Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich die Ehre, dem Abgeordneten Dr. Schild im Namen des ganzen Hauses zu seinem am 22: Oktober gefeierten 60. Geburtstag herzlichst zu gratulieren.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 26. Oktober 1955 die folgenden vom Deutschen Bundestag in seiner 96. bzw. 103. Sitzung beschlossenen Gesetze bestätigt:
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung der Verordnung zum Schutze der Wirtschaft;
Gesetz zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes.
Wir treten nun in die heutige Tagesordnung ein. Punkt 1:
Wahl des Abgeordneten Dr. Weber als Mitglied des Wahlmännerausschusses.
Ich habe mir die gesetzliche Vorschrift noch einmal angesehen. § 6 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht bestimmt in Abs. 2 Satz 4: Scheidet ein Mitglied aus, so wird es durch den nächsten aus der Reihe der nicht mehr Gewählten ersetz t. Wir haben also nicht eine eigentliche Wahl vorzunehmen, sondern haben festzustellen, daß der Abgeordnete Dr. Weber aus Koblenz an die Stelle des Ausgeschiedenen nachgerückt ist. Ich stelle das fest. Vom Hause werden wohl keine Einwendungen erhoben? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe auf Punkt 2 der heutigen Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht betreffend Aussetzungsbeschluß des Landgerichts Bonn vom 10. November 1954 in dem Strafverfahren gegen Dr. Robert Platow u. a. wegen aktiver Bestechung u. a. (Drucksache 1793).
Der Berichterstatter, Abgeordneter Dr. Furler, verzichtet auf mündlichen Bericht*). Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die Aussprache.
Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Rechtsausschusses auf Drucksache 1793 zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme angenommen**).
Punkt 3:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht .
Ich nehme an, daß der Herr Bundesjustizminister die Vorlage einbringen will.
Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute die Ehre, Ihnen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vorzulegen. Dieser Gesetzentwurf enthält eine Reihe von Bestimmungen, die staatspolitisch bedeutsam sind. Der Entwurf hat in der Öffentlichkeit und auch in der Presse verschiedentlich wegen mancher Bestimmungen Kritik hervorgerufen. Ich hoffe, daß es mir durch meine Ausführungen gelingen wird, die Beweggründe darzulegen, die die Bundesregierung zu diesem Entwurf veranlaßt haben.
Daß das bisherige Gesetz über das Bundesverfassungsgericht dringend einer Reform bedarf, wird, soweit ich es beurteilen kann, von nieman-
*) Vgl. schriftliche Äußerung für den Deutschen Bundestag: Anlage 2.
**) Siehe Anlage 3.
dem bezweifelt. Auch das Bundesverfassungsgericht selbst fordert dringend eine Änderung. Schon seit langem hat daher des Bundesjustizministerium mit dem Bundesverfassungsgericht darüber beraten, welche Maßnahmen notwendig seien, um das Gericht in den Stand zu setzen, seine verantwortungsvolle Aufgabe ordnungsgemäß zu erfüllen. Der vorliegende Entwurf berücksichtigt weitgehend die Anregungen, die das Gericht dem Bundesjustizministerium gegeben hat, die das Gericht in ständiger Fühlungnahme — kann ich sagen — mit dem Bundesjustizministerium erarbeitet und in einer Denkschrift niedergelegt hat. Ich muß allerdings hier gleich hinzufügen, daß das Bundesverfassungsgericht sich zu zwei Punkten des jetzt vorliegenden Regierungsentwurfs, nämlich zu der Frage der Herabsetzung der Richterzahl sowie zur Neugestaltung der Richterwahl, kritisch geäußert hat. Ich werde selbstverständlich dem Hohen Hause für die Beratung des Rechtsausschusses diese Stellungnahme des Gerichts zuleiten. In diesen beiden Punkten stimmt die Stellungnahme des Bundesrates mit den kritischen Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts überein. Sie finden die Stellungnahme des Bundesrats in der Ihnen vorliegenden Drucksache.
Den Anstoß zu dem Ihnen jetzt vorliegenden Entwurf hat die Tatsache gegeben, daß die beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts völlig ungleich belastet sind. Dem Ersten Senat ist eine solche Fülle von Aufgaben übertragen, daß er sie unmöglich bewältigen kann, während der Zweite Senat nach seinem eigenen Urteil in der Lage wäre, weitere Aufgaben zu übernehmen. Die Zahlen von Ende August 1955 ergeben ein noch krasseres Verhältnis als diejenigen Zahlen, die in der Regierungsvorlage abgedruckt sind. Bis Ende August 1955 sind für den Ersten Senat 3167 Anträge eingegangen, für den Zweiten Senat dagegen nur 32 Anträge, mithin für den Ersten Senat rund das Hundertfache der Anträge für den Zweiten Senat. Natürlich haben diese Anträge nicht alle das gleiche Gewicht. Die Verfahren des Ersten Senats betreffen zu einem Teil Verfassungsbeschwerden, die offensichtlich unbegründet und unzulässig waren und deshalb vom Gericht in einem vereinfachten Verfahren verworfen werden konnten. Trotzdem ist die Überlastung des Ersten Senats offenkundig; die Rückstände haben Ende August 1955 in diesem Senat die beängstigende Zahl von 584 erreicht.
Wir müssen die Gründe untersuchen, die diese Überlastung des Ersten Senats herbeigeführt haben. Wenn bei einem anderen Gericht eine ungleiche Belastung zwischen den einzelnen Senaten festgestellt wird, dann kann durch einen einfachen Beschluß des Präsidiums dieses Gerichts die Geschäftsverteilung geändert werden. Das ist beim Bundesverfassungsgericht nicht möglich. Die Verteilung der Geschäfte auf die Senate ist dort nicht dem Gericht selbst überlassen, sondern sie ist durch das Gesetz bindend festgelegt. Naturgemäß konnte der 1. Bundestag, als er dieses Gesetz beschloß, noch keinen Überblick über die Zahl der Verfahren haben, die einmal aufkommen würden. So ist es dazu gekommen, daß sich in der Praxis die im Gesetz vorgenommene Aufteilung als höchst unzweckmäßig erwiesen hat.
Es ist nicht zu bezweifeln, daß in erster Linie diese Bestimmungen des Gesetzes geändert werden müssen. Verschiedener Meinung könnte man nur darüber sein, wie die Änderung aussehen soll. Man könnte natürlich daran denken, die Geschäftsverteilung durch das Gesetz beizubehalten und sie lediglich den Erfahrungen, die wir in den letzten vier Jahren gemacht haben, anzupassen. Denn schließlich haben wir uns etwas dabei gedacht, daß wir beim Bundesverfassungsgericht, anders als bei allen übrigen Gerichten, die Verteilung der Geschäfte auf die Senate nicht dem Gericht überlassen, sondern sie im Gesetz selbst festgelegt haben.
Wir waren uns damals weitgehend darüber einig, daß das Bundesverfassungsgericht seinem Wesen nach nur aus einem einzigen einheitlichen Spruchkörper bestehen sollte. Andererseits war aber klar, daß ein einziges Gremium, jedenfalls am Anfang, der zahlreichen zu erwartenden Verfahren wohl nicht Herr werden könnte. So haben wir versucht, eine Lösung zu finden, bei der es ein für allemal feststehen sollte, welcher Senat — und in welcher Besetzung — eine Entscheidung über eine bestimmte Frage zu treffen hat. Aus diesem Grunde haben wir die Zuständigkeiten der beiden Senate im Gesetz selbst festgelegt und darüber hinaus auch bestimmt, daß die Richter nicht in das Gericht, sondern in die einzelnen Senate gewählt werden. Wir haben damit in der Wirkung nicht ein, sondern zwei Gerichte geschaffen, die, abgesehen von der gemeinsamen Verwaltung, nur durch gewisse Entscheidungsbefugnisse des Plenums im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung zusammengehalten sind. Man hat auf Grund dieser Lösung dem Gericht nicht ganz mit Unrecht den Namen eines „Zwillingsgerichtes" gegeben.
Die Erwartungen, die Anlaß zur Wahl dieser Konstruktion gegeben haben, haben sich — darüber dürfte wohl allseitiges Einverständnis be- I stehen — nicht erfüllt. Trotz der Bemühungen des Gesetzgebers, die Zuständigkeiten der Senate klar voneinander abzugrenzen, hat es sich in der Praxis gezeigt, daß ein und dieselbe Rechtsfrage sowohl in die Zuständigkeit des Ersten wie des Zweiten Senats, unter Umständen sogar des Plenums fallen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat daher, meines Erachtens mit Recht, angeregt, daß die Geschäftsverteilung auf die Senate überhaupt nicht mehr im Gesetz festgelegt werden, sondern dem Gericht überlassen werden solle. Es wäre natürlich denkbar, daß das Gesetz heute mit größerer Sicherheit als vor fünf Jahren die Zuständigkeit zwischen den beiden Senaten abgrenzen könnte. Aber es kann niemand ausschließen, daß wir uns nicht wieder genau wie vor fünf Jahren als schlechte Propheten erweisen und daß sich die neue Geschäftsverteilung nach kürzerer oder längerer Zeit erneut als unzweckmäßig zeigen wird. Eine Änderung bedürfte dann wieder des zeitraubenden Weges der Gesetzgebung mit den gleichen Folgen, vor denen wir heute stehen.
Ich glaube aber, wir können nicht die Verantwortung dafür übernehmen, daß das Gericht erneut in eine solche Bedrängnis kommt, wie ich sie eben geschildert habe. Die Bundesregierung hat sich daher in ihrer Vorlage der Anregung des Gerichts angeschlossen, daß die Geschäftsverteilung durch das Plenum des Gerichts vorgenommen werden möge. Die Vorlage der Regierung geht allerdings noch einen Schritt weiter. Die Regierung möchte auch die Vorschrift beseitigt sehen, daß die Richter nicht in das Gericht, sondern in die einzelnen Senate gewählt werden. Das ist nach unserer Auffassung nur die natürliche Konsequenz des ersten Schrittes. Es hat keinen Sinn, den Richter
in einen bestimmten Senat zu wählen, wenn nicht feststeht, welche Materien dieser Senat behandeln soll.
Nach Meinung der Bundesregierung sollte daher das Gericht in Zukunft auch darüber beschließen, wie die einzelnen Senate personell zu besetzen sind, wie dies ja auch bei allen übrigen Gerichten in Deutschland der Fall ist. Diese Lösung bedeutet das Ende des Zwillingsgerichts.
Allerdings glaubt die Bundesregierung — und damit komme ich zu einem zweiten wichtigen Punkt der Vorlage —, daß man sich nicht bei dem Gedanken beruhigen sollte, mit der vorgeschlagenen Lösung wäre künftig eine zweckmäßige Verteilung der Geschäfte innerhalb des Gerichts gesichert. Man sollte nicht aus dem Auge verlieren, daß die neue Konstruktion, obwohl sie nur mit derjenigen der anderen Gerichte übereinstimmt, für das Bundesverfassungsgericht nur das kleinere Übel gegenüber dem bisherigen Zwillingsgericht ist. Nach Auffassung der Bundesregierung, die, soweit ich sehe, in weiten Kreisen geteilt wird, muß als endgültige Lösung ein einheitliches, aus höchstens 12 Mitgliedern bestehendes Gericht angestrebt werden. Übrigens hat dies der Entwurf der Fraktion der SPD im ersten Bundestag ja bereits vorgesehen gehabt.
Auch das Bundesverfassungsgericht selbst ist der Meinung, daß ein einziges Gericht, ein einziger Spruchkörper dem heutigen Senatssystem bei weitem vorzuziehen sei. Dies bedeutet aber, daß wir irgendwann einmal vor der Notwendigkeit stehen werden, die Zahl der Richter zu vermindern. Eine Herabsetzung von 24 Richtern auf 12 Richter wäre nur möglich, wenn in den Rechtsstatus der Richter eingegriffen würde. Daß das gerade bei einem Gericht wie dem Bundesverfassunggericht außerordentlich bedenklich wäre, brauche ich nicht zu betonen.
Im Interesse des Gerichts und seiner Richter ist es somit notwendig, die Herabsetzung der Richterzahl von langer Hand vorzubereiten. Die Bundesregierung hat hierzu Vorschläge gemacht, die zunächst eine Verminderung auf 18 und vom September 1959 an — also in vier Jahren — auf 14 Richter vorsehen. Man hat aus diesem Vorschlag den Verdacht geschöpft, die Bundesregierung verfolge den Zweck, politisch mißliebige Richter oder eine bestimmte Kategorie von Richtern, nämlich die Hochschullehrer, zu beseitigen. Meine Damen und Herren, ich darf hier mit aller Deutlichkeit erklären, daß ich mich für derartige Absichten nicht hergeben würde. Mit solchen Argumenten könnte übrigens später, also in vier oder in acht Jahren, eine Herabsetzung der Richterzahl immer wieder bekämpft werden. Wir haben immer Wert gerade darauf gelegt, daß nicht nur ein reines Beamtengericht entsteht, sondern es sollte auch frischer Wind von außen in dieses Gericht kommen, und deshalb hat man ja damals schon im 1. Bundestag Wert darauf gelegt, daß auch Männer der Wissenschaft, daß auch Männer aus freien Berufen, Rechtsanwälte in dieses Gericht gewählt werden. Bitte seien Sie davon überzeugt, daß die Bundesregierung nur von diesen rein sachlichen Erwägungen ausgegangen ist, wenn sie schon heute vorschlägt, mit einer allmählichen Herabsetzung der Richterzahl die endgültige Lösung vorzubereiten.
Gegen die sofortige Herabsetzung der Richterzahl, jedenfalls in dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Umfang, ist der Einwand erhoben worden, daß dadurch die Aufarbeitung der Rückstände verzögert werde. Die Bundesregierung ist demgegenüber von der Auffassung ausgegangen, ,daß die Verminderung der Richterzahl mindestens ausgeglichen werde durch eine schnellere Abwicklung der Beratungen in einem kleineren Gremium und daß die künftige zweckmäßigere Geschäftsverteilung und die weiter vorgesehenen Entlastungsmaßnahmen auch bei einer etwas verminderten Richterzahl die Aufarbeitung der Rückstände ermöglichen werde. Die Ausschußberatungen werden Gelegenheit geben, diese wichtige Frage eingehend und unvoreingenommen zu überprüfen.
Wir hatten bei dem Ihnen vorliegenden Entwurf weiter erwogen, ob das Gericht nicht durch Verringerung seiner Zuständigkeiten entlastet werden könnte. Aber da ja alle Zuständigkeiten durch das Grundgesetz selbst geschaffen worden sind und da nach Auffassung der Bundesregierung eine Änderung der Verfassung nur in Fällen äußerster Dringlichkeit erwogen werden sollte, ist der Spielraum, der uns geblieben ist, nur sehr klein. Es stehen nur die Verfassungsbeschwerde und das Gutachten zur Erörterung, die beiden einzigen Verfahren, die nicht im Grundgesetz festgelegt sind. Die Bundesregierung hat sich aber trotz der Kritik, die insbesondere die Verfassungsbeschwerde zum Teil in den bisherigen Diskussionen gefunden hat, nicht dazu entschließen können, die Abschaffung dieser beiden Verfahrensarten vorzuschlagen. Wohl aber ist sie der Anregung des Gerichts gefolgt, daß der Verfassungsbeschwerde künftig ein Zulassungsverfahren vorgeschaltet werden sollte, bei dem ein kleines Gremium von drei Richtern alle Verfassungsbeschwerden ausscheidet, die nicht vor dieses höchste Gericht gehören, also insbesondere die Beschwerden zahlreicher Querulanten, die erfahrungsgemäß ja immer wieder beim Verfassungsgericht auftauchen. Eine Verfassungsbeschwerde soll künftig nur dann zugelassen werden, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Streitfrage zu erwarten ist oder wenn der Beschwerdeführer durch die Versagung der Zulassung einen schweren und unabwendbaren Nachteil erleiden würde. Nach meiner Überzeugung würde durch dieses Zulassungsverfahren die Arbeit des Gerichts auf die wirklich bedeutsamen Fälle beschränkt und damit gleichzeitig auch eine Entlastung herbeigeführt werden, die es uns erleichtert, jetzt schon eine Herabsetzung der Richterzahl vorzunehmen.
Die drei bisher besprochenen Reformvorschläge sollen dem Ziele dienen, die Arbeitsfähigkeit des Gerichts wiederherzustellen und gleichzeitig die endgültige Lösung vorzubereiten, bei der an Stelle der alten Senate ein einheitlicher Gerichtskörper treten soll.
Der vierte und letzte grundsätzliche Vorschlag, auf den ich jetzt zu sprechen komme, ist der am meisten umstrittene. Er soll den Gefahren vorbeugen, die bei der jetzigen gesetzlichen Regelung der Existenz und der Funktionsfähigkeit des Gerichts drohen. Nach dem geltenden Recht bedarf es zur Wahl eines Richters im Bundesrat einer Zweidrittelmehrheit und im zwölfköpfigen Wahlausschuß des Bundestags sogar einer Dreiviertelmehrheit. Als wir vor etwa fünf Jahren das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht berieten, haben wir uns vorgestellt, daß im Hinblick auf das d'Hondtsche Verfahren die Dreiviertelmehrheit im Ausschuß ungefähr einer Zweidrittelmehrheit im Pie-
num entspreche. Die Erfahrungen haben gelehrt, daß auch einer Minderheit, die kein Drittel im Plenum darstellt, im Wahlausschuß ein Drittel der Stimmen zufallen kann. Man hatte die Hoffnung, daß sich die Parteien, die die demokratischen Einrichtungen unseres Staates bejahen, trotz gegensätzlicher Meinungen im einzelnen letzten Endes doch einmal einigen würden. Trotzdem konnte es geschehen, daß in einem Falle zwei Jahre nötig waren, um die Wahl eines Richters durchzuführen, meiner Auffassung nach ein unerträglicher Zustand.
Unsere Gesetze, meine sehr verehrten Damen und Herren, können nicht nur für die gegenwärtige politische Lage gedacht werden; sie müssen vielmehr auch anderen möglichen Situationen gerecht werden. Das tut aber ein Gesetz nicht, das die Wahl eines nach unserer aller Auffassung unverzichtbaren Verfassungsorgans endgültig und ausweglos von überhöhten Mehrheitsforderungen abhängig macht.
Zu welchen Konsequenzen das führen könnte, wird sofort klar, wenn man sich vorstellt, daß es im Bundestag wieder Parteien geben könnte, die von rechts und von links die Demokratie mit sogenannten legalen Mitteln bekämpfen. Oder man denke an eine Zeit schweren Parteienhaders in Grundsatzfragen, in der eine große Mehrheit im Wahlorgan einfach nicht zusammenkommen kann. Eine solche Situation ist nicht auszuschließen. Gerade dann muß der Bestand und die ordnungsmäßige, turnusmäßige Erneuerung des Bundesverfassungsgerichts gesichert sein.
Ich möchte diesen Gedanken nicht weiter ausspinnen, denn nach meiner Auffassung ist es schon prinzipiell bedenklich, die Bildung eines notwendigen Staatsorgans von einer qualifizierten Mehrheit abhängig zu machen, ohne gleichzeitig Vorsorge zu treffen, was zu geschehen hat, wenn diese qualifizierte Mehrheit nicht zustande kommt und damit die Bildung oder der Fortbestand eines notwendigen Staatsorgans gefährdet ist.
Das Grundgesetz selbst gibt hierfür das Beispiel bei der Wahl des Bundeskanzlers und vor allem bei der Wahl des Bundespräsidenten. In diesen Fällen sieht das Grundgesetz eine Wahl mit einfacher Mehrheit vor, wenn die zunächst geforderte absolute Mehrheit in zwei Wahlgängen nicht erreicht werden kann. Dabei ist vor allem zu bedenken, daß dieses Verfahren gerade auch bei der Wahl des Bundespräsidenten Platz greift, der ja nicht weniger als das Bundesverfassungsgericht auch nicht nur von dem Vertrauen derjenigen, die ihn gewählt haben, sondern von dem Vertrauen des ganzen Volkes getragen sein muß.
Aus diesen Gründen hält es die Bundesregierung für unerläßlich, daß eine Lösung gefunden wird, die die Beschlußfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts auch dann sicherstellt, wenn einmal eine größere Zahl von Richtersitzen turnusmäßig oder aus anderen Gründen frei wird und neu zu besetzen ist. Ich würdige durchaus die Gesichtspunkte, die, zu teilweise recht scharfem Widerstand gegen den Regierungsentwurf geführt haben. Die Bundesregierung hat auch sehr eingehend geprüft, ob eine Lösung möglich ist, die diesen Bedenken und der Kritik der öffentlichen Meinung Rechnung trägt.
Nicht zur Debatte scheinen mir die Vorschläge zu stehen, die den Grundsatz der Wahl durch den Deutschen Bundestag und durch den Bundesrat antasten wollen. Meine Bemühungen waren deshalb nur darauf gerichtet, ein Sicherheitsventil zu finden, das dann in Funktion tritt, wenn es sich bereits erwiesen hat, daß die Wahl nach den geltenden Vorschriften zu keinem Ergebnis führt und damit die Existenz des Gerichts gefährdet ist.
Als solches Sicherheitsventil käme z. B. die Entscheidung eines anderen, neutralen Gremiums oder Organs in Betracht, das an Stelle der zuständigen Wahlkörperschaft entscheiden sollte, wenn diese in angemessener Frist zu keiner Wahl käme. Auf diese Lösungsmöglichkeit ist in der Ihnen vorliegenden Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrats bereits hingewiesen. Wenn sich die Bundesregierung diesen Gedanken nicht in Form eines formulierten Vorschlages zu eigen gemacht hat, so namentlich aus zwei schwerwiegenden Gründen.
Zuerst bedürfte eine solche Regelung einer Grundgesetzänderung. Nach meiner Meinung — und ich glaube, damit weiß ich mich mit Ihnen allen einig — sollte aber zu einer Änderung des Grundgesetzes nur in Fällen unausweichlicher Notwendigkeit geschritten werden. Einen solchen Fall möchte ich hier zunächst nicht für gegeben halten. Zum andern würde ein solcher Vorschlag durch die Verlagerung der Entscheidung, sei es auch nur für den Notfall, die Rechte dieses Hohen Hauses antasten, und ein solcher Vorschlag würde, wie ich bereits vor dem Bundesrat ausgeführt habe, der Bundesregierung nicht anstehen. Ich bin vielmehr der Meinung, daß die Anregung zu einer solchen Modifikation Ihrer Rechte, meine Damen und Herren, aus der Mitte .dieses Hohen Hauses selbst kommen müßte.
Soll aber das Grundgesetz nicht geändert werden und folglich die Wahl prinzipiell beim Bundestag und Bundesrat verbleiben, so scheint mir nur der Vorschlag übrigzubleiben, der im Entwurf der Bundesregierung niedergelegt ist. Die Beratung von Einzelheiten, wie z. B. der Einbau einer Respektsfrist, muß dem Ausschuß vorbehalten bleiben.
Meine Damen und Herren, damit habe ich die wesentlichsten Punkte der Regierungsvorlage in den Grundzügen erläutert. Ich habe mich darauf beschränkt, nur die Grundsatzfragen, die wichtigsten Fragen, herauszustellen; dagegen habe ich die kleineren Änderungen, die nicht von entscheidender Bedeutung sind, nicht berührt. Sie finden diese in der Vorlage und die Erläuterungen in der Begründung. Dazu gehören verschiedene Einzelheiten wie z. B. die Frage, ob die Senate des Bundesverfassungsgerichts wie bisher schon bei einer geringeren Besetzung beschlußfähig sein sollen. Aber ich glaube, es würde zu weit führen, wenn ich auch diese Frage, die ja am besten im Ausschuß besprochen werden kann, hier zur Debatte stellen würde.
Im übrigen werden Sie in dem Gesetzentwurf auch noch andere Änderungsvorschläge finden, die aber meiner Auffassung nach nicht von grundsätzlicher Bedeutung sind, Verbesserungen geringfügiger Natur, die unbestritten sind und deshalb in einem Zuge mit den notwendigen großen Reformen erledigt werden können, ohne diese zu verzögern.
Zum Abschluß darf ich nochmals sagen: es sind ausschließlich zwingende sachliche Gründe, die die Bundesregierung zur Vorlage ihrer Reformvorschläge veranlaßt haben. Die Bundesregierung hat es nicht für richtig gehalten, die schwierigen Probleme, die nun einmal bestehen und einer Lösung harren, zu umgehen. Ich weiß, daß die Meinungen hier auseinandergehen. Trotzdem möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß die nähere Befassung mit dem Fragenkomplex im Ausschuß Sie davon überzeugen wird, daß die Vorschläge der Bundesregierung richtig sind, und ich hoffe, daß dann ein Ergebnis erzielt wird, das es dem Bundesverfassungsgericht ermöglicht, seiner hohen Aufgabe voll gerecht zu werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den uns die Bundesregierung vorlegt, besteht aus zwei Teilen: einer Novelle, die mit den Wünschen und Vorschlägen des Bundesverfassungsgerichts in Einklang steht, und zum anderen aus Reformvorschlägen, die außerdem noch hinzugefügt worden sind. Für den ersten Teil besteht wirklich eine dringende Notwendigkeit, und wir sind der Bundesregierung zu Dank verpflichtet, daß sie dieses Gesetz so bald wie möglich vorgelegt hat.
Ich kann mich nach dem, was der Herr Bundesjustizminister hierüber ausgeführt hat, dazu kurz fassen. Daß die Geschäftsverteilung beim Bundesverfassungsgericht so nicht bleiben kann, wie sie ist, ist unbestritten. Daß sie beweglich gestaltet werden soll, ist ein sehr guter Vorschlag. Ich möchte hier betonen: Dieser Punkt der Reform ist der allerdringendste im Hinblick vor allem auf die großen Rückstände, die sich bei dem Gericht angesammelt haben, Rückstände, die bereits dazu geführt haben, daß man, wie es auch in der Begründung der Bundesregierung heißt, von einem „Stillstand der Rechtspflege" gesprochen hat.
Die weiteren Reformen, die damit verknüpft sind, sind ebenfalls zu bejahen: Einschaltung einer Vorprüfung bei der Verfassungsbeschwerde. Ich glaube, es bestehen dagegen keine Bedenken. Die Verfassungsbeschwerde ist ja im Grundgesetz nicht vorgesehen. Man hat also hier ein Mehr gegenüber dem Grundgesetz gegeben. Wenn nun in vielen Fällen die Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde statt in die Hände von 12 in die Hände von drei Richtern gelegt wird, so dürfte dagegen nichts einzuwenden sein.
Einschränkung des Gutachtens. Auch hier stimme ich zu. Ich möchte eigentlich noch weiter gehen und dem ursprünglichen Vorschlag des Gerichts zustimmen, das Gutachten überhaupt abzuschaffen. Denn es ist ein Fremdkörper im Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Ich konnte mich seinerzeit nicht ganz der Argumentation jenes vielbeachteten Beschlusses entziehen, wonach das Gutachten für das Plenum bindend sein soll; denn wenn man schon dem höchsten Gericht die Aufgabe gibt, Gutachten zu erstatten, so wäre es eigenartig, wenn das Gericht dann nachher in einem Urteil möglicherweise von seinem Gutachten wieder abweichen könnte. Also, wie gesagt, es wäre besser, das Gutachten überhaupt wegfallen zu lassen.
Nun zum zweiten Teil dessen, was uns hier vorgeschlagen wird. Es sind zwei Punkte: einmal die Herabsetzung der Richterzahl, zum anderen die Änderung des Wahlmodus.
Gegen die Herabsetzung der Richterzahl sind zweifellos keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen oder verfassungspolitischen Bedenken zu erheben. Im Gegenteil, ich halte es für ein durchaus positives und begrüßenswertes Ziel — auf die Dauer gesehen —, vorn Zwillingsgericht weg zu einem einheitlichen Gericht zu kommen. Nur habe ich erhebliche Zweifel, ob das jetzt schon möglich ist. Wir müssen bedenken, daß unser Grundgesetz immer noch verhältnismäßig neu ist, daß das Bundesverfassungsgericht neu ist und daß deshalb die Rechtsprechung natürlich viel erheblichere Schwierigkeiten bietet, als wenn sie einmal eingefahren ist. Auch könnte ich mir denken, daß die Reform, die wir im ersten Teil des Gesetzes nun machen wollen, eine Erleichterung der Arbeitslast mit sich bringt, die es spät er erlauben wird, die Richterzahl herabzusetzen.
Ich muß hier nochmals auf das hinweisen, was ich vorhin sagte: daß große Rückstände beim Gericht vorhanden sind. Unter diesen Rückständen befinden sich so wichtige Dinge wie die Frage der Ehegattenbesteuerung, Angriffe gegen Gesetze zu Art. 12 des Grundgesetzes , Rückwirkung von Steuergesetzen, Bodenreformgesetze usw. Es ist vielleicht ein Widerspruch zu der Reform der Geschäftsverteilung, wenn wir nun gleichzeitig die Zahl der Richter herabsetzen. Nicht ganz unproblematisch ist in diesem Zusammenhang auch die geplante Abschaffung des Quorums. Aber, wie gesagt, das sind Probleme, über die man sich im Ausschuß wird unterhalten müssen und die jedenfalls nicht Anlaß zu grundlegenden Bedenken geben.
Nun aber zum Hauptproblem dieser Vorlage, oder vielmehr nicht Hauptproblem, sondern zu dem — wie es der Herr Minister ausgedrückt hat — am meisten diskutierten Problem. Es ist der Wahlmodus. Der Herr Berichterstatter im Bundesrat hat zu dieser Sache gesagt, sie rühre an die Wurzeln der Verfassungsgerichtsbarkeit und damit an die Wurzeln des Verfassungslebens. Ich muß deshalb hierzu einige grundsätzliche Berner-kungen über die Verfassungsgerichtsbarkeit und über unser Verfassungsgericht machen. Denn wenn wir uns mit den Wurzeln der Verfassungsgerichtsbarkeit befassen — und ich stimme der Ansicht zu, daß es sich hier darum handelt —, müssen wir uns zuvor darüber klar sein, um was es bei ihr überhaupt geht.
Die Dreiteilung der Gewalten hat immer mehr dazu geführt, daß die Rechtsprechung nicht nur neben Legislative und Exekutive steht, sondern über ihnen. Anders gesagt: auch der demokratische Staat bedarf einer gewissen Autorität; Autorität natürlich nicht gemeint als Machtfaktor in der Hand von Personen oder Gruppen, sondern im Sinne einer Institution, die über den Parteien steht und allgemeines Vertrauen genießt. So ist die Entwicklung überall zum materiellen Prüfungsrecht der Gerichte und zur Verfassungsgerichtsbarkeit gegangen. Die Lösung, die wir in der Bundesrepublik gefunden haben, ist zweifellos materiell die weitestgehende und formell die vollendetste; wenn man es abschätzig betrachtet, könnte man sagen, die perfektionierteste. In der Sache aber geht das Prüfungsrecht z. B. in den Vereinigten Staaten genau so weit, wenn es auch nur in concreto ge-
handhabt wird, nicht in Form abstrakter Kontrolle. Ich zitiere hier ein Wort des Oberrichters Hughes, der sagt: We are under Constitution, but the Constitution is what the judges say it is. Also: Wir leben unter einer Verfassung, aber die Verfassung ist das, was die Richter sagen, daß sie sei. Das ist eine etwas überspitzte Formulierung der Autorität, die der Rechtsprechung über die Gesetzgebung zusteht. Wenn wir in der Bundesrepublik hierbei vielleicht, wie es manchem scheinen mag, etwas zu weit gegangen sind und die Sache etwas zu sehr perfektioniert haben, so ist das durchaus verständlich und war sehr angebracht als Reaktion auf zwölf Jahre, in denen das Recht und die Justiz von der Staatsführung gröblichst beschimpft und bei jeder Gelegenheit zurückgedrängt wurden. Wenn man das heute als zu perfektioniert beanstandet, so muß ich doch fragen: Ist es dazu heute schon an der Zeit? Können wir die Rechtsstaatlichkeit, wie wir sie geschaffen haben, schon als Luxus betrachten und etwa von Exzessen des Justizstaates sprechen? Ich glaube, daß es dazu heute noch nicht an der Zeit ist.
