Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte zur Konjunkturpolitik kann nicht gerade in Anspruch nehmen, mit Vorschußlorbeeren gesegnet worden zu sein; denn die Vertagung, die sich am Freitag wegen der termingebundenen Beratung des Haushalts in zweiter Lesung ergab, hat den Eindruck erweckt, daß gerade die größte Regierungspartei, die diese Unterbrechung beantragte, die öffentliche Diskussion dieser Fragen scheue. Ich weiß nicht, ob es eine böse Unterstellung ist, wenn man selbst in der Presse ausführte, die größte Partei in der Bundestagsmehrheit habe offenbar kein anderes Interesse an dieser Frage, als der Debatte auszuweichen.
Ich darf darauf verweisen, daß der Bundesparteitag der CDU in Stuttgart Ende April dieses Jahres ganz konkret und ausführlich die konjunkturpolitischen Fragen beraten und in einer Entschließung wesentliche Dinge niedergelegt hat, die Sie, wenn Sie beides richtig miteinander vergleichen, auch im Programm der Bundesregierung wiederfinden werden. Ich bin allerdings der Meinung, daß die Zusammenarbeit einer Partei, ihrer Fraktion und ihrer Mitglieder im Kabinett durchaus in aller Stille und nicht in der überhitzten Öffentlichkeit stattfinden sollte, in der die Konjunkturfragen in der letzten Zeit diskutiert werden. Ich halte es daher für durchaus richtig und berechtigt, an dieser Stelle deutlich festzustellen, daß sowohl die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag wie die CDU bei ihrem Bundesparteitag wesentliche Gedankengänge, die zur Konjunkturdebatte zu sagen waren, vorbereitet hat und daß diese Gedanken ihren Niederschlag auch in dem Regierungsprogramm gefunden haben.
Meine Damen und Herren, es ist eine merkwürdige Erscheinung, wie bei uns konjunkturpolitische Fragen diskutiert werden. Die konjunkturelle Entwicklung hat uns immerhin — das sollten wir in allen Lagern dieses Hauses und der Öffentlichkeit anerkennen — vor Fragen gestellt, die wir seit nunmehr nahezu 30 Jahren nicht mehr in aller Freiheit diskutiert haben. Eine Situation, in der Vollbeschäftigung in einem Zeitpunkt der Hochkonjunktur eintritt, haben wir seit der Jahreswende 1928/29 in einer freien Wirtschaftsordnung nicht mehr gehabt. Wir haben an vielen Stellen — das ist kein Vorwurf, sondern die Feststellung einer Folge der politischen Entwicklung bei uns — mit der internationalen Diskussion über Konjunkturprobleme unter derartigen Verhältnissen den Kontakt verloren.
Wir haben die bitteren Erfahrungen einer gelenkten Wirtschaft hinter uns, die dann in die Kriegswirtschaft überging, die bitteren Erfahrungen einer Nachkriegswirtschaft, die unter Besatzungsrecht stand, und wir haben dann die Jahre des raschen Wiederaufbaues unter der befreienden Marktwirtschaft erlebt. Nunmehr wundern wir uns alle, daß wir plötzlich an einem Punkt Anschluß an die internationale Diskussion gefunden haben, den wir normalerweise so schnell noch gar nicht hätten erwarten können. Es ist daher nur natürlich, daß die Meinungen erheblich auseinandergehen und daß sowohl die Rezepte, die von jeder Seite gegeben werden, als auch die Kritik, die von anderen daran geäußert wird, sich in einer etwas, ich möchte fast sagen: irrealen Übersteigerung begegnen.
Meine Damen und Herren, wir hatten die letzte Erörterung der Konjunkturpolitik in der Berliner Sitzung des Bundestages. Ich habe damals — und ich glaube, daß dieser Gedanke auch von der Opposition in gewisser Weise anerkannt wurde — die sehr kritische Frage gestellt, welche Möglichkeiten ein Parlament, das nicht den wissenschaftlichen Apparat zur Verfügung hat, um Konjunkturbeobachtung zu treiben, hat, wirklich sehr rasche und kurzfristige Entscheidungen zur Konjunkturpolitik zu treffen. Gewissermaßen ist es doch Aufgabe des Parlaments, ein Instrumentarium gesetzgeberischer Vollmachten bereitzuhalten, damit die Exekutive zu gegebener Zeit davon Gebrauch machen kann. Denn das ist vom Kollegen Scheel richtig gesagt worden: bei bestimmten Erscheinungen der konjunkturellen Entwicklung kommt es darauf an, daß auch rasch gehandelt wird. Nun, ich möchte sagen, es kommt nicht nur darauf an, daß rasch gehandelt wird, sondern auch darauf, daß klug gehandelt wird, und dazu ist ein bestimmter Fundus an wissenschaftlichen Beobachtungen gerade auf diesem Gebiete notwendig. Ich werde später wohl noch einmal auf diese Frage zurückkommen, möchte aber jetzt schon sagen, daß mir gerade im Vergleich etwa mit dem amerikanischen Kongreß hier eine erhebliche Schlechterstellung des Deutschen Bundestages vorzuliegen scheint. Denn der Deutsche Bundestag hat nicht ein Gremium wissenschaftlicher Sachbearbeiter zur Vorbereitung konjunkturpolitischer Maßnahmen zur Verfügung, wie es in dem wissenschaftlichen Referentenstab, der dem amerikanischen Kongreß beigeordnet ist, diesem zur Verfügung steht; eine
Frage, über die wir uns einmal sehr ausführlich unterhalten müssen und über die wir uns wahrscheinlich auch weitgehend verständigen können.
Nun, meine Damen und Herren, weshalb mache ich diese Ausführungen? Deshalb, weil das Merkwürdige der konjunkturpolitischen Debatte außerhalb dieses Hauses, im Lande draußen, seit Monaten ist, daß es keine einheitliche Urteilsbildung mehr gibt. Auch die wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die sich der Konjunkturpolitik und der Konjunkturforschung widmen, haben erstmalig seit einigen Jahren kein gemeinschaftliches, übereinstimmendes Gutachten vorgelegt, sondern haben abweichende Gutachten veröffentlicht; ein Zeichen dafür, daß es in der wissenschaftlichen Diskussion selbst nicht zu einwandfreien einheitlichen Beurteilungen kommt. Wenn das bereits außerhalb des politischen Bereiches bei der rein wissenschaftlichen Interpretation der Fall ist, dann sind, glaube ich, diejenigen nicht zu tadeln, die, an verantwortlicher Stelle stehend, der Konjunkturpolitik unmittelbar verhaftet sind und die hier nun auch verschiedene Auffassungen haben.
