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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2109

  • date_rangeDatum: 27. Oktober 1955

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    2. Deutscher Bundestag — 109. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1955 5927 109. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1955. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 5928 B, 5952 C Glückwunsch zum Geburtstag des Abg. Dr. Schild (Düsseldorf) 5928 B Mitteilung über Bestätigung von Gesetzesbeschlüssen des Bundestages durch den Vermittlungsausschuß 5928 B Wahl des Abg. Dr. Weber (Koblenz) als Mitglied des Wahlmännerausschusses . . 5928 C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht betr. Aussetzungsbeschluß des Landgerichts Bonn vom 10. November 1954 in dem Strafverfahren gegen Dr. Robert Platow u. a. wegen aktiver Bestechung u. a. (Drucksache 1793) 5928 C Dr. Furler (CDU/CSU) (Schriftliche Äußerung für den Deutschen Bundestag) 5968 A Dr. Bucher (FDP) (Schriftliche Erklärung zur Abstimmung) 59"2 B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Drucksache 1662) . 5928 D Neumayer, Bundesminister der Justiz . . . . 5928 D, 5940 B, 5948 D Dr. Bucher (FDP) 5932 A, 5948 D Metzger (SPD) 5935 A Dr. Weber (Koblenz) (CDU/CSU) . 5941 A Dr. Gille (GB/BHE) 5944 C Becker (Hamburg) (DP) 5946 D Dr. Arndt (SPD) 5947 C Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht 5949 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betr. Einrichtung eines Bildersuchdienstes zur Aufklärung von Schicksalen Vermißter und verschollener Kriegsgefangener der ehemaligen deutschen Wehrmacht (Drucksache 1791) 5949 A Beschlußfassung 5949 A Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksache 1623) . . . . 5949 A Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP), Antragsteller 5949 B Rösing (CDU/CSU) 5950 B Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen 5950 C Erste Beratung des Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs (Zolltarif-Novelle) (Drucksache 1777) . . 5950 D Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen 5950 D Erste Beratung des Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs (Vanadium-Titan-Roheisen, Stromschienen) (Drucksache 1778) 5950 D Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen 5950 D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP betr. § 96 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Drucksachen 1782, 1048) 5950 D Hellenbrock (SPD), Berichterstatter 5950 D Beschlußfassung 5952 C Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Molkereistruktur (Drucksache 1587) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes (Drucksache 1589) . . . . 5952 C, 5960 A Seither (SPD), Antragsteller . . . . 5952 C Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) . . . 5955 C Unterbrechung der Sitzung . 5960 A Kriedemann (SPD) 5960 A Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und an den Haushaltsausschuß . . . . 5962 A Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Getreidegesetzes (Drucksache 1588) 5962 B Kriedemann (SPD), Antragsteller 5962 B, 5965 D Schwarz (CDU/CSU) 5965 B Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik 5966 C Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck 489) . . . 5966 D, 5972 C Beschlußfassung 5966 D Nächste Sitzung 5966 D Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5967 A Anlage 2: Äußerung des Abg. Dr. Furler für den Deutschen Bundestag zu der Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht betr. Aussetzungsbeschluß des Landgerichts Bonn in dem Strafverfahren gegen Dr. Platow wegen aktiver Bestechung u. a. 5968 A Anlage 3: Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Bucher (FDP) zur Abstimmung über den Antrag des Rechtsausschusses zu der Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht betr. Aussetzungsbeschluß des Landgerichts Bonn in dem Strafverfahren gegen Dr. Platow wegen aktiver Bestechung u. a 5972 A Anlage 4: Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck 489) 5972 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schneider eröffnet.
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    *) Siehe Anlage 4. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 23. November Raestrup 19. November Frehsee 15. November Kühn (Bonn) 15. November Matthes 15. November Dr. Miessner 15. November Dr. Starke 15. November Welke 15. November Dr. Atzenroth 12. November Bals 12. November Dr. Brönner 12. November Dr. Elbrächter 12. November Hoogen 12. November Illerhaus 12. November Regling 12. November Albers 5. November Bock 5. November Dr.-Ing. E. h. Schuberth 5. November Dr. Bucerius 31. Oktober Gibbert 30. Oktober Griem 30. Oktober Dr. Baade 29. Oktober Frau Döhring 29. Oktober Dr. Greve 29. Oktober Jahn (Frankfurt) 29. Oktober Dr. Köhler 29. Oktober Kurlbaum 29. Oktober Neuburger 29. Oktober Rehs 29. Oktober Frau Rösch 29. Oktober Frau Dr. Schwarzhaupt 29. Oktober Wehr 29. Oktober Altmaier 28. Oktober Dr. Becker (Hersfeld) 28. Oktober Birkelbach 28. Oktober Fürst von Bismarck 28. Oktober Dr. Blank (Oberhausen) 28. Oktober Dr. Czermak 28. Oktober Dr. Deist 28. Oktober Dr. Drechsel 28. Oktober Dr. Eckhardt 28. Oktober Erler 28. Oktober Even 28. Oktober Feldmann 28. Oktober Gräfin Finckenstein 28. Oktober Dr. Furler 28. Oktober Gerns 28. Oktober Glüsing 28. Oktober Haasler 28. Oktober Dr. Graf Henckel 28. Oktober Dr. Hellwig 28. Oktober Höfler 28. Oktober Dr. Horlacher 28. Oktober Jacobi 28. Oktober Dr. Jentzsch 28. Oktober Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Kalbitzer 28. Oktober Kiesinger 28. Oktober Dr. Kopf 28. Oktober Dr. Kreyssig 28. Oktober Lemmer 28. Oktober Lenz (Brühl) 28. Oktober Dr. Lenz (Godesberg) 28. Oktober Dr. Leverkuehn 28. Oktober Dr. Luchtenberg 28. Oktober Lücker (München) 28. Oktober Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 28. Oktober Dr. Lütkens 28. Oktober Dr. Maier (Stuttgart) 28. Oktober Marx 28. Oktober Frau Meyer-Laule 28. Oktober Dr. Mommer 28. Oktober Dr. Oesterle 28. Oktober Ollenhauer 28. Oktober Paul 28. Oktober Pelster 28. Oktober Dr. Pohle (Düsseldorf) 28. Oktober Dr. Dr. h. c. Pünder 28. Oktober Dr. Reif 28. Oktober Frau Dr. Rehling 28. Oktober Sabaß 28. Oktober Dr. Schmid (Frankfurt) 28. Oktober Dr. Schöne 28. Oktober Frau Schroeder (Berlin) 28. Oktober Schütz 28. Oktober Graf v. Spreti 28. Oktober Sträter 28. Oktober Struve 28. Oktober Trittelvitz 28. Oktober Unertl 28. Oktober Dr. Wahl 28. Oktober Frau Dr. h. c. Weber (Aachen) 28. Oktober Wehner 28. Oktober Frau Welter (Aachen) 28. Oktober Dr. Bergmeyer 27. Oktober Blachstein 27. Oktober Brockmann (Rink'erode) 27. Oktober Dr. Brühler 27. Oktober Frau Finselberger 27. Oktober Frenzel 27. Oktober Dr. Glasmeyer 27. Oktober Kühlthau 27. Oktober Leibfried 27. Oktober Knobloch 27. Oktober Lermer 27. Oktober Dr. Mocker 27. Oktober Niederalt 27. Oktober Dr. Orth 27. Oktober Rasch 27. Oktober Ruhnke 27. Oktober Scheppmann 27. Oktober Schill (Freiburg) 27. Oktober Schmitt (Vockenhausen) 27. Oktober Schmücker 27. Oktober Dr. Schranz 27. Oktober Dr. Welskop 27. Oktober Anlage 2 Aus Drucksache 1793 (Vgl. S. 5928 C) Äußerung des Abgeordneten Dr. Furler für den Deutschen Bundestag I. Im 1. Deutschen Bundestag war auf Grund der Ergebnisse des Platow-Untersuchungsausschusses unter Drucksache Nr. 3935 ein interfraktioneller Antrag über den Entwurf eines Gesetzes über Straffreiheit eingebracht worden. Der hier maßgebliche § 1 wurde in der 273. Sitzung vom 18. Juni 1953 und auf Grund eines Vorschlages des Vermittlungsausschusses (Drucksache Nr. 4656) in der 282. Sitzung vom 29. Juli 1953 erneut in folgender Fassung beschlossen: „§ 1 Wer in der Zeit bis zum 31. Dezember 1951 als Verleger, Journalist oder Angehöriger des öffentlichen Dienstes unmittelbar oder mittelbar Nachrichten, Informationen oder Artikel in strafbarer Weise mitgeteilt, entgegengenommen oder verbreitet oder wer bis zu demselben Zeitpunkt zu einer solchen Handlung angestiftet oder Beihilfe geleistet hat, bleibt straffrei. Straffreiheit tritt auch ein für sonstige Straftaten, die aus Anlaß von Handlungen nach Satz 1 begangen worden sind." Der Gesetzesbeschluß wurde von dem damaligen Bundesminister der Justiz, Dr. Dehler, aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ausgefertigt (vgl. dazu seine Ausführungen in der 273. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages vom 18. Juni 1953 — Stenographische Berichte S. 13545 — und in der 17. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages vom 26. Februar 1954 — Stenographische Berichte S. 604 ff.). Die Verweigerung der Unterschrift verhinderte die Verkündung des Gesetzesbeschlusses. Im 2. Deutschen Bundestag hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit eingebracht (Drucksache 215), der den „Grundgedanken des Bundestagsbeschlusses vom 29. Juli 1953 in § 7 so verwirklichte, daß verfassungsrechtliche Bedenken nicht mehr bestehen" (Begründung zu § 7 des Regierungsentwurfs, S. 14 der Drucksache 215). § '7 wurde als § 8 in folgender Fassung Gesetz (Straffreiheitsgesetz 1954 vom 17. Juli 1954 [BGBl. I S. 203]): „§ 8 Nachrichtentätigkeit Für Straftaten, welche die Mitteilung, Beschaffung oder Verbreitung von Nachrichten über Angelegenheiten zum Gegenstand haben, mit denen Angehörige des öffentlichen Dienstes befaßt sind, oder welche damit derart in Zusammenhang stehen, daß sie solche Taten vorbereiten, fördern, sichern oder decken sollten, wird über die §§ 2, 3 hinaus ohne Rücksicht auf die Höhe der rechtskräftig verhängten oder zu erwartenden Strafe Straffreiheit gewährt, wenn die Tat vor dem 1. Januar 1952 begangen worden ist." Dieser § 8 bringt gegenüber dem § 1 des interfraktionellen Antrages der 1. Wahlperiode aus Drucksache Nr. 3935 wesentliche Veränderungen. 1. Es werden nicht nur Verleger, Journalisten und Angehörige des öffentlichen Dienstes begünstigt, sondern auch andere Personen, wenn sie die allgemeinen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllen. 2. Es werden Teilnehmer nicht nur dann berücksichtigt, wenn sie Anstiftung oder Beihilfe geleistet haben, sondern auch dann, wenn sie als Mittäter gehandelt haben, ohne zu dem begünstigten Personenkreis der früheren Fassung zu gehören (Begründung zu § 7, S. 14 der Drucksache 215). Das Landgericht Bonn will in dem bei ihm anhängigen Strafverfahren gegen Platow u. a. § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 nicht anwenden, da es ihn für verfassungswidrig hält, und zwar aus zwei Gründen: a) Es ist der Auffassung, daß der Bundesgesetzgeber eine unzulässige Abolition (worunter das Landgericht eine Einzelniederschlagung versteht) beschlossen hat. b) Es ist weiter der Auffassung, daß § 8 StFG gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, da die von dieser Norm erfaßten Täter gegenüber anderen unter das Straffreiheitsgesetz fallenden Personen grundlos und willkürlich begünstigt seien. Diese Auffassung geht fehl. § 8 StFG ist nicht verfassungswidrig. II. Das Landgericht geht von dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE Bd 2 S. 222) zutreffend definierten Begriff der Amnestie aus, die vorliegt, wenn die Straffolgen „einer unübersehbaren und unbestimmten, nach Typen gekennzeichneten Zahl von Straftaten" geregelt sind. Es räumt ein, der Wortlaut des § 8 sei durchaus geeignet, eine Amnestie zu bejahen. Denn der Rahmen des in Frage kommenden Personenkreises sei weit gespannt, so daß eine „nicht absehbare Reihe von Verfahren hierunter fallen und nicht allein die Platow-Verfahren" (S. 11 des Aussetzungsbeschlusses unter A b). Aus der Gegenüberstellung der Gesetzesbeschlüsse des 1. und des 2. Deutschen Bundestages ergibt sich, daß bewußt und gerade um verfassungsrechtliche Bedenken auszuräumen, der begünstigte Personenkreis erweitert wurde. Wenn das Landgericht trotzdem die Verfassungswidrigkeit des § 8 behauptet, so deswegen, weil es meint, die Motive, die den Gesetzgeber angeblich leiteten, ergäben, daß dieser „ein dem Inhalt nach verfassungsmäßig unzulässiges Gesetz bewußt unverfänglich formuliert, ihm also eine Wortfassung gegeben hat, die bedenkenlos erscheint". Der Bundestag weist zunächst mit aller Entschiedenheit die in diesem Zusammenhang (S. 11 des Aussetzungsbeschlusses) ausgesprochene Behauptung zurück, sein Verhalten erinnere an Fälle aus der Zeit des Nationalsozialismus. Diese Ausführungen sind ebenso unerhört wie unbegründet. Der Bundestag lehnt es ab, hierauf überhaupt einzugehen. Der Bundestag verwahrt sich sodann mit Nachdruck gegen die Behauptung, er habe ein verfassungsmäßig unzulässiges Gesetz in die Form einer (Dr. Furler) Amnestie gekleidet und sich so auf einem Umwege eine Zuständigkeit verschafft, die ihm nicht zugestanden habe. Die Begründung, die das Landgericht für seine Behauptungen gibt, basiert ausschließlich auf einer Verwertung von Motiven, die zu § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 geführt haben sollen. Obwohl die vom Landgericht behaupteten Motive nicht maßgeblich waren, ist doch grundsätzlich festzustellen, daß eine solche Auswertung der Motive unzulässig ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE Bd. 1 S. 312) sagt: „Maßgebend für 'die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht •entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können". Die Motive des Gesetzgebers sind also nur hilfsweise und nur dann zu verwerten, wenn der Wortlaut des Gesetzes auszulegen ist, diese Auslegung aber ohne Berücksichtigung der Motive eine volle Klarheit nicht schaffen kann. Das Landgericht behauptet aber selbst nicht, der Wortlaut des § 8 StFG gebe zu Zweifeln Anlaß. Es geht dem Gericht lediglich darum, nachzuweisen, daß der Wortlaut des Gesetzes zwar verfassungsmäßig, die Motive aber, die zu ihm geführt haben, verfassungswidrig seien. Der Aussetzungsbeschluß unterbreitet daher dem Bundesverfassungsgericht die angeblichen Motive des Gesetzgebers zur Nachprüfung. Damit wird ein verfassungsrechtlich unzulässiger Weg beschritten. Gegenstand der Normenkontrolle ist „die richterliche Feststellung, daß ein bestimmter Rechtssatz gültig oder ungültig ist, daß also objektives Recht besteht oder nicht besteht" (BVerfGE Bd. 1 S. 406). Die Motive eines Gesetzes sind der richterlichen Nachprüfung entzogen. Die Gewährung von Straffreiheit durch ein Straffreiheitsgesetz ist nicht ein Verwaltungsakt in Gesetzesform, sondern ein Gesetz im materiellen Sinne. In einem solchen Gesetz werden die Straffolgen einer unübersehbaren und unbestimmten, nach Typen gekennzeichneten Zahl von Straftaten geregelt. Im Gegensatz dazu ist die Begnadigung im weiteren Sinne der Verzicht auf das Strafverfolgungsrecht oder auf das Strafvollstrekkungsrecht im Einzelfall oder in einer bestimmten Zahl von Einzelfällen. Entscheidend für die Zuständigkeit zum Erlaß des § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 ist demnach, ob die Regelung des § 8 ein Gesetz im materiellen Sinne darstellt. Zu dem § 8 haben zwar diejenigen Verfahren Anlaß gegeben, die Gegenstand der Verhandlungen des 46. Untersuchungsausschusses des 1. Deutschen Bundestages gewesen sind. Aus den Verhandlungen des erwähnten Untersuchungsausschusses war das von allen Fraktionen des 'Deutschen Bundestages — mit Ausnahme der Kommunisten — bejahte Bedürfnis hervorgetreten, durch eine Amnestie eine Bereinigung von mit der Nachkriegsentwicklung zusammenhängenden Vorkommnissen zu erreichen, wie sie beispielhaft in den Erörterungen jenes Untersuchungsausschusses zutage getreten waren (vgl. Kurzprotokoll der 1. Sitzung des Unterausschusses „Straffreiheitsgesetz" des 23. Ausschusses des Deutschen Bundestages vom 12. März 1953, Stenographische Berichte der 273. