Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich der Abgeordneten Frau Dr. Dr. Lüders die herzlichsten Glückwünsche des Hauses zum gestrigen Geburtstag aussprechen.
Der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen hat mir mit Schreiben vom 25. Juni mitgeteilt, daß er am 23. Juni von der Fraktion der DA zur Fraktion der CDU/CSU übergetreten sei.
Die Fraktion der Demokratischen Arbeitsgemeinschaft hat mir mit Schreiben vom heutigen Tage mitgeteilt, daß sie sich auf Grund der am 23./24. Juni 1956 in Bochum vollzogenen offiziellen Gründung der Freien Volkspartei entschlossen hat, ab sofort die Bezeichnung Bundestagsfraktion der Freien Volkspartei zu führen.
— Ich glaube, es ist nicht die Pflicht des Präsidenten, seherische Fähigkeiten an den Tag zu legen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem
22. Juni 1956 die Kleine Anfrage 253 der Abgeordneten Höcherl, Stücklen, Niederalt, Dr. Dollinger, Wacher und Genossen betreffend Neuerrichtung und Erweiterung von Betrieben für den Bedarf der öffentlichen Hand — Drucksache 2417 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2552 vervielfältigt.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem
23. Juni 1956 die Kleine Anfrage 255 der Fraktion der FDP betreffend Informationen an fremde Möchte — Drucksache 2432 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2551 vervielfältigt.
Vor Eintritt in die Tagesordnung, Herr Kollege Mellies, haben Sie das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages habe ich folgende Erklärung abzugeben.
Am Freitagnachmittag stellte die CDU-Fraktion den Antrag, die Konjunkturdebatte nicht fortzusetzen, sondern wieder in die Haushaltsplanberatungen einzutreten. Der Beschluß mußte zwar zunächst widerrufen werden, weil bei der Beschlußfassung über diesen Antrag übersehen worden war, daß an diesem Tage die noch auf der Tagesordnung stehenden Zollvorlagen unbedingt verabschiedet werden mußten. Dieser Vorgang bewies, wie groß die parlamentarische Führungslosigkeit in der größten Fraktion dieses Hauses in den letzten Wochen geworden ist.
Der Beschluß, die Konjunkturdebatte nicht zu führen, verstieß gegen die Geschäftsordnung des Hauses. Die Bundesregierung hatte es vorgezogen, die
zur Konjunkturpolitik gestellten Anfragen durch eine Regierungserklärung größtenteils vorweg zu beantworten. Dieses Verfahren ist bereits am Freitag gerügt worden. Es ist mit den Regeln der parlamentarischen Demokratie unvereinbar. Wenn zu einem politischen Gegenstand eine oder mehrere Große Anfragen eingebracht sind, ist es — so schreibt es auch die Geschäftsordnung vor — Pflicht und Aufgabe der Regierung, diese Großen Anfragen zu beantworten.
— Man darf, Herr Kollege Kunze, nicht die Verfassungsbestimmung, wonach die Bundesregierung jederzeit gehört werden muß, dazu mißbrauchen, die Antworten vorwegzugeben.
In § 106 der Geschäftsordnung heißt es zur Beantwortung und Beratung von Großen Anfragen:
An die Antwort schließt sich unmittelbar die Beratung an, wenn 30 anwesende Mitglieder sie verlangen.
Der von der CDU-Fraktion gestellte Antrag, diese Aussprache nicht durchzuführen, widersprach also klar und eindeutig den Bestimmungen der Geschäftsordnung. Nach § 127 der Geschäftsordnung sind Abweichungen von der Geschäftsordnung in einzelnen Fällen nur möglich, wenn sie mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden. Diese Zweidrittelmehrheit für den Antrag der CDU-Fraktion war bei der Abstimmung keineswegs vorhanden.
Außerdem aber sollte ein Parlament im Interesse seines Ansehens und seiner Würde Wert darauf legen, daß während einer Debatte nach der Stellungnahme der Minister nicht ein Abbruch der Verhandlungen erfolgt.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wendet sich entschieden gegen die Art und Weise, wie von der größten Fraktion des Hauses versucht wird, unter Mißachtung der Geschäftsordnung ihre parteipolitischen Anliegen in diesem Hause durchzusetzen.
Herr. Abgeordneter Mellies, ich bin in der mißlichen Lage, Ihnen sagen zu müssen, daß diese Situation sehr wohl im Ältestenrat Gegenstand einer Besprechung gewesen ist, und zwar bevor wir so verfahren sind. Der Präsident hat die Auffassung vertreten, daß in der Tat nach § 106 die Beratung mindestens begonnen haben müsse. Im Ältestenrat ist hingegen unwidersprochen festgestellt worden, daß die Beratung mit der Eröffnung durch den Präsidenten, mit seiner Feststellung: „Ich eröffne die Beratung", begonnen habe. Lediglich auf Grund dessen habe ich dann jenen Antrag zugelassen.
Ich persönlich neige im übrigen auch jetzt noch zu der Meinung, daß mindestens e i n Redner in der Beratung hätte sprechen müssen, bevor sie nach § 30 hätte vertagt werden können. Aber auf jeden Fall muß ich doch feststellen, daß seitens des Präsidiums weder eine Fahrlässigkeit noch irgendein Motiv anderer Art vorgelegen hat.
Immerhin schlage ich Ihnen vor, meine Damen und Herren, daß wir mit dieser Frage den Geschäftsordnungsausschuß im Sinne des § 129 der Geschäftsordnung befassen.
Nun hat das Wort der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Mellies, ich muß es Ihnen überlassen, ob Sie es für richtig halten, die Maßnahmen eines amtierenden Präsidenten hier in der Form zu kritisieren, daß Sie ihm einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung unterstellen.
Darüber hinaus — und das ist das Pikante an dieser Angelegenheit —: über die Auslegung des § 30 ist im Ältestenrat eingehend gesprochen worden. Der Herr Präsident ist der Auffassung gewesen, daß die Beratung erst dann eröffnet sei, wenn der erste Redner gesprochen habe. Der Herr Präsident hat sich in dieser Ältestenratssitzung an einen der Herren Vizepräsidenten gewandt, und zwar an einen besonders rechtskundigen, der Ihrer Fraktion angehört, und dieser Herr Vizepräsident hat klar erklärt,
— Herr Professor Schmid hat klar erklärt, daß nach seiner Auffassung die Beratung abgebrochen werden könne, sowie sie eröffnet sei, und daß sie eröffnet sei mit der Feststellung des Präsidenten: sie ist jetzt eröffnet.
Ich habe keine Veranlassung gesehen, und kein Mitglied des Ältestenrats — auch nicht ein Mitglied Ihrer Fraktion — hat Veranlassung gesehen, sich der Rechtsauffassung unseres verehrten Kollegen Schmid nicht anzuschließen.
Wir sind in dieser Frage so verfahren, wie es uns von Herrn Professor Schmid vorgeschlagen worden ist, so verfahren, wie es der gesamte Ältestenrat einmütig als Rechtens anerkannt hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat sich in ihrer Erklärung mit keinem Wort gegen die Geschäftsführung des Präsidenten gewandt.
Es steht kein Wort davon in dieser Erklärung. Wogegen wir uns gewandt haben, ist, daß hier von der
CDU/CSU-Fraktion Anträge gestellt worden sind,
die nicht mit der Geschäftsordnung im Einklang stehen.
Im übrigen: wenn Sie sich darauf berufen, daß unser Kollege Schmid im Ältestenrat eine solche Auffassung vertreten hat, dann sind Sie offenbar des etwas naiven Glaubens, wie man ihn manchmal draußen in der Bevölkerung findet, daß die Stellungnahme eines Juristen schon einem Gerichtsurteil gleichkomme.
Im übrigen steht es nicht dem Ältestenrat zu, die Geschäftsordnung auszulegen oder in Zweifels-
fällen darüber zu befinden, sondern das, was da erforderlich ist, ist in § 129 der Geschäftsordnung ausdrücklich festgelegt worden. Ich glaube, wir sollten im Interesse des Hauses auch an dieser Bestimmung der Geschäftsordnung festhalten.
Meine Damen und Herren! Ich habe nach dieser Erklärung des Herrn Abgeordneten Mellies erst recht nichts dagegen, daß wir mit dieser Frage den Geschäftsordnungsausschuß befassen. Die Frage ist an sich interessant. Ich möchte jedenfalls meinerseits nur festgestellt haben, daß weder im Ältestenrat noch im Präsidium irgendeine Absicht in dieser Sache vorlag.
Im übrigen schlage ich Ihnen vor, daß wir jetzt möglichst schnell zur Sache kommen und die unterbrochene Konjunkturdebatte nunmehr fortsetzen. Bis jetzt fehlen mir dazu allerdings Wortmeldungen.
Zunächst rufe ich also auf den Punkt 1 a der Tagesordnung:
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 22. Juni 1956.
Wir verbinden damit die Punkte 1 b, 1 c und 1 d:
b) Fortsetzung der Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Konjunkturpolitik ;
c) Fortsetzung der Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Konjunkturpolitik ;
d) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Preispolitik .
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte zur Konjunkturpolitik kann nicht gerade in Anspruch nehmen, mit Vorschußlorbeeren gesegnet worden zu sein; denn die Vertagung, die sich am Freitag wegen der termingebundenen Beratung des Haushalts in zweiter Lesung ergab, hat den Eindruck erweckt, daß gerade die größte Regierungspartei, die diese Unterbrechung beantragte, die öffentliche Diskussion dieser Fragen scheue. Ich weiß nicht, ob es eine böse Unterstellung ist, wenn man selbst in der Presse ausführte, die größte Partei in der Bundestagsmehrheit habe offenbar kein anderes Interesse an dieser Frage, als der Debatte auszuweichen.
Ich darf darauf verweisen, daß der Bundesparteitag der CDU in Stuttgart Ende April dieses Jahres ganz konkret und ausführlich die konjunkturpolitischen Fragen beraten und in einer Entschließung wesentliche Dinge niedergelegt hat, die Sie, wenn Sie beides richtig miteinander vergleichen, auch im Programm der Bundesregierung wiederfinden werden. Ich bin allerdings der Meinung, daß die Zusammenarbeit einer Partei, ihrer Fraktion und ihrer Mitglieder im Kabinett durchaus in aller Stille und nicht in der überhitzten Öffentlichkeit stattfinden sollte, in der die Konjunkturfragen in der letzten Zeit diskutiert werden. Ich halte es daher für durchaus richtig und berechtigt, an dieser Stelle deutlich festzustellen, daß sowohl die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag wie die CDU bei ihrem Bundesparteitag wesentliche Gedankengänge, die zur Konjunkturdebatte zu sagen waren, vorbereitet hat und daß diese Gedanken ihren Niederschlag auch in dem Regierungsprogramm gefunden haben.
Meine Damen und Herren, es ist eine merkwürdige Erscheinung, wie bei uns konjunkturpolitische Fragen diskutiert werden. Die konjunkturelle Entwicklung hat uns immerhin — das sollten wir in allen Lagern dieses Hauses und der Öffentlichkeit anerkennen — vor Fragen gestellt, die wir seit nunmehr nahezu 30 Jahren nicht mehr in aller Freiheit diskutiert haben. Eine Situation, in der Vollbeschäftigung in einem Zeitpunkt der Hochkonjunktur eintritt, haben wir seit der Jahreswende 1928/29 in einer freien Wirtschaftsordnung nicht mehr gehabt. Wir haben an vielen Stellen — das ist kein Vorwurf, sondern die Feststellung einer Folge der politischen Entwicklung bei uns — mit der internationalen Diskussion über Konjunkturprobleme unter derartigen Verhältnissen den Kontakt verloren.
Wir haben die bitteren Erfahrungen einer gelenkten Wirtschaft hinter uns, die dann in die Kriegswirtschaft überging, die bitteren Erfahrungen einer Nachkriegswirtschaft, die unter Besatzungsrecht stand, und wir haben dann die Jahre des raschen Wiederaufbaues unter der befreienden Marktwirtschaft erlebt. Nunmehr wundern wir uns alle, daß wir plötzlich an einem Punkt Anschluß an die internationale Diskussion gefunden haben, den wir normalerweise so schnell noch gar nicht hätten erwarten können. Es ist daher nur natürlich, daß die Meinungen erheblich auseinandergehen und daß sowohl die Rezepte, die von jeder Seite gegeben werden, als auch die Kritik, die von anderen daran geäußert wird, sich in einer etwas, ich möchte fast sagen: irrealen Übersteigerung begegnen.
Meine Damen und Herren, wir hatten die letzte Erörterung der Konjunkturpolitik in der Berliner Sitzung des Bundestages. Ich habe damals — und ich glaube, daß dieser Gedanke auch von der Opposition in gewisser Weise anerkannt wurde — die sehr kritische Frage gestellt, welche Möglichkeiten ein Parlament, das nicht den wissenschaftlichen Apparat zur Verfügung hat, um Konjunkturbeobachtung zu treiben, hat, wirklich sehr rasche und kurzfristige Entscheidungen zur Konjunkturpolitik zu treffen. Gewissermaßen ist es doch Aufgabe des Parlaments, ein Instrumentarium gesetzgeberischer Vollmachten bereitzuhalten, damit die Exekutive zu gegebener Zeit davon Gebrauch machen kann. Denn das ist vom Kollegen Scheel richtig gesagt worden: bei bestimmten Erscheinungen der konjunkturellen Entwicklung kommt es darauf an, daß auch rasch gehandelt wird. Nun, ich möchte sagen, es kommt nicht nur darauf an, daß rasch gehandelt wird, sondern auch darauf, daß klug gehandelt wird, und dazu ist ein bestimmter Fundus an wissenschaftlichen Beobachtungen gerade auf diesem Gebiete notwendig. Ich werde später wohl noch einmal auf diese Frage zurückkommen, möchte aber jetzt schon sagen, daß mir gerade im Vergleich etwa mit dem amerikanischen Kongreß hier eine erhebliche Schlechterstellung des Deutschen Bundestages vorzuliegen scheint. Denn der Deutsche Bundestag hat nicht ein Gremium wissenschaftlicher Sachbearbeiter zur Vorbereitung konjunkturpolitischer Maßnahmen zur Verfügung, wie es in dem wissenschaftlichen Referentenstab, der dem amerikanischen Kongreß beigeordnet ist, diesem zur Verfügung steht; eine
Frage, über die wir uns einmal sehr ausführlich unterhalten müssen und über die wir uns wahrscheinlich auch weitgehend verständigen können.
Nun, meine Damen und Herren, weshalb mache ich diese Ausführungen? Deshalb, weil das Merkwürdige der konjunkturpolitischen Debatte außerhalb dieses Hauses, im Lande draußen, seit Monaten ist, daß es keine einheitliche Urteilsbildung mehr gibt. Auch die wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die sich der Konjunkturpolitik und der Konjunkturforschung widmen, haben erstmalig seit einigen Jahren kein gemeinschaftliches, übereinstimmendes Gutachten vorgelegt, sondern haben abweichende Gutachten veröffentlicht; ein Zeichen dafür, daß es in der wissenschaftlichen Diskussion selbst nicht zu einwandfreien einheitlichen Beurteilungen kommt. Wenn das bereits außerhalb des politischen Bereiches bei der rein wissenschaftlichen Interpretation der Fall ist, dann sind, glaube ich, diejenigen nicht zu tadeln, die, an verantwortlicher Stelle stehend, der Konjunkturpolitik unmittelbar verhaftet sind und die hier nun auch verschiedene Auffassungen haben.
Ich hoffe aber, daß — darüber wird später noch zu reden sein — auch der Antrag der SPD*), der auf eine Verfeinerung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung mit der Erstellung des Nationalbudgets hinausläuft, Veranlassung gibt, Lücken in der konjunkturwissenschaftlichen Beobachtung, in der Sammlung und Auswertung der Fakten zu schließen und damit zu einer weiteren Verbreiterung der wissenschaftlichen Grundlagen für die zu treffenden politischen Entscheidungen beizutragen.
Ich glaube, daß eines in der Diskussion der letzten Monate deutlich geworden ist: das ist die Problematik der Eingrenzung der Vollmachten der Bundesregierung und des Bundestages hinsichtlich der zentralen Steuerung der Konjunktur. Hier ist ein Problem angesprochen, das in der Regierungserklärung ausdrücklich mit einem Bedauern der Bundesregierung versehen worden ist: daß an wichtigen Stellen, an denen sich konjunkturpolitisch bedeutsame Vorgänge abspielen, ein Eingreifen weder von Bundesregierung als Exekutive noch von Bundestag und Bundesrat als Gesetzgebern ohne Schwierigkeiten möglich wäre.
Ich erwähne hier, ohne vollständig sein zu wollen, nur das Problem: Verhältnis des Bundes zu den Ländern und Gemeinden. Die Steuerung der öffentlichen Mittel in den Investitionen, in vermögenswirksamen Ausgaben und in der Anlagepolitik, die mit diesen Geldern getrieben wird, ist von seiten des Bundes praktisch nur gegenüber Mitteln des Bundes möglich. Sie ist bisher gegenüber den anderen Instanzen der öffentlichen Hand nicht ohne weiteres durchsetzbar.
Eine weitere Frage ist das Thema: Verhältnis von Bundesregierung - und natürlich Bundestag — zur Bundesnotenbank, zur Bank deutscher Länder. Ich glaube, niemand in diesem Hause wird bestreiten, daß eine bessere Koordinierung und Abstimmung der zu ergreifenden Maßnahmen rechtzeitig stattfinden sollte, damit nicht immer erst in letzter Minute oder vielleicht erst nachher über eine mögliche Koordination gesprochen wird.
*) Siehe Anlage 2.
Ich darf hier, wenn dieses Bedauern ausgesprochen wird, einmal ganz klar und deutlich sagen, daß gerade bei meinen politischen Freunden aber auch niemand daran denkt, die Unabhängigkeit der Bundesnotenbank irgendwie anzutasten.
Ich darf daran errinnern, daß bei der ersten Lesung der Entwürfe für das Bundesnotenbankgesetz in diesem Hause — das Gesetz ist zum großen Bedauern von uns allen bisher nicht zustande gekommen— gerade von den Sprechern meiner Partei die Notwendigkeit einer unabhängigen Bundesnotenbank sehr deutlich unterstrichen worden ist. Dagegen ist, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, von einem Sprecher der SPD die Frage gestellt worden, ob nicht der Bundesregierung eine Einwirkungsmöglichkeit gegenüber der Bundesnotenbank dergestalt eingeräumt werden müßte, daß über eine Abberufbarkeit von leitenden Männern des Zentralbanksystems durch die Bundesregierung zumindest zu diskutieren sei.
Wir sind also, glaube ich, durchaus berechtigt, auf unser Bekenntnis und unser Eintreten für die Unabhängigkeit der Bundesnotenbank hinzuweisen. Aber, meine Damen und Herren, Unabhängigkeit heißt noch lange nicht Unfehlbarkeit.
Auch die Maßnahmen der Bank deutscher Länder — sie selbst hat diesen Standpunkt immer vertreten — stellen sich der öffentlichen Diskussion und unterliegen der kritischen Stellungnahme und Begutachtung, auch durch das Parlament. Wir können an der Aufgabe, alle Bereiche, die wirtschaftswichtige Entscheidungen treffen, hier einer kritischen Gesamtschau zu unterziehen, einfach nicht vorbeigehen und können nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: was die Bank deutscher Länder tut, ist gut getan! Das ist auch mit den Forderungen, die in der letzten Aussprache hier erwähnt worden sind, nicht gemeint gewesen. Die Sachkritik, die in den letzten Tagen und Wochen immer wieder eine Rolle gespielt hat, ist auch gegenüber Maßnahmen der Bank deutscher Länder durchaus notwendig; denn nur durch eine kritische Prüfung von Argument und Gegenargument werden wir dort, wo es notwendig ist, das Verständnis für die Maßnahmen der BdL wirklich wecken.
— Jawohl, Sachkritik! Ich komme nachher noch darauf zu sprechen.
Ein weiteres Problem, das ebenfalls die Begrenztheit der Möglichkeiten von Bundestag und Bundesregierung zeigt, ist die weitgehende Autonomie der Tarifpartner in dem entscheidenden Sektor der Lohnhöhe, der Arbeitszeit und der sonstigen Arbeitsbedingungen. Ich will hier noch nicht im einzelnen darauf eingehen. Aber wenn man zu dem Grundsatz der Tarifhoheit der Sozialpartner steht - wir haben bisher keine Veranlassung, außer Empfehlungen, allerdings sehr dringlichen Empfehlungen, hier irgend etwas anderes zur Diskussion zu stellen —, dann muß man sich allerdings auch darüber klar sein, daß man nicht die Bundesregierung für Dinge und Entwicklungen tadeln darf, die in einem Bereich eingeleitet werden, wo sie nicht die Zuständigkeit zum Eingreifen hat.
Wenn aus dem Sektor des Lohnes und sonstiger Vorgänge, die damit unmittelbar zusammenhängen, Gefahren für die Stabilität von Preis und Kaufkraft eintreten, dann muß das auch an dieser Stelle offen gesagt werden, und man darf nicht primär die Bundesregierung tadeln, denn es ist Ihrer aller Anliegen, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet die Tarifhoheit der Sozialpartner zu achten habe.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt einige Bemerkungen zur wirtschaftlichen Lage machen. Wir reden seit Wochen über eine überhitzte Konjunktur, wobei ich sagen möchte: eine angeblich überall überhitzte Konjunktur. Ich habe das Gefühl, daß die Vertrautheit mit der tatsächlichen Entwicklung in den einzelnen Bereichen und Branchen in den letzten Wochen darüber etwas zu kurz gekommen ist. Wir tun so, als wenn das Problem noch das gleiche wäre wie vor einem Jahr. Es hat aber eine wesentliche Verschiebung stattgefunden. Die Hochkonjunktur des vergangenen Sommers war eine Investitionskonjunktur. Die Investitionstätigkeit war in allen Bereichen der Entwicklung der Verbrauchsgüterindustrien und der Entwicklung des allgemeinen Massenabsatzes erheblich vorausgegangen. Dann kam eine ganz namhafte Lohnbewegung, deren letzte Ausläufer erst im Jahre 1956 mit der Lohnerhöhung im Bergbau zu verzeichnen waren. Was ich schon damals bei der Berliner Debatte sagte, daß unsere Überlegungen nicht so sehr an dem Problem eines überhitzten Investitionsvolumens sich orientieren sollten, sondern daß wir uns mit der Frage beschäftigen müßten, wie wir eine ganz stark und schnell steigende Massenkaufkraft auf der güterwirtschaftlichen Seite bedienen könnten, dieses Problem ist in den letzten Monaten in aller Deutlichkeit laut geworden.
Ich darf Sie daran erinnern, daß beispielsweise die Entwicklung der Auftragseingänge in der Industrie in den ersten Monaten des Jahres 1956 mengenmäßig hinter der Umsatzentwicklung zurückgeblieben ist — für die gesamte Industrie gesprochen—, daß sie aber in der Verbrauchsgüterindustrie über die Umsatzentwicklung hinausgegangen ist. Nach dem letzten Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums über die Auftragsbewegung ist der kräftigste Auftragseingang im April — das ist der letzte Monat, für den die Zahlen vorliegen — im Bereich der Verbrauchsgüterindustrie, und zwar bei Hausrat, Möbeln und Bekleidung, festzustellen, während er in der Investitionsgüterindustrie nicht unerheblich hinter dieser Entwicklung zurückbleibt.
Ich glaube also, sagen zu können: im ganzen gesehen ist eine bestimmte Beruhigung gegenüber dem Vorjahr eingetreten. Wir können feststellen, daß bei der Investitionsgüterindustrie die Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr — die ersten vier Monate des Jahres gerechnet - 18 % beträgt, während der Auftragseingang nur noch um 7 % über dem des. Vorjahres liegt, bei den Grundstoff- und Produktionsgüterindustrien der Umsatz um 10 % über dem des Vorjahres, der Auftragseingang nur um 6 % über dem des Vorjahres, umgekehrt bei der Verbrauchsgüterindustrie der Auftragseingang 11 % über dem des Vorjahres, der Umsatz 8 % über dem des Vorjahres. Wie es bei einigen Stellen in der Wissenschaft bereits gekennzeichnet wird: die Investitionswelle des vergangenen Sommers ist - im Gefolge der Einkommensanhebungen, die stattgefunden haben — abgelöst worden von einer recht starken Verbrauchswelle, und in den letzten Wochen hat es den Anschein, als ob die Verbrauchswelle die Investitionswelle eingeholt, vielleicht sogar überholt habe.
Ich darf hier gleich sagen, daß der Auftragseingang nicht eine wirklich exakte Aussage macht. Denn die Auftragseingänge liegen meistens, gerade in der Verbrauchsgüterindustrie, erheblich über den Abrufen. Abrufe der Aufträge aber sind ja doch Vorgänge, die einmal von der Nachfrage im Verteilersektor her bestimmt und zum andern auch durch zusätzliche Einfuhren mit beeinflußt werden. Denn wenn die gleiche Nachfrage vorhanden ist, kann sie sowohl durch stärkere Einfuhren wie durch Abrufe industrieller Erzeugnisse bedient werden.
Aber die Tatsache, daß noch dieses Auseinandergehen von Abrufen und Auftragseingängen gerade im Verbrauchsgütersektor vorhanden ist, scheint mir doch zu bestätigen, daß von einem ernsthaften Auseinanderklaffen der Nachfrage einerseits und der Güterdarbietung andererseits noch nicht die Rede sein kann. Das zeigen auch die Lieferfristen. Denn gerade im verbrauchsnahen Sektor ist die Lieferfrist bisher nur dort ein Problem gewesen, wo rascher Wechsel im Konsumentengeschmack stattfindet und plötzliche Umdispositionen auf gewisse Artikel notwendig sind, nicht aber dort, wo es sich um eine gleichbleibende Belieferung der Verbraucher mit gleichbleibenden Qualitäten und gleicher Geschmacksrichtung handelt.
Auch das Preisniveau im Verteilersektor scheint mir zu bestätigen, daß hier nicht generalisierend von einer Überhitzung die Rede sein kann. Der Wettbewerb in diesem Sektor, aber auch das wesentlich vergrößerte Angebot bestimmter Sektoren der Verbrauchsgüterindustrie haben zu einer Stabilisierung des Preisniveaus in den Verteilerkreisen beigetragen. Die Investitionskonjunktur des letzten Sommers ist — das habe ich auch in Berlin gesagt — sehr schnell zum Zuge gekommen, indem sie die Kapazitäten wesentlich vergrößert hat, die heute mit einem vergrößerten Warenangebot die vergrößerte Nachfrage einigermaßen ausgleichend bedienen können. Im ganzen glaube ich also, sagen zu können, daß an dieser Stelle keine ernsthaften Gefahren auftreten.
Eine andere Frage aber ist, ob nicht bestimmte Gefahren dort vorhanden sind, wo echte Engpässe bestehen. Dabei denke ich im Sektor der Gütererzeugung von allem an die Kohle. Die Kohlenversorgung bleibt das schwierigste Güterversorgungsproblem der deutschen Volkswirtschaft, weil die Produktivitätssteigerung im Kohlenbergbau mit der allgemeinen wirtschaftlichen Produktivitätssteigerung aus vielerlei Gründen einfach nicht Schritt halten konnte.
Die wirtschaftliche Expansion, die wir im Jahre 1955 und im ersten halben Jahr 1956 wieder so kräftig sehen, hat die Lücke zwischen Kohlendarbietung aus Inlandserzeugung und Kohlennachfrage der Verbraucher, insbesondere der verarbeitenden Industrie, nur gößer werden lassen. Wenn die eigene deutsche Erzeugung aus vielen Gründen nicht in dem gleichen Tempo mithalten kann, bleibt nichts anderes übrig, als zusätzliche Kohle aus dem Ausland einzuführen. Wir werden
wahrscheinlich in diesem Jahre 4 Millionen t amerikanischer Kohle über das Volumen des letzten Jahres hinaus einführen müssen.. Da die Auslandskohle immerhin mit ganz erheblichen Beträgen teurer auf den Inlandsmarkt gelangt — 30 Mark pro Tonne, wollen wir einmal sagen —, ist von vorherein festzustellen, daß sich die Brennstoffversorgung der gesamten deutschen Wirtschaft im Schnitt verteuern wird, auch wenn der deutsche Kohlenpreis stabil bleiben sollte. Hier ist also ein echtes Problem. Ich glaube, es wäre verkehrt, hier aus der Kostenverteuerung im Kohlensektor etwa Schlußfolgerungen zu ziehen, daß derartige Dinge eine schleichende Verschlechterung der Kaufkraft der deutschen Währung darstellen, wie es gelegentlich in der Diskussion geschieht.
Ich darf hier auch erwähnen, daß wir mit größter Sorge eben wegen dieses Engpaßcharakters bei der Kohle die weitere Entwicklung der Diskussion um Lohn und Arbeitszeit im Bergbau beobachten. Wir müssen uns alle auch dort, wo wir 100%ig für die Verwirklichung der Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich eintreten, über die Konsequenz klar sein, daß in der momentanen wirtschaftlichen Situation die Arbeitszeitverkürzung im Bergbau, wie sie im Augenblick verlangt wird, nicht anders ausgeglichen werden kann als durch eine abermalige Vermehrung der Einfuhr ausländischer Kohle mit allen Konsequenzen für das Kostenniveau der Kohlenversorgung der deutschen Wirtschaft.
Das muß sine ira et studio gesagt werden. Man muß diese Frage bei der Prüfung des Arbeitszeitproblems in der deutschen Volkswirtschaft doch sehen.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zu der allgemeinen konjunkturpolitischen Betrachtung sagen. Ich glaube, die heftige Diskussion, die in vielen Bereichen eintritt und die man damit kennzeichnen könnte, daß jeder sich beeilt, zu versichern: „Überhitzung — betrifft mir nicht", ist nur darauf zurückzuführen, daß wir zu sehr mit Generalisierungen arbeiten und daß unsere Beobachtung der Konjunktur sowohl — ich darf das hier mit aller Deutlichkeit sagen — in der Berichterstattung des Bundeswirtschaftsministeriums wie der der Bank deutscher Länder nicht genügend den großen regionalen Unterschieden in der deutschen wirtschaftlichen Entwicklung gerecht wird. Die Gefahr ist tatsächlich gegeben, meine Damen und Herren, daß wir — und der Einsatz des geld- und kreditpolitischen Instrumentariums verlangt es in gewisser Weise — von den Brennpunkten der Konjunktur aus, von dort, wo die Überhitzungserscheinungen absolut nicht bestritten werden sollen, wo etwa private und öffentliche Investitionstätigkeit konjunkturverschärfend zusammenkommen, generelle Schlußfolgerungen ziehen und daß die wesentlich anders liegenden Fragen in den Notstandsgebieten, in den Zonengrenzgebieten und in den revierfernen Bezirken — ich brauche die Länder nicht im einzelnen zu nennen — darunter verborgen bleiben, nicht deutlich werden. Wer sich über die weite Streuung des konjunkturellen Geschehens bei uns ein Bild machen will, dem empfehle ich immer wieder, den Konjunkturbericht für Berlin im Vergleich zu dem allgemeinen Konjunkturbericht in den Monatsberichten des Bundeswirtschaftsministeriums zu studieren.
Hier sind also Lücken. Die regionale Wirtschaftsbeobachtung hat bei uns im Augenblick nicht den Stand, bei dem wirklich einwandfrei ein Vergleich zwischen der Beteiligung der einzelnen Länder angestellt werden kann. Das ist betrüblich. Aber ich glaube, man sollte, wenn man sich um eine Verbesserung des wirtschaftswissenschaftlichen Instrumentariums im Verwaltungsbereich bemüht, doch auch einmal die Forderung an die Länder richten und das Begehren aussprechen, ihrerseits für eine Vereinheitlichung der Wirtschaftsbeobachtung, der Indexberechnungen, der Investitionsbeobachtungen usw. auf der Landesebene Sorge zu tragen, damit die Dinge tatsächlich miteinander verglichen werden können. Es ist mir beispielsweise nicht möglich gewesen, bei den Beratungen und Untersuchungen, die mit der jetzigen Diskussion zusammenhängen, wirklich einwandfreie statistische Unterlagen für alle deutschen Länder zu erhalten. Die Dinge sind nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar. Ich glaube, ebenso wie wir von der allgemeinen Konjunkturdebatte verlangen, daß sie nicht nur Generalisierungen bringt, sollten wir auch verlangen — und die Länder sollten das in ihrem eigenen Interesse aufgreifen -, daß die Länder in ihrem Bereich zu einer Vereinheitlichung und Intensivierung der Wirtschaftsbeobachtung kommen.
Besonders auffällig sind auch die branchenmäßigen Unterschiede. Selbst die gestiegene Verbrauchernachfrage kam beispielsweise längst nicht allen Verbrauchsgüterindustrien zugute. Ich sprach von der Verbrauchswelle, die die letzten Wochen kennzeichnet. Trotzdem bleiben die Textilindustrie, also immerhin eine der stärksten verbrauchsnahen Branchen, die keramische Industrie und die Glas- und Ledererzeugung unter dem Durchschnitt der wirtschaftlichen Entwicklung. Am stärksten über dem Vorjahr liegen, noch auf Grund des Investitionsstoßes, aber auch wegen ihrer engen Verbundenheit mit der gestiegenen Massenkaufkraft, solche interessanten Wirtschaftszweige wie der Maschinenbau für die Bauwirtschaft, der heute einen Produktionsindex hat, der um 33,6 % über dem Vorjahr liegt, und der Bau von Personenkraftwagen, der um 26,8 % über dem Vorjahr liegt.
Hier wird auch folgendes deutlich. Die sehr starke Streuung der Produktionsentwicklung in den einzelnen Bereichen zeigt, daß offenbar ein Generalurteil über ein überhöhtes Maß der Investitionen nicht ohne weiteres gefällt werden kann. Was steckt denn beispielsweise im Index der Investionsgüterindustrie alles drin? Da steckt ja auch die elektrotechnische Industrie mit Fernsehgeräten, Rundfunkapparaten und ähnlichen Dingen drin, die heute doch wesentlich als Gegenstände des Verbrauchs angesehen werden müssen. Es steckt in diesem Index ebenso die Kraftfahrzeugindustrie drin. Wir alle wissen, daß Motorräder und Personenkraftwagen weit weniger Investitionsmittel sind. Der erhöhte Absatz dieser Güter ist vielmehr ein Zeichen für steigende Lebenshaltung und wachsende Kaufkraft der Verbraucher.
Hier ist also die kleine Anregung an die statistischen Stellen einschließlich des Wirtschaftsministeriums zu geben, eine Bereinigung dieser Dinge anzustreben. Es sollte das ausgeklammert werden, was echte Investitionsgüterindustrie ist.
Ein Wort noch zu dem Investitionsvolumen ins-ges amt! Es war in den letzten Jahren sehr leicht zu sagen: es wird viel zuviel investiert, weil hinter dem begriff „Investition" meist die landläufige Vorstellung steht: Investition ist Vermogensbildung zugunsten derjenigen, die investieren konnen. Die Parallele zwischen Investitionen und Verschuldung ist aber gerade im letzten J ahr sehr deutlich geworden.
Ich darf hier auch noch eine andere Ungenauigkeit unserer globalen Feststellung des Investitionsindexes erwahnen. Im allgemeinen volkswirtschaftlichen Investitionsbegriff stecken der Wohnungsbau ebenso wie die öffentlichen Investitionen drin. Wir wissen, daß im Wohnungsbau und in allen Sparten des öffentlichen Baues ein dringender Nachholbedarf vorhanden ist, der in der deutschen Volkswirtschaft viel größer ist als in anderen Ländern, weil das Ausmaß der Kriegszerstörungen und der Belastungen durch Flüchtlinge und Vertriebene bei uns wesentlich größer ist als in irgendeinem anderen Lande.
Wenn das aber bejaht wird — ich glaube, niemand wird das bestreiten —, dann soll man uns nicht vorhalten, daß die Investitionstätigkeit in der Bundesrepublik, bezogen auf das Volkseinkommen, ungebührlich groß sei, daß sie insbesondere im Vergleich zu anderen Ländern ungebührlich groß sei,
sondern dann muß man auseinanderklammern, was industrielle Investition, d. h. Investition der privaten Wirtschaft, und was öffentliche Investition einschließlich Wohnungsbau zur Bedienung des Nachholbedarfs ist. Erst dann würden wir zu einem bereinigten Investitionsanzeiger kommen, der uns den internationalen Vergleich einmal gestatten würde. Einstweilen glaube ich diesem Vergleich nicht, weil er diese Sonderbelastung der deutschen Investitionsverpflichtung, möchte ich beinahe sagen, nicht genügend berücksichtigt.