Ich hoffe aber, daß — darüber wird später noch zu reden sein — auch der Antrag der SPD*), der auf eine Verfeinerung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung mit der Erstellung des Nationalbudgets hinausläuft, Veranlassung gibt, Lücken in der konjunkturwissenschaftlichen Beobachtung, in der Sammlung und Auswertung der Fakten zu schließen und damit zu einer weiteren Verbreiterung der wissenschaftlichen Grundlagen für die zu treffenden politischen Entscheidungen beizutragen.
Ich glaube, daß eines in der Diskussion der letzten Monate deutlich geworden ist: das ist die Problematik der Eingrenzung der Vollmachten der Bundesregierung und des Bundestages hinsichtlich der zentralen Steuerung der Konjunktur. Hier ist ein Problem angesprochen, das in der Regierungserklärung ausdrücklich mit einem Bedauern der Bundesregierung versehen worden ist: daß an wichtigen Stellen, an denen sich konjunkturpolitisch bedeutsame Vorgänge abspielen, ein Eingreifen weder von Bundesregierung als Exekutive noch von Bundestag und Bundesrat als Gesetzgebern ohne Schwierigkeiten möglich wäre.
Ich erwähne hier, ohne vollständig sein zu wollen, nur das Problem: Verhältnis des Bundes zu den Ländern und Gemeinden. Die Steuerung der öffentlichen Mittel in den Investitionen, in vermögenswirksamen Ausgaben und in der Anlagepolitik, die mit diesen Geldern getrieben wird, ist von seiten des Bundes praktisch nur gegenüber Mitteln des Bundes möglich. Sie ist bisher gegenüber den anderen Instanzen der öffentlichen Hand nicht ohne weiteres durchsetzbar.
Eine weitere Frage ist das Thema: Verhältnis von Bundesregierung - und natürlich Bundestag — zur Bundesnotenbank, zur Bank deutscher Länder. Ich glaube, niemand in diesem Hause wird bestreiten, daß eine bessere Koordinierung und Abstimmung der zu ergreifenden Maßnahmen rechtzeitig stattfinden sollte, damit nicht immer erst in letzter Minute oder vielleicht erst nachher über eine mögliche Koordination gesprochen wird.
*) Siehe Anlage 2.
Ich darf hier, wenn dieses Bedauern ausgesprochen wird, einmal ganz klar und deutlich sagen, daß gerade bei meinen politischen Freunden aber auch niemand daran denkt, die Unabhängigkeit der Bundesnotenbank irgendwie anzutasten.
Ich darf daran errinnern, daß bei der ersten Lesung der Entwürfe für das Bundesnotenbankgesetz in diesem Hause — das Gesetz ist zum großen Bedauern von uns allen bisher nicht zustande gekommen— gerade von den Sprechern meiner Partei die Notwendigkeit einer unabhängigen Bundesnotenbank sehr deutlich unterstrichen worden ist. Dagegen ist, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, von einem Sprecher der SPD die Frage gestellt worden, ob nicht der Bundesregierung eine Einwirkungsmöglichkeit gegenüber der Bundesnotenbank dergestalt eingeräumt werden müßte, daß über eine Abberufbarkeit von leitenden Männern des Zentralbanksystems durch die Bundesregierung zumindest zu diskutieren sei.
Wir sind also, glaube ich, durchaus berechtigt, auf unser Bekenntnis und unser Eintreten für die Unabhängigkeit der Bundesnotenbank hinzuweisen. Aber, meine Damen und Herren, Unabhängigkeit heißt noch lange nicht Unfehlbarkeit.
Auch die Maßnahmen der Bank deutscher Länder — sie selbst hat diesen Standpunkt immer vertreten — stellen sich der öffentlichen Diskussion und unterliegen der kritischen Stellungnahme und Begutachtung, auch durch das Parlament. Wir können an der Aufgabe, alle Bereiche, die wirtschaftswichtige Entscheidungen treffen, hier einer kritischen Gesamtschau zu unterziehen, einfach nicht vorbeigehen und können nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: was die Bank deutscher Länder tut, ist gut getan! Das ist auch mit den Forderungen, die in der letzten Aussprache hier erwähnt worden sind, nicht gemeint gewesen. Die Sachkritik, die in den letzten Tagen und Wochen immer wieder eine Rolle gespielt hat, ist auch gegenüber Maßnahmen der Bank deutscher Länder durchaus notwendig; denn nur durch eine kritische Prüfung von Argument und Gegenargument werden wir dort, wo es notwendig ist, das Verständnis für die Maßnahmen der BdL wirklich wecken.
— Jawohl, Sachkritik! Ich komme nachher noch darauf zu sprechen.
Ein weiteres Problem, das ebenfalls die Begrenztheit der Möglichkeiten von Bundestag und Bundesregierung zeigt, ist die weitgehende Autonomie der Tarifpartner in dem entscheidenden Sektor der Lohnhöhe, der Arbeitszeit und der sonstigen Arbeitsbedingungen. Ich will hier noch nicht im einzelnen darauf eingehen. Aber wenn man zu dem Grundsatz der Tarifhoheit der Sozialpartner steht - wir haben bisher keine Veranlassung, außer Empfehlungen, allerdings sehr dringlichen Empfehlungen, hier irgend etwas anderes zur Diskussion zu stellen —, dann muß man sich allerdings auch darüber klar sein, daß man nicht die Bundesregierung für Dinge und Entwicklungen tadeln darf, die in einem Bereich eingeleitet werden, wo sie nicht die Zuständigkeit zum Eingreifen hat.
