Protokoll:
18137

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 137

  • date_rangeDatum: 13. November 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:25 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/137 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 137. Sitzung Berlin, Freitag, den 13. November 2015 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Petra Ernstberger . . . . . . . . . . . . . . . . 13417 A Wahl der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Dr. Dietmar Bartsch und Dr. Sahra Wagenknecht als Mitglieder des Vermitt- lungsausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13417 A Wahl der Abgeordneten Gabriela Heinrich und Josip Juratovic als Vertreter der Bun- desrepublik Deutschland zur Parlamentari- schen Versammlung des Europarates . . . . . 13417 B Tagesordnungspunkt 27: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versor- gung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestär- kungsgesetz – PSG II) Drucksachen 18/5926, 18/6182, 18/6410 Nr . 2, 18/6688 . . . . . . . . . . . . 13417 D – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6689 . . . . . . . . . . . . . . 13417 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bürgerinnen- und Bürger- versicherung in der Pflege – Solida- rische Pflegeversicherung einführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Katja Dörner, Kordula Schulz-Asche, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Pflege braucht sichere und zukunftsfeste Rahmenbedingungen Drucksachen 18/5110, 18/6066, 18/6688 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13417 D Hermann Gröhe, Bundesminister BMG . . . . . 13418 A Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 13419 B Dr . Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13420 A Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13421 A Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13423 A Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . 13423 C Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13424 C Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13425 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13426 C Erwin Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13427 B Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13428 B Erich Irlstorfer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13429 B Tino Sorge (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13430 B Heike Baehrens (SPD) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13431 C Tagesordnungspunkt 28: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Do- ping im Sport Drucksachen 18/4898, 18/6677 . . . . . . . . . 13433 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 137 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . November 2015II b) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr . André Hahn, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Anti-Doping-Ge- setz für den Sport vorlegen Drucksachen 18/2308, 18/6678 . . . . . . . . . 13433 C Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . 13433 C Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13435 A Dr . Günter Krings, Parl . Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13436 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13438 A Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13439 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13440 D Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13441 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13442 B Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13442 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13443 D Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13444 C Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13445 A Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13445 B Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dem CETA-Abkommen so nicht zustimmen Drucksache 18/6201 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13447 D Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13447 D Mark Hauptmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13449 A Dr . Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . 13450 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 13451 B Mark Hauptmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 13451 C Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13453 A Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13454 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 13454 D Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13456 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13457 D Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13458 B Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13458 D Rainer Spiering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13459 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 13460 B Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13461 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 13462 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13462 C Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Industrie 4.0 und Smart Services – Wirtschafts-, arbeits-, bildungs- und for- schungspolitische Maßnahmen für die Digi- talisierung und intelligente Vernetzung von Produktions- und Wertschöpfungsketten Drucksache 18/6643 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13463 C Dr . Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13463 C Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13465 B Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 13467 A Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13468 C Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13469 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13471 A Gabriele Katzmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13472 B Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) . . . . . . . 13473 C Dr . Simone Raatz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13474 D Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13476 A Tagesordnungspunkt 31: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen Drucksache 18/6446 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13477 B b) Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Korruption im Gesundheitswesen effektiv bekämpfen Drucksache 18/5452 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13477 C Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13477 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 13478 B Dr . Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 13479 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13480 D Dr . Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13482 A Dr . Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13482 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 137 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 137 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . November 2015 III Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 13483 D Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13484 D Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einstieg in die Weiterentwick- lung der Gewerbesteuer zu einer Gemeinde- wirtschaftsteuer – Freie Berufe in die Ge- werbesteuerpflicht einbeziehen Drucksachen 18/3838, 18/6396 . . . . . . . . . . . 13485 D Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . . 13485 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 13487 A Bernhard Daldrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13488 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13490 A Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13491 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13492 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 13493 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Halina Wawzyniak (DIE LINKE) zu den Ab- stimmungen über – den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämp- fung von Doping im Sport (Tagesordnungspunkt 28 a) . . . . . . . . . . . . 13493 D – die Beschlussempfehlung des Sportaus- schusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . André Hahn, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen (Tagesordnungspunkt 28 b) . . . . . . . . . . . . 13494 B Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13494 C (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 137 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . November 2015 13417 137. Sitzung Berlin, Freitag, den 13. November 2015 Beginn: 9 .01 Uhr
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    Markus Koob (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 137 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . November 2015 13493 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bülow, Marco SPD 13 .11 .2015 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 13 .11 .2015 Erler, Dr . h . c . Gernot SPD 13 .11 .2015 Freudenstein, Dr . Astrid CDU/CSU 13 .11 .2015 Gabriel, Sigmar SPD 13 .11 .2015 Gohlke, Nicole DIE LINKE 13 .11 .2015 Held, Marcus SPD 13 .11 .2015 Hintze, Peter CDU/CSU 13 .11 .2015 Jung, Andreas CDU/CSU 13 .11 .2015 Kaufmann, Dr . Stefan CDU/CSU 13 .11 .2015 Kelber, Ulrich SPD 13 .11 .2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13 .11 .2015 Klare, Arno SPD 13 .11 .2015 Krellmann, Jutta DIE LINKE 13 .11 .2015 Kretschmer, Michael CDU/CSU 13 .11 .2015 Kühn-Mengel, Helga SPD 13 .11 .2015 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 13 .11 .2015 Ludwig, Daniela CDU/CSU 13 .11 .2015 Malecha-Nissen, Dr . Birgit SPD 13 .11 .2015 Mast, Katja SPD 13 .11 .2015 Nahles, Andrea SPD 13 .11 .2015 Rüthrich, Susann SPD 13 .11 .2015 Schäfer (Bochum), Axel SPD 13 .11 .2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 13 .11 .2015 Schulte, Ursula SPD 13 .11 .2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Terpe, Dr . Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13 .11 .2015 Werner, Katrin DIE LINKE 13 .11 .2015 Wicklein, Andrea SPD 13 .11 .2015 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 13 .11 .2015 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 13 .11 .2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Halina Wawzyniak (DIE LIN- KE) zu den Abstimmungen über – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Doping im Sport (Tagesordnungspunkt 28 a) – die Beschlussempfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE An- ti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen (Tages- ordnungspunkt 28 b) 1 . Gesetz zur Bekämpfung von Doping im Sport (Drucksache 18/4898) Ich habe bei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drucksache 18/4898) mit „Nein“ gestimmt . Mit dem Gesetz wird unter anderem der Zweck ver- folgt, die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler zu schützen und die Chancengleichheit und Fairness im Sportwettbewerb zu sichern (§ 1) . Der § 3 stellt das Selbstdoping unter Strafe, soweit dies in Absicht stattfin- det, sich in einem Wettbewerb des organisierten Sports einen Vorteil zu verschaffen, anzuwenden oder anwen- den zu lassen . Der Gesetzentwurf sieht ein Strafmaß von bis zu drei Jahren vor, der Versuch ist strafbar . Der Gesetzentwurf argumentiert damit, dass Doping tief in die ethisch-moralischen Grundwerte des Sports eingreife und ihm seine Glaubwürdigkeit und Vorbild- funktion raube . Der Gesetzentwurf gibt mithin eine mo- ralisch-ethische Haltung vor und gründet darauf eine staatliche Strafbarkeit . Es ist aber zunächst eine Frage der Selbstbestimmung, ob Sportlerinnen und Sportler durch Selbstdoping ihre eigene Gesundheit gefährden . Eine Täuschung von Konkurrenten/innen ist überhaupt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 137 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . November 201513494 (A) (C) (B) (D) erst durch das Verbot des Eigendopings möglich . Diese Täuschung im Hinblick auf Veranstalter, Sportvereine, Sponsoren und Zuschauer ist ebenfalls nur durch das Ver- bot des Eigendopings möglich . All diese Probleme wür- den nicht bestehen, wenn man die Entscheidung treffen würde, Doping zu erlauben . Aber selbst wenn dieser Weg nicht gegangen werden soll, bleibt festzustellen, dass mit dem Selbstdoping der Sportler/die Sportlerin zunächst nur sich selbst schädigt . Eine solche Eigengefährdung fällt unter die Selbstbestimmung . Mit den Mitteln des Strafrechts auf eine solche Eigengefährdung zu reagie- ren, ist unverhältnismäßig . Denn entgegen den Aussagen im Gesetzentwurf halte ich die Maßnahmen des organi- sierten Sports für ausreichend . Es ist – anders als es der Gesetzentwurf nahelegt – gerade nicht Aufgabe des Staa- tes, zum Schutz der Gesundheit, soweit es sich wie beim Doping um Eigengefährdung handelt, und zum Schutz der Integrität des Sports mit den Mitteln des Strafrechts beizutragen . Wie Dr . Volkmar Schöneburg, ehemaliger Justizminister des Landes Brandenburg, richtig anmerk- te, sind zwei oder vier Jahre Sperre bzw . der lebenslange Ausschluss aus dem Wettkampfbetrieb ein Berufsverbot und treffen die soziale Existenz des/der Dopenden, Titel und Siegprämien können aberkannt und Schadensersatz- forderungen geltend gemacht werden (vgl . Schönburg, Rechtspolitik und Menschenwürde, S . 185) . Eine zusätz- liche strafrechtliche Sanktion stellt eine faktische Dop- pelbestrafung dar . Es ist anmaßend, wenn staatlicherseits gegen Eigen- doping im organisierten Sport eingeschritten werden soll, damit „nicht die ethisch-moralischen Grundwerte des Sports und damit seine Grundlagen beschädigt werden“.  Darüber hinaus verkennt der Gesetzentwurf die Gefähr- dungen der ethisch-moralischen Grundwerte des Sports durch die fast vollständige Kommerzialisierung und Ver- marktung des sportlichen Wettbewerbs . 2 . Antrag „Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorle- gen“ (Drucksache 18/2308) Ich habe mich bei diesem Antrag enthalten . Der An- trag benennt zu Recht Probleme im organisierten sportli- chen Wettbewerb, wenn er auf Korruption verweist und das Problem benennt, dass der Spitzensport zu einem eigenständigen Wirtschaftszweig geworden ist . Der An- trag verweist darüber hinaus auf die Notwendigkeit von Prävention . Allerdings verfolgt auch der vorgelegte Antrag das Ziel, ,,zum Schutz des sportlichen Wettbewerbs und nicht zuletzt auch zum Schutz des Sports und seiner Werte“  ein Regelwerk zu schaffen, „um gegen Doping im Sport vorzugehen“ . Auch dieser Antrag beabsichtigt, „sport- rechtliche und staatliche Sanktionsverfahren nebenei- nander“ zu etablieren, ,,um sich gegenseitig effektiv zu ergänzen“ . Auch dieser Antrag verfolgt das Ziel, einen Straftatbestand des Eigendopings einzuführen . Da ich ei- nen solchen Straftatbestand aus den bereits aufgeführten Gründen ablehne, konnte ich trotz einiger positiver As- pekte diesem Antrag nicht zustimmen . Anlage 3 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 938 . Sitzung am 6 . No- vember 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtli- nie-Änderungsrichtlinie – Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspart- ner – Gesetz zur Bekämpfung der Korruption – Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts sowie zur Änderung der Zivilprozessordnung und kostenrechtlicher Vorschriften – Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten – Erstes Gesetz zur Änderung des Batteriegesetzes und des Kreislaufwirtschaftsgesetzes – Gesetz zu dem Protokoll von Nagoya vom 29. Okto- ber 2010 über den Zugang zu genetischen Ressour- cen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt – Gesetz zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll, zur Durchführung der Ver- ordnung (EU) Nr. 511/2014 und zur Änderung des Patentgesetzes sowie zur Änderung des Umweltau- ditgesetzes – Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Atomgeset- zes – Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsge- setzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechts- sache C-72/12 – Erstes Gesetz zur Änderung des Energiever- brauchskennzeichnungsgesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschafts- rechts – Gesetz zu dem Partnerschafts- und Kooperations- abkommen vom 11. Mai 2012 zwischen der Euro- päischen Union und ihren Mitgliedstaaten einer- seits und der Republik Irak andererseits – Gesetz zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ir- land zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver- mögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 7. Mai 2015 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung von Jersey über die Zu- sammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 137 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . November 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 137 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . November 2015 13495 (A) (C) (B) (D) – Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015 zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französi- schen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteu- erungen und über gegenseitige Amts- und Rechts- hilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern – Gesetz zu dem Protokoll vom 17. März 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2010 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nord- irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver- mögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 19. Oktober 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderation St. Kitts und Nevis über die Unterstüt- zung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Infor- mationsaustausch – Gesetz zu dem Abkommen vom 21. August 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zur Vermeidung der Doppelbe- steuerung und der Steuerverkürzung auf dem Ge- biet der Steuern vom Einkommen und vom Vermö- gen – Gesetz zu dem Protokoll vom 24. Juni 2010 zur Än- derung des am 25. und 30. April 2007 unterzeichne- ten Luftverkehrsabkommens zwischen den Verei- nigten Staaten von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten – Gesetz zu dem Luftverkehrsabkommen vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika als erster Partei, der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als zweiter Par- tei, Island als dritter Partei und dem Königreich Norwegen als vierter Partei und zu dem Zusatzab- kommen vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als erster Partei, Island, als zweiter Partei, und dem Königreich Norwegen, als dritter Partei, betreffend die Anwendung des Luftverkehrsabkommens vom 16. und 21. Juni 2011 – Gesetz über die Feststellung eines Zweiten Nach- trags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushalts- jahr 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1 . Die steigende Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber stellt die Länder vor große Herausforderungen . Dies gilt nicht nur für den Bereich der Unterbringung, son- dern auch für den Bereich der Kinderbetreuung . Aus diesem Grunde wurde in der Besprechung der Regie- rungschefinnen  und Regierungschefs  der  Länder mit  der Kanzlerin am 24 . September 2015 unter anderem verabredet, dass die Bundesregierung die Kinderbe- treuung weiter unterstützen wird . Dafür sollen die Spielräume, die im Bundeshaushalt durch den Wegfall des Betreuungsgeldes bis 2018 entstehen, aufwach- send mit dem sukzessiven Auslaufen der Altfälle ge- nutzt werden . Der Bundesrat geht entsprechend den Äußerungen der Bundeskanzlerin von einem Finanzvolumen in Höhe von nahezu 1 Mrd. Euro pro Jahr aus. Die Länder se- hen die Absprache allerdings mit Blick auf Artikel  8 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes, das für die Jahre  2016 bis 2018 lediglich Mittel in Höhe von 339  Mio., 774  Mio. bzw. 870  Mio. Euro für die Ent- lastung der Länder vorsieht, als unzureichend erfüllt an. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, im Rahmen der Haushaltsberatungen zum Bundes- haushalt  2016 die Mittelzuweisungen an die Länder entsprechend den Verabredungen anzupassen. Der Bundesrat erwartet, dass die Mittel über 2018 hinaus dauerhaft zur Verfügung stehen. 2 . Der soziale Wohnungsbau ist eine der drängenden aktuellen Fragestellungen, auch im politischen Zu- sammenhang mit der großen Anzahl von Deutschland erreichenden Flüchtlingen . Entsprechend der Verein- barung zwischen den Regierungschefinnen und Regie- rungschefs der Länder und der Bundeskanzlerin vom 24 . September 2015 sollen Länder und Kommunen beim Neubau von Wohnungen und bei der Ausweitung des Bestandes an Sozialwohnungen durch den Bund unterstützt werden . So wird der Bund über Konversi- onsliegenschaften hinausgehend den Kommunen und kommunalen Gesellschaften weitere Immobilien und Liegenschaften schnell und verbilligt für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen . In den anstehenden Be- ratungen des Bundeshaushalts 2016 sollte daher der Haushaltsvermerk in Kapitel 60 04 Titel 121 01 unter Nummer 60 .3 angepasst werden . Es ist erforderlich, dass der Bund für den sozialen Wohnungsbau geeignete Grundstücke zum Verkehrs- wert an Kommunen bzw. kommunale Gesellschaften abgibt. Die künftig beabsichtigte und vertraglich ab- gesicherte Nutzung muss dabei in die Ermittlung des Verkehrswertes einfließen. Dadurch kommt vorrangig ein Ertragswertverfahren zur Anwendung. Zudem be- darf es eines Verfahrens, wie eventuelle Streitigkeiten zwischen der BImA und der Belegenheitskommune geschlichtet werden; z.  B. durch den Gutachteraus- schuss gemäß § 192 BauGB. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Zusammenar- beit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen und einzelnen, global agierenden, internationalen Organisationen und Institutionen im Rahmen des VN-Systems in den Jahren 2012 und 2013 Drucksachen 18/2487, 18/2672 Nr. 1.1 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 137 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 13 . November 201513496 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Bericht der Bundesregierung über die Ent- wicklung und Zukunftsperspektiven der mariti- men Wirtschaft in Deutschland Drucksache 18/5764 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2015 Drucksache 18/6100 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- torsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen Stickstoff: Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem Drucksachen 18/4040, 18/4147 Nr. 6 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Anerkennungsgesetz 2015 Drucksache 18/5200 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Innenausschuss Drucksache 18/642 Nr . C .1 Ratsdokument 5833/12 Drucksache 18/642 Nr . C .2 Ratsdokument 5853/12 Drucksache 18/5286 Nr . A .3 EP P8_TA-PROV(2015)0176 Drucksache 18/5459 Nr . A .5 Ratsdokument 9345/15 Drucksache 18/5459 Nr . A .6 Ratsdokument 9355/15 Drucksache 18/5459 Nr . A .7 Ratsdokument 9376/15 Drucksache 18/5459 Nr . A .8 Ratsdokument 9483/15 Drucksache 18/6146 Nr . A .2 Ratsdokument 11843/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .4 EP P8_TA-PROV(2015)0317 Haushaltsausschuss Drucksache 18/5982 Nr . A .19 KOM(2015)300 endg . Drucksache 18/5982 Nr . A .21 Ratsdokument 11069/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .22 Ratsdokument 10343/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .25 Ratsdokument 11068/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .19 Ratsdokument 11949/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .20 Ratsdokument 12037/15 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/822 Nr . A .30 Ratsdokument 6202/14 Drucksache 18/5459 Nr . A .16 Ratsdokument 9534/15 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 18/544 Nr . A .47 EP P7_TA-PROV(2013)0575 Drucksache 18/4152 Nr . A .9 EP P8_TA-PROV(2015)0006 Drucksache 18/4152 Nr . A .10 EP P8_TA-PROV(2015)0007 Drucksache 18/4152 Nr . A .11 EP P8_TA-PROV(2015)0012 Drucksache 18/4375 Nr . A .6 EP P8_TA-PROV(2015)0031 Drucksache 18/4375 Nr . A .7 EP P8_TA-PROV(2015)0036 Drucksache 18/4749 Nr . A .38 EP P8_TA-PROV(2015)0072 Drucksache 18/4749 Nr . A .39 EP P8_TA-PROV(2015)0076 Drucksache 18/4749 Nr . A .40 EP P8_TA-PROV(2015)0079 Drucksache 18/5004 Nr . A .13 EP P8_TA-PROV(2015)0095 Drucksache 18/5286 Nr . A .11 EP P8_TA-PROV(2015)0175 Drucksache 18/5286 Nr . A .12 EP P8_TA-PROV(2015)0178 Drucksache 18/5286 Nr . A .14 EP P8_TA-PROV(2015)0187 Drucksache 18/5459 Nr . A .17 EP P8_TA-PROV(2015)0210 Drucksache 18/5982 Nr . A .42 EP P8_TA-PROV(2015)0227 Drucksache 18/5982 Nr . A .43 EP P8_TA-PROV(2015)0229 Drucksache 18/5982 Nr . A .44 EP P8_TA-PROV(2015)0231 Drucksache 18/5982 Nr . A .45 EP P8_TA-PROV(2015)0274 Drucksache 18/5982 Nr . A .46 EP P8_TA-PROV(2015)0275 Drucksache 18/5982 Nr . A .48 Ratsdokument 10056/15 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/419 Nr . A .184 Ratsdokument 12883/13 Drucksache 18/419 Nr . A .188 Ratsdokument 14102/13 Drucksache 18/4152 Nr . A .13 Ratsdokument 5467/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .54 Ratsdokument 10972/15 137. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 27 Stärkung der pflegerischen Versorgung TOP 28 Bekämpfung von Doping im Sport TOP 29 CETA-Abkommen TOP 30 Industrie 4.0 und Smart-Services TOP 31 Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen TOP 32 Weiterentwicklung der Gewerbesteuer Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813700000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zu unserer Plenarsitzung . Bevor wir in die Ta-
gesordnung eintreten, möchte ich der Kollegin Petra
Ernstberger zum 60 . Geburtstag gratulieren, den sie in
dieser Woche begangen hat, und dazu alle guten Wün-
sche des Hauses übermitteln .