Nun, meine Damen und Herren, zur Überhitzung! Wo ist Überhitzung, und wie wollen wir sie feststellen? Ich glaube, wir können von einzelnen Preisbewegungen ausgehen. Als stärksten Preisausschlag haben wir natürlich die sehr starke Bewegung der Baukosten gehabt; aber auch bei der Bautätigkeit darf ich noch einmal vermerken: bitte, keine generalisierende Feststellung! Wir haben in Deutschland Bezirke, wo zur Zeit die Kapazitäten der Bauwirtschaft nicht voll ausgelastet sind. Nach einem Bericht des Bundesverkehrsministeriums ist die Straßenbaukapazität zur Hälfte ausgelastet. In anderen Bezirken, etwa in Nordhessen und in Rheinland-Pfalz, haben wir bei öffentlichen Submissionen eine rückläufige Preisbewegung, soweit es sich um die Bauwirtschaft im allgemeinen handelt. Wir wissen genau, wo der Schuh in der Baukonjunktur drückt: an den Brennpunkten der Bautätigkeit, wo eben im industriellen Kernbereich ein großes Maß privater und öffentlicher Investitionen zusammenkommt.
Man kann da nun nicht so reagieren — ich bin mir auch darüber klar —, daß die Gebiete, wo diese Baukonjunktur nicht in gleichem Maße herrscht, sich dagegen wehren, daß nun Maßnahmen zur Drosselung der Bautätigkeit getroffen werden, die vielleicht alle treffen könnten. Denn die Übersteigerung gerade der Nachfrage nach Bauarbeitern in solchen Brennpunkten der Bautätigkeit schlägt auf die Bezirke mit nicht ausgelasteter Baukapazität zurück. Dort wird ja dann die Arbeitskraft abgeworben, dort wird ja die Werbung angesetzt, die die Arbeitskräfte in die Brennpunkte des industriellen Geschehens, der öffentlichen Investitionen noch abzieht.
Was ist aber in der Bauwirtschaft seit einem Jahr geschehen? Sie erinnern sich vielleicht, daß wir in Berlin übereinstimmend einen dringenden Appell an die öffentlichen Auftraggeber gerichtet haben, ihre Auftragsgestaltung etwas anpassungsfähiger zu machen, die Bautätigkeit nicht in wenigen Sommermonaten zusammenzudrängen, sondern so früh wie möglich nach der Beendigung des Frostes zu bauen zu beginnen und bis in den Winter hinein zu bauen, bis wirklich der Frost die Stillegung der Baustelle erzwingt. Wir dürfen mit Dank vermerken — ich glaube, es schließt sich niemand dabei aus —, daß im Zusammenwirken zwischen privaten und öffentlichen Bauauftraggebern und der Bauwirtschaft eine weitgehende Auseinanderziehung des Auftragsvolumens möglich gewesen ist.
Der Ansicht der Bank deutscher Länder, die das schlagartige Einsetzen der Baukonjunktur im März/April als ein Zeichen eines erneuten Booms kennzeichnet, kann ich nicht folgen; denn wir erblicken in dem Einsetzen der Baukonjunktur im März/April gerade eine Bestätigung unserer Bemühungen, das Bauvolumen auf einen möglichst großen Zeitraum im Jahr zu verteilen, also möglichst früh im Jahr zu beginnen.
Aber ein Punkt sollte hier bei den weiteren Bemühungen erwähnt werden. Immer wieder hören wir die Klage, daß Versuchungen der Bauunternehmer, sich konjunkturwidrig zu verhalten, wesentlich durch allzu kurze Terminsetzungen bei der Erlangung der Bauaufträge veranlaßt werden. Jeder Auftraggeber will seinen Auftrag so schnell wie möglich erfüllt haben. Das Ergebnis ist, daß die Bauunternehmer sich zur Zahlung sehr hoher Konventionalstrafen verpflichten müssen, wenn sie einen derartigen Termin nicht einhalten können.
Wenn ein Bauunternehmer etwa aus irgendwelchen Umständen, die nicht von ihm und seinem Betrieb zu verantworten sind, nicht in der Lage ist, den Termin einzuhalten, und wenn er Tausende von Mark als Konventionalstrafe für jeden einzelnen Verzugstag zu zahlen hat, dann ist er allerdings bereit, durch Sonderprämien, durch unsaubere Abwerbungsmaßnahmen und ähnliche Dinge mehr unter allen Umständen seinen Termin einzuhalten, weil ihn das im ganzen billiger zu stehen kommt, als wenn er eine hohe Konventionalstrafe zahlen muß.
Ich möchte also an alle diejenigen Auftraggeber, wo die Fertigstellung des Baus nicht unbedingt mit der Wirtschaftlichkeitsrechnung für die Produktion des Betriebs verbunden ist, den dringenden Appell richten, mit der Übersteigerung von Terminsetzungen und von Konventionalstrafen Schluß zu machen.
Dort würde dann ein wesentliches Element der Beruhigung eintreten.
Meine Damen und Herren, wir haben uns nun sehr überlegt, was im Bausektor wohl noch getan werden kann, um zu einem größeren Ausgleich und einer größeren Verteilung der zur Verfügung ste-
henden Kapazitäten zu gelangen. Ich darf mich hier auf folgende kurze Bemerkungen beschränken. Jede Bautätigkeit, die im Augenblick stattfindet, muß von der Notwendigkeit bestimmt sein, daß mit der noch steigenden Entwicklung der Einkommen die Herstellung entsprechender Produktionskapazitäten Schritt hält. Die große Gefahr aber ist im Augenblick die — ich glaube, wir müssen hier in aller Offenheit darüber sprechen —, daß durch die Situation auf dem Geld- und Kapitalmarkt und durch die Situation der öffentlichen Kassen die Bautätigkeit im Sektor öffentlicher Aufträge, bei den öffentlichen Investitionen stärker und besser vonstatten geht als die entsprechende Bautätigkeit dort, wo zusätzliche wirtschaftliche Kapazitäten geschaffen werden müssen.
Es gibt den Vergleich der beiden Sektoren: öffentliche Aufträge, öffentliche Investitionen und private Investitionen, sagen wir, wirtschaftliche Investitionen, hinsichtlich ihrer Wirkung auf Einkommensbildung einerseits und Güterdeckung andererseits. Die öffentlichen Investitionen tragen im allgemeinen zunächst stärker zur Einkommensbildung bei, weil sie in Form von Löhnen fließen. Die Wirtschaftsinvestitionen tragen sowohl zur Einkommensentwicklung wie zur Erstellung von güterwirtschaftlich wirksamen Kapazitäten bei. Die güterwirtschaftliche Wirksamkeit öffentlicher Investitionen liegt längst nicht bei allen öffentlichen Bauvorhaben auf der Hand. Sie ist dort, wo die öffentliche Hand Unternehmungen betreibt, in der Energiewirtschaft, selbstverständlich bei der Bundesbahn und ähnlichen Unternehmungen, auch gegeben. Aber es ist sine ira et studio doch wohl zu sagen, daß im Sektor öffentlicher Investitionen der Einkommenseffekt im großen und ganzen zunächst stärker ist als der Produktionseffekt. Das bedeutet natürlich, daß, wenn eine stärkere Verlagerung zu öffentlichen Investitionen, zu öffentlicher Bautätigkeit stattfindet, zwar Einkommen in diesem Sektor entstehen, aber nicht in gleicher Zügigkeit die Produktionskapazitäten dazu mit entwickelt werden.
Man hat sehr angezweifelt, ob es berechtigt ist, diese Entwicklung der öffentlichen Bautätigkeit, der öffentlichen Investitionen in dieser Weise mit den privatwirtschaftlichen Investitionen zu vergleichen. Ich darf hier einmal daran erinnern, daß es ein Grundgebot einer auf lange Sicht arbeitenden und disponierenden aktiven Konjunkturpolitik ist, die öffentlichen Investitionen nicht parallel zu den Wirtschaftsinvestitionen laufen zu lassen, sondern antizyklisch, d. h. mit ihnen die Täler und die Höhen des konjunkturellen Geschehens nach Möglichkeit auszugleichen und aufzufangen. Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren genau das Gegenteil beobachten müssen. Im Vorjahr ist bei den Gemeinden allein die Bautätigkeit um 27 % höher gewesen als in dem vorhergehenden Jahr, und die Schätzungen des Bundesfinanzministeriums über die Bautätigkeit, die vermögenswirksamen Ausgaben und Investitionen aller Gebietskörperschaften sind wesentlich überschritten worden. Das Bundesfinanzministerium hatte eine Steigerung der Bautätigkeit und der sonstigen vermögenswirksamen Ausgaben aller öffentlichen Körperschaften um nur 5,6 % erwartet. Tatsächlich aber ist die Bautätigkeit, die Investitionstätigkeit im Jahre 1954/55, für das die abschließenden Zahlen vorliegen, um 12 % höher gewesen.
— Ich werde auf die Frage noch eingehen.
Wir müssen hier einmal deutlich machen, daß es nicht angeht, die öffentliche Bautätigkeit bei allen Gebietskörperschaften etwa nur unter das Motto zu stellen: Wir haben so lange im Schatten der Konjunktur gestanden; jetzt, wo die Steuereinnahmen einmal fließen, wollen wir auch an der Konjunktursonne mitspielen. Das ist eine völlige Verkennung der Investitionstätigkeit und der damit verbundenen Aufgabenstellung im Bereich der öffentlichen Hand. Die öffentlichen Aufträge sollen ausgleichend wirken; sie sollen aber nicht die Konjunkturausschläge, die Kurvenausschläge noch weiter übersteigern. Diese Forderung muß um so mehr erhoben werden, als für die gesamte Öffentlichkeit in den nächsten Jahren eine zusätzliche Investitionsaufgabe vor uns steht, nämlich die Bedienung unseres Verteidigungsbeitrags. Ich darf hier schon eine Bitte aussprechen, daß man nämlich bei der Erörterung dieser Frage die Gesamtheit aller öffentlichen Interessen, d. h. des ganzen deutschen Volkes sieht und nicht die Instanzen auf Gemeinde-, Landes- oder Bundesebene nach unangebrachten Maßstäben mißt und gegeneinander ausspielt. Die Wiederherstellung unserer Wehrfähigkeit ist nach dem überzeugenden Willen und Bekenntnis einer eindeutigen Mehrheit des deutschen Volkes ein Anliegen des deutschen Volkes, und ich glaube, daß wir danach auch in den vor uns liegenden Jahren eine Anpassung der wirtschaftlichen Investitionen, der Bautätigkeit, insbesondere im öffentlichen Sektor, verlangen müssen.
Nun noch einige Bemerkungen zu den Dingen, an Hand deren man immer wieder versucht, die Überhitzung darzulegen, nämlich zum Preissektor. Herr Kollege Dr. Deist hat über die Preisentwicklung einige sehr kritische Bemerkungen gemacht und von der „schleichenden Entwertung der Deutschen Mark" gesprochen. Ich darf zunächst klarstellen, daß die wichtigsten Beiträge zur Entwicklung der Lebenshaltungskosten nicht auf eine allgemeine konjunkturelle Entwicklung — was also einer schleichenden Entwertung entsprechen würde
— zurückgehen, sondern auf bewußte Anpassungsmaßnahmen. Kollege Dr. Deist hat es selbst zum Ausdruck gebracht, hat aber geglaubt, die Bundesregierung dafür besonders tadeln zu müssen.
— Verehrter Herr Kollege Dr. Deist, ich darf die Frage stellen: Wie wollen Sie in einer solchen hochkonjunkturellen Situation, in der Anpassungsmaßnahmen in den Bereichen dringend notwendig sind, wo eine amtliche Preisbindung es verhindert hat, daß die Preisentwicklung mit der allgemeinen Entwicklung Schritt hält, Ausgleiche versuchen, wenn nicht entweder durch eine Anpassung der Preise oder durch Subventionen? Aber ist nicht gerade die Subvention in einer Zeit der Hochkonjunktur das gefährlichste Mittel, weil sie die Nachfrage nach diesen Gütern praktisch unbegrenzt steigen läßt? Denn die Subvention subventioniert ja dann den Käufer dieser Dinge.
Ich glaube, man sollte gerade in der Hochkonjunktur das Mittel der Preisanpassung in solchen Bereichen — selbstverständlich mit ganz bestimmter planmäßiger Überlegung — auch als ein Mittel der Dämpfung der Nachfrage einsetzen, wenn die Nachfrage ein zu gefährliches Ausmaß annehmen sollte.
Ich darf Sie, verehrter Kollege Deist, darauf aufmerksam machen, daß ich eine gewisse Bestätigung dieser Auffassung aus Ihren eigenen Reihen gefunden habe. Der von mir sehr verehrte Professor Dr. Schiller, der ja Ihnen politisch nahesteht, hat vor wenigen Tagen ausdrücklich folgendes zu dieser Lage gesagt — in der „Zeit" vom 21. Juni nachzulesen -:
Die so überaus richtige Leitregel der Stabilität des Preisniveaus sollte nicht zum Fetisch für die Einzelpreisgestaltung werden! Eine Subventionierung der Preise von zu steigenden Kosten produzierten Grundstoffen bedeutet doch nur, daß hier die Nachfrage prämiiert und das Übel nicht kuriert wird.
Ich glaube, daß wir uns hier in guter Gesellschaft befinden, wenn wir feststellen, daß Anpassungen, die in den Bereichen notwendig geworden sind, wo wird staatlicherseits Preisbindungen hatten, eben gerade eher in einer Phase steigenden Masseneinkommens als in einer Phase rückläufigen oder stagnierenden Masseneinkommens vorgenommen werden können. Wann sollen denn Anpassungen vorgenommen werden? Das Problem der Kohle, das Problem der Mieten, das Problem der Festpreise für die Landwirtschaft können wir doch nicht damit aus der Welt schaffen, daß wir sagen: Notwendige Anpassungen unterbleiben, weil sie für bestimmte Sektoren der Verbraucher zur Verschlechterung etwa ihrer Kaufkraft führen. Wenn Verschlechterung der Kaufkraft eintritt, dann wird sie durch die allgemeine Welle der Masseneinkommensbewegung doch eher kompensiert, als wenn sie etwa mit einer rückläufigen oder stagnierenden Bewegung der Masseneinkommen zusammenfällt.
Ich glaube, man sollte auch die Preisbewegung im ganzen nicht überschätzen. Die Warnung ist selbstverständlich angebracht, und ich wäre der letzte, der sie nicht zum Ausdruck bringt, der sie nicht gerade von dieser Stelle aus zum Ausdruck bringt: Auch in der Wirtschaft, bei den Unternehmern bedeutet die Hochkonjunktur eine Versuchung, Preisnachteile oder Kostenverschlechterungen oder sonstige unwägbare Entwicklungen, die vielleicht noch vor ihnen liegen, durch Preiserhöhungen vorweg zu eskomptieren. Es ist selbstverständlich, daß die verantwortliche Führung der deutschen Wirtschaft gerade in dieser Hinsicht immer wieder einen dringenden Appell zur Preisdisziplin und zur Zurückhaltung an die Unternehmer richten muß.
Die Bundesregierung hat in ihrer Erklärung sehr deutlich gemacht, daß eine Überschätzung, eine Überdramatisierung dieser Vorgänge nicht unbedingt am Platze ist. Ich darf bemerken, daß im ganzen gesehen gerade die deutsche Preisentwicklung, die Stabilität der deutschen Währung im internationalen Vergleich bis zur Stunde recht günstig wegkommt. Sehr viele Probleme, die im Augenblick auf uns zukommen, nämlich die Überliquidität auf Grund der starken Exportsteigerung, wie sie sich bei unseren Geschäftsbanken niederschlägt, sind eine unmittelbare Folge aus der Tatsache, daß es der Bundesrepublik bisher gelungen ist, eine viel stärkere Stabilität der inneren Kaufkraft und des Preisniveaus zu gewährleisten, als es in vergleichbaren Ländern möglich war.
An irgendeiner Stelle habe ich die Worte gelesen, die mir selbst schon auf die Zunge kamen, daß nämlich, wenn es im internationalen Wettbewerb so weitergehe, d. h. bei anderen Ländern die Preisstabilisierung nicht gelinge und damit der Sog, deutsche Waren zu kaufen, also der Exportsog, bei uns mit allen Konsequenzen für die innere Lage immer noch stärker werde, hier so etwas wie ein Vorgang der „Diktatur der letzten Bank" stattfinde. Wenn hier nicht rechtzeitig eine internationale Aussprache über die Währungs- und Kaufkraftprobleme erfolgt, hat tatsächlich derjenige, der sich am vernünftigsten verhält, am stärksten die Kosten dafür zu tragen. Hier ist heute ein Paradoxon gegeben. Je besser wir die Stabilität unserer eigenen inneren Preissituation zu wahren wissen, um so stärker wird die Gefahr vom Ausland her, daß das niedrigere deutsche Preisniveau zusätzliche Auslandsaufträge zu uns hereinbringt, vielleicht sogar ein Ausverkauf deutscher Waren und deutscher Leistung stattfindet, die Gegenwerte als große flüssige Geldmengen bei uns in den Kreditapparat hineinkommen und dort dann zu den Erscheinungen führen, die gerade für die innere Konjunkturstabilität wiederum eine Gefahr darstellen.
Hier ein kurzes Wort zum Problem der Lohnbewegungen. Wir dürfen zunächst einmal feststellen, daß die Lohnpolitik in der Bundesrepublik — und das gilt für alle Beteiligten — ein Ausmaß der Reallohnsteigerung gegenüber der Vorkriegszeit ermöglicht hat, welches sich im internationalen Vergleich an bester Stelle sehen lassen kann. USA, Kanada und Schweden bilden die Spitzengruppe in der Reallohnsteigerung. Im Mittelfeld stehen die Bundesrepublik, Frankreich, Australien, Italien und Norwegen. Dahinter erst folgen Länder, die zum Teil auf Grund ihrer Wirtschaftslage wesentlich bessere und günstigere Bedingungen hatten. Ich glaube, daß hier das Vertrauen, das bisher Bundesregierung und Bundestag den Sozialpartnern hinsichtlich der Anwendung des Instruments der Tarifautonomie entgegengebracht haben, durchaus eine Bestätigung gefunden hat.
Wir dürfen die Bewährung der Tarifautonomie der Sozialpartner gerade gegenüber Ländern, in denen eine stärkere staatliche Einflußnahme auf die Lohnpolitik stattfindet, einmal wirklich mit Anerkennung herausstellen.
Aber seit Mitte 1955 haben wir gewisse Besorgnisse. Sie gehen darauf zurück, daß wir das Zusammenfallen von Vollbeschäftigung und Hochkonjunktur beobachten müssen. Vollbeschäftigung und Hochkonjunktur sind Versuchungen. Die Vollbeschäftigung ist eine Versuchung für die Gewerkschaften, mehr zu fordern, mehr vielleicht sogar mit allen Mitteln zu erkämpfen, als die Produktivitätssteigerung der Wirtschaft gestattet, und die Hochkonjunktur ist eine Versuchung für die Unternehmer, mehr zu bewilligen, als sie nach ihrer Kostenstruktur ermöglichen können, mehr zu bewilligen vor allem in der Hoffnung, daß sie die Mehrkosten über den Preis abwälzen könnten. Wir sind uns völlig darüber klar: das Instrument der Tarifhoheit ist in einer freiheitlichen Ordnung ein so kostbares Instrument, daß wir beide — ich spreche nicht nur die Gewerkschaften, sondern genau so deutlich die Unternehmer an — daran erinnern müssen, daß sie es selbst in der Hand haben, dieses Instrument vor der Vernichtung zu bewahren.
Sie wissen, daß es im Augenblick nicht nur um die Lohnfrage geht, sondern daß im Zusammenhang mit der Lohnbewegung auch die Arbeitszeitverkürzung als Problem ansteht.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Kurlbaum.
Herr Dr. Hellwig, sind Sie sich aber klar darüber, daß gerade für das Problem, das Sie angesprochen haben, ausschlaggebend ist, ob die Bundesregierung Maßnahmen trifft, die zu einem Preisdruck führen, daß also insbesondere eine intensive Importverstärkung und der damit verbundene Preisdruck gerade für das von Ihnen angeschnittene Problem eine sehr geeignete Lösung wäre?
Herr Kurlbaum, ich folge Ihnen sehr gern darin, daß die Aufgabe in dieser Situation die Verstärkung des Angebots ist. Aber ich bin nicht hundertprozentig Ihrer Meinung, daß hier generelle Zollsenkungen der richtige Weg sind, sondern ich glaube, daß auch die starke Differenziertheit, von der ich vorhin gesprochen habe, in Branchen und in Bezirken beachtet werden muß. Im ganzen glaube ich, daß die Bereitstellung wachsender Gütermengen zur Bedienung der wachsenden Nachfrage entscheidend ist, daß aber der beste Weg dazu ist, auch die Inlanderzeugung unter allen Umständen weiter zu steigern.
Ich weiß, das Preisniveau im Ausland müßte hier auch noch erwähnt werden. Ich darf Ihre Zwischenfrage als willkommenen Anlaß benutzen, diese Bemerkung schon kurz einzuflechten. Wir haben ja nun nicht unbedingt die Gewähr, daß, wenn die Zölle gesenkt werden — und wir haben an dieser Zollsenkung doch wesentlich mitgearbeitet —, etwa das Preisniveau im Ausland es sichern würde, daß die ausländischen Waren auch wirklich einen Preisdruck im Inland bewirken. Denn da, wo das Ausland einen riesigen Preisdruck bewirkt, haben wir allerdings sehr häufig den Verdacht — ich erwähne die Tschechoslowakei, Jugoslawien; ich erwähne andere Länder wie Japan oder Ägypten usw. —, daß dort entweder Produktionskosten vorliegen, die wir nur als Unterschreitung unseres Lohnniveaus ansehen können, oder aber ohne Rücksicht auf die Kosten politische Preise gemacht werden. Bei Ländern, die im Ostbereich liegen, ist das erste Verdachtsmoment wahrscheinlich. Gerade aus dem Grunde haben wir ja eine Ermächtigung für die Bundesregierung beantragt, in solchen Fällen, wo derartige Gefahrenmomente aus dem Ausland kommen sollten, auch von der jetzt beschlossenen Zollsenkung eine Ausnahme zu gewähren. Dabei müßte selbstverständlich die Beweislast bei dem Antragsteller liegen, der die Ausnahme, die Aufrechterhaltung des jetzigen Zolles, beantragt.
Nun zurück zu dem Problem Lohn und Arbeitszeit. Wir wissen alle, welche Diskussionen im Augenblick in der Lohn- und Arbeitszeitfrage laufen. Ich glaube, daß wir hier einmal deutlich machen müssen: eine generelle Arbeitszeitverkürzung, die schlagartig für die gesamte deutsche Wirtschaft, insbesondere vielleicht auch noch durch Zuhilfenahme von gesetzgeberischen Maßnahmen herbeigeführt wird
— Moment —, würde bei uns nur bedeuten, daß wir den Fehler der französischen Volksfrontregierung von 1936 wiederholen. Ich darf mich darüber freuen, verehrter Kollege Hansen, daß durch Ihren Zwischenruf offenbar klargestellt ist, daß das niemand will.
Herr Kollege Hellwig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Hellwig, darf ich fragen, ob Sie diese Erkenntnis erst soeben aus dem Zwischenruf gewonnen haben oder ob Sie nicht aus der Vergangenheit bereits wissen, daß die von Ihnen zugrunde gelegte Hypothese von niemandem in Deutschland vertreten wird, so daß infolgedessen Ihre sämtlichen an diese Hypothese geknüpften Erörterungen völlig danebengehen?
Verzeihung, Herr D:. Deist! Ich muß hier folgendes feststellen. Ich wollte gerade ausführen,
daß eine solche Wirkung, d.h. die Verallgemeinerung von Bedingungen, die in einzelnen Branchen möglich sein könnten, auch von dieser Seite zur gleichen Wirkung führen könnte, die Sie selbst mit Ihrer Erklärung als unerwünscht bezeichnet haben. Das möchte ich hier einmal deutlich machen. Die Interdependenz von Arbeitszeitregelungen innerhalb des Ruhrgebiets ist doch nicht zu bestreiten. Sie können doch nicht sagen: Das machen wir in der Branche, in der es möglich ist! An anderer Stelle kommt dann sofort die Kettenreaktion. Es ist doch das Problem, daß aus den an einer einzelnen Stelle möglichen Regelungen plötzlich allgemeine Kettenreaktionen werden können.
Ich darf hier auf folgenden Unterschied aufmerksam machen. In Branchen, in denen in der jetzigen Situation vielleicht schon ein wesentlicher Schritt möglich ist, wird man ihn auch wohl ohne einen Produktionsausfall oder -rückgang machen können.
Es gibt einige Branchen — denken Sie an die Verbrauchsgüterindustrie —, wo man die Sache wahrscheinlich nicht machen kann, ohne zumindest die Arbeitszeit effektiv herabzusetzen. Hand aufs Herz! Soll bei allen Bemühungen der Arbeitszeitverkürzung jetzt sofort die Arbeitszeit auch effektiv herabgesetzt werden, oder soll nur eine Überstundenbezahlung dann auch schon wesentlich niedriger anfangen?
— Gut, effektive Herabsetzung der Arbeitszeit, verehrter Herr Kollege Hansen, heißt aber doch Steigerung der Leistung in den gearbeiteten Stunden. Sonst geht doch die Gütererzeugung zurück. Wie wollen Sie steigende Kaufkraft auf der einen Seite mit zurückgehender Gütererzeugung auf der anderen Seite bedienen?
Deswegen gibt es zu diesem Problem — ich glaube, dieses Gespräch macht es deutlich — in dieser Situation keine eindeutige Antwort. Diese Feststellung sollten sich alle, die im Augenblick verantwortlich hierüber zu beraten haben, vor Augen halten. Was in dem einen Bereich möglich ist, kann dort zu wesentlichen Einkommensverbesserungen führen, kann in anderen Bereichen, genauso angewandt, aber bedeuten, daß die Konsumgütererzeugung zurückgeht und einer gestiegenen Nachfrage einerseits ein verringertes Güterangebot auf der anderen Seite gegenübersteht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
— Meine Damen und Herren, es geht beim besten Willen nicht. Ich bin für die Diskussion; ich bin dafür, daß die Mikrophone im Saale benutzt werden. Aber das bedeutet, daß sich dann die übrigen Damen und Herren entschließen müssen, so lange ruhig zu sein.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Deist!
Herr Kollege Hellwig, Sie werden wissen, daß innerhalb des Kohlenbergbaues die Möglichkeiten der Rationalisierung zum Ausgleich einer Arbeitszeitverkürzung verhältnismäßig gering sind. Ist Ihnen nicht bekannt, daß die Folgen der letzten Arbeitszeitverkürzung im Kohlenbergbau binnen kurzer Frist durch höhere Leistungen wettgemacht worden sind und daß damit ein Beispiel gegeben worden ist, daß es durchaus möglich ist. Arbeitszeitverkürzung, Rationalisierung und Produktivitätssteigerung miteinander zu verbinden?
Verehrter Kollege Deist, ich bin völlig in Übereinstimmung mit Ihnen, daß Arbeitszeitverkürzung durch Produktivitätssteigerung ausgeglichen werden kann,
wenn das nötige Kleingeld dazu vorhanden ist und bereitgestellt wird.
Aber — hier kommen wir zu einem Zentralpunkt der heutigen Diskussion; ich komme auf diese Dinge zu sprechen — dazu gehört Geld; denn der Apparat, die Pferdestärken, die hinter die Arbeitskräfte gestellt werden müssen, wenn weniger gearbeitet wird, kommt doch nicht von ungefähr, der kommt nicht aus Parlamentsbeschlüssen, der kommt nicht aus Verbandsresolutionen, sondern der folgt aus der Tatsache, daß mehr gespart wird und daß dem Steuerzahler mehr Eigenkapital für diese Aufgaben verbleibt.
Das ist eine erfreuliche Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von privaten, d. h. wirtschaftlichen und öffentlichen Investitionen, die ich vorhin stellte. Ich glaube, diese Antwort sollten wir uns bei der weiteren Diskussion durchaus merken.
Ich bin nicht in diesem Bereich.
Angesprochen werden muß noch die Frage der Einführung von Gleitklauseln dort, wo man sich gegen Veränderungen der Kaufkraft besonders sichern zu müssen glaubt.
An vielen Stellen ist heute diese Tendenz zu beobachten. Ich kann mit allem Ernst, der überhaupt möglich ist, nur darauf aufmerksam machen: man weiß den ersten Schritt, man weiß aber nicht den letzten und den zweiten auch schon vielleicht nicht. Was heißt denn Gleitklauseln? Gleitklauseln sind an vielen Stellen, wenn es sich um sehr lange Fristen handelte, immer wieder herangezogen worden.
Ich begrüße den Appell des Bundeswirtschaftsministers, mit den Gleitklauseln keinen Mißbrauch zu treiben. Es ist Mißbrauch, wenn in sehr kurzen Zeiträumen eine Gleitklausel vereinbart oder oktroyiert wird. Das sind Dinge, die für langfristige Planungen ihre Berechtigung haben mögen, insbesondere wenn es sich um verschiedene Währungsgebiete handelt, um große Exportaufträge, die auf viele Jahre hinaus geplant werden müssen. Aber wenn hier im Inland in ganz kurzen Zeiträumen mit solchen Klauseln gearbeitet wird, kann ich nur von einem Sündenfall sprechen, der zu Konsequenzen führt, die wohl keiner von denen, die die Vereinbarung getroffen haben, wahrhaben möchte.
Ich darf hier einmal die dringende Bitte aussprechen, dahin zu wirken, daß auf allen Sektoren der Wirtschaftspolitik, der Geld-, Kredit- und Sozialpolitik, nicht nur in der Lohnpolitik der Sozialpartner, sondern auch bei allen öffentlichen Stellen durch entsprechende Überlegungen der Gleichklang der Maßnahmen, den wir für die Lösung dieses schwierigen Problems benötigen, herbeigeführt wird.
Es gibt — das sollte man sich in jedem Sektor vor Augen halten — keinen Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung, der ungestraft ausgeklammert werden kann aus Entscheidungen, die der Stabilität unseres Rechnungs- und Tauschwertes, d. h. der Währung, dienen, weder die Lohnpolitik der Tarifpartner noch die staatliche Sozialpolitik, weder die Agrarpolitik noch die Finanzwirtschaft des Staates und seiner Gebietskörperschaften. Wer mit anderen zusammen im Boot sitzt, kann seine Angel nur über den Rand des Bootes werfen. Er kann aber nicht den Kahn anbohren, urn durch ein solches Loch eine weitere Angel auszuwerfen.
Das ist, glaube ich, eine Kennzeichnung der Situation, in der sich alle bei uns heute befinden.
— Über Bord wird im Augenblick niemand geworfen. Wir sorgen nur dafür, verschiedene Bohrer Ihnen und anderen aus der Hand zu nehmen!
— Nein, verzeihen Sie, Sie haben wahrscheinlich
— der „Spiegel" ist natürlich interessanter, ich kann das verstehen — zunächst hier gelesen und dann plötzlich aufgehorcht!
Das Problem, das ich hier wirklich noch einmal mit allem Ernst ansprechen muß, ist — ich habe es in Berlin schon erwähnt — die weitere Verschlechterung unseres Arbeitskräftepotentials. Ich sehe hier einen wirklichen Engpaß, ein wirkliches Problem, das ich noch stärker bewerten möchte als das Problem, das sich aus unserer Exportsituation, aus der Divergenz zwischen innerem Preisniveau und Auslandspreisniveau ergibt. Das Problem des Arbeitskräftepotentials ist inzwischen international untersucht worden. Ich verweise auf den Wirtschaftsbericht der Europäischen Wirtschaftskommission — es ist der Bericht für das letzte Jahr—, worin sehr eindringlich dargelegt wird, daß die Entwicklung der berufs- und erwerbsfähigen Bevölkerung in der Bundesrepublik von 1956 bis 1971 an letzter Stelle unter allen verglichenen Länder stehen wird. Die jährliche Veränderung im Hundertsatz der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren wird nämlich in der Bundesrepublik und in Österreich in diesen Jahren negativ sein, sie wird also nach unten gehen, während alle anderen Länder, die Niederlande, Finnland, Dänemark, Norwegen, Italien, Schweden, Frankreich, Großbritannien und die Schweiz eine Zunahme der erwerbsfähigen Bevölkerung haben werden. Ich glaube, ein großer Teil der Unruhe gerade draußen in der Wirtschaft und die Tatsache, daß Investitionen vorgenommen werden, um Arbeitskräfte zu sparen, gehen auf die Erkenntnis dieser Situation zurück. Wir sollten nicht sagen, das sei Zweckpessimismus oder wie man es sonst nennt, sondern wir sollten alle gemeinsam sehen, daß das Arbeitskräftepotential der deutschen Volkswirtschaft in den nächsten Jahren, d. h. auf 15 Jahre hinaus, das stärkste Handikap, das stärkste Hemmnis des Gleichschritts unserer Wirtschaftsentwicklung mit der der anderen Länder sein wird.
— Verzeihen Sie, lieber Herr Altmaier! Ich darf Sie daran erinnern, daß die verglichenen Länder diese günstige Entwicklung haben, nachdem sie bereits ihrer Verteidigungsverpflichtung in der freien Welt nachkommen.
Das verschärft das Problem für uns noch.
An dieser Stelle eine kritische Frage. Es ist die Frage, die der ganzen Diskussion zugrunde liegt. Reicht das Instrumentarium unserer Konjunktur- und Wirtschaftspolitik für diese Aufgabenstellung aus?
Was auf der Bundesebene bisher am schärfsten eingegriffen hat, ist die Geld- und Kreditpolitik der Bank deutscher Länder. Wenn aber die öffentliche Hand über ein Drittel des Sozialprodukts für sich in Anspruch nimmt und darüber disponiert, wenn sie Kassenüberschüsse hat, auf Grund derer sie eine erhebliche Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt und von den Kosten des Zinses erlangt, dann wird an dieser entscheidenden Stelle das Instrument der Notenbankpolitik abgestumpft.
Ich glaube, ein nicht unerheblicher Teil der Kritik gerade aus den Reihen derer, die nun durch Kreditbeschränkungen betroffen worden sind, geht darauf zurück, daß man von der Bank deutscher Länder bisher keine sehr klare, zumindest keine beruhigende Antwort gerade auf diese Frage erfahren hat.
Nun ist wiederholt die Steuerhöhe als Instrument der Konjunkturpolitik in dem Sinne erwähnt worden, daß die Stillegung von Kaufkraft durch Steuern auch einen bestimmten Dämpfungseffekt in der Nachfrage bei den Investitionsvorhaben bewirke. Wir wollen durchaus nicht verneinen, daß man durch Nachfragedämpfung mit Hilfe von Steuerüberschüssen einen konjunkturellen Effekt erzielen kann. Eine Bejahung dieser Funktionsmöglichkeit entbindet uns aber nicht davon, die Frage zu stellen, wohin dann diese Vermögensbildung geht. Die Funktion, die hier angestrebt wird, hat sicher nur eine augenblickliche Disposition mit diesen Geldern zum Gegenstand. Aber sie will keinesfalls oder sollte jedenfalls dadurch nicht eine unwiderrufliche Vermögensbildung herbeiführen.
Wenn wir also die Möglichkeit bejahen, daß mit der Steuerhöhe und auch mit der Steuersenkung bestimmte wirtschaftspolitische Effekte erzielt werden können, dann müssen wir die Frage stellen, wie wir die Kaufkraftminderung oder Kaufkraftbindung beim Steuerzahler erreichen können, ohne ihm die mögliche Vermögensbildung aus diesen Beträgen zu verweigern. Diese Frage muß heute an alle Instanzen gestellt werden. Die Tatsache allein, daß Überschüsse vorhanden sind, daß vereinnahmte Steuergelder nicht zur Ausgabe gelangen, genügt nicht. Wir müssen allen Ernstes neu durchdenken, welcher Weg gefunden werden kann, um den Effekt der Kaufkraftbindung zu erreichen, ohne dadurch die Vermögensbildung beim Steuerzahler zu beeinträchtigen. Ich glaube, daß der Vorschlag, der sich im Regierungsprogramm befindet, wonach eine wesentliche Verstärkung der Steuerbegünstigung für das Sparen angestrebt wird, an dieser Stelle der richtige ist.
Ich muß noch einmal auf die Zollpolitik eingehen. Ich bezweifle, daß durch Zollsenkungen, auch wenn sie wirklich in globaler Weise erfolgen sollten — Sie wissen, daß wir uns für eine stärkere Differenzierung ausgesprochen haben —, ein entscheidender Effekt erzielt werden kann. Hier spielt einmal das unterschiedliche Preisniveau bei uns und in anderen Ländern eine Rolle. Außerdem sind wir im Vergleich zu anderen Ländern im Abbau unserer Einfuhrbeschränkungen und Zölle und in der Liberalisierung schon so weit vorgeschritten, daß hier wirklich nicht mehr allzuviel zu holen ist.