Nun zum Bundesverfassungsgericht selbst. Es ist kein Geheimnis, daß Zweifel laut geworden sind, ob sich dieses Gericht bewährt habe, daß ein Mißbehagen vor allem auf seiten der Bundesregierung über dieses Gericht geäußert worden ist. Man macht vor allem einen Vorwurf. Man sagt, das Bundesverfassungsgericht komme schon nach seiner Anlage im Gesetz dazu, Politik und Recht zu vermischen; es werde häufig überfordert, indem man von ihm verlange, politische Entscheidungen zu treffen. Ich darf dazu zurückgreifen auf das, was im 1. Bundestag hierzu gesagt wurde. Alle Fraktionen haben ausgeführt, daß das Bundesverfassungsgericht keine politischen Entscheidungen im Gewand eines Richterspruchs zu treffen habe, daß es keine politische Führungsaufgabe habe, daß es nicht Recht gestalten, sondern auslegen solle. Das sind Zitate aus Ausführungen der damaligen Abgeordneten Laforet; Arndt und Wahl. Ausgerechnet nur der Abgeordnete Fisch von der KPD beanstandete, daß hier soviel Machtfülle in die Hände der Justiz gelegt werde.
Daß politische Entscheidungen an das Gericht herangetragen werden, ist allerdings nicht zu verhindern, genauso wie man an ein Zivilgericht eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit herantragen kann. Aber es ist dann eben Aufgabe des Gerichts, hier das Öffentlich-rechtliche vom Zivilen, dort das Politische vom Rechtlichen zu scheiden, und man darf doch feststellen, daß das dem Bundesverfassungsgericht bisher in allen Fällen gelungen ist. Ich darf nur auf ein Beispiel aus der Wirtschaft verweisen: die Entscheidung zum Investitionshilfegesetz. Hier ist mit sehr deutlichen Worten ausgeführt, der Gesetzgeber habe ein weites Ermessen, wie er die Wirtschaftspolitik gestalten wolle, und das Gericht habe nur einzugreifen, wenn dieses Ermessen überschritten sei, was hier aber nicht der Fall sei.
Ich habe wirklich das Bedürfnis, festzustellen, daß das Bundesverfassungsgericht bis jetzt seine Aufgabe erfüllt hat. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren, was der von mir vorher schon genannte Berichterstatter des Rechtsausschusses des Bundesrates, Herr Senator Dr. Weber , hierzu gesagt hat. Er hat hierzu Außerungen gemacht, die so temperamentvoll waren, daß sie in den feierlichen Hallen des Bundesrates einiges Aufsehen erregt haben. Aber ich finde, man kann es nicht besser ausdrücken, als er es sagte:
So schlecht der Wahlmodus sein mag, so gut ist das Gericht. Es ist nämlich eine Tatsache, die man gerade in diesem Augenblick aussprechen sollte, daß das Bundesverfassungsgericht sich in der verhältnismäßig kurzen Zeit seines Bestehens einen seiner verfassungsrechtlichen Bedeutung entsprechenden Ruf und ein hohes Ansehen geschaffen hat. Hierzu haben nicht zum wenigsten die klaren, ich darf aber auch sagen, die mutigen Entscheidungen dieses Gerichts beigetragen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur im Verfassungsrecht, sondern in der Verfassungswirklichkeit eine überragende Stellung erlangt. Seine Rechtsprechung hat eindeutig erwiesen, daß das Gerede darüber, welcher politischen Partei die einzelnen Richter angehören oder nahestehen, und ebenso das Gerede vom roten und vom schwarzen Senat nichts als unverantwortlicher Unsinn sind.
Damit glaube ich das zweite Argument erledigt zu haben, das nicht ernst genommen werden kann, das Bundesverfassungsgericht sei in seiner bisherigen Tätigkeit irgendwie parteiisch gewesen. Ich glaube, das wird auch heute niemand ernsthaft behaupten. Aber wir sind es dem Ansehen dieser Institution schuldig, auch einmal von dieser Stelle zu sagen, daß solche Vorwürfe völlig aus der Luft gegriffen sind.
Nun zu den Überlegungen, wie das Gericht, dem eine so große Bedeutung zukommt und das sich bisher ein so hohes Ansehen errungen hat, ergänzt werden soll. Die jetzige Lösung ist zweifellos unbefriedigend, und zwar aus zwei Gründen: einmal deshalb, weil die Kontrolleure allein von den zu Kontrollierenden gewählt werden, und zum zweiten deshalb, weil der Wahlmodus die Möglichkeit zu Verzögerungen der Wahl gibt. Unsere Fraktion ist sich noch nicht darüber schlüssig, ob die Konsequenz, die die Bundesregierung mit ihrem neuen Vorschlag daraus zieht, die richtige ist. Diejenigen, die diesem Vorschlag zustimmen, sehen vor allem den zweiten Mangel der jetzigen Lösung, die Möglichkeit von Verzägerungen, und das sind naturgemäß vor allem diejenigen Damen und Herren, die bereits im 1. Bundestag waren und den Fall damals miterlebt haben, daß die Neubestellung eines Richters sich über zwei Jahre hinzog. Ich möchte auf diesen Einzelfall nicht einmal soviel Gewicht legen. Aber schon die Befürchtung, daß es bei der bevorstehenden Wahl von acht Richtern auch wieder zu einer solchen Verzögerung kommen könnte, ist natürlich sehr ernst zu nehmen. Diese Befürchtung kann auch nicht damit abgetan werden, daß man sagt: Jeder, auch die Opposition, muß ein Interesse daran haben, daß das Gericht funktionsfähig bleibt, sonst kann man ja keine Klagen bei ihm anbringen! Wenn das Gericht nicht funktionsfähig ist, so ist das ein Schaden für das öffentliche Wohl und nicht nur, je nachdem, für die Mehrheit oder für die Minderheit!
Ich möchte aber nun den anderen Standpunkt darlegen, der auch mein Standpunkt ist. Ich spreche also im folgenden nur noch für meine Person. Ich sehe mehr das erste Bedenken gegen die jetzige Lösung, nämlich daß die zu Kontrollierenden die Kontrolleure wählen, und ich fürchte, daß, wenn wir dem Vorschlag der Bundesregierung folgen dieses Bedenken noch verstärkt wird. Bisher konnte wenigstens ein Kompromiß zustande kom
men. In der Zukunft aber könnte es sein, daß ein Richter überhaupt nur von einer Partei oder von einer einseitigen Regierungsmehrheit gewählt wird. Dagegen sagt man nun: Man muß auch Vertrauen zur Mehrheit haben! — Selbstverständlich, Vertrauen soll auch im parlamentarischen Leben herrschen. Nun, im 1. Bundestag war man sich darüber einig, daß dieses wichtige Organisationsgesetz nur einstimmig beschlossen werden dürfe. Ich darf hierzu mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren, was der Abgeordnete Dr. von Merkatz in der 112. Sitzung des 1. Bundestages gesagt hat: Die Organisation des Bundesverfassungsgerichts muß vom Willen aller Fraktionen getragen werden. — Dem hat sich vor allem der Abgeordnete Kiesinger angeschlossen, dem, soviel ich weiß, die damals zustande gekommene Einigung in erster Linie zu verdanken war. Auf diese Übereinstimmung sollte man auch heute noch vertrauen dürfen. Aber ein Vertrauen darauf, daß nun die jeweilige Mehrheit, nicht die heutige und nicht die von morgen, sondern die jeweilige Mehrheit hier eine richtige Wahl treffen wird, scheint mir doch nicht angebracht zu sein. Ich denke hier an das Wort Stifters: „Wie wenige sind es, die zu wählen verstehen!" Ich meine ganz im Gegenteil, hier müßte im Parlament eine Atmosphäre, sagen wir einmal, des herzlichen Mißtrauens herrschen; denn es ist Aufgabe der Opposition, von Amts wegen mißtrauisch zu sein gegen die Regierung, gegen die Regierungsparteien, aber auch gegen sich selbst als eventuelle künftige Regierungspartei.
Weiter argumentiert die Bundesregierung vor allem damit, daß ja auch der Bundeskanzler und der Bundespräsident mit einfacher, eventuell sogar
nur mit relativer Mehrheit gewählt werden. Aber hier handelt es sich um Institutionen der Exekutive. Der Bundeskanzler ist der Repräsentant der Regierungsmehrheit. Der Bundespräsident hat die Entscheidungen der Regierungsmehrheit auszuführen; er kann höchstens das Bundesverfassungsgericht fragen, aber er kann nicht selbst etwa einen Gesetzesbeschluß des Bundestages oder des Bundesrates für rechtsunwirksam erklären. Das Bundesverfassungsgericht ist demgegenüber gerade der Hüter der Rechte der Minderheit. Es soll sagen, was Rechtens ist, und zwar in einer Form, die bindend ist und sogar in manchen Fällen Gesetzeskraft hat, endgültige Gesetzeskraft, die von niemandem mehr in Zweifel gezogen werden kann.
Diese Stellung, die das Bundesverfassungsgericht hat, erinnert also in gewissem Sinne an den Begriff der Unfehlbarkeit in rechtlichen Dingen, und dieser Begriff führt mich auch ,auf eine Parallele, die man mir nicht übelnehmen möge. Auch der Papst, der ja in religiösen Fragen unfehlbar ist, wird mit einer Zweidrittelmehrheit und in einem Konklave gewählt, das so lange dauert, bis diese Zweidrittelmehrheit zustande kommt. Ich weiß, daß dieser Vergleich sehr hinkt und hier als Parallele zum Bundesverfassungsgericht eigentlich nicht gebracht werden kann. Aber es handelt sich hier eben auch urn Mitglieder einer sehr wesentlichen Institution, deren Wahl wir nicht einer einfachen Mehrheit anvertrauen können. Meiner Ansicht nach müßte man sogar von vornherein denjenigen als einen schlechten Richter betrachten, der sich von einer einseitig zusammengesetzten Mehrheit in dieses Gericht wählen ließe.
Es ist natürlich dem Regierungsentwurf zuzugeben, daß er in keiner Weise gegen die Verfassung verstößt. Es wäre durchaus möglich, diese Lösung zu treffen. Aber man war sich auch im 1. Bundestag darüber einig, daß das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht materiellen Verfassungsrang hat. Der Abgeordnete von Merkatz hat von einer Krönung des Rechtsstaates gesprochen, von dem Wesentlichen, das wir dem Bolschewismus entgegensetzen können, und hat den materiellen verfassungsrechtlichen Inhalt dieses Gesetzes, das nicht nur ein Organisationsgesetz sei, besonders hervorgehoben. Deshalb wäre auch heute, wenn wir das Gesetz ändern, hierbei wieder möglichst eine Einstimmdgkeit erwünscht.
Schließlich gebe ich noch zu bedenken, daß wir in unserer Verfassung das konstruktive Mißtrauensvotum haben und daß es wohl nur ein gutes Gegengewicht gegen diese Einrichtung ist, deren Berechtigung ich bejahe, wenn dafür gesorgt wird, daß eine möglichst große Mehrheit bei der Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts vorhanden ist. Trotzdem — ich sagte es zu Anfang — ist es unbefriedigend, daß nur die zu Kontrollierenden wählen sollen, und ich habe doch die Hoffnung, daß hier eine Lösung gefunden werden kann, die dies vermeidet. Jedenfalls müssen wir feststellen, daß der Widerhall, den der Vorschlag der Bundesregierung in der Presse gefunden hat, allgemein sehr ungünstig war. Man sprach vom Regierungsgericht, man sprach von Gefahr im Verzuge, und zwar in Blättern, die der Bundesregierung durchaus nahestehen. An anderer Stelle wurde zitiert, was Plato in seiner „Republik" den Thrasymachos sagen läßt. Dort heißt es: „Ich behaupte, daß Gerechtigkeit und Recht nichts anderes bedeuten als das Interesse der stärkeren Partei." Wir können uns über dieses Echo der Öffentlichkeit nicht hinwegsetzen. Selbstverständlich unterstelle ich ,der Bundesregierung nicht, ,daß sie hier etwa das Interesse der stärkeren Partei im Gesetz verankern wolle und daß dies, wie gesagt wurde, der erste Schritt zur Einschränkung ,der Rechte des Bundesverfassungsgerichts sei. Aber wir müssen schon den Verdacht vermeiden, daß so etwas überhaupt geplant worden sei. Eine gewisse Hoffnung hierfür gibt mir das, was die Bundesregierung am Schluß ihrer Stellungnahme zu den Vorschlägen des Bundesrates ausführt, was allerdings der Herr Minister heute wieder etwas eingeschränkt hat. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren:
Die Bundesregierung würde es . . . begrüßen, wenn im Verlauf des weiteren Gesetzgebungsverfahrens durch eine Änderung des Grundgesetzes die Voraussetzung für eine andere Lösung des Problems geschaffen werden könnte. Eine Regelung, die dem Anliegen der Bundesregierung gerecht wird und gleichzeitig den erhobenen Bedenken Rechnung trägt, könnte etwa darin gesehen werden, daß an Stelle der zuständigen Wahlkörperschaft ein anderes Organ entscheidet, wenn eine Wahl durch die betreffende Wahlkörperschaft innerhalb einer ausreichend bemessenen Frist nicht zustande gekommen ist.
Ich könnte mir die Lösung auch noch in anderem Sinne denken, technisch etwa so, daß ein Präsentationsrecht geschaffen wird und für einen zu wählenden Kandidaten drei oder vier oder fünf Personen von einem Gremium, etwa der Oberlandesgerichtspräsidenten oder der juristischen Fakultäten oder vielleicht vom Gericht selbst vorgeschlagen werden und daß dann die Wahlgremien von
Bundestag und Bundesrat binnen bestimmter Frist zu diesem Vorschlag Stellung nehmen müssen, wobei sie auch völlig von ihm abweichen können. Wenn sie aber die Frist verstreichen lassen, soll der Bundespräsident einen der Vorgeschlagenen ernennen können. Es gibt viele denkbare Möglichkeiten für eine befriedigende Lösung. Aber wir müssen bei der Ausarbeitung dieses Gesetzes auf zwei Dinge Bedacht nehmen, einmal darauf, daß wir das 'dringende Anliegen einer baldigen Reform der Geschäftsverteilung nicht ungebührlich lange verzögern, indem wir das Gesetz noch mit anderen Problemen belasten, und zum zweiten darauf, daß wir nicht ein Gesetz schaffen, in dem Gerechtigkeit und Recht wirklich nur das Interesse der stärkeren Partei oder der Mehrheit bedeuten würden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage, die diesem Gesetzentwurf zugrunde liegt, ist von solcher Bedeutung, daß, wenn wir uns auf sie beschränkt hätten, es sehr wohl möglich gewesen wäre, eine einheitliche Meinung zu bilden und eine einheitliche Entscheidung zu treffen. Sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat hätten sie sicher gefunden.
Herr Kollege Bucher hat in Worten, denen ich nichts hinzuzufügen habe, die Bedeutung und die Stellung des Bundesverfassungsgerichts dargelegt. Das Bundesverfassungsgericht ist in erhebliche Not geraten. Wir haben es bereits dargestellt bekommen: Der Erste Senat erstickt in der Überfülle der Arbeit, der Zweite Senat ist unterbeschäftigt, und wir müssen in der Tat davon reden, daß so etwas wie ein Stillstand der Rechtspflege, ein Rechtsnotstand vorliegt, und die Frage, die wir zu entscheiden haben, ist die, wie wir diesem Rechtsnotstand abhelfen können, d. h. wie wir dafür sorgen können, daß die Arbeitsüberlastung des Ersten Senats abgebaut werden kann, damit das Gericht im ganzen wieder arbeits- und funktionsfähig wird. Hätten wir uns auf diese Frage beschränkt, dann hätten wir — ich wiederhole es — dieses Gesetz sehr schnell verabschieden können, ja, dann könnte es schon verabschiedet sein. Das Bundesverfassungsgericht, das ja am meisten betroffen ist, hat eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Drei wesentliche Punkte sind von ihm dargestellt worden. Es hat über die Mittel, durch die man den Notstand beseitigen kann, eine ausführliche gutachtliche Äußerung geschrieben. Drei Punkte sind es: Eine Änderung der Geschäftsverteilung, eine Änderung des Verfahrens bei den Verfassungsbeschwerden durch Einbau eines Vorprüfungsverfahrens und eine Reform des Gutachtenverfahrens. Wir alle durften erwarten — ich werde noch darauf eingehen —, daß die Bundesregierung, von diesen Vorschlägen ausgehend, einen Gesetzentwurf vorlegte. Als aber der Gesetzentwurf kam, da haben wir zu unserer großen Bestürzung gesehen, daß neben diesen Fragen ganz andere Dinge geregelt werden sollten, gewissermaßen unter der Hand. Es ist vorgesehen eine Herabsetzung der Richterzahl und eine Umgestaltung des Modus der Richterwahl. Die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn im ersten Wahlgang mit einer qualifizierten Mehrheit sowohl im Wahlmännergremium des Bundestages als auch im Bundesrat eine Wahl nicht sofort zustande kommt, sollen damit aus dem Wege geräumt werden, daß die Richter in einem anschließenden zweiten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt werden können.
Wir haben uns die Frage vorzulegen: Wie ist es möglich, daß plötzlich in diesen Gesetzentwurf solche weitgehenden Vorschläge aufgenommen worden sind? Dabei kann ich es mir nicht ersparen, noch einmal kurz auf die historischen Vorgänge einzugehen. Herr Kollege Greve hat anläßlich der Haushaltsdebatte namens meiner Fraktion schon einiges dazu gesagt. Wir wissen, daß das Bundesjustizministerium schon seit langem mit dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Die Vertreter meiner Fraktion im Rechtsausschuß haben nichts Gutes geahnt und schon sehr frühzeitig danach gefragt, wie es mit dieser Gesetzgebung aussieht und was geplant ist. Wir haben nun anläßlich dieser Debatte im Rechtsausschuß sehr beruhigende Erklärungen erhalten.
Zum erstenmal haben wir über die Frage gesprochen in der Sitzung des Rechtsausschusses am 11. November 1954. Damals hat uns der Herr Bundesjustizminister Erklärungen abgegeben. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen, was der Herr Bundesjustizminister damals gesagt hat. Denn mir scheint, es kommt auf das an, was der Herr Bundesjustizminister damals in der Haushaltsdebatte dazu erklärt hat. Herr Kollege Arndt hat ihn gefragt, wie denn nun die Dinge stehen. Der Herr Justizminister hat gesagt,
daß es sehr schwer sei, in diesem Vorstadium etwas Genaues zu sagen. Wenn die Vorbereitungen weiter gediehen seien, werde man gern Gelegenheit nehmen, darüber zu berichten, sei es im Ausschuß, sei es in Form der Zuziehung einiger Mitglieder der Fraktionen einschließlich der Opposition. Im Januar habe man nur von der dringendsten Aufgabe, der Entlastung des Ersten Senats, gesprochen. Vom Bundesverfassungsgericht seien weitere Anregungen gekommen.
— Das sind eben die Anregungen, die sich auf die Verfassungsbeschwerde und auf das Gutachtenverfahren beziehen. —
So habe man auch an eine gewisse Einschränkung bei der Verfassungsbeschwerde gedacht. Das alles sei aber noch im Gange und berühre schon das Gebiet der großen Lösung. Man stehe in ständigem Kontakt mit dem Bundesverfassungsgericht.
In der Sitzung des Rechtsausschusses vom 8. Februar 1955 ist die Frage erneut angeschnitten worden, und zwar von Herrn Kollegen Weber von der CDU. Damals hat der Herr Bundesjustizminister erklärt,
das Bundesjustizministerium stehe schon seit längerer Zeit mit dem Bundesverfassungsgericht in direkten Verhandlungen und habe auch schon entsprechende Vorschläge des Bundesverfassungsgerichts erhalten,
— das ist das Gutachten vom 23. Dezember 1954 —
die sich durchaus mit der Auffassung des Bundesjustizministeriums deckten. Diese Vorschläge müßten nur noch mit den übrigen Ressorts abgestimmt werden. Die Bundesregierung beabsichtige, sobald eine Übereinstimmung unter den Ressorts erzielt worden sei, je einen Vertreter der fünf Fraktionen des Bundestages zu einer Besprechung dieser An-
gelegenheit im kleinen Rahmen zu bitten, bevor die Sache dann ans Kabinett und an den Bundestag gebracht werde.
Sie sehen also, das Versprechen, das im November 1954 gegeben worden ist, ist im Februar 1955 ausdrücklich und in aller Form erhärtet worden. Wie sind die Dinge aber in Wirklichkeit gegangen? Eines schönen Tages erfahren wir, daß sich das Bundeskabinett mit der Frage befaßt hat und daß der Gesetzentwurf an den Bundesrat gegangen ist. Nach der Beschlußfassung im Bundeskabinett hat der Herr Bundesjustizminister meinen Kollegen Dr. Arndt zwar schamhaft unterrichtet über das, was vollendete Tatsache geworden ist, aber er hat es unterlassen, bevor der Gesetzentwurf dem Kabinett vorgelegt worden ist, die Parteivertreter, vor allen Dingen die Opposition zu hören. Wir wissen nicht, ob die Vertreter der Koalition gehört worden sind. Fest steht, daß die Vertreter der Opposition entgegen dem gegebenen Versprechen nicht gehört worden sind.
Wir müssen uns fragen: Warum ist das geschehen? Dazu hat der Herr Bundesjustizminister in der Sitzung des Plenums des Bundestages anläßlich der Debatte über den Haushalt ja auch einiges gesagt. Er hat zunächst sich damit entschuldigen zu können geglaubt, daß Herr Kollege Ollenhauer ihm einen Brief geschickt habe, als es darum ging, in einer bestimmten Frage für die Vorbereitung eines Gesetzes einen ständigen Ausschuß zu bilden. Herr Kollege Ollenhauer hatte geäußert, man solle Exekutive und Legislative nicht miteinander vermischen. Das sei ihm, so sagte der Herr Justizminister, ein Anlaß gewesen, das gegebene Versprechen nicht zu halten. Nun, ich glaube, das kann wohl kaum als eine ernsthafte Begründung angesehen werden. Denn hier handelt es sich um einen ganz anderen Fall. Wir sind uns im Rechtsausschuß, und zwar alle Parteien, einig in dem Wunsch gewesen, daß der Herr Bundesjustizminister uns von Zeit zu Zeit über seine Arbeit informiert, daß wir miteinander über das sprechen, was geplant ist, und daß man vorher auch schon gewisse Dinge abstimmt. Das ist etwas ganz anderes, als wenn Exekutive und Legislative gemeinsam einen Gesetzentwurf erarbeiten. Dieser Einwand zieht also nicht. Ich kann nichts anderes sagen: Es ist ein schlechter Grund, der hier von dem Herrn Bundesjustizminister angegeben worden ist.
Wir haben bei dieser Gelegenheit aber auch noch etwas anderes erfahren. Der Herr Bundesjustizminister hat uns in dieser Plenarsitzung gesagt, daß er zunächst einmal einen Entwurf vorgelegt habe, der die kleine Reform enthalten habe. Der Entwurf hat offenbar das enthalten, was mit dem Bundesverfassungsgericht besprochen worden ist, dessen alleiniges Ziel es gewesen ist, die Überlastung des Bundesverfassungsgerichts zu beheben. Aber im Kabinett habe man dann darauf bestanden, weitere Punkte in dieses Gesetz aufzunehmen,
also weit über den Zweck des Gesetzes, eine Überlastung des Bundesverfassungsgerichts zu beseitigen, hinauszugehen.
Es ist offensichtlich, wie die Dinge zustande gekommen sind. Darüber ist in der Presse wie auch
im Bundestag schon mancherlei gesagt worden.
Man könnte die Vermutung haben, daß es dem Bundesjustizminister mit der Vorlage der kleinen Reform nicht ernst war und daß er bereits im Kabinett die Dinge in bezug auf die große Reform so vorangetrieben hat, daß es dann einen entsprechenden Beschluß gefaßt hat. Diese Vermutung möchte ich nicht aussprechen. Ich glaube, man darf und muß dem Herrn Bundesjustizminister als einem loyalen Mann glauben, daß er die Absicht hatte, dem Kabinett die kleine Reform vorzulegen. Es müssen also Kräfte im Kabinett selber oder Kräfte, die hinter gewissen Mitgliedern des Kabinetts stehen, dagewesen sein, die die sogenannte große Reform betrieben haben.
Damit finden wir bestätigt — der Herr Bundesjustizminister hat es uns selbst bestätigt —, daß dunkle Kräfte am Werk sind, denen es nicht so sehr darauf ankommt, dem Bundesverfassungsgericht in seiner schweren Notlage zu helfen, und zwar schnell zu helfen und so zu helfen, daß rasch eine Übereinstimmung erzielt werden kann, sondern die die Gelegenheit benutzen wollen, ganz andere Zwecke zu erreichen.
Das haben die Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers, ohne daß er es gewollt hat, ganz klar und deutlich ergeben. Er war für die kleine Reform; herausgekommen ist, nachdem das Kabinett beraten hat, eine „große" Reform, d. h. eine völlige Änderung der Struktur des Bundesverfassungsgerichts.
Dabei kann ich trotz allem dem Herrn Bundesjustizminister den Vorwurf nicht ersparen, daß er auch dann, wenn er nur einen Gesetzentwurf mit einer kleinen Reform vorgelegt hat, sein Versprechen, die Opposition und das Bundesverfassungsgericht zu hören, nicht gehalten hat. In der Sitzung des Rechtsausschusses im Februar 1955 war auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Dr. Wintrich, zugegen. Auch er hat das Versprechen entgegengenommen, daß er gehört werde, bevor der Gesetzentwurf ,dem Kabinett zugeleitet werde. Aber auch er und das Bundesverfassungsgericht sind erst orientiert worden, nachdem das Kabinett entschieden hatte. Sowohl er und das Bundesverfassungsgericht als auch wir von der Opposition — das steht eindeutig fest — sind vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
Nun wissen wir alle, daß dieser Gesetzentwurf in der Öffentlichkeit geradezu einen Schock ausgelöst hat. Wir brauchen nur einmal nachzulesen, was die Zeitungen damals, als dieser Gesetzentwurf dem Bundesrat zugeleitet wurde, alles geschrieben haben. Ich denke gar nicht an sozialdemokratische Zeitungen, ich denke an ganz andere Zeitungen. Fast alle unsere führenden Zeitungen haben sich sehr eingehend zu diesem Problem geäußert. Ich darf etwa darauf hinweisen, was eine so bedeutende Zeitung wie die „Frankfurter Neue Presse" gesagt hat, eine Zeitung, die ganz ohne Zweifel zum mindesten der größten Regierungspartei nahesteht. Diese Zeitung hat unter der Überschrift: „Doktor Eisenbart kuriert Karlsruhe" folgendes gesagt — ich darf das mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz verlesen:
Ob gewollt oder ungewollt, die Bundesregierung greift die politische Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts an, wenn sie seine Richter im zweiten Wahlgang durch einfache Mehrheit wählen lassen will. Der Vorschlag ist bedenklich und gefährlich.
Das schreibt die „Frankfurter Neue Presse".
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet über einen Vortrag von Professor Helmholtz, einem Mitglied des Bundesverfassungsgerichts, der erklärt hat, daß das kunstvolle Gleichgewicht zwischen der Bundesregierung und ihren verfassungsmäßigen oppositionellen Partnern verlorengehe; damit werde der verfassungsrechtliche Charakter des Grundgesetzes in Frage gestellt. Es ist sehr interessant, daß die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" sich nicht damit begnügt hat, einen Bericht über diesen Vortrag zu geben, sondern daß sie weitere Ermittlungen angestellt hat. Sie fügt diesem Bericht an, daß fast alle Richter des Bundesverfassungsgerichts der gleichen Meinung seien.
Was hier gesagt worden ist, .ist deutlich und klar, ebenso deutlich und klar wie das, was die „Frankfurter Neue Presse" gesagt hat: daß mit der Regelung, die in diesem Vorgesetzentwurf vorgesehen ist, der verfassungsrechtliche Charakter des Grundgesetzes in Frage gestellt wird. Darüber kann gar kein Zweifel bestehen; denn, ich glaube, darin sind wir heute doch einig, daß das Bundesverfassungsgericht eine der Säulen unseres demokratischen Rechtsstaates ist. Wenn wir diese Säule anknabbern, dann wird in der Tat das Gleichgewicht gestört, das darin besteht, daß die verschiedenen Säulen aufeinander bezogen sind. Damit wird die Möglichkeit eines demokratischen Ausgleichs geradezu aus dem Wege geräumt. Wir wollen, daß die Legislative und die Bundesregierung frei arbeiten können, aber ebenso müssen wir wollen, daß diese Arbeiten durch ein Gericht kontrolliert werden, das unabhängig ist.
Ich darf unterstreichen, was der Herr Kollege Bucher gesagt hat. Es ist einfach nicht angängig, überhaupt nur mit einem Anschein von Recht davon zu reden, daß das Bundesverfassungsgericht versagt habe, daß es parteipolitisch oder überhaupt parteiisch entschieden habe. An der Unparteilichkeit dieses Gerichts in der Vergangenheit kann gar nicht gezweifelt werden. Es ist außerordentlich gefährlich, daß ausgerechnet der Herr Bundesjustizminister mindestens in Worten, die mißverständlich waren, daran gezweifelt hat. Er hat in einem Interview davon gesprochen und auch in der Begründung des Regierungsentwurfs ist dargelegt worden, daß es einen roten und einen schwarzen Senat gebe. Er hat von einem Verdacht gesprochen, der in dieser Richtung aufgekommen ist. Ich glaube, von Regierungsstelle und von seiten des Bundestags — die beide da sind, das Bundesverfassungsgericht zu schützen — sollte ein solcher Verdacht überhaupt nicht ausgesprochen werden. Böswillige Äußerungen dieser Art sollten überhaupt nicht zur Kenntnis und nicht aufgenommen werden.
Ich halte es nicht für gut, daß der Herr Bundesjustizminister — ich unterstelle ihm gar keinen bösen Willen — sich in dieser Richtung zu Äußerungen hat verleiten lassen, die nicht geeignet sind, den Schutz des Bundesverfassungsgerichts — der wahrhaftig oft genug hätte gewährt werden müssen — zu gewährleisten.
Die „Süddeutsche Zeitung" z. B. schreibt auch davon, gerade wegen der Zahl und der Wahl der Richter sei vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe aus kein SOS-Ruf ausgegangen; infolgedessen bestehe gar keine dringende Notwendigkeit, Bestimmungen über die Zahl und die Wahl der Richter in das Gesetz aufzunehmen.
Das Echo in der Öffentlichkeit, das Erschrecken, das durch die Presse gegangen ist, ist von dem anderen Verfassungsorgan des Bundes, nämlich vom Bundesrat, aufgenommen worden. Auch der Bundesrat hat schwere Bedenken dagegen geltend gemacht, daß man dieses Gesetz, das eine Sofortwirkung auslösen soll, überhaupt mit so schwerwiegenden, so problematischen Fragen belastet. Er hat außerdem auch sachlich gegen diese Bestimmungen Stellung genommen.
Man konnte sehr gespannt sein, was denn nun die Bundesregierung nach diesen Äußerungen — man kann ruhig sagen — des Volkswillens und nach der Stellungnahme eines verfassungsmäßigen Organs des Bundes tun würde. Man hätte erwarten dürfen, daß die Regierung nun darauf hören, sich danach einrichten und den Gesetzentwurf von den problematischen Dingen reinigen werde, damit die wirklich dringenden Dinge erledigt werden können. Nichts dergleichen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung ist mit einem einzigen saloppen Satz über alle diese Bedenken hinweggegangen. Sie hat erklärt, sie sei nach wie vor der Meinung, daß die Bestimmung der Zahl und die Regelung der Wahl der Richter vordringlich seien und deswegen ins Gesetz mit aufgenommen werden müßten.