Wenn aus dem Sektor des Lohnes und sonstiger Vorgänge, die damit unmittelbar zusammenhängen, Gefahren für die Stabilität von Preis und Kaufkraft eintreten, dann muß das auch an dieser Stelle offen gesagt werden, und man darf nicht primär die Bundesregierung tadeln, denn es ist Ihrer aller Anliegen, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet die Tarifhoheit der Sozialpartner zu achten habe.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt einige Bemerkungen zur wirtschaftlichen Lage machen. Wir reden seit Wochen über eine überhitzte Konjunktur, wobei ich sagen möchte: eine angeblich überall überhitzte Konjunktur. Ich habe das Gefühl, daß die Vertrautheit mit der tatsächlichen Entwicklung in den einzelnen Bereichen und Branchen in den letzten Wochen darüber etwas zu kurz gekommen ist. Wir tun so, als wenn das Problem noch das gleiche wäre wie vor einem Jahr. Es hat aber eine wesentliche Verschiebung stattgefunden. Die Hochkonjunktur des vergangenen Sommers war eine Investitionskonjunktur. Die Investitionstätigkeit war in allen Bereichen der Entwicklung der Verbrauchsgüterindustrien und der Entwicklung des allgemeinen Massenabsatzes erheblich vorausgegangen. Dann kam eine ganz namhafte Lohnbewegung, deren letzte Ausläufer erst im Jahre 1956 mit der Lohnerhöhung im Bergbau zu verzeichnen waren. Was ich schon damals bei der Berliner Debatte sagte, daß unsere Überlegungen nicht so sehr an dem Problem eines überhitzten Investitionsvolumens sich orientieren sollten, sondern daß wir uns mit der Frage beschäftigen müßten, wie wir eine ganz stark und schnell steigende Massenkaufkraft auf der güterwirtschaftlichen Seite bedienen könnten, dieses Problem ist in den letzten Monaten in aller Deutlichkeit laut geworden.
Ich darf Sie daran erinnern, daß beispielsweise die Entwicklung der Auftragseingänge in der Industrie in den ersten Monaten des Jahres 1956 mengenmäßig hinter der Umsatzentwicklung zurückgeblieben ist — für die gesamte Industrie gesprochen—, daß sie aber in der Verbrauchsgüterindustrie über die Umsatzentwicklung hinausgegangen ist. Nach dem letzten Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums über die Auftragsbewegung ist der kräftigste Auftragseingang im April — das ist der letzte Monat, für den die Zahlen vorliegen — im Bereich der Verbrauchsgüterindustrie, und zwar bei Hausrat, Möbeln und Bekleidung, festzustellen, während er in der Investitionsgüterindustrie nicht unerheblich hinter dieser Entwicklung zurückbleibt.
Ich glaube also, sagen zu können: im ganzen gesehen ist eine bestimmte Beruhigung gegenüber dem Vorjahr eingetreten. Wir können feststellen, daß bei der Investitionsgüterindustrie die Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr — die ersten vier Monate des Jahres gerechnet - 18 % beträgt, während der Auftragseingang nur noch um 7 % über dem des. Vorjahres liegt, bei den Grundstoff- und Produktionsgüterindustrien der Umsatz um 10 % über dem des Vorjahres, der Auftragseingang nur um 6 % über dem des Vorjahres, umgekehrt bei der Verbrauchsgüterindustrie der Auftragseingang 11 % über dem des Vorjahres, der Umsatz 8 % über dem des Vorjahres. Wie es bei einigen Stellen in der Wissenschaft bereits gekennzeichnet wird: die Investitionswelle des vergangenen Sommers ist - im Gefolge der Einkommensanhebungen, die stattgefunden haben — abgelöst worden von einer recht starken Verbrauchswelle, und in den letzten Wochen hat es den Anschein, als ob die Verbrauchswelle die Investitionswelle eingeholt, vielleicht sogar überholt habe.
Ich darf hier gleich sagen, daß der Auftragseingang nicht eine wirklich exakte Aussage macht. Denn die Auftragseingänge liegen meistens, gerade in der Verbrauchsgüterindustrie, erheblich über den Abrufen. Abrufe der Aufträge aber sind ja doch Vorgänge, die einmal von der Nachfrage im Verteilersektor her bestimmt und zum andern auch durch zusätzliche Einfuhren mit beeinflußt werden. Denn wenn die gleiche Nachfrage vorhanden ist, kann sie sowohl durch stärkere Einfuhren wie durch Abrufe industrieller Erzeugnisse bedient werden.
Aber die Tatsache, daß noch dieses Auseinandergehen von Abrufen und Auftragseingängen gerade im Verbrauchsgütersektor vorhanden ist, scheint mir doch zu bestätigen, daß von einem ernsthaften Auseinanderklaffen der Nachfrage einerseits und der Güterdarbietung andererseits noch nicht die Rede sein kann. Das zeigen auch die Lieferfristen. Denn gerade im verbrauchsnahen Sektor ist die Lieferfrist bisher nur dort ein Problem gewesen, wo rascher Wechsel im Konsumentengeschmack stattfindet und plötzliche Umdispositionen auf gewisse Artikel notwendig sind, nicht aber dort, wo es sich um eine gleichbleibende Belieferung der Verbraucher mit gleichbleibenden Qualitäten und gleicher Geschmacksrichtung handelt.
Auch das Preisniveau im Verteilersektor scheint mir zu bestätigen, daß hier nicht generalisierend von einer Überhitzung die Rede sein kann. Der Wettbewerb in diesem Sektor, aber auch das wesentlich vergrößerte Angebot bestimmter Sektoren der Verbrauchsgüterindustrie haben zu einer Stabilisierung des Preisniveaus in den Verteilerkreisen beigetragen. Die Investitionskonjunktur des letzten Sommers ist — das habe ich auch in Berlin gesagt — sehr schnell zum Zuge gekommen, indem sie die Kapazitäten wesentlich vergrößert hat, die heute mit einem vergrößerten Warenangebot die vergrößerte Nachfrage einigermaßen ausgleichend bedienen können. Im ganzen glaube ich also, sagen zu können, daß an dieser Stelle keine ernsthaften Gefahren auftreten.
