Rede von
Prof. Dr.
Fritz
Hellwig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Verehrter Kollege Deist, ich bin völlig in Übereinstimmung mit Ihnen, daß Arbeitszeitverkürzung durch Produktivitätssteigerung ausgeglichen werden kann,
wenn das nötige Kleingeld dazu vorhanden ist und bereitgestellt wird.
Aber — hier kommen wir zu einem Zentralpunkt der heutigen Diskussion; ich komme auf diese Dinge zu sprechen — dazu gehört Geld; denn der Apparat, die Pferdestärken, die hinter die Arbeitskräfte gestellt werden müssen, wenn weniger gearbeitet wird, kommt doch nicht von ungefähr, der kommt nicht aus Parlamentsbeschlüssen, der kommt nicht aus Verbandsresolutionen, sondern der folgt aus der Tatsache, daß mehr gespart wird und daß dem Steuerzahler mehr Eigenkapital für diese Aufgaben verbleibt.
Das ist eine erfreuliche Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von privaten, d. h. wirtschaftlichen und öffentlichen Investitionen, die ich vorhin stellte. Ich glaube, diese Antwort sollten wir uns bei der weiteren Diskussion durchaus merken.
Ich bin nicht in diesem Bereich.
Angesprochen werden muß noch die Frage der Einführung von Gleitklauseln dort, wo man sich gegen Veränderungen der Kaufkraft besonders sichern zu müssen glaubt.
An vielen Stellen ist heute diese Tendenz zu beobachten. Ich kann mit allem Ernst, der überhaupt möglich ist, nur darauf aufmerksam machen: man weiß den ersten Schritt, man weiß aber nicht den letzten und den zweiten auch schon vielleicht nicht. Was heißt denn Gleitklauseln? Gleitklauseln sind an vielen Stellen, wenn es sich um sehr lange Fristen handelte, immer wieder herangezogen worden.
Ich begrüße den Appell des Bundeswirtschaftsministers, mit den Gleitklauseln keinen Mißbrauch zu treiben. Es ist Mißbrauch, wenn in sehr kurzen Zeiträumen eine Gleitklausel vereinbart oder oktroyiert wird. Das sind Dinge, die für langfristige Planungen ihre Berechtigung haben mögen, insbesondere wenn es sich um verschiedene Währungsgebiete handelt, um große Exportaufträge, die auf viele Jahre hinaus geplant werden müssen. Aber wenn hier im Inland in ganz kurzen Zeiträumen mit solchen Klauseln gearbeitet wird, kann ich nur von einem Sündenfall sprechen, der zu Konsequenzen führt, die wohl keiner von denen, die die Vereinbarung getroffen haben, wahrhaben möchte.
Ich darf hier einmal die dringende Bitte aussprechen, dahin zu wirken, daß auf allen Sektoren der Wirtschaftspolitik, der Geld-, Kredit- und Sozialpolitik, nicht nur in der Lohnpolitik der Sozialpartner, sondern auch bei allen öffentlichen Stellen durch entsprechende Überlegungen der Gleichklang der Maßnahmen, den wir für die Lösung dieses schwierigen Problems benötigen, herbeigeführt wird.
Es gibt — das sollte man sich in jedem Sektor vor Augen halten — keinen Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung, der ungestraft ausgeklammert werden kann aus Entscheidungen, die der Stabilität unseres Rechnungs- und Tauschwertes, d. h. der Währung, dienen, weder die Lohnpolitik der Tarifpartner noch die staatliche Sozialpolitik, weder die Agrarpolitik noch die Finanzwirtschaft des Staates und seiner Gebietskörperschaften. Wer mit anderen zusammen im Boot sitzt, kann seine Angel nur über den Rand des Bootes werfen. Er kann aber nicht den Kahn anbohren, urn durch ein solches Loch eine weitere Angel auszuwerfen.
Das ist, glaube ich, eine Kennzeichnung der Situation, in der sich alle bei uns heute befinden.