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages vom 18. Juni 1953, Abg. Hoogen S. 13543 f.). Es haben also den gesetzgebenden Organen, die den § 8 beschlossen haben, typische Einzelfälle vorgeschwebt, die zum Anlaß oder Beweggrund, nicht aber zum Gegenstand, jedenfalls nicht zum ausschließlichen Gegenstand dieser Regelung wurden. Daß ein solcher Ausgangspunkt für ein Straffreiheitsgesetz nicht das Wesen eines an der Allgemeinheit seiner Regelung orientierten Gesetzes beeinträchtigt, hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluß vom 22. April 1953 (BVerfGE Bd. 2 S. 222) ausgesprochen. Das rechtspolitische Erfordernis, in dem Geltungsbereich des Gesetzes über die seinen Anlaß bildenden Vorkommnisse hinaus eine unbestimmte Zahl noch gar nicht bekannter Verfahren zu erfassen, auch unbekannte Straftaten und Verfahren also in die gesetzliche Regelungeinzubeziehen, ist in den Verhandlungen des Unterausschusses des 23. Ausschusses deutlich herausgestellt worden (vgl. Kurzprotokoll der 1. Sitzung des Unterausschusses „Straffreiheitsgesetz" des 23. Ausschusses vom 12. März 1953). Die Bedenken, die gegen den Gesetzesbeschluß vom 18. Juni/29. Juli 1953 nach dieser Richtung erhoben wurden, haben zu der noch allgemeiner gehaltenen Fassung des § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 geführt. Mit dieser neuen Fassung ist eine materielle und nicht nur eine scheinbare Erweiterung des gesetzlichen Anwendungsbereichs der Vorschrift verbunden. Es trifft nicht zu, daß der § 8 in Wirklichkeit nur diejenigen Strafverfahren erfaßt, die in dem Betreff des Beschlusses der 1. Strafkammer des Landgerichts Bonn 8 K MS 8/53 vom 10. November 1954 genannt sind. Im Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes konnte von keinem der beteiligten Gesetzgebungsorgane überblickt werden, wie viele und welche Einzelfälle von den allgemein gefaßten Merkmalen des § 8 erfaßt werden. Dies läßt sich wahrscheinlich auch heute noch nicht übersehen und erst nach längerer Zeit wird eine Statistik Klarheit darüber schaffen können, in welchen Einzelfällen der § 8 zur Anwendung gekommen ist. Dabei ist zu beachten, daß der § 8 — wie jede Amnestie — auch Straftaten erfaßt, die nicht bekanntwerden, weil sie nie Gegenstand eines Verfahrens wurden. Sollte sich dabei ergeben, daß die Zahl der durch § 8 betroffenen und durch Verfahren bekanntgewordenen Straftaten nicht übermäßig groß ist, so könnte dies kein Grund sein, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift in Zweifel zu ziehen. Durchaus ähnliche Verhältnisse liegen auch bei § 6 Straffreiheitsgesetz 1954 vor, der für die in einem Befehlsnotstand begangenen Taten während des Zusammenbruchs Straffreiheit gewährt. Konkrete Einzelfälle, bei denen der Beweggrund für die Schaffung dieser Vorschrift hervortrat, sind in den Verhandlungen des Rechtsausschusses des 2. Deutschen Bundestages zum Straffreiheitsgesetz erörtert worden. Nach den bisher vorliegenden Zahlen ist der § 6 des Straffreiheitsgesetzes 1954 nur in einer verhältnismäßig geringen Zahl von Strafverfahren angewandt worden. Kein Gericht hat die Gültigkeit des § 6 in Zweifel gezogen, weil be- (Dr. Furler) stimmte Einzelfälle zu ihm Anlaß gaben oder weil der Anwendungsbereich verhältnismäßig gering ist. Der § 8 des Gesetzes vom 17. Juli 1954 enthält daher nicht nur der Form, sondern auch dem Inhalt nach eine Norm, die den Erfordernissen eines Straffreiheitsgesetzes entspricht. III. Das Landgericht Bonn ist der Auffassung, daß § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954' gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, da die Vorschrift im Gegensatz zu den §§ 2 bis 6 und § 7 Abs. 1 keine Beschränkung der Straffreiheit nach der Höhe der Strafe kenne. Für die Bevorzugung der unter § 8 fallenden Personen, denen Straffreiheit ohne Rücksicht auf die Höhe der Strafe gewährt werde, lasse sich nach der Auffassung des Gerichts kein einleuchtender Grund finden. Kein vernünftiger Grund sei insbesondere dafür ersichtlich, die Amnestie nach § 8 über den Geheimnisverrat (§ 353 b und c StGB) hinaus zu erstrecken. Das Landgericht sieht darin eine willkürliche Bevorzugung des unter § 8 des Straffreiheitsgesetzes fallenden Personenkreises. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE Bd. 1 S. 16, Bd. 3 S. 135, 182) ist der Gleichheitsgrundsatz verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, wenn also die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE Bd. 3 S. 135) hat auch anerkannt, daß bei der Formel „Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden" zu behandeln, dem Gesetzgeber noch immer ein weiter Spielraum für die Betätigung seines Ermessens verbleibt. Das Bundesverfassungsgericht könne dem Gesetzgeber erst dann entgegentreten, wenn für eine von ihm angeordnete Differenzierung zwischen verschiedenen Personengruppen sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind, so daß ihre Aufrechterhaltung einen Verstoß gegen das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden darstellen würde. Es erscheint notwendig, die Gründe darzulegen, die sämtliche Fraktionen des 1. Deutschen Bundestages — mit Ausnahme der Kommunisten — in weitgehender Übereinstimmung der Meinungen dazu bestimmt haben, ein Straffreiheitsgesetz für Nachrichtentätigkeit ins Auge zu fassen. Die Feststellungen des 46. Untersuchungsausschusses (vgl. Kurzprotokoll der 1. Sitzung des Unterausschusses „Straffreiheitsgesetz" des 23. Ausschusses vom 12. März 1953, Stenographische Berichte der 273. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 18. Juni 1953 S. 13545) haben ergeben, daß „vor dem gesetzlich festliegenden Stichtag, dem 31. Dezember 1951, in der Bundesverwaltung besondere Anlaufschwierigkeiten und stellenweise große Unsicherheit bestanden haben, die sogar in Einzelfällen dazu geführt haben, daß gleiche Sachverhalte und gleiche Tatbestände in den einzelnen Ministerien und Verwaltungen verschieden behandelt wurden. Gerade das ist es, was den Ausschuß in seiner Mehrheit veranlaßt hat, unter diese Dinge nunmehr einen Schlußstrich zu ziehen" (Abg. Hoogen in der 273. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages vom 18. Juni 1953 S. 13544). In derselben Sitzung vom 18. Juni 1953 führte der Abg. Hoogen (S. 13544 C) weiter aus: „Die Ermittlungen im 46. Untersuchungsausschuß haben nämlich ergeben, daß von Journalisten in mehreren Fällen Bediensteten der Bundesbehörden Geschenke angeboten und auch gegeben worden sind. Diese Geschenke haben zwar keineswegs den Umfang gehabt, wie das in der Öffentlichkeit teilweise behauptet oder verbreitet wurde. Im Ausschuß war man vereinzelt deshalb der Meinung, daß diese Fälle aktiver und passiver Bestechung nicht von der Amnestie mit umfaßt werden sollten. Mit dieser Frage haben sich Rechtsausschuß und Unterausschuß sehr eingehend befaßt. Die Durchführung der Untersuchungen im 46. Ausschuß hat jedoch ergeben, daß die aus den verworrenen Nachkriegsverhältnissen und den Anlaufschwierigkeiten der Bundesverwaltung herrührende Unsicherheit, zu deren Beseitigung das Straffreiheitsgesetz dienen soll, sich insbesondere auch auf die Fälle erstreckt, wo im Einzelfall eine Bestechung möglicherweise anfängt oder aufhört. Nach den durchgeführten Ermittlungen ist es in der Tat sehr schwer, zu sagen, ob Honorare, die ein Beamter angenommen hat, der für irgendeinen Informationsdienst als Informant gewirkt oder Artikel geschrieben hat, Bestechungsgelder gewesen sind oder ob es sich bei ihnen nur um das Entgelt für eine genehmigungspflichtige oder nach den Bestimmungen des Beamtengesetzes sogar um eine genehmigungsfreie Nebenbeschäftigung handelte. Das waren gerade die Schwierigkeiten, unter die wir einen Schlußstrich ziehen wollten. Die Anwendung strengen Rechtes auf alle diese verschieden gelagerten und zwischen den einzelnen Ministerien teilweise sogar verschieden gehandhabten Fälle würde die große Gefahr heraufbeschwören, daß Unrecht an die Stelle von Recht gesetzt würde, weil das Gericht diese Schwierigkeiten und Unterschiedlichkeiten zwar bei der Frage des Strafmaßes, niemals aber bei der Schuldfrage berücksichtigen könnte, sondern zu einer Verurteilung kommen müßte, wenn der Angeklagte durch seine Handlung den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht hat. Das zu verhindern, meine Damen und Herren, und 'deshalb auch bei etwa vorgekommenen Bestechungsfällen keine Ausnahme vom Straffreiheitsgesetz zu machen, war die mit überwiegender Mehrheit geäußerte Meinung des Ausschusses." Das Landgericht Bonn meint (S. 22 seines Beschlusses), daß eine weitgehende Amnestierung der Verstöße gegen die §§ 353 b und c StGB – Geheimnisverrat — auf der Hand lag, da sich hier „einleuchtende Gründe für eine Amnestierung unter Berücksichtigung der zweifellos bestehenden Rechtsunsicherheit in den Beziehungen zwischen Verwaltung und Presse nach dem Chaos des Zusammenbruchs und der Periode des improvisierten Neuaufbaues des Staatsapparates" ergeben. Es sieht aber keine solchen Gründe für die Einbeziehung insbesondere der aktiven und passiven Bestechung für gegeben. Wie zweifelhaft aber gerade im Bereich des Pressewesens die Beurteilung der Strafwürdigkeit eines auf die Erlangung oder die Lieferung von Nachrichten gerichteten Verhaltens sein kann, ergibt sich aus dem Schicksal, das der § 140 der Reichstagsvorlage eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1927 über die Verletzung des Amtsgeheimnisses gehabt hat. Der § 140 des Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs in der Fassung der Reichs- (Dr. Furler) tagsvorlage 1927 (Nr. 3390 der Drucksachen des Reichstags, III. Wahlperiode 1924/27) lautet: § 140 Verletzung des Amtsgeheimnisses Ein Amtsträger oder früherer Amtsträger, der ein ihm kraft seines Amtes anvertrautes oder zugängliches Geheimnis gegen Entgelt oder in der Absicht offenbart, sich oder einem anderen unrechtmäßig einen Vorteil zu verschaffen oder jemand einen Nachteil zuzufügen, wird mit Gefängnis bestraft. Die Tat wird nur auf Verlangen des Vorgesetzten verfolgt." Die Vorschrift war in den Reichstagsausschüssen, die über die Strafrechtsform berieten, starker Kritik ausgesetzt, die schließlich dazu führte, daß der Reichsminister der Justiz Koch-Weser sie fallen ließ (Niederschrift über die 30. Sitzung des 21. Ausschusses [Reichsstrafgesetzbuch] des Reichstages IV. Wahlperiode 1928 S. 1). Reichsminister der Justiz Koch-Weser erklärte, daß nach seiner Auffassung der § 140 jedenfalls in der vorliegenden Form nicht aufrechterhalten werden könne. Einer allgemeinen Vorschrift gegen die Preisgabe von Amtsgeheimnissen stehe entgegen, daß eine sichere Grenze zwischen den strafwürdigen und den nicht strafwürdigen Fällen nicht zu finden sei. Nach der Fassung dieser Vorschrift laufe jeder Staatsmann Gefahr, bestraft zu werden, wenn er über den Verlauf einer Sitzung anderen Mitteilung mache. Die Einschränkungen der Vorlage genügten nicht, um diese Bedenken zu beheben. Strafbar sei nach der Vorlage, wer ein Amtsgeheimnis gegen Entgelt veröffentliche; ein Entgelt sei aber auch das Honorar für einen Zeitungsartikel. Man könne es deshalb, wie bisher, bei der disziplinären Ahndung bewenden lassen. Diese Bedenken führten zur Streichung der Vorschrift, so daß sie in dem Entwurf Kahl eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs (Reichstag V. Wahlperiode 1930, Drucksache Nr. 395) nicht mehr enthalten war. Wenn aber schon in normalen Zeiten solche Meinungen über die Strafwürdigkeit und Nichtstrafwürdigkeit einer entgeltlichen Mitteilung von Amtsgeheimnissen geäußert wurden, so waren Zweifel über die Strafwürdigkeit bei den Vorgängen, die zu § 8 des Straffreiheitsgesetzes Anlaß gaben, um so