Rede von
Dr.
Heinrich
Deist
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Hellwig, wir haben in Deutschland im Jahre 1955 gegenüber 1954 eine Lohnsteigerung von 7,5 % gehabt und — ich lasse nun allen theoretischen Streit über die Berechnung des Produktivitätszuwachses und über die Brauchbarkeit dieser Ziffer, die ja sehr bestritten ist, beiseite; ich nehme sie mal so, wie sie war — eine Produktivitätssteigerung um 5,5 %. Dabei dürfen Sie allerdings nicht vergessen — das wird meist vergessen —, daß wir in diesem Jahr eine Steigerung der Lebenshaltungskosten von rund 2 % hatten, daß also die Lohnsteigerung real 5,5 % betrug und die Produktivitätssteigerung auch 5,5 %.
Aber das ist noch nicht alles, Herr Kollege Hellwig. Vom Jahre 1949 bis 1955 betrug die Steigerung der Löhne nach diesen Berechnungen 50 %, unter Berücksichtigung der Kaufkraftverminderung durch die Steigerung der Lebenshaltungskosten real etwa 44 bis 45 %, und die Produktivitätssteigerung im gleichen Zeitraum betrug rund 58 %.
Herr Kollege Hellwig, in diesen sechs Jahren ist die Produktivitätssteigerung wesentlich größer gewesen als die Lohnsteigerung. Da können Sie ein bißchen heraufrechnen und ein bißchen herunterrechnen; an dem Tatbestand läßt sich nichts mehr ändern.
— Dann verfügen Sie über andere Zahlen als ich. Wir können uns noch darüber unterhalten. Meine stammen aus wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen.
— Sie haben hoffentlich nicht vergessen, die Minderung der Kaufkraft durch den Lebenshaltungskostenindex zu berücksichtigen.
Nun eine dritte Bemerkung. Hier ist von der Regierungsbank und dann von Herrn Hellwig gegen die Bindung der Lohnentwicklung an einen Index, den Lebenshaltungskostenindex gewettert worden. Ich möchte keinen Zweifel darüber lassen, daß auch wir Sozialdemokraten eine Indexlöhnung für eine unglückliche Sache halten und sie ablehnen würden.
Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, das, was in der Metallindustrie vereinbart worden ist, ist doch alles andere als eine Indexlöhnung.
Vielleicht muß ich Ihnen das noch etwas deutlicher machen. Was ist da geschehen? Im Zusammenhang mit einer Lohnerhöhung und der Arbeitszeitregelung ist beschlossen worden, daß der Tarifvertrag hierüber bis zum 31. Dezember 1957 nicht kündbar ist. Das heißt, die Gewerkschaften haben darauf verzichtet, bis 1957 Lohnerhöhungen vorzunehmen. Für eineinhalb Jahre, Herr Bundeswirtschaftsminister! Ich weiß nicht, ob das in den Rahmen der „Maßlosigkeit" gehört oder ob das nicht doch ein Zeichen hoher volkswirtschaftlicher Verantwortung ist, das darin zum Ausdruck kommt.
Nun zu Ihrem berühmten Index. Was steht in diesem Vertrage? In dem Vertrag steht: Wenn die Lebenshaltungskosten — ich füge hinzu, was nicht drinsteht: insbesondere durch die Preistätigkeit der Bundesregierung — im Laufe dieser Zeit um 3,5 Punkte steigen sollten, dann muß erneut verhandelt werden.
Meine Damen und Herren, kann man das als eine Indexregelung bezeichnen? Ist es nicht eine Vorsichtsmaßnahme, daß man sagt: wenn ich schon eineinhalb Jahre stillhalte, aber in der Zwischenzeit die Währung ausgehöhlt wird und die Kaufkraft sinkt, dann müssen wir uns zu einem bestimmten Zeitpunkt erneut unterhalten!? Ich wehre mich dagegen, daß diese Lösung mit der Diffamierung verbunden wird, daß damit eine Indexlöhnung eingeführt sei.
Meine Damen und Herren, dann ein letzter Punkt — außer sonstigen Ratschlägen kann ich nicht viel mehr entdecken —: Die Haushaltspolitik. Da steht also kräftig unterstrichen: Wir dürfen keine Kassendefizite machen. Ich muß sagen: bravo, bravo! Leider ist das Problem, mit dem wir zu tun haben, im Augenblick das Problem der Kassenüberschüsse. Die Frage, die hier zur Debatte steht, ist aber doch eine andere, nämlich, ob der Herr Bundesfinanzminister und die Regierung bereit sind, zu sagen: Alle Ausgaben, die auf uns zukommen, werden im Hinblick auf die konjunkturpolitische Situation nur aus laufenden Einnahmen gedeckt. Das heißt, für laufende Ausgaben wird auch der Juliusturm nicht verwendet, soweit es sich um Ausgaben auf dem inneren Markt handelt. Daß Sie dieses Problem in der Erklärung der Bundesregierung überhaupt nicht angeschnitten haben, scheint mir ein schwerer Mangel und konjunkturpolitisch sehr gefährlich und bedeutsam zu sein.
Meine Damen und Herren, wenn ich nun rückschaue, was in der Regierungserklärung eigentlich drinsteckt und was nicht drinsteckt, dann muß ich feststellen: an konkreten Maßnahmen sind darin erstens eine unzulängliche Zollsenkung, die für eine Vergrößerung des Angebots auf dem deutschen Markt keine entscheidende Bedeutung haben kann, zweitens das steuerbegünstigte Sparen, wo wir einmal abwarten müssen, auf welche Vorschläge sich die Bundesregierung noch im Laufe der Zeit einigen wird, und drittens die konjunkturpolitische Regelung der Teilzahlungen.
Ich möchte Ihnen vorschlagen, diesen letzten Antrag sofort anzunehmen; dann ist dieser Punkt erledigt. Die Zollsenkung haben Sie sowieso schon erledigt. Für die Regelung des steuerbegünstigten
Sparens brauchen Sie vielleicht noch einige Zeit. Dann können wir die ganze Konjunkturdebatte abschließen und das Konjunkturprogramm beiseite legen — denn mehr ist an Konkretem nicht drin —, und dann können wir uns über das unterhalten, was in Ihrer Regierungserklärung fehlt. Das sind folgende Dinge, meine Damen und Herren. Es fehlt die Behandlung der degressiven Abschreibung. Es fehlen eindeutige Maßnahmen gegen die zur Zeit wieder festzustellenden Preissteigerungstendenzen. Es fehlt die Behandlung der Kassenreserven im Juliusturm mit seinen ungeheuren Gefahren. Es fehlt überhaupt die Behandlung des ganzen Problems der Rüstungswirtschaft.