Wir müssen auch noch zwei Wahlen durchführen . Zu-
nächst sind Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77
Absatz 2 des Grundgesetzes, also des Vermittlungs-
ausschusses, zu wählen . Die Fraktion Die Linke schlägt
vor, den Kollegen Jörn Wunderlich für den Kollegen
Dietmar Bartsch als ordentliches Mitglied und den Kol-
legen Bartsch anstelle des Kollegen Wunderlich als neu-
es stellvertretendes Mitglied zu berufen – ein gewaltiges
Manöver, das aber nur stattfinden kann, wenn der Deut-
sche Bundestag dieser Rochade zustimmt . – Es sieht aber
ganz so aus, als wären wir zu diesem frühen Zeitpunkt zu
solch großzügigen Beschlüssen in der Lage .

Darüber hinaus soll die Kollegin Sahra Wagenknecht
als Nachfolgerin des Kollegen André Hahn als neues
stellvertretendes Mitglied des Gremiums berufen wer-
den . Stimmen Sie auch dem zu? – Das ist der Fall . Da-
mit sind die Kollegen Wunderlich und Bartsch sowie die
Kollegin Wagenknecht als Mitglieder des Vermittlungs-
ausschusses in den genannten Funktionen gewählt .

Die SPD-Fraktion schlägt vor, als Vertreter der Bundes-
republik Deutschland zur Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates die Kollegin Gabriela Heinrich
für den Kollegen Josip Juratovic als ordentliches Mitglied
und diesen, also den Kollegen Josip Juratovic, als Nach-
folger der Kollegin Heinrich als stellvertretendes Mit-
glied zu benennen . Das ist ein ähnlich kühnes Manöver,
das hoffentlich auf ähnlich hohe Zustimmung stößt . – Das
sieht ganz so aus . Damit sind die beiden mit getauschten
Ämtern für dieses Gremium benannt .

Schließlich teile ich Ihnen mit, dass der Ältestenrat
sich in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt hat, in
der nächsten Sitzungswoche, die ja unsere Haushaltswo-
che ist, wie üblich keine Befragung der Bundesregierung,

keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden
durchzuführen . Als Präsenztage sind die Tage von Mon-
tag, dem 23 . November, bis Freitag, dem 27 . November,
festgelegt worden . – Ich darf auch hier allgemeines Ein-
vernehmen feststellen . Dann können wir so verfahren .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pfle-
gerischen Versorgung und zur Änderung
weiterer Vorschriften

(Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II)


Drucksachen 18/5926, 18/6182, 18/6410
Nr. 2

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/6688


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/6689

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Pia
Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in
der Pflege – Solidarische Pflegeversiche-
rung einführen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth
Scharfenberg, Katja Dörner, Kordula Schulz-
Asche, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gute Pflege braucht sichere und zukunfts-
feste Rahmenbedingungen

Drucksachen 18/5110, 18/6066, 18/6688






(A) (C)



(B) (D)


Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Bundesminister Hermann Gröhe .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1813700100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Heute vor genau neun Jahren, am 13 . November 2006,
tagte das erste Mal der erste wissenschaftliche Beirat
zur Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Ein 
Jahrzehnt Diskussion, Ringen, Rechnen in Bezug auf den
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff: Jetzt kommt er!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit der Beschlussfassung über das Pflegestärkungsge-
setz II sorgen wir dafür, dass die individuelle Pflegebe-
dürftigkeit besser erfasst wird . Nicht nur körperliche Be-
einträchtigungen werden zukünftig berücksichtigt . Nein,
die gesamte Lebenssituation eines Menschen – seine
geistige und seine psychische Situation – wird zukünftig
berücksichtigt . Vor allen Dingen wird nicht nur auf De-
fizite geschaut, sondern auch darauf, welche Fähigkeiten 
gestärkt werden können, welcher Unterstützungsbedarf
ein möglichst selbstbestimmtes Leben und Teilhabe si-
chern kann . Dies ist vor allen Dingen für die wachsen-
de Zahl der demenziell erkrankten Menschen – das sind
heute 1,6 Millionen – eine gute Nachricht . Sie erhalten
endlich einen gleichberechtigten Zugang zu den Leistun-
gen der Pflegeversicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist ein Meilenstein für eine bessere Versorgung .
Dass es gerade um eine Besserstellung für die demenzi-
ell Erkrankten geht, sehen Sie auch an den Regelungen
für die automatische Überleitung, mit der wir erstens da-
für sorgen, dass viele mehr Leistungen bekommen, aber
niemand schlechtergestellt wird . Menschen, die heute als
demenziell Erkrankte beispielsweise in der Pflegestufe II 
sind, werden mit dem Pflegegrad 4 gleichsam zwei Punk-
te Verbesserung erfahren . Es geht um mehr Hilfe gerade
für die demenziell Erkrankten . In 25 Jahren werden es
1 Million zusätzlich – also 2,6 Millionen – sein .

Doch nicht allein die Erfassung der Pflegebedürftig-
keit  wird  individueller,  sondern  die  Pflege  selbst  wird 
konsequent auf Teilhabe und Stärkung der Selbstständig-
keit ausgerichtet . Dazu gehört beispielsweise, dass die
Pflegeunterstützung  früher  beginnt.  Bereits  am Anfang 
der Pflegebedürftigkeit wird zukünftig über den Pflege-
grad 1 erste Unterstützung beispielsweise bei der Schaf-
fung von Barrierefreiheit in der Wohnung, beim Umbau
des Badezimmers oder bei anderem gewährt .

Noch etwas ist mir ganz wichtig: Wir stärken – dies
hat die Erprobung des neuen Begutachtungsverfahrens
klar gezeigt – den Grundsatz „Reha vor Pflege“. Der ist 
eben noch nicht in den Köpfen . „Ambulant vor statio-
när“, das  ist  in den Köpfen, weil  jeder gerne möglichst 

lange in den eigenen vier Wänden lebt . Aber Reha ist für
viele noch die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit,
bei der es darum geht, morgen wieder ins Büro gehen
zu können . Dass auch im hohen Alter Rehabilitation ein
Mehr an Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Teil-
habe ermöglichen kann, müssen wir noch viel stärker
nutzen . Deswegen ist dies heute ein großer Schritt zur
Umsetzung des Grundsatzes „Reha vor Pflege“.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich sprach davon, dass wir den Wunsch der Menschen,
möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu leben,
den wir schon seit dem 1 . Januar dieses Jahres mit we-
sentlichen Leistungsverbesserungen unterstützen, noch
stärker gewichten werden . Dazu gehört auch der Blick
auf die enorme Leistung der Angehörigen der Pflegebe-
dürftigen . Deswegen werden wir beispielsweise – na-
türlich  nur, wenn  der  Pflegebedürftige  zustimmt  – An-
gehörige erstmals mit einem eigenen Beratungsanspruch
ausstatten und die Arbeit von Angehörigen in der Pflege 
bei deren Rente in Zukunft besser absichern . Auch dies
ist eine klare Anerkennung der enormen solidarischen
Pflegeleistungen in unseren Familien.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


„Reha vor Pflege“ und „ambulant vor stationär“, das 
bedeutet ein Mehr an Lebensqualität . Es sichert aber
auch die nachhaltige Finanzierbarkeit des Pflegesystems. 
Das sage ich angesichts so mancher Bemerkungen, wir
nähmen zu viel Geld in die Hand .

Schließlich  stärken wir  die Solidarität  in  der Pflege. 
Indem der pflegebedingte Eigenanteil zukünftig gleich-
bleibend  sein  wird,  nehmen wir  den  Pflegebedürftigen 
und ihren Angehörigen die Angst, dass durch einen hö-
heren Eigenanteil bei einer im Rahmen einer Neubewer-
tung erfolgten Höherstufung die eigene materielle Situa-
tion verschlechtert wird . Das ist wichtig, weil dann auch
fairer  abgebildet wird, wie hoch der Pflegebedarf,  zum 
Beispiel in einer Pflegeeinrichtung, ist. Es hat ja Einfluss 
auf die Personalbemessung und anderes mehr, wenn die
notwendige,  realistische  Bewertung  des  Pflegebedarfs 
nicht angemessen abgebildet wird . Insofern ist auch dies
eine entscheidende Verbesserung . Und: Ja, wir werden
diese  neue  individuellere  Pflege  nur  umsetzen  können, 
wenn wir mehr Menschen dafür gewinnen, in der Pflege 
zu arbeiten . Deswegen brauchen wir attraktivere Arbeits-
bedingungen in der Pflege.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen ist in unserem Gesetzentwurf klar festge-
legt,  dass  die  Pflegesätze  –  dabei  geht  es  auch  um die 
Personalstrukturen, den Personalschlüssel – bis zum
30 . September des nächsten Jahres neu zu verhandeln
sind, damit 2017, wenn der Pflegestärkungsbegriff Reali-
tät wird, auch angepasste Pflegesätze vorliegen.

