Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Vielleicht die treffendste Bemerkung, die der Herr Wirtschaftsminister in dem Bericht der Regierung gemacht hat, war die Feststellung, daß wir keinerlei Anlaß haben, unsere augenblickliche wirtschaftspolitische Lage zu dramatisieren. Wir sind weit davon entfernt, wie etwa die Opposition es darzustellen versucht hat, nun in den entgegengesetzten Fehler zu verfallen und unsere Lage zu bagatellisieren. Aus den bisherigen Diskussionsbeiträgen ist klar geworden, welche Engpässe da sind. Ich glaube auch als Angehöriger der Koalitionsparteien sagen zu sollen, daß die kontroversen Äußerungen verschiedener Kabinettsmitglieder gerade wesentlich zu der Dramatisierung beigetragen haben. Die wirkliche Lage gibt weiß Gott keinen Anlaß dazu. Ich glaube, diese Feststellung schon im Oktober vergangenen Jahres in Berlin gemacht zu haben; ich kann sie nur wiederholen.
Die Probleme unserer Wirtschaftspolitik sind doch eigentlich angenehmer Art. Wir haben uns zwar auch mit Problemen von Engpässen, aber im wesentlichen mit Problemen der Fülle zu befassen. Gerade weil unser Wachstum in der Wirtschaft so rapide gewesen ist, zeigen sich gewisse Engpässe. Unsere Wirtschaft ist mit den Jugendlichen unserer Zeit zu vergleichen. Sie alle schießen uns über den Kopf hinweg, und dieses schnelle Längenwachstum bedingt, daß die inneren Organe und insbesondere das Herz nicht mitgekommen sind. Das Herz unserer Wirtschaft aber ist der Kapitalmarkt. Unsere Lage in der Wirtschaft ist 'dadurch gekennzeichnet, daß wir zwar unseren Aufbau finanziert haben, aber zuviel Fremdmittel dafür benötigt haben. Ich werde gerade auf diese Problematik im Zusammenhang mit der Steuerpolitik zurückkommen.
Nun zu dem Ausgangspunkt aller Unruhe, der Preisbewegung. Ich glaube, daß wir gerade hier nicht dramatisieren dürfen. Ich darf daran erinnern, welche volkswirtschaftliche Bedeutung der Preis hat. Es ist zwar unser aller Ideal, sowohl das des Konsumenten als auch das des Produzenten, möglichst mit stabilen Preisen rechnen zu können. Aber zu einer Marktwirtschaft gehört doch eigentlich der sich verändernde Preis; denn der Preis hat die volkswirtschaftliche Aufgabe, uns erkennen zu lassen, wo Engpässe sind, bzw. das Gegenteil, wo Überschußproduktionen sind. Alarmierend wird die Sache doch erst dann, wenn es sich um einen allgemeinen Trend handelt, wenn alle Preise in einem solchen Maße steigen, daß wir keine Ausweichmöglichkeit auf andere Erzeugnisse haben.
Es muß zugegeben werden, daß dieser Tatbestand seit etwa Jahresfrist zu beobachten ist. Aber das Ausmaß der Steigerung — wir müssen es noch analysieren — ist doch weiß Gott nicht so beängstigend, wie es hier dargestellt worden ist. Ich darf mich auf, wie ich glaube, unverdächtige Quellen stützen, wenn ich das Zahlenmaterial im Juniheft des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts benutze, wo in einem Aufsatz von Ernst Georg Lange ein Beitrag zur gegenwärtigen Preisentwicklung geliefert wird. Wir müssen die Preisbewegung in den einzelnen Sektoren unterscheiden. Es ist ja so, daß wir Konsumenten sämtlich ein gespaltenes Bewußtsein haben. Wir nehmen immer nur die
Preissteigerungen wahr, berücksichtigen aber nicht, daß es auch Erzeugnisse gibt, deren Preise nicht gestiegen, sondern sogar gefallen sind; denn so etwas gibt es Gott sei Dank auch noch.
Nun vergleichen wir einmal, wie die Preise seit 1951 auf den einzelnen Sektoren gestiegen sind. Auf dem Konsumgütersektor fangen wir 1951 mit einem Index von 111 an. Er fällt auf 108, 103, 103 und liegt im Jahre 1955 bei 104, im April 1956 bei 105. Von einer nennenswerten Steigerung auf dem Konsumgütersektor kann also wirklich nicht geredet werden. Ähnlich ist es bei den Genußmitteln, einem — man mag sich dazu stellen, wie man will — nicht unerheblichen Bestandteil unserer Erzeugung. Dieser Preisindex fängt mit 98 an, steigt auf 100, fällt dann kontinuierlich auf 93, 86, 86 und liegt im April 1956 bei 85.
Ich will Sie nicht länger damit aufhalten und möchte nur eine Konsequenz aus der genannten Tabelle ziehen. Es gibt drei Gebiete, auf denen nennenswerte, aus dem Rahmen fallende Preissteigerungen vorliegen. Das erste sind die Mietsteigerungen. Kollegen Hellwig hat schon einiges dazu gesagt. Es ist selbstverständlich, daß wir, wenn wir die Marktwirtschaft bejahen, auf dem Sektor des Wohnungsbaues und der Mieten auf die Dauer kein Naturschutzgebiet schaffen können. Was sich jetzt vollzieht, ist einfach, daß wir für die Sünden der Vergangenheit — wirtschaftspolitische Sünden, keine moralischen! — bezahlen. Das ist ein notwendiger Vorgang, und ich bin mit dem Kollegen Hellwig einer Auffassung, daß wir, wenn wir jetzt nicht die Chance der Konjunktur benutzen, diese Sünden zu bereinigen, sie nie mehr werden bereinigen können. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß Einkommensempfänger der gleichen Einkommensgruppe heute in unserem Vaterland drei, ja vier verschiedene Mietpreise zu zahlen haben, je nachdem, ob sie in einer Altbauwohnung von vor 1914 wohnen, in einer Wohnung, die vor 1938 erbaut worden ist. oder ob sie in einer Wohnung des sozialen Wohnungsbaus leben müssen — die sie sich ja nicht aussuchen können —, die vor 1950 bis 1952 oder in jüngster Zeit geschaffen worden ist. So geht es eben nicht. Wir müssen dort zu einer Preisangleichung kommen. Es ist keinerlei Grund zur Aufregung, zumal die Mieterhöhung ja nicht alle gleichweg trifft. sondern sehr unterschiedlich diejenigen betrifft, die bislang unverdientermaßen den Vorzug hatten, in Altbauwohnungen zu leben.
