Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 154. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Vor Eintritt in die Tagesordnung teile ich dem Hause mit, daß für den ausgeschiedenen Abgeordneten Leibfried der Abgeordnete Baier am 26. Juni in den Bundestag eingetreten ist. Ich heiße den Kollegen Baier in unserer Mitte willkommen und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit mit seinen Kollegen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 25. Juni 1956 weitere Ausführungen über die Maßnahmen der Regierung zur Überprüfung des Genossensdiaftsrechts gemacht. Sein Sdireiben wird als Drucksache 2557 vervielfältigt.
Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde .
Zunächst teile ich mit, daß die Frage 2 für diese Fragestunde zurückgezogen ist.
Weiter teile ich mit, daß der Bundesminister des Innern den Wunsch hat, Frage 1 und Frage 30 zusammen zu beantworten. Es handelt sich bei beiden Fragen um den gleichen Sachverhalt.
Ich rufe auf Frage 1 des Abgeordneten Dr. Rinke betreffend strahlendosimetrische Überwachung der Bevölkerung:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung vorbereitet, um eine strahiendosimetrisdte Überwachung der Bevölkerung zu sichern, und ist Gewähr dafür gegeben, daß für die Zivilbevölkerung in dieser Beziehung in der gleichen Weise gesorgt wird wie für die Angehörigen der Bundeswehr, für die, wie es auch bei den Streitkräften des Auslands üblich ist, ein strahlendosimetrisches Überwachungsverfahren eingeführt werden soll?
Verfügt die Bundesregierung bereits über Planungs- und Forschungsergebnisse, die es gestatten, mit den praktischen Vorbereitungen auf diesem Gebiete unverzüglich zu beginnen?
In Verbindung damit Frage 30 des Abgeordneten Maier betreffend Gefahr der Verseuchung der Atmosphäre infolge von Atomexplosionen sowie Aufklärung und Schutz der Bevölkerung:
Hat die Bundesregierung Berichte von den Wetterstationen über Verseuchungen der Atmosphäre mit radioaktiven Zerfallprodukten als Folge der Atombombenexplosionen in verschiedenen Teilen der Welt?
Ist die Bundesregierung bereit, die Bevölkerung In der Bundesrepublik über die Gefahren der radioaktiven Verseuchung aufzuklären?
Welche Schutzmaßnahmen sind vorgesehen für den Fall, daß deutsche Gebiete von radioaktiver Verseuchung betroffen werden, und ist vor allem in naher Zukunft eine Atomschutzverordnung zu erwarten?
Das Wort zur Beantwortung hat der Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf den Kollegen, die diese Fragen gestellt haben, folgendes antworten.
In den letzten Jahren wurde für die Zwecke des Luftschutzes von der Industrie ein filmdosimetrisches Gerät mit einem dazugehörigen Auswertungsgerät zur Überwachung von strahlungsgefährdeten Personen entwickelt. Die Prüfung der Verwendbarkeit dieses Geräts ist noch nicht abgeschlossen. Nach Abschluß der Vorprüfungen wird
die Durchführung einer Versuchsreihe mit Unterstützung des Deutschen Roten Kreuzes in Erwägung gezogen. Auch im Ausland wurde noch keine grundsätzliche Entscheidung getroffen, ob dieses oder ein anderes Verfahren der Individualdosimetrie im Rahmen des Luftschutzes allgemein eingeführt wird. Die für den Luftschutz geleisteten Vorarbeiten werden auch als Grundlage für die Vorbereitung der strahlendosimetrischen Überwachung derjenigen Personen, die in strahlungsgefährdeten Betrieben arbeiten, dienen. Die Zivilbevölkerung soll selbstverständlich in dem gleichen Umfang geschützt werden wie die Angehörigen der Bundeswehr.
Zu der Frage 30 erteile ich die Antwort im Einvernehmen mit dem zur Zeit in Berlin weilenden Bundesminister für Atomfragen und im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Verkehr, der für den Deutschen Wetterdienst zuständig ist.
Berichte von Wetterstationen über die Verseuchung der Atmosphäre durch radioaktive Zerfallprodukte als Folge der Atombombenexplosionen liegen noch nicht vor. Von einer Wetterstation werden bereits Messungen durchgeführt. Im Laufe des Jahres werden weitere Wetterstationen diese Arbeit aufnehmen.
Dem Hohen Hause ist aus früheren Mitteilungen bekannt, daß in Deutschland bereits seit 1953 von den physikalischen Instituten der Universitäten Freiburg und Heidelberg Untersuchungen der Luft auf radioaktive Bestandteile durchgeführt worden sind. Über die Ergebnisse dieser Untersuchungen liegen den beteiligten Bundesministerien Berichte vor. Gesundheitsgefahren sind bisher nicht festgestellt worden. Obgleich kein Anlaß zu einer akuten Besorgnis wegen der Gefahren durch radioaktive Verseuchung besteht, ist eine Aufklärung der Bevölkerung über die möglichen Gefahren durch radioaktive Zerfallprodukte zweckmäßig, sobald die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen eine eindeutige Auswertung zulassen.
Die Vorbereitung von Schutzmaßnahmen ist in Aussicht genommen. Eine gesetzliche Regelung des Strahlenschutzes ist in Vorbereitung. Weitere Einzelheiten zu diesem Fragenkomplex werden von der Bundesregierung in der Stellungnahme zu der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Graf behandelt werden.
Herr Abgeordneter Rinke, eine Zusatzfrage?
Herr Minister, ist es nicht besser, die Vorbereitungen für dieses Überwachungsverfahren dadurch zu beschleunigen, daß man die bereits seit Monaten gesammelten Erkenntnisse des Bundesverteidigungsministeriums verwertet, als eigene Vorbereitungen zu treffen?
Herr Kollege Rinke, ich habe darauf hingewiesen, daß eine grundsätzliche Lösung dieses Problems auch im Ausland bisher noch nicht gefunden werden konnte. Dies sage ich nur, um klarzumachen, daß wir uns mit den Untersuchungen auf diesem Gebiet nicht im Rückstand befinden. Im übrigen wird die Bundesregierung alles tun, um die in den verschiedenen Ressorts angefallenen Erkenntnisse zusammenzufassen und gemeinsam zu verwerten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rinke!
Herr Minister, ist mit dem Ausschuß für industrielle Luftschutzerzeugnisse im Bundesverband der Industrie Verbindung aufgenommen worden, der bereits sehr viel Vorbereitungen hierfür getroffen hat?
Herr Kollege Rinke, ich kann mich zu dem Ausschuß, den Sie genannt haben, nicht im einzelnen äußern. Ich bin aber überzeugt, daß alle Quellen herangezogen werden, von denen eine sachdienliche Förderung zu erwarten ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Fritz Maier.
Herr Minister, ist es nicht möglich, die seit Monaten im Ministerium für Arbeit ausgearbeitet vorliegende Verordnung über Strahlenschutz dem Bundesrat zuzuleiten und durch seine Zustimmung wirksam werden zu lassen, ehe das Atomgesetz, von dem Sie eben sprachen, vor den Bundestag kommt?
Ich glaube, ich bin mißverstanden worden, Herr Kollege Maier. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß eine gesetzliche Regelung des Strahlenschutzes in Vorbereitung sei. Das bezieht sich auf den von Ihnen erwähnten Komplex.
Herr Abgeordneter Rinke, soll die Frage 3 zurückgestellt werden?
— Also mit anderen Worten: sie wird für heute gestrichen.
Frage 4, Abgeordneter Schneider , betreffend Errichtung eines deutschen Langwellensenders:
Ist die Bundesregierung bereit, die Forderung Berlins nach Errichtung des deutschen Langwellensenders in der Reichshauptstadt zu unterstützen, und in welcher Form gedenkt sie dies zu tun?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister des Innern!
Herr Präsident! Ich darf dem Kollegen folgendes antworten. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß der Bund nicht der Träger des in Aussicht genommenen provisorischen Langwellenbetriebes sein wird. In Anlehnung an die bei dem Kurzwellendienst der Deutschen Welle gewählte Form wird die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten der Träger des Langwellenbetriebes sein, zumal sich für den zunächst provisorischen Betrieb die bereits vorhandenen und benutzten Einrichtungen für Langwellensendungen in Hamburg anbieten. Dadurch können auch die zur Zeit noch bestehenden Schwierigkeiten in der Frequenzfrage überwunden werden.
Ich hoffe, daß die Verhandlungen zwischen dem Bund, den Ländern und der Arbeitsgemeinschaft Anfang Juli endgültig zum Abschluß gebracht werden. Bei den Vereinbarungen wird man u. a. darauf Rücksicht nehmen müssen, daß die Kosten des vorläufigen Langwellenbetriebes zunächst von der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten getragen werden. Die Bundesregierung erkennt ebenso wie alle übrigen Beteiligten an, daß der
besonderen Bedeutung Berlins für die Langwellensendungen weitgehend Rechnung getragen werden muß. Die Bundesregierung wird sich deshalb dafür einsetzen, daß die Chefredaktion ihren Sitz nicht nur im Bundesgebiet, sondern auch in Berlin haben soll und daß Berlin einen eigenen Strahler erhält, sobald die technischen und finanziellen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
Herr Abgeordneter Schneider , haben Sie eine Zusatzfrage? — Der Fragesteller scheint sich nicht im Saale zu befinden. Wenn ich das vorher bemerkt hätte, hätte ich diese Frage nicht zur Beantwortung gestellt. Ich glaube, daß es ein Minimalerfordernis parlamentarischer Höflichkeit ist, daß ein Fragesteller anwesend ist, wenn seine Frage von der Regierung beantwortet wird.
Frage 5, Abgeordneter Bock, betreffend Zulassung von im Rotaprintverfahren hergestellten Zeitschriften zum Postzeitungsvertrieb:
Hat der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen bei der Verschärfung der Bestimmungen für die Zulassung von Drucksachen, die sich daraus ergibt, daß im sogenannten Rotaprintverfahren hergestellte Zeitschriften nicht mehr zum Postzeitungsvertrieb zugelassen werden, bedacht, daß dadurch in erster Linie kleinere Sportvereine betroffen werden, die sich für die Gesundheit der Jugend in uneigennütziger Weise erhebliche Verdienste erworben haben?
Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, in dieser Angelegenheit handelt es sich nicht um Auswirkungen einer Verschärfung der Drucksachenbestimmungen. Eine solche Verschärfung wurde nicht vorgenommen. Es handelt sich vielmehr um die Zulassung von Zeitschriften zum Postzeitungsvertrieb. Diese setzt — wie bei Zeitungen — voraus, daß die Veröffentlichungen gedruckt werden. Schriften, die nur in einem Vervielfältigungsverfahren hergestellt sind, können zum Postzeitungsvertrieb nicht zugelassen werden.
Diese Bestimmungen gelten für alle deutschen Verleger, also auch für Sportvereine, soweit sie Zeitschriften herausgeben. Von diesen Bestimmungen kann auch nicht abgewichen werden, weil andernfalls der Postzeitungsdienst bei der großen Zahl der im Verkehr gebräuchlichen Vervielfältigungsmöglichkeiten durch eine unübersehbare Fülle von Schriften überflutet werden würde.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Bock.
Ist dem Herrn Minister nicht bekannt, daß dieses Rotaprintverfahren bisher zugelassen war oder jedenfalls geduldet wurde? Durch die Änderung dieser Bestimmung oder der Ausführung dieser Bestimmung entstehen doch erhebliche Mehrkosten, die einerseits die kleinen Sportvereine, aber andererseits auch manche Unternehmer treffen und damit vielleicht auch zu der bekannten Überhitzung auf wirtschaftlichem Gebiete beitragen. Ich finde es jedenfalls nicht richtig, daß ausgerechnet die Post als Regierungsbehörde eine tatsächliche Verteuerung eintreten läßt, und möchte hören, wie. der Herr Minister darüber denkt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, zugelassen war dieses Verfahren niemals. Es ist, wie Sie richtig bemerkten, geduldet worden. Aber der Versand ähnlicher Schriften hat einen derartigen Umfang angenommen, daß der Postzeitungsdienst einfach aus technischen Gründen und aus Transportgründen nicht mehr bewältigt werden kann. Der Postzeitungsdienst ist aber ausschließlich der politischen Zeitung vorbehalten, und wenn wir erreichen wollen, daß der Postzeitungsdienst überhaupt noch funktioniert, dann müssen wir die ursprünglichen Bestimmungen der Postzeitungsordnung wieder anwenden. Selbstverständlich tritt nun hierdurch nachträglich eine gewisse Verteuerung der Vertriebskosten für solche Verleger ein, die bisher von der Duldung der Post Gebrauch machen konnten.
Ich darf in diesem Zusammenhang bemerken, Herr Abgeordneter: Der Postzeitungsvertrieb erfordert erhebliche Zuschüsse. Täglich müssen wir 300 000 DM zuschießen, um den Postzeitungsdienst zu bewältigen. Aus finanziellen Gründen kann die Bundespost diesen Zuschußbetrieb nicht weiter ausdehnen.
Ich nehme mit Bedauern von der Antwort Kenntnis.
Frage 6 wird zurückgestellt, da der Fragesteller beurlaubt ist.
Die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Stammberger betrifft den Aufgabenbereich des Bundesministers für besondere Aufgaben Dr. Schäfer:
Welche gesetzgeberische Initiative gedenkt der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben, Dr. Schäfer, nunmehr zu ergreifen, nachdem er sich jahrelang mit dem Problem des Mittelstandes als Sonderaufgabe beschäftigt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entgegen der Auffassung, die anscheinend der Frage zugrunde liegt, sind nicht die gesamten Mittelschichten — insbesondere nicht der selbständige gewerbliche Mitelstand —, sondern ausschließlich die mit gedanklichen Aufgaben befaßten Berufe in meinen Aufgabenkreis einbezogen.
Die mit den mir erteilten Aufträgen angeschnittenen Probleme erwiesen sich nach Beginn der Bearbeitung als so umfangreich und so komplex, daß es geraumer Zeit und langwieriger Beratungen und Befragungen bedurfte, um zu einer Klärung des Sachverhaltes und aus der Kenntnis des Sachverhaltes zu konkreten Vorschlägen an die Bundesregierung zu gelangen. Die Arbeiten mußten zudem mit sehr wenigen Kräften und im Rahmen äußerst beschränkter finanzieller Mittel durchgeführt werden.
Gleichwohl konnten die Beratungen über die angestellten Ärzte und das Krankenpflegepersonal im vergangenen Jahr zu einem gewissen Abschluß gebracht werden, so daß es möglich war, dem Bundeskabinett am 7. Dezember 1955 konkrete Vorschläge für gesetzgeberische Maßnahmen zu unterbreiten. Sie zielen darauf ab, die Arbeitszeit zu verkürzen, eine der Bedeutung des Berufes besser entsprechende Besoldung sowie eine bessere Unterbringung der Ärzte und des Krankenpflegepersonals sicherzustellen und zur Bereinigung weitere] Sonderprobleme beizutragen. Gleichzeitig sind Vor
schläge gemacht worden, wie die finanziellen Voraussetzungen für die Erreichung dieser Ziele geschaffen werden können. Die Durchführung der Anregungen liegt nunmehr beim Kabinett und den zuständigen Ressorts.
Für die freien Berufe laufen zur Zeit Beratungen über eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung und für eine Modernisierung des Gebührenwesens. Konkrete gesetzliche Vorschläge können hier erst nach Abschluß der Beratungen gemacht werden.
Sowohl für die Angehörigen des unselbständigen Mittelstandes — also die Angestellten — wie auch für die freien Berufe wurde eine Reihe von steuerlichen Vorschlägen ausgearbeitet, die als Beiträge zu den Beratungen über die Einkommensteuerregelung den beteiligten Bearbeitungs- oder Beschlußstellen zugeleitet wurden.
Für die Angestellten in der gewerblichen Wirtschaft können etwaige gesetzgeberische Vorschläge erst vorgelegt werden, wenn das Ergebnis der Ermittlungen über die soziale Situation dieser Berufskreise in den verschiedenen Dienststufen und Wirtschaftszweigen vorliegt. Diese Ermittlungen wurden in ständiger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern vorangetrieben und ergaben zunächst, daß die Lage der Angestellten und die Funktionen der Angestelltenberufe sich innerhalb der betriebswirtschaftlichen Strukturveränderungen der letzten Jahrzehnte wesentlich verändert haben und daß aus den bisher vorhandenen, äußerst lückenhaften Unterlagen kaum gesicherte Aussagen über den derzeitigen Stand abgeleitet werden können. Es mußte also trotz des unvermeidlichen Zeitverlustes mit einer Repräsentativerhebung begonnen werden, um zu einer wirklichkeitsnahen sozialpoli) tischen Bestandsaufnahme zu gelangen. Da es sich um ein soziologisches Neuland handelt, konnten diese Untersuchungen nicht schriftlich, sondern nur durch Ermittlungen in den Betrieben selbst erfolgen. Die Untersuchungen werden durch die Arbeitsgemeinschaft sozialwissenschaftlicher Institute in ständiger Zusammenarbeit mit meiner Dienststelle durchgeführt.
Die ungenügende Breite der bisherigen Untersuchungen läßt gegenwärtig eine endgültige Aussage noch nicht zu; doch kann nach den vorliegenden Teilergebnissen gesagt werden, daß das Endergebnis wahrscheinlich sehr weittragende neue Erkenntnisse bringen und Folgerungen ermöglichen wird.
Da es nicht zu den Aufgaben des Bundesgesetzgebers gehört, über Mindestvorschriften hinaus die Dienstverhältnisse in der privaten Wirtschaft zu regeln, sind zur Zeit keine Grundlagen für gesetzgeberische Vorschläge, die sich ausschließlich mit der Lage der Angestellten befassen, in der unerläßlichen Vollständigkeit gegeben. Ich bemühe mich vielmehr, die aus der erwähnten Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse den Sozialpartnern zu vermitteln und ihnen Anregungen zu geben mit dem Ziel, daß die Sozialpartner von sich aus die notwendigen Schlüsse aus den gewonnenen Erkenntnissen ziehen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Im Bereich der eingeleiteten Reformen zur sozialen Sicherung wurden die zahlreichen Vorlagen der letzten Jahre hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Angestellten der verschiedenen Geschäftszweige und Dienststufen geprüft; entsprechende Vorschläge wurden den zuständigen Stellen der Bundesregierung vorgelegt und in die Beratungen einbezogen.
Im übrigen verweise ich für das zurückliegende Jahr auf den Tätigkeitsbericht der Bundesregierung für das Jahr 1955, Seiten 415 und folgende.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wann und in welcher Form wollen Sie die Vorschläge in Ihrer Rede auf dem Bundeskongreß der freien Berufe verwirklichen? Sie haben das schon kurz angedeutet; ich hätte es aber doch gern etwas ausführlicher gehört.
Wenn ich in der Vollständigkeit antworten wollte, wie die Frage gestellt ist, dann, glaube ich, gerate ich mit dem Herrn Präsidenten in Konflikt, der mir innerhalb der Fragestunde nicht für eine halbe Stunde das Wort geben wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie unterschätzen meine Langmut, Herr Minister.
Dann will ich wenigstens in gedrängter Zusammenfassung das sagen: Diese Dinge bedürfen natürlich erst einmal der Prüfung. Es sind völlig neue Situationen und neue Bedürfnisse entstanden. Wir arbeiten mit den zuständigen Verbänden gleichzeitig in einem Beirat, der aus den freien Berufen gebildet worden ist. Mit diesen beraten wir die vielfältige Fragestellung. Die gesetzgeberischen Vorschläge sind so weit vorbereitet, daß ich hoffen kann, wahrscheinlich in wenigen Tagen bestimmte Vorschläge machen zu können, die zumindest eine konkrete Diskussionsgrundlage darstellen. Die große Schwierigkeit ist, daß innerhalb der freien Berufe noch keine einheitliche Auffassung besteht. Je nach den Generationen und den Schicksalen, die die einzelnen durchgemacht haben, herrschen über die Lösung der Frage der Alterssicherung oft sehr verschiedenartige Vorstellungen. Auch spielen unterschiedliche landschaftliche und sonstige Gewohnheiten mit hinein.
Ich darf mich auf diese Ausführungen beschränken. Ich bin gern bereit, den ganzen Bereich bei anderer Gelegenheit darzulegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, in diesem Zusammenhang der Bundesregierung Bestimmungen dahingehend vorzuschlagen, daß die nebenberufliche Tätigkeit der Beamten zu unterbleiben hat, wenn sie in den Wirkungsbereich der freien Berufe eingreift?
Zu der nebenberuflichen Tätigkeit der Beamten bin ich nicht in der Lage, von mir aus allein Vorschläge zu machen; das greift in das geltende Beamtenrecht ein. Um ihre Frage endgültig beantworten zu können, bedürfte es zuvor einer Abstimmung mit meinen in diesem Falle zuständigen Kollegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frage 8 soll wie Frage 6 auf die nächste Fragestunde zurückgestellt werden, da Herr Abgeordneter Dr. Arndt beurlaubt ist.
Frage 9 — des Abgeordneten Wittrock — betreffend Entschädigung der als Schöffinnen oder Geschworene tätigen Hausfrauen:
Hält die Bundesregierung es für vertretbar, daß eine Hausfrau nach geltendem Recht für eine Tätigkelt als Schöffin oder Geschworene nur einen Rechtsanspruch auf Erstattung der Fahrtkosten und Aufwandsentschädigung geltend machen kann, während jedem anderen Berufstätigen daneben noch ein Anspruch auf Erstattung eines Verdienstausfalles zusteht?
Ist die Bundesregierung bereit, die Änderung der einschlägigen Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes vorzuschlagen?
Herr Bundesminister der Justiz zu Frage 9!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesjustizministerium hat den Vorentwurf eines Gesetzes über die Entschädigung der ehrenamtlichen Beisitzer bei den Gerichten fertiggestellt. Das Gesetz soll an die Stelle der zur Zeit in den verschiedenen Zweigen der Gerichtsbarkeit geltenden Einzelregelungen, also auch an die Stelle des § 55 des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Verordnung über die Entschädigung der Schöffen und Geschworenen treten und diese vereinheitlichen. Der Entwurf wird zur Zeit mit den beteiligten Bundesressorts erörtert. In ihm wird neben Änderungen bei der Erstattung der Fahrtkosten und der Aufwandsentschädigung sowie neben der notwendigen Anpassung an den bereits dem Parlament zugeleiteten Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung der Zeugen und Sachverständigen vorgeschlagen, daß auch die Personen, die, wie die Hausfrauen, einen Verdienstausfall nicht nachweisen können, für ihre Tätigkeit als Beisitzer neben dem Ersatz der Fahrtkosten und des Aufwands eine weitere, nach der Dauer der Inanspruchnahme bemessene Entschädigung erhalten sollen. Es ist beabsichtigt, den Entwurf so zu fördern, daß er zusammen mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kostenrechtes, das dem Bundestag demnächst zugehen wird, wird beraten werden können.
Eine Zusatzfrage!
Herr Minister, halten Sie es nicht für zweckmäßig, gerade diese Regelung vorzuziehen? Denn es dürfte wohl kaum damit zu rechnen sein, daß die allgemeine Reform des Kostenrechts noch in dieser Legislaturperiode vorgenommen werden kann.
Das wird man abwarten müssen. Ich kann das heute natürlich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Es wird darauf ankommen, wie die Beratungen — vermutlich wohl im Rechtsausschuß — gefördert werden können.
Frage 10 — Abgeordneter Rademacher — betreffend Fernverkehrskehrskonzessionen:
Ist es richtig, daß der Leiter der Abteilung Straßenverkehr im Bundesverkehrsministerium sich dahingehend geäußert hat, daß 1958 die jetzt umlaufende Zahl von rund 15 000 Fernverkehrskonzessionen auf 6 000 reduziert werden soll, und deckt der Herr Bundesminister diese Absicht, falls diese Äußerung tatsächlich gemacht worden ist?
Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Leiter der Abteilung Straßenverkehr im Bundesverkehrsministerium hat diese Äußerung nicht getan.
Haben Sie eine Zusatzfrage — Sie stehen so erwartungsvoll da —? Keine Zusatzfrage.
Nächste Frage, Nr. 11, betreffend Verwendung der sogenannten Lichthupe am Tage:
Welche Gründe haben vorgelegen, durch eine Änderung der Straßenverkehrsordnung § 12 Abs. 3 und der Straßenverkehrszulassungsordnung § 49 a Abs. 4 die Verwendung der sogenannten Lichthupe am Tage praktisch zu verbieten?
Was spricht für die Verhinderung des Einsatzes dieses auch im Ausland anerkannten Mittels zur Hebung der Flüssigkeit des Verkehrs?
Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abgabe von Lichtzeichen, also das Auf- und Abblenden des Scheinwerfers, ist in § 12 Abs. 3 der Straßenverkehrsordnung geregelt. Dort ist bestimmt:
Als Warnzeichen sind Schallzeichen zu geben; an deren Stelle können bei Dunkelheit Leuchtzeichen durch kurzes Aufblenden der Scheinwerfer gegeben werden, wenn diese Zeichen deutlich wahrgenommen und andere Verkehrsteilnehmer dadurch nicht geblendet werden können.
Diese Regelung ist seit Jahren in Kraft und wird durch die Änderungsverordnung vom 14. März 1956 nicht berührt. Neu ist lediglich die Vorschrift, daß die Absicht des Überholens innerhalb geschlossener Ortschaften am Tage überhaupt nicht mehr angekündigt werden darf, und zwar weder akustisch noch optisch. Außerhalb geschlossener Ortschaften ist die Abgabe von Warnzeichen zur Anzeige der Überholungsabsicht weiterhin zulässig.
Lichtzeichen sind als Verständigungszeichen am Tage nur verwendbar, wenn man damit rechnen kann, daß die Verkehrsteilnehmer, für die sie bestimmt sind, sie auch bemerken. Die Lichtzeichen müssen also entweder im Blickfeld des anderen Verkehrsteilnehmers liegen oder ihm mittelbar durch Spiegelung sichtbar gemacht werden. Durch die Verordnung vom 14. März 1956 wurde bekanntlich die Vorschrift über Rückspiegel an Kraftfahrzeugen geändert. Bis zum 1. November 1956 müssen die Fahrzeuge mit Außenspiegeln ausgerüstet sein. Die Verwendung der Lichthupe bei Überholvorgängen wird dann auch am Tage ausdrücklich zugelassen werden können, insbesondere wenn die inzwischen gemachten Erfahrungen mit der verbesserten Spiegelausrüstung weiterhin gut sind.
Eine Zusatzfrage!
Herr Minister, bedeutet das, daß bis zum 1. November, bis zur Einführung des Rückspiegels, tatsächlich die Benutzung ,der Lichthupe am Tage außerhalb der Ortschaften verboten ist?
Nein, ich sehe keine Bestimmung darin, daß sie ausdrücklich verboten sei.
Geben Sie nicht zu, Herr Minister, daß das Dickicht der Bestimmungen zu dieser Auffassung führen kann?
Das ist mir schon von verschiedenen Seiten vorgetragen worden. Ich habe immer diese Auffassung geäußert, daß hier offenbar eine Verwechslung mit der Vorschrift vorliegt, daß innerhalb geschlossener Ortschaften weder akustische noch optische Signale angewendet werden sollen. Aber außerhalb geschlossener Ortschaften können Warnzeichen gegeben werden, ohne daß dabei gesagt ist, in welcher Form sie gegeben werden sollen. Man muß sich natürlich darüber klar sein, Herr Kollege Rademacher, daß, wie gesagt, Lichtzeichen nicht wahrgenommen werden können, wenn nicht ein Außenspiegel vorhanden ist, insbesondere bei einem Fahrzeug, bei dem die Sicht des Innenspiegels, sei es durch die Art des Fahrzeuges, sei es durch Insassen oder Aufbringen von Gepäck, nicht mehr klar ist. Daher haben wir jetzt diese Vorschrift zur Anbringung der beiden Spiegel eingeführt. Wenn diese beiden Spiegel da sind, wird auch das Lichtzeichen Überall verbindlich aufgenommen werden können.
Eine weitere Zusatzfrage!
Ich konzediere Ihnen eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Minister, sind Sie bereit, im amtlichen Verkehrsblatt darüber noch einmal Ausführungen zu machen, so daß es allgemein verständlich wird?
Das will ich gern veranlassen.
Die Frage 11 ist beantwortet.
Die Frage 12 — Abgeordneter Funk — betrifft die Forderung der Möbelfabrik Fey in Wiesentheid gegenüber der amerikanischen Besatzungsmacht:
Ist die Bundesregierung bereit. der Möbelfabrik Fey in Wiesentheid zu ihrer berechtigten Forderung gegenüber den arnerikanischen Besatzungstruppen zu verhelfen?
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, in der Zwischenzeit der Firma Fey über die nicht durch ihre Schuld entstandenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten hinwegzuhelfen?
Was gedenkt die Bundesregierung insbesondere zu tun, um die ausgestellte und bis jetzt arbeitslose Belegschaft der Firma Fey in Stärke von rund 150 Mann wieder in Arbeit zu bringen?
Der Herr Bundesminister der Finanzen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Forderung der Möbelfabrik Fey in Wiesentheid beruht auf einem von der amerikanischen Besatzungsmacht erteilten Auftrag. Diese Aufträge wurden von den amerikanischen Beschaffungsstellen ohne Mitwirkung der deutschen Seite zu den von der ehemaligen amerikanischen Besatzungsmacht bestimmten Bedingungen erteilt. Der Auftrag ist seit langem durchgeführt und abgewickelt. Die Möbelfabrik hatgegenüber ihrem Auftraggeber, der amerikanischen Beschaffungsdienststelle, aus diesem Auftrag eine Nachforderung in Höhe von 238 116 DM geltend gemacht, die von der Beschaffungsstelle abgelehnt worden ist. Auf Grund der Auftragsbedingungen, die ein Beschwerderecht des deutschen Lieferanten bei einem Beschwerdeausschuß vorsehen, der seinerseits vom amerikanischen Hauptquartier in Heidelberg errichtet wurde, hatte die Möbelfabrik Fey eine Beschwerde gegen den ablehnenden Bescheid der amerikanischen Beschaffungsstelle eingereicht. Der Beschwerdeausschuß beim amerikanischen Hauptquartier hat über die Forderung der Möbelfabrik Fey am 22. April 1955 abschließend verhandelt und dahin entschieden, daß nicht der volle von der Firma Fey geforderte Betrag, sondern nur ein Teilbetrag in Höhe von rund 71 000 DM anerkannt wurde. Dieser Betrag ist inzwischen 'an die Firma ausbezahlt worden.
Die Möbelfabrik Fey vertritt gegenüber dieser Entscheidung des amerikanischen Beschwerdeausschusses nach wie vor die Auffassung, daß ihre Forderung in der ursprünglichen vollen Höhe gerechtfertigt sei, und beansprucht die Vergütung des restlichen, vom Beschwerdeausschuß abgelehnten Teils ihrer Forderung.
Da das Beschwerdeverfahren im amerikanischen Bereich abgewickelt wurde, sind die Gründe, welche den Beschwerdeausschuß veranlaßten, nur einen Teil der von der Firma geltend gemachten Forderungen anzuerkennen, nicht bekannt. Nach den von amerikanischer Seite festgelegten Auftragsbedingungen sind die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses unanfechtbar. Aus diesem Grunde besteht für die deutsche Seite keine Möglichkeit, eine Aufhebung oder Änderung der Entscheidung des Beschwerdeausschusses beim amerikanischen Hauptquartier zu erwirken. Die Bundesrepublik ist weder gesetzlich noch vertraglich verpflichtet, Forderungen 'dieser Art zu befriedigen. Forderungen deutscher Unternehmer aus Sach- oder Werkleistungen für 'die ehemaligen Besatzungsmächte richten sich daher gegen die ehemaligen Besatzungsmächte selbst, die die Besatzungsaufträge erteilt haben.
Für die Bundesrepublik besteht keine Möglichkeit, die Forderung der Möbelfabrik Fey gegenüber den iamerikanischen Dienststellen durchzusetzen. Etwaige Vorstellungen bei der amerikanischen Seite versprechen nach Lage des Falles keine Aussicht auf Erfolg.
Die Frage, ob eine Möglichkeit besteht, der Möbelfabrik Fey in sonstiger Weise über die entstandenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten hinwegzuhelfen, werde ich gemeinsam mit dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft prüfen lassen. Desgleichen werde ich mich mit dem Herrn Bundesminister für Arbeit in Verbindung setzen, um Möglichkeiten zu schaffen, gegebenen- und nötigenfalls Arbeitskräfte, die in diesem Betrieb entbehrlich werden, wieder in den Arbeitsprozeß einzureihen.
Eine Zusatzfrage?
Hält der Herr Bundesfinanzminister es für richtig, daß ich mich nochmals an das amerikanische Hauptquartier in Heidelberg wende, nachdem der amerikanische Botschafter in einem Briefwechsel mit mir jegliche Einmischung abgelehnt hat?
Herr Kollege, Ich kann Ihnen viel Aussicht für einen Erfolg dieses Schritts leider nicht geben.
Danke schön!
Herr Abgeordneter, eine Fragestunde ist keine Beratungsstelle.
Frage 13, Frage des Abgeordneten Wittrock. Die Frage betrifft Maßnahmen zur Überwindung der durch den Zimmerbedarf der Angehörigen der Bundeswehr für die Studenten in Universitätsstädten entstandenen Schwierigkeiten bei ihrer Zimmerbeschaffung:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um in den Universitätsstädten die für die Studenten entstandenen Schwierigkeiten der Zimmerbeschaffung zu überwinden, die auf Grund des Zimmerbedarfs der Angehörigen der Bundeswehr bestehen?
Hält die Bundesregierung Maßnahmen nicht gerade nach den Erfahrungen in Städten wie Bonn, Köln und Göttingenfür erforderlich?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Herr Kollege Wittrock, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Bei Ihrer Anfrage setzen Sie offenbar voraus, daß bereits allgemein in den Universitätsstädten auf Grund des Zimmerbedarfs der Angehörigen der Bundeswehr für die Studenten Schwierigkeiten bei der Beschaffung möblierter Zimmer aufgetreten seien. Tatsächlich sind solche Schwierigkeiten in nennenswertem Umfang bisher nur in Bonn aufgetreten. Dazu habe ich mich in der 142. Sitzung des Deutschen Bundestages am 3. Mai 1956 ausführlich geäußert.
In Köln haben bisher weder die Universität noch die Studentenschaft gegen die Inanspruchnahme von möblierten Zimmern durch Angehörige der Bundeswehr Einwendungen erhoben. Es ist auch nicht anzunehmen, daß in einer Großstadt wie Köln Schwierigkeiten für die Studenten entstehen, wenn eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Angehörigen der Bundeswehr möblierte Zimmer anmietet. Der Hinweis auf Göttingen, Herr Kollege, beruht offenbar auf einer unzutreffenden Information. Dort können schon deshalb keine Unzuträglichkeiten entstanden sein, weil in Göttingen weder Anlagen noch Dienststellen der Bundeswehr oder der Bundeswehrverwaltung sind.
Es ist nicht zu erwarten, daß andernorts ähnliche Schwierigkeiten wie in Bonn auftreten werden, zumal es sich bei den Hochschulstädten, die in stärkerem Umfange Angehörige der Bundeswehr aufgenommen haben, durchweg um Großstädte handelt, in denen mit einer Verknappung des Angebots an möblierten Zimmern nicht zu rechnen ist. Aber auch an diesen Orten werden spätestens ab Mitte nächsten Jahres für Angehörige der Bundeswehr möblierte Zimmer allenfalls in wenigen und für den Wohnungsmarkt unbedeutenden Einzelfällen benötigt werden. Ich werde im Interesse aller Betroffenen mit Nachdruck dafür Sorge tragen, daß die Wohnbauvorhaben der Bundeswehr möglichst bis zum Frühiahr, spätetens aber bis zum Sommer nächsten Jahres verwirklicht werden. Sobald den Angehörigen der Bundeswehr in ausreichendem Maße Wohnungen zur Verfügung stehen, erledigt sich das von Ihnen, Herr Kollege Wittrock, angeschnittene Problem.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage?
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, den Fragenkomplex zu überprüfen, wenn ich Ihnen noch konkretes Material übermittle, da es jetzt natürlich nicht möglich ist, die sachlichen Erfordernisse, die zu dieser Anfrage Anlaß gegeben haben, hier im einzelnen zu diskutieren?
Gern, Herr Kollege. Ich darf Sie bitten, mir das Material zukommen zu lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage ist beantwortet.
Frage 14, Abgeordneter Faller. Die Frage betrifft die Erhebung der Beförderungsteuer für ausländische Omnibusse:
Ist die Bundesregierung bereit, solange sie auf die Erhebung der Beförderungsteuer für ausländische Omnibusse nicht verzichten zu können glaubt, diese in einer Form zu erheben, die nicht wie bisher lange zusätzliche Aufenthalte an der Grenze verursacht? Welche Maßnahmen schlägt die Bundesregierung vor?
Das Wort zur Beantwortung hat der Bundesminister der Finanzen.
Die Finanzverwaltung ist schon immer bemüht gewesen, die Abfertigung an der Grenze zu beschleunigen. Tatsächlich sind auch bisher durch die Erhebung der Beförderungsteuer an der Grenze in der Regel keine langen zusätzlichen Aufenthalte verursacht worden. Um jedoch den Aufenthalt an der Grenze noch mehr abzukürzen, ist in Aussicht genommen, zuverlässigen ausländischen Omnibusunternehmern des Gelegenheitsverkehrs zu gestatten, die Beförderungsteuer monatlich beim Finanzamt zu entrichten, wie dies bereits für ausländische Omibusunternehmer des Linienverkehrs zugelassen ist.
Eine Zusatzfrage?
Wann, Herr Bundesfinanzminister, wird es nach Ihrer Auffassung möglich sein, das an der Grenze durchzuführen?
Die Verhandlungen mit den Herren Oberfinanzpräsidenten laufen bereits. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß es wahrscheinlich nur im Zusammenhang mit einer Durchführungsverordnung für die Beförderungsteuer möglich ist. Infolgedessen muß der Bundesrat mit eingeschaltet werden.
Die Frage ist beantwortet.
Frage 15, Abgeordneter Arnholz. Die Frage betrifft Erziehungsbeihilfen und sonstige Leistungen an Lehrlinge und Anlernlinge in der privaten Wirtschaft:
Ist die von dem berüchtigten Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Sauckel, erlassene Anordnung zur Vereinheitlichung der Erziehungsbeihilfen und sonstigen Leistungen an Lehrlinge und Anlernlinge in der privaten Wirtschaft vom 25. Februar 1943 noch insoweit in Kraft, daß die darin festgelegten Sätze der Erziehungsbeihilfen noch Rechtens sind?
Hält die Bundesregierung bejahendenfalls diese Sätze noch für angemessen?
Wenn nicht: welche Schritte hat sie bisher unternommen, diesen Vorwand, der manchen einer zeitgemäßen Regelung Widerstrebenden sehr gelegen ist, zu beseitigen, und sind unverzüglich — gegebenenfalls welche — Schritte zu erwarten?
Das Wort zur Beantwortung hat der Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Anordnung über die Vereinheitlichung der Erziehungsbeihilfen und sonstigen Leistungen an Lehrlinge und Anlernlinge in der privaten Wirtschaft vom 25. Februar 1943 ist in dem ehemaligen Land Baden ganz außer Kraft gesetzt, im übrigen durch tarifvertragliche Regelungen der Lehrlingsvergütungen weitgehend verdrängt, so daß sie praktisch nur noch geringe Bedeutung hat. Die in ihr enthaltenen Vergütungssätze müssen als unzureichend bezeichnet werden.
Eine gesetzliche Regelung der Lehrlingsvergütung ist nicht beabsichtigt. Die Lehrlingsvergütung gehört zum Bereich der Lohn- und Arbeitsbedingungen, der nach der heute allgemein herrschenden Auffassung den Sozialpartnern zur selbständigen Regelung überlassen bleiben soll. Der Staat soll hier größtmöglichste Zurückhaltung üben.
Eine bloße Aufhebung der Anordnung erscheint ebensowenig angebracht. Die Anordnung ist, abgesehen von den sowieso nicht mehr geltenden Bestimmungen, die die Sätze zu Höchstsätzen machten, ihrem Wesen nach nichts anderes als eine Tarifordnung. Auch die Tarifordnungen gelten bekanntlich weiter, bis sie durch neue Tarifverträge verdrängt werden, und sind durchaus noch nicht alle beseitigt.
Eine Zusatzfrage! Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß es trotz der von Ihnen vorgetragenen Rechtsauffassung noch Gebiete gibt, in denen unter Bezugnahme auf diese Anordnung die Neuregelung der Vergütungen für die Lehrlinge nicht durchgeführt ist? Welche Gründe stehen entgegen, klarzustellen, daß diese Verordnung nicht mehr gilt und daß die Regelung den Tarifpartnern überlassen ist?
Wir stehen hier vor derselben Rechtstatsache wie bei der Aufhebung der Tarifordnungen. Ich habe schon vor zwei Jahren die Absicht gehabt, sämtliche Tarifordnungen außer Kraft zu setzen. Dem haben aber einige Gewerkschaften widersprochen. Sie sagten: auf dem und dem Gebiet können wir auf die Tarifordnung noch nicht verzichten, weil wir noch keine Ersatztarifverträge für die betreffenden Gruppen geschaffen haben. Genauso liegt es hier.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Minister, es wird aber doch tatsächlich auf die Anordnung Bezug genommen. Ist Ihnen ein Fall bekannt, daß auch Gewerkschaften hierzu diesen Standpunkt vertreten, der bei den Tarifordnungen vertreten worden ist? Hier handelt es sich in Wirklichkeit doch nicht um eine Tarifordnung, wenn es auch im Ergebnis darauf hinauskommt. Welche Gründe stehen entgegen, von einem gewissen Zeitpunkt ab diese überholten Bestimmungen außer Kraft zu setzen? Das würde doch auch zur Bereinigung der Rechtslage führen.
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen gesagt, daß die Gewerkschaften — nicht alle, aber einige — sich bisher
dagegen gewehrt haben, daß Tarifverordnungen aufgehoben werden. Ich habe geglaubt, daß es innerhalb von acht Jahren den Tarifpartnern habe möglich sein müssen, alle Tarifordnungen durch Tarifverträge zu ersetzen. Ich kann hier nicht auf die Einzelheiten eingehen. Wenn Sie, Herr Abgeordneter, mir Fälle nennen, in denen sich der Lehrherr auf diese Verordnung beruft und heute noch diese zu niedrig gehaltenen Entschädigungssätze als Höchstsätze auslegt, bin ich gerne bereit, dafür zu sorgen, daß solche Mißstände beseitigt werden.
Danke schön.
Die Frage ist beantwortet.
Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. Schellenberg betreffend Verkündung des Gesetzes über die Krankenversicherung der Rentner:
Warum wurde das vom Bundestag am 19. April 1956 verabschiedete Gesetz Ober Krankenversicherung der Rentner nach Zustimmung des Bundesrates nicht im Laufe des Monats Mai verkündet, so daß die Rentner die Leistungsverbesserungen vom 1. Juli 1956 an hätten erhalten können?
Das Wort zur Beantwortung hat der Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz über die Krankenversicherung der Rentner ist vom Bundesrat im zweiten Durchgang am 4. Mai 1956 verabschiedet worden. Am 7. Mai ist die Zustellung an das Bundesministerium für Arbeit erfolgt. Die technischen Vorbereitungen für die Veröffentlichung und die Gegenzeichnung durch den Herrn Stellvertreter des Bundeskanzlers und die Ausfertigung durch den Herrn Bundespräsidenten haben einige Zeit benötigt, so daß die endgültige Unterzeichnung am 12. Juni erfolgte und am 15. Juni das Gesetz veröffentlicht wurde.
Für die Durchführung des Gesetzes sind die im Gesetz vorgesehenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Die Abstimmung mit den Ländern wurde am 20. Juni erledigt. Die endgültige Zustimmung des Bundesrats wird in kürzester Zeit erfolgen, so daß dann das Gesetz durchgeführt werden kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, warum haben Sie bei der großen sozialen Bedeutung dieses Gesetzes, dessen Entwurf drei Jahre vorlag, nicht die Vorbereitungen dafür getroffen, daß es schneller verkündet werden konnte? Ich hatte nicht nach der Durchführungsverordnung gefragt.
Herr Abgeordneter, dazu möchte ich Ihnen sagen: die Ursachen, die zu der Verzögerung geführt haben, haben nicht bei mir oder meinem Hause gelegen, und über andere Tatbestände kann ich Ihnen hier keine Auskunft geben.
Danke.
Die Frage ist beantwortet.
— Herr Abgeordneter Neumann, die Frage ist beantwortet im Sinne der für die Fragestunde geltenden Bestimmungen der Geschäftsordnung. Eine andere Feststellung vermochte der Präsident dazu nicht zu treffen.
Frage 17 des Abgeordneten Dr. Schellenberg betreffend Abweichung der vom Statistischen Bundesamt ermittelten durchschnittlichen Jahresarbeitsentgelte von den im Regierungsentwurf eines Rentenversicherungsgesetzes angegebenen:
Entspricht es den Tatsachen, daß die vom Statistischen Bundesamt ermittelten durchschnittlichen Jahresarbeitsentgelte von denen des Regierungsentwurfs eines Rentenversicherungsgesetzes abweichen?
Der Bundesminister für Arbeit.
Eine Überprüfung der statistischen Angaben, die wir vom Statistischen Bundesamt über die durchschnittlichen Bruttoarbeitsverdienste der Versicherten in der Invalidenversicherung und der Angestelltenversicherung erhalten haben, hat ergeben: die Abweichungen in den Angaben des Statistischen Bundesamtes von den Zahlen des Regierungsentwurfs sind darauf zurückzuführen, daß man dort die Einkommen ,a) der Lehrlinge, b) der beitragsfreien Rentner, c) der wegen geringfügiger Entlhnung versicherungsfreien Personen mit einbezogen hat. Diese Gruppen sind in der Berechnung des Regierungsentwurfs nicht enthalten, weil die Bundesregierung den tatsächlichen durchschnittlichen Bruttoarbeitsverdienst der Versicherten zur Grundlage ihrer Vorlage gemacht hat.
Eine Zusatzfrage?
Warum, Herr Minister, haben Sie sich nicht vor Verabschiedung der Gesetzesvorlage mit dem Statistischen Bundesamt in Verbindung gesetzt und die Zahlen mit diesem abgestimmt?
Herr Bundestagsabgeordneter, dazu kann ich Ihnen nur sagen: wenn ich eine Gesetzesvorlage mache und in meinem Haus die Unterlagen dafür erarbeitet werden, dann ist es nicht meine Aufgabe, überall nachzusuchen, ob irgendwo etwas anderes gesagt wird. Aus dem, was ich Ihnen hier gesagt habe, ersehen Sie ganz genau, daß das, was wir im Arbeitsministerium erarbeitet haben, einfach den Tatsachen entspricht. Daß nun diese anderen Zahlen in die Diskussion gekommen sind, erklärt sich daraus, daß man beim Statistischen Bundesamt diese drei Gruppen mit zur Grundlage gemacht hat. Das ist doch eine einfache Erklärung, die genügen müßte.
Eine weitere und letzte Zusatzfrage.
Herr Minister, Sie antworteten, es sei nicht Ihre Angelegenheit, überall nachzufragen. Ist nicht für Zahlenmaterial das Statistische Bundesamt die in erster Linie zuständige Stelle?
Herr Professor, dazu kann ich Ihnen nur noch einmal sagen: das Statistische Bundesamt hat Erhebungen in der Form zu erstellen, wie es sein Auftrag ist. Der ihm erteilte Auftrag wird wahrscheinlich dahin gehen, auch diese Gruppen in seine statistischen Erhebungen einzubeziehen. Wenn wir aber einen Gesetzentwurf vorbereiten, für den wir die tatsächlichen Verdienste der Versicherten errechnen wollen, dann können wir diese Gruppen nicht einbeziehen. Entscheidend ist doch, daß die Zahlen völlig übereinstimmen, wenn man diese Gruppen aus den Angaben des Statistischen Bundesamtes herausnimmt.
Die Frage ist beantwortet.
Frage 18, Abgeordneter Dr. Schellenberg. Die Frage betrifft die Vorlage des Jahresberichts des Gesamtverbandes der Familienausgleichskassen.
Warum liegt der am 15. Dezember 1955 angekündigte Jahresbericht des Gesamtverbandes der Familienausgleichskassen, der die Grundlage für eine Neufassung der drei Kindergeldgesetze bilden sollte, immer noch nicht vor?
Herr Bundesminister!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Mitteilung des Gesamtverbandes der Familienausgleichskassen ist der Jahresbericht bis auf die für die Beitragsseite sehr wichtige Frage des zentralen Ausgleichs zwischen den Familienausgleichskassen nach § 14 Abs. 3 des Kindergeldgesetzes fertiggestellt. Das für die Durchführung des Ausgleichs benötigte statistische Material lag Ende Februar bei dem Gesamtverband vor und ist dort verarbeitet worden. Am 20. April 1956 hat sich ,der Vorstand des Gesamtverbandes mit der Frage des Ausgleichs befaßt. Satzungsgemäß ist mit der vorgesehenen Frist der Vertreterversammlung des Gesamtverbandes Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Die Vertreterversammlung hat am 29. Mai 1956 die Durchführung des Ausgleichs nach Richtlinien angeregt, die von den beabsichtigten Maßnahmen des Vorstandes abweichen und neue Berechnungen erforderlich machen. Der Vorstand des Gesamtverbandes ist zu einer Sitzung am 4. Juli 1956 einberufen, in der über den Ausgleich Beschluß gefaßt werden soll. Der Bericht des Gesamtverbandes wird im Anschluß an diese Sitzung erstattet werden.
Eine Zusatzfrage!
Ist es also richtig, daß sich die Abrechnung weit komplizierter darstellt, als Sie bei den drei Beratungen der Kindergeldgesetze annahmen und dem Hause mitteilten?
Auf jeden Fall ist es so, daß die Vertreterversammlung über diese Dinge andere Auffassungen hat als der Vorstand.
Keine weitere Frage; dann ist auch diese Frage beantwortet.
Frage 19, Frau Abgeordnete Döhring. Die Frage betrifft die Nachzahlung von Witwenrenten.
Hält es der Herr Bundesarbeitsminister für richtig, daß die Nachzahlung von Witwenrente ab 1. August 1955 dann verweigert wird, wenn eine krankenversicherungspflichtige Witwe vor dem 1. August 1955 erkrankt war?
Läßt es sich nach Auffassung des Herrn Bundesarbeitsministers verantworten, daß diese Witwen, die ohnehin seit dem 1. Juni 1949 benachteiligt sind, auf die Nachzahlung ihrer Witwenrente infolge rückwirkender Anwendung des § 1286 RVO bis zum Ablauf des Krankengeldes verzichten müssen?
Herr Bundesminister, bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die erste der beiden Fragen, die die Frau Kollegin gestellt hat, bejahe ich. Das Gesetz über die Änderung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes vom 21. Januar 1956 schreibt vor, daß die Witwenrenten nach diesem Gesetz frühestens mit dem 1. August 1955 beginnen, sofern der Antrag bis spätestens 31. Juli 1956 gestellt wird. Das Gesetz hat aber im übrigen die allgemeinen Vorschriften der Reichsversicherungsordnung völlig unberührt gelassen, also auch die Vorschrift des § 1286 der Reichsversicherungsordnung, wonach bei Gewährung von Krankengeld die Rente erst mit dem auf den Wegfall des Krankengeldes folgenden Tag beginnt. Die von Ihnen geschilderte Rechtsübung entspricht also auch nach meiner Auffassung dem Gesetz. Ob ich sie selber für sehr glücklich halte, ist eine ganz andere Frage.
Zu der zweiten Frage ist meine Meinung die, daß die Vorschriften über den Rentenbeginn billigerweise einheitlich sein sollten und daß es deshalb richtig war, wenn ein Sondergesetz wie das genannte vom 21. Januar 1956 keine von der allgemeinen Regel abweichende Regelung getroffen hat. Das Problem des richtigen Rentenbeginns muß allgemein angepackt werden. Dies ist in Art. 1 § 1294 des Regierungsentwurfs des Rentenversicherungsgesetzes, dessen erste Lesung wir in diesem Hohen Hause nachher stattfinden lassen, geschehen, und zwar im Sinne einer bedeutenden Verbesserung der Vorschriften zugunsten der Versicherten und ihrer Hinterbliebenen.
Eine Zusatzfrage!
Ist dem Herrn Bundesminister für Arbeit bekannt, daß hierbei erneut ein großer Unwille unter den Witwen entsteht, nämlich zwischen denen, die zufällig einige Tage vor dem 1. August 1955 krank geworden sind und die Nachzahlung nicht bekommen, und denen, die am 1. August 1955 oder später krank wurden und die Nachzahlung erhalten? Besteht hier wirklich keine Möglichkeit, weil es sich um die rückwirkende Anwendung des § 1286 RVO handelt, noch nachträglich eine Ausnahme zu schaffen?
Frau Abgeordnete, das wird davon abhängen, ob der Ausschuß dieses Hohen Hauses in den Beratungen des neuen Gesetzes zu einer derartigen Entschließung kommt. Das kann ich Ihnen von hier aus nicht sagen. Die Gesetzgebung liegt bei diesem Hohen Hause.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte!
Eine zweite Zusatzfrage!
Ist der Herr Arbeitsminister damit einverstanden, daß diese Nachzahlung ab 1. August auch dann verweigert wird, wenn die betreffende verwitwete Frau gar keinen Krankengeldanspruch hatte, da ihr Gehalt fortgezahlt wurde? Hier dürfte doch die Nachzahlung nicht verweigert werden.
Frau Abgeordnete, hier liegt es ja letzten Endes so: Wenn diese Frau ihr Gehalt weiter bekommen hat als eine Entschädigung, die ihr gesetzlich für die Dauer der Krankheit zugesprochen ist, dann kann ich sie nicht anders behandeln als die Frau eines gewerblichen Arbeiters, die in dieser Zeit auch noch ein bedeutend geringeres Äquivalent bekommt, nämlich nur ihr Krankengeld, während die Angestellte ja schließlich ihr Gehalt für sechs Wochen weiter erhält. Ich möchte also vor allen Dingen nicht, daß man nunmehr den gewerblichen Arbeiter auf diesem Gebiet noch schlechter stellt, als es für den Angestellten heute geregelt ist. Aber wir werden ja, wie ich vorhin schon sagte, durch die neue Ordnung dafür sorgen, daß diese unterschiedliche Behandlung nicht mehr möglich ist.
Damit ist auch diese Frage beantwortet.
Meine Damen und Herren, ich habe vor einer halben Stunde das Haus darauf hingewiesen, daß die Fragestunde keine Beratungsstelle ist. Sie ist auch keine Rechtsauskunftstelle, schon deswegen nicht, weil die Herren Minister kein Recht haben, Gesetze authentisch zu interpretieren.
Frage 20, Frau Abgeordnete Döhring. Die Frage betrifft die Richtlinien und Durchführungsverordnung zur Erledigung von Feststellungsverfahren bei Kriegssachgeschädigten, denen durch den Kriegsschaden sämtliche Unterlagen verlorengegangen sind:
Ist dem Herrn Bundesfinanzminister bekannt, daß die Ausgleichsämter seit beinahe zwei Jahren auf die Richtlinien und Durchführungsverordnung zur Erledigung von Feststellungsverfahren bel Kriegssachgeschddigten warten, denen durch den Kriegsschaden sämtliche Unterlagen verlorengegangen sind?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Die Schadensfeststellung bei Kriegssachgeschädigten ist von einer Rechtsverordnung abhängig, aber nur in den verhältnismäßig sehr seltenen Fällen, daß weder der Geschädigte noch das zuständige Finanzamt geeignete Unterlagen mehr zur Verfügung haben. Die diesbezügliche 8. Feststellungsdurchführungsverordnung ist schon seit einiger Zeit ausgearbeitet. Die Ausgabe hat sich dadurch verzögert, daß einige Sonderfragen Schwierigkeiten machten und infolgedessen eine Abstimmung mit den Ländern notwendig war. Der Entwurf liegt zur Zeit beim Bundesministerium der Justiz zur üblichen Prüfung und wird der Bundesregierung im Anschluß daran vorgelegt werden.
Eine Zusatzfrage!
Ist dem Herrn Bundesfinanzminister bekannt, daß es sich bei den meisten Betroffenen um Personen in hohem Lebensalter handelt, die dringend auf diese Durchführungsverordnung warten, damit noch zu ihren Lebzeiten die Regelung erfolgt, weil der Zins und die Tilgung des Aufbaudarlehens sie eben doch zu sehr drücken?
Die Einzelheiten über Zahl und Zusammensetzung der Personen, die auf die Rechtsverordnung warten, sind mir zwar nicht bekannt; aber ich darf Sie versichern, daß es das Bemühen des Bundesfinanzministeriums ist, diese Rechtsverordnung jetzt möglichst zu beschleunigen.
Die Frage ist beantwortet.
Die letzte Frage vor Schluß der Fragestunde, Frage 21 — Frau Abgeordnete Hütter — betrifft die Lage der noch festgehaltenen deutschen Kriegsverurteilten infolge des Rücktritts maßgeblicher Mitglieder des gemischten Gnadenausschusses:
Hat die Deutsche Bundesregierung etwas unternommen, um die Frage der noch festgehaltenen deutschen Kriegsverurteilten, die durch die Rücktritte maßgeblicher Mitglieder des gemischten Gnadenausschusses noch immer ansteht, einer abschließenden Lösung zuzuführen?
Das Wort zur Beantwortung hat Herr Staatssekretär Professor Hallstein.
Herr Präsident, ich darf die Frage der Frau Abgeordneten wie folgt beantworten.
Die Bundesregierung hat die ihr möglichen und die geeigneten Schritte in dieser Frage unternommen. Sie hat bei diesen Bemühungen auch darauf hingewirkt, daß infolge des Ausscheidens des amerikanischen Mitglieds des Gemischten Ausschusses, Herrn Upton, der in diesen Tagen in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt ist, keine Unterbrechung in der Arbeit des Ausschusses eintritt.
Ich erfahre soeben. daß die amerikanische Regierung als neues Mitglied des Gemischten Ausschusses Herrn Spencer Phenix vorgesehen hat, der am 1. Juli in der Bundesrepublik eintreffen soll, um hier seine Tätigkeit aufzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Ansicht, daß die Bundesregierung Verhandlungen mit den Gewahrsamsmächten von deutschen Kriegsgefangenen aufnehmen sollte mit dem Ziel. z. B. den Strafvollzug den deutschen Justizhehörden zu übertragen. um so mehr, als Symptome für eine Bereitwilligkeit der Gewahrsamsmächte zu einer solchen Lösung des Problems vorhanden sind?
Die Bundesregierung ist bereit, diese Anregung zu prüfen. Ich darf aber darauf aufmerksam machen, daß wir bei dieser Prüfung auf die Frage stoßen werden, ob die Übernahme des Strafvollzugs nicht die Anerkennung der Urteile einschließt. Ich darf daran erinnern, daß bei den Verhandlungen über den Deutschlandvertrag und seine Anhänge die Übernahme des Strafvollzugs deshalb nicht vorgesehen worden ist, weil man die Anerkennung der Urteile vermeiden wollte. Es ist aus diesem Grunde im Ersten Teil, Art. 6. des Überleitungsvertrages vorgesehen worden, daß für die weitere Durchführung des Strafvollzugs ein Vorbehaltsrecht der ehemaligen Alliierten bestehen bleibt. Ich will damit nicht ausschließen, daß die Frage neu geprüft wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Damit ist die Fragestunde abgeschlossen. Die nicht beantworteten Fragen werden auf die nächste Fragestunde vorgetragen, soweit die Damen und Herren, die die Fragen gestellt haben, sich nicht mit einer schriftlichen Antwort begnügen wollen.