Hier kann, glaube ich, mit Recht gesagt werden: Ja, aber die Agrarzölle! Dazu ist zu sagen, daß in
dieser allgemeinen Entwicklung auch die Landwirtschaft dem Problem gegenübersteht und, soweit ich sehe, es auch richtig erkennt, daß die Stabilität des deutschen Preisniveaus gegenüber der steigenden Nachfrage im ganzen nur durch erhöhtes Güterangebot gewährleistet werden kann. Ich verweise auf die starke Steigerung landwirtschaftlicher Einfuhren, die durchaus zeigt, daß man hier auf dem richtigen Wege ist. An dieser Stelle darf, glaube ich, ein Appell ausgesprochen werden: die Einfuhr- und Vorratsstellen haben auch den Auftrag, zur Stabilisierung des inländischen Preisniveaus entscheidend beizutragen, und sie seien hiermit an diesen Auftrag erinnert.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige kurze Bemerkungen zu den Ausführungen im Regierungsprogramm machen. Ich habe vorhin schon klargestellt: bei wachsender Nachfragesteigerung und Zunahme der Kaufkraft — die Einkommenswelle ist noch nicht zum Stillstand gekommen, sie hat im letzten Jahr ganz erheblich ausgeschlagen, stärker als im Jahre vorher — kann es nur heißen, das Güterangebot wesentlich zu verstärken. Das bedeutet, daß auch die eigene, innere Güterproduktion wesentlich ausgeweitet werden muß. Es wird wiederholt auf Amerika verwiesen, wo seit vielen, vielen Jahren eine wesentliche Produktivitätssteigerung zu beobachten ist. Dann müssen Sie allerdings auch bejahen, daß wir in die Technik unserer Abschreibungen endlich die Kontinuität in der Anwendungsmöglichkeit der degressiven Abschreibungen hineinbringen, die die amerikanische Wirtschaft seit Jahren auszeichnet.
Der ständige Zwang und Drang, zu rationalisieren und Rationalisierungsinvestitionen vorzunehmen, ist doch drüben auf das engste mit einer kontinuierlichen, auf relativ kurze Zeiträume zusammengedrängten degressiven Abschreibungstechnik verbunden.
Ich glaube, Überhitzungserscheinungen im Investitionssektor sind bei uns in den letzten Jahren mit dadurch verursacht worden, daß wir allzu häufig kurzfristig die Abschreibungstechnik oder die Abschreibungsmöglichkeiten geändert haben. Kontinuität an dieser Stelle ist aber eine wesentliche Voraussetzung. Daher begrüßen wir die Erklärung der Bundesregierung, an den degressiven Abschreibungen im Augenblick nicht zu rütteln.
— Verzeihung! Herr Atzenroth, Sie sagen: „Im Augenblick?" Man könnte ja auch sagen, es müsse eine noch stärkere Begünstigung der Abschreibung erfolgen. Darauf möchten wir im Augenblick verzichten, um auch hier die Kontinuität zu wahren.
Die Verfeinerung, habe ich vorhin schon gesagt, in der Beobachtung der Investitionstätigkeit erscheint uns dabei dringend geboten, insbesondere um diesen Sammelbegriff, der öffentliche und private Investitionen, insbesondere die produktiven Investitionen, zusammenfaßt, aufzulösen. Wenn die Bundesregierung bei der von ihr angekündigten stärkeren Beobachtung der Investitionstätigkeit sich gerade dieser Aufgabe zuwendet, wird es von uns sehr begrüßt werden.
Wir bejahen ebenfalls die Zurückhaltung in der Gewährung von Bürgschaften. Hier ist nicht nur die Bundesregierung angesprochen, sondern hier sind natürlich auch andere öffentliche Instanzen — ich erwähne die Landesebene — angesprochen. In der Funktion als Geldgeber oder Bürgschaftsgeber kann der Staat dämpfend oder belebend wirken.
Zu den öffentlichen Investitionen habe ich mich vorhin schon kurz geäußert. Ich glaube, daß ich es nochmals wiederholen muß. Es liegt mir völlig fern, die Notwendigkeit der öffentlichen Investitionen an solchen wichtigen Stellen wie Sozialer Wohnungsbau, Schulbau, Straßenbau, Bundesbahn usw. zu bestreiten. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Bau eines Verwaltungsvorhabens, eine reine Repräsentationsangelegenheit, nur einen ganz geringen Prozentsatz des Bauvolumens ausmacht. Es kommt entscheidend auf die Frage an, ob dieses Mehr am örtlichen Baumarkt zu einer Störung des Baumarktgeschehens beiträgt oder nicht. Hier kann nur eine regionale, eine ganz stark differenzierte, ich möchte sogar sagen, eine örtliche Überprüfung stattfinden. Ich hoffe, daß es gelingt, die hierfür vorgesehene Zusammenarbeit auf freiwilliger Grundlage, die Bildung eines Gemeinschaftsausschusses, so schnell in die Tat umzusetzen, wie es konjunkturpolitische Entscheidungen tatsächlich verlangen.
Wir schließen uns dem Bedauern an, das der Herr Bundeswirtschaftsminister hier zum Ausdruck gebracht hat, daß das Grundgesetz zur Zeit keine rechtliche Handhabe zur Erreichung dieses Zieles bietet, einen unmittelbaren Einfluß der Bundesverantwortlichkeit auf die Investitionspolitik der gesamten öffentlichen Körperschaften zu enwickeln.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Herr Hellwig, Sie haben vorhin, als Sie schon einmal von der Bauwirtschaft sprachen, einem Zwischenrufer geantwortet, Sie würden auf die in dasselbe Fach schlagende Problematik des öffentlichen Verteidigungsbaues noch zurückkommen. Ich glaube, es würde ausgezeichnet in den Rahmen Ihrer gegenwärtigen Ausführungen hineinpassen, wenn Sie das jetzt anschlössen.
Herr Abgeordneter Schmidt, das ist doch keine Frage.
— Gut, ich freue mich. Es ist doch wohl kein günstiger Zustand, daß wir derartig hinter der kurzfristigen wirtschaftlichen Entwicklung herhinken.
Ich muß auch noch ein Wort zur weiteren Entwicklung des Arbeitsmarktes sagen. Die Bundesregierung hat wohl zu Recht angeregt, die Altersgrenze heraufzusetzen und bei der Reform der Rentenversicherung bestimmte Möglichkeiten der Begünstigung zu schaffen. Ich möchte von mir aus den Appell an alle in der Wirtschaft richten, auch die vielen stillen Reserven, die wir im Innern in Form nur teilweise einsatzfähiger Arbeitskräfte noch haben, wirklich einzusetzen. Das Problem der älteren Angestellten, das Problem der vielen unter das Gesetz nach Art. 131 fallenden verdrängten Beamten, die heute noch nicht wieder im öffentlichen Dienst sind, ist immer noch vorhanden. Ich möchte die Frage stellen, ob nicht gerade im öffentlichen Dienst, ehe man zu einer Verlängerung der Dienstzeit über das bisherige Pensionsalter hinaus kommt, nicht noch die möglichen Reserven der unter Art. 131 fallenden verdrängten Beamten und Angestellten eingesetzt werden können.
In vielen Bezirken haben wir durch die Unterbeschäftigung noch weitere Reserven. Sie kennen, ich muß fast sagen: mein Steckenpferd. Durch die industrielle Aussiedlung könnten wir noch Reserven erschließen, die infolge der Unterbeschäftigung in landwirtschaftlichen Notstandsgebieten vorhanden sind. Etwas mehr Phantasie, etwas mehr Beweglichkeit, etwas mehr Anpassungsfähigkeit wären auf diesem Gebiet dringend zu wünschen.
Von den verschiedenen Anträgen, die dem Hohen Hause von der Opposition vorgelegt worden sind, hat mich naturgemäß der eine Antrag besonders interessiert, der auf die Verbesserungen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und auf die Schaffung bestimmter institutioneller Voraussetzungen abzielt. Ich bejahe, wie Sie wissen, diese Instrumente zur wissenschaftlichen Fundierung der Wirtschaftspolitik, insbesondere der Konjunkturpolitik. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß das Nationalbudget in seiner Brauchbarkeit für die Vorausschau der wirtschaftlichen Entwicklung gerade dort, wo man es in den letzten Jahren angewandt hat, zunehmend mit kritischen Augen angesehen wird. Das ist auch der Grund, warum meine eigene Partei bisher einen derartigen Antrag nicht eingebracht hat.
Wir haben bereits 1950 in verschiedenen Veröffentlichungen, 1953 dann in einer Schrift unseres Finanz- und Steuerausschusses die Erstellung der nationalwirtschaftlichen Gesamtrechnung und des Nationalbudgets als ein Mittel zur wirtschafts- und finanzpolitischen Orientierung verlangt. Wir haben aber seither den sehr kritischen Bericht der Europäischen Wirtschaftskommission über die in verschiedenen Ländern — darunter auch Ländern mit sozialistischer politischer und Wirtschaftsführung — mit dem Nationalbudget gemachten Erfahrungen gelesen, und diese Erfahrungen — von dieser Stelle formuliert — waren nicht sehr ermutigend.
Wir haben daher bisher geglaubt, immer wieder den Appell erheben zu sollen, eher die Faktenbereitstellung, also das wissenschaftliche Vormaterial, zu verbessern — in der statistischen Berichterstattung, in der Erhebung, in der Aufarbeitung dieser Zahlen —, als bereits eine Verwertung in der doch sehr anspruchsvollen und dann entscheidungsträchtigen Form des Nationalbudgets zu verlangen. Trotzdem begrüßen wir den Antrag, und ich glaube, daß hierüber eine sehr fruchtbare Diskussion im Ausschuß stattfinden wird.
Eine Zwischenfrage!
Herr Dr. Hellwig, verstehe ich Sie richtig, daß sich Ihre Skepsis soeben nur auf das in die Zukunft gerichtete Nationalbudget bezog, nicht aber auf die ex post, also nachträglich aufzustellende volkswirtschaftliche Gesamtrechnung? Meinten Sie diese, als Sie von der Aufbereitung der Fakten sprachen? Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung würden also auch Sie für eine notwendige Grundlage der Wirtschaftspolitik halten, wenn ich Sie recht verstehe?
Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung habe ich immer wieder bejaht. Ich darf aber darauf aufmerksam machen, daß auch hier leider immer noch erhebliche Lücken vorhanden sind. Das Nationalbudget dagegen habe ich mit einem kritischen Fragezeichen versehen, weil wir hier der Meinung sind, daß die internationale Erfahrung zumindest noch ein erneutes Durchdenken der Anwendbarkeit verlangt. Ich glaube, insofern haben Sie mich völlig richtig verstanden.
Nun zu der Frage, ob hier ein Gremium, ein Beirat oder eine Organisation in einer sonstigen Form gebildet werden soll! Ich kann mich sehr kurz fassen. Ich glaube, Ihnen sowohl wie uns sind durchaus die guten Erfahrungen geläufig, die mit der Institution des unabhängigen wissenschaftlichen Beraters auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Sozialpolitik in den Vereinigten Staaten ge-
macht worden sind. Die Economic Advisers des Präsidenten ebenso wie die Economic Advisers im Stab des amerikanischen Kongresses haben inzwischen einen Standard erreicht, der über den Parteien und über den Interessenverbänden steht. Hoffentlich gelingt es uns, diese Diskussion, die nunmehr durch den Antrag der Opposition eingeleitet ist, auch in diese Fahrbahn zu bringen.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, meine Ausführungen mit einer ganz grundsätzlichen Bemerkung schließen, mit der ich einmal versuchen will, deutlich zu machen, was eigentlich immer wieder zu diesem Überschlagen der Kritik, der Forderungen, der Abwehr führt. Ich glaube, hier liegt etwas vor, was vor kurzem einmal Hans Peter, einer unserer deutschen Nationalökonomen, als eine zwangsläufige Begleiterscheinung auf dem Wege zum Wohlfahrtsstaat die Psychologie des Wohlfahrtsstaates genannt hat, wo die Sorge darüber nämlich, ob die Verteilung der nationalen Produktion gerecht sei, mehr und mehr in den Vordergrund tritt. Es ist doch heute so, daß man sich nicht mehr an der eigenen Leistung, am eigenen Erfolg freut, sondern ehe man seine eigene Leistung, seinen eigenen Erfolg, auch den Erfolg der deutschen Volkswirtschaft als Ganzes anerkennt, zunächst mit dem Rechenschieber nachrechnet, ob auch ja kein anderer mehr bekommen hat als man selbst.
Ich befürchte, daß dieses Indexdenken, diese Vergleichsmethoden, wo mit dem Rechenschieber nicht das nachgerechnet wird, was man selbst hat, sondern das was der andere hat, tatsächlich zu einer Verwilderung und Vergiftung dieser Debatte erheblich beigetragen haben.
Ich glaube, wir sollten bei allen Wünschen, die bei einem solchen Denken immer wieder auftreten, nicht in den Fehler der Kinder verfallen, die nicht warten können, bis die Früchte am Obstbaum reif sind, und immer wieder hingehen und immer wieder schütteln und nicht ruhen, bis die Früchte unreif abgefallen sind.
— Das gilt allen, die verfrüht Mehrleistungen oder
eine Steigerung ihres eigenen Anteils vom Baume
der volkswirtschaftlichen Leistung haben wollen.
Wir können eben nicht alles auf einmal haben. Alles auf einmal heißt in solchen Situationen wie denen, in denen wir stehen, allzuleicht: nichts! Ich glaube, daß, die gesamte wirtschaftspolitische Entwicklung in den letzten Jahren die Richtigkeit des von uns verantwortlich eingeschlagenen Weges bestätigt hat
und daß wir die heutige Diskussion nicht hätten — ich weise noch einmal auf das Verhältnis zwischen Einfuhr und Ausfuhr hin —, wenn die bisherige Politik nicht richtig gewesen wäre.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Vielleicht die treffendste Bemerkung, die der Herr Wirtschaftsminister in dem Bericht der Regierung gemacht hat, war die Feststellung, daß wir keinerlei Anlaß haben, unsere augenblickliche wirtschaftspolitische Lage zu dramatisieren. Wir sind weit davon entfernt, wie etwa die Opposition es darzustellen versucht hat, nun in den entgegengesetzten Fehler zu verfallen und unsere Lage zu bagatellisieren. Aus den bisherigen Diskussionsbeiträgen ist klar geworden, welche Engpässe da sind. Ich glaube auch als Angehöriger der Koalitionsparteien sagen zu sollen, daß die kontroversen Äußerungen verschiedener Kabinettsmitglieder gerade wesentlich zu der Dramatisierung beigetragen haben. Die wirkliche Lage gibt weiß Gott keinen Anlaß dazu. Ich glaube, diese Feststellung schon im Oktober vergangenen Jahres in Berlin gemacht zu haben; ich kann sie nur wiederholen.
Die Probleme unserer Wirtschaftspolitik sind doch eigentlich angenehmer Art. Wir haben uns zwar auch mit Problemen von Engpässen, aber im wesentlichen mit Problemen der Fülle zu befassen. Gerade weil unser Wachstum in der Wirtschaft so rapide gewesen ist, zeigen sich gewisse Engpässe. Unsere Wirtschaft ist mit den Jugendlichen unserer Zeit zu vergleichen. Sie alle schießen uns über den Kopf hinweg, und dieses schnelle Längenwachstum bedingt, daß die inneren Organe und insbesondere das Herz nicht mitgekommen sind. Das Herz unserer Wirtschaft aber ist der Kapitalmarkt. Unsere Lage in der Wirtschaft ist 'dadurch gekennzeichnet, daß wir zwar unseren Aufbau finanziert haben, aber zuviel Fremdmittel dafür benötigt haben. Ich werde gerade auf diese Problematik im Zusammenhang mit der Steuerpolitik zurückkommen.
Nun zu dem Ausgangspunkt aller Unruhe, der Preisbewegung. Ich glaube, daß wir gerade hier nicht dramatisieren dürfen. Ich darf daran erinnern, welche volkswirtschaftliche Bedeutung der Preis hat. Es ist zwar unser aller Ideal, sowohl das des Konsumenten als auch das des Produzenten, möglichst mit stabilen Preisen rechnen zu können. Aber zu einer Marktwirtschaft gehört doch eigentlich der sich verändernde Preis; denn der Preis hat die volkswirtschaftliche Aufgabe, uns erkennen zu lassen, wo Engpässe sind, bzw. das Gegenteil, wo Überschußproduktionen sind. Alarmierend wird die Sache doch erst dann, wenn es sich um einen allgemeinen Trend handelt, wenn alle Preise in einem solchen Maße steigen, daß wir keine Ausweichmöglichkeit auf andere Erzeugnisse haben.
Es muß zugegeben werden, daß dieser Tatbestand seit etwa Jahresfrist zu beobachten ist. Aber das Ausmaß der Steigerung — wir müssen es noch analysieren — ist doch weiß Gott nicht so beängstigend, wie es hier dargestellt worden ist. Ich darf mich auf, wie ich glaube, unverdächtige Quellen stützen, wenn ich das Zahlenmaterial im Juniheft des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts benutze, wo in einem Aufsatz von Ernst Georg Lange ein Beitrag zur gegenwärtigen Preisentwicklung geliefert wird. Wir müssen die Preisbewegung in den einzelnen Sektoren unterscheiden. Es ist ja so, daß wir Konsumenten sämtlich ein gespaltenes Bewußtsein haben. Wir nehmen immer nur die
Preissteigerungen wahr, berücksichtigen aber nicht, daß es auch Erzeugnisse gibt, deren Preise nicht gestiegen, sondern sogar gefallen sind; denn so etwas gibt es Gott sei Dank auch noch.
Nun vergleichen wir einmal, wie die Preise seit 1951 auf den einzelnen Sektoren gestiegen sind. Auf dem Konsumgütersektor fangen wir 1951 mit einem Index von 111 an. Er fällt auf 108, 103, 103 und liegt im Jahre 1955 bei 104, im April 1956 bei 105. Von einer nennenswerten Steigerung auf dem Konsumgütersektor kann also wirklich nicht geredet werden. Ähnlich ist es bei den Genußmitteln, einem — man mag sich dazu stellen, wie man will — nicht unerheblichen Bestandteil unserer Erzeugung. Dieser Preisindex fängt mit 98 an, steigt auf 100, fällt dann kontinuierlich auf 93, 86, 86 und liegt im April 1956 bei 85.
Ich will Sie nicht länger damit aufhalten und möchte nur eine Konsequenz aus der genannten Tabelle ziehen. Es gibt drei Gebiete, auf denen nennenswerte, aus dem Rahmen fallende Preissteigerungen vorliegen. Das erste sind die Mietsteigerungen. Kollegen Hellwig hat schon einiges dazu gesagt. Es ist selbstverständlich, daß wir, wenn wir die Marktwirtschaft bejahen, auf dem Sektor des Wohnungsbaues und der Mieten auf die Dauer kein Naturschutzgebiet schaffen können. Was sich jetzt vollzieht, ist einfach, daß wir für die Sünden der Vergangenheit — wirtschaftspolitische Sünden, keine moralischen! — bezahlen. Das ist ein notwendiger Vorgang, und ich bin mit dem Kollegen Hellwig einer Auffassung, daß wir, wenn wir jetzt nicht die Chance der Konjunktur benutzen, diese Sünden zu bereinigen, sie nie mehr werden bereinigen können. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß Einkommensempfänger der gleichen Einkommensgruppe heute in unserem Vaterland drei, ja vier verschiedene Mietpreise zu zahlen haben, je nachdem, ob sie in einer Altbauwohnung von vor 1914 wohnen, in einer Wohnung, die vor 1938 erbaut worden ist. oder ob sie in einer Wohnung des sozialen Wohnungsbaus leben müssen — die sie sich ja nicht aussuchen können —, die vor 1950 bis 1952 oder in jüngster Zeit geschaffen worden ist. So geht es eben nicht. Wir müssen dort zu einer Preisangleichung kommen. Es ist keinerlei Grund zur Aufregung, zumal die Mieterhöhung ja nicht alle gleichweg trifft. sondern sehr unterschiedlich diejenigen betrifft, die bislang unverdientermaßen den Vorzug hatten, in Altbauwohnungen zu leben.
Das zweite sind die öffentlichen Tarife. Hier handelt es sich um eine Konsequenz der verkehrten Energiepolitik, und ich hätte gewünscht, Herr Minister Erhard, daß zu dieser Frage einiges mehr gesagt worden wäre.
Ich brauche hier nur das zu wiederholen, was ich im Oktober ausgeführt habe. In der Energieversorgung sehe ich mit dem Kollegen Hellwig den ernstesten Engpaß. Der andere Engpaß - Arbeitskräfte — läßt sich durch die Automation — um das moderne Stichwort zu gebrauchen — beseitigen. Die Energieversorgung kann nur sichergestellt werden, wenn wir gewillt sind, auf dem Energiesektor ganz bestimmte Investitionen vorzunehmen. Das gilt für die Steinkohle, das gilt auch für die Atomenergie. Ich sage das noch einmal ausdrücklich. Die wahrscheinlich einzige Chance, die allen industrialisierten Staaten bleibt,
das sich rasch entwickelnde Energiedefizit zu dekken, ist die friedliche Verwendung der Atomenergie. Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, daß unser Haushalt eine Summe von rund 50 Millionen DM für diese Zwecke vorgesehen hat. Ich bin der Überzeugung, daß wir diese Summe im nächsten Jahre sogar wesentlich werden steigern müssen.
Wir können selbstverständlich nicht darauf verzichten, unsere Steinkohlenproduktion zu erhöhen. Ich darf daran erinnern, daß wir in der Produktion fast eine Stagnation haben. Vor 1938 haben wir, wenn ich mich recht erinnere, im Gebiet der Bundesrepublik 138 Millionen Tonnen Steinkohle produziert. Jetzt sind wir bei 130 Millionen Tonnen. Wir wären aber bei rechtzeitigen und richtigen Investitionen ohne weiteres in der Lage, diese Steinkohlenproduktion um ungefähr 40 Millionen Tonnen zu steigern. Sie müssen diese Zahlen im Vergleich mit den Zahlen des Ergebnisberichtes des OEEC-Rates in Paris vom letzten Monat berücksichtigen, wo ausgerechnet wird, daß der Energiebedarf bis 1975 um etwa 43 % steigen wird, während die voraussichtliche Produktionserhöhung nur etwa 17 % betragen wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich das unterstreichen, was hier schon gesagt worden ist: auch ich halte es für ausgeschlossen, daß wir im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Arbeitszeitverkürzung vornehmen, solange nicht sichergestellt ist, daß dieser Arbeitsausfall durch entsprechende Rationalisierungsmaßnahmen kompensiert wird. Ich glaube, das ist eine so nüchterne Feststellung, daß darüber keine Diskussion erfolgen sollte.
Ich will das Gebiet der Energieversorgung verlassen, darf aber vielleicht noch darauf hinweisen, daß eine Quelle der Energieversorgung in Deutschland noch stärker ausgenutzt werden muß; das ist das Öl. Ich möchte an die Vertreter des Wirtschaftsministeriums — sofern noch welche da sind —
appellieren, daß in viel stärkerem Umfang als bisher sowohl bei der Elektrizitätsversorgung als auch bei der Gaserzeugung auf 01 umgeschaltet wird. Die Produktionsverfahren der Gaserzeugung sind bei Ölverwendung sehr viel ergiebiger und kostensparender, so daß Preissteigerungen in etwa durch bessere Herstellungsmethoden kompensiert werden können. Ich spreche da aus eigener Erfahrung aus dem kommunalen Sektor und möchte betonen, daß das natürlich nur geht, wenn langfristig geplant wird, wenn man sich also mit den Ländern und Gemeinden verständigt, damit in Zukunft die Ölversorgung sichergestellt wird.
Ein wesentlicher Beitrag zur Deckung unseres Energiedefizits wäre auch die Verwirklichung des Projekts der Pipeline, das augenblicklich die Öffentlichkeit sehr interessiert, insbesondere wenn wir vergleichen, welchen Anteil das Öl an der Energieversorgung der anderen westeuropäischen Länder hat. Bei uns liegen die Zahlen etwa bei 89 % Steinkohle und 6 % Ölversorgung; der Rest ist Naturgas und Wasserkraft. In Westeuropa liegt der Anteil des Öls sehr viel höher. Die Ölversorgung deckt dort den Energiebedarf zu 14 %. In den USA liegt die Zahl etwa bei 30 %.
Ich glaube deshalb, im Namen meiner politischen Freunde die Bitte aussprechen zu müssen, alle Maßnahmen zu fördern, die der Ölversorgung dienen.
Wir begrüßen ausdrücklich, daß endlich der Heizölzoll gefallen ist. Damit wird das Heizöl in den Preisen mit der Kohle vergleichbar. Es braucht bei der gegenwärtigen Kohlenversorgungslage kein Wort darüber verloren zu werden, daß bei all diesen Maßnahmen die dominierende Stellung der Steinkohlenindustrie nicht angetastet wird.
Wenn wir unserer Landwirtschaft, die in ihrer gesamten Struktur gegenüber dem Ausland nicht konkurrenzfähig ist, nicht über solche Preishilfen eine gesunde Grundlage geben, bleibt uns nichts anderes übrig, als daß wir direkt subventionieren. Wir halten diesen letzten Weg für den schlechteren, da jetzt eine gewisse Konkurrenz in landwirtschaftlichen Erzeugnissen wenigstens auf dem innerdeutschen Markt vorhanden ist. Die innerdeutsche Konkurrenz zwingt also den einzelnen Betrieb, sich rechtzeitig und richtig am Markt zu orientieren. Ich glaube, daß dieser Standpunkt richtiger ist, als wenn wir jetzt wahllos gute oder schlechte Betriebe subventionieren würden. Wir halten überhaupt Subventionen für das schlechteste aller wirtschaftspolitischen Instrumente.
Ein Zweites muß bei den landwirtschaftlichen Preisen berücksichtigt werden. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Weltmarktpreise absolut keine Marktpreise, sondern von den betreffenden Nationalwirtschaften manipuliert sind und zum Teil eben Dumpingpreise darstellen. Nun ist es für den Verbraucher sehr verlockend, sich vorzustellen, daß man immer am Weltmarkt jeweils zu den billigsten Preisen kaufen kann. Ich glaube aber, das ist eine Milchmädchenrechnung; denn wir können nicht verlangen, daß unsere sowieso schon gehandicapte Landwirtschaft mit Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt konkurriert. Das muß einmal klar ausgesprochen werden.
Bei einer richtigen Analyse der Preisentwicklung in den letzten Jahren besteht absolut kein Grund zu irgendwelcher Aufregung, zumal dem die reale Kaufkraftsteigerung für alle Lohn- und Gehaltsempfänger entgegengehalten werden muß. Selbstverständlich: die Preisbewegung gerade auf diesem Sektor des starren Bedarfs trifft diejenigen besonders hart, die nicht mehr im Wirtschaftsleben stehen, die also in ihrem Einkommen keine Steigerung in wesentlichem Umfang zu verzeichnen haben; daher die Notwendigkeit einer Rentenreform. Wir bejahen das. Aber ich will die Diskussion von morgen nicht vorwegnehmen. Ich möchte nur das Problem der Rentenreform im Zusammenhang mit einigen anderen Maßnahmen — mit der Konjunktur — erwähnen.
Der Preisbewegung muß die sogenannte Konjunkturlage in den einzelnen Branchen gegenübergestellt werden, d. h. die sogenannte Überhitzung, die angeblich dasein soll. Es sind hier sehr harte Worte gefallen, auch von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister. Er hat, ich glaube, gesagt, daß er es allmählich nicht mehr anhören möchte, wenn die Leute, denen die gute Konjunktur aus den Nähten platze, klagten, sie hätten an der Konjunktur nicht teilgenommen. Ganz so generell, Herr Bundeswirtschaftsminister, dürfen wir es doch nicht sagen. Sie tun damit der Erkenntnis der wirklichen Lage keinen Dienst. Wir dürfen uns mit so allgemeinen Bemerkungen nicht zufrieden geben. Auch wir sind uns darin einig. In der Tat haben mindestens große Zweige der Konsumgüterindustrie — ich betone es — an dem Aufschwung nicht teilgenommen, und es ist gut so, daß dort noch erhebliche Reserven sind. In denke z. B. an die Ernährungsindustrie, ich denke an die Textilindustrie — das ist hier schon erwähnt worden —; andere Konsumgüterindustrien sind vom Kollegen Hellwig zitiert worden. Ich glaube aber auch, sagen zu können, daß die gesamte Hausratindustrie, ja selbst die Möbelindustrie noch erhebliche Reserven haben; Kollege Atzenroth wird mir darin vielleicht zustimmen können. Selbstverständlich stimmt es, daß einzelne Sparten der Möbelindustrie Lieferzeiten von zur Zeit zwei Monaten haben. Das kommt aber doch daher, daß die Leute heute alles das haben wollen, was gerade nicht am Markt ist, während andere, durchaus gleichwertige Möbel nicht gekauft werden. Das ist ein Teil der Käuferpsychologie. Der Käufer handelt eben leider nicht als Individuum, sondern immer als Gruppe; er ist psychologischen Kontakten ausgesetzt. Insofern stimme ich dem Kollegen Scheel zu, daß der Bundeswirtschaftsminister auf dem richtigen Wege ist, wenn er dieses Gruppenverhalten des Käufers psychologisch richtig anspricht. Es hat auch sein Gutes — wir werden nachher noch darauf zurückkommen —, weil man dann das Verhalten der Käufer in etwa noch voraussehen kann, was ja sonst nicht möglich ist. Ich stimme generell mit Ihnen überein, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß man die Zukunft nicht voraussehen kann. Aber die Gesetze der Psychologie ermöglichen es uns, in etwa doch einen Trend, eine Richtung zu erkennen. Das sei vorweg bemerkt.
Nun zu den eigentlichen Quellen der Konjunkturüberhitzung. Das ist im wesentlichen der Baumarkt. Es stimmt wohl, daß die gesamte Investitionsgilterindustrie, die Maschinenindustrie, die Elektroindustrie usw., auch einen ungewöhnlich guten Auftragsbestand hat; es sei aber nicht verschwiegen, daß die Auftragsbestände sich reduziert haben, daß die Lieferzeiten zum Teil verkürzt und ja außerdem auch sehr unterschiedlich sind. Aber die Quelle allen Übels, wenn ich so sagen darf, ist in der Tat der Baumarkt. Nun wäre es sehr einfach, wenn wir die gesamten öffentlichen Investitionen auf dem Baumarkt streichen könnten. Die vorgesehene Reduzierung des Bauanteils des Bundes ist natürlich nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Wenn ich von einem Bauvolumen des Bundes — das hier im Bericht mit 240 Millionen angegeben wird — 130 Millionen streiche, dann besagt das bei einem Gesamtbauvolumen von rund 25 Milliarden gar nichts. Wir müssen hier richtig differenzieren. Wir können, wie das schon der Regierungsbericht richtig sagt, unter keinen Umständen Investitionen auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus drosseln, obwohl das sicherlich die wirksamste Maßnahme wäre. Die theoretisch einwandfreieste und richtigste Maßnahme verbietet sich aus sozialen und politischen Gründen. Aber es ist doch die Frage, ob nicht der Bau seitens der
Gemeinden, der Länder und des Bundes, insbesondere aber der der Gemeinden und Länder, stärker gedrosselt werden soll. Ich begrüße ausdrücklich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister den — wahrscheinlich platonischen — Versuch machen wird, das über einen Gemeinschaftsausschuß durch gutes Zureden — denn mehr Mittel hat er ja nicht in der Hand — und durch Appelle an die Vernunft bei den Ländern und Gemeinden zu erreichen. Bei den Ländern mag es möglich sein, weil Sie dort mit wirtschaftspolitisch gut vorgebildeten Menschen zu reden haben. Ich bezweifle aber die Einsicht unserer Kommunalparlamente; denn in den Kommunalparlamenten — das soll hier einmal ganz deutlich gesagt werden — sitzen ja Menschen, die die Steuern im wesentlichen nicht direkt aufbringen — ich betone: nicht direkt aufbringen —, die also in Zeiten der Hochkonjunktur in die Versuchung geraten, möglichst viel auszugeben, um in der Kommunalpolitik ,das, was an und für sich — ich betone es — wünschenswert wäre, ausführen zu können. Ich denke an den Nachholbedarf an Krankenhäusern, Sportplätzen und Verwaltungsbauten. Alles das muß infolge der Zunahme unserer Bevölkerung sein; das gebe ich alles zu. Aber ich glaube auch, es wäre richtig, wenn wir diesen Versuchungen widerstünden und die Sache ein, zwei, selbst drei Jahre hinausschöben. Dann wäre etwas Gutes gemacht. Aber es ist von der Einsicht der Menschen zuviel verlangt, zu hoffen, daß der einfache Appell an die Kommunalparlamente diesen Effekt haben würde.
Daß die Menschen zu allen Zeiten sich nicht sehr einsichtig verhalten haben, kann ich einem Beispiel entnehmen, das in der Konjunkturlehre des verstorbenen Professors Wagemann dargestellt ist. Dort vergleicht er nämlich die öffentliche mit der privaten Bautätigkeit in den Jahren 1885 bis 1913 und stellt fest, daß der private Wohnungsbau sich immer konjunkturpolitisch richtig verhalten hat, d. h. verstärkt dann gebaut hat, wenn ein Wellental da war, daß er also antizyklisch gebaut hat, während der öffentliche Bau stur weitergetrieben warden ist.
Die Konsequenz ist dann, daß die Spitzen in der Konjunktur verstärkt und die Täler, die Depressionen, vertieft werden. Theoretisch ist alles so furchtbar einfach. Aber der Mangel an wirtschaftspolitischer Einsicht derjenigen Menschen, die darüber zu bestimmen haben, ist die Crux. Deswegen glaube ich nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie mit einem einfachen Gemeinschaftsausschuß Erfolg haben werden. Ich bejahe, daß Sie überhaupt den Versuch machen sollen. Aber wenn wir wirklich zu Maßnahmen kommen wollen, rühren wir an die schwierigste Seite unserer Verfassung, unseres Grundgesetzes. Wir haben keine Einflußmöglichkeiten auf die Kommunalparlamente, und wir haben wenig Einflußmöglichkeiten auf die Länderparlamente. Deswegen stehe ich diesen Regelungen mit einiger Skepsis gegenüber.
Was ich eben gesagt habe, gilt für den Hochbau. Er ist in der Tat die Quelle unseres Übels. Die Maßnahmen, wie sie die Bundesregierung schon geschildert und eingeleitet hat, mildern das Übel insofern, als wir eine längere Bauperiode bekommen, die Kapazitäten besser ausnutzen und infolgedessen der Arbeitsanfall nicht so groß wird.
Diese Überlegungen sollten nicht für den Verkehrsbau gelten. Ich vermisse in der Regierungserklärung einen deutlichen Hinweis darauf, daß die Verkehrsbauten, insbesondere der Straßenbau, weitergeführt werden sollen. Ja, der Straßenbau muß sogar erst entwickelt werden. Nach meiner Auffassung ist das dreifach begründet.
Erstens. Der Straßenbau — Herr Kollege Hellwig hat das schon ausgeführt; ich brauche es nicht zu wiederholen — verfügt zur Zeit über nicht ausgenutzte Kapazitäten. Er kann also ohne Neuinvestierungen, ohne Neuanschaffung von Maschinen, ohne Neueinstellung von Arbeitskräften — das ist vielleicht noch entscheidender — das Doppelte von dem leisten, was er bisher geleistet hat. Ja, der Herr Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie de le Roi hat dargelegt, daß er sogar das Zweieinhalbfache von 1955 leisten könne. Ich weiß nicht, ob die Zahl stimmt. Bleiben wir bei dem Doppelten, das genügt uns schon.
Die Wichtigkeit des Straßenbaus ergibt sich nicht nur aus rein wirtschaftspolitischen Überlegungen. Denken wir daran, daß jedes Jahr infolge schlechter Straßen eine große Zahl von Verkehrsunfällen entstehen. Bei guten Straßen wären sie sicherlich vermeidbar. Unsere Todesquote durch Verkehrsunfälle liegt mehr als doppelt so hoch wie in England, obwohl die Straßen in England nicht sehr viel besser sind; sie haben eben nur eine bessere Oberflächenbeschaffenheit.
Außer der Zahl der Todesfälle und natürlich außer dem Materialschaden müssen wir vor allen Dingen wegen unseres Arbeitskräftepotentials auch berücksichtigen, wie viele Ausfälle wir durch die Verletzten haben. Die Straßenunfälle bringen eine ungewöhnlich hohe Zahl von Dauerinvaliden mit sich. Der Münchner Chirurgenkongreß hat im vergangenen Jahr die Angabe gemacht, die Unfälle auf den Straßen kosteten dem deutschen Volk jährlich 21/2 Milliarden DM. Wenn es uns gelänge, diesen Betrag durch ein vernünftiges Straßenbauprogramm nur um die Hälfte zu senken, dann würde sich das schon wirtschaftlich auszahlen, abgesehen von all dem menschlichen Leid, das hinter der grausigen Zahl von 12 000 Toten und Zig-tausenden anderer Unfälle steht. Ich glaube also im Namen meiner Freunde fordern zu müssen, daß der Straßenbau weitergeführt wird. Das ist wirtschaftspolitisch und menschlich gerechtfertigt und notwendig.