Eine andere Frage aber ist, ob nicht bestimmte Gefahren dort vorhanden sind, wo echte Engpässe bestehen. Dabei denke ich im Sektor der Gütererzeugung von allem an die Kohle. Die Kohlenversorgung bleibt das schwierigste Güterversorgungsproblem der deutschen Volkswirtschaft, weil die Produktivitätssteigerung im Kohlenbergbau mit der allgemeinen wirtschaftlichen Produktivitätssteigerung aus vielerlei Gründen einfach nicht Schritt halten konnte.
Die wirtschaftliche Expansion, die wir im Jahre 1955 und im ersten halben Jahr 1956 wieder so kräftig sehen, hat die Lücke zwischen Kohlendarbietung aus Inlandserzeugung und Kohlennachfrage der Verbraucher, insbesondere der verarbeitenden Industrie, nur gößer werden lassen. Wenn die eigene deutsche Erzeugung aus vielen Gründen nicht in dem gleichen Tempo mithalten kann, bleibt nichts anderes übrig, als zusätzliche Kohle aus dem Ausland einzuführen. Wir werden
wahrscheinlich in diesem Jahre 4 Millionen t amerikanischer Kohle über das Volumen des letzten Jahres hinaus einführen müssen.. Da die Auslandskohle immerhin mit ganz erheblichen Beträgen teurer auf den Inlandsmarkt gelangt — 30 Mark pro Tonne, wollen wir einmal sagen —, ist von vorherein festzustellen, daß sich die Brennstoffversorgung der gesamten deutschen Wirtschaft im Schnitt verteuern wird, auch wenn der deutsche Kohlenpreis stabil bleiben sollte. Hier ist also ein echtes Problem. Ich glaube, es wäre verkehrt, hier aus der Kostenverteuerung im Kohlensektor etwa Schlußfolgerungen zu ziehen, daß derartige Dinge eine schleichende Verschlechterung der Kaufkraft der deutschen Währung darstellen, wie es gelegentlich in der Diskussion geschieht.
Ich darf hier auch erwähnen, daß wir mit größter Sorge eben wegen dieses Engpaßcharakters bei der Kohle die weitere Entwicklung der Diskussion um Lohn und Arbeitszeit im Bergbau beobachten. Wir müssen uns alle auch dort, wo wir 100%ig für die Verwirklichung der Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich eintreten, über die Konsequenz klar sein, daß in der momentanen wirtschaftlichen Situation die Arbeitszeitverkürzung im Bergbau, wie sie im Augenblick verlangt wird, nicht anders ausgeglichen werden kann als durch eine abermalige Vermehrung der Einfuhr ausländischer Kohle mit allen Konsequenzen für das Kostenniveau der Kohlenversorgung der deutschen Wirtschaft.
Das muß sine ira et studio gesagt werden. Man muß diese Frage bei der Prüfung des Arbeitszeitproblems in der deutschen Volkswirtschaft doch sehen.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zu der allgemeinen konjunkturpolitischen Betrachtung sagen. Ich glaube, die heftige Diskussion, die in vielen Bereichen eintritt und die man damit kennzeichnen könnte, daß jeder sich beeilt, zu versichern: „Überhitzung — betrifft mir nicht", ist nur darauf zurückzuführen, daß wir zu sehr mit Generalisierungen arbeiten und daß unsere Beobachtung der Konjunktur sowohl — ich darf das hier mit aller Deutlichkeit sagen — in der Berichterstattung des Bundeswirtschaftsministeriums wie der der Bank deutscher Länder nicht genügend den großen regionalen Unterschieden in der deutschen wirtschaftlichen Entwicklung gerecht wird. Die Gefahr ist tatsächlich gegeben, meine Damen und Herren, daß wir — und der Einsatz des geld- und kreditpolitischen Instrumentariums verlangt es in gewisser Weise — von den Brennpunkten der Konjunktur aus, von dort, wo die Überhitzungserscheinungen absolut nicht bestritten werden sollen, wo etwa private und öffentliche Investitionstätigkeit konjunkturverschärfend zusammenkommen, generelle Schlußfolgerungen ziehen und daß die wesentlich anders liegenden Fragen in den Notstandsgebieten, in den Zonengrenzgebieten und in den revierfernen Bezirken — ich brauche die Länder nicht im einzelnen zu nennen — darunter verborgen bleiben, nicht deutlich werden. Wer sich über die weite Streuung des konjunkturellen Geschehens bei uns ein Bild machen will, dem empfehle ich immer wieder, den Konjunkturbericht für Berlin im Vergleich zu dem allgemeinen Konjunkturbericht in den Monatsberichten des Bundeswirtschaftsministeriums zu studieren.
Hier sind also Lücken. Die regionale Wirtschaftsbeobachtung hat bei uns im Augenblick nicht den Stand, bei dem wirklich einwandfrei ein Vergleich zwischen der Beteiligung der einzelnen Länder angestellt werden kann. Das ist betrüblich. Aber ich glaube, man sollte, wenn man sich um eine Verbesserung des wirtschaftswissenschaftlichen Instrumentariums im Verwaltungsbereich bemüht, doch auch einmal die Forderung an die Länder richten und das Begehren aussprechen, ihrerseits für eine Vereinheitlichung der Wirtschaftsbeobachtung, der Indexberechnungen, der Investitionsbeobachtungen usw. auf der Landesebene Sorge zu tragen, damit die Dinge tatsächlich miteinander verglichen werden können. Es ist mir beispielsweise nicht möglich gewesen, bei den Beratungen und Untersuchungen, die mit der jetzigen Diskussion zusammenhängen, wirklich einwandfreie statistische Unterlagen für alle deutschen Länder zu erhalten. Die Dinge sind nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar. Ich glaube, ebenso wie wir von der allgemeinen Konjunkturdebatte verlangen, daß sie nicht nur Generalisierungen bringt, sollten wir auch verlangen — und die Länder sollten das in ihrem eigenen Interesse aufgreifen -, daß die Länder in ihrem Bereich zu einer Vereinheitlichung und Intensivierung der Wirtschaftsbeobachtung kommen.
