Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
„Jeder Rentenbezieher soll am Aufstieg seines Standes und Berufes teilhaben." Danach müßte er allerdings in seinem Gesetz die Bemessungsgrundlagen, die so nivellierende Wirkung für die Angestellten haben, neu überprüfen.
Der § 1260 bestimmt, als allgemeine Bemessungsgrundlage die Bruttojahresarbeitsverdienste aller Arbeitnehmer zugrunde zu legen, während die vorhandenen Unterschiede — Löhne und Gehälter — die Berücksichtigung der Bruttojahresarbeitsverdienste der Angestellten notwendig machen. Das Recht der Angestellten und Arbeiter muß unterschiedlich gestaltet werden, wenn man nicht die Eigenheiten der einzelnen Stände vollkommen nivellieren oder nicht beachten will. Aus diesem Grunde muß auch auf die besondere Gehaltsentwicklung und den anderen Verlauf der Lebenskurve und der Lebenschancen bei der Errechnung der Bemessungsgrundlagen Rücksicht genommen werden.
Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist für die Angestellten absolut anders als für die Arbeiter, und gerade unsere Zeit der Vollbeschäftigung zeigt, daß es auch bei Vollbeschäftigung und Arbeitskräftemangel fast unmöglich ist, ältere Angestellte unterzubringen, und überhaupt nicht mehr möglich ist, wenn sie geringfügig oder mehr in ihrer Gesundheit geschädigt sind. Ich glaube, daß dieser Tatbestand bei der Invalidisierung und in Zusammenhang mit der Invaliditätsformel ungeheuer wichtig ist für die Gestaltung des besonderen Rechtes in der Angestelltenversicherung, insbesondere für die Beibehaltung des eigenen Berufsunfähigkeitsbegriffs der Angestellten. Was bei der Rehabilitierung eine Lebensfrage und die Voraussetzung für das Gelingen aller Rehabilitierungspläne ist, nämlich eine Chance zur Beschäftigung
der halben Kräfte, gilt für die Angestellten in ganz anderem Maße als für die Arbeiter.
Das bisher selbständige Angestelltenversicherungsrecht hat aber auch in der Verwaltung und in der Rechtsprechung feste Begriffe geschaffen. Wenn Sie es beseitigen, indem Sie AV und IV zusammentun, beseitigen Sie auch dieses besondere Recht, das die Rechtsprechung geformt hat. Ich will jetzt auf die Erfahrungen aus dem Heilverfahren und damit auf die mögliche Gefährdung der Erfolgsaussichten für die Kuren, die sich ergibt, wenn man Arbeiter und Angestellte in e i n Heilverfahren steckt, nicht näher eingehen. Der Arbeitsminister hat erfreulicherweise gesagt, daß ja gerade das mit ein Grund für die Entscheidung war, die Rehabilitierung und das Heilverfahren bei den Rentenversicherungsträgern zu lassen. Ich will auch nicht auf das schwierige Problem der Nahtstellen zur Krankenversicherung eingehen. Das wird uns im Ausschuß noch viele Sorgen bereiten. Es gehört aber zu den Einzelproblemen, die ich heute zurückstellen muß.
Ich hoffe, das Thema Angestelltenversicherung abschließen zu können, indem ich der Hoffnung Ausdruck gebe, daß das erfreuliche Bekenntnis, das der Kollege Horn hier für unsere Koalitionspartner abgegeben hat, sich nicht nur auf eine besondere Zusammenstellung der Paragraphen des Angestelltenversicherungsrechts bezieht, sondern auch auf die Anerkennung der besonderen Gestaltung des Leistungsrechts der AV. Es wird dann für uns gar keine Frage sein, daß die Angestellten, wo immer sie organisiert sind — und die überzeugenden, erfreulich übereinstimmenden Stellungnahmen, sei es der hier zitierten Deutschen Angestelltengewerkschaft, sei es des Verbandes der weiblichen Angestellten, haben darauf hingewiesen —, zu solchen Opfern auch in Zukunft bereit sein werden. Es geht um mehr als nur um technische oder systematische Fehler des Gesetzes. Die Eigenständigkeit der Angestelltenversicherung wird dann, hoffe ich, auch Herr Kollege Schellenberg anerkennen, wenn sein Grundsatz von den gleichen Pflichten und den gleichen Rechten durchbrochen wird, weil die Angestellten höhere Pflichten und andere Rechte bekommen werden, so daß die Voraussetzungen für sein Argument dann entfallen dürften. Ich habe jedenfalls Hoffnung, daß wir in dieser Frage im Interesse der deutschen Angestellten noch zur Übereinstimmung kommen.
Beide Entwürfe, sowohl derjenige der Regierung wie derjenige der Sozialdemokratischen Partei. haben eine Reihe von Lücken. So sagt der Entwurf der Regierung z. B. — der Bundesrat hat schon darauf hingewiesen — gar nichts über die Beitragspflicht zur Krankenversicherung der Rentner. Ich möchte schon heute daran erinnern, daß uns der Herr Bundesminister für Arbeit zugesagt hat, eine Novelle zur KV der Rentner für den Tag vorzulegen, an dem die Rentenerhöhungen in Kraft treten. Ich hoffe. er hat diese Zusage nicht vergessen. Immerhin handelt es sich um eine halbe Milliarde, die aus Mitteln der Rentenversicherung an die Krankenversicherungsträger gegeben werden muß. Ich glaube. daß es nur dieses Hinweises bedarf, um bei den Beratungen im Ausschuß mit der Unterstützung des Herrn Bundesarbeitsministers gleichzeitig mit der Novelle rechnen zu dürfen.
