Rede von
Dr.
Fritz
Neumayer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute die Ehre, Ihnen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vorzulegen. Dieser Gesetzentwurf enthält eine Reihe von Bestimmungen, die staatspolitisch bedeutsam sind. Der Entwurf hat in der Öffentlichkeit und auch in der Presse verschiedentlich wegen mancher Bestimmungen Kritik hervorgerufen. Ich hoffe, daß es mir durch meine Ausführungen gelingen wird, die Beweggründe darzulegen, die die Bundesregierung zu diesem Entwurf veranlaßt haben.
Daß das bisherige Gesetz über das Bundesverfassungsgericht dringend einer Reform bedarf, wird, soweit ich es beurteilen kann, von nieman-
*) Vgl. schriftliche Äußerung für den Deutschen Bundestag: Anlage 2.
**) Siehe Anlage 3.
dem bezweifelt. Auch das Bundesverfassungsgericht selbst fordert dringend eine Änderung. Schon seit langem hat daher des Bundesjustizministerium mit dem Bundesverfassungsgericht darüber beraten, welche Maßnahmen notwendig seien, um das Gericht in den Stand zu setzen, seine verantwortungsvolle Aufgabe ordnungsgemäß zu erfüllen. Der vorliegende Entwurf berücksichtigt weitgehend die Anregungen, die das Gericht dem Bundesjustizministerium gegeben hat, die das Gericht in ständiger Fühlungnahme — kann ich sagen — mit dem Bundesjustizministerium erarbeitet und in einer Denkschrift niedergelegt hat. Ich muß allerdings hier gleich hinzufügen, daß das Bundesverfassungsgericht sich zu zwei Punkten des jetzt vorliegenden Regierungsentwurfs, nämlich zu der Frage der Herabsetzung der Richterzahl sowie zur Neugestaltung der Richterwahl, kritisch geäußert hat. Ich werde selbstverständlich dem Hohen Hause für die Beratung des Rechtsausschusses diese Stellungnahme des Gerichts zuleiten. In diesen beiden Punkten stimmt die Stellungnahme des Bundesrates mit den kritischen Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts überein. Sie finden die Stellungnahme des Bundesrats in der Ihnen vorliegenden Drucksache.
Den Anstoß zu dem Ihnen jetzt vorliegenden Entwurf hat die Tatsache gegeben, daß die beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts völlig ungleich belastet sind. Dem Ersten Senat ist eine solche Fülle von Aufgaben übertragen, daß er sie unmöglich bewältigen kann, während der Zweite Senat nach seinem eigenen Urteil in der Lage wäre, weitere Aufgaben zu übernehmen. Die Zahlen von Ende August 1955 ergeben ein noch krasseres Verhältnis als diejenigen Zahlen, die in der Regierungsvorlage abgedruckt sind. Bis Ende August 1955 sind für den Ersten Senat 3167 Anträge eingegangen, für den Zweiten Senat dagegen nur 32 Anträge, mithin für den Ersten Senat rund das Hundertfache der Anträge für den Zweiten Senat. Natürlich haben diese Anträge nicht alle das gleiche Gewicht. Die Verfahren des Ersten Senats betreffen zu einem Teil Verfassungsbeschwerden, die offensichtlich unbegründet und unzulässig waren und deshalb vom Gericht in einem vereinfachten Verfahren verworfen werden konnten. Trotzdem ist die Überlastung des Ersten Senats offenkundig; die Rückstände haben Ende August 1955 in diesem Senat die beängstigende Zahl von 584 erreicht.
Wir müssen die Gründe untersuchen, die diese Überlastung des Ersten Senats herbeigeführt haben. Wenn bei einem anderen Gericht eine ungleiche Belastung zwischen den einzelnen Senaten festgestellt wird, dann kann durch einen einfachen Beschluß des Präsidiums dieses Gerichts die Geschäftsverteilung geändert werden. Das ist beim Bundesverfassungsgericht nicht möglich. Die Verteilung der Geschäfte auf die Senate ist dort nicht dem Gericht selbst überlassen, sondern sie ist durch das Gesetz bindend festgelegt. Naturgemäß konnte der 1. Bundestag, als er dieses Gesetz beschloß, noch keinen Überblick über die Zahl der Verfahren haben, die einmal aufkommen würden. So ist es dazu gekommen, daß sich in der Praxis die im Gesetz vorgenommene Aufteilung als höchst unzweckmäßig erwiesen hat.
