Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon von mehreren Seiten, auch von dem Herrn Bundesjustizminister, hervorgehoben worden, daß der uns vorliegende Gesetzentwurf eilbedürftig ist. So ist es wohl auch zu erklären, daß dieses Gesetz bereits heute auf der Tagesordnung ist. Es wurde vom Ältestenrat in Berlin auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gesetzt, so daß den Fraktionen an sich wenig Zeit zur Beratung dieser wichtigen Materie blieb. Infolgedessen bin ich auch nicht in der Lage — das möchte ich von vornherein erklären —, Ihnen eine abgestimmte und abgeklärte Meinung meiner Fraktion zu den einzelnen Bestimmungen dieses Entwurfs heute schon vorzutragen.
Der Gesetzentwurf wirft, das verkenne ich nicht, schwerwiegende Probleme auf, die sehr eingehender Erörterungen bedürfen. Wir werden uns der Aufgabe, den Entwurf eingehend zu prüfen, nicht entziehen.
Übereinstimmung besteht ja zwischen Regierung und allen Rednern — das möchte ich doch betonen, weil es angesichts der Kritik, die in den Ausführungen des Herrn Kollegen Metzger geübt worden ist, in den Hintergrund treten könnte — über ganz wichtige und, wie ich auch zugebe, die dringlichsten Bestimmungen dieses Gesetzes. Zweifellos ist ein Rechtsnotstand dadurch eingetreten, daß sich die vom Bundestag im Gesetz vorgenommene Geschäftsverteilung, die damals sehr eingehend überlegt worden war und die ,auch Gegenstand des Kompromisses gewesen ist, den wir damals geschlossen haben, um eine Annahme .des Gesetzes auf möglichst breiter Grundlage zu erreichen, als durchaus untauglich erwiesen hat. Einer der ersten Zwecke dieser Novelle ist es, diesen gesetzgeberischen Fehler auszumerzen und eine Lösung zu finden, die die „Funktionsfähigkeit" oder richtiger die „Aktionsfähigkeit" des Bundesverfassungsgerichts herstellen soll, damit die beim Ersten Senat bestehende Verstopfung beseitigt wird und Fragen, die einer Lösung unbedingt und schleunigst bedürfen, alsbald geklärt werden können. Die Frage wird sein, ob man den Weg geht, daß man über die dringlichsten Anliegen der Novelle vorab entscheidet, damit alsbald dem Anliegen des Bundesverfassungsgerichts selbst Rechnung trägt und durch eine gleichmäßigere Geschäftsverteilung die Abwicklung der dem Bundesverfassungsgericht obliegenden Aufgaben sicherstellt. Das ist ein Weg, der in Erwägung gezogen werden kann. Ich muß ge- stehen, ich werde mich nicht grundsätzlich dagegen aussprechen, einen solchen Weg einzuschlagen. Die Geschäftsverteilung durch das Plenum selbst entspricht durchaus der deutschen Gerichtstradition. Dieser Weg ist auch von allen Vorrednern als gangbar anerkannt worden, so daß ich glaube, wir werden darüber sehr schnell zu einer Einigung kommen.
Die Einschränkung der Verfassungsbeschwerde werden wir schon etwas genauer unter die Lupe nehmen müssen. Es ist bekannt, daß weite Kreise meiner Fraktion seinerzeit gegen die Einführung der Verfassungsbeschwerde überhaupt gewesen sind, weil sie das, was jetzt eingetreten ist, haben kommen sehen. Wir haben damals in den Erörterungen mit den Herren Sachverständigen im Rechtsausschuß gerade die Frage geprüft, ob nicht durch die Aufnahme der Verfassungsbeschwerde, die in den im Grundgesetz für das Bundesverfassungsgericht vorgesehenen Zuständigkeiten nicht enthalten ist, der Zustand eintreten würde, der heute tatsächlich eingetreten ist. Wir haben rechtsvergleichendes Material herangezogen, die Geschäftszahlen bei Verfassungsgerichtshöfen anderer Länder überprüft — ich erinnere mich, daß wir speziell die Geschäftslage beim österreichischen Verfassungsgerichtshof unter die Lupe genommen haben — und hatten damals schon recht erhebliche Bedenken, ob auf diese Weise eine ordentliche Lösung gefunden werden könne. Das war auch einer der Gründe, weshalb wir zu dem Zwillingsgericht gekommen sind. Wir sagten uns: die Geschäftslast, wie sie nun auf das Bundesverfassungsgericht zukommt, kann von einem Senat, von einem Gericht nicht getragen werden.
