Rede von
Dr.
Richard
Jaeger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte zunächst eine Vorbemerkung, die mehr am Rande des Themas liegt, die zu machen mir jedoch angesichts einer so grundlegend wichtigen Debatte wie dieser angezeigt erscheint. Bei den Diskussionen um die Sozialreform und bei der Kritik an der unzureichenden Höhe der Renten wird sehr häufig auch draußen in der Öffentlichkeit übersehen, was nun tatsächlich heute ist. Deshalb scheint es mir nicht unangebracht zu sein, an die Spitze meiner Ausführungen einige wenige Zahlen zu setzen, die auch der Öffentlichkeit noch einmal die gegebenen Tatsachen deutlich machen.
Im Rechnungsjahr 1956 werden für Renten insgesamt, also für die Invaliden- und die Angestelltenversicherung, 6,8 Milliarden DM verausgabt. An dieser Gesamtsumme der Ausgaben sind die fünf Gesetze, die wir seit dem Jahre 1949 gemacht haben und die, wenn auch im einzelnen voneinander abweichend, immerhin doch einer gewissen Anpassung der Renten an die veränderten Verhältnisse gedient haben, wie folgt beteiligt: Das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz mit rund 1,3 Milliarden DM, das Rentenzulagengesetz mit 830 Millionen DM, das Grundbetrags-Erhöhungsgesetz mit 334 Millionen DM, das Renten-Mehrbetrags-Gesetz mit 628 Millionen DM und das Sonderzulagen-Gesetz vom Dezember vergangenen Jahres mit 659 Millionen DM. Meine Damen und Herren, das ist ein Gesamtanteil an den Rentenausgaben überhaupt in Höhe von 55 °/o. Gerade die letzten Gesetze, die wir in den Jahren 1954 und 1955 verabschiedet haben, dienten ausgesprochen dem Zweck, vor allen Dingen den alten Rentnern eine nach den Verhältnissen mögliche angemessene Erhöhung ihrer Bezüge zu verschaffen. Ich hielt es, wie gesagt, für angezeigt, diese knappen Hinweise zu geben.
Eine weitere Vorbemerkung! Bei den Überlegungen, was ich in dieser Debatte sagen wollte, habe ich den sehr festen Vorsatz gefaßt, bei meinen Ausführungen nicht gegen irgend jemanden zu polemisieren,
sondern mich rein an das Thema und die Sache zu halten. Ich habe auch nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Schellenberg von heute vormittag im Grunde genommen nicht die Absicht, diesem meinem Vorsatz untreu zu werden;
aber ein paar Sätze an Ihre persönliche Adresse, verehrter Herr Kollege Schellenberg, müssen Sie mir schon gestatten.
Wir haben nach früheren sozialpolitischen Debatten in sehr netter persönlicher Unterhaltung schon mehrfach die Art und Weise, wie Sie bei solchen Debatten und Auseinandersetzungen von diesem Platz aus die Dinge zu behandeln pflegen, besprochen. Ich habe Ihnen dabei den guten, wirklich kollegial gemeinten Rat gegeben, diese Dinge doch nicht dahin zu überspitzen, daß es uns auf die Dauer und in der Fortsetzung der Debatten immer schwerer gemacht würde, Ihnen in Ruhe zuzuhören. Das ist insbesondere dann schwierig, wenn Sie wie heute vormittag zwei geschlagene Stunden zum Thema sprechen.
Ich muß Ihnen das heute auch einmal von dieser Stelle aus sagen. Ich bin der Auffassung, verehrter Herr Kollege und meine Damen und Herren, ironische polemische Auseinandersetzungen dieser Art kommen — je länger, je weniger — weder im Hause noch in der Öffentlichkeit an.
Was die Öffentlichkeit von uns verlangt, ist, daß wir uns nicht in Polemiken ergehen, sondern daß wir uns verantwortungsbewußt jeder zu seinem Teil mühen, eine wirklich sachliche, gründliche Auseinandersetzung und Zusammenarbeit, die nachher im Ausschuß kommen muß, nicht unnötig zu erschweren.
— Selbstverständlich haben Sie zur Sache gesprochen, aber in der Ihnen eigentümlichen Art und Weise.
Niemand kann für sein Temperament; ich auch nicht.
Aber man kann sich sehr wohl, wenn man sich im letzten der gemeinsamen Verantwortung um das Ganze bewußt ist, auch mehr an die Kandare nehmen, als wir das ein ums andere Mal von unserem Kollegen Schellenberg mit Bedauern zu registrieren haben.
— Lassen Sie mir doch die Zeit dazu! Ich werde also meinem Vorhaben trotz dieser — wenn Sie wollen — herausfordernden Art des Herrn Kollegen Dr. Schellenberg von heute vormittag nicht untreu werden. Ich werde auch nicht in den Fehler verfallen, das Plenum weithin mit dem Ausschuß für Sozialpolitik zu verwechseln.
Meine Stellungnahme und die meiner politischen Freunde werde ich auf die grundsätzlichen Fragen, wie es mir scheint, beschränken, die hier anzusprechen wir für notwendig halten. Dabei erhebt der Katalog der Dinge, die ich vortragen werde, keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
— Kommen Sie her und machen Sie es anders und besser, Sie verehrter Zwischenrufer!
Ich werde dabei all die Einzelparagraphen übergehen, die nach meinem Dafürhalten nicht zum Gegenstand einer ersten Lesung gehören, sondern die wir der Ausschußberatung vorbehalten sollten. — Nach diesen Vorbemerkungen nun zum eigentlichen Thema.
Wenn ich unsere Auffassung dazu ganz ehrlich sagen soll, dann muß ich zum Ausdruck bringen, daß auch wir es gern gesehen hätten, wir wären an die Beratung dieser Neuordnung der Rentenversicherung etwas früher herangekommen.
Der Bundestag und insbesondere sein Ausschuß für Sozialpolitik wären dann nicht in den Zeitdruck gekommen, unter dem wir nunmehr nach Beendigung der Sommerpause wieder einmal werden arbeiten müssen. Ich glaube, wir müssen das um unserer eigenen Verantwortung willen aussprechen.
Auf der andern Seite haben wir aber auch Verständnis für die Schwierigkeit der Situation. Wir registrieren mit großer Anerkennung, daß sich vor allen Dingen seit der Veröffentlichung jenes VierProfessoren-Gutachtens, das der Herr Bundeskanzler damals eingeholt hatte, die Öffentlichkeit, die interessierten Einzelpersönlichkeiten, Organisationen und Verbände, die Organisationen der Sozialpartner oder wer immer es gewesen sein mag, mit besonderer Eindringlichkeit der Behandlung dieser Fragen zugewandt haben. Dadurch ist der Sache sicherlich in mancher Beziehung erheblich gedient worden. Ich glaube, wir sind verpflichtet, das hier ebenso, wie es der Herr Bundesarbeitsminister heute morgen in seiner Einführungsrede schon getan hat, mit Anerkennung zu verzeichnen.