Es ist nicht zu bezweifeln, daß in erster Linie diese Bestimmungen des Gesetzes geändert werden müssen. Verschiedener Meinung könnte man nur darüber sein, wie die Änderung aussehen soll. Man könnte natürlich daran denken, die Geschäftsverteilung durch das Gesetz beizubehalten und sie lediglich den Erfahrungen, die wir in den letzten vier Jahren gemacht haben, anzupassen. Denn schließlich haben wir uns etwas dabei gedacht, daß wir beim Bundesverfassungsgericht, anders als bei allen übrigen Gerichten, die Verteilung der Geschäfte auf die Senate nicht dem Gericht überlassen, sondern sie im Gesetz selbst festgelegt haben.
Wir waren uns damals weitgehend darüber einig, daß das Bundesverfassungsgericht seinem Wesen nach nur aus einem einzigen einheitlichen Spruchkörper bestehen sollte. Andererseits war aber klar, daß ein einziges Gremium, jedenfalls am Anfang, der zahlreichen zu erwartenden Verfahren wohl nicht Herr werden könnte. So haben wir versucht, eine Lösung zu finden, bei der es ein für allemal feststehen sollte, welcher Senat — und in welcher Besetzung — eine Entscheidung über eine bestimmte Frage zu treffen hat. Aus diesem Grunde haben wir die Zuständigkeiten der beiden Senate im Gesetz selbst festgelegt und darüber hinaus auch bestimmt, daß die Richter nicht in das Gericht, sondern in die einzelnen Senate gewählt werden. Wir haben damit in der Wirkung nicht ein, sondern zwei Gerichte geschaffen, die, abgesehen von der gemeinsamen Verwaltung, nur durch gewisse Entscheidungsbefugnisse des Plenums im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung zusammengehalten sind. Man hat auf Grund dieser Lösung dem Gericht nicht ganz mit Unrecht den Namen eines „Zwillingsgerichtes" gegeben.
Die Erwartungen, die Anlaß zur Wahl dieser Konstruktion gegeben haben, haben sich — darüber dürfte wohl allseitiges Einverständnis be- I stehen — nicht erfüllt. Trotz der Bemühungen des Gesetzgebers, die Zuständigkeiten der Senate klar voneinander abzugrenzen, hat es sich in der Praxis gezeigt, daß ein und dieselbe Rechtsfrage sowohl in die Zuständigkeit des Ersten wie des Zweiten Senats, unter Umständen sogar des Plenums fallen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat daher, meines Erachtens mit Recht, angeregt, daß die Geschäftsverteilung auf die Senate überhaupt nicht mehr im Gesetz festgelegt werden, sondern dem Gericht überlassen werden solle. Es wäre natürlich denkbar, daß das Gesetz heute mit größerer Sicherheit als vor fünf Jahren die Zuständigkeit zwischen den beiden Senaten abgrenzen könnte. Aber es kann niemand ausschließen, daß wir uns nicht wieder genau wie vor fünf Jahren als schlechte Propheten erweisen und daß sich die neue Geschäftsverteilung nach kürzerer oder längerer Zeit erneut als unzweckmäßig zeigen wird. Eine Änderung bedürfte dann wieder des zeitraubenden Weges der Gesetzgebung mit den gleichen Folgen, vor denen wir heute stehen.