Deswegen bin ich mit dem im Regierungsentwurf enthaltenen Vorschlag, die Vorfinanzierung öffentlicher Investitionen einzustellen, einverstanden, soweit es sich um öffentliche Investitionen für den Hochbau handelt. Aber ohne eine regelmäßige Vorfinanzierung des Straßenbaues können wir den Straßenbau nicht zügig voranbringen. Wir sind doch nun allmählich in eine solche Zwangslage gekommen, daß wir in den nächsten Jahren mehr tun müssen als bisher.
Nun komme ich zu der Frage der öffentlichen Investitionen überhaupt. Hier weiche ich in meiner Meinung etwas von den Vorschlägen der Regierung ab. Ich bin damit einverstanden, alle öffentlichen Investitionen einzuschränken, soweit das in dem Rahmen, wie ich ihn eben gesteckt habe, vertretbar ist. Ich bin nicht damit einverstanden, daß wir private Investitionen kürzen, daß wir also die privaten Investitionen zum Prügelknaben machen. Private Investitionen — es ist das Verdienst des
Kollegen Hellwig, daß er das ganz klar herausgestellt hat — erhöhen die Produktion. Wir verfügen heute nicht mehr über nennenswerte Arbeitskraftreserven. Die Steigerung unseres Sozialprodukts geht nicht mehr, wie bisher, über die Hereinnahme noch nicht beschäftigter Arbeitskräfte, sondern geht im wesentlichen nur noch über eine Steigerung der Produktivität. Produktivität ist gleichbedeutend mit Einsatz von Maschinen, mit Einsatz von Kapital, d. h. Investitionen. Ich bin also der Auffassung, daß wir gerade in Zeiten der Hochkonjunktur, wo die Probleme der Vollbeschäftigung sichtbar werden, eine Endlösung nur bekommen werden, wenn wir dem Übel an die Wurzel gehen und durch Investitionen den Arbeitskräftemangel beseitigen. Diese Überlegung scheint mir richtig und konsequent zu sein.
Ich stimme mit Ihnen, Herr Professor Erhard, darin überein, daß viele Investitionen in der Privatwirtschaft zu aufwendig gewesen sind und daß wir solche Investitionen nicht fördern sollten. Es gibt aber ein einfaches Mittel, diese Investitionen in der Privatwirtschaft auf das betriebswirtschaftlich Notwendige zu beschränken: wir sollten die überhöhten Steuersätze abschaffen. Es ist doch kein Zweifel darüber, daß unsere Steuerprogression ungewöhnlich hoch ist. Die Träger hoher Einkommen — und das sind im wesentlichen die Firmen — zahlen immer noch Steuersätze, die, wenn ich alles dazuschlage, an 70 % heranreichen. Sie werden verstehen, daß kein Mensch gern so hohe Steuern zahlt. Also ist die Versuchung riesengroß, über Investitionen auch unnötiger Art durch erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten die Steuern zu drücken. Das ist eine ganz zwangsläufige menschliche Reaktion. Wir wollen doch an dem Wesen der Menschen nicht vorbeigehen! Es ist, glaube ich, sehr viel realer, zu sehen, wie der Mensch beschaffen ist, als daß wir hier irgendwelche utopischen Vorstellungen haben. Wenn wir daher die Steuern drastisch senken, wird die Versuchung zu Fehlinvestitionen meiner Meinung nach nicht mehr so stark sein. Da uns Zwangsmaßnahmen nicht zur Verfügung stehen, sollten wir diesen Weg der Steuersenkung gehen. Auch alle diejenigen, die daran nicht teilhaben werden, sollten das notwendige Verständnis für die Richtigkeit dieses Weges aufbringen. Ich glaube daher dem Herrn Finanzminister empfehlen zu sollen, von seinem bisherigen engen fiskalischen Denken abzugehen und etwas mehr die wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten einerseits und die menschlichen Eigentümlchkeiten andererseits zu berücksichtigen.
Noch ein weiteres Wort zur Frage der Investitionen. Unsere jetzige Lage — das ist hier schon gesagt worden, ich kann es daher kurz machen — ist dadurch gekennzeichnet, daß auf der einen Seite ein Arbeitskräftemangel besteht, auf der andern Seite dieser Arbeitskräftemangel natürlich dazu verleitet, daß man erhöhte Lohnforderungen stellt. Wenn etwas alarmierend ist, dann ist es die Zahl in dem Bericht der Bundesregierung, die besagt, daß im ersten Quartal dieses Jahres eine Lohnsteigerung von 9,9 % stattgefunden hat gegenüber einer echten Produktivitätssteigerung von nur 3,5 %.
Ich will diese Zahl gar nicht mal als typisch annehmen. Aber Tatsache ist, daß in dem vergangenen Jahr 1955 insgesamt gesehen die Lohnsteigerung 7,5 % betragen hat und daß die Produktivitätssteigerung nur bei etwa 5,5 % gelegen hat. Es ist selbstverständlich, daß das zu Preissteigerungen führen muß. Wenn die Löhne stärker steigen und damit auch die Kaufkraft stärker steigt als das Warenangebot, die Warenerzeugung, erfolgen notwendigerweise Preissteigerungen.
Das ist mit einem Wort die gegenwärtige Situation. Da hilft uns kein Rufen nach Preisstopp, kein Rufen nach dem Wirtschaftsstrafgesetz. Wir alle haben eine jahrzehntelange Erfahrung mit solchen Instrumenten. Der Gesetzgeber ist weiß Gott durch noch so drakonische Strafgesetze nicht in der Lage, an dem einfachen Spiel von Angebot und Nachfrage irgend etwas zu regeln. Es gibt in dieser Lage nur einen Weg: wir müssen unsere Gütererzeugung noch verstärken. Ich meine, daß dort noch gewisse Reserven sind. Deswegen vorhin meine Beispiele aus der Ernährungsindustrie, der Textilindustrie usw. Vor uns steht also die Aufgabe, die Investitionen zu differenzieren und sie in stärkerem Umfange in die Konsumgüterindustrie zu lenken.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß wir eine großartige Möglichkeit hätten, hier die unausgenutzten Kapazitäten Berlins ins Spiel zu bringen. Ich glaube, daß das die beste Berlin-Hilfe ist, die dieses Haus unserer Hauptstadt angedeihen lassen kann.
Das ist besser als irgendwelche Subventionen. Ich hoffe daher, daß der Wirtschaftsminister gerade diesem Zusammenhang nachgehen und versuchen wird, die Reserven sowohl an Arbeitskräften als auch an Konsumgüterkapazität der Hauptstadt Berlin ins Spiel zu bringen, aber ohne daß nun ein Abzug von Arbeitskräften aus Berlin nach hier erfolgt; denn das wäre selbstverständlich witzlos. Gerade in dieser Zeit der Hochkonjunktur hätten wir hier eine der verdienstvollsten Aufgaben unserer Wirtschaftspolitik.
Nachdem Herr Kollege Hellwig hier die großen Gesichtspunkte mit vollkommener Klarheit vorgetragen hat — ich bin ihm nicht gram darum, daß er mir das vorweggenommen hat, sondern sehr dankbar —, möchte ich noch auf einige Einzelheiten eingehen, die mir besonders am Herzen liegen. Das erste ist die Frage der bundeseigenen Betriebe. Wenn ich eingangs gesagt habe, das vielleicht Treffendste, was hier gesagt worden sei, sei, daß wir unsere Lage nicht dramatisieren sollten, so möchte ich nunmehr sagen: das Beste, was der Herr Bundeswirtschaftsminister in seinem Bericht gesagt hat, ist, daß nunmehr das Problem der bundeseigenen Betriebe in einem gewissen Umfang — wie ich bescheiden sage — gelöst werden soll.
Ich begrüße ausdrücklich, daß der Versuch gemacht werden soll, über Investmentgesellschaften und Klein-Zertifikate den Begriff des Eigentums all den Kreisen des deutschen Volkes wieder nahezubringen, die bislang keine Möglichkeit hatten, direktes Eigentum, sei es an Grund und Boden oder an Hausbesitz, zu erwerben. Ich halte das für einen ausgezeichneten Weg, und es ist wahrscheinlich der einzige Weg, den eine Industriegesellschaft gehen kann.
Nun genügt es aber glaube ich, nicht, das Problem der bundeseigenen Betriebe mit Hilfe der Investmentgesellschaften zu lösen. Es ist bekannt, daß die Investmentgesellschaften immer nur 5 bis 6 % ihres Kapitals in einem Werk anlegen können. Das würde also, da wir, glaube ich, fünf Invest-
mentgesellschaften haben, bestenfalls zu einer Privatisierung von 25 % der bundeseigenen Betriebe führen.
Greifen wir doch einmal ein konkretes Beispiel heraus, ein Beispiel, das nicht nur mich, sondern wohl das gesamte deutsche Volk seit langem beschäftigt. Das ist das Beispiel des Volkswagenwerks. Es gibt kein besseres Objekt zur Reprivatisierung als das Volkswagenwerk. Wenn wir das Volkswagenwerk reprivatisieren, wenn wir also heute Kleinaktien etwa im Werte von 50 bis 500 DM ausgeben, dann bin ich überzeugt, daß morgen die Aktien aufgekauft sind, und zwar von den Werktätigen selber. Denn jeder Werktätige, nicht nur die Fahrer von Volkswagen, hat ein Interesse daran, an diesem beispielhaften Werk beteiligt zu sein.
Nun hat der Herr Bundesfinanzminister, wie heute bereits erwähnt wurde, aus dem fernen Bayreuth einige Torpedos losgelassen. Ich bin nicht mit ihm der Meinung, daß sie ihr Ziel getroffen haben. Der erste Einwand ist, daß selbstverständlich nicht unter Preis verkauft werden dürfe. Wer spricht denn davon? Niemand! Ich war allerdings der Auffassung. daß das Volkswagenwerk nicht gerade eine Milliarde D-Mark wert ist. Aber ich will mich, gern belehren lassen und würde mich freuen, wenn es diesen Wert hätte. Ich darf hier ein Bonmot unseres Kollegen Scharnberg aufgreifen, der einmal gesagt hat, daß ihm beim Herrn Bundesfinanzminister manchmal eine merkwürdige Differenz zwischen Geldwert und Briefwert aufgefallen sei. Wenn ich mich recht erinnere, steht das Volkswagenwerk im Bundesvermögen mit ganzen 60 Millionen DM zu Buch. Ich hatte mir vorgestellt, daß es wahrscheinlich einen Betrag von 600 bis 800 Millionen DM wert sei. Aber nehmen wir an, es sei eine Milliarde; wir wollen uns nicht darüber streiten. Der Einwand, daß wir unter Preis verkaufen wollten, trifft einfach nicht zu. Der Preis wird durch den Marktwert der Aktien bestimmt.
Der zweite Einwand: Überfremdung. Ich glaube nicht, daß eine ausländische Überfremdung so gefahrdrahend ist. Gerade im Zeichen des gemeinsamen Marktes sollte uns das nicht so schwer drücken. Aber zugegeben, auch ich bin der Auffassung, daß wir kein Interesse daran haben, daß große Kapitalgruppen ausländischer oder inländischer Provenienz eine Überfremdung vornehmen. Nun, Herr Bundesfinanzminister — es gibt doch einen sehr einfachen Weg, das zu verhindern. Sie brauchen doch nur 50 oder 60 % der Aktien als vinkulierte Namensaktien auszugeben; d. h. auf deutsch gesagt, daß die Veräußerung der Aktien nur mit der Zustimmung der Geschäftsleitung möglich ist; dann wissen Sie ganz genau, daß eine Überfremdung durch unerwünschte Aufkäufer nicht möglich ist. — Also der Einwand sticht bestimmt nicht.
Eine Veräußerung eines solchen bundeseigenen Betriebes — es wird nicht der erste und wird hoffentlich nicht der letzte sein - hätte einen großen Vorzug gerade in der jetzigen konjunkturpolitischen Lage; und deswegen bringe ich ihn als Beispiel. Er würde bedeuten, daß die Konsumkraft um mindestens 1 Milliarde DM — wenn wir den Kaufpreis akzeptieren — abgeschöpft wird. Denn wenn jemand Aktien kauft, kann er das Geld nicht für Konsumgüter ausgeben. Diese Aktien würden zweifellos auf dem Kapitalmarkt angelegt werden können.
Ich habe vergessen, vorhin bei den Einwänden des Herrn Bundesfinanzministers einen dritten aufzuzählen. Das ist die Frage des Eigentums. Nun, der ist am wenigsten überzeugend. Wenn wir den Erlös aufteilen zwischen den vermutlichen Eigentümern — sei es der Bund, sei es das Land Niedersachsen ganz oder teilweise —, spielt es gar keine Rolle, ob das Objekt als Fabrik dasteht oder der Gegenwert in Form des Erlöses der Aktien. Dieser Einwand geht also meiner Meinung nach völlig daneben.
Ich glaube also, daß wir hier wirklich sowohl aus dem Begriff des Eigentums, den wir ja alle, soweit wir der Koalition angehören, unterstützen, als auch aus der gegenwärtigen konjunkturpolitischen Lage diesen Versuch machen sollten, unnötige Kaufkraft abzuschöpfen.
Ich mache Ihnen diesen Vorschlag deswegen, weil im Augenblick noch die große Sorge besteht, daß wir durch Lohnsteigerungen — ich weiß nicht, ob wir sie verhindern können; Herr Kollege Hellwig hat das Seinige dazu gesagt, ich will das nicht wiederholen — und durch Rentensteigerungen voraussichtlich eine Kaufkrafterhöhung um rund 8 Milliarden DM haben werden, ohne daß ein entsprechend großes Warenangebot dagegensteht.
Nun ist der Vorschlag gemacht worden — volkswirtschaftlich durchaus richtig —: „Nun, dann drosseln wir die Exporte." Selbstverständlich wirken sich die Exporterlöse preissteigernd aus; sie bringen über die Löhne Kaufkraft, ohne daß eine entsprechende Warenmenge dagegensteht, weil die Warenmenge ja ins Ausland gegangen ist.
Ich bin der Auffassung, daß die Exportdrosselung der schlechteste Weg wäre, und freue mich, daß auch der Bundeswirtschaftsminister darauf hingewiesen hat, daß nicht daran gedacht werden könne, in der gegenwärtigen deutschen Lage den Export als solchen zu drosseln. Ich bin mit ihm einer Meinung, daß wir keine Subventionierung des Exports mehr vornehmen dürfen. Eine solche wäre auch unfair gegenüber unseren Handelspartnern. Aber den Export selber auch nur im geringsten aus innerwirtschaftlichen Gründen zu drosseln, wäre nach meiner Auffassung Selbstmord. Wir wollen doch eine Grundtatsache nicht vergessen; das ist die, daß Deutschland so gut wie gar keine eigenen Rohstoffe hat, daß es also, wenn es seinen hohen Standard halten will, darauf angewiesen ist, industrielle Rohstoffe und auch Ernährungsgüter aus dem ausländischen Markt hereinzunehmen. Das kann es nur, wenn die deutsche Wirtschaft in der Lage ist, mit Devisen zu bezahlen; und das können wir nur, wenn wir unsere aus den Rohstoffen gefertigten Fertigerzeugnisse wieder dem Ausland zur Verfügung stellen. Ich glaube, daß an dieser Binsenwahrheit niemand vorbeigehen kann. Es wäre verhängnisvoll, in der gegenwärtigen Situation einen anderen Weg zu beschreiten. Denn das ist sicher — die Erfahrungen von zwei Weltkriegen haben uns das gelehrt —: es ist unheimlich schwer, auf dem Weltmarkt wieder Fuß zu fassen. Wir haben Glück gehabt, daß unsere Wirtschaft nach Ausbruch der Koreakrise in einem so ungewöhnlichen Maße wieder auf dem Weltmarkt hat Fuß fassen können. Ich glaube, diese Grundtatsache sollte nicht vergessen werden.
Ich komme zu einem anderen Problem: Steuern und Kapitalmarkt. Ich begrüße ausdrücklich, daß
in der Regierungsvorlage vorgeschlagen ist, den Kapitalmarkt zu fördern. Wer 10 % seines Einkommens spart, soll 5 % von der Steuer absetzen können. Ich hätte allerdings gewünscht, daß dieser Satz höher wäre, zumindest 20 % und 10 %. Das würde eine viel wirksamere Hilfe sein. Unsere Wirtschaft ist, wie ich eingangs gesagt habe, dadurch charakterisiert, daß der Kapitalmarkt nicht in Ordnung ist. Es ist bekannt, daß wir seit Monaten überhaupt keinen Kapitalmarkt mehr haben. Wenn wir diesen Kardinalfehler unserer wirtschaftlichen Situation beheben wollen, müssen wir Maßnahmen zur Stärkung des Kapitalmarkts treffen. Das kann man nur durch Steuersenkungen einerseits und durch direkte Förderungen andererseits auf dem Wege, den die Bundesregierung vorsieht. Aber ich glaube, daß dieser Kompromiß, der zwischen Wirtschaftsminister und Finanzminister geschlossen worden ist, ein zu kläglicher Kompromiß ist und daß die Quote wesentlich heraufgesetzt werden muß.
Ich komme auf einen weiteren Punkt, über den in der Regierungserklärung noch nicht gesprochen worden ist, der aber im Zusammenhang mit dem vorherigen steht, mit dem Sparen. Unsere jetzige Situation ist auch deswegen so ernst, weil die Sparquote dauernd zurückgeht. Daß sie zurückgeht, mag zum Teil daran liegen, daß wir aus einer falschen Psychologie unseren Staatsbürgern ewig von einer Inflation erzählt haben. Ich bin dem Kollegen Scheel, der jetzt in Opposition zur Regierung steht, sehr dankbar, daß er gleich zu Beginn darauf hingewiesen hat, daß von einer Inflation überhaupt nicht die Rede sein kann, wenn auch Preissteigerungen auf der ganzen Linie von 2 bis 3, sagen wir selbst 5 % im letzten Jahr vorgekommen sind. Von einer Inflation kann man dann weiß Gott nicht reden. Wie unsinnig das Gerede von der Inflation ist, geht doch am besten aus der Bemerkung hervor, daß wir eigentlich vor dem Problem der Aufwertung stehen, daß wir, international gesehen, im Grunde genommen einen viel zu niedrigen Kurs haben, daß wir das Verhältnis zwischen D-Mark und Dollar aufwerten müssen. Das ist doch genau das Gegenteil von Inflation. Ich glaube, das sollte auch ganz klar ausgesprochen werden.
Aber die Tatsache bleibt bestehen, daß die Sparrate zurückgegangen ist, wahrscheinlich nicht nur durch das Gerede von der Inflation, sondern auch deswegen, weil erst jetzt der Konsument dem Druck, dem Anreiz zum Konsum, der auch aus unserer amtlichen Wirtschaftspolitik hervorgeht, allmählich folgt. Da sehen Sie, wie schwerfällig im Grunde genommen die Menschen reagieren. Eine Parole, die vor drei Jahren sicherlich noch richtig war, kommt jetzt bei den Konsumenten allmählich an, mit einer Spätzündung, wenn Sie wollen, und jetzt hat sie konjunkturpolitisch gerade den ungünstigsten Effekt. Es kommen nicht genug Gelder auf den Kapitalmarkt. Das Ergebnis ist wahrscheinlich, daß wir den Wohnungsbau gefährden, weil die Sparkassen nicht mehr in der Lage sind, erste Hypotheken im gewünschten Umfange auszuzahlen. Es ist daher dringend nötig, daß wir das Sparen fördern.
Nun frage ich die Regierung: Glaubt sie, daß der Wille zum Sparen gefördert wird, wenn wir bei einer Rentenreform eine automatische Koppelung mit den Löhnen vornehmen und Renten in einer Höhe gewähren wollen, die jedem Arbeitnehmer den Gedanken nahelegt: Wozu soll ich noch sparen? Für mein Alter ist ja regierungsseitig gesorgt. Mir kann nichts passieren; ich bin über alle Inflationsgefahren hinaus.
Also gespart wird nicht mehr, es wird nur noch konsumiert. Das ist doch ein verhängnisvoller Kreislauf. Ich glaube, daß hier der Herr Bundeswirtschaftsminister seinem Kollegen aus dem Arbeitsministerium nicht den auf volkswirtschaftliche Erkenntnisse gegründeten Druck entgegengesetzt hat. Ich fühle mich verpflichtet, auf diese Zusammenhänge in diesem Rahmen hinzuweisen; das andere wird die morgige Rentendebatte ergeben.
Das bedeutet nicht, daß meine Freunde von der Deutschen Partei etwa gegen Rentenerhöhungen sind. Wir wenden uns nur gegen ein volkswirtschaftlich nicht vertretbares Maß und gegen eine automatische Bindung an Löhne statt einer alleinigen Bindung an die Produktivitätsquote, die ein vergleichsweise objektiver Maßstab ist. Ich darf daran erinnern, daß ich ähnliche Vorschläge in diesem Hause schon wiederholt gemacht habe. Wir sind daher konsequent, wenn wir dem Regierungsentwurf in diesem Punkt nicht zustimmen.
Nun komme ich zu dem Problem Konjunkturbeirat. Ich bin kein Freund von Institutionen. Ich glaube, daß wir in dem Wirtschaftskabinett ein Instrument haben, das die Aufgabe eines Konjunkturbeirats lösen kann. Wünschenswert wäre natürlich — Herr Kollege Hellwig hat es auch gesagt —, daß wir die amerikanischen Erfahrungen benutzten, daß wir so etwas wie einen brain trust von Wirtschaftswissenschaftlern schaffen, der der Regierung zur Verfügung steht. Aber das hilft alles nicht, wenn wir nicht in der Lage sind, den Trend unserer wirtschaftlichen Entwicklung rechtzeitig zu erkennen. Ich unterstütze daher die Ansicht von Kollegen Hellwig. Wir brauchen ein ökonometrisches Institut, wo mit Hilfe der modernsten Elektronenrechenmaschinen die Veränderungen volkswirtschaftlicher Daten so kurzfristig wie möglich erfaßt werden, damit man nicht mehr nur auf die psychologische Beeinflussung des Konsumenten angewiesen ist, sondern rechtzeitig konkrete Maßnahmen planen kann.
Nun kann es sein, daß wir auf Grund von Ereignissen auf dem Weltmarkt, die wir gar nicht beeinflussen können, in eine gewisse recession, also in ein Konjunkturtal kommen. Wenn wir die Konjunkturzyklen richtig ausgleichen wollen, müssen wir rechtzeitig Maßnahmen bereit haben. Das Parlament ist meines Erachtens zu schwerfällig, rechtzeitig konjunkturpolitisch notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Wir müssen also, um für diesen Fall gerüstet zu sein, einen Reservehaushalt haben und die Bundesregierung ermächtigen, im Einvernehmen mit der Bank deutscher Länder aus Mitteln dieses Haushalts zur Steuerung der Konjunkturzyklen konjunkturpolitisch notwendige Ausgaben zu machen, ohne daß der schwerfällige Weg über das Parlament beschritten wird. Ich glaube, das ist ein vernünftiger Lösungsvorschlag; die spätere Diskussion wird das noch zeigen.
Ich darf zum Schluß wieder einmal die Ausgabe des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts vom Juni zitieren. Dort wird im ersten Absatz des einleitenden Aufsatzes folgendes gesagt:
Die westdeutsche Wirtschaft hat heute alle
Chancen, das reale Wachstum fortzusetzen,
allerdings unter der einen Bedingung, daß alle
Beteiligten sich wirtschaftspolitisch richtig verhalten.
Darüber, was wirtschaftspolitisch richtig ist, setzt die Diskussion ein. Ich darf in wenigen Punkten ganz kurz zusammenfassen, was meine Freunde unter einem wirtschaftspolitisch richtigen Verhalten verstanden wissen wollen.
Das erste ist natürlich eine richtige Preispolitik. Man muß der Versuchung widerstehen — der Appell geht im wesentlichen an die Unternehmer —, aus der jetzigen günstigen Konjunkturlage Gewinne erzielen zu wollen, die nicht berechtigt sind. Das ist ein ernstes Anliegen. Gerade in diesen Kreisen sollte soviel wirtschaftspolitische Einsicht vorhanden sein, daß dieser Appell nicht ins Leere geht.
Das zweite betrifft die Gegenseite bzw. die Löhne der Arbeiter. Ich bin der Überzeugung, daß wir einen Lohnstopp nicht einführen sollten und nicht einführen können. Wir haben damit zu schlechte Erfahrungen gemacht. Der Lohnstopp ist nicht notwendig. Es gibt für das Maß der Lohnsteigerung einen ganz objektiven Maßstab, der allerdings nicht ganz einfach anzuwenden ist: das ist die Produktivitätssteigerung. Wenn wir die Löhne nur im Rahmen der Produktivitätssteigerung erhöhen, dann besteht volkswirtschaftlich und währungspolitisch absolut keine Gefahr. Das bedeutet selbstverständlich auch eine gewisse Mäßigung in der Frage der Verkürzung der Arbeitszeit, denn sie steht damit im Zusammenhang.
Zu einem wirtschaftspolitisch richtigen Verhalten gehört weiter, daß das Verhältnis der Steuern zu den Investitionen richtig gestaltet wird, d. h. daß man nicht durch überhöhte Steuern die Investitionstätigkeit anreizt.
Ferner gehört dazu, daß wir die Exporterlöse richtig verwenden. Ich habe mich zuvor schon gegen eine Verringerung der Exporte ausgesprochen. Eine volkswirtschaftlich unerwünschte Wirkung der Exporterlöse ließe sich nach Meinung meiner politischen Freunde dadurch verhindern, daß wir die Exporterlöse, die jetzt in Form der Währungsreserven in Höhe von 14 Milliarden DM an Gold und Devisen vorliegen, dazu verwendeten, unsere Schuldverpflichtungen gegenüber dem Ausland zu erfüllen. Wir sehen uns immer nur als Gläubiger in bezug auf die Länder, nach denen wir exportieren. Wir sehen aber niemals, daß wir von früher her Schulden haben, die rund 25 Milliarden DM betragen. Es wäre daher sinnvoll, wenn wir die einmalige günstige Situation unserer Währungsreserven und unseres Exports dazu benutzten, endlich diese Verpflichtungen, die wir übernommen und anerkannt haben, einzulösen. Das würde uns meiner Meinung nach auch endlich den Zutritt zum internationalen Kapitalmarkt sichern. Solange wir ein so schlechter Schuldner sind, so lange wird uns kein Mensch nennenswerte Kapitalien zur Verfügung stellen. Diese Konsequenz muß einmal ganz deutlich gesehen werden.
Ich will über die Frage der Importe nicht mehr sprechen; dazu ist schon zuviel gesagt worden.
Über die Frage der Sozialpolitik im Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik habe ich bereits gesprochen.
Ich glaube also sagen zu können, daß wir absolut keinen Grund haben, unsere wirtschaftspolitische Situation irgendwie zu dramatisieren. Wir haben keinen Anlaß, sie zu bagatellisieren; aber bei vernünftigem wirtschaftspolitischen Verhalten können wir getrost in die Zukunft blicken. Die Ergebnisse der Produktivitätssteigerung in den uns benachbarten Ländern und in Amerika sollten uns eigentlich sehr hoffnungsvoll stimmen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen. So sehr ich davon überzeugt bin, daß die Wirtschaftspolitik in Deutschland noch längst nicht am Rande ihrer Möglichkeiten ist, daß wir also unser Sozialprodukt, den Standard des einzelnen Menschen ganz erheblich steigern können, so daß in wenigen Jahren von einer wirklichen materiellen Not deutscher Menschen nicht mehr gesprochen werden kann, sollte doch in allen wirtschaftspolitischen Diskussionen auf eine Grenze unserer Wirtschaftspolitik hingewiesen werden: Das Glück der Menschen macht der wirtschaftliche, materielle Standard nicht aus. Das ist eine Frage, die die Wirtschaftspolitik nicht lösen kann.
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weitergebe, erinnere ich das Haus an einen Satz, der in § 39 der Geschäftsordnung steht:
Der einzelne Redner soll nicht länger als eine Stunde sprechen.
Das ist keine Muß-Vorschrift — ich mache darauf aufmerksam —, sondern eine Soll-Vorschrift: „soll nicht länger als eine Stunde reden".
Zweitens schlage ich Ihnen vor, daß wir die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung:
2. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung eines stetigen Wachstums der Gesamtwirtschaft und
3. Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Industrieansiedlung in den Förderungsgebieten und zur Beseitigung der strukturellen Arbeitslosigkeit ,
mit der Beratung des Punktes 1 verbinden. Ich nehme an, daß diese Probleme doch in der allgemeinen Aussprache mit zur Sprache kommen.
— Punkt 4 auch?
— Ich nehme also an, meine Damen und Herren, daß Sie damit einverstanden sind, wenn Punkt 2 — Drucksache 2428 —, Punkt 3 — Drucksache 2524 — und Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Abzahlungsgeschäfte ,
mit der Beratung des Punktes 1 in der jetzigen Aussprache verbunden werden.
Ich gebe das Wort weiter. Als nächster Redner spricht Herr Abgeordneter Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich werde mich bemühen, der SollVorschrift des Herrn Präsidenten Rechnung zu tragen, obwohl es verhältnismäßig schwer ist, auf einen Diskussionsredner, der einundeinhalb Stunden gesprochen hat, auf eine Regierungserklärung von einer Stunde zu antworten und zu gleicher Zeit, in derselben Frist von einer Stunde, auch noch den Entschließungsantrag der Sozialdemokratie zu begründen. Ich werde mich aber bemühen und bitte um Entschuldigung, falls es nicht ganz glücken sollte.
An dem Diskussionsbeitrag des Herrn Kollegen Hellwig schienen mir drei Tatsachen bemerkenswert. Zunächst einmal die erste. Er stellte fest, was zweifellos richtig ist, daß die Wirtschaftswissenschaft in der Vergangenheit, insbesondere in letzter Zeit, nicht zu einer einheitlichen Beurteilung der konjunkturpolitischen Situation gekommen sei, und er zog daraus den Schluß, daß man infolgedessen auch den Politikern, den Ministern keinen Vorwurf deswegen machen könne, daß sie im Hinblick auf die konjunkturpolitische Beurteilung auch nicht einer Meinung seien.
Meine Damen und Herren, das ist eine gefährliche These. Sie könnte dazu beitragen, daß die Untätigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums und der Bundesregierung auf diese Weise entschuldigt wird. Letzten Endes ist es nicht die Aufgabe der Regierung, der Vollstreckungsbeamte wirtschaftswissenschaftlicher Institute zu sein, sondern Aufgabe der Regierung ist es, unabhängig davon, ob Fragen wirtschaftswissenschaftlich geklärt sind, die politischen Entscheidungen zu treffen, die notwendig sind. Und gerade das hatten wir in dem letzten halben Jahr oder in den letzten acht Monaten vermißt.
Ich möchte noch eine zweite Bemerkung an die Darlegungen des Herrn Kollegen Hellwig anschließen. Bei seiner Analyse der wirtschaftlichen Situation sprach er davon, daß wir letzten Endes keine Überhitzung in der Konsumgüterindustrie hätten. Er kam dann darauf, daß wir auch keine zu hohe Investitionsrate hätten. Und letzten Endes war nicht recht klar, ob wir eigentlich einen ganz normalen Wirtschaftsablauf haben oder ob nicht doch irgendwo etwas in der wirtschaftlichen Entwicklung zu wünschen übrigläßt.
Damit komme ich zu einer dritten Bemerkung. Es ist sicherlich richtig, wenn Herr Kollege Hellwig sagt, wir sollten uns davor hüten, Tatbestände zu generalisieren. Aber man darf nun auch nicht alles so weit differenzieren, daß man letzten Endes den gesamten Überblick über die Dinge verliert und nicht mehr recht weiß, welches denn nun eigentlich die entscheidenden Daten der wirtschaftspolitischen Entwicklung sind, die zu beachten sind. Wenn man so vorgeht, dann führt das naturgemäß dazu, daß man vor lauter Relativierung der verschiedenen vorhandenen Tatbestände nicht mehr zu einer politischen Entscheidung kommt.
Deshalb scheint es mir doch wichtig zu sein, einmal zu versuchen, sich die kennzeichnenden Tatsachen der augenblicklichen wirtschaftspolitischen Situation klarzumachen, weil man nämlich erst dann erstens ein Urteil über die Regierungserklärung und ihren Wert und zweitens auch ein Urteil über seine eigenen Vorstellungen von der Konjunkturpolitik erhalten kann. Bei allen Stellen bis auf die Regierungserklärung — ich spreche von den Berichten der Bank deutscher Länder und vor allen Dingen von den Lage-Berichten des Bundeswirtschaftsministers — war man sich darüber einig, daß wir es jedenfalls mit einer ernsten Situation zu tun haben, auch wenn sich jeder davon fernhält, die Lage zu dramatisieren. Das Ergebnis aller Untersuchungen war, daß die Preiserhöhungen ein wichtiges Indiz dafür sind, daß Angebot und Nachfrage sich bei uns seit langem nicht mehr decken und daher die entscheidenden Schwierigkeiten kommen. Mir scheint wichtig zu sein, daß man sich die Tatbestände, die zu dieser Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage geführt haben, einmal kurz vor Augen hält.
Der erste Punkt befaßt sich mit einer Frage, die der Herr Kollege Hellwig behandelt hat. Es ist sicher richtig, daß die Konsumgüterindustrie im Laufe der letzten sechs bis acht Monate aufgeholt hat und wir in der Konsumgüterindustrie eine bessere Beschäftigung haben, obwohl das nur relativ und nur beschränkt richtig ist.
Mir scheint, wir sollten über dieser Feststellung eines nicht übersehen, daß nämlich der Produktionsindex der Investitionsgüterindustrie stets über dem Durchschnittsindex der Industrieentwicklung lag, und zwar wie folgt: 1954 19 %, 1955 27 %, erstes Halbjahr 1956 34 %.
Die Diskrepanz hat sich also erweitert. Die Konsumgüterindustrie — sie ist das Gegenstück — lag unter dem Durchschnitt der Gesamtindustrie: im Jahre 1954 minus 4 %, im Jahre 1955 minus 7 %, im ersten Vierteljahr 1956 minus 5 %. Der Abstand der Entwicklung der Konsumgüterindustrie von der aufsteigenden Entwicklung der Investitionsgüterindustrie hat sich also erhöht.
— Darauf komme ich gleich. Ich stelle zunächst nur diesen Tatbestand fest. Er scheint mir wichtig zu sein.
Zum zweiten zur Investitionsgüterindustrie, Herr Kollege Hellwig. Sie hat im April 1956 mit einem Index von 281 % bereits wieder fast den Höchststand der Produktion vom November 1955 erreicht. Die Konsumgüterindustrie hat in den ersten vier Monaten dieses Jahres um 10 % unter dem Höchststand des in den Monaten September bis November 1955 ermittelten Index gelegen. Was sich daraus ergibt, ist für die Steuerpolitik und für die Investitionspolitik sowie für sämtliche anderen Maßnahmen von entscheidender Bedeutung. Die Spannungen, die wir in der Wirtschaft zu verzeichnen haben, liegen, wenn sich die Akzente auch etwas verändert haben, auch heute noch in der Entwicklung der Investitionsgüterindustrie begründet, während in weiten Bereichen der Konsumgüterindustrie, wenn auch nicht mehr in demselben Umfang wie im Sommer vergangenen Jahres — das hat Herr Dr. Hellwig mit seinen Zahlen selbst angegeben —, erhebliche Kapazitätsreserven bestehen. Wir haben allerdings einen Bereich, der sehr stark zunimmt, z. B. die Bekleidungsindustrie. Das ist vielleicht darauf zurückzuführen, daß diese Industrie in letzter Zeit umfangreiche Großaufträge der Bundeswehr bekommen hat. Wir wissen aber auch, daß z. B. im Zen-
trum der Schuhindustrie in der Pfalz in 60 Fabriken noch 2000 Arbeiter in Kurzarbeit stehen.
Wir müssen daher das Hauptaugenmerk der konjunkturpolitischen Überlegungen zur Zeit auf diese Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage in der Investitionsgüterindustrie legen. Die Situation in der Verbrauchsgüterindustrie hat noch nicht den Spannungsgrad wie in der Investitionsgüterindustrie erreicht. Das scheint mir die erste wichtige Erkenntnis zu sein.