mehr berechtigt, als es sich dabei um Vorgänge in der Übergangs- und Aufbauzeit der Nachkriegsjahre handelte, in denen sich gefestigte Maßstäbe über das, was erlaubt und nicht erlaubt, strafwürdig und nicht strafwürdig sei, erst wieder bilden mußten. Wenn nun der Gesetzgeber sich entschloß, um der Zweifel an der Strafwürdigkeit mancher Handlungen willen einen Schlußstrich zu ziehen, so war es rechtspolitisch untragbar, in dem Straffreiheitsgesetz selbst zwischen amnestiewürdigen und amnestieunwürdigen Fällen in der Weise zu unterscheiden, daß aktive oder passive Bestechung schlechthin ausgeschlossen oder eine Beurteilung des Einzelfalles zugrunde gelegt wurde. Nur diejenigen Straftaten, deren Amnestieunwürdigkeit offensichtlich war, sind demnach durch den § 9 Abs. 1 von der Straffreiheit ausgeschlossen worden. Im übrigen muß jede Amnestie um des Gleichheitsgrundsatzes willen in Kauf nehmen, daß sie neben zahlreichen amnestiewürdigen auch einzelne Fälle erfaßt, in denen die Gewährung von Straffreiheit nicht gerechtfertigt ist. Den maßgebenden Gesichtspunkt hat der Abgeordnete Dr. Greve hervorgehoben, wenn er in der 1. Sitzung des Unterausschusses „Straffreiheitsgesetz" S. 7 des Protokolls Nr. 1 vom 12. März 1953 ausführt: „Man müsse bei einer Amnestie nach dem Grundsatz des Allgemeinen suchen. Die ausschließliche Betrachtung der einzelnen Fälle führe kaum zu einem brauchbaren Ergebnis, weil man nicht sagen könne, daß man den einen Fall von der Amnestie ausnehmen und den anderen Fall amnestieren wolle. Es käme bei jeder Amnestie vor, daß einzelne Fälle straffrei bleiben, ,die man an sich nicht gerne straffrei lassen wolle. Aber das Bemühen gehe ja gerade dahin, daß die Amnestie ihrem Charakter nach allgemein sein müsse. Er sei nicht dafür, daß man sich einzelne Fälle vorlegen lasse und die Amnestie danach einrichte, so daß der eine Einzelfall darunter falle und der andere nicht. Die Aufgabe des Ausschusses sei es, einen gewissen Rahmen zu ziehen und es dann den zuständigen Stellen zu überlassen, welche Fälle in den Rahmen dieses Gesetzes fallen und welche außerhalb dieses Gesetzes zu bleiben haben. Einzelfälle zu prüfen, sei nicht Aufgabe des Ausschusses oder des Bundestages." Aus diesem Bedürfnis, einen allgemeinen Schlußstrich unter Verhaltensweisen im Presse- und Nachrichtenwesen der Nachkriegsjahre zu ziehen, hat das Gesetz im Bereich des § 8 auch keine Höchststrafgrenze eingeführt. Die Einführung einer Höchststrafgrenze hätte das Gericht unter Umständen genötigt, das Verfahren durchzuführen und erst auf Grund des Ergebnisses der Hauptverhandlung zu beurteilen, ob die Tat unter die Strafgrenze der Amnestie falle oder sie überschreite. Gegenüber dem Gesichtspunkt, durch eine Höchststrafgrenze gewisse strafunwürdige Fälle auszuschließen, hat der Bundestag dem nicht minder sachlich berechtigten Bedürfnis, einen allgemeinen Schlußstrich zu ziehen, den Vorrang gegeben. Eine solche Lösung liegt durchaus im Bereich des weiten Spielraums für die Betätigung des Ermessens des Gesetzgebers, der diesem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE Bd. 3 S. 135) bei der Differenzierung von gesetzlich geordneten Sachverhalten zukommt. Im übrigen stehen dem Gesetzgeber für den Ausschluß amnestieunwürdiger Fälle verschiedene Möglichkeiten offen. Die eine besteht in der Begrenzung der Straffreiheit durch ein Höchstmaß der Strafe. Diese Möglichkeit ist in den §§ 2 bis 6, 7 Abs. 1 des Straffreiheitsgesetzes 1954 verankert. Die andere Möglichkeit besteht in der Schaffung von Ausschlußgründen, die durch normative Tatbestandsmerkmale gekennzeichnet sind. Der ehemalige Bundesminister der Justiz, Dr. Dehler, hat in der 273. Sitzung des Bundestages vom 18. Juni 1953 darauf hingewiesen (Stenographische Berichte S. 13545 C), daß er die Fälle der aktiven und passiven Bestechung für amnestieunwürdig halte, in denen aus ehrloser Gesinnung oder aus Gewinnsucht gehandelt worden ist. In dem Gesetzesbeschluß vom 18. Juni/29. Juli 1953 waren derartige Fälle von der Straffreiheit nicht ausgenommen. Weil dies in der Tat bedenklich gewesen wäre, hat das Straffreiheitsgesetz 1954 auch die Gewährung von Straffreiheit nach § 8 dem allgemeinen Ausschlußgrund des § 9 Abs. 2 unterstellt. Danach sind allgemein von der Straffreiheit Straftaten ausgeschlossen, die auf Gewinnsucht beruhen oder bei denen die Art der Ausführung oder die Beweg- (Dr. Furier) gründe eine gemeine Gesinnung des Täters erkennen lassen. Wenn das Landgericht Bonn in seinem Beschluß vom 10. November 1954 (S. 5) der Oberzeugung Ausdruck gibt, den von jenem Beschluß betroffenen Angeklagten könne nicht der Vorwurf gemacht werden, aus Gewinnsucht oder gemeiner Gesinnung gehandelt zu haben, so kann daraus kein Einwand gegen die Echtheit der Begrenzung der Straffreiheit hergeleitet werden, die sich aus § 9 Abs. 2 auch für die Gewährung von Straffreiheit nach § 8 das Straffreiheitsgesetzes ergibt. Denn der Gesetzgeber hat ja mit Absicht ,die Amnestie des § 8 auch für andere Fälle eröffnet, deren Zahl im einzelnen beim Erlaß des Gesetzes nicht übersehbar und unbestimmt war, und mußte daher den Ausschluß amnestieunwürdiger Fälle durch Aufstellen normativer Straftatbestandsmerkmale, wie sie § 9 Abs. 2 des Gesetzes nennt, sicherstellen. Den gleichen Weg hat der Gesetzgeber auch für die Fälle des § 7 Abs. 2 des Straffreiheitsgesetzes 1954 beschritten, nach dem gleichfalls Straffreiheit bei Verschleierung des Personenstandes ohne Rücksicht auf die Strafe gewährt wird. Es liegen demnach einleuchtende Gründe für die besondere Regelung des § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 vor. Der Vorwurf einer willkürlichen Bevorzugung des darin genannten Personenkreises ist nicht begründet. Anlage 3 (Vgl. S. 5928 D) Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Bucher (FDP) gemäß § 59 der Geschäftsordnung zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht betreffend Aussetzungsbeschluß des Landgerichts Bonn vom 10. November 1954 in dem Strafverfahren gegen Dr. Platow u. a. wegen aktiver Bestechung: Bei der Abstimmung über den Mündlichen Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht (Fall Platow) — Drucksache 1793, Punkt 2 der heutigen Tagesordnung — habe ich mit „Nein" gestimmt, weil ich in der Sache den Standpunkt des Landgerichts Bonn für richtig halte. Insbesondere ergibt eine konkrete Betrachtung, daß unter § 8 des Straffreiheitsgesetzes tatsächlich nur die unter dem Stichwort „Platow" zusammengefaßten Sachen fallen. Auch der Bericht kann nicht darlegen, welche anderen Einzelfälle hier noch in Betracht kommen könnten. Nicht dagegen identifiziere ich mich mit den Auslassungen des Landgerichts Bonn, die dahin gehen, der Bundestag habe „bewußt ein inhaltlich verfassungswidriges Gesetz unverfänglich formuliert" und „sein Verhalten erinnere an Fälle aus der Zeit des Nationalsozialismus". Der Zurückweisung dieser Vorwürfe seitens des Berichterstatters stimme ich zu. Bonn, den 27. Oktober 1955 Dr. Bucher Anlage 4 Umdruck 489 (Vgl. S. 5966 D) Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse Der Bundestag wolle beschließen: Die folgenden Anträge werden gemäß § 99 Abs. 1 der Geschäftsordnung ohne Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen: 1. Antrag der Abgeordneten Dr. Atzenroth, Dr. Weber (Koblenz), Odenthal und Genossen betreffend Bau einer Rheinbrücke bei Bendorf (Drucksache 1709) an den Haushaltsausschuß (federführend) und an den Ausschuß für Verkehrswesen; 2. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Berliner Porzellan-Manufaktur (Drucksache 1772) an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen; 3. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Zollfreie Einfuhr von Kaffee und Tee im Reiseverkehr (Drucksache 1773) an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen. Bonn, den 18. Oktober 1955 Dr. Krone und Fraktion Ollenhauer und Fraktion Dr. Dehler und Fraktion Dr. Mocker und Fraktion Dr. Brühler und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ewald Bucher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den uns die Bundesregierung vorlegt, besteht aus zwei Teilen: einer Novelle, die mit den Wünschen und Vorschlägen des Bundesverfassungsgerichts in Einklang steht, und zum anderen aus Reformvorschlägen, die außerdem noch hinzugefügt worden sind. Für den ersten Teil besteht wirklich eine dringende Notwendigkeit, und wir sind der Bundesregierung zu Dank verpflichtet, daß sie dieses Gesetz so bald wie möglich vorgelegt hat.
    Ich kann mich nach dem, was der Herr Bundesjustizminister hierüber ausgeführt hat, dazu kurz fassen. Daß die Geschäftsverteilung beim Bundesverfassungsgericht so nicht bleiben kann, wie sie ist, ist unbestritten. Daß sie beweglich gestaltet werden soll, ist ein sehr guter Vorschlag. Ich möchte hier betonen: Dieser Punkt der Reform ist der allerdringendste im Hinblick vor allem auf die großen Rückstände, die sich bei dem Gericht angesammelt haben, Rückstände, die bereits dazu geführt haben, daß man, wie es auch in der Begründung der Bundesregierung heißt, von einem „Stillstand der Rechtspflege" gesprochen hat.
    Die weiteren Reformen, die damit verknüpft sind, sind ebenfalls zu bejahen: Einschaltung einer Vorprüfung bei der Verfassungsbeschwerde. Ich glaube, es bestehen dagegen keine Bedenken. Die Verfassungsbeschwerde ist ja im Grundgesetz nicht vorgesehen. Man hat also hier ein Mehr gegenüber dem Grundgesetz gegeben. Wenn nun in vielen Fällen die Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde statt in die Hände von 12 in die Hände von drei Richtern gelegt wird, so dürfte dagegen nichts einzuwenden sein.
    Einschränkung des Gutachtens. Auch hier stimme ich zu. Ich möchte eigentlich noch weiter gehen und dem ursprünglichen Vorschlag des Gerichts zustimmen, das Gutachten überhaupt abzuschaffen. Denn es ist ein Fremdkörper im Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Ich konnte mich seinerzeit nicht ganz der Argumentation jenes vielbeachteten Beschlusses entziehen, wonach das Gutachten für das Plenum bindend sein soll; denn wenn man schon dem höchsten Gericht die Aufgabe gibt, Gutachten zu erstatten, so wäre es eigenartig, wenn das Gericht dann nachher in einem Urteil möglicherweise von seinem Gutachten wieder abweichen könnte. Also, wie gesagt, es wäre besser, das Gutachten überhaupt wegfallen zu lassen.
    Nun zum zweiten Teil dessen, was uns hier vorgeschlagen wird. Es sind zwei Punkte: einmal die Herabsetzung der Richterzahl, zum anderen die Änderung des Wahlmodus.
    Gegen die Herabsetzung der Richterzahl sind zweifellos keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen oder verfassungspolitischen Bedenken zu erheben. Im Gegenteil, ich halte es für ein durchaus positives und begrüßenswertes Ziel — auf die Dauer gesehen —, vorn Zwillingsgericht weg zu einem einheitlichen Gericht zu kommen. Nur habe ich erhebliche Zweifel, ob das jetzt schon möglich ist. Wir müssen bedenken, daß unser Grundgesetz immer noch verhältnismäßig neu ist, daß das Bundesverfassungsgericht neu ist und daß deshalb die Rechtsprechung natürlich viel erheblichere Schwierigkeiten bietet, als wenn sie einmal eingefahren ist. Auch könnte ich mir denken, daß die Reform, die wir im ersten Teil des Gesetzes nun machen wollen, eine Erleichterung der Arbeitslast mit sich bringt, die es spät er erlauben wird, die Richterzahl herabzusetzen.
    Ich muß hier nochmals auf das hinweisen, was ich vorhin sagte: daß große Rückstände beim Gericht vorhanden sind. Unter diesen Rückständen befinden sich so wichtige Dinge wie die Frage der Ehegattenbesteuerung, Angriffe gegen Gesetze zu Art. 12 des Grundgesetzes , Rückwirkung von Steuergesetzen, Bodenreformgesetze usw. Es ist vielleicht ein Widerspruch zu der Reform der Geschäftsverteilung, wenn wir nun gleichzeitig die Zahl der Richter herabsetzen. Nicht ganz unproblematisch ist in diesem Zusammenhang auch die geplante Abschaffung des Quorums. Aber, wie gesagt, das sind Probleme, über die man sich im Ausschuß wird unterhalten müssen und die jedenfalls nicht Anlaß zu grundlegenden Bedenken geben.
    Nun aber zum Hauptproblem dieser Vorlage, oder vielmehr nicht Hauptproblem, sondern zu dem — wie es der Herr Minister ausgedrückt hat — am meisten diskutierten Problem. Es ist der Wahlmodus. Der Herr Berichterstatter im Bundesrat hat zu dieser Sache gesagt, sie rühre an die Wurzeln der Verfassungsgerichtsbarkeit und damit an die Wurzeln des Verfassungslebens. Ich muß deshalb hierzu einige grundsätzliche Berner-kungen über die Verfassungsgerichtsbarkeit und über unser Verfassungsgericht machen. Denn wenn wir uns mit den Wurzeln der Verfassungsgerichtsbarkeit befassen — und ich stimme der Ansicht zu, daß es sich hier darum handelt —, müssen wir uns zuvor darüber klar sein, um was es bei ihr überhaupt geht.
    Die Dreiteilung der Gewalten hat immer mehr dazu geführt, daß die Rechtsprechung nicht nur neben Legislative und Exekutive steht, sondern über ihnen. Anders gesagt: auch der demokratische Staat bedarf einer gewissen Autorität; Autorität natürlich nicht gemeint als Machtfaktor in der Hand von Personen oder Gruppen, sondern im Sinne einer Institution, die über den Parteien steht und allgemeines Vertrauen genießt. So ist die Entwicklung überall zum materiellen Prüfungsrecht der Gerichte und zur Verfassungsgerichtsbarkeit gegangen. Die Lösung, die wir in der Bundesrepublik gefunden haben, ist zweifellos materiell die weitestgehende und formell die vollendetste; wenn man es abschätzig betrachtet, könnte man sagen, die perfektionierteste. In der Sache aber geht das Prüfungsrecht z. B. in den Vereinigten Staaten genau so weit, wenn es auch nur in concreto ge-