Ich glaube aber, wir können nicht die Verantwortung dafür übernehmen, daß das Gericht erneut in eine solche Bedrängnis kommt, wie ich sie eben geschildert habe. Die Bundesregierung hat sich daher in ihrer Vorlage der Anregung des Gerichts angeschlossen, daß die Geschäftsverteilung durch das Plenum des Gerichts vorgenommen werden möge. Die Vorlage der Regierung geht allerdings noch einen Schritt weiter. Die Regierung möchte auch die Vorschrift beseitigt sehen, daß die Richter nicht in das Gericht, sondern in die einzelnen Senate gewählt werden. Das ist nach unserer Auffassung nur die natürliche Konsequenz des ersten Schrittes. Es hat keinen Sinn, den Richter
in einen bestimmten Senat zu wählen, wenn nicht feststeht, welche Materien dieser Senat behandeln soll.
Nach Meinung der Bundesregierung sollte daher das Gericht in Zukunft auch darüber beschließen, wie die einzelnen Senate personell zu besetzen sind, wie dies ja auch bei allen übrigen Gerichten in Deutschland der Fall ist. Diese Lösung bedeutet das Ende des Zwillingsgerichts.
Allerdings glaubt die Bundesregierung — und damit komme ich zu einem zweiten wichtigen Punkt der Vorlage —, daß man sich nicht bei dem Gedanken beruhigen sollte, mit der vorgeschlagenen Lösung wäre künftig eine zweckmäßige Verteilung der Geschäfte innerhalb des Gerichts gesichert. Man sollte nicht aus dem Auge verlieren, daß die neue Konstruktion, obwohl sie nur mit derjenigen der anderen Gerichte übereinstimmt, für das Bundesverfassungsgericht nur das kleinere Übel gegenüber dem bisherigen Zwillingsgericht ist. Nach Auffassung der Bundesregierung, die, soweit ich sehe, in weiten Kreisen geteilt wird, muß als endgültige Lösung ein einheitliches, aus höchstens 12 Mitgliedern bestehendes Gericht angestrebt werden. Übrigens hat dies der Entwurf der Fraktion der SPD im ersten Bundestag ja bereits vorgesehen gehabt.
Auch das Bundesverfassungsgericht selbst ist der Meinung, daß ein einziges Gericht, ein einziger Spruchkörper dem heutigen Senatssystem bei weitem vorzuziehen sei. Dies bedeutet aber, daß wir irgendwann einmal vor der Notwendigkeit stehen werden, die Zahl der Richter zu vermindern. Eine Herabsetzung von 24 Richtern auf 12 Richter wäre nur möglich, wenn in den Rechtsstatus der Richter eingegriffen würde. Daß das gerade bei einem Gericht wie dem Bundesverfassunggericht außerordentlich bedenklich wäre, brauche ich nicht zu betonen.
Im Interesse des Gerichts und seiner Richter ist es somit notwendig, die Herabsetzung der Richterzahl von langer Hand vorzubereiten. Die Bundesregierung hat hierzu Vorschläge gemacht, die zunächst eine Verminderung auf 18 und vom September 1959 an — also in vier Jahren — auf 14 Richter vorsehen. Man hat aus diesem Vorschlag den Verdacht geschöpft, die Bundesregierung verfolge den Zweck, politisch mißliebige Richter oder eine bestimmte Kategorie von Richtern, nämlich die Hochschullehrer, zu beseitigen. Meine Damen und Herren, ich darf hier mit aller Deutlichkeit erklären, daß ich mich für derartige Absichten nicht hergeben würde. Mit solchen Argumenten könnte übrigens später, also in vier oder in acht Jahren, eine Herabsetzung der Richterzahl immer wieder bekämpft werden. Wir haben immer Wert gerade darauf gelegt, daß nicht nur ein reines Beamtengericht entsteht, sondern es sollte auch frischer Wind von außen in dieses Gericht kommen, und deshalb hat man ja damals schon im 1. Bundestag Wert darauf gelegt, daß auch Männer der Wissenschaft, daß auch Männer aus freien Berufen, Rechtsanwälte in dieses Gericht gewählt werden. Bitte seien Sie davon überzeugt, daß die Bundesregierung nur von diesen rein sachlichen Erwägungen ausgegangen ist, wenn sie schon heute vorschlägt, mit einer allmählichen Herabsetzung der Richterzahl die endgültige Lösung vorzubereiten.