Das zweite Hauptproblem, die Situation des Außenhandels, ist vom Herrn Bundeswirtschaftsminister in seinen Darlegungen näher gekennzeichnet worden. Wir haben in den ersten fünf Monaten des Jahres 1956 bereits wieder einen Exportüberschuß, der fast genau so hoch ist wie der Exportüberschuß des ganzen Jahres 1955, nämlich 1,1 Milliarden gegen 1,2 Milliarden, und das in fünf Monaten. Der Überschuß zeigt steigende Tendenz. Ich glaube, sowohl die Bank deutscher Länder als auch der Herr Bundeswirtschaftsminister haben in ihren Lageberichten sehr zutreffend ausgeführt, daß das handelspolitisch ein höchst unerwünschter Zustand ist. Wir wissen alle, daß die Umstellung auf Wertzölle im Oktober des Jahres 1951 zu einem überhöhten Zollniveau geführt hat. Diese Erhöhungen waren seinerzeit als Kampfmaßnahme gedacht, weil wir meinten, in den Zollverhandlungen beim GATT Handelsmöglichkeiten zu haben. Letzten Endes sind wir schon in Torquay auf diesen überhöhten Zöllen sitzengeblieben. Auch aus diesen Gründen sollten wir die Notwendigkeit einsehen, auf dem Gebiete der Handelspolitik und des Zollniveaus entscheidende Änderungen vorzunehmen.
Vielleicht darf ich auch daran erinnern, daß z. B. hohe Beamte der OEEC der Bundesregierung offiziell — oder vielleicht auch offiziös — mitgeteilt haben, daß es dringend notwendig sei, von dem überhöhten Zollniveau herunterzukommen, weil sonst die hohe Liberalisierung im OEEC-
Raum gefährdet werde.
Ich brauche dann nur noch hinzufügen, daß dieser Zustand konjunkturpolitisch ebenso wie handelspolitisch nicht nur unerwünscht, sondern gefährlich ist. Er bringt nämlich auf der einen Seite eine Geldvermehrung in Höhe des Exportüberschusses und auf der anderen Seite ein geringeres Angebot auf dem Inlandsmarkt, weil eben der Exportüberschuß in das Ausland geht, ohne daß entsprechende Waren wieder in das Inland hereinkommen.
Meine Damen und Herren, die Konsequenz kann nur sein, daß auf dem Gebiete der Handelspolitik, insbesondere durch Zollherabsetzung, ganz Entscheidendes geschehen muß, wenn diese Diskrepanz beseitigt werden soll.
Dann ein drittes Problem: die Nachfrageseite. Vor uns stehen Rentenerhöhungen. Nach dem Regierungsentwurf, wenn ich mich recht erinnere, von etwa 21/2 bis 3 Milliarden DM, nach dem Vorschlag der Sozialdemokratie von etwa 4 Milliarden DM. Wir haben Steuersenkungen in Aussicht genommen, die ebenfalls Milliardengröße annehmen. Ich glaube, jeder ist sich darüber im klaren, daß es sich hier um die Schaffung neuer Nachfrage handelt, die sich in diesem Falle in erster Linie auf Konsumgüter erstrecken wird.
Daneben kommt von der Nachfrageseite mit großer Gewalt der Aufbau der Rüstungswirtschaft auf uns zu. Meine Damen und Herren, ich glaube, hier brauche ich nicht zu betonen, daß es für die Beurteilung der wirtschaftlichen Folgen der Aufrüstung nicht darauf ankommt, wieviel effektive Ausgaben aus der Staatskasse bereits gemacht werden oder wievel im Haushaltsplan bereits bewilligt sind. Entscheidend ist, daß bereits wichtige große Grundsatzbeschlüsse gefaßt worden sind:
ein Grundsatzbeschluß über den Aufbau der Flugzeugindustrie, ein Grundsatzbeschluß über das Marineprogramm, ein Grundsatzbeschluß über das Fahrzeugprogramm, ein Grundsatzbeschluß über das Panzerprogramm usw. usw. Meine Damen und Herren, das sind Programme, die insgesamt wiederum mehrere Milliarden zum Gegenstand haben, und jeder Unternehmer in Deutschland, der für Rüstungsaufträge dieser Art in Frage kommt, weiß bereits heute, daß die Bundesregierung selbstverständlich in diesem Bundestage eine gehorsame Mehrheit findet, die diese Beschlüsse durchführen wird. Infolgedessen gehen diese Unternehmungen bereits heute daran, ihre Betriebe entsprechend einzurichten, zu investieren, sich auf Kredit entsprechende Vorräte zu beschaffen und Fachkräfte zu horten.
Das ist der wichtige konjunkturpolitische Aspekt der Rüstungswirtschaft, daß hier, ohne daß überhaupt etwas aus dem Haushalt ausgegeben wird, Nachfrage bereits in Riesenausmaßen vorweggenommen wird. Im übrigen handelt es sich um Nachfrage nach Investitionen, die niemals eine Güterproduktion zum Gegenstand haben werden, die später einmal als Angebot auf den Markt kommt.
Ein vierter Gesichtspunkt scheint mir wichtig zu sein. Ich bedaure außerordentlich, daß, ich glaube, weder der Herr Kollege Hellwig noch die Erklärung der Bundesregierung auf diesen wichtigen Punkt eingegangen ist. Das sind die Kassenreserven des Bundes.
Wir wissen, daß diese Kassenreserven, der sogenannte Juliusturm, zirka 7 Milliarden DM betragen. Diese 7 Milliarden sind aus dem Geldkreislauf im Laufe der letzten Jahre ausgeschieden und nicht als Nachfrage aufgetreten. Ich will nicht davon sprechen, daß das eine gigantische Fehlleistung unserer Steuerpolitik ist. Denn diese Mittel hätten uns auf der einen Seite gut angestanden für Investitionszwecke der Wirtschaft zu einer Zeit, als wir noch nicht diese Hochkonjunktur hatten, und zum anderen zu einer Rentenaufbesserung in einer Zeit, als sie dringend notwendig gewesen wäre und wir sie ohne Schwierigkeiten hätten durchführen können.
Hier handelt es sich — und das scheint mir bei der Aufgabenverteilung und Verantwortungsteilung, die die Bundesregierung in letzter Zeit übt, wichtig zu sein — doch nicht nur um einen Fehler des Herrn Bundesfinanzministers. Die Bundesregierung — das muß ich unterstellen — hat doch wohl
genau gewußt, was in diesen Jahren geschah. Wenn ich die Dinge richtig sehe, hat man geglaubt, hier wie ein guter Hausvater Milliarden aufsparen zu können, um damit eines schönen Tages Rüstungsaufwendungen zu bezahlen, ohne daß das deutsche Volk merkt, wie hoch diese Rüstungsaufwendungen sind.
Da gibt es eine Gesamtverantwortung der Bundesregierung, die alle Mitglieder auf der Regierungsbank bis zum Bundeskanzler hin umfaßt.
Ich will jetzt nicht untersuchen, inwieweit diese Stillegung von öffentlichen Geldern wieder durch Kreditschöpfung wettgemacht worden ist. Sicher ist jedenfalls, daß ein Teil dieser Mittel nicht durch Kreditschöpfung wettgemacht, sondern sterilisiert und damit der Nachfrage entzogen worden ist. Daraus ergibt sich eines: der Teil des Steueraufkommens, der nicht in den Juliusturm kommt und dort sterilisiert wird, wird in Zukunft bereits zusätzlich als Kaufkraft und Nachfrage auf dem Markt erscheinen.
Aber das Wichtigste ist doch wohl, daß jeder Betrag, der aus diesen Kassenreserven genommen wird und auf dem Binnenmarkt als Nachfrage erscheint, genau so viel oder genau so wenig wert ist wie eine Geldschöpfung, eine Schöpfung von Kaufkraft und Nachfrage ohne das entsprechende Güterangebot. Da gibt es nur eine Konsequenz, und ich bedaure sehr, daß sie nicht gezogen worden ist: Keine Ausgaben aus dem Juliusturm, aus den Kassenreserven dürfen auf den inländischen Markt kommen, sei es für Zwecke der Rüstungswirtschaft, sei es auch für Stationierungskosten. Es gibt für die Gelder aus dem Juliusturm genügend andere Verwendungsmöglichkeiten, die konjunkturpolitisch nicht gefährlich sind. Ich denke an die Tilgung von Auslandsschulden, an den Rückkauf von Ausgleichsforderungen und an Einfuhr. Aber entscheidend bleibt: diese Mittel dürfen nicht auf den inneren Markt kommen.
Wenn ich mir jetzt das Programm der Bundesregierung nach diesen vier Punkten ansehe, muß ich sagen: es ist außerordentlich schwierig, in diesem Regierungsprogramm konkrete Maßnahmen zu erkennen. Das Programm ist anspruchsvoller als das vom Oktober. Es hat fünf Abschnitte und 24 Punkte, während das Programm vom Oktober sich mit 11 Punkten begnügte. Aber wenn man die Dinge kritisch betrachtet, ergibt sich: es sind doch sehr viel unverbindliche Meinungsäußerungen und sehr viel ebenso unverbindliche gute Ratschläge in ihnen enthalten. Ich will kurz das Programm durchgehen.
Punkt 1 ist psychologisch — Psychologie ist die starke Seite dieser Bundesregierung — außerordentlich interessant. Er stellt nämlich den Verzicht auf eine konkrete konjunkturpolitische Maßnahme dar. So fängt das Konjunkturprogramm an: Unter der ersten Ziffer wird gesagt, daß die steuerliche Begünstigung der Abschreibungen erhebliche Investitionsimpulse nach sich ziehe und daß das infolgedessen konjunkturpolitisch sehr gefährlich sei. Wer sich nicht so leise über die Gefahr hinwegtäuschen lassen will, der lese den Bericht der Bank deutscher Länder durch. Da wird nämlich wesentlich deutlicher gesagt, was diese degressiven Abschreibungen zu bedeuten haben. Und da sagt der Bundeswirtschaftsminister in seiner Regierungserklärung, daß er zur Zeit auf diesem wichtigen Gebiet, wenigstens zunächst einmal, nichts tun wolle! Das ist der Beginn des konjunkturpolitischen Programms der Bundesregierung.
— Das scheint mir auch, daß das konjunkturpolitisch gesehen ein höchst „positives" Programm ist. Ich weiß nicht, Herr Atzenroth, man kann über vieles verschiedener Meinung sein. Aber ich glaube, es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß durch diese erhöhten zusätzlichen Abschreibungen die Gewinnlage der Unternehmungen und damit ihre Investitionsbereitschaft außerordentlich gestärkt wird. Das aber können wir heute nicht wünschen.
In dem zweiten Punkt befaßt sich das Programm mit den öffentlichen Investitionen. Von den öffentlichen Baugeldern sollen 10 % einbehalten werden, soweit nicht eine Freigabe erfolgt ist, ausgenommen Wohnungsbau und Rüstungsbau. — Meine Damen und Herren, darf ich mal fragen, was dann noch übrig bleibt?
Ich sehe einmal ab von Ministerien, Verwaltungsbauten und Repräsentationsbauten, die wir auch eingeschränkt haben möchten, schon wegen der psychologischen Bedeutung.
Aber materiell hängt in diesen Verwaltungsbauten nicht allzuviel. Und was bleibt dann übrig? Dann bleibt als einziges Objekt der Kürzung von 10 % der Straßenbau übrig. Meine Damen und Herren, ob es eine sehr sinnvolle und zweckmäßige Maßnahme ist, daß man allein den Straßenbau beschränkt, während alle anderen Bauten, insbesondere auch Rüstungsbauten, munter weitergeführt werden, ist mir bei dem Zustand unserer Straßen höchst zweifelhaft.
Ein weiterer Punkt befaßt sich mit der Entlastung des Baumarktes. Die Bundesregierung hat schon gesagt, daß sie wenig Einwirkungsmöglichkeiten habe, und Herr Hellwig hat dann darauf hingewiesen, es sei im Grunde genommen in diesem Frühjahr bereits ein Erfolg gezeitigt worden. Ich will nicht bestreiten, daß nach der Frostperiode die Baumaßnahmen stärker als in früheren Jahren eingesetzt haben, ob auf Grund dieser Einwirkungen, weiß ich nicht. Aber entscheidend scheint mir doch das Folgende zu sein. Wenn es schon geringe Einwirkungsmöglichkeiten für die Bundesregierung gibt, dann muß sie doch ihre Maßnahmen — wegen der geringen Einwirkungsmöglichkeiten — wenigstens prompt und dringlich treffen. Jetzt frage ich den Herrn Bundeswirtschaftsminister: im Oktober 1955 wurden die gleichen Versprechungen bezüglich der Entlastung des Baumarktes, insbesondere der Einschränkung der öffentlichen Bauten, in der Regierungserklärung gemacht; trifft es eigentlich zu — was mir berichtet worden ist —, daß die Empfehlungen des Wirtschaftskabinetts zu dieser Frage erst am 30. Januar 1956 herausgekommen sind und daß der Brief des Herrn Bundeskanzlers an die Ministerpräsidenten wegen der Einschränkung dieser Bauten erst am 15. März ergangen ist?
Da war dann glücklicherweise der Herbst, den man für die Bauten hatte verwenden können, vorbei!
Das war also keine sehr große Aktivität.
Ein Viertes. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in der Regierungserklärung Maßnahmen vorgeschlagen, die die Spartätigkeit anregen sollen, und Maßnahmen, um Teilzahlungsgeschäfte aus konjunkturpolitischen Gründen zu lenken. Dem letzten der beiden Punkte kann man sicherlich zustimmen. Wir haben einen Vorschlag eingereicht, so daß Sie es also sehr leicht haben, Ihre Wünsche bezüglich der Teilzahlungsgeschäfte erfüllt zu bekommen.
Aber was mir wichtig erscheint, ist folgendes. Dieses Programm zur steuerlichen Begünstigung des Sparens — Festlegung auf drei Jahre usw. — ist hier ganz groß verkündet und in der Öffentlichkeit behandelt worden. Und da lese ich doch gestern eine Mitteilung, ich glaube, der dpa, im Finanz- und Steuerausschuß sei darüber gesprochen worden, das sei aber längst noch nicht so weit, und die Bundesregierung werde sich überlegen, ob sie überhaupt eine solche Vorlage machen könne.
Das läßt auch nicht auf allzu großen Eifer schließen und ist im übrigen wieder eine glänzende Unterstreichung der Einheit von Wirtschafts- und Finanzpolitik bei dem großen Instrumentarium, das der Bundesregierung auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik zur Verfügung steht.
Noch ein weiterer Punkt findet sich! Da wird gesagt, daß die Bundesregierung, um den Sparer anzureizen, Investment-Papiere, und zwar sehr klein gestückelt, herausgeben werde, um diese Sparermassen an den Bundesunternehmungen zu beteiligen. Mit großem Interesse haben wir von dieser Ankündigung gelesen. Allerdings waren wir nicht eigentlich überrascht, daß die Bundesregierung sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, eine solche wahlpolitisch gut gezielte Maßnahme in das Konjunkturprogramm hineinzunehmen. Aber wir haben dann weiterhin mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß ein Mitglied des Kabinetts auf einer Landestagung der CSU erhebliche Bedenken gegen diesen Vorschlag vorgebracht hat und daß auch aus den Kreisen dieser Landesgruppe ein nicht unwichtiges Mitglied dieses Hohen. Hauses auf die Gefahren einer solchen Methode hingewiesen hat. Meine Damen und Herren, mir scheint das höchst merkwürdig zu sein. Offenbar ist es hier wieder so, daß schnell etwas in die Erklärung hineingenommen wurde, was letzten Endes doch nicht bis zum letzten gründlich durchdacht war. Diese Methoden sprechen jedenfalls eine beredte Sprache.
Zur Sache selbst möchte ich folgendes sagen. Ich glaube, es besteht Einverständnis, daß die Bedeutung eines solchen Vorschlages viel weniger auf konjunkturpolitischem als auf anderem Gebiet liegt. Das Problem ist, für breite Massen kleinerer Einkommensempfänger die Möglichkeit des Sparens in Form der Beteiligung an Unternehmungen zu finden, — ein wichtiges Problem. Ich hoffe, ich verrate Ihnen nichts Neues, wenn ich sage, daß sich die Sozialdemokratie mit diesem Problem seit langer Zeit sehr ernsthaft befaßt. Wir sind gern bereit, die Vorschläge der Bundesregierung in den zuständigen Ausschüssen sachlich und ernsthaft zu prüfen. Hier bietet sich, wenn die Bundesregierung es eilig hat, sehr bald Gelegenheit bei der Behandlung der Gesetzentwürfe über die Investmenttrusts in den zuständigen Ausschüssen.
Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, auf einige Dinge möchte ich doch aufmerksam machen; wir werden bei diesen Unterhaltungen auf fünf Punkte Wert legen.
Der erste: Die Unternehmungen des Bundes sind
— sonst haben sie keinen Sinn — ein wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument der Bundesregierung, das sie für wirtschaftspolitische Zwecke einzusetzen hat.
— Ich will dem Herrn Kollegen Atzenroth, der mir zu Hilfe springt,
in diesem Augenblick gern nachsprechen, daß die Bundesregierung, jedenfalls nach den Äußerungen des Herrn Bundesfinanzministers, in bezug auf das Volkswagenwerk diese wirtschaftspolitische, insbesondere preispolitische Aufgabe auch wahrgenommen hat. Wir legen Wert darauf, daß der Vorschlag der Bundesregierung so durchgeführt wird, daß die Bundesunternehmungen auch weiterhin als wirtschaftspolitische Instrumente der Bundesregierung dienen können.
Ein Zweites. In der Erklärung der Bundesregierung ist dargelegt worden, man wünsche eine breite Streuung auf eine große Masse von Sparern. Ich kann nur sagen: bravo! Wir werden darauf achten, daß wirklich eine solche breite Streuung durchgeführt wird.
Was wir bisher an Versuchen der Wirtschaft, etwas aus dem Bundesvermögen zu bekommen, erlebt haben, war nicht das Streben breiter Massen kleiner Sparer. Das waren gewichtige große Unternehmungen zum Teil mit Monopolstellung, die sich lukrative Teile aus diesen Bundesunternehmen herausholen wollten.
Ein Drittes, was wir beachten werden. Bei den bisherigen Untersuchungen und Besprechungen hier im Bundestagsplenum und in den zuständigen Ausschüssen hatten wir — ich glaube, ist ist sehr vorsichtig, wenn ich es so sage — den Eindruck, daß doch häufiger die Gefahr besteht, daß Bundesunternehmen unter Preis verschleudert werden.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie werden wissen, — —
— Moment, Herr Kollege, lassen Sie mich doch einmal ausreden! —, Sie werden wissen, daß die letzte Aktion vom Haushaltsausschuß zurückgestellt wurde, weil auch er der Meinung war, daß der geforderte Preis wohl nicht ganz dem Wert des Unternehmens entsprach.
Einen vierten Punkt, meine Damen und Herren: wir legen Wert darauf, daß nicht etwa mit dieser Methode die guten Unternehmungen zum Teil herausgelöst werden und die schlechten Unternehmungen beim Bund bleiben.
Natürlich bleibt der Kreis der Investmentsparer immer begrenzt. Wir würden also einem begrenzten Kreise des deutschen Volkes die Möglichkeit geben, an den Gewinnen der guten Unternehmungen des Bundes zu partizipieren, während die Kosten der anderen Unternehmungen, der Unternehmungen nämlich, die aus wirtschafts- und sozialpolitischen, häufig auch grenzpolitischen Gründen aufrechterhalten werden müssen, vom gesamten deutschen Volk über den Steuersäckel bezahlt werden müßten.
Ein fünfter Punkt: Die Beteiligung zahlreicher Sparer am Vermögen der Unternehmungen durch Sachbesitz ist ja wohl nicht nur ein Problem der Bundesunternehmungen. Wir werden bei den Beratungen im Ausschuß die Frage aufwerfen: Wie ist es eigentlich mit diesem doch offensichtlich sehr gewichtigen Grundsatz der Beteiligung breiter Massen der Bevölkerung an diesem Sachbesitz bei den großen Privatunternehmungen?
Meine Damen und Herren, wenn ich einmal überblicke, was bis jetzt vom Konjunkturprogramm der Bundesregierung übriggeblieben ist, so muß ich sagen: das waren, wenn ich einmal von dieser Frage der Bundesunternehmungen absehe, die keine konjunkturpolitische Bedeutung hat, im Grunde genommen alles negative Punkte der Regierungserklärung.
Jetzt kommt der erste positive, nämlich die Frage der Förderung der Einfuhr. Meine Damen und Herren, ich habe mit Absicht vorhin dargelegt, welche Bedeutung unsere augenblickliche Außenhandelssituation hat. Ich habe versucht, nachzuweisen, daß es darauf ankommt, wirklich sehr rasante wirksame Maßnahmen zu treffen, weil sonst gar nicht daran zu denken ist, daß wir in größerem Umfang Einfuhren aus dem Ausland hereinbekommen. Der Herr Kollege Hellwig hat das implicite selber zugegeben, als er darauf hinwies, daß durch die Diskrepanz des Preisniveaus die Einfuhr ausländischer Waren auf Grenzen stößt.
Wenn ich damit die Regierungsvorlage mit ihrer völlig ungenügenden Zollsenkung vergleiche, dann weiß ich allerdings nicht, welchen Effekt diese Zollsenkungen haben sollen.
Leider haben Sie auch unseren Vorschlag abgelehnt, der wenigstens in bestimmten Situationen dem Bundeswirtschaftsminister die Möglichkeit geben sollte, Zollherabsetzungen vorzunehmen, ohne lange die Regierung und den Gesetzgebungsapparat beanspruchen zu müssen.
Es ist doch uns allen nicht unbekannt, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, der Herr Bundesfinanzminister und der Präsident der Bank deutscher Länder ursprünglich wohl doch radikalere Forderungen gestellt, daß sie nämlich eine 30%ige Senkung verlangt hatten.
Ich entsinne mich, es war die Rede von Erschlagenlassen, Herr Bundeswirtschaftsminister, nicht
wahr? Sie vertraten die Auffassung, es sei sehr fraglich, ob diese 30 °/o überhaupt genügten,
und daß vor allen Dingen auch auf dem Gebiete der Agrarzölle einiges geschehen müsse. Ich muß sagen, Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie lächeln mir freundlich zu und nicken dazu. Das hängt mit Ihrem Erstgeburtsrecht zusammen, ich weiß das. Aber es kommt ja schließlich nicht das Erstgeburtsrecht in Frage, sondern es kommt darauf an, ob etwas getan wird, ob gehandelt oder ob nur geredet wird.
Dann enthält das Regierungsprogramm noch eine verdächtige Formulierung, nämlich die, daß dieses Programm der Zollsenkung ein Mindestprogramm sei. Ich weiß nun nicht, worauf sich das „Mindest" bezieht, ob auf die Senkung der Zölle oder auf die Herausnahme von Agrarerzeugnissen. Aber was ist das eigentlich für eine Regierungserklärung, die die Meinung der Bundesregierung — ich nehme an, auf Grund gründlicher, sorgfältiger Überlegung — ganz offiziell darlegt und dann sagt: Nun ja, ein Mindestprogramm! Wir wollen mal sehen, wie der Kampf der Interessenten bei uns ausläuft; vielleicht können wir es auch noch ändern!? — Das ist doch keine ernst zu nehmende Regierungserklärung, Herr Bundeswirtschaftsminister! Darum möchte ich sagen: wenn es irgend etwas in diesem Regierungsprogramm gibt, das völlig unzulänglich ist und im Grunde genommen bei der Bevölkerung draußen nur den Eindruck erweckt, es geschehe etwas, während in Wirklichkeit nichts geschieht, dann ist es dieses Programm der Zollsenkungen und der Erleichterung der Einfuhr.
Ich komme dann zu dem nächsten Punkt, der von der Bundesregierung behandelt worden ist. Das ist das Problem der Arbeitsmarkt- und Lohnpolitik. Meine Damen und Herren, wir begrüßen es, daß die Bundesregierung sich in ihrer Erklärung darauf beschränkt hat, den Tarifparteien Vorschläge zu machen, das Schlichtungsverfahren bei Lohnkämpfen nach Möglichkeit auszubauen. Ich weiß nicht, ob das sehr viel Neues ist. Mir ist bekannt, daß zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände eine grundsätzliche Regelung getroffen worden ist und daß auf Grund dieser Regelung dann zahlreiche einzelne Industriegewerkschaften
— fast alle Industriegewerkschaften — entsprechende Schlichtungsvereinbarungen geschlossen haben. Ich möchte annehmen, daß die Bundesregierung nicht voll über das unterrichtet war, was sich hier tut; sonst hätte man auf die Arbeitsfrage und die Lohnfrage jedenfalls nicht so viel Raum in der Regierungserklärung zu verwenden brauchen.
Bei dieser Gelegenheit ein Wort zu Herrn Kollegen Hellwig. Herr Hellwig sagte im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt- und dem Lohnproblem, man dürfe die Bundesregierung wegen der Lohnentwicklung nicht tadeln. Ich weiß nicht, ob das gegen uns gerichtet war. Wir haben die Bundesregierung nie wegen der Lohnentwicklung ge-
tadelt, wir haben sie wegen der Preisentwicklung getadelt!
— Jawohl!
— Ich bin Ihnen dankbar für diesen Zwischenruf. Herr Präsident, es tut mir nur leid, es gehen dann zwei Minuten drauf.
Sie bekommen die zwei Minuten sicher geschenkt!
Herr Hellwig, wir haben in Deutschland im Jahre 1955 gegenüber 1954 eine Lohnsteigerung von 7,5 % gehabt und — ich lasse nun allen theoretischen Streit über die Berechnung des Produktivitätszuwachses und über die Brauchbarkeit dieser Ziffer, die ja sehr bestritten ist, beiseite; ich nehme sie mal so, wie sie war — eine Produktivitätssteigerung um 5,5 %. Dabei dürfen Sie allerdings nicht vergessen — das wird meist vergessen —, daß wir in diesem Jahr eine Steigerung der Lebenshaltungskosten von rund 2 % hatten, daß also die Lohnsteigerung real 5,5 % betrug und die Produktivitätssteigerung auch 5,5 %.
Aber das ist noch nicht alles, Herr Kollege Hellwig. Vom Jahre 1949 bis 1955 betrug die Steigerung der Löhne nach diesen Berechnungen 50 %, unter Berücksichtigung der Kaufkraftverminderung durch die Steigerung der Lebenshaltungskosten real etwa 44 bis 45 %, und die Produktivitätssteigerung im gleichen Zeitraum betrug rund 58 %.
Herr Kollege Hellwig, in diesen sechs Jahren ist die Produktivitätssteigerung wesentlich größer gewesen als die Lohnsteigerung. Da können Sie ein bißchen heraufrechnen und ein bißchen herunterrechnen; an dem Tatbestand läßt sich nichts mehr ändern.
— Dann verfügen Sie über andere Zahlen als ich. Wir können uns noch darüber unterhalten. Meine stammen aus wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen.
— Sie haben hoffentlich nicht vergessen, die Minderung der Kaufkraft durch den Lebenshaltungskostenindex zu berücksichtigen.
Nun eine dritte Bemerkung. Hier ist von der Regierungsbank und dann von Herrn Hellwig gegen die Bindung der Lohnentwicklung an einen Index, den Lebenshaltungskostenindex gewettert worden. Ich möchte keinen Zweifel darüber lassen, daß auch wir Sozialdemokraten eine Indexlöhnung für eine unglückliche Sache halten und sie ablehnen würden.
Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, das, was in der Metallindustrie vereinbart worden ist, ist doch alles andere als eine Indexlöhnung.
Vielleicht muß ich Ihnen das noch etwas deutlicher machen. Was ist da geschehen? Im Zusammenhang mit einer Lohnerhöhung und der Arbeitszeitregelung ist beschlossen worden, daß der Tarifvertrag hierüber bis zum 31. Dezember 1957 nicht kündbar ist. Das heißt, die Gewerkschaften haben darauf verzichtet, bis 1957 Lohnerhöhungen vorzunehmen. Für eineinhalb Jahre, Herr Bundeswirtschaftsminister! Ich weiß nicht, ob das in den Rahmen der „Maßlosigkeit" gehört oder ob das nicht doch ein Zeichen hoher volkswirtschaftlicher Verantwortung ist, das darin zum Ausdruck kommt.
Nun zu Ihrem berühmten Index. Was steht in diesem Vertrage? In dem Vertrag steht: Wenn die Lebenshaltungskosten — ich füge hinzu, was nicht drinsteht: insbesondere durch die Preistätigkeit der Bundesregierung — im Laufe dieser Zeit um 3,5 Punkte steigen sollten, dann muß erneut verhandelt werden.
Meine Damen und Herren, kann man das als eine Indexregelung bezeichnen? Ist es nicht eine Vorsichtsmaßnahme, daß man sagt: wenn ich schon eineinhalb Jahre stillhalte, aber in der Zwischenzeit die Währung ausgehöhlt wird und die Kaufkraft sinkt, dann müssen wir uns zu einem bestimmten Zeitpunkt erneut unterhalten!? Ich wehre mich dagegen, daß diese Lösung mit der Diffamierung verbunden wird, daß damit eine Indexlöhnung eingeführt sei.
Meine Damen und Herren, dann ein letzter Punkt — außer sonstigen Ratschlägen kann ich nicht viel mehr entdecken —: Die Haushaltspolitik. Da steht also kräftig unterstrichen: Wir dürfen keine Kassendefizite machen. Ich muß sagen: bravo, bravo! Leider ist das Problem, mit dem wir zu tun haben, im Augenblick das Problem der Kassenüberschüsse. Die Frage, die hier zur Debatte steht, ist aber doch eine andere, nämlich, ob der Herr Bundesfinanzminister und die Regierung bereit sind, zu sagen: Alle Ausgaben, die auf uns zukommen, werden im Hinblick auf die konjunkturpolitische Situation nur aus laufenden Einnahmen gedeckt. Das heißt, für laufende Ausgaben wird auch der Juliusturm nicht verwendet, soweit es sich um Ausgaben auf dem inneren Markt handelt. Daß Sie dieses Problem in der Erklärung der Bundesregierung überhaupt nicht angeschnitten haben, scheint mir ein schwerer Mangel und konjunkturpolitisch sehr gefährlich und bedeutsam zu sein.
Meine Damen und Herren, wenn ich nun rückschaue, was in der Regierungserklärung eigentlich drinsteckt und was nicht drinsteckt, dann muß ich feststellen: an konkreten Maßnahmen sind darin erstens eine unzulängliche Zollsenkung, die für eine Vergrößerung des Angebots auf dem deutschen Markt keine entscheidende Bedeutung haben kann, zweitens das steuerbegünstigte Sparen, wo wir einmal abwarten müssen, auf welche Vorschläge sich die Bundesregierung noch im Laufe der Zeit einigen wird, und drittens die konjunkturpolitische Regelung der Teilzahlungen.
Ich möchte Ihnen vorschlagen, diesen letzten Antrag sofort anzunehmen; dann ist dieser Punkt erledigt. Die Zollsenkung haben Sie sowieso schon erledigt. Für die Regelung des steuerbegünstigten
Sparens brauchen Sie vielleicht noch einige Zeit. Dann können wir die ganze Konjunkturdebatte abschließen und das Konjunkturprogramm beiseite legen — denn mehr ist an Konkretem nicht drin —, und dann können wir uns über das unterhalten, was in Ihrer Regierungserklärung fehlt. Das sind folgende Dinge, meine Damen und Herren. Es fehlt die Behandlung der degressiven Abschreibung. Es fehlen eindeutige Maßnahmen gegen die zur Zeit wieder festzustellenden Preissteigerungstendenzen. Es fehlt die Behandlung der Kassenreserven im Juliusturm mit seinen ungeheuren Gefahren. Es fehlt überhaupt die Behandlung des ganzen Problems der Rüstungswirtschaft.
Wenn ich von diesen Dingen absehe, Herr Bundeswirtschaftsminister, dann gibt es nur noch zahlreiche Appelle an alle Kreise der deutschen Bevölkerung zu konjunkturbewußtem Verhalten, zum Maßhalten. Wir sind anscheinend nicht einer Meinung über den Wert solcher Appelle, soweit ich Ihre Regierungserklärung gelesen habe. Aber in der Vergangenheit haben doch diese psychologischen Appelle mit einem eindeutigen Fiasko geendet. Und ich frage mich, Herr Bundeswirtschaftsminister, wann wird man in der Bundesregierung einsehen, daß die Zeit der großen Medizinmänner und Zauberer endgültig vorbei ist und daß es auf Handlungen ankommt.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir diese Dinge so ansehe — mir ist keine andere Wertung des Konjunkturprogramms möglich —, dann scheint mir eines besonders bedenklich an dieser Regierungserklärung; und das ist der Wandel der Einstellung der Bundesregierung zur Frage der Geldwert- und der Preisstabilität. Ich bitte, meine Damen und Herren, dazu einige Ausführungen machen zu dürfen, weil ich das wirklich für einen entscheidenden Punkt halte.
Im ersten Konjunkturprogramm vom Oktober vorigen Jahres war noch folgender Satz zu finden: Die Rentner werden von jeder Preissteigerung auf das härteste betroffen. Sie dürfen nicht verraten und enttäuscht werden." Das heißt: Stabilisierung des Preisniveaus, Herr Hellwig, nicht Stabilisierung jedes einzelnen Preises; darüber sind wir völlig einig.
Aber das Niveau muß gleichbleiben.
Es ist ein Zweites in dieser Regierungserklärung enthalten gewesen. Die Regierungserklärung hat sich nämlich gegen jene gefährliche These gewandt, daß eine leichte fortdauernde Verdünnung der Kaufkraft sogar als wertvoller Konjunkturimpuls gelten könne.
- Ich bitte mir zu gestatten, daß ich zunächst einmal meinen Gedankengang zu Ende führe. Das ist nicht entscheidend, ob Sie etwas dagegen gesagt haben; entscheidend ist, was in der Regierungserklärung fehlt, Herr Bundeswirtschaftsminister!
Dann erschienen folgende Punkte in der Regierungserklärung: Es sollen Preissenkungen herbeigeführt werden. Die Bundesregierung bleibe bemüht, staatlich gebundene Preise und Tarife nicht zu erhöhen. Es solle eine Preissenkung durch Verbrauchsteuersenkung erfolgen.
Wir wissen, daß alle diese Maßnahmen keinen Erfolg gehabt haben. Aber das Entscheidende ist doch, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß hier sehr deutlich die Erhaltung eines stabilen Preisniveaus als Grundgedanke des ersten Konjunkturprogramms herausgestellt wurde.
Sehen wir uns nun das zweite Konjunkturprogramm, die Regierungserklärung vom letzten Freitag an. Ich erinnere dabei an das, was ich bereits am Freitag in der Begründung unserer Anfrage gesagt habe. In diesem Konjunkturprogramm wurde dargestellt, daß die Erhöhung der Lebenshaltungskosten um 4 bis 5 % in den letzten zwei Jahren doch nicht so tragisch zu nehmen sei. Ja, es wurde gesagt, die Steigerung von 1950 bis heute um 13 % sei kein Grund, zu dramatisieren. Und dann stand darin, daß 4 bis 5 % Steigerung in den letzten beiden Jahren doch nur ein Ausgleich für die vorhergehenden Preissenkungen gewesen seien. Man kann das auch anders darstellen. Man kann nämlich sagen, daß der Stand 1951 um 13 % höher war als vor der Koreakrise, daß es dann gelungen war, mit steigender Konjunktur diesen Stand wieder um etwa 4 °/o zu senken, und daß diese Senkung nun glücklich wieder restlos zum Teufel ist. Wir haben wieder diesen um 13 % höheren Stand. Und so wird es jetzt möglicherweise auf erhöhter Stufe weitergehen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, mir kommt es nicht darauf an, hier zu sagen: „Wir werden die und die Preissteigerungen bekommen" oder hier zu dramatisieren. Wichtig aber ist, daß Sie jetzt diese Entwicklung bagatellisieren und sie beinahe als eine Selbstverständlichkeit hinnehmen, die jedenfalls ein nicht sonderlich tragisch zu nehmendes Element darstelle.
An anderer Stelle dieser Regierungserklärung heißt es, Herr Bundeswirtschaftsminister:
Die starke Zunahme der Beschäftigung und der Lohnanstieg bringen eine so kräftige Belebung der Letztverbrauchernachfrage mit sich, daß sich seit einigen Monaten auch bei den bis dahin verhältnismäßig ruhigen Konsumgütern gewisse leichte Preiserhöhungen abzeichnen.
Ich will jetzt von der Formulierung absehen, daß es die Nachfrage sei — das heißt, die Löhne —, die dafür gesorgt habe, daß diese Preise auf dem Konsumgütermarkt gestiegen sind. Richtiger wäre vielleicht, zu sagen, daß der beginnende Käufermarkt den Unternehmern der Konsumgüterindustrie die Möglichkeit gegeben hat, höhere Preise zu erhalten. Aber davon will ich im Augenblick einmal absehen. Entscheidend ist doch, daß auch diese Formulierung wieder so weit geht, die Preiserhöhung gewissermaßen als natürliche Folge dieser Nachfragesteigerung hinzustellen, die gewissermaßen als selbstverständlich hingenommen wird.
Dann heißt es an einer anderen Stelle, Herr Bundeswirtschaftsminister, gewisse Preisschwankungen —nicht Einzelpreisveränderungen, sondern Schwankungen des Preisniveaus — seien der Sozialen Marktwirtschaft adäquat, die es durch ihre Dynamik und Ergiebigkeit ermöglicht habe, daß erhöh-
ten Preisen gegenüber das Realeinkommen doch noch sehr viel stärker angestiegen sei. Jetzt kommt es also gar nicht mehr auf die Nominaleinkommen und auf die. Preissteigerungen an, sondern jetzt, nachdem die Verhinderung der Preissteigerungen nicht gelungen ist, liegt der Hauptton der Regierungserklärung auf den Realeinkommen.