— Über Bord wird im Augenblick niemand geworfen. Wir sorgen nur dafür, verschiedene Bohrer Ihnen und anderen aus der Hand zu nehmen!
— Nein, verzeihen Sie, Sie haben wahrscheinlich
— der „Spiegel" ist natürlich interessanter, ich kann das verstehen — zunächst hier gelesen und dann plötzlich aufgehorcht!
Das Problem, das ich hier wirklich noch einmal mit allem Ernst ansprechen muß, ist — ich habe es in Berlin schon erwähnt — die weitere Verschlechterung unseres Arbeitskräftepotentials. Ich sehe hier einen wirklichen Engpaß, ein wirkliches Problem, das ich noch stärker bewerten möchte als das Problem, das sich aus unserer Exportsituation, aus der Divergenz zwischen innerem Preisniveau und Auslandspreisniveau ergibt. Das Problem des Arbeitskräftepotentials ist inzwischen international untersucht worden. Ich verweise auf den Wirtschaftsbericht der Europäischen Wirtschaftskommission — es ist der Bericht für das letzte Jahr—, worin sehr eindringlich dargelegt wird, daß die Entwicklung der berufs- und erwerbsfähigen Bevölkerung in der Bundesrepublik von 1956 bis 1971 an letzter Stelle unter allen verglichenen Länder stehen wird. Die jährliche Veränderung im Hundertsatz der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren wird nämlich in der Bundesrepublik und in Österreich in diesen Jahren negativ sein, sie wird also nach unten gehen, während alle anderen Länder, die Niederlande, Finnland, Dänemark, Norwegen, Italien, Schweden, Frankreich, Großbritannien und die Schweiz eine Zunahme der erwerbsfähigen Bevölkerung haben werden. Ich glaube, ein großer Teil der Unruhe gerade draußen in der Wirtschaft und die Tatsache, daß Investitionen vorgenommen werden, um Arbeitskräfte zu sparen, gehen auf die Erkenntnis dieser Situation zurück. Wir sollten nicht sagen, das sei Zweckpessimismus oder wie man es sonst nennt, sondern wir sollten alle gemeinsam sehen, daß das Arbeitskräftepotential der deutschen Volkswirtschaft in den nächsten Jahren, d. h. auf 15 Jahre hinaus, das stärkste Handikap, das stärkste Hemmnis des Gleichschritts unserer Wirtschaftsentwicklung mit der der anderen Länder sein wird.
— Verzeihen Sie, lieber Herr Altmaier! Ich darf Sie daran erinnern, daß die verglichenen Länder diese günstige Entwicklung haben, nachdem sie bereits ihrer Verteidigungsverpflichtung in der freien Welt nachkommen.
Das verschärft das Problem für uns noch.
An dieser Stelle eine kritische Frage. Es ist die Frage, die der ganzen Diskussion zugrunde liegt. Reicht das Instrumentarium unserer Konjunktur- und Wirtschaftspolitik für diese Aufgabenstellung aus?
Was auf der Bundesebene bisher am schärfsten eingegriffen hat, ist die Geld- und Kreditpolitik der Bank deutscher Länder. Wenn aber die öffentliche Hand über ein Drittel des Sozialprodukts für sich in Anspruch nimmt und darüber disponiert, wenn sie Kassenüberschüsse hat, auf Grund derer sie eine erhebliche Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt und von den Kosten des Zinses erlangt, dann wird an dieser entscheidenden Stelle das Instrument der Notenbankpolitik abgestumpft.
Ich glaube, ein nicht unerheblicher Teil der Kritik gerade aus den Reihen derer, die nun durch Kreditbeschränkungen betroffen worden sind, geht darauf zurück, daß man von der Bank deutscher Länder bisher keine sehr klare, zumindest keine beruhigende Antwort gerade auf diese Frage erfahren hat.