Im Verlaufe der Jahre wurden vom Bundesarbeitsministerium zu verschiedenen Zeiten fest umrissene Termine für die Verabschiedung der Sozialreform genannt. Wenn sich im Verlaufe der Zeit, je intensiver man sich mit den Dingen beschäftigt hat, mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß man die in Aussicht gestellte umfassende Sozialreform, die also nicht nur die Rentenversicherungen, sondern alle beteiligten Kategorien betrifft, nicht in einer einzigen Gesetzesvorlage bringen und verabschieden kann, so ist, glaube ich, eine solche Erkenntnis durchaus begrüßenswert, und auch wir schließen uns ihr an.
Das besagt nicht, daß wir nicht gern vor der Behandlung des augenblicklichen Gesetzentwurfs die Gesamtkonzeption der Bundesregierung für die umfassende Sozialreform wenigstens in ihren Konturen und ihrer Linienführung gekannt hätten, weil uns das auch für die Behandlung des konkreten Gegenstandes, vor allen Dingen im Ausschuß, sehr von Nutzen hätte sein können. Wir kommen j a im Verlauf der Dinge und im Anschluß an das, was uns hier beschäftigt, nicht daran vorbei, das, was ansonsten noch zu geschehen hat, wenigstens in der einen oder anderen Beziehung bei diesen Beratungen bereits anzusprechen. Es wäre begrüßenswert, wenn wir im Laufe der Beratungen zu diesem Generalthema vielleicht dies oder das zu unserem Nutzen noch hören könnten. Das als einige prinzipielle Vorbemerkungen.
Zur Sache selbst kann ich mich auf die Begründung des Gesetzentwurfs und zusätzlich auf die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers von heute vormittag in sehr wesentlichen Punkten beziehen. Die Punkte, in denen wir von der Regierungsvorlage vielleicht abweichen oder wozu wir kritische Anmerkungen zu machen haben, werde ich Ihnen jetzt vortragen.
Ich möchte zunächst sagen, daß wir uns zu den Grundsätzen, die in dieser Vorlage enthalten sind und die in der Vorbemerkung, wenn Sie wollen, in einer Art Präambel, in der Begründung dem allgemeinen Teil vorangestellt sind, bekennen. Wir stimmen mit der Bundesregierung auch in dem überein, was sie zur Erläuterung zu den Ziffern 1, 2 und 3 der Grundsatzvorbemerkung gesagt hat. Wir bekennen uns also zu der umfassenden Sicherung, die auch auf die geänderte gesellschaftspolitische Situation die entsprechende Rücksicht nimmt. Wir haben die gleichen Vorstellungen wie die Bundesregierung von einer ausreichenden Sicherung bei den jetzigen Rentenbeziehern und bei den in abhängiger Arbeit stehenden Arbeitnehmern mit Einschränkungen, die dabei anzumerken sind.
Wenn wir die Rente für die Zukunft als eine Existenzsicherung des Rentners ansehen, wenn wir darauf Bedacht nehmen wollen, seine Existenzgrundlage auch weiterhin zu sichern, müssen wir uns im Grundsätzlichen der Methode bedienen, die der Regierungsentwurf vorsieht. Das heißt, wir müssen die Rente in Zukunft zu einer lohnbezogenen Rente machen, wie es die Vorlage im Prinzip beinhaltet.
Ich möchte mich nun den Paragraphen im einzelnen zuwenden. Zunächst erkläre ich unser Einverständnis mit dem § 1226 der Regierungsvorlage im Ersten Abschnitt. Auch wir sind der Meinung, daß die hier erstmals in die Rentenversicherung eingebrachte Neuerung bezüglich der Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbs-
fähigkeit der Versicherten und die Förderung von Maßnahmen zur Hebung des Gesundheitszustandes der versicherten Bevölkerung sich aus der Entwicklung der Verhältnisse zwangsläufig ergebende Notwendigkeiten sind. Wir sind auch der Meinung, daß alles Bemühen um die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit der Frage der Rentengewährung voranzugehen hat. Alle, die es angeht, werden dankbar sein müssen, wenn die sozialen Rentenversicherungen ihnen durch die künftige Ausweitung der Aufgaben dazu verhelfen, sich die Arbeitskraft nicht zuletzt auch im Interesse der Familien zu erhalten oder da, wo sie geschädigt ist, wiederherzustellen, um so einem vorzeitigen Rentenbezug, einer vorzeitigen Invalidisierung zu entgehen. Im einzelnen wird dazu anschließend noch etwas zu sagen sein.
Nun gestatten Sie mir eine Bemerkung, meine Damen und Herren, die zwar als eine technische angesehen werden könnte, die aber, wie ich persönlich und wie auch meine Freunde meinen, ebenso eine grundsätzliche, eine psychologische und, wenn Sie wollen, auch eine betont politische Note hat. Der Herr Kollege Schellenberg hat sich heute morgen mit der Frage auf seine Weise ebenfalls beschäftigt. Ich meine den Umstand, daß die die Angestelltenversicherung betreffenden Paragraphen zwar in einem Artikel 2 dieses Gesetzentwurfs, aber doch eben als Teil dieses Gesetzes behandelt sind. Der Herr Bundesarbeitsminister hat heute morgen mit Nachdruck betont, daß die Angestelltenversicherung auch nach dieser Neuordnung als eine selbständige Versicherung Bestand haben werde und daß bei der Bundesregierung niemand daran denke, die Selbständigkeit dieser Versicherungskategorie anzutasten. Der Herr Kollege Schellenberg hat dargetan, daß auch im Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion die Selbständigkeit der Angestelltenversicherung als solcher durchaus gewahrt sei. Wir haben, was die Entwicklungstendenzen angeht, hinsichtlich der Vorlage der SPD erhebliche Bedenken.
Aber auch die Vorlage der Bundesregierung befriedigt uns in dieser Beziehung nicht. Wir glauben, daß man dem Verlangen und der Forderung der Angestelltenorganisationen und -gewerkschaften Raum geben müßte, diese Gesetzesvorlage in zwei Teile zu zerlegen
und die Invaliden- und die Angestelltenversicherung in zwei getrennten Gesetzentwürfen nebeneinanderzustellen.
