Rede von
Dr.
Ewald
Bucher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den uns die Bundesregierung vorlegt, besteht aus zwei Teilen: einer Novelle, die mit den Wünschen und Vorschlägen des Bundesverfassungsgerichts in Einklang steht, und zum anderen aus Reformvorschlägen, die außerdem noch hinzugefügt worden sind. Für den ersten Teil besteht wirklich eine dringende Notwendigkeit, und wir sind der Bundesregierung zu Dank verpflichtet, daß sie dieses Gesetz so bald wie möglich vorgelegt hat.
Ich kann mich nach dem, was der Herr Bundesjustizminister hierüber ausgeführt hat, dazu kurz fassen. Daß die Geschäftsverteilung beim Bundesverfassungsgericht so nicht bleiben kann, wie sie ist, ist unbestritten. Daß sie beweglich gestaltet werden soll, ist ein sehr guter Vorschlag. Ich möchte hier betonen: Dieser Punkt der Reform ist der allerdringendste im Hinblick vor allem auf die großen Rückstände, die sich bei dem Gericht angesammelt haben, Rückstände, die bereits dazu geführt haben, daß man, wie es auch in der Begründung der Bundesregierung heißt, von einem „Stillstand der Rechtspflege" gesprochen hat.
Die weiteren Reformen, die damit verknüpft sind, sind ebenfalls zu bejahen: Einschaltung einer Vorprüfung bei der Verfassungsbeschwerde. Ich glaube, es bestehen dagegen keine Bedenken. Die Verfassungsbeschwerde ist ja im Grundgesetz nicht vorgesehen. Man hat also hier ein Mehr gegenüber dem Grundgesetz gegeben. Wenn nun in vielen Fällen die Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde statt in die Hände von 12 in die Hände von drei Richtern gelegt wird, so dürfte dagegen nichts einzuwenden sein.
Einschränkung des Gutachtens. Auch hier stimme ich zu. Ich möchte eigentlich noch weiter gehen und dem ursprünglichen Vorschlag des Gerichts zustimmen, das Gutachten überhaupt abzuschaffen. Denn es ist ein Fremdkörper im Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Ich konnte mich seinerzeit nicht ganz der Argumentation jenes vielbeachteten Beschlusses entziehen, wonach das Gutachten für das Plenum bindend sein soll; denn wenn man schon dem höchsten Gericht die Aufgabe gibt, Gutachten zu erstatten, so wäre es eigenartig, wenn das Gericht dann nachher in einem Urteil möglicherweise von seinem Gutachten wieder abweichen könnte. Also, wie gesagt, es wäre besser, das Gutachten überhaupt wegfallen zu lassen.
Nun zum zweiten Teil dessen, was uns hier vorgeschlagen wird. Es sind zwei Punkte: einmal die Herabsetzung der Richterzahl, zum anderen die Änderung des Wahlmodus.
Gegen die Herabsetzung der Richterzahl sind zweifellos keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen oder verfassungspolitischen Bedenken zu erheben. Im Gegenteil, ich halte es für ein durchaus positives und begrüßenswertes Ziel — auf die Dauer gesehen —, vorn Zwillingsgericht weg zu einem einheitlichen Gericht zu kommen. Nur habe ich erhebliche Zweifel, ob das jetzt schon möglich ist. Wir müssen bedenken, daß unser Grundgesetz immer noch verhältnismäßig neu ist, daß das Bundesverfassungsgericht neu ist und daß deshalb die Rechtsprechung natürlich viel erheblichere Schwierigkeiten bietet, als wenn sie einmal eingefahren ist. Auch könnte ich mir denken, daß die Reform, die wir im ersten Teil des Gesetzes nun machen wollen, eine Erleichterung der Arbeitslast mit sich bringt, die es spät er erlauben wird, die Richterzahl herabzusetzen.
Ich muß hier nochmals auf das hinweisen, was ich vorhin sagte: daß große Rückstände beim Gericht vorhanden sind. Unter diesen Rückständen befinden sich so wichtige Dinge wie die Frage der Ehegattenbesteuerung, Angriffe gegen Gesetze zu Art. 12 des Grundgesetzes , Rückwirkung von Steuergesetzen, Bodenreformgesetze usw. Es ist vielleicht ein Widerspruch zu der Reform der Geschäftsverteilung, wenn wir nun gleichzeitig die Zahl der Richter herabsetzen. Nicht ganz unproblematisch ist in diesem Zusammenhang auch die geplante Abschaffung des Quorums. Aber, wie gesagt, das sind Probleme, über die man sich im Ausschuß wird unterhalten müssen und die jedenfalls nicht Anlaß zu grundlegenden Bedenken geben.