Mit diesem Regierungsentwurf werden viele grundsätzliche Entscheidungen getroffen, die unmittelbare Auswirkungen auf die Krankenversicherung, die Arbeitslosenversicherung, die Unfallversicherung und, soweit es um den Bezug von Doppelrenten geht, vor allem auf die Kriegsopferversorgung haben werden. Auch der Einfluß auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, der eine natürliche Grenze hat, soll dabei nicht verschwiegen werden.
Was Herr Dr. Dehler in bezug auf die beiden Entwürfe und ihre weitgehende Übereinstimmung in sozialpolitischen Zielen gesagt hat, ist heute sowohl in den Erklärungen des Herrn Ministers für Arbeit wie in den Ausführungen des Herrn Kollegen Schellenberg so deutlich geworden, daß ich dem nichts hinzuzufügen brauche. Aber die Unbekümmertheit, mit der diese Übereinstimmung anscheinend hingenommen wird: ohne die echte Auseinandersetzung um die grundsätzlichen Gegensätze, vereint mich allerdings in großer Sorge mit vielen in diesem Hause, die wahrscheinlich das gleiche empfinden.
Was in bezug auf die Reform der Altersrente vom Herrn Bundesminister für Arbeit hier und auch immer wieder in der Öffentlichkeit gesagt wird, hat ein gewisses Übergewicht vor der Diskussion um die ganz revolutionäre Neugestaltung der Invaliditätssicherung. Ich möchte nur antippen, daß der Gedanke einer staatlichen Versorgung der Invaliden zu manchen Befürchtungen Anlaß geben könnte, wenn wir nicht bei den Beratungen die Weichen hier noch ein wenig verstellen werden. Ob bei der Rehabilitation nicht auch schon einige Weichen falsch gestellt sind, wird eine sehr ernsthafte Betrachtung dieses Problems im Ausschuß deutlich machen.
Eins möchte ich aber nicht verschweigen, daß die Form der pauschalen Staatszuschüsse in bezug auf Erstattungsverpflichtungen des Staates, z. B. für die Kriegsopfer und Kriegsfolgeleistungen, eine gewisse Durchsichtigkeit vermissen läßt. Daß hier eine zielklare Abgrenzung der Verpflichtung des Staates nicht erkennbar ist, möchte ich heute schon als Mangel und Gefahr ansprechen. Die erschrekkende Nähe zur totalen Versorgung, die der Entwurf an einzelnen Stellen anzeigt, und die Unklarheit bei den Übergängen zur Unfall- und Invalidenversicherung ist eine der Fragen, auf die ich nur hindeuten kann.
Positiv ist der Versuch, das Versicherungsprinzip möglichst rein wiederherzustellen. Darunter kann aber nur verstanden werden, daß Leistung und Gegenleistung sich ausgleichen müssen. Konsequenterweise müßte ein solches Bekenntnis des Herrn Bundesministers und seiner Partei dazu führen, daß vorweg eine Bereinigung gewisser Tatbestände erfolgt, nämlich erstens der Währungs-und Inflationsschäden, zweitens des mathematisch festgestellten Defizits der Rentenversicherung und drittens der Kriegsfolgenlast der Rentenversicherung, die im Kriegsfolgenschlußgesetz anzusprechen sein wird. Mit einem Satz: wir wünschen keine manipulierte pauschale Abgeltung des Staatszuschusses, sondern Klarheit über die sozialen Lasten, die eine Reform heute so ungeheuer schwierig machen. Ich glaube, darüber besteht Einigkeit bei allen Verantwortungsbewußten, daß die Last der Inflationssanierung wie die Last der Rentenerhöhung nicht dem Versicherten allein auferlegt werden darf.
Wir erwarten im Ausschuß kristallklare Antworten, was diese Experimente wirklich kosten werden und wie die Lasten auf Steuerzahler und Beitragszahler verteilt werden sollen. Auch ich bezweifle die Richtigkeit vieler Zahlen, die heute von Herrn Kollegen Schellenberg zitiert worden sind, und ich hoffe nur, daß der Arbeitsminister, der auf diese Vorwürfe leider nicht geantwortet hat, die einzelnen Zahlen im Ausschuß sehr klar verdeutlichen wird, damit auch nicht der Gedanke hängen bleibt, hier seien Dinge, die wir ganz klar haben möchten, in ihrer Darlegung und in ihren Folgen unklar oder gar verschleiert.
Geradezu unverständlich ist mir, daß außer Herrn Dr. Dehler niemaind das Problem der alten Last angesprochen hat, daß diese Frage geradezu totgeschwiegen wird. Und doch hängt von ihrer Lösung ganz allein ab, wie hoch die Renten sein können, ja wie hoch sie heute schon nach der alten Rentenformel sein könnten, die gar nicht so schlecht ist wie ihr Ruf, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, diese alte Last zu sanieren. Am klarsten und deutlichsten — ich glaube, auch zuerst — hat das die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung in ihren Gutachten ausgesprochen. Sie hat darauf hingewiesen, „daß die rettungslose Vermengung von Versicherungs-und Versorgungsprinzipien, von Anwartschaftsdeckung und Umlageverfahren, von Staatsbeiträgen und echten und unechten Leistungen des Staates nur dann bereinigt werden kann, wenn die Kriegsfolgen sauber abgedeckt werden".
