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ID0210901000

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2109

  • date_rangeDatum: 27. Oktober 1955

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 109. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1955 5927 109. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 27. Oktober 1955. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 5928 B, 5952 C Glückwunsch zum Geburtstag des Abg. Dr. Schild (Düsseldorf) 5928 B Mitteilung über Bestätigung von Gesetzesbeschlüssen des Bundestages durch den Vermittlungsausschuß 5928 B Wahl des Abg. Dr. Weber (Koblenz) als Mitglied des Wahlmännerausschusses . . 5928 C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht betr. Aussetzungsbeschluß des Landgerichts Bonn vom 10. November 1954 in dem Strafverfahren gegen Dr. Robert Platow u. a. wegen aktiver Bestechung u. a. (Drucksache 1793) 5928 C Dr. Furler (CDU/CSU) (Schriftliche Äußerung für den Deutschen Bundestag) 5968 A Dr. Bucher (FDP) (Schriftliche Erklärung zur Abstimmung) 59"2 B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Drucksache 1662) . 5928 D Neumayer, Bundesminister der Justiz . . . . 5928 D, 5940 B, 5948 D Dr. Bucher (FDP) 5932 A, 5948 D Metzger (SPD) 5935 A Dr. Weber (Koblenz) (CDU/CSU) . 5941 A Dr. Gille (GB/BHE) 5944 C Becker (Hamburg) (DP) 5946 D Dr. Arndt (SPD) 5947 C Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht 5949 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betr. Einrichtung eines Bildersuchdienstes zur Aufklärung von Schicksalen Vermißter und verschollener Kriegsgefangener der ehemaligen deutschen Wehrmacht (Drucksache 1791) 5949 A Beschlußfassung 5949 A Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksache 1623) . . . . 5949 A Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP), Antragsteller 5949 B Rösing (CDU/CSU) 5950 B Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen 5950 C Erste Beratung des Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs (Zolltarif-Novelle) (Drucksache 1777) . . 5950 D Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen 5950 D Erste Beratung des Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs (Vanadium-Titan-Roheisen, Stromschienen) (Drucksache 1778) 5950 D Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen 5950 D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP betr. § 96 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Drucksachen 1782, 1048) 5950 D Hellenbrock (SPD), Berichterstatter 5950 D Beschlußfassung 5952 C Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Molkereistruktur (Drucksache 1587) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes (Drucksache 1589) . . . . 5952 C, 5960 A Seither (SPD), Antragsteller . . . . 5952 C Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) . . . 5955 C Unterbrechung der Sitzung . 5960 A Kriedemann (SPD) 5960 A Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und an den Haushaltsausschuß . . . . 5962 A Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Getreidegesetzes (Drucksache 1588) 5962 B Kriedemann (SPD), Antragsteller 5962 B, 5965 D Schwarz (CDU/CSU) 5965 B Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik 5966 C Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck 489) . . . 5966 D, 5972 C Beschlußfassung 5966 D Nächste Sitzung 5966 D Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5967 A Anlage 2: Äußerung des Abg. Dr. Furler für den Deutschen Bundestag zu der Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht betr. Aussetzungsbeschluß des Landgerichts Bonn in dem Strafverfahren gegen Dr. Platow wegen aktiver Bestechung u. a. 5968 A Anlage 3: Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Bucher (FDP) zur Abstimmung über den Antrag des Rechtsausschusses zu der Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht betr. Aussetzungsbeschluß des Landgerichts Bonn in dem Strafverfahren gegen Dr. Platow wegen aktiver Bestechung u. a 5972 A Anlage 4: Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck 489) 5972 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schneider eröffnet.
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    *) Siehe Anlage 4. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 23. November Raestrup 19. November Frehsee 15. November Kühn (Bonn) 15. November Matthes 15. November Dr. Miessner 15. November Dr. Starke 15. November Welke 15. November Dr. Atzenroth 12. November Bals 12. November Dr. Brönner 12. November Dr. Elbrächter 12. November Hoogen 12. November Illerhaus 12. November Regling 12. November Albers 5. November Bock 5. November Dr.-Ing. E. h. Schuberth 5. November Dr. Bucerius 31. Oktober Gibbert 30. Oktober Griem 30. Oktober Dr. Baade 29. Oktober Frau Döhring 29. Oktober Dr. Greve 29. Oktober Jahn (Frankfurt) 29. Oktober Dr. Köhler 29. Oktober Kurlbaum 29. Oktober Neuburger 29. Oktober Rehs 29. Oktober Frau Rösch 29. Oktober Frau Dr. Schwarzhaupt 29. Oktober Wehr 29. Oktober Altmaier 28. Oktober Dr. Becker (Hersfeld) 28. Oktober Birkelbach 28. Oktober Fürst von Bismarck 28. Oktober Dr. Blank (Oberhausen) 28. Oktober Dr. Czermak 28. Oktober Dr. Deist 28. Oktober Dr. Drechsel 28. Oktober Dr. Eckhardt 28. Oktober Erler 28. Oktober Even 28. Oktober Feldmann 28. Oktober Gräfin Finckenstein 28. Oktober Dr. Furler 28. Oktober Gerns 28. Oktober Glüsing 28. Oktober Haasler 28. Oktober Dr. Graf Henckel 28. Oktober Dr. Hellwig 28. Oktober Höfler 28. Oktober Dr. Horlacher 28. Oktober Jacobi 28. Oktober Dr. Jentzsch 28. Oktober Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Kalbitzer 28. Oktober Kiesinger 28. Oktober Dr. Kopf 28. Oktober Dr. Kreyssig 28. Oktober Lemmer 28. Oktober Lenz (Brühl) 28. Oktober Dr. Lenz (Godesberg) 28. Oktober Dr. Leverkuehn 28. Oktober Dr. Luchtenberg 28. Oktober Lücker (München) 28. Oktober Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 28. Oktober Dr. Lütkens 28. Oktober Dr. Maier (Stuttgart) 28. Oktober Marx 28. Oktober Frau Meyer-Laule 28. Oktober Dr. Mommer 28. Oktober Dr. Oesterle 28. Oktober Ollenhauer 28. Oktober Paul 28. Oktober Pelster 28. Oktober Dr. Pohle (Düsseldorf) 28. Oktober Dr. Dr. h. c. Pünder 28. Oktober Dr. Reif 28. Oktober Frau Dr. Rehling 28. Oktober Sabaß 28. Oktober Dr. Schmid (Frankfurt) 28. Oktober Dr. Schöne 28. Oktober Frau Schroeder (Berlin) 28. Oktober Schütz 28. Oktober Graf v. Spreti 28. Oktober Sträter 28. Oktober Struve 28. Oktober Trittelvitz 28. Oktober Unertl 28. Oktober Dr. Wahl 28. Oktober Frau Dr. h. c. Weber (Aachen) 28. Oktober Wehner 28. Oktober Frau Welter (Aachen) 28. Oktober Dr. Bergmeyer 27. Oktober Blachstein 27. Oktober Brockmann (Rink'erode) 27. Oktober Dr. Brühler 27. Oktober Frau Finselberger 27. Oktober Frenzel 27. Oktober Dr. Glasmeyer 27. Oktober Kühlthau 27. Oktober Leibfried 27. Oktober Knobloch 27. Oktober Lermer 27. Oktober Dr. Mocker 27. Oktober Niederalt 27. Oktober Dr. Orth 27. Oktober Rasch 27. Oktober Ruhnke 27. Oktober Scheppmann 27. Oktober Schill (Freiburg) 27. Oktober Schmitt (Vockenhausen) 27. Oktober Schmücker 27. Oktober Dr. Schranz 27. Oktober Dr. Welskop 27. Oktober Anlage 2 Aus Drucksache 1793 (Vgl. S. 5928 C) Äußerung des Abgeordneten Dr. Furler für den Deutschen Bundestag I. Im 1. Deutschen Bundestag war auf Grund der Ergebnisse des Platow-Untersuchungsausschusses unter Drucksache Nr. 3935 ein interfraktioneller Antrag über den Entwurf eines Gesetzes über Straffreiheit eingebracht worden. Der hier maßgebliche § 1 wurde in der 273. Sitzung vom 18. Juni 1953 und auf Grund eines Vorschlages des Vermittlungsausschusses (Drucksache Nr. 4656) in der 282. Sitzung vom 29. Juli 1953 erneut in folgender Fassung beschlossen: „§ 1 Wer in der Zeit bis zum 31. Dezember 1951 als Verleger, Journalist oder Angehöriger des öffentlichen Dienstes unmittelbar oder mittelbar Nachrichten, Informationen oder Artikel in strafbarer Weise mitgeteilt, entgegengenommen oder verbreitet oder wer bis zu demselben Zeitpunkt zu einer solchen Handlung angestiftet oder Beihilfe geleistet hat, bleibt straffrei. Straffreiheit tritt auch ein für sonstige Straftaten, die aus Anlaß von Handlungen nach Satz 1 begangen worden sind." Der Gesetzesbeschluß wurde von dem damaligen Bundesminister der Justiz, Dr. Dehler, aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ausgefertigt (vgl. dazu seine Ausführungen in der 273. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages vom 18. Juni 1953 — Stenographische Berichte S. 13545 — und in der 17. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages vom 26. Februar 1954 — Stenographische Berichte S. 604 ff.). Die Verweigerung der Unterschrift verhinderte die Verkündung des Gesetzesbeschlusses. Im 2. Deutschen Bundestag hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit eingebracht (Drucksache 215), der den „Grundgedanken des Bundestagsbeschlusses vom 29. Juli 1953 in § 7 so verwirklichte, daß verfassungsrechtliche Bedenken nicht mehr bestehen" (Begründung zu § 7 des Regierungsentwurfs, S. 14 der Drucksache 215). § '7 wurde als § 8 in folgender Fassung Gesetz (Straffreiheitsgesetz 1954 vom 17. Juli 1954 [BGBl. I S. 203]): „§ 8 Nachrichtentätigkeit Für Straftaten, welche die Mitteilung, Beschaffung oder Verbreitung von Nachrichten über Angelegenheiten zum Gegenstand haben, mit denen Angehörige des öffentlichen Dienstes befaßt sind, oder welche damit derart in Zusammenhang stehen, daß sie solche Taten vorbereiten, fördern, sichern oder decken sollten, wird über die §§ 2, 3 hinaus ohne Rücksicht auf die Höhe der rechtskräftig verhängten oder zu erwartenden Strafe Straffreiheit gewährt, wenn die Tat vor dem 1. Januar 1952 begangen worden ist." Dieser § 8 bringt gegenüber dem § 1 des interfraktionellen Antrages der 1. Wahlperiode aus Drucksache Nr. 3935 wesentliche Veränderungen. 