinden zentral die Wohnraumbewirtschaftung aufheben müßte. Es ist vielmehr gesagt worden, man solle bei der Bedarfsermittlung bei den Gemeinden ansetzen, und dann sollten die Gemeinden entscheiden, was nach den tatsächlich gegebenen Verhältnissen zu geschehen hat. Ich habe den Eindruck, daß hier schon Annäherungen zu verzeichnen sind. Sie haben bereits gesagt, man könne innerhalb der Kreise einige größere Gemeinden ausnehmen. Herr Mick hat ähnliche Anregungen gegeben. Hier ließe sich wohl eine Verständigung erzielen.Jedoch drohte bisher angesichts der Hartnäckigkeit des Herrn Ministers die Auseinandersetzung über die Frage, ob ein Absinken des Defizits auf 3% oder auf 0% Voraussetzung für die Freigabe der Wohnungsbewirtschaftung sein soll, zum
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4911
Dr. BrechtWeltanschauungskampf zu werden. Mit Weltanschauungen hat diese Frage nichts zu tun. Es ist eine reine Sachfrage, über die man reden kann und die man einer Lösung zuführen könnte, wenn man von den Verhältnissen in den einzelnen Gemeinden ausgeht. Man darf den Gemeinden nicht vorschreiben, daß sie bei einem bestimmten Prozentsatz des Defizits die Wohnraumbewirtschaftung aufheben müssen, darf auch nicht sagen, daß sie sie aufheben können, sondern man muß den Gemeinden eine gewisse Spanne lassen, innerhalb deren sie — nicht die Gemeindeverwaltung, sondern die politischen Gemeindegremien —, gestützt auf ihr Selbstverwaltungsrecht, entscheiden können, ob eine Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung erfolgen soll.
— Sie haben Angst davor; wir haben keine Angst davor. Wir sind der Überzeugung, daß die Gemeinden objektiv und sachlich die Feststellungen treffen und dann die Entscheidung fällen werden.Sie selber haben in der Debatte viele Beispiele dafür gebracht, wie differenziert der Bedarf ist und welche unterschiedlichen Einwirkungen maßgeblich sind. Sie haben aber nur von der Zuwanderung und von den Haushaltsgründungen gesprochen, Herr Minister. Sie haben beispielsweise nichts von dem Bedarf gesagt, der sich aus der Sanierung ergibt. Sie haben vor allen Dingen, Herr Minister, nie etwas davon gesagt, daß Sie durch dieses Gesetz den Wohnungsbedarf steigern. Sie steigern ihn nämlich dadurch, daß Sie den Besitzern von Ein- und Zweifamilienhäusern gestatten, die Zweitwohnungen für sich in Anspruch zu nehmen. Dadurch entsteht zweifellos ein zusätzlicher Bedarf am Wohnungsmarkt. Das muß berücksichtigt werden. Aber gerade all diese Details führen dazu, daß man den Gemeinden die Entscheidung überlassen sollte, ob und wie die Wohnraumbewirtschaftung aufzuheben ist.Ich bin dabei ebenso wie mein Freund Hauffe nicht der Meinung, daß man jeder Gemeinde mit 500 oder 600 Einwohnern das Entscheidungsrecht geben sollte. Hier gibt es vorgeordnete Körperschaften, sagen wir einmal, die Körperschaften, die die Wohnraumbewirtschaftung schon betreiben, oder meinetwegen die Kreise. Aber im Prinzip mull die Entscheidung bei den Gemeinden fallen.Sie haben vorhin immer gesagt — und sämtliche Redner haben es nachgesagt —, es führe zur Verewigung der Wohnraumbewirtschaftung, wenn man auf den Nullpunkt abstelle. Wer das behauptet, hat die Statistik nicht gelesen. Denn die amtliche Statistik des Statistischen Bundesamtes weist zum 31. Dezember 1958 aus, daß es in der Bundesrepublik bereits 14 Kreise gibt, in denen die Zahl der Wohnungen größer ist als die der Haushaltungen. Dort wird also ein Strich gemacht. Dort ist die Null-Linie nicht nur erreicht, sondern unterschritten. Ich bin der Überzeugung, daß zum 31. Dezember 1959 diese Zahl noch zunehmen wird. Es ist also gar nicht wahr, daß das eine Methode sei, bei der ein solcher Ausgleich nicht gegeben sein könne.Ich möchte meine Ausführungen abkürzen und nur noch auf die zeitliche und sachliche Synchronisierung der Freigabe der Mietpreise und der Wohnraumbewirtschaftung hinweisen. Die Rede, die Sie, Herr Minister, in Hamburg vor dem Parteitag gehalten haben und die dann groß durch die Presse gegangen ist, hat viel Wirbel und Unklarheit ausgelöst. Sie sprachen nur von einer Verlängerung des Stufenplans in der Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung. Ich gebe das, glaube ich, richtig wieder. Man hat draußen aber noch etwas anderes gemacht, man hat das auf den Stufenplan der Mietfreigabe übertragen. Wenn dieser von der Regierung noch nicht gemachte, aber von dem Herrn Minister angekündigte Zusatz käme, würde es tatsächlich dahin kommen, daß im Jahre 1963 die Mietpreisregelung aufgehoben wird und es keine Mietpreisbindung mehr gibt. Aber die Wohnraumbewirtschaftung würde in den Stufen vereinzelt noch bis 1965 oder sogar 1966 bestehenbleiben.Glaubten Sie denn, meine Damen und Herren, daß eine Wohnraumbewirtschaftung noch irgendeinen praktischen Sinn hat, wenn bereits drei Jahre vorher die Mietpreisregelung freigegeben ist? Jede Mietpreisentwicklung am Markt, die dann zulässig wäre, macht Ihnen doch jegliche Wohnraumbewirtschaftung, auch wenn sie die Stufen noch so weit hinausschieben, einfach unmöglich.Vor einem möchte ich warnen. Wir dürfen nicht etwa denken, der Wohnungsbedarf werde dadurch eingeengt — das ist hier ein paarmal angeklungen —, daß wir die Mieten heraufsetzen, eingeengt, weil dann soundso viele Familien sich eine kulturell angemessene Wohnung nicht mehr leisten können.
Die Unruhe in der Bevölkerung wegen Ihres Plans beruht teilweise auf Erinnerungen oder Erfahrungen aus der marktwirtschaftlichen Situation vor 1914. Ich bin der letzte, der sagt, es ist heute genauso; ich weiß genau, daß es Unterschiede gibt. Aber tatsächlich wird darauf Rücksicht zu nehmen sein, daß man eben entgegen einer These, die hier vertreten worden ist, in der Wohnungsversorgung den Markt durch den Preis nicht so regulieren kann wie die Märkte für Strümpfe, Eier, Butter, Schuhe oder Autos. Da gibt es eben Grenzen. Das gehört zur Eigengesetzlichkeit der Wohnungswirtschaft; die Wohnung hat nicht den Charakter einer Ware. Man kommt hier mit dem Preis an eine Grenze, wo eine Regulierung über den Preis nicht mehr möglich ist, wo man den Menschen die Wohnungsversorgung eben nicht gewährleistet.Sie werden sagen: Das kommt mit den Mietbeihilfen. Dazu will ich noch etwas sagen. Das ist derselbe gefährliche Gedanke wie der, den Herr Dr. Preusker geäußert hat, indem er sagte: Man kann in der Wohnraumbewirtschaftung gar nicht auf die Null-Grenze zurückgehen, weil sonst niemand mehr das rechte Interesse hat, noch Wohnungen zu produzieren. Herr Dr. Preusker, Sie wissen selbst, daß das falsch ist; denn auch dann gibt es weiterhin einen Wohnungsbedarf. Auch hier ist es eben so, daß man diese Knappheit nicht erst noch künst-4912 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959Dr. Brechtlieh erhalten muß, um zur Produktion zu kommen. Da muß man vielmehr andere Anreizmittel verwenden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Preusker?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Dr. Preusker!
Darf ich einmal eine Frage stellen, Herr Kollege Brecht, um ganz klarzumachen, worum es hier geht. Glauben Sie, daß es irgend jemanden gibt, der freiwillig Wohnungen baut, wenn er das Beispiel vor sich sieht, daß für die Wohnungen keine kostendeckenden Mieten zu erhalten sind?
Herr Dr. Preusker, darauf kann ich Ihnen die Antwort, die Sie haben wollen, deshalb nicht geben, weil es sich nicht so verhält. Vielmehr besteht auch dann, wenn Sie keine Knappheit am Markt haben, wenn also der Bedarf, statisch gesehen, in einem bestimmten Zustand, etwa am 31. Dezember 1963, vollkommen gedeckt ist, weiterhin ein Wohnungsbedarf. Er entsteht aus der dynamischen Entwicklung des Bedarfs, aus der Zuwanderung, aus der Haushaltsgründung, infolge Abreißens und Sanierung von Häusern. Ein Bedarf ist also immer vorhanden.
Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Preusker?
Bitte sehr!
Herr Kollege Brecht, selbstverständlich gehen wir beide von dem existenten Bedarf aus. Verstehen Sie, warum ich noch einmal so intensiv frage? Wann wird bei vorhandenem Bedarf gebaut werden: wenn kostendeckende Preise gegeben sind oder wenn die kostendeckenden Preise verhindert werden?
Selbstverständlich nur, wenn die kostendeckenden Preise erzielbar sind!