Ich glaube, in diesem Punkt wird auch eine widersprüchliche Haltung des Herrn Justizministers sichtbar. Der Herr Justizminister hat uns erklärt, daß er dem Kabinett nur die kleine Reform vorgeschlagen habe. Nun hören wir von ihm und von der Bundesregierung, daß diese Fragen, die er gar nicht dem Kabinett zur Entscheidung vorgelegt hat, vordringlich seien. Wenn sie wirklich so vordringlich wären, wie das in der Erwiderung auf die Vorschläge des Bundesrates gesagt worden ist, dann hätte der Herr Bundesjustizminister die Verpflichtung gehabt, diese Reform bereits bei der ersten Vorlage des Gesetzentwurfs dem Kabinett vorzuschlagen. Gerade das hat er aber nicht getan. Daraus ergibt sich, daß er selbst gar nicht der Meinung ist, daß diese Fragen vordringlich sind. Vielmehr ist er der Meinung, diese Fragen könnten später geregelt und dann ausführlich erörtert werden. Denn wenn diese Fragen im Gesetz mit be- handelt werden, entstehen außerordentliche Schwierigkeiten. Die Beratung des Gesetzes zieht sich unendlich in die Länge, und damit wird der Hauptzweck nicht erreicht, nämlich die Entlastung unseres wichtigsten Gerichts. Darüber kann doch gar kein Zweifel bestehen, und ich muß sagen, ich bewundere den Mut der Bundesregierung, die es in Kauf nimmt, daß ein höchstes Gericht aktionsunfähig bleibt. Sie schlägt eine Regelung vor, die dem Gericht nicht nützt. Sie belastet diese Regelung mit weiteren Bestimmungen, die es mit sich bringen, daß eine Entlastung des Gerichts auf unabsehbare Zeit vereitelt wird.
Wir Sozialdemokraten sind der Meinung — ganz unabhängig davon, wie man materiell zu dieser Frage steht —, daß diese Fragen ausgeklammert werden müssen — genau wie es der Bundesrat vorgeschlagen hat — und daß man dafür sorgen muß,
daß das Gesetz in seinem wahren, in seinem entscheidenden Kern alsbald Rechtskraft erlangt. Denn, was seinen Kern anlangt: über ihn werden wir sehr schnell eine Einigkeit erzielen können.
Wir Sozialdemokraten sind auch der Meinung und stimmen damit mit dem Bundesverfassungsgericht und dem Gesetzentwurf überein, daß man die Geschäftsverteilung ändern muß, daß man sie nicht mehr durch gesetzliche Bestimmungen vornehmen kann, sondern daß die Möglichkeit für das Gericht geschaffen werden muß, selbst zu entscheiden, wie es seine Geschäfte verteilen will. Ihm muß die Möglichkeit gegeben werden, die Geschäfte so zu verteilen, daß beide Senate einigermaßen gleichmäßig belastet sind und so die Arbeit getan werden kann.
Wir sind auch durchaus damit einverstanden, daß in bezug auf das Zulassungsverfahren für die Verfassungsbeschwerden etwas geschieht, daß also dieses Zulassungsverfahren geschaffen wird. Wir dürfen obendrein sagen: wir Sozialdemokraten sind es gewesen, die bereits damals, als das Gesetz beraten worden ist, das Zulassungsverfahren vorgeschlagen haben. Damals hat man auf der rechten Seite dieses Hauses dieses Zulassungsverfahren abgelehnt. Heute kommt man reumütig zu diesem Vorschlag zurück. Wir sind durchaus bereit, auch diesen Vorschlag mitzubilligen und daran mitzuarbeiten.
Auch wenn — das wird zwar nur eine Nebenfrage bei der Entlastung des Gerichts sein — darüber gesprochen wird, in bezug auf das Gutachtenverfahren zweckmäßige Änderungen einzuführen, wird man in uns durchaus verständige Mitarbeiter finden. Wir werden bereit sein, da mitzutun, aber unter keinen Umständen, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden wir uns bereit finden, da mitzuarbeiten, wo eine der Säulen unseres Verfassungslebens — ich sagte es schon —angeknabbert wird.
Wir sehen ja zu deutlich, was hinter diesen Dingen steht. Es ist ein offenes Geheimnis, daß das Bundesverfassungsgericht für die Bundesregierung in der Vergangenheit nicht immer ein angenehmer Partner war. Die Bundesregierung hatte Veranlassung, das Bundesverfassungsgericht manchmal zu fürchten. Wir wissen, daß es in der Vergangenheit Fälle gegeben hat, wo die Bundesregierung nicht nur darum gezittert, sondern auch einiges getan hat, in politischen Fragen eine Meinungsäußerung des Bundesverfassungsgerichts zu erreichen, die ihr genehm war. Und da liegt doch des Pudels Kern, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn man dazu übergeht, heute zu sagen, das Bundesverfassungsgericht leide darunter, daß die Wahl der Richter nicht rechtzeitig vorgenommen werden könne, so ist doch das auch ein Vorwand. Ich will gar nicht bestreiten, daß die Wahl der Bundesverfassungsrichter nach dem bestehenden Gesetz oft nicht ganz leicht ist, daß die qualifizierte Mehrheit erfordert, daß man auf allen Seiten guten Willens sei und daß nur dann, wenn dieser gute Wille vorhanden ist, die Wahl durchgeführt werden kann. Ich bestreite auch nicht, daß in einem Falle diese Wahl auch einmal eine erhebliche Verzögerung erlitten hat. Dabei will ich auf die einzelnen Zusammenhänge, die da bestanden haben, gar nicht eingehen. Ich will gar nicht darauf eingehen, daß auf seiten der Regierungskoalition die Hauptgründe dafür lagen, daß diese
Wahl nicht rechtzeitig vollzogen werden konnte. Falls das erforderlich ist, sind wir in der Lage, dazu noch nähere Einzelheiten zu bringen. Ich will mich aber zunächst mit dieser Feststellung begnügen. Aber, meine Damen und Herren, soll die Möglichkeit, daß in dem einen oder anderen Falle einmal eine Wahl nicht ganz rechtzeitig zustande kommt, uns dazu verleiten, das Bundesverfassungsgericht nun in eine Situation zu bringen, in der es schlechterdings als ein Parteigericht, oder sagen wir es etwas milder: als ein „Regierungsgericht" erscheinen muß?
Wenn sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat bei der ersten Wahl die qualifizierte Mehrheit nicht zustande kommt, dann soll — ich sagte es schon — in einem sofort anschließenden Wahlgang eine einfache Mehrheit entscheiden. Was ist das Ergebnis, meine Damen und Herren? Der Herr Bundesjustizminister erzählt uns, daß an dem Grundsatz der qualifizierten Mehrheit festgehalten werde. Das steht auf dem Papier. Aber wie sieht es in Wirklichkeit aus? Wenn die Mehrheit, die einfache Mehrheit, das heißt also auf deutsch: die stärkste Partei in diesem Hause weiß, daß sie im zweiten Wahlgang selbstherrlich entscheiden kann, dann wird sie sich zum allermindesten keine Mühe geben, sich in bezug auf die qualifizierte Mehrheit zu verständigen. Wenn da irgendwelche Widerstände sind, wenn die Opposition nicht pariert, dann wird man sie beiseite schieben, dann wird man sagen: wenn ihr nicht wollt, dann werden wir es euch zeigen, im zweiten Wahlgang, da werden wir unseren Willen durchsetzen. Es ist ja nicht so, meine Damen und Herren, daß wir in dieser Beziehung ohne Erfahrung sind. Wir wissen ja, wie die Mehrheit in diesem Hause unter Umständen gewillt ist, die Opposition und auch die besten Gründe beiseite zu schieben. Es wird also dahin kommen, daß in den allermeisten Fällen ein Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht von einer qualifizierten Mehrheit und nicht gemeinsam mit der Opposition gewählt wird, sondern in einem zweiten Wahlgang, wo dann eine einfache Mehrheit in der Lage sein wird, einen Richter zu wählen. Und darüber kann es doch gar keinen Zweifel geben, daß ein so gewählter Richter ewig das Odium an sich haben wird, daß er ein parteilicher Richter sei, daß er ein Richter sei, der einer gewissen Richtung genehm sei.
Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht ist von allen Parteien gemeinsam erarbeitet worden. Damals sind wir in den Prinzipien eins gewesen. Wenn seinerzeit die qualifizierte Mehrheit gefordert und diese Forderung verwirklicht worden ist, dann doch einfach deshalb, weil man sich darüber klar war, daß ein Gericht geschaffen werden sollte, das nicht etwa politisch uninteressiert ist — das hat auch mein Kollege Greve bereits dargelegt —, dessen Richter politischen Verstand und auch einen politischen Willen haben müssen, die aber auch willens sind, sich nicht parteipolitisch mißbrauchen zu lassen. Wenn das Plenum des Bundestags damals diese qualifizierte Mehrheit geschaffen hat, dann also doch aus dem ganz einfachen Grund, weil man sich darüber klar war, daß Bundestag und Bundesrat, soweit es irgend möglich ist, einen Richter einstimmig wählen sollten. Es sollten Richter gefunden werden, die das Vertrauen
des ganzen Hauses und damit des ganzen deutschen Volkes haben. Nur bei einer Wahl auf diese Weise kann ein so wichtiges Verfassungsorgan wie das Bundesverfassungsgericht wirklich arbeiten. Wer das nicht einsieht und wer glaubt, daß er die Fragen mit einem technischen Kniff lösen könne, hat nichts davon verstanden, was es bedeutet, in einem demokratischen Staat, in einem Rechtsstaat ein ausgewogenes Kräfteverhältnis und eine Grundlage des Vertrauens zu schaffen.
Es ist ja außerordentlich interessant, meine Damen und Herren, daß nicht nur die Presse und nicht nur der Bundesrat, sondern auch das Bundesverfassungsgericht selbst erhebliche Bedenken haben, und zwar hat das Plenum des Bundesverfassungsgerichts seine ganz erheblichen Bedenken einstimmig erhoben. Ich kann nichts Besseres tun, als Ihnen diese Bedenken vorzutragen und sie Ihnen — meine Damen und Herren, ich spreche das mit allem Ernst aus — ins Gewissen zu sagen; denn wir haben als Bundestag eine ganz außerordentliche Aufgabe. Wenn wir in dieser Frage versagten, würden wir der Demokratie und der Zukunft unseres Staates einen außerordentlich schlechten Dienst erweisen. Das sagen uns die Worte des Bundesverfassungsgerichts mit aller Deutlichkeit. Ich bitte den Herrn Präsidenten, verlesen zu dürfen, was der Präsident des Bundesverfassungsgerichts im Auftrag des Plenums in einer Stellungnahme vom 14. Juni dargelegt hat. Es heißt da:
Die Begründung des Entwurfs verlangt, daß das Wahlverfahren so gestaltet sein müßte,
— nun wird wörtlich aus der Begründung zitiert —„daß die Richter nicht als Vertreter einer bestimmten politischen Richtung erscheinen, sondern sich des Vertrauens im ganzen Volke erfreuen."
— So weit das Zitat aus der Begründung. Und nun fährt das Bundesverfassungsgericht fort:
Gerade im Hinblick auf dieses sicherlich zu billigende
— das ist weiß Gott zu billigen —
Postulat ist die Lösung des Entwurfs, wonach bei erfolglosem ersten Wahlgang unverzüglich ein weiterer Wahlgang stattfindet, in dem die einfache Mehrheit entscheidet, keine Verbesserung, sondern geradezu eine Verschlechterung des jetzigen Wahlverfahrens. Der Zwang, sich mit qualifizierter Mehrheit auf einen Kandidaten zu einigen, wird nicht wirksam, wenn dasselbe Wahlgremium nach erfolgloser Wahl ohne weiteres in einem zweiten Wahlgang den Kandidaten mit einfacher Mehrheit wählen kann. Bei dieser Sachlage würde der erste Wahlgang von vornherein unter dem Schatten der Möglichkeit des weiteren Wahlgangs mit einfacher Mehrheit stehen.
Schon die Gefahr, daß die nach einem solchen Verfahren gewählten Richter als Vertreter einer politischen Richtung erscheinen könnten, sollte es ausschließen, das bisherige Verfahren in der im Regierungsentwurf vorgeschlagenen Weise zu ändern.
Ich glaube, meine Damen und Herren, der Vertreter der Opposition kann das nicht deutlicher sagen, als es das Bundesverfassungsgericht selber als Wahrer unserer Verfassung zum Ausdruck gebracht hat. Damit wird deutlich, daß das, was ich als Vertreter der Opposition vortrage, keineswegs
ein Anliegen nur der Opposition ist, sondern daß es ein allgemeines Anliegen ist, ein Anliegen, das uns alle angeht, das ein staatspolitisches Anliegen ist. Deswegen können wir an dieser Frage nicht so leichten Herzens vorbeigehen und sie nicht so leichtherzig behandeln, wie es der Herr Bundesjustizminister auch heute wieder leider getan hat. Wir können auch unmöglich so leicht über alle die Einwendungen hinweggehen, wie es in der Begründung und in der Stellungnahme der Bundesregierung gegenüber dem Bundesrat in einem Satz geschehen ist. Von dem, was das Bundesverfassungsgericht im Juni dieses Jahres gesagt hat, hat die Bundesregierung — sie hat dem Bundestag diesen Gesetzentwurf jetzt fast unverändert vorgelegt — keine Kenntnis genommen; sie ist überhaupt nicht darauf eingegangen.
Wir können es also unter keinen Umständen mitmachen — und kein staatsbewußter Bürger kann es wünschen —, daß das Bundesverfassungsgericht in die schiefe Lage kommt, daß es aus Richtern zusammengesetzt wird, die von einer Partei oder von einer Parteienmehrheit gewählt worden sind. Daß die Opposition dabei unter den Tisch fallen, daß man sich die genehmen Leute holen wird, ist doch der große Verdacht, der besteht und der allüberall ganz offen ausgesprochen worden ist, vor allen Dingen auch in den Zeitungen, die nicht zur Opposition gehören, sondern landläufig und allgemein die Regierung unterstützen.
Wir sind auch der Meinung, daß es nicht gut ist, jetzt die Frage der Zahl der Richter zu behandeln. Auch dazu hat sich das Bundesverfassungsgericht geäußert. Ich will diese Frage nur ganz kurz streifen. Wir haben gehört, wie stark das Bundesverfassungsgericht überlastet ist. Wir wissen, daß noch lange Aufarbeitungsarbeiten zu leisten sind. Es ist l ein Trugschluß, zu glauben, daß eine Verminderung der Senate um ein paar Personen dazu führen kann, daß die Verhandlungen selber sehr viel schneller gehen, so daß dadurch die Zeit gewonnen wird, die Aufarbeitung vorzunehmen.
Vergessen Sie doch nicht, meine Damen und Herren, daß jedes Urteil, daß jeder Beschluß schriftlich begründet werden muß, daß zu jeder schriftlichen Begründung ein Richter notwendig ist und daß bei den großen Beschlüssen allgemein ein Monat notwendig ist, um die Begründung vorzunehmen. Wenn Sie dem Gericht jetzt bereits die Richter nehmen — und sie sollen ja schon in sehr starkem Maße genommen werden: je drei Richter bei jedem Senat —, dann nehmen Sie dem Gericht doch die Menschen, die in der Lage sind, die schriftlichen Begründungen anzufertigen. Das ist doch die viel größere Arbeit als die mündliche Beratung in den Verhandlungen des Gerichts. Die schriftliche Arbeit ist die zeitraubende Arbeit. Wenn Sie dem Gericht diese Menschen nehmen, werden Sie gerade verhindern, daß das Gericht in die Lage kommt, seine Rückstände aufzuarbeiten, auch wenn man diese Rückstände jetzt gerechter und besser unter den beiden Senaten verteilt. Das Gesetz würde also seinen Zweck, die Aufarbeitung der Rückstände zu erreichen, nicht nur nicht erfüllen, sondern Sie würden mit der Verminderung der Richterzahl sogar das genaue Gegenteil erreichen.
Auch dazu hat sich das Bundesverfassungsgericht geäußert. Es sagt — ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten noch kurz zitieren —:
Das Gericht hält an seiner Auffassung fest,
daß eine Verminderung der Richterzahl vor
dem Herbst 1959 die Aufarbeitung der Rück-
stände wesentlich verzögern würde. Das Gericht kann sich von der Verminderung der Richterzahl nicht eine so erhebliche Erleichterung der Beratung versprechen, daß hierdurch die Verminderung der Arbeitskräfte fühlbar ausgeglichen werden könnte.
Auch das ist deutlich, und das ist von Fachleuten gesagt worden, von Leuten, die Erfahrung haben und die es sehr viel besser wissen als die Männer am Schreibtisch, die glauben, nun mit einem Federstrich einfach Verminderungen vornehmen zu können.
Im übrigen sind wir durchaus auch der Meinung, daß man von dem Zwillingsgericht loskommen und zu einem Gericht kommen sollte, das einheitlich entscheidet. Aber wir können all diese Dinge ja nicht überstürzen, vor allen Dingen dürfen wir in bezug auf die Verminderung der Richterzahl nichts Überstürztes tun. Wir schaffen ja bereits Möglichkeiten, wir gehen auf diesem Wege ja schon voran, wenn wir die Geschäftsverteilung neu ordnen, wenn wir dem Gericht selbst die Möglichkeiten geben und wenn daraus all die Konsequenzen gezogen werden, die gezogen werden müssen, auf die ich im einzelnen nicht einzugehen brauche.
Ich darf also wiederholen und kurz zusammenfassen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind bereit, positiv an diesem Gesetzentwurf mitzuarbeiten. Uns ist es ein ganz wichtiges Anliegen, zu helfen, daß das Bundesverfassungsgericht wieder aktionsfähig wird, daß seine Rückstände aufgearbeitet werden, daß die Arbeit gerecht und richtig verteilt ist und daß die Arbeit geleistet werden kann. Deswegen sind wir bereit, alles das zu unterstützen, was dazu führen kann in bezug auf die Geschäftsverteilung, in bezug auf das Zulassungsverfahren bei Verfassungsbeschwerden; gerade bei diesen beiden Punkten. Wir sind aber nicht bereit, das mitzumachen, was geeignet ist, nicht nur die Verabschiedung dieses Gesetzes zu verzögern, sondern zugleich das Wesen des Bundesverfassungsgerichts zu verändern und zu verfälschen und damit eine Bresche in die Verfassung zu schlagen, was niemand von uns wollen kann. Ich möchte das Hohe Haus bitten — gelegentlich hat es ja schon bewiesen, daß es das kann —, hier nicht einfach den Argumenten und dem Willen der Bundesregierung zu folgen, sondern sich selbst seine Gedanken darüber zu machen, was in diesem Augenblick not ist, was notwendig ist, um einen schweren Notstand zu beheben; ich möchte Sie bitten, gemeinsam — wir sind dazu bereit — daran zu arbeiten, daß dieser Notstand so schnell wie möglich behoben wird, und dadurch auch dem Bundesrat die Möglichkeit der Zustimmung zu geben, damit das Gericht bald unter neuen Verhältnissen zu arbeiten anfangen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß Herr Kollege Metzger namens der Opposition seine Bereitwilligkeit erklärt hat, an diesem so wichtigen Gesetzentwurf mitzuarbeiten. Daß er nicht mit allem übereinstimmt, was die Bundesregierung hier vorgeschlagen hat, habe ich erwartet. Aber ich hoffe doch, daß es gelingen wird, daß wir irgendwie zusammenkommen werden.
Ich sehe mich nur veranlaßt, einige Bemerkungen des Herrn Kollegen Metzger richtigzustellen. Herr Kollege Metzger, Sie haben darauf hingewiesen, daß ich ursprünglich, nach meinen eigenen Erklärungen, die Auffassung vertreten habe, daß zunächst nur die kleine Reform, die sogenannte technische Reform des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vorgenommen werden solle. Das ist an sich richtig. Aber, meine Damen und Herren, ich habe doch damit nicht zum Ausdruck gebracht, daß ich nicht auch die weitergehende Reform, die das Kabinett beschlossen hat, für notwendig halte. Das ist es ja gerade, meine Damen und Herren: diese beiden Gesichtspunkte sind maßgebend. Es ist einerseits diese sogenannte technische Reform und andererseits diese größere Reform: die Herabsetzung der Zahl der Richter, die Veränderung des Wahlmodus, die hier zur Debatte stehen. Ich möchte Ihnen versichern, Herr Kollege Metzger: wenn ich nicht der Überzeugung wäre, daß auch diese andere Reform, die nunmehr durch Kabinettsbeschluß Ihnen hier vorgelegt wird, notwendig ist, dann würde ich sie hier nicht vertreten.
— Man könnte über den Zeitpunkt streiten, Herr Kollege Metzger. Es war im Frühjahr; ich habe damals angenommen, daß in wenigen Wochen vielleicht diese technischen Änderungen durchgeführt werden könnten.
Nun noch etwas. Herr Kollege Metzger hat mir vorgeworfen, ich hätte von dem „roten" und dem „schwarzen" Senat gesprochen. Ich habe von dem „roten" und „schwarzen" Senat vor dem Bundesrat in einem ganz anderen Zusammenhang gesprochen. Ich darf diese Stelle vorlesen. Ich habe damals gesagt:
Tatsächlich haben die jetzt geltenden Vorschriften es nicht zu verhindern vermocht, daß das Gerede vom „roten" und „schwarzen" Senat aufkam und damit der Eindruck erweckt wurde, als ob die Richter des Bundesverfassungsgerichts als Vertreter der einen oder der anderen politischen Richtung anzusehen seien.
Daß diese Verdächtigungen völlig unberechtigt waren, brauche ich in diesem Hause nicht zu betonen.
Das habe ich vor dem Bundesrat gesagt, und ich stehe nicht an, es hier zu wiederholen, daß das Gerede von einem „roten" und einem „schwarzen" Senat sich als haltlos erwiesen hat. Aber meine Damen und Herren, wenn wir dieses Vertrauen in die Objektivität des Verfassungsgerichts haben dürfen, dann ist das doch nicht darauf zurückzuführen, daß eine Dreiviertelmehrheit oder eine qualifizierte Mehrheit die Richter gewählt hat, sondern dann ist das doch darin begründet, daß hier unparteiische Richter, gebunden an ihren Richtereid, gewissenhaft nach Sachkenntnis urteilen. Ich glaube, das ist das Maßgebende. Ich glaube auch, wir können darauf vertrauen, daß, wenn
wir schließlich mit einfacher Mehrheit eine Richterwahl vornehmen, diese Wahl nach bestem Wissen und Gewissen — die einzelnen Herren haben das ja auch durch Handschlag bekräftigt — durchgeführt wird und daß wir dann Richter bekommen, die, gebunden an ihren Richtereid, nur nach dem Recht urteilen werden.
Meine Damen und Herren, der Bundesregierung liegt nichts ferner, als hier einen Regierungsgerichtshof, ein Instrument der jeweiligen Regierung zu schaffen. Darum geht es nicht. Die Bundesregierung will einen Gerichtshof, dessen Unparteilichkeit gesichert ist und dessen Existenz nicht durch irgendwelche endlosen parteipolitischen Wahlverhandlungen bedroht wird.
An einer solchen Gefahr kann und darf eine verantwortungsbewußte Regierung nicht vorbeigehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon von mehreren Seiten, auch von dem Herrn Bundesjustizminister, hervorgehoben worden, daß der uns vorliegende Gesetzentwurf eilbedürftig ist. So ist es wohl auch zu erklären, daß dieses Gesetz bereits heute auf der Tagesordnung ist. Es wurde vom Ältestenrat in Berlin auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gesetzt, so daß den Fraktionen an sich wenig Zeit zur Beratung dieser wichtigen Materie blieb. Infolgedessen bin ich auch nicht in der Lage — das möchte ich von vornherein erklären —, Ihnen eine abgestimmte und abgeklärte Meinung meiner Fraktion zu den einzelnen Bestimmungen dieses Entwurfs heute schon vorzutragen.
Der Gesetzentwurf wirft, das verkenne ich nicht, schwerwiegende Probleme auf, die sehr eingehender Erörterungen bedürfen. Wir werden uns der Aufgabe, den Entwurf eingehend zu prüfen, nicht entziehen.
Übereinstimmung besteht ja zwischen Regierung und allen Rednern — das möchte ich doch betonen, weil es angesichts der Kritik, die in den Ausführungen des Herrn Kollegen Metzger geübt worden ist, in den Hintergrund treten könnte — über ganz wichtige und, wie ich auch zugebe, die dringlichsten Bestimmungen dieses Gesetzes. Zweifellos ist ein Rechtsnotstand dadurch eingetreten, daß sich die vom Bundestag im Gesetz vorgenommene Geschäftsverteilung, die damals sehr eingehend überlegt worden war und die ,auch Gegenstand des Kompromisses gewesen ist, den wir damals geschlossen haben, um eine Annahme .des Gesetzes auf möglichst breiter Grundlage zu erreichen, als durchaus untauglich erwiesen hat. Einer der ersten Zwecke dieser Novelle ist es, diesen gesetzgeberischen Fehler auszumerzen und eine Lösung zu finden, die die „Funktionsfähigkeit" oder richtiger die „Aktionsfähigkeit" des Bundesverfassungsgerichts herstellen soll, damit die beim Ersten Senat bestehende Verstopfung beseitigt wird und Fragen, die einer Lösung unbedingt und schleunigst bedürfen, alsbald geklärt werden können. Die Frage wird sein, ob man den Weg geht, daß man über die dringlichsten Anliegen der Novelle vorab entscheidet, damit alsbald dem Anliegen des Bundesverfassungsgerichts selbst Rechnung trägt und durch eine gleichmäßigere Geschäftsverteilung die Abwicklung der dem Bundesverfassungsgericht obliegenden Aufgaben sicherstellt. Das ist ein Weg, der in Erwägung gezogen werden kann. Ich muß ge- stehen, ich werde mich nicht grundsätzlich dagegen aussprechen, einen solchen Weg einzuschlagen. Die Geschäftsverteilung durch das Plenum selbst entspricht durchaus der deutschen Gerichtstradition. Dieser Weg ist auch von allen Vorrednern als gangbar anerkannt worden, so daß ich glaube, wir werden darüber sehr schnell zu einer Einigung kommen.
Die Einschränkung der Verfassungsbeschwerde werden wir schon etwas genauer unter die Lupe nehmen müssen. Es ist bekannt, daß weite Kreise meiner Fraktion seinerzeit gegen die Einführung der Verfassungsbeschwerde überhaupt gewesen sind, weil sie das, was jetzt eingetreten ist, haben kommen sehen. Wir haben damals in den Erörterungen mit den Herren Sachverständigen im Rechtsausschuß gerade die Frage geprüft, ob nicht durch die Aufnahme der Verfassungsbeschwerde, die in den im Grundgesetz für das Bundesverfassungsgericht vorgesehenen Zuständigkeiten nicht enthalten ist, der Zustand eintreten würde, der heute tatsächlich eingetreten ist. Wir haben rechtsvergleichendes Material herangezogen, die Geschäftszahlen bei Verfassungsgerichtshöfen anderer Länder überprüft — ich erinnere mich, daß wir speziell die Geschäftslage beim österreichischen Verfassungsgerichtshof unter die Lupe genommen haben — und hatten damals schon recht erhebliche Bedenken, ob auf diese Weise eine ordentliche Lösung gefunden werden könne. Das war auch einer der Gründe, weshalb wir zu dem Zwillingsgericht gekommen sind. Wir sagten uns: die Geschäftslast, wie sie nun auf das Bundesverfassungsgericht zukommt, kann von einem Senat, von einem Gericht nicht getragen werden.
Wir sind diesen Weg sehr ungern gegangen. Sowohl der Regierungsentwurf als auch der Entwurf der SPD sahen eine andere Lösung, ein einheitliches Gericht vor. Aber angesichts dessen, was inzwischen eingetreten ist und was zum Teil ganz sicher auch darauf zurückzuführen ist, daß eine Klärung grundlegender verfassungsrechtlicher Fragen, die das Grundgesetz nun einmal aufgeworfen hat, noch nicht erfolgt ist, so daß in den ersten Jahren des Bestehens des Grundgesetzes die Zahl derjenigen Fragen, die nach einer grundsätzlichen Klärung drängen, sehr viel größer sein wird als in späteren Jahren, muß man in jedem Falle — das möchte ich in diesem Zusammenhang jetzt schon sagen — den Weg dafür offenhalten, daß das Gericht später als einheitliches Gericht konstituiert werden kann. Das ist auch ein Hauptanliegen des sogenannten Reformvorschlags, auf den ich später zu sprechen kommen werde.
Ob die Einschränkung bezüglich der Verfassungsbeschwerde, d. h. die Vorschrift, daß die Verfassungsbeschwerde nur dann zulässig sein soll, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage zu erwarten ist oder wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Zulassung ein schwerer oder unabwendbarer Nachteil entstünde, die Grenzen richtig setzt, werden wir im Ausschuß prüfen müssen. Grundsätzlich bin ich damit einverstanden, daß ein Zulassungsverfahren vorgeschaltet wird. Aber die Frage wird für mich sein, ob ich mich damit einverstanden erklären kann, daß die Entscheidung nicht be-
gründet wird. Es ist für einen Rechtsuchenden immer etwas außerordentlich Unbefriedigendes, wenn ihm lediglich mitgeteilt wird: Durch einstimmigen Beschluß ist Ihre Verfassungsbeschwerde nicht zugelassen. — Wenn die Zulassung so begrenzt wird, wie es nach dem Vorschlag der Regierung der Fall ist und wie es meine Herren Vorredner im großen und ganzen gebilligt haben, dann möchte ich doch meinen, daß es nicht schwer sein würde, die Gesichtspunkte in einigen Sätzen darzulegen, die zur Versagung der Zulassung geführt haben, damit dem Betreffenden auch klargemacht wird, daß ihm das Recht nicht verweigert wird. Das wird ein Punkt sein, den ich jedenfalls für verbesserungsbedürftig halte.
Des weiteren hat der Bundesrat in diesem Rahmen eine Frage aufgeworfen, die wir werden überprüfen müssen, ob nicht das Verfahren der sogenannten Normenkontrolle vereinfacht werden kann, indem das Gericht, das ein Gesetz für verfassungswidrig hält, seine Vorlage unmittelbar dem Bundesverfassungsgericht zuleitet, das dann seinerseits die Befugnis erhalten soll, ein oberes Bundesgericht oder ein oberstes Landesgericht zu einer Außerung aufzufordern. Die Bundesregierung hat diesen Vorschlag abgelehnt. Sie vertritt vielleicht nicht mit Unrecht den Standpunkt, daß eine abschließende Stellungnahme zu dieser Frage wegen der noch mangelnden Erfahrungen noch nicht möglich ist und daß, wenn sich das Verfahren einmal eingespielt hat, auch die jetzt im Gesetz enthaltene Lösung, wobei die Vorlage über das obere Bundesgericht oder über das oberste Landesgericht mit dessen Stellungnahme erfolgt, in der Zukunft nicht mehr zu einer Verzögerung führen wird. Das Verfahren muß sich in der Tat ja erst einmal einspielen. Soviel zu der sogenannten technischen Novelle, über die ja im großen und ganzen Einverständnis besteht.
Nun zu einem weiteren Kernpunkt, ich betone ausdrücklich: der sogenannten „Reform". Herr Kollege Metzger sprach von der „großen Reform". Ich glaube, man kann in dieser Vorlage noch nicht die sogenannte „große Reform" erblicken. Es ist allerdings auch nicht die kleine Lösung gewählt worden, die zunächst zur Beseitigung augenblicklicher Notstände notwendig ist, sondern eine mittlere Lösung. Es sind auch Fragen angeschnitten worden, in denen sich das Gesetz in der Vergangenheit vielleicht als unzulänglich erwiesen hat. Man sollte diese Vorschläge in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit prüfen.
Es ist in der Öffentlichkeit davon gesprochen worden, daß hier das „kunstvolle Gleichgewicht"
— Herr Kollege Bucher hat ja dieses Wort des Herrn Bundesverfassungsrichters Leibholz zitiert
— zerstört würde, daß hier „ein Versuch der Exekutive vorliege, sich der Kontrolle durch die Justiz zu entziehen", daß sozusagen ein „Anschlag auf die Justiz" verübt werde. Herr Kollege Metzger meinte sogar, daß hier eine „Regelung unter der Hand" versucht würde und daß „dunkle Kräfte am Werke seien, ganz andere Ziele zu erreichen". Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen offen gestehen: ich weiß nicht, wodurch solche Vorwürfe veranlaßt sein sollten, da hier doch der ordentliche Weg der Gesetzgebung eingehalten wird, der Bundestag also dieses Gesetz in drei Lesungen prüft, der Bundesrat es geprüft hat und wir Gelegenheit haben, in jeder Hinsicht dazu Stellung zu nehmen. Unter diesen Umständen sind
derartige Vorwürfe wirklich unbegründet. Wenn Sie, Herr Kollege Metzger — das schien mir nach Ihren Ausführungen der Fall zu sein —, die historische Entwicklung, wie Sie es nannten, damit gemeint haben, dann möchte ich sagen, daß dazu der Herr Bundesjustizminister seinerseits schon Stellung genommen hat, so daß ich mich hierzu nicht mehr zu äußern brauche.