1. Es werden nicht nur Verleger, Journalisten und Angehörige des öffentlichen Dienstes begünstigt, sondern auch andere Personen, wenn sie die allgemeinen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllen. 2. Es werden Teilnehmer nicht nur dann berücksichtigt, wenn sie Anstiftung oder Beihilfe geleistet haben, sondern auch dann, wenn sie als Mittäter gehandelt haben, ohne zu dem begünstigten Personenkreis der früheren Fassung zu gehören (Begründung zu § 7, S. 14 der Drucksache 215). Das Landgericht Bonn will in dem bei ihm anhängigen Strafverfahren gegen Platow u. a. § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 nicht anwenden, da es ihn für verfassungswidrig hält, und zwar aus zwei Gründen: a) Es ist der Auffassung, daß der Bundesgesetzgeber eine unzulässige Abolition (worunter das Landgericht eine Einzelniederschlagung versteht) beschlossen hat. b) Es ist weiter der Auffassung, daß § 8 StFG gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, da die von dieser Norm erfaßten Täter gegenüber anderen unter das Straffreiheitsgesetz fallenden Personen grundlos und willkürlich begünstigt seien. Diese Auffassung geht fehl. § 8 StFG ist nicht verfassungswidrig. II. Das Landgericht geht von dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE Bd 2 S. 222) zutreffend definierten Begriff der Amnestie aus, die vorliegt, wenn die Straffolgen „einer unübersehbaren und unbestimmten, nach Typen gekennzeichneten Zahl von Straftaten" geregelt sind. Es räumt ein, der Wortlaut des § 8 sei durchaus geeignet, eine Amnestie zu bejahen. Denn der Rahmen des in Frage kommenden Personenkreises sei weit gespannt, so daß eine „nicht absehbare Reihe von Verfahren hierunter fallen und nicht allein die Platow-Verfahren" (S. 11 des Aussetzungsbeschlusses unter A b). Aus der Gegenüberstellung der Gesetzesbeschlüsse des 1. und des 2. Deutschen Bundestages ergibt sich, daß bewußt und gerade um verfassungsrechtliche Bedenken auszuräumen, der begünstigte Personenkreis erweitert wurde. Wenn das Landgericht trotzdem die Verfassungswidrigkeit des § 8 behauptet, so deswegen, weil es meint, die Motive, die den Gesetzgeber angeblich leiteten, ergäben, daß dieser „ein dem Inhalt nach verfassungsmäßig unzulässiges Gesetz bewußt unverfänglich formuliert, ihm also eine Wortfassung gegeben hat, die bedenkenlos erscheint". Der Bundestag weist zunächst mit aller Entschiedenheit die in diesem Zusammenhang (S. 11 des Aussetzungsbeschlusses) ausgesprochene Behauptung zurück, sein Verhalten erinnere an Fälle aus der Zeit des Nationalsozialismus. Diese Ausführungen sind ebenso unerhört wie unbegründet. Der Bundestag lehnt es ab, hierauf überhaupt einzugehen. Der Bundestag verwahrt sich sodann mit Nachdruck gegen die Behauptung, er habe ein verfassungsmäßig unzulässiges Gesetz in die Form einer (Dr. Furler) Amnestie gekleidet und sich so auf einem Umwege eine Zuständigkeit verschafft, die ihm nicht zugestanden habe. Die Begründung, die das Landgericht für seine Behauptungen gibt, basiert ausschließlich auf einer Verwertung von Motiven, die zu § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 geführt haben sollen. Obwohl die vom Landgericht behaupteten Motive nicht maßgeblich waren, ist doch grundsätzlich festzustellen, daß eine solche Auswertung der Motive unzulässig ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE Bd. 1 S. 312) sagt: „Maßgebend für 'die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht •entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können". Die Motive des Gesetzgebers sind also nur hilfsweise und nur dann zu verwerten, wenn der Wortlaut des Gesetzes auszulegen ist, diese Auslegung aber ohne Berücksichtigung der Motive eine volle Klarheit nicht schaffen kann. Das Landgericht behauptet aber selbst nicht, der Wortlaut des § 8 StFG gebe zu Zweifeln Anlaß. Es geht dem Gericht lediglich darum, nachzuweisen, daß der Wortlaut des Gesetzes zwar verfassungsmäßig, die Motive aber, die zu ihm geführt haben, verfassungswidrig seien. Der Aussetzungsbeschluß unterbreitet daher dem Bundesverfassungsgericht die angeblichen Motive des Gesetzgebers zur Nachprüfung. Damit wird ein verfassungsrechtlich unzulässiger Weg beschritten. Gegenstand der Normenkontrolle ist „die richterliche Feststellung, daß ein bestimmter Rechtssatz gültig oder ungültig ist, daß also objektives Recht besteht oder nicht besteht" (BVerfGE Bd. 1 S. 406). Die Motive eines Gesetzes sind der richterlichen Nachprüfung entzogen. Die Gewährung von Straffreiheit durch ein Straffreiheitsgesetz ist nicht ein Verwaltungsakt in Gesetzesform, sondern ein Gesetz im materiellen Sinne. In einem solchen Gesetz werden die Straffolgen einer unübersehbaren und unbestimmten, nach Typen gekennzeichneten Zahl von Straftaten geregelt. Im Gegensatz dazu ist die Begnadigung im weiteren Sinne der Verzicht auf das Strafverfolgungsrecht oder auf das Strafvollstrekkungsrecht im Einzelfall oder in einer bestimmten Zahl von Einzelfällen. Entscheidend für die Zuständigkeit zum Erlaß des § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 ist demnach, ob die Regelung des § 8 ein Gesetz im materiellen Sinne darstellt. Zu dem § 8 haben zwar diejenigen Verfahren Anlaß gegeben, die Gegenstand der Verhandlungen des 46. Untersuchungsausschusses des 1. Deutschen Bundestages gewesen sind. Aus den Verhandlungen des erwähnten Untersuchungsausschusses war das von allen Fraktionen des 'Deutschen Bundestages — mit Ausnahme der Kommunisten — bejahte Bedürfnis hervorgetreten, durch eine Amnestie eine Bereinigung von mit der Nachkriegsentwicklung zusammenhängenden Vorkommnissen zu erreichen, wie sie beispielhaft in den Erörterungen jenes Untersuchungsausschusses zutage getreten waren (vgl. Kurzprotokoll der 1. Sitzung des Unterausschusses „Straffreiheitsgesetz" des 23. Ausschusses des Deutschen Bundestages vom 12. März 1953, Stenographische Berichte der 273. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages vom 18. Juni 1953, Abg. Hoogen S. 13543 f.). Es haben also den gesetzgebenden Organen, die den § 8 beschlossen haben, typische Einzelfälle vorgeschwebt, die zum Anlaß oder Beweggrund, nicht aber zum Gegenstand, jedenfalls nicht zum ausschließlichen Gegenstand dieser Regelung wurden. Daß ein solcher Ausgangspunkt für ein Straffreiheitsgesetz nicht das Wesen eines an der Allgemeinheit seiner Regelung orientierten Gesetzes beeinträchtigt, hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluß vom 22. April 1953 (BVerfGE Bd. 2 S. 222) ausgesprochen. Das rechtspolitische Erfordernis, in dem Geltungsbereich des Gesetzes über die seinen Anlaß bildenden Vorkommnisse hinaus eine unbestimmte Zahl noch gar nicht bekannter Verfahren zu erfassen, auch unbekannte Straftaten und Verfahren also in die gesetzliche Regelungeinzubeziehen, ist in den Verhandlungen des Unterausschusses des 23. Ausschusses deutlich herausgestellt worden (vgl. Kurzprotokoll der 1. Sitzung des Unterausschusses „Straffreiheitsgesetz" des 23. Ausschusses vom 12. März 1953). Die Bedenken, die gegen den Gesetzesbeschluß vom 18. Juni/29. Juli 1953 nach dieser Richtung erhoben wurden, haben zu der noch allgemeiner gehaltenen Fassung des § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 geführt. Mit dieser neuen Fassung ist eine materielle und nicht nur eine scheinbare Erweiterung des gesetzlichen Anwendungsbereichs der Vorschrift verbunden. Es trifft nicht zu, daß der § 8 in Wirklichkeit nur diejenigen Strafverfahren erfaßt, die in dem Betreff des Beschlusses der 1. Strafkammer des Landgerichts Bonn 8 K MS 8/53 vom 10. November 1954 genannt sind. Im Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes konnte von keinem der beteiligten Gesetzgebungsorgane überblickt werden, wie viele und welche Einzelfälle von den allgemein gefaßten Merkmalen des § 8 erfaßt werden. Dies läßt sich wahrscheinlich auch heute noch nicht übersehen und erst nach längerer Zeit wird eine Statistik Klarheit darüber schaffen können, in welchen Einzelfällen der § 8 zur Anwendung gekommen ist. Dabei ist zu beachten, daß der § 8 — wie jede Amnestie — auch Straftaten erfaßt, die nicht bekanntwerden, weil sie nie Gegenstand eines Verfahrens wurden. Sollte sich dabei ergeben, daß die Zahl der durch § 8 betroffenen und durch Verfahren bekanntgewordenen Straftaten nicht übermäßig groß ist, so könnte dies kein Grund sein, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift in Zweifel zu ziehen. Durchaus ähnliche Verhältnisse liegen auch bei § 6 Straffreiheitsgesetz 1954 vor, der für die in einem Befehlsnotstand begangenen Taten während des Zusammenbruchs Straffreiheit gewährt. Konkrete Einzelfälle, bei denen der Beweggrund für die Schaffung dieser Vorschrift hervortrat, sind in den Verhandlungen des Rechtsausschusses des 2. Deutschen Bundestages zum Straffreiheitsgesetz erörtert worden. Nach den bisher vorliegenden Zahlen ist der § 6 des Straffreiheitsgesetzes 1954 nur in einer verhältnismäßig geringen Zahl von Strafverfahren angewandt worden. Kein Gericht hat die Gültigkeit des § 6 in Zweifel gezogen, weil be- (Dr. Furler) stimmte Einzelfälle zu ihm Anlaß gaben oder weil der Anwendungsbereich verhältnismäßig gering ist. Der § 8 des Gesetzes vom 17. Juli 1954 enthält daher nicht nur der Form, sondern auch dem Inhalt nach eine Norm, die den Erfordernissen eines Straffreiheitsgesetzes entspricht. III. Das Landgericht Bonn ist der Auffassung, daß § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954' gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, da die Vorschrift im Gegensatz zu den §§ 2 bis 6 und § 7 Abs. 1 keine Beschränkung der Straffreiheit nach der Höhe der Strafe kenne. Für die Bevorzugung der unter § 8 fallenden Personen, denen Straffreiheit ohne Rücksicht auf die Höhe der Strafe gewährt werde, lasse sich nach der Auffassung des Gerichts kein einleuchtender Grund finden. Kein vernünftiger Grund sei insbesondere dafür ersichtlich, die Amnestie nach § 8 über den Geheimnisverrat (§ 353 b und c StGB) hinaus zu erstrecken. Das Landgericht sieht darin eine willkürliche Bevorzugung des unter § 8 des Straffreiheitsgesetzes fallenden Personenkreises. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE Bd. 1 S. 16, Bd. 3 S. 135, 182) ist der Gleichheitsgrundsatz verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, wenn also die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE Bd. 3 S. 135) hat auch anerkannt, daß bei der Formel „Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden" zu behandeln, dem Gesetzgeber noch immer ein weiter Spielraum für die Betätigung seines Ermessens verbleibt. Das Bundesverfassungsgericht könne dem Gesetzgeber erst dann entgegentreten, wenn für eine von ihm angeordnete Differenzierung zwischen verschiedenen Personengruppen sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind, so daß ihre Aufrechterhaltung einen Verstoß gegen das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden darstellen würde. Es erscheint notwendig, die Gründe darzulegen, die sämtliche Fraktionen des 1. Deutschen Bundestages — mit Ausnahme der Kommunisten — in weitgehender Übereinstimmung der Meinungen dazu bestimmt haben, ein Straffreiheitsgesetz für Nachrichtentätigkeit ins Auge zu fassen. Die Feststellungen des 46. Untersuchungsausschusses (vgl. Kurzprotokoll der 1. Sitzung des Unterausschusses „Straffreiheitsgesetz" des 23. Ausschusses vom 12. März 1953, Stenographische Berichte der 273. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 18. Juni 1953 S. 13545) haben ergeben, daß „vor dem gesetzlich festliegenden Stichtag, dem 31. Dezember 1951, in der Bundesverwaltung besondere Anlaufschwierigkeiten und stellenweise große Unsicherheit bestanden haben, die sogar in Einzelfällen dazu geführt haben, daß gleiche Sachverhalte und gleiche Tatbestände in den einzelnen Ministerien und Verwaltungen verschieden behandelt wurden. Gerade das ist es, was den Ausschuß in seiner Mehrheit veranlaßt hat, unter diese Dinge nunmehr einen Schlußstrich zu ziehen" (Abg. Hoogen in der 273. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages vom 18. Juni 1953 S. 13544). In derselben Sitzung vom 18. Juni 1953 führte der Abg. Hoogen (S. 13544 C) weiter aus: „Die Ermittlungen im 46. Untersuchungsausschuß haben nämlich ergeben, daß von Journalisten in mehreren Fällen Bediensteten der Bundesbehörden Geschenke angeboten und auch gegeben worden sind. Diese Geschenke haben zwar keineswegs den Umfang gehabt, wie das in der Öffentlichkeit teilweise behauptet oder verbreitet wurde. Im Ausschuß war man vereinzelt deshalb der Meinung, daß diese Fälle aktiver und passiver Bestechung nicht von der Amnestie mit umfaßt werden sollten. Mit dieser Frage haben sich Rechtsausschuß und Unterausschuß sehr eingehend befaßt. Die Durchführung der Untersuchungen im 46. Ausschuß hat jedoch ergeben, daß die aus den verworrenen Nachkriegsverhältnissen und den Anlaufschwierigkeiten der Bundesverwaltung herrührende Unsicherheit, zu deren Beseitigung das Straffreiheitsgesetz dienen soll, sich insbesondere auch auf die Fälle erstreckt, wo im Einzelfall eine Bestechung möglicherweise anfängt oder aufhört. Nach den durchgeführten Ermittlungen ist es in der Tat sehr schwer, zu sagen, ob Honorare, die ein Beamter angenommen hat, der für irgendeinen Informationsdienst als Informant gewirkt oder Artikel geschrieben hat, Bestechungsgelder gewesen sind oder ob es sich bei ihnen nur um das Entgelt für eine genehmigungspflichtige oder nach den Bestimmungen des Beamtengesetzes sogar um eine genehmigungsfreie Nebenbeschäftigung handelte. Das waren gerade die Schwierigkeiten, unter die wir einen Schlußstrich ziehen wollten. Die Anwendung strengen Rechtes auf alle diese verschieden gelagerten und zwischen den einzelnen Ministerien teilweise sogar verschieden gehandhabten Fälle würde die große Gefahr heraufbeschwören, daß Unrecht an die Stelle von Recht gesetzt würde, weil das Gericht diese Schwierigkeiten und Unterschiedlichkeiten zwar bei der Frage des Strafmaßes, niemals aber bei der Schuldfrage berücksichtigen könnte, sondern zu einer Verurteilung kommen müßte, wenn der Angeklagte durch seine Handlung den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht hat. Das zu verhindern, meine Damen und Herren, und 'deshalb auch bei etwa vorgekommenen Bestechungsfällen keine Ausnahme vom Straffreiheitsgesetz zu machen, war die mit überwiegender Mehrheit geäußerte Meinung des Ausschusses." Das Landgericht Bonn meint (S. 22 seines Beschlusses), daß eine weitgehende Amnestierung der Verstöße gegen die §§ 353 b und c StGB – Geheimnisverrat — auf der Hand lag, da sich hier „einleuchtende Gründe für eine Amnestierung unter Berücksichtigung der zweifellos bestehenden Rechtsunsicherheit in den Beziehungen zwischen Verwaltung und Presse nach dem Chaos des Zusammenbruchs und der Periode des improvisierten Neuaufbaues des Staatsapparates" ergeben. Es sieht aber keine solchen Gründe für die Einbeziehung insbesondere der aktiven und passiven Bestechung für gegeben. Wie zweifelhaft aber gerade im Bereich des Pressewesens die Beurteilung der Strafwürdigkeit eines auf die Erlangung oder die Lieferung von Nachrichten gerichteten Verhaltens sein kann, ergibt sich aus dem Schicksal, das der § 140 der Reichstagsvorlage eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1927 über die Verletzung des Amtsgeheimnisses gehabt hat. Der § 140 des Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs in der Fassung der Reichs- (Dr. Furler) tagsvorlage 1927 (Nr. 3390 der Drucksachen des Reichstags, III. Wahlperiode 1924/27) lautet: § 140 Verletzung des Amtsgeheimnisses Ein Amtsträger oder früherer Amtsträger, der ein ihm kraft seines Amtes anvertrautes oder zugängliches Geheimnis gegen Entgelt oder in der Absicht offenbart, sich oder einem anderen unrechtmäßig einen Vorteil zu verschaffen oder jemand einen Nachteil zuzufügen, wird mit Gefängnis bestraft. Die Tat wird nur auf Verlangen des Vorgesetzten verfolgt." Die Vorschrift war in den Reichstagsausschüssen, die über die Strafrechtsform berieten, starker Kritik ausgesetzt, die schließlich dazu führte, daß der Reichsminister der Justiz Koch-Weser sie fallen ließ (Niederschrift über die 30. Sitzung des 21. Ausschusses [Reichsstrafgesetzbuch] des Reichstages IV. Wahlperiode 1928 S. 1). Reichsminister der Justiz Koch-Weser erklärte, daß nach seiner Auffassung der § 140 jedenfalls in der vorliegenden Form nicht aufrechterhalten werden könne. Einer allgemeinen Vorschrift gegen die Preisgabe von Amtsgeheimnissen stehe entgegen, daß eine sichere Grenze zwischen den strafwürdigen und den nicht strafwürdigen Fällen nicht zu finden sei. Nach der Fassung dieser Vorschrift laufe jeder Staatsmann Gefahr, bestraft zu werden, wenn er über den Verlauf einer Sitzung anderen Mitteilung mache. Die Einschränkungen der Vorlage genügten nicht, um diese Bedenken zu beheben. Strafbar sei nach der Vorlage, wer ein Amtsgeheimnis gegen Entgelt veröffentliche; ein Entgelt sei aber auch das Honorar für einen Zeitungsartikel. Man könne es deshalb, wie bisher, bei der disziplinären Ahndung bewenden lassen. Diese Bedenken führten zur Streichung der Vorschrift, so daß sie in dem Entwurf Kahl eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs (Reichstag V. Wahlperiode 1930, Drucksache Nr. 395) nicht mehr enthalten war. Wenn aber schon in normalen Zeiten solche Meinungen über die Strafwürdigkeit und Nichtstrafwürdigkeit einer entgeltlichen Mitteilung von Amtsgeheimnissen geäußert wurden, so waren Zweifel über die Strafwürdigkeit bei den Vorgängen, die zu § 8 des Straffreiheitsgesetzes Anlaß gaben, um so mehr berechtigt, als es sich dabei um Vorgänge in der Übergangs- und Aufbauzeit der Nachkriegsjahre handelte, in denen sich gefestigte Maßstäbe über das, was erlaubt und nicht erlaubt, strafwürdig und nicht strafwürdig sei, erst wieder bilden mußten. Wenn nun der Gesetzgeber sich entschloß, um der Zweifel an der Strafwürdigkeit mancher Handlungen willen einen Schlußstrich zu ziehen, so war es rechtspolitisch untragbar, in dem Straffreiheitsgesetz selbst zwischen amnestiewürdigen und amnestieunwürdigen Fällen in der Weise zu unterscheiden, daß aktive oder passive Bestechung schlechthin ausgeschlossen oder eine Beurteilung des Einzelfalles zugrunde gelegt wurde. Nur diejenigen Straftaten, deren Amnestieunwürdigkeit offensichtlich war, sind demnach durch den § 9 Abs. 1 von der Straffreiheit ausgeschlossen worden. Im übrigen muß jede Amnestie um des Gleichheitsgrundsatzes willen in Kauf nehmen, daß sie neben zahlreichen amnestiewürdigen auch einzelne Fälle erfaßt, in denen die Gewährung von Straffreiheit nicht gerechtfertigt ist. Den maßgebenden Gesichtspunkt hat der Abgeordnete Dr. Greve hervorgehoben, wenn er in der 1. Sitzung des Unterausschusses „Straffreiheitsgesetz" S. 7 des Protokolls Nr. 1 vom 12. März 1953 ausführt: „Man müsse bei einer Amnestie nach dem Grundsatz des Allgemeinen suchen. Die ausschließliche Betrachtung der einzelnen Fälle führe kaum zu einem brauchbaren Ergebnis, weil man nicht sagen könne, daß man den einen Fall von der Amnestie ausnehmen und den anderen Fall amnestieren wolle. Es käme bei jeder Amnestie vor, daß einzelne Fälle straffrei bleiben, ,die man an sich nicht gerne straffrei lassen wolle. Aber das Bemühen gehe ja gerade dahin, daß die Amnestie ihrem Charakter nach allgemein sein müsse. Er sei nicht dafür, daß man sich einzelne Fälle vorlegen lasse und die Amnestie danach einrichte, so daß der eine Einzelfall darunter falle und der andere nicht. Die Aufgabe des Ausschusses sei es, einen gewissen Rahmen zu ziehen und es dann den zuständigen Stellen zu überlassen, welche Fälle in den Rahmen dieses Gesetzes fallen und welche außerhalb dieses Gesetzes zu bleiben haben. Einzelfälle zu prüfen, sei nicht Aufgabe des Ausschusses oder des Bundestages." Aus diesem Bedürfnis, einen allgemeinen Schlußstrich unter Verhaltensweisen im Presse- und Nachrichtenwesen der Nachkriegsjahre zu ziehen, hat das Gesetz im Bereich des § 8 auch keine Höchststrafgrenze eingeführt. Die Einführung einer Höchststrafgrenze hätte das Gericht unter Umständen genötigt, das Verfahren durchzuführen und erst auf Grund des Ergebnisses der Hauptverhandlung zu beurteilen, ob die Tat unter die Strafgrenze der Amnestie falle oder sie überschreite. Gegenüber dem Gesichtspunkt, durch eine Höchststrafgrenze gewisse strafunwürdige Fälle auszuschließen, hat der Bundestag dem nicht minder sachlich berechtigten Bedürfnis, einen allgemeinen Schlußstrich zu ziehen, den Vorrang gegeben. Eine solche Lösung liegt durchaus im Bereich des weiten Spielraums für die Betätigung des Ermessens des Gesetzgebers, der diesem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE Bd. 3 S. 135) bei der Differenzierung von gesetzlich geordneten Sachverhalten zukommt. Im übrigen stehen dem Gesetzgeber für den Ausschluß amnestieunwürdiger Fälle verschiedene Möglichkeiten offen. Die eine besteht in der Begrenzung