Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem im Verlauf dieser weit über fünf Stunden dauernden Konjunkturdebatte zwei meiner Vorredner die Redezeit um mehr als 50 % überschritten haben, da der eine eine Stunde 40 Minuten und der andere eine Stunde 35 Minuten geredet hat, ist natürlich für den nachfolgenden Redner kaum mehr Raum, seine Gedanken noch vorzutragen. Sie sehen ja, daß das Parlament sich leert. Ich möchte von dieser Stelle meine Bedenken dagegen äußern, daß so viele Redner die Redezeit in dieser Weise überschreiten. Ich finde dieses Verhalten nicht gerade sehr kollegial.
Im Namen der Freien Volkspartei möchte ich folgendes sagen. Das Bild, das uns die Regierung über die Konjunkturlage und den Zustand unseres Wirtschaftslebens gegeben hat, macht keinen besonders überhitzten oder übersteigerten Eindruck. Ich will es mir ersparen, aus der Regierungserklärung all die Sätze herauszuholen, die heute schon mehrfach erwähnt worden sind. Es darf aber festgestellt werden, daß die so häufig kolportierte Weisheit von der überheizten Konjunktur in den Bereich modischer Legendenbildung hineingehört. Wir tun also wohl gut daran, wenn wir Maß und Ziel bewahren und uns im Einklang mit dem Gesamttenor der Regierungserklärung damit befassen, woher die durch die Vollbeschäftigungslage entstandenen Spannungen ihren Anfang genommen haben und wie die Entspannung herbeizuführen ist, ohne daß dem Wirtschaftsleben Schaden zugefügt wird. Ich habe in Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit meine Ausführungen zusammengestrichen. Sie brauchen keine Sorge zu haben, daß ich Sie allzu lange beschäftigen werde.
Daß das Problem der sogenannten übersteigerten Investitionen eine zentrale Rolle spielt, ist kein Zufall. Wenden wir uns einmal den Investitionen
der freien Wirtschaft zu, so muß man der Regierung voll und ganz recht geben, wenn sie feststellt, daß die Vornahme von Investitionen aus Steuerersparnisgründen ein übergroßes Gewicht erlangt habe. Verwunderlich ist nur, daß diese Erkenntnis erst jetzt gekommen ist. Man braucht weder großer Theoretiker noch großer Praktiker der Wirtschaft zu sein, um zu wissen, daß die Steuerlast sowohl dem Volumen wie dem System nach die Kalkulation aus den Betriebsbüros in die Hände der Steuerberater verlagert hat. Wären die Steuern — was ohne Gefährdung der Haushalte möglich gewesen wäre — rechtzeitig nachhaltig gesenkt worden, brauchten wir uns über ein Übermaß an Investitionen keine grauen Haare wachsen zu lassen. Wir hoffen, daß die Industrie den Appell befolgt — es hat ja den Anschein, daß das geschieht —, die Investitionen auf das betriebswirtschaftlich notwendige und kreditpolitisch mögliche Maß zurückzuschrauben, und Steuerfluchtinvestitionen unterläßt. Wir lassen aber keinen Zweifel darüber, daß der Herr Bundesfinanzminister den wirklichen Schlüssel zur Lösung dieses Problems in seinen Händen hält, die Steuerschraube nämlich, aber diesmal rückläufig gedreht.
Sehr beachtlich ist, daß das System der degressiven Abschreibung nicht geändert worden ist. Darüber ist heute schon mehrfach gesprochen worden; darüber möchte ich also diesmal weiter nichts mehr sagen.
Aber in den Beratungen über die Konjunktur nehmen die Investitionen der öffentlichen Hand einen ganz breiten Raum ein. Es ist verständlich, daß die Regierung bedauert, keine Handhabe zur Steuerung der kommunalen Investitionen zu haben. Bekanntlich reicht das bis in den Bereich der Selbstverwaltung hinein. Und dazu muß nun allerdings eines gesagt werden: zu den Grundfesten unserer Demokratie gehört nun einmal die kommunale Selbstverwaltung. Aus konjunkturpolitischen Gründen daran zu rühren, halte ich für mindestens sehr bedenklich.
Es gibt aber Möglichkeiten, hier einen Wandel zu schaffen, allerdings durch eine Verfassungsänderung, nämlich eine Änderung des Finanzausgleichs, eine stärkere Selbstverwaltung der Gemeinden auf dem Gebiet der Finanzen, Abbau des Kostgängersystems bei den Ländern und Aufbau finanzpolitischer Eigenverantwortlichkeit. Hier ergibt sich durchaus eine Parallele zu der Privatindustrie darin, daß die Eigenverantwortlichkeit, wenn man sie einmal konstituiert hat, auch hier einen regulativen Charakter hat und zu Maß und Ziel beispielsweise in den Investitionen führen wird.