    (Dr. Bucher)

    handhabt wird, nicht in Form abstrakter Kontrolle. Ich zitiere hier ein Wort des Oberrichters Hughes, der sagt: We are under Constitution, but the Constitution is what the judges say it is. Also: Wir leben unter einer Verfassung, aber die Verfassung ist das, was die Richter sagen, daß sie sei. Das ist eine etwas überspitzte Formulierung der Autorität, die der Rechtsprechung über die Gesetzgebung zusteht. Wenn wir in der Bundesrepublik hierbei vielleicht, wie es manchem scheinen mag, etwas zu weit gegangen sind und die Sache etwas zu sehr perfektioniert haben, so ist das durchaus verständlich und war sehr angebracht als Reaktion auf zwölf Jahre, in denen das Recht und die Justiz von der Staatsführung gröblichst beschimpft und bei jeder Gelegenheit zurückgedrängt wurden. Wenn man das heute als zu perfektioniert beanstandet, so muß ich doch fragen: Ist es dazu heute schon an der Zeit? Können wir die Rechtsstaatlichkeit, wie wir sie geschaffen haben, schon als Luxus betrachten und etwa von Exzessen des Justizstaates sprechen? Ich glaube, daß es dazu heute noch nicht an der Zeit ist.
    Nun zum Bundesverfassungsgericht selbst. Es ist kein Geheimnis, daß Zweifel laut geworden sind, ob sich dieses Gericht bewährt habe, daß ein Mißbehagen vor allem auf seiten der Bundesregierung über dieses Gericht geäußert worden ist. Man macht vor allem einen Vorwurf. Man sagt, das Bundesverfassungsgericht komme schon nach seiner Anlage im Gesetz dazu, Politik und Recht zu vermischen; es werde häufig überfordert, indem man von ihm verlange, politische Entscheidungen zu treffen. Ich darf dazu zurückgreifen auf das, was im 1. Bundestag hierzu gesagt wurde. Alle Fraktionen haben ausgeführt, daß das Bundesverfassungsgericht keine politischen Entscheidungen im Gewand eines Richterspruchs zu treffen habe, daß es keine politische Führungsaufgabe habe, daß es nicht Recht gestalten, sondern auslegen solle. Das sind Zitate aus Ausführungen der damaligen Abgeordneten Laforet; Arndt und Wahl. Ausgerechnet nur der Abgeordnete Fisch von der KPD beanstandete, daß hier soviel Machtfülle in die Hände der Justiz gelegt werde.
    Daß politische Entscheidungen an das Gericht herangetragen werden, ist allerdings nicht zu verhindern, genauso wie man an ein Zivilgericht eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit herantragen kann. Aber es ist dann eben Aufgabe des Gerichts, hier das Öffentlich-rechtliche vom Zivilen, dort das Politische vom Rechtlichen zu scheiden, und man darf doch feststellen, daß das dem Bundesverfassungsgericht bisher in allen Fällen gelungen ist. Ich darf nur auf ein Beispiel aus der Wirtschaft verweisen: die Entscheidung zum Investitionshilfegesetz. Hier ist mit sehr deutlichen Worten ausgeführt, der Gesetzgeber habe ein weites Ermessen, wie er die Wirtschaftspolitik gestalten wolle, und das Gericht habe nur einzugreifen, wenn dieses Ermessen überschritten sei, was hier aber nicht der Fall sei.
    Ich habe wirklich das Bedürfnis, festzustellen, daß das Bundesverfassungsgericht bis jetzt seine Aufgabe erfüllt hat. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren, was der von mir vorher schon genannte Berichterstatter des Rechtsausschusses des Bundesrates, Herr Senator Dr. Weber (Hamburg), hierzu gesagt hat. Er hat hierzu Außerungen gemacht, die so temperamentvoll waren, daß sie in den feierlichen Hallen des Bundesrates einiges Aufsehen erregt haben. Aber ich finde, man kann es nicht besser ausdrücken, als er es sagte:
    So schlecht der Wahlmodus sein mag, so gut ist das Gericht. Es ist nämlich eine Tatsache, die man gerade in diesem Augenblick aussprechen sollte, daß das Bundesverfassungsgericht sich in der verhältnismäßig kurzen Zeit seines Bestehens einen seiner verfassungsrechtlichen Bedeutung entsprechenden Ruf und ein hohes Ansehen geschaffen hat. Hierzu haben nicht zum wenigsten die klaren, ich darf aber auch sagen, die mutigen Entscheidungen dieses Gerichts beigetragen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur im Verfassungsrecht, sondern in der Verfassungswirklichkeit eine überragende Stellung erlangt. Seine Rechtsprechung hat eindeutig erwiesen, daß das Gerede darüber, welcher politischen Partei die einzelnen Richter angehören oder nahestehen, und ebenso das Gerede vom roten und vom schwarzen Senat nichts als unverantwortlicher Unsinn sind.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Damit glaube ich das zweite Argument erledigt zu haben, das nicht ernst genommen werden kann, das Bundesverfassungsgericht sei in seiner bisherigen Tätigkeit irgendwie parteiisch gewesen. Ich glaube, das wird auch heute niemand ernsthaft behaupten. Aber wir sind es dem Ansehen dieser Institution schuldig, auch einmal von dieser Stelle zu sagen, daß solche Vorwürfe völlig aus der Luft gegriffen sind.
    Nun zu den Überlegungen, wie das Gericht, dem eine so große Bedeutung zukommt und das sich bisher ein so hohes Ansehen errungen hat, ergänzt werden soll. Die jetzige Lösung ist zweifellos unbefriedigend, und zwar aus zwei Gründen: einmal deshalb, weil die Kontrolleure allein von den zu Kontrollierenden gewählt werden, und zum zweiten deshalb, weil der Wahlmodus die Möglichkeit zu Verzögerungen der Wahl gibt. Unsere Fraktion ist sich noch nicht darüber schlüssig, ob die Konsequenz, die die Bundesregierung mit ihrem neuen Vorschlag daraus zieht, die richtige ist. Diejenigen, die diesem Vorschlag zustimmen, sehen vor allem den zweiten Mangel der jetzigen Lösung, die Möglichkeit von Verzägerungen, und das sind naturgemäß vor allem diejenigen Damen und Herren, die bereits im 1. Bundestag waren und den Fall damals miterlebt haben, daß die Neubestellung eines Richters sich über zwei Jahre hinzog. Ich möchte auf diesen Einzelfall nicht einmal soviel Gewicht legen. Aber schon die Befürchtung, daß es bei der bevorstehenden Wahl von acht Richtern auch wieder zu einer solchen Verzögerung kommen könnte, ist natürlich sehr ernst zu nehmen. Diese Befürchtung kann auch nicht damit abgetan werden, daß man sagt: Jeder, auch die Opposition, muß ein Interesse daran haben, daß das Gericht funktionsfähig bleibt, sonst kann man ja keine Klagen bei ihm anbringen! Wenn das Gericht nicht funktionsfähig ist, so ist das ein Schaden für das öffentliche Wohl und nicht nur, je nachdem, für die Mehrheit oder für die Minderheit!
    Ich möchte aber nun den anderen Standpunkt darlegen, der auch mein Standpunkt ist. Ich spreche also im folgenden nur noch für meine Person. Ich sehe mehr das erste Bedenken gegen die jetzige Lösung, nämlich daß die zu Kontrollierenden die Kontrolleure wählen, und ich fürchte, daß, wenn wir dem Vorschlag der Bundesregierung folgen dieses Bedenken noch verstärkt wird. Bisher konnte wenigstens ein Kompromiß zustande kom