Meine Damen und Herren, zwischen einigen Fraktionen des Hauses ist vereinbart worden, daß der Antrag der Fraktion der SPD betreffend Knappschaftsversicherung, Drucksache 2560, auf die heutige Tagesordnung genommen werden soll. Die Drucksache wird den Abgeordneten in den nächsten Augenblicken zugehen. Ich frage das Haus, ob die Tagesordnung in der angedeuteten Weise ergänzt werden soll. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Widerspruch erhebt sich nicht; die Tagesordnung ist um den Antrag Drucksache 2560 erweitert. Ich schlage vor, daß man diese Angelegenheit unmittelbar nach Punkt 2 behandelt; sie gehört ja in die Nähe des Gesetzentwurfs, der als Punkt 2 behandelt werden wird.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten (Drucksachen 2437, zu 2437).
Das Wort zur Begründung hat der Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierung legt Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten vor. Es hat langer und intensiver Arbeit bedurft, um diesen Gesetzentwurf fertigzustellen und im Volk die geistige Atmosphäre zu schaffen, die für die Annahme und die Durchführung eines derartigen Gesetzes notwendig ist.
Seit Jahren ringen alle gutmeinenden Kräfte im deutschen Volk um die Lösung der Frage, wie man eine bessere soziale Sicherung für die breiten Volksschichten, die als Arbeitnehmer im Wirtschaftsleben stehen, finden könne. Diesem Suchen nach neuen Wegen begegnet man nicht nur in der Bundesrepublik, sondern wir beobachten es in allen Industriestaaten der Welt. Dies hängt einmal mit den allen industrialisierten Völkern gemeinsamen inneren Entwicklungsgesetzen zusammen und ist zum anderen auch durch die weiter fortschreitende Integration der westlichen Welt auf sozialpolitischem Gebiet bedingt. In einer Reihe übernationaler Gremien arbeitet die Bundesrepublik mit anderen Ländern auf sozialpolitischem Gebiet zusammen, wobei gemeinsame Zielsetzung den Austausch von Anregungen und Erfahrungen befruchtet.
Die Bundesrepublik hatte im Vergleich zu vielen anderen Nachbarstaaten nach dem Kriege ein schweres Beginnen. Sie mußte sowohl auf wirtschaftlichem als auch auf politischem Gebiet nach einem verlorenen Krieg völlig neu anfangen. Bei einem infolge der wirtschaftlichen Zerrüttung zunächst noch geringen Sozialprodukt mußte zusätzliche soziale Lasten übernommen werden, die infolge des Krieges und der Nachkriegsschäden auf uns zugekommen waren. Ich verweise hierbei auf die Kriegsopferversorgung, auf die Hilfe für die 7 Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge, für die Ausgebombten und Evakuierten. Solche Lasten hatte kein anderes Volk zu tragen.
Im Zuge der wirtschaftlichen Gesundung konnten mannigfache Verbesserungen der sozialen Leistungen durchgeführt werden, die aber naturge-
mäß mehr von den Erfordernissen und Möglichkeiten des Augenblicks bestimmt waren. Je mehr sich unsere politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse festigten, um so mehr konnte daran gedacht werden, die Zweckmäßigkeit des Systems der sozialen Sicherung einer gründlichen Prüfung zu unterziehen.
Wie Sie sich erinnern werden, gehen die Bemühungen von Regierung und Parlament um die Sozialreform bereits in die Zeit des 1. Deutschen Bundestages zurück. Ich darf in diesem Zusammenhang an die Beratungen des Hohen Hauses am 21. Februar 1952 erinnern, in denen der gemeinsame Wille aller politischen Parteien, das Recht der sozialen Sicherung neu zu ordnen, eindeutig zum Ausdruck gebracht wurde. Das Ergebnis dieser Beratungen war ein Auftrag an mich, einen Beirat für die Neuordnung der sozialen Leistungen zu berufen. Dieser auf Beschluß des Deutschen Bundestages entstandene Beirat setzte sich aus Vertretern aller Parteien, der Spitzenverbände der Sozialpartner, der Sozialleistungsträger sowie aus sonstigen Sachverständigen und Wissenschaftlern zusammen und hat inzwischen in jahrelanger mühsamer Kleinarbeit vieles dazu beigetragen, daß wir heute in die Beratung des Ihnen vorliegenden Gesetzes eintreten können. Die Notwendigkeit einer umfassenden Sozialreform ist dann von der Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung vom :j. Oktober 1953 noch einmal deutlich herausgestellt worden.
In der Zwischenzeit hat in aller Öffentlichkeit eine ausgiebige Diskussion über die zweckmäßigste Form einer neuen sozialen Ordnung stattgefunden, an der sich neben vielen Wissenschaftlern und Sozialpolitikern auch viele Mitglieder dieses Hohen Hauses beteiligt haben. Die einen sprachen von der unbedingten Aufrechterhaltung der klassischen Sozialversicherung. Sie konnten bei ihren Argumenten darauf verweisen. daß diese soziale Ordnung. wenn auch unter größten Schwierigkeiten, zwei Weltkriege und die folgenden Währungszerrüttungen überstanden habe. Vielfach wurde dabei aber übersehen, daß diese soziale Ordnung unter der Voraussetzung aufgebaut war, daß wir normale Verhältnisse behalten würden.
Herr Minister, darf ich Sie kurz unterbrechen. Herr Bundesminister Dr. Seebohm, wenn Sie sich mit Beamten unterhalten wollen, dann bitte ich das auf der Regierungstribüne zu tun. Bringen Sie doch einen Beamten nicht in die Verlegenheit. auf einem Abgeordnetensitz Platz nehmen zu müssen!
— Herr Professor Schellenberg, ich würde Sie doch bitten, mich ebenso anzuhören, wie ich vor einiger Zeit Sie angehört habe, als Sie Ihren Plan vortrugen. Ich habe mir damals keine Mühe gegeben, Sie durcheinanderzubringen.
Die grundsätzlichen Fragen waren in der vorausgegangenen Diskussion weitgehend geklärt worden, so daß diese Abschlußarbeiten nur die gesetzliche Formulierung der vorliegenden Grundsatzerkenntnisse gebracht haben.
Ich sagte bereits, daß die Diskussion um die Sozialreform sich vor allem mit dem Funktionswandel beschäftigte, den das System der sozialen Sicherung in der jüngsten Vergangenheit durchgemacht hat. Wenn wir an die Zeit zurückdenken, in der unter der Schirmherrschaft von Bismarck die deutsche Sozialversicherung geschaffen wurde, dann stellen wir fest, daß damals im sozialpolitischen Raum andere Voraussetzungen, von denen
der Gesetzgeber auszugehen hatte, gegeben waren als die, die wir heute finden. Zu jener Zeit war der Mensch im allgemeinen in dem Sicherheitsverband der Familie eingebettet. Diese Familiengemeinschaft beruhte auf andersartigen wirtschaftlichen und gesellschaftsstrukturellen Voraussetzungen als heute, wo der Besitz von Haus und Hof als wirtschaftliche Grundlage für die Familie nur noch für einen kleinen Teil der Bevölkerung von Bedeutung ist.
Seit der Zeit der Schaffung der deutschen Sozialversicherung ist die Mehrheit der Bevölkerung von der ländlichen Lebens- und Arbeitsweise zu einer städtisch und industriell geprägten Lebensführung übergegangen. Wir müssen hier die realen Tatbestände klar sehen und dürfen uns nicht auf irgendwelche ideellen Vorstellungen verlas-. sen. Im sozialpolitischen Raum gilt einfach der Tatbestand und nicht das, was man gerne hätte. Es entsprach also den damaligen Gegebenheiten, wenn man die Rente aus der sozialen Rentenversicherung entsprechend der Vorstellungswelt, wie sie um die Jahrhundertwende herrschte, als einen Zuschuß zur Lebenshaltung ansah.
Inzwischen ist aus der damaligen Minderheit der abhängigen Beschäftigten eine überwiegende Mehrheit geworden. Die Menschen haben sich vereinzelt. Die wirtschaftliche Einbettung in den Schoß der Familie kann nicht mehr als Regel gelten. Auch hohe und wachsende Einkommen schützen den Menschen nicht mehr vor der Unsicherheit des Daseins. Eher ist sogar das Gegenteil richtig. Je besser man verdient, um so härter empfindet man den Verlust eines regelmäßigen Arbeitsentgeltes.
Wir können also feststellen, daß sich mit zunehmendem Wohlstand auch ein zunehmendes Sicherheitsbedürfnis geltend macht. Aus diesem Grunde haben wir allen Anlaß, das geltende System der sozialen Sicherheit daraufhin zu prüfen, ob es auf alle diese gesellschaftlichen und ökonomischen Wandlungen, die sich in den vergangenen 70 Jahren vollzogen haben, noch ausreichend Rücksicht nimmt. Wir haben hierbei nicht nur an die Millionenzahl derer zu denken, die heute schon Renten beziehen, sondern auch an diejenigen, die in der Zukunft auf Renten angewiesen sein werden. Deshalb gilt es, eine gesellschaftspolitische Entscheidung zu fällen. Es entspricht unserer heutigen Auffassung von der Würde des Menschen und seiner Arbeit, wenn wir uns bemühen, ein Auseinanderfallen von Verdienenden und Nichterwerbstätigen zu beseitigen und für die Zukunft zu verhindern. Wir müssen dabei helfen, daß sichergestellt wird, daß jeder Rentenbezieher am Aufstieg seines Standes oder seines Berufes teilnimmt, und zwar nach Maßgabe seiner individuellen Position im Sozialgefüge, die er sich und den Seinen während der Dauer seines Arbeitslebens erarbeitet hat.
Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die alten Menschen in der Zeit, als sie selbst noch im arbeitsfähigen Leben standen, das Ihrige zur Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse beigetragen haben und daß die gegenwärtig schaffende Bevölkerung zum Teil von ihren Vorleistungen zehrt, dann ist es, glaube ich, selbstverständlich, daß auch sie im Ruhestand an den Früchten der gemeinsamen Anstrengungen der Generationen teilhaben. Die Sicherstellung des einmal erworbenen Lebensstandards ist dann nicht ein Akt der Barmherzigkeit seitens der jeweils Erwerbstätigen oder gar des Staates, sondern die Erfüllung einer geschuldeten Pflicht und der Ausdruck einer von den Umständen begründeten Solidarität zwischen den Generationen. Auf diesem Wege wird es uns gelingen, den Riß, der sich in unserer Gesellschaft zwischen den Verdienenden und den nicht mehr Verdienenden abzuzeichnen droht, zum Verschwinden zu bringen. So wie die Gemeinschaft das Eigentum des einzelnen schützt, muß sie auch das Arbeitseinkommen schützen. Unser Ziel muß sein, den Menschen das Bewußtsein zu geben, daß sie sich auch nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben den Lebensunterhalt selbst verdient haben.
Ich hoffe, hiermit deutlich gemacht zu haben, daß es uns um mehr als um die Lösung des Problems des Alters- und Invalidenrentners und der Hinterbliebenen geht.
Wir haben uns bei der Erarbeitung dieses Gesetzes von dem Gedanken leiten lassen, daß es nicht nur Hilfe für diejenigen bringen soll, die alt und invalide geworden sind oder den Ernährer verloren haben, sondern daß auch eine Stärkung des Lebensgefühls für jeden Arbeitenden während seines ganzen Arbeitslebens erreicht werden muß.
Wie bei der Schaffung der Sozialversicherungsgesetze diese staatspolitische Grundeinstellung das Fundament der ganzen Gesetzgebung war, so hat sich auch diesmal über alle vordergründigen Argumente hinweg diese Grundauffassung von der Verpflichtung der Staatsführung durchgesetzt. Das Vertrauen des einzelnen in die Gemeinschaft, in die er geboren und in die er mit seiner Arbeit hineingestellt ist, soll dadurch gestärkt werden, daß die Menschen für einen wichtigen Abschnitt ihres Lebens nicht von der Entwicklung der gesamten Gemeinschaft ausgeschlossen werden. So wie es eines unserer vornehmsten Ziele ist, die Freiheit der Einzelperson im Rahmen der Gesamtheit zu stärken und zu schützen, so muß auch diese Sicherheit gestärkt und geschützt werden. Diese gesellschaftspolitische Grundentscheidung, die jedem Arbeiter und Angestellten das Vertrauen in die Stabilität seiner Alters- und Invaliditätssicherung gibt, will damit zugleich das Vertrauen des Bürgers zu der Gemeinschaft, die ihm diese Sicherheit gewährt, stärken.
Von hier aus versteht sich auch die Entscheidung der Kernfrage des Entwurfs, nämlich der Frage nach der Rentenformel. Die Rentenberechnung erfolgte bisher nach einer starren, d. h. lediglich den Nennwert der Beiträge berücksichtigenden Rentenformel. Bei der Festlegung dieser Formel am Ende des vergangenen Jahrhunderts konnte man noch nicht übersehen, daß die Fortschritte der Technik und der Produktivität, die durch menschliche Energie und Erfindergeist erfolgten, solche stürmischen Ausmaße annehmen würden. Der technische Fortschritt führte zu einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität und damit zu einer Produktionsausweitung, die sich ganz allgemein in dem fortlaufend steigenden Lebensstandard niederschlägt. Die gestiegene Produktivität hat steigende Löhne und Gehälter zur Folge.
Die gegenwärtige Rentenformel erwies sich als ungeeignet, den Rentner an dieser Gesamtentwicklung in entsprechender Weise teilnehmen zu lassen. Wiederholte Rentenerhöhungsgesetze mit lebhaften Auseinandersetzungen führten zu unsystematischen, unübersichtlichen und beim Fortgang
der Entwicklung sehr bald unbefriedigenden Teillösungen. Der durch die Entwicklung hervorgerufenen unbefriedigenden Rentenerhöhung steht auf der anderen Seite die Tatsache gegenüber, daß sich die Einnahmen der Rentenversicherungsträger infolge prozentualer Bemessung der Beiträge im Einklang mit den Lohn- und Arbeitsverhältnissen entwickelten und zu ständig wachsenden Vermögensüberschüssen führten.
Auf seiten der Bundesregierung besteht Einmütigkeit darüber, daß eine schematische Versorgung, die jeden Menschen unabhängig von seiner Lebensleistung auf ein Einheitsrentenniveau herabdrückt, für unser Volk nicht in Frage kommen kann. Deshalb geht die neue Rentenformel von dem Gedanken aus, daß das Einkommen des einzelnen seinen Beitrag zur Erstellung des Sozialprodukts der jeweiligen Periode zum Ausdruck bringt. Die für den Rentner so nachteilige Veränderung der Löhne und Gehälter im Laufe eines längeren Arbeitslebens ließ sich dadurch abfangen, daß man zum Maßstab der Beiträge eine von solchen Veränderungen unabhängige Größe herangezogen hat. Auf diese Weise konnte die Höhe der Renten dem jeweiligen Stand der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt werden.
Der Grundgedanke einer elastischen Rentengestaltung ist inzwischen auch in denjenigen Kreisen anerkannt worden, die sich zunächst den soeben angedeuteten Erkenntnissen zu verschließen suchten. Die Meinungsverschiedenheiten beschränken sich gegenwärtig ,auf die Frage nach dem Ausmaß der Rente. Der Grundgedanke des neuen Rentenbemessungsverfahrens ist also der folgende: Wenn durch eine Erhöhung des Sozialprodukts die Gesamtmasse dessen, was unserem Volk zum Verzehr zur Verfügung steht, vergrößert wird, so sollen an dieser Erhöhung der Verbrauchsgütermenge auch die Rentner teilnehmen.
Ich darf noch einmal betonen, daß es sich hierbei nicht um ein Geschenk an die alten Menschen handelt. Wir vollziehen vielmehr lediglich einen Akt der Gerechtigkeit, weil die alten Menschen in früheren Jahren mit die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß gegenwärtig mehr Güter erzeugt werden und zur Verfügung gestellt werden können.
Seit die Beschlüsse der Bundesregierung über die Alters- und Invaliditätssicherung bekanntgeworden sind, macht man sich an vielen Stellen Gedanken über die wirtschaftlichen Auswirkungen. Natürlich sind wir alle daran interessiert, daß die sozialpolitisch für notwendig gehaltene Regelung und der daraus sich ergebende zusätzliche Rentenaufwand keine schädlichen Folgen für unsere Wirtschaft haben. Doch kann ich keineswegs einsehen, welche schädlichen Auswirkungen von der vorgeschlagenen Neuregelung ausgehen könnten.
Man hat zuweilen von inflationistischen Wirkungen gesprochen. Da jedoch die Renten sich in der Zukunft stets und immer nur in Abhängigkeit von der Lohnentwicklung bewegen und sich ihr mit zeitlicher Verzögerung anpassen werden, ist nicht einzusehen, warum ausgerechnet davon eine Inflationsgefahr ausgehen sollte. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß die Rentner niemals mehr für Konsumzwecke ausgeben können, als die arbeitende Generation vorher in Form von Beiträgen an Konsumverzicht auf sich genommen hat. Bedenken Sie bitte bei solchen Überlegungen, daß die Gesamtsumme der Renten, die wir in der sozialen Rentenversicherung zahlen, stets nur einen
Bruchteil der Gesamtsumme ausmacht, die für den privaten Verbrauch aller Menschen des Volkes ausgegeben wird.
Ebenso scheinen mir Besorgnisse bezüglich der Stabilität unserer Währung im Zusammenhang mit einer Neuordnung der Renten nicht begründet zu sein. Man kann doch kaum anerkennen, daß eine ungerechte Rentenordnung bestehen müsse, weil die Möglichkeit bestehe, daß sich die Preis--und Lohnentwicklungen nicht im Rahmen des vernunftmäßig Gebotenen hielten. Ich kann nur nochmals betonen, daß es sich bei den Renten um abgeleitetes Einkommen handelt, von dem keine schädlichen Wirkungen ausgehen können, solange diejenigen richtig handeln, die für Löhne und Preise verantwortlich sind. Letzten Endes hängt natürlich jede Art der sozialen Sicherung, sei sie nun modern oder weniger modern, in ihrem Erfolg von der Stabilität der Preise und der Sicherung der Währung ab. Ich glaube, wir können in diesem Punkt den Hütern unserer Währung weithin vertrauen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Finanzierungsverfahren sagen. Die soeben geschilderten Fortschritte fallen naturgemäß nicht vom Himmel, sie wollen erarbeitet und bezahlt sein. Bezahlen kann sie stets nur die arbeitende Bevölkerung, unabhängig davon, über welche Konten man diese Gelder verrechnet. Ich glaube, daß es gerade zur Festigung der Freiheit der Einzelperson in unserem Wirtschaftsleben führt, wenn wir die erhöhte Sicherheit nicht als ein Geschenk, sondern als das Ergebnis eigener Arbeit und eigenen Verzichts ansehen.
Eine Abhängigkeit vom Staate sollte bei einer Neuordnung der sozialen Sicherheit im Interesse aller Menschen soweit wie möglich vermieden werden. Dies läßt sich gegenwärtig nicht in vollem Umfange vermeiden. Doch soll die Alterssicherung auf jeden Fall ohne eine staatliche Beteiligung allein aus Beiträgen finanziert werden. Es ist für den Versicherten wertvoll, die rechnungsmäßige Beziehung zwischen seinem Beitragsaufkommen und der Rentenleistung klar zu übersehen. Hierin liegt für die Versicherten auch die Sicherheit, daß der Rechtsanspruch auf Rente unangefechten bleibt, so daß hier eine Bedürftigkeitsprüfung niemals eingeschaltet werden kann. Auch das trägt zur Stärkung und Wiederherstellung der Würde des Alters im Rahmen der Gesamtgesellschaft bei. So werden auch die Versicherten eine Beitragshöhe als gerecht empfinden, die eine auskömmliche Rente verspricht und finanziert.
Für den Fall der Invalidität liegen die Verhältnisse anders, so daß hier auch die Leistungsgestaltung unterschiedlich sein muß. Wenn ein Versicherter noch vor Erreichung der Altersgrenze wegen einer Beeinträchtigung seiner Erwerbsfähigkeit aus dem Arbeitsleben ausscheiden muß, so wird auch dann, wenn er bis dahin schon eine gute Einkommensposition erworben hat, die Versicherungsdauer oft nicht dazu ausreichen, eine angemessene Rentenhöhe zu gewährleisten. Der Entwurf sieht eine wesentliche Verbesserung der Leistungen im Falle der Invalidität vor. Es gilt, solche Familien, die von dem Unglück einer vorzeitigen Invalidität des Ernährers betroffen werden, in ihrer wirtschaftlichen Existenz zu sichern und insbesondere für die Fälle vorzusorgen, in denen noch Kinder zu unterhalten sind. Das Risiko der vorzeitigen Invalidität
muß von der Gesamtheit der Staatsbürger mit getragen werden. Aus diesem Grunde sind für solche Fälle Staatszuschüsse notwendig, berechtigt und in der Gesetzesvorlage vorgesehen.
Der Entwurf unterscheidet bei der Rentenbemessung zwischen Invalidität und völliger Erwerbsunfähigkeit. Die Rente für völlig erwerbsunfähige Personen soll in ihrer Höhe der Altersrente entsprechen.
Die Hilfe bei vorzeitiger Invalidität ist noch aus einem anderen Grunde ein gesellschaftspolitisches Anliegen, dem wir unsere ganze Aufmerksamkeit schenken müssen. Die Krankheitshäufigkeit der Bevölkerung hat sich gesteigert, die körperlichen und seelischen Anspannungen haben Abnutzungserscheinungen zur Folge, so daß trotz der verlängerten Lebenserwartung die Arbeitsfähigkeit in den vorgerückten Lebensjahren nicht in gleichem Umfange gestiegen, sondern eher geringer geworden ist. Es kann jedoch nicht unser einziges sozialpolitisches Ziel sein, die Lebenserwartung der Menschen zu erhöhen, sondern wir müssen auch dafür Sorge tragen, daß sie dieses verlängerte Leben in Gesundheit durchleben können. Eine wirkliche Lebensfreude kann sich nur in einem gesunden Körper entwickeln.
Dieses Anliegen hat natürlich auch die angenehme Auswirkung, daß wir mit Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit der Menschen wieder Menschen der Produktion zuführen können, die vorher zur Untätigkeit verurteilt waren. Damit werden der Produktionskraft unseres Volkes wie auch der Beitragsleistung der Versicherungsgemeinsch aft erhöhte Beiträge zugeführt und die gesamte Rentenlast vermindert. Aber Sie alle werden mit mir darin einig sein, daß wir hierin nicht den vornehmsten Zweck dieser Maßnahmen erblicken. Es geht uns vor allem darum, die Menschen gesund und froh zu machen. Hierbei dürfen wir sicherlich von der gemeinsamen Auffassung ausgehen, daß ein Leben erst durch Arbeit seinen wahren Sinn erhält.
Die Bedeutung, die die Bundesregierung diesem Komplex beigemessen hat, ersehen Sie bereits daraus, daß in den Vorschriften des Entwurfs die Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Gesundheit und damit der Erwerbsfähigkeit als selbständige Aufgabe der Rentenversicherungsträger der Gewährung von Renten und sonstigen Leistungen vorangestellt werden. Aus einzelnen Formulierungen des Entwurfs ergibt sich, daß solche Maßnahmen auch dann durchgeführt werden können, wenn sie nicht zur Einsparung oder zum Wegfall einer Rente führen, also auch zur Herstellung der Gesundheit der Rentner, die bereits eine feste Rente beziehen. Die Rentenversicherungsträger werden hier ein reiches und ausbaufähiges Arbeitsfeld vorfinden. Sie werden sich dieser Aufgabe, entsprechend der Grundtendenz des Gesetzentwurfs, daß Vorbeugung und Wiederherstellung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit wichtiger sind als die Gewährung von Rente, in stärkerem Maße zuwenden können, als es bisher der Fall war.
Hierbei ist auch dafür Sorge zu tragen, daß der Erfolg der medizinischen und berufsfördernden Hilfen nicht dadurch beeinträchtigt wird, daß der Betreute während der Dauer der Wiederherstellungsmaßnahmen für sich und seine Familie von wirtschaftlichen Sorgen belastet ist. Als neuartige
Leistung wird deshalb ein sogenanntes Übergangsgeld vorgesehen.
Es ist klar, daß der Erfolg der wiederherstellenden Maßnahmen im wesentlichen davon abhängt, daß gesundheitliche Schäden möglichst frühzeitig erkannt werden. Der Entwurf sieht deshalb vor, daß die Träger der Krankenversicherung und die Arbeitsverwaltung dem Rentenversicherungsträger sofort mitteilen müssen, wenn ihnen Fälle bekannt werden, in denen vorbeugende oder wiederherstellende Maßnahmen angezeigt erscheinen.
Zusammenfassend darf ich sagen, daß das neue Sicherungssystem unvollkommen wäre ohne die geschilderten Maßnahmen mit dem Ziel einer planmäßigen Zurückdämmung und Einschränkung der vorzeitigen Invalidität. Schließlich ist es die Gesellschaft ihren Mitgliedern auch schuldig, daß sie das Möglichste auf diesem Gebiet nicht ungetan läßt. Ich vertraue hier für die Zukunft auf eine langfristig angelegte Gemeinschaftsarbeit der Ärzte, der Psychologen, der Berufsberater und der Arbeitsvermittler, für die wir versucht haben, in dem vorliegenden Entwurf eine solide Grundlage für ihre weitere Arbeit zu schaffen.
Ich kann im Augenblick nur versuchen, Ihnen die wesentlichen Anliegen des Entwurfs vor Augen zu führen. Neben den bereits bekannten Punkten bringt der Entwurf für Witwen und Waisen eine Besserung der sozialen Sicherung in mehrfacher Weise. Die Witwenrenten werden auf 6/10 der Versichertenrente heraufgesetzt. Damit wird dem Sachverhalt Rechnung getragen, daß der Lebensbedarf für eine Person mehr erfordert als den Betrag, der bei einem Haushalt von mehreren Personen auf den einzelnen entfällt. Die Waisenrenten werden auf einen Betrag erhöht, der sich ebenfalls mit der wirtschaftlichen Entwicklung verändert. Damit wird auch für die heranwachsende Generation besser gesorgt werden können, als es bisher möglich war. Mit all dem fördert der Entwurf die wirtschaftliche Lage der Familienhaushalte, in denen eine Witwe für Kinder zu sorgen hat.
Wesentliche Änderungen des bisherigen Systems werden weiterhin auch dadurch bewirkt, daß in Zukunft allen Arbeitnehmern, also Arbeitern und Angestellten, im wesentlichen die gleiche Sicherung gegeben wird. Damit werden zugleich Ungerechtigkeiten, die insbesondere in der bisherigen Rentenformel für Angestellte mit längerem Arbeitsleben hervorgetreten sind, ausgeglichen, wie andererseits eine Angleichung von Arbeitern und Angestellten dadurch erfolgt, daß die Leistungen für Arbeiter an diejenigen der Angestellten herangehoben werden. Eine systematische Gleichstellung wird schon deshalb vermieden, weil die neue Rentenformel das individuelle Arbeitsleben des einzelnen getreu widerspiegelt.
Doch aus dieser Rechtsangleichung darf nicht geschlossen werden, daß damit irgendwelche Vereinheitlichungstendenzen gefördert werden sollen. Das Angestelltenversicherungsgesetz wird als besonderes Gesetz aufrechterhalten bleiben. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bleibt nicht nur als selbständiger Versicherungsträger für die Angestellten erhalten, sie kann vielmehr gerade in dem erweiterten Aufgabenbereich der Prävention und Rehabilitation die besonderen, für ihre Versicherten speziell erforderlichen und auf deren Wesensart und Bedürfnisse abgestellten
Maßnahmen und Hilfen medizinischer und berufsfördernder Art gestalten und ausbauen.
Abschließend darf ich noch auf ein weiteres wesentliches Anliegen des Entwurfs eingehen. Er bringt eine Wiederherstellung der Rechts- und der Gesetzeseinheit auf dem Gebiete der Rentenversicherung. Die unterschiedliche Anwendung des am Kriegsende erlassenen Rechts sowie der Erlaß von Länder- und Zonenregelungen von 1945 bis 1949 brachten es mit sich, daß bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt in verschiedenen Gebieten der Bundesrepublik unterschiedliches Recht angewandt wird. Noch wichtiger war vielleicht die Aufgabe der Wiederherstellung der Gesetzeseinheit auf dem Gebiete der Rentenversicherung. Das bedeutet eine Übernahme der in vielen Gesetzen, Verordnungen und Erlassen getroffenen Regelungen in ein Gesetz. Infolge der Kriegs- und Nachkriegsgesetzgebung wurden die maßgebenden und von der Praxis anzuwendenden Vorschriften immer unübersichtlicher. Deshalb erstrebt der Entwurf auch eine übersichtliche Gestaltung des gesamten Rechtsgebiets.
Die soziale Sicherung berührt eine der wichtigsten Existenzbedingungen der modernen Gesellschaft. Sie beeinflußt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ebenso wie die Lebenshaltung der gesamten Bevölkerung. Es liegt in ihrer Macht, Einzel-und Massennotstände zu verhindern, produktive Kräfte zu wahren und zu entfalten und für die Herstellung und Wahrung eines geordneten Gemeinwesens unter dem Prinzip sozialer Gerechtigkeit einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Dieses Ziel rechtfertigt nicht nur die langjährige, vielfältige und weithin andauernde Bemühung der verantwortlichen Stellen, sondern auch die lebhafte Teilnahme der breitesten Öffentlichkeit.
Zu einer umfassenden Sozialreform gehören sicherlich neben der Alters- und Invaliditätssicherung noch viele andere Gebiete, von denen ich nur die Versorgung, die Fürsorge, die Unfallversicherung, die Krankenversicherung, die Familien- und die Jugendhilfe sowie die soziale Sicherung der Selbständigen erwähne. Ich glaube jedoch, wir sind uns darüber einig, daß nicht so lange gewartet werden kann, bis für alle diese Komplexe die gesetzgeberische Gesamtlösung gefunden ist. Die Bundesregierung war der Auffassung, daß Einzelmaßnahmen, deren innerer Zusammenhang keineswegs verkannt werden soll, von verschiedener Dringlichkeit sind. Auf dem Gebiete der Rentenreform ist die Meinungsübereinstimmung am weitesten gediehen. Also hielten wir es für richtig, dieses Problem, das mir persönlich ein Herzensanliegen ist, bevorzugt zu behandeln und einer beschleunigten gesetzlichen Regelung zuzuführen. Eine Modernisierung der Alters- und Invaliditätssicherung wird ihre heilsame Wirkung auf unsere gesellschaftliche Verfassung nicht verfehlen. Wir alle wollen daran mithelfen, daß die Alten, Invaliden und Hinterbliebenen künftig gleichberechtigte Mitglieder der Gesamtheit sind. Ich hoffe, daß unser Vaterland mit diesem Werk wieder eine führende Stellung auf dem Gebiete der Sozialpolitik in der Welt einnimmt, wie es ehemals gewesen ist.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist eingebracht und begründet. Ich eröffne die allgemeine Aussprache in erster Lesung.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre sicher das Gegebene, hier bei der ersten Lesung des Gesetzes zur Neuregelung der Rentenversicherung auf die Gesamtsituation bezüglich der Sozialreform einzugehen. Nachdem dies mein Kollege Preller bei der Haushaltsberatung in der letzten Woche getan hat, kann ich davon Abstand nehmen, um so mehr, als bei dieser Beratung der Herr Bundesarbeitsminister meines Wissens erstmalig zugegeben hat, daß er sich bezüglich der Vielfalt der Probleme, die in Zusammenhang mit der Sozialreform geordnet werden müßten, geirrt und getäuscht habe. Wir wollen deshalb heute davon absehen, die vielen Versäumnisse und Versprechungen der Bundesregierung in bezug auf die Sozialreform wieder ins Gedächtnis zurückzurufen.
— Dazu läßt sich sehr viel sagen, und darüber könnte ich allein mehrere Stunden sprechen, Herr Kollege Ruf.
Aber es ist genug zu diesem Gesetz zu sagen, und
ich möchte die Zeit hierfür in Anspruch nehmen.
Ich nehme auch davon Abstand, was noch näher läge, den sogenannten Grundentwurf, den die Bundesregierung bzw. das Bundesarbeitsministerium offenkundig unter dem Druck des SPD-Gesetzentwurfs vorgelegt hat, — —
— Meine Damen und Herren, ich werde auf diese Dinge im einzelnen noch eingehen, und Sie werden manches daraus entnehmen können, was Ihnen vielleicht noch nicht bekannt ist.
Ich nehme davon Abstand, hier die Unterschiede zwischen dem Grundentwurf vom April — angeblich nach eingehender Vorarbeit erarbeitet — und dem Regierungsentwurf vom Mai im einzelnen darzulegen.
Ich stelle lediglich fest, daß das Bundesarbeitsministerium jedenfalls teilweise unserer Bitte entsprochen hat, nämlich bei nochmaliger Bearbeitung der Materie den Gesetzentwurf der SPD zu Rate zu ziehen, und einige, wenn auch viel zu wenige Gedanken noch nachträglich in den Grundentwurf hineingearbeitet hat,
viel zu wenige!
Ich setze mich also heute lediglich mit der Frage auseinander, ob der Gesetzentwurf der Bundesregierung der Zielsetzung, die sie selbst in der Einleitung zur Begründung darlegt, entspricht, nämlich, wie es dort wörtlich heißt, „die . . . soziale Sicherung für die Alten und Invaliden, Witwen und Waisen entsprechend den geselLschaftlichen Erfordernissen und den wirtschaftlichen Gegeben-
heiten unserer Zeit neu zu gestalten". Das ist die
Zielsetzung, von der die Bundesregierung spricht.
Der Aufbau und die weitere Gestaltung des Gesetzes entsprechen aber nicht dieser Zielsetzung und dieser Ankündigung, schon unter dem Gesichtspunkt der Gesetzessystematik. Durch Art. 1 des Gesetzentwurfs werden einige Abschnitte des Vierten Buches der Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 abgeändert, die §§ 1226 bis 1234, 1240 bis 1318 usw. Das scheint uns gesetzessystematisch kein guter Weg zu sein; denn nach unserer Auffassung muß eine Neuordnung der Rentenversicherung auch das geltende Sozialrecht vereinfachen und übersichtlicher gestalten. Wenn in dem vorliegenden Gesetzentwurf einzelne Abschnitte eines 45 Jahre alten, sehr kompliziert und unübersichtlich gewordenen Gesetzes eine neue Fassung erhalten, so führt das nach unserer Auffassung nicht zu der ersten Voraussetzung einer Sozialreform, nämlich einer Vereinfachung des Sozialrechts.
Man soll gewiß die gesetzgeberische Arbeit darauf abstellen, daß im Zusammenhang mit dieser Neuordnung später einmal eine Bundesversicherungsordnung entstehen soll und alles in diesem neuen zusammenfassenden Gesetz kodifiziert wird; aber das wird wegen der Versäumnisse der Bundesregierung noch sehr lange auf sich warten lassen. Bis dahin wäre es notwendig und richtig gewesen, ein Gesetz wenigstens für die Rentenversicherung zu schaffen, damit 'derjenige, der über Angelegenheiten der Rentenversicherung unterrichtet sein will, dieses Gesetzbuch zur Hand nehmen kann.
Durch Art. 2 dieses Gesetzes werden einzelne Abschnitte des Angestelltenversicherungsgesetzes
— nicht das ganze Angestelltenversicherungsgesetz
— vom Dezember 1911 neu gefaßt. Von den 48 Paragraphen dieses neuen Gesetzes bestehen 43 Paragraphen im wesentlichen aus Verweisungen auf die Reichsversicherungsordnung.
Aber damit nicht genug! Wenn jemand etwas über die Rentenversicherung der Angestellten wissen will, dann genügt es nicht, daß er die zwei Gesetze — das Angestelltenversicherungsgesetz neuer Fassung, wie es Ihnen vorschwebt, und die Reichsversicherungsordnung mit den Änderungen des Vierten Buches — zur Hand nimmt, sondern er muß noch ein drittes Gesetz heranziehen, nämlich das Gesetz über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Wir meinen, daß das schon in der Anlage keine glückliche und sinnvolle Konzeption ist.
— Aber hören Sie doch einmal! Wie der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat, hat man lange Zeit gründlicher Vorbereitung benötigt, um eine neue Konzeption zu gewinnen, und jetzt ist die Sache schon zu Beginn bei der Einbringung so kompliziert, daß jeder Angestellte, der etwas über Angestelltenversicherung wissen will, nach Ihrem eigenen Vorschlag mit drei verschiedenen Gesetzbüchern arbeiten muß. Wir halten das nicht für sinnvoll.
Meine Damen und Herren, schauen Sie sich einmal diese Vorlage, die vor Ihnen liegt, an. Da haben wir außer den Artikeln 1 und 2 noch die
Artikel 3 und 4, und auch diese Artikel beginnen mit einer neuen Nummernfolge, wie sich das aus dieser Systematik ergibt, mit den §§ 1, 2, 3, so daß man bei diesem Gesetz dreimal mit den §§ 1, 2, 3 usw. zu arbeiten hat. Ob das eine Vereinfachung und sinnvolle Neugestaltung ist, möchten wir doch sehr bezweifeln.
In diesem Zusammenhang ein Wort zur Rentenversicherung der Angestellten. Die SPD hat in ihrem Gesetzentwurf, der die Rentenversicherung der Angestellten weiter bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte beläßt und diese Rentenversicherung finanziell von der der Arbeiter trennt, durchaus die soziologische Eigenständigkeit der Angestellten anerkannt. Es ist aber ein unabdingbarer Grundsatz sozialdemokratischer Politik — und da wissen wir uns sowohl mit den Arbeitern wie den Angestellten einig —, daß gleiche soziale Pflichten auch gleiche soziale Rechte bedingen.
Das heißt also, daß Arbeiter und Angestellte, wenn sie die gleichen Beiträge zu leisten haben, auch den Anspruch auf die gleichen Leistungen erhalten sollen.
Ich glaube, das entspricht den Grundsätzen der Gerechtigkeit, und dem trägt, wie der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat, der Gesetzentwurf nur „im wesentlichen" Rechnung, nämlich in einem wichtigen Punkte, auf den ich noch eingehen werde, nicht. Das halten wir für eine sehr unglückliche Regelung.
Nun zu der Frage des Kreises der Arbeitenden, die durch den vorliegenden Gesetzentwurf in die Rentenversicherung einbezogen werden sollen. Der Gesetzentwurf 'der Regierung sieht in gleicher Weise wie der der SPD die Einbeziehung aller Arbeiter und Angestellten vor. Wir begrüßen es, daß die Regierung endlich zu dieser Auffassung gekommen ist und daß damit eine Ungerechtigkeit gegenüber den Angestellten beseitigt wird, die für kürzere oder längere Zeit über der Einkommensgrenze liegen und ihre Alterssicherung bisher ohne den Beitragsanteil des Arbeitgebers zu bestreiten hatten. Die Regierung setzt als Einkommens- und Leistungsgrenze im Gesetzentwurf den Betrag von 750 DM fest. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß dieses Haus bereits im Jahre 1952 durch das Gesetz über die Erhöhung der Einkommensgrenzen die gleiche Beitrags- und Leistungsgrenze festgesetzt hat. Da der Gesetzentwurf jedenfalls bezüglich des Umfangs der Beiträge eine Dynamik festlegt, wäre es konsequent gewesen, nun auch diese Beitrags- und Leistungsgrenze der Entwicklung seit 1952 anzupassen.
Dann wäre die Regierung auf die Beitrags- und Leistungsgrenze gekommen, die die Sozialdemokraten mit 1000 DM in ihrem Gesetzentwurf festgelegt haben.
Der Gesetzentwurf beschränkt die Möglichkeit zur freiwilligen Versicherung. Hiervon werden vor allen Dingen die Hausfrauen betroffen. Die SPD sieht in dieser Einschränkung der freiwilligen Versicherung einen bedauerlichen Rückschritt.
Nun zu den Leistungen. Als erste Leistungsart führt der Gesetzentwurf Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Er-
werbsfähigkeit durch Heilbehandlung und Berufsförderung an. Der Ausdruck findet sich in unserem Gesetzentwurf und ist — um Ihnen nur ein Beispiel zu geben — aus ihm übernommen worden. Die erstrangige Position dieser Leistungen im Regierungsentwurf kann aber nicht über den völlig unzureichenden Inhalt der Leistungen hinwegtäuschen. Dafür möchte ich Ihnen nur drei Beispiele geben.
Erstens werden nur Leistungen zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit gewährt, nicht zur Erhaltung der Gesundheit des Menschen. Lediglich der Schutz der Erwerbsfähigkeit soll im Sinne einer Möglichkeit der Verhütung späterer Rentenleistungen Inhalt des Gesetzes sein. Das ist nach den großartigen Ankündigungen über Prävention, Rehabilitation usw. eine Enttäuschung; denn Inhalt und Sinn aller solchen Maßnahmen muß der ganze Mensch sein. Es geht um die Erhaltung seines Gesundheitszustandes und nicht nur um Maßnahmen, die auf einen Teilbereich, die Erwerbsfähigkeit, abgestellt sind.
Diese Maßnahmen werden — und das ist der zweite Einwand — grundsätzlich nur für Versicherte, aber nicht im Prinzip für Familienangehörige und Rentner gewährt. Wir sind der Überzeugung, daß es auf diese Weise bei dem heute sehr unerfreulichen und unbefriedigenden Zustand weiterhin bleiben würde, daß der Mensch, der die Altersgrenze von 60 Jahren erreicht hat, für ein Heilverfahren, für gesundheitliche Maßnahmen als zu alt bezeichnet wird, wie das die gegenwärtige Praxis ist.
An diesem Grundsatz hält der Gesetzentwurf fest und bringt keinen Fortschritt. Wir meinen, daß ein Gesetz, das unter dem großen Motto einer besseren Alterssicherung steht, in dieser Form eine gesundheitspolitische Fehlkonstruktion ist.
Unser dritter Einwand gegen diese Leistungen ist, daß sie nach wie vor Kann-Leistungen bleiben, also in das Ermessen des Versicherungsträgers gestellt sind und selbst dann, wenn die Notwendigkeit derartiger Maßnahmen ärztlich nachgewiesen wird, kein Rechtsanspruch auf sie besteht. Das war schon bisher für die Maßnahmen des Heilverfahrens der Sozialversicherung ein empfindlicher Nachteil, der nun weiter beibehalten werden soll.
Im übrigen mache ich schon darauf aufmerksam, daß im Hinblick auf den Gesamtbereich der gesundheitlichen Leistungen dieser Gesetzentwurf nicht dazu geeignet ist, die Spannungen zwischen den Bereichen der Renten- und der Krankenversicherung zu mildern und ihr Verhältnis sinnvoller zu gestalten, sondern daß in diesem Gesetzentwurf ein Zündstoff liegt für sehr unerfreuliche Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen beiden Bereichen.
Der Entwurf schafft ferner Gefahren für Spannungen zwischen den Trägern der Rentenversicherung und den freiberuflich tätigen Xrzten, denn in diesem Gesetz sind Vorschriften enthalten, die praktisch in die Belange der freiberuflich tätigen Arzte eingreifen. Die Sozialdemokraten haben in ihrem Gesetzentwurf gesagt: Der behandelnde Arzt ist beratend hinzuzuziehen. Die Bundesregierung sagt das nicht nur nicht, sondern sie greift in den Bereich des Arztes des Vertrauens des Versicherten in vielfältiger Weise ein. Das im einzelnen darzulegen, wird vielleicht Angelegenheit der hier anwesenden Damen und Herren sein, die Ärzte sind. Aber ich möchte namens der Sozialdemokraten schon hierauf aufmerksam machen.
Im übrigen sind wir der Auffassung, daß es der Gesetzentwurf in diesem Bereich der gesundheitlichen Leistungen unterläßt, ,die notwendigen, ich möchte sagen: psychologischen Voraussetzungen für die Weckung eines aktiven Interesses — einer inneren Bereitschaft — des Versicherten an diesen gesundheitlichen und berufsfürsorgerischen Maßnahmen zu schaffen. Denn ohne die innere Bereitschaft des einzelnen Menschen sind diese Maßnahmen zum Scheitern verurteilt. Typisch hierfür ist eine Überschrift im Grundentwurf bei § 1248.
— Ja, ja, Regierungsentwurf! Der Grundentwurf ist hier übernommen, Herr Kollege! — Diese Überschrift lautet: „Folgen der Verweigerung von Maßnahmen durch Betreute." Schon allein diese Formulierung zeigt also, wie die Richtung geht. Wir sagen, das ist eine falsche Richtung. Man muß versuchen, für all diese Maßnahmen die aktive, die innere Bereitschaft der betreffenden gesundheitsgefährdeten Menschen zu gewinnen. Sonst ist die Sache von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Wir sind der Meinung, daß die in dem Gesetzentwurf enthaltenen Vorschriften über diesen gesamten Bereich der Erhaltung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit in keiner Weise den hieran geknüpften Erwartungen entsprechen. Sie sind kein wichtiger Schritt, noch nicht einmal ein erster Schritt zur Neuordnung dieser gesundheitlichen Leistungen.
Nun, meine Damen und Herren, zu den Renten. Der Regierungsentwurf geht wie der Entwurf der Sozialdemokraten von einer Beitragsrente aus. Mit Interesse stellen wir fest, daß die Regierung in bezug auf die Berücksichtigung der Zeiten des Kriegsdienstes, der Krankheit, der Arbeitslosigkeit, der Schul- und Berufsausbildung seit jenem Grundentwurf unter Eindruck des sozialdemokratischen Entwurfs neue und bessere Formulierungen gefunden hat.
— Ach, wissen Sie, ich weiß noch viel mehr, als Sie denken. Ich weiß — um es Ihnen zu sagen —, daß an dem Abend, an dem der sozialdemokratische Gesetzentwurf vorlag, im Bundesarbeitsministerium Nachtarbeit geleistet wurde, um auf Grund der Vorschriften des sozialdemokratischen Gesetzentwurfs die entsprechenden Formulierungen für den Grundentwurf zu prägen.
Und das, nachdem Sie jahrelang versucht haben, mit der „großartigen" sozialpolitischen Konzeption Vorschußlorbeeren zu gewinnen.
So sind die Realitäten! Sie haben geredet, und wir haben an der Sozialreform aktiver gearbeitet als Sie.
Nun zu dem Kernstück der Ordnung; das ist die Altersrente. Wir sind der Auffassung, daß die Altersrente das Kernstück der sozialen Neuordnung in dem Sinne sein soll, daß der Mensch, der ein Leben lang gearbeitet hat, auf Grund dieses gesamten Arbeitslebens eine Rente in einem Zeitpunkt erhalten soll, in dem es ihm möglich ist, noch einige Jahre seines Lebens ohne den wirtschaftlichen Zwang zu Erwerbstätigkeit zu verbringen. Deshalb stellt nach Auffassung der Sozialdemokraten die Altersgrenze von 65 Jahren ein unbedingtes Maximum dar. Wir sind der Auf f as-sung, daß alle Bestrebungen darauf gerichtet werden müssen, diese Altersgrenze nach Möglichkeit, mindestens für besondere Gruppen, noch herabzusetzen.
Wir haben deshalb mit großer Sorge von der Erklärung des Sozialkabinetts vom 18. Januar Kenntnis genommen, daß es — wie es heißt —„dem Versicherten durch Weiterarbeit nach Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren freistehen soll, eine Erhöhung seiner Rente zu bewirken". Meine Damen und Herren, eine Erhöhung einer Rente, von der Sie und der Herr Minister sagen, sie soll völlig ausreichend werden! Die Erhöhung einer „voll ausreichenden Rente" durch Weiterarbeit über das 65. Lebensjahr hinaus scheint uns ein innerer Widerspruch zu sein. Wir haben deshalb, als diese Erklärung der Bundesregierung herauskam, mit großem Ernste vor derartigen Plänen gewarnt und haben mit Interesse davon Kenntnis genommen, daß der vorliegende Gesetzentwurf keinen Anreiz, ich möchte sagen, keinen indirekten Zwang zu einer Weiterarbeit über das 65. Lebensjahr hinaus enthält.
Aber um so mehr waren wir überrascht, als der Herr Bundeswirtschaftsminister in der Regierungserklärung zur Konjunkturpolitik am vergangenen Freitag ankündigte, daß die Regierung
— wie es heißt — „bei der Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs Vorschläge zur Begünstigung der Beschäftigten zur Erörterung stellen will, die über die Altersgrenze hinaus arbeiten wollen".
In den Erklärungen des Herrn Bundesarbeitsministers habe ich nichts Konkretes über diese Pläne der Regierung, die das Kabinett hier vorgeschlagen hat, gehört. Vielleicht besteht also auch hier eine Disharmonie innerhalb der Regierung, indem der Herr Bundeswirtschaftsminister namens der Regierung etwas anderes verkündet, als der Herr Bundesarbeitsminister wenige Tage später bei der Debatte dieses Gesetzes erklärt, auf das der Herr Wirtschaftsminister ausdrücklich Bezug genommen hat. Wir sind der Auffassung, daß dadurch in der Frage der Altersgrenze eine sehr ernste Situation geschaffen worden ist, und ich möchte dringend bitten, daß der Herr Bundesarbeitsminister nachher noch klar und präzise zu dieser Frage Stellung nimmt.
Ich glaube, die gesamte Öffentlichkeit hat ein Recht
darauf, von dem dafür verantwortlichen Minister
— und das ist der Herr Bundesarbeitsminister — zu hören, welches die Auffassungen der Bundesregierung über die Frage der Altersgrenze und die sogenannte Förderung der Weiterarbeit über das 65. Lebensjahr hinaus sind.
— Aber, hochverehrte Frau Kollegin,
— ich will nicht etwas Böses sagen —: wenn Sie einen wirtschaftlichen Anreiz zur Weiterarbeit schaffen, dann bringen Sie die Menschen, die vor dieser Altersgrenze stehen, in einen schweren Konflikt.
Dann wird sich jede Familie überlegen: „Vater, beantragst du jetzt die Rente, dann reicht sie nicht aus; oder arbeitest du weiter, um eine höhere Rente zu erhalten?" Das wird die Frage von Hunderttausenden von Menschen sein, die bei der Altersgrenze von 65 Jahren angelangt sind. Das ist doch die Situation des praktischen Lebens. Geben Sie sich, hochverehrte Frau Kollegin Weber, in dieser Hinsicht keiner Täuschung hin!
Deshalb bringt man die Menschen in eine unmögliche Lage, wenn man als Anreiz sagt: Durch Weiterarbeit kannst du höhere Steigerungbeträge erreichen.
— Aber das ist doch der Inhalt. Weshalb erklärt denn der Herr Bundeswirtschaftsminister so etwas. Dem liegen doch Gedanken und Pläne zugrunde. Und wenn Sie sie heute nicht aussprechen, dann werden Sie uns in den Ausschußberatungen damit überraschen.
Hierüber müssen wir Klarheit haben. Nachdem diese Erklärung des Wirtschaftsministers abgegeben worden ist, wollen wir eine Antwort haben; darauf haben wir einen Anspruch.
Die SPD hält, wie Sie wissen, die Herabsetzung der Altersgrenze nicht nur für Männer in gefährdeten Berufen für erforderlich, sondern auch für Frauen. Die SPD hat deshalb mit Befriedigung davon Kenntnis genommen, daß der Bundesrat unter Hinweis auf die Empfehlungen der ersten europäischen Regionalkonferenz des Internationalen Arbeitsamts vorschlug, wenigstens für die Frauen, die in den letzten zehn Jahren erwerbstätig waren, die Altersgrenze von 60 Jahren einzuführen. Die Bundesregierung hat bedauerlicherweise diese Empfehlung des Bundesrates abgelehnt
mit einer sehr interessanten Begründung, nämlich daß ein erheblicher Teil der versicherten Frauen angeblich eine solche Regelung wegen der damit verbundenen Gefahr — so heißt es wörtlich
— vorzeitiger Verdrängung vom Arbeitsplatz nicht wünscht.
Meine Damen und Herren, wie ist die Situation? Als einziges Land der Bundesrepublik besteht eine diesbezügliche Regelung in Berlin, die wir dem Wirken unserer verehrten Frau Kollegin Louise Schroeder verdanken.
Sie wird bestätigen — ich sehe Frau Kollegin Dr. Lüders im Augenblick nicht im Saal, auch sie würde es in gleicher Weise bestätigen —: Keine der über 50 000 Frauen, die diese Vergünstigung in Berlin erhalten, hat sich jemals darüber be-
schwert, sondern sie sind in Sorge, daß möglicherweise jetzt durch eine bundesgesetzliche Regelung die Altersgrenze für nicht mehr erwerbstätige Frauen in Berlin von 60 auf 65 Jahre heraufgesetzt wird.
Das ist die Situation. Ich bedaure deshalb eine
solche Erklärung, in der die Bundesregierung ein
solch ernstes Anliegen mit einigen Sätzen abtut.
Ich nehme der Regierung diese Begründung nicht ab. Nicht das scheint entscheidend zu sein, was in der Stellungnahme der Bundestagsdrucksache steht, sondern das, was der Bundesarbeitsminister im Bundesrat dazu ausgeführt hat, indem er nämlich laut Protokoll diesem Vorschlag, die Altersgrenze für Frauen herabzusetzen, im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen widersprochen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten in einer solchen Angelegenheit doch wenigstens mit offenen Karten spielen.
Es ist eine schlechte Sache, wenn der Herr Minister in der Bundesratssitzung eine derartige Erklärung im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen abgibt und dann die Regierung in ihrer offiziellen Mitteilung sagt, die Frauen selbst wünschten eine solche Regelung nicht.
Mit dem weiteren Hinweis der Regierung, daß, soweit bei Frauen — so heißt es in der Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates — in stärkerem Umfang als bei Männern vor Erreichung der Altersgrenze Invalidität eintrete, die Gewährung der Invalidenrente den Ausgleich bringe, wird doch nichts anderes gesagt, als daß die Frauen zwischen 60 und 65 Jahren die Rente erst erhalten sollen, wenn sie gesundheitlich verbraucht sind. Das ist doch mit verhüllten Worten der Tatbestand, auf auf den die Bundesregierung Bezug nimmt. Wir glauben, daß ist eine unsoziale und eine sehr bedenkliche Begründung.
Im Zusammenhang mit dieser Frage der Altersgrenze muß die SPD auch schwere Bedenken dagegen erheben, daß die Bundesregierung den Vorschlag des Bundesrates, auch Arbeitern, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und ein Jahr arbeitslos sind, eine bedingte Altersrente zu gewähren, mit der Begründung abgelehnt hat, für Arbeiter sei ein Bedürfnis für eine solche Regelung nicht gegeben.
Meine Damen und Herren, das ist doch wirklich fadenscheinig. Denn wenn tatsächlich kein Bedürfnis bestehen sollte, würde von der gesetzlichen Möglichkeit, eine solche Altersrente in Anspruch zu nehmen, kein Gebrauch gemacht werden.
Wir bitten doch, ernsthafte sozialpolitische Anliegen etwas gründlicher und etwas sorgsamer zu würdigen und sich mit ihnen ernsthafter auseinanderzusetzen
als mit solchen allgemeinen hingeworfenen Bemerkungen. Das entspricht nicht der Schwere des Problems. Wenn die Bundesregierung prinzipielle Ausführungen zur Altersgrenze gemacht oder gesagt hätte, was sie bezüglich der älteren Arbeitslosen an Konstruktivem tun wollte, dann wäre das für uns auch noch nicht befriedigend. Aber man kann nicht einfach sagen: Die Frauen wollen nicht die niedrige Altersgrenze, oder wie der Herr Bundesarbeitsminister — er trägt die politische Verantwortung, deshalb muß ich den Herrn Bundesarbeitsminister immer ansprechen — im Ausschuß des Bundesrats erklärt hat: den Arbeitern ist mit einer solchen Altersrente von 60 Jahren bei Arbeitslosigkeit nicht gedient, weil — so sagte er wörtlich — diese Rente dann niedriger ist als die Arbeitslosenunterstützung.
Das ist eine sehr interessante Begründung in einem Augenblick, in dem die Bundesregierung erklärt, die Invalidenrenten seien höchst wirksam. Sie sollen also nach der eigenen Erklärung des Bundesarbeitsministers niedriger sein als die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung; denn nur bei längerer Arbeitslosigkeit kommt eine solche Leistung in Frage. Ich muß ernsthaft bitten, alle diese Anliegen mit einem größeren sozialen Veranwortungsbewußtsein zu beurteilen und nicht kurze Abweisungen zu erteilen.
Nun zu der Frage der Höhe der Renten! Die Altersrente soll nach dem Regierungsentwurf einen Steigerungsbetrag von 1,5 vom Hundert gewährleisten. Diese Rente ist — das möchte ich im Hinblick auf die Erläuterungen in der Begründung hier sehr nachdrücklich erklären — nicht ausreichend, vor allen Dingen deshalb nicht, weil in dem Regierungsentwurf die Fehlzeiten beispielsweise der Arbeitslosigkeit und Krankheit nicht voll ausgeglichen werden. Im ganzen ergibt sich unter Berücksichtigung der Fehlzeiten eine unzureichende Rente. Ich beziehe mich dabei nicht auf die Worte, die in der Begründung stehen, sondern auf das Zahlenmaterial. Es ist zwar sehr dürftig, aber einiges kann man daraus entnehmen. Aus dem Zahlenmaterial ist ersichtlich, daß die Bund esregierung selbst unterstellt, daß das Arbeitsleben eines Arbeiters im normalen Ablauf infolge der Fehlzeiten nur zu 79 vom Hundert, vom 15. Lebensjahr an, mit Beitragszeiten belegt ist. Wenn Sie also Berechnungen anstellen, dann kommen Sie für die Zeit vom 15. Lebensjahr bis zur Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren nicht, wie in der Begründung zu lesen ist, auf 50 mal 1,5 %, sondern nach dem Inhalt Ihres eigenen Zahlenmaterials nur auf 39,5 mal 1,5 % des Arbeitsverdienstes als Rente. Also selbst wenn ein Mensch vom 15. Lebensjahr normal bis zum 65. Lebensjahr gearbeit hat, beträgt die Rente 59 % des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes, in dem natürlich auch der Arbeitsverdienst der Lehrlingsjahre oder der absinkende Verdienst in den Krisenzeiten oder im Alter einbegriffen sind. Wenn Sie diese Dinge berücksichtigen, dann kommt die Altersrente unter 50 vom Hundert dessen, was ein Mensch normalerweise verdient, selbst wenn er vom 15. bis zum 65. Lebensjahr im Arbeitsleben gestanden hat. Wir Sozialdemokraten halten eine solche Rente sozialpolitisch für unzureichend. Deshalb haben wir gesagt, daß die Steigerung höher sein muß und daß alle Fehlzeiten ausgeglichen werden sollen, um das sozialpolitische Ziel einer wirklich ausreichenden Sicherung des alten Menschen zu erreichen.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu weiteren Auführungen in der Begründung. Die Re-
gierung bringt Beispiele und unterstellt, ein Mensch habe im Arbeitsleben ständig die durchschnittliche Verdienstgrundlage erzielt. Wenn das ein Versicherter liest und das auf sich wirken läßt, dann denkt er und rechnet sich aus: Mein durchschnittlicher Arbeitsverdienst ist jetzt in der allgemeinen Bemessungsgrundlage 340 DM, und ich erhalte für jedes Jahr, in dem ich gearbeitet habe, 1,5 % von 340 DM. Das ist falsch. Es gibt keinen Menschen, der in seinem ganzen Arbeitsleben immer diesen Höhepunkt erreicht hat. Das ist unmöglich; denn der Mensch beginnt in der Ausbildungszeit, und es gab auch Krisenzeiten. Deshalb führt es einfach zu Irrtümern — ich glaube, es ganz vorsichtig zu sagen —, wenn man rechnet, die allgemeine Bemessungsgrundlage werde für das gesamte Arbeitsleben zugrunde liegen. So etwas soll man nicht tun; es führt irre. Wir wollen hier Sozialpolitik machen und den Menschen im Zusammenhang mit den Gesetzesberatungen Erklärungen geben, die den Realitäten entsprechen oder ihnen ganz nahe kommen und nicht bei ihnen Illusionen erwecken. Im Zusammenhang damit rechnen sich nämlich die Leute jetzt schon aus, sie erhielten eine Rente von 60 oder 75 % des Höhepunktes. Nach dem Regierungsentwurf nicht! Deshalb ist es unser Anliegen, eine bessere Leistung zu erreichen.