Der Herr Bundesminister für Arbeit und der Regierungsentwurf sind auf dem Wege zur Lösung dieses Problems steckengeblieben. Ich anerkenne erneut den guten Willen zur Herstellung eines Versicherungsprinzips, ich glaube aber, daß das nicht gelingen kann, wenn weiterhin die heutigen Beitragszahler, deren Beiträge doch, wie der Herr Minister so oft gesagt hat, Eigentum, nämlich Sparguthaben bei den Rentenversicherungsträgern sind, nun einen Ausgleich geben sollen für den Inflationsschaden, für den Währungsschaden und für die Auffüllung der nicht ausreichenden Renten. Wenn man dem Vorschlag der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft gefolgt wäre — man kann ihm noch folgen —, würden uns sehr viele Sorgen geringer drücken, und wir würden zu ganz sauberen Lösungen mit einem Stichtag am Tage X der Währungsreform kommen und keineswegs zu einer Lösung, die den Rentner etwa neben den Fürsorgeempfänger stellt oder ihn mit ihm noch nicht einmal gleichsetzt — wie es nach der neuen Formel mit vielen kleinen Renten leider der Fall sein wird —, sondern vielmehr zu einer Lösung, die den Staat zwingt, Verpflichtungen aus Währungsschäden, die er zu tragen hat, nicht auf die Schwächsten abzuwälzen, sondern die Verantwortung selbst voll zu übernehmen.
Ich bin überzeugt, daß wir, wenn uns die Regierung — ich bin auch gern dazu bereit — Rentenbeispiele vorlegt, wie sie sich nach der jetzigen Rentenformel bei einer Abdeckung der alten Last und der Inflationsschäden ergeben würden, zu erstaunlichen Ergebnissen kämen, die zugunsten der alten Rentenformel und zuungunsten der neuen Formel sprächen. Auf diese Fragen wird uns das Arbeitsministerium im Ausschuß sehr deutlich antworten müssen! Ich fürchte, daß die neue Formel besonders für Frauen und für die Invaliden zu sehr unangenehmen und unsozialen Überraschungen führen kann. Da ich aber dem Arbeitsminister Gelegenheit geben möchte, alle hier angesprochenen Widersprüche und Konstruktionsfehler des Gesetzes, auch im Tabellenwerk, zu überprüfen und sie uns deutlich zu machen, will ich im einzelnen nichts von dem wiederholen, was Herr Kollege Schellenberg hier schon angesprochen hat. Einige Ungereimtheiten und Unklarheiten werden im Ausschuß — und ich hoffe, wir werden da nicht getrieben werden und unter Zeitdruck stehen — in aller Gründlichkeit zu prüfen sein.
Der Herr Minister hat heute nachmittag zu den Ausführungen unseres Kollegen Dr. Dehler etwas gesagt, das mich sehr gefreut hat. Er hat gesagt, es könne doch nicht sein, daß ein Arbeitnehmer, wenn er sterbe und keine Witwe hinterlasse, all der Leistungen verlustig gehe, die er erworben habe. Ich freue mich über diese Anerkennung der sozialen Gerechtigkeit, der Äquivalenz von Beitrag und Leistung seitens des Ministers, weil sie eine konsequente Folge des Versicherungsprinzips ist. Wenn der Herr Minister dem Arbeitnehmer, der ohne Witwe stirbt, einen Ausgleich geben will, muß ich fragen: wie denkt der Herr Minister denn darüber, daß er beim Internationalen Arbeitsamt zwar für die Bundesregierung zugestimmt hat, die Altersgrenze für Frauen auf 60 Jahre festzulegen, daß er aber gegenüber den Entscheidungen des Bundesrats mit den Argumenten, die Kollege Schellenberg schon zitiert hat, die gleiche konsequente Forderung abgelehnt hat? Mich würde weiter interessieren, welche Organisation etwa von weiblichen Angestellten oder Arbeiterinnen — denn nur solche könnten wohl dazu Stellung nehmen — sich an die CDU oder an den Herrn Arbeitsminister gewandt und auf die Gefahren der Verdrängung vom Arbeitsplatz hingewiesen hat. Wenn Sie das Gesetz so formulieren: „Altersrente erhalten auf Antrag weibliche Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres", wie es der Verband der weiblichen Angestellten vorgeschlagen hat und wie es die Fraktion der Deutschen Partei schon im Oktober des vorigen Jahres mit ihrem Antrag gefordert hat — und dem haben auch die SPD und der Bundesrat bereits zugestimmt —, dann brauchen Sie, glaube ich, diese Befürchtung nicht zu haben, Herr Bundesminister für Arbeit. Dann werden nämlich diejenigen, die weiterarbeiten wollen und können, weiterarbeiten.