Nun aber zum Hauptproblem dieser Vorlage, oder vielmehr nicht Hauptproblem, sondern zu dem — wie es der Herr Minister ausgedrückt hat — am meisten diskutierten Problem. Es ist der Wahlmodus. Der Herr Berichterstatter im Bundesrat hat zu dieser Sache gesagt, sie rühre an die Wurzeln der Verfassungsgerichtsbarkeit und damit an die Wurzeln des Verfassungslebens. Ich muß deshalb hierzu einige grundsätzliche Berner-kungen über die Verfassungsgerichtsbarkeit und über unser Verfassungsgericht machen. Denn wenn wir uns mit den Wurzeln der Verfassungsgerichtsbarkeit befassen — und ich stimme der Ansicht zu, daß es sich hier darum handelt —, müssen wir uns zuvor darüber klar sein, um was es bei ihr überhaupt geht.
Die Dreiteilung der Gewalten hat immer mehr dazu geführt, daß die Rechtsprechung nicht nur neben Legislative und Exekutive steht, sondern über ihnen. Anders gesagt: auch der demokratische Staat bedarf einer gewissen Autorität; Autorität natürlich nicht gemeint als Machtfaktor in der Hand von Personen oder Gruppen, sondern im Sinne einer Institution, die über den Parteien steht und allgemeines Vertrauen genießt. So ist die Entwicklung überall zum materiellen Prüfungsrecht der Gerichte und zur Verfassungsgerichtsbarkeit gegangen. Die Lösung, die wir in der Bundesrepublik gefunden haben, ist zweifellos materiell die weitestgehende und formell die vollendetste; wenn man es abschätzig betrachtet, könnte man sagen, die perfektionierteste. In der Sache aber geht das Prüfungsrecht z. B. in den Vereinigten Staaten genau so weit, wenn es auch nur in concreto ge-
handhabt wird, nicht in Form abstrakter Kontrolle. Ich zitiere hier ein Wort des Oberrichters Hughes, der sagt: We are under Constitution, but the Constitution is what the judges say it is. Also: Wir leben unter einer Verfassung, aber die Verfassung ist das, was die Richter sagen, daß sie sei. Das ist eine etwas überspitzte Formulierung der Autorität, die der Rechtsprechung über die Gesetzgebung zusteht. Wenn wir in der Bundesrepublik hierbei vielleicht, wie es manchem scheinen mag, etwas zu weit gegangen sind und die Sache etwas zu sehr perfektioniert haben, so ist das durchaus verständlich und war sehr angebracht als Reaktion auf zwölf Jahre, in denen das Recht und die Justiz von der Staatsführung gröblichst beschimpft und bei jeder Gelegenheit zurückgedrängt wurden. Wenn man das heute als zu perfektioniert beanstandet, so muß ich doch fragen: Ist es dazu heute schon an der Zeit? Können wir die Rechtsstaatlichkeit, wie wir sie geschaffen haben, schon als Luxus betrachten und etwa von Exzessen des Justizstaates sprechen? Ich glaube, daß es dazu heute noch nicht an der Zeit ist.
Nun zum Bundesverfassungsgericht selbst. Es ist kein Geheimnis, daß Zweifel laut geworden sind, ob sich dieses Gericht bewährt habe, daß ein Mißbehagen vor allem auf seiten der Bundesregierung über dieses Gericht geäußert worden ist. Man macht vor allem einen Vorwurf. Man sagt, das Bundesverfassungsgericht komme schon nach seiner Anlage im Gesetz dazu, Politik und Recht zu vermischen; es werde häufig überfordert, indem man von ihm verlange, politische Entscheidungen zu treffen. Ich darf dazu zurückgreifen auf das, was im 1. Bundestag hierzu gesagt wurde. Alle Fraktionen haben ausgeführt, daß das Bundesverfassungsgericht keine politischen Entscheidungen im Gewand eines Richterspruchs zu treffen habe, daß es keine politische Führungsaufgabe habe, daß es nicht Recht gestalten, sondern auslegen solle. Das sind Zitate aus Ausführungen der damaligen Abgeordneten Laforet; Arndt und Wahl. Ausgerechnet nur der Abgeordnete Fisch von der KPD beanstandete, daß hier soviel Machtfülle in die Hände der Justiz gelegt werde.
