Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre sicher das Gegebene, hier bei der ersten Lesung des Gesetzes zur Neuregelung der Rentenversicherung auf die Gesamtsituation bezüglich der Sozialreform einzugehen. Nachdem dies mein Kollege Preller bei der Haushaltsberatung in der letzten Woche getan hat, kann ich davon Abstand nehmen, um so mehr, als bei dieser Beratung der Herr Bundesarbeitsminister meines Wissens erstmalig zugegeben hat, daß er sich bezüglich der Vielfalt der Probleme, die in Zusammenhang mit der Sozialreform geordnet werden müßten, geirrt und getäuscht habe. Wir wollen deshalb heute davon absehen, die vielen Versäumnisse und Versprechungen der Bundesregierung in bezug auf die Sozialreform wieder ins Gedächtnis zurückzurufen.
— Dazu läßt sich sehr viel sagen, und darüber könnte ich allein mehrere Stunden sprechen, Herr Kollege Ruf.
Aber es ist genug zu diesem Gesetz zu sagen, und
ich möchte die Zeit hierfür in Anspruch nehmen.
Ich nehme auch davon Abstand, was noch näher läge, den sogenannten Grundentwurf, den die Bundesregierung bzw. das Bundesarbeitsministerium offenkundig unter dem Druck des SPD-Gesetzentwurfs vorgelegt hat, — —
— Meine Damen und Herren, ich werde auf diese Dinge im einzelnen noch eingehen, und Sie werden manches daraus entnehmen können, was Ihnen vielleicht noch nicht bekannt ist.
Ich nehme davon Abstand, hier die Unterschiede zwischen dem Grundentwurf vom April — angeblich nach eingehender Vorarbeit erarbeitet — und dem Regierungsentwurf vom Mai im einzelnen darzulegen.
Ich stelle lediglich fest, daß das Bundesarbeitsministerium jedenfalls teilweise unserer Bitte entsprochen hat, nämlich bei nochmaliger Bearbeitung der Materie den Gesetzentwurf der SPD zu Rate zu ziehen, und einige, wenn auch viel zu wenige Gedanken noch nachträglich in den Grundentwurf hineingearbeitet hat,
viel zu wenige!
Ich setze mich also heute lediglich mit der Frage auseinander, ob der Gesetzentwurf der Bundesregierung der Zielsetzung, die sie selbst in der Einleitung zur Begründung darlegt, entspricht, nämlich, wie es dort wörtlich heißt, „die . . . soziale Sicherung für die Alten und Invaliden, Witwen und Waisen entsprechend den geselLschaftlichen Erfordernissen und den wirtschaftlichen Gegeben-
heiten unserer Zeit neu zu gestalten". Das ist die
Zielsetzung, von der die Bundesregierung spricht.
Der Aufbau und die weitere Gestaltung des Gesetzes entsprechen aber nicht dieser Zielsetzung und dieser Ankündigung, schon unter dem Gesichtspunkt der Gesetzessystematik. Durch Art. 1 des Gesetzentwurfs werden einige Abschnitte des Vierten Buches der Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 abgeändert, die §§ 1226 bis 1234, 1240 bis 1318 usw. Das scheint uns gesetzessystematisch kein guter Weg zu sein; denn nach unserer Auffassung muß eine Neuordnung der Rentenversicherung auch das geltende Sozialrecht vereinfachen und übersichtlicher gestalten. Wenn in dem vorliegenden Gesetzentwurf einzelne Abschnitte eines 45 Jahre alten, sehr kompliziert und unübersichtlich gewordenen Gesetzes eine neue Fassung erhalten, so führt das nach unserer Auffassung nicht zu der ersten Voraussetzung einer Sozialreform, nämlich einer Vereinfachung des Sozialrechts.
Man soll gewiß die gesetzgeberische Arbeit darauf abstellen, daß im Zusammenhang mit dieser Neuordnung später einmal eine Bundesversicherungsordnung entstehen soll und alles in diesem neuen zusammenfassenden Gesetz kodifiziert wird; aber das wird wegen der Versäumnisse der Bundesregierung noch sehr lange auf sich warten lassen. Bis dahin wäre es notwendig und richtig gewesen, ein Gesetz wenigstens für die Rentenversicherung zu schaffen, damit 'derjenige, der über Angelegenheiten der Rentenversicherung unterrichtet sein will, dieses Gesetzbuch zur Hand nehmen kann.
Durch Art. 2 dieses Gesetzes werden einzelne Abschnitte des Angestelltenversicherungsgesetzes
— nicht das ganze Angestelltenversicherungsgesetz
— vom Dezember 1911 neu gefaßt. Von den 48 Paragraphen dieses neuen Gesetzes bestehen 43 Paragraphen im wesentlichen aus Verweisungen auf die Reichsversicherungsordnung.
Aber damit nicht genug! Wenn jemand etwas über die Rentenversicherung der Angestellten wissen will, dann genügt es nicht, daß er die zwei Gesetze — das Angestelltenversicherungsgesetz neuer Fassung, wie es Ihnen vorschwebt, und die Reichsversicherungsordnung mit den Änderungen des Vierten Buches — zur Hand nimmt, sondern er muß noch ein drittes Gesetz heranziehen, nämlich das Gesetz über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Wir meinen, daß das schon in der Anlage keine glückliche und sinnvolle Konzeption ist.
— Aber hören Sie doch einmal! Wie der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat, hat man lange Zeit gründlicher Vorbereitung benötigt, um eine neue Konzeption zu gewinnen, und jetzt ist die Sache schon zu Beginn bei der Einbringung so kompliziert, daß jeder Angestellte, der etwas über Angestelltenversicherung wissen will, nach Ihrem eigenen Vorschlag mit drei verschiedenen Gesetzbüchern arbeiten muß. Wir halten das nicht für sinnvoll.
Meine Damen und Herren, schauen Sie sich einmal diese Vorlage, die vor Ihnen liegt, an. Da haben wir außer den Artikeln 1 und 2 noch die
Artikel 3 und 4, und auch diese Artikel beginnen mit einer neuen Nummernfolge, wie sich das aus dieser Systematik ergibt, mit den §§ 1, 2, 3, so daß man bei diesem Gesetz dreimal mit den §§ 1, 2, 3 usw. zu arbeiten hat. Ob das eine Vereinfachung und sinnvolle Neugestaltung ist, möchten wir doch sehr bezweifeln.
In diesem Zusammenhang ein Wort zur Rentenversicherung der Angestellten. Die SPD hat in ihrem Gesetzentwurf, der die Rentenversicherung der Angestellten weiter bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte beläßt und diese Rentenversicherung finanziell von der der Arbeiter trennt, durchaus die soziologische Eigenständigkeit der Angestellten anerkannt. Es ist aber ein unabdingbarer Grundsatz sozialdemokratischer Politik — und da wissen wir uns sowohl mit den Arbeitern wie den Angestellten einig —, daß gleiche soziale Pflichten auch gleiche soziale Rechte bedingen.
Das heißt also, daß Arbeiter und Angestellte, wenn sie die gleichen Beiträge zu leisten haben, auch den Anspruch auf die gleichen Leistungen erhalten sollen.
Ich glaube, das entspricht den Grundsätzen der Gerechtigkeit, und dem trägt, wie der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat, der Gesetzentwurf nur „im wesentlichen" Rechnung, nämlich in einem wichtigen Punkte, auf den ich noch eingehen werde, nicht. Das halten wir für eine sehr unglückliche Regelung.
Nun zu der Frage des Kreises der Arbeitenden, die durch den vorliegenden Gesetzentwurf in die Rentenversicherung einbezogen werden sollen. Der Gesetzentwurf 'der Regierung sieht in gleicher Weise wie der der SPD die Einbeziehung aller Arbeiter und Angestellten vor. Wir begrüßen es, daß die Regierung endlich zu dieser Auffassung gekommen ist und daß damit eine Ungerechtigkeit gegenüber den Angestellten beseitigt wird, die für kürzere oder längere Zeit über der Einkommensgrenze liegen und ihre Alterssicherung bisher ohne den Beitragsanteil des Arbeitgebers zu bestreiten hatten. Die Regierung setzt als Einkommens- und Leistungsgrenze im Gesetzentwurf den Betrag von 750 DM fest. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß dieses Haus bereits im Jahre 1952 durch das Gesetz über die Erhöhung der Einkommensgrenzen die gleiche Beitrags- und Leistungsgrenze festgesetzt hat. Da der Gesetzentwurf jedenfalls bezüglich des Umfangs der Beiträge eine Dynamik festlegt, wäre es konsequent gewesen, nun auch diese Beitrags- und Leistungsgrenze der Entwicklung seit 1952 anzupassen.
Dann wäre die Regierung auf die Beitrags- und Leistungsgrenze gekommen, die die Sozialdemokraten mit 1000 DM in ihrem Gesetzentwurf festgelegt haben.
Der Gesetzentwurf beschränkt die Möglichkeit zur freiwilligen Versicherung. Hiervon werden vor allen Dingen die Hausfrauen betroffen. Die SPD sieht in dieser Einschränkung der freiwilligen Versicherung einen bedauerlichen Rückschritt.
Nun zu den Leistungen. Als erste Leistungsart führt der Gesetzentwurf Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Er-
werbsfähigkeit durch Heilbehandlung und Berufsförderung an. Der Ausdruck findet sich in unserem Gesetzentwurf und ist — um Ihnen nur ein Beispiel zu geben — aus ihm übernommen worden. Die erstrangige Position dieser Leistungen im Regierungsentwurf kann aber nicht über den völlig unzureichenden Inhalt der Leistungen hinwegtäuschen. Dafür möchte ich Ihnen nur drei Beispiele geben.
Erstens werden nur Leistungen zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit gewährt, nicht zur Erhaltung der Gesundheit des Menschen. Lediglich der Schutz der Erwerbsfähigkeit soll im Sinne einer Möglichkeit der Verhütung späterer Rentenleistungen Inhalt des Gesetzes sein. Das ist nach den großartigen Ankündigungen über Prävention, Rehabilitation usw. eine Enttäuschung; denn Inhalt und Sinn aller solchen Maßnahmen muß der ganze Mensch sein. Es geht um die Erhaltung seines Gesundheitszustandes und nicht nur um Maßnahmen, die auf einen Teilbereich, die Erwerbsfähigkeit, abgestellt sind.
Diese Maßnahmen werden — und das ist der zweite Einwand — grundsätzlich nur für Versicherte, aber nicht im Prinzip für Familienangehörige und Rentner gewährt. Wir sind der Überzeugung, daß es auf diese Weise bei dem heute sehr unerfreulichen und unbefriedigenden Zustand weiterhin bleiben würde, daß der Mensch, der die Altersgrenze von 60 Jahren erreicht hat, für ein Heilverfahren, für gesundheitliche Maßnahmen als zu alt bezeichnet wird, wie das die gegenwärtige Praxis ist.