Aber etwas anderes wird dann erreicht werden: wir werden die in ihrer Gesundheit durch zwei Kriege und die Nachkriegszeiten so außerordentlich gefährdeten Frauen, auf deren Rücken die Last des Krieges und der Nachkriegszeit lag, nicht in die Frühinvaliditätsrente drängen, die sie heute — die Statistik der Rentenversicherungsträger zeigt es — in der Regel lange vor dem 60. Lebensjahr beziehen. Vielmehr werden wir ihnen Mut geben, noch bis zum 60. Jahre zu arbeiten. Das ist sozialpolitisch richtig und ist finanziell nicht teurer, vielleicht sogar billiger als die auf Staatskosten zu bezahlende Invaliditätsrente, — es sei denn, Sie haben bei der Rentenformel Hintergedanken und wollen den Bezug der Rente außerordentlich erschweren. Aber das möchte ich Ihnen nicht zutrauen. Der Herr Kollege Horn hat erfreulicherweise zugesagt — und ich weiß mich da auch mit den Kolleginnen aus der CDU einig —, daß wir über diese Dinge im Ausschuß sprechen wollen.
Aber über ein sehr wichtiges Problem unserer Zeit müssen wir noch sprechen. Im Regierungsentwurf ist der Gedanke der Elternrente abgelehnt. Im SPD-Entwurf ist die Elternrente enthalten, und der Bundesrat hat sie ebenfalls gefordert. Die Fraktion der Deutschen Partei hat auch die Frage der Hinterbliebenenrenten an Eltern und Geschwister bereits in ihrem Antrag im Oktober hier im Bundestag angesprochen.
Herr Bundesminister für Arbeit, Sie sagen, daß ein Mann, der stirbt und keine Witwe hinterläßt, doch nicht so ohne weiteres alle Beiträge in die Solidarhaftung geben soll. Ich fände das gar nicht so schlimm; das sind nämlich nur Einzelfälle. Aber mit diesem Argument können Sie doch nicht die große Zahl — und die Zahl steigt täglich — der berufstätigen Frauen, die es vor allem betrifft, die nicht aus eigener Schuld in zwei Weltkriegen die Väter, die Männer, die Verlobten verloren haben, dadurch bestrafen, daß Sie ihnen, die im Interesse der Familie, die Sie und ich doch gemeinsam schützen wollen, für Eltern und Geschwister sorgen, diese Eltern- und Geschwisterrente versagen. Natürlich gilt das auch für die kleinere Zahl der ledigen Männer. Ich kann nach der Debatte heute nur hoffen, daß die Erklärung des Bundesministeriums zum Bundesratsvorschlag, „daß eine solche Rente" — Herr Schellenberg hat es schon zitiert — „fehl am Platze sei", schnellstens aus unserer Diskussion verschwindet.
Auch die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft hat in ihrem Gutachten schon darauf hingewiesen, daß bei der Reform der Rentenversicherung die Frage der Gewährung von Hinterbliebenenrenten an die Eltern und Geschwister der Versicherten überlegt werden müsse.
Ich möchte in diesem Zusammenhang — Herr Horn hat das schon getan — nicht auf die Frage des „Vielweibereiparagraphen" mit der Teilung der Witwen- oder Geschiedenenrenten eingehen. Aber wenn wir diese Frage lösen, müssen wir vor allem denen Gerechtigkeit widerfahren lassen, 'die jahrelang Beiträge zahlen und selbstverantwortlich ein Gefühl für Familienzusammenhänge haben.
Einen einzelnen Punkt möchte ich noch anschneiden. Herr Kollege Schellenberg hat hier von einer Mehrheitsauffassung gesprochen, und ich glaube, daß wir hier zu einer einheitlichen Auffassung kommen werden. Ich meine das Problem des § 397 AVG. Ich stehe nicht an, dem Herrn Bundesminister für Arbeit ganz deutlich zu sagen: wenn er glaubt, der § 397 sei der einzige Bonbon, den er als besondere Regelung den Angestellten schenken will, so halte ich ihn für keinen gerecht verteilten Bonbon. Ich will die Bonbons an all die Kinder verteilt haben, die selten einen süßen Bonbon kriegen, und das sind die älteren Angestellten genauso wie die älteren Arbeiterinnen; und wenn die älteren Arbeiterinnen davon betroffen sind, dann möge ihnen dieser Paragraph ebenfalls zukommen.
Überlegen müssen wir uns allerdings, ob ein solcher Paragraph überhaupt in die Rentenversicherung gehört oder ob wir ihn nicht besser in einer Novelle zum AVAVG verankern. Denn das Risiko der frühzeitigen Arbeitslosigkeit ist — das werden Sie mir zugeben — zumindest nicht allein ein Risiko der Rentenversicherung, sondern mehr noch ein Risiko der Arbeitslosenversicherung.