Daß politische Entscheidungen an das Gericht herangetragen werden, ist allerdings nicht zu verhindern, genauso wie man an ein Zivilgericht eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit herantragen kann. Aber es ist dann eben Aufgabe des Gerichts, hier das Öffentlich-rechtliche vom Zivilen, dort das Politische vom Rechtlichen zu scheiden, und man darf doch feststellen, daß das dem Bundesverfassungsgericht bisher in allen Fällen gelungen ist. Ich darf nur auf ein Beispiel aus der Wirtschaft verweisen: die Entscheidung zum Investitionshilfegesetz. Hier ist mit sehr deutlichen Worten ausgeführt, der Gesetzgeber habe ein weites Ermessen, wie er die Wirtschaftspolitik gestalten wolle, und das Gericht habe nur einzugreifen, wenn dieses Ermessen überschritten sei, was hier aber nicht der Fall sei.
Ich habe wirklich das Bedürfnis, festzustellen, daß das Bundesverfassungsgericht bis jetzt seine Aufgabe erfüllt hat. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren, was der von mir vorher schon genannte Berichterstatter des Rechtsausschusses des Bundesrates, Herr Senator Dr. Weber , hierzu gesagt hat. Er hat hierzu Außerungen gemacht, die so temperamentvoll waren, daß sie in den feierlichen Hallen des Bundesrates einiges Aufsehen erregt haben. Aber ich finde, man kann es nicht besser ausdrücken, als er es sagte:
So schlecht der Wahlmodus sein mag, so gut ist das Gericht. Es ist nämlich eine Tatsache, die man gerade in diesem Augenblick aussprechen sollte, daß das Bundesverfassungsgericht sich in der verhältnismäßig kurzen Zeit seines Bestehens einen seiner verfassungsrechtlichen Bedeutung entsprechenden Ruf und ein hohes Ansehen geschaffen hat. Hierzu haben nicht zum wenigsten die klaren, ich darf aber auch sagen, die mutigen Entscheidungen dieses Gerichts beigetragen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur im Verfassungsrecht, sondern in der Verfassungswirklichkeit eine überragende Stellung erlangt. Seine Rechtsprechung hat eindeutig erwiesen, daß das Gerede darüber, welcher politischen Partei die einzelnen Richter angehören oder nahestehen, und ebenso das Gerede vom roten und vom schwarzen Senat nichts als unverantwortlicher Unsinn sind.
Damit glaube ich das zweite Argument erledigt zu haben, das nicht ernst genommen werden kann, das Bundesverfassungsgericht sei in seiner bisherigen Tätigkeit irgendwie parteiisch gewesen. Ich glaube, das wird auch heute niemand ernsthaft behaupten. Aber wir sind es dem Ansehen dieser Institution schuldig, auch einmal von dieser Stelle zu sagen, daß solche Vorwürfe völlig aus der Luft gegriffen sind.
Nun zu den Überlegungen, wie das Gericht, dem eine so große Bedeutung zukommt und das sich bisher ein so hohes Ansehen errungen hat, ergänzt werden soll. Die jetzige Lösung ist zweifellos unbefriedigend, und zwar aus zwei Gründen: einmal deshalb, weil die Kontrolleure allein von den zu Kontrollierenden gewählt werden, und zum zweiten deshalb, weil der Wahlmodus die Möglichkeit zu Verzögerungen der Wahl gibt. Unsere Fraktion ist sich noch nicht darüber schlüssig, ob die Konsequenz, die die Bundesregierung mit ihrem neuen Vorschlag daraus zieht, die richtige ist. Diejenigen, die diesem Vorschlag zustimmen, sehen vor allem den zweiten Mangel der jetzigen Lösung, die Möglichkeit von Verzägerungen, und das sind naturgemäß vor allem diejenigen Damen und Herren, die bereits im 1. Bundestag waren und den Fall damals miterlebt haben, daß die Neubestellung eines Richters sich über zwei Jahre hinzog. Ich möchte auf diesen Einzelfall nicht einmal soviel Gewicht legen. Aber schon die Befürchtung, daß es bei der bevorstehenden Wahl von acht Richtern auch wieder zu einer solchen Verzögerung kommen könnte, ist natürlich sehr ernst zu nehmen. Diese Befürchtung kann auch nicht damit abgetan werden, daß man sagt: Jeder, auch die Opposition, muß ein Interesse daran haben, daß das Gericht funktionsfähig bleibt, sonst kann man ja keine Klagen bei ihm anbringen! Wenn das Gericht nicht funktionsfähig ist, so ist das ein Schaden für das öffentliche Wohl und nicht nur, je nachdem, für die Mehrheit oder für die Minderheit!