Besonders auffällig sind auch die branchenmäßigen Unterschiede. Selbst die gestiegene Verbrauchernachfrage kam beispielsweise längst nicht allen Verbrauchsgüterindustrien zugute. Ich sprach von der Verbrauchswelle, die die letzten Wochen kennzeichnet. Trotzdem bleiben die Textilindustrie, also immerhin eine der stärksten verbrauchsnahen Branchen, die keramische Industrie und die Glas- und Ledererzeugung unter dem Durchschnitt der wirtschaftlichen Entwicklung. Am stärksten über dem Vorjahr liegen, noch auf Grund des Investitionsstoßes, aber auch wegen ihrer engen Verbundenheit mit der gestiegenen Massenkaufkraft, solche interessanten Wirtschaftszweige wie der Maschinenbau für die Bauwirtschaft, der heute einen Produktionsindex hat, der um 33,6 % über dem Vorjahr liegt, und der Bau von Personenkraftwagen, der um 26,8 % über dem Vorjahr liegt.
Hier wird auch folgendes deutlich. Die sehr starke Streuung der Produktionsentwicklung in den einzelnen Bereichen zeigt, daß offenbar ein Generalurteil über ein überhöhtes Maß der Investitionen nicht ohne weiteres gefällt werden kann. Was steckt denn beispielsweise im Index der Investionsgüterindustrie alles drin? Da steckt ja auch die elektrotechnische Industrie mit Fernsehgeräten, Rundfunkapparaten und ähnlichen Dingen drin, die heute doch wesentlich als Gegenstände des Verbrauchs angesehen werden müssen. Es steckt in diesem Index ebenso die Kraftfahrzeugindustrie drin. Wir alle wissen, daß Motorräder und Personenkraftwagen weit weniger Investitionsmittel sind. Der erhöhte Absatz dieser Güter ist vielmehr ein Zeichen für steigende Lebenshaltung und wachsende Kaufkraft der Verbraucher.
Hier ist also die kleine Anregung an die statistischen Stellen einschließlich des Wirtschaftsministeriums zu geben, eine Bereinigung dieser Dinge anzustreben. Es sollte das ausgeklammert werden, was echte Investitionsgüterindustrie ist.
Ein Wort noch zu dem Investitionsvolumen ins-ges amt! Es war in den letzten Jahren sehr leicht zu sagen: es wird viel zuviel investiert, weil hinter dem begriff „Investition" meist die landläufige Vorstellung steht: Investition ist Vermogensbildung zugunsten derjenigen, die investieren konnen. Die Parallele zwischen Investitionen und Verschuldung ist aber gerade im letzten J ahr sehr deutlich geworden.
Ich darf hier auch noch eine andere Ungenauigkeit unserer globalen Feststellung des Investitionsindexes erwahnen. Im allgemeinen volkswirtschaftlichen Investitionsbegriff stecken der Wohnungsbau ebenso wie die öffentlichen Investitionen drin. Wir wissen, daß im Wohnungsbau und in allen Sparten des öffentlichen Baues ein dringender Nachholbedarf vorhanden ist, der in der deutschen Volkswirtschaft viel größer ist als in anderen Ländern, weil das Ausmaß der Kriegszerstörungen und der Belastungen durch Flüchtlinge und Vertriebene bei uns wesentlich größer ist als in irgendeinem anderen Lande.
Wenn das aber bejaht wird — ich glaube, niemand wird das bestreiten —, dann soll man uns nicht vorhalten, daß die Investitionstätigkeit in der Bundesrepublik, bezogen auf das Volkseinkommen, ungebührlich groß sei, daß sie insbesondere im Vergleich zu anderen Ländern ungebührlich groß sei,
sondern dann muß man auseinanderklammern, was industrielle Investition, d. h. Investition der privaten Wirtschaft, und was öffentliche Investition einschließlich Wohnungsbau zur Bedienung des Nachholbedarfs ist. Erst dann würden wir zu einem bereinigten Investitionsanzeiger kommen, der uns den internationalen Vergleich einmal gestatten würde. Einstweilen glaube ich diesem Vergleich nicht, weil er diese Sonderbelastung der deutschen Investitionsverpflichtung, möchte ich beinahe sagen, nicht genügend berücksichtigt.
Nun, meine Damen und Herren, zur Überhitzung! Wo ist Überhitzung, und wie wollen wir sie feststellen? Ich glaube, wir können von einzelnen Preisbewegungen ausgehen. Als stärksten Preisausschlag haben wir natürlich die sehr starke Bewegung der Baukosten gehabt; aber auch bei der Bautätigkeit darf ich noch einmal vermerken: bitte, keine generalisierende Feststellung! Wir haben in Deutschland Bezirke, wo zur Zeit die Kapazitäten der Bauwirtschaft nicht voll ausgelastet sind. Nach einem Bericht des Bundesverkehrsministeriums ist die Straßenbaukapazität zur Hälfte ausgelastet. In anderen Bezirken, etwa in Nordhessen und in Rheinland-Pfalz, haben wir bei öffentlichen Submissionen eine rückläufige Preisbewegung, soweit es sich um die Bauwirtschaft im allgemeinen handelt. Wir wissen genau, wo der Schuh in der Baukonjunktur drückt: an den Brennpunkten der Bautätigkeit, wo eben im industriellen Kernbereich ein großes Maß privater und öffentlicher Investitionen zusammenkommt.
Man kann da nun nicht so reagieren — ich bin mir auch darüber klar —, daß die Gebiete, wo diese Baukonjunktur nicht in gleichem Maße herrscht, sich dagegen wehren, daß nun Maßnahmen zur Drosselung der Bautätigkeit getroffen werden, die vielleicht alle treffen könnten. Denn die Übersteigerung gerade der Nachfrage nach Bauarbeitern in solchen Brennpunkten der Bautätigkeit schlägt auf die Bezirke mit nicht ausgelasteter Baukapazität zurück. Dort wird ja dann die Arbeitskraft abgeworben, dort wird ja die Werbung angesetzt, die die Arbeitskräfte in die Brennpunkte des industriellen Geschehens, der öffentlichen Investitionen noch abzieht.