Sehr gefreut haben wir uns, daß die Regierungserklärung die Teilzahlungsgeschäfte und die Maßnahmen erwähnt, die die Regierung dazu vorhat. Das Volumen der Teilzahlungsgeschäfte wird im allgemeinen erheblich unterschätzt. Auch heute ist das wieder zum Ausdruck gekommen. Wenn ich recht unterrichtet bin, beträgt der Umfang der über die Teilzahlungsbanken nachgewiesenen Teilzahlungsgeschäfte ungefähr 3,6 Milliarden DM pro Jahr. Es gibt aber in großem Umfang Teilzahlungsgeschäfte, die nicht über die Investitionsbanken laufen, sondern sozusagen frei und wild getätigt werden. Das Ratenzahlungsgeschäft hat eben doch einen erheblich größeren Umfang, als es im allgemeinen den Anschein hat.
Die Forderung der Regierung nach doppelter Preisauszeichnung, nämlich Angabe des Barpreises und des Ratenpreises, sollte ergänzt werden durch die Forderung auf Nennung des Bruttozinssatzes.
Ich habe mich bemüht, aus verschiedenen Ratenzahlungsangeboten einmal die Jahreszinssätze nach den Regeln der Zinseszins- und Rentenrechnung herauszurechnen, und habe festgestellt, daß dabei 25 und mehr Prozent Zinsen gefordert werden. Derartige Zinssätze sind doch nicht gerade sehr weit entfernt von den Zinssätzen mittelalterlicher oder orientalischer Wucherer. Wenn es durch eine solche Anordnung der vollständigen Offenlegung der sogenanten Kreditbedingungen der Ratenzahlungsgeschäfte gelänge, dem Publikum klarzumachen, was es bei Ratenkäufen übermäßig zu bezahlen hat, würde davon schon eine sehr heilsame Wirkung ausgehen. Ob es im Hinblick auf die verfassungsmäßig garantierte Vertragsfreiheit wirklich möglich ist, die Anzahlung und die Zahl der Raten zu begrenzen, möchte ich zunächst einmal in Zweifel stellen. Aber jedenfalls erteilen wir von der Freien Volkspartei dem Herrn Bundeswirtschaftsminister die Ermächtigung zu Maßnahmen auf dem Gebiet des Ratenzahlungswesens — man darf oft ruhig sagen: Ratenzahlungsunwesens — gern.
An dem Beifall, den der Herr Bundeswirtschaftsminister bei seiner Regierungserklärung am Freitag erhielt, als er auseinandersetzte, daß die Regierung beabsichtige, Anteile an Bundesunternehmungen über Investmentgesellschaften an Kleinaktionäre heranzutragen, hat er vielleicht gemerkt, wielange man schon auf eine derartige Maßnahme gewartet hat. Hoffentlich ist das der Auftakt zu weitergehenden Maßnahmen der Reprivatisierung der Bundesunternehmungen, jedenfalls soweit sie in Wettbewerb mit ihren eigenen Steuerzahlern stehen. Die Bedenken, die Finanzminister Schäffer vor wenigen Tagen — ich glaube, es war gestern oder vorgestern — geäußert hat, sind sehr beachtenswert. Man muß sich natürlich davor hüten, daß diese Anteile in die Hände von unerwünschten Kapitalgruppen, eventuell aus dem Ausland, fallen. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Es sollte doch die Möglichkeit geben, die Reprivatisierung so zu steuern, daß möglichst breiten Schichten unseres Volkes hier die Gelegenheit zum Erwerb von Miteigentum an produktivem Volksvermögen geboten wird. Damit ist ein echtes soziales Problem berührt.
Wir haben der Regierungsvorlage zur Zollsenkung zugestimmt, obwohl man die gegen diese Maßnahmen oft geäußerten Bedenken nicht einfach hinwegfegen kann.
Ich darf hier noch hinzufügen, daß auch auf mich die eindringlichen Bitten um Zustimmung großen Eindruck gemacht haben, die uns anläßlich eines Besuches beim Europäischen Wirtschaftsrat in Paris im vergangenen Monat Mai entgegengetragen wurden.
Keine Volkswirtschaft kann auf die Dauer mehr exportieren als importieren. Es muß ein Ausgleich geschaffen werden. Wir bejahen die Steigerung weltwirtschaftlicher Beziehungen, die doch nur der Steigerung des Wohlstandes der Völker dienen kann. Man darf wohl erwarten, daß die am vergangenen Freitag beschlossenen Zollsenkungen das Ziel einer Entspannung der Lage auf diesem Gebiet erreichen.