Im Teil 5 heißt es schließlich:
Dieses ... Konjunkturprogramm ist ... geeignet, das Verhältnis zwischen Gesamtnachfrage und Gesamtangebot in unserer Volkswirtschaft zu verbessern und damit den Preisauftrieb abzudämmen,
— man höre die vorsichtige Formulierung —
ohne daß ... das Wachstum der Realeinkommen
— von Preisen ist gar keine Rede mehr —
und des Lebensstandards behindert und die
Vollbeschäftigung gefährdet werden müßten.
Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn ich mir im Zusammenhang damit die tiefsinnigen Ausführungen der Regierungserklärung über die längerfristige Geldstabilität — nicht mehr Geldstabilität heute, sondern längerfristige Geldstabilität — ansehe und mir überlege, daß die längerfristige Geldstabilität nach den Ausführungen der Regierungserklärung durch die Lebenshaltungskostensteigerung um 13 % seit 1950 nicht beeinträchtigt ist, dann muß ich sagen, es scheint mir das eine ganz gefährliche Tendenz zu sein, die in dieser Regierungserklärung zum Ausdruck kommt.
Damit stimmt überein, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß an keiner Stelle dieses Regierungsprogramms — wie im ersten Programm — ein Wort über mangelnde Preisdisziplin enthalten ist, daß keine Forderung nach Preissenkung vorhanden ist und daß kein Wort darüber gesagt worden ist, daß die staatlich gebundenen und manipulierten Preise stabil gehalten werden sollen. Nur an einer einzigen Stelle haben Sie etwas verklemmt davon gesprochen, daß die Markt- und Einfuhrpolitik mit Ernst und Nachdruck darauf gerichtet werden müsse, daß der Preisanstieg für Lebensmittel verhindert werde. Wir kennen die Erfahrungen gerade mit der Preispolitik auf dem Nahrungsmittelgebiet, so daß Sie verstehen können, wie wir den Wert einer solchen vorsichtig abgefaßten Erklärung einschätzen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit ergiebt sich mit einem Wort die Frage, ob sich die Bundesregierung wirklich mit der durch die langsame Preissteigerung verursachten Aushöhlung der D-Mark abgefunden hat. Wenn das der Fall wäre, wäre das eine höchst bedenkliche Note unserer Konjunkturpolitik.
Herr Bundeswirtschaftsminister, diese Tendenz hat auch die Öffentlichkeit gemerkt. Der Herr Bundeskanzler, der so sehr bemüht ist, die feste Währung Deutschlands in den Vordergrund zu stellen, hat in demselben Zusammenhang dargelegt, daß er sehr wohl die Unruhe spüre, die sich in der Bevölkerung wegen der Preissteigerungen rege. Der Herr Bundeskanzler hat sicherlich auch recht, wenn er sagt, daß die Frage der Inflation eine psychologische Frage ist. Aber ich glaube, auch hier sind wir wieder einmal über Psychologie verschiedener Meinung. Wenn der Kanzler sagt, Inflation sei ein
psychologisches Problem, dann muß man dagegen sagen, daß Preissteigerungen bei uns in Deutschland heute psychologisch eine so entscheidende Sache für den ganzen Wirtschaftsablauf sind, daß man diese Preissteigerungen verhindern muß. Es nützt uns nicht sehr viel, wenn ,der Herr Bundeskanzler sagt: Beste Reden über Inflation verhindern keine Inflation. Damit hat er selbstverständlich recht. Aber die besten Reden über die festeste Währung der Welt verhindern nicht den Preisanstieg.
Es war der bekannte Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftspolitiker Professor Albert Hahn, der in einer sehr, sehr lesenswerten Schrift ausgeführt hat:
Nichts ist in der Hochkonjunktur gefährlicher als das allgemeine Gefühl der Sicherheit, daß alles zum besten steht.
— Ich freue mich, daß Sie zustimmen, Herr Bundeswirtschaftsminister; ich würde empfehlen, darüber gelegentlich einmal ein Kolloquium mit dem Herrn Bundeskanzler zu halten.
Die Konjunkturbewußtheit des deutschen Volkes ist eines der wenigen Positiva, die wir in Deutschland haben. Die offene Sorge vor inflationären Entwicklungen ist ein eindeutiges Zeichen eines gesunden Selbstbehauptungswillens, den wir in Deutschland feststellen.
Darum, meine Damen und Herren, halten wir es für sehr gefährlich, wenn der Bundeskanzler den Versuch macht, in seinen Darstellungen über den Wert der Außenwährung, der mit dem Binnenwert der Währung nichts zu tun hat, dieses wache Gewissen einzuschläfern. Das ist nicht nur gefährlich, sondern diese Methode bestärkt uns in der Befürchtung, daß die Bundesregierung sich im Grunde genommen mit einer schleichenden Kaufkraftaushöhlung ausgesöhnt und abgefunden hat. Wir möchten hier, Herr Bundeswirtschaftsminister, eine klare Antwort auf die Frage haben, ob die Bundesregierung bereit ist, für die Stabilität des Preisniveaus alle ihre zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen. Wir möchten, daß diese Antwort klarer ausfällt als die Antwort des Herrn Bundeskanzlers auf die Frage nach der Unabhängigkeit der Notenbank.
Ich habe mich sehr gefreut, daß Herr Hellwig — als Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, nehme ich an — heute zur Frage der Unabhängigkeit der Notenbank eindeutig Stellung genommen hat. Es wäre sehr zu wünschen gewesen, daß der Herr Bundeskanzler sich nicht darauf beschränkt hätte, als Antwort Passagen aus seiner Rede im Gürzenich zu zitieren, aus denen jeder den Unwillen über die Unabhängigkeit der Notenbank herausgelesen hat.
Der Herr Bundeskanzler hat es für zweckmäßig gehalten, dieses unglückliche Zitat als Antwort auf eine so ernstgemeinte Frage zu geben.
Wie gesagt, wir wünschen zur Frage der Preisstabilität eine klarere Erklärung der Bundesregierung.
Nach unserer Auffassung ist die Regierungserklärung deshalb negativ zu beurteilen, weil ihre konkreten Vorschläge unzulänglich sind und weil wichtige Probleme überhaupt nicht behandelt, vielmehr vernachlässigt werden. Deshalb haben wir uns veranlaßt gesehen, in einem großen Antrag unsere Auffassung über die augenblickliche konjunkturpolitische Situation darzulegen. Ich bitte daraus zu entnehmen, daß es uns darauf ankommt, nicht nur von einem großen Bündel zu sprechen und dann drei kleine Maßnahmen vorzuschlagen. Wir haben in diesem Antrag ein wirklich umfangreiches Programm nachhaltiger und ernsthafter Maßnahmen vorgeschlagen. Auf diese Nachhaltigkeit und Ernsthaftigkeit kommt es an. Ich habe sehr den Eindruck, daß man an die Nachhaltigkeit und Ernsthaftigkeit der Maßnahmen der Bundesregierung gerade in Fragen der Konjunkturpolitik in Deutschland nicht mehr glaubt.
Es ist richtig, daß man, wenn Schwierigkeiten aus der Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot entstehen, versuchen muß, dem Problem von beiden Seiten nahezukommen. In bezug auf die Nachfrageseite hat die Bundesregierung einige Vorschläge gemacht, die wir unterstützen: Dämpfung der Nachfrage nach Konsumgütern durch Begünstigung des Sparens — aber, bitte, ernsthafte Maßnahmen, über die man sich verständigen muß —, Behandlung des Teilzahlungsgeschäftes und ähnliche Dinge. Ich darf daran erinnern: über das Teilzahlungsgeschäft haben wir uns bereits im Oktober unterhalten. Es wäre der Bundesregierung durchaus möglich gewesen, sich die entsprechenden Instrumente in der Zwischenzeit zu schaffen, um im gegebenen Augenblick gerüstet zu sein.
Auf der anderen Seite ist die Dämpfung von Investitionsmaßnahmen wichtig. Lassen Sie mich gerade im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Hellwig 'dazu eines sagen. Unsere Investitionsrate ist — natürlich gibt es darüber wieder verschiedene Meinungen; aber die meisten Menschen in Deutschland stimmen darin doch wohl überein —, ungeachtet der Tatsache, daß in ihr der Wohnungsbau eine sehr erhebliche Rolle spielt, unverhältnismäßig hoch. Das ist auch gar nicht verwunderlich; denn wir mußten nach dem Kriege insbesondere zur Beseitigung von Kriegs- und Demontageschäden viel mehr investieren, als es dem normalen Investitionsbedarf entspricht. Das war sicher in der Vergangenheit auch gut. Aber nachdem zumindest ein großer Teil dieser Aufwendungen nachgeholt ist, ist die Investitionsrate nach unserer Auffassung wesentlich überhöht.
Nun darf man daraus natürlich nicht den Schluß ziehen, die Investitionen generell einzuschränken. Es kommt jetzt darauf an, dart zu investieren, wo man mit Rationalisierungsmaßnahmen sehr schnell eine Gütererzeugung hervorbringt, damit man der Nachfrage Angebot entgegenstellen kann.
— Ich freue mich, daß so gewichtige Persönlichkeiten wie Herr Pferdmenges dazu Beifall spenden. Es gibt aber eine Konsequenz, Herr Pferdmenges: dann muß man sich natürlich überlegen, was die Staatsführung tun kann, um dafür zu sorgen, daß die Investitionsmittel an diese Stellen kommen. Etwas anderes hilft da nicht, und die Bundesregierung sollte sich damit weiß Gott einmal befassen. Es gibt die verschiedensten Methoden.
Ich darf gleich vorweg sagen: wir Sozialdemokraten denken nicht daran, mit Investitionsgeboten, mit Investitionsverboten und ähnlichen rigorosen Mitteln vorzugehen; ich glaube, wir alle haben davon genug. Wir wünschen ein solches System nicht, das letzten Endes eben doch irgendwie mit der undemokratischen persönlichen Freiheitsbeschränkung zusammenhängt.
Das möchte ich vorweggeschickt haben.
Aber es gibt andere Mittel. Man kann z. B. das Mittel der degressiven Abschreibung für eine solche Investitionssteuerung einsetzen, indem die degressive Abschreibung nur dort zugelassen wird, wo dieser Effekt einer schnellen Produktionssteigerung erzielt wird. Darum stehen wir auch den ähnlichen Gedanken in einem Antrag der FDP positiv gegenüber. Die FDP möchte hiernach besondere Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in förderungsbedürftigen Gebieten und förderungsbedürftigen Unternehmungen haben. Die Bundesregierung sollte sich einmal überlegen, ob nicht auf diesem Gebiet mit Hilfe der degressiven Abschreibung ein bißchen Investitionspolitik getrieben werden kann, die — ich sehe, darüber sind wir alle einer Meinung — in diesem Augenblick nicht vernachlässigt werden darf.
Ein weiteres wichtiges Gebiet: die öffentlichen Baumaßnahmen. Dieser Frage muß sich die Bundesregierung mit Energie annehmen. Dabei sollte sie also auch einmal prüfen, ob Investitionen in Rüstungsbauten sehr schnell produktive Güter zur Befriedigung der Nachfrage hervorzaubern oder ob das nicht der Fall ist.
— Herr Hellwig, Sie haben vorhin ein weises Wort gesagt. Als davon gesprochen wurde, wie das mit der Einschränkung von Baumaßnahmen für die Rüstung sei, haben Sie gesagt — ich habe Ihnen angekündigt, daß ich diese Bemerkung hier machen würde —, daß dabei übergeordnete Dinge eine Rolle spielen. Darauf erwiderte ich Ihnen, daß ich Sie fragen werde, ob die Stabilität der Währung nicht auch eine übergeordnete Frage ist, die eine Rolle spielt.
— Sie werden mir aber zugeben, daß Sie mich zu dieser Antwort geradezu gereizt haben.
Meine Damen und Herren, in Ergänzung dieser Investitionsdämpfung und -steuerung kommt es entscheidend darauf 'an, daß Wesentliches getan wird, um die Einfuhr zu steigern. Ich will bei dem Thema Steuerung der Investitionen nicht von den öffentlichen Mitteln, von den gesteuerten Haushaltsmitteln, Bürgschaften und all diesen Möglichkeiten sprechen, die natürlich eingesetzt werden müssen. Aber wenn alles das richtig ist, was ich aus den Berichten der Bank deutscher Länder und des Herrn Bundeswirtschaftsministers über die wirtschaftliche Lage zitiert habe, dann müssen eben ganz entscheidende Maßnahmen auf handelspolitischem Gebiet getroffen werden.
Nun hat sich Herr Hellwig wiederholt sehr stark
— und wir unterstreichen das — gegen Überlegun-
gen gewehrt, die auf eine Aufwertung der Mark hinzielen. Ich glaube, wir in Deutschland sind in einer Situation, in der wir jede Manipulation irgendwelcher Art mit der Mark ablehnen und vermeiden sollten.
Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn in Kreisen der Bundesregierung diese Frage erörtert worden ist, — warum denn eigentlich? Doch offenbar deshalb, weil man sich bewußt war, daß man die Diskrepanz zwischen Außen- und Innenmärkten mit handelspolitischen Mitteln sehr schwer überwinden kann. Wenn dem so ist, Herr Bundeswirtschaftsminister, dann muß sich die Bundesregierung bereitfinden, unseren Anträgen stattzugeben, nämlich durchschlagende Maßnahmen zur Erleichterung der Einfuhr einzuleiten. Wir werden — so wie wir diesmal unseren Antrag vom Oktober wiederholt haben — jedesmal, wenn die Situation wieder einmal zeigt, daß Ihre Maßnahmen nicht ausgereicht haben, unseren Antrag auf 40 %ige generelle Zollsenkung vorlegen, die sich nach unserer Auffassung auch auf Agrarzölle zu erstrecken hat.
Nun gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Diskussion am vorigen Freitag einige Worte zu der Frage des Schutzes der Landwirtschaft. Im Rahmen meiner kurzen Ausführungen möchte ich mich auf einige knappe Feststellungen beschränken.
Wir sind der Auffassung — und das haben Sie ja aus unserer Haltung zu dem Grünen Bericht gesehen —, daß die Landwirtschaft in den Bereichen, wo sie der Hilfe bedarf, Unterstützung vom Staat bekommen muß. Aber es ist keineswegs notwendig und auf lange Sicht sogar schlecht, wenn man meint, diesen Schutz durch Preissteigerungen und durch Stützung der Preise mit Hilfe von Zollmaßnahmen herbeiführen zu können. Darum kann ich nicht der Auffassung zustimmen, daß Zollerleichterungen für Agrarerzeugnisse gleichbedeutend mit der Verweigerung des notwendigen Schutzes für die Landwirtschaft seien.
Zugleich darf ich aber auch auf etwas hinweisen, was bisher leider, soweit ich sehen kann, in keinem der offiziellen Berichte steht. Der Preisindex für die Erzeugnisse der Landwirtschaft ist inzwischen so weit gestiegen, daß er nicht mehr hinter dem Preisindex für industrielle Erzeugnisse herhinkt. Diese Schere hat sich inzwischen geschlossen. Inzwischen haben die landwirtschaftlichen Erzeugnisse den Preisindex der landwirtschaftlichen Betriebsmittel erreicht, soviel ich weiß, sogar etwas überschritten. Daraus müssen doch Konsequenzen gezogen werden. Man kann doch wahl die Konsequenz daraus ziehen, daß die Erleichterung der Einfuhr durch Zollherabsetzung nicht den Zustand trifft, wie er damals, zur Zeit der Vorlage des Grünen Berichts, vorlag, sondern daß sie jetzt vielmehr dazu dienen kann, die überhöhten Preise wieder auf ein normales Maß herabzubringen.
Außerdem werden wir immer wieder — ob zu Ihrer Freude, Herr Bundeswirtschaftsminister, oder zu Ihrem Mißfallen, weiß ich nicht recht — den Antrag bringen, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister die Ermächtigung zu geben, bei
passender Gelegenheit Zölle zu senken, damit Einfuhren hereinkommen.
Wir bedauern, daß das Hohe Haus diese Maßnahmen am Freitag unter sehr merkwürdigen Umständen abgelehnt hat.
Wir sind außerdem der Auffassung, daß es in Zukunft notwendig sein wird, die landwirtschaftliche Marktordnung aufzulockern und in einer Weise zu handhaben, daß sie nicht nur der Landwirtschaft dient, sondern auch ihre Aufgabe erfüllt, dem Verbraucher mit Nahrungsmitteln zu niedrigen Preisen zu versorgen.
Das ist die Seite der Angebotssteigerung. Ich möchte wiederholen, daß auf dem Gebiete der Einfuhr das Kernproblem darin liegt, ob man sich zu wirksamen Maßnahmen entschließt oder ob man es bei Feigenblättern beläßt.
Dann muß ich einiges zur Nachfragesteigerung sagen. Wenn wir einmal davon ausgehen, daß im Bundeshaushalt nicht vorgesehen ist, die Ausgaben zu senken — das liegt anscheinend in der Natur der Sache; ich stelle diesen Tatbestand hier nur fest —, dann ist zu sagen, daß jede Ausgabenerhöhung und jede Einnahmensenkung auf dem Markt zusätzliche Nachfrage hervorrufen. Ich habe Ihnen vorhin gesagt, welche Posten das sind. Es sind die Rentenerhöhung, die Steuersenkung und die Rüstung. Das macht im Jahre etwa — ich glaube, die Größenordnung gebe ich nicht falsch an — 8 bis 10 Milliarden DM, die zusätzlich über Steuersenkung bzw. Ausgabenerhöhung als Verbrauch aus staatlichen Ausgaben herauskommen.
Das Nettosozialprodukt — das ist also das Angebot an Gütern und Leistungen, das dieser zusätzlichen Nachfrage gegenübersteht — hat sich im Jahre 1955 gegenüber 1954 um 12 % gleich 14 Milliarden DM, erhöht. Wenn wir für 1956 — das tun die meisten, die sich mit diesen Dingen befassen — mit einer Erhöhung des Nettosozialproduktes um 8 % rechnen, dann ergibt das ein zusätzliches Angebot von 8 bis 9 Milliarden DM. Darin sind — jetzt schlagen Sie mich nicht tot; das möchte ich nicht gern —
2, 3 oder 4 Milliarden im Inland erzeugter Rüstungsgüter enthalten. Dann aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, steht einer Nachfrage aus Kassenausgaben des Bundes von 8 bis 10 Milliarden DM im Jahr ein Angebot von Gütern von rund 5 Milliarden DM gegenüber, die verbraucht oder investiert werden können. Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist eine Rechnung, die Sie als global bezeichnen können, die aber in dieser Globalität zweifellos stimmt.
Da gibt es nur eine Konsequenz: die deutsche Wirtschaft kann Rentenerhöhung, Steuersenkung und schnellen Aufbau der Rüstungswirtschaft, wie er von Ihnen geplant ist, zusammen einfach nicht verkraften.
Meine Damen und Herren, hier rächen sich drei Fehler auf einmal. Es rächt sich einmal der Fehler, daß Sie die überfällige Rentenerhöhung fünf Jahre hinausgezögert haben, anstatt sie früher zu
bringen, als es konjunkturpolitisch völlig ungefährlich war.
Es rächt sich weiter, daß Sie zwei, drei, vier Jahre lang Kassenüberschüsse angesammelt haben, die Sie viel zweckmäßiger in der Wirtschaft hätten verwenden können. Drittens rächt sich, daß Sie aus übergeordneten Gesichtspunkten die Rüstung in einer Frist durchführen wollen, deren Einhaltung unsere ganze Wirtschaft in große Gefahren bringt.
Darum, meine Damen und Herren, — das geht also nicht nur die Regierung, sondern das geht jeden in diesem Hause an —, stehen Sie aus rein wirtschaftlichen Gründen — lassen Sie einmal alle außenpolitischen Überlegungen beiseite — vor der Entscheidung — und die nimmt Ihnen niemand ab —, ob Sie eine Rentenerhöhung wie geplant oder ob Sie die Rüstung in der Form durchführen wollen, wie Sie das vorhaben.
Manchmal kommt es einem vor, als wenn schlechte Vorbilder gute Sitten verderben. Adolf Hitler hat damals in drei Jahren 500 000 Mann Soldaten aufgestellt. Das war nach der Krise der Jahre 1929/30. Er begann im Jahre 1933, als wir in Deutschland über riesige freie Produktionskapazitäten verfügten, als in den Unternehmungen große Vorratsläger vorhanden waren und als wir eine Arbeitslosenreserve von, wenn ich nicht irre, 6 Millionen Mann hatten. Bei dieser Situation ließ sich bis zum Jahre 1937 mit Krediten und ähnlichen Methoden die Rüstung durchführen, ohne daß die Wirtschaft gefährdet wurde. Als aber im Jahre 1937 der Zeitpunkt erreicht war, in dem die deutsche Wirtschaft durch diese Rüstung voll beschäftigt war, da begann die inflatorische Entwicklung, die wir dann bis zum bitteren Ende haben mit durchmachen müssen.
Heute beginnen wir in Deutschland im Zeitpunkt der Vollbeschäftigung, ohne Produktionsreserven, ohne Arbeitslose, ohne große Vorräte, in dem gleichen rasanten Tempo 500 000 Mann mit einem viel größeren materiellen Potential aufzustellen, als es damals notwendig war.
Das sind Probleme, die auf Sie genauso wie auf uns zukommen. Je später Sie die Entscheidung fällen, ob Rentenerhöhung oder Rüstung, und die Dinge einfach schleifen lassen, um so schwieriger wird sie sein. Darum ist unser Antrag bitter ernst gemeint. Wir möchten von der Bundesregierung einmal das Material vorgelegt bekommen, aus dem zu entnehmen ist, daß die deutsche Wirtschaft neben Rentenerhöhungen und neben Steuersenkungen zusätzlich diese rüstungswirtschaftlichen Maßnahmen verkraften kann.
Wir wünschen, daß, soweit das nicht möglich ist, die in Angriff genommenen Bauten gestoppt und vorgesehene Maßnahmen nicht durchgeführt werden.
Dann haben wir uns in unserer Vorlage weiter mit dem Preisproblem beschäftigt. Sie werden nach dem, was ich vorhin gesagt habe, verstehen, warum. Die alte klassische Vorstellung, daß in Zeiten der Hochkonjunktur und der Knappheit Preiserhöhungen auf der einen Seite zu einem Rückgang der Nachfrage, auf der anderen Seite durch Gewinnsteigerung bei den Unternehmungen zur Produktionssteigerung führen, stimmt in Zeitläufen wie heute nicht. Die langsame stetige Preissteigerung, die wir haben, führt zu einer Erhöhung der Nachfrage; denn jeder befürchtet, daß, wenn er z. B. in drei, vier Monaten einen Hausbau vergibt, die Preise für Baustoffe und für Baumaßnahmen dann weiter gestiegen sein werden.
Daher kommen die kurzen Termine, von denen Herr Hellwig gesprochen hat. Diese Preissteigerungen führen also zu der Überhitzung der Bauwirtschaft, sie führen dazu, daß heute Investitionen, die nicht notwendig sind, vorgenommen werden, weil sie möglicherweise in einem Jahre 10 % teurer sind, und sie führen auch dazu, daß über Abzahlungsgeschäfte Konsumgüter in großem Umfang eingekauft werden und allmählich die Neigung, Geld auf die Sparkasse zu bringen, immer mehr absinkt. Sie sehen — und das ist die psychologische Bedeutung einer solchen Entwicklung, wie wir sie heute zu verzeichnen haben —, daß diese schleichende Preiserhöhung nicht zu einer Bereinigung, sondern nur zu einer immer weiteren Verschärfung der Spannungen führt.
Darum sind wir der Auffassung, daß dieses Problem der Preisstabilität das Kardinalproblem ist. Ich wiederhole: wir wollen nicht starr festhalten an den einzelnen Preisen à la Preisstopp, sondern mit wirtschafts- und finanzpolitischen und mit sonstigen Maßnahmen dafür sorgen, daß das Preisniveau auf gleicher Höhe bleibt. Wir wehren uns weiter gegen die gefährliche These, daß eine langsame Preissteigerung und eine langsame Aufweichung der Währung keine gefährliche Angelegenheit sei. Da hilft die bisherige Methode der Bundesregierung, großen Worten kleine Taten folgen zu lassen, in keiner Weise. Es muß endlich einmal aufhören, daß die staatlich festgesetzten Preise weiterhin gesteigert werden. Ich hoffe, daß auf die Einwendungen, die Herr Kollege Hellwig heute gemacht hat, zu anderer Zeit mein Kollege Kriedemann eingehen wird; ich muß darauf verzichten, weil ich sonst meine Zeit allzusehr überschreite.
Damit die Preisdisziplin erreicht wird, ist nach unserer Meinung folgendes erforderlich: Die Verbrauchsteuern, die im übrigen steuerpolitisch und verwaltungsmäßig ein Unglück sind, müssen endlich beseitigt werden. Damit können wir einmal einen wesentlichen materiellen Erfolg erzielen. Unterschätzen Sie auch nicht, welche psychologische Bedeutung eine Preissenkung z. B. für Kaffee, Tee, Kakao und Zucker für die Einstellung der Bevölkerung zur Preisentwicklung hat. Wir wundern uns darum sehr, daß sich die Bundesregierung nicht zu solchen Maßnahmen aufraffen kann.
Wir verlangen weiter, daß die staatlich gebundenen und manipulierten Preise in Zukunft nicht mehr heraufgesetzt werden. Diesem Punkt kommt eine entscheidende Bedeutung zu, — wenn die Kosten auf irgendeinem landwirtschaftlichen Gebiet einmal höher werden sollten, dann denken Sie
daran, daß aus der Getreideabschöpfung etwa 350 bis 400 Millionen DM zur Verfügung stehen, die in den ordentlichen Haushalt laufen und die Sie auf der anderen Seite sehr gut dem Verbraucher zugute kommen lassen könnten. Wir sollten auch nicht vergessen, daß etwa 60 bis 70 % der Lebenshaltungskosten auf Lebensmittel, auf Wohnung, auf Heizung und Beleuchtung entfallen und damit auf Posten, die staatlicher Beeinflussung unterliegen. Darum möchten wir von der Bundesregierung — da darüber in der Regierungserklärung nichts steht — eine eindeutige Erklärung, ob sie bereit ist, in Zukunft darauf zu achten, daß die staatlich gebundenen und staatlich manipulierten Preise nicht weiter heraufgesetzt werden.
Ein anderes Problem, das nach unserer Auffassung eine große Rolle spielt, ist die Preisgestaltung für Markenartikel und andere Artikel marktbeherrschender Unternehmungen und Unternehmensgruppen. Wir haben in Deutschland eine ausgesprochen mangelhafte Preisdisziplin, und ich kann nicht umhin, hier ins Gedächtnis zurückzurufen, daß -an dieser mangelnden Preisdisziplin der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht unschuldig ist. Seine Reden in all den Jahren, mit denen er praktisch jedes staatliche Eingreifen, jede wirtschaftspolitische Maßnahme des Staates diffamiert hat, haben wesentlich zu dieser mangelnden Preisdisziplin und diesem mangelnden common sense in Deutschland beigetragen.
Darüber hinaus wissen wir aus der Diskussion über die Mineralölpreisgestaltung, aus der Diskussion über die Zubehörteile der Autos vom Volkswagenwerk, Herr Bundeswirtschaftsminister, und aus der mißglückten Aktion gegen die Hersteller von Rollfilmen, welche Bedeutung diese Markenartikel mit ihrer Preisbindung haben.
Wir meinen, es ist an der Zeit, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß sich die Bundesregierung um die Kosten- und Preissituation in diesen marktbeherrschenden Bereichen kümmert; denn hier handelt es sich um Bereiche der Wirtschaft, in denen die Preise von starken Unternehmungen und Unternehmensgruppen einseitig festgesetzt werden.
Wir wünschen keine Preisschnüffelei. Was wir wünschen, ist, daß Sie sich einen ausreichenden Überblick geben lassen, weil Sie die Verantwortung für die Auswirkungen eines ungerechtfertigten Preisniveaus auf die wirtschaftliche Entwicklung nicht von sich weisen können. Diese Verantwortung bleibt der Bundesregierung. Wir bedauern es sehr, daß es den Herren der Regierung nicht gelungen ist, bei ihrer Koalition durchzusetzen, daß das seit fünf oder sechs Jahren in Bearbeitung befindliche Kartellgesetz verabschiedet wird, damit der Bundesregierung moderne Möglichkeiten der Kontrolle solcher marktbeherrschenden Unternehmungen zur Verfügung stehen. Wir bedauern es auch sehr, daß Sie die alte Auskunftspflichtverordnung, die sicherlich nicht in allen Punkten sehr begrüßenswert ist, noch nicht durch ein Auskunftspflichtgesetz ersetzt haben. Aber diese Unterlassungssünden der Koalition samt ihrer Bundesregierung sind doch keine Entschuldigung dafür, daß die Bundesregierung, um nicht alliierte Kartellbestimmungen oder die Auskunftspflichtverordnung anwenden zu müssen, einfach darauf verzichtet, ihrer wichtigen Verpflichtung nachzukommen, dafür zu sorgen, daß in diesen Bereichen, wo einseitig Preise festgesetzt werden, eine vernünftige Preisdisziplin und volkswirtschaftliche Überlegungen vorherrschen.
In einer Situation wie der augenblicklichen, in der man einen Umschlag der Hochkonjunktur in die Krise vermeiden und eine gleichmäßige Weiterentwicklung sichern will, kommt es darauf an, daß frühzeitig schnell wirksame Maßnahmen ergriffen werden. Die Bundesregierung hat in ihrer Erklärung dazu bemerkt, die Bank deutscher Länder könne allerdings schnell handeln, die Bundesregierung sei aber an das umständliche Gesetzgebungsverfahren gebunden und könne daher nicht so schnell handeln. Nun steht dann allerdings, ich glaube, kurz danach oder kurz davor, daß sie sich seit dem August bis etwa zum März/April darauf beschränkt habe, die Entwicklung zu beobachten. Das ist etwas, was wir normalerweise nicht als Handeln zu betrachten und zu benennen pflegen. Im Grunde genommen ist nämlich nichts geschehen. Mir scheint, Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sollten es bei der Urfassung dieses Wortspiels lassen; ich glaube, Professor Roeper hat das einmal gesagt: Die Bank deutscher Länder kann schnell handeln, Minister können nur schnell reden!
Diese Urfassung scheint mir jedenfalls treffender als die Variation, die nunmehr die Bundesregierung in ihrer Erklärung gewählt hat.
Nun ein Zweites! Ich hoffe, ich habe deutlich gemacht, daß nach unserer Auffassung ein umfangreiches Programm tiefgreifender Maßnahmen durchgeführt werden muß. Was wir der Bundesregierung vorwerfen, ist, daß sie sich mit punktuellen, zögernden und halben Maßnahmen zufrieden gibt, die niemals zum Erfolg führen können.
Eines scheint mir noch von entscheidender Bedeutung zu sein. Im Grunde genommen zeigt sich bei der Regierungserklärung und bei den Maßnahmen der Bundesregierung, daß die Bundesregierung über keine genügende Kenntnis der wirtschaftlichen Gesamtzusammenhänge bei uns in Deutschland verfügt.
— Aber Herr Kollege , Sie haben wahrscheinlich gefehlt, als Herr Dr. Hellwig seine Ausführungen über die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung machte.
Meine Damen und Herren, wir verfügen nämlich an sich beim Statistischen Bundesamt und bei den Wirtschaftswissenschaftlichen Instituten über eine große Menge von Vormaterial für eine solche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Wenn es sich um spezielle Anliegen der Bundesminister handelt, dann machen sie von diesem Material sogar gelegentlich Gebrauch. Ich habe z. B. den Eindruck,
daß die Erläuterungen zum Haushaltsplan, die der Herr Bundesfinanzminister gibt, nicht ohne Benutzung dieses Materials einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgearbeitet werden. — Ich sehe, ich täusche mich da nicht, Herr Bundesfinanzminister!
Auch der Herr Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit scheint mir in seinen Berichten an die OEEC von diesem Material Gebrauch zu machen. Meine Damen und Herren, warum dann nicht eine fundamentale Auswertung dieses Materials als Grundlage für die Entscheidungen der Bundesregierung und für die Entscheidungen des Bundestages in wichtigen wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Fragen?
Der Gedanke ist doch auch nicht einmal so furchtbar neu. Wenn ich zunächst von meiner Partei spreche, will ich Ihre Verdienste, Herr Hellwig, in keiner Weise herabsetzen. Die Sozialdemokratie hat bereits in ihrem Aktionsprogramm von 1952 eine solche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung verlangt. Ich möchte das in Erinnerung rufen, weil, wie ich festgestellt habe, die meisten von Ihnen dieses Aktionsprogramm nicht kennen.
Mein Kollege Schoettle hat im Juni 1955 hier im Hause in der Haushaltsberatung auf die Notwendigkeit einer solchen Gesamtrechnung hingewiesen. Im Oktober vergangenen Jahres hat die FDP einen Antrag eingebracht, einen Konjunkturbeirat einzusetzen. Wir haben damals dieser Idee zugestimmt und, ich glaube, unter dem Beifall zahlreicher Damen und Herren dieses Hauses festgestellt, daß dazu natürlich ein Instrumentarium notwendig ist und daß dazu auch so etwas wie eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung gehört.
Um Ihnen gerecht zu werden: wir wissen natürlich auch, daß einige Ihrer Herren wie z. B. der frühere niedersächsische Minister Strickrodt sich gerade um die Klärung der Probleme der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und des Nationalbudgets große Verdienste erworben haben. Aber warum müssen dann erst die Sozialdemokraten hier im Hause den Antrag stellen, daß von diesen Erkenntnissen und Erfahrungen nun endlich auch bei uns Gebrauch gemacht wird?
— Herr Dr. Hellwig, wenn es keine Frage der Gesetzgebung ist, dann hätte doch wohl die Bundesregierung ohne Gesetzgebung schon einiges auf diesem Gebiete tun müssen.
Meine Damen und Herren, ich begrüße es, daß Herr Kollege Hellwig der Frage der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung positiv gegenübersteht. Ich möchte hoffen, daß wir wenigstens in diesem Punkte zu einer Regelung kommen, die im Gesamtinteresse zweckmäßig ist. Wir wissen sehr gut — und ich freue mich, daß sich auch darüber hier Einmütigkeit hat feststellen lassen —, daß die wenigsten Probleme die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung aufwirft. Das scheint uns das zu sein, was zunächst anzustreben ist. Wir wissen natürlich ebenso, wie das heute von Herrn Kollegen Hellwig dargelegt worden ist, daß die Erstellung eines Nationalbudgets mit schwierigen Problemen belastet ist. Aber um eines klarzumachen: wir haben nicht ein Entscheidungsbudget vorgeschlagen, sondern wir wollen das, was man ein Orientierungsbudget nennen kann. Und wir möchten, daß die erforderlichen Schritte getan werden, um dieses Instrument einer modernen Wirtschaftspolitik allmählich zu entwickeln und zu vernünftigen Ergebnissen zu führen. Ich hoffe, daß wir dazu wenigstens im Anschluß an diese Beratungen kommen werden.
Wir haben in unserem Antrag noch einen weiteren Punkt behandelt. Er befaßt sich nicht nur mit dieser volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, sondern mit einer viel primitiveren Angelegenheit: der Frage der Koordinierung unserer wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen. Ich habe mich etwas gewundert, als ich in einer Zeitung las und das nachher durch Nachlesen wirklich bestätigt fand, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister am 19. Oktober 1955 in Berlin erklärt hat:
Die Bundesregierung verfügt in der Einheit von Wirtschafts- und Finanzpolitik über ein Instrumentarium von volkswirtschaftlichen Einwirkungsmöglichkeiten, das die notwendige Stabilität von Wirtschaft und Währung auch für die Zukunft gewährleistet.
Ich fürchte sehr, so würde der Herr Bundeswirtschaftsminister retrospektiv die Stellung der Bundesregierung im Oktober 1955 wohl nicht mehr darstellen können. Darum haben wir einen Antrag eingebracht, der von der Regierung verlangt, nunmehr die organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, daß eine einheitliche Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik gesichert wird, ein einheitliches Vorgehen der Regierung und ihrer Minister, aber auch die erforderliche Abstimmung mit der BdL.
Wir wissen, daß ein Wirtschaftskabinett existiert. Es scheint uns, daß die Effizienz dieses Wirtschaftskabinetts nach der Erfahrung der letzten Monate nicht allzugroß ist, jedenfalls nicht rechtzeitig wirksam wird. Um auf die Richtlinien des Herrn Bundeskanzlers zurückzukommen: sie scheinen auch nicht ganz so eindeutig zu sein, daß durch sie eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik gesichert wird.