An diesem Grundsatz hält der Gesetzentwurf fest und bringt keinen Fortschritt. Wir meinen, daß ein Gesetz, das unter dem großen Motto einer besseren Alterssicherung steht, in dieser Form eine gesundheitspolitische Fehlkonstruktion ist.
Unser dritter Einwand gegen diese Leistungen ist, daß sie nach wie vor Kann-Leistungen bleiben, also in das Ermessen des Versicherungsträgers gestellt sind und selbst dann, wenn die Notwendigkeit derartiger Maßnahmen ärztlich nachgewiesen wird, kein Rechtsanspruch auf sie besteht. Das war schon bisher für die Maßnahmen des Heilverfahrens der Sozialversicherung ein empfindlicher Nachteil, der nun weiter beibehalten werden soll.
Im übrigen mache ich schon darauf aufmerksam, daß im Hinblick auf den Gesamtbereich der gesundheitlichen Leistungen dieser Gesetzentwurf nicht dazu geeignet ist, die Spannungen zwischen den Bereichen der Renten- und der Krankenversicherung zu mildern und ihr Verhältnis sinnvoller zu gestalten, sondern daß in diesem Gesetzentwurf ein Zündstoff liegt für sehr unerfreuliche Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen beiden Bereichen.
Der Entwurf schafft ferner Gefahren für Spannungen zwischen den Trägern der Rentenversicherung und den freiberuflich tätigen Xrzten, denn in diesem Gesetz sind Vorschriften enthalten, die praktisch in die Belange der freiberuflich tätigen Arzte eingreifen. Die Sozialdemokraten haben in ihrem Gesetzentwurf gesagt: Der behandelnde Arzt ist beratend hinzuzuziehen. Die Bundesregierung sagt das nicht nur nicht, sondern sie greift in den Bereich des Arztes des Vertrauens des Versicherten in vielfältiger Weise ein. Das im einzelnen darzulegen, wird vielleicht Angelegenheit der hier anwesenden Damen und Herren sein, die Ärzte sind. Aber ich möchte namens der Sozialdemokraten schon hierauf aufmerksam machen.
Im übrigen sind wir der Auffassung, daß es der Gesetzentwurf in diesem Bereich der gesundheitlichen Leistungen unterläßt, ,die notwendigen, ich möchte sagen: psychologischen Voraussetzungen für die Weckung eines aktiven Interesses — einer inneren Bereitschaft — des Versicherten an diesen gesundheitlichen und berufsfürsorgerischen Maßnahmen zu schaffen. Denn ohne die innere Bereitschaft des einzelnen Menschen sind diese Maßnahmen zum Scheitern verurteilt. Typisch hierfür ist eine Überschrift im Grundentwurf bei § 1248.
— Ja, ja, Regierungsentwurf! Der Grundentwurf ist hier übernommen, Herr Kollege! — Diese Überschrift lautet: „Folgen der Verweigerung von Maßnahmen durch Betreute." Schon allein diese Formulierung zeigt also, wie die Richtung geht. Wir sagen, das ist eine falsche Richtung. Man muß versuchen, für all diese Maßnahmen die aktive, die innere Bereitschaft der betreffenden gesundheitsgefährdeten Menschen zu gewinnen. Sonst ist die Sache von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Wir sind der Meinung, daß die in dem Gesetzentwurf enthaltenen Vorschriften über diesen gesamten Bereich der Erhaltung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit in keiner Weise den hieran geknüpften Erwartungen entsprechen. Sie sind kein wichtiger Schritt, noch nicht einmal ein erster Schritt zur Neuordnung dieser gesundheitlichen Leistungen.
Nun, meine Damen und Herren, zu den Renten. Der Regierungsentwurf geht wie der Entwurf der Sozialdemokraten von einer Beitragsrente aus. Mit Interesse stellen wir fest, daß die Regierung in bezug auf die Berücksichtigung der Zeiten des Kriegsdienstes, der Krankheit, der Arbeitslosigkeit, der Schul- und Berufsausbildung seit jenem Grundentwurf unter Eindruck des sozialdemokratischen Entwurfs neue und bessere Formulierungen gefunden hat.
— Ach, wissen Sie, ich weiß noch viel mehr, als Sie denken. Ich weiß — um es Ihnen zu sagen —, daß an dem Abend, an dem der sozialdemokratische Gesetzentwurf vorlag, im Bundesarbeitsministerium Nachtarbeit geleistet wurde, um auf Grund der Vorschriften des sozialdemokratischen Gesetzentwurfs die entsprechenden Formulierungen für den Grundentwurf zu prägen.
Und das, nachdem Sie jahrelang versucht haben, mit der „großartigen" sozialpolitischen Konzeption Vorschußlorbeeren zu gewinnen.
So sind die Realitäten! Sie haben geredet, und wir haben an der Sozialreform aktiver gearbeitet als Sie.
Nun zu dem Kernstück der Ordnung; das ist die Altersrente. Wir sind der Auffassung, daß die Altersrente das Kernstück der sozialen Neuordnung in dem Sinne sein soll, daß der Mensch, der ein Leben lang gearbeitet hat, auf Grund dieses gesamten Arbeitslebens eine Rente in einem Zeitpunkt erhalten soll, in dem es ihm möglich ist, noch einige Jahre seines Lebens ohne den wirtschaftlichen Zwang zu Erwerbstätigkeit zu verbringen. Deshalb stellt nach Auffassung der Sozialdemokraten die Altersgrenze von 65 Jahren ein unbedingtes Maximum dar. Wir sind der Auf f as-sung, daß alle Bestrebungen darauf gerichtet werden müssen, diese Altersgrenze nach Möglichkeit, mindestens für besondere Gruppen, noch herabzusetzen.
Wir haben deshalb mit großer Sorge von der Erklärung des Sozialkabinetts vom 18. Januar Kenntnis genommen, daß es — wie es heißt —„dem Versicherten durch Weiterarbeit nach Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren freistehen soll, eine Erhöhung seiner Rente zu bewirken". Meine Damen und Herren, eine Erhöhung einer Rente, von der Sie und der Herr Minister sagen, sie soll völlig ausreichend werden! Die Erhöhung einer „voll ausreichenden Rente" durch Weiterarbeit über das 65. Lebensjahr hinaus scheint uns ein innerer Widerspruch zu sein. Wir haben deshalb, als diese Erklärung der Bundesregierung herauskam, mit großem Ernste vor derartigen Plänen gewarnt und haben mit Interesse davon Kenntnis genommen, daß der vorliegende Gesetzentwurf keinen Anreiz, ich möchte sagen, keinen indirekten Zwang zu einer Weiterarbeit über das 65. Lebensjahr hinaus enthält.
Aber um so mehr waren wir überrascht, als der Herr Bundeswirtschaftsminister in der Regierungserklärung zur Konjunkturpolitik am vergangenen Freitag ankündigte, daß die Regierung
— wie es heißt — „bei der Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs Vorschläge zur Begünstigung der Beschäftigten zur Erörterung stellen will, die über die Altersgrenze hinaus arbeiten wollen".
In den Erklärungen des Herrn Bundesarbeitsministers habe ich nichts Konkretes über diese Pläne der Regierung, die das Kabinett hier vorgeschlagen hat, gehört. Vielleicht besteht also auch hier eine Disharmonie innerhalb der Regierung, indem der Herr Bundeswirtschaftsminister namens der Regierung etwas anderes verkündet, als der Herr Bundesarbeitsminister wenige Tage später bei der Debatte dieses Gesetzes erklärt, auf das der Herr Wirtschaftsminister ausdrücklich Bezug genommen hat. Wir sind der Auffassung, daß dadurch in der Frage der Altersgrenze eine sehr ernste Situation geschaffen worden ist, und ich möchte dringend bitten, daß der Herr Bundesarbeitsminister nachher noch klar und präzise zu dieser Frage Stellung nimmt.
Ich glaube, die gesamte Öffentlichkeit hat ein Recht
darauf, von dem dafür verantwortlichen Minister
— und das ist der Herr Bundesarbeitsminister — zu hören, welches die Auffassungen der Bundesregierung über die Frage der Altersgrenze und die sogenannte Förderung der Weiterarbeit über das 65. Lebensjahr hinaus sind.
— Aber, hochverehrte Frau Kollegin,
— ich will nicht etwas Böses sagen —: wenn Sie einen wirtschaftlichen Anreiz zur Weiterarbeit schaffen, dann bringen Sie die Menschen, die vor dieser Altersgrenze stehen, in einen schweren Konflikt.
Dann wird sich jede Familie überlegen: „Vater, beantragst du jetzt die Rente, dann reicht sie nicht aus; oder arbeitest du weiter, um eine höhere Rente zu erhalten?" Das wird die Frage von Hunderttausenden von Menschen sein, die bei der Altersgrenze von 65 Jahren angelangt sind. Das ist doch die Situation des praktischen Lebens. Geben Sie sich, hochverehrte Frau Kollegin Weber, in dieser Hinsicht keiner Täuschung hin!
Deshalb bringt man die Menschen in eine unmögliche Lage, wenn man als Anreiz sagt: Durch Weiterarbeit kannst du höhere Steigerungbeträge erreichen.
— Aber das ist doch der Inhalt. Weshalb erklärt denn der Herr Bundeswirtschaftsminister so etwas. Dem liegen doch Gedanken und Pläne zugrunde. Und wenn Sie sie heute nicht aussprechen, dann werden Sie uns in den Ausschußberatungen damit überraschen.
Hierüber müssen wir Klarheit haben. Nachdem diese Erklärung des Wirtschaftsministers abgegeben worden ist, wollen wir eine Antwort haben; darauf haben wir einen Anspruch.
Die SPD hält, wie Sie wissen, die Herabsetzung der Altersgrenze nicht nur für Männer in gefährdeten Berufen für erforderlich, sondern auch für Frauen. Die SPD hat deshalb mit Befriedigung davon Kenntnis genommen, daß der Bundesrat unter Hinweis auf die Empfehlungen der ersten europäischen Regionalkonferenz des Internationalen Arbeitsamts vorschlug, wenigstens für die Frauen, die in den letzten zehn Jahren erwerbstätig waren, die Altersgrenze von 60 Jahren einzuführen. Die Bundesregierung hat bedauerlicherweise diese Empfehlung des Bundesrates abgelehnt
mit einer sehr interessanten Begründung, nämlich daß ein erheblicher Teil der versicherten Frauen angeblich eine solche Regelung wegen der damit verbundenen Gefahr — so heißt es wörtlich
— vorzeitiger Verdrängung vom Arbeitsplatz nicht wünscht.