Wir sind diesen Weg sehr ungern gegangen. Sowohl der Regierungsentwurf als auch der Entwurf der SPD sahen eine andere Lösung, ein einheitliches Gericht vor. Aber angesichts dessen, was inzwischen eingetreten ist und was zum Teil ganz sicher auch darauf zurückzuführen ist, daß eine Klärung grundlegender verfassungsrechtlicher Fragen, die das Grundgesetz nun einmal aufgeworfen hat, noch nicht erfolgt ist, so daß in den ersten Jahren des Bestehens des Grundgesetzes die Zahl derjenigen Fragen, die nach einer grundsätzlichen Klärung drängen, sehr viel größer sein wird als in späteren Jahren, muß man in jedem Falle — das möchte ich in diesem Zusammenhang jetzt schon sagen — den Weg dafür offenhalten, daß das Gericht später als einheitliches Gericht konstituiert werden kann. Das ist auch ein Hauptanliegen des sogenannten Reformvorschlags, auf den ich später zu sprechen kommen werde.
Ob die Einschränkung bezüglich der Verfassungsbeschwerde, d. h. die Vorschrift, daß die Verfassungsbeschwerde nur dann zulässig sein soll, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage zu erwarten ist oder wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Zulassung ein schwerer oder unabwendbarer Nachteil entstünde, die Grenzen richtig setzt, werden wir im Ausschuß prüfen müssen. Grundsätzlich bin ich damit einverstanden, daß ein Zulassungsverfahren vorgeschaltet wird. Aber die Frage wird für mich sein, ob ich mich damit einverstanden erklären kann, daß die Entscheidung nicht be-
gründet wird. Es ist für einen Rechtsuchenden immer etwas außerordentlich Unbefriedigendes, wenn ihm lediglich mitgeteilt wird: Durch einstimmigen Beschluß ist Ihre Verfassungsbeschwerde nicht zugelassen. — Wenn die Zulassung so begrenzt wird, wie es nach dem Vorschlag der Regierung der Fall ist und wie es meine Herren Vorredner im großen und ganzen gebilligt haben, dann möchte ich doch meinen, daß es nicht schwer sein würde, die Gesichtspunkte in einigen Sätzen darzulegen, die zur Versagung der Zulassung geführt haben, damit dem Betreffenden auch klargemacht wird, daß ihm das Recht nicht verweigert wird. Das wird ein Punkt sein, den ich jedenfalls für verbesserungsbedürftig halte.
Des weiteren hat der Bundesrat in diesem Rahmen eine Frage aufgeworfen, die wir werden überprüfen müssen, ob nicht das Verfahren der sogenannten Normenkontrolle vereinfacht werden kann, indem das Gericht, das ein Gesetz für verfassungswidrig hält, seine Vorlage unmittelbar dem Bundesverfassungsgericht zuleitet, das dann seinerseits die Befugnis erhalten soll, ein oberes Bundesgericht oder ein oberstes Landesgericht zu einer Außerung aufzufordern. Die Bundesregierung hat diesen Vorschlag abgelehnt. Sie vertritt vielleicht nicht mit Unrecht den Standpunkt, daß eine abschließende Stellungnahme zu dieser Frage wegen der noch mangelnden Erfahrungen noch nicht möglich ist und daß, wenn sich das Verfahren einmal eingespielt hat, auch die jetzt im Gesetz enthaltene Lösung, wobei die Vorlage über das obere Bundesgericht oder über das oberste Landesgericht mit dessen Stellungnahme erfolgt, in der Zukunft nicht mehr zu einer Verzögerung führen wird. Das Verfahren muß sich in der Tat ja erst einmal einspielen. Soviel zu der sogenannten technischen Novelle, über die ja im großen und ganzen Einverständnis besteht.