Nun das Problem der neuen Rentenformel! Das ist der Punkt, in dem ich mit dem Kollegen Horn und der CDU-Fraktion nicht einig sein werde. Herr Kollege Horn hat gesagt, „diese Rentenformel sei die Grundlage der neuen Konzeption, und ohne die Dinge im einzelnen kritisch zu zerlegen, sei er im Prinzip mit der Absicht der Regierung einverstanden." Ich frage: kann man das sein, ohne sich im einzelnen mit so schwerwiegenden Problemen kritisch auseinanderzusetzen? Ich möchte nicht wiederholen, was Herr Dr. Dehler zu diesem Problem gesagt hat; er hat es, glaube ich, bisher als einziger im Hinblick auf alle Gefahren und Wirkungen angesprochen. Herr Horn hat mit Recht gesagt, „mit Schlagworten wolle er nicht reden". Ich glaube aber, daß die Erfindung des Schlagwortes „Produktivitätsrente" an Stelle der „dynamischen Rente" für eine wirklich und wahrhaft dynamische Rentenformel eben doch mehr bedeutet als nur die Diskussion um Worte.
Zu der Behauptung, wir würden es in der Zukunft mit einer „lohnbezogenen Rente" zu tun haben, möchte ich sagen, daß die Rente schon immer lohnbezogen war, da ja die Beiträge nach den Löhnen erhoben werden. Wenn die Löhne steigen, werden höhere Beiträge bezahlt und damit, wenn die Rente sich nach den Beiträgen richtet, höhere Renten. Diese lohnbezogene Rente haben wir also bis dato immer gehabt.
Das Problem der dynamischen Rentenformel scheint mir aber doch so vereinfachend nicht zu diskutieren zu sein. Wenn hier die CDU auf die Probleme der volkswirtschaftlichen und währungspolitischen Fragen nicht eingegangen ist, so bedaure ich das sehr; ich glaube, wohl mit Recht vermuten zu dürfen, daß auch die Thesen von wissenschaftlicher Seite, von denen Kollege Horn und auch der Herr Arbeitsminister sprachen, vermutlich die Thesen des Herrn Professors Jecht sind. Ich möchte Ihnen aber doch empfehlen — ich will nichts vorlesen —, die betreffenden Kapitel beim Herrn Professor Jecht sehr gründlich nachzulesen, auch seine recht bemerkenswerten Schlußfolgerungen, die er im letzten Kapitel seines Gutachtens gezogen hat.
Ich möchte wie bei der Grundsatzfrage der Versicherungspflichtgrenze auch an eine andere Grundsatzfrage erinnern. Ich meine die Erklärungen der Regierung, die sie in jüngster Zeit und in dieser Woche hier abgegeben hat, „daß sie sich mit Nachdruck darum bemühen wolle, Löhne und Preise stabil zu halten." Ich möchte den Glauben an den guten Willen der Regierung hinsichtlich dieser Erklärung gern behalten; ich fürchte aber, es liegt nicht in der Hand der Regierung und noch weniger am guten Glauben an solche Wünsche allein. Wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß die Dynamik der Kräfte, die zur Lohn-Preis-Spirale treiben, stärker sein kann als der gute Wille derjenigen in der Regierung, die dergleichen verhindern möchten.
Die mögliche Überforderung der Sozialpartner — das ist schon ausgesprochen worden — sollte uns doch wirklich Sorge machen und veranlassen, über die Warnungen nachzudenken, die maßgebliche Wissenschaftler geäußert haben. Die Meinung des Herrn Jecht ist ja leider nur als eine Meinung gehört worden, so wie vor dem Sozialkabinett leider auch nur eine Meinung gehört wurde. Es ist eine alte Erfahrung, daß eines Mannes Rede keines Mannes Rede ist;
man muß sie hören alle bede, — möglichst noch einige hinzu. Ich hoffe, wir werden das im Ausschuß nachholen. Eine solche Warnung hat neulich Professor R ö p k e, der wohl ein ausgezeichneter Kenner der Problematik des Wohlfahrtsstaates ist,
im Zusammenhang mit der Forderung des Regierungsentwurfs ausgesprochen. Er hat gesagt: „Mit der wertbeständigen Rente und ihrer Forderung kapituliert die Regierung vor der schleichenden Inflation."
Wir sollten nichts betreiben, was eine Reform aus Geldwertpessimismus bedeuten würde. Ich glaube noch heute daran, daß unsere Währung, wie der Bundeskanzler bei der Haushaltsdebatte gesagt hat, die festeste Währung ist. Aber wir könnten dazu beitragen, diese feste Währung zu zertrümmern, und zwar nicht nur mit psychologischen Maßnahmen, sondern mit sehr handfesten dynamischen Formeln.
Diese neue Rentenformel fordert keineswegs zur Lohndisziplin auf. Diese Warnung richte ich etwa nicht nur an die Gewerkschaften, ich richte sie mindestens ebenso ernsthaft auch an die Arbeitgeber.
Die neue Rentenformel ermuntert geradezu zu expansiver Lohnpolitik.