Meine Damen und Herren, wie ist die Situation? Als einziges Land der Bundesrepublik besteht eine diesbezügliche Regelung in Berlin, die wir dem Wirken unserer verehrten Frau Kollegin Louise Schroeder verdanken.
Sie wird bestätigen — ich sehe Frau Kollegin Dr. Lüders im Augenblick nicht im Saal, auch sie würde es in gleicher Weise bestätigen —: Keine der über 50 000 Frauen, die diese Vergünstigung in Berlin erhalten, hat sich jemals darüber be-
schwert, sondern sie sind in Sorge, daß möglicherweise jetzt durch eine bundesgesetzliche Regelung die Altersgrenze für nicht mehr erwerbstätige Frauen in Berlin von 60 auf 65 Jahre heraufgesetzt wird.
Das ist die Situation. Ich bedaure deshalb eine
solche Erklärung, in der die Bundesregierung ein
solch ernstes Anliegen mit einigen Sätzen abtut.
Ich nehme der Regierung diese Begründung nicht ab. Nicht das scheint entscheidend zu sein, was in der Stellungnahme der Bundestagsdrucksache steht, sondern das, was der Bundesarbeitsminister im Bundesrat dazu ausgeführt hat, indem er nämlich laut Protokoll diesem Vorschlag, die Altersgrenze für Frauen herabzusetzen, im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen widersprochen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten in einer solchen Angelegenheit doch wenigstens mit offenen Karten spielen.
Es ist eine schlechte Sache, wenn der Herr Minister in der Bundesratssitzung eine derartige Erklärung im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen abgibt und dann die Regierung in ihrer offiziellen Mitteilung sagt, die Frauen selbst wünschten eine solche Regelung nicht.
Mit dem weiteren Hinweis der Regierung, daß, soweit bei Frauen — so heißt es in der Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates — in stärkerem Umfang als bei Männern vor Erreichung der Altersgrenze Invalidität eintrete, die Gewährung der Invalidenrente den Ausgleich bringe, wird doch nichts anderes gesagt, als daß die Frauen zwischen 60 und 65 Jahren die Rente erst erhalten sollen, wenn sie gesundheitlich verbraucht sind. Das ist doch mit verhüllten Worten der Tatbestand, auf auf den die Bundesregierung Bezug nimmt. Wir glauben, daß ist eine unsoziale und eine sehr bedenkliche Begründung.
Im Zusammenhang mit dieser Frage der Altersgrenze muß die SPD auch schwere Bedenken dagegen erheben, daß die Bundesregierung den Vorschlag des Bundesrates, auch Arbeitern, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und ein Jahr arbeitslos sind, eine bedingte Altersrente zu gewähren, mit der Begründung abgelehnt hat, für Arbeiter sei ein Bedürfnis für eine solche Regelung nicht gegeben.
Meine Damen und Herren, das ist doch wirklich fadenscheinig. Denn wenn tatsächlich kein Bedürfnis bestehen sollte, würde von der gesetzlichen Möglichkeit, eine solche Altersrente in Anspruch zu nehmen, kein Gebrauch gemacht werden.
Wir bitten doch, ernsthafte sozialpolitische Anliegen etwas gründlicher und etwas sorgsamer zu würdigen und sich mit ihnen ernsthafter auseinanderzusetzen
als mit solchen allgemeinen hingeworfenen Bemerkungen. Das entspricht nicht der Schwere des Problems. Wenn die Bundesregierung prinzipielle Ausführungen zur Altersgrenze gemacht oder gesagt hätte, was sie bezüglich der älteren Arbeitslosen an Konstruktivem tun wollte, dann wäre das für uns auch noch nicht befriedigend. Aber man kann nicht einfach sagen: Die Frauen wollen nicht die niedrige Altersgrenze, oder wie der Herr Bundesarbeitsminister — er trägt die politische Verantwortung, deshalb muß ich den Herrn Bundesarbeitsminister immer ansprechen — im Ausschuß des Bundesrats erklärt hat: den Arbeitern ist mit einer solchen Altersrente von 60 Jahren bei Arbeitslosigkeit nicht gedient, weil — so sagte er wörtlich — diese Rente dann niedriger ist als die Arbeitslosenunterstützung.
Das ist eine sehr interessante Begründung in einem Augenblick, in dem die Bundesregierung erklärt, die Invalidenrenten seien höchst wirksam. Sie sollen also nach der eigenen Erklärung des Bundesarbeitsministers niedriger sein als die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung; denn nur bei längerer Arbeitslosigkeit kommt eine solche Leistung in Frage. Ich muß ernsthaft bitten, alle diese Anliegen mit einem größeren sozialen Veranwortungsbewußtsein zu beurteilen und nicht kurze Abweisungen zu erteilen.
Nun zu der Frage der Höhe der Renten! Die Altersrente soll nach dem Regierungsentwurf einen Steigerungsbetrag von 1,5 vom Hundert gewährleisten. Diese Rente ist — das möchte ich im Hinblick auf die Erläuterungen in der Begründung hier sehr nachdrücklich erklären — nicht ausreichend, vor allen Dingen deshalb nicht, weil in dem Regierungsentwurf die Fehlzeiten beispielsweise der Arbeitslosigkeit und Krankheit nicht voll ausgeglichen werden. Im ganzen ergibt sich unter Berücksichtigung der Fehlzeiten eine unzureichende Rente. Ich beziehe mich dabei nicht auf die Worte, die in der Begründung stehen, sondern auf das Zahlenmaterial. Es ist zwar sehr dürftig, aber einiges kann man daraus entnehmen. Aus dem Zahlenmaterial ist ersichtlich, daß die Bund esregierung selbst unterstellt, daß das Arbeitsleben eines Arbeiters im normalen Ablauf infolge der Fehlzeiten nur zu 79 vom Hundert, vom 15. Lebensjahr an, mit Beitragszeiten belegt ist. Wenn Sie also Berechnungen anstellen, dann kommen Sie für die Zeit vom 15. Lebensjahr bis zur Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren nicht, wie in der Begründung zu lesen ist, auf 50 mal 1,5 %, sondern nach dem Inhalt Ihres eigenen Zahlenmaterials nur auf 39,5 mal 1,5 % des Arbeitsverdienstes als Rente. Also selbst wenn ein Mensch vom 15. Lebensjahr normal bis zum 65. Lebensjahr gearbeit hat, beträgt die Rente 59 % des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes, in dem natürlich auch der Arbeitsverdienst der Lehrlingsjahre oder der absinkende Verdienst in den Krisenzeiten oder im Alter einbegriffen sind. Wenn Sie diese Dinge berücksichtigen, dann kommt die Altersrente unter 50 vom Hundert dessen, was ein Mensch normalerweise verdient, selbst wenn er vom 15. bis zum 65. Lebensjahr im Arbeitsleben gestanden hat. Wir Sozialdemokraten halten eine solche Rente sozialpolitisch für unzureichend. Deshalb haben wir gesagt, daß die Steigerung höher sein muß und daß alle Fehlzeiten ausgeglichen werden sollen, um das sozialpolitische Ziel einer wirklich ausreichenden Sicherung des alten Menschen zu erreichen.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu weiteren Auführungen in der Begründung. Die Re-
gierung bringt Beispiele und unterstellt, ein Mensch habe im Arbeitsleben ständig die durchschnittliche Verdienstgrundlage erzielt. Wenn das ein Versicherter liest und das auf sich wirken läßt, dann denkt er und rechnet sich aus: Mein durchschnittlicher Arbeitsverdienst ist jetzt in der allgemeinen Bemessungsgrundlage 340 DM, und ich erhalte für jedes Jahr, in dem ich gearbeitet habe, 1,5 % von 340 DM. Das ist falsch. Es gibt keinen Menschen, der in seinem ganzen Arbeitsleben immer diesen Höhepunkt erreicht hat. Das ist unmöglich; denn der Mensch beginnt in der Ausbildungszeit, und es gab auch Krisenzeiten. Deshalb führt es einfach zu Irrtümern — ich glaube, es ganz vorsichtig zu sagen —, wenn man rechnet, die allgemeine Bemessungsgrundlage werde für das gesamte Arbeitsleben zugrunde liegen. So etwas soll man nicht tun; es führt irre. Wir wollen hier Sozialpolitik machen und den Menschen im Zusammenhang mit den Gesetzesberatungen Erklärungen geben, die den Realitäten entsprechen oder ihnen ganz nahe kommen und nicht bei ihnen Illusionen erwecken. Im Zusammenhang damit rechnen sich nämlich die Leute jetzt schon aus, sie erhielten eine Rente von 60 oder 75 % des Höhepunktes. Nach dem Regierungsentwurf nicht! Deshalb ist es unser Anliegen, eine bessere Leistung zu erreichen.
Die Regierung hat auch einen wichtigen sozialen Grundsatz nicht beachtet: daß wir, wenn wir zu einer ausreichenden Alterssicherung kommen wollen, den Arbeitsverdienst des Menschen, der früher als Landarbeiter oder Heimarbeiter unzureichend entlohnt worden ist, auf einen Mindestarbeitsverdienst aufstocken müssen. Das tut die Regierung nicht. Die Sozialdemokraten haben gefordert, von einem Mindestarbeitsverdienst von 200 Mark auszugehen, um zu erreichen, daß der alte Mensch, der ein ganzes Leben gearbeitet hat, dann ohne Fürsorgeunterstützung leben kann.
Das ist durch Ihren Gesetzentwurf leider nicht gewährleistet.
Nun zu den Renten wegen vorzeitiger Berufsunfähigkeit. Die Regierung führt einen neuen Begriff der Invalidität ein. Er ist gewissermaßen eine Mischform der Begriffe der Invalidenversicherung für Arbeiter und der Berufsunfähigkeit der Angestellten. Damit wird der Begriff der Berufsunfähigkeit für die Angestellten — das müssen wir nachdrücklich feststellen — verschlechtert. Die Sozialdemokraten lehnen eine solche Verschlechterung ab.
Wir fordern gleiche Behandlung der Arbeiter und Angestellten. Wir wollen aber nicht die Neuordnung zu Lasten der Angestellten durchführen. Deshalb haben wir gefordert, den in der Angestelltenversicherung bewährten Begriff der Berufsunfähigkeit auch auf Arbeiter anzuwenden und hier nicht eine Nivellierung zuungunsten der Angestellten herbeizuführen.
Zur Höhe der Invalidenrente! Der Steigerungsbetrag der Invalidenrente beträgt im allgemeinen 1 %. Das bedeutet gegenüber der bisherigen Rente eine Verschlechterung, denn einschließlich der Zulagen erhält der Arbeiter jetzt eine Steigerung von 1,5 %.