Darum haben wir mit Betonung auf diese Frage hingewiesen. Das ist nicht nur eine Frage der Opposition, sondern das ist eine Frage, ob bei uns in Deutschland demokratische Organisationen und Einrichtungen funktionieren oder nicht.
Wir sind der Überzeugung, daß — obwohl die Spannung, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister festgestellt hat, gegenüber Oktober nicht unwesentlich zugenommen hat und obwohl, wie er sagte, die Wirtschaftspolitik erst jetzt vor ihrer Bewährungsprobe steht — auch in der heutigen Situation die Dinge noch nicht so weit gediehen sind, daß sie nicht mit einem koordinierten Vorgehen auf allen
Gebieten der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik mit leichter Hand in Ordnung gebracht werden könnten. Aber wir fürchten sehr, daß Sie, wenn Sie nicht sehr bald ein geschlossenes Programm nicht nur uns vorlegen, sondern auch durchführen, gezwungen sein werden, zu viel radikaleren und gefährlicheren kreditpolitischen oder zu harten verwaltungsmäßigen Maßnahmen zu greifen, um eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, eine zielbewußte Wirtschaftspolitik, die sich von Interessenteneinflüssen freihält und die wirksamen Maßnahmen, die notwendig sind, ungeachtet der Interessengesichtspunkte durchführt, eine solche Wirtschaftspolitik, die sich einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als eines Meßinstrumentes bedient, scheint uns die einzige Methode einer Konjunkturpolitik zu sein, die unerwünschte, harte und grob wirkende staatliche Eingriffe in das wirtschaftliche und soziale Leben vermeidbar macht. Nur eine solche zielbewußte und planmäßige Wirtschaftspolitik ist geeignet, uns auch in Zukunft ein ausreichendes Maß von wirtschaftlicher Freiheit zu sichern.
Meine Damen und Herren, ich habe zunächst bekanntzugeben, daß die für heute 20 Uhr angesetzte Sitzung des Ausschusses für Geschäftsordnung ausfällt.
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, zuerst feststellen zu können, daß wir in der Konjunkturdiagnose gar nicht so sehr weit auseinanderliegen. Alles, was Sie gesagt haben hinsichtlich der Bedeutung der Preise, hinsichtlich der Kapazitätsausnutzungen, der Verlängerung der Lieferfristen als Zeichen einer gefährlichen Konjunkturentwicklung, die wir zu beachten haben, wird von mir voll unterschrieben. Ich gehe auch noch darin mit Ihnen einig, daß der neuralgische Bereich auf der Investitionsseite zu suchen ist, wenngleich ich dazu noch erklären möchte, warum wir uns dennoch in diesem Augenblick nicht zu einer Verkürzung der degressiven Abschreibungen verstehen konnten und glaubten, darauf zunächst auch verzichten zu dürfen. Auch die Analyse der Außenhandelssituation mit der Entstehung hoher Überschüsse wird von mir und, ich glaube, von diesem ganzen Hause als richtig anerkannt. Ich möchte dazu nur feststellen, daß, wenn in diesem Zusammenhang vom Wirtschaftsministerium die Anregung zu einer Zollsenkung gekommen ist, das nicht etwa die Antwort auf Klagen der OEEC war, sondern daß umgekehrt die Aktivität, die wir entfaltet haben, und der Wille, den wir in Richtung einer Zollsenkung bekundet haben, in Paris auf der Ebene der OEEC wahrscheinlich manche Entscheidungen und manche Entschlüsse, die da heranreiften, gegenstandslos werden lassen.
Ich glaube auch nicht, daß für die gegenwärtige Konjunkturlage die Rüstungswirtschaft schon irgendeine sichtbare Ausprägung zeitigen konnte. Dazu ist das Volumen noch zu gering, Herr Kollege Deist. Wenn Sie bedenken, daß wir in den rückliegenden Jahren zwar keine Rüstungsaufwendungen hatten, aber doch immerhin Besatzungskostenleistungen, die ja auch vom deutschen Markt verkraftet werden mußten, dann ist derzeitig sicher kein zusätzlicher und störender Einfluß von dieser Seite auf die deutsche Wirtschaft wahrnehmbar.
— Ich kann Ihnen aus meiner Erfahrung sagen: der Andrang der deutschen Wirtschaft zur Rüstungsfabrikation ist wirklich nicht so besonders groß und so stark ausgeprägt. Im übrigen wissen Sie ja, daß wir die Absicht haben, einen Teil unserer Gold- und Devisenreserven dazu zu benutzen, mindestens schweres Material vom Ausland zu kaufen.
Wir halten das für eine gute Anlage,
gut im konjunkturpolitischen Sinne, Herr Kollege Deist, zweifellos. Wir haben uns hier nicht über die von Ihnen bestrittene Notwendigkeit der Rüstung zu unterhalten; das steht auf einem anderen Blatt. Für mich ist die deutsche Verteidigungsleistung ein Faktum, das ich wirtschaftspolitisch entsprechend zu werten habe.
In dieser Sicht ist es sehr viel besser, unsere Gold- und Devisenvorräte zu einem Teil dazu zu benutzen, dieses Material im Ausland zu kaufen, anstatt im Inland sehr erhebliche Investitionen tätigen zu müssen, um zu einer eigenen Produktion zu gelangen.
Ich stelle also fest, daß eine Störung von der Rüstungswirtschaft her in diesem Konjunkturabschnitt, d. h. bis heute praktisch nicht wirksam gewesen sein kann.
Nun zu dem von Ihnen gerügten Konjunkturprogramm der Bundesregierung. Ich muß schon sagen, daß ich dann eigentlich strahlendere Vorschläge von Ihnen erwartet hätte, wenn Sie glauben, unser Programm sei so völlig ungenügend. Was haben Sie denn dazu geboten? Sie wollen die degressiven Abschreibungen abgebaut sehen. Wir haben uns dieses Problem sehr ernsthaft überlegt. Sie waren ja heute mehr Psychologe als ich, Sie haben auch mehr von Psychologie gesprochen, als ich es gemeinhin tue. Aber hier hat die Psychologie noch eine andere Seite, Herr Kollege Deist. Ich sagte ausdrücklich: wir haben uns „noch nicht" dazu verstehen können.
— Ich habe dafür eine andere Deutung. „Noch nicht" bedeutet ja nicht, daß der Mann mehr abschreiben kann als bisher. Er kann die Möglichkeiten nur voll ausnützen, und das hat er im Zweifelsfall auch bis jetzt getan. Ich habe aber hinzugefügt: wir werden den Markt sehr sorgfältig beobachten, wir werden vor allen Dingen die Preise beobachten,
— darf ich noch den Satz zu Ende sprechen —und wenn die deutsche Wirtschaft weiß, daß mit dem Blick auf die degressive Abschreibung eine sorgfältige Markt- und Preisbeobachtung Platz greift, wird man vielleicht in der Preispolitik, viel-
leicht auch in der Lohnpolitik oder in beiden zusammen etwas mehr Zurückhaltung üben, weil man weiß, daß dieses Mittel immer noch bereitsteht und sogar im Verwaltungswege angeordnet werden kann. —Herr Schöne!
Herr Bundesminister für Wirtschaft, wie erklärt es sich dann eigentlich, daß in der Ausgabe Ihres Regierungsprogramms, das rechts oben das Datum des 14. Juni trägt, die Beseitigung der degressiven Abschreibung und die Formulierung enthalten war, daß Sie auf den Abschreibungsstand von 1952 zurückdrehen wollten? Ist das geändert worden, weil die Bundesregierung inzwischen anderer Meinung wurde, oder ist diese Bestimmung geändert worden,
weil der Bundesverband der Deutschen Industrie damit nicht einverstanden war?
Die letzte Unterstellung möchte ich mit aller Entschiedenheit und mit aller Deutlichkeit zurückweisen.
Im übrigen habe ich ja bereits ausgeführt, daß wir uns sehr sorgfältig überlegt haben, ob eine Verkürzung der Abschreibungen nicht angebracht erschiene, und ich gebe weiter zu, daß die Meinungen darüber geteilt waren. Wir haben auch Sachverständige gehört, aber nicht den Bundesverband der Deutschen Industrie,
sondern Institutionen, die eine öffentliche volkswirtschaftliche Verantwortung tragen. Ich weiß nicht, ob Ihnen nicht vielleicht auch schon einige Erscheinungen in der konjunkturellen Entwicklung aufgefallen sind, die heute nicht mehr so eindeutig wie noch vor fünf oder sechs Wochen auf eine allgemeine Überhitzung der Konjunktur schließen lassen.
Ich stelle jedenfalls fest, daß in vielen Bereichen der Wirtschaft und gerade auch bei großen Unternehmungen jetzt aus wohlverstandenem eigenen Interesse eine gewisse Zurückhaltung in der Investition Platz greift oder mindestens eine Änderung des Verfahrens nach der Richtung hin erfolgt, daß man nicht mehr in die Breite investiert, sondern in die Tiefe, das heißt, daß man rationalisiert, um damit die Effizienz der menschlichen Arbeit zu verbessern. Wir glaubten gerade angesichts der Erschöpfung des Arbeitsmarktes auf die degressive Abschreibung in der bisherigen Form zunächst einmal nicht verzichten zu sollen, weil eine weitere Leistungssteigerung unbedingt notwendig ist. Man kann darüber streiten, ob hinsichtlich der hier angesprochenen Zusammenhänge die richtigen Entsprechungen vorherrschen. Ich behaupte durchaus nicht, daß das heutige Prinzip das absolut und einzig richtige wäre. Das könnnen Sie aber von Ihrer Auffassung auch nicht sagen, Herr Kollege Deist.
Was die Baueinschränkungen anlangt, so habe ich in dieser Sache keine Briefe geschrieben, sondern fortdauernd — und zwar unmittelbar seit der
Berliner Konjunkturdebatte — mit den Wirtschaftsministerien, Finanzministerien und Wiederaufbauministerien der Länder verhandelt, und ich habe, wie Ihnen Herr Kollege Suhr wohl berichten kann, auch mit dem Städtetag mehrere Besprechungen in dieser Sache gepflogen. So liegt also mindestens von der Tätigkeit des Wirtschaftsministeriums aus ein Versäumnis in dieser Frage nicht vor.
— Ich gehöre ja auch zum Kabinett,
und wenn ich hier tätig geworden bin, dann habe ich es zugleich als Mitglied des Kabinetts getan.
Die ständige Fühlungnahme, die Herr Dr. Deist gefordert hat, ist jedenfalls Wirklichkeit gewesen.
Nun zum Sparen! Hier möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen: Meine Ankündigung über das steuerbegünstigte Sparen beruht auf einem Kabinettsbeschluß und wird durchgeführt werden.
Bei diesem Kabinettsbeschluß hat allen Kabinettsmitgliedern sogar der genaue Wortlaut, den ich hier vorgetragen habe, vorgelegen, so daß also irgendein Zweifel nicht angebracht erscheint. Wenn Sie inzwischen eine andere Meinung gehört haben, Herr Kollege Deist, dann können Sie die Bundesregierung nicht dafür verantwortlich machen. Das ist so: Bei uns, d. h. bei der Koalition, gibt es vielleicht etwas zu viel Meinungen; bei Ihnen gibt es nur eine, und das ist etwas wenig.
Herr Minister, gestatten Sie Herrn Deist eine Frage?
Ja, bitte!
Ich habe zwei Fragen, Herr Bundesminister. Die erste ist, auf Grund welcher Tatsachenfeststellungen Sie zu der Auffassung kommen, daß es in der Sozialdemokratie nur eine einzige Meinung gebe.
Die zweite Frage ist folgende. Ist Ihnen bewußt, daß die Quelle, auf die ich mich berief, nicht irgendwer war, der da mal erzählt hat, daß die Einführung des steuerbegünstigten Sparens möglicherweise nicht mit dieser dreijährigen Begrenzung durchgeführt werde, sondern daß das —jedenfalls nach meinen Informationen — ein Mitglied des Kabinetts gewesen ist?
Ich kann Ihnen dazu nur wiederholen, daß ein klarer Kabinettsbeschluß vorliegt;
und das Kabinett wird zu diesem Entschluß stehen.
Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.
Im übrigen habe ich nie gedacht, daß es bei Ihnen nur eine Meinung gibt; es kommt nur eine nach außen.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Frage?
Bitte!
Herr Bundesminister, nur eine Frage zur Auflockerung; ich verspreche, die letzte in dieser Form. — Meinen Sie nicht, daß es vielleicht besser ist, wenn nach eingehender Meinungsklärung nach außen hin eine Meinung vertreten wird, als wenn der Bundeskanzler eine Richtlinie aufstellt und dann nachher auf einmal drei Meinungen des Kabinetts in der Öffentlichkeit erscheinen?
Ich habe die Frage ja schon beantwortet,
indem ich darauf verwies, daß eine Kabinettsmeinung sich nicht bildet aus dem arithmetischen Mittel der Auffassungen von achtzehn Ministern. Da treten auch Gewichtungen ein, und jeder wuchert mit seinen Pfunden, so gut er es eben kann.
Aber lassen Sie mich in der Sache fortfahren. Es war vom steuerbegünstigten Sparen die Rede und anschließend vom Investment-Sparen. Herr Kollege Deist, ich bin mit Ihnen einer Meinung und werde diesen Standpunkt immer und auch in diesem Hause, in den Ausschüssen, vertreten, daß es mir bei diesem Investment-Sparen darauf ankommt, eine möglichst breite Streuung, also auch den kleinen Sparer zu erreichen und ihn in diesen Markt einzuführen. Und wenn ich noch etwas dazu sagen darf: es muß sogar etwas „Musik" darin sein, um die Sache anziehend wirken zu lassen.
Daß das dann noch zu verbinden ist mit der Möglichkeit, dem Bund seinerseits einen Einfluß auf die Politik dieser Unternehmungen zu belassen, macht ein Problem aus, was lösbar sein wird; aber über Fragen der Technik soll hier nicht gesprochen werden.
Auch die Behauptung, daß der Bund bundeseigenes Vermögen verschleudere, bedarf einer Richtigstellung. Sie sprechen offenkundig von den Howaldt-Werken. Wir haben von der Deutschen Revisions- und Treuhandgesellschaft ein Gutachten angefordert, und es sind noch andere Sachverständige damit befaßt worden. Übrigens wurde bisher nicht verkauft; es ist also sozusagen „noch alles drin".
Herr Minister, gestatten Sie Herrn Kurlbaum eine Frage?
Ja, bitte.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß der Verkauf nur durch das Einschreiten der SPD im Haushaltsausschuß verhindert worden ist?
— Ja, selbstverständlich! Nur auf unsere Vorstellung im Haushaltsausschuß hin ist der Verkauf dann nicht zustande gekommen.
Erstens weiß ich das nicht. Es muß aber offenbar eine Mehrheit gewesen sein; denn sonst wäre der Beschluß ja nicht zustande gekommen.
Zum zweiten ist damit noch nicht gesagt, ob es unbedingt richtig war, nicht zu verkaufen.
Also auch die Frage wäre noch zu klären.
Haben Sie auch das Gutachten dieser Treuhandgesellschaft selber gelesen?
Nicht von A bis Z; bestimmt nicht.
Ich wollte noch sagen: Wenn wir mit dem Investment-Sparen in kleinen Stückelungen auch den kleinen Mann erfassen und ihm damit Lust und Liebe zur Eigentumsbildung beibringen, dann glaube ich, lösen wir auch ein soziales Problem besser, als es manchem bisher vielleicht vorgeschwebt hat.
Eigentum zu erwerben, ist besser, als Miteigentum zu erwerben.
Nun kommen wir zu der Frage der Zollsenkung. Ich sagte letztes Mal schon: ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube. Wenn Sie mit Ihrem Antrag auf 40 % durchgekommen wären, hätte ich Ihnen bestimmt nicht widersprochen.
Aber, Herr Kollege Deist, etwas möchte ich dazu noch sagen. Bei einer solchen Maßnahme kann man wie ein Artillerist zu weit schießen oder zu kurz schießen; das Ziel liegt in der Mitte. Aber es gilt natürlich zu bedenken, ob man im ersten Ansatz nicht vielleicht etwas zu weit geht. In meinem eigenen Hause und in meiner eigenen Brust schwankte ich tatsächlich auch so bei 30 und 40% herum. Aber ich bin nicht in der Lage, zu sagen: dieser oder jener Prozentsatz ist der absolut richtige.
Vor allem aber finde ich es nicht richtig, diese Maßnahme, die bisher jedenfalls kein anderes Land als die Bundesrepublik in solcher Weise demonstriert hat, so gering einzuschätzen. Denn wir
haben immerhin auf dem gewerblichen Sektor — für den ich die unmittelbare ressortmäßige Verantwortung trage - vorweg etwas getan, was beispielhaft für die ganze europäische Zusammenarbeit ist. Ich habe in den Gesprächen mit Vertretern anderer Staaten festgestellt, daß es auf diese Länder einen ganz großen Eindruck gemacht hat, wie Deutschland auf diese Weise führt und auch in der Größenordnung seiner Maßnahmen einen guten und sichtbaren Beweis seines Willens und seiner europäischen Gesinnung abgelegt hat.
Ich sagte: es ist ein Mindestprogramm. Na ja, mit Worten läßt sich trefflich streiten. Aber selbstverständlich — das geht aus der ganzen Sinngebung hervor — war damit gemeint: nach Meinung der Regierung ist es das wenigste, was getan werden muß.
Zu den Problemen des Arbeitsmarktes und der Lohnpolitik haben Sie sich bemerkenswert kurz geäußert. Bis Mitte 1955 - das gebe ich Ihnen zu
— herrschte eine ruhige Entwicklung vor. Die von Ihnen genannten Zahlen treffen zu, wie ich überhaupt sehr viel mehr mit Statistiken arbeite, als Sie mir offenbar zutrauen. Hier stieg die Produktivitätsrate mit der Zunahme der Stundenverdienste absolut paralell.
— Nein, es sind 57 und 58 %; ich weiß nicht, wer 1% überschießt. Aber das ist jedenfalls die Entwicklung von 1950 bis 1955 gewesen.
— Nein, ich sage ja: Produktivitätszuwachs und Stundenverdienst.
Ich habe niemals — Sie haben ja den Wortlaut meiner Rede — von einem Indexlohn gesprochen, sondern von einer Bindung der Löhne an die Lebenshaltungskosten. Das ist, streng genommen, nicht der Indexlohn; aber eine solche Bindung bringt natürlich gefährliche Konsequenzen mit sich. Sie haben ja selber gesagt, es müsse im deutschen Volke wieder die Sicherheit bestehen, daß wir stabile Verhältnisse aufrechterhalten können. Ich finde, es erweckt nicht gerade den Eindruck, daß man Vertrauen in die Stabilität unserer Kaufkraft, in die Stabilität unserer Währung hat, wenn man Vereinbarungen dieser Art trifft. Das gilt in gleicher Weise für die Unternehmer, wenn sie Preisgleitklauseln vereinbaren.
Ich bin nach wie vor der Meinung — und das ist ohne Wertung nach dieser oder jener Seite —, daß wir aus dieser schlechten Übung endlich wieder herauskommen müssen.
Maßnahmen gegen die Preissteigerung! Ich brauche nicht zu beteuern, wie sehr ich es beklage, daß wir noch kein Kartellgesetz haben, denn dieses würde uns wesentliche Handhaben bieten. Sie sagten auch, Sie wollten keine Verbote. Die will ich auch nicht. Sie wollen sicher mit mir auch keinen Preisstopp und keinen Lohnstopp. Wir wollen mit der Marktwirtschaft adäquaten Mitteln die Konjunktur bändigen und ein stabiles Preisniveau gewährleisten. Dann liegen wir eigentlich ganz nahe beisammen. Wir müssen dafür sorgen, daß, gemessen an der verfügbaren Kaufkraft, eine ausreichende Versorgung des Marktes mit Gütern gewährleistet wird, sei es aus der inneren Produktion, sei es unter Zuhilfenahme ausreichender Einfuhren, was gerade auch für den Agrarsektor von Bedeutung ist. Vor allen Dingen müssen wir auch dafür sorgen, daß, so schwer das in dieser Konjunkturphase und im Zeichen eines Verkäufermarktes auch sein mag, so viel wie möglich an Wettbewerb lebendig bleibt oder mobilisiert wird.
Wenn ich weiter auf die Preisbindung bei Markenartikeln zu sprechen kommen darf, so darf ich sagen, daß Ihre Kollegen ja wissen, wie eingehend wir uns im Wirtschaftspolitischen Ausschuß darüber unterhalten haben, ohne daß der Stein der Weisen schon gefunden worden ist. Jedenfalls ist in § 38 des von meinem Ministerium vorgelegten Kartellgesetzentwurfes eine Auskunftspflicht verankert. Ich kann Ihnen weiter sagen, daß im Wirtschaftsministerium ein Auskunftspflichtgesetz fertig ausgearbeitet vorliegt; es wird nach Abstimmung zwischen den Ressorts in Ihre Hände gelangen.
Sie meinen, die Zeit der Zauberei sei vorbei. Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen, daß wir im Wirtschaftsministerium jeden Tag magische Feuer entzünden oder mystische Düfte aufsteigen lassen. Aber von nichts kommt nichts, Herr Kollege Deist. So, wie die deutsche Wirtschaft aussieht, müßte es schon wirklich mit Wundern zugegangen sein, wenn in dieser Zeit von seiten des Wirtschaftsministeriums nicht aktiv gehandelt worden wäre.
Ich glaube so wenig an Wunder wie Sie. Alle Beweise aber, d. h. alle äußeren Erscheinungen sprechen dafür, daß es am geeigneten Handeln tatsächlich nicht gefehlt hat.
Aber ich will Ihre Frage ganz deutlich beantworten. Aus Ihren Erklärungen könnte man herauslesen, die Bundesregierung habe noch im Oktober vorigen Jahres auf dem Standpunkt gestanden: Geldwertstabilität über alles und folglich Preisstabilität als Grundlage der Politik, während bei dieser Konjunkturdebatte diese Prinzipien, na, sagen wir, etwas verwässert in Erscheinung getreten oder überhaupt völlig verlassen worden seien. Ich kann Ihnen versichern: ,an etwas Derartiges war weder gedacht, noch, glaube ich, war es aus meiner Erklärung herauszulesen. Im Gegenteil! Wer das Programm und meine Regierungserklärung sorgfältig liest, wird finden, daß sich die Verantwortung für die Erhaltung eines stabilen Preisniveaus und die Anstrengungen, dieses zu gewährleisten, wie ein roter Faden durch das ganze Programm hindurchziehen. Ich kann also Ihre konkrete Frage ganz eindeutig und klar beantworten, und ich möchte das auch vor dem deutschen Volk tun: Die Regierung ist der Auffassung, daß es ihre erste Verpflichtung ist, die Preisstabilität zu wahren. Aber da ist eben nicht nur die Verantwortung der Regierung, sondern auch die Verantwortung eines ganzen Volkes angesprochen, und auch das mußte von dieser Stelle aus einmal deutlich gemacht werden.
Wenn ich gesagt habe, die eingetretenen Preiserhöhungen seien noch nicht Ausdruck und Beweis einer dramatischen Bewegung, so habe ich doch auch gleich hinzugefügt, daß wir damit unsere Sorge nicht einschläfern lassen wollen. Ich war wirklich loyal und ehrlich, als ich bei der Berechnung der Preissteigerungen das Jahr mit dem tiefsten Preisstand als Basis genommen habe. Wenn ich jetzt einmal vom Ausland nach Deutschland hereinblickte, müßte ich schon sagen: was soll denn eigentlich dies sagen? Andere Länder müssen ja schier verzweifeln, wenn wir unsere konjunkturpolitische Situation in solcher Weise zum Anlaß nehmen, dem deutschen Volk das Fürchten beizubringen.
— Herr Kollege Deist, ich will die Anklage, die Sie gegen die Regierung erheben, auch nicht dramatisieren. Aber der ausgesprochene Verdacht gegenüber der Regierung, als ob diese nicht alles zu tun bereit wäre, um die Stabilität der Preise zu gewährleisten, als ob so manches versäumt würde, ist gerade auch unter konjunkturpolitischen Aspekten und unter den von Ihnen heute so hervorgehobenen psychologischen Gründen nicht gerade geeignet, im deutschen Volk Beruhigung zu schaffen.
Weiter darf ich sagen, daß das Notenbankgesetz bereits dem Kabinett vom Wirtschaftsministerium vorgelegt worden ist. Wie Kollege Hellwig schon sagte, basiert dieses Notenbankgesetz eindeutig und klar auf dem Prinzip der Unabhängigkeit der Notenbank. Ich bin überzeugt, daß auch das Kabinett in seiner Gesamtheit keine andere Entscheidung treffen wird.
Daß Sie mir im Zusammenhang mit der Zollvorlage das Vertrauen bezeugt bzw. den Antrag gestellt haben, man möge dem Bundeswirtschaftsminister die Vollmacht geben, seinerseits auch Zölle senken zu dürfen, werte ich als eine Huldigung.
— Ich fasse es als solche und als einen besonderen Vertrauensbeweis auf, der ja immerhin besagt, daß wir anfangen, uns in Fragen der Wirtschaftspolitik allmählich besser zu verstehen.
Was Sie von der Nachfragesteigerung sagten, als Sie den inneren volkswirtschaftlichen Zusammenhang in dem Gesamtkomplex Rentenerhöhung, Steuersenkungen und Rüstungsaufwendungen vorgetragen haben, ist richtig — richtig aus der Sicht des Finanzministers. Für ihn handelt es sich effektiv um Mindereinnahmen oder um zusätzliche Ausgaben. Im volkswirtschaftlichen Gesamtbild aber sehen die Dinge doch etwas anders aus, mindestens so lange, als der Haushalt auf ordentlichen Einnahmen beruht und keine Politik des deficit spending getrieben wird. Denn erst dann würde man volkswirtschaftlich von einer zusätzlichen Kaufkraftschöpfung zu sprechen berufen sein. Aber ich gebe gerne zu: das Problem ist gewiß nicht leicht zu lösen
und wird alle Anstrengungen erfordern. Aber auf der Grundlage einer guten und geordneten Finanzpolitik wird uns das möglich sein, was andere Länder ja schließlich auch schon geleistet haben. Ich sage noch einmal: Hier ist nicht über Rüstung zu sprechen, nicht über die politische Seite dieser Angelegenheit. Aber wenn andere Länder ihren Beitrag zur europäischen Verteidigung, zur Sicherung ihres eigenen Landes und Lebens geleistet haben, ohne ihre Volkswirtschaften in Unordnung zu bringen, dann bin ich der Meinung, daß wir diese Aufgabe auch lösen werden.
Herr Minister, gestatten Sie dem Abgeordneten Schmidt eine Frage?
Bitte!
Herr Minister, Sie sagten eben, daß erst bei Kassendefiziten die Gefahr zusätzlicher Kaufkraftschöpfung einträte. Herr Kollege Deist hatte vorhin ausdrücklich gerade darauf hingewiesen, daß schon der Abbau des Juliusturms zusätzliche Kaufkraft in der deutschen Volkswirtschaft schaffen würde. Würden Sie dieser Auffassung nicht heute und jetzt zustimmen müssen, oder sind Sie tatsächlich der Meinung, daß der Juliusturm abgebaut werden könnte, indem Mittel im Inland verausgabt werden, ohne daß dadurch zusätzliche Kaufkraft entstünde?
Die Verausgabung der Mittel des Juliusturms wird ja zu einem sehr erheblichen Umfang gerade in Form von Auslandskäufen getätigt werden, so daß also in dieser Größenordnung überhaupt noch nicht von einer zusätzlichen Kaufkraftschöpfung gesprochen werden kann.
Im übrigen bin ich mit Ihnen der Meinung: Wir müssen in dieser Zeit — und das ist ja doch mit ein Grund, warum wir das Konjunkturthema hier überhaupt ansprechen — den volkswirtschaftlichen Ablauf sehr sorgfältig und auch feinnervig und reagibel beobachten. Ich meine, darüber sind wir uns ja doch einig.
Eine weitere Frage?
Ich bin gleich fertig. — In dem Zusammenhang darf ich noch sagen, daß ich nicht grundsätzlich gegen die Aufstellung einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bin. Es kommt aber darauf an, was man damit anfangen will. Wenn sie dazu dienen soll, volkswirtschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen und Zusammenhänge aufzudecken, so ist das zweifellos gut. Aber wie Sie das Kind auch nennen: Im Grunde genommen — Sie wiesen ja selbst darauf hin — haben wir doch nicht etwa blind Wirtschaftspolitik getrieben, sondern alle Zahlen und Statistiken eingefangen. Man kann das nach einem internationalen Standard in ein allgemeines Schema bringen, und wenn die Menschen dann auch bereit sind, den Erkenntnissen, die sich aus einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung darbieten, praktisch zu folgen, sich also entsprechend zu verhalten, dann ist es gut.
Aber die große Gefahr, die in solchen Plänen liegt, ist ja die, daß sie sozusagen eine Vollzugsverbindlichkeit erlangen. Mindestens beweist die Geschichte der letzten zehn Jahre, daß man dieser
Versuchung sehr stark erlegen ist; die Gefahr ist ja auch allzu naheliegend. Wenn ich eine Vorausschau wagen soll, wie sich die Dinge entwickeln werden, dann ist damit doch immer auch die Vorstellung verbunden — sonst hätte ja die ganze Sache keinen rechten Sinn —, auch dahin gelangen zu wollen. Es kann sein, daß das einmal gut geht; es muß aber nicht so sein. Damit kann das Leben auch genotzüchtigt werden, womit ich Ihnen bestimmt nicht unterstelle, Sie wollten das tun. Ich wollte nur deutlich machen, wo die Erkenntnisgrenzen einer solchen Rechnung liegen und wo eine solche Rechnung aufhört, ein nützliches wirtschaftspolitisches Instrument zu sein.
Herr Minister, zwei Abgeordnete wollen eine Zwischenfrage stellen.
Ja bitte!
Ich gebe zuerst das Wort dem Abgeordneten Deist.
Herr Bundeswirtschaftsminister, sind Sie wirklich der Auffassung, daß man auf ein Erkenntnismittel verzichten sollte, weil irgendwer vielleicht böse Absichten damit habe, die Sie uns ja wohl, soweit ich vernehmen konnte, nicht unterstellen wollten? Oder sind Sie der Auffassung, daß man sich diese so wichtigen Erkenntnismittel — und Herr Abgeordneter Hellwig hat dazu einiges sehr Bemerkenswerte gesagt — unter allen Umständen zunutze machen sollte und nur dafür sorgen muß, daß damit kein Unfug getrieben wird?
Ich bin selbstverständlich der Meinung, daß man auf kein Erkenntnismittel verzichten sollte. Wir sind auch im Wirtschaftsministerium schon so weit, daß wir ein eigenes Referat „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung" planen.
In Ihrem Antrag ist indessen noch die Forderung enthalten, Vorausberechnungen anzustellen. Da eben liegt die Gefahr, daß man die Grenzen dessen, was vorausberechenbar ist oder was vielleicht bewußt auf ein Programmziel hin gestaltet werden soll, verkennt. Von ungefähr ist diese Sorge nicht. Ich habe ja in anderen Ländern solche Gesamtrechnungen gesehen und habe auch von den Erfahrungen gehört, wie eine Verwaltung dann nun allzuleicht entgegen den natürlichen Entwicklungen und organischen Entfaltungstendenzen geneigt ist, dem Leben Gewalt anzutun, weil sie eben mit ihren Zahlen recht haben oder vielleicht gern einem Gremium den Beweis liefern wollte, daß die Bilanz haargenau gestimmt hat. Aber lassen wir das! Wir werden uns über diese Dinge noch verständigen müssen.
Im ganzen möchte ich sagen: ich halte diese Diskussion für fruchtbar, und es ist wirklich ohne Ironie, sondern aufrichtig empfunden, wenn ich bekenne, daß ich mich darüber freue, daß ich mich im Laufe von vielen Jahren auch mit der Opposition auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik mehr und mehr zusammenraufen konnte. Lassen Sie mich deshalb, um ganz versöhnlich zu enden, mit einem Goethe-Wort aus dem Faust schließen: „Mit euch, Herr Doktor, zu disputieren, ist ehrenvoll und bringt Gewinn."
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hoffmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man in einer Aussprache zu so später Stunde zum Wort kommt, ist es manchmal nicht zu vermeiden, daß einige Wiederholungen eintreten. Ich glaube aber, daß der Herr Wirtschaftsminister dadurch, daß er in dieser Diskussion soeben noch einmal eingegriffen hat, diese Gefahr für mich auf ein Mindestmaß beschränkt hat.
Ich muß für meine Freunde zunächst erklären, daß uns weder die Antwort der Bundesregierung auf die beiden Interpellationen noch die heutige Ergänzung der Antwort der Bundesregierung durch Herrn Minister Erhard befriedigen kann. Wir haben leider den Eindruck bzw. die Befürchtung, daß in der Bundesregierung eine einheitliche Konzeption in bezug auf die Konjunkturpolitik fehlt. Herr Dr. Deist hat die Vermutung geäußert, die Farblosigkeit der Regierungserklärung, ihre übermäßige Vorsicht sei wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß sich die Bundesregierung längst damit abgefunden habe, daß die Preisauftriebstendenz nicht aufzuhalten sei. Wenn das wirklich zuträfe, wäre es natürlich entmutigend. Ich glaube aber, daß diese übermäßige Vorsicht, diese Weichheit in der Formulierung der Regierungserklärung mehr darauf zurückzuführen ist, daß die verschiedenen Ressorts der Regierung über die konjunkturpolitischen Notwendigkeiten nicht einer Meinung sind.
Diese Besorgnis über den Mangel einer einheitlichen Konzeption der Regierung ist nach meinem Gefühl durch den Diskussionsbeitrag des Herrn Bundeskanzlers am vorigen Freitag erheblich verstärkt worden. Der Bundeskanzler hat ganze Passagen seiner berühmt gewordenen Gürzenich-Rede vorgelesen und gegenüber der Notenbank die gleichen Vorwürfe erhoben, wie wir sie aus der Rede kannten. Es hat sich also nichts an seiner Stellungnahme geändert.
Wir wissen, daß auf der anderen Seite die beiden zuständigen Ressortminister, die nach der Notenbankgesetzgebung befugt sind, regelmäßig an den Sitzungen des Zentralbankrates teilzunehmen, offenbar völlig anderer Meinung sind und daher diesen Maßnahmen nicht widerraten haben, was sie ja hätten tun können. Sie hätten nach der Notenbankgesetzgebung zumindest die Möglichkeit gehabt, das Inkrafttreten der Beschlüsse des Zentralbankrates zu verzögern, um eine Beratung innerhalb der Bundesregierung zu ermöglichen. Das ist nicht geschehen. Daraus muß gefolgert werden, daß die beiden Ressortminister diese Maßnahmen der Bank deutscher Länder für notwendig hielten. Das waren sie zweifellos, meine Damen und Herren.
Es wäre, glaube ich, eine Unterschätzung der Einsicht der Persönlichkeiten, die die Bank deutscher Länder leiten, wenn man unterstellen wollte, daß sich die Herren nicht darüber im klaren gewesen sind, daß bei der heute gegebenen Situation ihre Maßnahmen nicht in allen Bereichen der deutschen Wirtschaft in gleicher Weise wirksam werden können. Das liegt einfach daran, daß wir es nicht mit einer normalen, gleichmäßig verlaufenden konjunkturellen Entwicklung zu tun haben, sondern daß überhitzten Bereichen der Wirtschaft andere Zweige — namentlich der konsumnahen
Industrien — gegenüberstehen, in denen von einer Überhitzung nicht nur keine Rede sein kann, sondern wo noch erhebliche freie Kapazitäten vorhanden sind. Bei dieser Sachlage ist es selbstverständlich, daß die Maßnahmen der Notenbank nicht gleichmäßig wirken können. Aber wir glauben, daß die Notenbank in dieser Situation mit wesentlich milderen Eingriffen ausgekommen wäre, wenn es die Bundesregierung nicht so lange unterlassen hätte, mit wirksamen Maßnahmen zur Bekämpfung der Überhitzung der Konjunktur einzugreifen.
Der Herr Bundeskanzler meint, diese Maßnahmen träfen nur „die Kleinen". Er hat von dem Fallbeil gesprochen, das nur die kleinen Betriebe treffen und die großen verschonen würde. Die Notenbank weist demgegenüber mit Recht darauf hin, daß man in diesem Zusammenhang überhaupt nicht zwischen großen, mittleren und kleineren Betrieben unterscheiden könne, da die Rentabilität nicht von der Größenordnung abhänge, sondern von der Zugehörigkeit zu den überhitzten Bereichen der Wirtschaft, oder den anderen, in der konjunkturellen Entwicklung zurückgebliebenen.