Wenn aber weiter gesagt wird, daß der verfassungsrechtliche Charakter des Grundgesetzes — gemeint war wohl: des Bundesverfassungsgerichts — in Frage gestellt werde, daß „eine Säule des Bundesverfassungsgerichts angeknabbert werde", dann habe ich für diese maßlosen Vorwürfe kein Verständnis. Es kann doch wohl nicht bestritten werden, auch von Ihnen nicht bestritten werden, daß sich sämtliche Vorschläge im Rahmen des Grundgesetzes halten. Infolgedessen kann nicht der Vorwurf erhoben werden, daß hier Säulen des Staates angeknabbert würden. Die Bundesregierung hat es sogar abgelehnt, ihrerseits Vorschläge zu machen, die eine Verfassungsänderung notwendig machten. Der Herr Bundesjustizminister hat soeben dargelegt, daß er in dieser Hinsicht der Meinung ist, es stehe der Bundesregierung nicht an, dem Bundestag einen Vorschlag zu machen, der auch nur zum Teil ein ihm im Grundgesetz gegebenes Recht, nämlich die Wahl der Richter, nehmen würde. Man hätte infolgedessen nicht so aufzudrehen und zu sagen brauchen — wie es hier soeben geschehen ist —, daß das völlig unveranlaßt gewesen ist.
— Ich will gerade darauf zu sprechen kommen. Ich leugne nicht — ich bin schließlich daran beteiligt und habe auch noch in dem kleinsten Gremium, im Unterausschuß, mitgewirkt —, daß dieses Gesetz ein Kompromiß darstellt und daß man auch prüfen muß, ob die Voraussetzungen, von denen das damalige Kompromiß ausging, weggefallen sind oder ob sich solche Unzuträglichkeiten ergeben haben, die damals nicht übersehen wurden und die eine Änderung notwendig machen. Das ist meines Erachtens tatsächlich der Fall. Ich möchte ausdrücklich betonen: es ist zu begrüßen, daß diese Prüfung sich in einer durchaus sachlichen Atmosphäre abspielen kann. Zur Zeit ist die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht in Frage gestellt, wie das in der Vergangenheit schon einmal der Fall gewesen ist, und aus diesen Fällen der Vergangenheit müssen wir nach meiner Meinung lernen; denn sie können immer und immer wieder eintreten.
Wenn man gesagt hat, daß hier ein kunstvoll hergestelltes Gleichgewicht gestört werde, dann hat meiner Ansicht nach ein Mann, der mit den Praktiken des Bundesverfassungsgerichts sehr vertraut ist, wie sein früherer Direktor, der heutige Bundesrichter D r. Willms , mit Recht darauf hingewiesen, daß davon keine Rede sein könne. Das Grundgesetz bestimmt lediglich bezüglich des Kernpunktes, der hier zur Frage steht — das ist ja das Wahlsystem —, daß die Bundesverfassungsrichter zur Hälfte vom Bundestag und zur anderen Hälfte vom Bundesrat gewählt werden müssen. Dieses Recht ist gewahrt. Es sagt dann weiter, daß ein Bundesgesetz die Verfassung und das Verfahren zu regeln hat und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen — nämlich die des Bundesverfassungsgerichts — Gesetzeskraft haben.
Herr Dr. Willms weist in seinem Aufsatz nicht mit Unrecht darauf hin, daß man sogar darüber streiten könne, ob infolgedessen der normale Gesetzgeber berechtigt war, die Wahl, die im Grundgesetz selber festgelegt ist, zu ändern. Ich stimme ihm dabei nicht zu. Wir haben uns damals dazu entschlossen und es auch für zulässig gehalten, daß der Bundestag die ihm im Grundgesetz gegebene Möglichkeit auf ein Wahlmännergremium, den Wahlmännerausschuß, delegiert. Ich halte diese Lösung für durchaus verfassungsgemäß; ich will aber nur auf diese Bedenken, die von anderer Seite erhoben worden sind, hinweisen. Das Grundgesetz geht grundsätzlich davon aus, daß die Mehrheit — und noch nicht einmal eine qualifizierte Mehrheit — dieses Hauses entscheidet, welche Richter gewählt werden. Wir hielten bei der besonderen Art dieses Gerichtes gewisse Anliegen, auch von Minderheitsparteien, daß der Minderheit gewisse Rechte gegeben werden, für durchaus berücksichtigungswert. Sie streben es ja an, auch uns einmal in die Minderheit zu bringen; es könnte also — ich habe zwar in dieser Hinsicht keine Befürchtung — auch für uns, für meine Fraktion einmal akut werden. Wir sind auch heute nicht etwa darauf aus — und ich glaube, auch die Bundesregierung nicht; da tun Sie ihr unrecht, Herr Kollege Metzger —, ein „Regierungsgericht" zu bilden. Der Herr Bundesjustizminister hat diesen Vorwurf bereits zurückgewiesen. Wenn Sie die Begründung aufmerksam gelesen hätten, dann hätten Sie gesehen, daß die Bundesregierung durchaus andere Möglichkeiten erwägt, daß sie es für den ersten Wahlgang bei der jetzigen Regelung lassen will und daß sie auch für einen zweiten etwa notwendig werdenden Wahlgang, wenn der erste nicht zum Ziele führt, andere Möglichkeiten als die Entscheidung durch die absolute Mehrheit erwogen hat und für möglich hält. Schon in der Begründung heißt es:
Es wäre beispielsweise zu erwägen, anderen Organen oder Gremien, deren Sachkunde oder Ansehen bei der Wahl zur Geltung kommen soll, ein Vorschlagsrecht zu geben. Ein solches Vorschlagsrecht wäre, falls es nicht bindend ist, wohl als mit der Verfassung vereinbar anzusehen. Die sehr eingehenden Beratungen, die hierüber gepflogen worden sind, haben jedoch zu keinem Ergebnis geführt, das allgemeine Überzeugungskraft beanspruchen könnte. Um die dringend notwendigen Reformen nicht noch weiter zu verzögern, ist dieser Gedanke daher einstweilen zurückgestellt worden.
Meine Damen und Herren, Sie ersehen daraus, daß die Bundesregierung schon im Stadium des Einbringens derartige Erwägungen angestellt hat. Noch deutlicher ist es aber gesagt in der Stellungnahme, die der Herr Kollege Bucher auch schon zitiert hat, zu den Vorschlägen des Bundesrates:
Eine Regelung, die dem Anliegen der Bundesregierung gerecht wird und gleichzeitig den erhobenen Bedenken Rechnung trägt, könnte etwa darin gesehen werden, daß an Stelle der zuständigen Wahlkörperschaft ein anderes Organ entscheidet, wenn eine Wahl durch die betreffende Wahlkörperschaft innerhalb einer ausreichend bemessenen Frist nicht zustande gekommen ist.
Diese Möglichkeit ist aber nicht ohne Änderung des Grundgesetzes zu erreichen. Daß die Bundesregierung in dieser Hinsicht keine positiven Vorschläge gemacht hat, sollten wir als Parlament, glaube ich, nur begrüßen. Die Bundesregierung hat es uns überlassen, diese Frage zu prüfen und da entsprechende Vorschläge zu machen. Man kann aber angesichts dieses Tatbestandes — darauf kommt es mir in diesem Zusammenhang an — nicht sagen, daß die Bundesregierung darauf aus gewesen sei, sich eine Mehrheit zu sichern und sich damit sozusagen der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts zu entziehen. Dieser Vorwurf geht entschieden zu weit und ist nach der Lage der Sache auch unbegründet.
Ich gestehe Ihnen, daß die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, das seinerzeit fast einstimmig gegen die Kommunisten angenommen worden ist, ein allgemeines Anliegen dieses Hauses sein muß und daß wir bestrebt sein sollten, da zu einer Verständigung zu kommen. Aber es geht auch in dieser Hinsicht wiederum zu weit, wenn gesagt wird, solche Vorschläge seien leichtherzig oder gar leichtfertig, wie es geschehen ist. Herr Kollege Metzger, sie sind wohlerwogen und beruhen leider auf Erfahrungen, auf sehr schlechten Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben und als Gesetzgeber nicht außer acht lassen dürfen.
Sie haben zunächst wohl auch der Bundesregierung einen Vorwurf daraus machen wollen, daß sie mit diesem Gesetzentwurf — das ist das zweite Kernstück der sogenannten Reform — die Zahl der Richter ändern will. Sie haben aber zum Schluß wiederum selber gesagt, auch Ihre Fraktion begrüße es, wenn wir vom Zwillingsgericht loskommen. Ihr Entwurf ging ja seinerzeit von einem einheitlichen Gericht aus. Ob die Vorschläge der Bundesregierung in dieser Form angenommen werden können, ist eine ganz andere Sache. Es ist eben schon darauf hingewiesen worden, es sei doch etwas grotesk, daß man der jetzt bestehenden Arbeitslast ausgerechnet dadurch Herr werden wolle, daß man das Gericht verkleinere. Nun, die Erfahrungen sprechen manchmal dafür, daß es bei wenigen Köpfen leichter geht, Herr Kollege Metzger. Ich habe das gestern schon im Unterausschuß „Familienrecht" hervorgehoben. Wir sind gestern mit ein paar Leuten ein erhebliches Stück weitergekommen. Es ist nicht soviel geredet worden. So geht es dann auch in Beratungen. Es ist von keiner Seite beabsichtigt, das Gericht in seiner Besetzung etwa so herabzumindern, daß es nicht mehr dem Charakter entspräche, der ihm als höchstem Gericht zukommt. Nur das möchte ich dazu gesagt haben. Welche Lösung wir da nehmen, wird im Ausschuß zu prüfen sein.
Die Bundesregierung geht in ihren Vorschlägen — darauf möchte ich in diesem Zusammenhang noch hinweisen — vor allen Dingen darauf aus, den Weg zu einer Reform nicht zu verbauen, d. h. den Weg, allmählich zu einem einheitlichen Gericht zu kommen, zu d e m Bundesverfassungsgericht zu kommen und nicht bei dem Senatssystem zu bleiben, das jetzt besteht. Darauf basieren zum Teil die Vorschläge. Es sind da auch durchaus andere Lösungen denkbar, und wir werden prüfen müssen, ob wir, ohne dieses uns gemeinsame Ziel, das einheitliche Gericht zu bilden, aus dem Auge zu verlieren und diesen Weg zu verbauen, zu einer Lösung kommen können, die auch den augenblicklichen Bedürfnissen des Gerichts ausreichend Rechnung trägt.
Dann ist auch gesagt worden, der Vorschlag des Bundesregierung, die bisher erforderliche Mehrheit
bei der Wahl der Richter zu beseitigen und für den zweiten Wahlgang die einfache — allerdings absolute — Mehrheit genügen zu lassen, gehe unweigerlich darauf hinaus, daß man im ersten Wahlgang eine Verständigung nicht mehr suche und es sofort auf den zweiten Wahlgang ankommen lasse. Nun, ein Mann vom Gewicht des früheren Direktors des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesrichters Dr. Willms, hat auch zu dieser Frage Stellung genommen. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einiges von dem mitteilen, was er dazu geschrieben hat:
Nun könnte man sich fragen, welchen Sinn die Vorschaltung eines Wahlgangs mit qualifizierter Mehrheit haben soll, wenn letztlich doch die absolute Mehrheit entscheidet. Traut man der absoluten Mehrheit, also der jeweiligen Regierungsmehrheit, alle Schlechtigkeiten zu, so könnte das allerdings als eine leere Formsache erscheinen. Es kann sich aber auch so verhalten, daß die Einschaltung eines zweiten Wahlgangs, in dem die absolute Mehrheit entscheidet, gerade die Chance echter sachlicher Kompromisse im ersten, die qualifizierte Mehrheit erfordernden Wahlgang erhöht. Man denke etwa an den Fall, daß zwei Kandidaten zur Wahl stehen, von denen der eine eine sachlich in hohem Maße befähigte und zugleich parteimäßig nicht gebundene Persönlichkeit, der andere aber ein geringer qualifizierter Parteimann ist. Nach dem jetzt geltenden Wahlmodus wird hier immer der Wahlpartner mit dem geringsten Gemeinsinn und Verantwortungsgefühl den Ausschlag geben und den verantwortungsbewußteren Teil, der eine uferlose, gesetzwidrige Verzögerung der Wahl vermeiden will, zum Nachgeben zwingen können. Wird auf diese Weise der mindergeeignete Kandidat per compromissum gewählt, so übernimmt angesichts der gebotenen Geheimhaltung des Wahlganges der gutwillig nachgebende Teil auch nach außen hin die volle Mitverantwortung und muß sich am Ende gar das Odium zuspielen lassen, für die schon eingetretene Verzögerung des Wahlgeschäfts verantwortlich zu sein. Die Einschaltung eines zweiten Wahlganges, in dem die absolute Mehrheit entscheidet, bildet zweifellos ein Korrektiv, da nun zwangsläufig das Licht der Öffentlichkeit und damit der öffentlichen Kritik auf das Wahlgeschäft fällt; denn in der Kampfabstimmung des zweiten Wahlgangs würde offenbar, welche Seite unsachlichen und parteiegoistischen Erwägungen den Vorrang geben wollte.
Ich habe das angeführt, um darzutun, daß auch durchaus andere Betrachtungen des Vorschlags der Bundesregierung möglich sind und daß immerhin Ausführungen von einem Mann wie Dr. Willms nicht einfach in den Wind geschlagen werden können, daß man sie auch bei den Beratungen beachten soll.
Es kommt uns darauf an — und das ist ein entscheidendes Anliegen meiner Fraktion —, unter allen Umständen nicht nur die Aktionsfähigkeit, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Gerichts sicherzustellen, zu verhüten, daß noch einmal das eintritt, was vor einigen Jahren der Fall gewesen ist: daß eine Einigung über die Wahl eines Richters innerhalb von zwei Jahren nicht erfolgen konnte und dadurch das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt war. Dieses Ziel der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gerichts, die gerade einmal in Krisenzeiten, die uns möglicherweise auch nicht erspart bleiben werden, von ausschlaggebender Bedeutung ist, sollte nach meiner Meinung der leitende Gedanke sein, der bei der Prüfung dieses Gesetzesvorschlages beachtet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen, die mit diesem Gesetz zur Lösung anstehen, sind in ihrer Wertigkeit und Wichtigkeit sicherlich völlig unterschiedlich. Es gibt eine Reihe von Fragen, die nur technische Bedeutung haben. In der heutigen Aussprache hat sich schon ergeben, daß sich in diesen rein technischen Fragen eine weitgehende Übereinstimmung offenbar ohne Schwierigkeiten erzielen lassen wird. Das sind insbesondere die Fragen, die gelöst werden müssen, um die Funktionsfähigkeit zu gewährleisten und die völlige Überlastung des einen der beiden Senate schnellstens zu beheben. Wir stimmen den Vorschlägen ohne jedes Bedenken zu, nach denen die Zuständigkeitsverteilung auf die beiden Senate aus dem Gesetz herausgenommen und nach alter deutscher Gerichtsverfassungstradition dem Plenum oder dem Präsidium des Bundesverfassungsgerichts überlassen werden soll. Damit wird schon — sicherlich nicht von heute auf morgen, aber in übersehbarer Zeit — das, was man heute wirklich mit Recht einen Rechtsnotstand genannt hat, beseitigt werden können. Es ist erfreulich, daß man diese Mängel durch eine rein technische Lösung bereinigen kann.
Die Bundesregierung hat diese vordringlich anstehende Frage, die gelöst werden muß, zum Anlaß genommen, um auch eine Reihe anderer Probleme anzusprechen. Wir gehören nicht zu denjenigen, die das grundsätzlich als falsch ansehen und etwa die Meinung vertreten, daß die Überlastung des einen Senats oder die unterschiedliche Belastung der beiden Senate das einzige gewesen ist, was man im Laufe der Vergangenheit an Kritik und an berechtigter Kritik hat vorbringen können. Wir haben deshalb durchaus Verständnis dafür, daß die Bundesregierung auch einige andere Fragen angeschnitten hat. Sie ist nicht so übermäßig weit gegangen, daß sie es gewagt hätte, die größtmögliche Lösung vorzuschlagen; denn von der kleinstmöglichen bis zur größtmöglichen Lösung sind verschiedene Grade möglich gewesen. Die Bundesregierung ist mit ihren Vorschlägen — sehr gegen meine Auffassung — durchaus bescheiden geblieben.
Zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts dient auch die Bestimmung, nach der den Verfassungsbeschwerden ein Vorverfahren vorgeschaltet werden soll. Meine politischen Freunde stimmen diesem Vorschlag ohne jedes Bedenken zu. Dieser Vorschlag wird auch vom Bundesverfassungsgericht gemacht. Es liegen doch so harte und deutliche Erfahrungen der letzten Jahre dahin vor, daß gerade auf dem Gebiete der Verfassungsbeschwerden eine Unzahl völlig unsinniger und mit diesem Instrument nicht in Verbindung zu bringender Wünsche aus der breiten Schicht des Publikums an das Gericht herangetragen werden, so daß man der Vorschaltung eines solchen Zulassungsverfah-
rens wirklich keine Bedenken entgegensetzen sollte.
Wir sind bereit, dieser Regelung zuzustimmen.
Wir sind auch der Meinung, daß man die Gutachtertätigkeit nicht, wie der Entwurf es vorschlägt, beschränken, sondern daß man sie eigentlich ganz streichen sollte; sie paßt doch eigentlich in die ganze Tradition der deutschen Rechtspflege nicht hinein. Wir würden empfehlen, im Ausschuß darüber nachzudenken, was wirklich an ernsten Belangen in Gefahr gerät, wenn wir uns dazu entschließen, das entscheidende Gericht nicht vorher mit Gutachten, über deren Wirkungskraft schon Streit herrscht, zu belasten. In sachkundigen Kreisen sind genügend Stellen vorhanden, die sowohl dem Staatsoberhaupt als auch der Bundesregierung zur Verfügung stehen, wenn das Bedürfnis besteht, in dieser oder jener Rechtsfrage gutachtlichen Rat einzuholen.
Wir würden auch bei der Vorschaltung des Zulassungsverfahrens keine grundsätzlichen Bedenken haben, dieses Zulassungsverfahren mit rückwirkender Kraft einzusetzen, wenn wirklich die Notwendigkeit besteht — und das kann doch niemand ernstlich bestreiten —, das Bundesverfassungsgericht möglichst schnell von diesem Wust angelaufener Verfassungsbeschwerden zu befreien, um es zu wichtigerer Arbeit einzusetzen. Dann brauchen wir weder verfassungsrechtliche noch sonstige Bedenken zu haben, ein solches Zulassungsverfahren auch bereits auf die heute anhängigen Verfassungsbeschwerden anzuwenden. Wir hätten keine Bedenken, insoweit über den Entwurf hinauszugehen.
Die Herabsetzung der Zahl der Richter ist doch letzten Endes auch eine mehr technische Frage. Wir haben jedenfalls einen politischen Gehalt in dieser Frage nicht gesehen und haben deshalb die gewisse Leidenschaft, mit der gerade diese Frage angeschnitten wurde, eigentlich nicht recht verstanden. Es wird in Ruhe zu überlegen sein: Wie ist gegenwärtig die Geschäftslage? Wie beurteilt das Bundesverfassungsgericht die weitere Entwicklung, wenn wir diese Verbesserungen einführen? Danach wird ganz nüchtern und ruhig zu prüfen sein: Wieviel Richter brauchen wir jetzt? Können wir die Zahl schon jetzt um 4 oder um 8 ermäßigen, und wie wird die endgültige Zahl sein?
Ich möchte dazu noch eine Bemerkung machen. Wenn die Zahl der Richter vermindert wird, entstehen dadurch für die Funktionsfähigkeit des Gerichts keine besonderen Gefahren, weil ja die Zahl der Richter, die gegenwärtig für die Beschlußfähigkeit eines Senats erforderlich ist, auch nur, wenn ich nicht irre, 9 beträgt, also auch nicht etwa 12, nämlich die volle Zahl. Hier besteht also heute wohl noch ein gewisses Regulativ. Wir sollten diese Frage nicht überbewerten, sondern ganz ruhig und nüchtern nach dem vorhandenen Bedürfnis prüfen.
Nun kommen wir aber zu einer Frage, wo die Sache wirklich politischen Gehalt zu bekommen beginnt, zur Frage des Wahlverfahrens und des Wahlmodus. Die Bundesregierung hat sich entschlossen — eben weil das Grundgesetz es so vorsah —, ohne eine Grundgesetzänderung vorzuschlagen, zu dem Wahlverfahren durch ein politisches Wahlmännergremium einen Änderungsvorschlag zu machen, und zwar allein mit der Absicht, zu verhindern, daß es zu Situationen kommt, in denen das Wahlmännergremium die vakante Richterstelle nicht schnellstens besetzten könnte.
Nun muß ich allerdings sagen: Die Lösung, die die Bundesregierung herausgefunden hat, um dieses Ziel — das sicherlich richtig ist — zu erreichen, ist so ungefähr das Schlechteste, was man sich überhaupt vorstellen kann. Wir können doch nicht die Augen davor verschließen, daß das Wahlmännergremium — ich sage: gewollt und bewußt — nach politischen Kräfteverhältnissen des Parlaments zusammengesetzt ist. Und wenn man in einem derart zusammengesetzten Gremium eine bisherige Zweidrittelmehrheit für den Fall, daß sie im ersten Wahlgang zu keiner Entscheidung geführt hat, im zweiten Wahlgang auf die absolute Mehrheit zurückschaltet und auch weiß, daß im gegenwärtigen Augenblick die absolute Mehrheit in der Hand einer einzigen Partei ist, dann konnten solche Vorwürfe, wie sie heute hier erhoben worden sind, einfach nicht ausbleiben. Wenn sie nicht hier im Parlament erhoben worden wären, dann wären sie — bitte, doch nicht zur Stärkung des Ansehens des Bundesverfassungsgerichts — doch bestimmt in der Öffentlichkeit draußen gemacht worden.
Der gegenwärtige „Verbesserungsvorschlag" der Bundesregierung wird zu dem Vorwurf führen, das Bundesverfassungsgericht sei ein parteipolitisch einseitig zusammengesetztes Gremium. Das ist schlimmer als der Vorwurf, der heute erhoben wird, es sei ein Gericht, das von einem Wahlgremium gewählt wird, das nach rein parteipolitischen Kräfteverhältnissen zusammengesetzt ist. Ich glaube also, daß dieser Lösungsvorschlag nicht sonderlich glücklich ist. Aber ich habe den Eindruck, als ob die Bundesregierung zu wirklich konstruktiven Vorschlägen, die eine echte Verbesserung hätten bringen können, deshalb nicht kam, weil sie glaubte, diese große Reform und die se große Lösung im gegenwärtigen Augenblick nicht anbieten zu sollen, vielleicht die Initiative dem Parlament überlassen zu sollen. Auf jeden Fall wollte sie im Rahmen der grundgesetzlichen Festlegungen verbleiben, wonach also das Wahlmännergremium des Parlaments nicht auszuschalten ist.
Ich glaube, meine Damen und Herren — hier liegt nun der entscheidende Punkt —, da hat es doch auch keinen Zweck, die Augen davor zu verschließen, daß Gerüchte und Redereien, nicht etwa nur im Parlament oder in der Presse, sondern in der breitesten Öffentlichkeit seit Jahren im Gange sind, die sich dann zu solchen Formulierungen verdichten, wie sie heute bereits zweimal gefallen sind, die Formulierung von dem „schwarzen" und von dem „roten Senat". Das ist nicht ein Vorwurf, den die Öffentlichkeit damit dem Senat oder den einzelnen Richtern machen will, sondern es ist lediglich die Feststellung, daß sehr sorgfältig immer geprüft worden ist: von welcher Partei — zwei kamen ja doch praktisch im Wahlmännerausschuß nur in Frage — wurde der Richter A, von welcher der Richter B vorgeschlagen? Diese Dinge sind sorgfältig beobachtet worden, und je nachdem, ob der eine Vorschlag von der Opposition oder der andere Vorschlag von der stärksten Regierungspartei kam, hat die öffentliche Meinung gesagt: der eine Senat hat mehr Mitglieder von der einen und der andere mehr Mitglieder von der anderen Seite.
Meine Damen und Herren, das bedeutet noch keineswegs — das möchte ich mit großem Nachdruck unterstreichen, und ich glaube, so ist es auch nicht in der Öffentlichkeit zu hören —, daß man damit dem einzelnen Richter bereits den Vorwurf
machen wolle, er sei in der Lage, auf Grund parteipolitischer Einflüsse eine Entscheidung, die nach seinem Gewissen anders lauten würde, umzubiegen. Darum geht es noch nicht. Aber es taucht doch die ernste Frage auf, ob es das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts auf die Dauer vertragen kann, daß derartige unbestreitbare Feststellungen getroffen werden.
Ich gehöre zu denen, die glauben, daß diese Dinge im Interesse des Ansehens des Bundesverfassungsgerichts unter allen Umständen beseitigt werden müßten, denn sonst wird das höchste, das Bundesverfassungsgericht nicht so fest im Vertrauen der Gesamtheit verankert werden können, wie das notwendig ist. Wenn man diese Auffassung vertritt, dann sollte man sich nicht scheuen, nach praktischen verständigen Lösungen zu suchen. Dabei gibt es auch Möglichkeiten, eine gewisse Kontrolle des Parlaments immer noch einzuschalten. Die technischen Möglichkeiten sind so zahllos, daß da in verschiedenster Abstufung alles möglich ist. Man sollte sich aber entscheiden, die eigentliche Wahl nicht durch ein Wahlmännergremium des gewählten Parlaments, sondern durch eine irgendwie anders zusammengesetzte Institution vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, solche Vorschläge bedeuten keineswegs — ich möchte solchen Vorwürfen von vornherein entgegentreten —, daß meine politischen Freunde die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts nicht erkennen oder gewillt wären, daran zu zweifeln, daß eine derartige Einrichtung nötig ist. Darum geht es unter gar keinen Umständen, sondern es geht nur um die Erkenntnis, daß Sie auf die Dauer das Ansehen eines hohen und höchsten Gerichts vor dem Vorwurf politisch einseitiger Zusammensetzung nicht bewahren können, wenn Sie sich nicht entschließen, von dem politischen Wahlmännersystem abzusehen. Das ist die Frage, um die es letzten Endes geht.
Wird nun der Ausschuß des Bundestags die Initiative ergreifen, die die Bundesregierung in dieser Beziehung vermissen ließ? Aus der Begründung kann man wohl sehr leicht herauslesen, daß eine Initiative des Bundestags der Bundesregierung sehr, sehr genehm sein würde. Vielleicht bedeutet es eine gewisse Konzilianz, daß die Bundesregierung nicht gerade dem Parlament vorschlagen wollte, eine Funktion dieses Parlaments zu beseitigen, sondern daß es die Einsicht von dem Parlament erwartet, die Zustände, die nicht mehr erträglich sind, von sich aus, aus eigener Initiative zu regeln.
Ich bitte, mit einer Bemerkung schließen zu dürfen, die ich nicht mit zuviel Gewicht belegen will. Aber ich kann eine Auffassung, die Herr Kollege Dr. Bucher vortrug, nicht unwidersprochen lassen. Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ist — wobei ich ausdrücklich betone, daß das noch nichts mit der Frage zu tun hat, auf welchem Wege das Gericht zusammengesetzt wurde — nicht unbestritten geblieben. Ich bin nicht in der Lage, so vorbehaltlos wie Herr Dr. Bucher nur Anerkennung und Dank auszusprechen. Ich darf nur an die beiden grundlegenden Urteile betreffend das sogenannte Soldatengesetz und das sogenannte Beamtengesetz erinnern, die von der Fachpresse und von der juristischen Wissenschaft in einer Weise zerrissen und zerfleddert worden sind, wie es in der Vergangenheit noch bei keinem Urteil eines höchsten Gerichts jemals vorgekommen ist, und darf daran erinnern, daß sich der, wenn ich nicht irre, Große Senat des Bundesgerichtshofes veranlaßt gesehen hat, sehr schnell gegen diese beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in einer ausgezeichneten, sorgfältigen Begründung Stellung zu nehmen.
Bitte, ich will das jetzt hier nicht herausstellen und unterstreichen, weil ich der Meinung wäre, gerade im gegenwärtigen Augenblick sei es sinnvoll, darüber etwas zu sagen. Ich wollte nur diesen sehr vorbehaltlosen Dank, den Herr Dr. Bucher aussprach, für meine Fraktion nicht voll unterstreichen und habe mir deshalb erlaubt, diese kleine Schlußbemerkung zu machen.
Im übrigen werden wir in voller Bereitschaft gemeinsam mit den anderen Parteien nach einer Lösung suchen, und unser Bestreben wird es sein, die Initiative aufzubringen, die die Bundesregierung offensichtlich von uns erwartet, damit auch für das Wahlverfahren eine Regelung gefunden wird, die eine völlige politische Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts gewährleistet und das Ansehen des Verfassungsgerichts nicht dadurch schädigt, daß auch nur mit einiger Berechtigung die Behauptung aufgestellt werden kann: die Richter 1, 2, 3 sind von der einen und die Richter 4, 5, 6 von der anderen politischen Richtung in ihr Amt gebracht worden. Wir sollten gemeinsam nach einem Wahlverfahren suchen, durch das auch solche Feststellungen in Zukunft unmöglich werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Becker .
Meine Damen und Herren! Um die Debatte nicht unnötig zu verlängern, werde ich nur zu einem einzigen Punkt dieser Vorlage Stellung nehmen, allerdings zu dem politischen Kernpunkt, eben zu dem Modus für die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts.
Es ist ja sehr interessant, einmal auf die sprachlichen Untertöne zu achten, die bei der Regierungsbegründung des Gesetzentwurfs gerade an dieser Stelle hörbar sind. Der entsprechende Absatz ist mit einigen Sätzen schon von meinen Vorrednern zitiert worden. Da heißt es gleich zu Anfang auf Seite 9 in der zweiten Spalte:
Daß die Richter durch Bundestag und Bundesrat gewählt werden, liegt allerdings verfassungsrechtlich fest.
Meine Damen und Herren, ich halte es bei dieser Gelegenheit für notwendig, einmal darauf hinzuweisen, daß die Deutsche Partei im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz hauptsächlich aus diesem Grund abgelehnt hat. Und wenn jetzt von seiten der sozialdemokratischen Fraktion die heftigen Vorwürfe gegen die Bundesregierung erhoben werden: „böser Wille" und dergleichen, dann ist es doch wohl notwendig, einmal darauf hinzuweisen, daß die SPD im Grunde genau so wie die CDU und die FDP die Verantwortung dafür trägt, daß diese politische Richterwahl überhaupt in unser Grundgesetz gekommen ist.
— Selbstverständlich, Herr Metzger, ist es eine
etwas bessere Lösung, bei der politischen Richter-
wahl eine Dreiviertelmehrheit statt einer nur einfachen Mehrheit zu haben; aber das ist doch nur ein gradueller Unterschied. Der Grundfehler liegt in der Verfassung selbst, und Sie können von der Bundesregierung nicht erwarten, daß sie diesen Fehler, der in der Verfassung liegt, nun von sich aus wieder ausmerzt. Darum die meiner Ansicht nach etwas resignierende Feststellung in der Begründung: „allerdings verfassungsrechtlich" festgelegt.
Meine Damen und Herren, wir erkennen den guten Willen der Bundesregierung an, durch diese Vorlage die technischen Schwierigkeiten, die sich ergeben haben, zu beheben. Wir werden bei den Beratungen loyal mitarbeiten. Aber wir werden auf der anderen Seite den Weg, den die Bundesregierung vorschlägt, nunmehr notfalls die Dreiviertelmehrheit beim Wahlverfahren durch die qualifizierte Mehrheit zu ersetzen, nicht beschreiten, denn das ist ja ein Weg noch in die schlechtere Richtung hinein; das ist ja keine Reform!