Das zu erarbeiten ist dann Sache des Sozialpolitischen Ausschusses. Ich stimme allerdings mit Herrn Kollegen Schellenberg darin überein, daß das, was hier drinsteht, nicht das vollständige Angestelltenversicherungsgesetz ist. Wir sollten vielmehr bei der Behandlung dieser Dinge so verfahren, wie wir es in der bisherigen Praxis schon mehr als einmal gehandhabt haben: daß wir gleichzeitig mit der Verabschiedung dieser Vorlage der Bundesregierung den Auftrag geben, das Angestelltenversicherungsgesetz dann in der neuen Fassung zu verkünden. Dann haben wir das, was wir wohl alle für richtig und notwendig halten.
Wir stimmen also der Auffassung der Bundesregierung gern zu, bitten aber auch darum, uns zu folgen, wenn wir einen Umbau der Gesetzesvorlage in dem angedeuteten Sinne vorzunehmen beabsichtigen.
Nun kommen wir hier sofort zu einem, wenn Sie so wollen, sehr neuralgischen Punkt der Gesetzesvorlage. In § 1227 wird die Ausdehnung der Versicherungspflicht auf a 11e Beschäftigten vorgesehen. Der Herr Kollege Schellenberg hat heute vormittag seine große Befriedigung über diese der Bundesregierung nun endlich gekommene Einsicht ausgesprochen. Er hat dargetan, daß die Bundesregierung hier der von der sozialdemokratischen Fraktion seit eh und je geforderten Ausweitung der Versicherungspflicht endlich Folge leiste. Nun, ich habe hier vor Ihnen keine Geheimnisse, sondern erkläre Ihnen ganz offen und frei, daß unter meinen politischen Freunden die Auffassungen über diese Frage heute noch auseinandergehen. Ein Teil meiner Freunde bekennt sich mit, wie ich durchaus zugeben muß, guten Argumenten, die es auch für diese Auffassung gibt, zu der Regierungsvorlage und zu dieser Ausweitung. Man stellt u. a. die Frage: Was bleibt, wenn wir die Dinge nun einmal so nehmen, wie sie heute sind, dann überhaupt noch übrig, wenn wir von einer vollständigen Ausdehnung der Versicherungspflicht absehen? Man sagt: Was dann noch übrigbleibt, ist nicht der Mühe wert, und wenn man dann den verbleibenden kleinen Rest in den staatlichen Versicherungsschutz mit einbezieht, tut man ihm damit nur einen Gefallen. — Es können auch noch andere Überlegungen darüber angestellt werden, auf die ich jetzt im einzelnen nicht eingehen will.
Die andere Auffassung, zu der auch ich mich offen bekenne, geht dahin, daß man ohne Rücksicht darauf, wie groß der betreffende Personenkreis ist, auch in dieser Frage an Grundsätzen festhalten sollte, die man in der Vergangenheit für gesund und für richtig gehalten hat, und daß man unter den heute gegebenen Verhältnissen, die sich gegenüber denen vor zwei, drei Jahren nicht so grundlegend gewandelt haben, keine Veranlassung haben sollte, von dieser, wie ich glaube, richtigen Grundhaltung von ehedem abzugehen.
Wir haben in der Vergangenheit sozialdemokratischen Anträgen widerstanden, die in diese Richtung gingen. Ich persönlich bin der Meinung, daß diese Haltung damals richtig gewesen ist und auch heute nicht falsch sein kann. Aber das sind Fragen, über die wir unsere Entscheidungen noch zu treffen haben. Das ist eine sehr wichtige Angelegenheit, über die sich der Sozialpolitische Ausschuß dann, wenn er an diese Dinge herankommt, sehr gründlich, ohne irgendwelche Ressentiments oder sonstige Vorurteile wird unterhalten müssen. Wenn man dort vielleicht zu, wie ich einmal sagen möchte, besseren Erkenntnissen kommen sollte, werden wir die Dinge entsprechend zu regeln haben.
Nun zu den weiteren Fragen, die ich ansprechen wollte! Wir sind mit der in der Regierungsvorlage zum Ausdruck gekommenen Absicht einverstanden, im Rahmen dieser Konzeption in Zukunft auf die sogenannte Anwartschaft zu verzichten, weil wir glauben, daß bei der geänderten Methode für die bisherigen Anwartschaftsvorschriften kein Raum mehr ist. Wir stimmen dem Gedanken der Regierungsvorlage zu, den Leistungsanspruch nur an die Erfüllung der Wartezeit zu binden.
In § 1233 der Regierungsvorlage wird die Frage der Weiterversicherung behandelt. Die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung ist dann gegeben, wenn der betreffende Versicherte die Wartezeit, die für den Empfang der Invalidenrente vorgeschrieben ist, also 60 Beitragsmonate, erfüllt hat. Dann hat er, wenn er aus dem versicherungspflichtigen Verhältnis ausscheidet, das Recht, seine Versicherung fortzusetzen. Hat er die Wartezeit nicht erfüllt, dann soll eine Rückerstattung seiner Beitragsanteile erfolgen. Mit dieser in der Vorlage niedergelegten Absicht sind wir einverstanden.
Wir sind — um das bei dieser Gelegenheit einzuschalten — nicht einverstanden mit dem entsprechenden Paragraphen der SPD-Vorlage, der die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung in Wahrheit ausdehnt und das Recht für alle Volksgenossen verankern will, der sozialen Rentenversicherung beizutreten, und dieses Recht auch den Ausländern und Staatenlosen einräumen will, die bei uns ihr Domizil haben. Wir glauben, daß bei dieser neuen Konzeption und angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung auch anderen Berufskategorien für die Zukunft Förderung und Beistand in der Schaffung ihrer Alterssicherung versprochen hat, für diese Dinge hier kein Raum sein sollte. Wir sind also für die Beschränkung der freiwilligen Versicherungsmöglichkeit in dem Rahmen und auf der Basis, wie es die Regierungsvorlage vorsieht.
Auf die andere Frage, die Versicherung für selbständige Berufe, komme ich im letzten Teil meiner Ausführungen noch mit ein paar Sätzen zurück.
Was die §§ 1241 bis 1249 angeht, also die Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, so möchte ich erklären, daß wir mit der Grundtendenz sehr wohl einverstanden sind. Wir glauben, daß die Ausweitung der Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit über das System der heutigen Heilverfahren hinaus, wie sie hier gedacht ist, diese neue Art der Rehabilitation, wenn man so sagen darf, in dieser Neuordnung ihren Platz haben muß.