der Straffreiheit durch ein Höchstmaß der Strafe. Diese Möglichkeit ist in den §§ 2 bis 6, 7 Abs. 1 des Straffreiheitsgesetzes 1954 verankert. Die andere Möglichkeit besteht in der Schaffung von Ausschlußgründen, die durch normative Tatbestandsmerkmale gekennzeichnet sind. Der ehemalige Bundesminister der Justiz, Dr. Dehler, hat in der 273. Sitzung des Bundestages vom 18. Juni 1953 darauf hingewiesen (Stenographische Berichte S. 13545 C), daß er die Fälle der aktiven und passiven Bestechung für amnestieunwürdig halte, in denen aus ehrloser Gesinnung oder aus Gewinnsucht gehandelt worden ist. In dem Gesetzesbeschluß vom 18. Juni/29. Juli 1953 waren derartige Fälle von der Straffreiheit nicht ausgenommen. Weil dies in der Tat bedenklich gewesen wäre, hat das Straffreiheitsgesetz 1954 auch die Gewährung von Straffreiheit nach § 8 dem allgemeinen Ausschlußgrund des § 9 Abs. 2 unterstellt. Danach sind allgemein von der Straffreiheit Straftaten ausgeschlossen, die auf Gewinnsucht beruhen oder bei denen die Art der Ausführung oder die Beweg- (Dr. Furier) gründe eine gemeine Gesinnung des Täters erkennen lassen. Wenn das Landgericht Bonn in seinem Beschluß vom 10. November 1954 (S. 5) der Oberzeugung Ausdruck gibt, den von jenem Beschluß betroffenen Angeklagten könne nicht der Vorwurf gemacht werden, aus Gewinnsucht oder gemeiner Gesinnung gehandelt zu haben, so kann daraus kein Einwand gegen die Echtheit der Begrenzung der Straffreiheit hergeleitet werden, die sich aus § 9 Abs. 2 auch für die Gewährung von Straffreiheit nach § 8 das Straffreiheitsgesetzes ergibt. Denn der Gesetzgeber hat ja mit Absicht ,die Amnestie des § 8 auch für andere Fälle eröffnet, deren Zahl im einzelnen beim Erlaß des Gesetzes nicht übersehbar und unbestimmt war, und mußte daher den Ausschluß amnestieunwürdiger Fälle durch Aufstellen normativer Straftatbestandsmerkmale, wie sie § 9 Abs. 2 des Gesetzes nennt, sicherstellen. Den gleichen Weg hat der Gesetzgeber auch für die Fälle des § 7 Abs. 2 des Straffreiheitsgesetzes 1954 beschritten, nach dem gleichfalls Straffreiheit bei Verschleierung des Personenstandes ohne Rücksicht auf die Strafe gewährt wird. Es liegen demnach einleuchtende Gründe für die besondere Regelung des § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1954 vor. Der Vorwurf einer willkürlichen Bevorzugung des darin genannten Personenkreises ist nicht begründet. Anlage 3 (Vgl. S. 5928 D) Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Bucher (FDP) gemäß § 59 der Geschäftsordnung zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht betreffend Aussetzungsbeschluß des Landgerichts Bonn vom 10. November 1954 in dem Strafverfahren gegen Dr. Platow u. a. wegen aktiver Bestechung: Bei der Abstimmung über den Mündlichen Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht über die Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht (Fall Platow) — Drucksache 1793, Punkt 2 der heutigen Tagesordnung — habe ich mit „Nein" gestimmt, weil ich in der Sache den Standpunkt des Landgerichts Bonn für richtig halte. Insbesondere ergibt eine konkrete Betrachtung, daß unter § 8 des Straffreiheitsgesetzes tatsächlich nur die unter dem Stichwort „Platow" zusammengefaßten Sachen fallen. Auch der Bericht kann nicht darlegen, welche anderen Einzelfälle hier noch in Betracht kommen könnten. Nicht dagegen identifiziere ich mich mit den Auslassungen des Landgerichts Bonn, die dahin gehen, der Bundestag habe „bewußt ein inhaltlich verfassungswidriges Gesetz unverfänglich formuliert" und „sein Verhalten erinnere an Fälle aus der Zeit des Nationalsozialismus". Der Zurückweisung dieser Vorwürfe seitens des Berichterstatters stimme ich zu. Bonn, den 27. Oktober 1955 Dr. Bucher Anlage 4 Umdruck 489 (Vgl. S. 5966 D) Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse Der Bundestag wolle beschließen: Die folgenden Anträge werden gemäß § 99 Abs. 1 der Geschäftsordnung ohne Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen: 1. Antrag der Abgeordneten Dr. Atzenroth, Dr. Weber (Koblenz), Odenthal und Genossen betreffend Bau einer Rheinbrücke bei Bendorf (Drucksache 1709) an den Haushaltsausschuß (federführend) und an den Ausschuß für Verkehrswesen; 2. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Berliner Porzellan-Manufaktur (Drucksache 1772) an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen; 3. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Zollfreie Einfuhr von Kaffee und Tee im Reiseverkehr (Drucksache 1773) an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen. Bonn, den 18. Oktober 1955 Dr. Krone und Fraktion Ollenhauer und Fraktion Dr. Dehler und Fraktion Dr. Mocker und Fraktion Dr. Brühler und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Karl Weber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon von mehreren Seiten, auch von dem Herrn Bundesjustizminister, hervorgehoben worden, daß der uns vorliegende Gesetzentwurf eilbedürftig ist. So ist es wohl auch zu erklären, daß dieses Gesetz bereits heute auf der Tagesordnung ist. Es wurde vom Ältestenrat in Berlin auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gesetzt, so daß den Fraktionen an sich wenig Zeit zur Beratung dieser wichtigen Materie blieb. Infolgedessen bin ich auch nicht in der Lage — das möchte ich von vornherein erklären —, Ihnen eine abgestimmte und abgeklärte Meinung meiner Fraktion zu den einzelnen Bestimmungen dieses Entwurfs heute schon vorzutragen.
    Der Gesetzentwurf wirft, das verkenne ich nicht, schwerwiegende Probleme auf, die sehr eingehender Erörterungen bedürfen. Wir werden uns der Aufgabe, den Entwurf eingehend zu prüfen, nicht entziehen.
    Übereinstimmung besteht ja zwischen Regierung und allen Rednern — das möchte ich doch betonen, weil es angesichts der Kritik, die in den Ausführungen des Herrn Kollegen Metzger geübt worden ist, in den Hintergrund treten könnte — über ganz wichtige und, wie ich auch zugebe, die dringlichsten Bestimmungen dieses Gesetzes. Zweifellos ist ein Rechtsnotstand dadurch eingetreten, daß sich die vom Bundestag im Gesetz vorgenommene Geschäftsverteilung, die damals sehr eingehend überlegt worden war und die ,auch Gegenstand des Kompromisses gewesen ist, den wir damals geschlossen haben, um eine Annahme .des Gesetzes auf möglichst breiter Grundlage zu erreichen, als durchaus untauglich erwiesen hat. Einer der ersten Zwecke dieser Novelle ist es, diesen gesetzgeberischen Fehler auszumerzen und eine Lösung zu finden, die die „Funktionsfähigkeit" oder richtiger die „Aktionsfähigkeit" des Bundesverfassungsgerichts herstellen soll, damit die beim Ersten Senat bestehende Verstopfung beseitigt wird und Fragen, die einer Lösung unbedingt und schleunigst bedürfen, alsbald geklärt werden können. Die Frage wird sein, ob man den Weg geht, daß man über die dringlichsten Anliegen der Novelle vorab entscheidet, damit alsbald dem Anliegen des Bundesverfassungsgerichts selbst Rechnung trägt und durch eine gleichmäßigere Geschäftsverteilung die Abwicklung der dem Bundesverfassungsgericht obliegenden Aufgaben sicherstellt. Das ist ein Weg, der in Erwägung gezogen werden kann. Ich muß ge- stehen, ich werde mich nicht grundsätzlich dagegen aussprechen, einen solchen Weg einzuschlagen. Die Geschäftsverteilung durch das Plenum selbst entspricht durchaus der deutschen Gerichtstradition. Dieser Weg ist auch von allen Vorrednern als gangbar anerkannt worden, so daß ich glaube, wir werden darüber sehr schnell zu einer Einigung kommen.
    Die Einschränkung der Verfassungsbeschwerde werden wir schon etwas genauer unter die Lupe nehmen müssen. Es ist bekannt, daß weite Kreise meiner Fraktion seinerzeit gegen die Einführung der Verfassungsbeschwerde überhaupt gewesen sind, weil sie das, was jetzt eingetreten ist, haben kommen sehen. Wir haben damals in den Erörterungen mit den Herren Sachverständigen im Rechtsausschuß gerade die Frage geprüft, ob nicht durch die Aufnahme der Verfassungsbeschwerde, die in den im Grundgesetz für das Bundesverfassungsgericht vorgesehenen Zuständigkeiten nicht enthalten ist, der Zustand eintreten würde, der heute tatsächlich eingetreten ist. Wir haben rechtsvergleichendes Material herangezogen, die Geschäftszahlen bei Verfassungsgerichtshöfen anderer Länder überprüft — ich erinnere mich, daß wir speziell die Geschäftslage beim österreichischen Verfassungsgerichtshof unter die Lupe genommen haben — und hatten damals schon recht erhebliche Bedenken, ob auf diese Weise eine ordentliche Lösung gefunden werden könne. Das war auch einer der Gründe, weshalb wir zu dem Zwillingsgericht gekommen sind. Wir sagten uns: die Geschäftslast, wie sie nun auf das Bundesverfassungsgericht zukommt, kann von einem Senat, von einem Gericht nicht getragen werden.
    Wir sind diesen Weg sehr ungern gegangen. Sowohl der Regierungsentwurf als auch der Entwurf der SPD sahen eine andere Lösung, ein einheitliches Gericht vor. Aber angesichts dessen, was inzwischen eingetreten ist und was zum Teil ganz sicher auch darauf zurückzuführen ist, daß eine Klärung grundlegender verfassungsrechtlicher Fragen, die das Grundgesetz nun einmal aufgeworfen hat, noch nicht erfolgt ist, so daß in den ersten Jahren des Bestehens des Grundgesetzes die Zahl derjenigen Fragen, die nach einer grundsätzlichen Klärung drängen, sehr viel größer sein wird als in späteren Jahren, muß man in jedem Falle — das möchte ich in diesem Zusammenhang jetzt schon sagen — den Weg dafür offenhalten, daß das Gericht später als einheitliches Gericht konstituiert werden kann. Das ist auch ein Hauptanliegen des sogenannten Reformvorschlags, auf den ich später zu sprechen kommen werde.
    Ob die Einschränkung bezüglich der Verfassungsbeschwerde, d. h. die Vorschrift, daß die Verfassungsbeschwerde nur dann zulässig sein soll, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage zu erwarten ist oder wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Zulassung ein schwerer oder unabwendbarer Nachteil entstünde, die Grenzen richtig setzt, werden wir im Ausschuß prüfen müssen. Grundsätzlich bin ich damit einverstanden, daß ein Zulassungsverfahren vorgeschaltet wird. Aber die Frage wird für mich sein, ob ich mich damit einverstanden erklären kann, daß die Entscheidung nicht be-