Nun zu einem weiteren Kernpunkt, ich betone ausdrücklich: der sogenannten „Reform". Herr Kollege Metzger sprach von der „großen Reform". Ich glaube, man kann in dieser Vorlage noch nicht die sogenannte „große Reform" erblicken. Es ist allerdings auch nicht die kleine Lösung gewählt worden, die zunächst zur Beseitigung augenblicklicher Notstände notwendig ist, sondern eine mittlere Lösung. Es sind auch Fragen angeschnitten worden, in denen sich das Gesetz in der Vergangenheit vielleicht als unzulänglich erwiesen hat. Man sollte diese Vorschläge in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit prüfen.
Es ist in der Öffentlichkeit davon gesprochen worden, daß hier das „kunstvolle Gleichgewicht"
— Herr Kollege Bucher hat ja dieses Wort des Herrn Bundesverfassungsrichters Leibholz zitiert
— zerstört würde, daß hier „ein Versuch der Exekutive vorliege, sich der Kontrolle durch die Justiz zu entziehen", daß sozusagen ein „Anschlag auf die Justiz" verübt werde. Herr Kollege Metzger meinte sogar, daß hier eine „Regelung unter der Hand" versucht würde und daß „dunkle Kräfte am Werke seien, ganz andere Ziele zu erreichen". Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen offen gestehen: ich weiß nicht, wodurch solche Vorwürfe veranlaßt sein sollten, da hier doch der ordentliche Weg der Gesetzgebung eingehalten wird, der Bundestag also dieses Gesetz in drei Lesungen prüft, der Bundesrat es geprüft hat und wir Gelegenheit haben, in jeder Hinsicht dazu Stellung zu nehmen. Unter diesen Umständen sind
derartige Vorwürfe wirklich unbegründet. Wenn Sie, Herr Kollege Metzger — das schien mir nach Ihren Ausführungen der Fall zu sein —, die historische Entwicklung, wie Sie es nannten, damit gemeint haben, dann möchte ich sagen, daß dazu der Herr Bundesjustizminister seinerseits schon Stellung genommen hat, so daß ich mich hierzu nicht mehr zu äußern brauche.
Wenn aber weiter gesagt wird, daß der verfassungsrechtliche Charakter des Grundgesetzes — gemeint war wohl: des Bundesverfassungsgerichts — in Frage gestellt werde, daß „eine Säule des Bundesverfassungsgerichts angeknabbert werde", dann habe ich für diese maßlosen Vorwürfe kein Verständnis. Es kann doch wohl nicht bestritten werden, auch von Ihnen nicht bestritten werden, daß sich sämtliche Vorschläge im Rahmen des Grundgesetzes halten. Infolgedessen kann nicht der Vorwurf erhoben werden, daß hier Säulen des Staates angeknabbert würden. Die Bundesregierung hat es sogar abgelehnt, ihrerseits Vorschläge zu machen, die eine Verfassungsänderung notwendig machten. Der Herr Bundesjustizminister hat soeben dargelegt, daß er in dieser Hinsicht der Meinung ist, es stehe der Bundesregierung nicht an, dem Bundestag einen Vorschlag zu machen, der auch nur zum Teil ein ihm im Grundgesetz gegebenes Recht, nämlich die Wahl der Richter, nehmen würde. Man hätte infolgedessen nicht so aufzudrehen und zu sagen brauchen — wie es hier soeben geschehen ist —, daß das völlig unveranlaßt gewesen ist.
— Ich will gerade darauf zu sprechen kommen. Ich leugne nicht — ich bin schließlich daran beteiligt und habe auch noch in dem kleinsten Gremium, im Unterausschuß, mitgewirkt —, daß dieses Gesetz ein Kompromiß darstellt und daß man auch prüfen muß, ob die Voraussetzungen, von denen das damalige Kompromiß ausging, weggefallen sind oder ob sich solche Unzuträglichkeiten ergeben haben, die damals nicht übersehen wurden und die eine Änderung notwendig machen. Das ist meines Erachtens tatsächlich der Fall. Ich möchte ausdrücklich betonen: es ist zu begrüßen, daß diese Prüfung sich in einer durchaus sachlichen Atmosphäre abspielen kann. Zur Zeit ist die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht in Frage gestellt, wie das in der Vergangenheit schon einmal der Fall gewesen ist, und aus diesen Fällen der Vergangenheit müssen wir nach meiner Meinung lernen; denn sie können immer und immer wieder eintreten.