Wenn ich von diesen Dingen absehe, Herr Bundeswirtschaftsminister, dann gibt es nur noch zahlreiche Appelle an alle Kreise der deutschen Bevölkerung zu konjunkturbewußtem Verhalten, zum Maßhalten. Wir sind anscheinend nicht einer Meinung über den Wert solcher Appelle, soweit ich Ihre Regierungserklärung gelesen habe. Aber in der Vergangenheit haben doch diese psychologischen Appelle mit einem eindeutigen Fiasko geendet. Und ich frage mich, Herr Bundeswirtschaftsminister, wann wird man in der Bundesregierung einsehen, daß die Zeit der großen Medizinmänner und Zauberer endgültig vorbei ist und daß es auf Handlungen ankommt.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir diese Dinge so ansehe — mir ist keine andere Wertung des Konjunkturprogramms möglich —, dann scheint mir eines besonders bedenklich an dieser Regierungserklärung; und das ist der Wandel der Einstellung der Bundesregierung zur Frage der Geldwert- und der Preisstabilität. Ich bitte, meine Damen und Herren, dazu einige Ausführungen machen zu dürfen, weil ich das wirklich für einen entscheidenden Punkt halte.
Im ersten Konjunkturprogramm vom Oktober vorigen Jahres war noch folgender Satz zu finden: Die Rentner werden von jeder Preissteigerung auf das härteste betroffen. Sie dürfen nicht verraten und enttäuscht werden." Das heißt: Stabilisierung des Preisniveaus, Herr Hellwig, nicht Stabilisierung jedes einzelnen Preises; darüber sind wir völlig einig.
Aber das Niveau muß gleichbleiben.
Es ist ein Zweites in dieser Regierungserklärung enthalten gewesen. Die Regierungserklärung hat sich nämlich gegen jene gefährliche These gewandt, daß eine leichte fortdauernde Verdünnung der Kaufkraft sogar als wertvoller Konjunkturimpuls gelten könne.
- Ich bitte mir zu gestatten, daß ich zunächst einmal meinen Gedankengang zu Ende führe. Das ist nicht entscheidend, ob Sie etwas dagegen gesagt haben; entscheidend ist, was in der Regierungserklärung fehlt, Herr Bundeswirtschaftsminister!
Dann erschienen folgende Punkte in der Regierungserklärung: Es sollen Preissenkungen herbeigeführt werden. Die Bundesregierung bleibe bemüht, staatlich gebundene Preise und Tarife nicht zu erhöhen. Es solle eine Preissenkung durch Verbrauchsteuersenkung erfolgen.
Wir wissen, daß alle diese Maßnahmen keinen Erfolg gehabt haben. Aber das Entscheidende ist doch, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß hier sehr deutlich die Erhaltung eines stabilen Preisniveaus als Grundgedanke des ersten Konjunkturprogramms herausgestellt wurde.
Sehen wir uns nun das zweite Konjunkturprogramm, die Regierungserklärung vom letzten Freitag an. Ich erinnere dabei an das, was ich bereits am Freitag in der Begründung unserer Anfrage gesagt habe. In diesem Konjunkturprogramm wurde dargestellt, daß die Erhöhung der Lebenshaltungskosten um 4 bis 5 % in den letzten zwei Jahren doch nicht so tragisch zu nehmen sei. Ja, es wurde gesagt, die Steigerung von 1950 bis heute um 13 % sei kein Grund, zu dramatisieren. Und dann stand darin, daß 4 bis 5 % Steigerung in den letzten beiden Jahren doch nur ein Ausgleich für die vorhergehenden Preissenkungen gewesen seien. Man kann das auch anders darstellen. Man kann nämlich sagen, daß der Stand 1951 um 13 % höher war als vor der Koreakrise, daß es dann gelungen war, mit steigender Konjunktur diesen Stand wieder um etwa 4 °/o zu senken, und daß diese Senkung nun glücklich wieder restlos zum Teufel ist. Wir haben wieder diesen um 13 % höheren Stand. Und so wird es jetzt möglicherweise auf erhöhter Stufe weitergehen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, mir kommt es nicht darauf an, hier zu sagen: „Wir werden die und die Preissteigerungen bekommen" oder hier zu dramatisieren. Wichtig aber ist, daß Sie jetzt diese Entwicklung bagatellisieren und sie beinahe als eine Selbstverständlichkeit hinnehmen, die jedenfalls ein nicht sonderlich tragisch zu nehmendes Element darstelle.
An anderer Stelle dieser Regierungserklärung heißt es, Herr Bundeswirtschaftsminister:
Die starke Zunahme der Beschäftigung und der Lohnanstieg bringen eine so kräftige Belebung der Letztverbrauchernachfrage mit sich, daß sich seit einigen Monaten auch bei den bis dahin verhältnismäßig ruhigen Konsumgütern gewisse leichte Preiserhöhungen abzeichnen.
Ich will jetzt von der Formulierung absehen, daß es die Nachfrage sei — das heißt, die Löhne —, die dafür gesorgt habe, daß diese Preise auf dem Konsumgütermarkt gestiegen sind. Richtiger wäre vielleicht, zu sagen, daß der beginnende Käufermarkt den Unternehmern der Konsumgüterindustrie die Möglichkeit gegeben hat, höhere Preise zu erhalten. Aber davon will ich im Augenblick einmal absehen. Entscheidend ist doch, daß auch diese Formulierung wieder so weit geht, die Preiserhöhung gewissermaßen als natürliche Folge dieser Nachfragesteigerung hinzustellen, die gewissermaßen als selbstverständlich hingenommen wird.
Dann heißt es an einer anderen Stelle, Herr Bundeswirtschaftsminister, gewisse Preisschwankungen —nicht Einzelpreisveränderungen, sondern Schwankungen des Preisniveaus — seien der Sozialen Marktwirtschaft adäquat, die es durch ihre Dynamik und Ergiebigkeit ermöglicht habe, daß erhöh-
ten Preisen gegenüber das Realeinkommen doch noch sehr viel stärker angestiegen sei. Jetzt kommt es also gar nicht mehr auf die Nominaleinkommen und auf die. Preissteigerungen an, sondern jetzt, nachdem die Verhinderung der Preissteigerungen nicht gelungen ist, liegt der Hauptton der Regierungserklärung auf den Realeinkommen.