— Auf die Zurechnung komme ich noch, Herr Kollege Ruf. Ich kann nicht alles erörtern, aber das will ich noch erwähnen. — Das bedeutet, daß der Steigerungsbetrag für den vorzeitig arbeitsunfähigen Menschen — unabhängig von der Zurechnung, auf die ich noch eingehen werde — um 50 % gesenkt wird, nämlich von 1,5 auf 1 %, und daß der Rentner außerdem den Grundbetrag, den festen Teil der Rente von 40 Mark in der Rentenversicherung der Arbeiter und von 70 Mark bisher in der Rentenversicherung der Angestellten verliert. Ich muß ein wenig auf Zahlen eingehen; das ergibt sich leider aus der Materie. Der Herr Ministerialdirektor hat gestern in einem anderen Zusammenhang ein sehr großes Wort gesprochen. Er hat erklärt, nach diesem neuen Gesetzentwurf könne sich jeder Arbeiter und Angestellte seine Rente selbst errechnen. Ich empfehle Ihnen, es selbst einmal zu versuchen. Bitte, unternehmen Sie es! Sie werden Ihr blaues Wunder erleben!
Diese Dinge sind außerordentlich kompliziert; vielleicht liegt das in der Materie. Aber man soll nicht die Öffentlichkeit über die sogenannte Vereinfachung irreführen. Das, was ein Repräsentant des Arbeitsministeriums gesagt hat, ist eine Irreführung.
Um in dieser Hinsicht noch etwas zu sagen: Es stimmt nicht und es kann nicht stimmen, daß Sie im Arbeitsministerium Tausende von Modellfällen durchgerechnet haben. Das kann nicht stimmen! Dazu sind die Grundlagen des Gesetzes viel zu schlecht und viel zu unausgegoren. Wer Tausende von Fällen durchgerechnet hätte, der wäre auf Probleme gestoßen, von denen Sie vielleicht heute noch nichts wissen; aber wir werden Ihnen dies im Sozialpolitischen Ausschuß darlegen.
Ich kann nicht auf alle diese Einzelheiten eingehen. Aber das Entscheidende ist, daß trotz der Zurechnung bei der Versicherungsdichte von 79 %, wie im Regierungsentwurf steht, der Invalide im allgemeinen auf eine Rente von 31 % seines durchschnittlichen Arbeitsentgeltes kommt.
Das ist Tatsache, und andere Zahlen, die Sie draußen verkünden, stimmen nicht, Das muß und soll ganz klargestellt werden. Es gibt zwar, wie Sie sagen werden — der Herr Minister hat darauf hingewiesen —, auch eine Rente für Vollerwerbsunfähige. Vollerwerbsunfähig ist aber derjenige, der praktisch überhaupt nicht mehr imstande ist, etwas zu verdienen. Das werden noch nicht 10 % aller Berufsunfähigen sein. Darüber haben wir Unterlagen aus der Kriegsopferversorgung und aus anderen Bereichen, z. B. aus der Unfallversicherung. Da wissen wir genau Bescheid. Wir halten deshalb die Zurechnung für eine schlechte Sache.
Im übrigen ist die Konstruktion — um Ihre Frage, Herr Kollege Ruf, bezüglich der Zurechnung zu beantworten — fehl angelegt, um es bescheiden zu sagen. Es wird nämlich das Arbeitsleben zugrunde gelegt, als ob der Versicherte bis zum 55. Jahre gearbeitet hätte. Das hört sich für denjenigen, der sich nicht ernsthaft mit der Sache beschäftigt hat, großartig an. Was ist der Tatbestand? Von 180 000 Menschen, die jährlich arbeitsunfähig werden, sind über 100 000 im Alter von über 55 Jahren. Sie erhalten also Ihre „berühmte" Aufstockung überhaupt nicht, weil sie im Alter von
über 55 Jahren arbeitsunfähig werden. Das scheint uns keine glückliche Regelung zu sein.
Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel darlegen, das Ihnen das Arbeitsministerium vielleicht noch nicht mitgeteilt hat. Ich nehme die Zahlen des Regierungsentwurfs. Da sind zwei Menschen; der eine wird im Alter von 60 Jahren invalide, der andere im Alter von 30 Jahren. Beide haben einen völlig gleichen Arbeitsverdienst. Der 30jährige hat 15 Jahre gearbeitet — vom 15. Lebensjahr ab —, der 60jährige hat die doppelte Zeit, 30 Jahre gearbeitet. Wie wird die Rente sein? Unterstellt wird ein durchschnittlicher Arbeitsverdienst mit einer allgemeinen Bemessungsgrundlage, um es für denjenigen, den es interessiert, technisch zu sagen. Die Rente wird für den 60jährigen mit 30jähriger. Arbeitszeit monatlich 102 DM, für den 30jährigen, der die Hälfte der Zeit gearbeitet hat, 136 DM betragen. Das heißt: derjenige, der doppelt so lange gearbeitet hat wie der andere mit dem gleichen Arbeitsverdienst, erhält eine Rente, die um 25 % niedriger ist als die dessen, der kürzere Zeit gearbeitet hat.
Das ist der Inhalt Ihrer Zurechnung, Herr Kollege Ruf, auf die Sie so besonders stolz sind. Bitte, überlegen Sie sich die Fälle genauer, denn die Regierung hat es offenbar leider vorher nicht getan, vielleicht nicht tun können, weil sie zum sozialdemokratischen Entwurf etwas auf den Tisch des Hauses legen mußte; einen anderen Grund kann ich mir hier nicht denken.
Ich komme damit zu einem Gedanken, den wir, wie ich hoffe, bisher gemeinsam vertreten haben. Wir sagen: je älter der Mensch ist und je länger er gearbeitet hat, je mehr Beiträge er gezahlt hat, um es auch versicherungstechnisch zu sagen, desto höher soll seine Rente sein. Das ist bei Ihrem Zurechnungssystem nicht der Fall, sondern das Gegenteil. Wir glauben, daß das unerfreuliche Wirkungen sind.
Nun werden Sie mit dem Beispiel kommen: Ja, aber der voll Erwerbsunfähige, der erhält, wenn er diesen Arbeitsverdienst gehabt hat — das können Sie leicht nachrechnen —, über die 102 DM hinaus noch 50 % zusätzlich.
Für den schwerstkranken Menschen aber, für den gelähmten, für den blinden, für den Menschen, der ständig fremder Wartung und Pflege bedarf, für den wir Sozialdemokraten ein Pflegegeld beantragt haben, hat die Regierung die Anregung des Bundesrats abgelehnt, Pflegegeld zu gewähren.
Sie tat es mit folgender Begründung: Nach Ansicht der Bundesregierung kann die Gewährung von Pflegegeld nicht Aufgabe der Rentenversicherung sein, weil die Rentenversicherung generelle Tatbestände, nicht aber solche erfaßt, die eine laufende individuelle Prüfung der Umstände erforderlich machen. — Das ist nicht überzeugend. Die Konstruktion der Invalidenversicherung mit ihrer sogenannten Rente auf Zeit erfordert eine laufende tberprüfung des Gesundheitszustandes. Diese Begründung ist also an den Haaren herbeigezogen. Wir bedauern, daß die Regierung nicht in der Lage war, das Problem des Pflegegeldes, das sich in der Unfallversicherung und in der Kriegsopferversorgung als notwendig erwiesen hat, im
Zusammenhang mit der Rentenreform ernsthafter zu behandeln.
Nun zur Hinterbliebenenrente. Der Bundesarbeitsminister hat darauf hingewiesen. Was ist der Inhalt dieser Witwenrente, von der Sie sprechen? Der Inhalt der Regelung ist, daß für die Witwe im allgemeinen ein Steigerungsbetrag von nur 0,6, also 60 % von 1 % gegenüber der jetzigen Regelung gewährt wird, die sich im gewogenen Durchschnitt im Grundbetrag auf 0,9 % stellt. Das bedeutet, daß Sie bei dieser Regelung die Witwe allgemein ungünstiger stellen.
Aber bezüglich der Regelung für die Witwen ist noch eine andere Frage wichtig. Ich meine die Vorschriften über das Zusammentreffen von Renten. Wir haben jetzt den unerfreulichen Zustand für die Frau, die gearbeitet, die selbst Beiträge gezahlt hat und dann Witwe wird; der Mann hatte auch gearbeitet und Beiträge entrichtet. Dann tritt nach den gegenwärtigen Vorschriften eine Kürzung der niedrigeren Rente um gegenwärtig 25 % ein. Das wurde bisher mit dem sogenannten Grundbetrag begründet. Wir Sozialdemokraten haben vor zwei Jahren die Beseitigung dieser Kürzungsvorschriften verlangt. Darauf hat die Regierung geantwortet: das liegt am Grundbetrag, und deswegen können wir die Kürzung nicht aufheben; ein Mensch solle nicht zweimal einen Grundbetrag erhalten, wenn auch aus zwei verschiedenen Versicherungen.
Jetzt wird der Grundbetrag abgeschafft, jetzt gibt es eine reine Beitragsrente. Und was macht die Regierung? Die Regierung schafft folgende Regelung — man muß sie dreimal lesen, um sie zu verstehen, selbst wenn man sich etwas mit Sozialversicherungsdingen beschäftigt —: die Rente beträgt aus beiden Arbeitsverdiensten zusammen 60 % des der eigenen Versichertenrente und des der Witwenrente zugrunde liegenden Lebensarbeitsverdienstes. Inhalt dieser Regelung ist, daß eine Frau, die ihr Leben lang gearbeitet und, was heute mitunter vorkommt, mehr als ihr Mann verdient hat, nach Ihrer Konstruktion überhaupt keine Witwenrente erhält, weil sich nämlich dann aus beiden Arbeitsverdiensten so viel ergibt, daß die eigene Rente über 60 % des Gemeinsamen liegt. Wir meinen, daß das, wirtschaftlich gesehen, im System einer rein durch Beiträge erworbenen Rente eine Enteignung darstellt.
Wir machen Sie darauf aufmerksam.
Witwenabfindung. Im Prinzip ist Ihr Vorschlag unserem Vorschlag sehr ähnlich.
Wiederaufleben der Witwenrente. Sie machen das Wiederaufleben der Witwenrente davon abhängig, aus welchem Grunde die nachfolgende Ehe aufgelöst wurde. Ich wiederhole: aus welchem Grunde die nachfolgende Ehe aufgelöst wurde. Beim Pflegegeld erklärten Sie, Sie wollten keine individuelle Nachprüfung der Pflegebedürftigkeit aus allgemeinen Erwägungen, und hier beauftragen Sie den Versicherungsträger, individuelle Nachprüfungen darüber anzustellen, aus welchem Grunde eine Ehe aufgelöst wurde.