Die Regierung hat auch einen wichtigen sozialen Grundsatz nicht beachtet: daß wir, wenn wir zu einer ausreichenden Alterssicherung kommen wollen, den Arbeitsverdienst des Menschen, der früher als Landarbeiter oder Heimarbeiter unzureichend entlohnt worden ist, auf einen Mindestarbeitsverdienst aufstocken müssen. Das tut die Regierung nicht. Die Sozialdemokraten haben gefordert, von einem Mindestarbeitsverdienst von 200 Mark auszugehen, um zu erreichen, daß der alte Mensch, der ein ganzes Leben gearbeitet hat, dann ohne Fürsorgeunterstützung leben kann.
Das ist durch Ihren Gesetzentwurf leider nicht gewährleistet.
Nun zu den Renten wegen vorzeitiger Berufsunfähigkeit. Die Regierung führt einen neuen Begriff der Invalidität ein. Er ist gewissermaßen eine Mischform der Begriffe der Invalidenversicherung für Arbeiter und der Berufsunfähigkeit der Angestellten. Damit wird der Begriff der Berufsunfähigkeit für die Angestellten — das müssen wir nachdrücklich feststellen — verschlechtert. Die Sozialdemokraten lehnen eine solche Verschlechterung ab.
Wir fordern gleiche Behandlung der Arbeiter und Angestellten. Wir wollen aber nicht die Neuordnung zu Lasten der Angestellten durchführen. Deshalb haben wir gefordert, den in der Angestelltenversicherung bewährten Begriff der Berufsunfähigkeit auch auf Arbeiter anzuwenden und hier nicht eine Nivellierung zuungunsten der Angestellten herbeizuführen.
Zur Höhe der Invalidenrente! Der Steigerungsbetrag der Invalidenrente beträgt im allgemeinen 1 %. Das bedeutet gegenüber der bisherigen Rente eine Verschlechterung, denn einschließlich der Zulagen erhält der Arbeiter jetzt eine Steigerung von 1,5 %.
— Auf die Zurechnung komme ich noch, Herr Kollege Ruf. Ich kann nicht alles erörtern, aber das will ich noch erwähnen. — Das bedeutet, daß der Steigerungsbetrag für den vorzeitig arbeitsunfähigen Menschen — unabhängig von der Zurechnung, auf die ich noch eingehen werde — um 50 % gesenkt wird, nämlich von 1,5 auf 1 %, und daß der Rentner außerdem den Grundbetrag, den festen Teil der Rente von 40 Mark in der Rentenversicherung der Arbeiter und von 70 Mark bisher in der Rentenversicherung der Angestellten verliert. Ich muß ein wenig auf Zahlen eingehen; das ergibt sich leider aus der Materie. Der Herr Ministerialdirektor hat gestern in einem anderen Zusammenhang ein sehr großes Wort gesprochen. Er hat erklärt, nach diesem neuen Gesetzentwurf könne sich jeder Arbeiter und Angestellte seine Rente selbst errechnen. Ich empfehle Ihnen, es selbst einmal zu versuchen. Bitte, unternehmen Sie es! Sie werden Ihr blaues Wunder erleben!
Diese Dinge sind außerordentlich kompliziert; vielleicht liegt das in der Materie. Aber man soll nicht die Öffentlichkeit über die sogenannte Vereinfachung irreführen. Das, was ein Repräsentant des Arbeitsministeriums gesagt hat, ist eine Irreführung.
Um in dieser Hinsicht noch etwas zu sagen: Es stimmt nicht und es kann nicht stimmen, daß Sie im Arbeitsministerium Tausende von Modellfällen durchgerechnet haben. Das kann nicht stimmen! Dazu sind die Grundlagen des Gesetzes viel zu schlecht und viel zu unausgegoren. Wer Tausende von Fällen durchgerechnet hätte, der wäre auf Probleme gestoßen, von denen Sie vielleicht heute noch nichts wissen; aber wir werden Ihnen dies im Sozialpolitischen Ausschuß darlegen.
Ich kann nicht auf alle diese Einzelheiten eingehen. Aber das Entscheidende ist, daß trotz der Zurechnung bei der Versicherungsdichte von 79 %, wie im Regierungsentwurf steht, der Invalide im allgemeinen auf eine Rente von 31 % seines durchschnittlichen Arbeitsentgeltes kommt.
Das ist Tatsache, und andere Zahlen, die Sie draußen verkünden, stimmen nicht, Das muß und soll ganz klargestellt werden. Es gibt zwar, wie Sie sagen werden — der Herr Minister hat darauf hingewiesen —, auch eine Rente für Vollerwerbsunfähige. Vollerwerbsunfähig ist aber derjenige, der praktisch überhaupt nicht mehr imstande ist, etwas zu verdienen. Das werden noch nicht 10 % aller Berufsunfähigen sein. Darüber haben wir Unterlagen aus der Kriegsopferversorgung und aus anderen Bereichen, z. B. aus der Unfallversicherung. Da wissen wir genau Bescheid. Wir halten deshalb die Zurechnung für eine schlechte Sache.
Im übrigen ist die Konstruktion — um Ihre Frage, Herr Kollege Ruf, bezüglich der Zurechnung zu beantworten — fehl angelegt, um es bescheiden zu sagen. Es wird nämlich das Arbeitsleben zugrunde gelegt, als ob der Versicherte bis zum 55. Jahre gearbeitet hätte. Das hört sich für denjenigen, der sich nicht ernsthaft mit der Sache beschäftigt hat, großartig an. Was ist der Tatbestand? Von 180 000 Menschen, die jährlich arbeitsunfähig werden, sind über 100 000 im Alter von über 55 Jahren. Sie erhalten also Ihre „berühmte" Aufstockung überhaupt nicht, weil sie im Alter von
über 55 Jahren arbeitsunfähig werden. Das scheint uns keine glückliche Regelung zu sein.
Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel darlegen, das Ihnen das Arbeitsministerium vielleicht noch nicht mitgeteilt hat. Ich nehme die Zahlen des Regierungsentwurfs. Da sind zwei Menschen; der eine wird im Alter von 60 Jahren invalide, der andere im Alter von 30 Jahren. Beide haben einen völlig gleichen Arbeitsverdienst. Der 30jährige hat 15 Jahre gearbeitet — vom 15. Lebensjahr ab —, der 60jährige hat die doppelte Zeit, 30 Jahre gearbeitet. Wie wird die Rente sein? Unterstellt wird ein durchschnittlicher Arbeitsverdienst mit einer allgemeinen Bemessungsgrundlage, um es für denjenigen, den es interessiert, technisch zu sagen. Die Rente wird für den 60jährigen mit 30jähriger. Arbeitszeit monatlich 102 DM, für den 30jährigen, der die Hälfte der Zeit gearbeitet hat, 136 DM betragen. Das heißt: derjenige, der doppelt so lange gearbeitet hat wie der andere mit dem gleichen Arbeitsverdienst, erhält eine Rente, die um 25 % niedriger ist als die dessen, der kürzere Zeit gearbeitet hat.
Das ist der Inhalt Ihrer Zurechnung, Herr Kollege Ruf, auf die Sie so besonders stolz sind. Bitte, überlegen Sie sich die Fälle genauer, denn die Regierung hat es offenbar leider vorher nicht getan, vielleicht nicht tun können, weil sie zum sozialdemokratischen Entwurf etwas auf den Tisch des Hauses legen mußte; einen anderen Grund kann ich mir hier nicht denken.
Ich komme damit zu einem Gedanken, den wir, wie ich hoffe, bisher gemeinsam vertreten haben. Wir sagen: je älter der Mensch ist und je länger er gearbeitet hat, je mehr Beiträge er gezahlt hat, um es auch versicherungstechnisch zu sagen, desto höher soll seine Rente sein. Das ist bei Ihrem Zurechnungssystem nicht der Fall, sondern das Gegenteil. Wir glauben, daß das unerfreuliche Wirkungen sind.
Nun werden Sie mit dem Beispiel kommen: Ja, aber der voll Erwerbsunfähige, der erhält, wenn er diesen Arbeitsverdienst gehabt hat — das können Sie leicht nachrechnen —, über die 102 DM hinaus noch 50 % zusätzlich.
Für den schwerstkranken Menschen aber, für den gelähmten, für den blinden, für den Menschen, der ständig fremder Wartung und Pflege bedarf, für den wir Sozialdemokraten ein Pflegegeld beantragt haben, hat die Regierung die Anregung des Bundesrats abgelehnt, Pflegegeld zu gewähren.
Sie tat es mit folgender Begründung: Nach Ansicht der Bundesregierung kann die Gewährung von Pflegegeld nicht Aufgabe der Rentenversicherung sein, weil die Rentenversicherung generelle Tatbestände, nicht aber solche erfaßt, die eine laufende individuelle Prüfung der Umstände erforderlich machen. — Das ist nicht überzeugend. Die Konstruktion der Invalidenversicherung mit ihrer sogenannten Rente auf Zeit erfordert eine laufende tberprüfung des Gesundheitszustandes. Diese Begründung ist also an den Haaren herbeigezogen. Wir bedauern, daß die Regierung nicht in der Lage war, das Problem des Pflegegeldes, das sich in der Unfallversicherung und in der Kriegsopferversorgung als notwendig erwiesen hat, im
Zusammenhang mit der Rentenreform ernsthafter zu behandeln.
Nun zur Hinterbliebenenrente. Der Bundesarbeitsminister hat darauf hingewiesen. Was ist der Inhalt dieser Witwenrente, von der Sie sprechen? Der Inhalt der Regelung ist, daß für die Witwe im allgemeinen ein Steigerungsbetrag von nur 0,6, also 60 % von 1 % gegenüber der jetzigen Regelung gewährt wird, die sich im gewogenen Durchschnitt im Grundbetrag auf 0,9 % stellt. Das bedeutet, daß Sie bei dieser Regelung die Witwe allgemein ungünstiger stellen.
Aber bezüglich der Regelung für die Witwen ist noch eine andere Frage wichtig. Ich meine die Vorschriften über das Zusammentreffen von Renten. Wir haben jetzt den unerfreulichen Zustand für die Frau, die gearbeitet, die selbst Beiträge gezahlt hat und dann Witwe wird; der Mann hatte auch gearbeitet und Beiträge entrichtet. Dann tritt nach den gegenwärtigen Vorschriften eine Kürzung der niedrigeren Rente um gegenwärtig 25 % ein. Das wurde bisher mit dem sogenannten Grundbetrag begründet. Wir Sozialdemokraten haben vor zwei Jahren die Beseitigung dieser Kürzungsvorschriften verlangt. Darauf hat die Regierung geantwortet: das liegt am Grundbetrag, und deswegen können wir die Kürzung nicht aufheben; ein Mensch solle nicht zweimal einen Grundbetrag erhalten, wenn auch aus zwei verschiedenen Versicherungen.
Jetzt wird der Grundbetrag abgeschafft, jetzt gibt es eine reine Beitragsrente. Und was macht die Regierung? Die Regierung schafft folgende Regelung — man muß sie dreimal lesen, um sie zu verstehen, selbst wenn man sich etwas mit Sozialversicherungsdingen beschäftigt —: die Rente beträgt aus beiden Arbeitsverdiensten zusammen 60 % des der eigenen Versichertenrente und des der Witwenrente zugrunde liegenden Lebensarbeitsverdienstes. Inhalt dieser Regelung ist, daß eine Frau, die ihr Leben lang gearbeitet und, was heute mitunter vorkommt, mehr als ihr Mann verdient hat, nach Ihrer Konstruktion überhaupt keine Witwenrente erhält, weil sich nämlich dann aus beiden Arbeitsverdiensten so viel ergibt, daß die eigene Rente über 60 % des Gemeinsamen liegt. Wir meinen, daß das, wirtschaftlich gesehen, im System einer rein durch Beiträge erworbenen Rente eine Enteignung darstellt.
Wir machen Sie darauf aufmerksam.
Witwenabfindung. Im Prinzip ist Ihr Vorschlag unserem Vorschlag sehr ähnlich.
Wiederaufleben der Witwenrente. Sie machen das Wiederaufleben der Witwenrente davon abhängig, aus welchem Grunde die nachfolgende Ehe aufgelöst wurde. Ich wiederhole: aus welchem Grunde die nachfolgende Ehe aufgelöst wurde. Beim Pflegegeld erklärten Sie, Sie wollten keine individuelle Nachprüfung der Pflegebedürftigkeit aus allgemeinen Erwägungen, und hier beauftragen Sie den Versicherungsträger, individuelle Nachprüfungen darüber anzustellen, aus welchem Grunde eine Ehe aufgelöst wurde.
Ich glaube, es ist keine Funktion der Sozialversicherung, mit moralischen Begriffen zu werten, weshalb die Ehe einer Frau aufgelöst wurde.
Wir haben es in der Rentenversicherung mit einem Bereich zu tun, der sich, wie der Bundesarbeitsminister gesagt hat, auf Rechtsansprüche gründen soll und nicht auf moralische Bewertungen.
— Herr Kollege Sabel, wir wollen hier gemeinsam versuchen, uns in die Probleme zu vertiefen; sie sind ziemlich kompliziert. Ich muß leider auf diese Dinge eingehen, weil sie das Lebensschicksal vieler Menschen berühren.
Waisenrente. Sie haben vorhin etwas höhnisch dazwischengerufen oder gelächelt, als ich sagte, Sie hätten nach Ihrem Grundentwurf den SPD-Entwurf herangezogen und aus ihm Erkenntnisse geschöpft. Das gilt auch für die Waisenrente. Ihr ursprünglicher Entwurf lautete, daß eine Waisenrente bei Schul- und Berufsausbildung über das 18. Lebensjahr hinaus nur für das dritte und weitere Waisenkind gewährt werden soll, daß also beim Tode des Vaters die beiden ersten Kinder ihre Schul- und Berufsausbildung abbrechen sollen und nur für das dritte Kind eine weitere Waisenrente gewährt werden soll.
Das entsprach wahrscheinlich Ihrer Kindergeld-„Konzeption" — Konzeption in Gänsefüßchen! Jetzt, einen Monat später, haben Sie sich erfreulicherweise zu unserem Entwurf bekannt
— wir freuen uns darüber und haben in mancher Beziehung noch gute Hoffnung —, und Sie haben die allgemeine Waisenrente ohne Begrenzung auf das dritte und folgende Kind eingeführt. Aber Sie sind dabei zu einem Gedankengang gekommen, der im Bereich dieser Rentenversicherung für uns neuartig ist. Sie führen nämlich eine einheitliche Waisenrente unabhängig von den geleisteten Versicherungsbeiträgen ein. Meine Damen und Herren, wir befinden uns hier nicht im Bereich der Staatsbürgerversorgung. Gerade Sie sind es immer gewesen, die auf den Versicherungsgrundsatz so besonderen Wert gelegt haben. Deshalb ist es erstaunlich, daß Sie sich hier zu dem Gedanken der Statsbürgerversorgung bekennen. Dann müßten Sie aber einen Schritt weitergehen; dann müßten Sie diese gleiche Waisenrente nicht aus Versicherungsbeiträgen, sondern aus allgemeinen Steuermitteln finanzieren. Darüber wollen wir uns gern im Ausschuß weiter unterhalten.
Elternrente. Die SPD hat eine Elternrente gefordert und fordert sie aus wohlerwogenen Gründen. Im Bundesrat wurde diese Frage ebenfalls erörtert. Dabei hat der Herr Vertreter des Bundesarbeitsministeriums erklärt, die Einführung von Elternrenten sei in der Rentenversicherung fehl am Platze. In der Unfallversicherung besteht sie, in der Kriegsopferversorgung besteht sie auch. Weshalb soll es dort, wo die Tochter die Mutter oder die Eltern ernährt hat, Beiträge geleistet hat, wegen der Kriegsverhältnisse nicht zur Eheschließung gekommen ist, dem Wesen der Rentenversicherung widersprechen, an Stelle einer Witwenrente eine Elternrente zu gewähren? Das ist uns Sozialdemokraten unerfindlich und wahrscheinlich auch all den Frauen, die mit ihren Müttern und Eltern zusammenleben und sie unterhalten.
Jetzt zu dem zentralen Problem, wie der Herr Bundesarbeitsminister sagte: der Anpassung der Renten an die wirtschaftliche Entwickung. Die Worte, die darüber in der Begründung zum Gesetzentwurf stehen, können wir Sozialdemokraten unterschreiben. Dort steht nämlich, daß aus sozialen und volkswirtschaftlichen Gründen die Renten an die jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse angepaßt werden sollen. Das ist das Programm der Bundesregierung. Aber in der Verwirklichung befolgt die Bundesregierung diesen Grundsatz nicht. Während wir Sozialdemokraten systematisch für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft diese Anpassung vollziehen wollen, ist die Regelung der Bundesregierung, wie ich im einzelnen noch nachweisen werde, nicht sehr folgerichtig, — um mich erst einmal sehr zurückhaltend ausdrücken. Die Regierung war bisher nicht imstande, in dieser Hinsicht eine Konzeption zu entwickeln. Das geht schon daraus hervor, daß die Bundesregierung in diesem Jahre jeden Monat — wörtlich genommen — über diese Anpassung der Renten eine andere Auffassung vertreten hat.
Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, und deshalb muß ich ihn kurz begründen. Im Januar: Kernstück „dynamische Rente". Im Februar: da der Ausdruck „dynamische Rente" falsch ist, „Produktivitätsrente". Im März habe ich den Herrn Bundesarbeitsminister hier in der Fragestunde aus sozialpolitischem Interesse auf dieses Problem angesprochen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat geantwortet: Anpassung der Renten an Teuerungsindex oder Veränderung der Löhne in Zeitabständen von drei oder fünf Jahren. Das war im März. Im April erhalten wir unter besonderer Eilbedürftigkeit den Grundentwurf der Regierung. Was steht in diesem Entwurf? — Automatische Anpassung mittels jenes Sozialversicherungsbeirats! Da steht nichts mehr von drei oder fünf Jahren Verzögerung, sondern dann, wenn dieser Beirat es beschlossen hat, sollte die Anpassung erfolgen. Das war die Konzeption vom April. Im Mai erhalten wir als Regierungsvorlage auf dem besonderen Wege, den der Bundesrat schon beanstandet hat, die Bundesratsdrucksache gleichzeitig als Bundestagsdrucksache, und darin heißt es: Anpassung in Abständen von jeweils fünf Jahren nach der Steigerung des Volkseinkommens. Anfang Juni erklärt dann die Bundesregierung, das Wort „Steigerung des Volkseinkommens" sei ein Druckfehler;
es müsse heißen: „Veränderung des Volkseinkommens"; es müsse also auch eine Abwärtsentwicklung eingeschlossen werden. Ein sehr merkwürdiger Druckfehler! In dem Gesetzentwurf stehen noch ganz andere Druckfehler. Ich kann Ihnen allein in den Tabellen zehn Druckfehler nachweisen,
die auf die besondere Hast zurückzuführen sind, mit der der Gesetzentwurf fertiggestellt worden ist. Schieben Sie es nicht auf den Drucker! Das steht sicherlich so im Konzept.
Wir wollen die Dinge klar sehen. Der Bundesarbeitsminister hat von einer lange geplanten,
gründlichen Arbeit gesprochen und sich dagegen gewehrt, daß man den Vorwurf „überhastet" erhebt. Meine Damen und Herren, das ist kein Widerspruch. Man kann eine Sache sehr hinauszögern und verspätet zu einem Abschluß bringen und dennoch zuletzt überhastet arbeiten. Der Gesetzentwurf ist ein beredter Beweis dafür. Die Bundesregierung hat seit sechs Jahren Ankündigungen gemacht und schließlich doch außerordentlich überhastet gearbeitet. Das werde ich im einzelnen noch nachweisen. Wir müssen diese Dinge hier klar aussprechen, um die sozialpolitische Konzeption der Bundesregierung und ihrer Praxis einander gegenüberzustellen.
Es handelt sich hier — um das deutlich zu sagen — um ein Gesetz, das rund 61/2 bis 7 Millionen Menschen betrifft und einen Aufwand von 13,2 Milliarden DM erfordert, und ich glaube, über diese Dinge haben wir eingehend zu sprechen. — Herr Kollege Kunze, darauf möchte ich aufmerksam machen, und davon lasse ich mich durch Ihren Blick auf die Uhr nicht abhalten.
Sie haben es am 4. Mai fertiggebracht, von 9 Uhr morgens bis 7 Uhr abends das Wehrpflichtgesetz zu beraten,
und der sozialdemokratische Gesetzentwurf kam unter „Ferner liefen" in den Abendstunden heran. Hier wird jetzt die Diskussion zumindest über Ihren Gesetzentwurf geführt,
nachdem Sie es schon verhindert haben, daß über unsern Gesetzentwurf ausreichend hier gesprochen werden konnte. Jedenfalls haben Sie nichts dazu gesagt. Der Herr Minister hat eine Erklärung über die Regierungskonzeption abgegeben, aber kein Wort zu unserm Gesetzentwurf gesagt. Die einzigen, die sich mit diesem Problem beschäftigt haben, sind die Kollegen der FDP, und Frau Kollegin Kalinke hat auch des öfteren, was ich hier durchaus mit Dank zur Kenntnis nehme, die grundsätzlichen Fragen herausgestellt. Wir sind in manchem anderer Auffassung; aber es ist durchaus anzuerkennen, daß man sich mindestens auf einer Seite der Regierungsparteien mit den grundsätzlichen Problemen auseinandersetzt. Diese Auseinandersetzung haben wir heute hier zu führen.
Die Regierung hat also in diesem Jahre in jedem Monat eine andere Vorstellung zur Dynamik der Renten geäußert. Ich bin gespannt, was bei den Ausschußberatungen noch herauskommen wird. Vielleicht dreht man sich noch einmal oder dreimal im Kreise; ich weiß es nicht.
Die Anlage der Anpassung der Renten, die so wichtig ist, hat die Bundesregierung von vornherein nach einem zweigleisigem System geplant. Für die Festsetzung der Renten wird der Lohn unter Berücksichtigung des Durchschnitts der letzten drei Jahre zugrunde gelegt, womit Verzögerungen eingebaut werden, die sich nachteilig für die Rentner auswirken. Die Anpassung der laufenden Renten soll nicht nach dem Lohn, sondern nach dem Volkseinkommen nach dem „berüchtigten" Fünfjahreszeitraum erfolgen.
So kommt man also zu völlig unterschiedlichen Renten. Das ist auch durch die Fachpresse gegangen. Man kommt zu verschiedenen Renten für Menschen, die das völlig gleiche Arbeitsleben haben; nur beginnt die Rente bei dem einen am 31. Dezember, so daß diese Rentenzahlung in den Rhythmus der laufenden Rente eingeht, beim anderen wird sie am 1. Januar neu beantragt. In der Zeitschrift „Soziale Sicherheit" hat mein Freund Dr. Auerbach praktische Beispiele angeführt, die unter den tausend Modellfällen der Bundesregierung offenbar nicht vorhanden waren. Das führt dazu, daß die Renten bei Menschen mit gleichem Arbeitsleben, aber einem Altersunterschied von nur einem Tag um 25 % voneinander abweichen.
Schon das zeigt die ganze Widersinnigkeit Ihres zweigleisigen Systems! Man kann zur Dynamik dieses und jenes sagen, aber man soll doch in einem Gesetz eine Richtung durchhalten. Das ist doch die primitivste Anforderung, die man stellen kann. Ich spreche nicht vom sozialen Inhalt dieser Anpassung, sondern überhaupt erst einmal von den Grundlagen, auf denen man eine solche Anpassung aufbauen muß.
Die Anpassungsvorschriften sind eine Wissenschaft. Ich schätze den glücklich, der sie in allen Einzelheiten verstanden hat. Es wird auch Ihnen schwergefallen sein. Sie haben eine besondere Arbeitstagung — mehrtägig — zur Einführung und zur Vorbereitung für die heutige Debatte abhalten müssen, um die Dinge einigermaßen zu verstehen.
— Nein, wir haben gearbeitet, um unser Gesetz zu machen, und Sie, um ein Gesetz, das die Regierung gemacht hat, verstehen zu lernen. Das ist ein fundamentaler Unterschied,
Das System des Entwurfs ist, daß für die Festsetzung der Renten der sogenannte individuelle Arbeitsverdienst des Versicherten in eine Beziehung zum Durchschnittsverdienst aller Versicherten gesetzt wird. Bei Erstellung dieser Grundlage Ihrer Rentenberechnung setzen Sie sich — das hat die Öffentlichkeit schon beanstandet — über die einfachsten Regeln der Arithmetik hinweg. Sie addieren die verschiedenen Prozentzahlen zu einer Summe und dividieren diese Summe durch die Anzahl der Prozentsätze.
Das ist ein grober Rechenschnitzer, und auf diesem Rechenschnitzer beruht Ihr System der Rentenanpassung und Dynamik. Die Rechenmethode führt dazu — man kann das an vielen Beispielen nachweisen, das werden wir in den Ausschußsitzungen sehen —, daß Menschen mit dem gleichen Arbeitsverdienst und einem gleichartigen Arbeitsleben zu einer unterschiedlichen Rente kommen. Das aber widerspricht jedem Erfordernis der Gerechtigkeit, die Sie durch dieses Gesetz doch verwirklichen wollen und die wir hier gemeinsam verwirklichen sollten. So kann man nicht vorgehen!
Abgesehen von dem Grundfehler, daß Sie, um zu einem Durchschnitt zu kommen, Prozentsätze addieren, die nicht addiert werden dürfen, stellen Sie für bestimmte Zeiträume Tabellen auf. Diese Tabellen sind von entscheidender Bedeutung. Nach den Tabellen wird die Rente berechnet. Hier aber handelt es sich um den Lebensbedarf unserer alten Menschen, also nicht etwas, was nur theoretisches Interesse hat. Im Gegenteil, das ist eine eminent wichtige soziale Frage, wichtiger als jede Ausein-
andersetzung um Lohn, weil Renten für das ganze Leben festgesetzt werden und nicht mehr abgeändert werden können,
wenn sie rechtskräftig festgestellt sind.
Das Gesetz gliedert die Tabellen nach Vom-Hundert-Sätzen, Verhältniszahlen für bestimmte Zeiträume. Man kann in mühseliger Arbeit versuchen, diese Verhältniszahlen nachzuprüfen. Sie müßten, wenn sie richtig wären, für den gleichen Zeitraum zu dem gleichen durchschnittlichen Arbeitsverdienst führen. Wenn man aber Ihre Tabellen nachrechnet, so stellt man fest, daß sie nicht richtig sind. Sie können uns hier nicht sagen, das sei in Unterversicherung und sozialen Notwendigkeiten begründet. Wir werden Ihnen im Ausschuß im einzelnen nachweisen, daß Sie Fehler gemacht haben, die unverantwortlich sind. Wir führen das nur auf die Hast zurück, und wir bezweifeln, ob Sie alle zur Verfügung stehenden Sachverständigen bei diesen Dingen herangezogen haben. Diese Tabellen sind etwas so Einmaliges in unserer Sozialgesetzgebung, daß ich sie nicht anders als „skandalös" bezeichnen kann. Wir haben uns oft mit Gesetzentwürfen auseinandersetzen müssen und haben die finanziellen Berechnungen der Regierung für überhöht gehalten. Aber was hier gemacht worden ist, entspricht nicht den Anforderungen, die an eine ernste und sachliche Arbeit gestellt werden müssen. Wir werden von Ihnen fordern, daß Sie in den Ausschußberatungen jede einzelne Zahl Ihrer Tabellen nachweisen, und wir werden Ihnen dann beweisen, wie manipuliert wurde — anders kann ich es nicht sagen.
Was ich hier sage, ist der Öffentlichkeit bereits bekannt. Die „Deutsche Zeitung" hat diese Dinge in einem Artikel unter der Überschrift „Das falsche Renteneinmaleins" dargelegt. Ich habe volles Verständnis, wenn das Bundesarbeitsministerium nicht auf jeden Presseangriff antwortet. Aber auf eine sachlich so fundierte Stellungnahme muß die Regierung antworten. Ich kenne den Verfasser, Herrn Dr. Hellwig, nicht.
Er versteht zweifellos etwas von der Sache. Wenn hier der Regierung vorgeworfen wird, nicht daß sie eine falsche sozialpolitische Konzeption hat — darüber können wir uns unterhalten —, sondern daß sie entscheidende Rechenfehler macht, dann muß die Regierung antworten, insbesondere da sich der Herr Minister und seine leitenden Mitarbeiter in Fragen der Sozialreform in bezug auf Ankündigungen, Versprechungen und Propaganda wahrlich keine Zurückhaltung auferlegt haben.
Es wäre die Pflicht des Bundesarbeitsministeriums gewesen, zu einem so fundierten massiven Angriff auf das Gebäude des Entwurfes Stellung zu nehmen. Das ist nicht geschehen.
Je eingehender man sich mit der Materie beschäftigt, auf um so mehr unmögliche Dinge stößt man. Menschen mit gleichem Lohn und gleicher Arbeitszeit werden völlig unterschiedlich behandelt, je nachdem ob sie ihre Beiträge durch Kleben von Marken oder im sogenannten Lohnabzugsverfahren entrichtet haben. Diejenigen, die im Jahre 1956 den gleichen Arbeitsverdienst gehabt und den gleichen Beitrag gezahlt haben, müssen doch zu den gleichen Renten kommen. Das ist aber nach Ihrem Entwurf nicht der Fall. Je nachdem, ob der Betreffende Marken geklebt hat oder seine Beiträge im Lohnabzugsverfahren einbehalten worden sind, erhält er eine unterschiedliche Rente. Das ist eine Unmöglichkeit.
Etwas anderes: Wenn Sie die Tabellen für Arbeiter und Angestellte vergleichen, ergeben sich unmögliche Disharmonien. Die Dinge sind unüberlegt und undurchdacht. Jeder, der sich mit der Materie beschäftigt hat, wird Ihnen das bestätigen.
Der Entwurf bringt auch Aufstellungen durchschnittlicher Arbeitsverdienste. Wer das liest, der meint, danach berechne sich seine Rente. — Meine Damen und Herren, wenn Sie die Zahlen mit anderen Zahlen vergleichen, dann geraten Sie in Schwierigkeiten. Vergleichen Sie diese Zahlen mit den Zahlen, die das Bundesarbeitsministerium vor wenigen Jahren —1954 — in der Durchführungsverordnung zum Fremdrentengesetz herausgegeben hat — also den Grundlagen für die Renten, die für alle Heimatvertriebenen und für alle Menschen gelten, die durch Kriegseinwirkungen ihre Unterlagen verloren haben —, stellen Sie fest, daß dort für ,die gleichen Zeiträume Arbeitsverdienste angesetzt sind, die um 25 bis 30 % niedriger sind als die Arbeitsverdienste für die gleichen Zeiträume, mit denen der Entwurf operiert. Das ist doch ein Widerspruch und eine Unmöglichkeit. Das Ministerium kann es doch nicht verantworten, daß heute die Renten nach Tabellen für den Arbeitsverdienst der Heimatvertriebenen z. B. der Jahre 1938 oder 1940 berechnet werden. Jetzt liefert man uns für die gleichen Zeiten ganz andere Arbeitsverdienste, unter dem Eindruck des SPD-Gesetzentwurfs, muß ich Ihnen sagen. Das hat Sie zu kühnen Leistungen beflügelt.
Die Zahlen sind aber nicht durchdacht; das ist der Fehler. Sie hätten sich früher mit den Dingen beschäftigen sollen, dann wäre etwas Sinnvolleres herausgekommen.
In diesem Zusammenhang muß ich zitieren, was über dieses Thema im Bundesrat gesagt wurde. Der Berichterstatter des Bundesrates hat laut Protokoll folgendes erklärt:
Ich muß noch darauf hinweisen, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialpolitik sich mit den §§ 1258 ff., die die Berechnungsgrundlage der Renten regeln, nicht näher beschäftigen konnte, weil u. a. auch von den Vertretern des Bundesarbeitsministeriums die Korrektheit der Tabellen in Zweifel gezogen wurde.
Das Arbeitsministerium ist das federführende Ministerium. Die Regierung bringt eine Vorlage mit Tabellen ein, und dann äußern die eigenen Vertreter des Ministeriums Zweifel an ihren Tabellen! Und der Herr Bundesarbeitsminister schweigt im Bundesrat dazu!
Das ist eine unmögliche Lage. Sie werden verstehen, daß wir uns mit einer solchen Regelung einfach nicht abfinden können.
Meine Damen und Herren, Sie sagen, das sei der erste große Schritt zur Sozialreform. Der Herr Bundeskanzler selbst macht sich die Mühe, zum
Vortrag seines Ministers hier zu erscheinen; die Ausführungen der Opposition sind ihm nicht so wichtig. Sie demonstrieren die Bedeutung dieser Angelegenheit und stützen sich dabei auf eine Arbeit, die nicht die Voraussetzung eines durchgearbeiteten Gesetzentwurfs erfüllt.
Die 61/2 Millionen laufender Renten sollen also auf das neue Gesetz umgestellt werden. Das ist eine schwierige Arbeit; darüber sind wir uns klar. Nachrechnen kann man Ihre Umrechnungstabellen nicht, weil kein Wort der Begründung dazu gesagt ist. Man muß raten, wie die Regierung zu den Bewertungen gekommen ist. Läßt man die Zahlen auch nur oberflächlich auf sich wirken, so ergibt sich etwas Bedauerliches. Der Grundsatz, den wir alle bisher gemeinsam als Ziel der Sozialreform bezeichnet haben, daß nämlich in erster Linie der alte Mensch im Mittelpunkt der Sozialreform stehen soll, wird durch Ihre Umrechnungstabellen verletzt. Wir stellen nämlich fest, daß die Umrechnungswerte für viele Gruppen jüngerer Menschen weit höher sind als für die älteren. Daraus ergibt sich, daß eine Rente, die bisher nach den gleichen Beiträgen, nach den gleichen Arbeitsverdiensten berechnet wurde, für einen jüngeren Menschen durch eine pauschalierte Zurechnung viel höher sein, das Drei- oder Vierfache der Rente eines alten Menschen betragen wird.
Das halten wir für das Gegenteil einer gezielten und wirksamen Rentenreform. Wir sind der Meinung, daß der Gesetzentwurf in seinen Tabellen den Anforderungen, die man an eine Rentenreform stellen muß, nicht entspricht. Die Durchführung war überhastet und unüberlegt, und dadurch sind die Dinge zustande gekommen. Diese Übergangsregelung wirkt deshalb so katastrophal, weil keine Möglichkeit besteht, daß eine Rente, die auf Grund dieser Tabellen berechnet ist, nach den tatsächlich gezahlten Beiträgen überprüft werden kann.
Meine Damen und Herren, wir haben darüber beim Renten-Mehrbetrags-Gesetz mit der pauschalierten Umrechnung schon einige Auseinandersetzungen gehabt.' Sie hatten damals das Argument: Das ist nur eine vorläufige Regelung. Es kommt die große Rentenreform; dann wird das alles wieder ausgebügelt und glattgemacht. Jetzt ist die Rentenreform da. Sie führen völlig ungerechtfertigte Tabellen und damit Renten ein, und Sie geben keinem alten Menschen die Möglichkeit zu einer Rente, die sich nach seinem früheren Arbeitsverdienst und nach seinen Beiträgen bestimmt. Wir meinen, daß das all dem, was man als Versicherungsgerechtigkeit bezeichnet, geradezu ins Gesicht schlägt.
Nun, meine Damen und Herren, der schwerstwiegende Fehler ist in der Öffentlichkeit bereits lebhaft erörtert worden, nämlich die Anpassung in Abständen von fünf Jahren. Der Bundesrat hatte drei Jahre vorgeschlagen. Mit zwei Sätzen lehnt die Bundesregierung den Vorschlag des Bundesrates ab,
der doch wirklich von großer sozialpolitischer und wirtschaftspolitischer Tragweite ist, indem die Regierung sagt, daß mit Rücksicht auf mögliche Schwankungen in der wirtschaftlichen Entwicklung eine Anpassung in kürzeren Zeiträumen nicht angebracht erscheine. Das ist die Erklärung der Bundesregierung. Aber das ist doch sehr widerspruchsvoll. Denn gerade wenn die wirtschaftliche Entwicklung schwankt, dann ist doch eine Anpassung der Rentenleistung an die wirtschaftliche Entwicklung notwendig.
Meine Damen und Herren, bitte überlegen Sie sich doch einmal ganz nüchtern die Konsequenzen dieser fünfjährigen Anpassung. Nehmen Sie doch das Beispiel der Vergangenheit; es ist vielleicht noch instruktiver, als wenn wir in die Zukunft hinein irgendwelche Erwägungen anstellen. Wie wäre eine Rente, die am 1. Januar 1956 gezahlt worden ist, nach Ihrem Gesetz festgestellt und angepaßt worden? Sie wäre nach Ihrem eigenen Gesetzentwurf zuletzt am 1. Januar 1951 angepaßt worden, und zwar auf Grund des durchschnittlichen Volkseinkommens der Jahre 1948, 1949 und 1950. Die Rente des 1. Januar 1956 würde also im Mittel auf das Volkseinkommen des Jahres 1949 bezogen sein.
Das ist Ihre Dynamik! Wir haben seitdem fünf Rentenzulagengesetze gemeinsam verabschiedet, verabschieden müssen, können wir wohl sagen — ich will nicht sagen, auf Grund wessen Initiative —: Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz, Rentenzulagengesetz, Grundbetragserhöhungsgesetz, Renten-Mehrbetrags-Gesetz, Sonderzulagengesetz. Fünf Gesetze waren in dieser Zeit notwendig, und Sie wollen jetzt eine Anpassung so vornehmen, daß Sie — das ist doch der Inhalt — sechs Jahre zurückbleiben.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesarbeitsminister hat bei der Haushaltsberatung erklärt, das sei ein revolutionärer Schritt, und er hat im Bulletin geschrieben, es sei die größte Errungenschaft seit der Bismarckschen Sozialreform. Wenn Sie diese Ankündigung mit dem Inhalt des Entwurfes in Beziehung setzen, dann zeigt sich die ganze Tragik dieses Gesetzes. Mit einer solchen Dynamik werden wir Sozialdemokraten uns nicht abfinden. Das scheint selbst der Vertreter des Bundesfinanzministeriums schon im Gefühl gehabt zu haben. Er hat nämlich bei den Beratungen des Bundesrats, als er dieses System verteidigen wollte, den freundlichen Rat erteilt, wenn sich extreme Situationen ergäben, brauche der Gesetzgeber diese Fünfjahresfrist nicht einzuhalten, sondern er könne — sehr liebenswürdig — intervenieren. Das bedeutet nichts anderes, als daß selbst nach Ansicht des Bundesfinanzministeriums die Rentendynamik weitere Zulagengesetze nicht ausschließen würde. Wir möchten gar keinen Zweifel darüber lassen, daß die Sozialdemokraten, wenn keine automatische Anpassung der Renten an die Lohn- und Gehaltsentwicklung erfolgt, zu jedem Zeitpunkt die entsprechenden Anträge und Gesetzesvorlagen in diesem Hause einbringen werden,
um die Renten an die Lohn-, Gehalts- und Preisentwicklung anzupassen. Ich glaube, das ist eine Verpflichtung, die wir bei einer solchen gesetzlichen Regelung haben, und wir wollen Sie schon im ersten Stadium der Beratungen mit allem Nachdruck darauf aufmerksam machen.
Sozialpolitisch gefährlich ist Ihr Gesetz. Wenn Sie
eine derartige Regelung treffen, erweisen Sie der
Öffentlichkeit wahrlich einen schlechten Dienst. Bei jeder weiteren Lohn- und Preisentwicklung — von der ich nicht weiß, ob sie kommen wird — haben wir die Verpflichtung, auch an den Rentner zu denken.
Das ist unsere hervorragende Aufgabe in diesem Hause.
— Lohnpolitik machen wir in diesem Gesetzentwurf nicht, meine Damen und Herren. Sie wollen die Verwirklichung Ihrer konjunkturpolitischen Gedanken in Form der fünfjährigen Verzögerung praktisch zu Lasten des Rentners gehen lassen. Gestern hat das eine Persönlichkeit, die Ihnen eher nähersteht als mir, Herr Staatssekretär Dr. Krohn, bei der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft ähnlich gesagt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
— Ja, wenn Ihr Gesetz besser gewesen wäre, hätten wir uns darüber nicht lange zu unterhalten brauchen.
Das liegt doch nicht an uns. Ich habe doch nicht diese Vorlage zu vertreten, sondern wir Sozialdemokraten haben als Opposition die Verpflichtung, nachdem die Reform so großartig angekündigt war, vor der Öffentlichkeit klarzustellen, welches der wirtschaftliche und soziale Inhalt ist.
Zur Finanzierung! Der Gesetzentwurf enthält bezüglich der Finanzierung den Grundsatz: Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und Bundeszuschüsse. Er bringt, wie der Bundesarbeitsminister mitgeteilt hat, die Neuerung, daß die Zuschüsse des Bundes in Zukunft nicht mehr für die Leistungen der Altersversicherung gewährt werden sollen.
In diesem Zusammenhang eine kleine Einschaltung, die zeigt, wie wenig sorgfältig das Gesetz gearbeitet ist. Im Angestelltenversicherungsgesetz heißt es — § 33 — „Alterssicherung" und in der Reichsversicherungsordnung heißt es „Altersversicherung". Man war sich also wahrscheinlich noch nicht darüber klar, wie man es nennen sollte. Schieben Sie es nicht wieder auf den Drucker!
Für Altersrenten sollen also keine Zuschüsse mehr gewährt werden, sondern nur noch für Renten, die keine Altersrenten sind. Die Bundesregierung gibt keine klare Begründung dafür. Aber man kann auf Grund der dürftigen Zahlenangaben darüber einige Vermutungen anstellen. Aus den Zahlenangaben dieses Gesetzentwurfs geht nämlich hervor, daß die Zahl der Renten, die keine Altersrenten sind, sich in den nächsten zehn Jahren um 850 000 vermindern, daß sich aber die Zahl der Altersrenten um 920 000 erhöhen wird. Aus dieser Entwicklung kann man Schlüsse auf die Gründe ziehen, die die Bundesregierung zu ihrem Vorschlag bewogen haben. Sie will sich in Zukunft an der sinkenden Last beteiligen, aber nicht an der steigenden Last.
Sie will sich offenbar durch dieses Gesetz von der steigenden Last der Zuschüsse für Altersrenten befreien. Es kann berechnet werden, wann der Zeitpunkt kommen wird, in dem die Zuschüsse für die Nichtaltersrenten höher sein werden als der gesamte Aufwand. Dann wird der Finanzminister sagen: Ich kann doch nicht mehr zahlen, als gesetzlich verankert ist. Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Entwicklung der Altersrenten müssen wir gegen diese Regelung, nach der ohne entsprechende Sicherungen die Zuschüsse für die Altersrenten eingestellt werden sollen, ernsthafte Bedenken erheben.
Noch etwas anderes ist im Hinblick auf die Bundeszuschüsse interessant. Nach dem Gesetzentwurf soll jährlich ein fester Betrag als Bundeszuschuß gewährt werden. Setzt man diesen festen Betrag zu den Rentenausgaben in Beziehung, dann ergibt sich, daß der Bundeszuschuß, der gegenwärtig 42 % der Rentenausgaben beträgt, im Jahre 1957 nur etwa 31 % betragen soll,
daß also der Anteil des Bundes im Verhältnis zur Gesamtausgabe sinken soll. Das halten wir unter sozialen Aspekten nicht für eine sehr sinnvolle Finanzpolitik.
Und noch etwas anderes sei klargestellt, auch aus der Begründung: Von den Rentenerhöhungen werden 4,3 Milliarden aus Beitragsmitteln gedeckt und 750 Millionen aus Bundeszuschüssen. Das heißt auf deutsch gesagt: nach Ihrer Vorstellung sollen 85 % der Erhöhungen aus Beitragsmitteln und nur 15 % aus zusätzlichen Bundeszuschüssen finanziert werden. Wir meinen, daß das keine gute Regelung ist, und erheben hiergegen ernste Bedenken. Denn der Bundeszuschuß ist einmal ein Ausgleich für die durch Krieg und Währungsumstellung verlorengegangenen Vermögenswerte, er ermöglicht eine Erstattung für die Rentenverluste beispielsweise der Heimatvertriebenen, er dient weiter einem teilweisen Ausgleich der zusätzlichen Kriegslasten der kriegsbeschädigten Rentner. Deshalb sind wir der Auffassung, daß eine solche Methode, den Bundeszuschuß im Verhältnis zum Rentenaufwand zu reduzieren, nicht angebracht ist.
Aber nun zu den sonstigen finanziellen Auswirkungen des Gesetzentwurfes! Die finanzielle Begründung ist mehr als dürftig. Für einen Gesetzentwurf, der einen Aufwand von 13,2 Milliarden vorsieht, muß man von der Regierung eine ganz andere, eine gründlichere Begründung verlangen. Wie oft haben wir hier Auseinandersetzungen über Beträge von wenigen Millionen! Nun wird uns hier eine Vorlage gemacht, die einen derartigen Aufwand erfordert. Es ist nur sehr schwer möglich, sich über die finanziellen Auswirkungen überhaupt ein Urteil zu bilden, weil gar nicht gesagt wird, wie die Zahlen gewonnen wurden. Aber was man entnehmen kann, ist außerordentlich bedenklich und fragwürdig. Man hat den Eindruck, daß die Regierung versucht, eine Klärung und Überprüfung zu erschweren, wenn nicht gar unmöglich zu machen. Wegen der vorgeschrittenen Zeit möchte ich Ihnen nur ein Beispiel dafür nennen. Ich habe eine ganze Mappe mit solchen Beispielen, aber das können wir dann im Ausschuß noch erörtern.
Nur einen Tatbestand: es werden für das erste Jahr 1957 und für die folgenden Jahre 1960 und
1963 keine Angaben über die Zahl der Renten aber über den Rentenaufwand gemacht, so daß man nicht die Möglichkeit hat, die Zahl der Renten dem Rentenaufwand gegenüberzustellen. Wenn man Einblick in die Finanzierung gewinnen und sich ein Bild über die gesamten Auswirkungen machen will, muß man doch für das gleiche Jahr mindestens die Zahl der Renten und den Rentenaufwand kennen. Das ist eine primitive Forderung, aber die erfüllt der Gesetzentwurf nicht.
Man kann sich — das muß ich mit aller Deutlichkeit noch einmal sagen — des Eindrucks nicht erwehren, daß man eine fachliche Nachprüfung erschweren will. Deshalb müssen wir das im Ausschuß nachholen. Wir Sozialdemokraten jedenfalls legen hierauf besonderen Wert. Was wir jetzt schon feststellen können, ist fehlerhaft und ungenau. Ein Beispiel, das Sie selbst nachprüfen können! Herr Kollege Horn, Sie schauen so kritisch. Schlagen Sie bitte § 33 des Angestelltenversicherungsgesetzes in der Regierungsfassung auf! Da wird für 1957 ein Bundeszuschuß von 755 Millionen Mark festgelegt. Hinten auf der letzten Seite — Frau Kollegin Kalinke, ich bedauere, daß ich Ihnen die „Rosinen" schon vorwegnehme; aber es bleibt auch für Sie noch sehr viel dazu zu sagen — sind die Bundeszuschüsse für die Angestelltenversicherung für 1957 um 73 Millionen DM niedriger eingesetzt.
Sie sind aber nicht etwa der Rentenversicherung der Arbeiter zugeflossen, um da jeden Verdacht zu vermeiden.
Es scheint den Ausarbeitern dieses Gesetzentwurfs einfach auf Beträge von ... zig Millionen nicht anzukommen. Auch dafür möchte ich Ihnen noch einen deutlichen Beweis geben. Was ich hier sage, ist wirklich tragisch. Am 19. April hat die Regierung jenen Grundentwurf herausgegeben. Sie fügte diesem Gesetzentwurf auf einem Blatt eine Aufstellung über die Einnahmen und Ausgaben nach diesem Gesetz und der weiteren Entwicklung bei. Der Aufwand für das erste Jahr der Geltung dieses Gesetzes betrug nach dem Grundentwurf 11,2 Milliarden DM. Die Bundesregierung brachte einen Monat später einen Regierungsentwurf, der materiell seinem entscheidenden Inhalte nach nicht verändert war, der die gleiche Zahl der Renten erfaßte. Am 23. Mai beschloß das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf, der einen Aufwand von 12,5 Milliarden DM aufwies. Innerhalb eines Monats ist die Angabe über den Aufwand, ohne daß der Leistungsumfang erweitert, ohne daß die Zahl der Renten erhöht wurde, von 11,2 Milliarden DM auf 12,5 Milliarden DM gestiegen; das sind 1,3 Milliarden DM mehr bei einem dem materiellen Inhalt nach gleichen Gesetzentwurf.
Was soll denn das bedeuten? Das kann doch nur den Verdacht erwecken, daß die Zahlen des Gesetzentwurfs manipuliert sind. Das ist ein schwerer Vorwurf. Aber ich kann ihn nicht eher zurücknehmen, als bis die Regierung erklärt hat, worauf — es ist das gleiche Gesetz, der gleiche Leistungsinhalt — dieser Unterschied von 1,3 Milliarden DM zurückzuführen ist. Ich kann nicht anders als annehmen, daß man offenbar versucht hat, mit dem Regierungsentwurf an den der SPD heranzukommen und, jedenfalls der Form nach, einen ähnlichen Leistungsaufwand zu erreichen. — Herr Kollege Horn, Sie schütteln den Kopf.
Als ich die Zahlen gesehen habe, habe ich auch mit dem Kopf geschüttelt und habe mich gefragt, wo wir uns denn eigentlich befinden. Ist es denn überhaupt möglich, daß die Regierung, eine Regierung, die eine verantwortungsvolle Sozialpolitik betreiben will, hier Gesetze vorlegt, in denen innerhalb eines Monats mit Beträgen über eine Milliarde operiert wird? Das ist ein Skandal!
— Darauf kann ich nur sagen: Der Ermordete ist schuld!
Das Zahlenmaterial ist so widerspruchsvoll, daß wir die Notwendigkeit einer Beitragserhöhung von 12 auf 14 % nicht anerkennen können. Sie ist finanziell nicht begründet. Wir haben in unserem Gesetzentwurf erklärt, daß bei höheren Leistungen eine Beitragserhöhung nicht nötig ist. Es ist an Ihnen, zu beweisen, daß Ihre Zahlen höher und die von Ihnen errechneten Beiträge nötig sind.
Zum Schluß noch ganz wenige Bemerkungen. Der Bundesrat hat eine Nachversicherung der Heimatvertriebenen und der Kriegssachgeschädigten angeregt. Die Bundesregierung hat diese Nachversicherung mit der Begründung abgelehnt, daß sie dem System der Rentenversicherung widerspreche. Nach dem Gesetzentwurf gibt es aber Möglichkeiten der Nachversicherung. Die Sozialdemokraten machen sich im Interesse der Heimatvertriebenen und Kriegssachgeschädigten den Wunsch des Bundesrates zu eigen.
Meine Damen und Herren, bei Einbringung des Gesetzentwurfes der SPD habe ich erklärt, daß die Sozialreform im Hinblick auf ganz Deutschland gestaltet werden muß. Wir bedauern außerordentlich, daß der Entwurf der Bundesregierung diesen Gesichtspunkt nicht beachtet hat. Der Regierungsentwurf erkennt nicht automatisch die Arbeitszeiten an, die bei einem deutschen Versicherungsträger, auch des Heimatgebietes, von Vertriebenen zurückgelegt sind, sondern er beläßt es praktisch bei der Regelung des Fremdrentengesetzes, ohne zu erklären, daß das Fremdrentengesetz in entsprechender Weise mit diesem neuen Gesetz zusammengefaßt werden muß. Wir bedauern das im Interesse der Heimatvertriebenen und im Interesse der Menschen hinter der Zonengrenze.
Der Gesetzentwurf beseitigt auch nicht den Mißstand, daß Menschen, die in Berlin oder in der Bundesrepublik leben und arbeiten, aber drüben wohnen, die hier die Beiträge zahlen, zur Leistungsgewährung an den Versicherungsträger in der Sowjetzone verwiesen werden. Das ist ein schlechter Dienst an einer gesamtdeutschen Politik.
Der Regierungsentwurf sieht vor, daß das Gesetz am 1. Januar in Kraft tritt. Nach den Absichten der Bundesregierung soll sich also das vollziehen, was die Sozialdemokraten befürchtet haben: das Wehrpflichtgesetz wird in wenigen Wochen und Tagen erledigt, und für das Rentenversicherungsgesetz braucht man nach der eigenen Konzeption der Bundesregierung die entsprechende Anzahl von Monaten.
— Das ist eine schlechte Sache.
Sie hätten einen solchen Sozialgesetzentwurf mit Ihrer Regierung und mit Ihrem Apparat schon vor uns vorlegen können; so sind doch die Dinge.
Wir sind doch wirklich nicht daran schuld, daß dieses Gesetz erst heute zur Beratung kommt
und daß es hinter der Wehrpflichtgesetzgebung steht. Wir haben wohl das Recht und die Pflicht, diese Tatsachen auszusprechen. Sie zeigen, welches für die Regierung die erstrangigen und was die zweitrangigen Fragen sind.
— Aber hören Sie mal, Herr Sabel, hier geht es um den Lebensunterhalt für 61/2 Millionen Menschen, der zu regeln ist.
Meine Damen und Herren, das Sonderzulagengesetz, das letzte Erhöhungsgesetz, läuft zum 1. Oktober aus,
und wenn die Rentenneuordnung — —
— Wie bitte?
— Ich kann es Ihnen schriftlich geben; es ist von Mitarbeitern des Bundesarbeitsministers in Zeitschriften geschrieben worden, Herr Kollege Stingl, die Sie vielleicht nicht gelesen haben. Ich gebe sie Ihnen nachher.
Wenn das Gesetz am 1. Januar in Kraft tritt, ergibt sich, daß für die Monate Oktober, November und Dezember — —
— Aber, lieber Kollege, — —
Der Sprecher Ihrer Fraktion wird nachher antworten können.
Meine Damen und Herren, ich kenne das Sonderzulagengesetz genauso gut wie Sie.
Aber wie war denn der Vorgang? Wir haben bei der letzten Konjunkturdebatte in Berlin dieses Gesetz eingebracht. Sie haben es dann durch alle möglichen Dinge — wir haben ja hier die Auseinandersetzungen gehabt — hinausgezögert, so daß dieses Gesetz praktisch teils rückwirkende Kraft, teils eine Wirkung für die folgenden drei Monate hatte. Das war der Inhalt des Gesetzes. Vergleichen Sie die Protokolle. Wir haben uns damals darüber ausgesprochen.
Weil diese Lücke eintritt, erkläre ich namens der sozialdemokratischen Fraktion schon heute, daß wir zumindest vom 1. Oktober an die Zahlung von Vorschüssen für die neuen Rentengesetze dieser oder jener Form fordern und beantragen werden.
Stellen Sie sich bitte frühzeitig darauf ein.
Einige letzte Sätze. Die SPD hält den vorliegenden Rentengesetzentwurf für gesetzestechnisch unzulänglich, für finanzwirtschaftlich höchst bedenklich und für sozialpolitisch unbefriedigend.
— Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen sehr deutlich dargelegt, welche wenigen Punkte Sie von uns unvollkommen übernommen haben,
und habe gesagt, daß Sie ,die entscheidenden Punkte der Rentendynamik nicht berücksichtigt haben. Ich glaube, Sie haben sich in die Materie zuwenig vertieft. Ich lade Sie zur ernsthaften Mitarbeit im Sozialpolitischen Ausschuß ein.
Meine Damen und Herren, der Sache nach müßte eigentlich ein solches Gesetz der Regierung zur weiteren Überarbeitung zurückverwiesen werden.
Das würde der Sache entsprechen. Aber wer leidet darunter? Die Rentner! Deshalb ist es die schwere Aufgabe des Sozialpolitischen Ausschusses, dieses Gesetz zur Grundlage seiner Arbeit zu machen. Die Sozialdemokraten werden durch eine besonders intensive Mitarbeit im Sozialpolitischen Ausschuß
sich die größte Mühe geben, das Gesetz wirksam zu verbessern, ich wiederhole: wirksam zu verbessern. Ihr Beifall bedeutet eine Verpflichtung: Sie müssen dann auch für unsere Verbesserungsanträge stimmen!
Der Kollege Richter als Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses hat mir vorhin mitgeteilt, er habe in einem Schreiben an den Herrn Präsidenten beantragt, daß wir noch während der Ferien ganztägig zusammenkommen, um die Rentenversicherungsgesetze zu beraten, und zwar wegen der sozialpolitischen Dringlichkeit. Wir wollen nicht ein Inkrafttreten am 1. Januar, sondern wir stehen auf dem Standpunkt, daß das Gesetz früher verwirklicht werden muß.
Wenn ich an Ihren Beifall, den Sie der Zusammenarbelt gespendet haben, anknüpfen darf, dann kann ich sagen: wir haben die Hoffnung, daß, sofern Sie den sozialdemokratischen Gesetzentwurf bei den Ausschußberatungen gebührend berücksichtigen, ein Rentenversicherungsgesetz erarbeitet wird, das die soziale Existenz unserer Alten und Arbeitsunfähigen so sichert, wie es den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernissen unserer Zeit entspricht.
Meine Damen und Herren! Der Herr Arbeitsminister hat sich zum Wort gemeldet. Der Altestenrat war der Meinung, daß wir um 13 Uhr die Mittagspause eintreten lassen sollten. Werden Sie lange sprechen, Herr Arbeitsminister?
— Dann erteile ich Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor allen Dingen muß ich es sehr bedauern, daß Herr Professor Schellenberg, der gestern mit meinem Ministerialdirektor Jantz gemeinschaftlich auf einer Tagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft war, diese Dinge mißbraucht, um heute Herrn Ministerialdirektor Jantz wegen Ausführungen, die dieser gestern gemacht hat, hier öffentlich anzugreifen.
— Hätten Sie das doch bei dieser öffentlichen Veranstaltung getan! Dann hätte Ihnen der Mann antworten können. Statt dessen stellen Sie sich hierher, wo Sie wissen, daß er sich hier nicht rechtfertigen kann.
Das ist unfair.
Und dann möchte ich Ihnen eins sagen: Ich habe seit jeher vermieden, mich in der Öffentlichkeit oder auch nur in den engsten Kreisen mit der Frage zu beschäftigen, woher die Grundgedanken der Gesetzentwürfe kommen. Sie haben nun gesagt, Herr Professor: wir haben diesen Gesetzentwurf dann und dann vorgelegt. Herr Professor, Sie wissen ganz genau, daß in Ihrem Gesetzentwurf die Erkenntnisse, die in dem Beirat meines Ministeriums gefunden und formuliert worden sind, weitgehend verwandt wurden. Sie wissen darüber hinaus, daß Ihre Vorstellungen über die neue Sozialordnung noch vor einem Vierteljahr ganz andere waren.