Im Teil 5 heißt es schließlich:
Dieses ... Konjunkturprogramm ist ... geeignet, das Verhältnis zwischen Gesamtnachfrage und Gesamtangebot in unserer Volkswirtschaft zu verbessern und damit den Preisauftrieb abzudämmen,
— man höre die vorsichtige Formulierung —
ohne daß ... das Wachstum der Realeinkommen
— von Preisen ist gar keine Rede mehr —
und des Lebensstandards behindert und die
Vollbeschäftigung gefährdet werden müßten.
Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn ich mir im Zusammenhang damit die tiefsinnigen Ausführungen der Regierungserklärung über die längerfristige Geldstabilität — nicht mehr Geldstabilität heute, sondern längerfristige Geldstabilität — ansehe und mir überlege, daß die längerfristige Geldstabilität nach den Ausführungen der Regierungserklärung durch die Lebenshaltungskostensteigerung um 13 % seit 1950 nicht beeinträchtigt ist, dann muß ich sagen, es scheint mir das eine ganz gefährliche Tendenz zu sein, die in dieser Regierungserklärung zum Ausdruck kommt.
Damit stimmt überein, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß an keiner Stelle dieses Regierungsprogramms — wie im ersten Programm — ein Wort über mangelnde Preisdisziplin enthalten ist, daß keine Forderung nach Preissenkung vorhanden ist und daß kein Wort darüber gesagt worden ist, daß die staatlich gebundenen und manipulierten Preise stabil gehalten werden sollen. Nur an einer einzigen Stelle haben Sie etwas verklemmt davon gesprochen, daß die Markt- und Einfuhrpolitik mit Ernst und Nachdruck darauf gerichtet werden müsse, daß der Preisanstieg für Lebensmittel verhindert werde. Wir kennen die Erfahrungen gerade mit der Preispolitik auf dem Nahrungsmittelgebiet, so daß Sie verstehen können, wie wir den Wert einer solchen vorsichtig abgefaßten Erklärung einschätzen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit ergiebt sich mit einem Wort die Frage, ob sich die Bundesregierung wirklich mit der durch die langsame Preissteigerung verursachten Aushöhlung der D-Mark abgefunden hat. Wenn das der Fall wäre, wäre das eine höchst bedenkliche Note unserer Konjunkturpolitik.
Herr Bundeswirtschaftsminister, diese Tendenz hat auch die Öffentlichkeit gemerkt. Der Herr Bundeskanzler, der so sehr bemüht ist, die feste Währung Deutschlands in den Vordergrund zu stellen, hat in demselben Zusammenhang dargelegt, daß er sehr wohl die Unruhe spüre, die sich in der Bevölkerung wegen der Preissteigerungen rege. Der Herr Bundeskanzler hat sicherlich auch recht, wenn er sagt, daß die Frage der Inflation eine psychologische Frage ist. Aber ich glaube, auch hier sind wir wieder einmal über Psychologie verschiedener Meinung. Wenn der Kanzler sagt, Inflation sei ein
psychologisches Problem, dann muß man dagegen sagen, daß Preissteigerungen bei uns in Deutschland heute psychologisch eine so entscheidende Sache für den ganzen Wirtschaftsablauf sind, daß man diese Preissteigerungen verhindern muß. Es nützt uns nicht sehr viel, wenn ,der Herr Bundeskanzler sagt: Beste Reden über Inflation verhindern keine Inflation. Damit hat er selbstverständlich recht. Aber die besten Reden über die festeste Währung der Welt verhindern nicht den Preisanstieg.
Es war der bekannte Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftspolitiker Professor Albert Hahn, der in einer sehr, sehr lesenswerten Schrift ausgeführt hat:
Nichts ist in der Hochkonjunktur gefährlicher als das allgemeine Gefühl der Sicherheit, daß alles zum besten steht.
— Ich freue mich, daß Sie zustimmen, Herr Bundeswirtschaftsminister; ich würde empfehlen, darüber gelegentlich einmal ein Kolloquium mit dem Herrn Bundeskanzler zu halten.
Die Konjunkturbewußtheit des deutschen Volkes ist eines der wenigen Positiva, die wir in Deutschland haben. Die offene Sorge vor inflationären Entwicklungen ist ein eindeutiges Zeichen eines gesunden Selbstbehauptungswillens, den wir in Deutschland feststellen.
Darum, meine Damen und Herren, halten wir es für sehr gefährlich, wenn der Bundeskanzler den Versuch macht, in seinen Darstellungen über den Wert der Außenwährung, der mit dem Binnenwert der Währung nichts zu tun hat, dieses wache Gewissen einzuschläfern. Das ist nicht nur gefährlich, sondern diese Methode bestärkt uns in der Befürchtung, daß die Bundesregierung sich im Grunde genommen mit einer schleichenden Kaufkraftaushöhlung ausgesöhnt und abgefunden hat. Wir möchten hier, Herr Bundeswirtschaftsminister, eine klare Antwort auf die Frage haben, ob die Bundesregierung bereit ist, für die Stabilität des Preisniveaus alle ihre zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen. Wir möchten, daß diese Antwort klarer ausfällt als die Antwort des Herrn Bundeskanzlers auf die Frage nach der Unabhängigkeit der Notenbank.
Ich habe mich sehr gefreut, daß Herr Hellwig — als Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, nehme ich an — heute zur Frage der Unabhängigkeit der Notenbank eindeutig Stellung genommen hat. Es wäre sehr zu wünschen gewesen, daß der Herr Bundeskanzler sich nicht darauf beschränkt hätte, als Antwort Passagen aus seiner Rede im Gürzenich zu zitieren, aus denen jeder den Unwillen über die Unabhängigkeit der Notenbank herausgelesen hat.
Der Herr Bundeskanzler hat es für zweckmäßig gehalten, dieses unglückliche Zitat als Antwort auf eine so ernstgemeinte Frage zu geben.
Wie gesagt, wir wünschen zur Frage der Preisstabilität eine klarere Erklärung der Bundesregierung.
Nach unserer Auffassung ist die Regierungserklärung deshalb negativ zu beurteilen, weil ihre konkreten Vorschläge unzulänglich sind und weil wichtige Probleme überhaupt nicht behandelt, vielmehr vernachlässigt werden. Deshalb haben wir uns veranlaßt gesehen, in einem großen Antrag unsere Auffassung über die augenblickliche konjunkturpolitische Situation darzulegen. Ich bitte daraus zu entnehmen, daß es uns darauf ankommt, nicht nur von einem großen Bündel zu sprechen und dann drei kleine Maßnahmen vorzuschlagen. Wir haben in diesem Antrag ein wirklich umfangreiches Programm nachhaltiger und ernsthafter Maßnahmen vorgeschlagen. Auf diese Nachhaltigkeit und Ernsthaftigkeit kommt es an. Ich habe sehr den Eindruck, daß man an die Nachhaltigkeit und Ernsthaftigkeit der Maßnahmen der Bundesregierung gerade in Fragen der Konjunkturpolitik in Deutschland nicht mehr glaubt.