— Ich komme darauf noch einmal zurück. Lassen Sie mich jetzt erst einmal in meinem Gedankengang fortfahren.Der Herr Minister hat von den Leuten mit viel zu hohem Einkommen gesprochen, die in Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus sitzen. Jemand von Ihnen hat zugestimmt; ich glaube, Sie haben sogar stark Beifall geklatscht. Wir haben ja auch kürzlich schon miteinander darüber gesprochen. Ich mache zunächst einmal darauf aufmerksam, daß in dem Gesetzentwurf, der uns vorliegt, über dieses Thema kein einziges Wort steht. Die Bundesregierung hat nicht zu sagen gewagt: Hier müssen Mietverhältnisse gekündigt werden, und die Leute müssen herausgesetzt werden. Das kann sie auch gar nicht, wenn sie in demselben Augenblick zu marktwirtschaftlichen Formen übergehen will. Es handelt sich letzten Endes um die Auswirkungen des Falles Hallstein. Ich hätte ihn nicht erwähnt, wenn Herr Dr. Preusker diese Frage nicht angeschnitten hätte.Ich habe, weil ich auf solche Anregungen von Ihnen durchaus reagiere, inzwischen eine Umfrage veranstaltet, um einmal festzustellen, wie hoch der Prozentsatz der Personen und Familien ist, die in Sozialwohnungen wohnen und deren Einkommen über die im sozialen Wohnungsbau festgelegte Grenze hinausgeht. Dabei habe ich festgestellt, was ich Ihnen damals schon sagte: man dramatisiert dieses Problem durch die Anführung von Einzelbeispielen. Im Grunde genommen — es kann sein, daß weitere Ergebnisse das noch korrigieren — liegt der Anteil bei 10 bis 12 %.Wir tun immer so, als ob viel zuviel Ministerialräte und sonstige Leute mit gehobenen Einkommen Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus bewohnten.
Die Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus sind durchweg von Arbeitern und Angestellten bewohnt, die eben noch ein Einkommen haben, das innerhalb der Einkommensgrenzen des sozialen Wohnungsbaus liegt.
— In Bonn mag es anders aussehen, das gebe ich Ihnen zu. Aber Bonn ist nicht die Bundesrepublik, sondern nur ein Teil.Nun etwas zu den Mietproblemen. Ich will da nichts wiederholen. Sie haben gehört, daß wir über die 38 % oder 35 %, wie Herr Dr. Hesberg es ausrechnete — wobei ich ihm zustimme —, anders denken, daß wir aber — und das hat Herr Hauffe sehr deutlich dargelegt, so daß Sie es vielleicht erkannt haben — über Mietkorrekturen, wenn und soweit sie der Kostendeckung halber und wegen des Wohnwertes notwendig sind, durchaus mit uns reden lassen.Herr Dr. Hesberg hat errechnet, daß es bei den Großwohnungen um 23 %, bei den Mittelwohnungen um 25 % und bei den Kleinwohnungen um 30 % geht. Da wird es allerdings kritisch, bedenklich und gefährlich. Aber das sind immerhin Prozentsätze, die sehr nahe an dem Prozentsatz liegen, den der Bundesrat genannt hat. Man muß sich doch wirklich ernsthaft überlegen — ich bitte Sie, Herr Minister, auch hier wieder darum, daraus keine Weltanschauung zu machen —, ob man nicht zu Lösungen kommen kann, die sehr viel einfacher, sehr viel beweglicher, sehr viel vernünftiger sind als dieses furchtbar komplizierte System, das Sie sich da aufgebaut haben. Das braucht dann gar nicht — einer der Herren hat es gesagt — eine lineare Mieterhöhung zu sein. Da wird dann gesagt: eine lineare Miet-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4913
Dr. Brechterhöhung ist ein Teufelswerk, und eine andere Mieterhöhung ist ein Himmelswerk. So ist es ja nicht. Auch wenn Sie eine Obergrenze ansetzen — ohne all diese zahlreichen Einzel- und Zwischenstufen —, finden Sie Lösungen, die viel, viel einfacher sind als die Regelung, die Sie vorgesehen haben.Manchmal habe ich den Eindruck, man hält so krampfhaft an dieser jetzt konstruierten Regelung fest, weil man die 850 000 DM Propagandamittel hat und weil Sie selber den Plan haben, ähnlich wie eine Rentenfibel auch eine Mieterfibel für 15 Millionen Haushaltungen rechtzeitig zu produzieren und in den Markt zu werfen, damit vor den Bundestagswahlen der Bevölkerung eine Aufklärung über die ideale Wohnungspolitik der Bundesregierung gegeben wird. Sie brauchen das nicht mit dieser Fibel zu tun. Machen wir lieber das Gesetz — ohne Rücksicht auf Verlagsinteressen — lesbar und verständlich, damit die Menschen draußen ohne Rechtsanwälte und ohne Kommentatoren eine Entscheidung treffen können.Dabei glaube ich jedoch eines aufnehmen zu müssen, was Herr Kollege Mick gesagt hat. Er sagte, es könnten nun nicht die schlechtesten Wohnungen ohne weiteres sämtlich modernisiert oder in diese Mietsteigerung einbezogen werden. Im Gesetz ist dieser Bruchbuden-Paragraph — ich glaube, der Ausdruck stammt noch von Herrn Dr. Preusker aus der Zeit der Beratung des Ersten Bundesmietengesetzes — nicht geändert und gestrafft. Vielmehr ist der alte Bruchbuden-Paragraph dringeblieben. Wir müssen uns jedoch darüber klar sein, daß sich die Sachverhalte geändert haben. Die Wohnungsverhältnisse liegen heute anders. Sie werden diesen Bruchbuden-Paragraphen sehr viel straffer gestalten müssen, damit nicht im Wedding oder in Köln oder in Frankfurt die Mieten von Gebäuden in Altvierteln erhöht werden, die Sie dann nach drei oder vier Jahren mit Einsatz erhöhter öffentlicher Mittel wieder sanieren müssen oder wo Sie dann Enteignungen durchführen und den Menschen hohe Enteignungsentschädigungen zahlen müssen.Nun noch ein Hinweis zu den berühmten Preiskorrekturen, von denen Sie im sozialen Wohnungsbau immer sprechen. Ja, die Preiskorrekturen sind da, und Sie können sicher sein, daß dieser Bestand an gemeinnützigen Wohnungen und der Bestand an öffentlich geförderten Wohnungen und zwar nur, soweit es sich um Mietwohnungen mit sicheren Mieteinnahmen, nicht aber, soweit es sich um Eigenheime handelt — eine Preiskorrektur ausüben werden. Aber, meine Damen und Herren, haben Sie auch gelesen, was die Bundesregierung vorhat? Sie will sich über alle rechtsstaatlichen Grundsätze hinwegsetzen und entgegen bestehenden Verträgen die Zinsen der öffentlichen Darlehen einfach erhöhen, zwar nur bis 5 %, aber immerhin über vertragliche Vereinbarungen hinaus. Das wird einfach nicht gehen. Das wird am Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit scheitern. Eine solche Erhöhung ist auch gar nicht notwendig. Denn mit ihr würde man ja die Preiskorrektur, die Sie so sehr loben, sofort wieder schwächen.Dann ist gesagt worden, die Grundsteuer spiele hier keine Rolle. Natürlich, Herr Dr. Hesberg, die Grundsteuer etwa auf Grund neuer Einheitswerte oder die Grundsteuer infolge Neufestsetzung der Steuermeßbeträge kommt nicht in Frage, wenn Sie mit Ihrer Mehrheit sagen: Wir genehmigen den Gemeinden diese finanzielle Basis nicht. Aber ob Sie das tun oder nicht, es gibt zwei Fakten, bei denen Mietsteigerungen jetzt bereits fortgesetzt, von Tag zu Tag eintreten, nämlich im Zusammenhang mit der Grundsteuer. Beispielsweise laufen jetzt allmählich und immer zunehmend die 20jährigen Grundsteuerbeihilfen aus. Die Mietsteigerungen, die dadurch eintreten, betragen 12 bis 17 %. Wenn die 10jährige Grundsteuerfreiheit bei den sozial geförderten Wohnungen vom nächsten Jahre an ausläuft, gibt es auch solche Steigerungen. Ich will nicht sagen, daß das nicht vertretbar ist; das ist ja auch gesetzlich geregelt. Aber das muß man in die Kalkulationen, in die Überlegungen über das Mietpreisproblem mindestens einbeziehen.