Sie haben aber das, was das Sozialkabinett in den Sitzungen vom 13. Dezember, vom 18. Januar, vom 17. Februar vorgelegt hat, und die Erklärungen, die wir vom Arbeitsministerium am 2. März bei der Arbeitsministerkonferenz in Bad Pyrmont vorgetragen haben, mit verwandt oder verwenden können. Ich mache Ihnen daraus gar keinen Vorwurf. Im Gegenteil, ich freue mich darüber, daß diese Erkenntnisse auch in Ihre Reihen hineingekommen sind.
Herr Minister, gestatten Sie dem Herrn Abgeordneten Dr. Schellenberg eine Frage?
Warum denn diese Art, wie man heute morgen hier versucht hat, dem Hohen Hause und vor allen Dingen denjenigen, die mit den Dingen nicht so vertraut sind, die Dinge ganz schief darzustellen?
Gestatten Sie mir, nur eine einzige Sache jetzt noch herauszunehmen. Sie haben gesagt, daß im Durchschnitt nur 79 % der Zeit zwischen dem 15. und 65. Lebensjahr mit Beiträgen belegt sind. Das ist richtig. Sie haben es aber vermieden, die Gründe zu nennen, weshalb im Durchschnitt nur diese Prozentsätze belegt werden. Das liegt doch einfach daran, daß viele Einzelpersonen mehr oder minder lange Unterbrechungen des Versicherungslebens dadurch erfahren, daß sie sich selbständig machen. Bei den weiblichen Versicherten ist hier auch an die Zeit nach der Heirat zu denken. Für diejenigen, die ein normales Arbeitsleben haben, liegt der Prozentsatz weit höher als der Durchschnittsprozentsatz.
Wenn man vor einem Parlament und wenn man vor der Öffentlichkeit zu diesen Dingen spricht und wenn man weiß — und Sie wissen es, Herr Professor —,
dann muß man das doch sagen und darf nicht mit allerlei Aufwendungen dem Volke draußen eine vollständig falsche Meinung über das Gewollte darstellen. Mir wäre es viel lieber gewesen, Herr Professor, Sie hätten hier zu dem Grundsätzlichen Stellung genommen.
— Nun, er hat sich mit allerlei kleinen Nebenerscheinungen beschäftigt und hat versucht, Zahlen zu bestreiten, die er in der Auseinandersetzung mit den Sachverständigen gar nicht bestreiten kann.
Herr Minister, der Abgeordnete Schellenberg möchte eine Frage stellen.
Bitte, bitte!
Meine Damen und Herren, ob ein Abgeordneter eine Frage stellen kann oder nicht, bestimmt der Präsident.
Herr Minister, Sie haben sich auf den Beirat bezogen. Ich habe die Frage: Warum haben Sie dem Vorschlag des Beirats nicht entsprochen, die Renten jährlich an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen, und warum ist der entscheidende Inhalt Ihres Gesetzes eine fünfjährige Anpassung?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe geglaubt, daß Sie den Unterschied zwischen einem Beirat und einer Regierung auch noch zu machen wissen.
Der Beirat macht dem Ministerium und der Regierung Vorschläge, und was die Regierung davon übernehmen kann oder will, ist ihre ureigenste Angelegenheit;
denn nur die Regierung ist dem Parlament verantwortlich, niemals ein Beirat.
Meine Damen und Herren, ich werde jetzt die Sitzung unterbrechen, möchte aber folgendes mitteilen. Der Abgeordnete Dr. Schellenberg hat etwa zwei Stunden gesprochen.
— Ich habe die Zeiten notiert; er hat von 10 Uhr 53 bis 12 -Uhr 55 gesprochen. Jeder Redner, der sich heute meldet, wird dasselbe Recht in Anspruch nehmen können. Ich möchte aber auf folgendes hinweisen. Ich habe auf die Bestimmung der Geschäftsordnung, wonach die Rededauer eine Stunde betragen soll, deshalb nicht hingewiesen, weil in der gestrigen Debatte einer Reihe von Rednern gestattet worden ist, weit über diese Zeit hinaus zu sprechen. Ich sage das ohne Kritik. Ich meine nur: wenn es gestern geboten und möglich war, die normale Redezeit zu überschreiten, war es heute mir nicht möglich, auf die Bestimmung der Geschäftsordnung — übrigens eine Sollvorschrift — hinzuweisen.
Ich unterbreche die Sitzung. Der Bundestag tritt um 14 Uhr 30 wieder zusammen.
Die Sitzung wird um 14 Uhr 34 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder eröffnet.
Die Sitzung wird fortgesetzt.
Ich habe bekanntzugeben, daß die Sitzung des Haushaltsausschusses am Mittwoch, dem 27. Juni, nicht um 15 Uhr, sondern erst um 16 Uhr stattfindet.
In der Debatte zu Punkt 2 der Tagesordnung hat das Wort der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte zunächst eine Vorbemerkung, die mehr am Rande des Themas liegt, die zu machen mir jedoch angesichts einer so grundlegend wichtigen Debatte wie dieser angezeigt erscheint. Bei den Diskussionen um die Sozialreform und bei der Kritik an der unzureichenden Höhe der Renten wird sehr häufig auch draußen in der Öffentlichkeit übersehen, was nun tatsächlich heute ist. Deshalb scheint es mir nicht unangebracht zu sein, an die Spitze meiner Ausführungen einige wenige Zahlen zu setzen, die auch der Öffentlichkeit noch einmal die gegebenen Tatsachen deutlich machen.
Im Rechnungsjahr 1956 werden für Renten insgesamt, also für die Invaliden- und die Angestelltenversicherung, 6,8 Milliarden DM verausgabt. An dieser Gesamtsumme der Ausgaben sind die fünf Gesetze, die wir seit dem Jahre 1949 gemacht haben und die, wenn auch im einzelnen voneinander abweichend, immerhin doch einer gewissen Anpassung der Renten an die veränderten Verhältnisse gedient haben, wie folgt beteiligt: Das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz mit rund 1,3 Milliarden DM, das Rentenzulagengesetz mit 830 Millionen DM, das Grundbetrags-Erhöhungsgesetz mit 334 Millionen DM, das Renten-Mehrbetrags-Gesetz mit 628 Millionen DM und das Sonderzulagen-Gesetz vom Dezember vergangenen Jahres mit 659 Millionen DM. Meine Damen und Herren, das ist ein Gesamtanteil an den Rentenausgaben überhaupt in Höhe von 55 °/o. Gerade die letzten Gesetze, die wir in den Jahren 1954 und 1955 verabschiedet haben, dienten ausgesprochen dem Zweck, vor allen Dingen den alten Rentnern eine nach den Verhältnissen mögliche angemessene Erhöhung ihrer Bezüge zu verschaffen. Ich hielt es, wie gesagt, für angezeigt, diese knappen Hinweise zu geben.
Eine weitere Vorbemerkung! Bei den Überlegungen, was ich in dieser Debatte sagen wollte, habe ich den sehr festen Vorsatz gefaßt, bei meinen Ausführungen nicht gegen irgend jemanden zu polemisieren,
sondern mich rein an das Thema und die Sache zu halten. Ich habe auch nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Schellenberg von heute vormittag im Grunde genommen nicht die Absicht, diesem meinem Vorsatz untreu zu werden;
aber ein paar Sätze an Ihre persönliche Adresse, verehrter Herr Kollege Schellenberg, müssen Sie mir schon gestatten.
Wir haben nach früheren sozialpolitischen Debatten in sehr netter persönlicher Unterhaltung schon mehrfach die Art und Weise, wie Sie bei solchen Debatten und Auseinandersetzungen von diesem Platz aus die Dinge zu behandeln pflegen, besprochen. Ich habe Ihnen dabei den guten, wirklich kollegial gemeinten Rat gegeben, diese Dinge doch nicht dahin zu überspitzen, daß es uns auf die Dauer und in der Fortsetzung der Debatten immer schwerer gemacht würde, Ihnen in Ruhe zuzuhören. Das ist insbesondere dann schwierig, wenn Sie wie heute vormittag zwei geschlagene Stunden zum Thema sprechen.
Ich muß Ihnen das heute auch einmal von dieser Stelle aus sagen. Ich bin der Auffassung, verehrter Herr Kollege und meine Damen und Herren, ironische polemische Auseinandersetzungen dieser Art kommen — je länger, je weniger — weder im Hause noch in der Öffentlichkeit an.
Was die Öffentlichkeit von uns verlangt, ist, daß wir uns nicht in Polemiken ergehen, sondern daß wir uns verantwortungsbewußt jeder zu seinem Teil mühen, eine wirklich sachliche, gründliche Auseinandersetzung und Zusammenarbeit, die nachher im Ausschuß kommen muß, nicht unnötig zu erschweren.
— Selbstverständlich haben Sie zur Sache gesprochen, aber in der Ihnen eigentümlichen Art und Weise.
Niemand kann für sein Temperament; ich auch nicht.
Aber man kann sich sehr wohl, wenn man sich im letzten der gemeinsamen Verantwortung um das Ganze bewußt ist, auch mehr an die Kandare nehmen, als wir das ein ums andere Mal von unserem Kollegen Schellenberg mit Bedauern zu registrieren haben.
— Lassen Sie mir doch die Zeit dazu! Ich werde also meinem Vorhaben trotz dieser — wenn Sie wollen — herausfordernden Art des Herrn Kollegen Dr. Schellenberg von heute vormittag nicht untreu werden. Ich werde auch nicht in den Fehler verfallen, das Plenum weithin mit dem Ausschuß für Sozialpolitik zu verwechseln.
Meine Stellungnahme und die meiner politischen Freunde werde ich auf die grundsätzlichen Fragen, wie es mir scheint, beschränken, die hier anzusprechen wir für notwendig halten. Dabei erhebt der Katalog der Dinge, die ich vortragen werde, keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
— Kommen Sie her und machen Sie es anders und besser, Sie verehrter Zwischenrufer!
Ich werde dabei all die Einzelparagraphen übergehen, die nach meinem Dafürhalten nicht zum Gegenstand einer ersten Lesung gehören, sondern die wir der Ausschußberatung vorbehalten sollten. — Nach diesen Vorbemerkungen nun zum eigentlichen Thema.
Wenn ich unsere Auffassung dazu ganz ehrlich sagen soll, dann muß ich zum Ausdruck bringen, daß auch wir es gern gesehen hätten, wir wären an die Beratung dieser Neuordnung der Rentenversicherung etwas früher herangekommen.
Der Bundestag und insbesondere sein Ausschuß für Sozialpolitik wären dann nicht in den Zeitdruck gekommen, unter dem wir nunmehr nach Beendigung der Sommerpause wieder einmal werden arbeiten müssen. Ich glaube, wir müssen das um unserer eigenen Verantwortung willen aussprechen.
Auf der andern Seite haben wir aber auch Verständnis für die Schwierigkeit der Situation. Wir registrieren mit großer Anerkennung, daß sich vor allen Dingen seit der Veröffentlichung jenes VierProfessoren-Gutachtens, das der Herr Bundeskanzler damals eingeholt hatte, die Öffentlichkeit, die interessierten Einzelpersönlichkeiten, Organisationen und Verbände, die Organisationen der Sozialpartner oder wer immer es gewesen sein mag, mit besonderer Eindringlichkeit der Behandlung dieser Fragen zugewandt haben. Dadurch ist der Sache sicherlich in mancher Beziehung erheblich gedient worden. Ich glaube, wir sind verpflichtet, das hier ebenso, wie es der Herr Bundesarbeitsminister heute morgen in seiner Einführungsrede schon getan hat, mit Anerkennung zu verzeichnen.
Im Verlaufe der Jahre wurden vom Bundesarbeitsministerium zu verschiedenen Zeiten fest umrissene Termine für die Verabschiedung der Sozialreform genannt. Wenn sich im Verlaufe der Zeit, je intensiver man sich mit den Dingen beschäftigt hat, mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß man die in Aussicht gestellte umfassende Sozialreform, die also nicht nur die Rentenversicherungen, sondern alle beteiligten Kategorien betrifft, nicht in einer einzigen Gesetzesvorlage bringen und verabschieden kann, so ist, glaube ich, eine solche Erkenntnis durchaus begrüßenswert, und auch wir schließen uns ihr an.
Das besagt nicht, daß wir nicht gern vor der Behandlung des augenblicklichen Gesetzentwurfs die Gesamtkonzeption der Bundesregierung für die umfassende Sozialreform wenigstens in ihren Konturen und ihrer Linienführung gekannt hätten, weil uns das auch für die Behandlung des konkreten Gegenstandes, vor allen Dingen im Ausschuß, sehr von Nutzen hätte sein können. Wir kommen j a im Verlauf der Dinge und im Anschluß an das, was uns hier beschäftigt, nicht daran vorbei, das, was ansonsten noch zu geschehen hat, wenigstens in der einen oder anderen Beziehung bei diesen Beratungen bereits anzusprechen. Es wäre begrüßenswert, wenn wir im Laufe der Beratungen zu diesem Generalthema vielleicht dies oder das zu unserem Nutzen noch hören könnten. Das als einige prinzipielle Vorbemerkungen.
Zur Sache selbst kann ich mich auf die Begründung des Gesetzentwurfs und zusätzlich auf die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers von heute vormittag in sehr wesentlichen Punkten beziehen. Die Punkte, in denen wir von der Regierungsvorlage vielleicht abweichen oder wozu wir kritische Anmerkungen zu machen haben, werde ich Ihnen jetzt vortragen.
Ich möchte zunächst sagen, daß wir uns zu den Grundsätzen, die in dieser Vorlage enthalten sind und die in der Vorbemerkung, wenn Sie wollen, in einer Art Präambel, in der Begründung dem allgemeinen Teil vorangestellt sind, bekennen. Wir stimmen mit der Bundesregierung auch in dem überein, was sie zur Erläuterung zu den Ziffern 1, 2 und 3 der Grundsatzvorbemerkung gesagt hat. Wir bekennen uns also zu der umfassenden Sicherung, die auch auf die geänderte gesellschaftspolitische Situation die entsprechende Rücksicht nimmt. Wir haben die gleichen Vorstellungen wie die Bundesregierung von einer ausreichenden Sicherung bei den jetzigen Rentenbeziehern und bei den in abhängiger Arbeit stehenden Arbeitnehmern mit Einschränkungen, die dabei anzumerken sind.
Wenn wir die Rente für die Zukunft als eine Existenzsicherung des Rentners ansehen, wenn wir darauf Bedacht nehmen wollen, seine Existenzgrundlage auch weiterhin zu sichern, müssen wir uns im Grundsätzlichen der Methode bedienen, die der Regierungsentwurf vorsieht. Das heißt, wir müssen die Rente in Zukunft zu einer lohnbezogenen Rente machen, wie es die Vorlage im Prinzip beinhaltet.
Ich möchte mich nun den Paragraphen im einzelnen zuwenden. Zunächst erkläre ich unser Einverständnis mit dem § 1226 der Regierungsvorlage im Ersten Abschnitt. Auch wir sind der Meinung, daß die hier erstmals in die Rentenversicherung eingebrachte Neuerung bezüglich der Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbs-
fähigkeit der Versicherten und die Förderung von Maßnahmen zur Hebung des Gesundheitszustandes der versicherten Bevölkerung sich aus der Entwicklung der Verhältnisse zwangsläufig ergebende Notwendigkeiten sind. Wir sind auch der Meinung, daß alles Bemühen um die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit der Frage der Rentengewährung voranzugehen hat. Alle, die es angeht, werden dankbar sein müssen, wenn die sozialen Rentenversicherungen ihnen durch die künftige Ausweitung der Aufgaben dazu verhelfen, sich die Arbeitskraft nicht zuletzt auch im Interesse der Familien zu erhalten oder da, wo sie geschädigt ist, wiederherzustellen, um so einem vorzeitigen Rentenbezug, einer vorzeitigen Invalidisierung zu entgehen. Im einzelnen wird dazu anschließend noch etwas zu sagen sein.
Nun gestatten Sie mir eine Bemerkung, meine Damen und Herren, die zwar als eine technische angesehen werden könnte, die aber, wie ich persönlich und wie auch meine Freunde meinen, ebenso eine grundsätzliche, eine psychologische und, wenn Sie wollen, auch eine betont politische Note hat. Der Herr Kollege Schellenberg hat sich heute morgen mit der Frage auf seine Weise ebenfalls beschäftigt. Ich meine den Umstand, daß die die Angestelltenversicherung betreffenden Paragraphen zwar in einem Artikel 2 dieses Gesetzentwurfs, aber doch eben als Teil dieses Gesetzes behandelt sind. Der Herr Bundesarbeitsminister hat heute morgen mit Nachdruck betont, daß die Angestelltenversicherung auch nach dieser Neuordnung als eine selbständige Versicherung Bestand haben werde und daß bei der Bundesregierung niemand daran denke, die Selbständigkeit dieser Versicherungskategorie anzutasten. Der Herr Kollege Schellenberg hat dargetan, daß auch im Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion die Selbständigkeit der Angestelltenversicherung als solcher durchaus gewahrt sei. Wir haben, was die Entwicklungstendenzen angeht, hinsichtlich der Vorlage der SPD erhebliche Bedenken.
Aber auch die Vorlage der Bundesregierung befriedigt uns in dieser Beziehung nicht. Wir glauben, daß man dem Verlangen und der Forderung der Angestelltenorganisationen und -gewerkschaften Raum geben müßte, diese Gesetzesvorlage in zwei Teile zu zerlegen
und die Invaliden- und die Angestelltenversicherung in zwei getrennten Gesetzentwürfen nebeneinanderzustellen.
Das zu erarbeiten ist dann Sache des Sozialpolitischen Ausschusses. Ich stimme allerdings mit Herrn Kollegen Schellenberg darin überein, daß das, was hier drinsteht, nicht das vollständige Angestelltenversicherungsgesetz ist. Wir sollten vielmehr bei der Behandlung dieser Dinge so verfahren, wie wir es in der bisherigen Praxis schon mehr als einmal gehandhabt haben: daß wir gleichzeitig mit der Verabschiedung dieser Vorlage der Bundesregierung den Auftrag geben, das Angestelltenversicherungsgesetz dann in der neuen Fassung zu verkünden. Dann haben wir das, was wir wohl alle für richtig und notwendig halten.
Wir stimmen also der Auffassung der Bundesregierung gern zu, bitten aber auch darum, uns zu folgen, wenn wir einen Umbau der Gesetzesvorlage in dem angedeuteten Sinne vorzunehmen beabsichtigen.
Nun kommen wir hier sofort zu einem, wenn Sie so wollen, sehr neuralgischen Punkt der Gesetzesvorlage. In § 1227 wird die Ausdehnung der Versicherungspflicht auf a 11e Beschäftigten vorgesehen. Der Herr Kollege Schellenberg hat heute vormittag seine große Befriedigung über diese der Bundesregierung nun endlich gekommene Einsicht ausgesprochen. Er hat dargetan, daß die Bundesregierung hier der von der sozialdemokratischen Fraktion seit eh und je geforderten Ausweitung der Versicherungspflicht endlich Folge leiste. Nun, ich habe hier vor Ihnen keine Geheimnisse, sondern erkläre Ihnen ganz offen und frei, daß unter meinen politischen Freunden die Auffassungen über diese Frage heute noch auseinandergehen. Ein Teil meiner Freunde bekennt sich mit, wie ich durchaus zugeben muß, guten Argumenten, die es auch für diese Auffassung gibt, zu der Regierungsvorlage und zu dieser Ausweitung. Man stellt u. a. die Frage: Was bleibt, wenn wir die Dinge nun einmal so nehmen, wie sie heute sind, dann überhaupt noch übrig, wenn wir von einer vollständigen Ausdehnung der Versicherungspflicht absehen? Man sagt: Was dann noch übrigbleibt, ist nicht der Mühe wert, und wenn man dann den verbleibenden kleinen Rest in den staatlichen Versicherungsschutz mit einbezieht, tut man ihm damit nur einen Gefallen. — Es können auch noch andere Überlegungen darüber angestellt werden, auf die ich jetzt im einzelnen nicht eingehen will.
Die andere Auffassung, zu der auch ich mich offen bekenne, geht dahin, daß man ohne Rücksicht darauf, wie groß der betreffende Personenkreis ist, auch in dieser Frage an Grundsätzen festhalten sollte, die man in der Vergangenheit für gesund und für richtig gehalten hat, und daß man unter den heute gegebenen Verhältnissen, die sich gegenüber denen vor zwei, drei Jahren nicht so grundlegend gewandelt haben, keine Veranlassung haben sollte, von dieser, wie ich glaube, richtigen Grundhaltung von ehedem abzugehen.
Wir haben in der Vergangenheit sozialdemokratischen Anträgen widerstanden, die in diese Richtung gingen. Ich persönlich bin der Meinung, daß diese Haltung damals richtig gewesen ist und auch heute nicht falsch sein kann. Aber das sind Fragen, über die wir unsere Entscheidungen noch zu treffen haben. Das ist eine sehr wichtige Angelegenheit, über die sich der Sozialpolitische Ausschuß dann, wenn er an diese Dinge herankommt, sehr gründlich, ohne irgendwelche Ressentiments oder sonstige Vorurteile wird unterhalten müssen. Wenn man dort vielleicht zu, wie ich einmal sagen möchte, besseren Erkenntnissen kommen sollte, werden wir die Dinge entsprechend zu regeln haben.
Nun zu den weiteren Fragen, die ich ansprechen wollte! Wir sind mit der in der Regierungsvorlage zum Ausdruck gekommenen Absicht einverstanden, im Rahmen dieser Konzeption in Zukunft auf die sogenannte Anwartschaft zu verzichten, weil wir glauben, daß bei der geänderten Methode für die bisherigen Anwartschaftsvorschriften kein Raum mehr ist. Wir stimmen dem Gedanken der Regierungsvorlage zu, den Leistungsanspruch nur an die Erfüllung der Wartezeit zu binden.
In § 1233 der Regierungsvorlage wird die Frage der Weiterversicherung behandelt. Die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung ist dann gegeben, wenn der betreffende Versicherte die Wartezeit, die für den Empfang der Invalidenrente vorgeschrieben ist, also 60 Beitragsmonate, erfüllt hat. Dann hat er, wenn er aus dem versicherungspflichtigen Verhältnis ausscheidet, das Recht, seine Versicherung fortzusetzen. Hat er die Wartezeit nicht erfüllt, dann soll eine Rückerstattung seiner Beitragsanteile erfolgen. Mit dieser in der Vorlage niedergelegten Absicht sind wir einverstanden.
Wir sind — um das bei dieser Gelegenheit einzuschalten — nicht einverstanden mit dem entsprechenden Paragraphen der SPD-Vorlage, der die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung in Wahrheit ausdehnt und das Recht für alle Volksgenossen verankern will, der sozialen Rentenversicherung beizutreten, und dieses Recht auch den Ausländern und Staatenlosen einräumen will, die bei uns ihr Domizil haben. Wir glauben, daß bei dieser neuen Konzeption und angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung auch anderen Berufskategorien für die Zukunft Förderung und Beistand in der Schaffung ihrer Alterssicherung versprochen hat, für diese Dinge hier kein Raum sein sollte. Wir sind also für die Beschränkung der freiwilligen Versicherungsmöglichkeit in dem Rahmen und auf der Basis, wie es die Regierungsvorlage vorsieht.
Auf die andere Frage, die Versicherung für selbständige Berufe, komme ich im letzten Teil meiner Ausführungen noch mit ein paar Sätzen zurück.
Was die §§ 1241 bis 1249 angeht, also die Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, so möchte ich erklären, daß wir mit der Grundtendenz sehr wohl einverstanden sind. Wir glauben, daß die Ausweitung der Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit über das System der heutigen Heilverfahren hinaus, wie sie hier gedacht ist, diese neue Art der Rehabilitation, wenn man so sagen darf, in dieser Neuordnung ihren Platz haben muß.
Dabei befinde ich mich in Gedankennähe von Herrn Kollegen Schellenberg, der zum Ausdruck gebracht hat, daß mit den Bestimmungen, die hier vorgesehen sind, dieses Thema keineswegs ausdiskutiert ist und daß wir auch bei weiteren Neuordnungsberatungen — meinethalben über die Krankenversicherung und andere Dinge — sehr wohl noch darüber zu sprechen haben werden.
Ich verhehle auch nicht gewisse Bedenken, die man insbesondere in bezug auf § 1243 haben kann, aber auch in bezug auf andere Paragraphen, die die besonderen Rechte und bevorzugte Stellung der Träger der Rentenversicherungen betreffen. Die Bedenken beziehen sich auf die übrigen Versicherungsträger, insbesondere auf die Träger der Krankenversicherung. In etwa wenigstens steckt eine Tendenz in diesen Dingen drin, der Rentenversicherung eine Monopolstellung zu Lasten der übrigen Sozialversicherungsträger einzuräumen. Das sollten wir sehen und dabei auch nicht außer acht lassen, daß die Träger der Sozialversicherung in ihrer Gesamtheit heute nach dem Prinzip der Selbstverwaltung arbeiten. Wir haben infolgedessen Bedacht darauf zu nehmen, daß wir die Rechte der Selbstverwaltung dabei nicht unnötig antasten und schmälern.
Ich komme auf das zu sprechen, was der Herr Kollege Schellenberg zu § 1248 kritisch gesagt hat. Diese Vorschrift sieht unter Umständen gewisse Konsequenzen für den Fall vor, daß sich ein Versicherter den Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit gewollt und bewußt entzieht. Meine Damen und Herren, das hat nach meiner Auffassung mit Mißtrauen-Säen gegen die soziale Rentenversicherung nichts zu tun; aber es gibt bei all diesen Dingen doch immer so 'ne und solche, wie wir bei uns zu sagen pflegen. Der Gesetzgeber muß gegen diejenigen, die sich wider ihr eigenes Interesse solchen Maßnahmen bewußt entziehen wollen, irgendeine Handhabe geben. Wir werden zu überlegen haben, ob § 1248, so wie er nun dasteht, gerade richtig formuliert ist oder wie man ihn, ohne seinen Sinn damit aufzugeben, zweckmäßig ändern könnte.
Ich wende mich nunmehr dem Kapitel II über die Renten an Versicherte zu und will zunächst auf den § 1252 — Voraussetzungen der Renten an Versicherte — eingehen. Der Kollege Schellenberg hat darauf hingewiesen, daß in der Vorlage der sozialdemokratischen Fraktion der Begriff der Berufsunfähigkeit, wie er heute in der Angestelltenversicherung Geltung hat, ohne Änderung in die Invalidenversicherung übernommen worden sei und daß man glaube, damit der Sache am besten zu dienen. Wir haben uns in unserem Kreise über die Frage, ob der § 1252 der Regierungsvorlage so richtig oder falsch formuliert sei, sehr eingehend unterhalten. Auch bei uns sind Bedenken zum Ausdruck gekommen, ob nicht durch die Übernahme dieser Formulierung die Angestellten bezüglich des Begriffs der Berufsunfähigkeit im Vergleich zu ihren bisherigen Rechten benachteiligt würden. Wir haben uns jedoch, wenigstens zum erheblichen Teil, nicht den Überlegungen der Regierung verschlossen. daß der Inhalt des § 1252 sehr wohl einen Kompromiß zwischen den bisherigen Definitionen in der Invalidenversicherung und in der Angestelltenversicherung darstellen kann. Unter dieser Voraussetzung meinen wir, daß man diese Formulierung zunächst einmal so gelten lassen kann. Wir werden uns ja zwangsläufig im Ausschuß über diese und die beiden anderen Definitionen zu unterhalten und, wie ich hoffe, zu verständigen haben. Dabei kann dann das Notwendige geschehen.
Was die Wartezeiten angeht, so stimmen wir mit der Bundesregierung überein: 60 Kalendermonate für die Invalidenrente und 180 Kalendermonate für die Altersrente. Wir stimmen im Prinzip auch mit der auf 65 Jahre festgestellten Altersgrenze überein, wie sie in der Regierungsvorlage enthalten ist. Ich darf aber gleich hinzufügen, daß man über die Forderung — die sich auch der Bundesrat zu eigen gemacht, die aber die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme abgelehnt hat —, für weibliche Versicherte in einer des Näheren zu findenden Formulierung die Altersgrenze auf 60 Jahre herabzusetzen, sehr wohl ein vernünftiges Gespräch führen kann.
Ob man dabei zu anderen Ergebnissen als die Regierungsvorlage kommt, das mag im Augenblick eine offene Frage bleiben. Meine Freunde sind durchaus willens, sich im Sozialpolitischen Ausschuß über dieses Anliegen, das insbesondere von Frauenseite und von Organisationen vorgetragen wird, zu unterhalten. Dabei behalten wir die Hin-
weise der Bundesregierung im Auge, daß auch aus Kreisen der organisierten Frauen selber andere Vorschläge, nämlich Vorschläge im Sinne der Regierungsvorlage, gemacht worden sind.
Wir sollen an dieser Frage nicht einfach vorbeigehen und sollen nicht rigoros sagen: so und nicht anders! Wir wollen darüber ein vernünftiges Gespräch.
Die §§ 1258 und 1259 in der Vorlage, die die Invalidenrente betreffen, finden im Prinzip, weil wir der Konzeption als solcher zustimmen, ebenfalls unser Jawort. Dabei möchte ich mich im Augenblick nicht in die Frage verlieren, ob der Kollege Schellenberg wirklich recht hat, wenn er heute morgen dargetan hat, daß das, was hier an Leistungen vorgesehen sei, ungenügend wäre. Ich möchte mich auch nicht auf die nach meiner Auffassung von ihm nicht ganz richtig gesehene Frage der sogenannten Zurechnungszeiten, und was mit diesen Dingen im übrigen zusammenhängen mag, einlassen. Darüber sich zu unterhalten oder auseinanderzusetzen, bleibt im Sozialpolitischen Ausschuß genügend Zeit.
Das gleiche gilt dann auch von der Altersrente, der wir in der Konzeption der Bundesregierung an sich, im Prinzip wenigstens, ebenfalls zustimmen.
Wenn dabei Herr Kollege Schellenberg heute morgen die Auslassungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers bei der Abgabe der Regierungserklärung hier angezogen und kritisch beleuchtet hat, dann möchte ich dazu nur sagen: Ja, wer kann denn dem Herrn Bundeswirtschaftsminister oder der Bundesregierung das Recht verweigern, daß er oder sie bei verantwortungsbewußter Überlegung der gesamten Fragenkomplexe, die mit diesen außerordentlich wichtigen politischen — sowohl konjunkturpolitischen als auch sozialpolitischen — Dingen zusammenhängen, nun gewisse Fragen zur Erörterung stellt? Was wir dann damit in der Praxis machen werden, das bleibt die eigene Angelegenheit dieses Parlaments. Ich habe betont und betone erneut, daß wir an und für sich, was die Altersgrenze angeht, auf der Grundlage der Regierungsvorlage stehen, daß wir sehr wohl auch die Bedenken sehen, die gegen eine Lösung in der von Herrn Professor Erhard dargestellten Art und Weise sprechen mögen. — Nur soviel im Augenblick zu diesen Dingen!
Mit dem § 1260, der die gemeinsamen Bestimmungen für die Berechnung der Renten vorsieht, kommen wir in der Tat an den eigentlichen Kernpunkt der ganzen Gesetzesvorlage. Hier ist die Grundlage der völlig veränderten neuen Konzeption gegenüber dem, was bisher rechtens ist. Ohne daß wir im einzelnen die Dinge jetzt kritisch zerlegen wollen, muß ich auch hier namens meiner Freunde betonen, daß wir mit der hier vorgesehenen Regelung, also mit der so gedachten individuellen, persönlichen Bemessungsgrundlage des einzelnen Versicherten wie auch mit der Absicht, auf die hier dargelegte Weise die allgemeine Bemessungsgrundlage jeweils zu erarbeiten, im Prinzip übereinstimmen. Von hier aus setzt dann auch die sehr starke und erhebliche Kritik ein, die in der Öffentlichkeit an diesen Dingen geübt worden ist und noch geübt wird. Ich will mir jetzt keines der
Schlagworte zu eigen machen und weder von der dynamischen noch von der Produktivitätsrente noch von sonst welchen Schlagworten reden; aber daß wir es in dieser grundsätzlichen Entwicklung sehr wohl mit einer lohnbezogenen Rente für die Zukunft zu tun haben müssen, das sollte eigentlich allgemeine Auffassung im ganzen Hause sein.
Nachdem in den vergangenen Monaten, angefangen bei den sehr kritischen Auslassungen selbst eines Instituts wie der Bank deutscher Länder, bis hin zu Auslassungen auf Tagungen von Organisationen wie von Einzelpersönlichkeiten, auch von Männern der Wissenschaft, an der sogenannten Dynamik usw. Kritik geübt worden ist, dahin daß man Gefahren aus volkswirtschaftlichen Überlegungen und Erwägungen sehr nachdrücklich betont und auch währungspolitische Gefahren sieht, kann ich mich demgegenüber zunächst auf die Auslassungen des Herrn Bundesarbeitsministers von heute vormittag beziehen. Ich glaube, man muß sich schon ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen,. und wenn ich, ohne darauf des näheren eingehen zu wollen, mir sehr gründliche Thesen vergegenwärtige, die auch von wissenschaftlicher Seite für die Konzeption der Bundesregierung vorgebracht worden sind, dann, meine ich, können wir uns beruhigt auf der Grundlage der Vorlage an diese Überlegungen heranwagen.
Es wäre allerdings verantwortungslos von uns, wenn wir leichten Herzens an den Einwendungen, die erhoben werden, vorbeigingen.
Wir werden uns im Ausschuß auch unter Anhörung von Sachverständigen, wie ich meinen möchte, mit diesen Dingen sehr gründlich beschäftigen müssen, weil wir nicht glauben, aber auch nicht wollen, daß mit dieser Vorlage die Gefahren tatsächlich mit dem Ernst heraufbeschworen werden, wie sie in der Diskussion draußen betont werden. Wenn wir aber die lohnbezogene Rente und damit die nicht zuletzt aus gesellschaftspolitischen Gründen erforderliche Anhebung der Bezüge der Rentner in der hier gedachten Form haben wollen, dann, glaube ich, sind auch Vorschläge, wie sie aus der privaten Wirtschaft an uns herangebracht werden, in denen der sogenannten Sockelrente das Wort geredet wird und darüber hinaus die Eigenverantwortung der Versicherten einsetzen soll, für uns nur sehr schwer zu diskutieren, weil diese Vorschläge mit der genannten Konzeption nicht in Übereinstimmung gebracht werden können.
Meine verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Schellenberg hat heute morgen die verschiedenen Tabellen, die in der Regierungsvorlage enthalten sind, einer vernichtenden Kritik unterzogen. Ohne daß ich der Opposition ihr legitimes Recht, die Bundesregierung und die Regierungsparteien zu kritisieren und, wenn sie es für notwendig hält, in gemessener Form auch mit Vorwürfen zu bedenken, irgendwie beschränken oder beschneiden möchte — im Gegenteil, ich respektiere es —, möchte ich doch gegen die Art und Weise, wie hier an diesen Dingen Kritik geübt worden ist, meine sehr erheblichen Bedenken geltend machen.
Im übrigen sind auch wir der Meinung — das sage
ich jetzt sofort mit Bezug auf die Tabellen, die im
Zusammenhang mit dem § 1260 in den Gesetzent-
wurf aufgenommen worden sind —, daß die Tabellen einer nochmaligen Überprüfung bedürfen.
Das kann man natürlich in netter und anständiger Form sagen, wie ich das jetzt tue,
ohne daß man dabei in die so völlig andere Tonart verfällt, die Herrn Professor Schellenberg so sehr eigen ist.
— Entschuldigen Sie, seien Sie doch nicht so sehr von Ihrem eigenen Geist und von Ihren Arbeiten überzeugt, daß Sie glauben, andere Leute könnten nicht auch sehen, könnten nicht auch lesen und könnten nicht auch denken.
— Das ist ja völlig abwegig. Verleiten Sie mich jetzt nicht, verehrter Herr Kollege, dazu, meinem Vorsatz untreu zu werden. Ich müßte sonst zu der Entwicklung Ihres eigenen Entwurfs und zu der, verzeihen Sie, etwas überheblichen Art, mit der Sie die Probleme hier dargestellt haben und es auch mit Ihrem Zwischenruf jetzt schon wieder tun, wirklich einige deutliche Worte sagen; ich möchte das unterlassen.
Wir haben — ich sage das jetzt mit Bezug auf den Zwischenruf des Herrn Schellenberg — bei den Vorbesprechungen dieser Vorlage, von denen Herr Schellenberg heute morgen gemeint hat, wir hätten die Vorbesprechungen nur deshalb geführt, damit wir den Inhalt der Regierungsvorlage kapieren lernten — —
— Ich weiß nicht, ob wir viel schwerer von „Kapee" sind als die Herren da drüben.
Aber eins muß ich im Hinblick auf unsere Verpflichtung hier herausstellen: Man kann es uns nicht zum Vorwurf machen, daß wir uns, nachdem die Regierungsvorlage erschienen ist und wir verantwortungsbewußt an ihre Bearbeitung herangehen wollen, darüber mit der Regierung im einzelnen auseinandersetzen. Wir würden ansonsten unsere Pflicht vernachlässigen. Bei dieser Gelegenheit sind, verehrter Herr Professor, aus dem Kreis unserer Kollegen schon Einwendungen in bezug auf alle Tabellen, die in der Vorlage enthalten sind, erhoben worden. Wir haben dem Bundesarbeitsministerium mit konkretem Material, mit einer erheblichen Zahl von Einzelfällen gedient und ihm gleichzeitig den Rat gegeben, auf Grund dieser Unterlagen die eigenen Erarbeitungen noch einmal zu überprüfen. Diese Überprüfungen sind im Gange, und wir werden uns darüber unterhalten können. Ich möchte das sagen, damit Herr Professor Schellenberg und seine Freunde von der Einbildung geheilt werden, es hätte erst ihres Hinweises in dieser Debatte bedurft, um die Bundesregierung auf diese Dinge hinzuweisen.
Das Prinzip der Zurechnungszeit — auf diese Bemerkung möchte ich mich hier beschränken —, wie es im § 1264 vorgesehen ist, findet im Grunde unsere Billigung. Im einzelnen ist über diese Zeiten, die Anrechnungen und Zurechnungen beinhalten, im Ausschuß zu sprechen, und es mag durchaus sein, daß dabei auch noch diese oder jene Änderung der bisher vorgesehenen Vorschriften herauskommt.
Zum Thema der Hinterbliebenen-, Witwen-, Witwer- und Waisenrente will ich hier im einzelnen nicht sprechen. Das ist wohl Sache des Ausschusses. Ich halte das Thema, was die Sache als solche angeht, nicht für von so grundlegender Bedeutung, daß sie hier in der ersten Lesung angesprochen werden müßte.
Aber eins bin ich nach der Meinungsbildung meiner Freunde verpflichtet, hier auszusprechen: In § 1269 ist eine Regelung der Witwenrente auch für frühere Ehefrauen eines Versicherten vorgesehen. Die Formulierung in der Vorlage mögen Sie sich selber anschauen. Bei meinen Freunden ist grundsätzlich sehr wenig Sympathie vorhanden, eine solche Regelung der Witwenrente für frühere Ehefrauen eines Versicherten in dieser Form vorzusehen. Wir werden darüber selbstverständlich reden müssen.
Aber eine andere Vorschrift findet unsere Sympathie, und zwar die über die Witwen- und Witwerabfindung, die in § 1305 vorgesehen ist und bisher in der Rentenversicherung nicht bekannt war. Wir sind allerdings der Meinung, daß wir das Recht, das hier geschaffen werden soll, an bereits vorhandene Bestimmungen in anderen Gesetzen anpassen sollten. Gemeint ist hier vor allem das Bundesversorgungsgesetz. Wir sollten nicht in dem einen Gesetz eine solche, in dem anderen Gesetz eine andere und schließlich vielleicht morgen oder übermorgen in einem dritten Gesetz wieder eine andere Regelung vorsehen. Wir werden uns also im Ausschuß über die Angleichung dieser Bestimmungen zu unterhalten haben.
Es ist heute morgen von Herrn Kollegen Schellenberg sehr eingehend über die §§ 1276 bis 1279, über die Anpassung der laufenden Renten gesprochen worden. Wir sind hier allerdings grundsätzlich anderer Meinung als die Sozialdemokraten. Wir stehen in diesem Punkte aus sehr gewichtigen Gründen auf dem Boden der Regierungsvorlage. Man mag darüber diskutieren, ob der Bemessungszeitraum etwas verkürzt oder ausgeweitet werden soll. Die Regierung begründet sehr wohl den Standpunkt, die Anpassung solle alle fünf Jahre vorgenommen werden. Wenn sie den Vorschlag des Bundesrats abgelehnt hat, einen Zeitraum von drei Jahren zu akzeptieren, so hat sie dafür über die knappe Bemerkung in der Entgegnung hinaus sicherlich auch noch gewichtige Gründe. Wir werden darüber sprechen. Aber ablehnen werden wir unter allen Umständen die von der SPD geforderte alljährliche Anpassung, die damit angestrebte absolute Automatik, weil wir glauben, eine solche Regelung aus sehr gewichtigen,
auch volkswirtschaftlichen und hier vielleicht auch währungspolitischen Gründen nicht vertreten zu können. Wir bejahen dem Grundsatz nach auch den § 1277.
In § 1278 ist vorgesehen, daß über künftige Anpassungen nicht mehr das Parlament, sondern die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung ides Bundesrats zu befinden hat. Hier handelt es sich sicherlich um eine grundsätzliche Frage; sie muß entschieden werden. Man kann dafür eintreten, daß die Zuständigkeit dafür nach wie vor beim Parlament bleibt, weil bei ihm sowieso jederzeit die Möglichkeiten der Initiative liegen. Man kann aber sehr wohl auch der Meinung sein, es könne der Sache vielleicht nichts schaden, wenn man die jeweilige Anpassung und die damit zusammenhängenden Erfordernisse vom Parkett der parlamentarischen Auseinandersetzungen um der Beruhigung der Atmosphäre willen hinwegbringt und der Regierung überantwortet. Auch das kann sehr wohl einen guten Sinn haben. Wir stehen im Prinzip zu dieser Meinung; aber wir kommen im Ausschuß zwangsläufig auch an diese Diskussion heran.
Nun ist in § 1279 ein Sozialversicherungsbeirat vorgesehen. Der Bundesrat hat beantragt, ihn zu streichen. Die Bundesregierung hat diesem Vorschlag des Bundesrates zugestimmt. Unter meinen politischen Freunden ist mindestens bei einem Teil auch die Auffassung vertreten worden, daß man auf diesen besonderen Sozialversicherungsbeirat — wenn man die Dinge so regeln will — verzichten könne. Es ist aber auch manches Positive darüber gesagt worden, welche Aufgaben ein solcher Beirat erfüllen könnte. Wenn man jedoch auf ihn verzichtet, dann passiert, glaube ich, ' nichts Weltbewegendes; denn der Bundesarbeitsminister oder die Bundesregierung werden keine Verordnung zu diesem Thema erlassen, ohne daß sie sich vorher gründlich mit den in Frage kommenden Beteiligten darüber ausgesprochen haben. Das ist also eine Sache, über die man, glaube ich, nicht allzu viele Worte zu verlieren braucht.
Nur ein paar Worte — damit ich Sie, meine verehrten Damen und Herren, nicht mehr allzulange in Anspruch nehme — zum Thema der Aufbringung der Mittel, wie es in den §§ 1382 bis 1384 behandelt ist.
Zu der Auflage an die Bundesregierung, die in § 1383 vorgesehenen versicherungstechnischen Bilanzen zu erstellen, sagen wir ja. Wenn die Mittel für die Ausgaben durch Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber sowie durch Zuschüsse des Bundes aufgebracht werden sollen, kann im Grundsatz nichts dagegen geltend gemacht werden. Aber zu der Beitragsfestsetzung als solcher, über die hinterher dann an anderer Stelle gesprochen wird — und zwar wird die Höhe der Beiträge auf 14 % des Einkommens bemessen, d. h. also, daß gegenüber den bisherigen Beitragssätzen eine Aufstockung der Beiträge um je 1 % für Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfolgt und 1 % von der Arbeitslosenversicherung auf die Rentenversicherung übertragen wird —, sind meine politischen Freunde der Meinung, daß man bei einem solchen Ausmaß der Leistungssteigerung sehr wohl mit den Beteiligten auch darüber sprechen kann, daß sie für eine so verbesserte Altersversicherung für sich selber und ihre Hinterbliebenen noch 1 % zusätzlichen Beitrag in Kauf nehmen sollten. Das wird vielleicht sogar gerne geschehen.
Wir stehen hierin etwas in Gegensatz zu der Auffassung der SPD, die keine Erhöhung der Beiträge der Sozialpartner möchte, sondern der Auffassung ist, daß die Verbesserung durch einen entsprechend höheren Zuschuß des Bundeshaushalts garantiert werden müsse.
Die Beitragsbemessungsgrenze — hier hat Herr Dr. Schellenberg heute morgen ebenfalls kritische Ausführungen angeknüpft — ist in der für das Jahr 1957 vorgesehenen Form, falls die Regierungsvorlage so angenommen werden sollte, sehr wohl zu vertreten. Sie ist aber variabel und wird, da sie an die Bemessungsgrundlage gebunden wird, ebenfalls durchaus den Veränderungen unterworfen, die jeweils durch den Bundesarbeitsminister festzulegen sind. Herr Schellenberg hat darauf verwiesen, daß in der Vorlage der SPD eine Beitragsbemessungsgrenze von 1000 DM vorgesehen ist. Das wird selbstverständlich Gegenstand der Erörterungen sein.
Vorhin habe ich die im Lager meiner Freunde abweichenden Meinungen zur totalen Versicherungspflicht und zur Versicherungspflichtgrenze dargelegt. Ich möchte noch hinzufügen: auch die Anhänger der Ansicht, eine Versicherungspflichtgrenze beizubehalten, sind durchaus der Meinung, daß man dann selbstverständlich mit der bisherigen Grenze von 750 Mark nicht mehr hinkommt. Wir wollen im Augenblick diese Grenze nicht konkretisieren. Gleichwohl sind wir der Meinung, daß sie sicherlich angemessen erhöht werden müßte.
In § 1390 ist eine Gemeinlast für sämtliche Träger der 'sozialen Rentenversicherung vorgesehen. Ich halte das für einen sehr wesentlichen Punkt. Die Frage muß besprochen werden. Wenn wir die Zuständigkeiten so getrennt nebeneinander aufführen, wie wir das haben möchten, und wenn wir dabei die Tatsache berücksichtigen, daß die Träger Selbstverwaltung haben und wir diese Selbstverwaltung, auch was die Verfügung über Ausgaben und Einnahmen angeht, nicht unnötig schmälern und stören sollten, dann bin ich mir sehr im Zweifel darüber, ob man eine solche über sämtliche Träger der Invalidenversicherung und über die Angestelltenversicherung gezogene Gemeinlast in dieser Form vertreten kann. Ich glaube, wir werden auch wegen der durchaus möglichen Benachteiligung der Angestellten gründlich darüber sprechen müssen. Im übrigen sind wir — das ist heute morgen häufig betont worden — ebenfalls der Auffassung, daß der Grundsatz „gleiche Beiträge, gleiche Leistungen" im Prinzip Beachtung finden muß.
Ein Wort zu § 16 der Übergangsbestimmungen. Zunächst vielleicht eine Bemerkung zu den Übergangsvorschriften überhaupt, zum § 2, der die Anpassung der laufenden Renten an die veränderte Neuordnung bringen soll. Darüber, daß wir die laufenden Renten in die Anpassung, in die sage-nannte Dynamik, in die Lohnbezogenheit einbeziehen müssen, sollte es kaum Streit geben. Die Frage ist natürlich, w i e sie einbezogen werden. Darüber, daß man nicht jede einzelne Versicherungs- und Rentenakte dabei wälzen kann und nicht jeden einzelnen Fall der Millionen Fälle nach der Rentenformel für sich berechnen kann, ist auch nicht zu diskutieren. Das würde ja einen Verwaltungsaufwand und eine Arbeit von mehreren Jahren notwendig machen.
Deshalb muß man schon zu einer einfacheren Formel kommen, und die ist in den Tabellen ent-
halten, die in gewisser Beziehung nach dem Prinzip des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes gefunden worden sind. Aber wir sind der Meinung, daß auch diese Tabellen einer Überprüfung bedürfen. Wir sind darauf aufmerksam gemacht worden und sind auch selber bei unseren Beratungen schon darauf gekommen, daß sich bei der Anwendung dieser Tabellen und bei der Anwendung der Rentenformel für die Neurcntenzugänge nicht unerhebliche Diskrepanzen in den Ergebnissen zwischen laufenden Renten und Neuzugängen an Renten ergeben. Insofern bedarf es hier einer gewissenhaften Überprüfung.
Herr Schellenberg hat kritisiert, daß die Bundesregierung mit ungenügendem Material aufgewartet habe. Ich bin der Auffassung, daß die Bundesregierung in diesen Gesetzentwurf nicht alles an Material einbauen konnte und daß der Herr Bundesarbeitsminister nicht diese Aktenbände von Material auf das Katheder mitschleppen und sagen kann: Hier ist es. Ich bin aber sehr wohl der Meinung, daß uns die Bundesregierung bei den einzelnen Erörterungen im Ausschuß noch mit sehr ausgiebigem zusätzlichem Material dienen wird und auch wird dienen müssen.
Wir werden uns also über die Diskrepanzen, die hierin enthalten sind, noch verständigen müssen, wenn uns die Bundesregierung das Ergebnis ihrer Überprüfungen zugänglich macht.
Lassen Sie mich auch noch einer Sorge Ausdruck geben, die von seiten der Angestellten an uns herangetragen worden ist und in einer gestrigen Abendunterhaltung auch im Kreise der Deutschen Angestelltengewerkschaft geäußert wurde. Bekanntlich sind nach dem geltenden Recht die Steigerungsbeträge in der Invalidenversicherung höher als in der Angestelltenversicherung. Sie betragen in der Angestelltenversicherung 0,7 % und in der Invalidenversicherung 1,2 %. Nun bauen diese Tabellen auf den Steigerungsbeträgen auf, die in den laufenden Renten enthalten sind. Der aus der Tabelle sich ergebende Multiplikationsfaktor ist mit den Steigerungsbeträgen zu vervielfältigen. Da die Steigerungsbeträge in der Angestelltenversicherung erheblich geringer sind, muß dieser Tatsache in den Tabellen der Bundesregierung Rechnung getragen werden.
Hier bedarf es noch einer Nachprüfung, um eine Benachteiligung der Angestellten zu verhindern. Ich gestehe gern, daß ich im Augenblick nicht übersehe, ob diese Verhältnisse in der Tabelle berücksichtigt sind oder nicht. Es mag sein, daß sie berücksichtigt sind. Ich will es aber der Vorsorge halber hier ansprechen.
Wir haben uns für die Beseitigung der Selbstversicherung in dem bisher möglichen Rahmen ausgesprochen. Wir sind infolgedessen aber auch mit der in den Übergangsvorschriften im § 16 vorgesehenen Regelung einverstanden, daß diejenigen ihre Selbstversicherung auch für die Zukunft fortsetzen können, die sie vor dem 1. Januar 1956 abgeschlossen haben.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, einen kurzen Hinweis auf § 20 der Übergangsvorschriften, der lautet:
Die Altersversorgung des deutschen Handwerks wird bis zu ihrer Neuregelung nach
den bisher geltenden Vorschriften durchgeführt; diese bleiben insoweit in Kraft.
Ich glaube, die hier vorgesehene Vorschrift ist eine zwangsläufige Folge dessen, was zur Zeit ist. Wir sollen in der heutigen Tagesordnung noch die vorläufige Neuregelung der Altersversorgung des Deutschen Handwerks beschließen. Wir haben schon früher sehr häufig in diesem und in ähnlichen Zusammenhängen darüber diskutiert und der Meinung Ausdruck gegeben, daß die Altersversorgung des Deutschen Handwerks einer grundlegenden Neuordnung bedarf. Wir sollten deshalb der Regierungsvorlage folgen, weil es nach unserer Meinung nicht möglich ist, jetzt diese Altersversorgung des Handwerks eben als Alterssicherung des Handwerks in dieses System mit zu übernehmen.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit, daß ich noch ein zusätzliches Wort zum Thema der staatlichen Alterssicherung für Selbständigengruppen überhaupt sage. Noch bevor wir mit der eigentlichen konkreten Beratung der heutigen Vorlage begonnen hatten, hatte die Bundesregierung in ihrem federführenden Ministerium einen Referentenentwurf für eine Alterssicherung der Landwirtschaft zur öffentlichen Diskussion gestellt.
Sie hat damit einen Weg beschritten, der auch die Landwirtschaft auf die in der Vorlage vorgesehene Art und Weise in eine staatliche Zwangsversicherung hineinnimmt.
Wenn wir diese Methode für die Selbständigengruppen als solche wählen — beim Handwerk, wo sie uns nicht von uns selber beschert worden ist, können wir es im Augenblick nicht ändern —, dann möchte ich doch gewisse Bedenken anmelden, die in der grundsätzlichen Überlegung verankert sind, daß man auf solche Weise, wenn auch in Varianten, schließlich zu einer allgemeinen Staatsversorgung sämtlicher Berufskategorien und Gruppen, sowohl der Arbeitnehmer als auch der Selbständigen, kommt.
Ich bin der Auffassung, daß man darüber, bevor die Bundesregierung solche Entwürfe herausbringt, eine grundsätzliche Unterhaltung führen müßte. Ich habe selbstverständlich keinen Auftrag, Herr Kollege Arndgen — auch wenn Sie mich dabei böse angucken —,
diese Meinung im Namen der Fraktion zum Ausdruck zu bringen. Aber ich glaube, daß man solche Bedenken von unserer grundsätzlichen Haltung her gesehen, die wir in der Vergangenheit zu den Problemen der Sozialpolitik und ihrer Ordnung gehabt haben, sehr wohl anbringen kann.
Auch wenn unsere Kollegen zu einem Teil, insbesondere der verehrte Kollege und Sozialexperte Arndgen, anderer Meinung sind, darf ich mir erlauben, diese persönliche Auffassung von dieser Stelle aus vorzutragen.
Ich möchte eigentlich mit diesem etwas besorgten Hinweis auf die vor uns liegende mögliche Entwicklung meine Ausführungen schließen. Ich möchte sie aber nicht beenden, meine Damen und Herren, ohne auch meinerseits zu sagen — und das tue ich jetzt wieder im Auftrag meiner Freunde und auch im Namen des Herrn Arndgen —, daß wir, wenn wir diese erste Lesung hinter uns haben und dann an die konkrete Einzelarbeit herangehen, zunächst einmal alle Auseinandersetzungen, die in diesem Raum heute geführt sein mögen, hintanstellen — ich will nicht sagen: vergessen — und daß wir dann von einem neuen Start aus in der wirklichen allseitigen Bereitschaft mit bewußtem Verantwortungsgefühl an idie Beratungen herangehen. Wir sind in einer Reihe von Punkten auf allen Bänken dieses Hauses gar nicht einmal so sehr weit auseinander, daß wir nicht vernünftige Gespräche mit dem Ziel einer möglichen Verständigung führen könnten. An diese gemeinsame Aufgabe möchte ich am Schluß meiner Ausführungen appellieren, und ich habe die Hoffnung, daß dieses gemeinsame Verantwortungsbewußtsein uns im Ausschuß schließlich eine Vorlage erarbeiten läßt, mit der wir dann guten Gewissens zur zweiten Lesung vor dieses Forum des Parlaments werden treten können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Regierungsentwurf zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung packt ebenso, wie es die Vorlage der sozialdemokratischen Fraktion bereits getan hat, eines der überfälligen sozialpolitischen Probleme an. Die beiden Lösungsversuche, die uns vorgelegt werden, decken sich, man kann fast sagen, überraschend in der Grundkonzeption. Ich meine, das kann man zum Lob des Herrn Schellenberg sagen: sein Entwurf scheint mir besser durchdacht und technisch klarer durchgearbeitet. Aber beide Entwürfe wenden sich von dem bisherigen System der deutschen Sozialversicherung grundlegend ab. Beide Entwürfe überbieten sich nach meinem Gefühl im Angebot angeblicher „sozialer Sicherung". Beide Entwürfe setzen sich, wie es die Bundesregierung in der Begründung ihres Entwurfs auch selbst hervorhebt, nur oder doch wenigstens überwiegend sozialpolitische Ziele, ohne die zu erwartenden, ich möchte meinen, zu befürchtenden wirtschaftlichen Folgen hinreichend zu bedenken.
Wir, die Freien Demokraten, begrüßen den Willen, die gegenwärtig unzureichenden Renten aufzubessern. Damit wird endlich auch nach unserer Überzeugung der veränderten Struktur unserer Gesellschaft Rechnung getragen, in der die Sozialrente nicht mehr nur Zuschuß zum Familieneinkommen bedeutet, sondern zur Existenzgrundlage des Rentners geworden ist.
Wir begrüßen weiterhin die Tendenz, im Rahmen der Versicherung weit stärker als bisher die Voraussetzungen für die vorbeugende Gesundheitsfürsorge sowie für die Wiederherstellung der Gesundheit und der Erwerbsfähigkeit zu schaffen. Es müßte aber noch bewiesen werden, meine ich, daß der Träger der Rentenversicherung diese Aufgabe besser wahrnehmen kann als die doch zunächst und ihrem Wesen nach dazu berufene Krankenversicherung. Wir begrüßen endlich die Absicht, das Risiko der Altersversicherung von dem
der Invaliditätsversicherung zu scheiden. So weit unsere Zustimmung.
Wir sind aber betroffen, meine Damen und Herren, über die Unbedenklichkeit, über die Unbekümmertheit, mit der gerade auch die Regierung in ihrer Vorlage der besorgniserregenden Neigung unserer Zeit zu kollektiver Sicherung um jeden Preis nachgibt und die individuelle Selbstverantwortung, dieses große soziale Stimulans, preiszugeben bereit ist. Wir wissen von der Hilflosigkeit der Menschen unserer Zeit gegenüber der Forderung: „Sorge dich um deine Zukunft, sichere dich vor Not!" Daraus wird aber in den Vorlagen nicht etwa der Schluß gezogen: „Ich, die Gemeinschaft, der Staat, helfen dir mit allen unseren Möglichkeiten, damit du dir selbst helfen kannst." Nein, man will durch immer weitergehende Ausdehnung der Versicherungspflicht den Menschen zur Unselbständigkeit zwingen, selbst da, wo ein Schutzbedürfnis nicht mehr gegeben ist. Das ist ein wesentlicher Einwand, den wir gegen die Grundtendenz der beiden Vorlagen erheben.
Beide Vorlagen haben einen gefährlichen Zug zu dem, was man — etwas schlagwortartig und vielleicht auch etwas irreführend — als „Vermassung" bezeichnet; sie wissen nichts von dem Geheimnis des Lebens, das dem Menschen sagt: du findest weder Wohlstand noch Glück noch Freiheit, wenn du nicht bereit bist, das Risiko der eigenen Verantwortung, der eigenen Entscheidung und der eigenen Leistung auf dich zu nehmen;
willst du die eigene Verantwortung, die eigene Entscheidung, die eigene Leistung auf fremde Schultern abwälzen, dann kommen sie als Gebote und Verbote einer bösen Apparatur zu dir zurück und unterjochen dich. „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß!" Ich meine, beide Entwürfe verschließen sich in verhängnisvoller Leichtfertigkeit — nicht, Herr Kollege Horn, wie Sie sagen, mit Ernst; ich möchte sagen: ohne den erforderlichen Ernst — den wirtschaftspolitischen Folgen, die in der angestrebten Indexrentenversicherung liegen. Vorsorge für das Alter war von jeher das Königsrecht des freien Mannes.