Die Grundlage eines Rechtsstaats ist doch, daß die gesetzgebende Gewalt von der richterlichen Gewalt getrennt ist. Wir haben aber in unserer Verfassung geradezu eine Abhängigkeit der richterlichen Gewalt von der gesetzgebenden Gewalt. Das hat doch gar nichts damit zu tun, ob es nun einen „schwarzen Senat", einen „roten Senat" gibt oder nicht. Wichtig ist für uns, daß der Bundestag oder daß der Bundesrat als zweites gesetzgebendes Gremium nicht sich selbst ihre eigenen Richter wählen. Darauf kommt es doch an. Deswegen, meine ich, müßte es doch zumindest erreicht werden, daß bei den Beratungen über die neue deutsche Reichsverfassung, die die Nationalversammlung hoffentlich in absehbarer Zeit abhalten wird,
dieser Grundfehler nicht in die dann zu beschließende Verfassung hineinkommt. Das scheint mir das Allerwichtigste zu sein, was bei den Einzelberatungen über dieses Gesetz herauskommen kann, daß sich endlich die Erkenntnis durchsetzt, daß wir letzten Endes immer unseren Rechtsstaat in Zweifel ziehen müssen, solange nicht die klare Trennung zwischen gesetzgebender und richterlicher Gewalt vorhanden ist.
Ich möchte noch eine Bemerkung dazu machen. Die Bundesregierung schreibt in demselben Absatz ihrer Begründung zu der Frage, ob nicht ein anderes Organ als das Wahlmännerorgan des Bundestags und des Bundesrates bestimmt werden solle:
Die sehr eingehenden Beratungen, die hierüber gepflogen worden sind, haben jedoch zu keinem Ergebnis geführt, das allgemeine Überzeugungskraft beanspruchen könnte.
Ich möchte etwas überspitzt schließen: jedes Ergebnis, das dazu geführt hätte, nicht dieses politische Wahlmännersystem, sondern irgendein anderes Organ zu finden, hätte mehr Überzeugungskraft als jener Weg, der hier von der Bundesregierung nun notfalls wieder vorgeschlagen wird. Ich glaube, daß die Vorschläge, die im Verlauf der Debatte gemacht worden sind, diesen Punkt aus der gesamten Gesetzesvorlage herauszunehmen und die mehr technischen Dinge, die in den anderen Paragraphen stehen, vorweg zu behandeln, die einzige Möglichkeit sind, um eine nochmalige Verschlechterung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht in dem jetzigen Zeitpunkt zu verhindern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zum Schluß der Debatte nur noch einige kurze Worte. Der Herr Kollege Dr. Bucher hat — wie ich glaube, zutreffend — festgestellt, daß die Unparteilichkeit des Bundesverfassungsgerichts ausweislich seiner Rechtsprechung außer jeder Frage stehe. Herr Dr. Gille, damit ist nichts darüber gesagt, ob der eine oder andere von uns das eine oder andere Urteil in rechtlicher Hinsicht für zutreffend hält. Sie haben also auf etwas ganz anderes geantwortet, als Herr Kollege Dr. Bucher gesagt hat.
Aber da Sie es getan haben, sehe ich mich doch veranlaßt, dazu zu sagen, daß die Stimmen, auf die Sie sich berufen haben — es ging um Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Gesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes, über die man streiten kann —, daß jene, die geglaubt haben, diese Urteile, wie Sie sich ausdrückten, „zerfleddern" und „zerreißen" zu können, besser geschwiegen hätten. Denn das waren die übelsten Nazis, 12 Jahre lang!
Von denen wollen wir keine Kritik am Bundesverfassungsgericht hören!
— Ich will die Namen hier gar nicht nennen; denn ich möchte sie nicht in das Protokoll des Bundestages aufgenommen wissen.
Ich möchte noch eines hinzufügen. Diejenigen Kollegen in diesem Hause, die dem Gesetz zu Art. 131 ihre Zustimmung gegeben haben, hatten keine Veranlassung, hinterher dem Bundesverfassungsgericht Vorwürfe zu machen; denn diese Kollegen, besonders auf der rechten Seite, haben mit ihrer Zustimmung selber die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bejaht und können hinterher nicht sagen: „Wie kann das Bundesverfassungsgericht etwas gutheißen, was wir selbst gemacht haben!" Auch das an dieser Stelle einmal auszusprechen, war, glaube ich, notwendig.
Nun, Herr Kollege Dr. Gille, ein Irrtum ist Ihnen unterlaufen. Sie sagen — und mir liegt daran, auch das richtigzustellen —, es werde von der Öffentlichkeit geprüft, von welcher Partei das eine oder andere Mitglied des Bundesverfassungsgerichts vorgeschlagen sei. Ich glaube nicht, daß das richtig ist. Denn es gibt überhaupt kein eigentliches Vorschlagsrecht. Es gibt, juristisch gesprochen, nur die Befugnis zu Anregungen; und diese Befugnis haben nicht nur sämtliche Fraktionen des Bundestages, sondern auch die Bundesregierung und alle zehn Landesregierungen und jedes Mitglied des Wahlmännergremiums. Soweit ich weiß, gibt es kein Mitglied des Bundesverfassungsgerichts, das nicht von den verschiedensten Seiten zur Wahl gestellt worden ist. Eine Kontrolle: „Wer hat den vorgeschlagen?" und „Ist es demnach so einer oder so einer?" ist nicht möglich. Es kann diese Kontrolle nicht geben, weil das bloße Anregungsrecht den verschiedensten Seiten zusteht. Dieses Anregungsrecht ist bisher zum Glück in der Regel dergestalt ausgeübt worden, daß die Frauen und Männer, die zu Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts berufen sind, zumeist von den verschiedensten Seiten benannt wurden.
Ich sehe mich an dieser Stelle auch veranlaßt — und das hat mich in der Hauptsache bewogen, noch
einmal ums Wort zu bitten —, auf Ausführungen einzugehen, die der Herr Kollege Dr. Weber gemacht hat. Er hat sich auf einen Bundesrichter berufen, der einmal eine Zeitlang Verwaltungsbeamter beim Bundesverfassungsgericht war. Nun, die Tätigkeit als Verwaltungsbeamter beim Bundesverfassungsgericht qualifiziert, glaube ich, nicht in der Weise, daß man dadurch ein besonderer Sachkenner wird. Es könnten auch persönliche Motive mitspielen, über die ich mich hier nicht äußern möchte. Aber eines muß ich doch hier bedauern, Herr Kollege Weber: daß Sie diese Ausführungen zitiert haben; denn das zwingt dazu, sie mit Schärfe zurückzuweisen. Wenn hier gesagt wird:
Nach dem jetzt geltenden Wahlmodus wird immer der Wahlpartner
— d. h. das Mitglied des Wahlmännergremiums, von dem eine Reihe ja hier anwesend sind; ich gehöre seit Jahren nicht dazu, weil ich freiwillig ausgeschieden bin --
mit dem geringsten Gemeinsinn und Verantwortungsgefühl den Ausschlag geben,
so ist das eine unerhörte Bezichtigung der Mitglieder des Wahlmännergremiums
und eine Bezichtigung, der jede Grundlage fehlt.
— Aber solche Beispiele kann man doch nicht bilden, Herr Kollege Weber!
Dieser ehemalige Verwaltungsbeamte des Bundesverfassungsgerichts ist sogar so ununterrichtet, daß er nicht einmal weiß, daß für die Verhandlungen des Wahlmännergremiums — anders als beim Richterwahlausschuß — eine Geheimhaltung nicht vorgeschrieben ist. Da sie nicht vorgeschrieben ist, sind wir weitgehend über Vorgänge im Wahlmännergremium unterrichtet und wissen alle, daß alle Wahlen bisher einstimmig erfolgt sind. Ich weiß nicht, ob auf solche Weise allen Mitgliedern nachgesagt werden soll, sie hätten bei diesen einstimmigen Wahlen einen Wettbewerb in „geringstem Gemeinsinn" und „geringstem Verantwortungsgefühl" ausgefochten. — Also so geht es nicht; solche Kritiken soll man uns nicht bringen. Es ist bedauerlich, daß etwas Derartiges veröffentlicht worden ist.
Im übrigen hat es keinen Sinn, daß ich das wiederhole, was Herr Kollege Metzger gesagt hat. Sie dürfen gewiß sein, Herr Kollege Weber, daß meine Freunde und ich an allem festhalten und uns auch Ihre heftigen Proteste dagegen nicht von der Irrigkeit überzeugt haben.
Zum Schluß nur noch ein Wort zu dem Herrn Bundesminister der Justiz. Herr Bundesminister, meine Damen und Herren, der Streit geht doch darum, ob es für einen Bundesminister der Justiz überhaupt möglich ist, solche Worte wie die vom „roten" und „schwarzen" Senat in den Mund zu nehmen, selbst dann, wenn er sie zurückweist. Das ist die Ansicht, die der Kollege Metzger für meine Fraktion vorgetragen hat und die wir alle teilen: daß es für einen Bundesminister der Justiz nicht möglich ist, solche Worte zu zitieren. Im übrigen müßte ich Ihnen, wenn wir uns darüber unterhalten wollen, auch darlegen — aber ich möchte das dem Hohen Hause ersparen —, daß diese Worte keineswegs in der Öffentlichkeit von selbst aufgekommen sind, sondern daß sie auf einem Pressetee von einer ganz bestimmten Person erfunden wurden,
auf einem Pressetee, über den immerhin ein amtliches Stenogramm vorliegt. Es läßt sich Stunde für Stunde nachweisen, welchen Weg dieses böse Wort gemacht hat. Wir sollten über dieses Wort in Zukunft schweigen.
Im übrigen haben Sie, Herr Bundesminister, wenn Zeitungsmeldungen richtig sind, vor der Öffentlichkeit auch erheblich mehr gesagt. Sie sollen ausweislich des „Münchner Merkur" vom 27. Juni dieses Jahres in einer Pressekonferenz nach der Beschlußfassung des Bundesrats im ersten Durchgang gesagt haben — ich zitiere jetzt —, „daß es auch die jetzt geltenden Vorschriften nicht hätten verhindern können, das Gerede vom „roten" und „schwarzen" Senat aufkommen zu lassen ...".
Und Sie sollen hinzugefügt haben: „Es trifft nicht zu, daß die bisherige Regelung ihrer Natur nach eine Wahl unter parteipolitischen Gesichtspunkten verhindert ...". Das geht allerdings wesentlich weiter und ist doch immerhin auch eine Diskriminierung des Wahlmännergremiums von Ihrer Seite. Ich hoffe, daß Sie noch Gelegenheit nehmen werden, uns hier zu sagen, daß diese Presseberichterstattung unrichtig ist.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Arndt, mir ist nicht bekannt, daß ich derartige Erklärungen abgegeben habe. Ich habe gerade eben noch mit meinen Beratern gesprochen. Niemand von uns kann sich daran erinnern, daß eine derartige Pressekonferenz stattgefunden hat, weder ich noch der Herr Staatssekretär oder Herr Roemer. Ich darf Sie bitten, mir das einmal zu geben. Ich werde Ihnen dann schriftlich Antwort geben.
Herr Abgeordneter Bucher!
Nur wenige Worte noch zu den letzten Bemerkungen des Herrn Dr. Gille. Herr Kollege Dr. Arndt hat mich bereits richtig interpretiert, daß ich mit meiner Anerkennung des Bundesverfassungsgerichts natürlich nur die Unparteilichkeit dieses Gerichts loben wollte und — das betone ich nochmals — seine Fähigkeit, Recht und Politik zu scheiden. Keineswegs wollte ich nun natürlich die materiellen Inhalte seiner Entscheidungen loben. Ich wollte nicht etwa die Anerkennung dafür aussprechen, daß die Saarklage abgewiesen wurde, die ich mitunterzeichnet habe, usw.
Ich habe auch ein anderes Urteil zitiert, das über das Investitionshilfegesetz, wo ich an der Klage als Anwalt einer Partei beteiligt war. Es ist also ein gewisser Akt der Selbstentäußerung. Aber zu dem sind wir ja hier verpflichtet: daß wir objektiv feststellen — die Urteile mögen uns sachlich gefallen oder nicht —: Das Verfahren des Gerichts war einwandfrei.
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Der Ältestenrat hat Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht vorgesehen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betreffend Einrichtung eines Bildersuchdienstes zur Aufklärung von Schicksalen Vermißter und verschollener Kriegsgefangener der ehemaligen deutschen Wehrmacht .
Im Ältestenrat war vorgesehen, daß keine Begründung und keine Aussprache erfolgt. Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, über den Antrag Drucksache 1791 zu beschließen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes .
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Hubertus Prinz zu Löwenstein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner politischen Freunde darf ich den Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, Drucksache 1623, kurz begründen. Es handelt sich hier um ein Anliegen, das in diesem Hohen Hause und in der deutschen Öffentlichkeit schon des öfteren vorgebracht wurde. So habe ich selbst in der 30. Sitzung am 21. Mai 1954 anläßlich einer Pressedebatte ausgeführt, daß eine Umsatzsteuer für Journalisten, Schriftsteller und verwandte Berufe unethisch, unsozial und unberechtigt sei. Ich habe hinzugefügt: ,,... denn Geist ist keine Ware" und wörtlich gesagt:
Eine völlige Befreiung müßte angestrebt werden, und das gleiche müßte natürlich auch für die anderen freien Berufe gelten.
Ich habe damit Zustimmung aus allen Parteien dieses Hauses gefunden.
Es ist nicht uninteressant, heute hier im Plenum festzustellen, daß bei einer Sitzung des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films in Berlin darauf hingewiesen wurde, gerade im Hinblick auf die Berliner Verhältnisse und die besondere Notlage der Journalisten in Berlin sollte eine Befreiung von der Umsatzsteuer eintreten.
Unter dem 16. November 1954 habe ich zusammen mit 21 Kollegen aus den verschiedensten Fraktionen zu § 4 Ziffer 17 des Umsatzsteuergesetzes einen Änderungsantrag eingebracht, der für die hierin genannten Berufsgruppen einen Freibetrag von 12 000 Mark vorsah. In der Begründung, die ich in der 56. Sitzung am 18. November 1954 gab, wies ich ganz besonders darauf hin, daß es sich hier um keine Parteiangelegenheit handele. Sehr warmherzig hat sich dafür ja auch der Kollege Corterier eingesetzt. Ich sagte u. a.:
Ich hätte es gern gesehen, wenn die Umsatzsteuer überhaupt weggefallen wäre.
Denn, wie gesagt, Geist ist keine Ware, und geistiges Schaffen und Umsatzsteuer haben nichts miteinander zu tun. Ich sagte damals weiter:
... Mit diesem Antrag soll ein wichtiger Anfang gemacht werden. Ich sehe darin auch ein Bekenntnis zu der großen Achtung, die wir alle in diesem Hause der geistigen Arbeit entgegenbringen.
Mit überwiegender Mehrheit hat der Deutsche Bundestag diesen Antrag angenommen.
Leider hat dann jedoch aus der Systematik des Umsatzsteuergesetzes heraus der Bundesrat geglaubt, Bedenken geltend machen zu müssen, und hat den Vermittlungsausschuß angerufen. Im Vermittlungsvorschlag — Sie werden sich daran erinnern, meine Damen und Herren — ist der Freibetrag dann wieder beseitigt worden. Es wurde eine Freigrenze von 18 000 Mark gegenüber — nach der früheren Regelung — 12 000 Mark bestimmt, und auch sonst sind einige Verbesserungen zustande gekommen. Man darf also wohl sagen, daß der von mir in der Sitzung vom 18. November 1954 begründete Änderungsantrag doch etwas Gutes erreicht hat. Aber an der Sache selber ist dieser Vermittlungsvorschlag vorbeigegangen. Ich habe darauf in der 61. Sitzung vom 15. Dezember 1944 noch einmal hingewiesen. Ich habe gesagt — und habe wiederum Zustimmung auf den verschiedensten Seiten dieses Hauses gefunden —, daß hier steuerliche Gesichtspunkte gesiegt hätten, während es doch in allererster Linie bei dieser Frage um soziale und ethische Gesichtspunkte gehen müßte. Der Bundestag hat dann den Vermittlungsvorschlag angenommen.
Der dem Hohen Hause nunmehr vorliegende Antrag auf Drucksache 1623 ist eine logische Weiterführung unserer Gesetzesplanung. In diesem Antrag ist beispielhaft eine große Zahl von Berufsgruppen aufgeführt. Das ist enumerativ und nicht exklusiv gedacht. Der Begriff „freie Berufe" kann ja nicht mit letzter mathematischer Deutlichkeit bestimmt werden. Aber die Aufzählung dieser Gruppen soll die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen, alle jene, die man in der öffentlichen Meinung als Angehörige eines freien Berufes bezeichnet, in den Genuß der Bestimmung des § 4 Ziffer 17 des Umsatzsteuergesetzes in der Neufassung vom 26. Dezember 1954 zu bringen.
Ich darf jedoch mit Zustimmung meiner Fraktion noch etwas hinzufügen. Obgleich der Antrag meine Unterschrift trägt, entspricht er nicht ganz meinen eigentlichen Absichten, und ich will offen gestehen, daß ich selber nicht wirklich glücklich darüber bin. Hier sind Gruppen sehr unterschiedlicher Art zusammengefaßt. Bei manchen ist eine Abwälzung der Umsatzsteuer möglich, bei anderen nicht. Wie soll etwa ein Journalist seine Umsatzsteuer abwälzen? Die Vorstellung ist geradezu
komisch, daß er seiner Redaktion eine Rechnung über die Umsatzsteuer einreichen könnte. Auch sind gewisse Bedenken seitens der Arbeitsgemeinschaft der Anwaltkammervorstände aufgetaucht, die ich doch erwähnen muß. So ist darauf hingewiesen worden, daß der Anwalt vor Jahresschluß gar nicht wissen könne, welchen Jahresumsatz er haben werde. Es wurde weiter darauf hingewiesen, daß eine gewisse Gefahr einer Zweiteilung des Berufsstandes bestehen könnte.
Aber ich meine doch sagen zu dürfen, daß im Augenblick mit diesem Antrag das Optimum erreicht ist und daß man damit wiederum einen Anfang auf dem Wege macht, den wir schon oft zu beschreiten versucht haben, nämlich zur völligen Beseitigung der Umsatzsteuer für freie Berufe. Ich möchte also der Hoffnung Ausdruck geben, daß in den Ausschußberatungen in Zusammenarbeit aller Fraktionen weitere Verbesserungen erreicht werden, und möchte vor allem auch die Erwartung aussprechen, daß nicht wieder die Systematik des Umsatzsteuergesetzes herangezogen wird, wenn es darum geht, ein ethisches und ein soziales Gebot zu erfüllen.
Vielleicht kommen wir bei den Beratungen im Ausschuß zu einem interfraktionellen Antrag, der das Ziel, das ich erwähnt habe, nämlich die Beseitigung der Umsatzsteuer für die freien Berufe, zu erreichen vermag.
Das Wort hat der Abgeordnete Rösing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Kollegen Prinz zu Löwenstein namens meiner Fraktion die Versicherung abgeben, daß wir das, was er hier vorgetragen hat, bei den Ausschußberatungen so weit wie eben möglich unterstützen wollen. Er 'hat selbst gesagt, daß das von ihm vorgebrachte Anliegen nicht neu sei. Sie wissen, daß wir Ende des vergangenen Jahres in das Vierte Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes einen gewissen Freibetrag für einen Teil der freien Berufe, namentlich für die Journalisten, Schriftsteller usw., eingearbeitet haben, einen Freibetrag, der, wie ich glaube, auch in dieser Form nicht ganz glücklich ist; denn er führt in vieler Hinsicht zu einer gewissen Leistungsminderung. Es ist klar, daß dann, wenn Freigrenzen eingebaut sind, kein allzu großes Bestreben vorhanden ist, diese Freigrenze mit dem Ergebnis zu überschreiten, dann Steuer zahlen zu müssen.
Ich freue mich, daß Kollege Prinz zu Löwenstein anerkannt hat, daß der Weg, der in dem vorliegenden Antrag aufgezeichnet ist, nicht ganz richtig ist, und es wird im Ausschuß Gelegenheit sein, zu überprüfen, in welcher Form man dem Anliegen Rechnung tragen kann. Es handelt sich hier um einen Berufsstand, der beileibe nicht eine Sonderregelung haben will; aber es ist immerhin ein beträchtlicher Kreis von Menschen, der es bisher verstanden hat, sich im Zeitalter der Vermassung noch eine sehr gehörige Portion persönlicher Freiheit zu erhalten, ein Kreis von Personen, der nicht immer sofort nach der Staatshilfe ruft, sondern der mutig anpackt, selbst wenn die Situation für ihn noch so schwierig ist.
Der Antragsteller hat selbst schon zum Ausdruck gebracht, daß die Situation der freien Berufe bezüglich der Umsatzsteuer recht kompliziert ist. Ein Teil der freien Berufe ist in der Lage, die Steuer zu überwälzen. Ich denke hier z. B. an die Anwälte und Notare, die heute schon in ihren Honoraren die Umsatzsteuer besonders berechnen. Ich denke aber auch an die Ärzte, die z. B. für ihre Leistungen, die sie von den Sozialversicherungsträgern erhalten, überhaupt keine Umsatzsteuer zu bezahlen brauchen. Es ist klar, daß bei dieser Sachlage eine Berechnung der Freigrenze überaus schwierig ist.
Abschließend darf ich noch einmal betonen, daß das Anliegen, das hinter dem Antrag steht, wert genug ist, sorgfältig geprüft zu werden, und ich kann die Versicherung abgeben, daß wir uns in den kommenden Ausschußberatungen bemühen wollen, eine Lösung zu finden, die allen Beteiligten gerecht wird. Sie wissen, daß im November vergangenen Jahres eine Entschließung angenommen worden ist, in der der Bundestag die Bundesregierung auffordert, die Frage der Umsatzsteuer und die Belastung, die die einzelnen zu tragen haben, genau zu untersuchen, und einen Bericht darüber verlangt. Wir wünschen und hoffen, daß der Bericht über diese Untersuchung möglichst bald dem Hohen Hause vorgelegt wird, um in Verbindung damit im zuständigen Fachausschuß Überlegungen anstellen zu können, wie das augenblickliche Umsatzsteuergesetz modernisiert werden kann.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs (Drucksache 1777).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs Drucksache 1778).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung über den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP, GB/BHE, DP betreffend § 96 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Drucksachen 1782, 1048).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Hellenbrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ausgangspunkt der Neuformulierung des § 96 der Geschäftsord-
nung war der Antrag der Regierungsparteien auf Drucksache 1048. Dieser Antrag wurde in der 76. Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 24. März 1955 behandelt und anschließend dem Geschäftsordnungsausschuß als federführendem und dem Rechtsausschuß als mitberatendem Ausschuß zur Weiterbearbeitung überwiesen.
Der Rechtsausschuß hat in seiner Sitzung am 17. Mai den Antrag beraten und folgende Stellungnahme beschlossen: Gegen die Formulierung der Absätze 1 und 2 des Antrags Drucksache 1048 bestanden keine Bedenken. Gegen Abs. 3 hatte der Rechtsausschuß verfassungsrechtliche Bedenken. Der Rechtsausschuß schlug für den Abs. 3 eine Formulierung vor, die sich im wesentlichen weitgehend der Formulierung des Ausschußantrags auf Drucksache 1782 angleicht.
Der Geschäftsordnungsausschuß hat sich anschließend in mehreren Sitzungen in eingehenden und sachlichen Beratungen mit dem Antrag beschäftigt. Es wurde anerkannt, daß sich im Hinblick auf die Stabilität unserer Finanzwirtschaft alle Fraktionen dieses Hauses für das Gleichgewicht des Haushalts verantwortlich fühlen und in der Vergangenheit verantwortlich gefühlt haben.
Ebenso war man sich im Geschäftsordnungsausschuß darüber einig, daß das Initiativrecht des Parlaments keine Schmälerung erfahren dürfe. Dies würde eine Minderung der Rechte des Parlaments gegenüber der Regierung bedeuten. Aus diesen Gründen erschien dem Geschäftsordnungsausschuß die im Antrag Drucksache 1048 vorgelegte Formulierung zum § 96 nicht akzeptabel. Er beauftragte eine kleine Kommission des Geschäftsordnungsausschusses mit der Aufgabe, eine Formulierung zu finden, die allen Wünschen sowohl des
I) Parlaments als auch der Regierung so weit als eben möglich gerecht würde. Dieser nicht ganz leichten Aufgabe haben sich die Herren Kollegen Ritzel, Gengler, Herr Kollege Schoettle in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Haushaltsausschusses und meine Wenigkeit unterzogen. Als Vertreter des Bundesfinanzministeriums war Herr Dr. Vialon an dieser Aufgabe beteiligt. Das einstimmig erarbeitete Ergebnis, welches die Zustimmung des Vertreters des Bundesfinanzministeriums gefunden hat, wurde dem Geschäftsordnungsausschuß zur Beschlußfassung vorgelegt. Abgesehen von kleinen stilistischen Änderungen hat der Geschäftsordnungsausschuß die vorgeschlagene neue Formulierung des § 96 der Geschäftsordnung einstimmig gebilligt, die in der Drucksache 1782 dem Hohen Hause nunmehr vorliegt. So weit der Verlauf der Beratungen in den Ausschüssen.
Die Kompliziertheit und die Wichtigkeit der Materie erfordern von mir als Berichterstatter nun noch einige Erläuterungen zu der neuen Formulierung. Der vorliegende Ausschußantrag zu § 96 der Geschäftsordnung unterscheidet zunächst zwischen Finanzvorlagen und Haushaltsvorlagen. Der Begriff „Haushaltsvorlagen" ist im § 94 unserer Geschäftsordnung enthalten. Nach der Praxis und dem Kommentar sind Haushaltsvorlagen der Haushaltsplan selbst sowie alle sonstigen den Haushalt betreffenden Vorlagen und Anträge. Es kann sich somit bei Haushaltsvorlagen sowohl um Vorlagen handeln, die einen bereits bestehenden Haushalt betreffen, also seine Ausführung, oder um Vorlagen, die auf einen in Vorbereitung oder in Beratung befindlichen Haushalt einwirken sollen.
Die Neuformulierung bezweckt, den ganzen bisherigen § 96 der Geschäftsordnung zu ersetzen. In
Geltung sind augenblicklich die Absätze 1 und 2 des § 96; die bisherigen Absätze 3 und 4 sind vom Bundesverfassungsgericht im Jahre 1952 als verfassungswidrig verworfen worden. Der neue Vorschlag bestimmt generell, was eine Finanzvorlage ist, dahin, daß alle Vorlagen der Bundesregierung, des Bundesrats sowie Gesetzentwürfe und selbständige Anträge von Abgeordneten im Sinne des § 97 der Geschäftsordnung als Finanzvorlagen zu betrachten und zu behandeln sind, wenn sie in der Hauptsache oder in erheblichem Umfang dazu geeignet sind, auf die öffentlichen Finanzen einzuwirken, und nicht Haushaltsvorlagen im Sinne des § 94 der Geschäftsordnung sind.
Entstehen Zweifel über den Charakter einer Vorlage, ob Haushaltsvorlage, Finanzvorlage oder was sonst, dann soll nach dem Ausschußantrag die Mitwirkung des Parlaments durch den Geschäftsordnungsausschuß gesichert werden. Der Geschäftsordnungsausschuß soll von der Bestimmung des § 129 unserer Geschäftsordnung Gebrauch machen, und zwar soll der Geschäftsordnungsausschuß dann, wenn es sich um eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Auslegung einer Vorschrift der Geschäftsordnung handelt, seine Meinung durch Beschluß bekunden und dem Bundestag darüber berichten. Stehen sich Mehrheits- und Minderheitsmeinung einander gegenüber, dann ist dem Bundestag auch darüber zu berichten. Der Bundestag entscheidet über den Antrag des Ausschusses ohne Aussprache.
Der Ausschußantrag, der Ihnen heute vorliegt, unterscheidet zwischen Finanzvorlagen, die einen Gesetzentwurf enthalten, und Finanzvorlagen, die keinen Gesetzentwurf enthalten. Der Vorschlag des Ausschusses kommt den Einwendungen der Opposition entgegen, die es abgelehnt hatte, daß auch Finanzvorlagen, die einen Gesetzentwurf enthalten, keiner ersten Beratung unterworfen sein sollten. Der Vorschlag bestimmt ausdrücklich, daß Finanzvorlagen, die einen Gesetzentwurf enthalten, nach der ersten Beratung dem Haushaltsausschuß und dem Fachausschuß zu überweisen sind. Er sichert also die erste Beratung. Finanzvorlagen, die keinen Gesetzentwurf enthalten, sollen nach dem Formulierungsvorschlag ohne Beratung im Plenum dem Haushaltsausschuß und dem Fachausschuß überwiesen werden. Die Überweisung soll durch den Präsidenten erfolgen. Solche Finanzvorlagen werden damit der gleichen Behandlung unterworfen wie die sogenannten Haushaltsvorlagen nach § 94 der Geschäftsordnung. Auch diese Haushaltsvorlagen werden erst dann im Bundestag behandelt, wenn eine Vorberatung in einem Ausschuß stattgefunden hat.
Grundsätzliche Bedenken gegen diesen Vorschlag sind nicht zu erheben. Die Verwirklichung des Vorschlages vereinfacht den Geschäftsgang, sichert aber trotzdem neben der Ausschußberatung die Beratung im Plenum. Ist der Präsident im Zweifel darüber, welchem Fachausschuß die Vorlage zu überweisen ist, dann trifft er seine Entscheidung im Benehmen mit dem Ältestenrat. Den Antragstellern ist in jedem Fall, gleichgültig, ob es sich um eine Finanzvorlage mit einem Gesetzentwurf oder um eine Finanzvorlage ohne Gesetzentwurf handelt, Gelegenheit gegeben, den Antrag im Ausschuß zu begründen.
Der ursprüngliche Wortlaut des Abs. 3 nach dem Antrag der Regierungsparteien in Drucksache 1048 forderte, wie Ihnen noch bekannt sein dürfte, bei der ersten Beratung des Antrages in der 76. Sit-
zung des Deutschen Bundestages scharfe Kritik seitens der SPD und des BHE heraus. Auch der Vertreter der CDU/CSU vertrat praktisch die Auffassung, daß die Formulierung des dritten Absatzes in der Ausschußberatung revidiert werden solle. Der Rechtsausschuß hat daraufhin, wie ich bereits erwähnte, eine Formulierung gesucht und gefunden, die auch Gegenstand der Beratungen im Ausschuß für Geschäftsordnung und der auch von mir bereits erwähnten kleinen Kommission gewesen ist. Das Ergebnis dieser Beratungen in der kleinen Kommission und des darauf beruhenden Ausschußbeschlusses liegt Ihnen in der Drucksache 1782 in Abs. 3 vor.
Der Haushaltsausschuß prüft nun jede ihm überwiesene Finanzvorlage. Er hat also die gleiche Feststellung zu treffen, die er unter Umständen auch in bezug auf eine Haushaltsvorlage nach § 94 zu treffen hat, wenn es sich um die Ausführung des Haushalts handelt. Mit anderen Worten, er hat zu prüfen, ob die Verwirklichung des Antrags haushaltsmäßige Auswirkungen hat. Kommt er zu dem Ergebnis, daß die Annahme der Vorlage Auswirkungen auf den Haushalt hat, dann prüft er, ob eine Deckungsmöglichkeit vorhanden ist. Das Ergebnis seiner Prüfung legt er dann in einem Bericht nieder, der dem Bundestag zu erstatten ist. Kann der Haushaltsausschuß keine Deckungsvorschläge machen, dann wird die Finanzvorlage gleichwohl dem Bundestag vorgelegt, der zunächst lediglich darüber beschließt, ob eine Deckung möglich ist. Damit sich der Bundestag über Sinn und Wesen der Finanzvorlage ein Urteil bilden kann und gegebenenfalls von sich aus einen Deckungsvorschlag sucht, erhält der Antragsteller zur Begründung seiner Vorlage das Wort. Damit ist gesichert, daß auch in den Fällen, in denen nicht schon in der ersten Beratung einer Finanzvorlage, die einen Gesetzentwurf enthält, der Bundestag Kenntnis erhält über Sinn und Inhalt der Vorlage, sondern in der eine Finanzvorlage, weil sie keinen Gesetzentwurf enthält, kurzerhand den Ausschüssen überwiesen wird, dem Plenum die sachliche Begründung des Antrags dargelegt werden kann. Erfolgt nun aus der Mitte des Hauses ein Dekkungsvorschlag, der vom Bundestag angenommen wird, dann geht dieser Vorschlag automatisch noch einmal an den Haushaltsausschuß, der den Vorschlag des Bundestages prüft, zu ihm Stellung nimmt und dann die ganze Angelegenheit, also Antrag und Deckungsvorschlag, endgültig dem Bundestag zur abschließenden Behandlung vorlegt. Wird dagegen bei der ersten Berichterstattung des Haushaltsausschusses über die nach Meinung des Ausschusses nicht vorhandene Deckungsmöglichkeit im Bundestag kein Deckungsvorschlag gemacht, der die Zustimmung des Bundestages f in-det, dann gilt die Finanzvorlage als erledigt.