— Sie sagen immer wieder, die Mietsteigerungen um 35 % oder um 38 % würden zur Angleichung führen. Natürlich, teilweise. Aber damit hängt doch zusammen, daß durch das Zweite Wohnungsbaugesetz die Miete über die Richtsatzmiete hinausgegangen ist und diese Spanne eingetreten ist.Aber das alles ist nicht das zentrale Problem, mit dem wir uns in den Ausschüssen beschäftigen müssen, sondern das zentrale Problem ist das, was mein Kollege Hauffe erwähnt hat und worauf Sie sehr wenig eingegangen sind, nämlich die Gefahr der Mietzinssteigerungen nach der Übergangszeit. In der Übergangszeit haben Sie sie noch in der Hand, da binden Sie sie noch, da haben Sie noch die Behörden. Aber dann .geben Sie die Preise 1963 frei, und was dann wird, ist im Gesetz nicht geregelt. Ich erinnere Sie daran, auf Ihrem Tisch liegt ein Gutachten eines Ihrer Beiräte, in dem schon darauf hingewiesen ist, daß die Miete, die sich nachher bildet, als Orientierungsmiete, wie Kollege Hauffe sagte, bei 3,25 DM bis 3,75 DM je qm Wohnfläche liegt und daß nach einem volkswirtschaftlichen Gesetz und nach idem Prinzip der Gewinnmaximierung selbstverständlich auch die Miete der Altwohnungen in der Spanne zwischen 1,60 DM und 3 DM oder 3,50 DM je qm Wohnfläche liegen wird. Sie wird nicht so hoch kommen, wenn die Qualität der Wohnung nicht so gut ist, aber sie wird über die Miete hinausgehen, die Sie jetzt für die Übergangszeit bändigen und festlegen.Wir müssen in aller Ruhe darüber sprechen, was aus den drohenden, gefährlich werdenden Mietsteigerungen über diese Grenze hinaus wird, die sich aus einer nationalökonomischen Situation notwendigerweise ergeben werden. Die Gefahr ist um so größer, als Sie zu der Zeit, wo das eintritt, also am 30. Juni 1963, noch keinen ausgeglichenen Markt, noch kein Überangebot an Wohnungen haben.Ich möchte noch auf die Konsequenz hinweisen — ich habe das schon ein paarmal im Ausschuß ge-
Metadaten/Kopzeile:
4914 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Dr. Brechttan —, die sich dabei im Zusammenhang mit dem Bundesbaugesetz und mit der Bodenpreisentwicklung ergibt. Ich will das alles nicht wiederholen. Ich habe manchmal den Eindruck, daß Sie die Dinge nicht ganz bis zum letzten durchdenken. Sie haben sehr schnell geklatscht, als davon gesprochen wurde, das Bundesbaugesetz werde all die Bodenspekulationen, Bodenpreisentwicklungen und Bodengewinne ausräumen. So ist es doch nicht.
— Ich kann es auch noch weiter ausführen, aber dann dauert es noch länger, und das möchte ich Ihnen ersparen.Herr Minister, manchmal bedaure ich Sie in Ihrer Situation. Ich habe Sie als einen Mann geschätzt, der wirklich ehrlich und von innen her aus einer bodenreformerischen Einsicht einen Kampfantrag gegen die Bodenspekulation, gegen die Bodenpreissteigerungen und gegen die Entwicklung der Bodenpreissituation richten wollte. Nun werden Sie zur tragischen Gestalt, weil Sie als ein solcher Kämpfer gegen die Bodenspekulation wahrscheinlich der größte Animator, der größte Antreiber der kommenden Bodenpreissteigerungen sind, weil Sie über verstärkte Erträge des Grundstücks zu weiteren Bodenpreissteigerungen geradezu anreizen.Ich will zu den Mietpreisen nichts mehr sagen, sondern nur noch auf eines hinweisen. Seien wir vorsichtig! Das Gesetz gibt Mietbeihilfen zunächst nur bis 1963. Wir werden alle Anstrengungen machen müssen — ich hoffe hier auf Gemeinsamkeit —, daß diese Institution der Mietbeihilfen nicht nur für ein paar Jahre, sondern für eine längere Zeit bestehenbleibt.Lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen. Sie haben, sehr verehrter Herr Minister, am Anfang erklärt, der Gesetzentwurf sei nicht anders zu machen gewesen; er müsse so kompliziert sein, weil die Sachverhalte so kompliziert seien. Vom Bundesrat und anderen Stellen sind Ihnen aber viele Vorschläge oder Anregungen zugegangen, wie das Gesetz einfacher gestaltet werden kann. Man sollte einen solchen Gesetzentwurf nicht mit Vorschußlorbeeren bedenken und mit Ruhmredereien begleiten, wenn man weiß, daß er aus dem Ausschuß nicht so herauskommen wird, wie er hineingegangen ist. Dieser Gesetzentwurf wird in vielfacher Hinsicht eine grundlegende Umgestaltung erfahren müssen. Wir Sozialdemokraten könnten ihm in der jetzigen Fassung sicher nicht zustimmen. Unsere endgültige Stellungnahme wird davon abhängen, welche Gestalt das Gesetz durch die Beratungen im Ausschuß bekommen wird.Ich bin deshalb auch der Meinung, daß es Ihrereinfach nicht würdig ist, meine Damen und Herren, daß Sie in Presseerklärungen und in Reden fortgesetzt von einem Termin zu einem anderen springen. Erst wurde der 1. Oktober 1959 als Termin genannt; dann hieß es, der 1. Januar 1960 sei der Tag des Inkrafttretens, und jetzt haben Sie als Termin immerhin den 1. März 1960 genannt. Sie wissen ganz genau, daß es einfach unmöglich ist, die Arbeit an einem solchen Mammutgesetz, in dem praktisch vier neue Gesetze stecken und elf alte Gesetze, darunter sehr ehrwürdige wie das BGB und die ZPO, geändert werden sollen, sozusagen spielend in drei Monaten zu bewältigen. Wir können Ihnen nur sagen: wir arbeiten mit, aber wir lassen uns mit diesem Gesetz nicht hetzen. Wir sind Ihren Wünschen auf Beschleunigung der Beratung des Bundesbaugesetzes weitgehend ,entgegengekommen; aber bei dem vorliegenden Gesetzentwurf brauchen wir eine sehr gründliche, sorgfältige, intensive Beratung; es kann nicht die Peitsche dahinterstehen, man müsse möglichst lange vor der nächsten Wahl damit fertig werden, damit das Gesetz „wahlneutral" werde. Hier muß sehr sorgfältig, gut, klar und sauber gearbeitet werden, und man muß sehr exakt mitdenken. Hier hört jede Schwafelei und jedes allgemeine Gerede auf.Seien Sie sicher: auf eines werden wir, ganz gleich, welches der materielle Inhalt dieses Gesetzes schließlich sein wird, mit allen Mitteln hinwirken, nämlich daß es lesbar und verständlich ist. Es muß aus der Sphäre dier unmöglichen Ministerialformulierungen, der Zersplitterung und Zerreißung der Dinge herausgenommen werden, nicht so sehr, um ein gutes Gesetz ins Gesetzblatt zu bringen, sondern weil es hier um eine gesellschaftspolitische Aufgabe ersten Ranges für die nächste Zeit geht. Über dieses gesellschaftspolitische Anliegen muß eine politische Entscheidung getroffen und soll nicht eine ministerielle Formel gefunden werden. Die politische Entscheidung über dieses Gesetz wird nicht nur hier im Bundestag, sondern auch draußen gefällt. Wir werden dafür sorgen, daß das Gesetz eine lesbare und verständliche Form bekommt, so daß jeder, der von dem Gesetz betroffen wird, aus klarer Einsicht die politische Entscheidung treffen kann.
Erstens, Herr Kollege Dr. Brecht: Die Schwafelei hört natürlich nicht bei diesem Gesetz auf; denn sie hat im Deutschen Bundestag noch nie begonnen.
Zweitens bitte ich alle, die die Absicht haben, zu reden, vor ihrer Rede einen Blick auf die Uhr zu tun.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. DiemerNicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, die wenigen, die noch im Saale sind!
— 57! Ich frage mich nach der Beschlußfähigkeit. Aber darüber brauchen wir heute nicht zu entscheiden.Herr Kollege Brecht hat soeben eine außerordentlich temperamentvolle Rede gehalten. Zum Schluß hat er gesagt, die politische Entscheidung über dieses Gesetz würde nicht nur hier, sondern auch draußen fallen. Herr Kollege Brecht, Sie haben weiterhin von einem Bruchbudenparagraphen gesprochen. Diese zwei Bemerkungen geben mir jetzt Anlaß,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4915
Frau Dr. Diemer-Nicolausauf etwas hinzuweisen, was ich sonst nicht getanhätte, nachdem die Materie bisher so sachlich behandelt worden ist. Der Ausdruck „Bruchbuden" — —
— Warten Sie doch einmal ab, was ich sage! Der Ausdruck „Bruchbude" ist in letzter Zeit auch in Versammlungen gefallen.
Der Präsident des Mietervereins, mein frühererStadtratskollege, damals Angehöriger der SPD —ich nehme an, auch heute noch —, Herr Geislreither— Herr Czaja wird es auch noch wissen —, hat diesen Ausdruck gebraucht.Ich komme nun zu einigen Formulierungen, die ich gelesen habe und von denen ich meine, daß so etwas draußen in Versammlungen auch nicht gesagt werden sollte. Dort sind folgende Äußerungen gefallen — ich berichte jetzt —:Scharf wandte sich der Präsident des Deutschen Mieterbundes— das ist der Herr Geislreither —dagegen, den Hausbesitzern 13 Milliarden DM zur Instandsetzung ihrer alten Bruchbuden in den Rachen zu werfen.— Damit ist der Althausbesitz gemeint.
— Aber ich darf es doch sagen, Herr Kollege. Seien Sie nur ruhig! Ich kann mir denken, daß es Ihnen nicht angenehm ist, daß ich das jetzt zitiere.Ein anderer Ausspruch in dieser Richtung stammt ebenfalls von Herrn Geislreither:Besonders starken Beifall fand der Stuttgarter Stadtrat bei seinen Zuhörern, als er in den Saal rief: Wollen wir denn nach wie vor in den alten Bruchbuden wohnen? Die Hausbesitzer sind nach dem Kriege in den Genuß von Mieten gekommen, die ihnen für ihre alten Bruchbuden gar nicht zustehen.