— Ich sage Ihnen, inwieweit sie noch Recht u n d Pflicht ist und daß das Leben sinnlos ist, wenn wir sie aus unserer Gesellschaft herausstreichen wollen. Die politische Ordnung soll für das Recht und die Pflicht des freien Mannes, für das Alter vorzusorgen, den Weg frei machen und soll diesen Weg nicht durch das Unrecht, durch die Barriere konfiskatorischer Steuern und schleichender Inflation verbauen. Sie soll auch nicht für die freie Vorsorge für den, der dieses Wagnis auf sich nehmen will und auf sich nimmt, durch staatliche Zwangsversicherung unmöglich machen.
Daher wenden wir uns gegen die in den Gesetzentwürfen enthaltene Ausdehnung der Pflichtversicherung auf alle in irgendeinem Beschäftigungsverhältnis stehenden Personen und auch dagegen — hier sind wir wohl mit Herrn Kollegen Schellenberg und auch mit der Mehrheit der CDU-Fraktion, für die Herr Kollege Horn sprach, einig —, daß die Eigenständigkeit der Angestelltenversicherung in der neuen Ordnung nur noch eine leere Form, nur eine organisatorische Farce bedeuten würde. Vor allem die in der Ausdehnung des Versicherungszwangs auf mehr als 90 °/o aller Bürger liegende
Diskriminierung der übrigen Bevölkerung erscheint mir als unvertretbar, wenn man nicht das will, was Herr Kollege Horn uns als erstrebenswert — ich meine: als eine beängstigende Vorstellung — vor Augen gestellt hat: die allgemeine Staatsversorgung. Ich will mich nicht im einzelnen dazu äußern. Aber wenn man das sagt, dann hat man aus den Erfahrungen der Länder, in denen diese Experimente — nicht zum Guten der Gesellschaft — gemacht worden sind, wahrlich nichts gelernt.
Unmöglich erscheint es uns, daß der Staat den Versicherten — das ist ja die Vorstellung der beiden Vorlagen — garantieren soll, als Rentner stets wertbeständig versorgt zu werden, daß dagegen der kleine Kreis der anderen sich selbst überlassen wird, daß es ihm überlassen bleibt, sich mit der in diesen Gesetzentwürfen deutlich ausgesprochenen, ich möchte meinen, verantwortungslos unterstellten Inflationstendenz abzufinden, sich mit ihr herumzuschlagen. Man wünscht, daß für die Zukunft bei einem entsprechenden Anteil der Lohnempfänger am steigenden Sozialprodukt auch die Rentner an dieser Entwicklung teilhaben. Dabei übersieht man — gewollt oder ungewollt —, daß eine solche Maßnahme zur völligen Entwertung jeder andersgearteten Spartätigkeit führen muß, weil eben die ersparten Kapitalien nicht automatisch einem wachsenden Lohnniveau mit der dadurch bedingten Kaufkrafterhöhung folgen können, es sei denn, man nimmt eben auch hier eine laufende Aufwertung nach einem errechneten Index vor. Damit würde man die permanente Inflation, die dauernde Aufweichung unserer Währung praktizieren, ihr das Wort reden; und es würde geschehen, auch wenn der Außenkurs unserer Währung fest bliebe.
Ist man sich denn überhaupt bewußt, meine Damen und Herren, in welchem Maße man bei der Durchführung dieser Vorstellung die sogenannten Sozialpartner überfordern würde, die ja bei ihren Lohnverhandlungen die Auswirkungen ihrer Vereinbarung auf andere Gebiete der Wirtschaft und Gesellschaft bedenken müßten?
Man würde sie damit zum Gewissen des Staates, der Gesellschaft, der Wirtschaft machen und, wie ich meine, maßlos überfordern.
Die Indexrente ist in jeder Form ein Schritt zur Entwertung der Währung und deswegen verderblich.
Aber wir begnügen uns nicht mit dieser negativen Feststellung. Unsere Pflicht ist, ernsthaft zu überlegen, ob es nicht einen besseren Weg gibt, um die Kaufkraft der Renten, aber auch die aller anderen Einkommen zu erhalten, wenn nicht gar zu erhöhen, ohne daß Renten und Einkommen nominal erhöht werden müssen.
Die Herren auf der Regierungsbank haben in der letzten Woche und auch gestern in der Konjunkturdebatte, insbesondere durch den mir als Landsmann und als Liberalen so vertrauten Herrn Bundeswirtschaftsminister, leidenschaftlich den Standpunkt vertreten, daß eine inflationistische Entwicklung unbedingt verhindert werden müsse und daß sie auch über die Mittel verfügten, sie zu verhindern. Aber ausgerechnet die gleiche Regierung hat in dem vorliegenden Regierungsentwurf versucht, diese verderbliche Indexformel zu präsentieren, die ohne die Annahme, ja, ich möchte sagen, ohne die Hinnahme der Inflation sinnlos wäre. Es erinnert mich an jenen Ehemann, der ohne seine Frau in Urlaub geht in der festen Absicht, ihr den Treueschwur zu halten, und sich schon bei dem ersten Bahnhofskiosk leichtfertige Literatur ersteht.
Ich meine, es gehört zu den ständigen Aufgaben eines modernen Industriestaates — insoweit sollte sich das ganze Haus einig sein —, seine Sozialrenten funktionsfähig zu erhalten, d. h. darauf bedacht zu sein, daß der normale Typ des Bürgers — das ist doch der Arbeitnehmer geworden — im Genuß einer kaufkräftigen und auskömmlichen Rente bleibt. Der Weg dazu ist aber nicht so sehr die Sozialpolitik. Die Sozialpolitik ist am Ende eine Funktion der Wirtschaftspolitik.
— Ach, selbstverständlich. Nun, im weitesten Sinne ist Wirtschaftspolitik natürlich auch Sozialpolitik, wenn ich an die Existenz des einzelnen denke. Aber die Sozialpolitik in der Funktion ist selbstverständlich abhängig von der Wirtschaftspolitik, eingebettet in die Wirtschaftspolitik.
Die Aufgabe, die uns gestellt ist, die ich eben umschrieben habe, ist die Aufgabe einer „gekonnten", ich möchte auch sagen, einer glücklichen Wirtschaftspolitik, die dafür sorgt, daß die Waren immer preiswerter, die Löhne immer kaufkräftiger werden. Man hat manchmal den Eindruck, daß die Suche nach einer Rentenformel beinahe zu einer überwertigen Idee geworden ist. Man glaubt, durch ein solches kabbalistisches Zeichen auf ewige Zeiten der schweren Aufgabe der Staatsführung enthoben zu werden, ihrer Pflicht, ständig Gesellschaft und Wirtschaft aus einem Guß, aus einer großen Vorstellung heraus zu gestalten. Das ist die große Aufgabe, die uns gestellt ist, auch wenn wir an die sozialpolitischen Forderungen, die wir bejahen, denken. Der Gedanke, man könnte und müßte regelmäßig so etwa in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode unter wahlpolitischen Auspizien die Renten überprüfen, erfüllt mich mit einem leichten Grauen, — aber auch die Vorstellung, die Herr Kollege Horn. hier dargelegt hat, man könne diese Aufgabe, die der Regierung und dem Bundestag gestellt ist, am Ende der Bürokratie überlassen, eine solche Aufgabe, die an die Grundlagen unserer Gesellschaft rührt!
— Doch, Herr Kollege Horn hat die Möglichkeit erörtert, daß man diesen politischen Streit vom Parkett des Parlaments wegwischen könne.
Ich glaube nicht, daß die Lösung, wie sie in den Entwürfen versucht wird, gut ist und daß sie die Aufgabe, die uns gestellt ist, erfüllen läßt. Hier erheben sich unsere grundsätzlichen Bedenken. Hier wird die Weiche gestellt.
Wir haben Verständnis für die Forderung, daß die Rentenerhöhungen, die wir bejahen, allen Empfängern solcher Leistungen zugute kommen. Aus diesem Wunsche heraus ist der Regierungsentwurf jedoch in einen merkwürdigen Konflikt gekommen, indem man nämlich in richtiger Erkenntnis des Versicherungsprinzips in der neuen Struktur der Rente nur die während des Arbeitslebens entrichteten Beiträge berücksichtigt und zunächst allein hiernach die Leistungen errechnet. Unter
Verzicht auf den bisherigen Grundbestandteil, unter Verzicht auf die mißliche Mindestrente kommt man zu dem Ergebnis, daß sich für viele vorzeitige Invaliditätsrenten ein sehr geringer und als Existenzgrundlage unzureichender Betrag ergeben würde. Anstatt nun aber eine im Einzelfall sicherlich nötige Zusatzleistung nach den Gesichtspunkten der Fürsorge zu gewähren, erhöht man sie automatisch und gibt für die Zusatzrente einen Rechtsanspruch, der aus der Versicherung keinesfalls gerechtfertigt ist.
Man weiß eben bei uns nicht mehr, was Recht ist, worauf man einen Anspruch hat. Auch hier im Sozialrecht gilt nach meiner Meinung der Grundsatz, daß man nur das verlangen kann, was man — im üblichen Sinne und im höheren Sinne —„verdient" hat. Suum cuique! An diesem Strukturfehler der Entwürfe, insbesondere des Entwurfs der Regierung, wird wieder einmal deutlich, daß man das Prinzip der Subsidiarität zu verfälschen versucht.
Ein Wort zu diesem Problem! Wir Freien Demokraten brauchen nicht darauf hinzuweisen, daß wir aus unserer Grundhaltung heraus alle staatlichen Maßnahmen nur dann billigen, wenn sie notwendig sind, der Wohlfahrt der Bürger zu dienen, und nur dann, wenn die Bürger aus eigener Verantwortung, aus eigener Kraft ihr Schicksal nicht meistern können. Die staatlichen Maßnahmen haben normalerweise das Ziel, die Bürger wieder in die Lage der eigenen Leistung, der eigenen Verantwortung zu versetzen.
Man hat in der letzten Zeit der all-round-Debatte um die sogenannte Reform der Sozialversicherung von verschiedenen Seiten her beweisen wollen, daß die subsidiären Leistungen der Rentenversicherung in dem vorhandenen oder dem geforderten Umfang zu weitgehend seien. In dem Gutachten der „Vier Weisen", das auch der Kollege Horn erwähnt hat, steht ein Kapitel, das sich mit der Bedeutung des Gartenbaues in Deutschland beschäftigt, nicht mit der Handelsgärtnerei, sondern mit der sogenannten Gärtlerei, also mit der Tatsache, daß Millionen von Deutschen ein wenig Hausgartenbau in Schrebergärten oder in eigenen Gärten betreiben. Man hat die Resultate dieses Gartenbaues, also die zehn Köpfe Weißkohl oder den Korb Pfirsiche, in der deutlichen Absicht angeführt, den Rentenforderungen zu begegnen. Ich glaube, das ist ein untauglicher Versuch. Ich will nichts gegen die Gärtnerei sagen. Weise Leute, auch ganz große Politiker lieben diese edle Beschäftigung,
und wir gönnen und gönnten sie ihnen. Aber zu argumentieren, daß der Ertragswert eines Schrebergartens von vielleicht hundert Mark wichtig genug sei, um bei der Festsetzung der Rente beachtet zu werden, scheint mir fast etwas frivol zu sein.
Man hat bis vor kurzem — auch im Schoße der Regierung — die Notwendigkeit diskutiert, in der Rentenversicherung die sogenannte alte Last, also die Verschuldung des Staates an die Versicherungsträger aus Krieg und Kriegsfolgen, abzudecken, getrennt von der Aufbringung der Mittel für die in Zukunft erst entstehenden Rentenansprüche. Davon ist im Gesetzentwurf nicht mehr die Rede. Man geht mit keineswegs immer durchschlagenden Argumenten in kühnem Schwung von dem bisherigen Anwartschaftsdeckungsverfahren zu einer Art Umlageverfahren mit leichten Reservepolstern für kleine oder auch nur für sehr kleine Schwankungen in der Konjunktur und in der Bevölkerungsstruktur über. Wir halten uns für verpflichtet, auf die Bedenklichkeit dieser Methode sehr eindringlich hinzuweisen. Eine bessere Kapitaldecke für die Versicherungsträger ist unbedingt erforderlich, schon um die Garantieverpflichtung des Bundes für zukünftige Leistungen nicht zu drückend werden zu lassen.
Ich meine, meine Damen und Herren, ich habe wirklich das getan, was eine erste Lesung tun soll: mich auf einige Grundfragen beschränkt, nicht aus besonderer Sachkunde, wie sie meine beiden Vorredner haben, sondern als ein Dilettant — aber „Dilettant" kommt ja von „diligere", lieben —, als ein Mann, der nicht in der Politik wäre, wenn er nicht ein soziales Ethos empfinden würde. Da bekenne ich mich als Jünger eines Friedrich Naumann.
Eine Warnung: Der Wahlkampf 1957 hat — wer kann es leugnen? — schon begonnen, und bei der Begründung des Rentenentwurfs schlägt er, glaube ich, Wellen, wenn man Hoffnungen erweckt, die der Entwurf auf jeden Fall nicht erfüllen kann. Wenn man — Kollege Schellenberg hat schon darauf verwiesen — angibt, daß die Renten der Arbeitnehmer nach 40 oder 45 Beitragsjahren 60, 65 und gar noch mehr Prozent des Arbeitsverdienstes erreichen sollen, so ist das doch nicht richtig. Man hätte korrekterweise hinzusetzen müssen, daß im Durchschnitt die Altersrenten nach einer Beitragszeit von etwa 33 Jahren gezahlt werden und daß es daher zu den großen Seltenheiten gehört, wenn am Ende eines arbeitsreichen Lebens eine Rente gezahlt wird, die 50 °/o des Arbeitsverdienstes überschreitet.
Die Methode, die man hier übt, erinnert an jene Schaupackungen von Backobst, bei denen hinter einer Zellophanscheibe die reizvolle Aprikose zu sehen ist, während die Backpflaumen schamhaft verdeckt werden.
Zusammenfassend: Soweit der Gesetzentwurf der Bundesregierung die ungenügenden Renten angeht, stimmen wir zu. Bei zahlreichen Bestimmungen der Vorlage werden wir uns im Interesse der Arbeitnehmer und der Rentner vorbehalten, entsprechende Änderungsanträge zu stellen. Der Gesetzentwurf der Regierung, der nicht nur verspätet vorgelegt, sondern auch offensichtlich in Hast ausgearbeitet worden ist, ist in sich technisch unvollkommen, — unvollkommen in bezug auf das, was er ausläßt, was er verschiebt, was er nur andeutet.
Meine Damen und Herren! Der erste Versuch einer Sozialversicherung, Bismarcks Versuch, wollte die soziale Frage der ersten industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts beantworten. Er hat das Jahr 1888 zu einem geschichtlichen Datum werden lassen. Was von uns gefordert ist, ist die Antwort auf die soziale Frage des 20. Jahrhunderts.
Dieser Entwurf ist noch nicht einmal der Versuch einer solchen Antwort, — sie steht nach wie vor aus.
Meine Damen und Herren, wenn aus den Worten des Herrn Abgeordneten Dr. Dehler die Schlußfolgerung erlaubt wäre, daß Dilettanten immer kürzer reden als Fachleute, dann möchte ich bei sozialpolitischen Debatten wünschen, daß nur noch Dilettanten sprechen.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister. Ich fürchte, er ist kein Dilettant.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mit einiger Verwunderung die Ausführungen meines Freundes Dehler gehört.
— Ja, meines Freundes! Persönliche Meinungsverschiedenheiten brauchen niemals zu persönlichen Disharmonien zu führen. Der Meinung bin ich immer gewesen.
Aber hier handelt es sich doch letzten Endes darum, daß wir im vergangenen Jahre eine sehr intensive Diskussion über die Fragen der Neuordnung des Rentenwesens geführt haben, und die Freie Demokratische Partei hat sich auf ihrem Parteitag am 4. Februar 1956 in Stuttgart ja auch mit diesen Problemen beschäftigt. Ich habe die Richtlinien vor mir, die dort von der FDP zur Sozialreform aufgestellt worden sind, und da finde ich unter Ziffer 2 im Abs. 2 unter a) folgende eindeutige Erklärung:
Die Höhe der Rente ist demnach an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen,
also an die Durchschnittshöhe der Arbeitseinkommen der gleichzeitigen Versicherten.
Die Anpassung soll sowohl bei der Festsetzung der Rente als auch in mehrjährigen Abständen für die laufenden Renten erfolgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin niemandem böse, wenn er im Laufe einer Diskussion zu einer anderen Auffassung kommt. Das haben wir Gott sei Dank in dem Beirat meines Ministeriums sehr oft erlebt, daß sich Menschen, die mit einer vorgefaßten Meinung in eine Diskussion geraten sind, von den Gegenargumenten haben überzeugen lassen und dann eine andere Stellung eingenommen haben. Das ist kein Schaden für den einzelnen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Dehler?
Bitte!
Erstens war es nicht mitten im Satz, und zweitens verbitte ich mir Kritik an dem amtierenden Präsidenten.
Ich möchte meinen Freund Anton Storch fragen, ob ihm nicht bekannt ist: erstens, daß am 4. Februar dieses Jahres in Stuttgart kein Parteitag, sondern ein Sozialpolitischer Ausschuß getagt hat; zweitens, daß dort kein Beschluß gefaßt worden ist; drittens, daß das, was er vorgelesen hat, nicht die Meinung dieses Ausschusses, sondern zweier Kollegen ist, die sich nicht mehr zu uns zählen.
Herr Kollege Dehler, das ist eine sehr nette Aufklärung über Ihre Parteisituation, aber ich wundere mich, daß Sie, wenn Sie zu diesen Dingen nicht Stellung genommen haben und wenn das zu keinen Beschlüssen geführt hat, diese Richtlinien im Anschluß an die Tagung sowohl in der Tagespresse als auch sonst verbreitet haben,
und zwar als die Meinung der Freien Demokraten.
Aber das ist in Wirklichkeit noch nicht einmal das Entscheidende. Es erhebt sich die Frage: Haben denn, wenn nun die Arbeitnehmer eine derartig weitgehende Sicherung bekommen, nicht andere Teile unseres Volkes ähnliche Ansprüche zu stellen? Dann kommt die zweite Frage: Ist eine derartige Anpassung der Renten an die Produktivität nicht in irgendeiner Form auch eine gefährliche Angelegenheit? Und wenn man dann vor allem darauf verweist, daß eigentlich nachher nur die Sparer diejenigen seien, die nicht mitkämen, bitte ich Sie, doch einmal folgende Rechnung zu verfolgen. Ein Arbeitnehmer, der im Monat 500 DM verdient, hat einen Jahresarbeitsverdienst von 6 000 DM. Wenn er von diesen 6 000 DM 14 % an Beiträgen bezahlt — ob er nun 7 % von seinem Lohn und der Arbeitgeber weitere 7 % auch als Äquivalent für die geleistete Arbeit bezahlt, ist doch völlig gleichgültig; ich sehe bei einigen Herren ein Kopfschütteln, aber im allgemeinen wird heute anerkannt, daß diese sozialen Leistungen der Arbeitgeber ein Äquivalent für die geleistete Arbeit sind;
ich glaube, daran kommt man doch nicht vorbei —, kommt folgende Rechnung zustande. Der Versicherungsbeitrag von 6 000 DM Jahreseinkommen macht eine jährliche Summe von 840 DM aus. Eine vierzigjährige Beitragsleistung ist keine Seltenheit.
— Nun, dann lassen Sie sich einmal von den Versicherungsträgern die Zahlen geben, und Sie werden sehen, daß das keine Ausnahme ist. Aber gleichgültig, ob das anerkannt wird oder nicht, kommt insgesamt bei gleichbleibenden Verhältnissen eine Beitragsleistung von 33 600 DM heraus. Und sehen Sie: allen denjenigen, die uns die Privatversicherten oder die Sparer gegenüberstellen, entgeht ein Tatbestand: der Arbeitnehmer, der in dieser Sozialversicherung Beiträge in solcher Höhe leisten muß, ist ihrer vollständig verlustig, wenn er unglücklicherweise ein Jahr vor der Erreichung der Altersgrenze verstirbt und keine rentenberechtigte Witwe hinterläßt. Derjenige, der einen ähnlichen Beitrag oder ähnlich hohe Prämien bei einer privaten Lebensversicherung einzahlt, kann sich jederzeit während der Laufdauer seiner Versicherung, wenn er das Geld wirtschaftlich anwenden will, Darlehen in der Höhe des sogenann-
ten Deckungskapitals von der Versicherungsgesellschaft geben lassen. Derjenige, der spart, ist jederzeit in der Lage, seine ersparten Gelder in Wertsubstanz, in Eigentumssubstanz zu überführen. Wir wissen doch, daß gerade in den vergangenen Jahrzehnten zweimal demjenigen, der in den Versicherungen des Staates versichert war, sogar die Dekkungskapitalien verlorengegangen sind. Das alles sollte man doch bei der Behandlung dieser Fragen beachten, und man sollte nicht sagen: Hier wird für den Arbeitnehmer ein Sonderrecht gefordert, das man anderen zu geben nicht in der Lage ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?
Aber gern!
Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth!
Herr Bundesminister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Rentenformel dieses Gesetzentwurfes der großen Masse der Rentner nur dann Verbesserungen bringt, wenn der Wert der D-Mark absinkt?
Nein, nein! Wir wollen nach dem Gesetzentwurf die Renten der wirtschaftlichen Entwicklung, also der Produktivität anpassen. Sie wissen aber doch gerade als Fabrikant sehr wohl, daß, wenn die Menschen, die im Wirtschaftsleben stehen, durch eine höhere Leistung zu einer größeren Produktivität kommen und man deshalb einen größeren Teil des Sozialprodukts in den Verzehr, in den Verbrauch geben kann, das doch keine Geldentwertung, sondern einfach das Ergebnis der größeren Leistungen der arbeitenden Menschen ist.
Hier ist es doch so, daß der jeweils Versicherte einen festen Prozentsatz für die sozialen Sicherungen an den Versicherungsträger einzahlt und ganz genau weiß, daß diese seine Gelder für die jetzt Rentenberechtigten verwandt werden. Er soll in der Zukunft kein größeres Recht haben. Die kommende Generation soll in derselben prozentualen Höhe Gelder zur Verfügung stellen, damit auch er, wenn er Rentner ist, seine Rente erhält, die im selben Verhältnis zum Lohn steht wie heute. Das ist die Situation, vor der wir stehen.
Aber ich habe mich sehr gefreut, daß mir die Herren von den Freien Demokraten gesagt haben, daß ihre Richtlinien für die Sozialreform, wie wir sie hier vor uns liegen haben, von ihnen heute nicht mehr als für sich zuständig anerkannt werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich werde den Herrn Präsidenten enttäuschen, wenn ich mich, obwohl er es sehr viel lieber hat, nicht dilettantisch über das Problem der Rentenreform unterhalten kann. Ich glaube, daß die Rentenreform eine Lebensfrage für Millionen von Leistungsempfängern ist und das Problem der Finanzierung der künftigen sozialen Leistungen wiederum das ganze Volk angehen sollte, soweit es Steuern bezahlt — schließlich auch die große Zahl der Sozialversicherten, die als Pflicht-, freiwillig und Weiterversicherte Beiträge bezahlen müssen —, so daß es keine Möglichkeit zu einer dilettantischen Betrachtung so folgenschwerer Entscheidungen gibt. Ich glaube aber auch, daß Sie dem Fraktionsvorsitzenden der Freien Demokratischen Partei Unrecht getan haben, wenn Sie seine Auseinandersetzung mit Grundsatzfragen so bezeichnet haben. Das haben Sie sicherlich nicht so gemeint, Herr Präsident.
Frau Abgeordnete Kalinke, meine humorvolle Bemerkung bezog sich auf ein wörtliches Zitat des Herrn Abgeordneten Dr. Dehler.
Ich werde Ihnen beweisen, daß ich das verstehe, und vielleicht werden Sie sich entsprechend benehmen, damit ich es Ihnen beweisen kann.
Frau Abgeordnete Kalinke, in dieser Tonart können Sie wieder nicht mit dem amtierenden Präsidenten reden. Das können Sie machen, wenn ich unten sitze.
Das habe ich dem Zurufer gesagt.
Verzeihung, das war mißverständlich.
Die Sozialreform ist wirklich mehr als nur eine Frage der Leistungsgestaltung unserer Rentenversicherung. Bei der Aussprache, die hier heute geführt wird und die — das ist schon mit Recht festgestellt worden — sehr weit in Einzelheiten gegangen ist, die eigentlich der Debatte im Ausschuß vorbehalten sein sollten, möchte ich mich bemühen, die großen grundsätzlichen Fragen anzusprechen, die uns die Rentenreform als ein Teilstück der Sozialreform aufgibt.
Ich möchte gleich vorweg feststellen — ohne zu wiederholen, was meine Vorredner angesprochen haben —, daß bei allem Primat der sozialpolitischen Aufgabe, die uns gestellt ist, der unlösbare Zusammenhang mit der Gesellschaftspolitik, den volkswirtschaftlichen Problemen und den finanzpolitischen und währungspolitischen Problemen nicht übersehen werden darf. Aus der Einsicht in diese Zusammenhänge ergibt sich die Notwendigkeit, auch hier bei der Rentenreform, die ein bedeutsames Teilstück für die Neugestaltung der sozialen Leistungen ist, mit Rücksicht auf den großen Personenkreis, den sie betrifft, die außerordentlich ernste und wichtige Frage zu beachten, ob mit diesem Teilstück die Weichen für die Lösung der übrigen sozialen Probleme, deren Lösung uns gleichermaßen aufgegeben ist, richtig gestellt sind.
Die Fraktion der Deutschen Partei hat, seit sie in der Öffentlichkeit zu diesen Problemen Stellung genommen hat, ohne Schwanken und in absoluter Eindeutigkeit — sie hat das auch mit ihren Anträgen hier im Bundestag getan — eine klare Haltung in allen grundsätzlichen Fragen eingenommen. Ich kann nur wiederholen, was ich in diesen Wochen in der Öffentlichkeit oft zu sagen ver-
pflichtet war: daß es besser gewesen wäre, Sie hätten den Antrag der Deutschen Partei vom 27. Oktober 1955 hier mit uns diskutiert und wir hätten über grundsäzliche Fragen Einverständnis erreicht, um damit der Regierung schon ein klares Bild für ihren Entwurf zu geben, der dann wahrscheinlich in der Behandlung vieler Grundsatzfragen anders ausgefallen wäre. So sehr wir es auch bedauern, — Sie haben sich diesen Grundsatzentscheidungen damals versagt und den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei nicht diskutiert.
Wir können daher, obwohl wir dieser Regierung als Koalitionspartner angehören, heute nur feststellen, daß der uns vorliegende Regierungsentwurf mit den Grundsätzen, die wir auch für die Innenpolitik als Grundlage unserer Koalition ansehen, durchaus nicht in allen Fragen übereinstimmt. Die Deutsche Partei hat ihre ernsten Bedenken gegen die Ausdehnung der Versicherungspflicht auf alle Arbeitnehmer immer wieder geltend gemacht.
Sie hat dabei darauf verwiesen, daß es zu den demokratischen Tugenden gehören sollte, niemanden gegen seinen Willen und gegen die soziale Notwendigkeit in den Versicherungszwang einzubeziehen.
Die in dem Gesetzentwurf getroffene Entscheidung widerspricht auch den in diesem Hause von unseren Koalitionspartnern so oft betonten Grundsätzen der Verteidigung der Freiheit, der Eigenverantwortung, der Subsidiarität und den Grundlagen der katholischen Soziallehre, von denen sich die protestantische Sozialethik absolut nicht unterscheidet. Es ist heute schon sehr richtig gesagt worden, welch großer sozialethischer Auftrag darin liegt, möglichst vielen Menschen unseres Volkes 'die Gelegenheit und die Möglichkeit zum Tragen des Risikos aus eigener Kraft zu geben.
Wenn heute auch noch nicht darüber gesprochen wird, welche Folgen die totale Einbeziehung aller Arbeitnehmer in die Zwangsversicherung haben wird, so möchte ich schon heute — wir werden darüber noch gründlich reden müssen — darauf hinweisen, daß es wahrscheinlich taktische Gründe hat, wenn heute das letzte Ziel — etwa der Beseitigung der Beamtenrechte — noch verschwiegen wird. Die Personenkreisfrage ist natürlich mit weit mehr verbunden als nur mit der Einbeziehung aller Arbeitnehmer. Sie ist u. a. unlösbar gekoppelt mit der Frage des Staatsbeitrags und damit mit der Erhebung und Verwendung von Steuermitteln. Zwischen der Wirtschaftskraft und der Soziallast, zwischen den Empfängern von Leistungen und denen, die sie aufbringen müssen, muß ein ausgewogenes Verhältnis hergestellt werden. Dabei muß ich immer wieder darauf hinweisen — was in der öffentlichen Diskussion so leicht übersehen wird —, daß die Rentner keine homogene Gruppe von armen Leuten sind und die Herausziehung von immer neuen Mitteln aus den Taschen der Steuerzahler nur dann zu verantworten ist, wenn dies gezielte Leistungen für diejenigen Rentner ermöglicht, die wirklich zu ,den Armen gehören und Hilfe dringend nötig haben. Den alten Menschen wirksam zu helfen, wird uns aber nicht allein mit dem Mittel der Rentenversicherung gelingen. Darum wehre ich mich dagegen, daß in der öffentlichen Diskussion soziale Hoffnungen erweckt werden, die Reform der Rentenversicherung allein könne alle sozialen Notstände beseitigen.
Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß die größte Gefahr — der Herr Bundeskanzler hat neulich im Zusammenhang mit der Inflation auf psychologische Gefahren hingewiesen —
darin besteht, durch soziale Versprechungen psychologisch Hoffnungen zu erwecken, die zu sozialen Enttäuschungen führen können.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat heute in der Begründung — und das geschieht seit Monaten in der Öffentlichkeit — auf die veränderte Gesellschaftsstruktur hingewiesen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß zwei Kriege und zwei Währungsreformen die Gesellschaftsstruktur von Grund auf verändert haben. Aber es ist doch wohl nicht so, daß die veränderte Gesellschaftsstruktur unsere Arbeitnehmer schutzbedürftiger gemacht hat. Ich glaube, daß ganz andere Schichten — das ist heute vom Kollegen Schellenberg und anderen angesprochen worden — schutzbedürftig sind und es unsere Aufgabe ist, die Frage der Schutzbedürftigkeit neu zu überdenken. Viele Arbeiter sind nicht nur mündige Staatsbürger; sie sind Eigentümer von Grundstücken, sie haben hohe Einkommen, sie sind selbstverantwortlich und durchaus zum Tragen von Risiken bereit. Wenn ich mir das Schicksal derjenigen vorstelle, die alt sind und Eigentum verloren haben, wenn ich an die Regelung des Lastenausgleichs oder an die ungelösten Probleme der Fürsorge denke, dann glaube ich, daß wir neue Wege für eine echte Altershilfe mit Mitteln der Gemeinschaft des ganzen Volkes finden müssen, um diese Probleme vollständig zu lösen. Aber diese Wege zu suchen und zu finden setzt Kenntnis der Not voraus und Kenntnis des Tatbestands, daß die Zahl der Renten- und Unterstützungsempfänger aus der Rentenversicherung nur die Hälfte aller Unterstützungsempfänger ausmacht.
Der Herr Minister hat heute morgen auch darauf hingewiesen, daß der Familienverband nicht mehr existent ist; aus seinen Worten habe ich herausgehört, daß er anzunehmen scheint, der Familienverband sei nur noch in ländlichen Bezirken intakt. Wir sollten auch hier nicht zu große Pessimisten sein! Die Zeit nach dem großen Zusammenbruch hat doch gezeigt, daß gerade die Familien die Zusammenbrüche am besten überdauert haben
und daß — gottlob — noch echtes Zusammengehörigkeitsgefühl und Verantwortungsbewußtsein für die Familie innerhalb der Familen, auch wenn sie aus Wohnungsnot getrennt sind, lebendig und wirksam ist, und das nicht nur auf dem Lande, sondern auch in den Städten. Unsere sozialpolitische Aufgabe muß es sein, dieses Zusammenwirken zu erhalten und darüber hinaus zu fördern. Das geschieht mit Maßnahmen der Sozialpolitik genau so wie mit der Steuerpolitik als einem Mittel der Sozialpolitik. Die Auswertung der L-Statistik in ihrem zweiten Teil, noch mehr aber eine gründliche Erforschung der wirklichen Tatbestände der sozialen Not werden uns bei künftigen Beratungen nützlich sein.
Die Selbstverantwortung und die Selbsthilfe, von denen alle Parteien von links bis rechts und von rechts bis links in ihren Deklamationen so oft sprechen, müssen Wirklichkeit werden und in den Gesetzen ihren Niederschlag finden. Zu wissen, daß sich dazu Arbeitnehmer wie Arbeitgeber gemeinsam bekennen, war für mich ein erfreuliches Erlebnis, besonders als sich auf der Tagung der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft der Vorsitzende des Verbandes der Rentenversicherungsträger, Direktor Gassmann, namens der Selbstverwaltung zu einem Grundsatz bekannte, dem auch meine politischen Freunde immer das Primat geben: daß „Eigenhilfe vor Gemeinschaftshilfe und Gemeinschaftshilfe vor Fremdhilfe" gehen muß. Wenn das aber so ist und wenn wir die Selbstverantwortung stärken wollen, so können wir auch Opfer von den Gemeinschaften verlangen. Dann werden wir die sozialen Leistungen auch so gestalten können, daß sie ihren Preis und die Opfer wert sind, die wir dafür fordern müssen.
Ich muß mit großem Bedauern feststellen, daß viele Erklärungen einzelner Minister und Regierungsmitglieder im Gegensatz zu den Beschlüssen stehen, die sie dann gefaßt haben. Die Beseitigung jeder Versicherungspflichtgrenze ist ein Mangel an Konsequenz aus großen sozialethisch oder religiös begründeten Erklärungen, die leider nicht zu dem notwendigen Bekenntnis in der Tat geführt haben. Wer alle Beschäftigten in den Versicherungszwang einbeziehen will, ja wer morgen — der Kollege Horn hat das ausgesprochen, und ich teile seine Sorge — die Versicherungspflicht auf Bauern, übermorgen auf Handwerker und demnächst vielleicht auf alle freien Berufe ausdehnen will, der steht eben im Gegensatz zu dem, was in den Erklärungen — von denen ich immer angenommen habe, daß ihnen eine sozialethische Überzeugung innewohnt — gesagt worden ist.
Die Bundesregierung hat sich immer gegen den allgemeinen Versorgungszwang ausgesprochen. Diese Auffassung ist auch bei der Heraufsetzung der Versicherungspflichtgrenze in der Angestelltenversicherung von 7200 auf 9000 DM im Jahre 1952 beteuert worden. Der Herr Bundeskanzler und der Herr Bundesfinanzminister haben in Wort und Schrift immer wieder auf den Willen der Bundesregierung hingewiesen, die Selbsthilfe zu fördern und den Versicherungszwang zu begrenzen. Der Herr Wirtschaftsminister Professor Erhard hat ihnen nie nachgestanden und immer wieder betont, „daß die wirtschaftliche Freiheit und der totale Versicherungszwang sich nicht miteinander vertragen". Der Hinweis auf eine Beitragsbemessungsgrenze, die zugleich Leistungsbemessungsgrenze ist. ist kein ausreichendes Argument, insbesondere dann nicht, wenn diese Beitragsbemessungsgrenze dynamisch gestaltet werden soll und sich in laufender Entwicklung den Durchschnittslöhnen anpassen soll.
Ganz offensichtlich ist, daß, wer einer solchen Konsequenz zustimmt, auch alle die weiteren Konsequenzen überlegen muß, die sich von B bis Z aus dem A ergeben, insbesondere die Frage der Zuschüsse aus Steuermitteln, die auch in Zukunft den Rentenversicherungsträgern noch gegeben werden. Sie tun sicher der Sozialdemokratischen Partei unrecht, wenn Sie ihr vorwerfen, daß sie 40 % Staatszuschüsse fordere, wenn Sie gleichermaßen mit Ihrem Entwurf 42 % Staatszuschüsse fordern! Die Frage ist eben nur, wie man das klarmacht. Ich bin nicht verdächtig, ein Freund des Versorgungsgedankens zu sein; aber ich halte es für sauberer, wenn mein Kollege Schellenberg sagt: wir wollen 40 °/o aus Steuermitteln als Versorgungsanteil haben. Dazu kann ich klar ja oder nein sagen. Bei dem Regierungsentwurf — es ist heute mehrfach gesagt worden — ist manipuliert; da ist der Staatszuschuß verborgen auch da. Ich werde noch darauf kommen, wie sich das auswirkt.
Wenn also allen diesen Erklärungen der Bundesregierung und verantwortlicher Minister unserer Regierung, die zur Frage der Subsidiarität, der Selbstverantwortung und der Bekämpfung materialistischer Ziele abgegeben worden sind, überhaupt noch Glauben geschenkt werden darf, dann darf der unbegrenzte Versicherungszwang nicht Ziel der Regierung sein, dann muß er in diesem Hause aus Verantwortungsbewußtsein auch vor der Zukunft abgelehnt werden.
Die Bundesregierung hat in einer Vorlage — ich habe sie schon neulich einmal zitiert —, die noch als Drucksache 67 im Sozialpolitischen Ausschuß liegt, bei der Begründung ihres Gesetzes zur Begrenzung der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung wörtlich erklärt — nachzulesen in der Bundestagsdrucksache —:
Die deutsche Sozialversicherung will bewußt nur Personen erfassen, die wegen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage eines Schutzes gegen die Wechselfälle des Lebens bedürfen. Auch die Vergünstigungen der freiwilligen Versicherung sollten nur Personen zuteil werden, deren Einkommen eine bestimmte Grenze nicht überschreitet.
Ich möchte es bei diesen Erinnerungen, denen ich noch viele aus Reden und Aufsätzen hinzufügen könnte, belassen.
Die moralische Begründung und die Rechtfertigung, die für eine Zwangsversicherung gegeben werden, können aber doch nur die sein, einen moralischen Anspruch auf die Hilfe der Gemeinschaft denen zu geben, die in Not sind oder die sich aus irgendwelchen Gründen selbst nicht helfen konnten oder nicht mehr helfen können. Eine gute Wirtschaftspolitik und der steigende Wohlstand, dessen wir uns erfreuen, sollten dazu beitragen, immer weniger Menschen schutzund hilfsbedürftig zu machen. Es ist fast unverständlich und es wäre ein Fehler unserer Wirtschaftspolitik, wenn eine umgekehrte Entwicklung, nämlich die Schutzbedürftigkeit größerer Personenkreise aus den Reihen der leitenden Angestellten oder der hochverdienenden Facharbeiter oder bestimmter Selbständiger — wobei ich die kleinen Selbständigen durchaus ausnehmen möchte —, die Folge wäre. Das ist auch nicht begründet. Sehr viele von uns haben als Abgeordnete des Bundestages in den letzten Jahren Gelegenheit gehabt, im Ausland Vergleiche anzustellen, Vergleiche mit dem wirtschaftlichen und sozialen Aufbau, mit den wirtschaftlichen und sozialen Leistungen unseres Landes und mit dem Ergebnis unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik, auch mit den Gefahren der Vollbeschäftigung. Ich glaube, daß bei einem solchen Riesenetat für soziale Leistungen, wie wir sie haben, der Fehler nur darin liegt, daß irgendwo nicht richtig gesteuert ist.
In der gestern hier angesprochenen Tagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft hat
Herr Ministerialdirektor Dr. Jantz in Stellvertretung seines Ministers dessen Auffassung verdeutlicht. Ich sage dem Herrn Minister — jetzt ist er fortgegangen —:
ich hoffe, daß er sich hier genauso zum Sprecher seines Ministerialdirektors machen wird, dem hier das Wort versagt ist, wie sich der Herr Ministerialdirektor in offener Feldschlacht so oft zum Sprecher des Herrn Ministers gemacht hat. Zu der dort vertretenen Auffassung habe ich dem Herrn Ministerialdirektor in freimütiger Offenheit gestern meine Meinung gesagt. Mir können also der Herr Minister und der Herr Ministerialdirektor nicht vorwerfen, daß ich schweige, wo das Gewissen zum Reden zwingt.
— Das glauben Sie nicht?
— Ich freue mich, daß Sie mich so gut verstehen.
Der Herr Ministerialdirektor hat in dieser öffentlichen Versammlung die „obligatorische Selbstvorsorge" als neue Deklaration für die totale Zwangsversicherung bekanntgegeben. — Herr Horn zieht die Stirn in Falten und denkt wahrscheinlich: Das ist wieder so ein Schlagwort! Gewiß, aber in diesem Schlagwort, in dieser neuen Sprachschöpfung liegt doch eine ungeheuerliche Gefahr! Daß man „Selbstvorsorge" schon so auffassen kann, daß sie mit einer „obligatorischen Zwangsversicherung" gleichgesetzt werden soll, sollte uns doch sehr zu denken geben. Und die weitere Feststellung des Herrn Dr. Jantz, „daß die Vorsorge nicht mehr dem einzelnen überlassen bleiben darf", sollte einem evangelischen Theologen, jedem Kenner der Sozialethik genauso Gewissenskonflikte besorgen wie dem Kenner der katholischen Soziallehre. Professor R ü s t o w hat nicht auf der gestrigen Tagung, sondern auf der Tagung der Gesellschaft für soziale Marktwirtschaft im April 1955 unter dem Motto „Eine zielklare Sozialpolitik" über eine sich anscheinend fortschrittlich dünkende Meinung berichtet, die von einem als sachverständig geltenden Gewerkschaftler vorgetragen wurde, „die Selbsthilfe sei ein letzter Rest des Mittelalters, der möglichst rasch überwunden werden müsse; ideal sei die hundertprozentige Sicherung gegen alle Risiken". Die Frage, woher dann noch die Antriebskräfte des einzelnen zur Selbstvorsorge kommen sollten und wer dann die Kosten dieser Experimente tragen müßte — da der Staat die Summen, die er verteilt, ja erst eintreiben muß und sie nicht nur über Sozialversicherungsbeiträge und Steuern, sondern auch über indirekte Steuern einzutreiben pflegt —, wird in der Diskussion von den Vertretern solcher Ansichten im allgemeinen nicht beantwortet.
Wir von der Deutschen Partei haben die Zwangsversicherung immer nur als ein notwendiges Übel und ihre Beschränkung als eine dringende Notwendigkeit deshalb angesehen, weil wir den Menschen helfen wollen auf dem Wege zur Selbstvorsorge, zur Selbstverantwortung und damit zur Freiheit.
Ich glaube, es ist in diesem Raume nicht ohne ernsthaften Eindruck geblieben, was sehr viele Kollegen aus allen Fraktionen gehört haben werden: daß, als der Kölner Rundfunk im September 1955 in seiner Sendereihe „Der Hörer hat das Wort" das Thema erörtern ließ, „ob die Altersversorgung Sache des Staates oder des einzelnen sein solle", der erfreuliche und außerordentlich bemerkenswerte Tatbestand festzustellen war, daß mindestens 90 °/o der Zuschriften — so teilte es der Rundfunk mit — davon ausgegangen sind, daß es die Aufgabe jedes Staatsbürgers sei, sich zunächst selbst zu helfen. Ich kann nur sagen: wenn die Staatsbürger so vernünftig sind, warum sollten wir als ihre Sprecher nicht mindestens so vernünftig sein,
— ja, möglichst noch vernünftiger sein?!
Es wurde in vielen dieser Zuschriften die Besorgnis zum Ausdruck gebracht, daß der Staat, der seinen Bürgern das Lebensrisiko ganz abnehme, zuviel Macht über sie gewinnen könnte. Ich glaube, das ist auch der Inhalt gewisser sozialethischer Betrachtungen, die aus den gleichen Kreisen kommen, welche einerseits und andererseits nicht die Konsequenzen aus ihren Betrachtungen ziehen.
Die Sozialdemokratische Partei begrüßt die Einbeziehung aller Arbeitnehmer. Das ist ihr altes Programm, und wir wundern uns nicht darüber; sie hat dafür in der Vergangenheit manche Gründe angegeben. Heute hat Herr Schellenberg leider nur einen Grund genannt, mit dem ich nicht einverstanden bin: das ist der Arbeitgeberanteil. Ich halte es sehr wohl für möglich, daß man über den Weg der Tarifpolitik und über Verträge auch den höher verdienenden Arbeitern und Angestellten den Arbeitgeberanteil oder den Versicherungsbeitrag, wenn sie ihre Sicherung selbst besorgen, als freiwillige Leistung erstattet.
Aber ich will nicht auf einzelne Probleme eingehen. Ich will nur sagen, daß dieses Argument nicht sticht und daß dieses Problem auf einem andern Wege, nicht auf dem Weg totaler Zwangsversicherung, gelöst werden kann.
Die Ausdehnung der Versicherungspflicht ist aber auch nicht damit zu rechtfertigen, daß dadurch der Sozialversicherung neue Mittel zugeführt werden. Wir behandeln augenblicklich im Arbeitsausschuß das gleiche Problem, und ich brauche nur darauf hinzuweisen, daß zur Aufbringung der Mittel für die Rentenerhöhung 1 % der Arbeitslosenversicherung übertragen werden soll und daß zu gleicher Zeit die Arbeitslosenversicherung auf alle Arbeitnehmer ausgedehnt werden soll, um damit auf einem Umweg der Arbeitslosenversicherung neue Mittel zu bringen. Ich glaube, daß auch diese Wege nicht geeignet und nicht richtig sind, um die schwerwiegenden Probleme der sozialen Sicherung in ihren Grenzen zu erkennen.
Finanziell würde eine solche Auffassung auch nur eine vorübergehende Entlastung in der Gegenwart bringen und keineswegs die dringend notwendige Sanierung der Rentenversicherung schon mit erledigen.
Die Rentenversicherung kannte seit ihrem Bestehen die Abgrenzung durch Aufzählung der Berufsgruppen und durch eine Einkommensgrenze. Ich glaube, daß beide Merkmale nicht überholt sind, sondern daß nur zu überlegen ist, wieweit die Grenzen der Berufsgruppen, die fließend sind, noch stimmen und ob die Einkommensgrenze geändert werden muß. Diese wichtige Aufgabe hätte in der langen Vorbereitungszeit dringend angepackt werden müssen. Ich bedaure, daß man sich ihr entzieht, indem man vorhandene Tatbestände einfach verwischt und Arbeiter und Angestellte in einen Zwangsversicherungspott bringt und nun auch noch die Selbständigen hineintun möchte.
Die Fragen der Selbstversicherung und der Weiterversicherung, auf die ich heute im einzelnen nicht eingehen will, weil ich mich auf die großen grundsätzlichen Probleme beschränken möchte, müssen von uns im Zusammenhang mit dem Tatbestand des totalen oder begrenzten Versicherungszwanges neu überdacht werden. Der Bundesminister für Arbeit hat uns — Herr Kollege Horn hat schon darauf aufmerksam gemacht — gleichzeitig einen Entwurf beschert, durch den Bauern und Landwirte, die zahlenmäßig den größten Kreis des selbständigen Mittelstandes darstellen, in Zukunft in eine Zwangsversicherung einbezogen werden sollen. Es ist sicherlich eine besonders verantwortungsbewußte Entscheidung, wenn gerade unser Bauernstand, der nach meiner Auffassung vor den Wechselfällen des Lebens am meisten gesichert ist, solange er ein Dach über dem Kopf hat, und in Krisen- und Notzeiten Essen und Trinken hat, noch ein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl in der Familie kennt, sich etwa in seinen eigenen Reihen einstimmig entscheiden sollte — und nur auf seine Entscheidung kommt es an —, seine ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Fragen schicksalhaft dem Staat zu überantworten und nicht mehr selber das Risiko zu tragen.
Dabei möchte ich nicht versäumen, klar zu sagen, daß an den Grenzen zum Arbeitertum, da, wo kleine selbständige Handwerker und kleine selbständige Bauern oder solche, die nicht einmal Selbständige sind, sondern nur Nebenerwerbswirtschaften haben, vorhanden sind, sehr wohl andere Möglichkeiten, etwa in der Form der Weiterversicherung in der Sozialversicherung ausreichen können. Jede Forderung aber — das hat der Herr Bundeswirtschaftsminister, den ich zitiere und mit dem meine politischen Freunde in der Deutschen Partei in dieser Frage voll übereinstimmen, am 17. März 1956 auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft gesagt —
Jede Forderung an den Staat um Hilfe und um Sicherheit, um Schutz in diesen oder jenen Bereichen gibt dem Staat nur immer eine neue Möglichkeit und eine neue moralische Berechtigung, noch einmal neue Belastungen auszustreuen, angeblich zum Schutz des Volkes, im Grunde genommen aber zu seiner Entmündigung.
In der Diskussion um die Vereinheitlichung des Rechtes hat der Herr Bundesminister in der Begründung gesagt, daß eine systematische Gleichstellung in bezug auf die Angestellten- und Invalidenversicherung vermieden werden solle und daß aus der Rechtsangleichung nicht geschlossen werden dürfe, daß im Bundesministerium für Arbeit Vereinheitlichungstendenzen vorhanden seien. Die
Bundesversicherungsanstalt, so sagte er, bleibe erhalten, und er verwies dabei auf die besonderen Aufgaben des Heilverfahrens und der Rehabilitation.
Mein Kollege Horn hat in der Begründung für die Mehrheit der CDU-Fraktion gesagt, auch dort bestünden Bedenken — und er persönlich teile diese — sowohl gegenüber der Vorlage der SPD wie auch der der Regierung, und er sei der Meinung, man könne die Paragraphen des Angestelltenversicherungsgesetzes in neuer Fassung vorlegen, die zur Zeit nur in Form von Verweisungen in das Gesetz eingebaut sind. Er fügte hinzu, auch er wolle den Umbau der Gesetzesvorlage. Leider hat er im einzelnen nicht verdeutlicht, ob es ihm nur darum geht, in einem besonderen Buch zu schreiben: Hie §§ 1 bis x, Angestelltenversicherung, und hie §§ A bis Z, Invalidenversicherung. Er hat also nicht verdeutlicht, ob es ihm um mehr geht als um das, was unser Kollege Schellenberg heute morgen dargestellt hat, nämlich an Stelle der Verweisungen in 43 von 48 Paragraphen auf die Invalidenversicherung nun auch besonderes Recht für die Angestelltenversicherung zu setzen. Daher bitte ich mir zu gestatten, zumal dies kein Redner vor mir getan hat, auf diese Probleme wegen ihrer Bedeutung gründlicher einzugehen.
Es genügt nicht, meine Herren und Damen, wie es der Herr Bundesminister für Arbeit gesagt hat, eine eigene Anstalt für die Angestelltenversicherung zu haben. Es genügt nicht, nur eine technische Trennung gleicher Bestimmungen vorzunehmen, wenn nicht auch besonderes Leistungsrecht für besondere Sicherungsbedürfnisse geschaffen wird. Es genügt also nicht die Zusammenfassung der die gleiche Materie betreffenden Paragraphen der Invalidenversicherung in einem besonderen Buch des AVG. Bei einem solchen Tatbestand müßten wir zugeben, daß kaum ein Grund und kaum eine Notwendigkeit für ein besonderes Buch „AV" vorhanden wäre. Das besondere AVG ist aber begründet, wenn wie in der Vergangenheit eine besondere Leistungsgestaltung und besondere Beitragspflichten im besonderen Recht angepaßt an die individuellen Bedürfnisse der Angestellten in der Angestelltenversicherung fortentwickelt würden! Es genügt auch nicht, den Angestellten den gleichen Steigerungsbetrag, der ihnen durch die Fehler des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes vorenthalten wurde, endlich zu gewähren. So sehr wir die Beseitigung dieses Unrechts begrüßen, so glauben wir doch, daß die Unterscheidung der Berufsstände darüber hinaus eine differenziertere Gestaltung des Rechts als sozialpolitisches Anliegen erfordert. Wir sehen darin keine Klassenspaltung und keinen Anlaß zum Klassenhaß, sondern ein Bekenntnis zur gesunden Vielfalt in einem demokratischen Staatswesen. Die Anerkennung dieser Vielfalt und die Berücksichtigung individueller Sicherungsformen ist die einzige Möglichkeit zur Erhaltung einer so selbstverantwortungsbewußten Schicht wie der. deutschen Angestellten.
Ein besonderes Angestelltenversicherungsgesetz ist daher ein gesellschaftspolitisches Faktum von ungeheurer Bedeutung. Es ist erfreulich, festzustellen, daß es heute in Deutschland bei dem Schrei nach totaler Sicherung tatsächlich noch Schichten und Gruppen gibt, die Jahrzehnte hindurch in der Praxis — nicht nur mit Reden, Aufsätzen und sozialethischen Betrachtungen, sondern mit Opfern — bewiesen haben, daß sie bereit sind, für ihre Angestelltenersatzkassen höhere Beiträge zu zahlen, als sie sie z. B. in den Ortskrankenkassen zu bezahlen
brauchten, wo sie in der Regel einen niedrigeren Beitragssatz zu entrichten haben. Sie waren auch bereit, geringere Leistungen — im Vergleich zu denen der Invalidenversicherung — hinzunehmen, da sie bisher keinen Staatszuschuß als Grundbetrag erhielten. Mit den Erstattungen, die der Angestelltenversicherung gegeben wurden, waren die Angestellten in der Gesamtrechnung immer im Nachteil. Die Geschichte der Angestelltenversicherung ist geradezu eine Lehrmeisterin und beweist, daß es noch verantwortungsbewußte Schichten in der deutschen Bevölkerung gibt. Ihr Beispiel möge ansteckend wirken auf die Schichten der Selbständigen, die heute — weil sie die Konsequenzen noch nicht übersehen und den Preis der begehrten Wohltaten noch nicht kennen — nach dem Staat schreien.
Bei der Einführung der Alters- und Invalidenversicherung — ich rufe das in Ihr Gedächtnis zurück — hatten wir Arbeiter und Angestellte in einer Versicherung. Es waren die Angestellten, die sich sehr bald selber dafür ausgesprochen haben, auf Grund ihrer besonderen soziologischen Eigenheiten und der Besonderheiten ihres Berufsstandes ihre eigene Anstalt und eine andere Form der Leistungsgestaltung zu erhalten. Dabei sind die Angestellten immer bereit gewesen, dafür auch höhere Beiträge aufzubringen. Die Forderungen der Angestellten sind 1911 im Angestelltenversicherungsgesetz verwirklicht worden. Diese Regelung hat dazu geführt, daß sie z. B. keine Staatszuschüsse brauchten, daß sie eine unbedingte Witwenrente erhielten und daß sie einen anderen Begriff der Berufsunfähigkeit hatten, den sie keineswegs mißbraucht haben. Das letzte muß im Hinblick auf gewisse Folgeerscheinungen des veränderten SVAG-Begriffs der Berufsunfähigkeit, der nicht ohne Einfluß auf den Umfang der Frühinvalidität ist, mit aller Deutlichkeit gesagt werden. Die Angestelltenversicherung ist immer auf bestimmte Personenkreise beschränkt gewesen. Die Angestellten haben sich in der Vergangenheit wie in der Gegenwart dagegen gewehrt, den Personenkreis durch neue und andere Risiken auszuweiten.
Als im Jahre 1945 nach dem Zusammenbruch die gleiche Frage auftauchte, die ich neulich wieder einmal gehört habe, welches besondere Sicherungsbedürfnis die Angestellten denn gegenüber den Arbeitern noch hätten — als gäbe es nicht noch die viel wichtigere gesellschaftspolitische Frage! —, haben sich die Angestellten, obwohl sie hungerten, gegen die Besatzungsmächte und gegen alle Experimente, die man von außerhalb Europas, von außerhalb Deutschlands bei uns ausprobieren wollte, wie gegen Pläne, die in den Köpfen der eigenen Landsleute ausgedacht waren, gewehrt. Der Kollege Horn und ich sind wohl die einzigen in diesem Hause, die in jener Zeit durch die Lande gezogen sind und die Meinung der Betroffenen — in diesem Falle der Angestellten — in allen Zonen gehört haben, als man ihnen ihre eigenständigen sozialen Einrichtungen nehmen wollte. Die Angestellten haben dann wiederum — fast zehn Jahre später — bei den Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen mit ihrem überwältigenden Abstimmungsergebnis offenbart, daß sie für ihre eigenen Einrichtungen auch in ihrer Selbstverwaltung selber einstehen wollen,
und das heißt, nicht nur über Gesetz und Satzung wachen, sondern auch für Beiträge, Leistungen und Kapitalanlagen Verantwortung tragen wollen.
Es gibt bei den Angestellten nicht nur das besondere Bewußtsein eines Standes, der noch so fließende Grenzen haben mag, der aber in steter Aufwärtsentwicklung begriffen ist. Es gibt darüber hinaus ein klares Bewußtsein von den Eigenarten der Angestelltenberufe, die andere Voraussetzungen haben als die Eigenarten der großen Zahl der Arbeiterberufe. Dabei ist nach meiner Auffassung an der oberen Grenze für die qualifizierten Arbeiterschichten längst die Zeit gekommen, daß Facharbeiter Angestellte werden sollten.
Die längere und gründliche schulische Ausbildung, die bessere Allgemeinbildung, die schon vor der Berufsausbildung bei den Angestellten in der Regel gefordert wird — Sie brauchen nur in die Zeitungen zu schauen, um das festzustellen —, und die abgeschlossene Berufsausbildung haben dazu geführt, daß die Aufstiegschancen und schließlich die Einkommensmöglichkeiten bei den Angestellten andere sind als bei den Arbeitern. Während die Arbeiter schon in jungen Jahren, oft schon mit dem 20. Lebensjahr den Höchstlohn erhalten können, ist das tarifliche Höchstgehalt von Angestellten in der Regel nach dem 30. Lebensjahr, für die meisten nach dem 40. oder gar mit dem 46. Lebensjahr zu erreichen.
— Nein, nicht immer, aber es kann oft so sein, es braucht nicht so zu sein.
„Jeder Rentenbezieher soll am Aufstieg seines Standes und Berufes teilhaben." Danach müßte er allerdings in seinem Gesetz die Bemessungsgrundlagen, die so nivellierende Wirkung für die Angestellten haben, neu überprüfen.
Der § 1260 bestimmt, als allgemeine Bemessungsgrundlage die Bruttojahresarbeitsverdienste aller Arbeitnehmer zugrunde zu legen, während die vorhandenen Unterschiede — Löhne und Gehälter — die Berücksichtigung der Bruttojahresarbeitsverdienste der Angestellten notwendig machen. Das Recht der Angestellten und Arbeiter muß unterschiedlich gestaltet werden, wenn man nicht die Eigenheiten der einzelnen Stände vollkommen nivellieren oder nicht beachten will. Aus diesem Grunde muß auch auf die besondere Gehaltsentwicklung und den anderen Verlauf der Lebenskurve und der Lebenschancen bei der Errechnung der Bemessungsgrundlagen Rücksicht genommen werden.
Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist für die Angestellten absolut anders als für die Arbeiter, und gerade unsere Zeit der Vollbeschäftigung zeigt, daß es auch bei Vollbeschäftigung und Arbeitskräftemangel fast unmöglich ist, ältere Angestellte unterzubringen, und überhaupt nicht mehr möglich ist, wenn sie geringfügig oder mehr in ihrer Gesundheit geschädigt sind. Ich glaube, daß dieser Tatbestand bei der Invalidisierung und in Zusammenhang mit der Invaliditätsformel ungeheuer wichtig ist für die Gestaltung des besonderen Rechtes in der Angestelltenversicherung, insbesondere für die Beibehaltung des eigenen Berufsunfähigkeitsbegriffs der Angestellten. Was bei der Rehabilitierung eine Lebensfrage und die Voraussetzung für das Gelingen aller Rehabilitierungspläne ist, nämlich eine Chance zur Beschäftigung
der halben Kräfte, gilt für die Angestellten in ganz anderem Maße als für die Arbeiter.
Das bisher selbständige Angestelltenversicherungsrecht hat aber auch in der Verwaltung und in der Rechtsprechung feste Begriffe geschaffen. Wenn Sie es beseitigen, indem Sie AV und IV zusammentun, beseitigen Sie auch dieses besondere Recht, das die Rechtsprechung geformt hat. Ich will jetzt auf die Erfahrungen aus dem Heilverfahren und damit auf die mögliche Gefährdung der Erfolgsaussichten für die Kuren, die sich ergibt, wenn man Arbeiter und Angestellte in e i n Heilverfahren steckt, nicht näher eingehen. Der Arbeitsminister hat erfreulicherweise gesagt, daß ja gerade das mit ein Grund für die Entscheidung war, die Rehabilitierung und das Heilverfahren bei den Rentenversicherungsträgern zu lassen. Ich will auch nicht auf das schwierige Problem der Nahtstellen zur Krankenversicherung eingehen. Das wird uns im Ausschuß noch viele Sorgen bereiten. Es gehört aber zu den Einzelproblemen, die ich heute zurückstellen muß.
Ich hoffe, das Thema Angestelltenversicherung abschließen zu können, indem ich der Hoffnung Ausdruck gebe, daß das erfreuliche Bekenntnis, das der Kollege Horn hier für unsere Koalitionspartner abgegeben hat, sich nicht nur auf eine besondere Zusammenstellung der Paragraphen des Angestelltenversicherungsrechts bezieht, sondern auch auf die Anerkennung der besonderen Gestaltung des Leistungsrechts der AV. Es wird dann für uns gar keine Frage sein, daß die Angestellten, wo immer sie organisiert sind — und die überzeugenden, erfreulich übereinstimmenden Stellungnahmen, sei es der hier zitierten Deutschen Angestelltengewerkschaft, sei es des Verbandes der weiblichen Angestellten, haben darauf hingewiesen —, zu solchen Opfern auch in Zukunft bereit sein werden. Es geht um mehr als nur um technische oder systematische Fehler des Gesetzes. Die Eigenständigkeit der Angestelltenversicherung wird dann, hoffe ich, auch Herr Kollege Schellenberg anerkennen, wenn sein Grundsatz von den gleichen Pflichten und den gleichen Rechten durchbrochen wird, weil die Angestellten höhere Pflichten und andere Rechte bekommen werden, so daß die Voraussetzungen für sein Argument dann entfallen dürften. Ich habe jedenfalls Hoffnung, daß wir in dieser Frage im Interesse der deutschen Angestellten noch zur Übereinstimmung kommen.
Beide Entwürfe, sowohl derjenige der Regierung wie derjenige der Sozialdemokratischen Partei. haben eine Reihe von Lücken. So sagt der Entwurf der Regierung z. B. — der Bundesrat hat schon darauf hingewiesen — gar nichts über die Beitragspflicht zur Krankenversicherung der Rentner. Ich möchte schon heute daran erinnern, daß uns der Herr Bundesminister für Arbeit zugesagt hat, eine Novelle zur KV der Rentner für den Tag vorzulegen, an dem die Rentenerhöhungen in Kraft treten. Ich hoffe. er hat diese Zusage nicht vergessen. Immerhin handelt es sich um eine halbe Milliarde, die aus Mitteln der Rentenversicherung an die Krankenversicherungsträger gegeben werden muß. Ich glaube. daß es nur dieses Hinweises bedarf, um bei den Beratungen im Ausschuß mit der Unterstützung des Herrn Bundesarbeitsministers gleichzeitig mit der Novelle rechnen zu dürfen.
Mit diesem Regierungsentwurf werden viele grundsätzliche Entscheidungen getroffen, die unmittelbare Auswirkungen auf die Krankenversicherung, die Arbeitslosenversicherung, die Unfallversicherung und, soweit es um den Bezug von Doppelrenten geht, vor allem auf die Kriegsopferversorgung haben werden. Auch der Einfluß auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, der eine natürliche Grenze hat, soll dabei nicht verschwiegen werden.
Was Herr Dr. Dehler in bezug auf die beiden Entwürfe und ihre weitgehende Übereinstimmung in sozialpolitischen Zielen gesagt hat, ist heute sowohl in den Erklärungen des Herrn Ministers für Arbeit wie in den Ausführungen des Herrn Kollegen Schellenberg so deutlich geworden, daß ich dem nichts hinzuzufügen brauche. Aber die Unbekümmertheit, mit der diese Übereinstimmung anscheinend hingenommen wird: ohne die echte Auseinandersetzung um die grundsätzlichen Gegensätze, vereint mich allerdings in großer Sorge mit vielen in diesem Hause, die wahrscheinlich das gleiche empfinden.
Was in bezug auf die Reform der Altersrente vom Herrn Bundesminister für Arbeit hier und auch immer wieder in der Öffentlichkeit gesagt wird, hat ein gewisses Übergewicht vor der Diskussion um die ganz revolutionäre Neugestaltung der Invaliditätssicherung. Ich möchte nur antippen, daß der Gedanke einer staatlichen Versorgung der Invaliden zu manchen Befürchtungen Anlaß geben könnte, wenn wir nicht bei den Beratungen die Weichen hier noch ein wenig verstellen werden. Ob bei der Rehabilitation nicht auch schon einige Weichen falsch gestellt sind, wird eine sehr ernsthafte Betrachtung dieses Problems im Ausschuß deutlich machen.
Eins möchte ich aber nicht verschweigen, daß die Form der pauschalen Staatszuschüsse in bezug auf Erstattungsverpflichtungen des Staates, z. B. für die Kriegsopfer und Kriegsfolgeleistungen, eine gewisse Durchsichtigkeit vermissen läßt. Daß hier eine zielklare Abgrenzung der Verpflichtung des Staates nicht erkennbar ist, möchte ich heute schon als Mangel und Gefahr ansprechen. Die erschrekkende Nähe zur totalen Versorgung, die der Entwurf an einzelnen Stellen anzeigt, und die Unklarheit bei den Übergängen zur Unfall- und Invalidenversicherung ist eine der Fragen, auf die ich nur hindeuten kann.
Positiv ist der Versuch, das Versicherungsprinzip möglichst rein wiederherzustellen. Darunter kann aber nur verstanden werden, daß Leistung und Gegenleistung sich ausgleichen müssen. Konsequenterweise müßte ein solches Bekenntnis des Herrn Bundesministers und seiner Partei dazu führen, daß vorweg eine Bereinigung gewisser Tatbestände erfolgt, nämlich erstens der Währungs-und Inflationsschäden, zweitens des mathematisch festgestellten Defizits der Rentenversicherung und drittens der Kriegsfolgenlast der Rentenversicherung, die im Kriegsfolgenschlußgesetz anzusprechen sein wird. Mit einem Satz: wir wünschen keine manipulierte pauschale Abgeltung des Staatszuschusses, sondern Klarheit über die sozialen Lasten, die eine Reform heute so ungeheuer schwierig machen. Ich glaube, darüber besteht Einigkeit bei allen Verantwortungsbewußten, daß die Last der Inflationssanierung wie die Last der Rentenerhöhung nicht dem Versicherten allein auferlegt werden darf.
Wir erwarten im Ausschuß kristallklare Antworten, was diese Experimente wirklich kosten werden und wie die Lasten auf Steuerzahler und Beitragszahler verteilt werden sollen. Auch ich bezweifle die Richtigkeit vieler Zahlen, die heute von Herrn Kollegen Schellenberg zitiert worden sind, und ich hoffe nur, daß der Arbeitsminister, der auf diese Vorwürfe leider nicht geantwortet hat, die einzelnen Zahlen im Ausschuß sehr klar verdeutlichen wird, damit auch nicht der Gedanke hängen bleibt, hier seien Dinge, die wir ganz klar haben möchten, in ihrer Darlegung und in ihren Folgen unklar oder gar verschleiert.
Geradezu unverständlich ist mir, daß außer Herrn Dr. Dehler niemaind das Problem der alten Last angesprochen hat, daß diese Frage geradezu totgeschwiegen wird. Und doch hängt von ihrer Lösung ganz allein ab, wie hoch die Renten sein können, ja wie hoch sie heute schon nach der alten Rentenformel sein könnten, die gar nicht so schlecht ist wie ihr Ruf, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, diese alte Last zu sanieren. Am klarsten und deutlichsten — ich glaube, auch zuerst — hat das die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung in ihren Gutachten ausgesprochen. Sie hat darauf hingewiesen, „daß die rettungslose Vermengung von Versicherungs-und Versorgungsprinzipien, von Anwartschaftsdeckung und Umlageverfahren, von Staatsbeiträgen und echten und unechten Leistungen des Staates nur dann bereinigt werden kann, wenn die Kriegsfolgen sauber abgedeckt werden".
Der Herr Bundesminister für Arbeit und der Regierungsentwurf sind auf dem Wege zur Lösung dieses Problems steckengeblieben. Ich anerkenne erneut den guten Willen zur Herstellung eines Versicherungsprinzips, ich glaube aber, daß das nicht gelingen kann, wenn weiterhin die heutigen Beitragszahler, deren Beiträge doch, wie der Herr Minister so oft gesagt hat, Eigentum, nämlich Sparguthaben bei den Rentenversicherungsträgern sind, nun einen Ausgleich geben sollen für den Inflationsschaden, für den Währungsschaden und für die Auffüllung der nicht ausreichenden Renten. Wenn man dem Vorschlag der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft gefolgt wäre — man kann ihm noch folgen —, würden uns sehr viele Sorgen geringer drücken, und wir würden zu ganz sauberen Lösungen mit einem Stichtag am Tage X der Währungsreform kommen und keineswegs zu einer Lösung, die den Rentner etwa neben den Fürsorgeempfänger stellt oder ihn mit ihm noch nicht einmal gleichsetzt — wie es nach der neuen Formel mit vielen kleinen Renten leider der Fall sein wird —, sondern vielmehr zu einer Lösung, die den Staat zwingt, Verpflichtungen aus Währungsschäden, die er zu tragen hat, nicht auf die Schwächsten abzuwälzen, sondern die Verantwortung selbst voll zu übernehmen.
Ich bin überzeugt, daß wir, wenn uns die Regierung — ich bin auch gern dazu bereit — Rentenbeispiele vorlegt, wie sie sich nach der jetzigen Rentenformel bei einer Abdeckung der alten Last und der Inflationsschäden ergeben würden, zu erstaunlichen Ergebnissen kämen, die zugunsten der alten Rentenformel und zuungunsten der neuen Formel sprächen. Auf diese Fragen wird uns das Arbeitsministerium im Ausschuß sehr deutlich antworten müssen! Ich fürchte, daß die neue Formel besonders für Frauen und für die Invaliden zu sehr unangenehmen und unsozialen Überraschungen führen kann. Da ich aber dem Arbeitsminister Gelegenheit geben möchte, alle hier angesprochenen Widersprüche und Konstruktionsfehler des Gesetzes, auch im Tabellenwerk, zu überprüfen und sie uns deutlich zu machen, will ich im einzelnen nichts von dem wiederholen, was Herr Kollege Schellenberg hier schon angesprochen hat. Einige Ungereimtheiten und Unklarheiten werden im Ausschuß — und ich hoffe, wir werden da nicht getrieben werden und unter Zeitdruck stehen — in aller Gründlichkeit zu prüfen sein.
Der Herr Minister hat heute nachmittag zu den Ausführungen unseres Kollegen Dr. Dehler etwas gesagt, das mich sehr gefreut hat. Er hat gesagt, es könne doch nicht sein, daß ein Arbeitnehmer, wenn er sterbe und keine Witwe hinterlasse, all der Leistungen verlustig gehe, die er erworben habe. Ich freue mich über diese Anerkennung der sozialen Gerechtigkeit, der Äquivalenz von Beitrag und Leistung seitens des Ministers, weil sie eine konsequente Folge des Versicherungsprinzips ist. Wenn der Herr Minister dem Arbeitnehmer, der ohne Witwe stirbt, einen Ausgleich geben will, muß ich fragen: wie denkt der Herr Minister denn darüber, daß er beim Internationalen Arbeitsamt zwar für die Bundesregierung zugestimmt hat, die Altersgrenze für Frauen auf 60 Jahre festzulegen, daß er aber gegenüber den Entscheidungen des Bundesrats mit den Argumenten, die Kollege Schellenberg schon zitiert hat, die gleiche konsequente Forderung abgelehnt hat? Mich würde weiter interessieren, welche Organisation etwa von weiblichen Angestellten oder Arbeiterinnen — denn nur solche könnten wohl dazu Stellung nehmen — sich an die CDU oder an den Herrn Arbeitsminister gewandt und auf die Gefahren der Verdrängung vom Arbeitsplatz hingewiesen hat. Wenn Sie das Gesetz so formulieren: „Altersrente erhalten auf Antrag weibliche Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres", wie es der Verband der weiblichen Angestellten vorgeschlagen hat und wie es die Fraktion der Deutschen Partei schon im Oktober des vorigen Jahres mit ihrem Antrag gefordert hat — und dem haben auch die SPD und der Bundesrat bereits zugestimmt —, dann brauchen Sie, glaube ich, diese Befürchtung nicht zu haben, Herr Bundesminister für Arbeit. Dann werden nämlich diejenigen, die weiterarbeiten wollen und können, weiterarbeiten.
Aber etwas anderes wird dann erreicht werden: wir werden die in ihrer Gesundheit durch zwei Kriege und die Nachkriegszeiten so außerordentlich gefährdeten Frauen, auf deren Rücken die Last des Krieges und der Nachkriegszeit lag, nicht in die Frühinvaliditätsrente drängen, die sie heute — die Statistik der Rentenversicherungsträger zeigt es — in der Regel lange vor dem 60. Lebensjahr beziehen. Vielmehr werden wir ihnen Mut geben, noch bis zum 60. Jahre zu arbeiten. Das ist sozialpolitisch richtig und ist finanziell nicht teurer, vielleicht sogar billiger als die auf Staatskosten zu bezahlende Invaliditätsrente, — es sei denn, Sie haben bei der Rentenformel Hintergedanken und wollen den Bezug der Rente außerordentlich erschweren. Aber das möchte ich Ihnen nicht zutrauen. Der Herr Kollege Horn hat erfreulicherweise zugesagt — und ich weiß mich da auch mit den Kolleginnen aus der CDU einig —, daß wir über diese Dinge im Ausschuß sprechen wollen.
Aber über ein sehr wichtiges Problem unserer Zeit müssen wir noch sprechen. Im Regierungsentwurf ist der Gedanke der Elternrente abgelehnt. Im SPD-Entwurf ist die Elternrente enthalten, und der Bundesrat hat sie ebenfalls gefordert. Die Fraktion der Deutschen Partei hat auch die Frage der Hinterbliebenenrenten an Eltern und Geschwister bereits in ihrem Antrag im Oktober hier im Bundestag angesprochen.
Herr Bundesminister für Arbeit, Sie sagen, daß ein Mann, der stirbt und keine Witwe hinterläßt, doch nicht so ohne weiteres alle Beiträge in die Solidarhaftung geben soll. Ich fände das gar nicht so schlimm; das sind nämlich nur Einzelfälle. Aber mit diesem Argument können Sie doch nicht die große Zahl — und die Zahl steigt täglich — der berufstätigen Frauen, die es vor allem betrifft, die nicht aus eigener Schuld in zwei Weltkriegen die Väter, die Männer, die Verlobten verloren haben, dadurch bestrafen, daß Sie ihnen, die im Interesse der Familie, die Sie und ich doch gemeinsam schützen wollen, für Eltern und Geschwister sorgen, diese Eltern- und Geschwisterrente versagen. Natürlich gilt das auch für die kleinere Zahl der ledigen Männer. Ich kann nach der Debatte heute nur hoffen, daß die Erklärung des Bundesministeriums zum Bundesratsvorschlag, „daß eine solche Rente" — Herr Schellenberg hat es schon zitiert — „fehl am Platze sei", schnellstens aus unserer Diskussion verschwindet.
Auch die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft hat in ihrem Gutachten schon darauf hingewiesen, daß bei der Reform der Rentenversicherung die Frage der Gewährung von Hinterbliebenenrenten an die Eltern und Geschwister der Versicherten überlegt werden müsse.
Ich möchte in diesem Zusammenhang — Herr Horn hat das schon getan — nicht auf die Frage des „Vielweibereiparagraphen" mit der Teilung der Witwen- oder Geschiedenenrenten eingehen. Aber wenn wir diese Frage lösen, müssen wir vor allem denen Gerechtigkeit widerfahren lassen, 'die jahrelang Beiträge zahlen und selbstverantwortlich ein Gefühl für Familienzusammenhänge haben.
Einen einzelnen Punkt möchte ich noch anschneiden. Herr Kollege Schellenberg hat hier von einer Mehrheitsauffassung gesprochen, und ich glaube, daß wir hier zu einer einheitlichen Auffassung kommen werden. Ich meine das Problem des § 397 AVG. Ich stehe nicht an, dem Herrn Bundesminister für Arbeit ganz deutlich zu sagen: wenn er glaubt, der § 397 sei der einzige Bonbon, den er als besondere Regelung den Angestellten schenken will, so halte ich ihn für keinen gerecht verteilten Bonbon. Ich will die Bonbons an all die Kinder verteilt haben, die selten einen süßen Bonbon kriegen, und das sind die älteren Angestellten genauso wie die älteren Arbeiterinnen; und wenn die älteren Arbeiterinnen davon betroffen sind, dann möge ihnen dieser Paragraph ebenfalls zukommen.
Überlegen müssen wir uns allerdings, ob ein solcher Paragraph überhaupt in die Rentenversicherung gehört oder ob wir ihn nicht besser in einer Novelle zum AVAVG verankern. Denn das Risiko der frühzeitigen Arbeitslosigkeit ist — das werden Sie mir zugeben — zumindest nicht allein ein Risiko der Rentenversicherung, sondern mehr noch ein Risiko der Arbeitslosenversicherung.
Nun das Problem der neuen Rentenformel! Das ist der Punkt, in dem ich mit dem Kollegen Horn und der CDU-Fraktion nicht einig sein werde. Herr Kollege Horn hat gesagt, „diese Rentenformel sei die Grundlage der neuen Konzeption, und ohne die Dinge im einzelnen kritisch zu zerlegen, sei er im Prinzip mit der Absicht der Regierung einverstanden." Ich frage: kann man das sein, ohne sich im einzelnen mit so schwerwiegenden Problemen kritisch auseinanderzusetzen? Ich möchte nicht wiederholen, was Herr Dr. Dehler zu diesem Problem gesagt hat; er hat es, glaube ich, bisher als einziger im Hinblick auf alle Gefahren und Wirkungen angesprochen. Herr Horn hat mit Recht gesagt, „mit Schlagworten wolle er nicht reden". Ich glaube aber, daß die Erfindung des Schlagwortes „Produktivitätsrente" an Stelle der „dynamischen Rente" für eine wirklich und wahrhaft dynamische Rentenformel eben doch mehr bedeutet als nur die Diskussion um Worte.
Zu der Behauptung, wir würden es in der Zukunft mit einer „lohnbezogenen Rente" zu tun haben, möchte ich sagen, daß die Rente schon immer lohnbezogen war, da ja die Beiträge nach den Löhnen erhoben werden. Wenn die Löhne steigen, werden höhere Beiträge bezahlt und damit, wenn die Rente sich nach den Beiträgen richtet, höhere Renten. Diese lohnbezogene Rente haben wir also bis dato immer gehabt.
Das Problem der dynamischen Rentenformel scheint mir aber doch so vereinfachend nicht zu diskutieren zu sein. Wenn hier die CDU auf die Probleme der volkswirtschaftlichen und währungspolitischen Fragen nicht eingegangen ist, so bedaure ich das sehr; ich glaube, wohl mit Recht vermuten zu dürfen, daß auch die Thesen von wissenschaftlicher Seite, von denen Kollege Horn und auch der Herr Arbeitsminister sprachen, vermutlich die Thesen des Herrn Professors Jecht sind. Ich möchte Ihnen aber doch empfehlen — ich will nichts vorlesen —, die betreffenden Kapitel beim Herrn Professor Jecht sehr gründlich nachzulesen, auch seine recht bemerkenswerten Schlußfolgerungen, die er im letzten Kapitel seines Gutachtens gezogen hat.
Ich möchte wie bei der Grundsatzfrage der Versicherungspflichtgrenze auch an eine andere Grundsatzfrage erinnern. Ich meine die Erklärungen der Regierung, die sie in jüngster Zeit und in dieser Woche hier abgegeben hat, „daß sie sich mit Nachdruck darum bemühen wolle, Löhne und Preise stabil zu halten." Ich möchte den Glauben an den guten Willen der Regierung hinsichtlich dieser Erklärung gern behalten; ich fürchte aber, es liegt nicht in der Hand der Regierung und noch weniger am guten Glauben an solche Wünsche allein. Wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß die Dynamik der Kräfte, die zur Lohn-Preis-Spirale treiben, stärker sein kann als der gute Wille derjenigen in der Regierung, die dergleichen verhindern möchten.
Die mögliche Überforderung der Sozialpartner — das ist schon ausgesprochen worden — sollte uns doch wirklich Sorge machen und veranlassen, über die Warnungen nachzudenken, die maßgebliche Wissenschaftler geäußert haben. Die Meinung des Herrn Jecht ist ja leider nur als eine Meinung gehört worden, so wie vor dem Sozialkabinett leider auch nur eine Meinung gehört wurde. Es ist eine alte Erfahrung, daß eines Mannes Rede keines Mannes Rede ist;
man muß sie hören alle bede, — möglichst noch einige hinzu. Ich hoffe, wir werden das im Ausschuß nachholen. Eine solche Warnung hat neulich Professor R ö p k e, der wohl ein ausgezeichneter Kenner der Problematik des Wohlfahrtsstaates ist,
im Zusammenhang mit der Forderung des Regierungsentwurfs ausgesprochen. Er hat gesagt: „Mit der wertbeständigen Rente und ihrer Forderung kapituliert die Regierung vor der schleichenden Inflation."
Wir sollten nichts betreiben, was eine Reform aus Geldwertpessimismus bedeuten würde. Ich glaube noch heute daran, daß unsere Währung, wie der Bundeskanzler bei der Haushaltsdebatte gesagt hat, die festeste Währung ist. Aber wir könnten dazu beitragen, diese feste Währung zu zertrümmern, und zwar nicht nur mit psychologischen Maßnahmen, sondern mit sehr handfesten dynamischen Formeln.
Diese neue Rentenformel fordert keineswegs zur Lohndisziplin auf. Diese Warnung richte ich etwa nicht nur an die Gewerkschaften, ich richte sie mindestens ebenso ernsthaft auch an die Arbeitgeber.
Die neue Rentenformel ermuntert geradezu zu expansiver Lohnpolitik.
Mit großer Sorge habe ich gelesen, was uns bei der Betrachtung der Bremer Lohnverhandlungen und ihrer möglichen Auswirkungen deutlich gemacht wird, wenn wir an die unabsehbaren Auswirkungen denken, die ein Abkommen mit dem Ziel von Gleitklauseln in den Tarifverträgen bzw. in den Manteltarifverträgen haben könnte, auch wenn solche Gleitklauseln noch so harmlos formuliert sind. Diese Warnung kann gar nicht ernst genug genommen werden, weil ja gerade diejenigen betroffen werden, die wir schützen wollen, nämlich unsere Rentner und die Leute mit den kleinen Einkommen. Die Lohnpolitik darf genausowenig unter dem Gesichtspunkt der Hochkonjunktur gesehen werden, wie die Rentenformel unter dem Gesichtspunkt der Hochkonjunktur oder mit einem Blick auf die Inflation geprägt werden darf. Die Sozialpartner appellieren an den Staat, doch ja keine inflationsfördernden Tendenzen auszulösen. Der Staat und die Regierung erklären fortgesetzt — der Wirtschaftsminister hat es gerade unlängst in der Debatte gesagt —, „daß die mißbräuchliche Anwendung von Preisgleitklauseln gegebenenfalls mit Gesetzeszwang verhindert werden soll". Also Klauseln, die die Gewerkschaften fordern, sollen mit Gesetzeszwang verhindert, Klauseln aber, die die Regierung fordert, sollen durchaus respektiert werden?! Das wäre das Ende der Autonomie einer Lohnpolitik zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, und dafür möchten sich meine Freunde in der Deutschen Partei nicht gern hergeben.
Wir wollen aber auch nicht dazu beitragen, daß der Anfang der Lohn-Preis-Renten-Spirale, der jetzt schon deutlich wird, gefördert wird, weil er sich immer gegen die Schwachen richten muß. Wenn es das in unserer Volkswirtschaft gäbe, daß steigende Löhne nicht steigende Preise auslösen, wenn es das gäbe, daß das Bremer Beispiel mit 8 % Lohnerhöhung vorab und der Forderung bis zu 16 % mit der Bezahlung der Überstunden nach der 45. Stunde nicht auf die Preise umgelegt wird, dann möchte ich Ihre Unbesorgtheit teilen. Da es das aber in unserer Volkswirtschaft leider nicht gibt, wird sich wahrscheinlich eine solche Entwicklung, wenn wir ihr nachgäben — und wir wollen ihr nicht nachgeben —, zuungunsten derjenigen auswirken, denen wir helfen wollen.
In den Referaten der Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, auf die mich einer meiner Kollegen aufmerksam gemacht hat, ist schon im September 1953 im Zusammenhang mit der Diskussion über die Tragweite des § 3 des Währungsgesetzes auch auf die Folgen des Vergleichs zwischen Sozialversicherungsrenten und Beamtenpensionen, der ungleichen Behandlung der Währungsschäden und auf alle Gefahren von Indexlösungen jeder Art hingewiesen worden, die alle in sich automatisch wirkende Wertmesser sind und die D-Mark gleichermaßen verdrängen könnten. Ich glaube, daß die Sozialdemokratische Partei recht hat, wenn sie sagt, daß es weniger auf den zweiten Akt bei der Anpassung der Renten ankommt. Vielmehr muß man eine dynamische Formel, wenn man sie schon wählt, automatisch wollen; wenn man aber nicht den Mut hat, sie automatisch zu wollen, dann soll man sich auf solche fragwürdigen Experimente auch nicht einlassen.
In bezug auf die Inflation hat der Herr Bundeskanzler von dieser Stelle aus auf die Gefahren psychologischer Wirkungen hingewiesen. Aber ich fürchte, daß die unter seinem Vorsitz im Kabinett beschlossene Rentenformel — ich weiß nicht, ob sie ihm im einzelnen dargelegt worden ist und ob er in dieser Angelegenheit nicht gar überfordert war — das Mißtrauen in die Währung so sehr bekundet, wie es in der psychologischen Wirkung gar nicht gefährlicher geschehen kann. Schon der französische Kassationshof hat die Wertsicherungsklauseln mit der Begründung verpönt, daß kein Mißtrauen in die Währung bekundet werden dürfe. Die französische Rechtsprechung hat aus gleichen Gründen Goldklauseln abgelehnt. Ich verweise deshalb auf Frankreich, weil — vielleicht ist es einigen von Ihnen aufgefallen — die Lösung, die uns hier empfohlen wird, dem französischen Beispiel so verdächtig ähnlich ist. Wer es ernst meint mit der Auseinandersetzung um dieses volkswirtschaftliche und währungspolitische Problem, dem wir nicht ausweichen dürfen, der möge die umfangreiche Fachliteratur Frankreichs nachlesen, aus der man unendliches Material über die Gefahr von Indexklauseln schöpfen kann. Die Folgen des dortigen Experiments sind ebenso offenbar.
— Ich habe einiges davon nachgelesen.
— Ja, einiges, nicht alles. Aber ich glaube, die Herren, die das ins Gesetz gebracht haben, haben nicht einmal einiges davon gelesen. Die Gleitformel dynamisiert um so mehr, je mehr sie Massentatbestände erfaßt; und daß das bei der Rentenversicherung der Fall ist, wird niemand bestreiten.
Auf jenem Juristentag ist u. a. auch festgestellt worden, daß bei der Verbundenheit der Wirtschaft eine solche Lösung geradezu wie eine Kettenreaktion auf alle Gebiete preistreibend wirken muß. Zugegeben, daß im Anfang die Inflation ganz unbedeutend sein mag, sie wird doch lawinenartig die richtige Inflation erzeugen, wenn erst die anderen
Forderungen kommen werden. Diese anderen Forderungen hat neulich ein Journalist in der „Zeit" sehr treffend mit dem Hinweis auf die Arche Noah gekennzeichnet, in der nicht allein die Rentner sitzen, sondern auf die sich auch die Lastenausgleichsempfänger, die Fürsorgeempfänger, die Kriegsopferversorgungsempfänger und die Leute mit ihren Rechtsansprüchen retten wollen, die den Pensionskassen und Versicherungen vertraut haben, die — es ist geradezu ein Wunder — trotz zweimaligen Währungsbetrugs und Inflation wieder gespart und Vertrauen in unsere Währung gesetzt haben. Es ist Sache des Staates und der Bank deutscher Länder, diese Währung zu stützen, sie dürfen sie nicht selber in Zweifel setzen. Schon fordern die Hausbesitzer die dynamischen Mieten! Weitere werden folgen!
Wenn aber die Inflation erst da ist — und im Zeichen des Währungsverfalls oder einer totalen Inflation nützen uns keine dynamischen Klauseln und keine Wertsicherungsversprechen mehr —, dann machen wir wahrscheinlich Notverordnungen und erheben neue Steuern. Was ein solcher Zusammenbruch in einer Generation, die ihn schon zweimal erlebt hat, bedeuten würde, das brauche ich Ihnen nicht in schwarz auszumalen. Deshalb bitte ich Sie — auch diejenigen, die sich, für volkswirtschaftliche Probleme nicht interessieren — einzusehen, daß wir den Rentnern und den Ärmsten der Armen, die ich hier meine, wirklich nur helfen, wenn wir die Preise und die Währung und damit die Kaufkraft ihrer Renten stabil halten.
Ich möchte noch das Problem der Kapitaldeckung ansprechen. Auch es ist leider nur am Rande behandelt worden. Es ist sicherlich nicht die primäre Aufgabe der Rentenversicherung, Kapitalsammelstelle zu sein und zur Kapitalbildung in der Volkswirtschaft beizutragen. Es ist und bleibt aber eine eminent wichtige sozialpolitische Funktion der Rentenversicherungsträger, Eigentum zu schaffen und Eigentum zu fördern und den Sozialen Wohnungsbau, der doch auch in Ihrer aller Program-sich klarmachen, in welcher Höhe auch ihre Pladiesem Sozialen Wohnungsbau, dem Erwerb von Eigentumswohnungen und Eigenheimen die Voraussetzungen nicht zu versagen.
Ich glaube, daß die Frage der Kapitalbildung und der Investitionen mit Hilfe der Einrichtungen der Sozialversicherung als Kapitalsammelstellen, die unter sozial bemessenen Renditen wichtige Aufgaben erfüllen, gar nicht als wichtig genug angesehen werden kann. Ich glaube, daß sich diejenigen, die sich für den Wohnungsbau als Anliegen unserer Zeit ganz besonders einsetzen, auch in dieser Frage zu Wort melden werden, wenn sie sich klarmachen; in welcher Höhe auch ihre Planung für die Zukunft davon abhängen wird, daß die Kapitalsammelstellen erhalten bleiben. Wenn eines Tages Eigentum, das so geschaffen wird, nicht mehr zum Kauf angeboten werden kann, weil diejenigen, die es kaufen sollten, infolge hoher Beiträge und Steuern es nicht mehr kaufen können, dann wird auch das Ziel der Reprivatisierung öffentlich-rechtlichen Kollektiveigentums, das ein besonderes Anliegen der Deutschen Partei ist, nicht erreicht werden.
Herr Professor Jecht, der sicher Ihr Kronzeuge ist, hat Ihnen sehr deutliche Zahlen über die Vermögensanlagen der Rentenversicherungsträger gegeben. 1955 waren es 4,3 Milliarden in der Invalidenversicherung; allein in der Angestelltenversicherung war es 1955 fast 1 Milliarde, und die Lebensversicherungen haben allein 1955 neben der Sozialversicherung weitere 1,3 Milliarden angelegt. Es wird mir ewig unerfindlich bleiben, was der Arbeitsminister in der Begründung des Regierungsentwurfs — ich verweise auf die Seite 61 — über die Investitionstätigkeit Westdeutschlands geschrieben hat, als er behauptete, „daß sich die einmalig hohe Investitionstätigkeit Westdeutschlands in den vergangenen acht Jahren im wesentlichen ohne vorausgegangene Kapitalbildung mit Hilfe der Eigenfinanzierung oder Kreditschöpfung vollzogen hat". Es zeugt nicht von einer großen Kenntnis der freien Kapitalbildung in einem freien Wirtschaftssystem, wenn ihm nicht bekannt ist, in welchem Prozentsatz diese Kapitalsammelstellen auch zu den Investitionen beigetragen haben. Wenn man weiter bedenkt, wie hoch der Teil der festverzinslichen Wertpapiere war und daß davon ein Viertel allein auf die Sozialversicherungsträger entfiel, wobei ich die Arbeitslosenversicherung einbeziehe, dann ist in diesem Zusammenhang das Abgehen von der Kapitaldeckung und die Bestätigung eines schon weitgehend vorhandenen Umlagesystems für alle Zukunft gar nicht ernsthaft genug zu betrachten.
Daß die Kapitalansammlung der Rentenversicherung private Ersparnisse nicht erstickt, wissen wir längst. Nur dürfen eben Inflationen diese Kapitalbildung nicht wieder zunichte machen. Da liegt das Problem! In der Auseinandersetzung mit diesen Fragen möchte ich mir die Auffassungen zu eigen machen, die in bezug auf volkswirtschaftliche und finanzwirtschaftliche Auswirkungen Professor Schmölders in aller Deutlichkeit ausgedrückt hat. Er hat in einer kritischen Beurteilung der Entwürfe darauf hingewiesen, inwieweit sich ihre Durchführung mit der überragenden Zielsetzung der Finanzpolitik, der Erhaltung und Gewährleistung der finanziellen Stabilität nicht in Einklang befindet. Der Beitrag des Staatshaushalts zur Sozialversicherung ist dabei von genauso großer Wirkung wie die Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge, die bekanntlich als Kosten in den Preis eingehen und von den Konsumenten, und hier leider wieder von den Arbeitnehmern mit kleinem Einkommen und den Rentnern, getragen werden müssen.
Ein anderer Teil der finanzpolitischen Auswirkungen bezieht sich auf die Einbeziehung weiterer Kreise in die Versicherungspflicht. „Je höher die Einkommensschichten sind, die zur Beitragsleistung herangezogen werden, desto stärker wird die Sparquote in Mitleidenschaft gezogen."
Ein weiterer Teil bezieht sich auf die Lohnpolitik, auf die ich hingewiesen habe. Daß Preissteigerungen die reale Kaufkraft vermindern und dabei wiederum die Rentner am härtesten treffen, ist eine Binsenwahrheit. Ich möchte im Hinblick auf das mangelnde Interesse vieler Mitglieder dieses Hauses an yolks- und finanzwirtschaftlichen Problemen der Sozialreform, das erst dann erweckt wird, wenn sie höhere Beiträge und höhere Steuern bezahlen werden, diese Probleme nicht weiter vertiefen.
Meine Herren und Damen, das Ausmaß der Rentenleistungen wird bestimmt von dem Verhältnis der Rentner zur Gesamtbevölkerung. Daß die Zahl der Rentner ständig steigt und daß auch das Sozialprodukt ständig steigen müßte, wenn die wachsenden Lasten getragen und die sozialen Versprechungen erfüllt werden sollen, ist, glaube ich, heute im allgemeinen Bewußtsein aller Sachkenner.
Nicht im allgemeinen Bewußtsein scheinen aber zu sein die der Öffentlichkeit und dem Parlament nicht ausreichend bekanntgegebenen und unzureichenden, ja falschen Vorschläge zur Finanzierung. Uns ist gesagt worden, was diese Reform im ersten Jahr zusätzlich kosten wird. Uns ist aber verschwiegen bzw. es ist bagatellisiert worden, wie schon in den nächsten 10 Jahren und in welchem Maße in den nächsten 30 Jahren die Kosten wirklich steigen werden. Die von Ministerien genannten Zahlen werden heute von allen Sachverständigen bezweifelt. Anfänglich war von 3,5 Milliarden die Rede. Heute sind es, nachdem durch die zusätzlichen Beschlüsse für Anrechnungszeiten, Rehabilitation und Kriegsopfer weitere 2,2 Milliarden hinzukommen, schon 5,7 Milliarden, also rund 6 Milliarden. 1957 werden wir wahrscheinlich einen Aufwand von fast 13 Milliarden haben, und 1986 werden es rund 30 Milliarden sein. Darin ist noch nicht einbezogen die absolut fiktiv angesetzte Zahl für die Rehabilitierung, und ebenso sind nicht die fiktiven Zahlen bekannt, die sich aus den Mehrkosten für die Invaliditätsrente ergeben werden, die wir noch nicht kennen. Wenn dazu Beschlüsse des Parlaments zur Sechsten Novelle zum Bundesversorgungsgesetz und zum Lastenausgleichsgesetz zu erwarten sind, dürften die finanziellen Auswirkungen alle bisherigen Voranschläge weit übersteigen.
Meine Herren und Damen, ich schließe diese Betrachtungen in der ersten Lesung, in denen ich mich auf die grundsätzlichen Probleme beschränkt habe, mit einer Feststellung ab: Allen Gerechtigkeit widerfahren lassen, aber zuerst den alten Menschen helfen kann man nicht allein mit der Rentenreform. Die großen Fragen unserer Zeit müssen geklärt werden und die Lösung des Problems der sozialen Hilfe muß in einer Rangfolge geschehen, nach der zuerst denen geholfen werden muß, die in der größten Not sind. Darin sollten sich und werden sich, so hoffe ich, Opposition und Koalition in diesem Hause einig sein. Einig sein sollten wir uns aber auch in der Erkenntnis, daß nicht einlösbare soziale Versprechungen auf Grund unklarer Zahlen und unklarer Tatbestände zu sozialen Enttäuschungen führen dürfen. Einig sind wir alle darin, daß die Renten erhöht werden müssen. Unklar ist das „Wie" der besten Kaufwertsicherung der Renten. Mir scheint, das bleibt nach wie vor die feste Währung. Und einig sollten wir uns schließlich darin sein, daß wir uns die Zeit nehmen, bei der Beratung des Regierungsentwurfes, dessen Überweisung an den Ausschuß wir zustimmen, im Ausschuß alle hier ausgesprochenen Bedenken in aller Gründlichkeit verantwortungsbewußt zu klären.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit die Diskussion über die Finanzierung für die Zukunft sich nicht noch weiter verliert, möchte ich folgendes sagen: Die Errechnungen, die der Vorlage zugrunde liegen, sehen vor, daß für die nächsten 30 Jahre in Zehnjahresabschnitten die Finanzierung in der Form sichergestellt wird, daß wir nach dem Ablauf der ersten 10 Jahre ohne eine Veränderung der Beitragshöhe — im Prozentverhältnis natürlich gerechnet — mit einer Rücklage von ungefähr 10 Milliarden DM abschließen werden. In der zweiten Etappe werden wir den größten Teil dieser 10 Milliarden zusätzlich verbrauchen müssen, und in der dritten Etappe, also nach 20 Jahren, werden wir daran denken müssen, entweder die Beiträge oder die Staatszuschüsse zu erhöhen. Das ist doch wohl klar.
Wir gehen dabei von folgenden Tatbeständen aus. Es gibt soziale Verpflichtungen, die unser Volk hat und die nicht auf die Dauer bestehenbleiben werden, sondern die als Kriegsfolgelasten in dem Verhältnis abnehmen, wie wir uns vom Kriegsende entfernen; nehmen wir die Kriegsopferversorgung, nehmen wir die Fragen, die mit dem Lastenausgleich zusammenhängen. Ich bin der Meinung, daß das deutsche Volk in unserer Generation nicht alle Folgen des Krieges ausgleichen kann und daß wir gerade auf den sozialen Gebieten damit rechnen müssen, daß gewisse Verschiebungen der Ausgaben des Staates, die heute in den verschiedensten Versorgungsgesetzen festgelegt sind, vorgenommen werden müssen. Darüber bin ich mir auch mit dem Herrn Finanzminister einig.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Berg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß ich Ihre Geduld nicht so lange strapazieren werde, wie das ein Teil meiner Vorredner getan hat.
Die zeitliche Nähe der heutigen Auseinandersetzung mit der gestern hier abgeschlossenen Debatte über die Konjunktur- und Wirtschaftslage ist natürlich ein Zufall. Aber es ist gut, daß auf diese Weise der Öffentlichkeit der Zusammenhang der Problematik, die absolute Interdependenz von Wirtschafts- und Sozialpolitik noch einmal und nachdrücklich vor Augen geführt wird.
Als Otto von Bismarck vor nunmehr siebzig Jahren die Grundlagen des deutschen Sozialversicherungswerkes schuf, gab es solche Zusammenhänge nicht, weil der Personenkreis an sich noch sehr klein war und weil die Leistungen gering waren und weil der Altersaufbau des deutschen Volkes die Summe der Altersrenten vergleichsweise klein hielt. Das ist gründlich anders geworden. Nehmen wir einmal optimistisch an, daß das wirkliche Volkseinkommen, also das Nettosozialprodukt zu Faktorkosten, als Bemessungsgrundlage für die fortlaufenden Renten im Jahre 1960 den Betrag von 180 Milliarden DM erreicht, so würden davon 81/2 % gleich 15,2 Milliarden DM insgesamt und rund 2 % gleich 3,8 Milliarden aus Steuermitteln allein in die Rentenversicherung fließen. Damit wird diese Vorlage zu einem volkswirtschaftlichen Problem allerersten Ranges.
Die Gründe, die diese gewaltigen Summen notwendig machen, sind, einmal kurz aufgezählt, die folgenden. Der Anteil der in abhängiger Stellung Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung ist gewaltig gestiegen. Das ist ganz allgemein im Wesen unserer vorwiegend industriellen Wirtschaftsordnung begründet. Im besonderen sei aber noch auf die stets wachsende Zahl berufstätiger Frauen hingewiesen. Die Kunst der Ärzte, der Fortschritt von Medizin und Hygiene und der allgemein gehobene Lebensstandard haben die durchschnittliche Lebenserwartung seit Bismarcks Zeiten um Jahrzehnte erhöht. Der Anteil der zu versorgenden Menschen ist schon jetzt überaus hoch und steigt in den nächsten Jahrzehnten weiter an. Unsere Zeit hat ein soziales Gewissen. Kein Mensch unserer Zeit, sofern er überhaupt über solche Probleme nachdenkt, würde die Wiederkehr der Zustände vergangener Zeiten befürworten wollen, wo eine ungeheure Summe von Not auf der einen Seite auf eine uns völlig unbegreifliche Gleichgültigkeit auf der andern Seite stieß.
Wenn ich mich nun dem Regierungsentwurf zuwende, so möchte ich im Namen meiner Freunde von der Freien Volkspartei folgendes sagen. Niemand wird Einwendungen dagegen erheben, daß das Prinzip der Anwartschaftsdeckung verlassen worden ist. Allein die Höhe der Deckungssumme würde ein solches Verfahren unmöglich machen. Die Mittel sind einfach nicht mehr aufzubringen, und angesichts der Einschränkung der Anlagemöglichkeiten käme dieses Verfahren praktisch einer Sterilisierung von Kapital gleich, die volkswirtschaftlich gesehen nicht zu verantworten ist.
Dazu sollte noch ein anderes betont werden. Sozialversicherungsgesetze haben nun einmal keinen Ewigkeitswert. Sie sind dann gut, sogar sehr gut, wenn sie auf die derzeitige gesellschaftliche Struktur des Volkes etwa wie ein Maßanzug auf den Leib zugeschnitten sind. Die Sozialstrukturen sind heute aber einem immer schnelleren Wandel unterworfen, auch wenn man einmal von Krieg und Kriegsgeschrei absieht. Industrialisierung, wachsende weltwirtschaftliche Verflechtung, aber auch Änderung der Anschauungen lassen erwarten, daß die nächste Generation ihre eigenen Überlegungen über Sozialversicherungsprobleme anstellen wird.
Wer so denkt, wird schon aus diesem Grunde auf die Anwartschaftsdeckung verzichten. Ob aber die Umlagedeckung — und praktisch gesehen stellt die Regelung der Regierungsvorlage eine Umlagedeckung mit einer minimalen Risikoreserve dar — das Verfahren der Wahl darstellt, darüber sollten wir uns im Hinblick auf die doch angestrebte Stetigkeit der Leistungen ganz ausgiebig Gedanken machen.
Wir sind nicht der Ansicht, daß die zur Zeit bestehende Ertragslage der Gesamtwirtschaft in absehbarer Zeit wesentliche Einbußen erleiden wird. Aber solche Prophezeiungen haben doch mit den Wetterprophezeiungen der meteorologischen Institute eines gemeinsam: sie haben nur statistischen Charakter, und der Wert der Aussagen, die Wahrscheinlichkeit des Zutreffens sinkt mit dem Wachsen der Zeiträume schnell ab.
Die Kapitaldeckung, die die Regierungsvorlage vorschlägt, ist nach unserer Ansicht unzulänglich. Wir stellen uns eine Abschnittsdeckung so vor, daß die Leistungen über mehrere Jahre auch dann nicht gefährdet sind, wenn infolge Konjunkturrückgangs die Beitragsleistungen rückläufigen
Charakter annehmen. Die Verwirklichung der Forderung nach einer Kapitalreserve, die etwa für fünf Jahre einen Beitragsrückgang um ein Drittel so ausgleicht, daß die Rentenleistungen erhalten bleiben, scheint uns einen hinreichenden Krisenschutz zu gewähren.
Ich bemerkte vorhin, daß die Riesensumme des Kapitals für die Anwartschaftsdeckung auf entscheidende volkswirtschaftliche Bedenken stößt. Umgekehrt aber sollte die Ausgleichsfunktion des Kapitalstocks der Versicherungsträger, wenn er in den angedeuteten Grenzen gehalten wird, beispielsweise für den Wohnungsbau nicht außer acht gelassen werden. Darauf ist heute schon mehrfach hingewiesen worden. Aber es schadet nichts, wenn man es noch einmal unterstreicht.
Dem Gedanken, den man in der Begründung zur Regierungsvorlage findet: „Die möglichen Auswirkungen auf die Vermögensbildung der Rentenversicherungsträger dürfen nicht sozialpolitischen Notwendigkeiten vorgezogen werden", halten wir entgegen: eine ausreichende Vermögensbildung ist eine sozialpolitische Notwendigkeit.
Als das Kernstück der Vorlage sehen wir den neu eingeführten Mechanismus der Festsetzung der Rente auf der Grundlage des durchschnittlichen Jahresbruttoarbeitsentgelts der drei vorhergegangenen Jahre an. Wir sind bereit anzuerkennen, daß der allgemeine Trend der Steigerung der Lebenshaltungskosten, der der Wirtschaftsstruktur der industriellen Gesellschaft offenbar inhärent ist, besteht und daß die Rentenbemessung dieser Erscheinung Rechnung tragen muß. So aber, wie es die Regierungsvorlage vorsieht, geht es nach unserer Ansicht nicht. Wenn wir der Vorlage folgen, bekommen wir in unsere Währung ein Element der Unsicherheit hinein — auch das ist heute schon oft gesagt worden, muß aber immer wieder unterstrichen werden —, was absolut verhängnisvolle Folgen haben kann.
Der Vorgang ist bei Licht besehen doch folgender. Jahr für Jahr werden an die Rentenempfänger Gelder ausgezahlt, deren Höhe von der Lohn-und Gehaltsentwicklung der drei zurückliegenden Jahre abhängig ist. 1960 werden also beispielsweise 14 Milliarden eines Zahlungsmittels als Konsumgeld erscheinen, welches der Zahlungsmittelkonstanz durch einen gesetzlich manipulierten Kunstgriff entzogen ist: die neue Rentenmark 1956. Wir hatten schon einmal eine Rentenmark; sie hat uns 1923 aus der Katastrophe der Inflation herausgeholt. Wir lehnen es ab, jetzt eine neue Rentenmark mit umgekehrtem Vorzeichen zu schaffen, welche die Gefahr einer inflationistischen Entwicklung in sich birgt.
Man soll sich doch keinen Täuschungen hingeben: Anspruch auf die gleiche Anpassungsregelung haben noch viele, viele andere Gruppen; sie sind heute schon oft aufgeführt worden. Da sind die Empfänger von Versorgungsleistungen, von denen ich nur die Kriegsopfer nennen will. Da sind vor allem die Sparer, deren Spargroschen ja auch den durchgehenden Kaufkraftentwertungen unterliegen. Kurz: wir werden hier eine Neuauflage des bekannten Fisherschen Gesetzes erleben, welches bekanntlich besagt, daß schlechte Währungen gute verdrängen. Und um eine schlechte Währung wird es sich aller Voraussicht nach bei der Rentenmark 1956 handeln.
Ich habe gestern bei der Erörterung der Zusammensetzung der Schiedsgerichte in Lohnstreitig-
keiten darauf hingewiesen, daß nicht nur die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften Interesse an Lohnerhöhungen haben, sondern daß auch gewisse Industrien, vor allem diejenigen, die Massenkonsumgüter des gehobenen Bedarfs herstellen, ferner diejenigen, die an der Entwertung der aufgenommenen Kredite interessiert sind, jede Lohnerhöhung freudig begrüßen. Sollen wir nun wirklich der Lohn-Preis-Spirale n o c h einen Auftrieb geben? Die Handhaben, die Währung kaufkraftstabil zu halten, sind an sich stark eingeschränkt worden, seitdem sich unter Führung der Amerikaner die Auffassung in der Wirtschaft mehr und mehr breit macht, die Konjunktur sei am besten durch eine langsam schleichende Kaufkraftinflation zu sichern.
Bislang durften wir in Deutschland stolz darauf sein, in unserem Sozialversicherungssystem ein währungsstabilisierendes Element erster Ordnung zu besitzen. Wir wissen, daß die Rentner zu einem Teil in Form einer kümmerlichen Lebenshaltung die Kostenträger dieser Stabilisierung waren. Mit dem Grundsatz aber hat das nichts zu tun. Wir, meine Freunde von der Freien Volkspartei und ich, wenden uns mit aller gebotenen Entschiedenheit gegen diese Entwicklung. Wir werden in den Ausschüssen auch für diesen Punkt der Vorlage Änderungsvorschläge machen, die nach unserer Ansicht geeignet sind, das Problem gefahrlos zu lösen.
Wesentlich besser scheint uns die Lösung des Problems der Anpassung der laufenden Renten an die wirtschaftliche Entwicklung gelungen zu sein. Die Wahl der Bemessungsgrundlage — das Nettosozialprodukt zu Faktorkosten als ein mit absolut ausreichender Genauigkeit zu ermittelnder Repräsentant des Volkseinkommens — und noch dazu der glättende Effekt der rückwirkenden Berechnung für eine Reihe zurückliegender Jahre scheinen uns eine ausreichende Bremswirkung auszuüben. Die Einzelfragen, ob Sozialbeirat, ob Rechtsverordnung oder ob Automatik, gehören in die Ausschußberatungen.
Die Regierungsvorlage besteht aus zwei Teilen, von denen der zweite die Angestelltenversicherung zwar von der Versicherung der Arbeiter absetzt, aber im Grunde durch ein System textlicher Rückverweisungen praktisch vollständig an den ersten Teil angleicht. Wir halten es für erforderlich, daß zwei selbständige Gesetze geschaffen werden, die durch unterschiedliche Behandlung der unterschiedlichen Struktur der Arbeiter und der Angestellten Rechnung tragen. Wir wissen, daß mancherlei Überschneidungen und Überdeckungen der beiden Gruppen im Erscheinungsbild zutage getreten sind und die scharfe Grenzlinie, die etwa im Jahre 1911 bestand, als die Angestelltenversicherung ins Leben gerufen wurde, verwischt haben. Das ändert nichts an der grundsätzlich andersgearteten sozialen Stellung der Angestellten. Ohne damit irgendwelche positiven oder negativen Werturteile zu fällen, kann doch gesagt werden, daß das Streben der Angestellten im Durchschnitt auf den Aufstieg in größere Wirkungsbereiche gerichtet ist. Eine Vertiefung dieses Problems, das bekanntlich mit der Forderung der SPD nach der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zusammenhängt, scheint mir hier nicht angängig zu sein.
Die Regierungsvorlage bringt nun eine grundlegende Neuerung darin, daß die Pflichtversicherungsgrenze fallen soll. Man kennt die Gründe. Auch hier ist in vielem ein Wandel in den Anschauungen eingetreten. Man sollte diesen Schritt aber sehr sorgfältig überlegen, ehe man ihn tut, vor allem unter dem Gesichtspunkt, daß dem Grundsatz nach das Sozialversicherungswerk nur für diejenigen da ist, die aus Eigenem in der Regel nicht in der Lage sind, Altersvorsorge zu treffen. Weiterhin wird die Möglichkeit der freiwilligen Weiter- und Höherversicherung bereitgehalten und damit dem Versicherten aus eigener Verantwortung ein höheres Maß an Leistung im Alter gesichert.
Daß die Berufsunfähigkeitsbegriffe einer erheblichen Vertiefung bedürfen, wenn man den Besonderheiten der Angestelltenschaft Rechnung tragen will, auch darauf soll hier nur im ganzen hingewiesen werden. Die Vorlage läßt nicht erkennen, daß sie z. B. die Vorbildung und Ausbildung — vielfach doch zwingende Berufsvoraussetzungen — im Rahmen der beruflichen Umschulung der Angestellten besonders berücksichtigt.
Wir bejahen eindringlich noch einmal den Grundsatz der Selbstverwaltung, dies um so mehr, als er sich bis heute durchaus bewährt hat. Mehr und mehr prägt sich den Versicherten das Bewußtsein ein, daß die Sozialversicherungseinrichtungen ihre ureigene Angelegenheit sind und daß der nun einmal auf der Sache lastende staatliche Zwang in Wirklichkeit eine Wohltat und nichts weiter ist.
Dieses Bewußtsein — und das sollte ernsthaft geprüft werden — würde noch entscheidend vertieft werden können, wenn man das Prinzip der Ersatzkrankenkassen in irgendeiner Form auf die Rentenversicherung übertragen würde. Das würde bedeuten, daß eine Vielfalt von freiwilligen Rentenversicherungsträgern, differenziert nach Wirtschaftszweigen, entstünde, denen dann der Versicherte nach seiner Wahl angehören kann, selbstverständlich ebenfalls unter dem großen Dach der Bundesaufsichtsbehörden. Wir entrinnen damit wirksam den jetzigen Mammutorganisationen und bringen ein Konkurrenzprinzip hinein, welches leistungssteigernd wirken kann.
Nun zur Frage der Rehabilitation! Die Vorlage sieht durchaus richtig, daß die Rückführung der durch Krankheit und Folgezustände Bedrohten in den Beruf oder in einen Ersatzberuf ein Aufgabenkomplex ist. Dieser Komplex kann nur von einer Stelle aus sinnvoll gesteuert werden, so daß dann sofort die Frage entsteht, wer denn diese steuernde Stelle sein soll, die Rentenversicherungsträger, die Krankenversicherung oder die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung usw. Aus vielen Gründen sind wir nicht der Meinung, daß die Rentenversicherung die hierfür geeignete Stelle ist. Vielmehr sollte man genauestens prüfen, ob nicht der Krankenkasse diese Aufgabe überlassen bleiben soll; denn sie ist auf Grund ihrer Erfahrungen, auf Grund ihres dauernden engen Kontaktes mit Ärzten und Krankenhäusern die gegebene Stelle.
Allerschwerste Bedenken löst bei uns die Formulierung des § 1243 Abs. 1 aus. Da heißt es:
Der Träger der Rentenversicherung kann die zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit erforderlichen Maßnahmen selbst durchführen.
Was das heißen soll, steht in dem Kommentar zu lesen. Da wird von „eigenen Einrichtungen, die gegebenenfalls erst geschaffen werden sollen" gesprochen, Einrichtungen also, in denen angestellte Ärzte das ihnen überwiesene „Rehabilitations-
material" — dieses entsetzliche Wort habe ich bewußt zu diesem Zweck geprägt — behandeln sollen,
Wir werden diese Frage ganz besonders scharf unter die Lupe nehmen. Die Freiheit des Arztberufes, eines Berufes, für den Freiheit absolutes Berufsmerkmal ist, die Freiheit der Arztwahl auch in der Rehabilitation sind für uns Werte, die gerade auch denen, die unter ganz besonderem Zwang eines drohenden sozialen Abstiegs stehen, erhalten bleiben sollen.
Ich versage es mir, weiter in Einzelheiten einzusteigen, die ja sowieso schon Gegenstand weitestgehender Erörterungen gewesen sind und die ja zum Teil nicht in die erste Lesung hineingehören. Schwere Arbeit aber wartet auf die Ausschüsse, die mit der Vorlage beglückt werden. Wir geben der Hoffnung Ausdruck, daß das Bewußtsein der menschlichen und volkswirtschaftlichen Verantwortung dieser Arbeit die geistige Grundlage gibt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist gewiß nicht leicht, wenn man heute als letzter Redner zu dem Rentenversicherungsgesetz zu sprechen hat; aber ich glaube, daß es andererseits ganz gut für mich gewesen ist, einmal die Betrachtungen der Reihe nach zu hören, die von meinen Vorrednern angestellt worden sind. Ich habe daran erkannt, von welch verschiedenen Betrachtungsorten aus man diese Problematik überhaupt sieht. Ich habe wirklich nicht die Absicht, hier Betrachtungen mit einer -- entschuldigen Sie den Ausdruck — weltanschaulichen Untermauerung anzustellen. Ich will mich in die Lebensnähe dieser Problematik begeben; ich will es tun, um mich hier auf dieses Gesetz zu konzentrieren. Ich will es aber auch tun im Hinblick auf Ergänzungen, die hier ausgesprochen worden sind und die, wie ich glaube, oftmals die Spannweite einer gewissen Verantwortung, die wir als Abgeordnete des Bundestages zu tragen haben, etwas überrundet haben.
Ich habe mit großer Besorgnis davon gehört, welch große Gefahr die — hoffentlich recht erhebliche — Anhebung der Renten im Hinblick auf die Gefährdung der Währung, im Hinblick auf irgendwelche inflationistischen Erscheinungen darstellen könne. Wenn das die Rentner draußen hörten — ich weiß nicht, wie sie sich dazu äußern würden! Man hat sich jahrelang, sicherlich auch im Hinblick auf die Fülle der sozialpolitischen Aufgaben, die auf uns zugekommen sind, nicht sehr intensiv darum gekümmert, inwieweit die Höhe der Renten dem Preis- und Lohngefüge nachhinkt. Heute, wo nun die Regierungsvorlage da ist, müssen wir uns von verschiedenen Seiten sagen lassen, daß gerade die Renten und die Rentner eine Gefahr für die Währung bilden könnten und die Voraussetzungen für inflationistische Erscheinungen schaffen könnten.