    (Dr. Bucher)

    men. In der Zukunft aber könnte es sein, daß ein Richter überhaupt nur von einer Partei oder von einer einseitigen Regierungsmehrheit gewählt wird. Dagegen sagt man nun: Man muß auch Vertrauen zur Mehrheit haben! — Selbstverständlich, Vertrauen soll auch im parlamentarischen Leben herrschen. Nun, im 1. Bundestag war man sich darüber einig, daß dieses wichtige Organisationsgesetz nur einstimmig beschlossen werden dürfe. Ich darf hierzu mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren, was der Abgeordnete Dr. von Merkatz in der 112. Sitzung des 1. Bundestages gesagt hat: Die Organisation des Bundesverfassungsgerichts muß vom Willen aller Fraktionen getragen werden. — Dem hat sich vor allem der Abgeordnete Kiesinger angeschlossen, dem, soviel ich weiß, die damals zustande gekommene Einigung in erster Linie zu verdanken war. Auf diese Übereinstimmung sollte man auch heute noch vertrauen dürfen. Aber ein Vertrauen darauf, daß nun die jeweilige Mehrheit, nicht die heutige und nicht die von morgen, sondern die jeweilige Mehrheit hier eine richtige Wahl treffen wird, scheint mir doch nicht angebracht zu sein. Ich denke hier an das Wort Stifters: „Wie wenige sind es, die zu wählen verstehen!" Ich meine ganz im Gegenteil, hier müßte im Parlament eine Atmosphäre, sagen wir einmal, des herzlichen Mißtrauens herrschen; denn es ist Aufgabe der Opposition, von Amts wegen mißtrauisch zu sein gegen die Regierung, gegen die Regierungsparteien, aber auch gegen sich selbst als eventuelle künftige Regierungspartei.
    Weiter argumentiert die Bundesregierung vor allem damit, daß ja auch der Bundeskanzler und der Bundespräsident mit einfacher, eventuell sogar
    nur mit relativer Mehrheit gewählt werden. Aber hier handelt es sich um Institutionen der Exekutive. Der Bundeskanzler ist der Repräsentant der Regierungsmehrheit. Der Bundespräsident hat die Entscheidungen der Regierungsmehrheit auszuführen; er kann höchstens das Bundesverfassungsgericht fragen, aber er kann nicht selbst etwa einen Gesetzesbeschluß des Bundestages oder des Bundesrates für rechtsunwirksam erklären. Das Bundesverfassungsgericht ist demgegenüber gerade der Hüter der Rechte der Minderheit. Es soll sagen, was Rechtens ist, und zwar in einer Form, die bindend ist und sogar in manchen Fällen Gesetzeskraft hat, endgültige Gesetzeskraft, die von niemandem mehr in Zweifel gezogen werden kann.
    Diese Stellung, die das Bundesverfassungsgericht hat, erinnert also in gewissem Sinne an den Begriff der Unfehlbarkeit in rechtlichen Dingen, und dieser Begriff führt mich auch ,auf eine Parallele, die man mir nicht übelnehmen möge. Auch der Papst, der ja in religiösen Fragen unfehlbar ist, wird mit einer Zweidrittelmehrheit und in einem Konklave gewählt, das so lange dauert, bis diese Zweidrittelmehrheit zustande kommt. Ich weiß, daß dieser Vergleich sehr hinkt und hier als Parallele zum Bundesverfassungsgericht eigentlich nicht gebracht werden kann. Aber es handelt sich hier eben auch urn Mitglieder einer sehr wesentlichen Institution, deren Wahl wir nicht einer einfachen Mehrheit anvertrauen können. Meiner Ansicht nach müßte man sogar von vornherein denjenigen als einen schlechten Richter betrachten, der sich von einer einseitig zusammengesetzten Mehrheit in dieses Gericht wählen ließe.
    Es ist natürlich dem Regierungsentwurf zuzugeben, daß er in keiner Weise gegen die Verfassung verstößt. Es wäre durchaus möglich, diese Lösung zu treffen. Aber man war sich auch im 1. Bundestag darüber einig, daß das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht materiellen Verfassungsrang hat. Der Abgeordnete von Merkatz hat von einer Krönung des Rechtsstaates gesprochen, von dem Wesentlichen, das wir dem Bolschewismus entgegensetzen können, und hat den materiellen verfassungsrechtlichen Inhalt dieses Gesetzes, das nicht nur ein Organisationsgesetz sei, besonders hervorgehoben. Deshalb wäre auch heute, wenn wir das Gesetz ändern, hierbei wieder möglichst eine Einstimmdgkeit erwünscht.
    Schließlich gebe ich noch zu bedenken, daß wir in unserer Verfassung das konstruktive Mißtrauensvotum haben und daß es wohl nur ein gutes Gegengewicht gegen diese Einrichtung ist, deren Berechtigung ich bejahe, wenn dafür gesorgt wird, daß eine möglichst große Mehrheit bei der Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts vorhanden ist. Trotzdem — ich sagte es zu Anfang — ist es unbefriedigend, daß nur die zu Kontrollierenden wählen sollen, und ich habe doch die Hoffnung, daß hier eine Lösung gefunden werden kann, die dies vermeidet. Jedenfalls müssen wir feststellen, daß der Widerhall, den der Vorschlag der Bundesregierung in der Presse gefunden hat, allgemein sehr ungünstig war. Man sprach vom Regierungsgericht, man sprach von Gefahr im Verzuge, und zwar in Blättern, die der Bundesregierung durchaus nahestehen. An anderer Stelle wurde zitiert, was Plato in seiner „Republik" den Thrasymachos sagen läßt. Dort heißt es: „Ich behaupte, daß Gerechtigkeit und Recht nichts anderes bedeuten als das Interesse der stärkeren Partei." Wir können uns über dieses Echo der Öffentlichkeit nicht hinwegsetzen. Selbstverständlich unterstelle ich ,der Bundesregierung nicht, ,daß sie hier etwa das Interesse der stärkeren Partei im Gesetz verankern wolle und daß dies, wie gesagt wurde, der erste Schritt zur Einschränkung ,der Rechte des Bundesverfassungsgerichts sei. Aber wir müssen schon den Verdacht vermeiden, daß so etwas überhaupt geplant worden sei. Eine gewisse Hoffnung hierfür gibt mir das, was die Bundesregierung am Schluß ihrer Stellungnahme zu den Vorschlägen des Bundesrates ausführt, was allerdings der Herr Minister heute wieder etwas eingeschränkt hat. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren:
    Die Bundesregierung würde es . . . begrüßen, wenn im Verlauf des weiteren Gesetzgebungsverfahrens durch eine Änderung des Grundgesetzes die Voraussetzung für eine andere Lösung des Problems geschaffen werden könnte. Eine Regelung, die dem Anliegen der Bundesregierung gerecht wird und gleichzeitig den erhobenen Bedenken Rechnung trägt, könnte etwa darin gesehen werden, daß an Stelle der zuständigen Wahlkörperschaft ein anderes Organ entscheidet, wenn eine Wahl durch die betreffende Wahlkörperschaft innerhalb einer ausreichend bemessenen Frist nicht zustande gekommen ist.
    Ich könnte mir die Lösung auch noch in anderem Sinne denken, technisch etwa so, daß ein Präsentationsrecht geschaffen wird und für einen zu wählenden Kandidaten drei oder vier oder fünf Personen von einem Gremium, etwa der Oberlandesgerichtspräsidenten oder der juristischen Fakultäten oder vielleicht vom Gericht selbst vorgeschlagen werden und daß dann die Wahlgremien von


    (Dr. Bucher)

    Bundestag und Bundesrat binnen bestimmter Frist zu diesem Vorschlag Stellung nehmen müssen, wobei sie auch völlig von ihm abweichen können. Wenn sie aber die Frist verstreichen lassen, soll der Bundespräsident einen der Vorgeschlagenen ernennen können. Es gibt viele denkbare Möglichkeiten für eine befriedigende Lösung. Aber wir müssen bei der Ausarbeitung dieses Gesetzes auf zwei Dinge Bedacht nehmen, einmal darauf, daß wir das 'dringende Anliegen einer baldigen Reform der Geschäftsverteilung nicht ungebührlich lange verzögern, indem wir das Gesetz noch mit anderen Problemen belasten, und zum zweiten darauf, daß wir nicht ein Gesetz schaffen, in dem Gerechtigkeit und Recht wirklich nur das Interesse der stärkeren Partei oder der Mehrheit bedeuten würden.