Ich möchte aber nun den anderen Standpunkt darlegen, der auch mein Standpunkt ist. Ich spreche also im folgenden nur noch für meine Person. Ich sehe mehr das erste Bedenken gegen die jetzige Lösung, nämlich daß die zu Kontrollierenden die Kontrolleure wählen, und ich fürchte, daß, wenn wir dem Vorschlag der Bundesregierung folgen dieses Bedenken noch verstärkt wird. Bisher konnte wenigstens ein Kompromiß zustande kom
men. In der Zukunft aber könnte es sein, daß ein Richter überhaupt nur von einer Partei oder von einer einseitigen Regierungsmehrheit gewählt wird. Dagegen sagt man nun: Man muß auch Vertrauen zur Mehrheit haben! — Selbstverständlich, Vertrauen soll auch im parlamentarischen Leben herrschen. Nun, im 1. Bundestag war man sich darüber einig, daß dieses wichtige Organisationsgesetz nur einstimmig beschlossen werden dürfe. Ich darf hierzu mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren, was der Abgeordnete Dr. von Merkatz in der 112. Sitzung des 1. Bundestages gesagt hat: Die Organisation des Bundesverfassungsgerichts muß vom Willen aller Fraktionen getragen werden. — Dem hat sich vor allem der Abgeordnete Kiesinger angeschlossen, dem, soviel ich weiß, die damals zustande gekommene Einigung in erster Linie zu verdanken war. Auf diese Übereinstimmung sollte man auch heute noch vertrauen dürfen. Aber ein Vertrauen darauf, daß nun die jeweilige Mehrheit, nicht die heutige und nicht die von morgen, sondern die jeweilige Mehrheit hier eine richtige Wahl treffen wird, scheint mir doch nicht angebracht zu sein. Ich denke hier an das Wort Stifters: „Wie wenige sind es, die zu wählen verstehen!" Ich meine ganz im Gegenteil, hier müßte im Parlament eine Atmosphäre, sagen wir einmal, des herzlichen Mißtrauens herrschen; denn es ist Aufgabe der Opposition, von Amts wegen mißtrauisch zu sein gegen die Regierung, gegen die Regierungsparteien, aber auch gegen sich selbst als eventuelle künftige Regierungspartei.
Weiter argumentiert die Bundesregierung vor allem damit, daß ja auch der Bundeskanzler und der Bundespräsident mit einfacher, eventuell sogar
nur mit relativer Mehrheit gewählt werden. Aber hier handelt es sich um Institutionen der Exekutive. Der Bundeskanzler ist der Repräsentant der Regierungsmehrheit. Der Bundespräsident hat die Entscheidungen der Regierungsmehrheit auszuführen; er kann höchstens das Bundesverfassungsgericht fragen, aber er kann nicht selbst etwa einen Gesetzesbeschluß des Bundestages oder des Bundesrates für rechtsunwirksam erklären. Das Bundesverfassungsgericht ist demgegenüber gerade der Hüter der Rechte der Minderheit. Es soll sagen, was Rechtens ist, und zwar in einer Form, die bindend ist und sogar in manchen Fällen Gesetzeskraft hat, endgültige Gesetzeskraft, die von niemandem mehr in Zweifel gezogen werden kann.
Diese Stellung, die das Bundesverfassungsgericht hat, erinnert also in gewissem Sinne an den Begriff der Unfehlbarkeit in rechtlichen Dingen, und dieser Begriff führt mich auch ,auf eine Parallele, die man mir nicht übelnehmen möge. Auch der Papst, der ja in religiösen Fragen unfehlbar ist, wird mit einer Zweidrittelmehrheit und in einem Konklave gewählt, das so lange dauert, bis diese Zweidrittelmehrheit zustande kommt. Ich weiß, daß dieser Vergleich sehr hinkt und hier als Parallele zum Bundesverfassungsgericht eigentlich nicht gebracht werden kann. Aber es handelt sich hier eben auch urn Mitglieder einer sehr wesentlichen Institution, deren Wahl wir nicht einer einfachen Mehrheit anvertrauen können. Meiner Ansicht nach müßte man sogar von vornherein denjenigen als einen schlechten Richter betrachten, der sich von einer einseitig zusammengesetzten Mehrheit in dieses Gericht wählen ließe.