Nun ist wiederholt die Steuerhöhe als Instrument der Konjunkturpolitik in dem Sinne erwähnt worden, daß die Stillegung von Kaufkraft durch Steuern auch einen bestimmten Dämpfungseffekt in der Nachfrage bei den Investitionsvorhaben bewirke. Wir wollen durchaus nicht verneinen, daß man durch Nachfragedämpfung mit Hilfe von Steuerüberschüssen einen konjunkturellen Effekt erzielen kann. Eine Bejahung dieser Funktionsmöglichkeit entbindet uns aber nicht davon, die Frage zu stellen, wohin dann diese Vermögensbildung geht. Die Funktion, die hier angestrebt wird, hat sicher nur eine augenblickliche Disposition mit diesen Geldern zum Gegenstand. Aber sie will keinesfalls oder sollte jedenfalls dadurch nicht eine unwiderrufliche Vermögensbildung herbeiführen.
Wenn wir also die Möglichkeit bejahen, daß mit der Steuerhöhe und auch mit der Steuersenkung bestimmte wirtschaftspolitische Effekte erzielt werden können, dann müssen wir die Frage stellen, wie wir die Kaufkraftminderung oder Kaufkraftbindung beim Steuerzahler erreichen können, ohne ihm die mögliche Vermögensbildung aus diesen Beträgen zu verweigern. Diese Frage muß heute an alle Instanzen gestellt werden. Die Tatsache allein, daß Überschüsse vorhanden sind, daß vereinnahmte Steuergelder nicht zur Ausgabe gelangen, genügt nicht. Wir müssen allen Ernstes neu durchdenken, welcher Weg gefunden werden kann, um den Effekt der Kaufkraftbindung zu erreichen, ohne dadurch die Vermögensbildung beim Steuerzahler zu beeinträchtigen. Ich glaube, daß der Vorschlag, der sich im Regierungsprogramm befindet, wonach eine wesentliche Verstärkung der Steuerbegünstigung für das Sparen angestrebt wird, an dieser Stelle der richtige ist.
Ich muß noch einmal auf die Zollpolitik eingehen. Ich bezweifle, daß durch Zollsenkungen, auch wenn sie wirklich in globaler Weise erfolgen sollten — Sie wissen, daß wir uns für eine stärkere Differenzierung ausgesprochen haben —, ein entscheidender Effekt erzielt werden kann. Hier spielt einmal das unterschiedliche Preisniveau bei uns und in anderen Ländern eine Rolle. Außerdem sind wir im Vergleich zu anderen Ländern im Abbau unserer Einfuhrbeschränkungen und Zölle und in der Liberalisierung schon so weit vorgeschritten, daß hier wirklich nicht mehr allzuviel zu holen ist.
Hier kann, glaube ich, mit Recht gesagt werden: Ja, aber die Agrarzölle! Dazu ist zu sagen, daß in
dieser allgemeinen Entwicklung auch die Landwirtschaft dem Problem gegenübersteht und, soweit ich sehe, es auch richtig erkennt, daß die Stabilität des deutschen Preisniveaus gegenüber der steigenden Nachfrage im ganzen nur durch erhöhtes Güterangebot gewährleistet werden kann. Ich verweise auf die starke Steigerung landwirtschaftlicher Einfuhren, die durchaus zeigt, daß man hier auf dem richtigen Wege ist. An dieser Stelle darf, glaube ich, ein Appell ausgesprochen werden: die Einfuhr- und Vorratsstellen haben auch den Auftrag, zur Stabilisierung des inländischen Preisniveaus entscheidend beizutragen, und sie seien hiermit an diesen Auftrag erinnert.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige kurze Bemerkungen zu den Ausführungen im Regierungsprogramm machen. Ich habe vorhin schon klargestellt: bei wachsender Nachfragesteigerung und Zunahme der Kaufkraft — die Einkommenswelle ist noch nicht zum Stillstand gekommen, sie hat im letzten Jahr ganz erheblich ausgeschlagen, stärker als im Jahre vorher — kann es nur heißen, das Güterangebot wesentlich zu verstärken. Das bedeutet, daß auch die eigene, innere Güterproduktion wesentlich ausgeweitet werden muß. Es wird wiederholt auf Amerika verwiesen, wo seit vielen, vielen Jahren eine wesentliche Produktivitätssteigerung zu beobachten ist. Dann müssen Sie allerdings auch bejahen, daß wir in die Technik unserer Abschreibungen endlich die Kontinuität in der Anwendungsmöglichkeit der degressiven Abschreibungen hineinbringen, die die amerikanische Wirtschaft seit Jahren auszeichnet.