Die Schwierigkeit bei der Behandlung der Drucksache 1048 lag darin, das finanzpolitisch auch vom Standpunkt der Opposition wünschenswerte Element der Deckung mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen bei Behandlung von Initiativanträgen von Abgeordneten in Einklang zu bringen, die Gleichwertigkeit in der Behandlung von Finanzvorlagen, gleichgültig, ob sie von der Bundesregierung, dem Bundesrat oder aus der Mitte des Hauses kommen, sicherzustellen und das Initiativrecht der Abgeordneten ungeschmälert zu erhalten. Der Antrag des Geschäftsordnungsausschusses dürfte diesem Ziel, soweit es irgend erreichbar ist, entsprechen.
Auf Grund des einstimmigen Beschlusses des Geschäftsordnungsausschusses habe ich den Auftrag, das Hohe Haus zu bitten, der in Drucksache 1782 vorgeschlagenen Formulierung zu § 96 der Geschäftsordnung seine Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über die Drucksache 1782. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? — Gegen eine Stimme bei einigen Enthaltungen angenommen.
Meine Damen und Herren, ich habe bekanntzugeben, daß nach Erledigung des soeben behandelten Punktes 8 der Tagesordnung der Rechtsausschuß zu einer Beratung in Zimmer 206 Süd zusammentritt.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Molkereistruktur ;
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes .
Herr Abgeordneter Seither zur Begründung.
Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, im Namen meiner Fraktion die Anträge Drucksachen 1587 und 1589 zu begründen. Beide Anträge befassen sich mit der Milchwirtschaft. Wir wollen mit diesen Anträgen versuchen, die Milchstruktur in unseren Molkereisystemen zu verändern, und wollen versuchen, das Milchgesetz dahingehend zu ergänzen, daß in der Milchwirtschaft eine bessere Situation insbesondere zugunsten der Erzeuger eintritt.
Wir sind uns in folgender Auffassung einig: Wenn wir es in der Bundesrepublik erreichen können, daß der Milchkonsum erhöht wird, wird sicherlich der Auszahlungspreis für den Erzeuger dadurch ohne weiteres gehoben werden können, wie Beispiele das deutlich beweisen werden. Wir sind uns also einig, daß der Milchkonsum unter allen Umständen gesteigert werden muß. Dazu boten wir als Sozialdemokraten stets Möglichkeiten an. Wir sprachen davon, daß die Schulmilchspeisung in der Bundesrepublik unbedingt durchgeführt werden müßte, nicht nur weil wir wissen, daß viele Kinder heute ohne Milchfrühstück in die Schule kommen, sondern weil wir auch wissen, daß wir Milchtrinker erziehen und gewinnen müssen. Und auf diesem Wege scheint uns die Steigerung des Milchkonsums in Deutschland ein absolut sicheres Mittel zu sein.
Wir haben leider mit unseren Anträgen — und es handelt sich dabei um ein echtes Anliegen von uns — bis jetzt noch wenig Glück gehabt, weil die Mehrheit in diesem Hause mit uns nicht einig ging, weil die Mehrheit in diesem Hause unsere Anträge abgelehnt hat.
Wir hoffen aber, daß nun eine neue Situation dadurch eingetreten ist, daß Herr Minister Lübke
ebenfalls von einer Schulmilchspeisung spricht, und wir erwarten, daß durch diese Schulmilchspeisung ein Mehrverbrauch in Deutschland eintreten wird.
Wir sind auch der Meinung — und wir haben immer versucht, unserer Meinung Ausdruck zu geben —, daß die Milch möglichst an den Konsumenten herangebracht werden muß. Wir haben deshalb Anträge gestellt, und auch mit Ihrer Zustimmung wurde dann ein Gesetz beschlossen, wonach auch die Milch in allen einschlägigen Geschäften der Lebensmittelbranche heute geführt werden kann, dort angeboten werden kann, so z. B. Flaschenmilch und Vorzugsmilch. Wir hoffen aber, daß dieser Weg noch weiter beschritten werden kann, und wir werden in unseren Anträgen, die wir Ihnen später zur Abstimmung stellen werden, auf diesen Weg verweisen und neue Wege suchen. Wir hoffen, in der gemeinsamen Ausschuß-arbeit diese Wege zu finden.
Wir sind uns auch einig darüber, daß die Produktionskosten in der deutschen Landwirtschaft ganz allgemein in der letzten Zeit gestiegen sind. Wir sind der Meinung, daß auch in der Milchwirtschaft eine wesentliche Erhöhung der Produktionskosten in der Landwirtschaft gegeben ist. Wenn wir also gemeinsam der Meinung sind, daß die Produktionskosten in der Landwirtschaft gestiegen sind, sind wir sicher auch der Ansicht, daß dem Erzeuger, insbesondere dem kleinen Bauern, der Weg gebahnt werden muß, die Erzeugerpreise zu erhöhen, um die erhöhten Gestehungskosten in der Landwirtschaft auszugleichen. Hierfür gibt es allerdings verschiedene Möglichkeiten, und hier glaube ich, daß ich doch meine Verwunderung über einige Dinge aussprechen darf.
Als wir das Landwirtschaftsgesetz in diesem Hause verabschiedeten — und einstimmig verabschiedeten —, waren wir nicht der Meinung, daß die Preispolitik als erste Maßnahme angewandt werden sollte, sondern wir haben bewußt die Preispolitik als die letztmögliche Maßnahme an den Schluß gesetzt. Aus diesem Grunde glauben wir uns nicht gerade sehr freuen zu sollen, daß man nun versucht, die Gestehungskostenlage in der Milchwirtschaft über die Preiserhöhung beim Endverbraucher — so wurde verschiedentlich gefordert — zu erleichtern.
Wir sollten uns doch darüber einig sein, daß Preiserhöhungen auf diesem Wege viele Widerstände bei den Verbrauchern heraufbeschwören. Wir sollten doch sehr froh sein, daß es uns endlich einmal in der deutschen Agrarpolitik gelungen ist, Freunde in allen Kreisen zu gewinnen, und diese Freunde sollten wir nicht abstoßen, wenn wir zunächst nicht den Beweis antreten können, in unserem Bereich alles zu tun, die Gestehungskostenlage der Landwirtschaft zu verbessern und insbesondere zu versuchen, den Erzeugerpreis in den uns gebotenen Möglichkeiten zu erhöhen.
Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. In den Anträgen, die in Berlin verabschiedet worden sind, haben wir Sozialdemokraten verlangt, daß die Umsatzsteuer aller landwirtschaftlichen Produkte — nicht nur der Milch — in Wegfall kommen sollte. Um die Gestehungskostenlage der Landwirtschaft zu verbessern, haben wir weiter beantragt, daß die Dieselkraftstoffe auf ungefähr 18 bis 19 Pf verbilligt werden. Das ist ungefähr die Preissituation, wie sie andere Länder, z. B. Holland, Dänemark usw., haben. Wir sind der Meinung, daß auf diesem Wege versucht werden müßte, die Produktionskosten der Landwirtschaft wesentlich zu verändern, damit auch die Landwirtschaft in die Lage versetzt wird, in Zukunft mit dem Ausland konkurrieren zu können. Trotz alledem meinen wir auch, daß in den beiden von der Sozialdemokratischen Partei vorgelegten Gesetzentwürfen von der Natur aus Möglichkeiten gewisser Veränderungen zugunsten der Erzeuger gegeben sind.
Zur geschichtlichen Betrachtung dieser Marktordnungsgesetze dürfen wir einmal kurz die Tatsache feststellen, daß die Marktordnung 1930 im Parlament in der Absicht gebildet worden ist, einmal die Milch möglichst einwandfrei an den Verbraucher heranzubringen, zweitens eine gewisse Preisstabilität zu bekommen und drittens ,dem Erzeuger durch Ausgleichsabgaben für werkferne und marktferne Betriebe eine gewisse Stabilität auch im Auszahlungspreis zu geben. Dieses Milchgesetz der damaligen Zeit wurde überholt, neu bearbeitet und nach den Grundsätzen des Dritten Reiches in ein Marktordnungsgesetz eingebaut, das gewisse Zwangsvorschriften enthielt. Man wollte mit diesem Gesetz die Fettlücke schließen. Es ist auch weitgehend gelungen, durch Zwangsvorschriften diese Fettlücke zu schließen.
Nun blieb aber das Gesetz auch in unserer Zeit noch im wesentlichen in den Grundzügen erhalten. Allerdings wurden 1952 einige Änderungen eingeführt, die aber den Grundcharakter des Gesetzes in keiner Weise änderten. Wir sind der Meinung, daß die Zeit neue Situationen geschaffen hat, da die Fettlücke sicherlich als geschlossen angesehen werden kann. Wir wissen auch, daß gerade heute in der jetzigen Milchordnung, insbesondere in ihrer bürokratischen Verwaltung, die die Milchordnung zu wahren bzw. zu verteidigen hat, einige bürokratische Überbleibsel geblieben sind. Wir wissen, daß auch gewisse Zwangsvorschriften noch übriggeblieben sind, die unserer Auffassung nach einer Änderung bedürfen.
Wenn ich jetzt auf die einzelnen Paragraphen eingehen darf, so stellen wir zunächst den Antrag, daß der Bauer künftig seine Molkerei wählen kann. Bislang war er an eine Molkerei gebunden. Das Gesetz gibt allerdings die Möglichkeit, die Molkerei zu wechseln. Der Antrag ist bei der obersten Landesbehörde zu stellen. Leider ist solchen Anträgen der Bauern bislang kaum Rechnung getragen worden. Ich kenne Beispiele aus einigen Orten, wo derartige Anträge schon seit Jahren gestellt sind. Diese Anträge wurden nicht verbeschieden, ganz einfach deshalb, weil man glaubte, eine andere Molkerei käme sonst in eine gewisse Notlage. In der Tat zahlen manche Molkereien — sicher auf Grund ihrer Anstrengungen — besser aus. Wir sollten dem Verlangen Raum geben, daß der Bauer zu einer solchen Molkerei hinüberwechseln kann. Wir sind nicht der Meinung, daß der Bauer allwöchentlich oder in anderen geringen Zeitabständen die Möglichkeit eines Wechsels haben soll, sondern er sollte diese Gelegenheit nur jeweils für ein Jahr bekommen. Wenn sich der Bauer oder der Milchhändler für eine Molkerei entschieden hat, sollte — so haben wir es in § 2 vorgeschlagen — eine Bindung für ein Jahr bestehen. Danach soll er wieder Gelegenheit haben, neu zu wechseln.
Mit einer solchen Regelung wird sicherlich erreicht, daß die Molkereien untereinander etwas
mehr Wettbewerb erhalten und daß der Bauer, der ja mit dem Erzeugerpreis auf seine Gestehungskosten kommen will, die Molkerei wählen kann, die ihm das beste Angebot macht. Wir haben also das Bestreben, den Wettbewerb in der Milchwirtschaft zu fördern. Die Milchmarktordnung darf, wie wir meinen, nicht unter allen Umständen tabu sein, sondern muß auch einmal gewandelt werden können, wenn es die Zeit erfordert, neue Praktiken und neue Wege aufzuzeigen. Wir fordern also in unserem Gesetzentwurf für den Bauern bzw. Milchhändler die Möglichkeit, alljährlich eine neue Molkerei auszuwählen.
Mit unserem Gesetzentwurf verlangen wir ferner, daß der Bauer ab Hof verkaufen kann. Bedauerlicherweise ist es so geworden, daß in Deutschland, insbesondere im süddeutschen Raum, bereits viel Milch im Direktverkauf „ab Hof" an den Verbraucher herankommt. Leider hat es das Milch- und Fettgesetz nicht verstanden, diese Art des Verkaufs zu verhindern. In der Bundesrepublik gibt es Länder, in denen heute ungefähr 40 % der Milch „ab Hof" verkauft werden. Das ist ein unbefriedigender Zustand; aber wir glauben nicht, daß wir das mit diesem Gesetz ändern können. Das hätte schon in der Vergangenheit geschehen müssen. Wir verlangen jetzt, den Verkauf „ab Hof" unter der Bedingung freizugeben, daß sich von Natur aus eine bessere Qualität anbietet, also etwa aus Ställen mit Tbc-freien, Bang-freien Viehbeständen. Wir wollen damit erreichen, daß die Hausfrau eine Wahlmöglichkeit hat. Sie soll selbst die Kontrolle übernehmen können. Sie soll dort kaufen können, wo sie glaubt, am besten mit einwandfreier Milch bedient zu werden.
Noch etwas anderes wollen wir damit erzielen. Wir wollen denjenigen Erzeugern, die ihre Viehbestände Tbc-frei gemacht haben, für die Zukunft einen Ausgleich für ihre Mehrkosten damit geben, daß die Leute im Dorf direkt von solchen Höfen die Milch kaufen können, wo die Bauern diese Anstrengungen unternommen haben.
Wir sind uns darüber im klaren, daß die Dinge sich nicht gleich im ersten Moment gut einspielen werden, glauben aber, daß es besser ist als die jetzige Situation. Wir sind in der Bundesrepublik ja alle bestrebt, möglichst bald und überall Tbc-freie Viehbestände zu haben. Dann würde jede Kontrolle wegfallen, weil überall der Verbraucher im Dorf beim Bauern direkt seine Milch beziehen könnte. Weil das Gesetz diese Lücke offengelassen hat und weil die Praktiken insbesondere im süddeutschen Raume auf Grund der Durchlöcherung des Milchmarktgesetzes die Möglichkeit eröffnet haben, müssen wir wenigstens jetzt einen Weg nach vorn bahnen, indem wir versuchen, die Dinge noch in etwa zu lenken, damit der Ab-Hof-Verkauf nicht weiterhin so wild vor sich geht, sondern in Bahnen gelenkt wird, die einen Ab-Hof-
Verkauf vertreten lassen.
Wir sind auch, wie unsere Gesetzesvorlage zeigt, der Meinung, daß in Zukunft, um den Bauern zu helfen, um den Erzeugerpreis besser, tatsächlich an den Erzeuger heranzubringen, einige andere Änderungen vorgenommen werden sollten. Sie wissen, daß heute Ausgleichsgelder erhoben werden, um werkfernen Molkereien eine bessere Situation zu schaffen und einen anderen Auszahlungspreis für die Bauern dort zu ermöglichen. Wir hegen aber den berechtigten Verdacht, daß mit diesen Auszahlungspfennigen oft Manipulationen angestellt werden, die nicht immer durchschaubar sind und die vielfach zu Kritiken Anlaß geben. Wir fordern deshalb, daß dieser Auszahlungspfennig direkt an den Bauern gezahlt wird, weil wir glauben, daß das notwendig ist, um eine gewisse Kontrolle über diese Dinge zu bekommen. Wir befinden uns hier in der Gesellschaft mit der Kieler Untersuchung, die beispielsweise zu folgender Veröffentlichung geführt hat — ich bitte den Herrn Präsidenten, dies verlesen zu dürfen —:
Eine öffentliche Rechenschaftslegung über das Aufkommen an Ausgleichsabgaben und die Verwendung dieser Beträge wäre angebracht. Da die Ausgleichsabgaben einen recht beträchtlichen Prozentsatz der Trinkmilchspannen ausmachen, wäre eine regelmäßige Überprüfung der Trinkmilchmolkereien und ihrer Berechnungen zu empfehlen.
Auch hierin liegt ja in gewissem Sinne eine Begründung dafür — denn diese Leute kennen die gesamte Milchwirtschaft intern sehr gut —, daß hier einmal hineingeleuchtet werden sollte. Wir sollten es tun, um dem Bauern das zu geben, was ihm zusteht und was das Gesetz ihm ja auch zubilligt.
Noch etwas anderes in diesem Gesetz glauben wir verändern zu müssen, weil wir meinen, daß auch mit Sofortmaßnahmen dem Bauern geholfen werden kann. In diesem Gesetz bietet sich eine Sofortmaßnahme an. Wir wissen, daß beispielsweise der sogenannte Werbungspfennig, die Umlage, heute zu 0,5 Pf erhoben werden kann. Diese Umlage wird nicht in allen Ländern erhoben, sie wird aber in den meisten Ländern der Bundesrepublik erhoben. Es ist eine nicht geringe Summe, die dadurch vom Auszahlungspreis des Bauern abgezogen und zu gewissen Zwecken verwandt wird, die nicht ganz durchschaubar sind. Ich möchte darüber nichts Näheres sagen. Wir werden uns in den Ausschüssen eingehend darüber unterhalten müssen, was mit diesen Geldern passiert, wo diese Gelder hinkommen und für welche Zwecke sie verwendet werden. Wir Sozialdemokraten meinen, daß 0,25 Pf in der Umlage — die nur eingesetzt werden sollen — zur echten Werbung ausreichen würden, und wollen deshalb die anderen Gelder, die zusätzlich erhoben werden, gestrichen wissen. Damit würde eine Sofortmaßnahme für die Bauern sicherlich sehr schnell effektiv werden. Man weiß zwar die Summen nicht genau, weil darüber auch keine öffentliche Rechnung gelegt wird. Wenn man Schätzungen zugrunde legt, kann man wohl sagen, daß einige 10 Millionen DM im Jahr damit wieder an die Bauern zurückgeführt werden könnten. Wir müßten uns im Ausschuß eingehend darüber unterhalten, ob wir nicht diese Sofortmaßnahme beschließen sollen, denn mir scheint darin insbesondere für unsere Bauern ein sehr effektiver Erfolg zu stecken.
Wir versuchen auch, das Gesetz dadurch zu verändern, daß wir jetzt, wie schon einmal begonnen, den Weg weiterschreiten. Bis jetzt ist es ja möglich, in allen Fachgeschäften Milch zu bekommen, Flaschenmilch, Vorzugsmilch. Allerdings ist die Flaschenmilch noch im Preis gebunden. Wir sind der Meinung, daß Flaschenmilch und Vorzugsmilch in allen Geschäften ohne Preisbindung gehandelt werden kann, weil wir glauben, daß die Leute, die mehr anzulegen vermögen, durchaus auch einen Preis zahlen können, der ihrem Geldbeutel gerecht wird. Wir sind der Meinung, daß Qualitätssteigerungen eben auch nach oben ihre Auswirkung
haben, und wir wissen, daß Molkereien, die mit Qualitätsmilch dann auf den Markt kommen, im Endeffekt sicherlich auch einen besseren Auszahlungspreis für den Bauern herausrechnen können. Darum unser Bestreben, auch hier eine Veränderung einziehen zu lassen. Ich glaube, der erste Weg, der bereits gegangen worden ist, hat gewisse positive Fortschritte gebracht. Wir sollten den Weg gemeinsam weiter beschreiten, um im Endeffekt das zu erreichen, was wir ja alle wünschen, und den Auszahlungspreis für den Bauern so zu gestalten, daß er in etwa seinen Gestehungskosten gerecht wird.
Wir sind uns sicherlich in einigen Dingen vielleicht nicht so einig, daß man sich jetzt schon darüber schlüssig werden könnte. Wir werden uns in den Ausschüssen bemühen — wir hoffen, gemeinsam mit Ihnen —, Wege zu finden, diesem unserem Anliegen gerecht zu werden, weil wir glauben, daß wir auch als Erzeuger den Beweis anzutreten haben, daß wir alle Anstrengungen machen, aus unseren Möglichkeiten das letzte herauszuholen, um den Bauern tatsächlich zu helfen.
Noch ein anderes Problem möchte ich hier aufgreifen.
Auch wir glauben, daß in der Veränderung der Marktstruktur einige Reserven liegen, die unbedingt einmal ausgeschöpft werden müßten
zugunsten der Erzeuger und Verbraucher. Die deutsche Molkereistruktur ist vielschichtig und vielzweigig, aber zum Teil auch so, daß man sagen kann, sie bedarf einer Flurbereinigung. Wir sind uns hierin mit Ihnen einig; auch wir haben ja beschlossen, die Zinsverbilligungsmittel einzusetzen, um möglichst schnell zu einer Flurbereinigung im Molkereisystem zu kommen. Wir sind aber der Meinung, daß diese bis jetzt eingeplanten Mittel leider nicht ausreichen, um sehr schnell zu einer besseren Struktur zu kommen. Es gibt Beispiele in der Bundesrepublik, die beweisen, daß Veränderungen sicherlich notwendig sind. Es gibt Dörfer im süddeutschen Raum, wo in einem Dorf bei geringer Kapazität zwei Molkereien bestehen. Wir waren uns auf einer Bayernfahrt einig, daß die Flurbereinigung das dringendste Gebot der Stunde ist. Wir sind auch der Meinung, daß in einigen Dörfern und insbesondere Städten Molkereien neu errichtet worden sind, die nicht unbedingt hätten errichtet zu werden brauchen. Dort sind Kapazitäten entwickelt worden, die ganze Gebietsteile versorgen könnten, die aber infolge des Nebeneinanders auf oft engem Raum nur zum Teil ausgenutzt sind. Darum, meinen wir, müssen wir versuchen, auch mit öffentlichen Mitteln, in diesem Falle mit verlorenen Zuschüssen, durch Zinsverbilligungsmaßnahmen, durch Übernahme von Ausfallbürgschaften alles anzusetzen, um möglichst bald zu einer Flurbereinigung in der deutschen Molkereistruktur zu kommen.
Wir hoffen also, daß wir auch hier in gemeinsamen Gesprächen den Weg finden werden, um tatsächlich das Beste für die Molkereien und das Beste für den Erzeuger und Verbraucher zu erreichen. Wir bitten Sie also, unseren beiden Anträgen auf Drucksache 1587 und Drucksache 1589 insoweit zuzustimmen, daß Sie mit befürworten, daß sie an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden.
Meine Damen und Herren, wird das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Bauer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe diesen Zwischenruf gerade noch mit erfaßt. Das wäre richtig. Aber ich habe das Gefühl, daß über Milch oft auch Leute reden, die davon wirklich nichts verstehen.
Man muß sich wundern, daß die Milch nicht längst sauer geworden ist vor so viel Unsinn, der manchmal über die Milch gesprochen wird.
Das, was eben der Kollege Seither hier sagen mußte, klang so wie friedliche Schalmeientöne auf einer oberbayerischen Alpe. Wenn man sich aber die Gesetzentwürfe der SPD einmal genauer besieht — verehrter Herr Kollege Seither, nehmen Sie es mir nicht übel —, dann hat man doch den Eindruck, daß Sie hier wieder einmal den Wolf im Schafspelz haben spielen müssen. Ich bedaure, daß die Urheber dieser Gesetzentwürfe nicht selbst hier hergegangen sind und sie begründet haben.
Ich bin gebeten worden, mich möglichst kurz zu fassen. Aber der Zwischenruf am Anfang meines Auftretens hat mich dazu gereizt, auch etwas Entsprechendes dazu zu sagen.
Wenn die SPD sich bei den beiden Gesetzentwürfen von der Absicht leiten ließ — und das möchte ich ihr ohne weiteres zugestehen —, den Trinkmilchverbrauch und den Verzehr von Molkereiprodukten zu fördern, um damit einen besseren Milcherzeugerpreis zu ermöglichen, so gehen wir damit durchaus einig. In dieser Zielsetzung sind wir uns einig. Nur die Wege, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, die Sie hier vorschlagen, und die Nebenabsichten, die noch nicht ganz klar hervorgetreten, die aber offensichtlich hiermit verbunden sind, können unseren Beifall nicht finden.
Lassen Sie mich nur ganz kurz einiges zu dem Gesetz zur Verbesserung der Molkereistruktur sagen. Ich erspare es mir zunächst, im einzelnen darauf einzugehen, und greife nur einige offensichtliche Mängel heraus, die hier vor diesem Hohen Hause doch auch in der ersten Lesung festgestellt werden müssen. In dem Entwurf der SPD ist wiederholt von einer Verringerung der Zahl der Molkereibetriebe die Rede. Gut, soweit das zweckmäßig und notwendig ist, gehen wir hier mit Ihnen einig. Aber, meine Damen und Herren, wo bleibt denn hier Ihr soziales Gewissen? Wenn man etwas verringert, so gibt es doch jemanden, der dabei auf der Strecke bleibt. Es gibt doch Genossenschafter von kleinen Genossenschaften, alte Molkereiver-
walter, auch Molkereibesitzer und -pächter, die bei solchen Maßnahmen auf der Strecke bleiben.
Von Ihnen als Sozialpartei hätte ich an erster Stelle erwartet, daß Sie auch die Mittel für die Entschädigung dieser Leute, die bei diesem Prozeß werden auf der Strecke bleiben müssen, von vornherein vorgesehen hätten.
Es ist eigenartig, daß im § 3 von einer Verringerung der Zahl der Molkereibetriebe gesprochen wird und andererseits im § 1 bei der Zuteilung der Bundesmittel nur von Molkereigenossenschaften. Meine Damen und Herren, Sie wissen genau, daß ich selbst Molkereibesitzer bin. Das brauche ich dem Hause gar nicht zu verschweigen, das ist keine Schande.
— Nein, Herr Kriedemann, zunächst spreche ich hier mal als Abgeordneter mit dem gleichen Recht wie Sie.
Sie haben ja auch Leute, die hinter Ihnen stehen.
— Lieber Herr Namenkollege, für welche Interessen werden Sie manchmal hier oben stehen? Danach möchte ich nicht fragen. Ich bin hier nicht Interessenvertreter.
Wenn Sie sich also schon das Ziel gesetzt haben, den Milcherzeugerpreis zu verbessern, dann frage ich Sie, mit welchem Recht Sie den Bauern, der seine Milch etwa an eine Aktiengesellschaft oder an einen Privatbetrieb oder an eine verpachtete Genossenschaftsmolkerei liefert, schlechterstellen wollen als den Genossenschaftslieferanten. Das gibt es nicht, das kann es nicht geben. Im übrigen wissen wir noch nicht, ob diese Einseitigkeit Absicht war, gegen wen sie gerichtet ist; das wird sich im Ausschuß noch ergeben.
Ich darf nun etwas über die Notwendigkeit des Gesetzes sagen. Wir haben seit zwei Jahren, seit der Verkündung des Lübke-Programms, ein Zinsverbilligungsprogramm auch zur Rationalisierung unseres Molkereiwesens. Mein Herr Vorredner hat erklärt, er und seine Parteifreuende glaubten, daß dieses Programm nicht ausreichen werde. Nun, ganz so ist dem nicht. Wir hatten 1954/55 für die Rationalisierung des Molkereiwesens 2 Millionen DM eingesetzt. Ausgeschöpft wurden davon in dem abgelaufenen Jahr 1,8 Millionen. Bei dem laufenden Programm für das Jahr 1956 ist eine weitere Million hinzugekommen. Also auch die Mittel des heurigen Jahres sind bis zum 30. September nur zur Hälfte ausgeschöpft worden.
Zweifellos weist dieses Programm der Bundesregierung — das gebe ich Ihnen zu — gewisse Mängel auf, weil auch in ihm für stillzulegende Betriebe keine Stillegungsmittel vorgesehen sind und weil nach den neuesten Kreditausleihungs-durchaus denken, daß es in den Betrieben auch Investitionen unter 100 000 Mark geben kann, die ebenso notwendig sind und die ebenfalls im Sinne unseres ursprünglichen Auftrages betreffend die Vergabe dieser Mittel liegen.
und Zinsverbilligungsbestimmungen eine 100 000-
Mark-Grenze festgesetzt wurde. Wir halten die jetzige starre Festsetzung der 100 000-Mark-Grenze nicht für richtig. Wir wollen an deren Stelle eine etwas beweglichere Regelung sehen. Wir können nicht glauben, daß nur eine Investition, die mehr als 100 000 Mark ausmacht, von der Bundesregierung als sinnvoll anerkannt wird. Wir können uns
Ich war überzeugt, daß bei der Begründung dieser Anträge der SPD wieder einmal das Land Schweden als Beispiel herhalten müßte. Lassen Sie mich deshalb auch dazu einmal etwas sagen. Schweden, ein Land von der Größe Frankreichs, aber mit der Einwohnerzahl Österreichs, mit 7 Millionen Einwohnern, hat heute noch, nach Durchführung all seiner Rationalisierungsprogramme, rund 600 Molkereien. Die Bundesrepublik Deutschland mit ihren jetzt 52 Millionen Einwohnern hat heute noch rund 3075 Molkereien. Wenn Sie einmal die Bevölkerungsziffer auf die Zahl der Molkereien abstellen — ich gebe zu, das ist eine sehr grobe Betrachtungsweise —, dann zeigt sich immerhin, daß in Schweden auf eine Molkerei rund 11 600 Menschen und in Deutschland 16 200 Menschen kommen. Es kommt hinzu, daß Schweden, das wissen wir doch alle, ein Milchwirtschaftsland ist, dessen Milchwirtschaft schwerpunktmäßig auf den Export eingestellt ist. Wir in Deutschland sind dagegen schwerpunktmäßig auf unmittelbare Versorgungsaufgaben ausgerichtet. Das unterscheidet die Verhältnisse bei uns grundsätzlich von den Verhältnissen in Schweden. Wir sollten uns deshalb davor hüten, auf irgendwo bewährte oder auch nicht bewährte Verhältnisse abzustellen. Wir werden im Ausschuß auch Gelegenheit haben, zu prüfen — ich werde dazu Material von berufener Seite vorlegen können —, wieweit man mit den Rationalisierungsergebnissen in Schweden heute zufrieden ist. Wir sollten uns davor hüten, immer nur zu kopieren.
Im übrigen können wir uns in Deutschland mit unseren Rationalisierungsergebnissen durchaus sehen lassen. Seit dem Jahre 1937, als wir noch 4500 Molkereien aller Wirtschaftsformen hatten, haben wir die Zahl der Molkereien bis 1950 auf 3321, also um 1220 Unternehmungen — das sind 26,8 % —, reduziert, d. h. immerhin um ein Viertel des Bestandes der damaligen Molkereien. Daß dieser Prozeß — auch im Sinne des Lübkeschen Programms — der weiteren Rationalisierung unserer Milchwirtschaft weitergegangen ist, beweisen uns die neuesten Zahlen vom Juli 1955, aus denen sich ergibt, daß der Bestand an Molkereibetrieben weiter zurückgegangen ist auf 3075, daß also eine nochmalige Reduzierung um 246 Betriebe erfolgt ist. Wir können immerhin feststellen, daß sich die hier erzielten Erfolge im Rahmen einer vernünftigen, natürlichen wirtschaftlichen Entwicklung durchaus sehen lassen können. Denn die Verhältnisse sind nicht gestern oder vorgestern entstanden, und sie bedürfen, sollen nicht größere Störungen auf milchwirtschaftlichem Gebiet eintreten, auch in der Zukunft einer vernünftigen, allmählichen und auf entsprechendes Tempo abgestellten Entwicklung.
Ich glaube, unsere deutsche Molkereiwirtschaft kann sich in der Welt sehen lassen. Wer von Ihnen Gelegenheit hatte, kürzlich an dem Welt-
Milchkongreß in Bonn teilzunehmen und hier die anerkennenden Worte der ausländischen Molkereifachleute zu hören, die sich deutsche Molkerei-
betriebe angesehen haben, der muß bestätigen, daß die deutsche Molkerei- und Milchwirtschaft in allen ihren Erscheinungsformen bisher durchaus neben der jedes anderen Landes bestehen kann.