Gegen die sofortige Herabsetzung der Richterzahl, jedenfalls in dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Umfang, ist der Einwand erhoben worden, daß dadurch die Aufarbeitung der Rückstände verzögert werde. Die Bundesregierung ist demgegenüber von der Auffassung ausgegangen, ,daß die Verminderung der Richterzahl mindestens ausgeglichen werde durch eine schnellere Abwicklung der Beratungen in einem kleineren Gremium und daß die künftige zweckmäßigere Geschäftsverteilung und die weiter vorgesehenen Entlastungsmaßnahmen auch bei einer etwas verminderten Richterzahl die Aufarbeitung der Rückstände ermöglichen werde. Die Ausschußberatungen werden Gelegenheit geben, diese wichtige Frage eingehend und unvoreingenommen zu überprüfen.
Wir hatten bei dem Ihnen vorliegenden Entwurf weiter erwogen, ob das Gericht nicht durch Verringerung seiner Zuständigkeiten entlastet werden könnte. Aber da ja alle Zuständigkeiten durch das Grundgesetz selbst geschaffen worden sind und da nach Auffassung der Bundesregierung eine Änderung der Verfassung nur in Fällen äußerster Dringlichkeit erwogen werden sollte, ist der Spielraum, der uns geblieben ist, nur sehr klein. Es stehen nur die Verfassungsbeschwerde und das Gutachten zur Erörterung, die beiden einzigen Verfahren, die nicht im Grundgesetz festgelegt sind. Die Bundesregierung hat sich aber trotz der Kritik, die insbesondere die Verfassungsbeschwerde zum Teil in den bisherigen Diskussionen gefunden hat, nicht dazu entschließen können, die Abschaffung dieser beiden Verfahrensarten vorzuschlagen. Wohl aber ist sie der Anregung des Gerichts gefolgt, daß der Verfassungsbeschwerde künftig ein Zulassungsverfahren vorgeschaltet werden sollte, bei dem ein kleines Gremium von drei Richtern alle Verfassungsbeschwerden ausscheidet, die nicht vor dieses höchste Gericht gehören, also insbesondere die Beschwerden zahlreicher Querulanten, die erfahrungsgemäß ja immer wieder beim Verfassungsgericht auftauchen. Eine Verfassungsbeschwerde soll künftig nur dann zugelassen werden, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Streitfrage zu erwarten ist oder wenn der Beschwerdeführer durch die Versagung der Zulassung einen schweren und unabwendbaren Nachteil erleiden würde. Nach meiner Überzeugung würde durch dieses Zulassungsverfahren die Arbeit des Gerichts auf die wirklich bedeutsamen Fälle beschränkt und damit gleichzeitig auch eine Entlastung herbeigeführt werden, die es uns erleichtert, jetzt schon eine Herabsetzung der Richterzahl vorzunehmen.
Die drei bisher besprochenen Reformvorschläge sollen dem Ziele dienen, die Arbeitsfähigkeit des Gerichts wiederherzustellen und gleichzeitig die endgültige Lösung vorzubereiten, bei der an Stelle der alten Senate ein einheitlicher Gerichtskörper treten soll.
Der vierte und letzte grundsätzliche Vorschlag, auf den ich jetzt zu sprechen komme, ist der am meisten umstrittene. Er soll den Gefahren vorbeugen, die bei der jetzigen gesetzlichen Regelung der Existenz und der Funktionsfähigkeit des Gerichts drohen. Nach dem geltenden Recht bedarf es zur Wahl eines Richters im Bundesrat einer Zweidrittelmehrheit und im zwölfköpfigen Wahlausschuß des Bundestags sogar einer Dreiviertelmehrheit. Als wir vor etwa fünf Jahren das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht berieten, haben wir uns vorgestellt, daß im Hinblick auf das d'Hondtsche Verfahren die Dreiviertelmehrheit im Ausschuß ungefähr einer Zweidrittelmehrheit im Pie-
num entspreche. Die Erfahrungen haben gelehrt, daß auch einer Minderheit, die kein Drittel im Plenum darstellt, im Wahlausschuß ein Drittel der Stimmen zufallen kann. Man hatte die Hoffnung, daß sich die Parteien, die die demokratischen Einrichtungen unseres Staates bejahen, trotz gegensätzlicher Meinungen im einzelnen letzten Endes doch einmal einigen würden. Trotzdem konnte es geschehen, daß in einem Falle zwei Jahre nötig waren, um die Wahl eines Richters durchzuführen, meiner Auffassung nach ein unerträglicher Zustand.