Mit großer Sorge habe ich gelesen, was uns bei der Betrachtung der Bremer Lohnverhandlungen und ihrer möglichen Auswirkungen deutlich gemacht wird, wenn wir an die unabsehbaren Auswirkungen denken, die ein Abkommen mit dem Ziel von Gleitklauseln in den Tarifverträgen bzw. in den Manteltarifverträgen haben könnte, auch wenn solche Gleitklauseln noch so harmlos formuliert sind. Diese Warnung kann gar nicht ernst genug genommen werden, weil ja gerade diejenigen betroffen werden, die wir schützen wollen, nämlich unsere Rentner und die Leute mit den kleinen Einkommen. Die Lohnpolitik darf genausowenig unter dem Gesichtspunkt der Hochkonjunktur gesehen werden, wie die Rentenformel unter dem Gesichtspunkt der Hochkonjunktur oder mit einem Blick auf die Inflation geprägt werden darf. Die Sozialpartner appellieren an den Staat, doch ja keine inflationsfördernden Tendenzen auszulösen. Der Staat und die Regierung erklären fortgesetzt — der Wirtschaftsminister hat es gerade unlängst in der Debatte gesagt —, „daß die mißbräuchliche Anwendung von Preisgleitklauseln gegebenenfalls mit Gesetzeszwang verhindert werden soll". Also Klauseln, die die Gewerkschaften fordern, sollen mit Gesetzeszwang verhindert, Klauseln aber, die die Regierung fordert, sollen durchaus respektiert werden?! Das wäre das Ende der Autonomie einer Lohnpolitik zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, und dafür möchten sich meine Freunde in der Deutschen Partei nicht gern hergeben.
Wir wollen aber auch nicht dazu beitragen, daß der Anfang der Lohn-Preis-Renten-Spirale, der jetzt schon deutlich wird, gefördert wird, weil er sich immer gegen die Schwachen richten muß. Wenn es das in unserer Volkswirtschaft gäbe, daß steigende Löhne nicht steigende Preise auslösen, wenn es das gäbe, daß das Bremer Beispiel mit 8 % Lohnerhöhung vorab und der Forderung bis zu 16 % mit der Bezahlung der Überstunden nach der 45. Stunde nicht auf die Preise umgelegt wird, dann möchte ich Ihre Unbesorgtheit teilen. Da es das aber in unserer Volkswirtschaft leider nicht gibt, wird sich wahrscheinlich eine solche Entwicklung, wenn wir ihr nachgäben — und wir wollen ihr nicht nachgeben —, zuungunsten derjenigen auswirken, denen wir helfen wollen.
In den Referaten der Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, auf die mich einer meiner Kollegen aufmerksam gemacht hat, ist schon im September 1953 im Zusammenhang mit der Diskussion über die Tragweite des § 3 des Währungsgesetzes auch auf die Folgen des Vergleichs zwischen Sozialversicherungsrenten und Beamtenpensionen, der ungleichen Behandlung der Währungsschäden und auf alle Gefahren von Indexlösungen jeder Art hingewiesen worden, die alle in sich automatisch wirkende Wertmesser sind und die D-Mark gleichermaßen verdrängen könnten. Ich glaube, daß die Sozialdemokratische Partei recht hat, wenn sie sagt, daß es weniger auf den zweiten Akt bei der Anpassung der Renten ankommt. Vielmehr muß man eine dynamische Formel, wenn man sie schon wählt, automatisch wollen; wenn man aber nicht den Mut hat, sie automatisch zu wollen, dann soll man sich auf solche fragwürdigen Experimente auch nicht einlassen.
In bezug auf die Inflation hat der Herr Bundeskanzler von dieser Stelle aus auf die Gefahren psychologischer Wirkungen hingewiesen. Aber ich fürchte, daß die unter seinem Vorsitz im Kabinett beschlossene Rentenformel — ich weiß nicht, ob sie ihm im einzelnen dargelegt worden ist und ob er in dieser Angelegenheit nicht gar überfordert war — das Mißtrauen in die Währung so sehr bekundet, wie es in der psychologischen Wirkung gar nicht gefährlicher geschehen kann. Schon der französische Kassationshof hat die Wertsicherungsklauseln mit der Begründung verpönt, daß kein Mißtrauen in die Währung bekundet werden dürfe. Die französische Rechtsprechung hat aus gleichen Gründen Goldklauseln abgelehnt. Ich verweise deshalb auf Frankreich, weil — vielleicht ist es einigen von Ihnen aufgefallen — die Lösung, die uns hier empfohlen wird, dem französischen Beispiel so verdächtig ähnlich ist. Wer es ernst meint mit der Auseinandersetzung um dieses volkswirtschaftliche und währungspolitische Problem, dem wir nicht ausweichen dürfen, der möge die umfangreiche Fachliteratur Frankreichs nachlesen, aus der man unendliches Material über die Gefahr von Indexklauseln schöpfen kann. Die Folgen des dortigen Experiments sind ebenso offenbar.
— Ich habe einiges davon nachgelesen.
— Ja, einiges, nicht alles. Aber ich glaube, die Herren, die das ins Gesetz gebracht haben, haben nicht einmal einiges davon gelesen. Die Gleitformel dynamisiert um so mehr, je mehr sie Massentatbestände erfaßt; und daß das bei der Rentenversicherung der Fall ist, wird niemand bestreiten.
Auf jenem Juristentag ist u. a. auch festgestellt worden, daß bei der Verbundenheit der Wirtschaft eine solche Lösung geradezu wie eine Kettenreaktion auf alle Gebiete preistreibend wirken muß. Zugegeben, daß im Anfang die Inflation ganz unbedeutend sein mag, sie wird doch lawinenartig die richtige Inflation erzeugen, wenn erst die anderen
Forderungen kommen werden. Diese anderen Forderungen hat neulich ein Journalist in der „Zeit" sehr treffend mit dem Hinweis auf die Arche Noah gekennzeichnet, in der nicht allein die Rentner sitzen, sondern auf die sich auch die Lastenausgleichsempfänger, die Fürsorgeempfänger, die Kriegsopferversorgungsempfänger und die Leute mit ihren Rechtsansprüchen retten wollen, die den Pensionskassen und Versicherungen vertraut haben, die — es ist geradezu ein Wunder — trotz zweimaligen Währungsbetrugs und Inflation wieder gespart und Vertrauen in unsere Währung gesetzt haben. Es ist Sache des Staates und der Bank deutscher Länder, diese Währung zu stützen, sie dürfen sie nicht selber in Zweifel setzen. Schon fordern die Hausbesitzer die dynamischen Mieten! Weitere werden folgen!