Wenn man gesagt hat, daß hier ein kunstvoll hergestelltes Gleichgewicht gestört werde, dann hat meiner Ansicht nach ein Mann, der mit den Praktiken des Bundesverfassungsgerichts sehr vertraut ist, wie sein früherer Direktor, der heutige Bundesrichter D r. Willms , mit Recht darauf hingewiesen, daß davon keine Rede sein könne. Das Grundgesetz bestimmt lediglich bezüglich des Kernpunktes, der hier zur Frage steht — das ist ja das Wahlsystem —, daß die Bundesverfassungsrichter zur Hälfte vom Bundestag und zur anderen Hälfte vom Bundesrat gewählt werden müssen. Dieses Recht ist gewahrt. Es sagt dann weiter, daß ein Bundesgesetz die Verfassung und das Verfahren zu regeln hat und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen — nämlich die des Bundesverfassungsgerichts — Gesetzeskraft haben.
Herr Dr. Willms weist in seinem Aufsatz nicht mit Unrecht darauf hin, daß man sogar darüber streiten könne, ob infolgedessen der normale Gesetzgeber berechtigt war, die Wahl, die im Grundgesetz selber festgelegt ist, zu ändern. Ich stimme ihm dabei nicht zu. Wir haben uns damals dazu entschlossen und es auch für zulässig gehalten, daß der Bundestag die ihm im Grundgesetz gegebene Möglichkeit auf ein Wahlmännergremium, den Wahlmännerausschuß, delegiert. Ich halte diese Lösung für durchaus verfassungsgemäß; ich will aber nur auf diese Bedenken, die von anderer Seite erhoben worden sind, hinweisen. Das Grundgesetz geht grundsätzlich davon aus, daß die Mehrheit — und noch nicht einmal eine qualifizierte Mehrheit — dieses Hauses entscheidet, welche Richter gewählt werden. Wir hielten bei der besonderen Art dieses Gerichtes gewisse Anliegen, auch von Minderheitsparteien, daß der Minderheit gewisse Rechte gegeben werden, für durchaus berücksichtigungswert. Sie streben es ja an, auch uns einmal in die Minderheit zu bringen; es könnte also — ich habe zwar in dieser Hinsicht keine Befürchtung — auch für uns, für meine Fraktion einmal akut werden. Wir sind auch heute nicht etwa darauf aus — und ich glaube, auch die Bundesregierung nicht; da tun Sie ihr unrecht, Herr Kollege Metzger —, ein „Regierungsgericht" zu bilden. Der Herr Bundesjustizminister hat diesen Vorwurf bereits zurückgewiesen. Wenn Sie die Begründung aufmerksam gelesen hätten, dann hätten Sie gesehen, daß die Bundesregierung durchaus andere Möglichkeiten erwägt, daß sie es für den ersten Wahlgang bei der jetzigen Regelung lassen will und daß sie auch für einen zweiten etwa notwendig werdenden Wahlgang, wenn der erste nicht zum Ziele führt, andere Möglichkeiten als die Entscheidung durch die absolute Mehrheit erwogen hat und für möglich hält. Schon in der Begründung heißt es:
Es wäre beispielsweise zu erwägen, anderen Organen oder Gremien, deren Sachkunde oder Ansehen bei der Wahl zur Geltung kommen soll, ein Vorschlagsrecht zu geben. Ein solches Vorschlagsrecht wäre, falls es nicht bindend ist, wohl als mit der Verfassung vereinbar anzusehen. Die sehr eingehenden Beratungen, die hierüber gepflogen worden sind, haben jedoch zu keinem Ergebnis geführt, das allgemeine Überzeugungskraft beanspruchen könnte. Um die dringend notwendigen Reformen nicht noch weiter zu verzögern, ist dieser Gedanke daher einstweilen zurückgestellt worden.