Der Herr Bundeskanzler sagte, er habe geglaubt, damals im Gürzenich vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie eigentlich eine gute Rede gehalten zu haben. Ich will hier im übrigen in eine Wertung dieser Rede gar nicht eintreten, möchte aber eines sagen: auf jeden Fall war diese Rede außerordentlich nützlich; denn wenn es noch eines Beweises für die absolute Notwendigkeit einer völlig unabhängigen Notenbank bedurft hätte, wäre er durch diese Rede erbracht worden.
Es gehört doch gewiß nicht sehr viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie der Herr Bundeskanzler auf jene Beschlüsse des Zentralbankrats reagiert haben würde, wenn er gegenüber der Notenbank weisungsberechtigt gewesen wäre.
Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich mich auch der hier wiederholt vertretenen Auffassung anschließen, daß es nun dringend wird, den Entwurf eines Bundesbankgesetzes vorzulegen, damit es von dem Hause noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann.
Sie kennen doch das so unbefriedigende Ergebnis der Beratung der im 1. Bundestag vorgelegten Entwürfe. Es lagen damals eine Regierungsvorlage und ein Initiativgesetzentwurf meiner Fraktion vor, und man ist wegen der Meinungsverschiedenheiten über die Zusammenarbeit zwischen Exekutive und Bundesnotenbank und wegen der Frage: einstufige oder zweistufige Lösung nicht zur Entscheidung gekommen. Beide Gesetzentwürfe sind am Ende der ersten Legislaturperiode unter den Tisch gefallen. Ich halte es für unbedingt notwendig, daß durch baldige Verabschiedung des Bundesbankgesetzes auch für die Zukunft die so unerläßliche Unabhängigkeit der Notenbank sichergestellt wird.
Auch im Bereich der steuerlichen Maßnahmen ist festzustellen, daß leider die Übereinstimmung, wie wir sie wünschen müßten, innerhalb der Ressorts der Bundesregierung nicht vorhanden ist. Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard hat bei jeder Gelegenheit die Meinung, die auch ich teile, vertreten, daß man eine Politik der knappen Kassenbestände der öffentlichen Hand führen müsse, daß man nicht mehr Steuern erheben dürfe, als zur Befriedigung der Staatsbedürfnisse unbedingt notwendig ist. Aber was ist praktisch geschehen? Inwieweit hat der Herr Bundesfinanzminister dieser richtigen Erkenntnis des Wirtschaftsressorts Rechnung getragen? Ich will nicht alles das wiederholen, was mein Freund Scheel schon bei der Begründung unserer Großen Anfrage vorgetragen hat. Die Thesaurierungspolitik, der sogenannte Juliusturm, beweist leider, daß sich der Herr Bundeswirtschaftsminister mit seiner wirtschaftspolitischen Auffassung innerhalb des Kabinetts nicht hat durchsetzen können.
Und was ist aus den Vorlagen geworden, die seinerzeit bei der großen konjunkturpolitischen Aussprache des Bundestags im Oktober vorigen Jahres in Berlin als Anträge oder Initiativgesetzentwürfe an die Ausschüsse überwiesen wurden? Hier im Hause konnten diese Anregungen nicht wesentlich gefördert werden. In der CDU/CSU-Fraktion aber . hat man den sogenannten Kuchen-Ausschuß gebildet, und in diesem Kuchen-Ausschuß ist man zu bestimmten Vorschlägen gekommen. Ich finde, daß dieses Verfahren irgenwie symptomatisch ist für die Arbeit in diesem Hause in dieser Legislaturperiode. Es ist zu befürchten, daß wiederum dem Haus ein fix und fertiger Vorschlag unterbreitet wird, der aus diesem Kuchen-Ausschuß — einem Arbeitskreis der CDU — hervorgegangen ist, und daß das Haus dann kaum Gelegenheit haben wird, sich mit den Einzelvorschlägen auseinanderzusetzen. Ich vermute, es wird uns dann wieder so gehen wie bei dem Kindergeldgesetz. Man wird uns sagen: Das ist nun alles zu spät; wir haben unsere Konzeption, und wir lassen uns davon auch durch den besten Sachverstand nicht abbringen.
Ja, meine Damen und Herren von der CDU, wenn das so ist, dürfen Sie uns nicht übelnehmen, wenn wir der Meinung offen Ausdruck geben, daß der Kuchen, der aus dem Backofen dieses Ihres Kuchen-Ausschusses hervorgegangen ist, uns nicht sehr schmackhaft erscheint. Wir werden uns natürlich Mühe geben, dennoch unsere Konzeption nach Möglichkeit durchzusetzen. Ich möchte auf Einzelheiten hier nicht eingehen, weil uns noch eine Debatte über die Steuerreform bevorsteht, und mich darauf beschränken, noch einmal darauf hinzuweisen, daß kaum ein wirksameres Mittel zur Senkung des Preisniveaus denkbar ist als die von uns vorgeschlagene nahezu vollständige Beseitigung der Verbrauchsteuern. Herr Kollege Dr. Deist hat mit Recht darauf hingewiesen, wie außerordentlich wirkungsvoll es sein würde und welche günstigen psychologischen Wirkungen auch davon ausgehen würden, wenn man beispielsweise bei den mit Verbrauchsteuern und mit Finanzzöllen belasteten Genußmitteln zu fühlbaren Preissenkungen kommen könnte.
Wir sind weiterhin der Meinung, daß die lineare Steuersenkung in dieser Situation geboten ist, und wir würden es sehr begrüßen, wenn sie mit einer Beseitigung des Notopfers Berlin gekoppelt werden könnte.
Zu der Frage der degressiven Abschreibungen möchte ich Ihnen, Herr Kollege Dr. Deist, folgendes erwidern. Es unterliegt keinem Zweifel, daß
man mit der Beseitigung der degressiven Abschreibungen mäßigend auf die Tendenz zu Investitionen einwirken könnte. Ich habe nur ein Bedenken: ich fürchte, wenn man in dem System der Abschreibungen von Jahr zu Jahr wechselt, wenn man die Kontinuität des Abschreibungssystems durchbricht, könnten Nachteile anderer Art entstehen. Aber ich bestreite nicht, daß eine Beschränkung der Möglichkeit degressiver Abschreibungen im Sinne einer Konjunkturdämpfung wirken könnte.
Das Entscheidende scheint mir aber doch zu sein — und darauf haben wir von der Bundesregierung, obwohl sie heute wiederholt danach gefragt worden ist, keine eindeutige Antwort bekommen —: besteht nun wirklich Übereinstimmung darüber, daß die thesaurierten Kassenreserven, die in dem sogenannten Juliusturm angewachsen sind, unter gar keinen Umständen auf dem Inlandsmarkt Verwendung finden? Denn wenn d a s nicht gewährleistet ist, müßten wir mit Sicherheit mit weiterem Preisanstieg rechnen.
Leider ist diese wiederholt gestellte Frage von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister auch eben in seinen letzten Ausführungen nicht eindeutig beantwortet worden. Einen Abbau des Juliusturms kann ich mir jedenfalls anders als in Verbindung mit der Einfuhr überhaupt nicht vorstellen, wenn nicht die Kaufkraft der Mark weiter geschwächt werden soll.
Weiteren Investitionserhöhungen im öffentlichen Bereich kann wohl kaum wirkungsvoller als durch einen drastischen Abbau der Steuern begegnet werden. Es werden gelegentlich Befürchtungen geäußert, ein dadurch entstehender zusätzlicher Konsumstoß könne die Preisauftriebstendenz weiter stärken. Ich teile diese Bedenken nicht. Bei den wirtschaftlichen Unternehmungen ermöglicht die Steuersenkung den Abbau der zum Teil erheblichen Verschuldung, eine entsprechende Zinsersparung und auf diese Weise niedrigere Gestehungskosten, die Preissenkungen ermöglichen. Soweit es sich um Steuersenkungen zugunsten der Lohnempfänger handelt, die sich direkt auf den Konsum auswirken, so halte ich auch dies für unbedenklich; denn es haben heute im Laufe der Diskussion alle Redner darin übereingestimmt, daß in weiteren Bereichen der Konsumwirtschaft von einer Überhitzung der Konjunktur keine Rede sein kann und infolgedessen eine zusätzliche Nachfrage durchaus keinen Schaden verursachen würde. Ich halte es deshalb für völlig unbedenklich, wenn durch die Steuersenkung auch eine gewisse Steigerung der Konsumkraft eintritt.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu der Zollsenkung sagen, von der ich verstehen kann, daß sie für den Herrn Bundeswirtschaftsminister ein besonders unangenehmes Thema darstellt. Herr Professor Erhard weiß natürlich, daß man auf keine andere Weise besser das Preisniveau beeinflussen kann als durch eine gleichmäßige, eine lineare Zollsenkung, die die gesamte Einfuhr betrifft, eine lineare Zollsenkung, die auf die Einfuhr etwa die gleiche Wirkung ausüben würde wie eine Heraufsetzung des Wechselkurses der Mark, eine Maßnahme, die man aus anderen Gründen im Augenblick nicht glaubt verantworten zu können. Ich teile diese Bedenken. Aber im gleichen Sinne wie eine solche Veränderung des Wechselkurses würde eine lineare Zollsenkung einen Anreiz zur Einfuhrsteigerung bilden. Was aber ist aus diesem Plan geworden? Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat uns eben erklärt, daß er auch heute noch in seinem Innern, so ungefähr sagte er, eine lineare Zollsenkung von 30 bis 40% für das Richtige hielte. Es scheint mir nicht einmal so sehr darauf anzukommen, ob es 30 oder 40 % sind. Viel wichtiger ist es, daß diese Maßnahme die ganze Einfuhr gleichmäßig trifft.
Wenn ich mir nun aber die Verordnung ansehe, der Sie, meine Damen und Herren, mit Mehrheit gegen unsere Stimmen am vorigen Freitag zugestimmt haben, was bleibt da übrig von dem ebenso logischen wie erfolgversprechenden Plan des Herrn Bundeswirtschaftsministers? Herr Professor Erhard müßte Tränen darüber vergießen, wenn er sich diese Vorlage, die nun als Vorschlag der Bundesregierung im Rahmen des konjunkturpolitischen Programms vorgelegt worden ist, ansieht und mit dem vergleicht, was er selbst gewollt hat. Die Verordnung, so wie sie nun aussieht, scheint mir völlig unter dem Motto zu stehen: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!
Was nützt es uns denn, daß Orchideen billiger werden, so habe ich mir von unseren Außenhandelsexperten sagen lassen? Auch Hummern fallen unter die Senkung, aber alle wesentlichen Ernährungsgüter bleiben unberührt. Wenn wir dann bei der Wirkung auf die Einfuhr gewerblicher Erzeugnisse noch berücksichtigen, daß das ausländische Preisniveau auf vielen Gebieten viel zu hoch ist, als daß sich eine Zollsenkung überhaupt auswirken könnte, dann bleibt schließlich nur noch übrig, daß einige wenige Zweige der gewerblichen Konsumgüterindustrie davon betroffen werden, und zwar dann vermutlich diejenigen, denen es am wenigsten zugemutet werden kann, weil sie in der konjunkturellen Entwicklung zurückgeblieben sind. Es wurden in diesem Zusammenhang heute wiederholt die Textilindustrie und die Lederindustrie als Beispiele genannt. Das, meine Damen und Herren, ist doch wohl ziemlich sinnlos. Man kann eine solche Maßnahme, um einen Anreiz zur Steigerung der Einfuhr zu schaffen, der Gesamtheit der Wirtschaft zumuten. Aber einer Verordnung zuzustimmen, die den Zollsenkungsplan so durchlöchert, daß nur einige wenige Industrien übrigbleiben, die allein davon betroffen werden sollen, während von den übrigen überhaupt keine Opfer verlangt werden, dazu hätten wir uns besser nicht entschließen sollen. Wie ist es zu erklären, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister sich mit seinem wohlerzogenen Plan im Kabinett offenbar nicht hat durchsetzen können? Vermutlich doch deshalb, weil dieser Plan nicht vereinbar war mit den Richtlinien der Politik, die an anderer Stelle bestimmt werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun aber noch etwas sagen, was mir entscheidend zu sein scheint. Alle die Maßnahmen, die wir zur Stützung der Kaufkraft der Mark ins Auge fassen können, bleiben wirkungslos, wenn es uns nicht gelingt, zu erreichen, daß die öffentliche Hand sich als Auftraggeber anders verhält, als sie es bisher getan hat. In dieser Hinsicht habe ich dem Programm der Bundesregierung mit besonderer Spannung entgegengesehen, und ich muß sagen,
daß ich hier am meisten enttäuscht worden bin. Das, was die Regierungserklärung zu diesem Problem sagt, ist das am wenigsten Befriedigende in der ganzen Regierungserklärung. Die Regierung kann sich auf diesem Gebiet offenbar nicht zu einer „Politik der Stärke" entschließen, sondern verlegt sich auf das Verhandeln, wobei nicht zu bestreiten ist, daß nach der augenblicklichen Verfassungslage die Möglichkeiten, auf die Länder und Gemeinden einzuwirken, sehr gering sind. Aber mit dem bloßen Verhandeln über eine Zurückhaltung in der Vergebung öffentlicher Aufträge und in weiteren Investitionen im öffentlichen Bereich wird man hier ganz gewiß keinen Schritt weiterkommen.
Natürlich werden von den Bemühungen um eine Senkung der öffentlichen Investitionen gewisse Bereiche auszunehmen sein. An erster Stelle ist hier der soziale Wohnungsbau genannt worden. Ich glaube, es gibt niemanden in diesem Hause, der nicht der Meinung wäre, daß der Wohnungsbau bei einer Beschränkung der öffentlichen Investitionen ausgenommen werden muß. Aber wenn gleichzeitig ein Tabu verkündet wird für den gesamten Rüstungsbereich, dann ist das ganze konjunkturpolitische Programm der Bundesregierung von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat uns vorhin erklärt, die Rüstungsaufträge hätten bisher ein viel zu geringes Ausmaß, um jetzt schon eine entscheidende Wirkung auf den Konjunkturablauf ausüben zu können. Dabei wird offenbar ein sehr wichtiger psychologischer Faktor völlig verkannt. Es ist doch nicht zu übersehen, daß heute schon ein großer Teil der Investitionen ausgesprochene Vorratsinvestitionen sind, Investitionen von Betrieben, die sich auf zu erwartende Rüstungsaufträge vorzubereiten wünschen. Wenn in dieser Phase der Vorbereitung schon die bloße Erwartung kommender Rüstungsaufträge zu einer Steigerung der Investitionen führt, dann ist mir völlig klar, welche bedrohliche Zunahme der öffentlichen Investitionen von dieser Seite her zu erwarten ist.
Zum Schluß möchte ich noch etwas zu einer Frage sagen, die hier einige Male angeschnitten worden ist: Können wir es eigentlich verantworten, durch die Diskussion über die konjunkturpolitische Lage und die Verschlechterung der Kaufkraft der Mark den Eindruck zu erwecken, als ob wir es mit einer inflationistischen Entwicklung zu tun hätten? Das muß m. E. meines Erachtens unter allen Umständen vermieden werden. Ich stimme allen Kollegen, die vor mir gesprochen haben, darin zu, daß von einer inflationistischen Entwicklung gar nicht die Rede sein kann, weil sich die Kaufkraftverschlechterung auf dem Inlandsmarkt bisher in so engen Grenzen hält, daß der Wechselkurs gegenüber dem Ausland dadurch in keiner Weise berührt wird.
Aber wir sollten auf der anderen Seite die Gefahr auch nicht bagatellisieren. Es darf nicht übersehen werden, daß, wenn man nicht rechtzeitig gegen die Entwertung der Kaufkraft auf dem Binnenmarkt einschreitet, am Ende von dieser Entwicklung schließlich doch einmal die Wechselkurse berührt werden könnten. Gott sei Dank sind wir von einer solchen Gefahr noch weit entfernt. Ich würde es dennoch für unverantwortlich halten, einer schleichenden Kaufkraftverringerung tatenlos zuzusehen, und zwar schon deshalb, weil es sich hier nicht allein um ein wirtschaftliches Problem handelt. Wir dürfen nicht vergessen, daß es gerade bei uns in Deutschland einen besonders hohen Prozentsatz von Menschen gibt, die als Rentenempfänger nicht den Ausgleich für eine Verschlechterung der Kaufkraft durch Erhöhungen der Löhne und Gehälter finden. Denken Sie weiterhin an den großen Kreis der Menschen, die wieder angefangen haben zu sparen und sich nun die Frage stellen, ob das Sparen lohnt oder ob mit Kaufkraftverschlechterungen des Geldes gerechnet werden muß.
Die Frage der Erhaltung der inneren Kaufkraft der Mark ist demnach nicht allein ein wirtschafts- und konjunkturpolitisches Problem. Die Stabilität der Kaufkraft kann entscheidend werden für die Erhaltung des sozialen Friedens und für die Wahrung der rechtsstaatlichen Ordnung in unserem Lande. Es sollte deshalb unter allen Umständen vermieden werden, daß durch eine unentschlossene Haltung gegenüber den konjunkturpolitischen Problemen der Eindruck erweckt wird, daß, wie Herr Dr. Deist andeutete, die Regierung sich womöglich mit einer ständigen langsamen Verschlechterung der Kaufkraft der Mark abgefunden hätte.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich auf diese allgemeinen Ausführungen beschränken. Einige meiner Freunde werden zu Spezialfragen noch im weiteren Verlauf der Aussprache das Wort nehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Berg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem im Verlauf dieser weit über fünf Stunden dauernden Konjunkturdebatte zwei meiner Vorredner die Redezeit um mehr als 50 % überschritten haben, da der eine eine Stunde 40 Minuten und der andere eine Stunde 35 Minuten geredet hat, ist natürlich für den nachfolgenden Redner kaum mehr Raum, seine Gedanken noch vorzutragen. Sie sehen ja, daß das Parlament sich leert. Ich möchte von dieser Stelle meine Bedenken dagegen äußern, daß so viele Redner die Redezeit in dieser Weise überschreiten. Ich finde dieses Verhalten nicht gerade sehr kollegial.
Im Namen der Freien Volkspartei möchte ich folgendes sagen. Das Bild, das uns die Regierung über die Konjunkturlage und den Zustand unseres Wirtschaftslebens gegeben hat, macht keinen besonders überhitzten oder übersteigerten Eindruck. Ich will es mir ersparen, aus der Regierungserklärung all die Sätze herauszuholen, die heute schon mehrfach erwähnt worden sind. Es darf aber festgestellt werden, daß die so häufig kolportierte Weisheit von der überheizten Konjunktur in den Bereich modischer Legendenbildung hineingehört. Wir tun also wohl gut daran, wenn wir Maß und Ziel bewahren und uns im Einklang mit dem Gesamttenor der Regierungserklärung damit befassen, woher die durch die Vollbeschäftigungslage entstandenen Spannungen ihren Anfang genommen haben und wie die Entspannung herbeizuführen ist, ohne daß dem Wirtschaftsleben Schaden zugefügt wird. Ich habe in Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit meine Ausführungen zusammengestrichen. Sie brauchen keine Sorge zu haben, daß ich Sie allzu lange beschäftigen werde.
Daß das Problem der sogenannten übersteigerten Investitionen eine zentrale Rolle spielt, ist kein Zufall. Wenden wir uns einmal den Investitionen
der freien Wirtschaft zu, so muß man der Regierung voll und ganz recht geben, wenn sie feststellt, daß die Vornahme von Investitionen aus Steuerersparnisgründen ein übergroßes Gewicht erlangt habe. Verwunderlich ist nur, daß diese Erkenntnis erst jetzt gekommen ist. Man braucht weder großer Theoretiker noch großer Praktiker der Wirtschaft zu sein, um zu wissen, daß die Steuerlast sowohl dem Volumen wie dem System nach die Kalkulation aus den Betriebsbüros in die Hände der Steuerberater verlagert hat. Wären die Steuern — was ohne Gefährdung der Haushalte möglich gewesen wäre — rechtzeitig nachhaltig gesenkt worden, brauchten wir uns über ein Übermaß an Investitionen keine grauen Haare wachsen zu lassen. Wir hoffen, daß die Industrie den Appell befolgt — es hat ja den Anschein, daß das geschieht —, die Investitionen auf das betriebswirtschaftlich notwendige und kreditpolitisch mögliche Maß zurückzuschrauben, und Steuerfluchtinvestitionen unterläßt. Wir lassen aber keinen Zweifel darüber, daß der Herr Bundesfinanzminister den wirklichen Schlüssel zur Lösung dieses Problems in seinen Händen hält, die Steuerschraube nämlich, aber diesmal rückläufig gedreht.
Sehr beachtlich ist, daß das System der degressiven Abschreibung nicht geändert worden ist. Darüber ist heute schon mehrfach gesprochen worden; darüber möchte ich also diesmal weiter nichts mehr sagen.
Aber in den Beratungen über die Konjunktur nehmen die Investitionen der öffentlichen Hand einen ganz breiten Raum ein. Es ist verständlich, daß die Regierung bedauert, keine Handhabe zur Steuerung der kommunalen Investitionen zu haben. Bekanntlich reicht das bis in den Bereich der Selbstverwaltung hinein. Und dazu muß nun allerdings eines gesagt werden: zu den Grundfesten unserer Demokratie gehört nun einmal die kommunale Selbstverwaltung. Aus konjunkturpolitischen Gründen daran zu rühren, halte ich für mindestens sehr bedenklich.
Es gibt aber Möglichkeiten, hier einen Wandel zu schaffen, allerdings durch eine Verfassungsänderung, nämlich eine Änderung des Finanzausgleichs, eine stärkere Selbstverwaltung der Gemeinden auf dem Gebiet der Finanzen, Abbau des Kostgängersystems bei den Ländern und Aufbau finanzpolitischer Eigenverantwortlichkeit. Hier ergibt sich durchaus eine Parallele zu der Privatindustrie darin, daß die Eigenverantwortlichkeit, wenn man sie einmal konstituiert hat, auch hier einen regulativen Charakter hat und zu Maß und Ziel beispielsweise in den Investitionen führen wird.
Sehr gefreut haben wir uns, daß die Regierungserklärung die Teilzahlungsgeschäfte und die Maßnahmen erwähnt, die die Regierung dazu vorhat. Das Volumen der Teilzahlungsgeschäfte wird im allgemeinen erheblich unterschätzt. Auch heute ist das wieder zum Ausdruck gekommen. Wenn ich recht unterrichtet bin, beträgt der Umfang der über die Teilzahlungsbanken nachgewiesenen Teilzahlungsgeschäfte ungefähr 3,6 Milliarden DM pro Jahr. Es gibt aber in großem Umfang Teilzahlungsgeschäfte, die nicht über die Investitionsbanken laufen, sondern sozusagen frei und wild getätigt werden. Das Ratenzahlungsgeschäft hat eben doch einen erheblich größeren Umfang, als es im allgemeinen den Anschein hat.
Die Forderung der Regierung nach doppelter Preisauszeichnung, nämlich Angabe des Barpreises und des Ratenpreises, sollte ergänzt werden durch die Forderung auf Nennung des Bruttozinssatzes.
Ich habe mich bemüht, aus verschiedenen Ratenzahlungsangeboten einmal die Jahreszinssätze nach den Regeln der Zinseszins- und Rentenrechnung herauszurechnen, und habe festgestellt, daß dabei 25 und mehr Prozent Zinsen gefordert werden. Derartige Zinssätze sind doch nicht gerade sehr weit entfernt von den Zinssätzen mittelalterlicher oder orientalischer Wucherer. Wenn es durch eine solche Anordnung der vollständigen Offenlegung der sogenanten Kreditbedingungen der Ratenzahlungsgeschäfte gelänge, dem Publikum klarzumachen, was es bei Ratenkäufen übermäßig zu bezahlen hat, würde davon schon eine sehr heilsame Wirkung ausgehen. Ob es im Hinblick auf die verfassungsmäßig garantierte Vertragsfreiheit wirklich möglich ist, die Anzahlung und die Zahl der Raten zu begrenzen, möchte ich zunächst einmal in Zweifel stellen. Aber jedenfalls erteilen wir von der Freien Volkspartei dem Herrn Bundeswirtschaftsminister die Ermächtigung zu Maßnahmen auf dem Gebiet des Ratenzahlungswesens — man darf oft ruhig sagen: Ratenzahlungsunwesens — gern.
An dem Beifall, den der Herr Bundeswirtschaftsminister bei seiner Regierungserklärung am Freitag erhielt, als er auseinandersetzte, daß die Regierung beabsichtige, Anteile an Bundesunternehmungen über Investmentgesellschaften an Kleinaktionäre heranzutragen, hat er vielleicht gemerkt, wielange man schon auf eine derartige Maßnahme gewartet hat. Hoffentlich ist das der Auftakt zu weitergehenden Maßnahmen der Reprivatisierung der Bundesunternehmungen, jedenfalls soweit sie in Wettbewerb mit ihren eigenen Steuerzahlern stehen. Die Bedenken, die Finanzminister Schäffer vor wenigen Tagen — ich glaube, es war gestern oder vorgestern — geäußert hat, sind sehr beachtenswert. Man muß sich natürlich davor hüten, daß diese Anteile in die Hände von unerwünschten Kapitalgruppen, eventuell aus dem Ausland, fallen. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Es sollte doch die Möglichkeit geben, die Reprivatisierung so zu steuern, daß möglichst breiten Schichten unseres Volkes hier die Gelegenheit zum Erwerb von Miteigentum an produktivem Volksvermögen geboten wird. Damit ist ein echtes soziales Problem berührt.
Wir haben der Regierungsvorlage zur Zollsenkung zugestimmt, obwohl man die gegen diese Maßnahmen oft geäußerten Bedenken nicht einfach hinwegfegen kann.
Ich darf hier noch hinzufügen, daß auch auf mich die eindringlichen Bitten um Zustimmung großen Eindruck gemacht haben, die uns anläßlich eines Besuches beim Europäischen Wirtschaftsrat in Paris im vergangenen Monat Mai entgegengetragen wurden.
Keine Volkswirtschaft kann auf die Dauer mehr exportieren als importieren. Es muß ein Ausgleich geschaffen werden. Wir bejahen die Steigerung weltwirtschaftlicher Beziehungen, die doch nur der Steigerung des Wohlstandes der Völker dienen kann. Man darf wohl erwarten, daß die am vergangenen Freitag beschlossenen Zollsenkungen das Ziel einer Entspannung der Lage auf diesem Gebiet erreichen.
In einem Punkte wäre, so glaube ich, etwas größere Zurückhaltung angebracht. In der Regierungserklärung heißt es, daß die Bundesrepublik vergleichsweise den geringsten Preisauftrieb zu verzeichnen habe und daß das der Grund für die starke Exportkonjunktur der Bundesrepublik sei. Auf Teilgebieten im Bereich von Halbfertig- und Fertigfabrikaten steht die deutsche Wirtschaft in einem
scharfen Preiskampf; eine unbestrittene Tatsache, die ihre Begründung darin findet, daß in einzelnen Ländern die Produktivität der industriellen Erzeugung, etwa gemessen an der je Arbeitsplatz zur Verfügung stehenden Energie, nach wie vor höher ist. Ein weiterer Abbau der Exportförderungsmaßnahmen, als von seiten der Regierung vorgesehen, ist also nicht anzuraten.
Zu den meistdiskutierten Problemen in diesem Zusammenhang gehört das Zusammenspiel von Löhnen und Preisen. Da kommt der Feststellung, daß die Lohnerhöhungen seit dem vierten Quartal 1955 die Steigerung der Produktivität zunehmend hinter sich lassen, eine große Bedeutung zu. Es ist sicherlich richtig, daß die Tarifregelungen von staatlichen Eingriffen frei bleiben sollen. Darüber herrscht wohl jetzt allgemeine Einigkeit. Denn so, wie einem Preisdirigismus ein Lohndirigismus folgen muß, so sicher muß ein befohlener Lohn einen befohlenen Preis nach sich ziehen. Die verheerenden Folgen staatlicher Eingriffe in das LohnPreisgefüge kennen wir alle zur Genüge. Wir wollen nichts mehr davon wissen.
Ob es aber richtig ist, die von seiten der Regierung angeregten unabhängigen Schlichtungsstellen nur mit den beiden Sozialpartnern zu besetzen, möchte ich doch zunächst einmal dahingestellt sein lassen. Es ist doch keineswegs so, daß nur die Arbeitnehmer und die sie vertretenden Gewerkschaften an Lohnerhöhungen interessiert sind. Es gibt gewisse Industrien, vor allem Hersteller gewisser gehobener Massenkonsumgüter, die jede Lohnerhöhung mit geheimem Jubel begrüßen. Dazu kommt, daß mit zunehmender Zahl der Windungen der Lohn-Preisspirale die aufgenommenen Kredite sich von selbst mehr oder weniger schnell entwerten. Unser Volk besteht nun einmal nicht nur aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern dazu gesellen sich noch viele andere Menschen, die ein unmittelbares Interesse an der Stabilerhaltung von Löhnen und Preisen haben. Diese Gruppe — nennen wir sie einmal die Gruppe des dritten Sozialpartners — muß in solchen Schlichtungsstellen vertreten sein.
Es ist ganz und gar kein Zufall, daß die Kreditrestriktionsmaßnahmen des Zentralbankrates in der Öffentlichkeit eine so verschiedenartige Beurteilung gefunden haben. Wir meinen. daß die Wirkung dieser Maßnahmen auf den gewerblichen Mittelstand und die Mittel- und Kleinindustrie nicht mit einer Handbewegung weggewischt werden kann, um so mehr, als sie sich erst nach und nach in ihrer ganzen Härte auswirken werden. Keinesfalls waren die Auswirkungen schon im Monat Mai so überschaubar, daß man die Restriktion als gerechtfertigt anpreisen konnte. Wenn wir dem Konjunkturprogramm der Regierung im ganzen gesehen zustimmen, so geben wir doch der Erwartung Ausdruck, daß der Zentralbankrat möglichst bald seine letzten Maßnahmen revidieren möge.
Der Deutsche Bundestag gewährt den Auseinandersetzungen über die Wirtschaftspolitik und über die Konjunkturpolitik meist einen recht breiten Raum. Wir wissen, wie stark in unserem Volk das Unbehagen darüber ist, daß wir mehr und mehr einem platten Materialismus des Lebensstandards huldigen und daß wir darüber im gleichen Tempo das Interesse für die ideellen und geistigen Werte und für die großen nationalen Anliegen verlieren. Wir können niemanden daran hindern, diese jetzt fast hinter uns liegende Konjunkturdebatte unter einem solchen Gesichtspunkt zu sehen. Wer das aber tut, den möchten wir doch daran erinnern, daß von einer gesunden Wirtschaftspolitik die allerstärksten Impulse für den Spannungsausgleich in der gesellschaftlichen Struktur des Volkes ausgehen. Es geht doch gar nicht um das vom ethischen Standpunkt aus gesehen ganz sicher fragwürdige Prinzip der fortgesetzten Erhöhung des Lebensstandards. Es geht bei der Wirtschaftspolitik wie bei aller Politik um Sicherung und Erhaltung der Existenzgrundlagen des Volkes, und das ist gewiß ein sittlicher Auftrag.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da wir so nett in kleinem Kreise zusammen sind, kann ich verraten, daß wir mit unserem Antrag Drucksache 2524 nicht die Absicht haben, die Zahl der Steuersenkungsanträge um einen weiteren zu vermehren, sondern daß es sich hier um einen Gedanken handelt, der bei uns in Baden-Württemberg unter der Bezeichnung „Gewerbeförderung" seit Jahrzehnten verfolgt wird und zu dem beneideten Ergebnis der recht gesunden Wirtschaftsstruktur geführt hat. Ich kann auch die Vaterschaft dieses Gedankens nicht allein beanspruchen; denn es handelt sich letztlich um das Ergebnis eines Rundfunksgesprächs zum Thema „Vollbeschäftigung", an dem Herr Dr. Hellwig, Herr Dr. Deist und ich teilgenommen haben, wobei wir letzten Endes dahin abkamen, daß es in der Bundesrepublik eben doch noch Bereiche gibt, in denen die vorhandene Arbeitskraft nicht voll ausgeschöpft ist.
Um nun hier die Überlegung der Planungsbüros der Unternehmen anzuregen, etwas mehr zu rechnen, schlagen wir vor, für die Errichtung neuer Betriebsstätten in den sogenannten Förderungsgebieten Sonderabschreibungen zuzulassen. Auf diesem Wege wollen wir erreichen, daß Überlegungen, die über einen industriellen Neubau angestellt werden, nicht immer damit enden, daß man nun noch die letzte Ecke des Fabrikareals besetzt, sondern daß man sich einmal überlegt, ob man nicht mit Teilfertigungen in Gebiete gehen kann, in denen Energie, Wasser und Arbeitskraft eben doch noch nicht knapp sind. Unter Förderungsgebieten verstehen wir z. B. diese Teilgebiete am Zonenrand. aber auch Bereiche in den Westzonen, die in der Raumordnungsplanung als wirtschaftlich zurückgeblieben angesehen werden. Es gibt ja da auch schon zinsverbilligte Ansiedlungskredite. und die Bundesregierung wird verhältnismäßig leicht feststellen können, in welchen Bereichen etwas Derartiges noch möglich ist.
Nun fürchte ich, daß der Herr Bundesfinanzminister sehr gegenteiliger Meinung sein und uns vorwerfen wird, daß die seit Jahren von uns allen und seit acht Tagen auch vom Herrn Bundeskanzler von ihm geforderte Steuervereinfachung damit Schiffbruch leiden wird. Aber ich glaube, eine fiskalische Auswirkung wesentlichen Ausmaßes wird von diesem Gedanken nicht ausgehen, und wer etwa der Ansicht ist, daß sich dieser Antrag nicht mit der Marktwirtschaft vertrüge, der wird schließlich doch auch bedenken müssen, daß wir ja weithin. z. B. im Geldwesen, auf dem Wohnungsmarkt, in der Verkehrswirtschaft und in der Landwirtschaft, noch sehr stramm dirigierte Bereiche haben.
Meine Damen und Herren, wir haben damit zwar nicht den Stein der Weisen gefunden und werden
auch dem Konjunkturproblem damit nicht auf den Grund kommen; wir hoffen aber doch, daß, wenn dieser Gedanke durchgeführt wird, der Mangel an Arbeitskräften, der ein Symptom der gegenwärtigen Situation ist, etwas gelindert wird.
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Ich schließe die Aussprache.
Es liegen zwei Entschließungsanträge vor, einmal der Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 679*) und dann der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP, FVP auf Drucksache 2565. Ich schlage Ihnen vor, beide Anträge dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich schlage Ihnen dann vor, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 2523 betreffend Preispolitik ebenfalls dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Das gleiche gilt vom Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 2428, Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines stetigen Wachstums der Gesamtwirtschaft. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Schließlich bitte ich, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 2524 betreffend Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Industrieansiedlung in den Förderungsgebieten und zur Beseitigung der strukturellen Arbeitslosigkeit dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführendem Ausschuß und den Ausschüssen für Wirtschaftspolitik und für Arbeit zur Mitberatung zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Letztens bitte ich Sie, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 2522 — Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Abzahlungsgeschäfte — dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführendem Ausschuß und den Ausschüssen für Geld und Kredit sowie für Rechtswesen und Verfassungsrecht als mitberatenden Ausschüssen zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht, es ist so beschlossen.
Damit sind die ersten vier Punkte der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe den fünften Punkt der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes, des Zolltarifs und des Mineralölsteuergesetzes (Drucksache 2147);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Drucksachen 2505, zu 2505).
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Krammig, verweist auf den Schriftlichen Bericht**).
Ich rufe in zweiter Lesung auf Art. 1, — la, — 2, — 3, — 3a, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
*) Siehe Anlage 2. **) Siehe Anlage 3.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Das Wort zur allgemeinen Aussprache wird nicht gewünscht. Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich kann feststellen: einstimmig angenommen, ohne Enthaltungen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Dritte Protokoll vom 15. Juli 1955 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Drucksache 2337);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Drucksache 2481).
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Menke, verweist auf den Schriftlichen Bericht*).
Ich rufe in zweiter Lesung Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Das Wort zur allgemeinen Aussprache wird nicht gewünscht. Ich komme damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. -
Ich bitte um die Gegenprobe. — Niemand. Enthaltungen? — Auch niemand. Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Vierte Protokoll vom 15. Juli 1955 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Drucksache 2338);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Drucksache 2482).
.
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Menke, verweist auf den Schriftlichen Bericht**).
Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, — 2. — 3, — Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Das Wort zur allgemeinen Aussprache wird nicht gewünscht. Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht. den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Niemand. Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 5.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Fünfte Protokoll vom 15. Juli 1955 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Drucksache 2339);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Drucksache 2483).
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Menke, verweist wieder auf den Schriftlichen Bericht*).
Ich komme damit zur zweiten Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich rufe zur Abstimmung Art. 1, - 2, - 3, - Einleitung und Überschrift auf. -
*) Siehe Anlage 6.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das
Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Zur allgemeinen Aussprache wünscht niemand das Wort. Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste, 154. Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 27. Juni 1956, 9 Uhr - also in 12 Stunden - ein.
Ich schließe die heutige Sitzung.