Wenn aber die Inflation erst da ist — und im Zeichen des Währungsverfalls oder einer totalen Inflation nützen uns keine dynamischen Klauseln und keine Wertsicherungsversprechen mehr —, dann machen wir wahrscheinlich Notverordnungen und erheben neue Steuern. Was ein solcher Zusammenbruch in einer Generation, die ihn schon zweimal erlebt hat, bedeuten würde, das brauche ich Ihnen nicht in schwarz auszumalen. Deshalb bitte ich Sie — auch diejenigen, die sich, für volkswirtschaftliche Probleme nicht interessieren — einzusehen, daß wir den Rentnern und den Ärmsten der Armen, die ich hier meine, wirklich nur helfen, wenn wir die Preise und die Währung und damit die Kaufkraft ihrer Renten stabil halten.
Ich möchte noch das Problem der Kapitaldeckung ansprechen. Auch es ist leider nur am Rande behandelt worden. Es ist sicherlich nicht die primäre Aufgabe der Rentenversicherung, Kapitalsammelstelle zu sein und zur Kapitalbildung in der Volkswirtschaft beizutragen. Es ist und bleibt aber eine eminent wichtige sozialpolitische Funktion der Rentenversicherungsträger, Eigentum zu schaffen und Eigentum zu fördern und den Sozialen Wohnungsbau, der doch auch in Ihrer aller Program-sich klarmachen, in welcher Höhe auch ihre Pladiesem Sozialen Wohnungsbau, dem Erwerb von Eigentumswohnungen und Eigenheimen die Voraussetzungen nicht zu versagen.
Ich glaube, daß die Frage der Kapitalbildung und der Investitionen mit Hilfe der Einrichtungen der Sozialversicherung als Kapitalsammelstellen, die unter sozial bemessenen Renditen wichtige Aufgaben erfüllen, gar nicht als wichtig genug angesehen werden kann. Ich glaube, daß sich diejenigen, die sich für den Wohnungsbau als Anliegen unserer Zeit ganz besonders einsetzen, auch in dieser Frage zu Wort melden werden, wenn sie sich klarmachen; in welcher Höhe auch ihre Planung für die Zukunft davon abhängen wird, daß die Kapitalsammelstellen erhalten bleiben. Wenn eines Tages Eigentum, das so geschaffen wird, nicht mehr zum Kauf angeboten werden kann, weil diejenigen, die es kaufen sollten, infolge hoher Beiträge und Steuern es nicht mehr kaufen können, dann wird auch das Ziel der Reprivatisierung öffentlich-rechtlichen Kollektiveigentums, das ein besonderes Anliegen der Deutschen Partei ist, nicht erreicht werden.
Herr Professor Jecht, der sicher Ihr Kronzeuge ist, hat Ihnen sehr deutliche Zahlen über die Vermögensanlagen der Rentenversicherungsträger gegeben. 1955 waren es 4,3 Milliarden in der Invalidenversicherung; allein in der Angestelltenversicherung war es 1955 fast 1 Milliarde, und die Lebensversicherungen haben allein 1955 neben der Sozialversicherung weitere 1,3 Milliarden angelegt. Es wird mir ewig unerfindlich bleiben, was der Arbeitsminister in der Begründung des Regierungsentwurfs — ich verweise auf die Seite 61 — über die Investitionstätigkeit Westdeutschlands geschrieben hat, als er behauptete, „daß sich die einmalig hohe Investitionstätigkeit Westdeutschlands in den vergangenen acht Jahren im wesentlichen ohne vorausgegangene Kapitalbildung mit Hilfe der Eigenfinanzierung oder Kreditschöpfung vollzogen hat". Es zeugt nicht von einer großen Kenntnis der freien Kapitalbildung in einem freien Wirtschaftssystem, wenn ihm nicht bekannt ist, in welchem Prozentsatz diese Kapitalsammelstellen auch zu den Investitionen beigetragen haben. Wenn man weiter bedenkt, wie hoch der Teil der festverzinslichen Wertpapiere war und daß davon ein Viertel allein auf die Sozialversicherungsträger entfiel, wobei ich die Arbeitslosenversicherung einbeziehe, dann ist in diesem Zusammenhang das Abgehen von der Kapitaldeckung und die Bestätigung eines schon weitgehend vorhandenen Umlagesystems für alle Zukunft gar nicht ernsthaft genug zu betrachten.