Wir wollen uns doch bei der allgemeinen Betrachtung darauf einigen, zu sagen, daß der Anteil der Rentner am Sozialaufkommen viel zu gering ist, um eine solche Gefahr heraufbeschwören zu können. Es ist geradezu merkwürdig, ja, ich möchte sagen, es ist vielleicht grotesk, daß gerade ich als Sprecherin einer Oppositionsfraktion mich gewissermaßen als Schutzpatron für die Auffassung des Herrn Bundeskanzlers fühle, der wer weiß wie oft schon gesagt hat, daß unsere Währung durchaus gesund ist, und der sich dagegen verwahrt hat, daß man immer von Währungsgefahr und Inflationsgefahr spricht.
Hier wird davon gesprochen, daß man die Rentenversicherung immer mehr auf das Gebiet der Versorgung hinüberschiebt und daß sich alles — das ging aus manchem, was hier gesagt wurde, hervor — allein noch auf den Vater Staat verläßt, während man doch dazu kommen müßte, daß auch der Arbeitnehmer die selbständige Eigentumsbildung erreicht. Zu dieser sagen auch meine politischen Freunde und ich ja. Aber wir müssen doch sehen, daß es gerade für den Angestellten und den Arbeiter am allerschwierigsten ist, zu einer Eigentumsbildung zu kommen. Wir wollen dabei nicht verkennen und müssen das in den Kreis unserer Betrachtungen mit einspannen, daß gerade auch der Arbeiter und der Angestellte durch Krieg und Kriegsfolgen Eigentum verloren haben und heute noch nicht wieder in der Lage sind, einen größeren Teil dieses verlorenen Eigentums neu zu bilden.
Von Anbeginn an ist die Rede davon gewesen, daß es die Aufgabe des 2. Bundestages sein müsse, zu einer umfassenden Sozialreform zu kommen. Ich möchte dabei auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers hinweisen und hervorheben, daß dieses Ziel für uns, die wir damals eine der Koalitionsfraktionen waren, ein besonderes Anliegen und auch die Veranlassung gewesen ist, weshalb wir damals in die Regierung hineingegangen sind. Wir haben es schmerzlich vermißt, daß aus diesen Vorsätzen nichts geworden ist. Heute haben wir einen Teil der Sozialreform in Gestalt eines Rentenversicherungsgesetzes vor uns liegen. Schon nach dem äußeren Bild sind wir nicht davon überzeugt, daß es sich hier um eine Rentenreform handelt. Es handelt sich doch lediglich um zwei Arten von Rentnern, nämlich der Angestellten und der Arbeiter als Versicherte; weite Kreise anderer Rentnergruppen sind dabei ausgeschlossen. Das liegt sicherlich nicht zuletzt daran, daß andere Gesetze geschaffen wurden, mit denen man aber die sozialen Nöte nicht genügend aufgefangen und gemildert hat. Es ist sehr häufig von Heimatvertriebenen die Rede gewesen. Ich wüschte, man hätte die Betonung auf Heimatvertriebene und Kriegs-sachgeschädigte gelegt, als im 1. Bundestag das Lastenausgleichsgesetz geschaffen wurde. Dann wären heute nicht, wie das bisher geschehen ist, die Unterhaltshilfeempfänger mit dem Hinweis anzusprechen gewesen, daß sie die Benachteiligten sind, wenn wir jetzt daran gehen, die Renten der Angestellten und der Arbeiter neu zu ordnen. Gerade weil das Lastenausgleichsgesetz keineswegs den Vorstellungen meiner politischen Freunde entsprochen hat und weil auch die nachfolgenden Novellen noch nicht das erfüllt haben, was wir uns unter dem Gesichtspunkt einer sozialen Gerechtigkeit wünschen, müssen wir heute feststellen, daß es nicht angebracht ist, eine Sozialversicherung so zu betrachten, als handelte es sich um eine Privatversicherung. Wir möchten die Betonung sehr auf „sozial" legen und daran erinnern, daß auch die Solidarhaftung keinesfalls strapaziert werden darf.
Wir haben es bisher auch nicht zu einer Bedarfsrente gebracht. Das ist bisher doch nur eine nomi-
nelle Angelegenheit gewesen. Wir müssen zu einer Bedarfsrente kommen. Die vielen nachfolgenden Gesetze zur Erhöhung der Renten, die heute vom Herrn Kollegen Horn mit Recht erwähnt worden sind, haben nicht zu einer tatsächlichen Bedarfsrente geführt.
Nach diesen allgemeinen Betrachtungen noch ein Wort zu dem äußeren Bild dieses Rentenversicherungsgesetzes. Es sind Änderungen des Vierten Buches der Reichsversicherungsordnung. Ich muß offen gestehen, daß wir uns unter einem neuen Rentenversicherungsgesetz auch in der äußeren Erscheinung und in der äußeren Darstellung dieses Gesetzes etwas anderes vorgestellt haben. Wir möchten — der Standpunkt ist, wie Sie aus mancherlei Ausführungen zu anderen erstellten Gesetzen gehört haben, immer von meiner Fraktion vertreten worden — Gesetze schaffen, die auch der Staatsbürger versteht und leicht nachlesen kann. Auch bei diesem Rentenversicherungsgesetz, das den Staatsbürger schon als Versicherten sehr interessiert, muß er im Bilde sein und muß es ihm leicht gemacht werden, sich darin zurecht zu finden. Wir müssen zugeben, daß das Nachlesen doch nur eine Angelegenheit von Fachleuten, zumindest von Menschen ist, die auf diesem Gebiet schon einigermaßen versiert sind. Es mag vielleicht sein — und ich habe die hier ausgesprochene Anregung begrüßt —, daß wir der Klarheit und Übersichtlichkeit schon einen Schritt näherkommen, wenn wir eine Novellierung des AVG vornehmen und dazu noch ein Gesetz für die in der Invalidenversicherung Versicherten schaffen.
Ich meine, es sollte auch möglich sein, Voraussetzungen für eine Verwaltungsvereinfachung zu schaffen. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen. Bisher habe ich noch nicht den Eindruck, daß hier etwas Entscheidendes geschieht.
Auch über die Durchführung, insbesondere über die Umwandlung der Rentensätze, die die jetzt lebenden Rentner erhalten, in die zukünftigen neuen Rentensätze, werden wir uns im Ausschuß noch sehr eingehend zu unterhalten haben. Hier gilt es, nach Möglichkeit Zeitversäumnisse und vor allen Dingen einen großen Kostenaufwand zu vermeiden. Das wird sicherlich eine der schwierigsten Aufgaben sein, die sich aus der Struktur dieses Gesetzes ergeben.
Nun darf ich auf Einzelheiten eingehen. Ich will nur diejenigen ansprechen, die entweder noch nicht erwähnt worden sind oder bei denen ich noch ein besonderes Anliegen meiner politischen Freunde vorzubringen habe.
Sowohl im Regierungsentwurf wie auch im SPD-Entwurf ist vorgesehen, daß alle Arbeitnehmer versichert sein sollen. Dem stimmen wir auf Grund der Erfahrungen der letzten zehn Jahre zu. Auch im Sozialpolitischen Ausschuß unserer Partei ist diese Forderung als durchaus richtig empfunden worden. Darüber, wo die versicherungspflichtige Grenze liegen soll, ob bei 750 oder bei 1000 DM, wird man Sachverständige hören müssen. Aber im Grundsatz begrüßen wir, daß alle Arbeitnehmer versichert sein sollen. Wir sind nicht der Meinung, die heute zum Ausdruck gekommen ist, daß damit ein gewisser Zwang auf diejenigen ausgeübt wird, die von sich aus, aus eigenem Willen die Vorsorge für ihr Alter treffen möchten. Wir haben zu viele Klagen gehört, und die Erfahrungen des Krieges und der Nachkriegszeit haben doch gezeigt, daß auch Bezieher von Einkommen von etwa 1000 DM nicht unter allen Umständen dazu in der Lage sind, eine Vorsorge für das Alter zu treffen.
Daran sollten wir uns einmal erinnern. Wir dürfen auch nicht von normalen Lebensverhältnissen ausgehen. Wir haben einen Krieg verloren, 220 000 Menschen leben noch in Baracken, und in den Zonengrenzbezirken haben wir jahrelang Dauerarbeitslose. Außerdem sollten wir daran denken, daß im Kreise der Rentner ein Nachholbedarf besteht und daß der Kreis der Rentner in den nächsten 15, 16 Jahren und darüber noch sehr viel größer sein wird als im Augenblick.
Wir sollten uns vor allen Dingen daran erinnern, daß wir die Folgen des Krieges in diesem Kreis der deutschen Bevölkerung noch längst nicht überwunden haben, trotz eines deutschen Wirtschaftswunders!
Von hier aus betrachtet sehen die Dinge doch sehr viel anders aus. Man sollte sehr vorsichtig mit der Behauptung sein, daß man bei einem Gehalt von 750 oder 1000 DM von sich aus Vorsorge treffen könne. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß nur ich allein die Briefe aus jenen Kreisen bekomme, die sich durchaus einmal in dieser guten Situation befunden haben und die heute vor dem Nichts stehen.
Gerade im Hinblick auf die Flut der Zuschriften, die uns wohl alle erreicht haben, möchte ich zum Ausdruck bringen, daß auch meine politischen Freunde nicht daran denken, die Bundesanstalt für Angestelltenversicherung irgendwie in ihrem Bestand und in ihren Rechten anzutasten. Auch wir bekennen uns dazu, daß die Rechte der Angestelltenschaft erhalten bleiben sollen. Aber wir wollen uns auch nicht irgendwie einer Entwicklung, der wir nicht entgehen können, in den Weg stellen. Wir wollen nicht die Augen davor verschließen, daß heute der Stand des Arbeiters gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch ein anderer ist als vor 20, 30 oder 50 Jahren.
Wir sollten auch die Wertigkeit der Leistung dieses Arbeiters, sowohl des Facharbeiters als des angelernten Arbeiters, heute durch eine etwas andere Brille sehen, weil bei den Arbeitern oftmals eine sehr gründliche Vorbildung und Ausbildung erforderlich ist, wie wir sie manchmal bei Angestellten nicht vorfinden. Ich habe den Mut, das hier zu sagen, denn ich komme aus der Gewerkschaftsarbeit der Angestellten und ich gehöre selber einer Angestelltenorganisation an. Arbeiter und Angestellte, diese beiden Stände — wenn man überhaupt von „Ständen" sprechen will — sollten nicht miteinander konkurrieren; wir sollten sie auch gar nicht irgendwie zu einer Gleichmacherei verurteilen. Was für den Arbeiter noch nachzuholen ist, was bei ihm bisher versäumt worden ist, sollte in diesem Gesetz unter allen Umständen geregelt werden. Wir bekennen uns auch deshalb grundsätzlich dazu, weil wir uns dafür ausgesprochen
haben, den Arbeiter im Krankheitsfall ebenso wie den Angestellten zu behandeln. In Konsequenz einer solchen Auffassung müssen wir uns für eine gleiche Behandlung der Arbeiter und Angestellten einsetzen.
Eine etwas schwierige Angelegenheit ist die Selbstversicherung. Meine politischen Freunde sind der Meinung, daß die Selbstversicherung im Prinzip nicht mehr angebracht ist, daß wir sie aber für eine gewisse Übergangszeit sicherlich nicht entbehren können. Ich brauche nur an die Frage der Handwerkerversicherung zu erinnern. Das ist nur eines dieser Dinge. Wir müssen vor allen Dingen den kleineren Selbständigen die Möglichkeit geben, sich eine eigene Einrichtung zu schaffen. Ich will hierbei nicht auf Einzelfragen eingehen. Auch zu der sogenannten Hausfrauenversicherung, die ja nur ein Ausschnitt aus der freiwilligen Selbstversicherung ist, für einen gewissen Teil der Frauen, soweit sie nicht vorher pflichtversichert waren, wäre sicherlich einiges zu sagen. Denn wir sollten gewiß vermeiden, daß die freiwillig Selbstversicherten eine Rente beziehen, die sich nicht aus ihren eigenen Beiträgen finanziert, sondern aus den Beiträgen der Pflichtversicherten. So etwas wäre nicht als gerecht zu bezeichnen.
Zur Erhaltung und Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit bedarf es eines ganz besonderen Grundsatzes, den ich kurz herausstellen möchte. Selbstverständlich setzen wir uns dafür ein, daß die Arbeitskraft erhalten bleibt und auch wiederhergestellt wird. Dabei dürfen keinerlei Maßnahmen gescheut werden. Aber eines sollten wir als Grundsatz anerkennen: daß dabei kein Zwang ausgeübt werden kann; es muß immer eine freiwillige Maßnahme für den Arbeitnehmer sein, weil nur einer solchen Maßnahme Erfolg beschieden sein wird.
Ganz kurz zur Invalidenversicherung! Wir sind damit einverstanden, daß eine gestufte Invalidenrente geschaffen wird. Aber es wäre noch sehr zu überlegen, ob man nur dann zu einer 100°/oigen Invalidenrente kommen soll, wenn keinerlei Nebeneinnahme mehr möglich ist. Man sollte überlegen — das wird Aufgabe in den Ausschußsitzungen sein --, ob man sie nicht auch bei 80 %iger Invalidität schon gewähren sollte; denn geringste Nebeneinnahmen sollten nicht dazu führen, daß die volle Invalidenrente verwehrt wird. Ich wende mich dabei besonders an die Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause, die doch immer davon sprechen, daß die Eigeninitiative und die Eigenverantwortung angesprochen werden sollen. Sie würden bestimmt gedrosselt werden, wenn es bei einer solchen Bestimmung bliebe.
Heute ist schon sehr viel von der Altersgrenze gesprochen worden. Meine politischen Freunde stehen natürlich zu der Altersgrenze von 65 Jahren. Eine Heraufsetzung oder die Regelung, daß jemand im Alter von mehr als 65 Jahren zur Steigerung der Rente noch weiter arbeiten kann, ist wohl überhaupt nicht diskutabel. Wir sollten lieber dafür sorgen und die Regierung bitten, daß durchgreifende Maßnahmen gefunden werden, damit die älteren Arbeitnehmer, die schon jahrelang arbeitslos sind, endlich einen Arbeitsplatz bekommen. Das ist ein sehr schwieriges Problem, das immer noch nicht aufgegriffen worden ist.
Die Festsetzung der Altersgrenze der Frauen sollten wir, wie die Sozialpolitik insgesamt, nur unter dem Gedanken der Wiedervereinigung sehen. Wir sollten uns nicht davon beschämen lassen, daß die Frauen in der sowjetisch besetzten Zone mit 60 Jahren Anspruch auf Rente haben. Die Begründung, Herr Arbeitsminister, die Sie hier gegeben haben, ist nicht überzeugend. Wie es meine Vorrednerin schon getan hat, so möchte auch ich sagen, daß die Organisationen den Mut haben sollten, sich zu melden und uns ihren Standpunkt darzulegen; denn es ist kaum vorstellbar, daß Frauen der Meinung sind, sie werden, wenn sie den Anspruch auf eine Rente geltend machen, von ihrem Arbeitsplatz verdrängt. Ich weise darauf hin, daß nur 17 % der Frauen mit 60 Jahren einer Berufsarbeit nachgehen. Das ist ein schlagender Beweis dafür, wie es im allgemeinen in diesen Altersgruppen mit der Berufsarbeit der Frauen aussieht.
Es muß aber auch eine Gleichziehung erfolgen dergestalt, daß der Arbeiter, wie wir das bisher in § 397 AVG geregelt hatten, mit 60 Jahren Anspruch auf Rente hat, wenn er länger als ein Jahr arbeitslos ist. Es muß ermöglicht werden, das für den Arbeiter nachzuholen. Wenn diese Möglichkeit geschaffen wird, dann gerät damit in keiner Weise das Recht der Angestellten ins Hintertreffen. So wollte ich vorhin schon meine Ausführungen im Hinblick auf Arbeiter einerseits und Angestellte andererseits aufgefaßt wissen.
Wir haben es sehr bedauert, daß im Regierungsentwurf die Elternrente nicht enthalten ist. Wir melden jetzt schon auch die Forderung nach einer Geschwisterrente an. Ein Gesetz, in dem die Eltern- und die Geschwisterrente nicht enthalten ist, ist nicht fortschrittlich. Wenn man heute von dem Rentenversicherungsgesetz als von einer Rentenreform spricht, dann vermissen wir das um so mehr. Wir sollten uns darüber einig werden, daß die Begriffe Eltern- und Geschwisterrente — sie sind schon von anderer Seite aufgegriffen worden — in diesem neuen Gesetz verankert werden.
Ein ganz besonderes Anliegen, das vom Bundesrat vorgebracht und auch gebilligt worden ist, das aber die Bundesregierung ablehnt, ist die Forderung der Sicherung des Alters auch für einen Personenkreis, der durch Kriegsfolgen seiner Altersversorgung beraubt worden ist, dessen Angehörige als Arbeitnehmer tätig waren, die die Wartezeit nicht erfüllt haben oder nur eine geringe Versicherungszeit nachweisen können. In diesem Personenkreis befinden sich sehr viele Heimatvertriebene und Flüchtlinge, aber auch Einheimische, die durch Kriegsfolgen ihres Arbeitsplatzes oder ihrer Existenz beraubt worden sind. Sicherlich haben wir dem Bundesrat dafür zu danken, daß er den Vorschlag gemacht hat, auch diese Menschen in die Rentenversicherung einzubeziehen und durch Bundesmittel, auch in Form einer Art Nachentrichtung, in den Genuß einer Rente kommen zu lassen. Das sagen wir ganz besonders deshalb, weil wir uns nicht damit einverstanden erklären können, Herr Arbeitsminister, was Sie in der Bundesratssitzung gesagt haben, daß das nämlich, soweit es Vertriebene, Flüchtlinge oder Kriegssachgeschädigte betrifft, eine Angelegenheit des Lastenausgleichs sei. Das Lastenausgleichsgesetz ist vom 1. Bundestag in einer so unbefriedigenden Form verabschiedet worden, daß es nicht angeht, aus diesen so beschränkten Mitteln des Lastenausgleichs nun auch noch dem von mir angesprochenen Personenkreis Mittel zur Verfügung zu stellen. Ich habe in der Zeit, seit ich dem Bundestag angehöre, sehr häufig
darauf hingewiesen — auch in persönlichen Gesprächen, ich bedauere, daß der Vertriebenenminister Professor Dr. Oberländer nicht mehr da ist —, daß unter allen Umständen auch dieser Personenkreis zwar in das Gesetz zum Lastenausgleich einbezogen werden muß, daß das aber nur dann geschehen kann, wenn der Bund auch bereit ist, hierfür besondere Mittel zur Verfügung zu stellen. Mir sagte vor einigen Tagen ein Vertreter einer Heimatvertriebenenorganisation aus Kassel: „Damals, als wir diese Ansprüche anmeldeten, hieß der Verschiebebahnhof Sozialreform, und heute, da wir einen Teil der Sozialreform, die Rentenreform, vor uns liegen haben, heißt nun der Verschiebebahnhof Lastenausgleich!" Ich meine, nachdem dieser Personenkreis nicht in das Lastenausgleichsgesetz einbezogen worden ist, kann man ihn nicht jetzt, wo wir den Wunsch haben, dad er in das Rentenversicherungsgesetz einbezogen wird, wieder auf den Lastenausgleich verweisen.
Nachdem wir wissen, wie schwer es ist, hier Gesetze durchzubringen, um die sozialen Hohlräume, die doch nun einmal bei uns vorhanden sind, auszufüllen, müssen wir schon darauf bestehen — und wir hoffen die Unterstützung aller Abgeordneten des Hauses zu haben —, daß dieser Personenkreis unter allem Umständen hier in dem Rentenversicherungsgesetz erfaßt wird. Dies ist ein besonderes Anliegen des Gesamtdeutschen Blocks/ BHE. Es betrifft nicht nur Vertriebene und Flüchtlinge, sondern auch einen erheblichen Kreis Einheimischer, die durch Kriegsfolgewirkungen die Existenz bzw. den Arbeitsplatz verloren haben.
Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE ist der Meinung, daß wir unter allen Umständen auch in diesem Gesetz zu einer Mindestrente kommen müssen. Dieses Gesetz hätte nicht die geringste Berührung mit einem reformistischen Gedankengut, wenn es — und ich muß das nachher noch einmal im besonderen ausführen — Renten vorsähe, die etwa unter dem Fürsorgerichtsatz liegen. Wenn wir das vermeiden wollen, müssen wir zu einer Mindestrente kommen. Wir haben uns in meiner Fraktion sehr eingehend mit dieser Problematik eines neuen Rentenversicherungsgesetzes beschäftigt. Wir haben uns die Angelegenheit sicherlich nicht sehr einfach gemacht, sondern wir haben Fachexperten aus den verschiedensten Gebieten zugezogen und gehört. Wir haben dabei feststellen können und in der eigenen Nachprüfung bestätigt gefunden, daß es bei diesem Rentenversicherungsgesetz auch Rentner gibt — nach einer Schätzung sind es etwa 30 bis 40 %, ja, es wird sogar noch von einem höheren Prozentsatz gesprochen —, deren Renten überhaupt nicht angehoben werden, und daß manche Renten nach diesem neuen Rentenversicherungsgesetz noch nicht einmal die bisherige Höhe erreichen, was sicherlich durch die Anlage des Gesetzes und der Tabellen bedingt ist. Dabei ist uns auch gesagt worden, Herr Bundesarbeitsminister — das soll kein Vorwurf sein —, daß sich in der ersten Rententabelle Irrtümer ergeben haben und daß sie inzwischen durch eine Tabelle, die mehr stimmt, ersetzt worden sein soll. Wir möchten nicht erleben, daß ein erheblicher Prozentsatz von Rentnern überhaupt nicht mit einer Rentenanhebung zu rechnen hat.
Auffallend ist — und da muß ich eine gewisse Kritik an Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister, üben —, daß in den Beispielen, die Sie oder Vertreter Ihres Ministeriums geben, immer 40 Arbeitsjahre zugrunde gelegt werden. Wir wissen doch, daß es im Durchschnitt 32 oder 33 Arbeitsjahre sind und daß dieser Unterschied von 7 bis 8 Jahren eine erhebliche Verminderung der Rente bewirkt, die erreicht wird. Wir sollten uns gewöhnen, davon auszugehen, was der Normalfall ist. Der Normalfall — darin bin ich mir auch mit Kollegen der verschiedensten Fraktionen klar — ist 33 Arbeitsjahre. Das hat in erheblichem Maße dazu beigetragen, bei den Rentnern Hoffnungen zu erwecken. Wenn sich das Rentenversicherungsgesetz durch die Beratungen im Ausschuß nicht erheblich verbessert, erfüllen sich diese Hoffnungen nicht, und es greift wieder eine große Enttäuschung in den Rentnerkreisen Platz. Sie greift aber auch bei unseren Versicherten Platz.
Ich darf auf die Altersrente zurückkommen. Wir, die wir der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks angehören, verstehen es einfach nicht, daß die Bundesregierung bei diesem Entwurf überhaupt nicht daran denkt und gar nicht geplant hat, ja, es auch nicht will. daß der Bund Mittel für die Altersrente gibt. Wir möchten einmal feststellen, daß die Arbeitsleistung des Angestellten und des Arbeiters nicht nur ein Kaufartikel für den Lohn und das Gehalt und, davon abgezweigt, die Beitragsleistung ist, auf die sich die Rente aufbaut. Ich möchte hier zum Ausdruck bringen, daß der Arbeiter und der Angestellte auch volkswirtschaftliche Werte für Volk und Staat schaffen und daß sie hierfür auch Anerkennung verlangen können, und zwar in der Form, daß Bundesmittel zur Verfügung gestellt werden.
Wir halten es auch für indiskutabel, daß nach dem Regierungsentwurf alle fünf Jahre eine Nachprüfung und eine Anpassung der Rente erfolgen sollen. Auch der Vorschlag des Bundesrates. alle drei Jahre eine solche Anpassung und Nachprüfung vorzunehmen, ist keinesfalls ausreichend. Ich hätte sehr gerne gewußt — das läßt sich vielleicht in der Ausschußsitzung einmal feststellen —, weshalb man nicht dem Vorschlag, den der Beirat gemacht haben soll. alle Jahre eine Nachprüfung vorzunehmen, Folge leistet.
Ich brauche mich dabei nur darauf zu beziehen, was ich bereits gesagt habe: Wir stehen nicht auf dem Standpunkt, daß durch ein gutes Rentenversicherungsgesetz die Währung geschädigt würde oder inflationistische Erscheinungen zutage treten würden. Man hat diese Besorgnisse — wir sind sehr froh darüber — noch niemals bei der Regelung für die Beamten geäußert. Der Beamte bekommt. wenn er seine Pension bezieht, immer einen Prozentsatz von seinem jeweiligen Gehalt. Dagegen hat sich auch noch niemals jemand gewehrt oder irgendwelche Besorgnisse angemeldet. Wir vom Gesamtdeutschen Block/BHE sind sehr froh darüber. können es aber nicht verstehen, daß ein für die Beamten anerkannter Grundsatz für die Arbeiter und Angestellten nicht angebracht sein soll.
Meine politischen Freunde wünschen, daß dieses Gesetz noch am 1. Oktober dieses Jahres in Kraft tritt. Meine Fraktion hat schon ihr Einverständnis bekundet, die Beratungen pausenlos durchzuführen. Wir sind auch bereit, einen Teil der Parlamentsferien dazu zu benutzen. Ein besonderer Grund da-
für ist, daß gerade der beginnende Herbst die Zeit der größten Sorge für unsere Rentner ist, weil sie sich dann auf den Winter einzustellen haben. Schon allein aus diesem Grunde scheint mir eine baldige Verabschiedung des Gesetzes nötig zu sein. Die anderen Gründe, die hier genannt worden sind, sind ebenso wichtig.
Jedenfalls möchte ich sagen, daß wir alles tun werden, um die Wünsche zu verwirklichen, die ich in einigen groben Umrissen zum Ausdruck gebracht habe und die sicherlich auch bei den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen auf Verständnis stoßen, damit wir ein Gesetz verabschieden können, das wirklich einen Erfolg darstellt, vor allen Dingen zum Segen unserer Rentner und der Versicherten. Auch manche von uns werden ja einmal in das Rentenalter hineinwachsen.
Meine Damen und Herren, wir sind nunmehr über die erste Runde gekommen.
Alle Fraktionen haben gesprochen. Es ist möglich, daß noch eine zweite Runde ausgekämpft werden muß. Für diesen Fall kündige ich an, daß ich den § 39 Abs. 1 Satz 3 der Geschäftsordnung anwenden werde, der als normale Längstredezeit eine Stunde vorsieht.
Ich werde, falls in der zweiten Runde länger als eine Stunde gesprochen werden sollte, dem Redner das Wort entziehen.
— So weit kann und will ich in der Beschränkung der Redezeit nicht gehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche noch zur ersten Runde.
— Nur ganz wenige kurze Bemerkungen zu dem, was der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat, der mir nämlich einen persönlichen Vorwurf gemacht hat, indem er erklärte — so war es dem Inhalt nach —, ich hätte Beispiele gebraucht, die irreführend seien, weil ich dabei von einer durchschnittlichen Beitragsdichte von 79 % ausgegangen sei. Der Herr Bundesarbeitsminister hat erklärt, daß dieser Durchschnittssatz zwar in der Begründung stehe, sich aber auch auf Ehefrauen erstrecke, die nicht mehr im Arbeitsleben stünden. Der Herr Minister irrt. Auf Seite 94 seines Entwurfs ist diese Durchschnittszahl lediglich für arbeitende Männer angegeben, und nur ein solches Beispiel des normalen Arbeitslebens habe ich gebraucht.
Auf alle anderen kritischen Bemerkungen zur Finanzierung beispielsweise ist der Herr Bundesarbeitsminister — bedauerlicherweise, muß ich sagen — nicht eingegangen. Ich muß sie also bis zum Beweise des Gegenteils als richtig unterstellen.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat mir dann noch einen anderen persönlichen Vorwurf gemacht, nämlich den, daß ich unter Bezugnahme auf die gestrige Beratung in der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft den Herrn Ministerialdirektor des Bundesarbeitsministeriums kritisiert habe, der dort erklärt hat — ich zitiere aus dem Bulletin des heutigen Tages —:
Sie sehen bereits aus diesen Sätzen, daß die Formel nachher in der Anwendung so einfach ist, daß man sich selbst seine Rente ausrechnen kann. Das läßt sich durch tabellarische Übersichten ohne weiteres für den Handgebrauch jedes einzelnen Arbeiters, Angestellten und Rentners ermöglichen.
Ich halte diese Formulierung bezüglich der neuen Rentenberechnung — und hierum ging es — für — das habe ich gesagt, und ich stehe zu dem Wort — irreführend für denjenigen, der das liest und hört; denn die gesamte Rentenberechnung ist viel komplizierter. Es ist leider nicht möglich, daß der einzelne, der nicht fachlich geschult ist, seine Rente selbst berechnen kann. Deshalb soll man in der Öffentlichkeit solche Dinge nicht sagen. Wenn sie aber im Bulletin wiederholt werden, habe ich, glaube ich, ein Recht, das zu kritisieren. Wenn ich das gestern in der Aktionsgemeinschaft nicht getan habe, so nur deshalb, weil ich dort klar und deutlich erklärt habe, daß wir die Diskussion über den Rentengesetzentwurf der Regierung nicht in jenem Kreise führen, sondern hier, und hier mußte sie geführt werden. Damit ist dieser Bereich für mich erledigt.
Noch ein ganz kurzes Wort zu dem, was Herr Kollege Horn gesagt hat. Herr Kollege Horn, Ihre Ausführungen über die Dynamik waren meines Erachtens widersprechend. Sie begannen sie damit, daß Sie sagten, in den letzten fünf Jahren sei der Rentenaufwand um 55 % gestiegen; das haben Sie zahlenmäßig hier dargelegt.
— Jawohl! Sie haben die Gesetze vom SVAG an aufgeführt.
— Jawohl, mit 55 %! Das bezieht sich auf den gleichen Zeitraum, in dem Sie in Zukunft für den laufenden Bestand keine Anpassung vornehmen wollen. Wir sagen aber: In diesem Zeitraum von fünf Jahren wurden wesentliche Rentenerhöhungen notwendig. Sie wollen diese durch den Ausschluß der Dynamik für diesen Zeitraum verhindern. Das halten wir sozialpolitisch nicht für gerechtfertigt.
Im übrigen stellen wir mit Interesse fest, daß auch aus den Regierungsparteien — von Herrn Kollegen Horn etwas vorsichtiger, deutlicher von Frau Kollegin Kalinke — Bedenken gegen die Tabellen und gegen das Zahlenmaterial vorgetragen wurden. Das war ein wesentlicher Teil meiner Kritik.
Ich habe das dargelegt, und ich mußte das nachdrücklicher beweisen als die Damen und Herren der Regierungsparteien. In einem sind wir einig: Wir wollen mit Verantwortungsbewußtsein an die Arbeit gehen,
und wir Sozialdemokraten werden uns im Verantwortungsbewußtsein von niemand übertreffen lassen.
Das Wort hat der Herr Minister Storch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haben Sie keine Angst, daß ich Sie noch lange aufhalten will. Ich möchte nur zu dem, was Herr Professor Schellenberg jetzt gesagt hat, folgendes bemerken.
Er hat gesagt, das Bundesarbeitsministerium habe anerkannt, daß die von ihm im Gesetz verwandten Tabellen nicht richtig seien. Das stimmt nicht. Im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundesrates ist gefragt worden, ob diese Tabellen auch stimmen. Gewisse sachverständige Leute hatten dort Bedenken, daß die eine oder andere Tabelle vielleicht doch Unrichtigkeiten enthalten könnte. Wir im Arbeitsministerium sind niemals der Meinung gewesen, daß man gut gemeinte Hinweise nicht verwenden soll. Deshalb werden die Tabellen bei uns noch einmal nachgeprüft. Ich bin aber der felsenfesten Überzeugung, daß sie im wesentlichen stimmen. Man gibt doch die Gesetze deshalb in die Ausschüsse, daß Irrtümer, die vielleicht noch in der Vorlage enthalten sind, beseitigt werden.
Sie, Herr Professor Schellenberg, haben dann weiter gesagt, ich hätte nichts zu Ihren anderen Bedenken und zu den von Ihnen vermuteten Unzulänglichkeiten gesagt. Herr Professor, wenn ich das hätte tun wollen, wäre ich jetzt noch immer am Reden. Darüber wollen wir uns gern im Ausschuß unterhalten. Ich werde versuchen, Ihnen in der Ausschußarbeit die Unterlagen zu geben, die Sie davon überzeugen, daß wir bei der Errechnung gründlich gearbeitet haben und daß unsere Zahlen auch stimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir können nunmehr zur Abstimmung kommen. Es ist der Antrag gestellt, — —
— Zur Abstimmung, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Verlauf der Debatte sind von verschiedenen Seiten volkswirtschaftliche Bedenken insbesondere hinsichtlich der Wirkungen auf den Kapitalmarkt und auf die Währung geäußert worden.
Herr Abgeordneter, Sie wollten zur Abstimmung sprechen, d. h. zur Art und Weise, wie die Abstimmung durchgeführt wird.
Ich wollte den Antrag stellen, daß der Gesetzentwurf aus den erwähnten Gründen dem Ausschuß für Geld und Kredit zur Mitberatung überwiesen wird.
Wir werden auch über diesen Antrag abstimmen. Ich glaube nicht, daß es notwendig sein wird, dazu noch lange zu sprechen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur ein Hinweis: der Gesetzentwurf der Sozialdemokraten, der im großen und ganzen die gleiche Materie behandelt, wurde lediglich dem Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen. Schon deshalb wäre es nicht sinnvoll, hier eine andere Überweisung vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, wir werden abstimmen.
Ich habe nichts gesehen.
Wir stimmen zunächst über den Antrag ab, den Entwurf an den Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Wer diesem Antrag zustimmen will, möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Der zweite Antrag geht dahin, den Entwurf weiterhin an den Ausschuß für Geld und Kredit als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Wer dafür ist, möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit ist Punkt 2 der Tagesordnung erledigt.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 a auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Neuregelung der Knappschaftsversicherung .
Wir haben diesen Punkt heute morgen auf die Tagesordnung gesetzt. Eine Begründung ist nicht beabsichtigt. Das Haus verzichtet auf Aussprache? — Ich nehme an, daß auch dieser Antrag dem Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen werden soll. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Nun rufe ich Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Änderung des Gesetzes über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache 2486, Umdrucke 707, 703).
Es liegt ein Schriftlicher Bericht*) des Abgeordneten Freidhof vor. Herr Abgeordneter, wollen Sie als Berichterstatter den Bericht ergänzen? — Dann erteile ich Ihnen für diese Ergänzung Ihres Schriftlichen Berichts das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich auf den Schriftlichen Bericht beziehen und nur noch einige kurze Bemerkungen anfügen.
Zunächst darf ich eine redaktionelle Änderung begründen. Wir haben in Art. 4 des Gesetzes die
*) Siehe Anlage 2.
Berlin-Klausel. Art. 2 Abs. 4 spricht vom Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz. Mir ist heute mittag von Berlin mitgeteilt worden, daß unser Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz in Berlin nicht gilt. Berlin hat ein eigenes Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz gemacht. Es muß also in der Berlin-Klausel noch etwas hinzugefügt werden, wie es der Senator von Berlin vorgeschlagen hat. Ich habe auch mit Herrn Kollegen Stingl gesprochen, und er hat bestätigt, daß das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz in Berlin nicht gilt und daß diese Berichtigung zur Klarstellung erfolgen muß. Es wird deshalb vorgeschlagen, nach dem ersten Satz einzufügen: „Dabei tritt an die Stelle des in Art. 2 Abs. 4 genannten Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes vom 17. Juni 1949 das Gesetz zur Anpassung des Rechts der Sozialversicherung in Berlin an das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht vom 3. Dezember 1950 (VOBl. für Berlin I S. 542)." Damit ist dann Klarheit geschaffen, daß auch dieses Gesetz, wie wir es jetzt beschlossen haben, in Berlin gilt.
Können Sie mir diese Änderung übergeben?
Ja, ich übergebe sie Ihnen, Herr Präsident.
Nun noch einige wenige Bemerkungen. Es handelt sich bei diesem Gesetz nicht um eine endgültige Regelung der Handwerkeraltersversorgung, sondern um eine vorläufige Änderung. Dieses Gesetz will der künftigen Gestaltung der Altersversorgung des deutschen Handwerks nicht vorgreifen; es will aber die Unsicherheit, die nach 1945 und nach der Währungsumstellung in der Beitragsleistung eingetreten ist, beseitigen. Das Gesetz hat also praktisch für die Zeit, in der zum Teil keine Beiträge bezahlt worden sind, eine Beitragsamnestie durchgeführt. Für die Zeit, in der keine Beiträge geleistet worden sind, nämlich bis zum 31. Dezember 1953, wird die Anwartschaft aufrechterhalten. Aber die Anwartschaft wirkt nicht rentensteigernd; sie bleibt lediglich aufrechterhalten.
Neu ist in dem Gesetz, daß künftig in der Handwerkerversicherung besondere Versicherungskarten und besondere Beitragsmarken eingeführt werden. Soweit jemand von der Höherversicherung Gebrauch macht, werden die Beitragsmarken besonders gekennzeichnet und mit der Handwerkerversicherung verrechnet. Ebenso werden die Abrechnungen und alle Vorgänge, die sich auf die Handwerkerversicherung beziehen, von der Bundesanstalt in Berlin besonders geführt, um dadurch Unterlagen für eine endgültige Gestaltung der Handwerkerversicherung für eine spätere Zeit zu bekommen. Mit dieser Regelung ist man auch dem Wunsch der Angestellten nachgekommen, die ständig auf eine Trennung der Handwerkerversicherung von ihrer Angestelltenversicherung gedrängt haben. Die Beitragspflicht, die jetzt beschlossen worden ist, beginnt nach diesem Gesetz wieder am 1. Januar 1954.
Sowohl der Sozialpolitische Ausschuß als auch der Ausschuß für Mittelstandsfragen, der mitbeteiligt gewesen ist, haben dem Gesetzentwurf einmütig zugestimmt.
Ich habe als Berichterstatter zum Schluß noch eine wohlwollende Bitte, ich sage ausdrücklich: wohlwollende Bitte an die Handwerker selbst zu richten. Der Bundestag ist mit der Annahme dieses Gesetzes den Handwerkern sehr weit entgegengekommen. Ich darf die Bitte und die Mahnung aussprechen, die Handwerker mögen jetzt pünktlich und gewissenhaft ihre Beiträge bezahlen, damit sie im Alter wirklich in den Genuß einer Altersversorgung kommen.
Ich glaube, das ist der Wunsch des ganzen Hauses. Ich habe mich verpflichtet gefühlt, diese Mahnung ganz besonders von dieser Stelle aus an die Handwerker zu richten.
Ich darf das Hohe Haus bitten, dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung mit der soeben von mir beantragten Änderung zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten ein in die zweite Beratung. Ich rufe auf Art. 1. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Anträge sind nicht angekündigt. Wer dieser Bestimmung zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung, im übrigen einstimmig angenommen.
— Verzeihung, sozialpolitische Debatten verwirren manchmal die Klarheit der Entscheidungen des Präsidenten.
Art. 2. Hier ist ein Änderungsantrag angekündigt: der Antrag Umdruck 707*); er ist von Mitgliedern aller Fraktionen unterzeichnet. Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
Ich glaube nicht, daß eine Begründung nötig ist. Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer in Abs. 6 des Art. 2 den Satz angefügt wissen will: „Das gleiche gilt für halbversicherte Handwerker.", möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung, im übrigen einstimmig angenommen.
Wir stimmen nunmehr ab über Art. 2 in der abgeänderten Fassung, Art. 2 a in der Ausschußfassung, Art. 2 b, Art. 3, Art. 4, Art. 5, Einleitung und Überschrift.
— Nein, ein solcher Antrag liegt mir nicht vor. Das ist doch einfach eine redaktionelle Änderung des Ausschußberichts, die der Herr Berichterstatter dem Hause vorgetragen hat.
Der Berichterstatter selber kann ja keinen Antrag als Berichterstatter stellen; aber er kann den Ausschußbericht, den er ja verfertigt hat, redaktionell ändern, wenn die Mitglieder des Ausschusses einverstanden sind, und sie sind es doch offenbar. Wer also diesen Bestimmungen zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe!
*) Siehe Anlage 3.
- Enthaltungen? — Eine Enthaltung, sonst einstimmig!
Die zweite Beratung ist abgeschlossen. Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
In der dritten Beratung eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Becker .
— Wollen Sie in der allgemeinen Aussprache oder zu der Entschließung sprechen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Angelegenheit, die wir eben zu verabschieden im Begriff sind, ist für das deutsche Handwerk von so großer Wichtigkeit, daß wir das gern auch von dieser Stelle aus entsprechend gewürdigt hätten. Aber wegen der vorgeschrittenen Zeit werde ich mich bemühen, mich auf einige Bemerkungen zu beschränken.
Ich möchte ein Wort der Befriedigung darüber sagen, daß nach bald sechsjährigem Ringen um die Reform oder die Änderung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk jetzt wenigstens ein Teilerfolg errungen ist. Ich darf daran erinnern, daß gerade meine Fraktion seit über sechs Jahren dauernd die Initiative ergreifen mußte, um endlich diesen Abschluß zu finden.
— Meine Herren, wir kommen vielleicht auf den Gang der Dinge noch etwas zu sprechen. Ich darf auch daran erinnern, daß sich schon der bizonale Wirtschaftsrat mit den Änderungswünschen beschäftigt hat. Ich darf weiter darauf aufmerksam machen, daß wir ja den ganzen Kampfablauf aus dem wirklich guten Bericht des Herrn Kollegen Freidhof ersehen können. Sie werden dann das bestätigt finden, was ich eben gesagt habe.
Ich darf an den Antrag erinnern, den wir erstmals am 16. November 1950 im Bundestag eingebracht haben, allerdings in Verbindung mit den damaligen Koalitionsparteien. Ich darf an den einstimmigen Beschluß des Hauses vom 17. Januar 1951 erinnern, durch den die Bundesregierung beauftragt wurde, ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Altersversorgung für las Deutsche Handwerk vorzulegen. Ich darf weiter an die Einbringung und Behandlung der Großen Anfrage im Februar und März des Jahres 1952 erinnern. Und dann, meine Damen und Herren, darf ich auf die Schwierigkeit hinweisen, die insbesondere bei der Behandlung dieser Frage im 1. Bundestag im Ausschuß für Sozialpolitik entstanden war. und daß es deshalb notwendig war, im 2. Bundestag wiederum einen neuen Gesetzentwurf einzubringen.
Wenn ich vorhin von einem Teilerfolg gesprochen habe, dann wissen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die berechtigten Wünsche der deutschen Handwerkerschaft entschieden weiter gingen, daß eine der wesentlichsten Forderungen die Auflockerung der Versicherungspflicht war. Ich habe eben schon darauf hingewiesen, daß der Deutsche Bundestag am 17. Januar 1951 einen einstimmigen Beschluß gefaßt hat, durch den die Regierung beauftragt worden ist, eine Gesetzesvorlage im Sinne einer weitgehenden Auflockerung einzubringen. Meine Damen und Herren, es hat auch in Kreisen der Handwerkerschaft immer etwas Unmut erweckt, daß für das deutsche Handwerk die Versicherungspflicht-grenze keine Geltung gehabt hat. Die Handwerker sind unbeschadet der Höhe ihres Einkommens beitragspflichtig, im Gegensatz zu den übrigen Pflichtversicherten in der Angestelltenversicherung. Auch haben wir auf das Fortbestehen der Halbversicherung keinen gesteigerten Wert gelegt. Aber damit haben wir uns ja nicht lange aufgehalten.
Meine Damen und Herren, wir haben auf alle diese berechtigten Wünsche und Forderungen verzichtet, um erstens mit einer Änderung des Systems im Gesetz der im Gang befindlichen Neuordnung der sozialen Verhältnisse nicht vorzugreifen und um zweitens unser Hauptanliegen, nämlich die Bereinigung der sogenannten schwebenden Fälle, die durch die Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse entstanden sind, endlich verwirklichen zu können. In welcher Art sie geregelt sind, ist in dem Schriftlichen Bericht enthalten, und Kollege Freidhof hat es vorhin noch einmal hier aufgezeigt. Ich möchte meinen, daß die Bereinigung der schwebenden Fälle, die uns so am Herzen liegt, durch diesen Gesetzentwurf gesichert ist, und ich darf Ihnen sagen, daß dieser Gesetzentwurf, wenn er in der vorliegenden Form verabschiedet wird, wesentlich zur Beruhigung im deutschen Handwerk beitragen wird; denn damit hat jeder Handwerker, dessen Altersversorgung, sei es durch eigene Schuld, sei es durch andere Umstände, in Unordnung geraten ist, die Möglichkeit, sie wieder in Ordnung zu bringen. Ich möchte genauso, wie es Kollege Freidhof getan hat, eine Mahnung an alle selbständigen deutschen Handwerker richten, diese Gelegenheit zu benutzen, ihre Altersversorgung in Ordnung zu bringen und dann auch in Ordnung zu halten und nicht vielleicht darauf zu warten, daß noch einmal eine Gelegenheit kommt, ihre Angelegenheiten nachträglich in Ordnung zu bringen.
Wie notwendig eine Regelung der Altersvorsorge für das 'deutsche Handwerk ist, habe ich bei der Beratung unserer Großen Anfrage im März 1952 schon einmal gesagt. Damals habe ich darauf hingewiesen, wie unwürdig es für einen selbständigen Handwerker, der 40 und 50 Jahre hindurch treu und brav seine Pflicht getan hat, ist, wenn er auf seine alten Tage noch den Gang zum Wohlfahrtsamt antreten muß. Denn mit dem goldenen Boden des deutschen Handwerks, wie es einmal hieß, ist es nicht weit her, insbesondere bei vielen Angehörigen und bei vielen kleinen Handwerksmeistern.
Wir möchten aber auch an die Handwerksorganisationen, an die Handwerkskammern, die Kreishandwerkerschaften und Innungen, 'die Bitte richten, unsere Bemühungen durch Aufklärung aller bei ihnen organisierten Handwerker zu unterstützen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch der Hoffnung Ausdruck geben, daß die zurückgestellten Wünsche und Forderungen im Zuge der Neuordnung der sozialen Verhältnisse geregelt werden können. Der vorläufigen Änderung der Altersversorgung für das Handwerk muß die Gesamtregelung der Altersvorsorge für alle Selbständigen folgen. Es sind
immerhin 3 Millionen selbständige Existenzen, von denen viele keine Altersvorsorge getroffen haben, und das sollte man auch nicht übersehen.
Bei den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß haben sich die Kollegen, die sich der Angestelltenversicherung besonders verbunden fühlen, einer Regelung, wie sie hier vorgesehen ist, widersetzt. Es ist hier mit Behauptungen und Gegenbehauptungen operiert worden, es sind Beweise und Gegenbeweise gebracht worden, aber die letzte Klarheit konnte nicht gefunden werden. Es ist deshalb gut, daß der vorliegende Gesetzentwurf eine besondere Aufzeichnung über Beitragsaufkommen und Leistungen für die Handwerkerversicherung vorschreibt. Dadurch ist nach einem gewissen Zeitablauf Rechnungslegung möglich, und die gegenseitigen Vorwürfe können aufhören, weil dann Beweise vorhanden sind.
Ich glaube auch, daß sich die Bestimmung des Gesetzes wonach die Handwerksorganisationen bei der Durchführung dieses Gesetzes mitbeteiligt werden sollen, für die Handwerkerschaft wie für die Durchführung dieses Gesetzes vorteilhaft auswirken wird.
Ein letzter Satz noch, meine verehrten Damen und Herren. Auch am Schlusse dieser Beratung möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß dem Streben nach Aufwertung der Lebensversicherungen, die auf Grund eines Gesetzes abgeschlossen wurden, ebenfalls Erfolg beschieden sein möge.
Diejenigen, die auf Grund des Gesetzes eine Lebensversicherung abgeschlossen haben, haben das Gesetz genauso befolgt wie jene, die die Angestelltenversicherung gewählt haben. Man hat sie — das darf man wohl sagen — am 20. Juni 1948 schlecht behandelt. Man hat diese Versicherung behandelt wie eine private oder zusätzlich abgeschlossene Lebensversicherung oder ein Sparkonto schlechthin. Das war ein Unrecht, das gutgemacht werden muß. Wenn auch eine Aufwertung im Verhältnis von 1:1 wie bei der Sozialversicherung nicht in Frage kommt, so glaube ich doch, daß eine fühlbare Aufwertung auch in diesem Falle notwendig ist.
Lassen Sie mich noch sagen, daß die Damen und Herren der CDU-Fraktion wie auch der anderen Koalitionsfraktionen, vielleicht mit der einen oder der anderen Ausnahme, diesem Gesetzentwurf zustimmen werden.
Das Wort zur allgemeinen Aussprache in der dritten Beratung hat der Abgeordnete Schneider.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei aller Sparsamkeit der Rede, die ich innerhalb der Rednerschaft dieses Plenums übe, kann ich Ihnen doch trotz der vorgerückten Zeit einige grundsätzliche Ausführungen vor der Verabschiedung des Gesetzes nicht ersparen. Zwei Gründe veranlassen mich dazu, einmal die Rücksichtnahme auf die Rechtsstaatlichkeit unserer Bundesrepublik und zweitens der Umstand, daß durch dieses Gesetz den vier Millionen versicherten Angestellten erneut zugemutet wird, aus ihren Angestelltenvericherungsbeiträgen die Zeche zu bezahlen,
da eine einseitige Beitragsamnestie erlassen wird. Das ist auch der Grund, warum ich von einem Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik spreche. Man kann meines Erachtens das Grundgesetz doch nur so auslegen, daß solche Amnestien für die Gesamtheit wohl möglich sind, nicht aber nur für einen Personenkreis, der also in diesem Falle die Handwerksmeister sein sollen. Das ist übrigens nicht nur eine Ungerechtigkeit gegen die Angestellten, die pünktlich ihre Beiträge gezahlt haben, sondern auch gegen den Teil der Handwerkerschaft, der ebenfalls pünktlich seine Beiträge geleistet hat.
Durch das Gesetz, das Sie jetzt verabschieden wollen, wird — das ist auch etwas Grundsätzliches — ein Gesetz der Hitlerdiktatur indirekt sanktioniert, ein Gesetz, das in einem Rechtsstaat niemals erlassen worden wäre, ein Gesetz, mit dem man in die Angestelltenversicherung auch die selbständigen Handwerksmeister hineingenommen hat. Nun könnte man ,der Meinung sein, das sei nur ein Schönheitsfehler. Aber man hat nicht nur eine dem Charakter der Angestelltenversicherung fremde Personengruppe hineingenommen, sondern man hat diese Gruppe mit Privilegien ausgestattet. Während jeder Angestellte — in der Invalidenversicherung sind es sinngemäß die Arbeiter — innerhalb der Versicherungsgrenze der Versicherung beitreten und seine Beiträge zahlen muß, hat man es der Personengruppe der Handwerksmeister gestattet, zu wählen, ob sie in die Angestelltenversicherung oder in die private Lebensversicherung hineingehen wollen oder etwa in beide halb und halb. Damit hat sich eine völlig einseitige Risikoauslese zu Lasten der Angestellten ergeben.
Ich sagte, durch das Gesetz, das jetzt angenommen werden soll, wird indirekt das Hitlergesetz sanktioniert. Dieses Gesetz von 1938 ist seinerzeit von der Nazipartei als das Weihnachtsgeschenk des Führers an die Handwerksmeister bezeichnet worden.
Ich könnte auch sagen: ein Geschenk auch an die Privatassekuranz.
Die Angestellten hatten, als der Zusammenbruch kam, als das Naziregime endlich beseitigt war, gehofft, daß man dieses Unrecht von 1938 beseitigen würde. Sie sind enttäuscht worden. Die Militärregierungen und später auch der Wirtschaftsrat und auch der Bundestag
haben bis zum heutigen Tage das Gesetz nicht beseitigt, sondern das Unrecht von ehedem wirkt weiter fort. Nicht nur das Fortwirken dieses Unrechts wird festzustellen sein, sondern das Unrecht wird durch dieses neue Gesetz sogar noch vergrößert.
Ich will jetzt nicht einen Streit darüber beginnen, ob es 840 Millionen DM sind, um die die Angestelltenversicherung erneut geschädigt wird, oder ob es nur 250 Millionen DM sind.
Jedenfalls werden die Angestellten mit dem relativ lächerlichen Betrag von 75 Millionen DM abgefunden.
— Es ist, wie Sie aus den Zwischenrufen ersehen, umstritten.
— Regen Sie sich doch nicht so auf, Herr Ruf! Warum denn so aufgeregt? Wir trinken nachher einen Schnaps!
— Regen Sie sich doch nicht auf! Es muß doch der Wahrheit wegen festgestellt werden, was festzustellen ist. Wenn Sie die Zwischenrufe machen, muß ich eventuell auf die Zwischenrufe eingehen. Ich möchte Sie aber nicht allzulange aufhalten.
Angeblich ist also umstritten, ob sich das Gesetz von 1938 zum Schaden der Angestellten auswirkt, und auch, ob sich das neue Gesetz zum Schaden der Angestellten auswirken wird. Die gesamte Fachwissenschaft, alle Fachpraktiker stellen sich auf den von mir vorgetragenen Standpunkt. Das sind amtliche Stellen. Ich brauche hier nur einige anzuführen. Sie haben ja eine sehr ausführliche Schrift von Dr. Post bekommen; da sind ja die Quellen angegeben und auch die entsprechenden amtlichen Verlautbarungen abgedruckt. Sie sehen, daß schon das Zentralamt für Arbeit der britischen Zone gleich zu Beginn der Besatzungszeit sich auf diesen meinen Standpunkt gestellt hat. Dann folgte die Begründung in einem Entwurf der Bundesregierung zur Änderung der Handwerkerversorgung vom Jahre 1952. Es folgten dann die amtlichen Feststellungen der Landesversicherungsanstalt Hannover und ebenso der Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen, als nämlich seinerzeit noch die Landesversicherungsanstalten treuhänderisch die Angestelltenversicherung verwalteten, weil die alte RfA eingegangen und die neue BfA noch nicht da war. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, eine hohe Behörde des Bundes, hat in zwei Berichten ebenfalls nachgewiesen, daß das, was ich hier behaupte, richtig ist,
und der Verband der deutschen Rentenversicherungsträger hat in vier Berichten genau dasselbe festgestellt. — Alles nachzulesen, Kollege Arndgen, in dieser Schrift, die auch Sie bekommen haben. Da steht alles genau abgedruckt; das sind alles amtliche Unterlagen.
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat auch festgestellt, daß das neue Gesetz gar nicht einmal praktikabel ist. Aber der Bundestag setzt sich über all das, was einstimmig geäußerte Meinung der Fachwissenschaft, einstimmige Meinung der Fachpraktiker ist, hinweg. Ich kann es nicht hindern; ich muß aber im Interesse der Wahrheit diese Feststellungen hier treffen.
In dem Schriftlichen Bericht und auch in den mündlichen Ergänzungen, die heute gegeben worden sind, und auch in dem, was mein Kollege Becker gesagt hat, wurde es so dargestellt, als ob durch den Zusammenbruch eine Gesetzeslücke entstanden sei. Das ist ja gar nicht der Fall! Wenn sich die Handwerksmeister nach wie vor an die gesetzlichen Bestimmungen gehalten hätten, wäre gar kein Beitragsrückstand entstanden. Es ist also an sich kein gesetzlicher Notstand eingetreten, sondern es war nur ein Versäumnis der Handwerksmeister, die ihre gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt haben. Es gibt keinen Arbeiter und keinen Angestellten, denen jemals Beiträge erlassen worden wären, es sei denn, daß Sie mich in dem Zusammenhang an die allgemeine Amnestie erinnern, die seinerzeit erlassen worden ist. Die hat aber die Gesamtheit betroffen und nicht nur einen abgegrenzten Personenkreis.
Aus Gründen der Zeitknappheit — meine Damen und Herren, ich sagte es schon — will ich Ihnen den Inhalt dieser Schrift hier nicht vortragen. Bei den vielen Schriften, die Sie bekommen, werden Sie sie wahrscheinlich nicht gelesen haben. Aber dem, der an der Richtigkeit meiner Behauptungen zweifelt, empfehle ich doch, einmal diese Schrift durchzulesen.
Diese Schrift enthält nur amtliche Dokumente. Das muß einmal festgestellt werden.
Ich glaubte, diese Anmerkungen einmal, wie ich sagte, aus rechtsstaatlichen Gründen machen zu müssen, zum zweiten aber auch im Interesse der vier Millionen Angestellten, die sich ihre Angestelltenversicherung aufgebaut haben und die, wie Sie ja heute auch in anderem Zusammenhang gehört haben, mit allen Fasern ihres Herzens an ihrer Angestelltenversicherung hängen. Ich mußte es aber auch im Interesse aller anderen noch in der Angestelltenversicherung versicherten Personen sagen, die ebenfalls ihre Beiträge pünktlich bezahlt haben und aus deren Taschen nunmehr nach diesem neuen Gesetz die Zeche bezahlt werden soll.
Aus den angeführten Gründen kann ich dem Gesetz nicht zustimmen. Ich weiß, daß ich damit den Gang der Dinge nicht aufhalte; ich möchte aber doch bei dieser Gelegenheit die Bitte an Sie, an den Bundestag, aussprechen, schnellstmöglich ein Gesetz zu verabschieden, durch das für die Handwerkerversorgung eine eigene Trägerschaft, eine eigene Anstalt geschaffen wird, damit auch die Handwerksmeister sich in einer eigenen Solidargemeinschaft gegenseitig helfen und nicht weiterhin zwangsläufig in einer Stellung verbleiben müssen, die meiner Meinung nach keinem Handwerksmeister lieb sein kann. Ich werde deshalb auch dem Antrag der FDP*), der heute gestellt worden ist,
wonach die Regierung ersucht wird, einen solchen Gesetzentwurf recht bald vorzulegen, aus den besagten Gründen zustimmen.
Dieser Antrag*) ist soeben zurückgezogen worden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
*) Siehe Anlage 4.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte das Hohe Haus, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Die Bedenken, die eben vorgetragen worden sind, sind gewiß nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber wir haben, um gerade die Angestelltenversicherung nicht mit einer Verpflichtung zu belasten, die ihr billigerweise nicht zugemutet werden kann, mit der Leitung der Bundesanstalt für Angestelltenversicherung über diese Dinge ernstlich gesprochen. Wir sind dabei gemeinsam zu der Auffassung gekommen, daß die Entschädigungen, die in der Größenordnung von gut 70 Millionen DM in diesem Falle der Angestelltenversicherung gezahlt werden, in Wirklichkeit ein gerechtes Äquivalent sind für das, was das Gesetz von der Anstalt fordert.
Das Wort hat der Abgeordnete Regling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir von der sozialdemokratischen Fraktion begrüßen es, daß heute endlich das Gesetz über die Altersversorgung des Deutschen Handwerks von diesem Hause zunächst wieder funktionsfähig gemacht werden soll. Es bleibt aber leider nur eine Teillösung. Das bedauern wir. Immerhin werden für den allergrößten Teil der Betroffenen klare Verhältnisse geschaffen. Deswegen werden wir dieser Vorlage unsere Zustimmung geben.