Es ist richtig, daß man, wenn Schwierigkeiten aus der Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot entstehen, versuchen muß, dem Problem von beiden Seiten nahezukommen. In bezug auf die Nachfrageseite hat die Bundesregierung einige Vorschläge gemacht, die wir unterstützen: Dämpfung der Nachfrage nach Konsumgütern durch Begünstigung des Sparens — aber, bitte, ernsthafte Maßnahmen, über die man sich verständigen muß —, Behandlung des Teilzahlungsgeschäftes und ähnliche Dinge. Ich darf daran erinnern: über das Teilzahlungsgeschäft haben wir uns bereits im Oktober unterhalten. Es wäre der Bundesregierung durchaus möglich gewesen, sich die entsprechenden Instrumente in der Zwischenzeit zu schaffen, um im gegebenen Augenblick gerüstet zu sein.
Auf der anderen Seite ist die Dämpfung von Investitionsmaßnahmen wichtig. Lassen Sie mich gerade im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Hellwig 'dazu eines sagen. Unsere Investitionsrate ist — natürlich gibt es darüber wieder verschiedene Meinungen; aber die meisten Menschen in Deutschland stimmen darin doch wohl überein —, ungeachtet der Tatsache, daß in ihr der Wohnungsbau eine sehr erhebliche Rolle spielt, unverhältnismäßig hoch. Das ist auch gar nicht verwunderlich; denn wir mußten nach dem Kriege insbesondere zur Beseitigung von Kriegs- und Demontageschäden viel mehr investieren, als es dem normalen Investitionsbedarf entspricht. Das war sicher in der Vergangenheit auch gut. Aber nachdem zumindest ein großer Teil dieser Aufwendungen nachgeholt ist, ist die Investitionsrate nach unserer Auffassung wesentlich überhöht.
Nun darf man daraus natürlich nicht den Schluß ziehen, die Investitionen generell einzuschränken. Es kommt jetzt darauf an, dart zu investieren, wo man mit Rationalisierungsmaßnahmen sehr schnell eine Gütererzeugung hervorbringt, damit man der Nachfrage Angebot entgegenstellen kann.
— Ich freue mich, daß so gewichtige Persönlichkeiten wie Herr Pferdmenges dazu Beifall spenden. Es gibt aber eine Konsequenz, Herr Pferdmenges: dann muß man sich natürlich überlegen, was die Staatsführung tun kann, um dafür zu sorgen, daß die Investitionsmittel an diese Stellen kommen. Etwas anderes hilft da nicht, und die Bundesregierung sollte sich damit weiß Gott einmal befassen. Es gibt die verschiedensten Methoden.
Ich darf gleich vorweg sagen: wir Sozialdemokraten denken nicht daran, mit Investitionsgeboten, mit Investitionsverboten und ähnlichen rigorosen Mitteln vorzugehen; ich glaube, wir alle haben davon genug. Wir wünschen ein solches System nicht, das letzten Endes eben doch irgendwie mit der undemokratischen persönlichen Freiheitsbeschränkung zusammenhängt.
Das möchte ich vorweggeschickt haben.
Aber es gibt andere Mittel. Man kann z. B. das Mittel der degressiven Abschreibung für eine solche Investitionssteuerung einsetzen, indem die degressive Abschreibung nur dort zugelassen wird, wo dieser Effekt einer schnellen Produktionssteigerung erzielt wird. Darum stehen wir auch den ähnlichen Gedanken in einem Antrag der FDP positiv gegenüber. Die FDP möchte hiernach besondere Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in förderungsbedürftigen Gebieten und förderungsbedürftigen Unternehmungen haben. Die Bundesregierung sollte sich einmal überlegen, ob nicht auf diesem Gebiet mit Hilfe der degressiven Abschreibung ein bißchen Investitionspolitik getrieben werden kann, die — ich sehe, darüber sind wir alle einer Meinung — in diesem Augenblick nicht vernachlässigt werden darf.
Ein weiteres wichtiges Gebiet: die öffentlichen Baumaßnahmen. Dieser Frage muß sich die Bundesregierung mit Energie annehmen. Dabei sollte sie also auch einmal prüfen, ob Investitionen in Rüstungsbauten sehr schnell produktive Güter zur Befriedigung der Nachfrage hervorzaubern oder ob das nicht der Fall ist.
— Herr Hellwig, Sie haben vorhin ein weises Wort gesagt. Als davon gesprochen wurde, wie das mit der Einschränkung von Baumaßnahmen für die Rüstung sei, haben Sie gesagt — ich habe Ihnen angekündigt, daß ich diese Bemerkung hier machen würde —, daß dabei übergeordnete Dinge eine Rolle spielen. Darauf erwiderte ich Ihnen, daß ich Sie fragen werde, ob die Stabilität der Währung nicht auch eine übergeordnete Frage ist, die eine Rolle spielt.
— Sie werden mir aber zugeben, daß Sie mich zu dieser Antwort geradezu gereizt haben.
Meine Damen und Herren, in Ergänzung dieser Investitionsdämpfung und -steuerung kommt es entscheidend darauf 'an, daß Wesentliches getan wird, um die Einfuhr zu steigern. Ich will bei dem Thema Steuerung der Investitionen nicht von den öffentlichen Mitteln, von den gesteuerten Haushaltsmitteln, Bürgschaften und all diesen Möglichkeiten sprechen, die natürlich eingesetzt werden müssen. Aber wenn alles das richtig ist, was ich aus den Berichten der Bank deutscher Länder und des Herrn Bundeswirtschaftsministers über die wirtschaftliche Lage zitiert habe, dann müssen eben ganz entscheidende Maßnahmen auf handelspolitischem Gebiet getroffen werden.
Nun hat sich Herr Hellwig wiederholt sehr stark
— und wir unterstreichen das — gegen Überlegun-
gen gewehrt, die auf eine Aufwertung der Mark hinzielen. Ich glaube, wir in Deutschland sind in einer Situation, in der wir jede Manipulation irgendwelcher Art mit der Mark ablehnen und vermeiden sollten.
Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn in Kreisen der Bundesregierung diese Frage erörtert worden ist, — warum denn eigentlich? Doch offenbar deshalb, weil man sich bewußt war, daß man die Diskrepanz zwischen Außen- und Innenmärkten mit handelspolitischen Mitteln sehr schwer überwinden kann. Wenn dem so ist, Herr Bundeswirtschaftsminister, dann muß sich die Bundesregierung bereitfinden, unseren Anträgen stattzugeben, nämlich durchschlagende Maßnahmen zur Erleichterung der Einfuhr einzuleiten. Wir werden — so wie wir diesmal unseren Antrag vom Oktober wiederholt haben — jedesmal, wenn die Situation wieder einmal zeigt, daß Ihre Maßnahmen nicht ausgereicht haben, unseren Antrag auf 40 %ige generelle Zollsenkung vorlegen, die sich nach unserer Auffassung auch auf Agrarzölle zu erstrecken hat.
Nun gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Diskussion am vorigen Freitag einige Worte zu der Frage des Schutzes der Landwirtschaft. Im Rahmen meiner kurzen Ausführungen möchte ich mich auf einige knappe Feststellungen beschränken.
Wir sind der Auffassung — und das haben Sie ja aus unserer Haltung zu dem Grünen Bericht gesehen —, daß die Landwirtschaft in den Bereichen, wo sie der Hilfe bedarf, Unterstützung vom Staat bekommen muß. Aber es ist keineswegs notwendig und auf lange Sicht sogar schlecht, wenn man meint, diesen Schutz durch Preissteigerungen und durch Stützung der Preise mit Hilfe von Zollmaßnahmen herbeiführen zu können. Darum kann ich nicht der Auffassung zustimmen, daß Zollerleichterungen für Agrarerzeugnisse gleichbedeutend mit der Verweigerung des notwendigen Schutzes für die Landwirtschaft seien.
Zugleich darf ich aber auch auf etwas hinweisen, was bisher leider, soweit ich sehen kann, in keinem der offiziellen Berichte steht. Der Preisindex für die Erzeugnisse der Landwirtschaft ist inzwischen so weit gestiegen, daß er nicht mehr hinter dem Preisindex für industrielle Erzeugnisse herhinkt. Diese Schere hat sich inzwischen geschlossen. Inzwischen haben die landwirtschaftlichen Erzeugnisse den Preisindex der landwirtschaftlichen Betriebsmittel erreicht, soviel ich weiß, sogar etwas überschritten. Daraus müssen doch Konsequenzen gezogen werden. Man kann doch wahl die Konsequenz daraus ziehen, daß die Erleichterung der Einfuhr durch Zollherabsetzung nicht den Zustand trifft, wie er damals, zur Zeit der Vorlage des Grünen Berichts, vorlag, sondern daß sie jetzt vielmehr dazu dienen kann, die überhöhten Preise wieder auf ein normales Maß herabzubringen.
Außerdem werden wir immer wieder — ob zu Ihrer Freude, Herr Bundeswirtschaftsminister, oder zu Ihrem Mißfallen, weiß ich nicht recht — den Antrag bringen, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister die Ermächtigung zu geben, bei
passender Gelegenheit Zölle zu senken, damit Einfuhren hereinkommen.
Wir bedauern, daß das Hohe Haus diese Maßnahmen am Freitag unter sehr merkwürdigen Umständen abgelehnt hat.
Wir sind außerdem der Auffassung, daß es in Zukunft notwendig sein wird, die landwirtschaftliche Marktordnung aufzulockern und in einer Weise zu handhaben, daß sie nicht nur der Landwirtschaft dient, sondern auch ihre Aufgabe erfüllt, dem Verbraucher mit Nahrungsmitteln zu niedrigen Preisen zu versorgen.
Das ist die Seite der Angebotssteigerung. Ich möchte wiederholen, daß auf dem Gebiete der Einfuhr das Kernproblem darin liegt, ob man sich zu wirksamen Maßnahmen entschließt oder ob man es bei Feigenblättern beläßt.
Dann muß ich einiges zur Nachfragesteigerung sagen. Wenn wir einmal davon ausgehen, daß im Bundeshaushalt nicht vorgesehen ist, die Ausgaben zu senken — das liegt anscheinend in der Natur der Sache; ich stelle diesen Tatbestand hier nur fest —, dann ist zu sagen, daß jede Ausgabenerhöhung und jede Einnahmensenkung auf dem Markt zusätzliche Nachfrage hervorrufen. Ich habe Ihnen vorhin gesagt, welche Posten das sind. Es sind die Rentenerhöhung, die Steuersenkung und die Rüstung. Das macht im Jahre etwa — ich glaube, die Größenordnung gebe ich nicht falsch an — 8 bis 10 Milliarden DM, die zusätzlich über Steuersenkung bzw. Ausgabenerhöhung als Verbrauch aus staatlichen Ausgaben herauskommen.
Das Nettosozialprodukt — das ist also das Angebot an Gütern und Leistungen, das dieser zusätzlichen Nachfrage gegenübersteht — hat sich im Jahre 1955 gegenüber 1954 um 12 % gleich 14 Milliarden DM, erhöht. Wenn wir für 1956 — das tun die meisten, die sich mit diesen Dingen befassen — mit einer Erhöhung des Nettosozialproduktes um 8 % rechnen, dann ergibt das ein zusätzliches Angebot von 8 bis 9 Milliarden DM. Darin sind — jetzt schlagen Sie mich nicht tot; das möchte ich nicht gern —
2, 3 oder 4 Milliarden im Inland erzeugter Rüstungsgüter enthalten. Dann aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, steht einer Nachfrage aus Kassenausgaben des Bundes von 8 bis 10 Milliarden DM im Jahr ein Angebot von Gütern von rund 5 Milliarden DM gegenüber, die verbraucht oder investiert werden können. Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist eine Rechnung, die Sie als global bezeichnen können, die aber in dieser Globalität zweifellos stimmt.
Da gibt es nur eine Konsequenz: die deutsche Wirtschaft kann Rentenerhöhung, Steuersenkung und schnellen Aufbau der Rüstungswirtschaft, wie er von Ihnen geplant ist, zusammen einfach nicht verkraften.
Meine Damen und Herren, hier rächen sich drei Fehler auf einmal. Es rächt sich einmal der Fehler, daß Sie die überfällige Rentenerhöhung fünf Jahre hinausgezögert haben, anstatt sie früher zu
bringen, als es konjunkturpolitisch völlig ungefährlich war.
Es rächt sich weiter, daß Sie zwei, drei, vier Jahre lang Kassenüberschüsse angesammelt haben, die Sie viel zweckmäßiger in der Wirtschaft hätten verwenden können. Drittens rächt sich, daß Sie aus übergeordneten Gesichtspunkten die Rüstung in einer Frist durchführen wollen, deren Einhaltung unsere ganze Wirtschaft in große Gefahren bringt.