Unsere Gesetze, meine sehr verehrten Damen und Herren, können nicht nur für die gegenwärtige politische Lage gedacht werden; sie müssen vielmehr auch anderen möglichen Situationen gerecht werden. Das tut aber ein Gesetz nicht, das die Wahl eines nach unserer aller Auffassung unverzichtbaren Verfassungsorgans endgültig und ausweglos von überhöhten Mehrheitsforderungen abhängig macht.
Zu welchen Konsequenzen das führen könnte, wird sofort klar, wenn man sich vorstellt, daß es im Bundestag wieder Parteien geben könnte, die von rechts und von links die Demokratie mit sogenannten legalen Mitteln bekämpfen. Oder man denke an eine Zeit schweren Parteienhaders in Grundsatzfragen, in der eine große Mehrheit im Wahlorgan einfach nicht zusammenkommen kann. Eine solche Situation ist nicht auszuschließen. Gerade dann muß der Bestand und die ordnungsmäßige, turnusmäßige Erneuerung des Bundesverfassungsgerichts gesichert sein.
Ich möchte diesen Gedanken nicht weiter ausspinnen, denn nach meiner Auffassung ist es schon prinzipiell bedenklich, die Bildung eines notwendigen Staatsorgans von einer qualifizierten Mehrheit abhängig zu machen, ohne gleichzeitig Vorsorge zu treffen, was zu geschehen hat, wenn diese qualifizierte Mehrheit nicht zustande kommt und damit die Bildung oder der Fortbestand eines notwendigen Staatsorgans gefährdet ist.
Das Grundgesetz selbst gibt hierfür das Beispiel bei der Wahl des Bundeskanzlers und vor allem bei der Wahl des Bundespräsidenten. In diesen Fällen sieht das Grundgesetz eine Wahl mit einfacher Mehrheit vor, wenn die zunächst geforderte absolute Mehrheit in zwei Wahlgängen nicht erreicht werden kann. Dabei ist vor allem zu bedenken, daß dieses Verfahren gerade auch bei der Wahl des Bundespräsidenten Platz greift, der ja nicht weniger als das Bundesverfassungsgericht auch nicht nur von dem Vertrauen derjenigen, die ihn gewählt haben, sondern von dem Vertrauen des ganzen Volkes getragen sein muß.
Aus diesen Gründen hält es die Bundesregierung für unerläßlich, daß eine Lösung gefunden wird, die die Beschlußfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts auch dann sicherstellt, wenn einmal eine größere Zahl von Richtersitzen turnusmäßig oder aus anderen Gründen frei wird und neu zu besetzen ist. Ich würdige durchaus die Gesichtspunkte, die, zu teilweise recht scharfem Widerstand gegen den Regierungsentwurf geführt haben. Die Bundesregierung hat auch sehr eingehend geprüft, ob eine Lösung möglich ist, die diesen Bedenken und der Kritik der öffentlichen Meinung Rechnung trägt.
Nicht zur Debatte scheinen mir die Vorschläge zu stehen, die den Grundsatz der Wahl durch den Deutschen Bundestag und durch den Bundesrat antasten wollen. Meine Bemühungen waren deshalb nur darauf gerichtet, ein Sicherheitsventil zu finden, das dann in Funktion tritt, wenn es sich bereits erwiesen hat, daß die Wahl nach den geltenden Vorschriften zu keinem Ergebnis führt und damit die Existenz des Gerichts gefährdet ist.