    (Beifall rechts.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ludwig Metzger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage, die diesem Gesetzentwurf zugrunde liegt, ist von solcher Bedeutung, daß, wenn wir uns auf sie beschränkt hätten, es sehr wohl möglich gewesen wäre, eine einheitliche Meinung zu bilden und eine einheitliche Entscheidung zu treffen. Sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat hätten sie sicher gefunden.
    Herr Kollege Bucher hat in Worten, denen ich nichts hinzuzufügen habe, die Bedeutung und die Stellung des Bundesverfassungsgerichts dargelegt. Das Bundesverfassungsgericht ist in erhebliche Not geraten. Wir haben es bereits dargestellt bekommen: Der Erste Senat erstickt in der Überfülle der Arbeit, der Zweite Senat ist unterbeschäftigt, und wir müssen in der Tat davon reden, daß so etwas wie ein Stillstand der Rechtspflege, ein Rechtsnotstand vorliegt, und die Frage, die wir zu entscheiden haben, ist die, wie wir diesem Rechtsnotstand abhelfen können, d. h. wie wir dafür sorgen können, daß die Arbeitsüberlastung des Ersten Senats abgebaut werden kann, damit das Gericht im ganzen wieder arbeits- und funktionsfähig wird. Hätten wir uns auf diese Frage beschränkt, dann hätten wir — ich wiederhole es — dieses Gesetz sehr schnell verabschieden können, ja, dann könnte es schon verabschiedet sein. Das Bundesverfassungsgericht, das ja am meisten betroffen ist, hat eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Drei wesentliche Punkte sind von ihm dargestellt worden. Es hat über die Mittel, durch die man den Notstand beseitigen kann, eine ausführliche gutachtliche Äußerung geschrieben. Drei Punkte sind es: Eine Änderung der Geschäftsverteilung, eine Änderung des Verfahrens bei den Verfassungsbeschwerden durch Einbau eines Vorprüfungsverfahrens und eine Reform des Gutachtenverfahrens. Wir alle durften erwarten — ich werde noch darauf eingehen —, daß die Bundesregierung, von diesen Vorschlägen ausgehend, einen Gesetzentwurf vorlegte. Als aber der Gesetzentwurf kam, da haben wir zu unserer großen Bestürzung gesehen, daß neben diesen Fragen ganz andere Dinge geregelt werden sollten, gewissermaßen unter der Hand. Es ist vorgesehen eine Herabsetzung der Richterzahl und eine Umgestaltung des Modus der Richterwahl. Die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn im ersten Wahlgang mit einer qualifizierten Mehrheit sowohl im Wahlmännergremium des Bundestages als auch im Bundesrat eine Wahl nicht sofort zustande kommt, sollen damit aus dem Wege geräumt werden, daß die Richter in einem anschließenden zweiten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt werden können.
    Wir haben uns die Frage vorzulegen: Wie ist es möglich, daß plötzlich in diesen Gesetzentwurf solche weitgehenden Vorschläge aufgenommen worden sind? Dabei kann ich es mir nicht ersparen, noch einmal kurz auf die historischen Vorgänge einzugehen. Herr Kollege Greve hat anläßlich der Haushaltsdebatte namens meiner Fraktion schon einiges dazu gesagt. Wir wissen, daß das Bundesjustizministerium schon seit langem mit dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Die Vertreter meiner Fraktion im Rechtsausschuß haben nichts Gutes geahnt und schon sehr frühzeitig danach gefragt, wie es mit dieser Gesetzgebung aussieht und was geplant ist. Wir haben nun anläßlich dieser Debatte im Rechtsausschuß sehr beruhigende Erklärungen erhalten.
    Zum erstenmal haben wir über die Frage gesprochen in der Sitzung des Rechtsausschusses am 11. November 1954. Damals hat uns der Herr Bundesjustizminister Erklärungen abgegeben. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen, was der Herr Bundesjustizminister damals gesagt hat. Denn mir scheint, es kommt auf das an, was der Herr Bundesjustizminister damals in der Haushaltsdebatte dazu erklärt hat. Herr Kollege Arndt hat ihn gefragt, wie denn nun die Dinge stehen. Der Herr Justizminister hat gesagt,
    daß es sehr schwer sei, in diesem Vorstadium etwas Genaues zu sagen. Wenn die Vorbereitungen weiter gediehen seien, werde man gern Gelegenheit nehmen, darüber zu berichten, sei es im Ausschuß, sei es in Form der Zuziehung einiger Mitglieder der Fraktionen einschließlich der Opposition. Im Januar habe man nur von der dringendsten Aufgabe, der Entlastung des Ersten Senats, gesprochen. Vom Bundesverfassungsgericht seien weitere Anregungen gekommen.
    — Das sind eben die Anregungen, die sich auf die Verfassungsbeschwerde und auf das Gutachtenverfahren beziehen. —
    So habe man auch an eine gewisse Einschränkung bei der Verfassungsbeschwerde gedacht. Das alles sei aber noch im Gange und berühre schon das Gebiet der großen Lösung. Man stehe in ständigem Kontakt mit dem Bundesverfassungsgericht.
    In der Sitzung des Rechtsausschusses vom 8. Februar 1955 ist die Frage erneut angeschnitten worden, und zwar von Herrn Kollegen Weber von der CDU. Damals hat der Herr Bundesjustizminister erklärt,
    das Bundesjustizministerium stehe schon seit längerer Zeit mit dem Bundesverfassungsgericht in direkten Verhandlungen und habe auch schon entsprechende Vorschläge des Bundesverfassungsgerichts erhalten,
    — das ist das Gutachten vom 23. Dezember 1954 —
    die sich durchaus mit der Auffassung des Bundesjustizministeriums deckten. Diese Vorschläge müßten nur noch mit den übrigen Ressorts abgestimmt werden. Die Bundesregierung beabsichtige, sobald eine Übereinstimmung unter den Ressorts erzielt worden sei, je einen Vertreter der fünf Fraktionen des Bundestages zu einer Besprechung dieser An-


    (Metzger)

    gelegenheit im kleinen Rahmen zu bitten, bevor die Sache dann ans Kabinett und an den Bundestag gebracht werde.
    Sie sehen also, das Versprechen, das im November 1954 gegeben worden ist, ist im Februar 1955 ausdrücklich und in aller Form erhärtet worden. Wie sind die Dinge aber in Wirklichkeit gegangen? Eines schönen Tages erfahren wir, daß sich das Bundeskabinett mit der Frage befaßt hat und daß der Gesetzentwurf an den Bundesrat gegangen ist. Nach der Beschlußfassung im Bundeskabinett hat der Herr Bundesjustizminister meinen Kollegen Dr. Arndt zwar schamhaft unterrichtet über das, was vollendete Tatsache geworden ist, aber er hat es unterlassen, bevor der Gesetzentwurf dem Kabinett vorgelegt worden ist, die Parteivertreter, vor allen Dingen die Opposition zu hören. Wir wissen nicht, ob die Vertreter der Koalition gehört worden sind. Fest steht, daß die Vertreter der Opposition entgegen dem gegebenen Versprechen nicht gehört worden sind.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir müssen uns fragen: Warum ist das geschehen? Dazu hat der Herr Bundesjustizminister in der Sitzung des Plenums des Bundestages anläßlich der Debatte über den Haushalt ja auch einiges gesagt. Er hat zunächst sich damit entschuldigen zu können geglaubt, daß Herr Kollege Ollenhauer ihm einen Brief geschickt habe, als es darum ging, in einer bestimmten Frage für die Vorbereitung eines Gesetzes einen ständigen Ausschuß zu bilden. Herr Kollege Ollenhauer hatte geäußert, man solle Exekutive und Legislative nicht miteinander vermischen. Das sei ihm, so sagte der Herr Justizminister, ein Anlaß gewesen, das gegebene Versprechen nicht zu halten. Nun, ich glaube, das kann wohl kaum als eine ernsthafte Begründung angesehen werden. Denn hier handelt es sich um einen ganz anderen Fall. Wir sind uns im Rechtsausschuß, und zwar alle Parteien, einig in dem Wunsch gewesen, daß der Herr Bundesjustizminister uns von Zeit zu Zeit über seine Arbeit informiert, daß wir miteinander über das sprechen, was geplant ist, und daß man vorher auch schon gewisse Dinge abstimmt. Das ist etwas ganz anderes, als wenn Exekutive und Legislative gemeinsam einen Gesetzentwurf erarbeiten. Dieser Einwand zieht also nicht. Ich kann nichts anderes sagen: Es ist ein schlechter Grund, der hier von dem Herrn Bundesjustizminister angegeben worden ist.
    Wir haben bei dieser Gelegenheit aber auch noch etwas anderes erfahren. Der Herr Bundesjustizminister hat uns in dieser Plenarsitzung gesagt, daß er zunächst einmal einen Entwurf vorgelegt habe, der die kleine Reform enthalten habe. Der Entwurf hat offenbar das enthalten, was mit dem Bundesverfassungsgericht besprochen worden ist, dessen alleiniges Ziel es gewesen ist, die Überlastung des Bundesverfassungsgerichts zu beheben. Aber im Kabinett habe man dann darauf bestanden, weitere Punkte in dieses Gesetz aufzunehmen,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    also weit über den Zweck des Gesetzes, eine Überlastung des Bundesverfassungsgerichts zu beseitigen, hinauszugehen.

    (Zuruf von der SPD: Sehr interessant!)

    Es ist offensichtlich, wie die Dinge zustande gekommen sind. Darüber ist in der Presse wie auch
    im Bundestag schon mancherlei gesagt worden.
    Man könnte die Vermutung haben, daß es dem Bundesjustizminister mit der Vorlage der kleinen Reform nicht ernst war und daß er bereits im Kabinett die Dinge in bezug auf die große Reform so vorangetrieben hat, daß es dann einen entsprechenden Beschluß gefaßt hat. Diese Vermutung möchte ich nicht aussprechen. Ich glaube, man darf und muß dem Herrn Bundesjustizminister als einem loyalen Mann glauben, daß er die Absicht hatte, dem Kabinett die kleine Reform vorzulegen. Es müssen also Kräfte im Kabinett selber oder Kräfte, die hinter gewissen Mitgliedern des Kabinetts stehen, dagewesen sein, die die sogenannte große Reform betrieben haben.

    (Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Wer vermischt das?)

    Damit finden wir bestätigt — der Herr Bundesjustizminister hat es uns selbst bestätigt —, daß dunkle Kräfte am Werk sind, denen es nicht so sehr darauf ankommt, dem Bundesverfassungsgericht in seiner schweren Notlage zu helfen, und zwar schnell zu helfen und so zu helfen, daß rasch eine Übereinstimmung erzielt werden kann, sondern die die Gelegenheit benutzen wollen, ganz andere Zwecke zu erreichen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das haben die Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers, ohne daß er es gewollt hat, ganz klar und deutlich ergeben. Er war für die kleine Reform; herausgekommen ist, nachdem das Kabinett beraten hat, eine „große" Reform, d. h. eine völlige Änderung der Struktur des Bundesverfassungsgerichts.

    (Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Die man aber nicht als Reform bezeichnen kann!)