Dabei befinde ich mich in Gedankennähe von Herrn Kollegen Schellenberg, der zum Ausdruck gebracht hat, daß mit den Bestimmungen, die hier vorgesehen sind, dieses Thema keineswegs ausdiskutiert ist und daß wir auch bei weiteren Neuordnungsberatungen — meinethalben über die Krankenversicherung und andere Dinge — sehr wohl noch darüber zu sprechen haben werden.
Ich verhehle auch nicht gewisse Bedenken, die man insbesondere in bezug auf § 1243 haben kann, aber auch in bezug auf andere Paragraphen, die die besonderen Rechte und bevorzugte Stellung der Träger der Rentenversicherungen betreffen. Die Bedenken beziehen sich auf die übrigen Versicherungsträger, insbesondere auf die Träger der Krankenversicherung. In etwa wenigstens steckt eine Tendenz in diesen Dingen drin, der Rentenversicherung eine Monopolstellung zu Lasten der übrigen Sozialversicherungsträger einzuräumen. Das sollten wir sehen und dabei auch nicht außer acht lassen, daß die Träger der Sozialversicherung in ihrer Gesamtheit heute nach dem Prinzip der Selbstverwaltung arbeiten. Wir haben infolgedessen Bedacht darauf zu nehmen, daß wir die Rechte der Selbstverwaltung dabei nicht unnötig antasten und schmälern.
Ich komme auf das zu sprechen, was der Herr Kollege Schellenberg zu § 1248 kritisch gesagt hat. Diese Vorschrift sieht unter Umständen gewisse Konsequenzen für den Fall vor, daß sich ein Versicherter den Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit gewollt und bewußt entzieht. Meine Damen und Herren, das hat nach meiner Auffassung mit Mißtrauen-Säen gegen die soziale Rentenversicherung nichts zu tun; aber es gibt bei all diesen Dingen doch immer so 'ne und solche, wie wir bei uns zu sagen pflegen. Der Gesetzgeber muß gegen diejenigen, die sich wider ihr eigenes Interesse solchen Maßnahmen bewußt entziehen wollen, irgendeine Handhabe geben. Wir werden zu überlegen haben, ob § 1248, so wie er nun dasteht, gerade richtig formuliert ist oder wie man ihn, ohne seinen Sinn damit aufzugeben, zweckmäßig ändern könnte.
Ich wende mich nunmehr dem Kapitel II über die Renten an Versicherte zu und will zunächst auf den § 1252 — Voraussetzungen der Renten an Versicherte — eingehen. Der Kollege Schellenberg hat darauf hingewiesen, daß in der Vorlage der sozialdemokratischen Fraktion der Begriff der Berufsunfähigkeit, wie er heute in der Angestelltenversicherung Geltung hat, ohne Änderung in die Invalidenversicherung übernommen worden sei und daß man glaube, damit der Sache am besten zu dienen. Wir haben uns in unserem Kreise über die Frage, ob der § 1252 der Regierungsvorlage so richtig oder falsch formuliert sei, sehr eingehend unterhalten. Auch bei uns sind Bedenken zum Ausdruck gekommen, ob nicht durch die Übernahme dieser Formulierung die Angestellten bezüglich des Begriffs der Berufsunfähigkeit im Vergleich zu ihren bisherigen Rechten benachteiligt würden. Wir haben uns jedoch, wenigstens zum erheblichen Teil, nicht den Überlegungen der Regierung verschlossen. daß der Inhalt des § 1252 sehr wohl einen Kompromiß zwischen den bisherigen Definitionen in der Invalidenversicherung und in der Angestelltenversicherung darstellen kann. Unter dieser Voraussetzung meinen wir, daß man diese Formulierung zunächst einmal so gelten lassen kann. Wir werden uns ja zwangsläufig im Ausschuß über diese und die beiden anderen Definitionen zu unterhalten und, wie ich hoffe, zu verständigen haben. Dabei kann dann das Notwendige geschehen.
Was die Wartezeiten angeht, so stimmen wir mit der Bundesregierung überein: 60 Kalendermonate für die Invalidenrente und 180 Kalendermonate für die Altersrente. Wir stimmen im Prinzip auch mit der auf 65 Jahre festgestellten Altersgrenze überein, wie sie in der Regierungsvorlage enthalten ist. Ich darf aber gleich hinzufügen, daß man über die Forderung — die sich auch der Bundesrat zu eigen gemacht, die aber die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme abgelehnt hat —, für weibliche Versicherte in einer des Näheren zu findenden Formulierung die Altersgrenze auf 60 Jahre herabzusetzen, sehr wohl ein vernünftiges Gespräch führen kann.
Ob man dabei zu anderen Ergebnissen als die Regierungsvorlage kommt, das mag im Augenblick eine offene Frage bleiben. Meine Freunde sind durchaus willens, sich im Sozialpolitischen Ausschuß über dieses Anliegen, das insbesondere von Frauenseite und von Organisationen vorgetragen wird, zu unterhalten. Dabei behalten wir die Hin-
weise der Bundesregierung im Auge, daß auch aus Kreisen der organisierten Frauen selber andere Vorschläge, nämlich Vorschläge im Sinne der Regierungsvorlage, gemacht worden sind.
Wir sollen an dieser Frage nicht einfach vorbeigehen und sollen nicht rigoros sagen: so und nicht anders! Wir wollen darüber ein vernünftiges Gespräch.
Die §§ 1258 und 1259 in der Vorlage, die die Invalidenrente betreffen, finden im Prinzip, weil wir der Konzeption als solcher zustimmen, ebenfalls unser Jawort. Dabei möchte ich mich im Augenblick nicht in die Frage verlieren, ob der Kollege Schellenberg wirklich recht hat, wenn er heute morgen dargetan hat, daß das, was hier an Leistungen vorgesehen sei, ungenügend wäre. Ich möchte mich auch nicht auf die nach meiner Auffassung von ihm nicht ganz richtig gesehene Frage der sogenannten Zurechnungszeiten, und was mit diesen Dingen im übrigen zusammenhängen mag, einlassen. Darüber sich zu unterhalten oder auseinanderzusetzen, bleibt im Sozialpolitischen Ausschuß genügend Zeit.
Das gleiche gilt dann auch von der Altersrente, der wir in der Konzeption der Bundesregierung an sich, im Prinzip wenigstens, ebenfalls zustimmen.