Das sind Aussprüche in einer Form, wie sie auch nicht außerhalb dieses Saales gebraucht werden sollten.Ich nehme an, Herr Kollege Brecht, daß Sie mit der, wie Sie sagten, „politischen Entscheidung außerhalb dieses Hauses" nicht derartige Versammlungen, sondern die nächste Bundestagswahl gemeint haben, bei der diese Frage ebenfalls zur Debatte steht.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Brecht?
Ja, gerne!
Ich kann Ihnen zunächst bestätigen, daß ich zweifellos nicht die Versammlungen des Mieterbundes gemeint habe.
Aber ich frage Sie, Frau Kollegin: Kennen Sie den § 12 des Ersten Bundesmietengesetzes? Dieser Paragraph hat in allen Verhandlungen über sein Zustandekommen und in der Diskussion über ihn
— in den Kommentaren können Sie es nachlesen — den Ausdruck „Bruchbudenparagraph" bekommen.
Ich sagte Ihnen ja, Herr Kollege — —
— Ich glaube, im Augenblick genügt einer, Frau Kollegin. Aber Sie dürfen gerne nachher noch einmal fragen.Dieser Ausspruch von Ihnen, Herr Kollege Brecht, vor allen Dingen auch die Wendung von der „politischen Entscheidung außerhalb des Hauses" hatten mir Veranlassung gegeben, auf diese Art der Propaganda außerhalb des Hauses hinzuweisen.Sie haben weiterhin gesagt, das Gesetz solle allgemein verständliche Formulierungen enthalten und es solle ohne Rechtsanwälte gemacht werden. Jetzt haben Sie natürlich Pech, daß ausgerechnet ich als Rechtsanwältin nach Ihnen komme und doch noch einige Worte zu dem Gesetzentwurf spreche. Als Rechtsanwältin bin ich ja gewohnt, Gesetze zu lesen, und kenne Formulierungen, und ich muß Ihnen sagen, daß ich mit den Formulierungen, die vielfach heute in Gesetzen erfolgen, in gar keiner Weise einverstanden bin. Allmählich werden nämlich keine Gesetze mehr geschrieben, sondern Romane, und das gilt ganz besonders bei den Wohnungsgesetzen.— das dürfen Sie mir nicht übelnehmen —, die hier im Hause schon verabschiedet worden sind.Aus diesem Grunde hat es mich gefreut, daß ich in den Entwürfen, die jetzt eingebracht sind, eine klare Formulierung gefunden habe, die sich an die Formulierungen unserer guten alten Gesetze, insbesondere des BGB, anlehnt. Deswegen habe ich gegen die Formulierungen als solche, gegen ihre Klarheit, gegen das Arbeiten mit schon bekannten und bewährten juristischen Begriffen nichts einzuwenden.
— Herr Kollege, ich will nur ganz wenige Punkte und nicht noch einmal die ganze Problematik aufgreifen.Sie haben dann ein Jammerlied darüber gesungen, daß die Befreiung von der Grundsteuer ausläuft. Herr Kollege, ich muß sagen, ich finde das ausgezeichnet. Ich könnte es nämlich nicht einsehen, wenn es anders wäre. Der Erlaß der Grundsteuer war von Anfang an als befristete Maßnahme gedacht. Das wußte jeder, der baute, und bezog es in seine Kalkulation mit ein. Wenn er jetzt Grundsteuer zahlen muß, ist auch in Rechnung zu stellen, daß in der Zwischenzeit andere Belastungen ausgelaufen sind, die ihn nicht mehr so drücken. Es ist
Metadaten/Kopzeile:
4916 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Frau Dr. Diemer-Nicolauswirklieb eine Notwendigkeit, daß die Gemeinden wieder in den Besitz der Grundsteuer von allen Grundstücken kommen, wenn die gesetzliche Frist abgelaufen ist.
— Da sind wir einig.Ich habe mich aber nicht gemeldet, um noch einmal die schon vielseitig beleuchteten Probleme der ersten Hälfte der Gesetzesüberschrift zu behandeln. Über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft hat vorhin schon mein Kollege Will gesprochen. Ich werde mich auf wenige Bemerkungen über den zweiten Teil, über das soziale Mietrecht, beschränken. Herr Wohnungsbauminister, an und für sich haben Sie in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf in dieser Beziehung sehr schöne Worte gefunden. Ich darf vielleicht zitieren. Da heißt es: „Das Mieterschutzgesetz ist stets Wohnungsnotrecht geblieben, und der Mieterschutz in der starren Form gehört mithin zur Wohnungszwangswirtschaft.
Mit fortschreitendem Rückgang des Wohnungsfehlbestandes muß er aufgelockert und umgestaltet werden. An die Stelle des starren Rechts" — das ist nicht ganz wörtlich wiedergegeben - „soll ein elastisches System materieller und formeller Vorschriften treten, die dem Vermieter gestatten, über sein Eigentum im Rahmen des sozial Vertretbaren zu verfügen. Nur so kann die Auflockerung des Wohnungsmarktes erfolgen und die freie Preisbildung wieder in ihre natürlichen Funktionen eingesetzt werden." Also das Prinzip der Marktwirtschaft auch für den Wohnungsmarkt.Dann noch ein weiterer sehr bemerkenswerter Satz an einer anderen Stelle der Begründung: „Außerdem höhlt gerade die völlige Beseitigung des Kündigungsrechts das Eigentum im Bewußtsein der Vermieter stark aus."In dieser Begründung und in diesem Ziel summen wir als Freie Demokraten Ihnen vollständig zu. Nehmen Sie mir aber nicht übel, wenn ich als Rechtsanwältin mir Ihre Formulierungen und Änderungen sehr kritisch angesehen habe und mir vorstelle, wie das nachher in der Praxis aussieht. Da sind uns doch sehr starke Bedenken gekommen, Herr Minister, ob Sie das Ziel erreichen, wenn Sie tatsächlich nachher eine Umgestaltung unserer bürgerlich-rechtlichen Vorschriften durch den Einbau der von Ihnen vorgeschlagenen Paragraphen in das BGB vornehmen.Zunächst möchte ich etwas ganz Praktisches sagen, gar nicht theoretisch, sondern ganz nüchtern aus meiner anwaltlichen Praxis heraus, und zwar zuerst zu dem Ersatz des bisherigen Mieterschutzgesetzes durch Ihre Vorschläge. Sie haben vorhin ausgeführt, es sei doch eine Erleichterung für den Vermieter, wenn er das Mietverhältnis nicht durch eine Mietaufhebungsklage, sondern gegebenenfalls durch eine Kündigung beendigen könne. In dasGesetz sind die Tatbestände aus dem bisherigen Mieterschutzgesetz übernommen worden. Nur soweit es sich um Eigenbedarf handelt, haben die Tatbestände eine Auflockerung erfahren.Aber, Herr Minister, wie war es denn bisher? Wenn der Mieter gekündigt hat, dann hat der Vermieter bestimmt nicht widersprochen. Er hat sich vielmehr gefreut, daß er auf diese Art und Weise die Möglichkeit hatte, die Wohnung mit den gesetzlich zulässigen Zuschlägen neu zu vermieten. Es war ein Glücksfall für jeden Althausbesitzer, wenn ihm so etwas passiert ist. Es war auch gang und gäbe, daß der neue Mieter die Wohnung auf seine Kosten instand setzen ließ. Das geschah deshalb, weil die bisherigen Mieten nicht ausreichten, daß der Vermieter seiner nach wie vor im Bürgerlichen Gesetzbuch bestehenden Verpflichtung, den laufenden Unterhalt und die laufenden Reparaturen zu tragen, nachkommen konnte. Das hat jeder gern getan, der trotz der zulässigen Erhöhung das Glück hatte, eine Altwohnung zu erhalten.Wenn es umgekehrt war, daß der Vermieter kündigen wollte, ist er bestimmt nicht gleich hingegangen und hat eine Anfechtungsklage erhoben. Er hat zuerst dem Mieter mitgeteilt: Das und das ist passiert; ich kündige Ihnen. Dann hat der Mieter gesagt: Ich ziehe aber nicht aus. Dann ist der Vermieter zum Gericht gegangen und hat die Anfechtungsklage erhoben.Herr Minister, bei dem von Ihnen in dem § 4 vorgesehenen Widerspruch sieht es praktisch gar nicht anders aus. Es wird genauso gehen. Wenn ein Mieter nicht ausziehen will, wird er selbstverständlich widersprechen. Jetzt muß das Ganze schriftlich geschehen; vorher konnte es mündlich gesagt werden, wenn nicht im Mietvertrag etwas Besonderes vorgesehen war. Der Weg ist dann genau der gleiche.Herr Minister, Sie haben die Auffassung vertreten — sie kommt auch in dem Gesetz zum Ausdruck —, daß das Gesetz elastischer gestaltet werden müsse. Auch müsse gegebenenfalls eine zumutbare Wohnung zur Verfügung stehen. Sie glaubten, daß damit eine Abnahme der Mietprozesse erreicht würde; diese Meinung wird auch in der Begründung vertreten.Herr Minister, in der Praxis sieht das folgendermaßen aus: Wenn der Vermieter bisher eine Mietaufhebungsklage wegen Eigenbedarfs erfolgreich angestrengt hatte, dann hatte er einen Titel. Wenn der Mieter keine entsprechende Wohnung hatte, bekam er Räumungsschutz gewährt, und zwar nicht nur einmal, sondern zwei- und dreimal. Dann kam gegebenenfalls noch die Einweisung durch die Fürsorgeverbände. Diesen Kummer mit der Vollstreckung kennen wir zur Genüge.Sie sagen, die Frage, ob eine zumutbare Wohnung da ist, solle schon in dem Prozeß geklärt werden. Das bedeutet folgendes: Wenn die Gründe für eine Mietaufhebungsklage wegen Eigenbedarfs in der gleichen Weise wie bisher vorliegen, dann muß der Vermieter auch noch nachweisen, daß im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung — gege-Frau Dr. Diemer-Nicolausbenenfalls in einem Dreivierteljahr oder in einem Jahr, je nachdem, wann die letzte mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren ist — eine zumutbare Ersatzwohnung da ist. Damit bürden Sie dem Vermieter eine Beweislast auf, die seine Stellung nicht verbessert, sondern verschlechtert.