    Dabei kann ich trotz allem dem Herrn Bundesjustizminister den Vorwurf nicht ersparen, daß er auch dann, wenn er nur einen Gesetzentwurf mit einer kleinen Reform vorgelegt hat, sein Versprechen, die Opposition und das Bundesverfassungsgericht zu hören, nicht gehalten hat. In der Sitzung des Rechtsausschusses im Februar 1955 war auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Dr. Wintrich, zugegen. Auch er hat das Versprechen entgegengenommen, daß er gehört werde, bevor der Gesetzentwurf ,dem Kabinett zugeleitet werde. Aber auch er und das Bundesverfassungsgericht sind erst orientiert worden, nachdem das Kabinett entschieden hatte. Sowohl er und das Bundesverfassungsgericht als auch wir von der Opposition — das steht eindeutig fest — sind vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
    Nun wissen wir alle, daß dieser Gesetzentwurf in der Öffentlichkeit geradezu einen Schock ausgelöst hat. Wir brauchen nur einmal nachzulesen, was die Zeitungen damals, als dieser Gesetzentwurf dem Bundesrat zugeleitet wurde, alles geschrieben haben. Ich denke gar nicht an sozialdemokratische Zeitungen, ich denke an ganz andere Zeitungen. Fast alle unsere führenden Zeitungen haben sich sehr eingehend zu diesem Problem geäußert. Ich darf etwa darauf hinweisen, was eine so bedeutende Zeitung wie die „Frankfurter Neue Presse" gesagt hat, eine Zeitung, die ganz ohne Zweifel zum mindesten der größten Regierungspartei nahesteht. Diese Zeitung hat unter der Überschrift: „Doktor Eisenbart kuriert Karlsruhe" folgendes gesagt — ich darf das mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz verlesen:


    (Metzger)

    Ob gewollt oder ungewollt, die Bundesregierung greift die politische Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts an, wenn sie seine Richter im zweiten Wahlgang durch einfache Mehrheit wählen lassen will. Der Vorschlag ist bedenklich und gefährlich.
    Das schreibt die „Frankfurter Neue Presse".
    Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet über einen Vortrag von Professor Helmholtz, einem Mitglied des Bundesverfassungsgerichts, der erklärt hat, daß das kunstvolle Gleichgewicht zwischen der Bundesregierung und ihren verfassungsmäßigen oppositionellen Partnern verlorengehe; damit werde der verfassungsrechtliche Charakter des Grundgesetzes in Frage gestellt. Es ist sehr interessant, daß die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" sich nicht damit begnügt hat, einen Bericht über diesen Vortrag zu geben, sondern daß sie weitere Ermittlungen angestellt hat. Sie fügt diesem Bericht an, daß fast alle Richter des Bundesverfassungsgerichts der gleichen Meinung seien.
    Was hier gesagt worden ist, .ist deutlich und klar, ebenso deutlich und klar wie das, was die „Frankfurter Neue Presse" gesagt hat: daß mit der Regelung, die in diesem Vorgesetzentwurf vorgesehen ist, der verfassungsrechtliche Charakter des Grundgesetzes in Frage gestellt wird. Darüber kann gar kein Zweifel bestehen; denn, ich glaube, darin sind wir heute doch einig, daß das Bundesverfassungsgericht eine der Säulen unseres demokratischen Rechtsstaates ist. Wenn wir diese Säule anknabbern, dann wird in der Tat das Gleichgewicht gestört, das darin besteht, daß die verschiedenen Säulen aufeinander bezogen sind. Damit wird die Möglichkeit eines demokratischen Ausgleichs geradezu aus dem Wege geräumt. Wir wollen, daß die Legislative und die Bundesregierung frei arbeiten können, aber ebenso müssen wir wollen, daß diese Arbeiten durch ein Gericht kontrolliert werden, das unabhängig ist.
    Ich darf unterstreichen, was der Herr Kollege Bucher gesagt hat. Es ist einfach nicht angängig, überhaupt nur mit einem Anschein von Recht davon zu reden, daß das Bundesverfassungsgericht versagt habe, daß es parteipolitisch oder überhaupt parteiisch entschieden habe. An der Unparteilichkeit dieses Gerichts in der Vergangenheit kann gar nicht gezweifelt werden. Es ist außerordentlich gefährlich, daß ausgerechnet der Herr Bundesjustizminister mindestens in Worten, die mißverständlich waren, daran gezweifelt hat. Er hat in einem Interview davon gesprochen und auch in der Begründung des Regierungsentwurfs ist dargelegt worden, daß es einen roten und einen schwarzen Senat gebe. Er hat von einem Verdacht gesprochen, der in dieser Richtung aufgekommen ist. Ich glaube, von Regierungsstelle und von seiten des Bundestags — die beide da sind, das Bundesverfassungsgericht zu schützen — sollte ein solcher Verdacht überhaupt nicht ausgesprochen werden. Böswillige Äußerungen dieser Art sollten überhaupt nicht zur Kenntnis und nicht aufgenommen werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich halte es nicht für gut, daß der Herr Bundesjustizminister — ich unterstelle ihm gar keinen bösen Willen — sich in dieser Richtung zu Äußerungen hat verleiten lassen, die nicht geeignet sind, den Schutz des Bundesverfassungsgerichts — der wahrhaftig oft genug hätte gewährt werden müssen — zu gewährleisten.
    Die „Süddeutsche Zeitung" z. B. schreibt auch davon, gerade wegen der Zahl und der Wahl der Richter sei vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe aus kein SOS-Ruf ausgegangen; infolgedessen bestehe gar keine dringende Notwendigkeit, Bestimmungen über die Zahl und die Wahl der Richter in das Gesetz aufzunehmen.
    Das Echo in der Öffentlichkeit, das Erschrecken, das durch die Presse gegangen ist, ist von dem anderen Verfassungsorgan des Bundes, nämlich vom Bundesrat, aufgenommen worden. Auch der Bundesrat hat schwere Bedenken dagegen geltend gemacht, daß man dieses Gesetz, das eine Sofortwirkung auslösen soll, überhaupt mit so schwerwiegenden, so problematischen Fragen belastet. Er hat außerdem auch sachlich gegen diese Bestimmungen Stellung genommen.
    Man konnte sehr gespannt sein, was denn nun die Bundesregierung nach diesen Äußerungen — man kann ruhig sagen — des Volkswillens und nach der Stellungnahme eines verfassungsmäßigen Organs des Bundes tun würde. Man hätte erwarten dürfen, daß die Regierung nun darauf hören, sich danach einrichten und den Gesetzentwurf von den problematischen Dingen reinigen werde, damit die wirklich dringenden Dinge erledigt werden können. Nichts dergleichen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung ist mit einem einzigen saloppen Satz über alle diese Bedenken hinweggegangen. Sie hat erklärt, sie sei nach wie vor der Meinung, daß die Bestimmung der Zahl und die Regelung der Wahl der Richter vordringlich seien und deswegen ins Gesetz mit aufgenommen werden müßten.
    Ich glaube, in diesem Punkt wird auch eine widersprüchliche Haltung des Herrn Justizministers sichtbar. Der Herr Justizminister hat uns erklärt, daß er dem Kabinett nur die kleine Reform vorgeschlagen habe. Nun hören wir von ihm und von der Bundesregierung, daß diese Fragen, die er gar nicht dem Kabinett zur Entscheidung vorgelegt hat, vordringlich seien. Wenn sie wirklich so vordringlich wären, wie das in der Erwiderung auf die Vorschläge des Bundesrates gesagt worden ist, dann hätte der Herr Bundesjustizminister die Verpflichtung gehabt, diese Reform bereits bei der ersten Vorlage des Gesetzentwurfs dem Kabinett vorzuschlagen. Gerade das hat er aber nicht getan. Daraus ergibt sich, daß er selbst gar nicht der Meinung ist, daß diese Fragen vordringlich sind. Vielmehr ist er der Meinung, diese Fragen könnten später geregelt und dann ausführlich erörtert werden. Denn wenn diese Fragen im Gesetz mit be- handelt werden, entstehen außerordentliche Schwierigkeiten. Die Beratung des Gesetzes zieht sich unendlich in die Länge, und damit wird der Hauptzweck nicht erreicht, nämlich die Entlastung unseres wichtigsten Gerichts. Darüber kann doch gar kein Zweifel bestehen, und ich muß sagen, ich bewundere den Mut der Bundesregierung, die es in Kauf nimmt, daß ein höchstes Gericht aktionsunfähig bleibt. Sie schlägt eine Regelung vor, die dem Gericht nicht nützt. Sie belastet diese Regelung mit weiteren Bestimmungen, die es mit sich bringen, daß eine Entlastung des Gerichts auf unabsehbare Zeit vereitelt wird.
    Wir Sozialdemokraten sind der Meinung — ganz unabhängig davon, wie man materiell zu dieser Frage steht —, daß diese Fragen ausgeklammert werden müssen — genau wie es der Bundesrat vorgeschlagen hat — und daß man dafür sorgen muß,


    (Metzger)

    daß das Gesetz in seinem wahren, in seinem entscheidenden Kern alsbald Rechtskraft erlangt. Denn, was seinen Kern anlangt: über ihn werden wir sehr schnell eine Einigkeit erzielen können.
    Wir Sozialdemokraten sind auch der Meinung und stimmen damit mit dem Bundesverfassungsgericht und dem Gesetzentwurf überein, daß man die Geschäftsverteilung ändern muß, daß man sie nicht mehr durch gesetzliche Bestimmungen vornehmen kann, sondern daß die Möglichkeit für das Gericht geschaffen werden muß, selbst zu entscheiden, wie es seine Geschäfte verteilen will. Ihm muß die Möglichkeit gegeben werden, die Geschäfte so zu verteilen, daß beide Senate einigermaßen gleichmäßig belastet sind und so die Arbeit getan werden kann.
    Wir sind auch durchaus damit einverstanden, daß in bezug auf das Zulassungsverfahren für die Verfassungsbeschwerden etwas geschieht, daß also dieses Zulassungsverfahren geschaffen wird. Wir dürfen obendrein sagen: wir Sozialdemokraten sind es gewesen, die bereits damals, als das Gesetz beraten worden ist, das Zulassungsverfahren vorgeschlagen haben. Damals hat man auf der rechten Seite dieses Hauses dieses Zulassungsverfahren abgelehnt. Heute kommt man reumütig zu diesem Vorschlag zurück. Wir sind durchaus bereit, auch diesen Vorschlag mitzubilligen und daran mitzuarbeiten.
    Auch wenn — das wird zwar nur eine Nebenfrage bei der Entlastung des Gerichts sein — darüber gesprochen wird, in bezug auf das Gutachtenverfahren zweckmäßige Änderungen einzuführen, wird man in uns durchaus verständige Mitarbeiter finden. Wir werden bereit sein, da mitzutun, aber unter keinen Umständen, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden wir uns bereit finden, da mitzuarbeiten, wo eine der Säulen unseres Verfassungslebens — ich sagte es schon —angeknabbert wird.
    Wir sehen ja zu deutlich, was hinter diesen Dingen steht. Es ist ein offenes Geheimnis, daß das Bundesverfassungsgericht für die Bundesregierung in der Vergangenheit nicht immer ein angenehmer Partner war. Die Bundesregierung hatte Veranlassung, das Bundesverfassungsgericht manchmal zu fürchten. Wir wissen, daß es in der Vergangenheit Fälle gegeben hat, wo die Bundesregierung nicht nur darum gezittert, sondern auch einiges getan hat, in politischen Fragen eine Meinungsäußerung des Bundesverfassungsgerichts zu erreichen, die ihr genehm war. Und da liegt doch des Pudels Kern, meine sehr verehrten Damen und Herren!
    Wenn man dazu übergeht, heute zu sagen, das Bundesverfassungsgericht leide darunter, daß die Wahl der Richter nicht rechtzeitig vorgenommen werden könne, so ist doch das auch ein Vorwand. Ich will gar nicht bestreiten, daß die Wahl der Bundesverfassungsrichter nach dem bestehenden Gesetz oft nicht ganz leicht ist, daß die qualifizierte Mehrheit erfordert, daß man auf allen Seiten guten Willens sei und daß nur dann, wenn dieser gute Wille vorhanden ist, die Wahl durchgeführt werden kann. Ich bestreite auch nicht, daß in einem Falle diese Wahl auch einmal eine erhebliche Verzögerung erlitten hat. Dabei will ich auf die einzelnen Zusammenhänge, die da bestanden haben, gar nicht eingehen. Ich will gar nicht darauf eingehen, daß auf seiten der Regierungskoalition die Hauptgründe dafür lagen, daß diese
    Wahl nicht rechtzeitig vollzogen werden konnte. Falls das erforderlich ist, sind wir in der Lage, dazu noch nähere Einzelheiten zu bringen. Ich will mich aber zunächst mit dieser Feststellung begnügen. Aber, meine Damen und Herren, soll die Möglichkeit, daß in dem einen oder anderen Falle einmal eine Wahl nicht ganz rechtzeitig zustande kommt, uns dazu verleiten, das Bundesverfassungsgericht nun in eine Situation zu bringen, in der es schlechterdings als ein Parteigericht, oder sagen wir es etwas milder: als ein „Regierungsgericht" erscheinen muß?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat bei der ersten Wahl die qualifizierte Mehrheit nicht zustande kommt, dann soll — ich sagte es schon — in einem sofort anschließenden Wahlgang eine einfache Mehrheit entscheiden. Was ist das Ergebnis, meine Damen und Herren? Der Herr Bundesjustizminister erzählt uns, daß an dem Grundsatz der qualifizierten Mehrheit festgehalten werde. Das steht auf dem Papier. Aber wie sieht es in Wirklichkeit aus? Wenn die Mehrheit, die einfache Mehrheit, das heißt also auf deutsch: die stärkste Partei in diesem Hause weiß, daß sie im zweiten Wahlgang selbstherrlich entscheiden kann, dann wird sie sich zum allermindesten keine Mühe geben, sich in bezug auf die qualifizierte Mehrheit zu verständigen. Wenn da irgendwelche Widerstände sind, wenn die Opposition nicht pariert, dann wird man sie beiseite schieben, dann wird man sagen: wenn ihr nicht wollt, dann werden wir es euch zeigen, im zweiten Wahlgang, da werden wir unseren Willen durchsetzen. Es ist ja nicht so, meine Damen und Herren, daß wir in dieser Beziehung ohne Erfahrung sind. Wir wissen ja, wie die Mehrheit in diesem Hause unter Umständen gewillt ist, die Opposition und auch die besten Gründe beiseite zu schieben. Es wird also dahin kommen, daß in den allermeisten Fällen ein Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht von einer qualifizierten Mehrheit und nicht gemeinsam mit der Opposition gewählt wird, sondern in einem zweiten Wahlgang, wo dann eine einfache Mehrheit in der Lage sein wird, einen Richter zu wählen. Und darüber kann es doch gar keinen Zweifel geben, daß ein so gewählter Richter ewig das Odium an sich haben wird, daß er ein parteilicher Richter sei, daß er ein Richter sei, der einer gewissen Richtung genehm sei.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht ist von allen Parteien gemeinsam erarbeitet worden. Damals sind wir in den Prinzipien eins gewesen. Wenn seinerzeit die qualifizierte Mehrheit gefordert und diese Forderung verwirklicht worden ist, dann doch einfach deshalb, weil man sich darüber klar war, daß ein Gericht geschaffen werden sollte, das nicht etwa politisch uninteressiert ist — das hat auch mein Kollege Greve bereits dargelegt —, dessen Richter politischen Verstand und auch einen politischen Willen haben müssen, die aber auch willens sind, sich nicht parteipolitisch mißbrauchen zu lassen. Wenn das Plenum des Bundestags damals diese qualifizierte Mehrheit geschaffen hat, dann also doch aus dem ganz einfachen Grund, weil man sich darüber klar war, daß Bundestag und Bundesrat, soweit es irgend möglich ist, einen Richter einstimmig wählen sollten. Es sollten Richter gefunden werden, die das Vertrauen