Deswegen brauchen wir ein wissenschaftlich erprob-
tes und ausgewiesenes Personalbemessungsverfahren
und beauftragen die Selbstverwaltung, ein solches zu
entwickeln .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das braucht fünf Jahre!)


Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Deswegen treibt Kollege Karl-Josef Laumann die Ent-
bürokratisierung  in  der  Pflege  voran.  Deswegen  haben 
wir übrigens im Gesetz während der parlamentarischen
Beratungen klargestellt, dass Abbau von Bürokratie und
mehr  Zeit  für  die  Pflege  von  den  Kostenträgern  nicht 
zum Personalabbau missbraucht werden dürfen . Es geht
um mehr Zeit für die Pflegebedürftigen und um weniger 
Zeit fürs Papier .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Schließlich werden wir – Kollegin Schwesig und ich
gemeinsam – mit einem Pflegeberufsgesetz die Moder-
nisierung der Berufe in der Alten-, Kranken- und Kin-
derkrankenpflege  vorantreiben.  Die  gute  Nachricht  ist: 
Noch nie haben in unserem Land so viele Menschen eine
Ausbildung in einem Pflegeberuf begonnen wie heute.


(Hilde Mattheis [SPD]: Genau!)


Wenn ich mit diesen Menschen spreche, dann höre ich,
dass sie sagen: Ja, die Arbeit ist hart, aber sie macht
Freude. – Neulich hat mir ein junger Pfleger gesagt: Eine 
Maschine kann nicht Danke sagen . – Sie wollen für an-
dere Menschen da sein . Deswegen fühlen wir uns guten
Arbeitsbedingungen  in  der  Pflege  verpflichtet.  Heute 
bringen wir eine große Reform auf den Weg, beschließen
eine Stärkung der Pflege, die für 2,7 Millionen Pflegebe-
dürftige in diesem Land gut sein wird, für ihre Angehöri-
gen und für die Pflegekräfte.

Ich bitte um Zustimmung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813700200

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Pia

Zimmermann das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813700300

Herzlichen Dank . – Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Wir haben uns
unsere Entscheidung nicht leicht gemacht, zumal solch
ein Gesetz schon lange gefordert wird – auch von uns .
Das möchte ich insbesondere all denen sagen, die sich
wundern, dass wir ein Gesetz zur Reform des Pflegebe-
dürftigkeitsbegriffes ablehnen . Ich selber habe viele Jah-
re in der Pflege gearbeitet und weiß, was für eine gute, 
umfängliche Pflege nötig ist. Sie haben hier zwar einen 
Gesetzentwurf vorgelegt, der eine ganzheitliche Sicht-
weise auf die Menschen beinhaltet: auf ihre körperlichen,
geistigen und sozialen Fähigkeiten . Es geht um ein Ge-
setz, durch das die ungleiche Behandlung von Menschen
mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen ab-
gestellt werden soll. Aber es ist ein janusköpfiges Gesetz. 
Es verbessert und verschlechtert zugleich, weil Sie, Herr
Minister Gröhe, nicht bereit sind, die Grunddefizite der 
Pflegeversicherung,  nämlich  die  Finanzierung  und  das 
Teilleistungssystem, zu verändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Reform geht auf Kosten von Menschen in den un-
teren Pflegegraden und schränkt deren Wunschfreiheit – 

wo, wie und von wem sie gepflegt werden wollen – wei-
ter ein . Herr Minister Gröhe, da steigen im zukünftigen
Pflegegrad 2 die Leistungen für die ambulante Pflege um 
221 Euro.  In der  stationären Pflege sinken sie zugleich 
um 300 Euro . Das sind 3 600 Euro mehr, die pro Jahr
aufgebracht werden müssen, und das ist ungerecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine  alleinlebende  ältere  Frau mit  Pflegegrad  2,  die 
ins  Pflegeheim  möchte,  weil  sie  Kontakt  zu  anderen 
Menschen haben möchte, weil sie die Einsamkeit belas-
tend findet und weil sie immer dann Hilfe haben möchte, 
wenn sie Hilfe braucht, muss nicht nur 2 065 Euro für ei-
nen Platz im Pflegeheim aufbringen, sondern auch noch 
monatliche Investitionskosten in Höhe von 400 Euro .
Die  Pflegeversicherung  übernimmt  von  diesen  Kosten 
zukünftig nur noch 770 Euro . Ich frage Sie ernsthaft: Wo
bleibt die Wahlfreiheit dieser Frau, wenn sie 1 700 Euro
netto Rente haben muss, um nicht in die Sozialhilfe zu
rutschen? Das ist unerhört, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Wie viele Menschen haben eine solche Rente? Menschen
mit Pflegebedarf werden so in Armut getrieben. Da sagen 
wir Linke ganz klar Nein .


(Beifall bei der LINKEN)


Darüber hinaus fehlt es in dem Gesetzentwurf an
Maßnahmen, die die Bedingungen für die Pflege im All-
tag so gestalten, dass teilnahmeorientierte Pflege, wie sie 
im neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff angelegt  ist, mög-
lich wird . Konkret: Ein inkontinenter Mann schafft es mit
Assistenz zur Toilette . Beim Hinsetzen und Aufstehen,
beim An- und Auskleiden braucht er Hilfe von 15 Mi-
nuten . Im Rahmen des neuen Begutachtungsverfahrens
wird ein Unterstützungsbedarf festgestellt; das Ziel ist
Selbstständigkeit . Das ist ein weiterer Fortschritt . Aber
an dieser Stelle hört der Gesetzentwurf auf; denn ob die
assistierende Person überhaupt verfügbar ist, darüber
entscheiden Sie erst 2020 – vielleicht!


(Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Meine Damen und Herren, wissen wir hier im Haus,
wie es ist, eigentlich noch selbstständig zur Toilette ge-
hen zu können und dennoch eine Windelhose tragen zu
müssen, weil die Zeit fehlt? Die Zeit wird weiter fehlen,
weil  es  keine  zusätzlichen  Pflegekräfte  gibt;  denn  sie 
sind in Ihrem Gesetzentwurf gar nicht vorgesehen . Es
ist bekannt, dass wir solche Situationen schon viel zu oft
haben . Mit diesem Gesetzentwurf suggerieren Sie, dass
sich daran etwas ändern wird . Sie erwecken Erwartun-
gen, die nicht erfüllt werden können . Das ist unverant-
wortlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Das  Zweite  Pflegestärkungsgesetz  ist  letztendlich 
eine Begutachtungs- und bestenfalls eine Bedürftig-
keitsreform – kein großer Wurf, kein Wechsel hin zur
inklusiven  und  teilhabenden  Pflege.  Wir  Linke  sagen: 
Die konkrete Lebenssituation  aller  an der Pflege betei-
ligten Menschen – der Menschen mit Pflegebedarf, der 
Angehörigen, die pflegen, auch der Menschen, die pro-

Bundesminister Hermann Gröhe






(A) (C)



(B) (D)


fessionell pflegen – muss sich verbessern. Menschen mit 
unterschiedlichen Pflegebedarfen dürfen nicht gegenein-
ander ausgespielt werden . Genau das machen Sie, meine
Damen und Herren, und darum stimmen wir mit Nein .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813700400

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Karl

Lauterbach das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1813700500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-

nächst einmal: Hinter uns liegen zwei Wochen, die für die
Menschen in Deutschland, die krank sind, pflegebedürf-
tig sind oder es in Zukunft werden, außergewöhnlich gut
waren . Wir haben ein sehr gutes Hospiz- und Palliativ-
gesetz beschlossen – aus meiner Sicht ein Durchbruch .
Wir  haben  eine  Änderung  des  Krankenhausfinanzie-
rungsgesetzes beschlossen. Damit stärken wir die Pflege, 
erhöhen die Qualität und schaffen eine größere Gerech-
tigkeit der Vergütung – die größte Krankenhausreform,
die wir seit Jahren gemacht haben . Heute machen wir un-
strittigerweise die größte Reform der Pflegeversicherung 
seit ihrem Bestehen . Das alles haben wir in zwei Wochen
erreicht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte mich ausdrücklich bei allen im Parlament für
die Zusammenarbeit bedanken . Das waren Wochen, wie
ich selbst – ich bin lange im Geschäft – sie in dieser Form
noch nicht erlebt habe . Das betrifft Millionen von Men-
schen, nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft .

Es ist richtig, dass diese Gesetze allesamt nicht perfekt
sind . Es gibt kein Gesetz, das wir hier nicht verbessern
könnten . Aber man darf das Erreichte nicht kleinreden,
indem man die kleinen Dinge, die verbesserungswürdig
sind, in den Vordergrund stellt .

Ich fange mal damit an: Wir geben unmittelbar insge-
samt etwa 20 Prozent mehr für die Pflege aus. Etwa 3 bis 
4 Prozent legen wir zusätzlich zurück, um die Pflege be-
zahlbar zu halten . Das sind großartige Leistungsauswei-
tungen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ist richtig, dass wir das Geld etwas anders vertei-
len werden . Es ist zum Beispiel richtig, was Kollegin
 Zimmermann beschrieben  hat:  Für  die weniger  Pflege-
bedürftigen gibt es in Teilen eine leichte Mehrbelastung .
Aber  für  die  große  Zahl  der  stärker  Pflegebedürftigen 
gibt es starke Entlastungen . Wir haben jetzt ein System,
in dem die Angehörigen oft Angst haben, dass ihre zu
pflegenden  Angehörigen  höhergestuft  werden,  obwohl 
sie das medizinisch eigentlich benötigten, weil sie dann
mehr zuzahlen müssten . Das kann doch nicht gerecht
sein . Das ist aus meiner Sicht medizinisch falsch, weil
die Menschen  gegebenenfalls  nicht  die  Pflege  bekom-

men, die sie brauchen . Es ist auch unethisch, weil wir
Angehörige zwingen, etwas gegen das Interesse ihrer
Verwandten zu unternehmen, indem sie dafür sorgen,
dass  in der Pflege nicht das getan wird, was  eigentlich 
nötig ist, weil sie Angst haben, mehr zuzahlen zu müs-
sen . Diese Ängste haben wir ausgeräumt . Das dürfen wir
doch nicht kleinreden . Darauf können wir stolz sein .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch die Entbürokratisierung ist bedeutsam . Die Ent-
bürokratisierung funktioniert wie folgt: Wir messen jetzt,
was der Einzelne in den einzelnen Bereichen noch kann,
also nicht das, was ihm fehlt, sondern das, was er kann .
Es wird zum Beispiel gefragt: Wie mobil ist er noch? Wie
gut kann er denken? Wie dement ist er? Wie sehr ist er
psychisch belastet? Es werden Punkte vergeben . Je mehr
Punkte jemand hat, desto selbstständiger ist er noch . Die
Punkte spiegeln das wider, was der Mensch noch kann .
Danach richtet sich die Pflegebedürftigkeit. Die Pflegen-
den selbst entscheiden dann, wie man dieser Bedürftig-
keit – ohne Minutenpflege – am besten begegnet. Das ist 
doch eine Umstellung des gesamten Systems: Weg von
der Dokumentation der Defizite, hin zu der Beseitigung 
derselbigen, indem man sich darauf konzentriert, was der
Einzelne noch kann .

Das ist eine große Reform . Daran haben wir – das ist
richtig – viele Jahre gearbeitet . Das war keine Leichtig-
keit – das musste vorbereitet werden –; aber das ist ein
Quantensprung in der Pflegeversicherung, eine Umkehr 
der Anreize, in meinen Augen ein Durchbruch .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zu den Betreuungsleistungen . Die Betreuungsleistun-
gen sind immer geringgeschätzt worden – zu Unrecht .
Was nützt mir eine gute Pflege, wenn mich den ganzen 
Tag  niemand  anspricht?  Ich  vereinsame  in  der  Pflege. 
Wenn ich keine Ansprache habe, verfallen die Kompeten-
zen, die ich noch habe . Das Leben ist nicht mehr schön . –
Wir dürfen nicht vergessen, dass in Pflegeeinrichtungen 
sehr viele Menschen leben, die keine Angehörigen mehr
haben oder Angehörige, die nicht mehr kommen können .
Für diese Menschen brauchen wir Betreuung .

Wir führen jetzt einen Rechtsanspruch auf individu-
elle Betreuung ein . Einen Rechtsanspruch! Es ist falsch,
wenn man sagt, dass die Kräfte dafür nicht da sind . Die
Kräfte sind da . Dafür haben wir schon im Rahmen der
ersten  Stufe  der  Pflegereform  gesorgt.  Wir  haben  die 
Zahl der Betreuungskräfte – ich bringe das in Erinne-
rung – um 25 000 erhöht; das ist keine Kleinigkeit . Und
jetzt schaffen wir den Rechtsanspruch .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich ist alles verbesserungswürdig; aber das sind
trotzdem große Schritte nach vorne . Daher muss man
hier, glaube ich, in den Vordergrund stellen: Das ist eine
gute Reform .

Auf die Umstellung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, 
die bessere Zuteilung der Mittel und die damit verbun-
dene bessere Pflege bin ich schon eingegangen. Die Ent-
bürokratisierung haben wir auch schon angesprochen .

Pia Zimmermann






(A) (C)



(B) (D)


Darauf, dass wir die Qualität stärker in den Vordergrund
stellen, kann ich nur noch kurz eingehen . Dazu möchte
ich nur eines sagen: Wir machen auch vor der Personal-
bemessung nicht halt . Wir regeln mit diesem Gesetz klipp
und klar, dass die Personalbemessung in den Pflegehei-
men in den nächsten fünf Jahren angepasst werden soll .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach fünf Jahren! Ich glaube es nicht!)


Jetzt wird gesagt: Wieso machen Sie das nicht jetzt? Das
können wir jetzt nicht machen . Wir führen jetzt das neue
System ein.  Jetzt werden die neuen Pflegegrade  ja  erst 
eingeführt. Welche Personalausstattung für welchen Pfle-
gegrad erforderlich ist, können wir nicht prüfen, bevor
die Pflegegrade eingeführt wurden. Von daher ist das aus 
meiner Sicht eine gute Planung . Wir werden langfristig
auch zu einer gerechteren Bezahlung in der Pflege kom-
men; das ist dringend notwendig .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813700600

Elisabeth Scharfenberg ist die nächste Rednerin für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Mi-
nister Gröhe! Herr Laumann! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über mehrere
Wahlperioden – das wurde schon gesagt – hat sich das
hingezogen . Wir haben, ehrlich gesagt, überhaupt nicht
mehr daran geglaubt, dass er noch kommt, der neue Pfle-
gebegriff .