Ich glaube, es ist keine Funktion der Sozialversicherung, mit moralischen Begriffen zu werten, weshalb die Ehe einer Frau aufgelöst wurde.
Wir haben es in der Rentenversicherung mit einem Bereich zu tun, der sich, wie der Bundesarbeitsminister gesagt hat, auf Rechtsansprüche gründen soll und nicht auf moralische Bewertungen.
— Herr Kollege Sabel, wir wollen hier gemeinsam versuchen, uns in die Probleme zu vertiefen; sie sind ziemlich kompliziert. Ich muß leider auf diese Dinge eingehen, weil sie das Lebensschicksal vieler Menschen berühren.
Waisenrente. Sie haben vorhin etwas höhnisch dazwischengerufen oder gelächelt, als ich sagte, Sie hätten nach Ihrem Grundentwurf den SPD-Entwurf herangezogen und aus ihm Erkenntnisse geschöpft. Das gilt auch für die Waisenrente. Ihr ursprünglicher Entwurf lautete, daß eine Waisenrente bei Schul- und Berufsausbildung über das 18. Lebensjahr hinaus nur für das dritte und weitere Waisenkind gewährt werden soll, daß also beim Tode des Vaters die beiden ersten Kinder ihre Schul- und Berufsausbildung abbrechen sollen und nur für das dritte Kind eine weitere Waisenrente gewährt werden soll.
Das entsprach wahrscheinlich Ihrer Kindergeld-„Konzeption" — Konzeption in Gänsefüßchen! Jetzt, einen Monat später, haben Sie sich erfreulicherweise zu unserem Entwurf bekannt
— wir freuen uns darüber und haben in mancher Beziehung noch gute Hoffnung —, und Sie haben die allgemeine Waisenrente ohne Begrenzung auf das dritte und folgende Kind eingeführt. Aber Sie sind dabei zu einem Gedankengang gekommen, der im Bereich dieser Rentenversicherung für uns neuartig ist. Sie führen nämlich eine einheitliche Waisenrente unabhängig von den geleisteten Versicherungsbeiträgen ein. Meine Damen und Herren, wir befinden uns hier nicht im Bereich der Staatsbürgerversorgung. Gerade Sie sind es immer gewesen, die auf den Versicherungsgrundsatz so besonderen Wert gelegt haben. Deshalb ist es erstaunlich, daß Sie sich hier zu dem Gedanken der Statsbürgerversorgung bekennen. Dann müßten Sie aber einen Schritt weitergehen; dann müßten Sie diese gleiche Waisenrente nicht aus Versicherungsbeiträgen, sondern aus allgemeinen Steuermitteln finanzieren. Darüber wollen wir uns gern im Ausschuß weiter unterhalten.
Elternrente. Die SPD hat eine Elternrente gefordert und fordert sie aus wohlerwogenen Gründen. Im Bundesrat wurde diese Frage ebenfalls erörtert. Dabei hat der Herr Vertreter des Bundesarbeitsministeriums erklärt, die Einführung von Elternrenten sei in der Rentenversicherung fehl am Platze. In der Unfallversicherung besteht sie, in der Kriegsopferversorgung besteht sie auch. Weshalb soll es dort, wo die Tochter die Mutter oder die Eltern ernährt hat, Beiträge geleistet hat, wegen der Kriegsverhältnisse nicht zur Eheschließung gekommen ist, dem Wesen der Rentenversicherung widersprechen, an Stelle einer Witwenrente eine Elternrente zu gewähren? Das ist uns Sozialdemokraten unerfindlich und wahrscheinlich auch all den Frauen, die mit ihren Müttern und Eltern zusammenleben und sie unterhalten.
Jetzt zu dem zentralen Problem, wie der Herr Bundesarbeitsminister sagte: der Anpassung der Renten an die wirtschaftliche Entwickung. Die Worte, die darüber in der Begründung zum Gesetzentwurf stehen, können wir Sozialdemokraten unterschreiben. Dort steht nämlich, daß aus sozialen und volkswirtschaftlichen Gründen die Renten an die jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse angepaßt werden sollen. Das ist das Programm der Bundesregierung. Aber in der Verwirklichung befolgt die Bundesregierung diesen Grundsatz nicht. Während wir Sozialdemokraten systematisch für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft diese Anpassung vollziehen wollen, ist die Regelung der Bundesregierung, wie ich im einzelnen noch nachweisen werde, nicht sehr folgerichtig, — um mich erst einmal sehr zurückhaltend ausdrücken. Die Regierung war bisher nicht imstande, in dieser Hinsicht eine Konzeption zu entwickeln. Das geht schon daraus hervor, daß die Bundesregierung in diesem Jahre jeden Monat — wörtlich genommen — über diese Anpassung der Renten eine andere Auffassung vertreten hat.
Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, und deshalb muß ich ihn kurz begründen. Im Januar: Kernstück „dynamische Rente". Im Februar: da der Ausdruck „dynamische Rente" falsch ist, „Produktivitätsrente". Im März habe ich den Herrn Bundesarbeitsminister hier in der Fragestunde aus sozialpolitischem Interesse auf dieses Problem angesprochen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat geantwortet: Anpassung der Renten an Teuerungsindex oder Veränderung der Löhne in Zeitabständen von drei oder fünf Jahren. Das war im März. Im April erhalten wir unter besonderer Eilbedürftigkeit den Grundentwurf der Regierung. Was steht in diesem Entwurf? — Automatische Anpassung mittels jenes Sozialversicherungsbeirats! Da steht nichts mehr von drei oder fünf Jahren Verzögerung, sondern dann, wenn dieser Beirat es beschlossen hat, sollte die Anpassung erfolgen. Das war die Konzeption vom April. Im Mai erhalten wir als Regierungsvorlage auf dem besonderen Wege, den der Bundesrat schon beanstandet hat, die Bundesratsdrucksache gleichzeitig als Bundestagsdrucksache, und darin heißt es: Anpassung in Abständen von jeweils fünf Jahren nach der Steigerung des Volkseinkommens. Anfang Juni erklärt dann die Bundesregierung, das Wort „Steigerung des Volkseinkommens" sei ein Druckfehler;
es müsse heißen: „Veränderung des Volkseinkommens"; es müsse also auch eine Abwärtsentwicklung eingeschlossen werden. Ein sehr merkwürdiger Druckfehler! In dem Gesetzentwurf stehen noch ganz andere Druckfehler. Ich kann Ihnen allein in den Tabellen zehn Druckfehler nachweisen,
die auf die besondere Hast zurückzuführen sind, mit der der Gesetzentwurf fertiggestellt worden ist. Schieben Sie es nicht auf den Drucker! Das steht sicherlich so im Konzept.
Wir wollen die Dinge klar sehen. Der Bundesarbeitsminister hat von einer lange geplanten,
gründlichen Arbeit gesprochen und sich dagegen gewehrt, daß man den Vorwurf „überhastet" erhebt. Meine Damen und Herren, das ist kein Widerspruch. Man kann eine Sache sehr hinauszögern und verspätet zu einem Abschluß bringen und dennoch zuletzt überhastet arbeiten. Der Gesetzentwurf ist ein beredter Beweis dafür. Die Bundesregierung hat seit sechs Jahren Ankündigungen gemacht und schließlich doch außerordentlich überhastet gearbeitet. Das werde ich im einzelnen noch nachweisen. Wir müssen diese Dinge hier klar aussprechen, um die sozialpolitische Konzeption der Bundesregierung und ihrer Praxis einander gegenüberzustellen.
Es handelt sich hier — um das deutlich zu sagen — um ein Gesetz, das rund 61/2 bis 7 Millionen Menschen betrifft und einen Aufwand von 13,2 Milliarden DM erfordert, und ich glaube, über diese Dinge haben wir eingehend zu sprechen. — Herr Kollege Kunze, darauf möchte ich aufmerksam machen, und davon lasse ich mich durch Ihren Blick auf die Uhr nicht abhalten.
Sie haben es am 4. Mai fertiggebracht, von 9 Uhr morgens bis 7 Uhr abends das Wehrpflichtgesetz zu beraten,
und der sozialdemokratische Gesetzentwurf kam unter „Ferner liefen" in den Abendstunden heran. Hier wird jetzt die Diskussion zumindest über Ihren Gesetzentwurf geführt,
nachdem Sie es schon verhindert haben, daß über unsern Gesetzentwurf ausreichend hier gesprochen werden konnte. Jedenfalls haben Sie nichts dazu gesagt. Der Herr Minister hat eine Erklärung über die Regierungskonzeption abgegeben, aber kein Wort zu unserm Gesetzentwurf gesagt. Die einzigen, die sich mit diesem Problem beschäftigt haben, sind die Kollegen der FDP, und Frau Kollegin Kalinke hat auch des öfteren, was ich hier durchaus mit Dank zur Kenntnis nehme, die grundsätzlichen Fragen herausgestellt. Wir sind in manchem anderer Auffassung; aber es ist durchaus anzuerkennen, daß man sich mindestens auf einer Seite der Regierungsparteien mit den grundsätzlichen Problemen auseinandersetzt. Diese Auseinandersetzung haben wir heute hier zu führen.
Die Regierung hat also in diesem Jahre in jedem Monat eine andere Vorstellung zur Dynamik der Renten geäußert. Ich bin gespannt, was bei den Ausschußberatungen noch herauskommen wird. Vielleicht dreht man sich noch einmal oder dreimal im Kreise; ich weiß es nicht.
Die Anlage der Anpassung der Renten, die so wichtig ist, hat die Bundesregierung von vornherein nach einem zweigleisigem System geplant. Für die Festsetzung der Renten wird der Lohn unter Berücksichtigung des Durchschnitts der letzten drei Jahre zugrunde gelegt, womit Verzögerungen eingebaut werden, die sich nachteilig für die Rentner auswirken. Die Anpassung der laufenden Renten soll nicht nach dem Lohn, sondern nach dem Volkseinkommen nach dem „berüchtigten" Fünfjahreszeitraum erfolgen.
So kommt man also zu völlig unterschiedlichen Renten. Das ist auch durch die Fachpresse gegangen. Man kommt zu verschiedenen Renten für Menschen, die das völlig gleiche Arbeitsleben haben; nur beginnt die Rente bei dem einen am 31. Dezember, so daß diese Rentenzahlung in den Rhythmus der laufenden Rente eingeht, beim anderen wird sie am 1. Januar neu beantragt. In der Zeitschrift „Soziale Sicherheit" hat mein Freund Dr. Auerbach praktische Beispiele angeführt, die unter den tausend Modellfällen der Bundesregierung offenbar nicht vorhanden waren. Das führt dazu, daß die Renten bei Menschen mit gleichem Arbeitsleben, aber einem Altersunterschied von nur einem Tag um 25 % voneinander abweichen.