Als solches Sicherheitsventil käme z. B. die Entscheidung eines anderen, neutralen Gremiums oder Organs in Betracht, das an Stelle der zuständigen Wahlkörperschaft entscheiden sollte, wenn diese in angemessener Frist zu keiner Wahl käme. Auf diese Lösungsmöglichkeit ist in der Ihnen vorliegenden Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrats bereits hingewiesen. Wenn sich die Bundesregierung diesen Gedanken nicht in Form eines formulierten Vorschlages zu eigen gemacht hat, so namentlich aus zwei schwerwiegenden Gründen.
Zuerst bedürfte eine solche Regelung einer Grundgesetzänderung. Nach meiner Meinung — und ich glaube, damit weiß ich mich mit Ihnen allen einig — sollte aber zu einer Änderung des Grundgesetzes nur in Fällen unausweichlicher Notwendigkeit geschritten werden. Einen solchen Fall möchte ich hier zunächst nicht für gegeben halten. Zum andern würde ein solcher Vorschlag durch die Verlagerung der Entscheidung, sei es auch nur für den Notfall, die Rechte dieses Hohen Hauses antasten, und ein solcher Vorschlag würde, wie ich bereits vor dem Bundesrat ausgeführt habe, der Bundesregierung nicht anstehen. Ich bin vielmehr der Meinung, daß die Anregung zu einer solchen Modifikation Ihrer Rechte, meine Damen und Herren, aus der Mitte .dieses Hohen Hauses selbst kommen müßte.
Soll aber das Grundgesetz nicht geändert werden und folglich die Wahl prinzipiell beim Bundestag und Bundesrat verbleiben, so scheint mir nur der Vorschlag übrigzubleiben, der im Entwurf der Bundesregierung niedergelegt ist. Die Beratung von Einzelheiten, wie z. B. der Einbau einer Respektsfrist, muß dem Ausschuß vorbehalten bleiben.
Meine Damen und Herren, damit habe ich die wesentlichsten Punkte der Regierungsvorlage in den Grundzügen erläutert. Ich habe mich darauf beschränkt, nur die Grundsatzfragen, die wichtigsten Fragen, herauszustellen; dagegen habe ich die kleineren Änderungen, die nicht von entscheidender Bedeutung sind, nicht berührt. Sie finden diese in der Vorlage und die Erläuterungen in der Begründung. Dazu gehören verschiedene Einzelheiten wie z. B. die Frage, ob die Senate des Bundesverfassungsgerichts wie bisher schon bei einer geringeren Besetzung beschlußfähig sein sollen. Aber ich glaube, es würde zu weit führen, wenn ich auch diese Frage, die ja am besten im Ausschuß besprochen werden kann, hier zur Debatte stellen würde.
Im übrigen werden Sie in dem Gesetzentwurf auch noch andere Änderungsvorschläge finden, die aber meiner Auffassung nach nicht von grundsätzlicher Bedeutung sind, Verbesserungen geringfügiger Natur, die unbestritten sind und deshalb in einem Zuge mit den notwendigen großen Reformen erledigt werden können, ohne diese zu verzögern.
Zum Abschluß darf ich nochmals sagen: es sind ausschließlich zwingende sachliche Gründe, die die Bundesregierung zur Vorlage ihrer Reformvorschläge veranlaßt haben. Die Bundesregierung hat es nicht für richtig gehalten, die schwierigen Probleme, die nun einmal bestehen und einer Lösung harren, zu umgehen. Ich weiß, daß die Meinungen hier auseinandergehen. Trotzdem möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß die nähere Befassung mit dem Fragenkomplex im Ausschuß Sie davon überzeugen wird, daß die Vorschläge der Bundesregierung richtig sind, und ich hoffe, daß dann ein Ergebnis erzielt wird, das es dem Bundesverfassungsgericht ermöglicht, seiner hohen Aufgabe voll gerecht zu werden.