In einem Punkte wäre, so glaube ich, etwas größere Zurückhaltung angebracht. In der Regierungserklärung heißt es, daß die Bundesrepublik vergleichsweise den geringsten Preisauftrieb zu verzeichnen habe und daß das der Grund für die starke Exportkonjunktur der Bundesrepublik sei. Auf Teilgebieten im Bereich von Halbfertig- und Fertigfabrikaten steht die deutsche Wirtschaft in einem
scharfen Preiskampf; eine unbestrittene Tatsache, die ihre Begründung darin findet, daß in einzelnen Ländern die Produktivität der industriellen Erzeugung, etwa gemessen an der je Arbeitsplatz zur Verfügung stehenden Energie, nach wie vor höher ist. Ein weiterer Abbau der Exportförderungsmaßnahmen, als von seiten der Regierung vorgesehen, ist also nicht anzuraten.
Zu den meistdiskutierten Problemen in diesem Zusammenhang gehört das Zusammenspiel von Löhnen und Preisen. Da kommt der Feststellung, daß die Lohnerhöhungen seit dem vierten Quartal 1955 die Steigerung der Produktivität zunehmend hinter sich lassen, eine große Bedeutung zu. Es ist sicherlich richtig, daß die Tarifregelungen von staatlichen Eingriffen frei bleiben sollen. Darüber herrscht wohl jetzt allgemeine Einigkeit. Denn so, wie einem Preisdirigismus ein Lohndirigismus folgen muß, so sicher muß ein befohlener Lohn einen befohlenen Preis nach sich ziehen. Die verheerenden Folgen staatlicher Eingriffe in das LohnPreisgefüge kennen wir alle zur Genüge. Wir wollen nichts mehr davon wissen.
Ob es aber richtig ist, die von seiten der Regierung angeregten unabhängigen Schlichtungsstellen nur mit den beiden Sozialpartnern zu besetzen, möchte ich doch zunächst einmal dahingestellt sein lassen. Es ist doch keineswegs so, daß nur die Arbeitnehmer und die sie vertretenden Gewerkschaften an Lohnerhöhungen interessiert sind. Es gibt gewisse Industrien, vor allem Hersteller gewisser gehobener Massenkonsumgüter, die jede Lohnerhöhung mit geheimem Jubel begrüßen. Dazu kommt, daß mit zunehmender Zahl der Windungen der Lohn-Preisspirale die aufgenommenen Kredite sich von selbst mehr oder weniger schnell entwerten. Unser Volk besteht nun einmal nicht nur aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern dazu gesellen sich noch viele andere Menschen, die ein unmittelbares Interesse an der Stabilerhaltung von Löhnen und Preisen haben. Diese Gruppe — nennen wir sie einmal die Gruppe des dritten Sozialpartners — muß in solchen Schlichtungsstellen vertreten sein.
Es ist ganz und gar kein Zufall, daß die Kreditrestriktionsmaßnahmen des Zentralbankrates in der Öffentlichkeit eine so verschiedenartige Beurteilung gefunden haben. Wir meinen. daß die Wirkung dieser Maßnahmen auf den gewerblichen Mittelstand und die Mittel- und Kleinindustrie nicht mit einer Handbewegung weggewischt werden kann, um so mehr, als sie sich erst nach und nach in ihrer ganzen Härte auswirken werden. Keinesfalls waren die Auswirkungen schon im Monat Mai so überschaubar, daß man die Restriktion als gerechtfertigt anpreisen konnte. Wenn wir dem Konjunkturprogramm der Regierung im ganzen gesehen zustimmen, so geben wir doch der Erwartung Ausdruck, daß der Zentralbankrat möglichst bald seine letzten Maßnahmen revidieren möge.
Der Deutsche Bundestag gewährt den Auseinandersetzungen über die Wirtschaftspolitik und über die Konjunkturpolitik meist einen recht breiten Raum. Wir wissen, wie stark in unserem Volk das Unbehagen darüber ist, daß wir mehr und mehr einem platten Materialismus des Lebensstandards huldigen und daß wir darüber im gleichen Tempo das Interesse für die ideellen und geistigen Werte und für die großen nationalen Anliegen verlieren. Wir können niemanden daran hindern, diese jetzt fast hinter uns liegende Konjunkturdebatte unter einem solchen Gesichtspunkt zu sehen. Wer das aber tut, den möchten wir doch daran erinnern, daß von einer gesunden Wirtschaftspolitik die allerstärksten Impulse für den Spannungsausgleich in der gesellschaftlichen Struktur des Volkes ausgehen. Es geht doch gar nicht um das vom ethischen Standpunkt aus gesehen ganz sicher fragwürdige Prinzip der fortgesetzten Erhöhung des Lebensstandards. Es geht bei der Wirtschaftspolitik wie bei aller Politik um Sicherung und Erhaltung der Existenzgrundlagen des Volkes, und das ist gewiß ein sittlicher Auftrag.