Schon das zeigt die ganze Widersinnigkeit Ihres zweigleisigen Systems! Man kann zur Dynamik dieses und jenes sagen, aber man soll doch in einem Gesetz eine Richtung durchhalten. Das ist doch die primitivste Anforderung, die man stellen kann. Ich spreche nicht vom sozialen Inhalt dieser Anpassung, sondern überhaupt erst einmal von den Grundlagen, auf denen man eine solche Anpassung aufbauen muß.
Die Anpassungsvorschriften sind eine Wissenschaft. Ich schätze den glücklich, der sie in allen Einzelheiten verstanden hat. Es wird auch Ihnen schwergefallen sein. Sie haben eine besondere Arbeitstagung — mehrtägig — zur Einführung und zur Vorbereitung für die heutige Debatte abhalten müssen, um die Dinge einigermaßen zu verstehen.
— Nein, wir haben gearbeitet, um unser Gesetz zu machen, und Sie, um ein Gesetz, das die Regierung gemacht hat, verstehen zu lernen. Das ist ein fundamentaler Unterschied,
Das System des Entwurfs ist, daß für die Festsetzung der Renten der sogenannte individuelle Arbeitsverdienst des Versicherten in eine Beziehung zum Durchschnittsverdienst aller Versicherten gesetzt wird. Bei Erstellung dieser Grundlage Ihrer Rentenberechnung setzen Sie sich — das hat die Öffentlichkeit schon beanstandet — über die einfachsten Regeln der Arithmetik hinweg. Sie addieren die verschiedenen Prozentzahlen zu einer Summe und dividieren diese Summe durch die Anzahl der Prozentsätze.
Das ist ein grober Rechenschnitzer, und auf diesem Rechenschnitzer beruht Ihr System der Rentenanpassung und Dynamik. Die Rechenmethode führt dazu — man kann das an vielen Beispielen nachweisen, das werden wir in den Ausschußsitzungen sehen —, daß Menschen mit dem gleichen Arbeitsverdienst und einem gleichartigen Arbeitsleben zu einer unterschiedlichen Rente kommen. Das aber widerspricht jedem Erfordernis der Gerechtigkeit, die Sie durch dieses Gesetz doch verwirklichen wollen und die wir hier gemeinsam verwirklichen sollten. So kann man nicht vorgehen!
Abgesehen von dem Grundfehler, daß Sie, um zu einem Durchschnitt zu kommen, Prozentsätze addieren, die nicht addiert werden dürfen, stellen Sie für bestimmte Zeiträume Tabellen auf. Diese Tabellen sind von entscheidender Bedeutung. Nach den Tabellen wird die Rente berechnet. Hier aber handelt es sich um den Lebensbedarf unserer alten Menschen, also nicht etwas, was nur theoretisches Interesse hat. Im Gegenteil, das ist eine eminent wichtige soziale Frage, wichtiger als jede Ausein-
andersetzung um Lohn, weil Renten für das ganze Leben festgesetzt werden und nicht mehr abgeändert werden können,
wenn sie rechtskräftig festgestellt sind.
Das Gesetz gliedert die Tabellen nach Vom-Hundert-Sätzen, Verhältniszahlen für bestimmte Zeiträume. Man kann in mühseliger Arbeit versuchen, diese Verhältniszahlen nachzuprüfen. Sie müßten, wenn sie richtig wären, für den gleichen Zeitraum zu dem gleichen durchschnittlichen Arbeitsverdienst führen. Wenn man aber Ihre Tabellen nachrechnet, so stellt man fest, daß sie nicht richtig sind. Sie können uns hier nicht sagen, das sei in Unterversicherung und sozialen Notwendigkeiten begründet. Wir werden Ihnen im Ausschuß im einzelnen nachweisen, daß Sie Fehler gemacht haben, die unverantwortlich sind. Wir führen das nur auf die Hast zurück, und wir bezweifeln, ob Sie alle zur Verfügung stehenden Sachverständigen bei diesen Dingen herangezogen haben. Diese Tabellen sind etwas so Einmaliges in unserer Sozialgesetzgebung, daß ich sie nicht anders als „skandalös" bezeichnen kann. Wir haben uns oft mit Gesetzentwürfen auseinandersetzen müssen und haben die finanziellen Berechnungen der Regierung für überhöht gehalten. Aber was hier gemacht worden ist, entspricht nicht den Anforderungen, die an eine ernste und sachliche Arbeit gestellt werden müssen. Wir werden von Ihnen fordern, daß Sie in den Ausschußberatungen jede einzelne Zahl Ihrer Tabellen nachweisen, und wir werden Ihnen dann beweisen, wie manipuliert wurde — anders kann ich es nicht sagen.
Was ich hier sage, ist der Öffentlichkeit bereits bekannt. Die „Deutsche Zeitung" hat diese Dinge in einem Artikel unter der Überschrift „Das falsche Renteneinmaleins" dargelegt. Ich habe volles Verständnis, wenn das Bundesarbeitsministerium nicht auf jeden Presseangriff antwortet. Aber auf eine sachlich so fundierte Stellungnahme muß die Regierung antworten. Ich kenne den Verfasser, Herrn Dr. Hellwig, nicht.
Er versteht zweifellos etwas von der Sache. Wenn hier der Regierung vorgeworfen wird, nicht daß sie eine falsche sozialpolitische Konzeption hat — darüber können wir uns unterhalten —, sondern daß sie entscheidende Rechenfehler macht, dann muß die Regierung antworten, insbesondere da sich der Herr Minister und seine leitenden Mitarbeiter in Fragen der Sozialreform in bezug auf Ankündigungen, Versprechungen und Propaganda wahrlich keine Zurückhaltung auferlegt haben.
Es wäre die Pflicht des Bundesarbeitsministeriums gewesen, zu einem so fundierten massiven Angriff auf das Gebäude des Entwurfes Stellung zu nehmen. Das ist nicht geschehen.
Je eingehender man sich mit der Materie beschäftigt, auf um so mehr unmögliche Dinge stößt man. Menschen mit gleichem Lohn und gleicher Arbeitszeit werden völlig unterschiedlich behandelt, je nachdem ob sie ihre Beiträge durch Kleben von Marken oder im sogenannten Lohnabzugsverfahren entrichtet haben. Diejenigen, die im Jahre 1956 den gleichen Arbeitsverdienst gehabt und den gleichen Beitrag gezahlt haben, müssen doch zu den gleichen Renten kommen. Das ist aber nach Ihrem Entwurf nicht der Fall. Je nachdem, ob der Betreffende Marken geklebt hat oder seine Beiträge im Lohnabzugsverfahren einbehalten worden sind, erhält er eine unterschiedliche Rente. Das ist eine Unmöglichkeit.
Etwas anderes: Wenn Sie die Tabellen für Arbeiter und Angestellte vergleichen, ergeben sich unmögliche Disharmonien. Die Dinge sind unüberlegt und undurchdacht. Jeder, der sich mit der Materie beschäftigt hat, wird Ihnen das bestätigen.
Der Entwurf bringt auch Aufstellungen durchschnittlicher Arbeitsverdienste. Wer das liest, der meint, danach berechne sich seine Rente. — Meine Damen und Herren, wenn Sie die Zahlen mit anderen Zahlen vergleichen, dann geraten Sie in Schwierigkeiten. Vergleichen Sie diese Zahlen mit den Zahlen, die das Bundesarbeitsministerium vor wenigen Jahren —1954 — in der Durchführungsverordnung zum Fremdrentengesetz herausgegeben hat — also den Grundlagen für die Renten, die für alle Heimatvertriebenen und für alle Menschen gelten, die durch Kriegseinwirkungen ihre Unterlagen verloren haben —, stellen Sie fest, daß dort für ,die gleichen Zeiträume Arbeitsverdienste angesetzt sind, die um 25 bis 30 % niedriger sind als die Arbeitsverdienste für die gleichen Zeiträume, mit denen der Entwurf operiert. Das ist doch ein Widerspruch und eine Unmöglichkeit. Das Ministerium kann es doch nicht verantworten, daß heute die Renten nach Tabellen für den Arbeitsverdienst der Heimatvertriebenen z. B. der Jahre 1938 oder 1940 berechnet werden. Jetzt liefert man uns für die gleichen Zeiten ganz andere Arbeitsverdienste, unter dem Eindruck des SPD-Gesetzentwurfs, muß ich Ihnen sagen. Das hat Sie zu kühnen Leistungen beflügelt.
Die Zahlen sind aber nicht durchdacht; das ist der Fehler. Sie hätten sich früher mit den Dingen beschäftigen sollen, dann wäre etwas Sinnvolleres herausgekommen.
In diesem Zusammenhang muß ich zitieren, was über dieses Thema im Bundesrat gesagt wurde. Der Berichterstatter des Bundesrates hat laut Protokoll folgendes erklärt:
Ich muß noch darauf hinweisen, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialpolitik sich mit den §§ 1258 ff., die die Berechnungsgrundlage der Renten regeln, nicht näher beschäftigen konnte, weil u. a. auch von den Vertretern des Bundesarbeitsministeriums die Korrektheit der Tabellen in Zweifel gezogen wurde.
Das Arbeitsministerium ist das federführende Ministerium. Die Regierung bringt eine Vorlage mit Tabellen ein, und dann äußern die eigenen Vertreter des Ministeriums Zweifel an ihren Tabellen! Und der Herr Bundesarbeitsminister schweigt im Bundesrat dazu!
Das ist eine unmögliche Lage. Sie werden verstehen, daß wir uns mit einer solchen Regelung einfach nicht abfinden können.
Meine Damen und Herren, Sie sagen, das sei der erste große Schritt zur Sozialreform. Der Herr Bundeskanzler selbst macht sich die Mühe, zum
Vortrag seines Ministers hier zu erscheinen; die Ausführungen der Opposition sind ihm nicht so wichtig. Sie demonstrieren die Bedeutung dieser Angelegenheit und stützen sich dabei auf eine Arbeit, die nicht die Voraussetzung eines durchgearbeiteten Gesetzentwurfs erfüllt.