Wir sollten uns hüten, von einem, ich möchte sagen, Tbc-Rummel wie im vorigen Jahre nunmehr in einen Rationalisierungsrummel zu verfallen. Die Milchmädchenrechnung stimmt nicht, die man so oft in den Zeitungen lesen kann, daß, wenn man sechs Betriebe mit durchschnittlichen Kosten von meinetwegen 6 Pf je Liter etwa auf zwei Betriebe zusammenlegt, diese zwei Betriebe dann mit durchschnittlichen Unkosten von 2 Pf auskommen. Nach jahrelangen betriebswirtschaftlichen Erfahrungen steigen mit der Größe der Betriebe stets fast automatisch auch die Kosten entsprechend an,
weil wir — der Gesetzgeber — die Anforderungen hinsichtlich der Hygiene, hinsichtlich der maschinellen Einrichtungen laufend in die Höhe schrauben. Schließlich kostet jede derartige Forderung, so begrüßenswert sie im Interesse des Verbrauchers und für die Förderung des Absatzes deutscher Molkereiprodukte ist, immer wieder neues Geld.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sollten sich einmal dafür interessieren, daß in dem so stark rationalisierten Schweden die Rationalisierung offensichtlich so weit gegangen ist, daß sich heuer im Sommer die Verbraucher geweigert haben, noch schwedischen Käse zu kaufen, weil er so schlecht geworden ist, daß man auf das Nachbarland Dänemark zurückgreifen mußte. In der Prüfung der Kosten von der Erzeugung bis zur Verteilung darf man nicht das Allheilmittel sehen. Es ist unmöglich, daß eine Buttermolkerei — d. h. ein Betrieb, der die Milch vom Bauern annimmt und nur Butter herstellt, die Magermilch jedoch zurückgibt — bei einer Kostenlage, wie wir sie auf Grund der gegebenen Verhältnisse haben, mit Durchschnittskosten von etwa 2,5 bis 4 Pf arbeitet, während auf der anderen Seite ein hochqualifizierter Camembert-Betrieb Kosten bis zu 14 und 18 Pf haben kann, weil hier die Werbungs- und Verkaufskosten sowie die Kosten der Einrichtung entsprechend steigen. Trotzdem kann es passieren, daß dieser hockqualifizierte und mit sehr erheblichen Kosten arbeitende Betrieb unter Umständen einen besseren Milchpreis zahlt als der andere.
Nach dem Wunsch der SPD soll auf die Spezialisierung und, nach Maßgabe moderner Erfahrungen, auf die Einrichtung der Betriebe nach ihrer Kapazität abgestellt werden. Ich glaube, wir sollten hier etwas mehr Vertrauen zu der Wirtschaft und zu den zuständigen Leuten in der Wirtschaft haben. Weder eine Genossenschafts- noch eine Privatmolkerei wird von sich aus geneigt sein, ihre Kapazität besonders auszuweiten oder sich besonders klein zu halten. Bei der Regelung, die von der SPD gewünscht wird, laufen wir Gefahr, von Jahr zu Jahr derart veränderte Kapazitäten in den einzelnen Betrieben zu bekommen, daß von einer sinnvollen Planung in den Betrieben überhaupt nicht mehr gesprochen werden kann.
Im übrigen darf ich auch hier darauf hinweisen: wenn wir die Spezialisierung bis zum Exzeß weitertreiben und sie den Betrieben — allein vom Gesichtspunkt der Auszahlung des höchsten Milchpreises — sozusagen zur Pflicht machen, dann wird sich jeder milchwirtschaftliche Betrieb mit Recht auf die lukrativen Produktionen stürzen. Wer stellt eines Tages dann noch jene Sorten her, die nun einmal die Leute mit dem kleineren Geldbeutel, auch in der heutigen Zeit, noch wollen, nämlich einen billigen Weichkäse oder einen billigen Schnittkäse? Auch den werden wir in der Zukunft brauchen. Ich glaube im Namen der deutschen Landwirtschaft sagen zu können, daß die Landwirtschaft ihre Aufgabe in der Zukunft mit darin sieht, auch diese billigen Nahrungsgüter zu entsprechendem Preis zur Verfügung zu stellen.
Abschließend möchte ich zu der Verbesserung der Molkereistruktur folgendes sagen. Wenn wir dem SPD-Entwurf folgen — und ich halte es für fragwürdig, ob wir hier ein eigenes Gesetz machen sollen —, dann brauchen wir unbedingt Mittel für die Leute, die auf der Strecke bleiben, und eine Ausdehnung auf alle Wirtschaftsformen. Im anderen Falle — ich hielte dies für besser — sollten wir vielleicht versuchen, im Rahmen der nächsten Haushaltsberatungen das bisherige Programm der Bundesregierung entsprechend auszubauen und auszugestalten.
Aber lassen Sie mich nun zu dem zweiten, vielleicht viel schwierigeren Teil, dem viel unverständlicheren Thema der Änderung des Milch- und Fettgesetzes etwas sagen. Der hier von der SPD eingereichte Antrag steht nach meinem Dafürhalten in einem gewissen Widerspruch zu dem anderen Antrag auf Drucksache 1587 betreffend Verbesserung der Molkereistruktur. Ich kann das, glaube ich, mit wenigen Worten beweisen. Wenn Sie auf der einen Seite die Zahl der Molkereibetriebe verringern, wenn Sie also weiter mit dem Ziel einer Verringerung der Molkereibetriebe rationalisieren — wir verstehen unter dem Wort „rationalisieren" auch noch etwas anderes —, dann bedeutet das doch eine weitere Konzentration. Und wenn wir eine weitere Konzentration haben — wie es heute schon vielfach der Fall ist; in Städten bis zu 4-, 5- und 600 000 Einwohnern ist überhaupt nur noch ein Milchversorgungsbetrieb vorhanden —, wie wollen Sie dann eigentlich einen Kleinhändler, der mit seiner Molkerei unzufrieden ist, noch umweisen? Es ist ja kein anderer Betrieb mehr da.
Hier widersprechen sich die Dinge. Ich habe vorhin interessanterweise der Rede meines Herrn Vorredners entnommen, er bedaure, daß in einer solchen Großstadt noch zusätzlich ein Betrieb gebaut worden sei. Ja, meine Damen und Herren, das eine schließt das andere aus. Entweder kann man das eine machen, oder man muß, wie wir es vorschlagen, auch hier wieder einmal den vernünftigen goldenen Mittelweg gehen.
Das gleiche gilt auch für den Wechsel der Lieferanten. Wollen Sie, wenn Sie nur noch alle 50 km eine Molkerei haben, etwa einem Bauern, der da zum anderen Betrieb hinüberschielt und sagt: Na, der zahlt einen oder anderthalb Pfennig mehr aus!, antworten: Du kannst ja bei der nächsten Jahreswende wechseln und deine Milch in die vielleicht 30 oder 40 km entfernte Molkerei fahren? Das, was er hier vielleicht bisher als lohnendes und lockendes Ziel gesehen hat, geht ihm durch zusätzliche Anfuhrkosten verloren. So einfach liegen die Dinge nun weiß Gott nicht.
— Ich habe Sie nicht verstanden, Frau Kollegin Strobel, aber ich passe das nächstemal besser auf.
Nun im einzelnen zu den Ziffern 1 und 3. Meine politischen Freunde und ich stimmen heute durchaus noch dem § 8 zu, wie ihn der Deutsche Bundestag in seiner ersten Legislaturperiode bei der Neufassung des Milch- und Fettgesetzes nach dem Einspruch der Länder im Vermittlungsausschuß gefaßt hat. In der damaligen Form lautet er:
Die obersten Landesbehörden sollen jederzeit auf Antrag der Landesvereinigung, eines Milcherzeugers, einer Molkerei oder eines Milchhändlers Bestimmungen nach §§ 1, 2, 3, 5 und 6 ändern sowie Liefer_ und Abnahmebeziehungen und Milchhandelsbezirke verändern oder aufheben, sofern eine solche Änderung oder Aufhebung im Interesse der Allgemeinheit oder, soweit keine schwerwiegenden Allgemeininteressen entgegenstehen, eines oder mehrerer Beteiligter geboten erscheint. Hierbei sind die Grundsätze eines gesunden Wettbewerbs zu beachten.
Ich muß Ihnen schon sagen, daß ich diese Formulierung des § 8 auch heute noch mit Hochachtung lese. Wir sollten etwas mehr Vertrauen zu den zuständigen Gremien der Verwaltung und der Markt- und Landesverbände haben, die wir ja selbst in unserem Gesetz geschaffen haben. Wir sollten etwas mehr Zutrauen haben, daß sie es mit der Zeit lernen, mit dem ihnen gegebenen Instrument auch so zu spielen, daß wir alle, vom Erzeuger bis zum Verbraucher, mit diesem Gesetz einverstanden sind. Sicher, auch mir sind Fälle bekannt, die nicht termingerecht, zu spät, erledigt worden sind. Aber, meine Damen und Herren, bei welchem Gesetz gibt
es letzten Endes das nicht, daß einmal etwas liegen bleibt? Dann liegt es doch wieder an uns, über die Landesregierungen dafür vorzusorgen — auch dort sitzen ja unsere Parteifreunde —, daß die Dinge dort künftig besser funktionieren.
— Auch in Bayern. Wir haben auch zu der Regierung in Bayern so viel Vertrauen, daß wir mit sachlichen Argumenten durchaus dorthin gehen können.
Ich stehe nicht an, zu erklären: die hier gestellten Forderungen gehen so weit, daß sie bei einem Wechsel der Lieferbeziehungen zwischen Erzeuger und Molkerei einerseits und Molkerei und Abnehmer andererseits praktisch einer Aufhebung des Gesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1952 gleichkommen.
Ich möchte noch etwas hinzufügen. Ich versage es mir, jetzt etwa dem Hohen Hause auszumalen – es ginge sehr gut —, welche Auswüchse bei dem von der SPD vorgesehenen möglichen Wechsel in unserer deutschen Milchwirtschaft eintreten würden. Meine politischen Freunde und ich sind der Meinung, daß uns die volle Konsequenz einer solchen Maßnahme, wie sie in diesem Gesetzentwurf vor uns steht, auf die Ausgangsverhältnisse der Jahre 1928 bis 1932 zurückwerfen würde. Ich empfehle jedem, der an diesem Milch- und Fettgesetz mitarbeiten will, das heilsame Studium der Reichstagsprotokolle von 1928 bis 1930. Dabei wird wieder einmal klar, aus welcher schwierigen Situation heraus damals jene Männer, die das Milchgesetz geschaffen haben, sich selber eine gewisse Selbstbeschränkung auf allen Stufen der Milchwirtschaft vom Erzeuger bis hin zum Handel auferlegt haben, um gemeinsam mit den damaligen Schwierigkeiten fertig zu werden. Das damals geschaffene Gesetz hat bewirkt, daß, wie ich schon sagen durfte, bis auf unsere Tage, vom Erzeuger bis zum Verbraucher ein Maximum an Ordnung und an Nutzen eingetreten ist.
Dabei sind auch wir uns darüber im klaren, daß jedes Marktordnungsgesetz seine Mängel aufweist. Aber wir sind der Meinung, daß es darauf ankommt, daß ein solches Gesetz der Mehrheit unseres Volkes nützen muß, und daß man auf Außenseiter hier eben keine Rücksicht nehmen kann. Wenn Sie schon so oft über den Zaun ins Ausland hinüberschauen, dann schauen Sie doch 'bitte einmal bei den Marktordnungsgesetzen über den Zaun! Nimmt sich unser heutiges Milch- und Fettgesetz gegenüber mancher Ordnung drüben in unseren Nachbarländern nicht geradezu bescheiden aus?
Meine Damen und Herren, hier wurde von einem bürokratischen Überbleibsel aus diesen Jahren gesprochen. Hier wurde auch davon gesprochen, daß man den Wettbewerb wieder verbessern wollte. Auch wir sind dieser Meinung und bekennen uns auch heute noch zu dem auch von uns gemachten Gesetz. Wir sind der Ansicht, daß es elastisch genug ist, um bei richtiger Anwendung und Auslegung allen Fällen und allen Beteiligten gerecht zu werden.
Zum Qualitätsstreben noch eine ganz kurze Bemerkung. Auch wir sind der Ansicht, daß wir immer bessere Qualitätsprodukte zum Wohle unserer Milchwirtschaft, aber auch zur Befriedigung der berechtigten Forderungen unserer Verbraucher auf den Markt bringen sollten. Aber können sich denn unsere deutschen Molkereierzeugnisse nicht wirklich überall, auch in Konkurrenz mit dem Ausland, sehen lassen? Vergessen Sie doch nicht immer wieder, daß die heute über unsere Grenzen zu uns nach Deutschland importierten milchwirtschaftlichen Erzeugnisse in jedem Fall ausgesiebte Spitzenerzeugnisse des betreffenden Exportlandes sind!
Ich meine, daß bei dieser Gelegenheit, wo so viel über die Milch politisiert wird, auch heute — ich weiß nicht, ob es in der ersten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages geschehen ist – ein Wort der Anerkennung und des Dankes all jenen Bäuerinnen zu sagen ist, die Tag für Tag morgens um 4 oder um 5 Uhr aufstehen und ihre Pflicht tun, und auch unserem Molkereipersonal und dem Handel.
Es ist an der Zeit, einmal daran zu denken, daß unsere Bevölkerung bei der Gewinnung und Verarbeitung der Milch viel Arbeit und Fleiß aufbringen muß. Man soll nicht bloß immer kritisieren und polemisieren und so tun, als ob das, was bisher geschehen ist, nichts bedeutete.
— Lesen Sie doch einmal Ihre eigenen Anträge durch!
Herr Abgeordneter Kriedemann, den Ausdruck „diffamieren" muß ich zurückweisen.
Ich weiß, daß Sie in der Zwischenzeit etwas Angst vor Ihren eigenen Anträgen bekommen haben. Das kann ich durchaus verstehen.
Auch zur Steigerung des Trinkmilchabsatzes muß ich etwas sagen. Er ist ja eines der Ziele dieses Gesetzes. Ich darf doch hier einmal darauf hinweisen, daß man nicht einfach bloß auf Verbrauchsziffern anderer Länder schauen soll, ohne dabei zu vergleichen, wie die Verhältnisse bei uns und in dem Vergleichsland liegen. Andere Länder, andere Sitten und auch andere Verbrauchsgewohnheiten. Das gilt auch hier für die Verbrauchsgewohnheiten in unserem Land, selbst innerhalb unserer deutschen Bundesländer. Das Bierland Bayern ist bei uns in der Bundesrepublik das Land, das den höchsten Trinkmilchverbrauch hat. Darüber hinaus spielen Witterungs- und Temperaturverhältnisse, die dem Absatz von Milch in anderen Ländern entgegenkommen, sowie Alkoholverbote eine große Rolle. Wir sind stolz darauf, daß bei uns in Deutschland ein reiches Angebot an Getränken aller Art vorhanden ist, vom Bier über Qualitätsweine bis zu den Obstsäften, von denen ich erst gestern gelesen habe, daß wir in Deutschland mit 50 % der gesamten europäischen Produktion das bedeutendste Erzeugungsland geworden sind. Aber wir in der Milchwirtschaft haben uns mit diesen Fakten nun einmal auseinanderzusetzen, und ich glaube, wir haben es auch einigermaßen erfolgreich getan. Es ist nicht wahr, daß alle Werbemaßnahmen vergeblich, daß sie unzureichend waren. Nach den neuesten Ziffern, die zur Verfügung stehen, haben wir immerhin den Durchschnittsverbrauch je Kopf von 107,4 auf 119,5 im Jahre 1954 gesteigert. Wenn wir einmal — was leider in unserer Molkereistatistik nicht geschieht — die Veränderungen in den Verbrauchsgewohnheiten unserer Bevölkerung, nämlich die stärkere Hinwendung zu den Milchdauererzeugnissen mit berücksichtigen, dann ergibt sich, daß der Verbrauch von 111,8 auf 128,1 im Jahre 1954 gestiegen ist. Ich glaube, mit dieser Entwicklung können wir uns durchaus sehen lassen.
Art. I Nr. 4 des von der SPD eingebrachten Gesetzentwurfs Drucksache 1589 sieht folgende Ergänzung des § 12 Abs. 1 des Milch- und Fettgesetzes vor:
Die den Werkmilchbetrieben überwiesenen Mittel sind von diesen an ihre Anlieferer entsprechend der abgelieferten Milchmenge bar auszuzahlen.
Auch hier gehen wir in der Sache absolut mit Ihnen einig. Wir sind für klare, saubere und durchsichtige Verhältnisse.
Nur in der Praxis, hochverehrter Herr Kriedemann, sehen die Dinge etwas anders aus. In der Praxis sieht es so aus, daß Stützungen aus diesem Ausgleichsfonds nicht in jedem Fall unmittelbar und auf das Kilo Milch gegeben werden. Sie wissen selber genau, daß wir sehr häufig gezwungen sind, Teilstützungen besonders notleidender Produktionen und Produktionsgebiete vorzunehmen. Sie wissen sehr genau, daß wir gezwungen sind, daneben sogenannte saisonale Stützungen vorzunehmen, um besonders große Überschüsse aus dem Markt zu nehmen. In der Praxis sind die Stützungen, wie sie hier im Antrag sehr schön theoretisch ausgewiesen werden, eben nicht durchführbar. Seien Sie versichert, daß alle Beteiligten vom Bauern bis zur Molkerei glücklich und froh wären, wenn wir von diesem ganzen Stützungswesen wegkämen. Aber bei den nun einmal gegebenen Verhältnissen können wir nicht einfach die Augen zumachen und sagen: wir wollen das nicht, wir wollen darauf verzichten. Es würde uns ja zurückwerfen.
Aufhebung der Preisbestimmungen! Dazu sagen meine politischen Freunde, daß wir mit der jetzigen Regelung im Milchgesetz durchaus einverstanden sind. Denn es ist doch so, daß heute keine Preisfestlegung getroffen werden kann ohne Mitwirkung des Bundesernährungsministeriums, des Bundeswirtschaftsministeriums, unserer Kollegen im Bundesrat. Wir haben Vertrauen, daß von dieser Kann-Vorschrift in jenen Gremien nur dann Gebrauch gemacht wird, wenn es eben unerläßlich geworden ist.
Dann etwas über die Umlagemittel! Die SPD sagt, die Verwendung dieser Umlagemittel sei nicht ganz durchsichtig usw. Lassen Sie sich nur in ein paar Punkten sagen, wozu diese Umlagemittel bisher verwendet worden sind. Sie sind überall dort verwendet worden, wo es unsere Programmpunkte zur Förderung und Erhaltung der Güte der Milch, zur Verbesserung der Hygiene bei der Gewinnung, der Anlieferung, der Be- und Verarbeitung und dem Absatz von Milch vorsahen: für Milchleistungsprüfungen, für die Beratungen der Betriebe in milchwirtschaftlichen Fragen, für die Marktgemeinschaften, für die Arbeitsgemeinschaften, für die Landesvereinigungen, die wir selber geschaffen haben in diesem Gesetz, für die Notierungskommissionen und für die Markenschutzverbände. Übrig bliebe nach der Meinung der SPD nur Ziffer 5: Werbungsausgaben für den Verbrauch von Milch- und Milcherzeugnissen. Ich weiß nicht, ob man das unbedingt eine sinnvolle Gestaltung des Milch- und Fettgesetzes nennen kann. Wenn man an alle diese bisher bewährten Einrichtungen die Axt anlegt, dann, meinen wir, sind wir auf dem schönsten Wege zurück zu den katastrophalen Ausgangsverhältnissen der 30er Jahre.
Es kann nicht Aufgabe der ersten Lesung sein, hier alle Einzelheiten darzulegen. Wir werden noch Gelegenheit haben, mit den Antragstellern in den Ausschüssen alle diese Probleme wirklich erschöpfend und vertiefend zu beraten. Wir werden dazu auch im Ausschuß sehr viel Zeit brauchen; denn nach unserer Meinung steht für die deutsche Milchwirtschaft und damit auch für den Milcherzeuger in dieser Frage zu viel auf dem Spiel.
Ich darf daher namens meiner Fraktion beantragen, die beiden Anträge der SPD an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführenden Ausschuß, den Antrag zur Verbesserung der Molkereistruktur an den Haushaltsausschuß als mitberatenden Ausschuß und den Antrag über die Änderung des Milch- und Fettgesetzes an den Rechtsausschuß als mitberatenden Ausschuß zu überweisen.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat vorgesehen, daß wir bis 15 Uhr unterbrechen. Ich nehme an, daß das geschehen soll.
Ich unterbreche hiermit die Sitzung; sie wird um 15 Uhr fortgesetzt.
Die Sitzung wird um 15 Uhr durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier wieder eröffnet.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der Behandlung des Punktes 9 der Tagesordnung fort. Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Ausschußberatungen vorwegzunehmen. Dazu ist die Angelegenheit wirklich zu kompliziert. Ich glaube, es könnte dem Hause nicht zugemutet werden, in die sehr wichtigen, aber, wie gesagt, nicht sehr einfachen Einzelheiten des Gesetzes und der Materie einzusteigen, die wir in unseren Vorlagen hier angesprochen haben. Ich möchte mich nur mit ein paar allgemeinen Bemerkungen in den Ausführungen des Abgeordneten Bauer befassen. Weil ich nicht weiß, ob es für die Art und Weise, wie er sich mit unserem Antrag und mit der Person unseres Kollegen, der Ihnen den Antrag hier begründet hat, auseinandersetzte, einen parlamentarischen Ausdruck gibt, muß ich mich leider damit begnügen, ihn, ob er im Saale ist oder nicht, in aller Form zu fragen, wie er denn eigentlich dazu kommt, Herrn Seither zu unterstellen, er wäre hier als Wolf im Schafspelz aufgetreten, und wie er eigentlich dazu kommt, zu sagen, es wäre besser gewesen, die Leute wären hier erschienen, die diese Anträge in Wirklichkeit gemacht haben.
Das sind Anträge der SPD-Fraktion. Wenn die SPD-Fraktion es für richtig hielt, Herrn Seither zu bitten, die Anträge hier zu begründen, dann ist es, wenn es nichts anderes ist, glaube ich, eine Taktfrage, daß sich auch der Herr Abgeordnete Bauer damit einverstanden erklärt und hinter diesem Verfahren nichts anderes sucht, als was dahinter gesucht werden kann. Im übrigen, Herr Bauer: Herr Abgeordneter Seither ist einer jener Landwirte, einer jener oft zitierten kleinen Landwirte, der davon lebt, daß er seine Milch, die er melkt, an eine Molkerei abliefert. Das unterscheidet ihn von Ihnen, der Sie davon leben, daß Sie die Milch verarbeiten und verkaufen, die andere bei Ihnen abliefern müssen, ob ihnen das im Einzelfalle paßt oder nicht.
Ich weiß nicht, ob man, wenn man Besitzer einer Molkerei ist, deswegen besonders qualifiziert ist, über diese Dinge zu reden, und ob man dann ein Recht hat, anderen, z. B. Herrn Seither, zu sagen, sie redeten dauernd davon, und die Milch werde demnächst sauer werden. Wenn in Deutschland die Milch sauer geworden ist, dann ist sie von ganz anderen Dingen sauer geworden!
Ich habe volles Verständnis für Ihre persönliche Anteilnahme an der Debatte, aber da ich in der Ausschußarbeit noch nicht Gelegenheit hatte, Ihr Temperament näher kennenzulernen, wenn es sich nicht gerade um Molkereifragen handelte, kann ich nicht beurteilen, ob Sie innerlich die Möglichkeit haben, die Art und Weise, wie Sie hier auf unser Anliegen und insbesondere auf die Person dessen, der, wie mir scheint, die Dinge sehr sachlich vorgetragen hat, reagiert haben, noch einmal vor sich selber zu überprüfen. Wenn das der Fall sein sollte, bin ich gemeinsam mit meinem Freund Seither jederzeit bereit, darüber eine Mitteilung von Ihnen entgegenzunehmen.
Ein paar Bemerkungen zur Sache selbst. Wenn in unserem Antrag zur Verbesserung der Molkereistruktur von den Genossenschaften die Rede ist, dann natürlich nicht aus der Absicht, etwa die privaten Molkereien in irgendeiner Weise zu diskriminieren oder zu benachteiligen. Das ist eine Unterstellung, die man nicht extra noch widerlegen sollte; die erledigt sich von selber. Auf der andern Seite aber wollen wir gar kein Hehl daraus machen, daß wir es sehr begrüßen, daß in so entscheidendem Umfange die in der deutschen Landwirtschaft erzeugte Milch in genossenschaftlichen Molkereien verarbeitet und von genossenschaftlichen Betrieben verkauft wird. Je weniger Leute von der Landwirtschaft leben, um so mehr bleibt für die Landwirtschaft von dem übrig, was die Verbraucher auf den Tisch legen.
Wir wünschten, daß das in einem noch viel größeren Maße der Fall wäre, als das bisher schon der Fall ist. Für die Landwirtschaft ist es interessanter, Fertigprodukte zu verkaufen, als nur den Rohstoff für die Fabrikation oder die Verarbeitung in andere Hände zu liefern. Wenn es zweifellos nicht öffentliche Angelegenheit ist — insbesondere nicht in einem System der freien oder sozialen Marktwirtschaft —, private Unternehmungen zu fördern, dann ist es ebenso zweifellos — unserer Überzeugung nach jedenfalls — öffentliche Angelegenheit und Angelegenheit der Agrarpolitik, das Genossenschaftswesen zu fördern. Denn das ist die einzige Möglichkeit, mit der wir insbesondere denen zu Hilfe kommen können, die auf der Grundlage eines kleinen Betriebes arbeiten und durch die strukturellen Mängel beschwert sind; sie müssen hart um ihre Existenz ringen. Das braucht uns keiner zu erzählen. Wir haben, wenn man allzusehr von den kleinen Leuten redet und diese vor sich herschiebt, nur immer die Sorge, ob dahinter jemand anders versteckt werden soll.
Herr Seither kommt aus einem Land, das ebenso wie z. B. das Nachbarland Hessen durch die typisch kleinbäuerliche Struktur der Besitzverhältnisse gekennzeichnet ist. In diesen beiden Ländern liefert man pro Tag und Betrieb im Durchschnitt zwischen 7 und 8 Liter Milch ab. Wer rechnen kann — da genügt das kleine Einmaleins —, der kann sich ausrechnen, daß selbst eine Milchpreiserhöhung, wie man sie sich nur in der wildesten Phantasie vorstellen könnte, nicht in der Lage wäre, die wirtschaftliche Situation dieser Leute wesentlich zu bessern. Das sieht schon ganz anders in dem Land aus, das nicht gerade durch seine kleinbäuerliche Struktur gekennzeichnet ist, in dem die Ablieferung im Durchschnitt pro Tag und Betrieb 35 Liter beträgt.
Aus dieser Überlegung haben wir uns nicht erst jetzt — und vor allen Dingen nicht angeregt durch das dauernde Gerede vom Wettbewerb — den Kopf darüber zerbrochen, wie man auch im Bereich der Landwirtschaft durch Rationalisierung, durch Verbesserung und Vereinfachung der Verfahren, durch echte Leistungssteigerung, durch Kostensenkung helfen könnte. Das mag ein bißchen komplizierter sein als das Geschrei nach einer Milchpreiserhöhung, wobei man sich nicht einmal zu überlegen
braucht, ob man mit diesem Geschrei zu irgendwelchen Resultaten kommt. Das mag auch nicht so unmittelbar und leicht in die Köpfe derjenigen eingehen, die es am meisten angeht; aber es scheint uns eine mindestens ebenso notwendige und jedenfalls viel solidere Art der Bemühungen um eine Besserung der Situation der Erzeuger zu sein. Andererseits sollte man eigentlich annehmen, daß die, die bereit sind, den Verbrauchern eine Mehrbelastung über den Preis aufzubürden, von sich aus alles Bedürfnis haben müßten, auch die letzte Ecke auszuräumen, die da ausgeräumt werden kann, und auch einmal die Töpfe aufzumachen, die sie in ihrer eigenen Verwahrung haben.
Für uns ist das Beispiel Schwedens keinerlei Vorbild oder Anregung gewesen. Da halte ich es mit Herrn Farny, der gesagt hat: Das Ausland soll man kapieren, aber nicht kopieren. Aber Kapieren hat etwas mit Verstand zu tun und heißt andererseits nicht, daß man unter allen Umständen alles ablehnt, was woanders gemacht wird.
Ich wünschte, es ginge unseren Bauern im großen Durchschnitt so, wie es denen in Dänemark und Schweden geht, und wir brauchten uns da gar nicht damit zu trösten, daß eben bei uns, wie gesagt, „alles anders ist".
Nun noch ein paar Bemerkungen zur Sache selber. Wir haben nicht das Bedürfnis empfunden, ausdrücklich etwas über die Entschädigung der Personen zu sagen, die bei der höchstnotwendigen Reform des Molkereiwesens und bei der Konzentration auf diesem Gebiet zu Schaden kommen könnten. Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, daß man sich, wenn man wirtschaftliche Maßnahmen ergreift, um die Folgen für die betreffenden Menschen kümmert. Das ist für uns eine solche Selbstverständlichkeit, daß wir nicht das Bedürfnis haben, das jedesmal noch in einem Extraparagraphen zu versichern. Wir würden Ihnen auch sogar dann glauben, daß Sie daran denken, wenn Sie es hier nicht noch einmal extra vorgetragen hätten.
Noch ein Wort zu den Bemerkungen über Schweden. Man braucht gar nicht nach Schweden zu gehen. Anfang dieses Jahres ist in einer Zeitschrift, die Sie auch gelten lassen werden, für das Land Schleswig-Holstein einmal berechnet worden, wie es denn dort aussähe, wenn man die Molkereistruktur im Sinne einer Konzentration ändern würde. Man hat die dort vorhandenen Molkereien in sieben Gruppen eingeteilt und für jede Gruppe berechnet, wie sich denn nun die Betriebskosten auf den Auszahlungspreis auswirken, und hat daneben berechnet, wie das aussähe, wenn man statt der sieben Gruppen nur vier hätte. Sie müssen den Milchpreis schon erheblich erhöhen, wenn Sie mit Sicherheit etwas davon unten beim Erzeuger ankommen lassen wollen. Das aber kann durch eine vernünftige und unter modernen Gesichtspunkten auch absolut notwendige Reorganisation in diesem Bereich erreicht werden.
— Aber natürlich waren die praktisch durchführbar!
— Nicht alle Dinge, die theoretisch richtig sind, gehen in der Praxis nicht; es gibt sogar Dinge, die
auch in der Praxis gehen, wenn man nur die Praxis will und sich nicht immer darauf herausredet, daß alles so bleiben solle, wie es ist. Darunter aber leiden wir doch gerade im Bereich der Agrarpolitik, daß viel zuviel Leute dazu neigen, das zu verteidigen, was wir jetzt haben — trotz der unbefriedigenden Ergebnisse —, und nicht Mut genug haben, auch einmal einen Schritt nach vorn zu tun. Nichts kostet die Landwirtschaft in der Allgemeinheit mehr Kredit als dieses Verhalten.
Noch eine Bemerkung zu dem andern Gesetzentwurf. Da haben wir gesagt: gebt dem Erzeuger möglichst viel von dem Geld, das die Verbraucher jetzt schon hinlegen, und macht nicht allzuviel Abzüge! Wir halten es nicht für richtig, daß von dem Geld, das dem Erzeuger gehört, noch Angelegenheiten bezahlt werden, die im Zweifelsfalle öffentliche Angelegenheiten sind. Wenn es ein öffentliches Interesse ist, z. B. die Milchhygiene zu fördern oder Gesundheitskontrollen durchzuführen oder andere Dinge zu unternehmen, dann sollen diese öffentlichen Angelegenheiten aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden, aber nicht auf dem bequemen Wege aus Abzügen vom Erzeugerpreis. Sie werden uns immer auf Ihrer Seite finden, und wir werden Ihnen sogar Vorschläge machen. Es bedarf da also nur der gemeinsamen Konsequenz gegenüber dem Finanzminister bei den Haushaltsberatungen; und da sind wir Ihnen ja noch niemals etwas schuldig geblieben. Wenn da für die Landwirtschaft sehr wesentliche Dinge gescheitert sind, dann nicht daran, daß die Sozialdemokraten nicht mitgemacht haben, nicht einmal daran, daß sie es nicht vorgeschlagen haben.
Was z. B. aus der Schulmilch geworden ist, brauche ich ebenso wie einige andere Dinge hier nur in die Erinnerung zurückzurufen.
Wir halten es wirklich auch nicht für richtig, daß man für die Finanzierung von Verbänden Abzüge macht, die es für bequemer halten, Abzüge zu machen, als sich bei ihren Mitgliedern um Beiträge zu bekümmern. Das muß einmal ausgesprochen werden, wenn man über den Milchpreis oder darüber redet, was denn nun eigentlich der Erzeuger von seiner Arbeit im Kuhstall hat. Ich bin mit Ihnen der Meinung: wir haben Veranlassung, jeden Tag all denen zu danken, die morgens die Kühe melken, und denen, die die Milch dann in den Molkereien verarbeiten. Wir sollten in diesen Dank — gerade weil er so selbstverständlich ist, daß er eigentlich nicht besonders erwähnt zu werden brauchte — auch diejenigen einschließen, die jeden Tag Kohle graben, damit Kohle da ist, um jeden Tag die Molkereien zu heizen usw.