Ich habe den Eindruck, daß das nicht das ist, was Sie mit dieser Bestimmung wollen. Deshalb muß diese Vorschrift in den Ausschußberatungen sehr eingehend behandelt werden.Es sind dann Regelungen für die Zeit nach dem Fortfall der Wohnungszwangswirtschaft bzw. auch schon für die Zeit vorher vorgesehen. Für diese Zeit sollen jetzt schon bestimmte Vorschriften in das Mietrecht des BGB aufgenommen werden. Nun bin ich immer etwas sehr kritisch, wenn unsere guten alten Gesetze — ZPO, BGB — geändert werden sollen. Ich bin nämlich der Auffassung: So gut, wie es damals gemacht wurde, bringen wir es heute gar nicht mehr fertig. Ja, da bin ich etwas skeptisch veranlagt.Sie haben ausdrücklich gesagt — deswegen habe ich es hier zitiert —, daß alle diese Gesetze Notgesetze gewesen sind. Und jetzt fragt es sich, ob, wenn wir in absehbaren Jahren — ich will jetzt gar keine bestimmte Zahl nennen — tatsächlich die Marktwirtschaft bei Wohnungen haben, also genügend Wohnungen zur Verfügung stehen, wirklich noch eine Änderung des BGB in der von Ihnen hier gewünschten Weise erforderlich ist. Mir ist zunächst folgendes aufgefallen. An und für sich steht die Marktwirtschaft, steht aber auch unser ganzes bürgerliches Leben unter dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Die Vertragsfreiheit galt früher auch für das Mietrecht. Sie galt für Vermieter und Mieter, meine Damen und Herren, vergessen Sie das nicht. Der Vermieter konnte seine Mieter, die Mieter konnten ihre Hausbesitzer aussuchen. Das Ist immer möglich, wenn genügend Wohnungen zur Verfügung stehen. Das ist der Idealzustand, den wir doch auf alle Fälle erreichen wollen. Diese Vertragsfreiheit wird aber bei Ihnen eingeschränkt.In Ihren Vorschlägen wird sehr häufig die Formulierung gebraucht: „Eine abweichende Vereinbarung ist unwirksam." Ich habe mir das vorhin einmal schnell zusammengestellt und habe auf einen Schlag zehn Paragraphen gefunden, die diese Klausel enthalten. Etwas Derartiges haben wir bisher in unserem BGB nirgends zu verzeichnen.Es wurde hier darauf hingewiesen, daß Eigentum nicht Eigentum sei, und mein Herr Kollege Atzenroth wurde angegriffen wegen eines Satzes, den er in einem Aufsatz in der „Deutschen Wohnungswirtschaft" gebraucht hat. Es wäre allerdings richtiger gewesen, wenn vollständig zitiert worden wäre. Aber das ist ja im Parlament immer so: wenn der eine die erste Hälfte zitiert, kommen bestimmt die Freunde des Angegriffenen und zitieren die zweite Hälfte. So ist es auch hier.
Herr Atzenroth hat folgendes geschrieben — nachdem er zunächst über den Grundsatz des Eigentums gesprochen hat —:Das Wohnhaus ist ebenso als Eigentum zu betrachten wie etwa eine Maschine oder ein anderes Produktionsmittel.Der Herr Kollege Preusker hat das schöner ausgedrückt, indem er gesagt hat: „ ... ist ein Wirtschaftsgut." Etwas anderes wollte Herr Atzenroth auch nicht ausdrücken. Dann fährt Herr Atzenroth fort:Es paßt nicht in unsere Wirtschaftsordnung, wenn die Verfügungsgewalt über diesen Vermögensgegenstand in dem Maße eingeengt würde, wie der Wohnungsbauminister jetzt vorschlägt. Zweifellos sollten Vorschriften erlassen werden, die gegen einen Mißbrauch der Rechte des Hausbesitzers eine Bremse bilden.Dieser letzte Satz ist doch entscheidend. Er besagt: auch von uns wird anerkannt, daß beim Mietrecht gewisse Bremsen da sein müssen. Wir treffen uns also auch insofern mit Herrn Preusker, und ich glaube, daß wir über dieses Prinzip einig sind. Bezüglich des Umfangs allerdings bestehen, könnte ich mir denken, erheblich verschiedene Auffassungen, vor allen Dingen zwischen Ihnen, meine Damen und Herren Kollegen von der SPD, und uns. Wir sind der Auffassung, das, was hier an Einengung der Vertragsfreiheit vorliegt, das, was hier durch die Einfügung des § 565a - den Herr Preusker schon im Wortlaut zitiert hat — an Bindung des Eigentümers neu hineingebracht worden ist, geht über das zulässige Maß — auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes, daß ein Mißbrauch nicht stattfinden soll - hinaus. Sie sind der entgegengesetzten Auffassung. Ein Mietrecht muß nach Ihrer Ansicht eine viel stärkere Bindung des Eigentümers beinhalten. Ob darüber eine Einigung zu erzielen sein wird, weiß ich nicht.Was mir dann zu denken Anlaß gibt, ist folgendes. Herr Minister, Sie haben auch in Ihrer Begründung auf den erfreulichen Tatbestand hingewiesen, daß heute 50 % der Neubauten frei finanzierte Wohnungen sind und daß deren Anteil ständig gestiegen ist. Warum hat man denn seinerzeit diesen frei finanzierten Wohnungsbau mit der Herausnahme aus den Mieterschutzbestimmungen und aus sonstigen Bindungen geschaffen? Um damit einen Anreiz zum Bauen zu geben. Ihre Äußerungen haben doch gezeigt, daß das auf diese Weise gelungen ist. Glauben Sie, daß, wenn Sie den frei finanzierten Wohnungsbau jetzt wieder in die Bindung des § 565a hereinnehmen, der einzelne noch ein großes Interesse haben wird, ein Haus für Mieter zu bauen? Er wird höchstens für sich, aber nicht mehr für andere bauen. Bei aller Betonung der Liebe zum Eigenheim brauchen wir auch den Wohnungsbau für Mieter, damit der Wohnungsnot gesteuert werden kann.Der § 565a, der hier vorgeschlagen wird, stellt dem Richter eine unmögliche Aufgabe. Sie bemängeln, daß die bisherigen Bestimmungen zu starr sind. Ein Richter braucht aber objektivierte Tatbestände, nach denen er entscheiden kann. Damit wird er auch
Metadaten/Kopzeile:
4918 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Frau Dr. Diemer-Nicolausden Einzelfällen des Lebens gerecht werden. — Frau Kollegin, Sie möchten eine Frage stellen.
Frau Kollegin Diemer, ich darf die Frage stellen, ob nicht alle Fragen, die Sie jetzt angeschnitten haben, statt in das Plenum, in den Ausschuß gehören.
Wäre es nicht sehr nützlich, wenn Sie als Vertreterin Ihrer Fraktion in den Ausschuß gingen und diese Fragen dort in aller Detailliertheit durchdiskutierten, und wäre es nicht auch für Sie als Frau eine Verpflichtung der Menschlichkeit, uns allmählich alle miteinander aus diesen Ausschußdebatten zu entlassen?
Sehr geehrte Frau Kollegin, warten Sie meine Schlußfolgerung ab! Dann werden Sie erkennen, daß ich nur das Grundsätzliche erwähnt habe. Wenn ich über alle Einzelheiten hätte sprechen wollen, hätte ich noch ganz andere Dinge ansprechen müssen. Ich muß an diesen Beispielen zeigen, wie nach meiner Auffassung das Mietrecht gestaltet werden soll und daß der Entwurf nicht zu den Ergebnissen führt, die gerade der Herr Wohnungsbauminister wünscht.
Das möchte ich doch mit aller Eindeutigkeit feststellen. Ich gehöre bestimmt nicht zu denen, deren Verhalten man als unmenschlich bezeichnen kann. Ich habe nur das Pech, erst in der zweiten Runde als dritte zu sprechen. Es steht Ihnen ja frei, meine Ausführungen nicht anzuhören; dazu ist keiner gezwungen.
Es handelt sich hier um folgende Gefahr. Der Eigentümer hat auf Grund der bestehenden Gesetze im Rahmen des frei finanzierten Wohnungsbaus bestimmte Investitionen vorgenommen, weil er auch in der Auswahl der Mieter frei sein wollte. Jetzt nehmen Sie ihm ein Recht, das ihm vorher in einem anderen Gesetz ausdrücklich zugestanden worden ist. Das sollte sehr genau überlegt werden.