(Mechthild Rawert [SPD]: Super! Einfach super!)


Sie bohren mit der Einführung richtig dicke Bretter .


(Beifall des Abg . Dr . Karl Lauterbach [SPD])


Dass Sie das jetzt anpacken – das meine ich ehrlich –, das
erkennen wir durchaus an .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kein „Aber“! –  Mechthild Rawert [SPD]: Der Rest kommt noch!)


– Der kommt noch . – Sie nehmen dafür auch viel Geld
in die Hand . Menschen mit Demenz werden endlich den
Menschen mit körperlichen Einschränkungen gleichge-
stellt . Das alles begrüßen wir ausdrücklich . Aber


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ah!)


es ist nicht unsere Aufgabe, Sie zu loben .


(Mechthild Rawert [SPD]: Es schadet aber auch nicht!)


Dafür haben Sie selbst genug Rednerinnen und Redner .
Das müssen Sie schon selbst tun . Als Opposition ist es

unsere Aufgabe, auf die Schwachstellen, die dieser Ge-
setzentwurf nun einmal hat, aufmerksam zu machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie so gut begonnen!)


Sie stellen uns mit dem PSG II die eierlegende Woll-
milchsau vor. Aber der Entwurf des neuen Pflegegesetzes 
ist nur auf dem Papier ganz passabel . Im Gesetzentwurf
sind viele Worthülsen enthalten . Damit kann man dieses
Gesetz überhaupt nicht umsetzen .

Das PSG II wird seine Defizite in den Lebenswelten 
der  Betroffenen  zeigen.  Gerade  der  neue  Pflegebegriff 
hat ganz hohe Erwartungen geweckt . Ich befürchte, dass
wir nach der Umsetzung sehr direkt mit den Schwächen
Ihres PSG II konfrontiert werden. Mit dem neuen Pflege-
bedürftigkeitsbegriff sollen die Menschen in ihrer Selbst-
ständigkeit gestärkt werden . 500 000 Anspruchsberech-
tigte mehr – das ist eine echte Herausforderung .

Teilhabe ist ein ganz zentraler Punkt des neuen Pfle-
gebegriffs . Teilhabe bedeutet, Menschen dabei zu un-
terstützen, dass sie selbst etwas tun können . Das kostet
mehr Zeit, als sie einfach nur zu versorgen . Das bedeutet:
geduldig anzuleiten und den Rhythmus der Menschen
auszuhalten, anstatt es eben einmal schnell selbst zu
erledigen . Gerade im Bereich Demenz geht es darum,
500 000 Menschen mehr zu unterstützen . Das kostet viel
mehr Zeit, und mehr Zeit bedeutet auch mehr Personal,
das aber fehlt schon heute .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wer  soll  denn  bitte  den  neuen  Pflegebegriff  umset-
zen? Sie schreiben zwar in Ihrem Gesetzentwurf, dass bis
2020 ein Verfahren zur Personalbemessung entwickelt
und erprobt werden soll .


(Hilde Mattheis [SPD]: Soll das alles so bleiben wie es ist? – Gegenruf der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich nicht! Aber fünf Jahre?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch viel zu
spät!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es sind schon so viele Personalbemessungsverfahren ent-
wickelt und erprobt, aber nie umgesetzt worden . Dieses
Schicksal droht auch dem Personalbemessungsverfahren
im PSG II .


(Mechthild Rawert [SPD]: Na ja, nicht so pessimistisch!)


Von einer verbindlichen Umsetzung ist bei Ihnen auch
gar nicht die Rede .

Wir brauchen jetzt mehr Personal . Es muss zur Ein-
führung des neuen Pflegebegriffs 2017 auch bereit sein, 
eine neue Art Pflege zu leisten, eine Pflege, die dem neu-
en Pflegebegriff auch gerecht wird. Wir verlangen damit 
dem Pflegepersonal sehr viel ab. 

Dr. Karl Lauterbach






(A) (C)



(B) (D)


Pflegekräfte arbeiten schon heute am Limit, sie gehen 
oft über ihre eigenen Kräfte und Grenzen hinaus . Das
frustriert die Pflegekräfte, und zwar zu Recht. Sie haben 
ihren eigenen Anspruch an die Qualität der Pflegearbeit, 
ihr eigenes Berufsethos . Darum müssen wir dafür sorgen,
dass die verantwortungsvollen Pflegerinnen und Pfleger 
nicht  an dem Vakuum des neuen Pflegebegriffs und an 
der Unmöglichkeit der Umsetzung dieses Begriffs schei-
tern und verzweifeln werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Lauterbach, Sie haben davon gesprochen, dass
die  Minutenpflege  abgeschafft  wird.  Das  ist  doch  der 
totale Quatsch! Ganz ehrlich:  Ich finde das den Pflege-
kräften gegenüber wirklich unverschämt . Der Druck in
der Pflege – das ist doch das, was die Minutenpflege aus-
macht – wird bestehen bleiben . Es wird sich nichts daran
ändern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es herrscht eine ganz große Unsicherheit . Der neue
Pflegebegriff ist definiert und genau vermessen. Wir kön-
nen ausrechnen, welche Fähigkeiten in welchem Maß
vorhanden bzw . nicht vorhanden sein müssen, um einen
bestimmten Pflegegrad zu erreichen. Aber es ist nicht ge-
nauso  klar  definiert, wie  die  Pflege  aussehen  soll,  eine 
Pflege,  die  dem  Anspruch  auf  mehr  Teilhabe  gerecht 
wird.  Sicher: Es  gibt  eine  aktivierende Pflege,  aber  im 
PSG II ist nicht die Rede davon, dass sie flächendeckend 
eingeführt werden soll .

Der Anspruch auf mehr Teilhabe ist das Kernstück des
neuen  Pflegebedürftigkeitsbegriffs.  Diesem  Anspruch 
muss man dann aber auch gerecht werden . Nur auf dem
Papier bringt er den Menschen überhaupt nichts . Es ist
auch merkwürdig, dass Sie einen Teilhabeanspruch ein-
führen, ohne die Schnittstellen zum SGB IX auch nur zu
erwähnen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Haben wir!)


Das Bundesteilhabegesetz steht vor der Tür . Es wäre
doch absolut sinnvoll gewesen, die Konkurrenz zwischen
den Sozialgesetzbüchern IX, XI und XII zumindest zu
thematisieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben den Beitrag zur Pflegeversicherung erhöht. 
Es fließt viel Geld in die Pflegeversicherung; es wird von 
7 Milliarden Euro jährlich gesprochen . Doch die Finan-
zierung der Pflegeversicherung ist nur bis 2022 gesichert. 
Das ist alles andere als nachhaltig . Aber, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, lieber Minister Gröhe, eine Reform,
die so viele Menschen betrifft, braucht doch ein ganz
starkes Fundament .


(Mechthild Rawert [SPD]: Haben wir auch!)


Das Einzige, was Ihnen zur Finanzierung einfällt,
ist  der  Pflegevorsorgefonds.  Er  schluckt  jährlich  rund 
1,4 Milliarden Euro an Beitragsgeldern . Das sind Gel-
der, die woanders besser aufgehoben wären . Durch den
Fonds wird der Beitrag zur Pflegeversicherung in der Zu-

kunft gerade einmal um 0,1 Prozentpunkte gesenkt . Das
ist keine spürbare Entlastung . Wenn der Fonds in 20 Jah-
ren leer ist, dann muss der Beitrag eben wieder steigen .

Sie wollen den ambulanten Bereich aufwerten und
dazu unter anderem auch etwas für pflegende Angehörige 
tun . Aber das tun Sie, ehrlich gesagt, ziemlich halbher-
zig: eine Absicherung in der Arbeitslosenversicherung,
ein  bisschen Rente mehr  für manche.  Pflegende Ange-
hörige brauchen unterstützende Angebote für die Pflege-
bedürftigen, um die sie sich kümmern, und sie brauchen
auch ganz dringend unterstützende Angebote für sich
selbst . Vor allem aber brauchen sie, die Angehörigen und
die Pflegebedürftigen gleichermaßen, eine gute Beratung 
und eine gute Information .

Sie machen im PSG II einige Vorschläge zur Bera-
tung, die aber teilweise sogar auf eine Verschlechterung
hinauslaufen, zum Beispiel beim Beratungsanspruch . Er
greift zukünftig erst beim Vorliegen eines Pflegegrades. 
Das ist, ehrlich gesagt, viel zu spät .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wichtig wäre jetzt ein unabhängiges, individuelles
Fallmanagement.  Jeder  Pflegebedürftige  müsste  einen 
Anspruch darauf haben . Inzwischen gibt es so viele
verschiedene Angebote  und  Möglichkeiten  für  Pflege-
bedürftige und Angehörige, Angebote, die auf die unter-
schiedlichsten Arten und Weisen kombinierbar sind . Da
blickt doch kein Mensch mehr durch .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Dafür gibt es Pflegeberatung!)


Der Fallmanager sollte bei der Kommune angesiedelt
sein; denn nur dort ist bekannt, welche Angebote konkret
und regional vor Ort vorhanden sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das PSG III kommt!)


Ich wünsche dem neuen Pflegebegriff, dass er gelingt. 
Vor allem wünsche  ich das natürlich den Pflegebedürf-
tigen, den Angehörigen, den ihnen nahestehenden Men-
schen, und insbesondere wünsche ich das den Pflegekräf-
ten . Aber solange so viele Dinge noch nicht geregelt sind,
wird der neue Pflegebegriff kaum Wirkung entfalten. 


(Mechthild Rawert [SPD]: Abwarten! Kein Pessimismus!)


Ich appelliere an Sie: Kümmern Sie sich um die
Personalfrage jetzt! Sorgen Sie für eine nachhaltige Fi-
nanzierung! Regeln Sie auch die Schnittstellen zur Ein-
gliederungshilfe! Machen Sie die unterstützenden und
entlastenden Angebote den Pflegebedürftigen und  ihren 
Angehörigen durch ein unabhängiges, individuelles Fall-
management zugänglich! Wenn Sie diese Aufgaben nicht
erledigen, dann wird sich an der Lebensrealität der be-
troffenen Menschen – ich meine damit die Pflegebedürf-

Elisabeth Scharfenberg






(A) (C)



(B) (D)


tigen, deren Angehörige und insbesondere die belasteten
Pflegekräfte – nichts ändern.

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Wir machen das schon!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813700700

So, ich hoffe, dass alle folgenden Redner der Koalition

die dringende Anregung von Frau Scharfenberg beach-
ten, die Abteilung „Lob und Preis der Bundesregierung“ 
im Manuskript hinreichend zu berücksichtigen .


(Heiterkeit)


Das können wir jetzt bei der Kollegin Michalk als Erstes
testen, die für die CDU/CSU-Fraktion das Wort erhält .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1813700800

Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! In der Tat möchte ich wirklich da-
mit beginnen . Ich war dabei, als wir vor mehr als 20 Jah-
ren  über  die  Pflegeversicherung  als  letzte  notwendige 
Säule in unserer sozialen Absicherung diskutiert und sie
nach einer intensiven Diskussion eingeführt haben . Wir
haben eine Pflegeversicherung, wir haben gut ausgebil-
dete Fachkräfte, immer mehr Menschen engagieren sich
in der ambulanten Pflege für ihre Lieben. Dass wir ana-
lysieren, was gut läuft und nicht gut läuft, das zeichnet
dieses Parlament aus . Dass wir heute das größte Reform-
paket in dieser wichtigen Versorgungssäule vorlegen, ist
sozusagen die Krönung .

Deshalb will ich in der Tat Herrn Bundesminister
Gröhe, seinen Staatssekretärinnen, Herrn Laumann und
dem ganzen Team im Haus herzlich danken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


– Ja, mit Beifall sollte man hier nicht sparen . – Die Oppo-
sition hat es ja schon bekräftigt: Niemand hat geglaubt,
dass wir es schaffen . Wir haben es geschafft .

Wir Menschen können durch einen Unfall, durch
Krankheit oder einfach nur durch das Alter pflegebedürf-
tig werden, jeder von uns . Alter heißt aber nicht automa-
tisch: pflegebedürftig. Deshalb gibt  es eine Verbindung 
zu all den guten Gedanken, die wir beim Präventionsge-
setz ausgetauscht haben . Aktives Altern hilft vielleicht,
Pflegebedürftigkeit  hinauszuzögern.  Die  gute  Vorlage 
aus dem Haus haben wir im parlamentarischen Bera-
tungsprozess an vielen Stellen nachgebessert . Das war
ein Prozess, der im guten Einvernehmen abgelaufen ist .

Liebe Kollegin Zimmermann, Sie haben uns hier vor-
gerechnet, was die Zuzahlung für jemanden mit dem
künftigen Pflegegrad 2 bedeutet, der sich entscheidet, in 
ein Pflegeheim zu gehen. Dabei haben Sie aber unterlas-
sen, darauf hinzuweisen, dass wir im Rahmen des parla-
mentarischen Beratungsprozesses festgelegt haben, dass
der jetzt übliche Abschlag von 20 Prozent beim Zuschuss

wegfällt. Man erhält den vollen Pflegesatz. Insofern gibt 
es eine Wahlfreiheit zwischen ambulant oder stationär .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir  haben  für  pflegende  Angehörige  –  das  wurde 
schon gesagt; aber man kann es nicht oft genug sagen –
weitere Verbesserungen in den Gesetzentwurf geschrie-
ben. Wenn man jemanden, der den Pflegegrad 5 hat, zu 
Hause  voll  pflegt,  dann  macht  die Anrechnung  in  der 
Rentenversicherung einen ganzen Punkt aus . Das ist eine
Gleichstellung mit der außerhäuslichen Arbeit und eine
große Stärkung der sozialen Absicherung pflegender An-
gehöriger .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813700900

Frau Michalk, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol-

legin Zimmermann zu?


Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1813701000

Ja, gerne . – Bitte schön .


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Aber sachlich bleiben!)



Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813701100

Vielen Dank, Frau Michalk . – Wir haben von zwei un-

terschiedlichen Dingen geredet . Sie haben von dem Fall
geredet,  dass  jemand  in  ein  Pflegeheim  gehen möchte, 
begutachtet wird und man bei der Begutachtung zu dem
Ergebnis kommt, dass diese Person nicht  in ein Pflege-
heim gehen sollte, die Person es aber doch tut .


Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1813701200

Ja .


Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813701300

Dann muss man 20 Prozent dieser Kosten zusätzlich

tragen . Davon habe ich aber gar nicht geredet .

Es ist zwar gut, dass Sie diese Regelung abgeschafft
haben; das ist anzuerkennen .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: War das jetzt etwa ein Lob?)


Aber das hat nichts damit zu tun, dass eine Frau, wie ich
in diesem Zusammenhang erwähnt habe, eine Nettorente
von 1 700 Euro beziehen müsste, um überhaupt selbst-
ständig einen Pflegeheimplatz bezahlen zu können.  Ich 
wollte nur deutlich machen, dass Pflege auch nach Ihrem 
Gesetzentwurf immer noch vom Geldbeutel abhängig ist .
Mehr wollte ich gar nicht sagen .


(Beifall bei der LINKEN)



Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1813701400

Liebe Kollegin Zimmermann, ich habe das schon rich-

tig verstanden . Meine Antwort sollte Ihnen und auch der
Öffentlichkeit zeigen, dass wir die Solidarität in der ge-
samten Gruppe sehr wohl beachten und da für Verbesse-

Elisabeth Scharfenberg






(A) (C)



(B) (D)


rungen gesorgt haben . Was den Fakt betrifft, den Sie jetzt
noch einmal skizziert haben, haben Gutachter untersucht,
um welche Größenordnung es dabei geht . Sie wissen,
dass wir über einen längeren Zeitraum Modellprojekte
durchgeführt haben – es gab über 2 000 Begutachtun-
gen im ambulanten und stationären Bereich –, in deren
Rahmen die Veränderungen und die Frage der Vor- und
Nachteile sehr genau analysiert wurden .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sagen Sie doch einfach: Sie hat recht!)


Es gibt dazu ein positives Gutachten . Das können Sie
nicht unter den Tisch fallen lassen .

Außerdem ist wohl noch ein Gedanke wichtig: Unser
gesamtes soziales Sicherungswesen ist vom Grundge-
danken der Solidarität getragen . Wenn jetzt in dem einen
oder anderen Fall – das hängt immer von der persönli-
chen Konstellation  ab  –  jemand,  der  den  Pflegegrad  2 
hat, vielleicht eine etwas höhere Zuzahlung zu leisten hat
als nach dem bisherigen Begutachtungssystem, dann darf
man nicht verkennen, dass die größere Anzahl derjeni-
gen, die die Pflegegrade 3, 4 und 5 haben und in Zukunft 
im stationären Bereich versorgt werden, eine Entlastung
erfährt . Durch den gleichen Zuzahlungsbetrag über alle
Pflegegrade hinweg wird die Solidarität im System wei-
ter gestärkt . Das war uns ein Herzensanliegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte darauf hinweisen, dass die Dynamisierung
in diesem Gesetzentwurf eine Rolle spielt . Ich möchte
auch darauf hinweisen, dass jeder, der heute begutachtet
ist, eine Pflegestufe bzw. einen Pflegegrad hat und Leis-
tungen bezieht, Bestandsschutz bis an sein Lebensende
genießt . Jeder hat natürlich das Recht, sich neu begut-
achten zu lassen . Allerdings sagen wir: In den Fällen, in
denen der MDK, der die Begutachtung durchführt, eine
Wiederholungsbegutachtung befürwortet, sollte diese für
zwei Jahre ausgesetzt werden, damit genug Zeit ist, bei
der Antragstellung kein Stau entsteht und die Neubegut-
achtungen in aller Ruhe erfolgen können . Wir haben jetzt
noch ein Jahr und drei Monate Zeit für die Vorbereitung,
um sicherzustellen, dass diese Verbesserungen zum 1 . Ja-
nuar 2017 – nachdem wir ohne Hektik und nach intensi-
ver Beratung über alles diskutiert haben – sowohl im am-
bulanten als auch im stationären Bereich wirken können .
Gerade in diesem Bereich können wir uns nämlich keine
Oberflächlichkeiten leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Karl Lauterbach [SPD])


Deshalb bin ich so dankbar, dass wir diesen Gesetzent-
wurf gemeinsam in aller Ruhe beraten konnten .

Ich habe eine Gepflogenheit: Wenn ich ein Thema be-
arbeite, gebe ich mir immer ein Motto . Das ist so meine
Arbeitsphilosophie . – Bei dieser Gesetzesberatung habe
ich mir rückblickend auf das, was ich schon vor 20 Jah-
ren gedacht habe, einen Spruch von Friedrich Schiller an
meinen Schreibtisch gehängt . Er hat folgenden wunder-
baren Satz gesagt:

Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben .
Bewahret sie! Sie sinkt mit euch, mit euch wird sie
sich heben .

Ich finde, wir haben mit dieser Gesetzesberatung und 
mit dieser großen Reform diesem Anspruch wirklich Ge-
nüge getan .

Ich freue mich, danke Ihnen für die Zusammenarbeit
und bitte um Zustimmung .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813701500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine

Zimmermann, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813701600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Nicht mehr selbstständig entscheiden zu kön-
nen oder zum Pflegefall zu werden, das sind die größten 
Sorgen der Menschen, wenn sie an ihr Leben im Alter
denken . Laut einer Forsa-Umfrage haben acht von zehn
Menschen diese Befürchtung .

Mittlerweile ist der Wunsch „Bloß nicht zum Pflege-
fall werden“ unter lebensälteren Menschen oft zu hören. 
Es ist ein Armutszeugnis, dass viele Menschen das Pfle-
gesystem nicht oder kaum als wertvolle Hilfe ansehen,
sondern auch als regelrechte Bedrohung wahrnehmen .
Das muss sich ändern . Wir brauchen einen Richtungs-
wechsel in der Pflege.


(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Kriegen wir!)


– Hören Sie mir einfach zu . Ich hoffe, Sie haben den Ent-
schließungsantrag von uns gelesen . Der sagt etwas ganz
anderes aus als das, was Sie wollen .

Immer mehr Pflegebedürftige und ihre Familien müs-
sen  notwendige  Pflegeentscheidungen  aus  finanziellen 
Gründen verschieben oder sogar verwerfen, da die Pfle-
geversicherung von vornherein als Teilkaskoversiche-
rung angelegt worden ist und nicht alle Kosten abdeckt .
Die  von  den  zu  pflegenden  Menschen  zu  leistenden 
Eigenanteile sind in den letzten Jahren gestiegen und
werden in der Zukunft weiter dramatisch ansteigen . Sie
zahlen  jedoch nicht nur den Pflichtanteil des Pflegesat-
zes. Hinzu  kommen  auch  noch Verpflegungs-  und Un-
terkunftskosten. Diese  finanziellen Belastungen  treiben 
immer mehr Menschen in die Hilfe zur Pflege, nämlich 
in die Sozialhilfe, und das ist wirklich beschämend .


(Beifall bei der LINKEN)


Das System der Pflegeversicherung ist zudem dadurch 
gekennzeichnet, dass seit Jahren rund ein Viertel der An-
träge  auf Gewährung  von Pflegestufen  abgelehnt wird. 
Die Arbeitsbedingungen  im  Pflegebereich  sind  geprägt 
von niedrigen Löhnen, hohem Arbeitsdruck, Teilzeitbe-
schäftigung und kurzfristiger Verfügbarkeit, und immer
öfter müssen Pflegekräfte gegen ihr Berufsethos handeln. 

Maria Michalk






(A) (C)



(B) (D)


Immer  öfter  entstehen  gefährdende  Pflegesituationen, 
und das können Sie doch wirklich nicht wollen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will Ihnen einmal einige Zahlen nennen: Auf
100  zu Pflegende über  80  Jahre  kommen  in Schweden 
33  Pflegekräfte,  in  Norwegen  22  Pflegekräfte  und  in 
Deutschland  11,2  Pflegekräfte.  Daran  sehen  Sie  doch 
schon, was in diesem System krank ist . Wir brauchen
mehr gut ausgebildete Pflegekräfte.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist höchste Zeit, mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf einen wirklichen Wandel zur guten Pflege für alle zu 
bewirken. Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff al-
lein, den Sie hier definieren, wird dies nicht verwirklicht. 
Nach dem Gesetzentwurf wollen Sie die Pflege stärken. 
Doch genau das wird damit nicht erreicht . Anders zu be-
gutachten, heißt ja noch nicht, anders zu pflegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ganz  im Gegenteil:  Der  Pflegeaufwand  wird  wach-
sen, wenn der  zu pflegende Mensch mit  all  seinen Be-
einträchtigungen und allen Ressourcen im Fokus stehen
soll – nicht nur bei der Begutachtung, sondern auch im
Pflegealltag. Wie das nachher abgesichert wird, sagen Sie 
in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht deutlich .

Die Leistungen zur ambulanten Pflege müssen verbes-
sert werden. 71 Prozent werden zu Hause gepflegt. Dazu 
brauche ich mehr Geld und mehr Personal . Sie geben je-
doch beides nicht . Sie wollen bis 2020 beraten, wie Per-
sonalbemessung und Qualitätsstandards aussehen sollen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt einfach nicht!)


Das Prinzip der Teilkaskoversicherung wird nicht an-
getastet. Somit bleibt gute Pflege ein Luxusgut. Zudem 
ist zu befürchten, dass sich bei Neubegutachtungen ab
2017  in  den  unteren  Pflegegraden  das  Leistungsniveau 
verschlechtern wird . Die dringend notwendige Einfüh-
rung der Personalbemessung wird verschoben .

Deswegen: Stimmen Sie unserem Entschließungsan-
trag zu! Stimmen Sie für die Pflegevollversicherung, eine 
jährliche Dynamisierung, eine bundesweit verbindliche
Personalbemessung und für die solidarische Pflegeversi-
cherung! Denn gute Pflege ist eine Frage der Menschen-
würde, und das geht uns alle an .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813701700

Das Wort erhält nun die Kollegin Hilde Mattheis für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1813701800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich möchte mit einem Dank beginnen, nicht nur

an das Haus, sondern auch an die, die uns in den letzten
neun Jahren bei der Entwicklung dieses Reformvorha-
bens intensiv begleitet haben: die Wohlfahrtsverbände,
die Gewerkschaften, aber auch die zwei Beiräte, die die
Grundlage für diesen Gesetzentwurf gelegt haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich freue mich sehr, dass wir heute diese Reform verab-
schieden .

Das, was ich zum Hospiz- und Palliativgesetz gesagt
habe, nämlich dass sich manche Themen zu politischen
Auseinandersetzungen und Kontroversen nicht eignen,
wiederhole  ich  an  dieser  Stelle.  Die  Reform  des  Pfle-
gebedürftigkeitsbegriffs, die in der Bevölkerung breit
getragen wird, die von allen gesellschaftlichen Kräften
unterstützt wird, sollten wir auch im Parlament breit un-
terstützen . Und darum bitte ich Sie .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist wichtig, immer wieder zu kommunizieren: Die-
se Pflegereform nützt den Menschen. Es ist gut und rich-
tig, dass wir diese heute auf den Weg bringen .

Was machen wir heute? Wir haben mit dem PSG I
die Leistungen verbessert und bringen jetzt einen großen
Systemwechsel auf den Weg . Denn wir gehen weg von
einer Mangelerhebung, die den Pflegebedarf in Minuten 
abgebildet hat, und hin zu einem teilhabeorientierten Be-
griff . Das ist doch ein Systemwechsel, der allen zugute-
kommt .

Ja,  der Pflegegrad 1  bedeutet  einen neuen Anspruch 
für fast 500 000 Menschen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


500 000 Menschen werden mehr von der Pflegeleistung 
profitieren können. Das  ist doch eine Entwicklung, der 
Sie nur zustimmen können .

Frau Scharfenberg, bei aller Wertschätzung für die
Rolle einer Oppositionspartei, aber wenn Sie sagen, dass
die Finanzierung nur bis 2022 gesichert sei:


(Heiko Schmelzle [CDU/CSU]: Ist falsch!)


Erklären Sie einmal, in welchem anderen Sozialversiche-
rungssystem Sie sieben Jahre lang Sicherheit garantieren
können . Wo?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich würde mir auch gut überlegen, ob ich diese Botschaft
verbreite; denn damit unterstellen Sie, dass Sie 2017
überhaupt nichts ändern können. Wir wollen die Pflege-
versicherung als Bürgerversicherung .


(Beifall bei der SPD – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir doch auch! Dann tut es!)


Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


Sie sagen nun, dass Sie bis 2022 nichts ändern wollen .
Das ist mir echt zu lang . Wir wollen die Bürgerversiche-
rung in der Pflege, und zwar so schnell wie möglich.


(Beifall bei der SPD)


Sie kritisieren, dass wir für die Pflegefachberufe nichts 
tun . Wir haben nachgeliefert und gesagt: In den nächsten
fünf Jahren muss die Entwicklung und Erprobung der
Personalbemessung abgeschlossen sein .


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie doch erst mal, was vor Ort los ist!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813701900

Frau Mattheis .


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1813702000

Ich bin gerade so in Fahrt .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813702100

Ja, das merke ich . Es gibt den Wunsch nach einer Zwi-

schenfrage .


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1813702200

Stellen Sie sich vor, wir würden jetzt erklären: „Diese

Entwicklung und Erprobung müssen in anderthalb Jah-
ren über die Bühne gebracht sein.“ Was hätten Sie dann 
gesagt? Sie würden uns vorwerfen: Das ist nicht ordent-
lich und sorgfältig genug .

Wir gehen mit unseren ganzen Bausteinen – der
nächste große Baustein ist die Ausbildungsreform – die
Verbesserung der Pflege an.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Genau!)


Ich glaube, es ist wichtig, dass wir immer einen Baustein
neben den anderen setzen und dass diese auch zusam-
menpassen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!)


Das damit gebaute Haus darf nicht zusammenfallen, son-
dern das muss fest stehen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von daher geht es nicht nur um die Leistungsverbesse-
rungen im PSG I . Jetzt geht es mit dem PSG II und mit all
dem, was wir als kritische Punkte aufgenommen haben,
um einen Systemwechsel . Wir haben gesagt: Macht die
Dokumentation schlanker und sorgt bitte für mehr Pfle-
ge . Ferner haben wir gesagt: Wir wollen die Beratung
verbessern, nicht nur für die Pflegebedürftigen, sondern 
auch für die Angehörigen . Das muss klar sein .


(Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!)


In diesen kleinen Punkten, die den Systemwechsel her-
beiführen, liegt die Stärke dieses Gesetzes .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813702300

Frau Mattheis, jetzt sind Sie nicht mehr ganz so in

Fahrt . Kurz vor Ende Ihrer Redezeit könnten Sie, wenn
Sie mögen, eine Zwischenfrage zulassen .