Meine Damen und Herren, Sie ersehen daraus, daß die Bundesregierung schon im Stadium des Einbringens derartige Erwägungen angestellt hat. Noch deutlicher ist es aber gesagt in der Stellungnahme, die der Herr Kollege Bucher auch schon zitiert hat, zu den Vorschlägen des Bundesrates:
Eine Regelung, die dem Anliegen der Bundesregierung gerecht wird und gleichzeitig den erhobenen Bedenken Rechnung trägt, könnte etwa darin gesehen werden, daß an Stelle der zuständigen Wahlkörperschaft ein anderes Organ entscheidet, wenn eine Wahl durch die betreffende Wahlkörperschaft innerhalb einer ausreichend bemessenen Frist nicht zustande gekommen ist.
Diese Möglichkeit ist aber nicht ohne Änderung des Grundgesetzes zu erreichen. Daß die Bundesregierung in dieser Hinsicht keine positiven Vorschläge gemacht hat, sollten wir als Parlament, glaube ich, nur begrüßen. Die Bundesregierung hat es uns überlassen, diese Frage zu prüfen und da entsprechende Vorschläge zu machen. Man kann aber angesichts dieses Tatbestandes — darauf kommt es mir in diesem Zusammenhang an — nicht sagen, daß die Bundesregierung darauf aus gewesen sei, sich eine Mehrheit zu sichern und sich damit sozusagen der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts zu entziehen. Dieser Vorwurf geht entschieden zu weit und ist nach der Lage der Sache auch unbegründet.
Ich gestehe Ihnen, daß die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, das seinerzeit fast einstimmig gegen die Kommunisten angenommen worden ist, ein allgemeines Anliegen dieses Hauses sein muß und daß wir bestrebt sein sollten, da zu einer Verständigung zu kommen. Aber es geht auch in dieser Hinsicht wiederum zu weit, wenn gesagt wird, solche Vorschläge seien leichtherzig oder gar leichtfertig, wie es geschehen ist. Herr Kollege Metzger, sie sind wohlerwogen und beruhen leider auf Erfahrungen, auf sehr schlechten Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben und als Gesetzgeber nicht außer acht lassen dürfen.
Sie haben zunächst wohl auch der Bundesregierung einen Vorwurf daraus machen wollen, daß sie mit diesem Gesetzentwurf — das ist das zweite Kernstück der sogenannten Reform — die Zahl der Richter ändern will. Sie haben aber zum Schluß wiederum selber gesagt, auch Ihre Fraktion begrüße es, wenn wir vom Zwillingsgericht loskommen. Ihr Entwurf ging ja seinerzeit von einem einheitlichen Gericht aus. Ob die Vorschläge der Bundesregierung in dieser Form angenommen werden können, ist eine ganz andere Sache. Es ist eben schon darauf hingewiesen worden, es sei doch etwas grotesk, daß man der jetzt bestehenden Arbeitslast ausgerechnet dadurch Herr werden wolle, daß man das Gericht verkleinere. Nun, die Erfahrungen sprechen manchmal dafür, daß es bei wenigen Köpfen leichter geht, Herr Kollege Metzger. Ich habe das gestern schon im Unterausschuß „Familienrecht" hervorgehoben. Wir sind gestern mit ein paar Leuten ein erhebliches Stück weitergekommen. Es ist nicht soviel geredet worden. So geht es dann auch in Beratungen. Es ist von keiner Seite beabsichtigt, das Gericht in seiner Besetzung etwa so herabzumindern, daß es nicht mehr dem Charakter entspräche, der ihm als höchstem Gericht zukommt. Nur das möchte ich dazu gesagt haben. Welche Lösung wir da nehmen, wird im Ausschuß zu prüfen sein.
Die Bundesregierung geht in ihren Vorschlägen — darauf möchte ich in diesem Zusammenhang noch hinweisen — vor allen Dingen darauf aus, den Weg zu einer Reform nicht zu verbauen, d. h. den Weg, allmählich zu einem einheitlichen Gericht zu kommen, zu d e m Bundesverfassungsgericht zu kommen und nicht bei dem Senatssystem zu bleiben, das jetzt besteht. Darauf basieren zum Teil die Vorschläge. Es sind da auch durchaus andere Lösungen denkbar, und wir werden prüfen müssen, ob wir, ohne dieses uns gemeinsame Ziel, das einheitliche Gericht zu bilden, aus dem Auge zu verlieren und diesen Weg zu verbauen, zu einer Lösung kommen können, die auch den augenblicklichen Bedürfnissen des Gerichts ausreichend Rechnung trägt.