— Frau Kollegin Weber, ich höre mir Ihre Redner auch mit großer Geduld an. Es tut mir leid, daß ich das auch noch sagen muß.
- Meinen Sie, das wäre ich, Herr Kollege?
Das sind grundsätzliche Ausführungen, die für die Behandlung im Ausschuß notwendig sind. Hinzu kommt die von Ihnen beabsichtigte Änderung der Zivilprozeßordnung. Sie wollen jetzt die elastische Formulierung des § 721 ZPO durch einen Räumungsschutz mit Fristen von 6 Monaten bzw. 1 Jahr ersetzen. Während heute je nach den Verhältnissen der Vollstreckungsrichter dem Einzelfall mit der Gewährung von Räumungsfristen gerecht werden kann, werden Sie in Zukunft praktisch das Ergebnis haben, daß wir keinen Räumungsschutz mehr unter einem Jahr bekommen. Das ist nicht der Sinn eines vollstreckbaren Titels. Es gehört zu den Prinzipien des Rechtsstaates, daß ein Urteil auch vollstreckt werden kann, damit der Betreffende nicht nur ein formelles Recht erhält, sondern dieses Recht auch in die Wirklichkeit umsetzen kann.
Diese wenigen Bedenken zu den Hauptbestimmungen des sozialen Mietrechts möchte ich für die Ausschußberatungen mit auf den Weg geben. Ich wünsche allen, einschließlich der SPD, daß es uns gelingt, in Kürze den Wohnungsfehlbestand so weit aufzuholen, daß wir auch auf dem Gebiet der Wohnungswirtschaft zu einer echten Marktwirtschaft kommen. Seien Sie versichert, die Entwicklung wird dafür sorgen, daß die Mieten nicht zu hoch werden. Ich denke an die Zeit vor dem 21. Juni 1948 und sehe heute noch meinen Gemeinderat in Stuttgart vor mir und höre die Kassandra-Rufe der Vertreter der SPD wegen der bevorstehenden Aufhebung der Lebensmittelrationierung. Man sagte, das sei doch nicht möglich, das gebe eine Katastrophe, und was nicht alles gesagt wurde. Meine Damen und Herren, es ging. Wir haben schon heute Gebiete, in denen keine Wohnungsnot mehr herrscht. Das sind die Abwanderungsgebiete. Nehmen Sie einmal eine Landkarte zur Hand, auf der die Kreise mit einer Bevölkerungsabnahme eingezeichnet sind. Sie werden erkennen, daß es möglich ist. schon jetzt eine Erleichterung zu schaffen und in absehbarer Zeit von den Notgesetzen völlig abzukommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich das sachliche Ergebnis der heutigen Debatte betrachtet, müßte man eigentlich mit dem beginnen, was Herr Dr. Brecht am Anfang seiner Ausführungen gesagt hat. Er sprach von der Numerierung der Bundestagsdrucksachen und den Zensuren, die ausgeteilt worden seien. Er hat das wohl auf das Sachliche bezogen. Herr Dr. Brecht erklärte dann, daß diese Zensuren in der Regel auf den guten Noten der Skala 1-2-3-4 lägen. Ich glaube, Herr Minister Lücke, zu Ihrem morgigen Geburtstag ist das, vom Sachlichen her, bei einer so schwierigen Gesetzesmaterie wie dieser ein echter Glückwunsch.
Insofern können wir mit der Debatte sehr zufrieden sein. Es hat geringe Nuancen gegeben, aber im großen und ganzen ist der Herr Minister gelobt worden.Ich glaube, Herr Dr. Brecht, daß sich Ihre oppositionellen Hoffnungen auch nicht dadurch erfüllen, daß Sie mit einigem Wortreichtum versucht haben, den Minister ein wenig persönlich anzusprechen. Sie sprachen von der „tragischen Gestalt". Ich meine, man kann da nicht von einer tragischen Gestalt sprechen, wenn er bei einer so umfassenden Gesetzesmaterie als junger Minister selbst von der Opposition die Zensur „gut" bekommt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4919
Dr. CzajaIch bin dankbar, daß Sie offen gesagt haben, worum es bei diesem Wortreichtum geht. Sie haben viele Worte gebraucht. Ich komme auf die drei, vier sachlichen Fragen, die Sie angeschnitten haben, noch kurz zu sprechen. In Ihren Worten war aber deutlich die Verärgerung darüber zu spüren, daß Sie eine Wahlfreude entschwinden sahen. Auch Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus hat das gemerkt.Ich erinnere mich noch sehr genau an ein Erlebnis. Wir waren 1957 in England — Frau Heise war damals auch dabei —, als dort die Mietreform durchgeführt wurde. Wir hatten ein Gespräch mit einem Labour-Abgeordneten, der mir offen und ehrlich sagte: Wissen Sie, diese ganze Sache ist notwendig; aber wir als Labour-Abgeordnete sind doch froh, daß nicht wir, sondern die Konservativen sie machen müssen; denn wir werden damit die Wahlen gewinnen. Nun, auch die Labour hat mit diesen Mietgesetzen die Wahlen nicht gewonnen.Es sind viele Worte über die Unruhe in der Bevölkerung gesprochen worden. Die sachlichen Gründe für diese Unruhe sind von diesem Platz aus nicht genannt worden. Warum? Weil, wie wiederholt durchgeklungen ist, wir doch im Grunde alle dasselbe wollen. Auch die Opposition will das. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann will ich Ihnen einen sehr erfahrenen Mann zitieren, der früher im Bundestag führend an Gesetzen mitgearbeitet hat, den Oberbürgermeister, Landtagsabgeordneten und ehemaligen Bundestagsabgeordneten Kalbfell. Er hat in der im Baden-Württembergischen Landtag vorweggenommenen Debatte am 13. Mai 1959 folgende sehr beachtliche Sätze, die ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren darf, gesagt. Er sagte zunächst, daß es aller Wunsch sei, die Wohnungszwangswirtschaft so bald wie möglich aufzuheben— Sie haben es bestätigt —, und dann wandte er sich an die CDU:In unseren Kreisen besteht keine andere Auffassung, und was der Herr Kollege Krämer vorgetragen hat, ist im wesentlichen auch unsere Meinung.Der Kollege Krämer hatte das Gesetz des Herrn Lücke ausgelegt. Dann kommt ein sehr interessanter Satz, den ich vor allen Dingen dem Herrn Kollegen Hauffe vorlesen möchte:Wir können nicht mit Paragraphen, Gesetzen und Ausführungsbestimmungen die Wohnungsnot beseitigen, sondern durch den Bau von neuen Wohnungen und die Instandsetzung der alten Wohnungen.
— Gott sei Dank, daß Sie „klar" sagen. Sie haben es ja zum Teil auch heute in der Debatte bestätigt. Sie haben dann nur versucht, dieses Bild durch persönliche Angriffe auf den Minister etwas zu vernebeln.
— Ich habe Ihnen zugehört. Wenn Sie etwas Unangenehmes hören, werden Sie lebhaft. Nun, ich habe auch eine starke Stimme.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Könen?
Bitte!
Verzeihen Sie, Herr Kollege, ich bin nicht ganz mitgekommen! Könnten Sie ein Beispiel nennen, wo ein Sozialdemokrat gesagt hat, nur durch Paragraphen und nicht durch Neubauten könne man die Wohnungsnot beseitigen?
Kollege Hauffe hat sehr heftig eine Lanze für die Aufrechterhaltung der Wohnraumbewirtschaftung mit Paragraphen gebrochen.
— Lesen Sie im Stenographischen Bericht nach! Er hat gesagt, wir könnten die Wohnraumbewirtschaftung nicht abbauen, die Statistiken stimmten nicht, und vieles andere. Er hat also gegen die objektiven Merkmale und die anderen Gesetz enthaltenen Instrumente zum Abbau der Wohnraumbewirtschaftung gesprochen.Ich will jetzt zu den sachlichen Argumenten, die die Opposition vorgebracht hat - es sind wenige —, sprechen. Ich war etwas entsetzt über die Energie, mit der Sie gegen den Art. IX des Gesetzes zu Felde zogen, Herr Dr. Brecht. Sie sprachen doch auch für die sozial bedürftigen Kreise, für die, die zu schützen sind. Herr Kollege Dr. Brecht, der Art. IX knüpft an privates Vertragsrecht an. Wenn eine Reihe von Wohnungsunternehmen und Privaten, weil sie ganz erhebliche — ich betone: ganz erhebliche — Mittel aus dem Lastenausgleich, aus der Wohnraumhilfe und aus Aufbaudarlehen bekommen haben, dafür eine zehn- oder zwanzigjährige Bindung vertraglich eingegangen sind und wenn jetzt der Minister diese vertragliche Bindung hei Wegfall der Wohnraumbewirtschaftung nicht nur festigt, sondern auch pönalisiert, indem die die Einhaltung des Vertrags überwachende Stelle angewiesen wird, bei Vertragsbruch Zinsen einzufordern und die Kredite zu kündigen, dann erfüllt er nur eine ganz primitive soziale Pflicht. Ich kann mir gar nicht erklären, wie Sie das in Frage stellen können. Als gebaut wurde, war den Bauherren das Geld, das sie für die Unterbringung dieser Leute bekommen haben, gut; also ist es nicht mehr als recht und billig, daß sie diese Leute auch in den Wohnungen behalten müssen, wenn sie ihnen nicht eine zumutbare Tauschwohnung bieten können. Denn man hat ja diese 83/4 Milliarden Lastenausgleichmittel vordringlich benutzt, um zwar nicht Eigentum, aber wenigstens Wohnungen zu schaffen, und die soll man den Menschen lassen.