Wenn dabei Herr Kollege Schellenberg heute morgen die Auslassungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers bei der Abgabe der Regierungserklärung hier angezogen und kritisch beleuchtet hat, dann möchte ich dazu nur sagen: Ja, wer kann denn dem Herrn Bundeswirtschaftsminister oder der Bundesregierung das Recht verweigern, daß er oder sie bei verantwortungsbewußter Überlegung der gesamten Fragenkomplexe, die mit diesen außerordentlich wichtigen politischen — sowohl konjunkturpolitischen als auch sozialpolitischen — Dingen zusammenhängen, nun gewisse Fragen zur Erörterung stellt? Was wir dann damit in der Praxis machen werden, das bleibt die eigene Angelegenheit dieses Parlaments. Ich habe betont und betone erneut, daß wir an und für sich, was die Altersgrenze angeht, auf der Grundlage der Regierungsvorlage stehen, daß wir sehr wohl auch die Bedenken sehen, die gegen eine Lösung in der von Herrn Professor Erhard dargestellten Art und Weise sprechen mögen. — Nur soviel im Augenblick zu diesen Dingen!
Mit dem § 1260, der die gemeinsamen Bestimmungen für die Berechnung der Renten vorsieht, kommen wir in der Tat an den eigentlichen Kernpunkt der ganzen Gesetzesvorlage. Hier ist die Grundlage der völlig veränderten neuen Konzeption gegenüber dem, was bisher rechtens ist. Ohne daß wir im einzelnen die Dinge jetzt kritisch zerlegen wollen, muß ich auch hier namens meiner Freunde betonen, daß wir mit der hier vorgesehenen Regelung, also mit der so gedachten individuellen, persönlichen Bemessungsgrundlage des einzelnen Versicherten wie auch mit der Absicht, auf die hier dargelegte Weise die allgemeine Bemessungsgrundlage jeweils zu erarbeiten, im Prinzip übereinstimmen. Von hier aus setzt dann auch die sehr starke und erhebliche Kritik ein, die in der Öffentlichkeit an diesen Dingen geübt worden ist und noch geübt wird. Ich will mir jetzt keines der
Schlagworte zu eigen machen und weder von der dynamischen noch von der Produktivitätsrente noch von sonst welchen Schlagworten reden; aber daß wir es in dieser grundsätzlichen Entwicklung sehr wohl mit einer lohnbezogenen Rente für die Zukunft zu tun haben müssen, das sollte eigentlich allgemeine Auffassung im ganzen Hause sein.
Nachdem in den vergangenen Monaten, angefangen bei den sehr kritischen Auslassungen selbst eines Instituts wie der Bank deutscher Länder, bis hin zu Auslassungen auf Tagungen von Organisationen wie von Einzelpersönlichkeiten, auch von Männern der Wissenschaft, an der sogenannten Dynamik usw. Kritik geübt worden ist, dahin daß man Gefahren aus volkswirtschaftlichen Überlegungen und Erwägungen sehr nachdrücklich betont und auch währungspolitische Gefahren sieht, kann ich mich demgegenüber zunächst auf die Auslassungen des Herrn Bundesarbeitsministers von heute vormittag beziehen. Ich glaube, man muß sich schon ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen,. und wenn ich, ohne darauf des näheren eingehen zu wollen, mir sehr gründliche Thesen vergegenwärtige, die auch von wissenschaftlicher Seite für die Konzeption der Bundesregierung vorgebracht worden sind, dann, meine ich, können wir uns beruhigt auf der Grundlage der Vorlage an diese Überlegungen heranwagen.
Es wäre allerdings verantwortungslos von uns, wenn wir leichten Herzens an den Einwendungen, die erhoben werden, vorbeigingen.
Wir werden uns im Ausschuß auch unter Anhörung von Sachverständigen, wie ich meinen möchte, mit diesen Dingen sehr gründlich beschäftigen müssen, weil wir nicht glauben, aber auch nicht wollen, daß mit dieser Vorlage die Gefahren tatsächlich mit dem Ernst heraufbeschworen werden, wie sie in der Diskussion draußen betont werden. Wenn wir aber die lohnbezogene Rente und damit die nicht zuletzt aus gesellschaftspolitischen Gründen erforderliche Anhebung der Bezüge der Rentner in der hier gedachten Form haben wollen, dann, glaube ich, sind auch Vorschläge, wie sie aus der privaten Wirtschaft an uns herangebracht werden, in denen der sogenannten Sockelrente das Wort geredet wird und darüber hinaus die Eigenverantwortung der Versicherten einsetzen soll, für uns nur sehr schwer zu diskutieren, weil diese Vorschläge mit der genannten Konzeption nicht in Übereinstimmung gebracht werden können.
Meine verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Schellenberg hat heute morgen die verschiedenen Tabellen, die in der Regierungsvorlage enthalten sind, einer vernichtenden Kritik unterzogen. Ohne daß ich der Opposition ihr legitimes Recht, die Bundesregierung und die Regierungsparteien zu kritisieren und, wenn sie es für notwendig hält, in gemessener Form auch mit Vorwürfen zu bedenken, irgendwie beschränken oder beschneiden möchte — im Gegenteil, ich respektiere es —, möchte ich doch gegen die Art und Weise, wie hier an diesen Dingen Kritik geübt worden ist, meine sehr erheblichen Bedenken geltend machen.
Im übrigen sind auch wir der Meinung — das sage
ich jetzt sofort mit Bezug auf die Tabellen, die im
Zusammenhang mit dem § 1260 in den Gesetzent-
wurf aufgenommen worden sind —, daß die Tabellen einer nochmaligen Überprüfung bedürfen.
Das kann man natürlich in netter und anständiger Form sagen, wie ich das jetzt tue,
ohne daß man dabei in die so völlig andere Tonart verfällt, die Herrn Professor Schellenberg so sehr eigen ist.
— Entschuldigen Sie, seien Sie doch nicht so sehr von Ihrem eigenen Geist und von Ihren Arbeiten überzeugt, daß Sie glauben, andere Leute könnten nicht auch sehen, könnten nicht auch lesen und könnten nicht auch denken.
— Das ist ja völlig abwegig. Verleiten Sie mich jetzt nicht, verehrter Herr Kollege, dazu, meinem Vorsatz untreu zu werden. Ich müßte sonst zu der Entwicklung Ihres eigenen Entwurfs und zu der, verzeihen Sie, etwas überheblichen Art, mit der Sie die Probleme hier dargestellt haben und es auch mit Ihrem Zwischenruf jetzt schon wieder tun, wirklich einige deutliche Worte sagen; ich möchte das unterlassen.