Was ist aber in der Bauwirtschaft seit einem Jahr geschehen? Sie erinnern sich vielleicht, daß wir in Berlin übereinstimmend einen dringenden Appell an die öffentlichen Auftraggeber gerichtet haben, ihre Auftragsgestaltung etwas anpassungsfähiger zu machen, die Bautätigkeit nicht in wenigen Sommermonaten zusammenzudrängen, sondern so früh wie möglich nach der Beendigung des Frostes zu bauen zu beginnen und bis in den Winter hinein zu bauen, bis wirklich der Frost die Stillegung der Baustelle erzwingt. Wir dürfen mit Dank vermerken — ich glaube, es schließt sich niemand dabei aus —, daß im Zusammenwirken zwischen privaten und öffentlichen Bauauftraggebern und der Bauwirtschaft eine weitgehende Auseinanderziehung des Auftragsvolumens möglich gewesen ist.
Der Ansicht der Bank deutscher Länder, die das schlagartige Einsetzen der Baukonjunktur im März/April als ein Zeichen eines erneuten Booms kennzeichnet, kann ich nicht folgen; denn wir erblicken in dem Einsetzen der Baukonjunktur im März/April gerade eine Bestätigung unserer Bemühungen, das Bauvolumen auf einen möglichst großen Zeitraum im Jahr zu verteilen, also möglichst früh im Jahr zu beginnen.
Aber ein Punkt sollte hier bei den weiteren Bemühungen erwähnt werden. Immer wieder hören wir die Klage, daß Versuchungen der Bauunternehmer, sich konjunkturwidrig zu verhalten, wesentlich durch allzu kurze Terminsetzungen bei der Erlangung der Bauaufträge veranlaßt werden. Jeder Auftraggeber will seinen Auftrag so schnell wie möglich erfüllt haben. Das Ergebnis ist, daß die Bauunternehmer sich zur Zahlung sehr hoher Konventionalstrafen verpflichten müssen, wenn sie einen derartigen Termin nicht einhalten können.
Wenn ein Bauunternehmer etwa aus irgendwelchen Umständen, die nicht von ihm und seinem Betrieb zu verantworten sind, nicht in der Lage ist, den Termin einzuhalten, und wenn er Tausende von Mark als Konventionalstrafe für jeden einzelnen Verzugstag zu zahlen hat, dann ist er allerdings bereit, durch Sonderprämien, durch unsaubere Abwerbungsmaßnahmen und ähnliche Dinge mehr unter allen Umständen seinen Termin einzuhalten, weil ihn das im ganzen billiger zu stehen kommt, als wenn er eine hohe Konventionalstrafe zahlen muß.
Ich möchte also an alle diejenigen Auftraggeber, wo die Fertigstellung des Baus nicht unbedingt mit der Wirtschaftlichkeitsrechnung für die Produktion des Betriebs verbunden ist, den dringenden Appell richten, mit der Übersteigerung von Terminsetzungen und von Konventionalstrafen Schluß zu machen.
Dort würde dann ein wesentliches Element der Beruhigung eintreten.
Meine Damen und Herren, wir haben uns nun sehr überlegt, was im Bausektor wohl noch getan werden kann, um zu einem größeren Ausgleich und einer größeren Verteilung der zur Verfügung ste-
henden Kapazitäten zu gelangen. Ich darf mich hier auf folgende kurze Bemerkungen beschränken. Jede Bautätigkeit, die im Augenblick stattfindet, muß von der Notwendigkeit bestimmt sein, daß mit der noch steigenden Entwicklung der Einkommen die Herstellung entsprechender Produktionskapazitäten Schritt hält. Die große Gefahr aber ist im Augenblick die — ich glaube, wir müssen hier in aller Offenheit darüber sprechen —, daß durch die Situation auf dem Geld- und Kapitalmarkt und durch die Situation der öffentlichen Kassen die Bautätigkeit im Sektor öffentlicher Aufträge, bei den öffentlichen Investitionen stärker und besser vonstatten geht als die entsprechende Bautätigkeit dort, wo zusätzliche wirtschaftliche Kapazitäten geschaffen werden müssen.
Es gibt den Vergleich der beiden Sektoren: öffentliche Aufträge, öffentliche Investitionen und private Investitionen, sagen wir, wirtschaftliche Investitionen, hinsichtlich ihrer Wirkung auf Einkommensbildung einerseits und Güterdeckung andererseits. Die öffentlichen Investitionen tragen im allgemeinen zunächst stärker zur Einkommensbildung bei, weil sie in Form von Löhnen fließen. Die Wirtschaftsinvestitionen tragen sowohl zur Einkommensentwicklung wie zur Erstellung von güterwirtschaftlich wirksamen Kapazitäten bei. Die güterwirtschaftliche Wirksamkeit öffentlicher Investitionen liegt längst nicht bei allen öffentlichen Bauvorhaben auf der Hand. Sie ist dort, wo die öffentliche Hand Unternehmungen betreibt, in der Energiewirtschaft, selbstverständlich bei der Bundesbahn und ähnlichen Unternehmungen, auch gegeben. Aber es ist sine ira et studio doch wohl zu sagen, daß im Sektor öffentlicher Investitionen der Einkommenseffekt im großen und ganzen zunächst stärker ist als der Produktionseffekt. Das bedeutet natürlich, daß, wenn eine stärkere Verlagerung zu öffentlichen Investitionen, zu öffentlicher Bautätigkeit stattfindet, zwar Einkommen in diesem Sektor entstehen, aber nicht in gleicher Zügigkeit die Produktionskapazitäten dazu mit entwickelt werden.