Daß das Gesetz diesen Leidensweg hat gehen müssen, ist bestimmt kein Ruhmesblatt für die Nachkriegsgesetzgebung. Das haben wir von dieser Stelle schon gehört. Ich möchte nur in einem Punkt ergänzen, daß nicht nur die Regierungskoalition darauf gedrängt hat, zu einer Regelung zu kommen, sondern daß von allen, insbesondere von meinen Fraktionskollegen, verschiedene Nachfragen in dieser Richtung vorgetragen worden sind.
Herr Kollege Schneider hat eben gewisse Bedenken darüber vorgebracht, daß die Angestelltenversicherung damit belastet ist, und hat darauf hingewiesen, daß die Handwerksmeister ihren Verpflichtungen hätten nachkommen können. Das war deshalb nicht möglich, weil durch die Währungsreform völlig neue Verhältnisse geschaffen wurden. Sofort im Anschluß daran wurde damals noch über den Wirtschaftsrat die Empfehlung und später die Anweisung vom Bundesarbeitsminister an die Landesversicherungsanstalten — später Bundesanstalt — gerichtet, nicht zu vollstrecken. Das Gesetz wurde also sozusagen lahmgelegt, immer mit dem Hinweis, es werde ein neues Gesetz in dieser Richtung kommen; bis dahin solle man warten. Jetzt ist allerdings aus diesem Gesetz einesteils nur ein Amnestiegesetz geworden. Aber, wie ich schon sagte, für einen großen Teil bedeutet das immerhin Klarheit. Und zum andern Teil bringt dieses Gesetz die getrennte Buchführung — so will ich es mal kurz nennen —, also die Tatsache, daß die Einnahmen und Ausgaben für die Handwerkerversorgung bei der Bundesanstalt getrennt geführt werden sollen. Das ist auch wichtig, damit wir feste und klare Zahlen als Unterlagen für weitere Beschlüsse bekommen.
Das, was Kollege Schneider vortrug, ist zweifellos nicht ganz unberechtigt. Aber weder die Bundesanstalt noch die Handwerker sind schuld daran, daß dieser Zustand besteht. Wenn Herr Kollege Schneider von Hitler-Gesetzen spricht, so hat er recht. Das Gesetz ist 1938 erlassen worden, aber ohne daß jemand gefragt worden ist. Heute ging es nur darum, die Unklarheiten, die durch die neue Situation nach der Währungsreform entstanden sind, zu beseitigen. Uns wäre es auch lieber gewesen, wenn wir inzwischen ein neues Gesetz hätten schaffen können, das diese Angelegenheit von Grund auf neu geregelt hätte. Es ist nicht ganz so, daß die Bundesanstalt zu kurz kommt. Der Herr Bundesarbeitsminister hat es eben schon gesagt; zwischen Regierung und Bundesanstalt ist eine Einigung über die 75 Millionen DM erzielt worden. Deshalb darf man nicht von 'höheren Summen sprechen
und damit einen Mißton hineinbringen. Ich darf zusätzlich sagen, daß diese Amnestie nach dem Entwurf keineswegs Steigerungsbeträge für die Übergangszeit vorsieht, also eine weitere Belastung für die Bundesanstalt nicht entsteht.
Zweifellos zielt auch der nunmehr zurückgezogene Antrag der FDP auf die Heraustrennung der Altersversorgung der Handwerker aus der Angestelltenversicherung hin. Das würden wir ohne weiteres begrüßen, nur sind wir der Meinung, daß 'das nicht mehr allein eine Angelegenheit des Handwerks ist, sondern dieser Ruf nach Alterssicherung kommt aus allen Kreisen. Ich war eigentlich erstaunt, bei der Beratung des vorigen Tagesordnungspunktes von Herrn Kollegen Horn und Frau Kalinke zu hören, es sei völlig aburd, für die Selbständigen eine Alterssicherung einzuführen. Ich verstehe gar nicht, daß nur wir allein Zuschriften dieser Art in rauhen Mengen bekommen;
vielleicht deshalb, weil diejenigen, die an uns
schreiben, kein Vertrauen zu denen haben, die von
vornherein sagen, das komme gar nicht in Frage.
Wir dürfen jedenfalls feststellen, daß die überwiegende Mehrheit aller Selbständigen heute diese Alterssicherung will. Zwar ist man sich über die Form, in der sie durchgeführt werden soll, noch nicht ganz einig. Da bestehen verschiedene Meinungen. Entsprechende Anträge sind ja nicht nur im Verlaufe der Diskussion über die Altersicherung für das Handwerk von mehreren Fraktionen gestellt worden, sondern es sind auch zusätzlich Anträge eingebracht worden, nach denen die Bundesregierung ersucht werden soll, zu prüfen, welche gesetzlichen Regelungen für die Alterssicherung geschaffen werden könnten, welche Unterlagen vorhanden bzw. zu beschaffen sind und wie man überhaupt für diese Gruppen etwas tun könnte. Ein solcher Antrag der sozialdemokratischen Fraktion liegt seit dem 13. Dezember 1955 vor. Nach ihm soll die Bundesregierung beauftragt werden, bis zum 30. Juni einen Bericht vorzulegen. Dieser Termin ist im mitberatenden Ausschuß bis zum 31. August verlängert worden. Hier wird die Bundesregierung ersucht, Unterlagen für eine allgemeine Alterssicherung für alle selbständig Schaffenden vorzulegen. Das sollte möglich sein, während wir an der Erfüllung der weiteren Forde-
rung, gleichzeitig die Gesetzentwürfe vorzulegen, zweifeln. Damit dürfte die Bundesregierung nach dem bisher vorgelegten Tempo wohl auch etwas überfordert sein. Aber wir wären immerhin schon froh, wenn wir überhaupt einmal Unterlagen für die weitere Arbeit bekämen. Denn die Not, die in weiten Kreisen der früher Selbständigen herrscht, dürfte allgemein bekannt sein. Sie sollte die Regierung veranlassen, schnell zu handeln. Das Tempo, das sie bisher bei der Wehrgesetzgebung vorgelegt hat, würde hier wohl allseitig Beifall finden.
Ich möchte, um keinen falschen Eindruck zu erwecken, noch darauf hinweisen, daß wir keineswegs beabsichtigen, eine zwangsweise Versicherung für alle Selbständigen bei der bestehenden Versicherung für Arbeiter und Angestellte zu schaffen. Die SPD 'hat ständig das Anliegen der selbständig Tätigen gefördert — und wird auch bemüht sein, es weiterhin zu fördern —, daß sie ihre wirtschaftliche Existenz und damit auch ihre Alterssicherung selbst gestalten wollen. Aber wir wissen aus Erfahrung, daß die selbständige Tätigkeit allein heute keine Sicherheit mehr für das Alter bedeutet. Wir wissen alle, daß die Sicherheit und die Gewißheit, für das Alter und für seine Familie gesorgt zu haben, die Arbeitsleistung und die Lebensfreude jedes einzelnen und somit auch des Selbständigen erhöhen. Deshalb sollte nach unserer Meinung gesetzlich nur die Voraussetzung für eine Mindestrente geschaffen werden. Eine darüber hinausgehende Alterssicherung, worüber heute, wie gesagt, noch vollkommen unterschiedliche Vorstellungen bestehen, sollte gesetzlich nur möglich, aber sonst der Entscheidung der Selbständigen überlassen bleiben.
Aber solange wir diese Regelung nicht haben — die wir ja durch verschiedene Anträge, die der Bundesregierung vorliegen, erbeten haben —, müssen wir für den Teil, der nun einmal durch ein Hitler-Gesetz dazu gezwungen ist, etwas für sein Alter zu tun, wieder Klarheit bekommen. Wir bedauern nur, daß in § 20 des Art. 3 des heute morgen eingebrachten Rentenversicherungsgesetzes bereits wieder eine Diskriminierung des selbständigen Handwerkers enthalten ist. Warum soll nun von vornherein, obwohl er doch zur gleichen Beitragsleistung verpflichtet ist, für ihn die Regelung, wie sie sonst in dem Gesetz 'hinsichtlich der dynamischen Rente usw. vorgesehen ist, nicht gelten? Warum muß das gleich wieder in diesem Gesetz erscheinen?
Man vertröstet uns damit: nur bis zur Neuregelung. Nun, diese Hinweise auf die Neuregelung kennen wir ja, und wir wissen, daß das heißt: auf die lange Bank geschoben. Die lange Bank wird auch in diesem Falle wieder sehr lang sein und wahrscheinlich die gegenwärtige Regierung und vielleicht auch die Legislaturperiode des Bundestages überdauern. Damit wird alles das, was auf dieser langen Bank liegt, wieder einmal erledigt sein und in den Papierkorb fallen. Die selbständigen Handwerker werden also noch für lange Zeit von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mitbetreut werden. Weshalb dort gleich wieder eine Diskriminierung, eine Schlechterstellung? Wir werden im Ausschuß dafür zu sorgen haben, daß diese offensichtliche Schlechterstellung beseitigt wird. Hoffentlich finden sich alle Fraktionen dieses Hauses dazu bereit.
Weiter bleibt bei dem vorliegenden Gesetzentwurf — und das ist und bleibt unsere größte Sorge — die Alterssicherung für die inzwischen über 65 Jahre alt gewordenen Handwerksmeister unerledigt. Man kann doch nicht übersehen, daß heute noch eine große Zahl von Achtzig-, ja Neunzigjährigen zur selbständigen Tätigkeit gezwungen sind und ihren Beruf ausüben, weil sie ihre Ersparnisse zweimal verloren haben und den Gang zur Fürsorge nicht tun wollen. Für sie sollte wirklich sofort etwas getan werden; denn auch sie haben ein Leben lang ihre Steuern gezahlt und sind unverschuldet in diese Not gekommen.
Trotz all der Dürftigkeit, die dieser Gesetzesvorlage nun einmal anhaftet, stimmen wir dieser Teillösung zu. Wir werden jede Gelegenheit suchen und nutzen, um, solange notwendig, die noch verbleibenden Ungerechtigkeiten aus der Handwerkerversicherung zu beseitigen, und darüber hinaus bemüht bleiben, schnell eine Alterssicherung für alle Selbständigen zu erstellen.
Das Wort hat der Abgeordnete Held.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich an sich darüber, daß der vorliegende Gesetzentwurf in den sechs Jahren — denn sechs Jahre hat es nun gedauert, diese Anpassung und diesen Übergang zu finden — nicht in das Gezänk der Parteien hineingezogen worden ist
— ich weiß, Sie haben mich nicht verstanden, Herr Schmücker —, was ja bei einer solch langen Dauer sehr leicht vorkommen kann. Vielleicht ist auch ein Grund dafür die Tatsache, daß die selbständigen Handwerksmeister im Bundestag sehr rar sind und man auf Grund dessen zumindest die Stimmung bei den Handwerksmeistern nicht verderben möchte.
Nach diesen sechs Jahren ist es nun heute endlich gelungen — auch auf diesen kleinen Zwischenfall hin, der ja auch im Ausschuß genügend bekanntgeworden ist —, dieses Gesetz über die Bühne zu bringen. Ich glaube, keine Partei kann für sich das Recht in Anspruch nehmen, etwas Besonderes und mehr dafür getan zu haben als eine der anderen Parteien. Das geht ja aus den gemeinsamen Entschließungen hervor, die nun schon mehrmals hier im Bundestag von allen Fraktionen einstimmig gebilligt worden sind. Für die Handwerker sollte es eine besondere Freude sein, daß solche Dinge im Bundestag einstimmig beschlossen werden.
Daß die sechsjährige Schonfrist — so darf ich es wohl einmal bezeichnen — dazu geführt hat, daß die Lage bei den einzelnen Handwerksmeistern im Laufe der Zeit immer katastrophaler geworden ist, ist auch nicht die Schuld der Handwerksmeister und der Handwerker. Die Ursache dafür liegt vielmehr darin, daß man nachher nicht recht damit weiterkam, ein einmal gegebenes Versprechen in die Wirklichkeit umzusetzen. Ich bin überzeugt, daß mit dieser Regelung, die wir heute beschließen, keine Patentlösung gefunden worden ist und
daß dies auch die uneingeschränkte Meinung aller Interessierten, auch der Versicherungsanstalten, ist. In den ernsten Beratungen in den Ausschüssen, die zum Teil auch gemeinschaftlich getagt haben, haben wir die Sachverständigen für die einzelnen Gebiete durchaus zu Wort kommen lassen. Ich glaube aber, wir sollten die von Sachverständigen zum Teil geäußerten Bedenken heute zurückstellen. Denn im ganzen gesehen können wir wohl sagen: es ist eine gerechte Lösung gefunden worden, wie man es versprochen hatte, ein Lösung, die niemandem wehtun wird. '
Ich möchte jetzt nicht auf die einzelnen Paragraphen eingehen und möchte auch nicht die alten Meinungsverschiedenheiten, die bei den Beratungen auftraten, auffrischen. Wir sind froh darüber, daß wir uns zusammengerauft haben und daß es beim Abschluß der Beratungen keinen Außenseiter mehr gab, so daß wir heute hier im Plenum zu einem einstimmigen Beschluß kommen können. Wenn Herr Schneider sich vorhin noch nicht zu einer Zustimmung aufraffen konnte, so glaube ich doch, daß er bei der Schlußabstimmung das schöne Bild der Einmütigkeit nicht stören wird.
Daß meine Fraktion inzwischen ihren Entschließungsantrag*) zurückgezogen hat, soll nicht bedeuten, daß wir keine berechtigte Begründung hätten vortragen können. Aber es scheint mir in dieser späten Abendstunde schwierig zu sein, das, was Herr Dr. Dehler bereits im Laufe des Tages hier zum Ausdruck gebracht hat, auseinanderzuhalten davon, daß wir gar nicht daran denken, irgendwelche berufsständischen Altersversicherungen hervorzuzaubern. Das war auch nicht der Sinn des Entschließungsantrages. Trotzdem werden wir — darauf hat auch Herr Kollege Regling eben hingewiesen — wahrscheinlich nicht darum herumkommen, in irgendeiner Form einen gewissen Unterschied zwischen den Selbständigen und den Unselbständigen zu machen. Soweit es die Gewerbetreibenden betrifft, müßte vielleicht noch überlegt werden, ob man nicht die freien Berufe in gewisser Hinsicht zu den Selbständigen hinzurechnen könnte. Aber wir haben heute über diesen Entschließungsantrag nicht mehr abzustimmen. Ich hatte nur noch sagen wollen: dieser Entschließungsantrag sollte nicht bedeuten, daß für einen bestimmten Berufsstand, in diesem Falle also für die Handwerker, eine besondere Wurst gebraten werden sollte, sondern in ihm sollte nur darauf hingewiesen werden, daß es im allgemeinen Interesse der Selbständigen liegt, bei zukünftigen Beratungen derartige Dinge zu berücksichtigen.
Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache liegen nicht vor. Ich schließe ,die allgemeine Aussprache. Änderungsanträge zu den einzelnen Artikeln sind nicht angekündigt.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als einem Ganzen zustimmen will, der möge sich von seinem Sitz erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung, im übrigen einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen
*) Siehe Anlage 4. der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vom 21. November 1947 und über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an andere zwischenstaatliche Organisationen .
Ich nehme an, daß auf die Entgegennahme einer mündlichen Begründung verzichtet wird und daß der allgemeine Wunsch besteht, diesen Entwurf an den Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 5:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Allgemeinen Abkommen vom 2. September 1949 über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates .
Ich denke, daß auch dieser Entwurf an den Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten überwiesen werden soll. Erhebt sich Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Punkt 6:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu der am 26. Juni 1948 in Brüssel revidierten Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und der Kunst .
Das Haus verzichtet auf eine mündliche Begründung und auf eine allgemeine Aussprache. Es ist vorgeschlagen, die Vorlage zu überweisen an den Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Kulturpolitik als mitberatenden Ausschuß. Ist das Haus einverstanden? — Dann ist es so beschlossen.
Punkt 7:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung der am 26. Juni 1948 in Brüssel revidierten Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und der Kunst .
Das Haus verzichtet auf Entgegennahme einer mündlichen Begründung und auf eine allgemeine Aussprache. Es ist vorgeschlagen, auch diesen Entwurf an den Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Kulturpolitik als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Das Haus ist einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Punkt 8 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften .
Auch hier war im Ältestenrat die Meinung, daß das Haus auf Entgegennahme einer Begründung und auf allgemeine Aussprache verzichten könne und daß der Entwurf an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen sei. Kein Widerspruch? — Dann ist es so beschlossen.
Nunmehr rufe ich Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen Nr. 10 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 16. November 1921 über das Alter für die Zulassung von Kindern zur Arbeit in der Landwirtschaft ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 2424). (Erste Beratung: 125. Sitzung.)
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Engelbrecht-Greve. Es liegt ein Schriftlicher Bericht*) vor. Der Berichterstatter verzichtet auf mündliche Berichterstattung. Das Haus verzichtet auch.
Wir treten dann in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest und schließe die zweite Beratung.
Ich rufe zur
dritten Beratung
auf und eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Änderungsanträge liegen nicht vor.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich von seinem Sitz erheben. — Gegenprobe: -- Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen Nr. 56 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Oktober 1936 über die Krankenversicherung der Schiffsleute ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache 2488).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Freidhof. Ich erteile ihm das Wort zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag in der 145. Sitzung am 9. Mai 1956 den Entwurf eines Gesetzes zum Übereinkommen Nr. 56 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Oktober 1936 über die Krankenversicherung der Schiffsleute vorgelegt.
Dieser Gesetzentwurf, der die Drucksachennummer 2334 trägt, wurde dem Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen.
Der Bundesrat hat in seiner 157. Sitzung am 20. April 1956 gemäß Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes beschlossen, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben.
Das Übereinkommen verpflichtet die Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, die dieses Übereinkommen ratifiziert haben, Schiffsleuten im Rahmen einer Pflichtversicherung bei Krankheit einen Schutz zu gewähren, der mindestens
I Siehe Anlage 5. den Bestimmungen des Übereinkommens entspricht. Das Übereinkommen ist nach dem Stand vom 1. Juli 1955 von Belgien, Bulgarien, Frankreich, Großbritannien und Nordirland ratifiziert worden.
Nach Mitteilung eines Vertreters der Regierung im Sozialpolitischen Ausschuß steht dieses Übereinkommen nicht im Widerspruch zu den deutschen Gesetzen. Es ist also nicht notwendig, daß eine Änderung der deutschen Gesetze vorgenommen wird.
Der Sozialpolitische Ausschuß hat in seiner 89. Sitzung am Freitag, dem 1. Juni 1956, einstimmig dem Übereinkommen zugestimmt. Ich bitte Sie deshalb im Namen des Ausschusses, dem Übereinkommen auch hier in diesem Hause zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe in zweiter Beratung auf: Art. 1, — 2, —3, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Niemand dagegen. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/ BHE, DP, DA eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksachen 2487, zu 2487).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Schütz. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verweise auf den vorgelegten Schriftlichen Bericht *) und darf mir gestatten, eine kleine Ergänzung vorzutragen.
Während der Beratungen im Ausschuß hat der Kollege Schellenberg ein Anliegen vorgetragen. Er hat darauf aufmerksam gemacht, daß nach § 9 des geltenden Gesetzes deutsche Staatsbürger oder frühere deutsche Staatsangehörige die Auslandsrenten nur dann beziehen können, wenn der Staat, in dem sie sich zur Zeit aufhalten, diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik unterhält. Der Kollege Schellenberg hat besonders auf das Anliegen von ehemaligen deutschen Staatsbürgern hingewiesen, die sich zur Zeit in Israel aufhalten.
s) Siehe Anlage 6.
Der Vertreter des Arbeitsministeriums hat während der Beratungen eingewandt, daß man sich zunächst mit dem Auswärtigen Amt und dem Justizministerium über eine eventuelle Neufassung des Abs. 2 des § 9 unterhalten sollte. Als ich meinen Schriftlichen Bericht vorlegte, war eine Übereinstimmung zwischen den drei Häusern noch nicht zustande gekommen. Sie ist im Laufe des heutigen Vormittags erfolgt. Ich darf mir gestatten, sie hier vorzutragen. Ich darf dabei erwähnen, daß die Mitglieder des Sozialpolitischen Ausschusses aus allen Fraktionen zustimmen, daß nach dieser Verständigung in § 9 Abs. 2 folgender Satz 2 eingefügt wird
— ich gebe dann dem Herrn Präsidenten den Text —:
Sie kann
— nämlich die Bundesregierung —
ferner durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß neben den sonstigen Voraussetzungen des Abs. 1 Leistungen auch an Personen in Staaten gewährt werden können, in denen die Bundesrepublik Deutschland keine amtliche Vertretung hat.
Ich bitte Sie, auch diesem Zusatz Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich bin mir nur noch nicht klar, um welchen Paragraphen es sich handelt.
— Wo wollen Sie es unterbringen? Ich bin leider kein Fachmann auf diesem Gebiet.
— Also Artikel 2 a.
— Gut, dann wird es als Artikel 1 a eingebracht.
Ich rufe auf in zweiter Beratung den Art. 1. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den soeben eingebrachten Antrag des Abgeordneten Schütz, den er im Namen der Kollegen des Ausschusses hier vorgetragen hat, einen Art. 1 a einzufügen. Der Antrag ist bekannt?
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Artikel 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird auch hier nicht gewünscht. — Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes zur Ausführung des Abkommens vom 27. Februar 1953 über deutsche Auslandsschulden ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Drucksachen 2491, zu 2491).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Dr. Eckhardt.
— Er ist nicht im Saal; das Haus verzichtet auf Berichterstattung. Ich darf feststellen, daß der Berichterstatter einen Schriftlichen Bericht*) nachgereicht hat. Ich darf auf diesen, selbst wenn er noch nicht allen Mitgliedern zugegangen sein sollte, Bezug nehmen.
Ich rufe auf: Art. I, — I a, — II, — III, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksache 2447).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Bauereisen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Ihnen vorliegenden Gesetz zur Änderung des Viehseuchengesetzes sind Bestimmungen enthalten, die eine über die bereits bestehenden Regelungen hinausgehende Beschränkung der Verfügungsgewalt der Tierhalter über ihre Tiere darstellen. Das gilt insbesonders für die in Art. 1 Nr. 2 enthaltene Änderung des § 17 Abs. 3, nach der künftig zum Schutz gegen die ständige Gefährdung der Tierbestände durch Tierseuchen die Beibringung von Ursprungs- und Gesundheitszeugnissen für Vieh, das in einen anderen Viehbestand oder auf Weiden, Märkte, Körungen, Viehversteigerungen oder öffentliche Tierschauen gebracht wird, angeordnet werden kann. Bisher war diese Vorschrift auf die
*) Siehe Anlage 7.
Beibringung von Ursprungs- und Gesundheitszeugnissen für das im Besitz von Viehhändlern befindliche Vieh und für das auf Märkte und öffentliche Tierschauen gebrachte Vieh beschränkt.
Der Ausschuß hat sich mit dieser Frage eingehend beschäftigt und ist zu der Überzeugung gekommen, daß die Bekämpfung von Tierseuchen, die der Volkswirtschaft erheblichen Schaden zufügen und auch die menschliche Gesundheit gefährden können, durch die Bestimmungen des Gesetzentwurfs wirkungsvoller gestaltet wird.
In letzter Zeit ist besonders die Bekämpfung der Rindertuberkulose und der Brucellose auf Grund neuerer Erkenntnisse tatkräftig in Angriff genommen und auch aus Mitteln des Bundes, die in diesem Haushaltsjahr um 20 Millionen DM aus Mitteln des Grünen Planes vermehrt wurden, erfolgreich unterstützt worden.
Das begrüßenswerte Kernstück des Gesetzentwurfs verfolgt das Ziel, seuchenfreie Gebiete zu schaffen, in denen der Verkehr mit Tieren, die nicht seuchenfrei sind, beschränkt wird, um Reinfektionen der oft mit großen wirtschaftlichen Opfern seuchenfrei gemachten Tierbestände möglichst zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, sind naturgemäß Beschränkungen des Verkehrs mit nicht seuchenfreien Tieren nicht zu vermeiden.
Der Auschuß ist jedoch der Auffassung, daß die Bestimmungen so elastisch wie möglich gestaltet werden sollten. Er hat daher beschlossen, die Bestimmungen des § 61 a Abs. 2 allgemeiner zu f assen. Dadurch wird vermieden, daß z. B. für einen in einem Schutzgebiet gelegenen Schlachtviehmarkt, dem auch Rinder aus nicht tuberkulosefreien Beständen zugeführt werden, in jedem Einzelfall Ausnahmegenehmigungen erteilt werden müssen. Vielmehr kann die zuständige Behörde in diesem Falle durch Rechtsverordnung eine generelle Ausnahmegenehmigung festlegen. Das Ausmaß der noch § 61 a Abs. 2 erteilten Ermächigung wird durch den Nachsatz „sofern die Gefahr der Ansteckung fremder Tiere ausgeschlossen erscheint" zweckentsprechend begrenzt.
Der Ausschuß vertritt die Auffassung, daß bei der Eigenart der Materie, den wechselnden Gegebenheiten der Tierseuchenlage, dem Fortschreiten der Erkenntnisse und der daraus folgenden Bekämpfungsmaßnahmen im Gesetz nicht jede im Zuge der Tierseuchenbekämpfung notwendig werdende Maßnahme festgelegt werden kann. Vielmehr muß das Gesetz die Ermächtigung für die Anordnung von Maßnahmen enthalten, die im Einzelfall nach Tierart, Seuchenlage und Bekämpfungsmöglichkeiten von der zuständigen Behörde auszuwählen und anzuordnen sind.
Der Ausschuß hat auf Grund dieser Überlegungen seine Bedenken zurückgestellt und bejaht die Regierungsvorlage im Grundsatz in ,der Erwartung, daß die vorgesehenen Ermächtigungen durch die Ausführungsvorschriften des Bundes und der Länder so ergänzt werden, daß der Tierverkehr nicht m eh r eingeschränkt wird, als es für eine wirksame Tierseuchenbekämpfung notwendig ist.
Neben drei redaktionellen Änderungen ist noch eine Einfügung hinter Art. 1 Nr. 2 von besonderem Interesse. Nach dieser Bestimmung kann zum Schutze gegen die ständige Gefährdung der Viehbestände durch Tierseuchen die Einrichtung und der Betrieb von Anlagen zur gewerbsmäßigen Herstellung und Verarbeitung von Futtermitteln, die Träger von Ansteckungsstoffen sein können, geregelt werden. Diese Änderung ist im Hinblick auf das in jüngster Zeit wiederholt in Futtermitteln und Eipulver festgestellte Vorkommen von Salmonellen beschlossen worden. Das vermehrte Auftreten von Salmonellen in Futtermitteln, die die Gesundheit der Tiere und darüber hinaus auch des Menschen gefährden können, hat in letzter Zeit die Öffentlichkeit sehr beschäftigt. Der Zweck der neu eingefügten Bestimmung ist es, eine Ermächtigung zu schaffen, die eine wirksame Bekämpfung dieses Gefahrenherdes ermöglicht. Entsprechend den bereits bestehenden Bestimmungen des Viehseuchen-gesetzes für vergleichbare Anlagen, wie für Molkereien, Schlacht- und Viehhöfe und Tierkörperbeseitigungsanstalten, wurde die in der Drucksache 2447 unter Art. 1 Ziffer 2 a aufgeführte Fassung beschlossen.
Der zuständige Ernährungsausschuß hat dem Gesetzentwurf mit den vorgeschlagenen Änderungen einmütig zugestimmt. Namens des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten darf ich das Hohe Haus bitten, dem vorliegenden Änderungsgesetz, das dazu beitragen soll, die Tierseuchen zu vermindern und die Gefahrenherde zu verstopfen, seine Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1, — 2, —3, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Keilhack.
Meine Herren und Damen! Ich will nur ganz kurz sprechen. Wir begrüßen dieses Gesetz sehr, weil es eine gute und wirksame Hilfe bei der Tbc-Bekämpfung der Rinderbestände in der Bundesrepublik ist und hoffentlich mit allen unseren anderen Förderungsmaßnahmen die Ausmerzung der Rinder-Tbc noch mehr beschleunigt.
Ich möchte dann noch zu der eingefügten Ziffer 2 a dieses Gesetzes sprechen, weil ich glaube, daß es sich lohnt, noch einmal darauf aufmerksam zu machen. Diese Ziffer 2 a ist im Ausschuß durch unsere Initiative neu hineingekommen. Sie ist die Grundlage für künftige Verordnungen der Bundesregierung, die bewirken sollen, daß Fleisch- und Futtermehle, die eingeführt werden, vor der Einfuhr in die Bundesrepublik durch Bearbeitung d. h. durch Pasteurisierung, salmonellenfrei gemacht werden. Salmonellenbakterien, meine Herren und Damen, sind die Bakterien, die die zum Teil gefährlichen, zum Teil sehr unangenehmen Typhus- und Paratyphusbakterien usw. enthalten. Wir hoffen, daß die Bundesregierung, nachdem sie in diesem Gesetz die Grundlage bekommen hat, recht schnell von der Möglichkeit, Verordnungen zu erlassen, Gebrauch macht.
Ich muß in diesem Zusammenhang bedauern — es ist leider kein Vertreter des Bundesernährungsministeriums mehr anwesend —, daß das Bundesernährungsministerium von sich aus nicht eher etwas in dieser Angelegenheit unternommen hat. Wahrscheinlich wäre auch nichts geschehen, wenn wir nicht von uns aus anläßlich dieses Gesetzentwurfs die Ziffer 2 a neu beantragt hätten. Auf meine Anfrage in der Fragestunde vom 18. April hat das Bundesinnenministerium, das für das Bundesernährungsministerium diese Antwort übernahm, durch Herrn Staatssekretär Ritter von Lex zugesagt, daß es eine Verordnung über die Bearbeitung von tierischen Futtermitteln so bald wie möglich herausbringen würde bzw. daß es von sich aus die Länder anregen wolle, daß alle gleichlautende Verordnungen erlassen. Das wäre bis jetzt nötig gewesen, weil nicht ein einzelnes Land für sich die Einfuhr abstoppen würde, wenn nicht alle Länder diesem Beispiel folgten. Diese Situation ist durch dieses Gesetz behoben. Die Bundesregierung hat jetzt die Möglichkeit, Verordnungen von sich aus über den Bundesrat zu erlassen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch einmal darauf aufmerksam machen, daß uns noch eine Verordnung über die Beseitigung der anderen Quelle der Verbreitung von Salomnellen fehlt, und zwar die Verordnung auf Grund des § 3 des Lebensmittelgesetzes, die die Bearbeitung — d. h. Pasteurisierung — von getrocknetem Eigelb und von gefrorenen Eiern zwingend vorschreibt. Es ist einfach nicht möglich, daß man diesen Mißstand weiter hängen läßt. Sowohl die Bevölkerung wie die Publizistik sind darüber mit Recht erregt. Wir haben gerade in letzter Zeit wieder einige neue Anlässe gehabt, sehr besorgt darüber zu sein, daß von Bundesseite aus nichts geschieht. In Ostwestfalen waren sehr schwere Erkrankungen durch getrocknetes Eigelb bzw. durch Wurstwaren zu verzeichnen. Wir haben gerade kürzlich wieder gehört, daß in Nürnberg mehr als 70 Kanister tiefgefrorener Eier stehen, die alle miteinander total salmonellenbefallen sind und nicht in den Verkehr gebracht werden dürften. Darüber besteht aber nirgends eine zwingende Vorschrift, und wenn die Gesundheitsämter und die Lebensmittelüberwachungsämter von sich aus nicht genügend durchgreifen, besteht die Gefahr, daß diese Produkte wieder neue Krankheitswellen erzeugen.
Wir sind mit vielen Herren und Damen, mindestens des Ernährungsausschusses, der Meinung, daß man mit den geforderten Verordnungen zwar nicht das Ei des Columbus gefunden hat, daß es dadurch aber zunächst einmal möglich ist, die uns bekannten Erkrankungsquellen zu verstopfen. Das sind die tierischen Futtermittel, das getrocknete Eigelb und die gefrorenen Eier. Es ist unsere Pflicht, von der Bundesregierung die nötigen Verordnungen zu fordern.
Ich hoffe, daß es nur dieses Hinweises bedurft hat, um in den Ministerien die Maßnahmen nun auch wirklich entsprechend schnell einzuleiten. Ich bitte, dem Gesetzentwurf so zuzustimmen, wie ihn der Ausschuß abgefaßt hat.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 14 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Fraktion der DP betreffend Qualitätsbestimmungen für Brotgetreide, Abzüge wegen Überfeuchtigkeit und Besatz (Drucksachen 2485, 2239).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich könnte jetzt, weil ich das innere Bedürfnis in mir fühle, einmal zu diesem Punkt eine größere agrarpolitische Rede halten.
— Aber, Herr Kollege, Sie könnten sofort Widerspruch erheben, weil ich das gar nicht darf. Ich bin ja bloß Berichterstatter und habe den Bericht zu geben.
Ich muß mich als Berichterstatter an die Geschäftsordnung halten und werde mich so kurz wie möglich fassen, aber mindestens so, daß man versteht, worum es sich handelt.
— Ja, dann werde ich aber auch reden; das ist ein sehr gefährliches Unternehmen.
Es handelt sich um den Antrag der DP auf Drucksache 2239 betreffend Qualitätsbestimmungen für Brotgetreide, und zwar in erster Linie die Abzüge wegen Überfeuchtigkeit und Besatz. Das war das Hauptproblem, mit dem sich der Ausschuß beschäftigt hat. In einer Frage war man sich einig. Ich will es also kurz machen und nur das hervorheben, worüber wir uns nicht einig waren. In einer Frage war man sich einig.
— Ja, in der Hauptfrage war man sich einig; es kommen auch noch andere dazu. Es ging um den Sprung von 16,9 °/o zu 17 °/o, wobei zuerst keine Abzüge erfolgt sind und dann plötzlich gleich ein Abzug von 1,85 DM pro Doppelzentner Weizen und Roggen herausgekommen ist. Dieser Sprung hat in den beteiligten Kreisen, besonders auch bei der Landwirtschaft große Unruhe ausgelöst. Man war sich darin einig, daß man diesen Sprung von 16,9 auf 17 % durch eine Staffelung beseitigen wollte. Um diese Staffelung hat es sich gehandelt. Da ist eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt worden, einmal vom Deutschen Bauernverband, dann von den Mühlen, dann vom Bundesernährungsministerium. Dann hat man die Dinge diskutiert und erklärt, daß hier nach verschiedenen Richtungen hin — für
die Mühlen und die anderen beteiligten Kreise — keine besonderen Belastungen herauskommen dürfen
— ja! —, daß auf der anderen Seite aber auch den berechtigten Wünschen der Landwirtschaft Rechnung getragen werden soll. Man ist dann zu einem Kompromiß gekommen, das von wesentlicher Bedeutung ist.
Ich darf auf einen Satz in den Durchführungsbestimmungen hinweisen, um die es sich da handelt. Es sind Durchführungsbestimmungen, die mit Zustimmung des Bundesministers für Wirtschaft und des Bundesrates erlassen werden. In den Durchführungsbestimmungen hat nämlich früher ein Satz gestanden, der das ganze Unheil hervorgerufen hat. Da hat es geheißen, daß neben den Abzügen
— also von 16,9 % aufwärts, bei 17 % beginnend
— die nach § 1 des Getreidepreisgesetzes vereinbarten Erzeugerpreise für jedes den Feuchtigkeitsgehalt von 15 v. H. übersteigende 0,1 v. H. um 0.12 v. H. gekürzt werden dürfen. Das heißt. wenn der Sprung von 16,9 % auf 17 % Feuchtigkeitsgehalt eingetreten war, wurde bis auf 15 % Feuchtigkeitsgehalt zurückgerechnet; dadurch kamen dann die 1,85 DM heraus. Das wurde jetzt geändert.
Man hat sich am zweiten Tag nach den Beratungen darauf geeinigt, auf Vorschlag mehrerer Parteien eine Staffel zu wählen, die bei 16.8 °/0 anfängt. Der Passus bezüglich der Zurückrechnung wurde naturgemäß beseitigt: den gibt es nicht mehr. Von 16.8 % an sehen die Dinge dann so aus: 16,8 v. H. — Abzug 0.80 DM, 16.9 v. H. — 0 90 DM, 17 v. H. — 1 DM, 17.1 v. H. — 1,15 DM. 17.2 v. H.
— 1.30 DM. 17,3 v. H.— 1.50 DM. 17,4 v. H. — 1.70 DM. Von 17.5 v. H. an treten dann gemäß der vorgesehenen Regelung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Werte ein. die die höheren Beträge bringen: 17 5-18 4 v. H.: 1.85-2.30 DM, 18.5-19.4 v. H.: 2.35-2.80 DM, 19,5-20.4 v. H.: 2,85-3.39 DM. 20,5-21.4 v. H.: 3,45-3,99 DM. 21,5-22,4 v. H.: 4.05-4.59 DM. 22.5-23.4 v. H.: 4.65-5.19 DM, 23.5-24.4 v. H.: 5.25-5.79 DM, 24.5-25.4 v. H.: 5,85-6,39 DM, 25,5-26,4 v. H.: 6,45-6,99 DM usw.
Ich darf darauf hinweisen, daß der Agrarausschuß des Bundesrates sich mit der Sache bereits beschäftigt hat und daß er der geplanten Regelung betreffend den Feuchtigkeitsgehalt, die jetzt auf Drucksache 2485 vorgeschlagen ist, zugestimmt hat.
Es ist hier im Bundestag unsere Aufgabe, unsere Mehrheitsverhältnisse aufzuzeigen und zu sagen, wie wir über diese Dinge denken, so daß der Bundesrat in seiner Plenarsitzung am nächsten Freitag noch ein Stimmungsbild des Bundestages vor sich hat. Deswegen habe ich mich auch persönlich bemüht. daß die Frage noch vor dem nächsten Freitag hier zur Entscheidung kommt.
— Das ist doch selbstverständlich; denn wenn man hintennachkommt, ist es oft zu spät. Man muß auch rechtzeitig handeln.
— Ja, Herr Kollege Kriedemann, man darf nicht alles sagen, was man sich denkt, und die anderen nicht immer gleich darauf aufmerksam machen, worum es sich handelt. — Aber es ist doch ganz naturgemäß — das hätten Sie an meiner Stelle auch nicht anders gemacht —, daß man dafür sorgt, daß unsere Beratungen dann wenigstens noch einen Wert haben. Sie werden erst dadurch wertvoll, daß wir heute noch darüber beschließen.
Zweitens darf ich darauf hinweisen. daß in dem Beschluß des Ausschusses — Drucksache 2485 — die Ziffern 2 bis 6 des Antrags der DP gutgeheißen wurden. Auch der Vertreter der Bundesregierung sprach sich dafür aus. Diese Punkte betreffen die Erzielung eines einheitlichen Verfahrens für Probeentnahme und Musterziehung. Daran hat es bisher gefehlt. Weiter hat ein einheitliches Verfahren zur Bestimmung des Feuchtigkeitsgehalts gefehlt. Auch die Untersuchungsmethoden für die Bestimmung des Feuchtigkeitsgehalts sollen besonders geregelt werden, und die zur Verwendung kommenden Apparate müssen besonders geprüft und geeicht sein.
Ich weiß es selber, daß da bisher grober Unfug getrieben wurde, daß bei der Abnahme beim Erzeuger ein anderer Feuchtigkeitsgehalt herauskam als bei der letzten Station, wo das Getreide ankam. Man hat also hier ein reiches Feld der Betätigung gehabt; es war möglich, sich gegenseitig mit Untersuchungsmethoden gewissermaßen Hilfsdienste zu leisten, um die Abzüge möglichst hoch hinaufzubringen. Das soll also künftig durch eine einheitliche Untersuchungsmethode wegfallen.
Künftig ist auch bei der Feststellung des Besatzanteils mechanisch zu verfahren, so daß die bisherigen Ungenauigkeiten durch Handbonitierung ausgeschaltet werden. Diese Handbonitierung ist ja auch bloß eine Ansichtssache. Da kommt es doch auf die Größe der Hände und auf die Beschaffenheit an. Das geht ja auch nicht; das soll abgeändert werden.
Abzüge wegen geringeren Hektolitergewichts dürfen nicht vorgenommen werden, wenn die Ware eine überdurchschnittliche Feuchtigkeit aufweist und dafür bereits ein Abzug vom Kaufpreis erfolgt ist. Endlich muß zwischen dem Erzeuger und dem Erstabnehmer in jedem Fall bei der Lieferung des Getreides endgültig abgerechnet werden, damit nachträgliche unkontrollierbare Preisabschläge vermieden werden.
Jetzt ist die Sache vernünftig gestaltet. Ich mache den Bundestag darauf aufmerksam, daß es sich hier um eine wesentliche Sache handelt. Wenn wir trockenes Wetter haben — was wir uns heute so sehr wünschen; denn wir hängen ja mit unserer Heuernte schon wieder draußen — und das Getreide trocken hereinbringen, haben wir die ganzen Sorgen nicht. Das ist bloß eine Vorsorge für das Einbringen des Getreides in feuchtem Zustand. Das macht jetzt für die deutsche Landwirtschaft nach dem neuen Verfahren mit der Staffelung der Abzüge, das jetzt angewendet wird, einen Betrag von rund 42 Millionen DM aus. Dies ist ein sehr wesentlicher Betrag, und deswegen ist auch die deutsche Landwirtschaft so sehr darauf bedacht gewesen, daß hier ein entsprechendes Verfahren mit der nötigen Genauigkeit durchgeführt wird. Auch die beteiligten Handelskreise
und Genossenschaften haben das gleiche Interesse. Das kam in den Ausschußberatungen zum Vorschein.
Was sonst noch zum Vorschein gekommen ist, Herr Kollege Kriedemann, habe ich, glaube ich, schon berührt. Das war nicht von so wesentlicher Bedeutung. Das Wichtigste habe ich hervorgehoben. Sie sehen, daß ich als Berichterstatter immer möglichst konziliant sein will und keine Anstände hervorrufen will.
Ich habe Sie jetzt zu bitten, daß Sie der Drucksache 2485 Ihre möglichst einhellige Zustimmung geben, damit der Bundesrat weiß, was er am nächsten Freitag zu beschließen hat.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Nach der ganztägigen Sozialdebatte treten wir nun in eine nächtliche Agrardebatte ein.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun muß ich allerdings sagen, was sonst noch zum Vorschein gekommen ist: durch die Veränderungen in den Abzügen, die auf Grund des Feuchtigkeitsgrades des Getreides erfolgen, wird die Gesamtsumme an Abzügen geringer, als sie bisher war. In der Ausschußsitzung war nicht zu klären, wer das bezahlen soll. Die anwesenden Ministerien — Finanz, Ernährung und Wirtschaft — konnten alle drei nicht etwa die Auskunft geben, daß die Regierung diesen erhöhten Betrag in irgendeiner Form übernehmen wird.
Unsere Bedenken, daß die Müller die ihnen entstehenden höheren Kosten auf die Bäcker und die Bäcker die ihnen entstehenden höheren Kosten auf den Brotpreis abwälzen werden, wurden nicht zerstreut, sondern im Gegenteil von den anwesenden Vertretern der Ministerien bestätigt. Darauf muß aufmerksam gemacht werden, damit jeder weiß, worüber er abstimmt.
Bezüglich der Punkte 2 bis 6 des Ausschußberichtes sind wir einer Meinung. Aber wir bitten dringend, Punkt 1 des Ausschußantrages abzulehnen, weil die Gefahren, die daraus für den Brotpreis entstehen, auf diese Art und Weise nicht abgewendet werden können.
— Wenn jetzt Herr Kollege Horlacher genauso kurz dazu spricht, dann sind wir rasch fertig.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann nach einer so liebenswürdigen Aufforderung nicht dagegen sein; der muß ich mich fügen.
— Nein, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie im Ausschuß eine andere Haltung eingenommen haben.
— Im Ausschuß haben Sie sich der Stimme enthalten. Das habe ich jetzt sogar nicht einmal betont.
— Im Ausschuß haben Sie sich nach dem Protokoll — ich habe es hier — der Stimme enthalten.
— Im Protokoll steht es drin.
Die Abzüge, die sich nach dem alten Verfahren ergeben haben, machten rund 46 Millionen DM aus. Nach dem neuen Verfahren, bei dem man bei 16,8 % mit den Abzügen beginnt und bereits mit 80 Pf je Doppelzentner einsetzt, tritt eine Minderung von 4 Millionen DM ein. Man wird zusammen mit der Einfuhr- und Vorratsstelle und den beteiligten Ministerien doch wahrhaftig eine Einigung wegen der 4 Millionen DM herbeiführen können.
Ich betone, daß die ganze Bevölkerung allmählich in erhöhtem Umfang Verständnis für die landwirtschaftlichen Belange aufbringen muß; denn die Sorgen der Landwirtschaft sind insbesondere durch die augenblicklichen Witterungsverhältnisse wieder sehr viel größer geworden. Selbst wenn die langersehnte Wetterbesserung eintritt, ist die Landwirtschaft gehalten, gewissermaßen im Eilzugtempo mit unzureichenden Arbeitskräften das Notwendige herauszuholen, um die Heuernte noch einigermaßen zu sichern, wobei festgestellt werden muß, daß sowieso genug Qualitätsverluste eingetreten sind.
Sie sehen, daß die Hoffnungen der Landwirtschaft hin- und herschwanken und man der Landwirtschaft schon entgegenkommen muß, damit sie sich hier entsprechend bewegen kann. Für den Fall, daß die Ernte feucht eingebracht werden muß, muß man gewisse Stützungsbeträge für die Landwirtschaft zur Verfügung halten. Wir wünschen selbstverständlich gutes Erntewetter, bei dem wir keine Überfeuchtigkeitsgehalte bekommen, sondern bei 16,9 % stehenbleiben. Dann ist die Geschichte sowieso ausgestanden, und die Landwirtschaft würde in einem Jahr 46 Millionen DM gespart haben, die dem Landwirt hier abgezogen wurden. Man muß dann die Dinge auch im Durchschnitt der künftigen Jahre sehen.
Ich sehe also nicht ein, daß Schwierigkeiten entstehen müßten, wenn wir diese Frage einer gerechten Regelung entgegenführen; denn die Durchstaffelung ist sicher mehr gerechtfertigt als das System, plötzlich bei 17 % und gleich mit 1,85 DM anzufangen. Ich bitte das Hohe Haus, bei dem Ausschußbeschluß zu bleiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe wahrlich nicht die Absicht, eine Agrardebatte zu entfesseln; dazu ist weder die Gelegenheit noch die Stunde. Aber weil man bei uns in allen Fragen, die mit der Landwirtschaft zusammenhängen, besondes leicht an-
fällig für Mißverständnisse ist, möchte ich denn Kollegen Horlacher sagen, daß wir alle mit der Landwirtschaft die Sorgen bezüglich des Wetters teilen. Heute am Siebenschläfer hat sicherlich manch einer nicht nur wegen seiner Ferienpläne die Hoffnung gehabt, daß es nicht regnet, weil wir ja erst vor zwei Jahren erfahren haben, daß nicht alle alten Wetterregeln falsch sind. Wir haben die Sorge wegen schlechten Wetters bei der Ernte genauso wie die ganze Landwirtschaft, nicht nur, weil wir wissen, wie sich das dann im politisch-agitatorischen Raum auswirkt — daß dann erst schrecklich viel über die Ernteschäden geredet wird, große Forderungen erhoben und sogar bewilligt werden, wobei nachher doch nichts herauskommt —, sondern weil wir alle miteinander wissen, wieviel für uns alle davon abhängt, daß das Brotgetreide so gut wie nur möglich hereinkommt.
Als wir uns im Ernährungsausschuß an der Abstimmung nicht beteiligten, haben wir nicht gesagt — was ich selber gesagt habe, weiß ich genau —: wir enthalten uns, weil wir nicht wissen, sondern wir haben gesagt: wir beteiligen uns an dieser Abstimmung nicht. Wir haben auch den Grund angegeben. Nach dem Getreidegesetz hat die Bundesregierung die Vollmachten, solche Verordnungen zu erlassen. Wir meinen, daß die Regierung damit die Verantwortung hat, bei solchen Verordnungen nach allen Seiten zu schauen.
Zweifellos ist für die Landwirtschaft durch den verstärkten Einsatz von Mähdreschern, durch die veränderten Arbeitsverhältnisse auf dem Lande, die in weitem Umfang zum Erntedrusch, also zum Drusch des Getreides auf dem Felde geführt haben, eine veränderte Situation eingetreten. Wir haben ) gar nichts dagegen, daß diese veränderte Situation auch im Hinblick auf die Getreidepreise untersucht wird. Wir haben uns nur dagegen gewehrt, daß man der Regierung hier einen Vorschlag macht, ohne sich über die Konsequenzen klar zu sein, die dieser Vorschlag nach anderen Seiten hat. Wir hätten es also dankbar begrüßt, wenn die Antragsteller auch alle Konsequenzen gezogen hätten.
Daß wir uns dem Problem im ganzen nicht verschließen, sehen Sie daraus, daß wir all den Punkten Nr. 2 ff. des Ausschußantrags zugestimmt haben, die sich auf das Verfahren beziehen, auf ein sicher sehr zweifelhaftes Verfahren. Wer sich einmal überlegt, was es heißt, Zehntelprozente Feuchtigkeit mehr oder weniger festzustellen mit Apparaten, die es vor wenigen Jahren noch gar nicht gegeben hat und die jetzt in großen Mengen eingesetzt werden sollen, der hat das Verlangen — und diesem Verlangen haben wir Rechnung getragen —, daß alles getan wird, um dieses Verfahren so objektiv wie nur irgend möglich zu gestalten.
Das ist der Grund für unsere Ablehnung dieser Empfehlung an die Regierung; hier sind eben keine Überlegungen angestellt worden, wie denn die Sache nun aussieht, wenn wir kein gutes Wetter haben. Wir alle wünschen das nicht; wir möchten gern gutes Wetter haben. Bei dieser Haltung werden wir bleiben. Ich vermag da weder eine Unklarheit noch einen Anhaltspunkt für einen Zweifel an unserem guten Willen zu einer vernünftigen Lösung dieses Problems zu sehen, Herr Horlacher. Meine Fraktion wird also nein sagen, und sie weiß, warum.
Wenn sich im übrigen der Agrarausschuß des Bundesrats mit der Sache schon positiv befaßt hat, so hat es ein anderer Ausschuß schon negativ getan, und es bleibt abzuwarten, ob der Bundesrat, wenn er das Problem vor sich sieht und es entscheiden muß nach der besonders großen Verantwortung, die er für Durchführungsverordnungen und für Rechtsverordnungen hat, dieser Empfehlung folgen wird. Ich hoffe, daß er es nicht tut.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es scheint mir hier wirklich ein gewisses Mißverständnis insoweit vorzuliegen, als die Ausführungen ,des Herrn Kollegen Kriedemann darin gipfelten, daß er unserem Herrn Berichterstatter des Ausschusses vorwarf, er habe keinen Vorschlag gemacht, wie über die Frage der 4 Millionen DM hinwegzukommen ist. Ich darf daran erinnern, daß die Auszahlung des Getreideerlöses für die Landwirtschaft seit 1951/52 auf Grund der jeweiligen Getreidegesetze immer dieselbe Höhe hatte, daß aber die Abzüge für Qualität in den Jahren 1951/52 bei einem 17 %igen Feuchtigkeitsgehalt null betrugen, im Jahre 1952/53 ebenfalls null, 1953/54 1,20 DM, 1954/55 ebenfalls 1,20 DM und 1955/56 1,85 DM je Doppelzentner. Ich darf darauf hinweisen, daß niemals davon die Rede war, wer die Landwirtschaft wegen dieser Mindererlöse entschädigt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Herr Kollege, glauben Sie denn, daß die Regierung diese Veränderung in der Getreidepreisregelung einfach aus bösem Willen vorgenommen hat, oder sind Sie nicht der Meinung, daß sie gute Gründe dafür hatte, weil im Jahre 1954 deutlich wurde, daß das so nicht länger gehandhabt werden konnte?
Darauf darf ich erwidern, daß die Abzüge bereits in einem Jahr einsetzten, als wir die schlechte, feuchte Ernte 1954 noch nicht hatten, nämlich 1953/54, und daß man hier einem Qualitätsbedürfnis nachkam, das die Landwirtschaft in keiner Form leugnet. Es ist richtig, daß wir uns nach Qualitätsgrundsätzen richten müssen; aber es erscheint der Landwirtschaft falsch, daß man in der Durchführungsverordnung, ohne in irgendeiner Form mit uns verhandelt, gesprochen
m haben, ohne im Ernährungsausschuß die Dinge behandelt zu haben, kurzerhand 1,20 DM, 1,85 DM abzieht und sich nunmehr wundert, wenn die Landwirtschaft sich zur Wehr setzt.
Die Landwirtschaft hat nichts anderes vor, als von den durch das Bundesernährungsministerium errechneten 45 Millionen DM, die die Landwirtschaft nunmehr weniger erlöst, einen kleinen Abstrich von 4 Millionen DM zu machen, nämlich so viel, daß die allergrößte Härte beseitigt wird, die
n den Momenten liegt, die Herr Kollege Dr. Horacher bereits ausgeführt hat. Wenn die deutsche Landwirtschaft 1,5 Millionen t Roggen und 1,5 Millionen t Weizen, d. h. 30 Millionen dz, zur Ablieferung bringt, so bringt das auf den Doppelzentner — 4 Millionen DM insgesamt nämlich sind zu verrechnen — 13 Pf. Wenn die deutsche Landwirtchaft im letzten Jahr 1,85 DM verkraften mußte,
so ist nicht einzusehen, warum es in diesem Falle nicht möglich sein soll, 13 Pf anderweitig zu verkraften.
Ich will heute abend in der vorgerückten Stunde nicht von den anderen Abzügen sprechen, die durch die verschiedenen Maßnahmen bezüglich Auswuchsbesatz, Schwarzbesatz usw. zusätzlich entstanden sind. Hier sind in etwa der gleichen Höhe wie bei der Feuchtigkeit weitere Abzüge entstanden. Man hat sogar ein ganz neues Vokabularium entdeckt, mit „Keimverfärbung", „verpilztem Kümmerkorn", „Gallmückenkorn" und ähnlichen Dingen. Wir haben das alles geschluckt.
Wir sind aber nunmehr der Auffassung, daß hier in irgendeiner Form eine Revision eintreten muß. Der Ernährungsausschuß hat das neue Getreidepreisgesetz einstimmig verabschiedet. Wir haben sehr wohl gewußt, warum wir das getan haben. Wir bewegen uns in dem geldlichen Rahmen dieses Gesetzes, und es ist nicht einzusehen, weshalb alle entstehenden Lasten unausgesetzt und zunehmend auf die Landwirtschaft einstürzen sollen. Ich darf das Hohe Haus bitten, diesen Umständen Rechnung zu tragen und der Ausschußvorlage zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Ausschußantrag Drucksache 2485. Wer dem Ausschußantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen zahlreiche Stimmen auf der Linken bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 15:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Abgeordneten Dr. Horlacher und Genossen betreffend Maßnahmen nach dem Grünen Bericht (Drucksachen 2484, 2320).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Richarts.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Sitzung vom 1. Juni befaßte sich der Ernährungsausschuß mit dem Antrag der Abgeordneten Horlacher und Genossen Drucksache 2320. In der gleichen Sitzung hörte der Ausschuß einen ausführlichen Bericht des Herrn Ministers und einiger seiner Referenten über die Maßnahmen nach dem Grünen Bericht, die bereits im Gange sind, über die Richtlinien, die bereits erarbeitet sind, und über die noch in Arbeit befindlichen Richtlinien.
Nach Anhörung dieses Berichtes beschloß der Ausschuß einstimmig, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen und ihn der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen mit ausdrücklicher Betonung der Worte „zur Berücksichtigung". Ich darf Sie daher bitten, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Antrag im Mündlichen Bericht des Ausschusses auf Drucksache 2484 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 16 der Tagesordnung:
Beratung der Ubersicht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 2439).
Eine Berichterstattung ist nicht erforderlich, die Drucksache liegt vor. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses:
Der Bundestag wolle beschließen,
von einer Äußerung zu den nachstehend aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen,
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 17 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität betreffend Genehmigung zur Strafvollstreckung gegen den Abgeordneten Wehr gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 11. Mai 1956 (Drucksachen 2507, zu 2507).
Ein Schriftlicher Bericht *) des Abgeordneten Dr. Klötzer wird nachgereicht. Auf mündlichen Bericht verzichtet das Haus. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses, Drucksache 2507, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 18 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität betreffend Genehmigung zur Strafvollstreckung gegen den Abgeordneten Könen (Düsseldorf) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 6. Januar 1956 (Drucksachen 2508, zu 2508).
Schriftlicher Bericht**) des Abgeordneten Dr. Wahl wird nachgereicht. Auf mündlichen Bericht wird verzichtet. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache — —
— Entschuldigen Sie! Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin über das Verfahren erstaunt, denn es handelt sich hier um einige Fälle, die uns im Immunitätsausschuß Sorgen bereitet haben. Einige unserer Kollegen, um die es sich hier handelt, haben im Verkehr als Selbstfahrer Pech gehabt. Dadurch sind sie straffällig geworden. Nachdem wir vorher die Immunität zwecks Straf-
*) Siehe Anlage 8.
**) Siehe Anlage 9.
verfolgung aufgehoben hatten, handelt es sich jetzt darum, die Immunität zwecks Strafvollstreckung aufzuheben. Wir haben uns die Sache im Ausschuß reiflich hin und her überlegt und sind zu dem Schluß gekommen, daß die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, auch dann, wenn die Bürger Abgeordnete sind, den Ausschlag geben muß und daß wir trotz allem Mitgefühl mit unseren Kollegen hier auch die Immunität zur Strafvollstrekkung aufheben sollten.
Wir sind uns dabei, gerade in den Fällen, mit denen wir es hier zu tun haben, im klaren, daß unsere Kollegen in keiner Weise etwas getan haben, was ihre Ehre auch nur entfernt berühren könnte. Sie haben Pech gehabt. Sie haben das Pech gehabt, das ein jeder von uns haben kann, wenn er am Steuer sitzt und einen Augenblick die Nerven versagen. Weil das so ist und damit draußen nicht der Eindruck entsteht, es handle sich um die Ahndung von Vergehen, durch die die Ehre der betreffenden Abgeordneten angetastet werde, habe ich Wert darauf gelegt, hier meine menschliche Sympathie und meine Solidarität mit diesen Kollegen zum Ausdruck zu bringen. Andererseits bin ich aber wie die Kollegen meiner Fraktion entschlossen, für die Aufhebung der Immunität zu stimmen.
Das Haus ist dem Herrn Abgeordneten Dr. Mommer für seine Ausführungen sicherlich dankbar. Das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 2508 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 19:
Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Preiß gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 30. April 1956 .
Ein Schriftlicher Bericht*) des Abgeordneten Dr. Zimmermann wird nachgereicht. Auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag im Bericht des Ausschusses auf Drucksache 2509 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 20:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Es wird darauf aufmerksam gemacht, daß die Anträge unter den Ziffern 3, 5 und 6, soweit sie dem Ausschuß für Heimatvertriebene überwiesen werden sollen, zweckmäßigerweise nicht an diesen, sondern an den Ausschuß für den Lastenausgleich überwiesen werden. Hiergegen erfolgt kein Widerspruch.
Wer dem Umdruck 688 mit diesen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende einer umfangreichen Tagesordnung. Ich berufe die nächste, die 155. Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. Juni, 9 Uhr, in genau 12 Stunden, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.