Wir haben — ich sage das jetzt mit Bezug auf den Zwischenruf des Herrn Schellenberg — bei den Vorbesprechungen dieser Vorlage, von denen Herr Schellenberg heute morgen gemeint hat, wir hätten die Vorbesprechungen nur deshalb geführt, damit wir den Inhalt der Regierungsvorlage kapieren lernten — —
— Ich weiß nicht, ob wir viel schwerer von „Kapee" sind als die Herren da drüben.
Aber eins muß ich im Hinblick auf unsere Verpflichtung hier herausstellen: Man kann es uns nicht zum Vorwurf machen, daß wir uns, nachdem die Regierungsvorlage erschienen ist und wir verantwortungsbewußt an ihre Bearbeitung herangehen wollen, darüber mit der Regierung im einzelnen auseinandersetzen. Wir würden ansonsten unsere Pflicht vernachlässigen. Bei dieser Gelegenheit sind, verehrter Herr Professor, aus dem Kreis unserer Kollegen schon Einwendungen in bezug auf alle Tabellen, die in der Vorlage enthalten sind, erhoben worden. Wir haben dem Bundesarbeitsministerium mit konkretem Material, mit einer erheblichen Zahl von Einzelfällen gedient und ihm gleichzeitig den Rat gegeben, auf Grund dieser Unterlagen die eigenen Erarbeitungen noch einmal zu überprüfen. Diese Überprüfungen sind im Gange, und wir werden uns darüber unterhalten können. Ich möchte das sagen, damit Herr Professor Schellenberg und seine Freunde von der Einbildung geheilt werden, es hätte erst ihres Hinweises in dieser Debatte bedurft, um die Bundesregierung auf diese Dinge hinzuweisen.
Das Prinzip der Zurechnungszeit — auf diese Bemerkung möchte ich mich hier beschränken —, wie es im § 1264 vorgesehen ist, findet im Grunde unsere Billigung. Im einzelnen ist über diese Zeiten, die Anrechnungen und Zurechnungen beinhalten, im Ausschuß zu sprechen, und es mag durchaus sein, daß dabei auch noch diese oder jene Änderung der bisher vorgesehenen Vorschriften herauskommt.
Zum Thema der Hinterbliebenen-, Witwen-, Witwer- und Waisenrente will ich hier im einzelnen nicht sprechen. Das ist wohl Sache des Ausschusses. Ich halte das Thema, was die Sache als solche angeht, nicht für von so grundlegender Bedeutung, daß sie hier in der ersten Lesung angesprochen werden müßte.
Aber eins bin ich nach der Meinungsbildung meiner Freunde verpflichtet, hier auszusprechen: In § 1269 ist eine Regelung der Witwenrente auch für frühere Ehefrauen eines Versicherten vorgesehen. Die Formulierung in der Vorlage mögen Sie sich selber anschauen. Bei meinen Freunden ist grundsätzlich sehr wenig Sympathie vorhanden, eine solche Regelung der Witwenrente für frühere Ehefrauen eines Versicherten in dieser Form vorzusehen. Wir werden darüber selbstverständlich reden müssen.
Aber eine andere Vorschrift findet unsere Sympathie, und zwar die über die Witwen- und Witwerabfindung, die in § 1305 vorgesehen ist und bisher in der Rentenversicherung nicht bekannt war. Wir sind allerdings der Meinung, daß wir das Recht, das hier geschaffen werden soll, an bereits vorhandene Bestimmungen in anderen Gesetzen anpassen sollten. Gemeint ist hier vor allem das Bundesversorgungsgesetz. Wir sollten nicht in dem einen Gesetz eine solche, in dem anderen Gesetz eine andere und schließlich vielleicht morgen oder übermorgen in einem dritten Gesetz wieder eine andere Regelung vorsehen. Wir werden uns also im Ausschuß über die Angleichung dieser Bestimmungen zu unterhalten haben.
Es ist heute morgen von Herrn Kollegen Schellenberg sehr eingehend über die §§ 1276 bis 1279, über die Anpassung der laufenden Renten gesprochen worden. Wir sind hier allerdings grundsätzlich anderer Meinung als die Sozialdemokraten. Wir stehen in diesem Punkte aus sehr gewichtigen Gründen auf dem Boden der Regierungsvorlage. Man mag darüber diskutieren, ob der Bemessungszeitraum etwas verkürzt oder ausgeweitet werden soll. Die Regierung begründet sehr wohl den Standpunkt, die Anpassung solle alle fünf Jahre vorgenommen werden. Wenn sie den Vorschlag des Bundesrats abgelehnt hat, einen Zeitraum von drei Jahren zu akzeptieren, so hat sie dafür über die knappe Bemerkung in der Entgegnung hinaus sicherlich auch noch gewichtige Gründe. Wir werden darüber sprechen. Aber ablehnen werden wir unter allen Umständen die von der SPD geforderte alljährliche Anpassung, die damit angestrebte absolute Automatik, weil wir glauben, eine solche Regelung aus sehr gewichtigen,
auch volkswirtschaftlichen und hier vielleicht auch währungspolitischen Gründen nicht vertreten zu können. Wir bejahen dem Grundsatz nach auch den § 1277.
In § 1278 ist vorgesehen, daß über künftige Anpassungen nicht mehr das Parlament, sondern die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung ides Bundesrats zu befinden hat. Hier handelt es sich sicherlich um eine grundsätzliche Frage; sie muß entschieden werden. Man kann dafür eintreten, daß die Zuständigkeit dafür nach wie vor beim Parlament bleibt, weil bei ihm sowieso jederzeit die Möglichkeiten der Initiative liegen. Man kann aber sehr wohl auch der Meinung sein, es könne der Sache vielleicht nichts schaden, wenn man die jeweilige Anpassung und die damit zusammenhängenden Erfordernisse vom Parkett der parlamentarischen Auseinandersetzungen um der Beruhigung der Atmosphäre willen hinwegbringt und der Regierung überantwortet. Auch das kann sehr wohl einen guten Sinn haben. Wir stehen im Prinzip zu dieser Meinung; aber wir kommen im Ausschuß zwangsläufig auch an diese Diskussion heran.
Nun ist in § 1279 ein Sozialversicherungsbeirat vorgesehen. Der Bundesrat hat beantragt, ihn zu streichen. Die Bundesregierung hat diesem Vorschlag des Bundesrates zugestimmt. Unter meinen politischen Freunden ist mindestens bei einem Teil auch die Auffassung vertreten worden, daß man auf diesen besonderen Sozialversicherungsbeirat — wenn man die Dinge so regeln will — verzichten könne. Es ist aber auch manches Positive darüber gesagt worden, welche Aufgaben ein solcher Beirat erfüllen könnte. Wenn man jedoch auf ihn verzichtet, dann passiert, glaube ich, ' nichts Weltbewegendes; denn der Bundesarbeitsminister oder die Bundesregierung werden keine Verordnung zu diesem Thema erlassen, ohne daß sie sich vorher gründlich mit den in Frage kommenden Beteiligten darüber ausgesprochen haben. Das ist also eine Sache, über die man, glaube ich, nicht allzu viele Worte zu verlieren braucht.