Darum, meine Damen und Herren, — das geht also nicht nur die Regierung, sondern das geht jeden in diesem Hause an —, stehen Sie aus rein wirtschaftlichen Gründen — lassen Sie einmal alle außenpolitischen Überlegungen beiseite — vor der Entscheidung — und die nimmt Ihnen niemand ab —, ob Sie eine Rentenerhöhung wie geplant oder ob Sie die Rüstung in der Form durchführen wollen, wie Sie das vorhaben.
Manchmal kommt es einem vor, als wenn schlechte Vorbilder gute Sitten verderben. Adolf Hitler hat damals in drei Jahren 500 000 Mann Soldaten aufgestellt. Das war nach der Krise der Jahre 1929/30. Er begann im Jahre 1933, als wir in Deutschland über riesige freie Produktionskapazitäten verfügten, als in den Unternehmungen große Vorratsläger vorhanden waren und als wir eine Arbeitslosenreserve von, wenn ich nicht irre, 6 Millionen Mann hatten. Bei dieser Situation ließ sich bis zum Jahre 1937 mit Krediten und ähnlichen Methoden die Rüstung durchführen, ohne daß die Wirtschaft gefährdet wurde. Als aber im Jahre 1937 der Zeitpunkt erreicht war, in dem die deutsche Wirtschaft durch diese Rüstung voll beschäftigt war, da begann die inflatorische Entwicklung, die wir dann bis zum bitteren Ende haben mit durchmachen müssen.
Heute beginnen wir in Deutschland im Zeitpunkt der Vollbeschäftigung, ohne Produktionsreserven, ohne Arbeitslose, ohne große Vorräte, in dem gleichen rasanten Tempo 500 000 Mann mit einem viel größeren materiellen Potential aufzustellen, als es damals notwendig war.
Das sind Probleme, die auf Sie genauso wie auf uns zukommen. Je später Sie die Entscheidung fällen, ob Rentenerhöhung oder Rüstung, und die Dinge einfach schleifen lassen, um so schwieriger wird sie sein. Darum ist unser Antrag bitter ernst gemeint. Wir möchten von der Bundesregierung einmal das Material vorgelegt bekommen, aus dem zu entnehmen ist, daß die deutsche Wirtschaft neben Rentenerhöhungen und neben Steuersenkungen zusätzlich diese rüstungswirtschaftlichen Maßnahmen verkraften kann.
Wir wünschen, daß, soweit das nicht möglich ist, die in Angriff genommenen Bauten gestoppt und vorgesehene Maßnahmen nicht durchgeführt werden.
Dann haben wir uns in unserer Vorlage weiter mit dem Preisproblem beschäftigt. Sie werden nach dem, was ich vorhin gesagt habe, verstehen, warum. Die alte klassische Vorstellung, daß in Zeiten der Hochkonjunktur und der Knappheit Preiserhöhungen auf der einen Seite zu einem Rückgang der Nachfrage, auf der anderen Seite durch Gewinnsteigerung bei den Unternehmungen zur Produktionssteigerung führen, stimmt in Zeitläufen wie heute nicht. Die langsame stetige Preissteigerung, die wir haben, führt zu einer Erhöhung der Nachfrage; denn jeder befürchtet, daß, wenn er z. B. in drei, vier Monaten einen Hausbau vergibt, die Preise für Baustoffe und für Baumaßnahmen dann weiter gestiegen sein werden.
Daher kommen die kurzen Termine, von denen Herr Hellwig gesprochen hat. Diese Preissteigerungen führen also zu der Überhitzung der Bauwirtschaft, sie führen dazu, daß heute Investitionen, die nicht notwendig sind, vorgenommen werden, weil sie möglicherweise in einem Jahre 10 % teurer sind, und sie führen auch dazu, daß über Abzahlungsgeschäfte Konsumgüter in großem Umfang eingekauft werden und allmählich die Neigung, Geld auf die Sparkasse zu bringen, immer mehr absinkt. Sie sehen — und das ist die psychologische Bedeutung einer solchen Entwicklung, wie wir sie heute zu verzeichnen haben —, daß diese schleichende Preiserhöhung nicht zu einer Bereinigung, sondern nur zu einer immer weiteren Verschärfung der Spannungen führt.
Darum sind wir der Auffassung, daß dieses Problem der Preisstabilität das Kardinalproblem ist. Ich wiederhole: wir wollen nicht starr festhalten an den einzelnen Preisen à la Preisstopp, sondern mit wirtschafts- und finanzpolitischen und mit sonstigen Maßnahmen dafür sorgen, daß das Preisniveau auf gleicher Höhe bleibt. Wir wehren uns weiter gegen die gefährliche These, daß eine langsame Preissteigerung und eine langsame Aufweichung der Währung keine gefährliche Angelegenheit sei. Da hilft die bisherige Methode der Bundesregierung, großen Worten kleine Taten folgen zu lassen, in keiner Weise. Es muß endlich einmal aufhören, daß die staatlich festgesetzten Preise weiterhin gesteigert werden. Ich hoffe, daß auf die Einwendungen, die Herr Kollege Hellwig heute gemacht hat, zu anderer Zeit mein Kollege Kriedemann eingehen wird; ich muß darauf verzichten, weil ich sonst meine Zeit allzusehr überschreite.
Damit die Preisdisziplin erreicht wird, ist nach unserer Meinung folgendes erforderlich: Die Verbrauchsteuern, die im übrigen steuerpolitisch und verwaltungsmäßig ein Unglück sind, müssen endlich beseitigt werden. Damit können wir einmal einen wesentlichen materiellen Erfolg erzielen. Unterschätzen Sie auch nicht, welche psychologische Bedeutung eine Preissenkung z. B. für Kaffee, Tee, Kakao und Zucker für die Einstellung der Bevölkerung zur Preisentwicklung hat. Wir wundern uns darum sehr, daß sich die Bundesregierung nicht zu solchen Maßnahmen aufraffen kann.