Die 61/2 Millionen laufender Renten sollen also auf das neue Gesetz umgestellt werden. Das ist eine schwierige Arbeit; darüber sind wir uns klar. Nachrechnen kann man Ihre Umrechnungstabellen nicht, weil kein Wort der Begründung dazu gesagt ist. Man muß raten, wie die Regierung zu den Bewertungen gekommen ist. Läßt man die Zahlen auch nur oberflächlich auf sich wirken, so ergibt sich etwas Bedauerliches. Der Grundsatz, den wir alle bisher gemeinsam als Ziel der Sozialreform bezeichnet haben, daß nämlich in erster Linie der alte Mensch im Mittelpunkt der Sozialreform stehen soll, wird durch Ihre Umrechnungstabellen verletzt. Wir stellen nämlich fest, daß die Umrechnungswerte für viele Gruppen jüngerer Menschen weit höher sind als für die älteren. Daraus ergibt sich, daß eine Rente, die bisher nach den gleichen Beiträgen, nach den gleichen Arbeitsverdiensten berechnet wurde, für einen jüngeren Menschen durch eine pauschalierte Zurechnung viel höher sein, das Drei- oder Vierfache der Rente eines alten Menschen betragen wird.
Das halten wir für das Gegenteil einer gezielten und wirksamen Rentenreform. Wir sind der Meinung, daß der Gesetzentwurf in seinen Tabellen den Anforderungen, die man an eine Rentenreform stellen muß, nicht entspricht. Die Durchführung war überhastet und unüberlegt, und dadurch sind die Dinge zustande gekommen. Diese Übergangsregelung wirkt deshalb so katastrophal, weil keine Möglichkeit besteht, daß eine Rente, die auf Grund dieser Tabellen berechnet ist, nach den tatsächlich gezahlten Beiträgen überprüft werden kann.
Meine Damen und Herren, wir haben darüber beim Renten-Mehrbetrags-Gesetz mit der pauschalierten Umrechnung schon einige Auseinandersetzungen gehabt.' Sie hatten damals das Argument: Das ist nur eine vorläufige Regelung. Es kommt die große Rentenreform; dann wird das alles wieder ausgebügelt und glattgemacht. Jetzt ist die Rentenreform da. Sie führen völlig ungerechtfertigte Tabellen und damit Renten ein, und Sie geben keinem alten Menschen die Möglichkeit zu einer Rente, die sich nach seinem früheren Arbeitsverdienst und nach seinen Beiträgen bestimmt. Wir meinen, daß das all dem, was man als Versicherungsgerechtigkeit bezeichnet, geradezu ins Gesicht schlägt.
Nun, meine Damen und Herren, der schwerstwiegende Fehler ist in der Öffentlichkeit bereits lebhaft erörtert worden, nämlich die Anpassung in Abständen von fünf Jahren. Der Bundesrat hatte drei Jahre vorgeschlagen. Mit zwei Sätzen lehnt die Bundesregierung den Vorschlag des Bundesrates ab,
der doch wirklich von großer sozialpolitischer und wirtschaftspolitischer Tragweite ist, indem die Regierung sagt, daß mit Rücksicht auf mögliche Schwankungen in der wirtschaftlichen Entwicklung eine Anpassung in kürzeren Zeiträumen nicht angebracht erscheine. Das ist die Erklärung der Bundesregierung. Aber das ist doch sehr widerspruchsvoll. Denn gerade wenn die wirtschaftliche Entwicklung schwankt, dann ist doch eine Anpassung der Rentenleistung an die wirtschaftliche Entwicklung notwendig.
Meine Damen und Herren, bitte überlegen Sie sich doch einmal ganz nüchtern die Konsequenzen dieser fünfjährigen Anpassung. Nehmen Sie doch das Beispiel der Vergangenheit; es ist vielleicht noch instruktiver, als wenn wir in die Zukunft hinein irgendwelche Erwägungen anstellen. Wie wäre eine Rente, die am 1. Januar 1956 gezahlt worden ist, nach Ihrem Gesetz festgestellt und angepaßt worden? Sie wäre nach Ihrem eigenen Gesetzentwurf zuletzt am 1. Januar 1951 angepaßt worden, und zwar auf Grund des durchschnittlichen Volkseinkommens der Jahre 1948, 1949 und 1950. Die Rente des 1. Januar 1956 würde also im Mittel auf das Volkseinkommen des Jahres 1949 bezogen sein.
Das ist Ihre Dynamik! Wir haben seitdem fünf Rentenzulagengesetze gemeinsam verabschiedet, verabschieden müssen, können wir wohl sagen — ich will nicht sagen, auf Grund wessen Initiative —: Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz, Rentenzulagengesetz, Grundbetragserhöhungsgesetz, Renten-Mehrbetrags-Gesetz, Sonderzulagengesetz. Fünf Gesetze waren in dieser Zeit notwendig, und Sie wollen jetzt eine Anpassung so vornehmen, daß Sie — das ist doch der Inhalt — sechs Jahre zurückbleiben.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesarbeitsminister hat bei der Haushaltsberatung erklärt, das sei ein revolutionärer Schritt, und er hat im Bulletin geschrieben, es sei die größte Errungenschaft seit der Bismarckschen Sozialreform. Wenn Sie diese Ankündigung mit dem Inhalt des Entwurfes in Beziehung setzen, dann zeigt sich die ganze Tragik dieses Gesetzes. Mit einer solchen Dynamik werden wir Sozialdemokraten uns nicht abfinden. Das scheint selbst der Vertreter des Bundesfinanzministeriums schon im Gefühl gehabt zu haben. Er hat nämlich bei den Beratungen des Bundesrats, als er dieses System verteidigen wollte, den freundlichen Rat erteilt, wenn sich extreme Situationen ergäben, brauche der Gesetzgeber diese Fünfjahresfrist nicht einzuhalten, sondern er könne — sehr liebenswürdig — intervenieren. Das bedeutet nichts anderes, als daß selbst nach Ansicht des Bundesfinanzministeriums die Rentendynamik weitere Zulagengesetze nicht ausschließen würde. Wir möchten gar keinen Zweifel darüber lassen, daß die Sozialdemokraten, wenn keine automatische Anpassung der Renten an die Lohn- und Gehaltsentwicklung erfolgt, zu jedem Zeitpunkt die entsprechenden Anträge und Gesetzesvorlagen in diesem Hause einbringen werden,
um die Renten an die Lohn-, Gehalts- und Preisentwicklung anzupassen. Ich glaube, das ist eine Verpflichtung, die wir bei einer solchen gesetzlichen Regelung haben, und wir wollen Sie schon im ersten Stadium der Beratungen mit allem Nachdruck darauf aufmerksam machen.
Sozialpolitisch gefährlich ist Ihr Gesetz. Wenn Sie
eine derartige Regelung treffen, erweisen Sie der
Öffentlichkeit wahrlich einen schlechten Dienst. Bei jeder weiteren Lohn- und Preisentwicklung — von der ich nicht weiß, ob sie kommen wird — haben wir die Verpflichtung, auch an den Rentner zu denken.
Das ist unsere hervorragende Aufgabe in diesem Hause.
— Lohnpolitik machen wir in diesem Gesetzentwurf nicht, meine Damen und Herren. Sie wollen die Verwirklichung Ihrer konjunkturpolitischen Gedanken in Form der fünfjährigen Verzögerung praktisch zu Lasten des Rentners gehen lassen. Gestern hat das eine Persönlichkeit, die Ihnen eher nähersteht als mir, Herr Staatssekretär Dr. Krohn, bei der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft ähnlich gesagt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
— Ja, wenn Ihr Gesetz besser gewesen wäre, hätten wir uns darüber nicht lange zu unterhalten brauchen.
Das liegt doch nicht an uns. Ich habe doch nicht diese Vorlage zu vertreten, sondern wir Sozialdemokraten haben als Opposition die Verpflichtung, nachdem die Reform so großartig angekündigt war, vor der Öffentlichkeit klarzustellen, welches der wirtschaftliche und soziale Inhalt ist.
Zur Finanzierung! Der Gesetzentwurf enthält bezüglich der Finanzierung den Grundsatz: Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und Bundeszuschüsse. Er bringt, wie der Bundesarbeitsminister mitgeteilt hat, die Neuerung, daß die Zuschüsse des Bundes in Zukunft nicht mehr für die Leistungen der Altersversicherung gewährt werden sollen.
In diesem Zusammenhang eine kleine Einschaltung, die zeigt, wie wenig sorgfältig das Gesetz gearbeitet ist. Im Angestelltenversicherungsgesetz heißt es — § 33 — „Alterssicherung" und in der Reichsversicherungsordnung heißt es „Altersversicherung". Man war sich also wahrscheinlich noch nicht darüber klar, wie man es nennen sollte. Schieben Sie es nicht wieder auf den Drucker!
Für Altersrenten sollen also keine Zuschüsse mehr gewährt werden, sondern nur noch für Renten, die keine Altersrenten sind. Die Bundesregierung gibt keine klare Begründung dafür. Aber man kann auf Grund der dürftigen Zahlenangaben darüber einige Vermutungen anstellen. Aus den Zahlenangaben dieses Gesetzentwurfs geht nämlich hervor, daß die Zahl der Renten, die keine Altersrenten sind, sich in den nächsten zehn Jahren um 850 000 vermindern, daß sich aber die Zahl der Altersrenten um 920 000 erhöhen wird. Aus dieser Entwicklung kann man Schlüsse auf die Gründe ziehen, die die Bundesregierung zu ihrem Vorschlag bewogen haben. Sie will sich in Zukunft an der sinkenden Last beteiligen, aber nicht an der steigenden Last.
Sie will sich offenbar durch dieses Gesetz von der steigenden Last der Zuschüsse für Altersrenten befreien. Es kann berechnet werden, wann der Zeitpunkt kommen wird, in dem die Zuschüsse für die Nichtaltersrenten höher sein werden als der gesamte Aufwand. Dann wird der Finanzminister sagen: Ich kann doch nicht mehr zahlen, als gesetzlich verankert ist. Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Entwicklung der Altersrenten müssen wir gegen diese Regelung, nach der ohne entsprechende Sicherungen die Zuschüsse für die Altersrenten eingestellt werden sollen, ernsthafte Bedenken erheben.
Noch etwas anderes ist im Hinblick auf die Bundeszuschüsse interessant. Nach dem Gesetzentwurf soll jährlich ein fester Betrag als Bundeszuschuß gewährt werden. Setzt man diesen festen Betrag zu den Rentenausgaben in Beziehung, dann ergibt sich, daß der Bundeszuschuß, der gegenwärtig 42 % der Rentenausgaben beträgt, im Jahre 1957 nur etwa 31 % betragen soll,
daß also der Anteil des Bundes im Verhältnis zur Gesamtausgabe sinken soll. Das halten wir unter sozialen Aspekten nicht für eine sehr sinnvolle Finanzpolitik.