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1813702400

Ich mag .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813702500

Na also . – Bitte schön, Frau Klein-Schmeink .


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1813702600

Ich bin gespannt .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist schön, dass ich die Gelegenheit bekomme, eine
Frage zu stellen . – Frau Mattheis, Sie haben eben auf die
Zeithorizonte abgehoben . Sie haben auch darauf abge-
hoben, dass wir mit dem Pflegestärkungsgesetz zu Recht 
neue Ansprüche schaffen . Aber ist es nicht so, dass man
für die Erfüllung dieses Anspruchs auch das dazugehö-
rige Personal und die Zeit bereitstellen muss, dass also
Anspruch auch auf Leistung treffen muss? Daher ist es
sehr merkwürdig, dass man die dazugehörige verbindli-
che Personalbemessung erst bis 2020 schaffen will .

Dazu habe ich die Frage, warum das im Bereich der
Pflege so lange dauern soll, während Sie für den Kran-
kenhausbereich, wo das Problem ganz ähnlich gelagert
ist, zwar auch nicht sofort eine Lösung haben, aber im-
merhin versprechen, hierfür bis 2017 etwas vorzulegen .
Es ist eindeutig so, dass die Situation im Krankenhaus
deutlich  komplizierter  ist  als  in  der  Pflege.  Da  gibt  es 
sehr viele Vorarbeiten . Ist es überhaupt zu verantworten,
die Pflegekräfte  fünf Jahre  lang auf die Einführung der 
im Gesetzentwurf genannten Instrumente zu vertrösten?
Das ist ein sehr langer Zeitraum . Das ist eine komplette
Wahlperiode .


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1813702700

Geschätzte Frau Klein-Schmeink, manchmal hilft

Lesen . Im Gesetzentwurf steht: Entwicklung und Er-
probung. Ich finde, diese Aussage zeigt uns: Jawohl, wir 
wollen die Erprobungsphase 2020 abgeschlossen haben .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu kann ich Ihnen sagen: Wir brauchen wirklich eine
fundierte Grundlage; denn das geht nicht mit einem
Schnellschuss . Ich bin froh, dass wir beim Thema Perso-
nalbemessung diesen großen Durchbruch erreicht haben .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie gerade nicht!)


Hilde Mattheis






(A) (C)



(B) (D)


Sie wissen, dass bei den Verhandlungen darüber auch
die Länder mit am Tisch sitzen . Ich glaube, hierzu wird
es eine breite Debatte geben . Vielleicht können Sie Ihren
Länderministerinnen und -ministern sagen, dass sie uns
dabei unterstützen sollen . Das wäre schön .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Maria Michalk [CDU/CSU] – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun sie schon lange!)


Ich will abschließend auf Folgendes hinweisen: Das
Pflegestärkungsgesetz II ist nicht das Ende der Reform. 
Wer glaubt, dass Sozialversicherungssysteme irgend-
wann nicht mehr verbesserungsbedürftig wären, der hat
ein ganz falsches Verständnis dieser Systeme . Mit dem
PSG III werden wir einen weiteren wichtigen Baustein
setzen . Neben den Leistungsverbesserungen, neben der
Entlastung der pflegenden Angehörigen, neben den gu-
ten Arbeitsbedingungen für Pflegefachkräfte muss es uns 
auch um Pflegeinfrastruktur gehen, also niedrigschwelli-
ge Pflegeinfrastruktur in den Kommunen. Das wird der 
Schwerpunkt des PSG III sein .

Ich darf für meine Kolleginnen und Kollegen der
SPD-Fraktion einfach zur Erinnerung sagen: Wir können
immer mehr dicke Häkchen hinter unser Konzept der
Pflegereform von 2012 setzen.

Ich danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813702800

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Erwin Rüddel das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1813702900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Eine Bemerkung kann ich mir nicht ganz verkneifen,
weil eben der Begriff „Bürgerversicherung“ gefallen ist:


(Mechthild Rawert [SPD]: Der fällt ja häufiger!)


Ich glaube, bevor dieses Haus eine Bürgerversicherung
verabschiedet, wird eine CDU-geführte Regierung das
Pflegestärkungsgesetz VII verabschieden. 


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Oder auch nicht!)


Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass die
vielen Diskussionen mit meiner Kollegin von den Grü-
nen, Elisabeth Scharfenberg, dazu geführt haben, dass
ihre vielen Zweifel, die zu Beginn bestanden, heute wei-
testgehend verschwunden sind .


(Beifall bei der CDU/CSU – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat meine Rede aber nicht hergegeben, dass die Zweifel verschwunden sind!)


Ich denke, das Gesetz wird in der Praxis entsprechend
Wirkung zeigen, sodass auch die letzten Zweifel ver-
schwinden werden .

Zehn Monate nachdem wir das erste Pflegestärkungs-
gesetz verabschiedet haben, kommt jetzt schon die Um-
setzung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes. Wir schließen 
eine Gerechtigkeitslücke, indem wir die Demenzkran-
ken den somatisch Erkrankten in der Pflegeversicherung 
gleichstellen und im Ergebnis über 5 Milliarden Euro für
Demenzkranke aktivieren . Ich denke, das ist ein großer
Wurf. Für bereits jetzt Pflegebedürftige gibt es einen Be-
standsschutz, sodass sich niemand Sorgen darüber ma-
chen muss, dass er durch diese Reform schlechtergestellt
wird .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Zudem verbessern wir bereits in diesem Gesetzent-
wurf  die  Situation  von  pflegenden  Angehörigen  und 
stärken die Pflegeberatung sowie die Qualität und Trans-
parenz  bei  den  Pflegeangeboten.  Die  Koalition  hat  zu 
Beginn der Legislaturperiode mehr Qualität, mehr Geld,
mehr Betreuung und mehr Hände für gute Pflege in un-
serem Land versprochen, und wir haben Wort gehalten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das zeigt sich auch am Bürokratieabbau, in der Neuge-
staltung des Pflege-TÜVs, in den neuen gesetzlichen Re-
gelungen zur Verbesserung der Medikamentensicherheit
sowie in dem in der letzten Woche verabschiedeten Palli-
ativ- und Hospizgesetz .

Wir müssen sicherstellen, dass zukünftige zusätzliche
Leistungen auch am Bett ankommen . Hier darf es kei-
ne Tricksereien geben . Das sage ich auch gegenüber den
kommunalen Spitzenverbänden, die mit Blick auf den
Bürokratieabbau  in der Pflege bekanntlich gewisse Be-
gehrlichkeiten entwickelt hatten . Deshalb habe ich mich
dafür eingesetzt, dass die Dividende aus dem Bürokra-
tieabbau den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der
Pflege zusteht 


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist erbärmlich wenig! Das ist zu wenig!)


und auf diese Weise dort ankommt, wo sie hingehört, und
zwar  bei  den  pflegebedürftigen  Menschen  in  unserem 
Land . Die gewonnene Zeit ist nicht zur Konsolidierung
kommunaler Haushalte gedacht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ebenso  deutlich  sage  ich  mit  Blick  auf  die  Pfle-
ge-WGs: Wir werden aufpassen, dass das System nicht
von professionellen Anbietern in einer Weise ausgenutzt
wird, die nicht im Sinne des Gesetzgebers ist . Wir wollen
keine Geschäftemacherei, sondern gute Betreuung und
Pflege. Deshalb  stellen wir  sicher,  dass  der MDK  ent-
sprechende Prüfungsvollmachten erhält .

Dieses  Pflegestärkungsgesetz  II  bringt  bereits  einen 
erweiterten Beratungsauftrag für die Kassen . 2016 wer-
den wir mit dem Pflegestärkungsgesetz III den Kommu-
nen zusätzliche Beratungsaufgaben übertragen, wie es
in der Bund-Länder-Kommission vereinbart worden ist .

Hilde Mattheis






(A) (C)



(B) (D)


Die zusätzlichen Angebote der Kommunen – ich denke
hier an die Vernetzung mit Seniorenbeiräten, Mehrgene-
rationenhäusern oder Pflegestützpunkten – werden eine 
aufsuchende und umfassende Beratung für Pflegebedürf-
tige und deren Familien bieten können, sodass in jedem
einzelnen Fall ein individuelles Paket geschnürt werden
kann, das optimal auf die Bedürfnisse der zu Pflegenden 
zugeschnitten ist .

Zudem müssen wir noch bei der Versorgung mit Heil-
und Hilfsmitteln aktiv werden. Unsere Pflegebedürftigen 
haben ein Anrecht auf eine anständige Versorgung . Wir
werden es nicht hinnehmen, wenn an der Qualität von
Windeln oder Rollstühlen gespart werden soll . Wir mobi-
lisieren für die Altenpflege zusätzlich 7 Milliarden Euro. 
Da kann nicht an anderer Stelle an den Windeln gespart
werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb müssen wir dafür sorgen, die erforderlichen
Qualitätsstandards sicherzustellen . Damit werden wir
das, was ich die Runderneuerung der Pflege nenne, fein-
justieren müssen und dann abschließen .

Meine Damen und Herren, diese Koalition schafft
grundlegende und umfassende Verbesserungen für die
Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen und die Pflegekräfte 
in Deutschland . Ich danke ganz besonders dem Minis-
ter, der zuständigen Parlamentarischen Staatssekretärin
Ingrid Fischbach und dem Pflegebevollmächtigten, dass 
sie diese Reform vorbereitet haben, und bitte sie, diesen
Dank an das Haus weiterzugeben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813703000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Rawert für
die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1813703100

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Mitbürge-

rinnen! Liebe Mitbürger! Der heutige Freitag, der 13 ., ist
ein guter, ein sehr guter Tag für pflegebedürftige Kinder 
und  Jugendliche,  für pflegebedürftige  ältere Menschen, 
für die Angehörigen und für die haupt- und ehrenamtlich
in  der  Begleitung,  Betreuung  und  Pflege  tätigen Men-
schen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir alle profitieren von dem Gesetz, welches wir gleich 
beschließen  werden,  nämlich  dem  Zweiten  Pflegestär-
kungsgesetz.  Pflege  ist  damit  in  der Mitte  unserer Ge-
sellschaft angekommen . Wir machen deutlich: Im Mit-
telpunkt steht die Solidarität miteinander und die Sorge
füreinander, gerade dann, wenn für den einzelnen Men-
schen ein Lebensrisiko wie die Pflegebedürftigkeit auf-
tritt. Das ist die Aufgabe der sozialen Pflegeversicherung. 
Dafür, dass wir heute dazu gekommen sind, gebührt vie-
len Menschen in den Institutionen, Verbänden und Bünd-
nissen für gute Pflege Dank. 

Es wurde schon daran erinnert, dass die erste Sitzung
der Beiräte vor mehreren Jahren stattgefunden hat . In
diesen waren die gesamte Zivilgesellschaft, sämtliche
Akteurinnen  und Akteure  im Gesundheits-  und  Pflege-
wesen vertreten . Die Beiräte haben uns den Weg ge-
wiesen . Sie haben Forderungen gestellt, und sie haben
eine Roadmap vorgelegt . Wir sind dabei, die Roadmap
mit diesem Gesetz abzuarbeiten . Das ist ein Gesetz nicht
nur der Politik, sondern der Gesellschaft mit sämtlichen
Akteuren . Auch deswegen ist heute ein guter Tag, und
diesen gilt mein herzlicher Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Geschlossen wird eine Gerechtigkeitslücke zwischen
somatischen, psychischen und kognitiven Beeinträchti-
gungen von pflegebedürftigen Menschen. Das ist gut so, 
das ist gerecht so .

Das Geschacher  um die Pflege  in Minuten hört  auf. 
Betrachtet werden nicht mehr einzelne Defizite, betrach-
tet wird der Mensch mit seinen Ressourcen . Künftig än-
dert sich also die Blickrichtung. Nicht mehr die Pflegen-
den und deren Zeitbedarf stehen im Mittelpunkt, sondern
der Grad der Selbstständigkeit und die individuellen Fä-
higkeiten des pflegebedürftigen Menschen. Die konkrete 
Frage lautet: Inwieweit ist es den Pflegebedürftigen noch 
möglich, ein eigenständiges Leben zu führen, oder bis zu
welchem Grad ist diese Eigenständigkeit eingeschränkt?
Danach wird bewertet .

Die neue Pflegebewertung wird würdevoller  für  alle 
Betroffenen, insbesondere für die Menschen mit Pflege-
bedürftigkeit. Es erfolgt eine Einstufung in fünf Pflege-
grade, und zwar gerechter, nachvollziehbarer und trans-
parenter. Das  ist wichtig  für  die  Pflegebedürftigen  und 
selbstverständlich auch für deren Familienangehörige .

Auf den erweiterten Zugang zu den Leistungen der
sozialen Pflegeversicherung von über 500 000 Menschen 
ist schon vom Minister und von Frau Mattheis hingewie-
sen worden . Es ist von mehr Gerechtigkeit für die an De-
menz und an psychischen Leiden Erkrankten gesprochen
worden . Wir haben einen Ausbau von Leistungen sowohl
in den ambulanten Wohngruppen als auch in der Kurz-
zeitpflege  sowie  in  der Tages-  und Nachtpflege  sicher-
gestellt . Ab dem 1 . Januar 2017 werden die an Demenz
erkrankten Menschen mit einem sogenannten doppelten
Stufensprung höher bewertet . Dies passiert automatisch;
es bedarf keiner weiteren zusätzlichen Arbeit seitens der
pflegebedürftigen Personen oder deren Angehörigen. Al-
lein das ist ein zentraler und allgemein anerkannter pfle-
gepolitischer Erfolg . Schon deswegen ist dieser Gesetz-
entwurf ein Meilenstein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von den Linken ist vorhin etwas zum Thema der am-
bulanten  Pflege  gesagt  worden.  Wegen  der  Kürze  der 
Zeit kann ich leider nicht näher darauf eingehen . Weitaus
zu kurz gegriffen wurde dabei wegen der vielen Verbes-
serungen in der Begleitung, in der Betreuung und in der
Entlastung der Angehörigen . Wir fördern mit diesem Ge-
setz genau das, was die Mehrheit der Bevölkerung will,

Erwin Rüddel






(A) (C)



(B) (D)


nämlich so lange wie möglich im eigenen häuslichen
Umfeld bleiben . Das sichern wir ihnen hiermit zu, und
das ist gut so .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sichern auch den Angehörigen einen besseren
Zugang zu Rentenversicherung und Arbeitslosenversi-
cherung zu; denn es kann und darf nicht sein, dass die
pflegenden Angehörigen,  zumeist  Frauen,  dafür  bezah-
len, indem sie selbst in Altersarmut geraten . Dieser Punkt
ist uns als SPD, aber auch darüber hinaus sehr wichtig .