Nur ein paar Worte — damit ich Sie, meine verehrten Damen und Herren, nicht mehr allzulange in Anspruch nehme — zum Thema der Aufbringung der Mittel, wie es in den §§ 1382 bis 1384 behandelt ist.
Zu der Auflage an die Bundesregierung, die in § 1383 vorgesehenen versicherungstechnischen Bilanzen zu erstellen, sagen wir ja. Wenn die Mittel für die Ausgaben durch Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber sowie durch Zuschüsse des Bundes aufgebracht werden sollen, kann im Grundsatz nichts dagegen geltend gemacht werden. Aber zu der Beitragsfestsetzung als solcher, über die hinterher dann an anderer Stelle gesprochen wird — und zwar wird die Höhe der Beiträge auf 14 % des Einkommens bemessen, d. h. also, daß gegenüber den bisherigen Beitragssätzen eine Aufstockung der Beiträge um je 1 % für Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfolgt und 1 % von der Arbeitslosenversicherung auf die Rentenversicherung übertragen wird —, sind meine politischen Freunde der Meinung, daß man bei einem solchen Ausmaß der Leistungssteigerung sehr wohl mit den Beteiligten auch darüber sprechen kann, daß sie für eine so verbesserte Altersversicherung für sich selber und ihre Hinterbliebenen noch 1 % zusätzlichen Beitrag in Kauf nehmen sollten. Das wird vielleicht sogar gerne geschehen.
Wir stehen hierin etwas in Gegensatz zu der Auffassung der SPD, die keine Erhöhung der Beiträge der Sozialpartner möchte, sondern der Auffassung ist, daß die Verbesserung durch einen entsprechend höheren Zuschuß des Bundeshaushalts garantiert werden müsse.
Die Beitragsbemessungsgrenze — hier hat Herr Dr. Schellenberg heute morgen ebenfalls kritische Ausführungen angeknüpft — ist in der für das Jahr 1957 vorgesehenen Form, falls die Regierungsvorlage so angenommen werden sollte, sehr wohl zu vertreten. Sie ist aber variabel und wird, da sie an die Bemessungsgrundlage gebunden wird, ebenfalls durchaus den Veränderungen unterworfen, die jeweils durch den Bundesarbeitsminister festzulegen sind. Herr Schellenberg hat darauf verwiesen, daß in der Vorlage der SPD eine Beitragsbemessungsgrenze von 1000 DM vorgesehen ist. Das wird selbstverständlich Gegenstand der Erörterungen sein.
Vorhin habe ich die im Lager meiner Freunde abweichenden Meinungen zur totalen Versicherungspflicht und zur Versicherungspflichtgrenze dargelegt. Ich möchte noch hinzufügen: auch die Anhänger der Ansicht, eine Versicherungspflichtgrenze beizubehalten, sind durchaus der Meinung, daß man dann selbstverständlich mit der bisherigen Grenze von 750 Mark nicht mehr hinkommt. Wir wollen im Augenblick diese Grenze nicht konkretisieren. Gleichwohl sind wir der Meinung, daß sie sicherlich angemessen erhöht werden müßte.
In § 1390 ist eine Gemeinlast für sämtliche Träger der 'sozialen Rentenversicherung vorgesehen. Ich halte das für einen sehr wesentlichen Punkt. Die Frage muß besprochen werden. Wenn wir die Zuständigkeiten so getrennt nebeneinander aufführen, wie wir das haben möchten, und wenn wir dabei die Tatsache berücksichtigen, daß die Träger Selbstverwaltung haben und wir diese Selbstverwaltung, auch was die Verfügung über Ausgaben und Einnahmen angeht, nicht unnötig schmälern und stören sollten, dann bin ich mir sehr im Zweifel darüber, ob man eine solche über sämtliche Träger der Invalidenversicherung und über die Angestelltenversicherung gezogene Gemeinlast in dieser Form vertreten kann. Ich glaube, wir werden auch wegen der durchaus möglichen Benachteiligung der Angestellten gründlich darüber sprechen müssen. Im übrigen sind wir — das ist heute morgen häufig betont worden — ebenfalls der Auffassung, daß der Grundsatz „gleiche Beiträge, gleiche Leistungen" im Prinzip Beachtung finden muß.
Ein Wort zu § 16 der Übergangsbestimmungen. Zunächst vielleicht eine Bemerkung zu den Übergangsvorschriften überhaupt, zum § 2, der die Anpassung der laufenden Renten an die veränderte Neuordnung bringen soll. Darüber, daß wir die laufenden Renten in die Anpassung, in die sage-nannte Dynamik, in die Lohnbezogenheit einbeziehen müssen, sollte es kaum Streit geben. Die Frage ist natürlich, w i e sie einbezogen werden. Darüber, daß man nicht jede einzelne Versicherungs- und Rentenakte dabei wälzen kann und nicht jeden einzelnen Fall der Millionen Fälle nach der Rentenformel für sich berechnen kann, ist auch nicht zu diskutieren. Das würde ja einen Verwaltungsaufwand und eine Arbeit von mehreren Jahren notwendig machen.
Deshalb muß man schon zu einer einfacheren Formel kommen, und die ist in den Tabellen ent-
halten, die in gewisser Beziehung nach dem Prinzip des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes gefunden worden sind. Aber wir sind der Meinung, daß auch diese Tabellen einer Überprüfung bedürfen. Wir sind darauf aufmerksam gemacht worden und sind auch selber bei unseren Beratungen schon darauf gekommen, daß sich bei der Anwendung dieser Tabellen und bei der Anwendung der Rentenformel für die Neurcntenzugänge nicht unerhebliche Diskrepanzen in den Ergebnissen zwischen laufenden Renten und Neuzugängen an Renten ergeben. Insofern bedarf es hier einer gewissenhaften Überprüfung.
Herr Schellenberg hat kritisiert, daß die Bundesregierung mit ungenügendem Material aufgewartet habe. Ich bin der Auffassung, daß die Bundesregierung in diesen Gesetzentwurf nicht alles an Material einbauen konnte und daß der Herr Bundesarbeitsminister nicht diese Aktenbände von Material auf das Katheder mitschleppen und sagen kann: Hier ist es. Ich bin aber sehr wohl der Meinung, daß uns die Bundesregierung bei den einzelnen Erörterungen im Ausschuß noch mit sehr ausgiebigem zusätzlichem Material dienen wird und auch wird dienen müssen.