Wir haben uns um einen konkreten Beitrag zu der sehr brennenden Frage bemüht. Ich glaube, dieser Beitrag in der Ihnen vorliegenden Drucksache ist sachlich begründet worden, und es ist nicht meine Schuld, daß es hier zu einer Debatte gekommen ist, die besser im Ausschuß geführt worden wäre. Ich habe auch jetzt noch die Hoffnung, daß wir an die Beratung dieser Dinge unvoreingenommen herangehen. Wir sollten uns ruhig einmal etwas mehr zutrauen und uns nicht mehr damit begnügen, daß wir „alle das gleiche wollen, — wir wollen es nur nicht in das Gesetz hineinschreiben"!
Wir sind ein Rechtsstaat, und wir möchten, daß der Verwaltung die Möglichkeiten gegeben werden, die sie braucht, daß ihr aber auch die Grenzen gezogen werden. Wir finden, daß es in diesem Bereich sehr viel mehr Zwang und Ordnung und ähnliche Dinge gibt, als es zur Erreichung des Zieles, das auch uns — mindestens so wie Ihnen — am Herzen liegt, notwendig ist. Wir möchten, wie gesagt, gern in den Ausschußberatungen an Hand der Vorlage — hoffentlich kommen dann auch noch ein paar Vorschläge von Ihrer Seite — eine Durchforstung vornehmen, wie sie längst fällig ist. Tun wir das nämlich nicht rechtzeitig, dann droht auch auf diesem Gebiete die Gefahr, daß die Marktordnung an ihrer Übersteigerung und ihrem Mißbrauch scheitert. Und das möchten wir alle zusammen nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.
— Dann, meine Damen und Herren, liegen weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar über die Überweisung der Anträge. Vorgeschlagen ist die Überweisung der Drucksache 1587 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— federführend — und an den Haushaltsausschuß und den Wirtschaftspolitischen Ausschuß zur Mitberatung. Bei der Drucksache 1589 ist vorgeschlagen die Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend
— und an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß — mitberatend —; außerdem habe ich hier noch eine Notiz: „Rechtsausschuß". Ist das beantragt oder vorgeschlagen?
— Dann, meine Damen und Herren, stimmen wir darüber ab. Wer dieser Überweisung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
.Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Getreidegesetzes .
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch ein paar Bemerkungen zur Begründung unseres Antrages Drucksache 1588.
In dem System der landwirtschaftlichen Marktordnung kann man von der Abteilung Getreide getrost als vom Angelpunkt der Marktordnung sprechen. Hier haben wir wirklich ein ganz perfektes System, angefangen von der Grenzschleuse, der absoluten Kontrolle über alles eingeführte Getreide. bis hin zu den Preisen, die wir hier in jedem Jahr in Form von Mindest- und Höchstpreisen zu beschließen haben. und zur Regelung der Kosten für die Vorratshaltung usw. usw.
Es mag verwunderlich erscheinen. daß man gerade auf diesem Gebiet in der Marktordnungsgesetzgebung und in der Schaffung von Einrichtungen für die Marktordnung so viel weiter gegangen ist als in anderen Bereichen, z. B. bei Fett oder bei Vieh und Fleisch, obwohl doch die Landwirtschaft aus dem Verkauf von Getreide nur 11 % ihrer Einnahmen bezieht. Es hat seine Gründe darin, daß das Getreide in gewissem Sinne eine Schlüsselposition ist und daß man in der Handhabung der Marktordnung für Getreide eine ganze Menge Dinge auch für andere Bereiche der Landwirtschaft gut oder schlecht machen kann.
Mit dem Umstand, daß es sich hier um einen Angelpunkt oder, wie ich sagte, um eine Schlüsselposition handelt, hängt es zusammen, daß sich die Bedeutung dieses Bereichs der Marktordnung auch in der Größe der Kosten ausdrückt. Sie wissen, für die landwirtschaftliche Marktordnung im Bereich von Getreide und Futtermitteln werden allein an Kosten für die Lagerhaltung, für die Verwaltung usw. etwa 115 Millionen DM im Haushalt eingesetzt und ausgegeben. Dazu kommen die mit der Marktordnung für Getreide im wesentlichen zusammenhängenden Abschöpfungen als Belastung der privaten Haushalte mit, sagen wir einmal, 400 Millionen DM im Jahr.
Allein diese Zahlen, die Größenordnung im finanziellen Bereich, würden es rechtfertigen, daß man der Marktordnung, so wie sie sich entwickelt und wie sie gehandhabt wird, immer wieder die nötige Aufmerksamkeit zuwendet. Es sind in letzter Zeit allerdings auch eine Reihe von Dingen zu verzeichnen gewesen, die einen darüber hinausgehenden Anlaß geben, zu überprüfen, ob denn das, was wir da gemacht haben, ob dieses Marktordnungsgesetz im Lichte der damit gemachten Erfahrungen auch bis auf den heutigen Tag noch in vollem Umfange anerkannt werden kann.
Lassen Sie mich dabei gleich mit aller Eindeutigkeit sagen — ich wäre Ihnen dankbar, wenn wirklich niemand es in Zweifel ziehen würde; das wäre wirklich ungerecht und überflüssig —, daß meinen Freunden und mir so wie an dem Tage, an dem wir diese Marktordnungsgesetze gemeinsam verabschiedet haben, die Marktordnung als ein für die Landwirtschaft unverzichtbares Ding am Herzen liegt und daß unsere Kritik an einzelnen Erscheinungen, an gewissen Fehlentwicklungen und gewissen Mißbräuchen nicht so verstanden werden darf, als richte sie sich gegen die Marktordnung als solche.
Die Tätigkeit der Einfuhr- und Vorratsstelle ist nicht nur gekennzeichnet durch den für sie erforderlichen hohen Aufwand an öffentlichen Mitteln, sondern auch durch den Umfang ihrer Geschäftstätigkeit. Ich will in erster Linie einmal ansprechen, was wir hier mit der Drucksache 1588 vor allem im Auge haben: die Tätigkeit der Einfuhr- und Vorratsstelle auf dem Gebiete der innerdeutschen Getreideernte und der Bewegung dieser Getreideernte.
Bitte, machen Sie sich einen Augenblick klar, daß wir etwa die Hälfte des Getreides erzeugen, das wir hier im Lande verbrauchen, und daß es daher für den Absatz des in Deutschland erzeugten Getreides ein echtes Absatzrisiko nicht gibt, zumal es ja auch auf Grund des Getreidepreisgesetzes eine Preissicherung für den Absatz dieses Getreides gibt. Die Einfuhrschleuse könnte ohne Rückwirkungen auf das Importverfahren — es gibt dort leider heute eine ganze Menge Rückwirkun-
gen – so gehandhabt werden, daß der notwendige Zufluß an Auslandsgetreide den reibungslosen Absatz der deutschen Inlandsernte in keiner Weise stört.
Wir halten es tatsächlich für höchst bedenklich, daß es sich so nach und nach eingebürgert hat, daß ein großer Teil des Inlandgetreides, das in den Monaten des Getreidewirtschaftsjahres mit absoluter Notwendigkeit hier in Deutschland verbraucht wird, einen Umweg über die Einfuhr- und Vorratsstelle macht. Um es einmal ganz anschaulich für die zu sagen, die sich bisher mit dieser Materie trotz ihrer hervorragenden Bedeutung im Bundeshaushaltsplan noch nicht beschäftigen konnten, — die Sache sieht etwa so aus: der Handel bemüht sich nach der Ernte, möglichst viel von dem Getreide aufzunehmen, das die Bauern abliefern oder an den Markt bringen. Er geht dann mit diesem Getreide in ganz großem Umfang an die Einfuhr- und Vorratsstelle, bietet es ihr an, und sie muß es übernehmen; und das geschieht in der unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vielleicht etwas merkwürdigen Weise, daß dann ausgerechnet werden der Preis, die Frachten, die Vorfrachten, die Spanne. Die Einfuhr- und Vorratsstelle übernimmt dann um diesen Gesamtpreis die Ware und lagert sie auf ihre, genau gesagt, auf die Kosten der Steuerzahler ein, und nach einer Weile wird dann dieselbe Getreidemenge vom Handel und von den Genossenschaften bei der Einfuhr-und Vorratsstelle wieder abgerufen; man hat einen Käufer dafür gefunden — die Mühlen haben ja einen laufenden Bedarf —, und das Geschäft geht dann noch einmal an. Das hat bei der Marktordnung niemand gemeint und niemand gewollt.
Es kam uns darauf an. unter allen Umständen dem Erzeuger eine Sicherheit für den Absatz seines Getreides zu einem Mindestpreis zu garantieren und die Versorgung der Verbraucher für die Zeiten sicherzustellen, die uns damals näher waren als heute, für die Zeiten der Verkehrsschwierigkeiten und irgendwelcher anderer Verwicklungen in der Welt, für die Zeiten also, in denen wir auf einen Vorrat zurückgreifen wollten, weil die in diesem Land nun einmal notwendigen Einfuhren nicht rechtzeitig herankommen könnten. Es ist unser Anliegen, die Tätigkeit der Einfuhr- und Vorratsstelle endlich auf das Maß zu beschränken, das im Sinne dieses Auftrags auch nur gewollt sein kann, und bei dieser Gelegenheit den Bund, die Steuerzahler von den Kosten zu entlasten, die mit der Abwicklung der Marktordnung verbunden sind und die insbesondere dann, wenn man sich an den Text des Gesetzes ernsthaft gebunden hält, nach dem die privaten Wirtschaften und ihre Einrichtungen in gebührendem Maße mit einzuschalten sind, auch gar nicht erforderlich sind, um die Ziele zu erreichen, die man sich mit der Marktordnung gestellt hat.
Wir haben einen Getreidehandel, wir haben ein sehr leistungsfähiges System von Genossenschaften. In den Getreidepreis sind Beträge eingebaut, die zur Deckung der mit der Lagerung verbundenen Unkosten dienen. Wir haben in diesem Jahr zum erstenmal im Haushalt auch — und ich habe zu den Befürwortern dieses Versuches gehört — Mittel für gewisse Frachtsubventionen eingebaut, um den Abfluß des Getreides aus jenen sogenannten toten Winkeln zu erleichtern, aus denen es von alleine nicht herkommen kann. Wir meinen, daß damit die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, den Staat und seine Einrichtungen, die Einfuhr- und Vorratsstellen, im Interesse der privaten Initiative weitgehend aus diesem Geschäft zurückzuziehen. Es mag durchaus sein, daß man über die damit verbundenen Kosten noch einmal reden muß, daß man mit den jetzt festgesetzten Reports nicht auskommen kann. Aber einig sollten wir uns darin sein, mit den Mitteln einer klareren Definition, als sie bisher im Gesetz gegeben ist — und das ist das, was wir Ihnen in Art. 1 Ziffer 1 unseres Antrags Drucksache 1588 vorschlagen —, die Auswüchse, die Fehlentwicklung und den, man darf schon sagen, in einem gewissen und nicht ganz unerheblichen Umfang vorhandenen Mißbrauch zu beseitigen.
Die Sache ist jetzt so bequem und für die unmittelbar Beteiligten so billig, daß ich es keinem einmal übelnehme, wenn er sich der dort gebotenen Möglichkeiten bedient. Als überzeugter Anhänger der Marktordnung möchte ich aber nicht warten, bis einer, der kein Freund, sondern ein Gegner der Marktordnung ist, aus diesen Erfahrungen einen sehr handfesten Beweis dafür macht, daß die Marktordnung also wohl doch nicht der Weisheit letzter Schluß sei, und möchte deshalb selber vorschlagen — und wir hoffen dabei auf Ihre verständnisvolle Unterstützung —, daß wir aus eigener Einsicht hier rechtzeitig mit Dingen aufhören, die einfach nicht notwendig sind. Denn wenn es so bequem ist, wenn es zu bequem ist, dann ist es eben auf der anderen Seite auch zu teuer, und wir sollten uns rechtzeitig davon absetzen.
Man hat uns in früheren Diskussionen entgegengehalten, daß dann, wenn die Einfuhr- und Vorratsstellen direkt vom Erzeuger aufnehmen sollten, sie sozusagen in jedem Dorf eine Annahmestelle haben müßten. Andere Leute haben den ebenfalls nicht gerechtfertigten Verdacht geäußert, es sei unsere heimliche Absicht, Handel und Genossenschaften überhaupt abzuschaffen und das ganze Getreidegeschäft durch die Einfuhr- und Vorratsstellen bewerkstelligen zu lassen. Das eine liegt uns ebenso fern wie das andere. Wir haben hier nur eine Formulierung vorgeschlagen, mit der eben das Ziel erreicht wird, die Tätigkeit der Einfuhr- und Vorratsstellen in den Bereichen auszuschalten und unmöglich zu machen, in denen auf diese Tätigkeit verzichtet werden kann. Wir werden im Ausschuß — hoffentlich im Rahmen einer unvoreingenommenen und gründlichen Beratung — uns mit den Konsequenzen aus diesen Vorstellungen auseinandersetzen müssen. Ich will Ihnen auch hier schon sagen, daß wir die Konsequenzen keineswegs scheuen, wenn sie etwa darin bestehen sollten, die Reports zu erhöhen oder andere Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Handel und Genossenschaften diese Aufgaben tatsächlich auch erfüllen können. Aber wir möchten uns dann mit Ihnen auch in der Absicht begegnen, daß wir ihnen diese Aufgabe zuschieben, selbst wenn man sich inzwischen vielleicht schon zu sehr an das andere, bequemere und, ich sagte es schon, für die Beteiligten billigere Verfahren gewöhnt haben sollte.
Darüber hinaus gibt es auch sonst noch Veranlassungen, sich mit der Handhabung unserer Getreidepolitik im ganzen zu beschäftigen. Es möge hier niemand — ich kann es immer nur wiederholen und tue es deswegen, um Unterstellungen oder Mißverständnisse von vornherein so weit wie möglich auszuschließen — glauben, es gehe hier um Angriffe auf die Einfuhr- und Vorratsstelle. Ich weiß so gut wie Sie alle, daß die Einfuhr- und Vor-
ratsstelle von der Weisung des Ernährungsministeriums abhängig ist, und wir diskutieren hier auch nicht mit der Einfuhr- und Vorratsstelle und den in ihr Tätigen. Wir diskutieren hier mit der Regierung und richten unsere Forderungen und Wünsche an die Regierung. Trotzdem muß gesagt werden, daß sich in der Handhabung der Getreidepolitik mehr als ein Anlaß findet, nach so viel Jahren des Bestehens des Getreidegesetzes wieder einmal in eine sehr gründliche, vorurteilsfreie und voraussetzungslose Diskussion darüber einzutreten. Es hat sich zweifellos manches gebessert. Ich denke noch mit Schrecken an die Zeit, in der das gesamte Auslandsgetreide auf Staatskosten frachtfrei in die einzelnen Mühlen gefahren wurde. Das ist abgeschafft worden, und nur für einen verhältnismäßig kleinen Teil, für das sogenannte Qualitätsgetreide, gibt es jetzt noch die Frachtsubventionen aus öffentlichen Mitteln. Ich gebe mich nach wie vor der Hoffnung hin, daß man auch mit diesem Rest noch fertig werden kann, auch hier in der Absicht, überall so viel Freiheit zu haben, wie es nur irgend möglich ist, und so viel Betätigungsmöglichkeiten für die private Initiative, wie nur irgend geschaffen werden kann, um öffentliche Maßnahmen auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzieren, damit allerdings auch den Einsatz der öffentlichen Mittel.
Wir haben in den letzten Monaten des abgelaufenen Getreidewirtschaftsjahres mit einigem Erstaunen gesehen, wie man mitten in einer Welt, in der es nichts soviel gibt wie Getreide, bei uns eine Getreideknappheit entstehen ließ. Es wurde kein Futtergetreide eingeführt. Die Einfuhr- und Vorratsstelle saß auf einem sehr großen und infolge der Kosten der Lagerhaltung recht kostspieligen Berg von Futtergerste, und davon wurde nichts freigegeben, weil man sich irgendwelche Vorstellungen gemacht hatte, dann würden die Leute aufhören, so viel Schweine auf den Markt zu bringen. Dabei hat man sich meiner Ansicht nach irgendwie geirrt. Die Schweine, die da waren und die auf den Markt drückten, sind ja nicht wegen der Futterpreise totgeschlagen worden, die übrigens zum Teil sogar über die gesetzlich festgelegten Höchstpreise hinausgegangen sind. Ich habe nie begreifen können, worin der Sinn dieser Anstrengung eigentlich zu finden war, daß man in Zeiten zurückweichender Schweinepreise den Verbrauchern, d. h. hier den Erzeugern, das Futter verteuerte in der Hoffnung, im nächsten Jahr würde sich dann irgendwie der Weisheit Schluß aus dieser Geschichte ergeben.
Ich bin der Meinung, daß auch in der jüngsten Vergangenheit noch aus der falschen, unplanmäßigen Handhabung der Marktordnung für Getreide Schwierigkeiten entstanden sind, z. B. für die Mühlen. Wir alle wissen von der schwierigen Lage in diesem Wirtschaftsbereich und wissen, wie wenig wir da helfen können, wissen allerdings auch, wie wenig Veranlassung wir haben, den Leuten durch unsere Getreidepolitik das Leben noch schwerer zu machen, als es ohnehin für sie schon ist. Ich möchte sagen, daß man auch immer wieder Veranlassung hat, sich zu überlegen, ob man die Einfuhrpolitik nicht ohne Gefährdung der Ziele der Marktordnung, d. h. ohne Erschwerung des Absatzes und des Abflusses der Ernte aus eigener Erzeugung so handhaben könnte, daß diejenigen, die sich diesem sehr nützlichen und für' uns lebensnotwendigen Geschäft der Getreideeinfuhr widmen, ihrerseits alle Möglichkeiten haben, die man bei ihnen voraussetzen muß und die wir sogar alle wünschen müssen, damit wir hier so gut wie möglich bedient werden.
Nun noch eine Bemerkung zu Ziffer 2. Im Getreidegesetz heißt es, daß der Getreidepreis in jedem Jahre rechtzeitig festgesetzt werden muß. Einmal ist es uns, glaube ich, im Laufe der Jahre gelungen, am letzten Tage des alten Getreidewirtschaftsjahres das Getreidepreisgesetz zu verabschieden. In mehreren Fällen — das weiß ich genau — ist es erst nach dem Beginn des Getreidewirtschaftsjahres veröffentlicht worden. Das ist eine sehr schlechte Sache. Schließlich wollen wir doch dem Erzeuger auch die Möglichkeit geben, seinen Anbauplan nach der Verkündung der in Deutschland geltenden Getreidepreise wenigstens in etwa zu gestalten, und das ist natürlich nur möglich, wenn man rechtzeitig sagt, wie man in Deutschland das Getreide bezahlen will. Der Einwand, man müsse erst warten, wie sich der Weltmarkt entwickle, kann ja einfach nicht hingenommen werden. Wir wollen uns doch bewußt vom Weltmarkt und seinen Entwicklungen unabhängig machen und setzen den Getreidepreis nach rein innerdeutschen Erwägungen, abgestellt nur auf die Lage der deutschen Landwirtschaft, fest. Wir könnten das meiner Überzeugung nach besser für mehrere Jahre im voraus tun als jedesmal erst dann, wenn die Saat schon längst in der Erde ist. Die verspätete Vorlage des Getreidepreisgesetzes ist vielleicht der sinnfälligste Beweis dafür, daß es in unserer Getreidepolitik an manchem fehlt, u. a. an einer klaren und für alle Beteiligten erkennbaren Linie. Ich weiß nicht, ob das an dem Tauziehen hinter den Kulissen liegt, dort, wo sich die Interessenten zum Wort melden. Ich weiß nicht, ob das an der Bürokratie liegt. Ich weiß nicht, woran es liegt; ich weiß nur eins: es ist eine schlechte Sache, und jedesmal hat es uns außerdem um die Möglichkeit gebracht, hier mit genügend Zeit die Fragen zu diskutieren, die sich aus der Erfahrung des eben hinter uns liegenden Jahres jeweils aufgedrängt haben. Wir konnten nur ganz schnell machen, so schnell wie möglich; denn sonst wäre es noch eine Woche später geworden. Um das ein für allemal in Zukunft zu vermeiden, schlagen wir Ihnen vor, im Gesetz einen Zeitpunkt festzulegen, der erstens so rechtzeitig ist, daß sich der Erzeuger ein bißchen danach orientieren kann, und der zweitens so rechtzeitig ist, daß wir uns alle, die wir ja auch eine Verantwortung dafür haben, mit der Angelegenheit ausführlich genug beschäftigen können.
Meine Damen und Herren, Sie werden uns auch hier, wie ich hoffe, nicht abstreiten, daß wir das, was wir für veränderungsbedürftig halten, in einer gehörigen parlamentarischen Form konkret vorgelegt haben. Wir möchten soviel wie möglich darauf verzichten, das Haus zu bitten, zu beschließen, die Regierung möge doch einmal erwägen oder sie möge doch einmal prüfen oder vorlegen usw., sondern wir möchten, soweit es nur irgendwie geht und mit den schwachen Kräften der Opposition zu bewirken ist, das Haus vor konkrete Fragen stellen, schon deshalb, weil wir uns von der Inanspruchnahme des Initiativrechts der Abgeordneten auch eine Abkürzung der Fristen und eine schnellere Arbeit versprechen, ohne von der Bürokratie und ihren sehr, sehr diffizilen Bedenken etwa aufgehalten zu werden. Ich habe die Hoffnung, daß auch in Ihren Reihen die Bedeutung einer zügigen, rationellen. von überflüssigem Ballast befreiten Getreidepolitik und von solchem Ballast befreiten Handhabung der Marktordnung erkannt wird und daß wir zusammen im Ausschuß — auch hier
wahrscheinlich, nicht nur im Ernährungsausschuß allein — Gelegenheit haben werden, alles noch einmal neu zu bedenken.
Ich muß noch mit einem Wort auf die Diskussion von vorhin zurückkommen. Es wird so oft gesagt: Was hier ist, ist in Ordnung, ist tabu. Wenn man das ändert, dann kommt das Chaos. Aber es ist töricht, uns einzureden: Entweder es muß alles so bleiben, oder die Welt geht unter. Mir scheint, die Welt geht viel eher unter, wenn man nicht rechtzeitig an ihr gewisse Verbesserungen vornimmt,
und diejenigen, die immer alles verteidigen wollen, haben bisher zum Schluß wirklich immer noch alles verloren. Rechtzeitig etwas tun ist hier viel wirkungsvoller. Einer, der vielleicht kein Praktiker ist, aber immerhin in der internationalen Welt der Wissenschaft für sich einigen Respekt in Anspruch nehmen kann, hat neulich von der Milchmarktordnung gesagt: sie muß einmal von Grund auf neu durchdacht werden. Meine Damen und Herren, um nichts anderes handelt es sich für uns auch hier. Diese Marktordnung soll bei unbestrittener Anerkennung ihrer Notwendigkeit und ihrer Unverzichtbarkeit für die deutsche Landwirtschaft noch einmal neu durchdacht werden.
Sie haben die Einbringung des Gesetzentwurfs, Drucksache 1588, gehört.
Ich eröffne die Beratung in erster Lesung. Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Schwarz hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur einige kurze Ausführungen zu dem SPD-Antrag Drucksache 1588. Dieser Antrag beinhaltet drei Anliegen. Einmal bezweckt er eine gewisse Verlagerung der Regelung, die bisher im Getreidepreisgesetz vorgesehen war, auf das Getreidegesetz. Zum zweiten soll danach die Abgabe von Getreide in der Zukunft nur direkt von der Einfuhr- und Vorratsstelle an Verarbeitungsbetriebe erfolgen und nicht mehr über Handel und Genossenschaften gehen. Zum dritten soll die Preisfestsetzung jeweils bereits am 1. September erfolgen.
Was den ersten Punkt, die Verlagerung von Regelungen, die bisher dem Getreidepreisgesetz vorbehalten waren, anlangt, erlauben Sie mir, darauf hinzuweisen, daß es sicher nicht den Vorstellungen entspricht, die wir von dem Getreidepreisgesetz haben, wenn der Begriff des Mindestpreises damit in das Getreidegesetz überginge, denn das Getreidepreisgesetz soll doch gerade die Einzelheiten der Preisgestaltung für das jeweils kommende Wirtschaftsjahr regeln. Wir sehen jedenfalls nicht ein, daß ein so grundsätzlicher Begriff wie ein Mindestpreis inhaltlich wesentlicher Bestandteil des Getreidegesetzes bilden soll, sondern wir glauben, daß Bestimmungen sowohl über Mindestpreise als auch über Mittelpreise und Höchstpreise oder auch die sonstige gesamte Preisskala in das Getreidepreisgesetz hineingehören und daß man das Grundsätzliche, das mit dem Getreidegesetz zusammenhängt, nicht mit Getreidepreisregelung vermischen soll.
Die zweite Angelegenheit, die ich erwähnte, die Abgabe von Getreide seitens der E- und V-Stelle direkt an die Verarbeitungsbetriebe, sieht in dem Entwurf der SPD so aus: Es heißt hier:
Von der Einfuhr- und Vorratsstelle übernommenes Inlandsgetreide darf von ihr nur an solche Betriebe abgegeben werden, die Getreide selbst verarbeiten oder verbrauchen.
Damit werden Handel und Genossenschaften ausgeschaltet, und die Arbeit der E- und V-Stelle wird nach meiner Auffassung vermehrt. Herr Kollege Kriedemann, hier wird wohl noch ein erheblicher Irrtum so oder so zu beseitigen sein denn mir scheint, daß die Tätigkeit der E- und V-Stelle dort, wo sie nicht unbedingt nötig sein sollte, nicht ausgedehnt, sondern eingeschränkt werden sollte. Ich habe aus Ihren Ausführungen entnommen, daß es Ihnen nicht darum zu tun ist, die E- und V-Stellen, sagen wir, mit Wechselfragen wie Wechselprolongationen an die Mühlen zu belasten, und daß auch von Ihnen erstrebt wird, ihre Tätigkeit möglichst einzuengen.
Was die Preisfestsetzung anbelangt, meine Damen und Herren, so ist selbstverständlich eine Preisfestsetzung am 1. September eines jeweiligen Jahres dann sehr brauchbar, wenn wir auch nur einigermaßen die Gewähr haben, daß Löhne, Gehälter, andere Betriebsunkosten und all die Faktoren, die gerade im Augenblick im Mittelpunkt unserer Sorgen stehen, vom 1. September bis zum nächsten 1. September gleichbleiben. Aber mir scheint es immerhin bedenklich zu sein, daß wir am 1. September für ein ganzes Jahr einen Preis festsetzen. Nach meiner Auffassung wäre es wirklichkeitsnäher, wenn wir ihn nur bis zum 1. April des nächsten Jahres festsetzten.
Wir werden gerne bereit sein, über diese und all die anderen Fragen sehr eingehend im Ernährungsausschuß zu sprechen. Ich beantrage im Namen meiner Fraktion die Überweisung des Antrags Drucksache 1588 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, bitte seien Sie nicht ungeduldig! Ich glaube, daß ich mit wenigen Worten ein Mißverständnis ausräumen oder einen Tatbestand klarstellen kann. Wir alle, die wir uns öfter darüber beklagen, daß für Dinge im landwirtschaftlichen Bereich nicht das breite Verständnis da ist, das wir gerne möchten, können es ja eigentlich nur begrüßen, wenn wir uns so ausdrücken, daß auch alle anderen wissen, worum es sich in Wirklichkeit dreht.
Zu Ihrer ersten Bemerkung, Herr Kollege Schwarz: Im Getreidegesetz steht, daß es eine Aufgabe des Getreidegesetzes und der Einfuhr-und Vorratsstellen ist, dafür zu sorgen, daß das Getreide zum Mindest- und Höchstpreis dem Erzeuger abgenommen wird. Wir haben aber einmal zu einer Zeit, die jetzt schon ein bißchen zurückliegt, aber vielleicht dem einen oder andern noch nicht ganz aus dem Gedächtnis entschwunden ist, eine Situation gehabt, in der sich herausstellte, daß wir zwar ein Getreidegesetz haben, auch ein Getreidepreisgesetz haben, daß aber trotzdem — es war damals der Hafer in Bayern — dieser Hafer dem Erzeuger nicht zum Mindestpreis abgenom-
men wurde, weil, wie man uns von der Regierungsbank sagte, ein Rechtsanspruch der Erzeuger auf die Abnahme zum Mindestpreis — „glücklicherweise", wie ich jetzt in Anführungszeichen hinzufüge — gar nicht gegeben war. In einer Redeschlacht, die sehr lange gedauert hat und die dann nur mit einer namentlichen Abstimmung beendet wurde, haben wir es damals fertiggebracht, alle davon zu überzeugen, daß, wenn dieser Rechtsanspruch nicht aus der Tatsache einer feierlichen Verabschiedung eines Preisgesetzes als Selbstverständlichkeit angesehen wird, er dann mit in das Gesetz hineinkommen muß. Das letzte Argument, mit dem man sich damals gegen unseren Antrag wehrte, war: das gehört ja gar nicht ins Getreidepreisgesetz, das ist eine so grundsätzliche Frage, daß sie ins Getreidegesetz gehört. Wir haben damals gesagt: jetzt fällt die Entscheidung; wir beraten nicht das Getreidegesetz und wir haben keine Novelle dazu, wir beraten sozusagen in letzter Minute das Getreidepreisgesetz, und da schreiben wir es mal hinein. Wie gesagt, bei der namentlichen Abstimmung hat sich nachher das ganze Haus zu dieser Auffassung bekannt, nach vielen, vielen Stunden.
Wir wollten die Gelegenheit einer Novelle nun benutzen, den Rechtsanspruch der Erzeuger gegenüber der Regierung, vertreten durch die Einfuhr- und Vorratsstelle, an der Stelle zu verankern, wo er unserer Ansicht nach hingehört, nämlich im Getreidegesetz. Denn im Getreidepreisgesetz wird nichts über das System von Mindest-, Mittel- oder Höchstpreisen gesagt. Im Getreidepreisgesetz wird nur gesagt, was in diesem betreffenden Jahr das Getreide mindestens und höchstens kosten soll.
Zu der anderen Sorge, daß aus unserem Vorschlag der Einfuhr- und Vorratsstelle furchtbar viel mehr Arbeit erwachsen würde, daß wir uns offenbar hier in irgendeinem Irrtum befänden, lassen Sie mich nur ganz kurz etwas sagen. Wenn heute die Regierung unseren Gesetzentwurf so verkündete, dann würde die Einfuhr- und Vorratsstelle zum Unterschied von der jetzigen Praxis kein Pfund Inlandsgetreide bekommen. Denn Handel und Genossenschaften könnten es sich gar nicht leisten, das Geschäft an sich vorbeigehen zu lassen und an die Einfuhr- und Vorratsstelle abzutreten. Mit dieser Formulierung soll auch nichts anderes erreicht werden, als die Einfuhr- und Vorratsstelle von der Bewegung, von der Zwischenlagerung usw. des Inlandsgetreides völlig zu entlasten, soweit es sich nicht — wie z. B. möglicherweise in diesem Jahr beim Roggen — um Mengen handelt, die auch zum Ende des Wirtschaftsjahres noch nicht absetzbar waren. Daß die Einfuhr- und Vorratsstelle diese Mengen aufnehmen muß, ist eine völlige Selbstverständlichkeit. Aber ich glaube, darüber sollten wir uns im Ausschuß unterhalten. Ich habe die feste Zuversicht, daß wir uns darüber sogar verständigen werden, vor allem wenn wir uns einig in dem Bemühen sind, die Marktordnung zu schützen gegen eine Kritik, die lebensgefährlich wird, wenn sie mit allzu handfesten Beweisen auftreten kann. Der Mißbrauch einer Einrichtung oder ihre Entwicklung in einer Weise, wie man sich das früher nicht hat vorstellen können, ist aber immer ein sehr handgreifliches Argument gegen die Einrichtung.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung erster Lesung.
Es ist Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantragt. Ich habe hier noch eine Notiz: Ausschuß für Wirtschaftspolitik. Ist das mitbeantragt?
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Überweisung an die beiden Ausschüsse zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu Punkt 11 der Tagesordnung:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Überweisung der im Umdruck 489*) aufgeführten Anträge an die im gleichen Umdruck aufgeführten Ausschüsse zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Damit ist die heutige Tagesordnung erschöpft. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Freitag, den 28. Oktober, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.