Man hat sehr angezweifelt, ob es berechtigt ist, diese Entwicklung der öffentlichen Bautätigkeit, der öffentlichen Investitionen in dieser Weise mit den privatwirtschaftlichen Investitionen zu vergleichen. Ich darf hier einmal daran erinnern, daß es ein Grundgebot einer auf lange Sicht arbeitenden und disponierenden aktiven Konjunkturpolitik ist, die öffentlichen Investitionen nicht parallel zu den Wirtschaftsinvestitionen laufen zu lassen, sondern antizyklisch, d. h. mit ihnen die Täler und die Höhen des konjunkturellen Geschehens nach Möglichkeit auszugleichen und aufzufangen. Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren genau das Gegenteil beobachten müssen. Im Vorjahr ist bei den Gemeinden allein die Bautätigkeit um 27 % höher gewesen als in dem vorhergehenden Jahr, und die Schätzungen des Bundesfinanzministeriums über die Bautätigkeit, die vermögenswirksamen Ausgaben und Investitionen aller Gebietskörperschaften sind wesentlich überschritten worden. Das Bundesfinanzministerium hatte eine Steigerung der Bautätigkeit und der sonstigen vermögenswirksamen Ausgaben aller öffentlichen Körperschaften um nur 5,6 % erwartet. Tatsächlich aber ist die Bautätigkeit, die Investitionstätigkeit im Jahre 1954/55, für das die abschließenden Zahlen vorliegen, um 12 % höher gewesen.
— Ich werde auf die Frage noch eingehen.
Wir müssen hier einmal deutlich machen, daß es nicht angeht, die öffentliche Bautätigkeit bei allen Gebietskörperschaften etwa nur unter das Motto zu stellen: Wir haben so lange im Schatten der Konjunktur gestanden; jetzt, wo die Steuereinnahmen einmal fließen, wollen wir auch an der Konjunktursonne mitspielen. Das ist eine völlige Verkennung der Investitionstätigkeit und der damit verbundenen Aufgabenstellung im Bereich der öffentlichen Hand. Die öffentlichen Aufträge sollen ausgleichend wirken; sie sollen aber nicht die Konjunkturausschläge, die Kurvenausschläge noch weiter übersteigern. Diese Forderung muß um so mehr erhoben werden, als für die gesamte Öffentlichkeit in den nächsten Jahren eine zusätzliche Investitionsaufgabe vor uns steht, nämlich die Bedienung unseres Verteidigungsbeitrags. Ich darf hier schon eine Bitte aussprechen, daß man nämlich bei der Erörterung dieser Frage die Gesamtheit aller öffentlichen Interessen, d. h. des ganzen deutschen Volkes sieht und nicht die Instanzen auf Gemeinde-, Landes- oder Bundesebene nach unangebrachten Maßstäben mißt und gegeneinander ausspielt. Die Wiederherstellung unserer Wehrfähigkeit ist nach dem überzeugenden Willen und Bekenntnis einer eindeutigen Mehrheit des deutschen Volkes ein Anliegen des deutschen Volkes, und ich glaube, daß wir danach auch in den vor uns liegenden Jahren eine Anpassung der wirtschaftlichen Investitionen, der Bautätigkeit, insbesondere im öffentlichen Sektor, verlangen müssen.
Nun noch einige Bemerkungen zu den Dingen, an Hand deren man immer wieder versucht, die Überhitzung darzulegen, nämlich zum Preissektor. Herr Kollege Dr. Deist hat über die Preisentwicklung einige sehr kritische Bemerkungen gemacht und von der „schleichenden Entwertung der Deutschen Mark" gesprochen. Ich darf zunächst klarstellen, daß die wichtigsten Beiträge zur Entwicklung der Lebenshaltungskosten nicht auf eine allgemeine konjunkturelle Entwicklung — was also einer schleichenden Entwertung entsprechen würde
— zurückgehen, sondern auf bewußte Anpassungsmaßnahmen. Kollege Dr. Deist hat es selbst zum Ausdruck gebracht, hat aber geglaubt, die Bundesregierung dafür besonders tadeln zu müssen.
— Verehrter Herr Kollege Dr. Deist, ich darf die Frage stellen: Wie wollen Sie in einer solchen hochkonjunkturellen Situation, in der Anpassungsmaßnahmen in den Bereichen dringend notwendig sind, wo eine amtliche Preisbindung es verhindert hat, daß die Preisentwicklung mit der allgemeinen Entwicklung Schritt hält, Ausgleiche versuchen, wenn nicht entweder durch eine Anpassung der Preise oder durch Subventionen? Aber ist nicht gerade die Subvention in einer Zeit der Hochkonjunktur das gefährlichste Mittel, weil sie die Nachfrage nach diesen Gütern praktisch unbegrenzt steigen läßt? Denn die Subvention subventioniert ja dann den Käufer dieser Dinge.
Ich glaube, man sollte gerade in der Hochkonjunktur das Mittel der Preisanpassung in solchen Bereichen — selbstverständlich mit ganz bestimmter planmäßiger Überlegung — auch als ein Mittel der Dämpfung der Nachfrage einsetzen, wenn die Nachfrage ein zu gefährliches Ausmaß annehmen sollte.
Ich darf Sie, verehrter Kollege Deist, darauf aufmerksam machen, daß ich eine gewisse Bestätigung dieser Auffassung aus Ihren eigenen Reihen gefunden habe. Der von mir sehr verehrte Professor Dr. Schiller, der ja Ihnen politisch nahesteht, hat vor wenigen Tagen ausdrücklich folgendes zu dieser Lage gesagt — in der „Zeit" vom 21. Juni nachzulesen -:
Die so überaus richtige Leitregel der Stabilität des Preisniveaus sollte nicht zum Fetisch für die Einzelpreisgestaltung werden! Eine Subventionierung der Preise von zu steigenden Kosten produzierten Grundstoffen bedeutet doch nur, daß hier die Nachfrage prämiiert und das Übel nicht kuriert wird.
Ich glaube, daß wir uns hier in guter Gesellschaft befinden, wenn wir feststellen, daß Anpassungen, die in den Bereichen notwendig geworden sind, wo wird staatlicherseits Preisbindungen hatten, eben gerade eher in einer Phase steigenden Masseneinkommens als in einer Phase rückläufigen oder stagnierenden Masseneinkommens vorgenommen werden können. Wann sollen denn Anpassungen vorgenommen werden? Das Problem der Kohle, das Problem der Mieten, das Problem der Festpreise für die Landwirtschaft können wir doch nicht damit aus der Welt schaffen, daß wir sagen: Notwendige Anpassungen unterbleiben, weil sie für bestimmte Sektoren der Verbraucher zur Verschlechterung etwa ihrer Kaufkraft führen. Wenn Verschlechterung der Kaufkraft eintritt, dann wird sie durch die allgemeine Welle der Masseneinkommensbewegung doch eher kompensiert, als wenn sie etwa mit einer rückläufigen oder stagnierenden Bewegung der Masseneinkommen zusammenfällt.