Und noch etwas anderes sei klargestellt, auch aus der Begründung: Von den Rentenerhöhungen werden 4,3 Milliarden aus Beitragsmitteln gedeckt und 750 Millionen aus Bundeszuschüssen. Das heißt auf deutsch gesagt: nach Ihrer Vorstellung sollen 85 % der Erhöhungen aus Beitragsmitteln und nur 15 % aus zusätzlichen Bundeszuschüssen finanziert werden. Wir meinen, daß das keine gute Regelung ist, und erheben hiergegen ernste Bedenken. Denn der Bundeszuschuß ist einmal ein Ausgleich für die durch Krieg und Währungsumstellung verlorengegangenen Vermögenswerte, er ermöglicht eine Erstattung für die Rentenverluste beispielsweise der Heimatvertriebenen, er dient weiter einem teilweisen Ausgleich der zusätzlichen Kriegslasten der kriegsbeschädigten Rentner. Deshalb sind wir der Auffassung, daß eine solche Methode, den Bundeszuschuß im Verhältnis zum Rentenaufwand zu reduzieren, nicht angebracht ist.
Aber nun zu den sonstigen finanziellen Auswirkungen des Gesetzentwurfes! Die finanzielle Begründung ist mehr als dürftig. Für einen Gesetzentwurf, der einen Aufwand von 13,2 Milliarden vorsieht, muß man von der Regierung eine ganz andere, eine gründlichere Begründung verlangen. Wie oft haben wir hier Auseinandersetzungen über Beträge von wenigen Millionen! Nun wird uns hier eine Vorlage gemacht, die einen derartigen Aufwand erfordert. Es ist nur sehr schwer möglich, sich über die finanziellen Auswirkungen überhaupt ein Urteil zu bilden, weil gar nicht gesagt wird, wie die Zahlen gewonnen wurden. Aber was man entnehmen kann, ist außerordentlich bedenklich und fragwürdig. Man hat den Eindruck, daß die Regierung versucht, eine Klärung und Überprüfung zu erschweren, wenn nicht gar unmöglich zu machen. Wegen der vorgeschrittenen Zeit möchte ich Ihnen nur ein Beispiel dafür nennen. Ich habe eine ganze Mappe mit solchen Beispielen, aber das können wir dann im Ausschuß noch erörtern.
Nur einen Tatbestand: es werden für das erste Jahr 1957 und für die folgenden Jahre 1960 und
1963 keine Angaben über die Zahl der Renten aber über den Rentenaufwand gemacht, so daß man nicht die Möglichkeit hat, die Zahl der Renten dem Rentenaufwand gegenüberzustellen. Wenn man Einblick in die Finanzierung gewinnen und sich ein Bild über die gesamten Auswirkungen machen will, muß man doch für das gleiche Jahr mindestens die Zahl der Renten und den Rentenaufwand kennen. Das ist eine primitive Forderung, aber die erfüllt der Gesetzentwurf nicht.
Man kann sich — das muß ich mit aller Deutlichkeit noch einmal sagen — des Eindrucks nicht erwehren, daß man eine fachliche Nachprüfung erschweren will. Deshalb müssen wir das im Ausschuß nachholen. Wir Sozialdemokraten jedenfalls legen hierauf besonderen Wert. Was wir jetzt schon feststellen können, ist fehlerhaft und ungenau. Ein Beispiel, das Sie selbst nachprüfen können! Herr Kollege Horn, Sie schauen so kritisch. Schlagen Sie bitte § 33 des Angestelltenversicherungsgesetzes in der Regierungsfassung auf! Da wird für 1957 ein Bundeszuschuß von 755 Millionen Mark festgelegt. Hinten auf der letzten Seite — Frau Kollegin Kalinke, ich bedauere, daß ich Ihnen die „Rosinen" schon vorwegnehme; aber es bleibt auch für Sie noch sehr viel dazu zu sagen — sind die Bundeszuschüsse für die Angestelltenversicherung für 1957 um 73 Millionen DM niedriger eingesetzt.
Sie sind aber nicht etwa der Rentenversicherung der Arbeiter zugeflossen, um da jeden Verdacht zu vermeiden.
Es scheint den Ausarbeitern dieses Gesetzentwurfs einfach auf Beträge von ... zig Millionen nicht anzukommen. Auch dafür möchte ich Ihnen noch einen deutlichen Beweis geben. Was ich hier sage, ist wirklich tragisch. Am 19. April hat die Regierung jenen Grundentwurf herausgegeben. Sie fügte diesem Gesetzentwurf auf einem Blatt eine Aufstellung über die Einnahmen und Ausgaben nach diesem Gesetz und der weiteren Entwicklung bei. Der Aufwand für das erste Jahr der Geltung dieses Gesetzes betrug nach dem Grundentwurf 11,2 Milliarden DM. Die Bundesregierung brachte einen Monat später einen Regierungsentwurf, der materiell seinem entscheidenden Inhalte nach nicht verändert war, der die gleiche Zahl der Renten erfaßte. Am 23. Mai beschloß das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf, der einen Aufwand von 12,5 Milliarden DM aufwies. Innerhalb eines Monats ist die Angabe über den Aufwand, ohne daß der Leistungsumfang erweitert, ohne daß die Zahl der Renten erhöht wurde, von 11,2 Milliarden DM auf 12,5 Milliarden DM gestiegen; das sind 1,3 Milliarden DM mehr bei einem dem materiellen Inhalt nach gleichen Gesetzentwurf.
Was soll denn das bedeuten? Das kann doch nur den Verdacht erwecken, daß die Zahlen des Gesetzentwurfs manipuliert sind. Das ist ein schwerer Vorwurf. Aber ich kann ihn nicht eher zurücknehmen, als bis die Regierung erklärt hat, worauf — es ist das gleiche Gesetz, der gleiche Leistungsinhalt — dieser Unterschied von 1,3 Milliarden DM zurückzuführen ist. Ich kann nicht anders als annehmen, daß man offenbar versucht hat, mit dem Regierungsentwurf an den der SPD heranzukommen und, jedenfalls der Form nach, einen ähnlichen Leistungsaufwand zu erreichen. — Herr Kollege Horn, Sie schütteln den Kopf.
Als ich die Zahlen gesehen habe, habe ich auch mit dem Kopf geschüttelt und habe mich gefragt, wo wir uns denn eigentlich befinden. Ist es denn überhaupt möglich, daß die Regierung, eine Regierung, die eine verantwortungsvolle Sozialpolitik betreiben will, hier Gesetze vorlegt, in denen innerhalb eines Monats mit Beträgen über eine Milliarde operiert wird? Das ist ein Skandal!
— Darauf kann ich nur sagen: Der Ermordete ist schuld!
Das Zahlenmaterial ist so widerspruchsvoll, daß wir die Notwendigkeit einer Beitragserhöhung von 12 auf 14 % nicht anerkennen können. Sie ist finanziell nicht begründet. Wir haben in unserem Gesetzentwurf erklärt, daß bei höheren Leistungen eine Beitragserhöhung nicht nötig ist. Es ist an Ihnen, zu beweisen, daß Ihre Zahlen höher und die von Ihnen errechneten Beiträge nötig sind.
Zum Schluß noch ganz wenige Bemerkungen. Der Bundesrat hat eine Nachversicherung der Heimatvertriebenen und der Kriegssachgeschädigten angeregt. Die Bundesregierung hat diese Nachversicherung mit der Begründung abgelehnt, daß sie dem System der Rentenversicherung widerspreche. Nach dem Gesetzentwurf gibt es aber Möglichkeiten der Nachversicherung. Die Sozialdemokraten machen sich im Interesse der Heimatvertriebenen und Kriegssachgeschädigten den Wunsch des Bundesrates zu eigen.
Meine Damen und Herren, bei Einbringung des Gesetzentwurfes der SPD habe ich erklärt, daß die Sozialreform im Hinblick auf ganz Deutschland gestaltet werden muß. Wir bedauern außerordentlich, daß der Entwurf der Bundesregierung diesen Gesichtspunkt nicht beachtet hat. Der Regierungsentwurf erkennt nicht automatisch die Arbeitszeiten an, die bei einem deutschen Versicherungsträger, auch des Heimatgebietes, von Vertriebenen zurückgelegt sind, sondern er beläßt es praktisch bei der Regelung des Fremdrentengesetzes, ohne zu erklären, daß das Fremdrentengesetz in entsprechender Weise mit diesem neuen Gesetz zusammengefaßt werden muß. Wir bedauern das im Interesse der Heimatvertriebenen und im Interesse der Menschen hinter der Zonengrenze.
Der Gesetzentwurf beseitigt auch nicht den Mißstand, daß Menschen, die in Berlin oder in der Bundesrepublik leben und arbeiten, aber drüben wohnen, die hier die Beiträge zahlen, zur Leistungsgewährung an den Versicherungsträger in der Sowjetzone verwiesen werden. Das ist ein schlechter Dienst an einer gesamtdeutschen Politik.
Der Regierungsentwurf sieht vor, daß das Gesetz am 1. Januar in Kraft tritt. Nach den Absichten der Bundesregierung soll sich also das vollziehen, was die Sozialdemokraten befürchtet haben: das Wehrpflichtgesetz wird in wenigen Wochen und Tagen erledigt, und für das Rentenversicherungsgesetz braucht man nach der eigenen Konzeption der Bundesregierung die entsprechende Anzahl von Monaten.
— Das ist eine schlechte Sache.
Sie hätten einen solchen Sozialgesetzentwurf mit Ihrer Regierung und mit Ihrem Apparat schon vor uns vorlegen können; so sind doch die Dinge.
Wir sind doch wirklich nicht daran schuld, daß dieses Gesetz erst heute zur Beratung kommt
und daß es hinter der Wehrpflichtgesetzgebung steht. Wir haben wohl das Recht und die Pflicht, diese Tatsachen auszusprechen. Sie zeigen, welches für die Regierung die erstrangigen und was die zweitrangigen Fragen sind.
— Aber hören Sie mal, Herr Sabel, hier geht es um den Lebensunterhalt für 61/2 Millionen Menschen, der zu regeln ist.
Meine Damen und Herren, das Sonderzulagengesetz, das letzte Erhöhungsgesetz, läuft zum 1. Oktober aus,
und wenn die Rentenneuordnung — —
— Wie bitte?
— Ich kann es Ihnen schriftlich geben; es ist von Mitarbeitern des Bundesarbeitsministers in Zeitschriften geschrieben worden, Herr Kollege Stingl, die Sie vielleicht nicht gelesen haben. Ich gebe sie Ihnen nachher.
Wenn das Gesetz am 1. Januar in Kraft tritt, ergibt sich, daß für die Monate Oktober, November und Dezember — —
— Aber, lieber Kollege, — —