    (Dr. Weber [Koblenz])

    gründet wird. Es ist für einen Rechtsuchenden immer etwas außerordentlich Unbefriedigendes, wenn ihm lediglich mitgeteilt wird: Durch einstimmigen Beschluß ist Ihre Verfassungsbeschwerde nicht zugelassen. — Wenn die Zulassung so begrenzt wird, wie es nach dem Vorschlag der Regierung der Fall ist und wie es meine Herren Vorredner im großen und ganzen gebilligt haben, dann möchte ich doch meinen, daß es nicht schwer sein würde, die Gesichtspunkte in einigen Sätzen darzulegen, die zur Versagung der Zulassung geführt haben, damit dem Betreffenden auch klargemacht wird, daß ihm das Recht nicht verweigert wird. Das wird ein Punkt sein, den ich jedenfalls für verbesserungsbedürftig halte.
    Des weiteren hat der Bundesrat in diesem Rahmen eine Frage aufgeworfen, die wir werden überprüfen müssen, ob nicht das Verfahren der sogenannten Normenkontrolle vereinfacht werden kann, indem das Gericht, das ein Gesetz für verfassungswidrig hält, seine Vorlage unmittelbar dem Bundesverfassungsgericht zuleitet, das dann seinerseits die Befugnis erhalten soll, ein oberes Bundesgericht oder ein oberstes Landesgericht zu einer Außerung aufzufordern. Die Bundesregierung hat diesen Vorschlag abgelehnt. Sie vertritt vielleicht nicht mit Unrecht den Standpunkt, daß eine abschließende Stellungnahme zu dieser Frage wegen der noch mangelnden Erfahrungen noch nicht möglich ist und daß, wenn sich das Verfahren einmal eingespielt hat, auch die jetzt im Gesetz enthaltene Lösung, wobei die Vorlage über das obere Bundesgericht oder über das oberste Landesgericht mit dessen Stellungnahme erfolgt, in der Zukunft nicht mehr zu einer Verzögerung führen wird. Das Verfahren muß sich in der Tat ja erst einmal einspielen. Soviel zu der sogenannten technischen Novelle, über die ja im großen und ganzen Einverständnis besteht.
    Nun zu einem weiteren Kernpunkt, ich betone ausdrücklich: der sogenannten „Reform". Herr Kollege Metzger sprach von der „großen Reform". Ich glaube, man kann in dieser Vorlage noch nicht die sogenannte „große Reform" erblicken. Es ist allerdings auch nicht die kleine Lösung gewählt worden, die zunächst zur Beseitigung augenblicklicher Notstände notwendig ist, sondern eine mittlere Lösung. Es sind auch Fragen angeschnitten worden, in denen sich das Gesetz in der Vergangenheit vielleicht als unzulänglich erwiesen hat. Man sollte diese Vorschläge in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit prüfen.
    Es ist in der Öffentlichkeit davon gesprochen worden, daß hier das „kunstvolle Gleichgewicht"
    — Herr Kollege Bucher hat ja dieses Wort des Herrn Bundesverfassungsrichters Leibholz zitiert
    — zerstört würde, daß hier „ein Versuch der Exekutive vorliege, sich der Kontrolle durch die Justiz zu entziehen", daß sozusagen ein „Anschlag auf die Justiz" verübt werde. Herr Kollege Metzger meinte sogar, daß hier eine „Regelung unter der Hand" versucht würde und daß „dunkle Kräfte am Werke seien, ganz andere Ziele zu erreichen". Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen offen gestehen: ich weiß nicht, wodurch solche Vorwürfe veranlaßt sein sollten, da hier doch der ordentliche Weg der Gesetzgebung eingehalten wird, der Bundestag also dieses Gesetz in drei Lesungen prüft, der Bundesrat es geprüft hat und wir Gelegenheit haben, in jeder Hinsicht dazu Stellung zu nehmen. Unter diesen Umständen sind
    derartige Vorwürfe wirklich unbegründet. Wenn Sie, Herr Kollege Metzger — das schien mir nach Ihren Ausführungen der Fall zu sein —, die historische Entwicklung, wie Sie es nannten, damit gemeint haben, dann möchte ich sagen, daß dazu der Herr Bundesjustizminister seinerseits schon Stellung genommen hat, so daß ich mich hierzu nicht mehr zu äußern brauche.
    Wenn aber weiter gesagt wird, daß der verfassungsrechtliche Charakter des Grundgesetzes — gemeint war wohl: des Bundesverfassungsgerichts — in Frage gestellt werde, daß „eine Säule des Bundesverfassungsgerichts angeknabbert werde", dann habe ich für diese maßlosen Vorwürfe kein Verständnis. Es kann doch wohl nicht bestritten werden, auch von Ihnen nicht bestritten werden, daß sich sämtliche Vorschläge im Rahmen des Grundgesetzes halten. Infolgedessen kann nicht der Vorwurf erhoben werden, daß hier Säulen des Staates angeknabbert würden. Die Bundesregierung hat es sogar abgelehnt, ihrerseits Vorschläge zu machen, die eine Verfassungsänderung notwendig machten. Der Herr Bundesjustizminister hat soeben dargelegt, daß er in dieser Hinsicht der Meinung ist, es stehe der Bundesregierung nicht an, dem Bundestag einen Vorschlag zu machen, der auch nur zum Teil ein ihm im Grundgesetz gegebenes Recht, nämlich die Wahl der Richter, nehmen würde. Man hätte infolgedessen nicht so aufzudrehen und zu sagen brauchen — wie es hier soeben geschehen ist —, daß das völlig unveranlaßt gewesen ist.