Daß die Kapitalansammlung der Rentenversicherung private Ersparnisse nicht erstickt, wissen wir längst. Nur dürfen eben Inflationen diese Kapitalbildung nicht wieder zunichte machen. Da liegt das Problem! In der Auseinandersetzung mit diesen Fragen möchte ich mir die Auffassungen zu eigen machen, die in bezug auf volkswirtschaftliche und finanzwirtschaftliche Auswirkungen Professor Schmölders in aller Deutlichkeit ausgedrückt hat. Er hat in einer kritischen Beurteilung der Entwürfe darauf hingewiesen, inwieweit sich ihre Durchführung mit der überragenden Zielsetzung der Finanzpolitik, der Erhaltung und Gewährleistung der finanziellen Stabilität nicht in Einklang befindet. Der Beitrag des Staatshaushalts zur Sozialversicherung ist dabei von genauso großer Wirkung wie die Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge, die bekanntlich als Kosten in den Preis eingehen und von den Konsumenten, und hier leider wieder von den Arbeitnehmern mit kleinem Einkommen und den Rentnern, getragen werden müssen.
Ein anderer Teil der finanzpolitischen Auswirkungen bezieht sich auf die Einbeziehung weiterer Kreise in die Versicherungspflicht. „Je höher die Einkommensschichten sind, die zur Beitragsleistung herangezogen werden, desto stärker wird die Sparquote in Mitleidenschaft gezogen."
Ein weiterer Teil bezieht sich auf die Lohnpolitik, auf die ich hingewiesen habe. Daß Preissteigerungen die reale Kaufkraft vermindern und dabei wiederum die Rentner am härtesten treffen, ist eine Binsenwahrheit. Ich möchte im Hinblick auf das mangelnde Interesse vieler Mitglieder dieses Hauses an yolks- und finanzwirtschaftlichen Problemen der Sozialreform, das erst dann erweckt wird, wenn sie höhere Beiträge und höhere Steuern bezahlen werden, diese Probleme nicht weiter vertiefen.
Meine Herren und Damen, das Ausmaß der Rentenleistungen wird bestimmt von dem Verhältnis der Rentner zur Gesamtbevölkerung. Daß die Zahl der Rentner ständig steigt und daß auch das Sozialprodukt ständig steigen müßte, wenn die wachsenden Lasten getragen und die sozialen Versprechungen erfüllt werden sollen, ist, glaube ich, heute im allgemeinen Bewußtsein aller Sachkenner.
Nicht im allgemeinen Bewußtsein scheinen aber zu sein die der Öffentlichkeit und dem Parlament nicht ausreichend bekanntgegebenen und unzureichenden, ja falschen Vorschläge zur Finanzierung. Uns ist gesagt worden, was diese Reform im ersten Jahr zusätzlich kosten wird. Uns ist aber verschwiegen bzw. es ist bagatellisiert worden, wie schon in den nächsten 10 Jahren und in welchem Maße in den nächsten 30 Jahren die Kosten wirklich steigen werden. Die von Ministerien genannten Zahlen werden heute von allen Sachverständigen bezweifelt. Anfänglich war von 3,5 Milliarden die Rede. Heute sind es, nachdem durch die zusätzlichen Beschlüsse für Anrechnungszeiten, Rehabilitation und Kriegsopfer weitere 2,2 Milliarden hinzukommen, schon 5,7 Milliarden, also rund 6 Milliarden. 1957 werden wir wahrscheinlich einen Aufwand von fast 13 Milliarden haben, und 1986 werden es rund 30 Milliarden sein. Darin ist noch nicht einbezogen die absolut fiktiv angesetzte Zahl für die Rehabilitierung, und ebenso sind nicht die fiktiven Zahlen bekannt, die sich aus den Mehrkosten für die Invaliditätsrente ergeben werden, die wir noch nicht kennen. Wenn dazu Beschlüsse des Parlaments zur Sechsten Novelle zum Bundesversorgungsgesetz und zum Lastenausgleichsgesetz zu erwarten sind, dürften die finanziellen Auswirkungen alle bisherigen Voranschläge weit übersteigen.
Meine Herren und Damen, ich schließe diese Betrachtungen in der ersten Lesung, in denen ich mich auf die grundsätzlichen Probleme beschränkt habe, mit einer Feststellung ab: Allen Gerechtigkeit widerfahren lassen, aber zuerst den alten Menschen helfen kann man nicht allein mit der Rentenreform. Die großen Fragen unserer Zeit müssen geklärt werden und die Lösung des Problems der sozialen Hilfe muß in einer Rangfolge geschehen, nach der zuerst denen geholfen werden muß, die in der größten Not sind. Darin sollten sich und werden sich, so hoffe ich, Opposition und Koalition in diesem Hause einig sein. Einig sein sollten wir uns aber auch in der Erkenntnis, daß nicht einlösbare soziale Versprechungen auf Grund unklarer Zahlen und unklarer Tatbestände zu sozialen Enttäuschungen führen dürfen. Einig sind wir alle darin, daß die Renten erhöht werden müssen. Unklar ist das „Wie" der besten Kaufwertsicherung der Renten. Mir scheint, das bleibt nach wie vor die feste Währung. Und einig sollten wir uns schließlich darin sein, daß wir uns die Zeit nehmen, bei der Beratung des Regierungsentwurfes, dessen Überweisung an den Ausschuß wir zustimmen, im Ausschuß alle hier ausgesprochenen Bedenken in aller Gründlichkeit verantwortungsbewußt zu klären.