— Sie haben aber den Art. IX als das Schlechtestedargestellt, was eis im Gesetz gibt. Ich freue mich,daß Sie durch diesen Zwischenruf „Wer will ihnen
Metadaten/Kopzeile:
4920 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Dr. Czajadenn diese Wohnungen nehmen?!" von dem abrücken, was Sie vorher gesagt haben.
Sie sprachen davon, erst dann könne man diese Maßnahmen treffen, wenn ein Überangebot am Markt sei. Das sei doch vernünftiger, als es vorher zu tun. Ich frage Herrn Dr. Brecht: sollen wir mit den 1,6 oder 1,8 Millionen Neubauwohnungen, die nach Artikel V — Änderung des Ersten Wohnungsbaugesetzes - gebaut werden sollen, warten, bis ein Überangebot da ist? Gerade Sie sind es gewesen, der immer wieder gerufen hat: Wir müssen die für diese Wohnungen notwendigen Mittel aufbringen. Was Sie für die Neubauwohnungen wollen, müssen Sie gerechterweise und in Rechtsgleichheit auch dein Althausbaubesitzer zugestehen.Sie haben für die Bedarfsermittlung bei den Gemeinden gesprochen, für die Bedarfsermittlung, nicht nur für die Freigabe durch die Gemeinden. Ich frage Sie: tut man den Gemeinden damit etwas Gutes? Ist es nicht besser, dafür objektive Merkmale zu setzen? Sie haben heute selber gesagt, daß die Gemeinden — der Bürgermeister und der Gemeinderat - manchmal, z. B. bei Steuerhebesätzen und ähnlichen Dingen, in einer sehr schweren Lage sind. Warum wollen Sie den Gemeinden diese Last auferlegen?Dann machten Sie große Vorschläge. Sie sagten, man könne vereinfachen, insbesondere die Mietentabellen. Ich weiß nicht, was man vereinfachen kann. Ortsgröße, das Vorhandensein von Bad und Toilette muß man nach meiner Meinung berücksichtigen. Mehr habe ich in all den Mietentabellen nicht gesehen.Nun ein letzter Punkt, allerdings einer, der uns besonders am Herzen liegt. Es geht um die Frage der Verwendung der Mittel für die nächsten 21/2 Millionen Wohnungen - die Zwangsmaßnahmen sollen ja schrittweise aufgehoben werden —, die gebaut werden müssen, wenn dieses Gesetzesbündel zur vollen Wirksamkeit kommen soll.Herr Dr. Brecht, der Herr Bundesminister hat betont, ich glaube, mit Recht, daß gleichzeitig mit der Bekämpfung der Wohnungsnot die Ballungskerne aufgelockert werden müssen. Das Zweite Wohnungsbaugesetz befiehlt, Wohnungen zur Beseitigung der Wohnungsnot zu bauen. Aber es befiehlt im § 1 nicht, diese Wohnungen nur innerhalb der Gemeindegrenzen und innerhalb der Ballungskerne zu bauen, in denen Wohnungsnot herrscht. Im Gegenteil, es befiehlt im § 1 Abs. 4, dort zu bauen, wo Arbeitsmöglichkeiten bestehen. Die aber bestehen auch dort, wo Arbeitsplätze geschaffen wurden oder geschaffen werden.Der Herr Kollege Hauffe hat Sorgen wegen der Konjunkturmiete in den Ballungskernen. Es sind echte Sorgen. Bereits heute gibt es solche Konjunkturmieten in den Ballungskernen, mit und ohne Gesetz. Aber, Herr Kollege Hauffe, wenn man dieses Problem ernstlich lösen will, muß man doch das Übel an der Wurzel anfassen.
— Jawohl. — Dann aber kann man nicht sagen: Lenkt noch mehr Mittel in diese Ballungskerne. Vielmehr muß man froh darüber sein, daß wegen dieser Konjunkturmieten auch die Industrie stärker noch als bisher angereizt wird, aus dem Ballungskern herauszugehen und auf andere Räume außerhalb der Strahlungskreise auszuweichen.
— Jawohl, aber man darf den Menschen nicht einen zusätzlichen Anreiz durch Hineinpressen der Wohnungsbaumittel in die Großstädte geben,
einen Anreiz, der nicht nur die Mieten, sondern auch die Baulandpreise übermäßig steigert. Vielmehr muß man solche Anreize geben, durch die die Nachfrage auf außerhalb der Ballungskerne gelegene Gebiete gelenkt wird. Deshalb wollen wir die Wohnungsbaumittel auch außerhalb der Strahlungskreise einsetzen.Die Mittel in die Strahlungskreise zu geben, das geht auch deshalb nicht, weil man sie dort gar nicht verbauen kann. Sehen Sie sich das Beispiel Hamburg ,an. Hamburg ist mit eines der steuerkräftigsten deutschen Länder. Ich glaube nicht, daß dort, wo der Sprecher des Bundesrates in Wohnungsbaufragen amtiert, schlechter Wille herrscht. Aber sehen Sie sich die Erfüllungszahlen Hamburgs im Wohnungsbau für Sowjetzonenflüchtlinge und Aussiedler an. Das Land Hamburg liegt in der Erfüllung aller Programme immer an zweitletzter Stelle. Warum liegt es an zweitletzter Stelle, weit hinter steuerschwachen Ländern wie Bayern, Rheinland-Pfalz und anderen? Weil es im Ballungskern wahrscheinlich nicht mehr ,genügend Boden hat.Wer einmal in einer Großstadt im Gemeinderat gesessen hat, der weiß, wie lange sich dort die Wohnungsbaumittel anstauen — ich will Ihnen nicht etwa konkrete Zahlen aus meiner nächsten Umgebung nennen —; der weiß, daß in der Großstadt die Mittel sehr spät verbaut werden, daß sie angestaut werden, weil ganz einfach die Bodenreserven nicht mehr reichen. Wenn dem so ist, muß man an die Wurzel der Dinge herangehen. Der Herr Wohnungsbauminister hat klar herausgehoben, daß er dafür sorgen will, daß auch in die „weißen Kreise" Wohnungsbaumittel fließen. Das ist unser ernstes Anliegen.
Wir dürfen diese 21/2 Milionen Wohnungen nicht noch in die Ballungskerne hineinbauen, sonst zerstören wir uns alle Möglichkeiten für das, was Sie, Herr Kollege Jacobi, in der ersten Lesung des Bundesbaugesetzes als große Aufgabe hingestellt haben, nämlich eine Raumordnung. Sie sagen, wir täten nichts, um diese Raumordnung zu erreichen. Wenn der Minister jetzt etwas Praktisches vorschlägt, dann sagen Sie wieder: Nein, trotzdem in den Ballungskernen Wohnungen vermehren! Für uns ist es selbstverständlich, daß diese Wohnungen in verkehrsmäßig erreichbarer Entfernung vomDeutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bona, Donnerstag, den 12. November 1959 4921Dr. CzajaSitz der bisherigen Arbeitsstätte oder am Sitz neuer Arbeitsstätten sein müssen.Frau Kollegin Diemer-Nicolaus hat noch eine Fülle von Einzelheiten angeführt, die eine sehr reifliche Erwägung im Ausschuß erfordern. Wir können um diese Stunde nicht das Mietenrecht und die Ergänzungen des BGB im einzelnen erörtern. Aber wir werden Ihre Anliegen prüfen. Wir bitten Sie nur, im Ausschuß dazu beizutragen, daß die Beratungen zügig vorangehen, auch im Rechtsausschuß; der ist in diesen Fragen ein besonderes Sorgenkind.Ich bitte um Überweisung der Vorlage an den Wohnungsbauausschuß — federführend — und an den Rechtsausschuß — mitberatend. Wir waren doch heute im Sachlichen weitgehend — mit einigen Nuancen — in Übereinstimmung.
Uns liegt daran, daß wir bei der Beratung in den Ausschüssen ein gutes Gesetz schaffen. Ein gutes Gesetz kann im Ausschuß nur zustande kommen, wenn nicht nur Regierung und Regierungsparteien Mut und Initiative zeigen, sondern wenn auch die konstruktive — die konstruktive — Opposition — sie hat sich im Ausschuß oft gezeigt; nur wenn es ins Plenum geht, wird sie ein bißchen wortreicher und geht mehr ins Persönliche — uns hilft. Wir wollen ein gutes Gesetz machen, ein gutes Gesetz für den Menschen, für die Familie, für unsere Volkswirtschaft, ein Gesetz, das zu einer Beseitigung der Schwierigkeiten führt, die jetzt noch in der gesamten Wohnungswirtschaft bestehen.
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft.
- Ich habe den Eindruck, das Hohe Haus auch. Nur der Herr Kollege Jacobi ist noch nicht erschöpft, er will noch das Wort.
Meine Damen und Herren, es ist 21 Uhr. Ich kann die Sitzung nur verlängern, wenn Sie ausdrücklich zustimmen.
- Sie stimmen zu. Herr Abgeordneter Jacobi, ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, dieses „Häuflein der 47 Aufrechten" wird von mir geschont. Ich will mich auch durchaus enthalten, auf die Bemerkungen des Kollegen Czaja noch im einzelnen zurückzukommen. Ich habe ihn schon besser erlebt, ich habe ihn schlimmer erlebt, nun gut, lassen wir es damit sein Bewenden haben. Er darf davon überzeugt sein, daß sich die Opposition wirklich bemühen wird, dieses Gesetz zu verbessern.