    (Abg. Metzger: Man kann gegen den Geist der Verfassung verstoßen!)

    — Ich will gerade darauf zu sprechen kommen. Ich leugne nicht — ich bin schließlich daran beteiligt und habe auch noch in dem kleinsten Gremium, im Unterausschuß, mitgewirkt —, daß dieses Gesetz ein Kompromiß darstellt und daß man auch prüfen muß, ob die Voraussetzungen, von denen das damalige Kompromiß ausging, weggefallen sind oder ob sich solche Unzuträglichkeiten ergeben haben, die damals nicht übersehen wurden und die eine Änderung notwendig machen. Das ist meines Erachtens tatsächlich der Fall. Ich möchte ausdrücklich betonen: es ist zu begrüßen, daß diese Prüfung sich in einer durchaus sachlichen Atmosphäre abspielen kann. Zur Zeit ist die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht in Frage gestellt, wie das in der Vergangenheit schon einmal der Fall gewesen ist, und aus diesen Fällen der Vergangenheit müssen wir nach meiner Meinung lernen; denn sie können immer und immer wieder eintreten.
    Wenn man gesagt hat, daß hier ein kunstvoll hergestelltes Gleichgewicht gestört werde, dann hat meiner Ansicht nach ein Mann, der mit den Praktiken des Bundesverfassungsgerichts sehr vertraut ist, wie sein früherer Direktor, der heutige Bundesrichter D r. Willms , mit Recht darauf hingewiesen, daß davon keine Rede sein könne. Das Grundgesetz bestimmt lediglich bezüglich des Kernpunktes, der hier zur Frage steht — das ist ja das Wahlsystem —, daß die Bundesverfassungsrichter zur Hälfte vom Bundestag und zur anderen Hälfte vom Bundesrat gewählt werden müssen. Dieses Recht ist gewahrt. Es sagt dann weiter, daß ein Bundesgesetz die Verfassung und das Verfahren zu regeln hat und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen — nämlich die des Bundesverfassungsgerichts — Gesetzeskraft haben.


    (Dr. Weber [Koblenz])

    Herr Dr. Willms weist in seinem Aufsatz nicht mit Unrecht darauf hin, daß man sogar darüber streiten könne, ob infolgedessen der normale Gesetzgeber berechtigt war, die Wahl, die im Grundgesetz selber festgelegt ist, zu ändern. Ich stimme ihm dabei nicht zu. Wir haben uns damals dazu entschlossen und es auch für zulässig gehalten, daß der Bundestag die ihm im Grundgesetz gegebene Möglichkeit auf ein Wahlmännergremium, den Wahlmännerausschuß, delegiert. Ich halte diese Lösung für durchaus verfassungsgemäß; ich will aber nur auf diese Bedenken, die von anderer Seite erhoben worden sind, hinweisen. Das Grundgesetz geht grundsätzlich davon aus, daß die Mehrheit — und noch nicht einmal eine qualifizierte Mehrheit — dieses Hauses entscheidet, welche Richter gewählt werden. Wir hielten bei der besonderen Art dieses Gerichtes gewisse Anliegen, auch von Minderheitsparteien, daß der Minderheit gewisse Rechte gegeben werden, für durchaus berücksichtigungswert. Sie streben es ja an, auch uns einmal in die Minderheit zu bringen; es könnte also — ich habe zwar in dieser Hinsicht keine Befürchtung — auch für uns, für meine Fraktion einmal akut werden. Wir sind auch heute nicht etwa darauf aus — und ich glaube, auch die Bundesregierung nicht; da tun Sie ihr unrecht, Herr Kollege Metzger —, ein „Regierungsgericht" zu bilden. Der Herr Bundesjustizminister hat diesen Vorwurf bereits zurückgewiesen. Wenn Sie die Begründung aufmerksam gelesen hätten, dann hätten Sie gesehen, daß die Bundesregierung durchaus andere Möglichkeiten erwägt, daß sie es für den ersten Wahlgang bei der jetzigen Regelung lassen will und daß sie auch für einen zweiten etwa notwendig werdenden Wahlgang, wenn der erste nicht zum Ziele führt, andere Möglichkeiten als die Entscheidung durch die absolute Mehrheit erwogen hat und für möglich hält. Schon in der Begründung heißt es:
    Es wäre beispielsweise zu erwägen, anderen Organen oder Gremien, deren Sachkunde oder Ansehen bei der Wahl zur Geltung kommen soll, ein Vorschlagsrecht zu geben. Ein solches Vorschlagsrecht wäre, falls es nicht bindend ist, wohl als mit der Verfassung vereinbar anzusehen. Die sehr eingehenden Beratungen, die hierüber gepflogen worden sind, haben jedoch zu keinem Ergebnis geführt, das allgemeine Überzeugungskraft beanspruchen könnte. Um die dringend notwendigen Reformen nicht noch weiter zu verzögern, ist dieser Gedanke daher einstweilen zurückgestellt worden.
    Meine Damen und Herren, Sie ersehen daraus, daß die Bundesregierung schon im Stadium des Einbringens derartige Erwägungen angestellt hat. Noch deutlicher ist es aber gesagt in der Stellungnahme, die der Herr Kollege Bucher auch schon zitiert hat, zu den Vorschlägen des Bundesrates:
    Eine Regelung, die dem Anliegen der Bundesregierung gerecht wird und gleichzeitig den erhobenen Bedenken Rechnung trägt, könnte etwa darin gesehen werden, daß an Stelle der zuständigen Wahlkörperschaft ein anderes Organ entscheidet, wenn eine Wahl durch die betreffende Wahlkörperschaft innerhalb einer ausreichend bemessenen Frist nicht zustande gekommen ist.
    Diese Möglichkeit ist aber nicht ohne Änderung des Grundgesetzes zu erreichen. Daß die Bundesregierung in dieser Hinsicht keine positiven Vorschläge gemacht hat, sollten wir als Parlament, glaube ich, nur begrüßen. Die Bundesregierung hat es uns überlassen, diese Frage zu prüfen und da entsprechende Vorschläge zu machen. Man kann aber angesichts dieses Tatbestandes — darauf kommt es mir in diesem Zusammenhang an — nicht sagen, daß die Bundesregierung darauf aus gewesen sei, sich eine Mehrheit zu sichern und sich damit sozusagen der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts zu entziehen. Dieser Vorwurf geht entschieden zu weit und ist nach der Lage der Sache auch unbegründet.
    Ich gestehe Ihnen, daß die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, das seinerzeit fast einstimmig gegen die Kommunisten angenommen worden ist, ein allgemeines Anliegen dieses Hauses sein muß und daß wir bestrebt sein sollten, da zu einer Verständigung zu kommen. Aber es geht auch in dieser Hinsicht wiederum zu weit, wenn gesagt wird, solche Vorschläge seien leichtherzig oder gar leichtfertig, wie es geschehen ist. Herr Kollege Metzger, sie sind wohlerwogen und beruhen leider auf Erfahrungen, auf sehr schlechten Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben und als Gesetzgeber nicht außer acht lassen dürfen.
    Sie haben zunächst wohl auch der Bundesregierung einen Vorwurf daraus machen wollen, daß sie mit diesem Gesetzentwurf — das ist das zweite Kernstück der sogenannten Reform — die Zahl der Richter ändern will. Sie haben aber zum Schluß wiederum selber gesagt, auch Ihre Fraktion begrüße es, wenn wir vom Zwillingsgericht loskommen. Ihr Entwurf ging ja seinerzeit von einem einheitlichen Gericht aus. Ob die Vorschläge der Bundesregierung in dieser Form angenommen werden können, ist eine ganz andere Sache. Es ist eben schon darauf hingewiesen worden, es sei doch etwas grotesk, daß man der jetzt bestehenden Arbeitslast ausgerechnet dadurch Herr werden wolle, daß man das Gericht verkleinere. Nun, die Erfahrungen sprechen manchmal dafür, daß es bei wenigen Köpfen leichter geht, Herr Kollege Metzger. Ich habe das gestern schon im Unterausschuß „Familienrecht" hervorgehoben. Wir sind gestern mit ein paar Leuten ein erhebliches Stück weitergekommen. Es ist nicht soviel geredet worden. So geht es dann auch in Beratungen. Es ist von keiner Seite beabsichtigt, das Gericht in seiner Besetzung etwa so herabzumindern, daß es nicht mehr dem Charakter entspräche, der ihm als höchstem Gericht zukommt. Nur das möchte ich dazu gesagt haben. Welche Lösung wir da nehmen, wird im Ausschuß zu prüfen sein.
    Die Bundesregierung geht in ihren Vorschlägen — darauf möchte ich in diesem Zusammenhang noch hinweisen — vor allen Dingen darauf aus, den Weg zu einer Reform nicht zu verbauen, d. h. den Weg, allmählich zu einem einheitlichen Gericht zu kommen, zu d e m Bundesverfassungsgericht zu kommen und nicht bei dem Senatssystem zu bleiben, das jetzt besteht. Darauf basieren zum Teil die Vorschläge. Es sind da auch durchaus andere Lösungen denkbar, und wir werden prüfen müssen, ob wir, ohne dieses uns gemeinsame Ziel, das einheitliche Gericht zu bilden, aus dem Auge zu verlieren und diesen Weg zu verbauen, zu einer Lösung kommen können, die auch den augenblicklichen Bedürfnissen des Gerichts ausreichend Rechnung trägt.
    Dann ist auch gesagt worden, der Vorschlag des Bundesregierung, die bisher erforderliche Mehrheit