Dann ist auch gesagt worden, der Vorschlag des Bundesregierung, die bisher erforderliche Mehrheit
bei der Wahl der Richter zu beseitigen und für den zweiten Wahlgang die einfache — allerdings absolute — Mehrheit genügen zu lassen, gehe unweigerlich darauf hinaus, daß man im ersten Wahlgang eine Verständigung nicht mehr suche und es sofort auf den zweiten Wahlgang ankommen lasse. Nun, ein Mann vom Gewicht des früheren Direktors des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesrichters Dr. Willms, hat auch zu dieser Frage Stellung genommen. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einiges von dem mitteilen, was er dazu geschrieben hat:
Nun könnte man sich fragen, welchen Sinn die Vorschaltung eines Wahlgangs mit qualifizierter Mehrheit haben soll, wenn letztlich doch die absolute Mehrheit entscheidet. Traut man der absoluten Mehrheit, also der jeweiligen Regierungsmehrheit, alle Schlechtigkeiten zu, so könnte das allerdings als eine leere Formsache erscheinen. Es kann sich aber auch so verhalten, daß die Einschaltung eines zweiten Wahlgangs, in dem die absolute Mehrheit entscheidet, gerade die Chance echter sachlicher Kompromisse im ersten, die qualifizierte Mehrheit erfordernden Wahlgang erhöht. Man denke etwa an den Fall, daß zwei Kandidaten zur Wahl stehen, von denen der eine eine sachlich in hohem Maße befähigte und zugleich parteimäßig nicht gebundene Persönlichkeit, der andere aber ein geringer qualifizierter Parteimann ist. Nach dem jetzt geltenden Wahlmodus wird hier immer der Wahlpartner mit dem geringsten Gemeinsinn und Verantwortungsgefühl den Ausschlag geben und den verantwortungsbewußteren Teil, der eine uferlose, gesetzwidrige Verzögerung der Wahl vermeiden will, zum Nachgeben zwingen können. Wird auf diese Weise der mindergeeignete Kandidat per compromissum gewählt, so übernimmt angesichts der gebotenen Geheimhaltung des Wahlganges der gutwillig nachgebende Teil auch nach außen hin die volle Mitverantwortung und muß sich am Ende gar das Odium zuspielen lassen, für die schon eingetretene Verzögerung des Wahlgeschäfts verantwortlich zu sein. Die Einschaltung eines zweiten Wahlganges, in dem die absolute Mehrheit entscheidet, bildet zweifellos ein Korrektiv, da nun zwangsläufig das Licht der Öffentlichkeit und damit der öffentlichen Kritik auf das Wahlgeschäft fällt; denn in der Kampfabstimmung des zweiten Wahlgangs würde offenbar, welche Seite unsachlichen und parteiegoistischen Erwägungen den Vorrang geben wollte.
Ich habe das angeführt, um darzutun, daß auch durchaus andere Betrachtungen des Vorschlags der Bundesregierung möglich sind und daß immerhin Ausführungen von einem Mann wie Dr. Willms nicht einfach in den Wind geschlagen werden können, daß man sie auch bei den Beratungen beachten soll.
Es kommt uns darauf an — und das ist ein entscheidendes Anliegen meiner Fraktion —, unter allen Umständen nicht nur die Aktionsfähigkeit, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Gerichts sicherzustellen, zu verhüten, daß noch einmal das eintritt, was vor einigen Jahren der Fall gewesen ist: daß eine Einigung über die Wahl eines Richters innerhalb von zwei Jahren nicht erfolgen konnte und dadurch das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt war. Dieses Ziel der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gerichts, die gerade einmal in Krisenzeiten, die uns möglicherweise auch nicht erspart bleiben werden, von ausschlaggebender Bedeutung ist, sollte nach meiner Meinung der leitende Gedanke sein, der bei der Prüfung dieses Gesetzesvorschlages beachtet wird.