Nur möchte ich einer Legendenbildung vorbeugen, der Meinung, daß in unseren Ausführungen eine Anerkennung der Vorlage zu sehen sei. Die Diskussion hat uns keine Gelegenheit gegeben, sie zu zerpflücken. Wir haben auch Rücksicht auf dieses Hohe Haus nehmen wollen und haben uns an die Prinzipien einer ersten Lesung gehalten. Hätten wir die Vorlage zerpflückt, dann hätten Sie diese Schlußfolgerung nicht ziehen können.
Ich will auch zu der Frage der Ballungsgebiete und all den Fragen, zu denen etwas zu sagen wäre, jetzt schweigen. Ich habe mich nur gemeldet, um den Antrag zu stellen, die Vorlage zusätzlich auch an den Kommunalpolitischen Ausschuß zu überweisen, und zwar aus folgenden Erwägungen. — Schütteln Sie doch bitte nicht von vornherein verneinend den Kopf. Sie könnten mir nur einen Einwand machen, wenn Sie in der Lage wären, zu sagen, daß dadurch die Beratungen verzögert würden. Das ist aber keineswegs der Fall. Bei uns hat sich in den letzten Monaten allmählich eine Praxis eingespielt, die es möglich macht, vor allen Dingen dann, wenn nur einzelne Kapitel Gegenstand einer Mitberatung in einem anderen Ausschuß sind, gleichzeitig zu beraten. Das machen wir bei anderen Gesetzen auch.
Es ist in dieser Diskussion sehr klar zum Ausdruck gekommen, in welchem Umfang die Gemeinden beteiligt werden. Eine Mitbeteiligung des Kommunalpolitischen Ausschusses bedeutet noch nicht einmal eine Verzögerung um einen Tag; denn es handelt sich nur um gewisse Abschnitte, an denen der Kommunalpolitische Ausschuß interessiert ist. Diese können vom Kommunalpolitischen Ausschuß durchaus während des Fortgangs der Beratungen im federführenden Ausschuß erledigt werden. Sachliche Gegengründe gibt es überhaupt nicht. Im Gegenteil, es würde bei den kommunalen Spitzenverbänden großes Unbehagen und wahrscheinlich auch Bedenken und Proteste auslösen, wenn sie, die sich im Einvernehmen mit dem Ministerium sehr intensiv an den Vorbereitungen dieser Vorlage beteiligt haben, erfahren müßten, daß selbst eine Mitbeteiligung des Kommunalpolitischen Ausschusses abgelehnt wird. Ich erhebe das jedenfalls zum Antrag und bitte Sie um eine sachliche Würdigung dieses Antrages.
Wir fahren in der Diskussion fort. Das Wort hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir waren uns allezeit im Ältestenrat darüber einig, daß wir einen Antrag nur an zwei Ausschüsse überweisen wollen.
Sie haben selbst gesagt, daß es sich nur um einige wenige Bestimmungen handelt. Wir haben im Ältestenrat oft gesagt — das ist unbestritten , daß der federführende Ausschuß sich jederzeit in den Fragen, die einen anderen Ausschuß berühren, mit der Bitte um gutachtliche Äußerung an diesen anderen Ausschuß wenden kann. Ich denke, wir soll-
Metadaten/Kopzeile:
4922 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959
Rasnerten bei dieser Praxis bleiben, wie wir es auch seinerzeit im Ältestenrat vereinbart haben. Es besteht gar keine Schwierigkeit, daß sich der Wohnungsausschuß in den entsprechenden Fragen an den Kommunalpolitischen Ausschuß wendet. Das liegt im Interesse des Kommunalpolitischen Ausschusses. Das geht sehr schön zu machen. Aber wir sollten von der Praxis, die wir im Ältestenrat interfraktionell vereinbart haben, nicht abgehen. Der Ältestenrat hat sich hier auf die beiden genannten Überweisungen geeinigt.
Das Wort hat der Abgeordnete Könen . — Wer sich sonst noch zu melden wünscht, den bitte ich, seine Meldung persönlich beim Schriftführer abzugeben.
Herr Präsident, ich wußte das nicht; sonst hätte ich es selbstverständlich getan.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf das, was der Herr Kollege Rasner hier gesagt hat, habe ich gewartet. Ich habe Herrn Dr. Willeke und meinen verehrten CDU-Kollegen im Kommunalpolitischen Ausschuß gesagt, daß ich, wenn das wieder passiere, im Plenum einmal ein sehr deutliches Wort sagen würde.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen, meine Damen und Herren: die Geschichte mit den zwei Ausschüssen kommt hier nur aufs Tapet, wenn es sich um den Ausschuß für Kommunalpolitik handelt. Sonst können Sie sehr großzügig verfahren.
— Ich habe mir Notizen darüber gemacht! Schütteln Sie nicht den Kopf! Der Präsident hat sich schon einmal gewundert, daß ich gegen eine Ausschußüberweisung stimmte. Wissen Sie, warum ich gegen sie gestimmt habe? Weil es drei Ausschüsse waren!
So einfach, Herr Rasner, wie Sie meinen, geht es leider nicht, daß der Wohnungsbauausschuß zu bestimmten Fragen den Kommunalpolitischen Ausschuß hinzuzieht. Wir haben es beim Bundesbaugesetz erlebt. Da hat es eines Schriftwechsels zwischen mir und Herrn Dr. Willeke sowie Herrn Dr. Hesberg bedurft, damit wir der Gnade teilhaftig wurden, zwei unserer Kollegen in den Wohnungsbauausschuß entsenden zu dürfen, die dann mit uns die Verbindung aufrechterhielten.
Ich muß Sie wirklich dringend bitten, hier von sachlichen Gesichtspunkten auszugehen und dem Antrag des Kollegen Jacobi zu entsprechen. Behandeln Sie endlich einmal den Ausschuß für Kommunalpolitik nicht so, als wenn er überflüssig wäre!
Herr Kollege Dr. Mommer!
Herr Rasner hat recht, wenn er sagt, daß wir bemüht sind, Vorlagen nur an zwei Ausschüsse zu überweisen. Es kann aber Streit
darüber geben, welches die zwei richtigen Ausschüsse sind. Ich würde empfehlen, daß wir bei der Praxis bleiben: möglichst wenig Ausschüsse, daß wir aber die wichtigsten nehmen. In diesem Falle scheint mir, daß der Wirtschaftsausschuß weniger interessiert ist als der Kommunalpolitische Ausschuß.
Ich bitte, den Wirtschaftsausschuß zu streichen und dafür den Kommunalpolitischen zu setzen.
— Es steht in unserer Abmachung, ich habe sie hier!
Meine Damen und Herren, jetzt wird das Wort wirklich nicht mehr gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Ich glaube, wir stimmen Ausschuß für Ausschuß ab, dann wird die Frage geklärt.Unstreitig ist jedenfalls die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Wohnungswesen, Bau- und Bodenrecht. — Es ist so beschlossen.Dann ist die Frage, ob die Vorlage dem Rechtsausschuß überwiesen werden soll; das ist beantragt. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.Dann die Frage des Wirtschaftsausschusses! Die Überweisung an ihn ist im Ältestenrat offenbar vorgeschlagen, heute aber nicht beantragt worden. Wird die Überweisung von jemandem beantragt? — Das ist nicht der Fall.Dann ergibt sich Überweisung an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Darüber besteht Einmütigkeit?
- Der wird nicht mitgezählt, der läuft außerhalbder Reihe.
— Darüber gibt es offenbar Meinungsverschiedenheiten in diesem Hause, die ich jedenfalls von hier aus nicht beheben kann.
Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1959 4923
Meine Damen und Herren, ich muß Sie noch einen Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Auf Grund der in der 89. Plenarsitzung am 11. November 1959 nach der dritten Beratung des Entwurfs der Verwaltungsgerichtsordnung erteilten Ermächtigung wurden folgende redaktionelle Anpassungen vorgenommen:
1. Durch die Streichung von § 15 Abs. 3 und 5 auf Grund der angenommenen Bleichlautenden Änderungsanträge auf den Umdrucken 406 Nr. 2, 415 Nr. 1 und 419 Nr. 1 wird § 180 Abs. 6 Nr. 7 gegenstandslos, da sich die Nr. 7 auf § 15 Abs. 3 und 5 bezieht.
2. Die auf Grund des angenommenen Änderungsantrags auf Umdruck 406 Nr. 9 erfolgte Änderung des § 69 Abs. 01 macht
a) in § 69 Abs. 1 Satz 1 hinter dem Wort „Verwaltungsgericht" die Einfügung der Worte „und dem Oberverwaltungsgericht" und in
Satz 3 hinter dem Wort „Verwaltungsgericht" die Einfügung der Worte „und dem Oberverwaltungsgericht",
b) in § 169c die Streichung der Worte „und vor dem Oberverwaltungsgericht",
c) in § 170 Abs. 1 die Streichung der Worte „und dem Oberverwaltungsgericht",
d) in § 180 Abs. 6 Nr. 6a die Streichung der Worte „und dem Oberverwaltungsgericht"
notwendig.
Sie haben dies zur Kenntnis genommen.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 2. Dezember, 9 Uhr.
Ich schließe die heutige Sitzung.