Ich glaube, man sollte auch die Preisbewegung im ganzen nicht überschätzen. Die Warnung ist selbstverständlich angebracht, und ich wäre der letzte, der sie nicht zum Ausdruck bringt, der sie nicht gerade von dieser Stelle aus zum Ausdruck bringt: Auch in der Wirtschaft, bei den Unternehmern bedeutet die Hochkonjunktur eine Versuchung, Preisnachteile oder Kostenverschlechterungen oder sonstige unwägbare Entwicklungen, die vielleicht noch vor ihnen liegen, durch Preiserhöhungen vorweg zu eskomptieren. Es ist selbstverständlich, daß die verantwortliche Führung der deutschen Wirtschaft gerade in dieser Hinsicht immer wieder einen dringenden Appell zur Preisdisziplin und zur Zurückhaltung an die Unternehmer richten muß.
Die Bundesregierung hat in ihrer Erklärung sehr deutlich gemacht, daß eine Überschätzung, eine Überdramatisierung dieser Vorgänge nicht unbedingt am Platze ist. Ich darf bemerken, daß im ganzen gesehen gerade die deutsche Preisentwicklung, die Stabilität der deutschen Währung im internationalen Vergleich bis zur Stunde recht günstig wegkommt. Sehr viele Probleme, die im Augenblick auf uns zukommen, nämlich die Überliquidität auf Grund der starken Exportsteigerung, wie sie sich bei unseren Geschäftsbanken niederschlägt, sind eine unmittelbare Folge aus der Tatsache, daß es der Bundesrepublik bisher gelungen ist, eine viel stärkere Stabilität der inneren Kaufkraft und des Preisniveaus zu gewährleisten, als es in vergleichbaren Ländern möglich war.
An irgendeiner Stelle habe ich die Worte gelesen, die mir selbst schon auf die Zunge kamen, daß nämlich, wenn es im internationalen Wettbewerb so weitergehe, d. h. bei anderen Ländern die Preisstabilisierung nicht gelinge und damit der Sog, deutsche Waren zu kaufen, also der Exportsog, bei uns mit allen Konsequenzen für die innere Lage immer noch stärker werde, hier so etwas wie ein Vorgang der „Diktatur der letzten Bank" stattfinde. Wenn hier nicht rechtzeitig eine internationale Aussprache über die Währungs- und Kaufkraftprobleme erfolgt, hat tatsächlich derjenige, der sich am vernünftigsten verhält, am stärksten die Kosten dafür zu tragen. Hier ist heute ein Paradoxon gegeben. Je besser wir die Stabilität unserer eigenen inneren Preissituation zu wahren wissen, um so stärker wird die Gefahr vom Ausland her, daß das niedrigere deutsche Preisniveau zusätzliche Auslandsaufträge zu uns hereinbringt, vielleicht sogar ein Ausverkauf deutscher Waren und deutscher Leistung stattfindet, die Gegenwerte als große flüssige Geldmengen bei uns in den Kreditapparat hineinkommen und dort dann zu den Erscheinungen führen, die gerade für die innere Konjunkturstabilität wiederum eine Gefahr darstellen.
Hier ein kurzes Wort zum Problem der Lohnbewegungen. Wir dürfen zunächst einmal feststellen, daß die Lohnpolitik in der Bundesrepublik — und das gilt für alle Beteiligten — ein Ausmaß der Reallohnsteigerung gegenüber der Vorkriegszeit ermöglicht hat, welches sich im internationalen Vergleich an bester Stelle sehen lassen kann. USA, Kanada und Schweden bilden die Spitzengruppe in der Reallohnsteigerung. Im Mittelfeld stehen die Bundesrepublik, Frankreich, Australien, Italien und Norwegen. Dahinter erst folgen Länder, die zum Teil auf Grund ihrer Wirtschaftslage wesentlich bessere und günstigere Bedingungen hatten. Ich glaube, daß hier das Vertrauen, das bisher Bundesregierung und Bundestag den Sozialpartnern hinsichtlich der Anwendung des Instruments der Tarifautonomie entgegengebracht haben, durchaus eine Bestätigung gefunden hat.
Wir dürfen die Bewährung der Tarifautonomie der Sozialpartner gerade gegenüber Ländern, in denen eine stärkere staatliche Einflußnahme auf die Lohnpolitik stattfindet, einmal wirklich mit Anerkennung herausstellen.
Aber seit Mitte 1955 haben wir gewisse Besorgnisse. Sie gehen darauf zurück, daß wir das Zusammenfallen von Vollbeschäftigung und Hochkonjunktur beobachten müssen. Vollbeschäftigung und Hochkonjunktur sind Versuchungen. Die Vollbeschäftigung ist eine Versuchung für die Gewerkschaften, mehr zu fordern, mehr vielleicht sogar mit allen Mitteln zu erkämpfen, als die Produktivitätssteigerung der Wirtschaft gestattet, und die Hochkonjunktur ist eine Versuchung für die Unternehmer, mehr zu bewilligen, als sie nach ihrer Kostenstruktur ermöglichen können, mehr zu bewilligen vor allem in der Hoffnung, daß sie die Mehrkosten über den Preis abwälzen könnten. Wir sind uns völlig darüber klar: das Instrument der Tarifhoheit ist in einer freiheitlichen Ordnung ein so kostbares Instrument, daß wir beide — ich spreche nicht nur die Gewerkschaften, sondern genau so deutlich die Unternehmer an — daran erinnern müssen, daß sie es selbst in der Hand haben, dieses Instrument vor der Vernichtung zu bewahren.
Sie wissen, daß es im Augenblick nicht nur um die Lohnfrage geht, sondern daß im Zusammenhang mit der Lohnbewegung auch die Arbeitszeitverkürzung als Problem ansteht.