    (Dr. Weber [Koblenz])

    bei der Wahl der Richter zu beseitigen und für den zweiten Wahlgang die einfache — allerdings absolute — Mehrheit genügen zu lassen, gehe unweigerlich darauf hinaus, daß man im ersten Wahlgang eine Verständigung nicht mehr suche und es sofort auf den zweiten Wahlgang ankommen lasse. Nun, ein Mann vom Gewicht des früheren Direktors des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesrichters Dr. Willms, hat auch zu dieser Frage Stellung genommen. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einiges von dem mitteilen, was er dazu geschrieben hat:
    Nun könnte man sich fragen, welchen Sinn die Vorschaltung eines Wahlgangs mit qualifizierter Mehrheit haben soll, wenn letztlich doch die absolute Mehrheit entscheidet. Traut man der absoluten Mehrheit, also der jeweiligen Regierungsmehrheit, alle Schlechtigkeiten zu, so könnte das allerdings als eine leere Formsache erscheinen. Es kann sich aber auch so verhalten, daß die Einschaltung eines zweiten Wahlgangs, in dem die absolute Mehrheit entscheidet, gerade die Chance echter sachlicher Kompromisse im ersten, die qualifizierte Mehrheit erfordernden Wahlgang erhöht. Man denke etwa an den Fall, daß zwei Kandidaten zur Wahl stehen, von denen der eine eine sachlich in hohem Maße befähigte und zugleich parteimäßig nicht gebundene Persönlichkeit, der andere aber ein geringer qualifizierter Parteimann ist. Nach dem jetzt geltenden Wahlmodus wird hier immer der Wahlpartner mit dem geringsten Gemeinsinn und Verantwortungsgefühl den Ausschlag geben und den verantwortungsbewußteren Teil, der eine uferlose, gesetzwidrige Verzögerung der Wahl vermeiden will, zum Nachgeben zwingen können. Wird auf diese Weise der mindergeeignete Kandidat per compromissum gewählt, so übernimmt angesichts der gebotenen Geheimhaltung des Wahlganges der gutwillig nachgebende Teil auch nach außen hin die volle Mitverantwortung und muß sich am Ende gar das Odium zuspielen lassen, für die schon eingetretene Verzögerung des Wahlgeschäfts verantwortlich zu sein. Die Einschaltung eines zweiten Wahlganges, in dem die absolute Mehrheit entscheidet, bildet zweifellos ein Korrektiv, da nun zwangsläufig das Licht der Öffentlichkeit und damit der öffentlichen Kritik auf das Wahlgeschäft fällt; denn in der Kampfabstimmung des zweiten Wahlgangs würde offenbar, welche Seite unsachlichen und parteiegoistischen Erwägungen den Vorrang geben wollte.
    Ich habe das angeführt, um darzutun, daß auch durchaus andere Betrachtungen des Vorschlags der Bundesregierung möglich sind und daß immerhin Ausführungen von einem Mann wie Dr. Willms nicht einfach in den Wind geschlagen werden können, daß man sie auch bei den Beratungen beachten soll.

    (Abg. Dr. Arndt: Weniger als Wind!)

    Es kommt uns darauf an — und das ist ein entscheidendes Anliegen meiner Fraktion —, unter allen Umständen nicht nur die Aktionsfähigkeit, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Gerichts sicherzustellen, zu verhüten, daß noch einmal das eintritt, was vor einigen Jahren der Fall gewesen ist: daß eine Einigung über die Wahl eines Richters innerhalb von zwei Jahren nicht erfolgen konnte und dadurch das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt war. Dieses Ziel der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Gerichts, die gerade einmal in Krisenzeiten, die uns möglicherweise auch nicht erspart bleiben werden, von ausschlaggebender Bedeutung ist, sollte nach meiner Meinung der leitende Gedanke sein, der bei der Prüfung dieses Gesetzesvorschlages beachtet wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Gille


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GB/BHE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen, die mit diesem Gesetz zur Lösung anstehen, sind in ihrer Wertigkeit und Wichtigkeit sicherlich völlig unterschiedlich. Es gibt eine Reihe von Fragen, die nur technische Bedeutung haben. In der heutigen Aussprache hat sich schon ergeben, daß sich in diesen rein technischen Fragen eine weitgehende Übereinstimmung offenbar ohne Schwierigkeiten erzielen lassen wird. Das sind insbesondere die Fragen, die gelöst werden müssen, um die Funktionsfähigkeit zu gewährleisten und die völlige Überlastung des einen der beiden Senate schnellstens zu beheben. Wir stimmen den Vorschlägen ohne jedes Bedenken zu, nach denen die Zuständigkeitsverteilung auf die beiden Senate aus dem Gesetz herausgenommen und nach alter deutscher Gerichtsverfassungstradition dem Plenum oder dem Präsidium des Bundesverfassungsgerichts überlassen werden soll. Damit wird schon — sicherlich nicht von heute auf morgen, aber in übersehbarer Zeit — das, was man heute wirklich mit Recht einen Rechtsnotstand genannt hat, beseitigt werden können. Es ist erfreulich, daß man diese Mängel durch eine rein technische Lösung bereinigen kann.
    Die Bundesregierung hat diese vordringlich anstehende Frage, die gelöst werden muß, zum Anlaß genommen, um auch eine Reihe anderer Probleme anzusprechen. Wir gehören nicht zu denjenigen, die das grundsätzlich als falsch ansehen und etwa die Meinung vertreten, daß die Überlastung des einen Senats oder die unterschiedliche Belastung der beiden Senate das einzige gewesen ist, was man im Laufe der Vergangenheit an Kritik und an berechtigter Kritik hat vorbringen können. Wir haben deshalb durchaus Verständnis dafür, daß die Bundesregierung auch einige andere Fragen angeschnitten hat. Sie ist nicht so übermäßig weit gegangen, daß sie es gewagt hätte, die größtmögliche Lösung vorzuschlagen; denn von der kleinstmöglichen bis zur größtmöglichen Lösung sind verschiedene Grade möglich gewesen. Die Bundesregierung ist mit ihren Vorschlägen — sehr gegen meine Auffassung — durchaus bescheiden geblieben.
    Zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts dient auch die Bestimmung, nach der den Verfassungsbeschwerden ein Vorverfahren vorgeschaltet werden soll. Meine politischen Freunde stimmen diesem Vorschlag ohne jedes Bedenken zu. Dieser Vorschlag wird auch vom Bundesverfassungsgericht gemacht. Es liegen doch so harte und deutliche Erfahrungen der letzten Jahre dahin vor, daß gerade auf dem Gebiete der Verfassungsbeschwerden eine Unzahl völlig unsinniger und mit diesem Instrument nicht in Verbindung zu bringender Wünsche aus der breiten Schicht des Publikums an das Gericht herangetragen werden, so daß man der Vorschaltung eines solchen Zulassungsverfah-


    (Dr. Gille)