Wir verlangen weiter, daß die staatlich gebundenen und manipulierten Preise in Zukunft nicht mehr heraufgesetzt werden. Diesem Punkt kommt eine entscheidende Bedeutung zu, — wenn die Kosten auf irgendeinem landwirtschaftlichen Gebiet einmal höher werden sollten, dann denken Sie
daran, daß aus der Getreideabschöpfung etwa 350 bis 400 Millionen DM zur Verfügung stehen, die in den ordentlichen Haushalt laufen und die Sie auf der anderen Seite sehr gut dem Verbraucher zugute kommen lassen könnten. Wir sollten auch nicht vergessen, daß etwa 60 bis 70 % der Lebenshaltungskosten auf Lebensmittel, auf Wohnung, auf Heizung und Beleuchtung entfallen und damit auf Posten, die staatlicher Beeinflussung unterliegen. Darum möchten wir von der Bundesregierung — da darüber in der Regierungserklärung nichts steht — eine eindeutige Erklärung, ob sie bereit ist, in Zukunft darauf zu achten, daß die staatlich gebundenen und staatlich manipulierten Preise nicht weiter heraufgesetzt werden.
Ein anderes Problem, das nach unserer Auffassung eine große Rolle spielt, ist die Preisgestaltung für Markenartikel und andere Artikel marktbeherrschender Unternehmungen und Unternehmensgruppen. Wir haben in Deutschland eine ausgesprochen mangelhafte Preisdisziplin, und ich kann nicht umhin, hier ins Gedächtnis zurückzurufen, daß -an dieser mangelnden Preisdisziplin der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht unschuldig ist. Seine Reden in all den Jahren, mit denen er praktisch jedes staatliche Eingreifen, jede wirtschaftspolitische Maßnahme des Staates diffamiert hat, haben wesentlich zu dieser mangelnden Preisdisziplin und diesem mangelnden common sense in Deutschland beigetragen.
Darüber hinaus wissen wir aus der Diskussion über die Mineralölpreisgestaltung, aus der Diskussion über die Zubehörteile der Autos vom Volkswagenwerk, Herr Bundeswirtschaftsminister, und aus der mißglückten Aktion gegen die Hersteller von Rollfilmen, welche Bedeutung diese Markenartikel mit ihrer Preisbindung haben.
Wir meinen, es ist an der Zeit, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß sich die Bundesregierung um die Kosten- und Preissituation in diesen marktbeherrschenden Bereichen kümmert; denn hier handelt es sich um Bereiche der Wirtschaft, in denen die Preise von starken Unternehmungen und Unternehmensgruppen einseitig festgesetzt werden.
Wir wünschen keine Preisschnüffelei. Was wir wünschen, ist, daß Sie sich einen ausreichenden Überblick geben lassen, weil Sie die Verantwortung für die Auswirkungen eines ungerechtfertigten Preisniveaus auf die wirtschaftliche Entwicklung nicht von sich weisen können. Diese Verantwortung bleibt der Bundesregierung. Wir bedauern es sehr, daß es den Herren der Regierung nicht gelungen ist, bei ihrer Koalition durchzusetzen, daß das seit fünf oder sechs Jahren in Bearbeitung befindliche Kartellgesetz verabschiedet wird, damit der Bundesregierung moderne Möglichkeiten der Kontrolle solcher marktbeherrschenden Unternehmungen zur Verfügung stehen. Wir bedauern es auch sehr, daß Sie die alte Auskunftspflichtverordnung, die sicherlich nicht in allen Punkten sehr begrüßenswert ist, noch nicht durch ein Auskunftspflichtgesetz ersetzt haben. Aber diese Unterlassungssünden der Koalition samt ihrer Bundesregierung sind doch keine Entschuldigung dafür, daß die Bundesregierung, um nicht alliierte Kartellbestimmungen oder die Auskunftspflichtverordnung anwenden zu müssen, einfach darauf verzichtet, ihrer wichtigen Verpflichtung nachzukommen, dafür zu sorgen, daß in diesen Bereichen, wo einseitig Preise festgesetzt werden, eine vernünftige Preisdisziplin und volkswirtschaftliche Überlegungen vorherrschen.
In einer Situation wie der augenblicklichen, in der man einen Umschlag der Hochkonjunktur in die Krise vermeiden und eine gleichmäßige Weiterentwicklung sichern will, kommt es darauf an, daß frühzeitig schnell wirksame Maßnahmen ergriffen werden. Die Bundesregierung hat in ihrer Erklärung dazu bemerkt, die Bank deutscher Länder könne allerdings schnell handeln, die Bundesregierung sei aber an das umständliche Gesetzgebungsverfahren gebunden und könne daher nicht so schnell handeln. Nun steht dann allerdings, ich glaube, kurz danach oder kurz davor, daß sie sich seit dem August bis etwa zum März/April darauf beschränkt habe, die Entwicklung zu beobachten. Das ist etwas, was wir normalerweise nicht als Handeln zu betrachten und zu benennen pflegen. Im Grunde genommen ist nämlich nichts geschehen. Mir scheint, Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sollten es bei der Urfassung dieses Wortspiels lassen; ich glaube, Professor Roeper hat das einmal gesagt: Die Bank deutscher Länder kann schnell handeln, Minister können nur schnell reden!
Diese Urfassung scheint mir jedenfalls treffender als die Variation, die nunmehr die Bundesregierung in ihrer Erklärung gewählt hat.
Nun ein Zweites! Ich hoffe, ich habe deutlich gemacht, daß nach unserer Auffassung ein umfangreiches Programm tiefgreifender Maßnahmen durchgeführt werden muß. Was wir der Bundesregierung vorwerfen, ist, daß sie sich mit punktuellen, zögernden und halben Maßnahmen zufrieden gibt, die niemals zum Erfolg führen können.
Eines scheint mir noch von entscheidender Bedeutung zu sein. Im Grunde genommen zeigt sich bei der Regierungserklärung und bei den Maßnahmen der Bundesregierung, daß die Bundesregierung über keine genügende Kenntnis der wirtschaftlichen Gesamtzusammenhänge bei uns in Deutschland verfügt.
— Aber Herr Kollege , Sie haben wahrscheinlich gefehlt, als Herr Dr. Hellwig seine Ausführungen über die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung machte.
Meine Damen und Herren, wir verfügen nämlich an sich beim Statistischen Bundesamt und bei den Wirtschaftswissenschaftlichen Instituten über eine große Menge von Vormaterial für eine solche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Wenn es sich um spezielle Anliegen der Bundesminister handelt, dann machen sie von diesem Material sogar gelegentlich Gebrauch. Ich habe z. B. den Eindruck,
daß die Erläuterungen zum Haushaltsplan, die der Herr Bundesfinanzminister gibt, nicht ohne Benutzung dieses Materials einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgearbeitet werden. — Ich sehe, ich täusche mich da nicht, Herr Bundesfinanzminister!