Wir werden uns also über die Diskrepanzen, die hierin enthalten sind, noch verständigen müssen, wenn uns die Bundesregierung das Ergebnis ihrer Überprüfungen zugänglich macht.
Lassen Sie mich auch noch einer Sorge Ausdruck geben, die von seiten der Angestellten an uns herangetragen worden ist und in einer gestrigen Abendunterhaltung auch im Kreise der Deutschen Angestelltengewerkschaft geäußert wurde. Bekanntlich sind nach dem geltenden Recht die Steigerungsbeträge in der Invalidenversicherung höher als in der Angestelltenversicherung. Sie betragen in der Angestelltenversicherung 0,7 % und in der Invalidenversicherung 1,2 %. Nun bauen diese Tabellen auf den Steigerungsbeträgen auf, die in den laufenden Renten enthalten sind. Der aus der Tabelle sich ergebende Multiplikationsfaktor ist mit den Steigerungsbeträgen zu vervielfältigen. Da die Steigerungsbeträge in der Angestelltenversicherung erheblich geringer sind, muß dieser Tatsache in den Tabellen der Bundesregierung Rechnung getragen werden.
Hier bedarf es noch einer Nachprüfung, um eine Benachteiligung der Angestellten zu verhindern. Ich gestehe gern, daß ich im Augenblick nicht übersehe, ob diese Verhältnisse in der Tabelle berücksichtigt sind oder nicht. Es mag sein, daß sie berücksichtigt sind. Ich will es aber der Vorsorge halber hier ansprechen.
Wir haben uns für die Beseitigung der Selbstversicherung in dem bisher möglichen Rahmen ausgesprochen. Wir sind infolgedessen aber auch mit der in den Übergangsvorschriften im § 16 vorgesehenen Regelung einverstanden, daß diejenigen ihre Selbstversicherung auch für die Zukunft fortsetzen können, die sie vor dem 1. Januar 1956 abgeschlossen haben.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, einen kurzen Hinweis auf § 20 der Übergangsvorschriften, der lautet:
Die Altersversorgung des deutschen Handwerks wird bis zu ihrer Neuregelung nach
den bisher geltenden Vorschriften durchgeführt; diese bleiben insoweit in Kraft.
Ich glaube, die hier vorgesehene Vorschrift ist eine zwangsläufige Folge dessen, was zur Zeit ist. Wir sollen in der heutigen Tagesordnung noch die vorläufige Neuregelung der Altersversorgung des Deutschen Handwerks beschließen. Wir haben schon früher sehr häufig in diesem und in ähnlichen Zusammenhängen darüber diskutiert und der Meinung Ausdruck gegeben, daß die Altersversorgung des Deutschen Handwerks einer grundlegenden Neuordnung bedarf. Wir sollten deshalb der Regierungsvorlage folgen, weil es nach unserer Meinung nicht möglich ist, jetzt diese Altersversorgung des Handwerks eben als Alterssicherung des Handwerks in dieses System mit zu übernehmen.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit, daß ich noch ein zusätzliches Wort zum Thema der staatlichen Alterssicherung für Selbständigengruppen überhaupt sage. Noch bevor wir mit der eigentlichen konkreten Beratung der heutigen Vorlage begonnen hatten, hatte die Bundesregierung in ihrem federführenden Ministerium einen Referentenentwurf für eine Alterssicherung der Landwirtschaft zur öffentlichen Diskussion gestellt.
Sie hat damit einen Weg beschritten, der auch die Landwirtschaft auf die in der Vorlage vorgesehene Art und Weise in eine staatliche Zwangsversicherung hineinnimmt.
Wenn wir diese Methode für die Selbständigengruppen als solche wählen — beim Handwerk, wo sie uns nicht von uns selber beschert worden ist, können wir es im Augenblick nicht ändern —, dann möchte ich doch gewisse Bedenken anmelden, die in der grundsätzlichen Überlegung verankert sind, daß man auf solche Weise, wenn auch in Varianten, schließlich zu einer allgemeinen Staatsversorgung sämtlicher Berufskategorien und Gruppen, sowohl der Arbeitnehmer als auch der Selbständigen, kommt.
Ich bin der Auffassung, daß man darüber, bevor die Bundesregierung solche Entwürfe herausbringt, eine grundsätzliche Unterhaltung führen müßte. Ich habe selbstverständlich keinen Auftrag, Herr Kollege Arndgen — auch wenn Sie mich dabei böse angucken —,
diese Meinung im Namen der Fraktion zum Ausdruck zu bringen. Aber ich glaube, daß man solche Bedenken von unserer grundsätzlichen Haltung her gesehen, die wir in der Vergangenheit zu den Problemen der Sozialpolitik und ihrer Ordnung gehabt haben, sehr wohl anbringen kann.
Auch wenn unsere Kollegen zu einem Teil, insbesondere der verehrte Kollege und Sozialexperte Arndgen, anderer Meinung sind, darf ich mir erlauben, diese persönliche Auffassung von dieser Stelle aus vorzutragen.
Ich möchte eigentlich mit diesem etwas besorgten Hinweis auf die vor uns liegende mögliche Entwicklung meine Ausführungen schließen. Ich möchte sie aber nicht beenden, meine Damen und Herren, ohne auch meinerseits zu sagen — und das tue ich jetzt wieder im Auftrag meiner Freunde und auch im Namen des Herrn Arndgen —, daß wir, wenn wir diese erste Lesung hinter uns haben und dann an die konkrete Einzelarbeit herangehen, zunächst einmal alle Auseinandersetzungen, die in diesem Raum heute geführt sein mögen, hintanstellen — ich will nicht sagen: vergessen — und daß wir dann von einem neuen Start aus in der wirklichen allseitigen Bereitschaft mit bewußtem Verantwortungsgefühl an idie Beratungen herangehen. Wir sind in einer Reihe von Punkten auf allen Bänken dieses Hauses gar nicht einmal so sehr weit auseinander, daß wir nicht vernünftige Gespräche mit dem Ziel einer möglichen Verständigung führen könnten. An diese gemeinsame Aufgabe möchte ich am Schluß meiner Ausführungen appellieren, und ich habe die Hoffnung, daß dieses gemeinsame Verantwortungsbewußtsein uns im Ausschuß schließlich eine Vorlage erarbeiten läßt, mit der wir dann guten Gewissens zur zweiten Lesung vor dieses Forum des Parlaments werden treten können.