    rens wirklich keine Bedenken entgegensetzen sollte.
    Wir sind bereit, dieser Regelung zuzustimmen.
    Wir sind auch der Meinung, daß man die Gutachtertätigkeit nicht, wie der Entwurf es vorschlägt, beschränken, sondern daß man sie eigentlich ganz streichen sollte; sie paßt doch eigentlich in die ganze Tradition der deutschen Rechtspflege nicht hinein. Wir würden empfehlen, im Ausschuß darüber nachzudenken, was wirklich an ernsten Belangen in Gefahr gerät, wenn wir uns dazu entschließen, das entscheidende Gericht nicht vorher mit Gutachten, über deren Wirkungskraft schon Streit herrscht, zu belasten. In sachkundigen Kreisen sind genügend Stellen vorhanden, die sowohl dem Staatsoberhaupt als auch der Bundesregierung zur Verfügung stehen, wenn das Bedürfnis besteht, in dieser oder jener Rechtsfrage gutachtlichen Rat einzuholen.
    Wir würden auch bei der Vorschaltung des Zulassungsverfahrens keine grundsätzlichen Bedenken haben, dieses Zulassungsverfahren mit rückwirkender Kraft einzusetzen, wenn wirklich die Notwendigkeit besteht — und das kann doch niemand ernstlich bestreiten —, das Bundesverfassungsgericht möglichst schnell von diesem Wust angelaufener Verfassungsbeschwerden zu befreien, um es zu wichtigerer Arbeit einzusetzen. Dann brauchen wir weder verfassungsrechtliche noch sonstige Bedenken zu haben, ein solches Zulassungsverfahren auch bereits auf die heute anhängigen Verfassungsbeschwerden anzuwenden. Wir hätten keine Bedenken, insoweit über den Entwurf hinauszugehen.
    Die Herabsetzung der Zahl der Richter ist doch letzten Endes auch eine mehr technische Frage. Wir haben jedenfalls einen politischen Gehalt in dieser Frage nicht gesehen und haben deshalb die gewisse Leidenschaft, mit der gerade diese Frage angeschnitten wurde, eigentlich nicht recht verstanden. Es wird in Ruhe zu überlegen sein: Wie ist gegenwärtig die Geschäftslage? Wie beurteilt das Bundesverfassungsgericht die weitere Entwicklung, wenn wir diese Verbesserungen einführen? Danach wird ganz nüchtern und ruhig zu prüfen sein: Wieviel Richter brauchen wir jetzt? Können wir die Zahl schon jetzt um 4 oder um 8 ermäßigen, und wie wird die endgültige Zahl sein?
    Ich möchte dazu noch eine Bemerkung machen. Wenn die Zahl der Richter vermindert wird, entstehen dadurch für die Funktionsfähigkeit des Gerichts keine besonderen Gefahren, weil ja die Zahl der Richter, die gegenwärtig für die Beschlußfähigkeit eines Senats erforderlich ist, auch nur, wenn ich nicht irre, 9 beträgt, also auch nicht etwa 12, nämlich die volle Zahl. Hier besteht also heute wohl noch ein gewisses Regulativ. Wir sollten diese Frage nicht überbewerten, sondern ganz ruhig und nüchtern nach dem vorhandenen Bedürfnis prüfen.
    Nun kommen wir aber zu einer Frage, wo die Sache wirklich politischen Gehalt zu bekommen beginnt, zur Frage des Wahlverfahrens und des Wahlmodus. Die Bundesregierung hat sich entschlossen — eben weil das Grundgesetz es so vorsah —, ohne eine Grundgesetzänderung vorzuschlagen, zu dem Wahlverfahren durch ein politisches Wahlmännergremium einen Änderungsvorschlag zu machen, und zwar allein mit der Absicht, zu verhindern, daß es zu Situationen kommt, in denen das Wahlmännergremium die vakante Richterstelle nicht schnellstens besetzten könnte.
    Nun muß ich allerdings sagen: Die Lösung, die die Bundesregierung herausgefunden hat, um dieses Ziel — das sicherlich richtig ist — zu erreichen, ist so ungefähr das Schlechteste, was man sich überhaupt vorstellen kann. Wir können doch nicht die Augen davor verschließen, daß das Wahlmännergremium — ich sage: gewollt und bewußt — nach politischen Kräfteverhältnissen des Parlaments zusammengesetzt ist. Und wenn man in einem derart zusammengesetzten Gremium eine bisherige Zweidrittelmehrheit für den Fall, daß sie im ersten Wahlgang zu keiner Entscheidung geführt hat, im zweiten Wahlgang auf die absolute Mehrheit zurückschaltet und auch weiß, daß im gegenwärtigen Augenblick die absolute Mehrheit in der Hand einer einzigen Partei ist, dann konnten solche Vorwürfe, wie sie heute hier erhoben worden sind, einfach nicht ausbleiben. Wenn sie nicht hier im Parlament erhoben worden wären, dann wären sie — bitte, doch nicht zur Stärkung des Ansehens des Bundesverfassungsgerichts — doch bestimmt in der Öffentlichkeit draußen gemacht worden.
    Der gegenwärtige „Verbesserungsvorschlag" der Bundesregierung wird zu dem Vorwurf führen, das Bundesverfassungsgericht sei ein parteipolitisch einseitig zusammengesetztes Gremium. Das ist schlimmer als der Vorwurf, der heute erhoben wird, es sei ein Gericht, das von einem Wahlgremium gewählt wird, das nach rein parteipolitischen Kräfteverhältnissen zusammengesetzt ist. Ich glaube also, daß dieser Lösungsvorschlag nicht sonderlich glücklich ist. Aber ich habe den Eindruck, als ob die Bundesregierung zu wirklich konstruktiven Vorschlägen, die eine echte Verbesserung hätten bringen können, deshalb nicht kam, weil sie glaubte, diese große Reform und die se große Lösung im gegenwärtigen Augenblick nicht anbieten zu sollen, vielleicht die Initiative dem Parlament überlassen zu sollen. Auf jeden Fall wollte sie im Rahmen der grundgesetzlichen Festlegungen verbleiben, wonach also das Wahlmännergremium des Parlaments nicht auszuschalten ist.
    Ich glaube, meine Damen und Herren — hier liegt nun der entscheidende Punkt —, da hat es doch auch keinen Zweck, die Augen davor zu verschließen, daß Gerüchte und Redereien, nicht etwa nur im Parlament oder in der Presse, sondern in der breitesten Öffentlichkeit seit Jahren im Gange sind, die sich dann zu solchen Formulierungen verdichten, wie sie heute bereits zweimal gefallen sind, die Formulierung von dem „schwarzen" und von dem „roten Senat". Das ist nicht ein Vorwurf, den die Öffentlichkeit damit dem Senat oder den einzelnen Richtern machen will, sondern es ist lediglich die Feststellung, daß sehr sorgfältig immer geprüft worden ist: von welcher Partei — zwei kamen ja doch praktisch im Wahlmännerausschuß nur in Frage — wurde der Richter A, von welcher der Richter B vorgeschlagen? Diese Dinge sind sorgfältig beobachtet worden, und je nachdem, ob der eine Vorschlag von der Opposition oder der andere Vorschlag von der stärksten Regierungspartei kam, hat die öffentliche Meinung gesagt: der eine Senat hat mehr Mitglieder von der einen und der andere mehr Mitglieder von der anderen Seite.
    Meine Damen und Herren, das bedeutet noch keineswegs — das möchte ich mit großem Nachdruck unterstreichen, und ich glaube, so ist es auch nicht in der Öffentlichkeit zu hören —, daß man damit dem einzelnen Richter bereits den Vorwurf


    (Dr. Gille)

    machen wolle, er sei in der Lage, auf Grund parteipolitischer Einflüsse eine Entscheidung, die nach seinem Gewissen anders lauten würde, umzubiegen. Darum geht es noch nicht. Aber es taucht doch die ernste Frage auf, ob es das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts auf die Dauer vertragen kann, daß derartige unbestreitbare Feststellungen getroffen werden.

    (Abg. Dr. Strosche: Sehr richtig!)

    Ich gehöre zu denen, die glauben, daß diese Dinge im Interesse des Ansehens des Bundesverfassungsgerichts unter allen Umständen beseitigt werden müßten, denn sonst wird das höchste, das Bundesverfassungsgericht nicht so fest im Vertrauen der Gesamtheit verankert werden können, wie das notwendig ist. Wenn man diese Auffassung vertritt, dann sollte man sich nicht scheuen, nach praktischen verständigen Lösungen zu suchen. Dabei gibt es auch Möglichkeiten, eine gewisse Kontrolle des Parlaments immer noch einzuschalten. Die technischen Möglichkeiten sind so zahllos, daß da in verschiedenster Abstufung alles möglich ist. Man sollte sich aber entscheiden, die eigentliche Wahl nicht durch ein Wahlmännergremium des gewählten Parlaments, sondern durch eine irgendwie anders zusammengesetzte Institution vorzunehmen.
    Meine Damen und Herren, solche Vorschläge bedeuten keineswegs — ich möchte solchen Vorwürfen von vornherein entgegentreten —, daß meine politischen Freunde die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts nicht erkennen oder gewillt wären, daran zu zweifeln, daß eine derartige Einrichtung nötig ist. Darum geht es unter gar keinen Umständen, sondern es geht nur um die Erkenntnis, daß Sie auf die Dauer das Ansehen eines hohen und höchsten Gerichts vor dem Vorwurf politisch einseitiger Zusammensetzung nicht bewahren können, wenn Sie sich nicht entschließen, von dem politischen Wahlmännersystem abzusehen. Das ist die Frage, um die es letzten Endes geht.
    Wird nun der Ausschuß des Bundestags die Initiative ergreifen, die die Bundesregierung in dieser Beziehung vermissen ließ? Aus der Begründung kann man wohl sehr leicht herauslesen, daß eine Initiative des Bundestags der Bundesregierung sehr, sehr genehm sein würde. Vielleicht bedeutet es eine gewisse Konzilianz, daß die Bundesregierung nicht gerade dem Parlament vorschlagen wollte, eine Funktion dieses Parlaments zu beseitigen, sondern daß es die Einsicht von dem Parlament erwartet, die Zustände, die nicht mehr erträglich sind, von sich aus, aus eigener Initiative zu regeln.
    Ich bitte, mit einer Bemerkung schließen zu dürfen, die ich nicht mit zuviel Gewicht belegen will. Aber ich kann eine Auffassung, die Herr Kollege Dr. Bucher vortrug, nicht unwidersprochen lassen. Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ist — wobei ich ausdrücklich betone, daß das noch nichts mit der Frage zu tun hat, auf welchem Wege das Gericht zusammengesetzt wurde — nicht unbestritten geblieben. Ich bin nicht in der Lage, so vorbehaltlos wie Herr Dr. Bucher nur Anerkennung und Dank auszusprechen. Ich darf nur an die beiden grundlegenden Urteile betreffend das sogenannte Soldatengesetz und das sogenannte Beamtengesetz erinnern, die von der Fachpresse und von der juristischen Wissenschaft in einer Weise zerrissen und zerfleddert worden sind, wie es in der Vergangenheit noch bei keinem Urteil eines höchsten Gerichts jemals vorgekommen ist, und darf daran erinnern, daß sich der, wenn ich nicht irre, Große Senat des Bundesgerichtshofes veranlaßt gesehen hat, sehr schnell gegen diese beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in einer ausgezeichneten, sorgfältigen Begründung Stellung zu nehmen.
    Bitte, ich will das jetzt hier nicht herausstellen und unterstreichen, weil ich der Meinung wäre, gerade im gegenwärtigen Augenblick sei es sinnvoll, darüber etwas zu sagen. Ich wollte nur diesen sehr vorbehaltlosen Dank, den Herr Dr. Bucher aussprach, für meine Fraktion nicht voll unterstreichen und habe mir deshalb erlaubt, diese kleine Schlußbemerkung zu machen.
    Im übrigen werden wir in voller Bereitschaft gemeinsam mit den anderen Parteien nach einer Lösung suchen, und unser Bestreben wird es sein, die Initiative aufzubringen, die die Bundesregierung offensichtlich von uns erwartet, damit auch für das Wahlverfahren eine Regelung gefunden wird, die eine völlige politische Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts gewährleistet und das Ansehen des Verfassungsgerichts nicht dadurch schädigt, daß auch nur mit einiger Berechtigung die Behauptung aufgestellt werden kann: die Richter 1, 2, 3 sind von der einen und die Richter 4, 5, 6 von der anderen politischen Richtung in ihr Amt gebracht worden. Wir sollten gemeinsam nach einem Wahlverfahren suchen, durch das auch solche Feststellungen in Zukunft unmöglich werden.

    (Beifall beim GB/BHE.)