Auch der Herr Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit scheint mir in seinen Berichten an die OEEC von diesem Material Gebrauch zu machen. Meine Damen und Herren, warum dann nicht eine fundamentale Auswertung dieses Materials als Grundlage für die Entscheidungen der Bundesregierung und für die Entscheidungen des Bundestages in wichtigen wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Fragen?
Der Gedanke ist doch auch nicht einmal so furchtbar neu. Wenn ich zunächst von meiner Partei spreche, will ich Ihre Verdienste, Herr Hellwig, in keiner Weise herabsetzen. Die Sozialdemokratie hat bereits in ihrem Aktionsprogramm von 1952 eine solche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung verlangt. Ich möchte das in Erinnerung rufen, weil, wie ich festgestellt habe, die meisten von Ihnen dieses Aktionsprogramm nicht kennen.
Mein Kollege Schoettle hat im Juni 1955 hier im Hause in der Haushaltsberatung auf die Notwendigkeit einer solchen Gesamtrechnung hingewiesen. Im Oktober vergangenen Jahres hat die FDP einen Antrag eingebracht, einen Konjunkturbeirat einzusetzen. Wir haben damals dieser Idee zugestimmt und, ich glaube, unter dem Beifall zahlreicher Damen und Herren dieses Hauses festgestellt, daß dazu natürlich ein Instrumentarium notwendig ist und daß dazu auch so etwas wie eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung gehört.
Um Ihnen gerecht zu werden: wir wissen natürlich auch, daß einige Ihrer Herren wie z. B. der frühere niedersächsische Minister Strickrodt sich gerade um die Klärung der Probleme der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und des Nationalbudgets große Verdienste erworben haben. Aber warum müssen dann erst die Sozialdemokraten hier im Hause den Antrag stellen, daß von diesen Erkenntnissen und Erfahrungen nun endlich auch bei uns Gebrauch gemacht wird?
— Herr Dr. Hellwig, wenn es keine Frage der Gesetzgebung ist, dann hätte doch wohl die Bundesregierung ohne Gesetzgebung schon einiges auf diesem Gebiete tun müssen.
Meine Damen und Herren, ich begrüße es, daß Herr Kollege Hellwig der Frage der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung positiv gegenübersteht. Ich möchte hoffen, daß wir wenigstens in diesem Punkte zu einer Regelung kommen, die im Gesamtinteresse zweckmäßig ist. Wir wissen sehr gut — und ich freue mich, daß sich auch darüber hier Einmütigkeit hat feststellen lassen —, daß die wenigsten Probleme die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung aufwirft. Das scheint uns das zu sein, was zunächst anzustreben ist. Wir wissen natürlich ebenso, wie das heute von Herrn Kollegen Hellwig dargelegt worden ist, daß die Erstellung eines Nationalbudgets mit schwierigen Problemen belastet ist. Aber um eines klarzumachen: wir haben nicht ein Entscheidungsbudget vorgeschlagen, sondern wir wollen das, was man ein Orientierungsbudget nennen kann. Und wir möchten, daß die erforderlichen Schritte getan werden, um dieses Instrument einer modernen Wirtschaftspolitik allmählich zu entwickeln und zu vernünftigen Ergebnissen zu führen. Ich hoffe, daß wir dazu wenigstens im Anschluß an diese Beratungen kommen werden.
Wir haben in unserem Antrag noch einen weiteren Punkt behandelt. Er befaßt sich nicht nur mit dieser volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, sondern mit einer viel primitiveren Angelegenheit: der Frage der Koordinierung unserer wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen. Ich habe mich etwas gewundert, als ich in einer Zeitung las und das nachher durch Nachlesen wirklich bestätigt fand, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister am 19. Oktober 1955 in Berlin erklärt hat:
Die Bundesregierung verfügt in der Einheit von Wirtschafts- und Finanzpolitik über ein Instrumentarium von volkswirtschaftlichen Einwirkungsmöglichkeiten, das die notwendige Stabilität von Wirtschaft und Währung auch für die Zukunft gewährleistet.
Ich fürchte sehr, so würde der Herr Bundeswirtschaftsminister retrospektiv die Stellung der Bundesregierung im Oktober 1955 wohl nicht mehr darstellen können. Darum haben wir einen Antrag eingebracht, der von der Regierung verlangt, nunmehr die organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, daß eine einheitliche Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik gesichert wird, ein einheitliches Vorgehen der Regierung und ihrer Minister, aber auch die erforderliche Abstimmung mit der BdL.
Wir wissen, daß ein Wirtschaftskabinett existiert. Es scheint uns, daß die Effizienz dieses Wirtschaftskabinetts nach der Erfahrung der letzten Monate nicht allzugroß ist, jedenfalls nicht rechtzeitig wirksam wird. Um auf die Richtlinien des Herrn Bundeskanzlers zurückzukommen: sie scheinen auch nicht ganz so eindeutig zu sein, daß durch sie eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik gesichert wird.
Darum haben wir mit Betonung auf diese Frage hingewiesen. Das ist nicht nur eine Frage der Opposition, sondern das ist eine Frage, ob bei uns in Deutschland demokratische Organisationen und Einrichtungen funktionieren oder nicht.
Wir sind der Überzeugung, daß — obwohl die Spannung, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister festgestellt hat, gegenüber Oktober nicht unwesentlich zugenommen hat und obwohl, wie er sagte, die Wirtschaftspolitik erst jetzt vor ihrer Bewährungsprobe steht — auch in der heutigen Situation die Dinge noch nicht so weit gediehen sind, daß sie nicht mit einem koordinierten Vorgehen auf allen
Gebieten der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik mit leichter Hand in Ordnung gebracht werden könnten. Aber wir fürchten sehr, daß Sie, wenn Sie nicht sehr bald ein geschlossenes Programm nicht nur uns vorlegen, sondern auch durchführen, gezwungen sein werden, zu viel radikaleren und gefährlicheren kreditpolitischen oder zu harten verwaltungsmäßigen Maßnahmen zu greifen, um eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, eine zielbewußte Wirtschaftspolitik, die sich von Interessenteneinflüssen freihält und die wirksamen Maßnahmen, die notwendig sind, ungeachtet der Interessengesichtspunkte durchführt, eine solche Wirtschaftspolitik, die sich einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als eines Meßinstrumentes bedient, scheint uns die einzige Methode einer Konjunkturpolitik zu sein, die unerwünschte, harte und grob wirkende staatliche Eingriffe in das wirtschaftliche und soziale Leben vermeidbar macht. Nur eine solche zielbewußte und planmäßige Wirtschaftspolitik ist geeignet, uns auch in Zukunft ein ausreichendes Maß von wirtschaftlicher Freiheit zu sichern.