    (Metzger)

    des ganzen Hauses und damit des ganzen deutschen Volkes haben. Nur bei einer Wahl auf diese Weise kann ein so wichtiges Verfassungsorgan wie das Bundesverfassungsgericht wirklich arbeiten. Wer das nicht einsieht und wer glaubt, daß er die Fragen mit einem technischen Kniff lösen könne, hat nichts davon verstanden, was es bedeutet, in einem demokratischen Staat, in einem Rechtsstaat ein ausgewogenes Kräfteverhältnis und eine Grundlage des Vertrauens zu schaffen.
    Es ist ja außerordentlich interessant, meine Damen und Herren, daß nicht nur die Presse und nicht nur der Bundesrat, sondern auch das Bundesverfassungsgericht selbst erhebliche Bedenken haben, und zwar hat das Plenum des Bundesverfassungsgerichts seine ganz erheblichen Bedenken einstimmig erhoben. Ich kann nichts Besseres tun, als Ihnen diese Bedenken vorzutragen und sie Ihnen — meine Damen und Herren, ich spreche das mit allem Ernst aus — ins Gewissen zu sagen; denn wir haben als Bundestag eine ganz außerordentliche Aufgabe. Wenn wir in dieser Frage versagten, würden wir der Demokratie und der Zukunft unseres Staates einen außerordentlich schlechten Dienst erweisen. Das sagen uns die Worte des Bundesverfassungsgerichts mit aller Deutlichkeit. Ich bitte den Herrn Präsidenten, verlesen zu dürfen, was der Präsident des Bundesverfassungsgerichts im Auftrag des Plenums in einer Stellungnahme vom 14. Juni dargelegt hat. Es heißt da:
    Die Begründung des Entwurfs verlangt, daß das Wahlverfahren so gestaltet sein müßte,
    — nun wird wörtlich aus der Begründung zitiert —„daß die Richter nicht als Vertreter einer bestimmten politischen Richtung erscheinen, sondern sich des Vertrauens im ganzen Volke erfreuen."
    — So weit das Zitat aus der Begründung. Und nun fährt das Bundesverfassungsgericht fort:
    Gerade im Hinblick auf dieses sicherlich zu billigende
    — das ist weiß Gott zu billigen —
    Postulat ist die Lösung des Entwurfs, wonach bei erfolglosem ersten Wahlgang unverzüglich ein weiterer Wahlgang stattfindet, in dem die einfache Mehrheit entscheidet, keine Verbesserung, sondern geradezu eine Verschlechterung des jetzigen Wahlverfahrens. Der Zwang, sich mit qualifizierter Mehrheit auf einen Kandidaten zu einigen, wird nicht wirksam, wenn dasselbe Wahlgremium nach erfolgloser Wahl ohne weiteres in einem zweiten Wahlgang den Kandidaten mit einfacher Mehrheit wählen kann. Bei dieser Sachlage würde der erste Wahlgang von vornherein unter dem Schatten der Möglichkeit des weiteren Wahlgangs mit einfacher Mehrheit stehen.
    Schon die Gefahr, daß die nach einem solchen Verfahren gewählten Richter als Vertreter einer politischen Richtung erscheinen könnten, sollte es ausschließen, das bisherige Verfahren in der im Regierungsentwurf vorgeschlagenen Weise zu ändern.
    Ich glaube, meine Damen und Herren, der Vertreter der Opposition kann das nicht deutlicher sagen, als es das Bundesverfassungsgericht selber als Wahrer unserer Verfassung zum Ausdruck gebracht hat. Damit wird deutlich, daß das, was ich als Vertreter der Opposition vortrage, keineswegs
    ein Anliegen nur der Opposition ist, sondern daß es ein allgemeines Anliegen ist, ein Anliegen, das uns alle angeht, das ein staatspolitisches Anliegen ist. Deswegen können wir an dieser Frage nicht so leichten Herzens vorbeigehen und sie nicht so leichtherzig behandeln, wie es der Herr Bundesjustizminister auch heute wieder leider getan hat. Wir können auch unmöglich so leicht über alle die Einwendungen hinweggehen, wie es in der Begründung und in der Stellungnahme der Bundesregierung gegenüber dem Bundesrat in einem Satz geschehen ist. Von dem, was das Bundesverfassungsgericht im Juni dieses Jahres gesagt hat, hat die Bundesregierung — sie hat dem Bundestag diesen Gesetzentwurf jetzt fast unverändert vorgelegt — keine Kenntnis genommen; sie ist überhaupt nicht darauf eingegangen.
    Wir können es also unter keinen Umständen mitmachen — und kein staatsbewußter Bürger kann es wünschen —, daß das Bundesverfassungsgericht in die schiefe Lage kommt, daß es aus Richtern zusammengesetzt wird, die von einer Partei oder von einer Parteienmehrheit gewählt worden sind. Daß die Opposition dabei unter den Tisch fallen, daß man sich die genehmen Leute holen wird, ist doch der große Verdacht, der besteht und der allüberall ganz offen ausgesprochen worden ist, vor allen Dingen auch in den Zeitungen, die nicht zur Opposition gehören, sondern landläufig und allgemein die Regierung unterstützen.
    Wir sind auch der Meinung, daß es nicht gut ist, jetzt die Frage der Zahl der Richter zu behandeln. Auch dazu hat sich das Bundesverfassungsgericht geäußert. Ich will diese Frage nur ganz kurz streifen. Wir haben gehört, wie stark das Bundesverfassungsgericht überlastet ist. Wir wissen, daß noch lange Aufarbeitungsarbeiten zu leisten sind. Es ist l ein Trugschluß, zu glauben, daß eine Verminderung der Senate um ein paar Personen dazu führen kann, daß die Verhandlungen selber sehr viel schneller gehen, so daß dadurch die Zeit gewonnen wird, die Aufarbeitung vorzunehmen.
    Vergessen Sie doch nicht, meine Damen und Herren, daß jedes Urteil, daß jeder Beschluß schriftlich begründet werden muß, daß zu jeder schriftlichen Begründung ein Richter notwendig ist und daß bei den großen Beschlüssen allgemein ein Monat notwendig ist, um die Begründung vorzunehmen. Wenn Sie dem Gericht jetzt bereits die Richter nehmen — und sie sollen ja schon in sehr starkem Maße genommen werden: je drei Richter bei jedem Senat —, dann nehmen Sie dem Gericht doch die Menschen, die in der Lage sind, die schriftlichen Begründungen anzufertigen. Das ist doch die viel größere Arbeit als die mündliche Beratung in den Verhandlungen des Gerichts. Die schriftliche Arbeit ist die zeitraubende Arbeit. Wenn Sie dem Gericht diese Menschen nehmen, werden Sie gerade verhindern, daß das Gericht in die Lage kommt, seine Rückstände aufzuarbeiten, auch wenn man diese Rückstände jetzt gerechter und besser unter den beiden Senaten verteilt. Das Gesetz würde also seinen Zweck, die Aufarbeitung der Rückstände zu erreichen, nicht nur nicht erfüllen, sondern Sie würden mit der Verminderung der Richterzahl sogar das genaue Gegenteil erreichen.
    Auch dazu hat sich das Bundesverfassungsgericht geäußert. Es sagt — ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten noch kurz zitieren —:
    Das Gericht hält an seiner Auffassung fest,
    daß eine Verminderung der Richterzahl vor
    dem Herbst 1959 die Aufarbeitung der Rück-


    (Metzger)

    stände wesentlich verzögern würde. Das Gericht kann sich von der Verminderung der Richterzahl nicht eine so erhebliche Erleichterung der Beratung versprechen, daß hierdurch die Verminderung der Arbeitskräfte fühlbar ausgeglichen werden könnte.
    Auch das ist deutlich, und das ist von Fachleuten gesagt worden, von Leuten, die Erfahrung haben und die es sehr viel besser wissen als die Männer am Schreibtisch, die glauben, nun mit einem Federstrich einfach Verminderungen vornehmen zu können.
    Im übrigen sind wir durchaus auch der Meinung, daß man von dem Zwillingsgericht loskommen und zu einem Gericht kommen sollte, das einheitlich entscheidet. Aber wir können all diese Dinge ja nicht überstürzen, vor allen Dingen dürfen wir in bezug auf die Verminderung der Richterzahl nichts Überstürztes tun. Wir schaffen ja bereits Möglichkeiten, wir gehen auf diesem Wege ja schon voran, wenn wir die Geschäftsverteilung neu ordnen, wenn wir dem Gericht selbst die Möglichkeiten geben und wenn daraus all die Konsequenzen gezogen werden, die gezogen werden müssen, auf die ich im einzelnen nicht einzugehen brauche.
    Ich darf also wiederholen und kurz zusammenfassen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind bereit, positiv an diesem Gesetzentwurf mitzuarbeiten. Uns ist es ein ganz wichtiges Anliegen, zu helfen, daß das Bundesverfassungsgericht wieder aktionsfähig wird, daß seine Rückstände aufgearbeitet werden, daß die Arbeit gerecht und richtig verteilt ist und daß die Arbeit geleistet werden kann. Deswegen sind wir bereit, alles das zu unterstützen, was dazu führen kann in bezug auf die Geschäftsverteilung, in bezug auf das Zulassungsverfahren bei Verfassungsbeschwerden; gerade bei diesen beiden Punkten. Wir sind aber nicht bereit, das mitzumachen, was geeignet ist, nicht nur die Verabschiedung dieses Gesetzes zu verzögern, sondern zugleich das Wesen des Bundesverfassungsgerichts zu verändern und zu verfälschen und damit eine Bresche in die Verfassung zu schlagen, was niemand von uns wollen kann. Ich möchte das Hohe Haus bitten — gelegentlich hat es ja schon bewiesen, daß es das kann —, hier nicht einfach den Argumenten und dem Willen der Bundesregierung zu folgen, sondern sich selbst seine Gedanken darüber zu machen, was in diesem Augenblick not ist, was notwendig ist, um einen schweren Notstand zu beheben; ich möchte Sie bitten, gemeinsam — wir sind dazu bereit — daran zu arbeiten, daß dieser Notstand so schnell wie möglich behoben wird, und dadurch auch dem Bundesrat die Möglichkeit der Zustimmung zu geben, damit das Gericht bald unter neuen Verhältnissen zu arbeiten anfangen kann.

    (Beifall bei der SPD.)