Das zweite sind die öffentlichen Tarife. Hier handelt es sich um eine Konsequenz der verkehrten Energiepolitik, und ich hätte gewünscht, Herr Minister Erhard, daß zu dieser Frage einiges mehr gesagt worden wäre.
Ich brauche hier nur das zu wiederholen, was ich im Oktober ausgeführt habe. In der Energieversorgung sehe ich mit dem Kollegen Hellwig den ernstesten Engpaß. Der andere Engpaß - Arbeitskräfte — läßt sich durch die Automation — um das moderne Stichwort zu gebrauchen — beseitigen. Die Energieversorgung kann nur sichergestellt werden, wenn wir gewillt sind, auf dem Energiesektor ganz bestimmte Investitionen vorzunehmen. Das gilt für die Steinkohle, das gilt auch für die Atomenergie. Ich sage das noch einmal ausdrücklich. Die wahrscheinlich einzige Chance, die allen industrialisierten Staaten bleibt,
das sich rasch entwickelnde Energiedefizit zu dekken, ist die friedliche Verwendung der Atomenergie. Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, daß unser Haushalt eine Summe von rund 50 Millionen DM für diese Zwecke vorgesehen hat. Ich bin der Überzeugung, daß wir diese Summe im nächsten Jahre sogar wesentlich werden steigern müssen.
Wir können selbstverständlich nicht darauf verzichten, unsere Steinkohlenproduktion zu erhöhen. Ich darf daran erinnern, daß wir in der Produktion fast eine Stagnation haben. Vor 1938 haben wir, wenn ich mich recht erinnere, im Gebiet der Bundesrepublik 138 Millionen Tonnen Steinkohle produziert. Jetzt sind wir bei 130 Millionen Tonnen. Wir wären aber bei rechtzeitigen und richtigen Investitionen ohne weiteres in der Lage, diese Steinkohlenproduktion um ungefähr 40 Millionen Tonnen zu steigern. Sie müssen diese Zahlen im Vergleich mit den Zahlen des Ergebnisberichtes des OEEC-Rates in Paris vom letzten Monat berücksichtigen, wo ausgerechnet wird, daß der Energiebedarf bis 1975 um etwa 43 % steigen wird, während die voraussichtliche Produktionserhöhung nur etwa 17 % betragen wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich das unterstreichen, was hier schon gesagt worden ist: auch ich halte es für ausgeschlossen, daß wir im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Arbeitszeitverkürzung vornehmen, solange nicht sichergestellt ist, daß dieser Arbeitsausfall durch entsprechende Rationalisierungsmaßnahmen kompensiert wird. Ich glaube, das ist eine so nüchterne Feststellung, daß darüber keine Diskussion erfolgen sollte.
Ich will das Gebiet der Energieversorgung verlassen, darf aber vielleicht noch darauf hinweisen, daß eine Quelle der Energieversorgung in Deutschland noch stärker ausgenutzt werden muß; das ist das Öl. Ich möchte an die Vertreter des Wirtschaftsministeriums — sofern noch welche da sind —
appellieren, daß in viel stärkerem Umfang als bisher sowohl bei der Elektrizitätsversorgung als auch bei der Gaserzeugung auf 01 umgeschaltet wird. Die Produktionsverfahren der Gaserzeugung sind bei Ölverwendung sehr viel ergiebiger und kostensparender, so daß Preissteigerungen in etwa durch bessere Herstellungsmethoden kompensiert werden können. Ich spreche da aus eigener Erfahrung aus dem kommunalen Sektor und möchte betonen, daß das natürlich nur geht, wenn langfristig geplant wird, wenn man sich also mit den Ländern und Gemeinden verständigt, damit in Zukunft die Ölversorgung sichergestellt wird.
Ein wesentlicher Beitrag zur Deckung unseres Energiedefizits wäre auch die Verwirklichung des Projekts der Pipeline, das augenblicklich die Öffentlichkeit sehr interessiert, insbesondere wenn wir vergleichen, welchen Anteil das Öl an der Energieversorgung der anderen westeuropäischen Länder hat. Bei uns liegen die Zahlen etwa bei 89 % Steinkohle und 6 % Ölversorgung; der Rest ist Naturgas und Wasserkraft. In Westeuropa liegt der Anteil des Öls sehr viel höher. Die Ölversorgung deckt dort den Energiebedarf zu 14 %. In den USA liegt die Zahl etwa bei 30 %.
Ich glaube deshalb, im Namen meiner politischen Freunde die Bitte aussprechen zu müssen, alle Maßnahmen zu fördern, die der Ölversorgung dienen.
Wir begrüßen ausdrücklich, daß endlich der Heizölzoll gefallen ist. Damit wird das Heizöl in den Preisen mit der Kohle vergleichbar. Es braucht bei der gegenwärtigen Kohlenversorgungslage kein Wort darüber verloren zu werden, daß bei all diesen Maßnahmen die dominierende Stellung der Steinkohlenindustrie nicht angetastet wird.