Es ist natürlich dem Regierungsentwurf zuzugeben, daß er in keiner Weise gegen die Verfassung verstößt. Es wäre durchaus möglich, diese Lösung zu treffen. Aber man war sich auch im 1. Bundestag darüber einig, daß das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht materiellen Verfassungsrang hat. Der Abgeordnete von Merkatz hat von einer Krönung des Rechtsstaates gesprochen, von dem Wesentlichen, das wir dem Bolschewismus entgegensetzen können, und hat den materiellen verfassungsrechtlichen Inhalt dieses Gesetzes, das nicht nur ein Organisationsgesetz sei, besonders hervorgehoben. Deshalb wäre auch heute, wenn wir das Gesetz ändern, hierbei wieder möglichst eine Einstimmdgkeit erwünscht.
Schließlich gebe ich noch zu bedenken, daß wir in unserer Verfassung das konstruktive Mißtrauensvotum haben und daß es wohl nur ein gutes Gegengewicht gegen diese Einrichtung ist, deren Berechtigung ich bejahe, wenn dafür gesorgt wird, daß eine möglichst große Mehrheit bei der Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts vorhanden ist. Trotzdem — ich sagte es zu Anfang — ist es unbefriedigend, daß nur die zu Kontrollierenden wählen sollen, und ich habe doch die Hoffnung, daß hier eine Lösung gefunden werden kann, die dies vermeidet. Jedenfalls müssen wir feststellen, daß der Widerhall, den der Vorschlag der Bundesregierung in der Presse gefunden hat, allgemein sehr ungünstig war. Man sprach vom Regierungsgericht, man sprach von Gefahr im Verzuge, und zwar in Blättern, die der Bundesregierung durchaus nahestehen. An anderer Stelle wurde zitiert, was Plato in seiner „Republik" den Thrasymachos sagen läßt. Dort heißt es: „Ich behaupte, daß Gerechtigkeit und Recht nichts anderes bedeuten als das Interesse der stärkeren Partei." Wir können uns über dieses Echo der Öffentlichkeit nicht hinwegsetzen. Selbstverständlich unterstelle ich ,der Bundesregierung nicht, ,daß sie hier etwa das Interesse der stärkeren Partei im Gesetz verankern wolle und daß dies, wie gesagt wurde, der erste Schritt zur Einschränkung ,der Rechte des Bundesverfassungsgerichts sei. Aber wir müssen schon den Verdacht vermeiden, daß so etwas überhaupt geplant worden sei. Eine gewisse Hoffnung hierfür gibt mir das, was die Bundesregierung am Schluß ihrer Stellungnahme zu den Vorschlägen des Bundesrates ausführt, was allerdings der Herr Minister heute wieder etwas eingeschränkt hat. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren:
Die Bundesregierung würde es . . . begrüßen, wenn im Verlauf des weiteren Gesetzgebungsverfahrens durch eine Änderung des Grundgesetzes die Voraussetzung für eine andere Lösung des Problems geschaffen werden könnte. Eine Regelung, die dem Anliegen der Bundesregierung gerecht wird und gleichzeitig den erhobenen Bedenken Rechnung trägt, könnte etwa darin gesehen werden, daß an Stelle der zuständigen Wahlkörperschaft ein anderes Organ entscheidet, wenn eine Wahl durch die betreffende Wahlkörperschaft innerhalb einer ausreichend bemessenen Frist nicht zustande gekommen ist.
Ich könnte mir die Lösung auch noch in anderem Sinne denken, technisch etwa so, daß ein Präsentationsrecht geschaffen wird und für einen zu wählenden Kandidaten drei oder vier oder fünf Personen von einem Gremium, etwa der Oberlandesgerichtspräsidenten oder der juristischen Fakultäten oder vielleicht vom Gericht selbst vorgeschlagen werden und daß dann die Wahlgremien von
Bundestag und Bundesrat binnen bestimmter Frist zu diesem Vorschlag Stellung nehmen müssen, wobei sie auch völlig von ihm abweichen können. Wenn sie aber die Frist verstreichen lassen, soll der Bundespräsident einen der Vorgeschlagenen ernennen können. Es gibt viele denkbare Möglichkeiten für eine befriedigende Lösung. Aber wir müssen bei der Ausarbeitung dieses Gesetzes auf zwei Dinge Bedacht nehmen, einmal darauf, daß wir das 'dringende Anliegen einer baldigen Reform der Geschäftsverteilung nicht ungebührlich lange verzögern, indem wir das Gesetz noch mit anderen Problemen belasten, und zum zweiten darauf, daß wir nicht ein Gesetz schaffen, in dem Gerechtigkeit und Recht wirklich nur das Interesse der stärkeren Partei oder der Mehrheit bedeuten würden.