Der ständige Zwang und Drang, zu rationalisieren und Rationalisierungsinvestitionen vorzunehmen, ist doch drüben auf das engste mit einer kontinuierlichen, auf relativ kurze Zeiträume zusammengedrängten degressiven Abschreibungstechnik verbunden.
Ich glaube, Überhitzungserscheinungen im Investitionssektor sind bei uns in den letzten Jahren mit dadurch verursacht worden, daß wir allzu häufig kurzfristig die Abschreibungstechnik oder die Abschreibungsmöglichkeiten geändert haben. Kontinuität an dieser Stelle ist aber eine wesentliche Voraussetzung. Daher begrüßen wir die Erklärung der Bundesregierung, an den degressiven Abschreibungen im Augenblick nicht zu rütteln.
— Verzeihung! Herr Atzenroth, Sie sagen: „Im Augenblick?" Man könnte ja auch sagen, es müsse eine noch stärkere Begünstigung der Abschreibung erfolgen. Darauf möchten wir im Augenblick verzichten, um auch hier die Kontinuität zu wahren.
Die Verfeinerung, habe ich vorhin schon gesagt, in der Beobachtung der Investitionstätigkeit erscheint uns dabei dringend geboten, insbesondere um diesen Sammelbegriff, der öffentliche und private Investitionen, insbesondere die produktiven Investitionen, zusammenfaßt, aufzulösen. Wenn die Bundesregierung bei der von ihr angekündigten stärkeren Beobachtung der Investitionstätigkeit sich gerade dieser Aufgabe zuwendet, wird es von uns sehr begrüßt werden.
Wir bejahen ebenfalls die Zurückhaltung in der Gewährung von Bürgschaften. Hier ist nicht nur die Bundesregierung angesprochen, sondern hier sind natürlich auch andere öffentliche Instanzen — ich erwähne die Landesebene — angesprochen. In der Funktion als Geldgeber oder Bürgschaftsgeber kann der Staat dämpfend oder belebend wirken.
Zu den öffentlichen Investitionen habe ich mich vorhin schon kurz geäußert. Ich glaube, daß ich es nochmals wiederholen muß. Es liegt mir völlig fern, die Notwendigkeit der öffentlichen Investitionen an solchen wichtigen Stellen wie Sozialer Wohnungsbau, Schulbau, Straßenbau, Bundesbahn usw. zu bestreiten. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Bau eines Verwaltungsvorhabens, eine reine Repräsentationsangelegenheit, nur einen ganz geringen Prozentsatz des Bauvolumens ausmacht. Es kommt entscheidend auf die Frage an, ob dieses Mehr am örtlichen Baumarkt zu einer Störung des Baumarktgeschehens beiträgt oder nicht. Hier kann nur eine regionale, eine ganz stark differenzierte, ich möchte sogar sagen, eine örtliche Überprüfung stattfinden. Ich hoffe, daß es gelingt, die hierfür vorgesehene Zusammenarbeit auf freiwilliger Grundlage, die Bildung eines Gemeinschaftsausschusses, so schnell in die Tat umzusetzen, wie es konjunkturpolitische Entscheidungen tatsächlich verlangen.
Wir schließen uns dem Bedauern an, das der Herr Bundeswirtschaftsminister hier zum Ausdruck gebracht hat, daß das Grundgesetz zur Zeit keine rechtliche Handhabe zur Erreichung dieses Zieles bietet, einen unmittelbaren Einfluß der Bundesverantwortlichkeit auf die Investitionspolitik der gesamten öffentlichen Körperschaften zu enwickeln.