(Beifall bei der SPD)


Ein weiterer großer sozialpolitischer Erfolg liegt da-
rin,  dass  keine  pflegebedürftige  Person  in  stationären 
Einrichtungen  aus Angst  vor  finanzieller Höherstufung 
nicht mehr beantragt, mehr Pflege zu bekommen. Damit 
machen wir Schluss . Keine Angst, liebe Einrichtungen,
liebe Träger und Verbände von Einrichtungen: Die Höhe
dieses Anteiles wird  von  den  jeweiligen  Pflegeeinrich-
tungen zusammen mit den Pflegekassen bzw. dem Sozi-
alhilfeträger verhandelt . Auch das ist gut so; denn es ge-
währleistet ihnen mehr Flexibilität, und sie können somit
mehr Kreativität  und  noch mehr Qualität  in  der  Pflege 
erbringen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich muss leider zum Schluss kommen . Die individu-
elle  bedürfnisorientierte  Pflege werden wir mit  diesem 
Gesetz stärker abbilden und sicherstellen . Selbstver-
ständlich ist auch dieses Gesetz kein Allheilmittel . Das
PSG III steht vor der Tür; davon ist schon gesprochen
worden. Wir werden die Pflegeberatung unterstützen, wir 
werden  die  Pflegeinfrastruktur  in  den  Kommunen  ver-
bessern, und wir werden vor allen Dingen die Netzwerke
mit vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren stärken .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813703200

Frau Kollegin .


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1813703300

Ich komme zum letzten Satz . Danke . – Mein Appell:

Ich fordere uns alle als Verantwortliche dazu auf, diese
Pflegereform mit  voller Kraft mitzumachen,  sie  zu  ge-
stalten und mit Leben zu füllen . Zeigen wir gemeinsam
Tatkraft für eine gute und würdevolle Pflege. 

Haben Sie Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813703400

Nächster Redner ist der Kollege Erich Irlstorfer für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erich Irlstorfer (CSU):
Rede ID: ID1813703500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit

dem  Ersten  Pflegestärkungsgesetz  hat  der  Gesetzgeber 

die Leistungen der Pflegeversicherung ab dem 1. Januar 
2015 deutlich ausgeweitet . Dieses Gesetz war ein Vor-
griff auf das Zweite Pflegestärkungsgesetz, das wir heute 
beraten und beschließen. Der neue Pflegebedürftigkeits-
begriff, das Kernstück dieses Gesetzentwurfes, stellt eine
neue Grundlage für die Pflege in Deutschland dar – ganz 
subtil in Bezug auf die Neuausrichtung der Pflege an der 
Selbstständigkeit der Gepflegten, aber auch ganz offen-
kundig  beispielsweise  im Rahmen der  neuen Pflegebe-
gutachtung .

Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen,
dass es viele Neuerungen gibt, sodass ich mich auf einige
wenige Punkte konzentriere .

Meine Kernaussage ist, dass die Pflege in Deutschland 
deutliche Verbesserungen braucht, und zwar nicht nur die
Einführung oder Erweiterung einzelner Leistungen . Wir
brauchen  vielmehr  eine  strukturell  angelegte  Pflegere-
form . Ich glaube, das gelingt uns mit der Verabschiedung
dieses Gesetzentwurfs . Ich meine damit nicht nur die
großen Linien mit  der Einführung des  neuen Pflegebe-
dürftigkeitsbegriffs mit all seinen Konsequenzen, son-
dern auch eine Reihe kleinteiliger Maßnahmen, die sich
ganz konkret auf die Versorgungsangebote vor Ort aus-
wirken werden . Das aktive Gestalten der Versorgungs-
strukturen, aber auch das Schaffen von Freiräumen in
der Versorgung sind Markenzeichen der Pflegepolitik der 
Union . Das liegt nicht nur im Interesse der Versicherten,
sondern es ist auch im Sinne der Beitragszahler, meine
sehr geehrten Damen und Herren . Ich möchte beispiel-
haft drei gesetzliche Neuerungen erläutern, die Ausdruck
dieser Politik sind .

Erstens: das Thema Wohngruppen; mein Kolle-
ge Erwin Rüddel hat es bereits angesprochen . Ziel des
Wohngruppenzuschlags ist die Förderung neuer Wohn-
formen  für Pflegebedürftige  als Alternative  zum Heim. 
Es liegt in der Natur der Sache, dass neue Wohnformen
oft vergleichbar mit altbewährten Konzepten der voll-
stationären,  teilstationären und ambulanten Pflege sind. 
Allerdings müssen sie – das ist wesentlich – einen Mehr-
wert für die Versicherten und somit für die Menschen
aufweisen . Neue Wohnformen können sich beispielswei-
se durch eine stärkere Selbstbestimmung der Bewohner
auszeichnen . Deshalb begrüßen wir neue Wohnformen
wie Wohngruppen ausdrücklich .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein durch hohe
Kosten für die Sozialversicherung ohne greifbare Unter-
schiede zu einem Pflegeheim dürfen sich Wohngruppen 
allerdings nicht auszeichnen . Denen, die die Förderung
der Wohngruppen missbrauchen, treten wir deshalb mit
diesem Gesetz entgegen . Wenn nötig, werden wir auch in
weiteren Gesetzen nachjustieren . Das ist keine Drohung,
sondern ein ernstgemeinter Hinweis .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Zweitens . Die Entscheidung, welche Versorgungsan-
gebote in Deutschland bestehen sollen, ist Aufgabe der
Pflegepolitik. Pflege  ist kein Geschäft wie  jedes andere 
und darf es auch nicht sein . In der klassischen vollstati-
onären Versorgung nehmen wir den neuen Pflegebedürf-
tigkeitsbegriff zum Anlass, um die Personalausstattung

Mechthild Rawert






(A) (C)



(B) (D)


zu analysieren und im erforderlichen Maß anzupassen .
Ein fundiertes Personalbemessungssystem wird entwi-
ckelt und erprobt; starre Personalschlüssel werden nicht
vorgegeben . Damit setzen wir an den Personalstrukturen,
einem Kern der  pflegerischen Versorgung,  an. Mit  die-
sem Gesetz stoßen wir ihre Anpassung an die Versorgung
an . Wesentlich ist, dass wir hier nicht stehen bleiben, dass
es weitergeht. Beim Pflegeberufegesetz, das gerade be-
raten wird, planen wir echte Verbesserungen . Wir sind
ja um eine Steigerung der Attraktivität dieser Berufe be-
müht . Ich denke, das sowie die digitale Dokumentation
sind Kernelemente der Zukunft .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Das sind Verbesserungen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Jawohl!)


Drittens. Auch die Beratungsangebote, die Pflegebe-
dürftigen und ihren Angehörigen helfen sollen, werden
mit diesem Gesetz reformiert . Wir stellen die Weichen,
damit  die  Pflegeberatung  in  Deutschland  noch  besser 
verfügbar ist und vor allem mehr genutzt werden kann .
Künftig müssen die Pflegekassen allen, die einen Antrag 
auf  Leistungen  der  Pflegeversicherung  stellen,  inner-
halb von zwei Wochen aktiv eine Pflegeberatung anbie-
ten . Angehörige erhalten erstmals einen eigenständigen
Anspruch auf Pflegeberatung. Pflegekassen und Länder 
werden die verschiedenen Beratungsangebote vor Ort
aufeinander abstimmen und so die Beratungsstrukturen
stärken . Das ist uns wichtig .

Zum Schluss möchte ich sagen: Wir werden die Um-
setzung  der  Pflegereform  und  die  damit  verbundenen 
Aufgaben nur meistern können, wenn wir gemeinsam an
der Umsetzung  arbeiten.  Ich  rufe  die  Pflegeheime,  die 
Pflegedienste, die Kassen, die Länder und natürlich auch 
uns Bundespolitiker zur konstruktiven Zusammenarbeit
mit den Menschen vor Ort auf, damit wir diese Reform
vollständig umsetzen .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Damit werden wir die Pflege in Deutschland auf ein neu-
es Fundament stellen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813703600

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Tino Sorge für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Mechthild Rawert [SPD])



Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1813703700

Hochverehrter Herr Präsident Lammert! Liebe Kolle-

ginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Debatte schon
viele Zahlen gehört . In den nächsten 15 Jahren müssen
wir damit rechnen, dass insbesondere die Zahl pflegebe-
dürftiger Menschen in Deutschland stark ansteigen wird .
Wir reden über einen Anstieg von 35 Prozent . Wir wis-

sen bereits jetzt, dass im Jahr 2030 3,5 Millionen Men-
schen pflegebedürftig sein werden. Im Jahr 2050 werden 
es 4,5 Millionen sein . Was ich an der gesamten Debatte
sehr bemerkenswert fand, war, dass angesichts der Tatsa-
che, dass aufgrund der älter werdenden Gesellschaft die
Gesundheitskosten steigen werden, ein politischer und
gesellschaftlicher Konsens darüber besteht, dass in die
Pflege investiertes Geld gut investiertes Geld ist. 


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Erkenntnis!)


Mit diesem Pflegestärkungsgesetz stärken wir im bes-
ten Sinne des Wortes diejenigen, die sich tagtäglich in
der  Pflege  einsetzen.  Wir  unterstützen  diejenigen,  die 
als Pflegebedürftige unsere Hilfe ganz dringend benöti-
gen . Das tun wir nicht abstrakt-generell, sondern kon-
kret-individuell . Gerade die nächsten Angehörigen, die
eine intensive, herzliche und verlässliche Betreuung
und Versorgung übernehmen, verdienen unser aller An-
erkennung für ihre Leistung, ihr Engagement und ihren
körperlich anstrengenden und nicht selbstverständlichen
Einsatz . Was sie tun, geht weit über das hinaus, was wir
mit den gesetzlichen Regelungen schaffen .

Zugleich bedeutet dieses Gesetz auch Wertschätzung .
Es gibt umfangreiche Leistungsverbesserungen und ei-
nen  verbesserten  Pflegebedürftigkeitsbegriff.  All  dies 
sind  Mosaikteile  einer  Pflegepolitik  aus  einem  Guss, 
die am Wohl der Menschen orientiert ist und die allen
Pflegebedürftigen zugutekommen wird, heute und in der 
Zukunft .

Ich möchte an dieser Stelle einmal denjenigen Dank
sagen, die sich im Pflegebereich einsetzen und dabei oft 
ihr eigenes Leben hintanstellen . Ich möchte auch denje-
nigen  danken,  die  in  Pflegeeinrichtungen  arbeiten,  die 
in Pflegeschulen für diese Berufe werben und den Fach-
kräften das Rüstzeug vermitteln, um hochwertig und zu-
gleich empathisch pflegen zu können. Ihnen allen gilt ein 
ganz großes Dankeschön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auch dem Ministerium, insbesondere Bun-
desminister  Hermann  Gröhe,  dem  Pflegebeauftragten 
Karl-Josef Laumann, der Parlamentarischen Staatssekre-
tärin Ingrid Fischbach und ganz besonders unserem Be-
richterstatter Erwin Rüddel meinen Dank aussprechen .
Das tue ich deshalb, weil die Zusammenarbeit äußerst
angenehm, konstruktiv und zielorientiert war . Vielen
Dank dafür .


(Beifall bei der CDU/CSU)


In dieser Woche feiern wir 26 Jahre Mauerfall . In
diesen 26 Jahren hat sich vieles grundlegend verändert .
Mit Blick auf Pflege und Demografie kann ich sagen: In 
meinem Bundesland Sachsen-Anhalt kann man geradezu
live und hautnah verfolgen, wie sich der demografische 
Wandel im Alltagsleben auswirkt . Aufgrund der verzerr-
ten Altersstruktur reden wir bereits jetzt über mehr Mit-
tel für Pflegeeinrichtungen. Wir haben eine höhere Rate 
multimorbider Patienten, die versorgt werden müssen .

Erich Irlstorfer






(A) (C)



(B) (D)


Zugleich haben wir eine überdurchschnittliche Fluktuati-
on und Mobilität gut ausgebildeter Ärzte sowie Fach- und
Pflegekräfte zu verzeichnen. Wenn man sich die Zahlen 
anschaut und weiß, dass im Jahr 2025 fast 60 Prozent der
Menschen in meinem Bundesland über 50 Jahre alt sein
werden und dass wir schon jetzt 4 Prozent Pflegebedürf-
tige  und damit  die  höchste Pflegequote  in Deutschland 
haben, dann können Sie erahnen, wie wichtig das Thema
Pflege ist. 

Jetzt kann man sagen: Na gut, das ist eben ein regio-
nales Problem . – Das ist aber kein regionales Problem,
und es ist auch kein ostdeutsches Problem . Es ist ein Pro-
blem, das uns alle angeht .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


In den neuen Bundesländern werden Entwicklungen vor-
weggenommen, die in anderen Regionen Deutschlands
zeitlich verzögert auftreten werden .

Es ist wichtig, dass die Gesundheits- und Pflegepolitik 
nicht nur einzelne Gesetzesprojekte in den Blick nimmt,
sondern im Sinne ineinandergreifender Zahnräder in den
kommenden Jahren den Schwerpunkt auf die Reform der
Medizinerausbildung und der Pflegeberufe sowie auf die 
Stärkung der Kommunen im Gesundheitsbereich setzt .
Dieser gesamtdeutschen Herausforderung werden wir
mit  diesem  Schritt,  dem  Pflegestärkungsgesetz  II,  ein 
weiteres Stück gerechter .

Wenn heute mit Bundesgesundheitsminister Hermann
Gröhe ein Nordrhein-Westfale die Debatte eröffnet hat,
eine Sächsin, ein Rheinland-Pfälzer und ein Bayer dieses
Reformvorhaben erläutern konnten, dann passt es doch
ganz gut, dass ein Abgeordneter aus Sachsen-Anhalt,
nicht nur dem Land der Reformation, sondern auch dem
„Land der Frühaufsteher“, den Abschluss machen darf. 


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – Mechthild Rawert [SPD]: Wir bieten noch die Berliner, die Baden-Württemberger!)


Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Rawert,
ist doch gelebte Vielfalt mit dem festen Ziel, die Pflege 
in Deutschland noch zukunftssicherer zu machen . Dazu
leisten wir heute einen ganz großen Beitrag . Darauf kön-
nen wir stolz sein .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813703800

Fast noch schöner als die Beteiligung der Frühaufste-

her ist der Hinweis, dass das Gesetz ganztägig gelten soll .


(Heiterkeit – Mechthild Rawert [SPD]: Wer weiß!)


Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, ohne die
dieses Gesetz seine Gültigkeit nicht erhält, hat die Kolle-
gin Baehrens um das Wort für eine persönliche Erklärung
zur Abstimmung gebeten . – Bitte schön .


Heike Baehrens (SPD):
Rede ID: ID1813703900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

neue Pflegebegriff kommt, und es gibt keinen vernünfti-
gen Grund, diesem neuen, ganzheitlicheren Leitbild von
Pflege  und  dem  neuen  Begutachtungsverfahren  heute 
nicht zuzustimmen .

Diese  Pflegereform  schließt  wichtige  Lücken,  aber 
sie hat auch ihre Tücken . Das betrifft insbesondere den
stationären Bereich, wo vorgesehen ist, die umfangrei-
chen Veränderungen budgetneutral umzusetzen, damit
die Heime nach der Umstellung das gleiche Budget zur
Verfügung haben wie vorher und um die Kosten der Pfle-
geversicherung berechenbar zu halten .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Genau das meinen wir!)


Das ist aus praktischen Gründen nachvollziehbar . Die
Tücke liegt jedoch darin, dass diese Form der Überlei-
tung keinerlei Spielraum für die dringend notwendigen
Leistungsverbesserungen in den Heimen lässt .


(Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben im PSG I die ambulante Pflege nachdrücklich 
gestärkt . Wir haben die palliative Versorgung im häusli-
chen Bereich und in den Hospizen verbessert . Demge-
genüber werden an die Pflegeheime lediglich höhere An-
forderungen gestellt, ohne eine verbindliche Regelung
zur Finanzierung dieser Leistungen zu verankern .

Herr Minister Gröhe, Sie haben am vergangenen Don-
nerstag gesagt:

Wir werden die Altenpflegeeinrichtungen verpflich-
ten, mit Palliativnetzwerken und Palliativmedizi-
nern zusammenzuarbeiten .

Ich höre die Pflegekräfte in den Heimen fragen: Wa-
rum  eigentlich  trauen  Sie  uns  Altenpflegefachkräften 
nicht zu, eine hospizlich-palliative Versorgung im Heim
zu gewährleisten? Ja, wir möchten die Bewohner auch
auf ihrer letzten Wegstrecke begleiten und so versorgen,
wie wir es gelernt haben . Aber warum geben Sie uns da-
für nicht die gleiche finanzielle und personelle Ausstat-
tung wie den stationären Hospizen? – Recht haben sie .


(Beifall bei der LINKEN)


Darum frage ich weiter: Warum eigentlich geht die Pfle-
geversicherung nach wie vor davon aus, dass in Pflege-
heimen etwa 50 Prozent Fachpersonal ausreichen, wäh-
rend die Krankenversicherung selbstverständlich nahezu
100 Prozent des Fachpersonals in Hospizen und rund
80 Prozent der Fachkräfte  in der  ambulanten Pflege fi-
nanziert?

Wir haben für mehr Betreuungskräfte in den Heimen
gesorgt .


(Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das ist keine Erklärung zur Abstimmung!)


Allerdings entlastet auch dies nicht die Fachpflegekräfte; 
denn die höhere Zahl an Betreuungskräften muss vom

Tino Sorge






(A) (C)



(B) (D)


examinierten  Pflegepersonal  angeleitet  und  unterstützt 
werden .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist eine inhaltliche Rede! Das ist keine persönliche Erklärung! – Gegenruf des Abg . Dr . Karl Lauterbach [SPD]: Ich muss nicht überzeugt werden! Ich brauche diese Rede gar nicht! – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hören Sie mal zu!)


Die Verantwortung sowohl für die Pflege wie auch für die 
Betreuung bleibt beim Fachpersonal. Das „zusätzliche“ 
Betreuungspersonal führt dazu, dass der sowieso schon
niedrige Fachkraftanteil der Altenpflege de facto bereits 
unter 50 Prozent liegt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch keine persönliche Erklärung!)


Darum ist es richtig, ein fundiertes Verfahren für die Per-
sonalbemessung in den Pflegeheimen auf der Basis des 
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu entwickeln. Natür-
lich wäre es wünschenswert, wenn das schneller ginge .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Noch eine Tücke möchte ich kurz ansprechen, nämlich
den einrichtungsindividuellen einheitlichen Eigenan-
teil . Gemeint ist damit: Alle Bewohner zahlen künftig
im Heim den gleichen Preis für die Pflege, unabhängig 
davon, wie viel pflegerische Unterstützung sie aufgrund 
ihres  Pflegegrades  erhalten.  Damit  wird  das  heutige 
System der Preisbildung verändert, obwohl das Gesetz
weiterhin am Prinzip der leistungsgerechten Vergütung
festhält. So wird der Problematik begegnet, dass Pflege-
bedürftige oder Angehörige


(Dr . Karl Lauterbach [SPD]: Das ist keine persönliche Erklärung!)


oft  auf  die Beantragung  einer  höheren Pflegestufe  ver-
zichtet haben,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das geht so nicht!)


um höhere Kosten zu vermeiden . Diese Neuerung ist gut
gemeint, aber, wie ich befürchte, nicht gut durchdacht .

Ein einheitlicher Eigenanteil ist gut für diejenigen, die
einen hohen Pflegebedarf haben und viele Leistungen in 
Anspruch nehmen müssen .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist gelebte Solidarität!)


Die  Solidarität mit  den  schwer  Pflegebedürftigen  führt 
jedoch zur finanziellen Mehrbelastung von Pflegebedürf-
tigen mit niedrigem Pflegegrad. Es stellt sich daher be-
rechtigerweise die Frage, ob das von jenen als gerecht
empfunden werden wird, die zukünftig zwar gleich viel
bezahlen, aber wesentlich weniger Leistungen erhalten .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist eine ganz normale Rede!)


Wer wird  ihnen erklären, dass die Altenpflegerin kaum 
Zeit für sie hat, während die Nachbarin intensiv versorgt
wird? Sie werden sich nicht ans Ministerium, an die Pfle-
gekassen oder an uns Abgeordnete wenden .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Noch mal 10 Minuten Redezeit zusätzlich!)


Sie werden diejenigen fragen, die ihnen am nächsten
sind, und das sind die Pflegekräfte. Sie werden diejeni-
gen fragen, die sich schon heute im Alltag aufreiben, um
allen gerecht zu werden, weil die Personalschlüssel nicht
ausreichend sind .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist alles, aber keine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung!)


Denn obwohl der Bedarf und die Anforderungen an me-
dizinischer  Behandlungspflege  und  Sterbebegleitung 
enorm zugenommen haben, haben wir heute die gleichen
Personalschlüssel  in  der  stationären Pflege wie Anfang 
der 90er-Jahre . Darum mache ich mit meiner persönli-
chen Erklärung heute darauf aufmerksam: Es ist Zeit,
mehr  für  die  Pflege  und  die  Fachkräfte  in  stationären 
Einrichtungen zu tun . Dafür möchte ich werben . Deshalb
war es mir wichtig, das sagen zu können .


(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das war keine gute Werbung!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813704000

Frau Kollegin Baehrens, das war eine Demonstration

dafür, wofür diese Bestimmung der Geschäftsordnung
nicht gedacht ist .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie wird ganz sicher die Neigung der jeweils amtieren-
den Präsidenten, Erklärungen zu Abstimmungen über-
haupt, schon gar vor der Abstimmung zuzulassen, weiter
reduzieren; denn im Ergebnis führt das zu einer Verlän-
gerung der Redezeiten einer Fraktion, die angesichts der
Proportionen, die wir hier haben, von den Oppositions-
fraktionen als nicht besonders freundlich empfunden
werden kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir führen jetzt aber keine Geschäftsordnungsdebatte .

Das wird gegebenenfalls noch einmal im Ältestenrat auf-
gegriffen . Aber noch einmal: Der Zweck einer solchen
Erklärung zur Abstimmung ist, gegebenenfalls deutlich
zu machen, warum man, aus welchen Gründen auch im-
mer, die Schlussfolgerung nicht teilen will, die im Übri-
gen die Kolleginnen und Kollegen der eigenen Fraktion
zur Zustimmung oder Ablehnung eines Gesetzentwurfes
veranlassen .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten
Gesetzes  zur  Stärkung  der  pflegerischen  Versorgung 
und zur Änderung weiterer Vorschriften . Der Ausschuss
für Gesundheit  empfiehlt  unter Buchstabe  a  seiner Be-
schlussempfehlung auf der Drucksache 18/6688, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/5926 und 18/6182 in der Ausschussfassung

Heike Baehrens






(A) (C)



(B) (D)


anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung


(Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen: Wir sind für Enthaltung! – Zurufe von der Linken: Wir sind dagegen!)


– bei Enthaltung der Grünen und Gegenstimmen sowie
einigen Enthaltungen der Fraktion Die Linke – angenom-
men, was im Übrigen für die Feststellung der Mehrheits-
verhältnisse nicht notwendigerweise vorgetragen werden
muss . Wenn das aber den Frieden fürs Wochenende för-
dert,


(Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen: Ja!)

will ich dem natürlich nicht im Wege stehen . Außerdem
lässt sich das in der dritten Beratung – und darauf kommt
es ja an – förmlich festhalten .

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plät-
zen zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen
der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und einigen Enthaltungen seitens der
Linken gegen die Stimmen der übrigen Kolleginnen und
Kollegen der Fraktion Die Linke angenommen .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Druck-
sache 18/6692 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
ist der Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt .

Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschlussemp-
fehlungen des Ausschusses auf der Drucksache 18/6688
unter dem Tagesordnungspunkt 27 b fort . Unter Buchsta-
be b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antra-
ges der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/5110
mit dem Titel „Bürgerinnen- und Bürgerversicherung
in der Pflege – Solidarische Pflegeversicherung einfüh-
ren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer 
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be-
schlussempfehlung gegen die Stimmen der Antragsteller
angenommen .
Schließlich  empfiehlt  der Ausschuss  unter  Buchsta-

be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der
Drucksache 18/6066 mit dem Titel „Gute Pflege braucht 
sichere  und  zukunftsfeste  Rahmenbedingungen“.  Wer 
stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt
dagegen? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung
mit Mehrheit gegen die Stimmen der Oppositionsfrakti-
onen angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Bekämpfung von Doping im Sport
Drucksache 18/4898

Beschlussempfehlung und Bericht des Sportaus-
schusses (5 . Ausschuss)


Drucksache 18/6677

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr . André Hahn,
Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen

Drucksachen 18/2308, 18/6678

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Dazu kann ich
Einvernehmen feststellen .

Ich eröffne mit dieser Vereinbarung die Aussprache
und erteile zunächst dem Bundesminister Heiko Maas
das Wort .


(Beifall bei der SPD)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Heute ist ein sportpolitisch histori-
scher Tag . Mit diesem Gesetz wird der Kampf gegen das
Doping zu einem Fall für den Staatsanwalt . Das ist eine
Kampfansage an die Täuscher, Trickser und Betrüger im
Sport . Mit dem heutigen Tag stellen wir klar: Ein Leis-
tungssportler, der dopt, handelt kriminell .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben es uns mit diesem Gesetz nicht einfach
gemacht . Hinter uns liegen Jahrzehnte der Diskussio-
nen, der Appelle, des Beklagens und der gescheiterten
Versuche . Die ersten Dopingkontrollen bei Olympischen
Spielen gab es im Jahr 1968 . Das ist jetzt 47 Jahre her .
Aber in den Griff bekommen hat man das Problem bis
heute nicht . Gerade auch vor dem Hintergrund der ak-
tuellen Geschehnisse, die man aus Russland und dem
Weltleichtathletikverband mitbekommt, muss man, glau-
be ich, attestieren: An der einen oder anderen Stelle ist
das Problem nicht kleiner, sondern möglicherweise so-
gar größer geworden . Bei allen Unternehmungen, die der
Sport bereits in die Wege geleitet hat, hat sich, wie wir
finden, gezeigt: Der Sport und seine Verbände brauchen 
Unterstützung . Die bekommen sie jetzt, und zwar mit
diesem Anti-Doping-Gesetz .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Ben Johnson, Diego
Maradona, Lance Armstrong und wie sie alle heißen: Sie
alle waren Ikonen des Sports . Aber sie alle haben ma-
nipuliert und betrogen, sie haben die Ideale des Sports
verraten, sie haben Titel und Medaillen verloren, und sie
haben Millionen Fans – nicht nur ihre eigenen – bitter
enttäuscht . Heute unterstützen viele Sportlerinnen und
Sportler unser Gesetz . Wir haben viele gute Hinweise

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


bekommen: aus dem Sport, von Verbänden und auch von
Sportlerinnen und Sportlern . Das alles hat uns geholfen,
den Entwurf, den wir vorgelegt haben, noch besser zu
machen . Ich will dafür drei Beispiele nennen .

Erstens . Wir stellen im Gesetz ausdrücklich klar, dass
sich ein Sportler, der Dopingmittel besitzt, nur dann
strafbar macht, wenn er auch wirklich die Absicht hat,
sich dadurch einen Vorteil im sportlichen Wettbewerb zu
verschaffen . Dieser subjektive Tatbestand muss bei allen
Delikten immer gegeben sein . Wir schreiben das hier
aber ausdrücklich ins Gesetz und greifen damit die Sor-
ge einiger Sportlerinnen und Sportler auf, die sich davor
fürchten, straffällig zu werden, weil ihnen irgendjemand
unbemerkt ein Dopingmittel in die Tasche untergescho-
ben hat .


(Dagmar Freitag [SPD]: So ist das!)


Zweitens . Wir sorgen dafür, dass ein Leistungssport-
ler seiner Strafbarkeit nicht dadurch entgeht, dass er
im Ausland dopt . Strafbar macht sich also auch, wer in
Deutschland gedopt an einem Wettbewerb teilnimmt,
und zwar völlig egal, in welchem Land er vorher Pillen
und Dopingmittel eingenommen hat . Damit verhindern
wir, dass das deutsche Recht umgangen wird, und wir
sorgen für Chancengleichheit gegenüber ausländischen
Athleten, die in Deutschland starten . Es macht sich also
auch strafbar, wer im Ausland dopt und beim Wettkampf
in Deutschland davon profitiert. Das ist richtig, und das 
heißt: Gleiches Recht für alle .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die dritte Verbesserung: Wir bauen eine goldene Brü-
cke für Sportlerinnen und Sportler, die sich vom Doping
lossagen und zurück in die Legalität wollen . Wenn je-
mand aus freien Stücken den Besitz an Dopingmitteln
aufgibt und sie vernichtet oder abgibt, dann geht er
straffrei aus . Wer ernsthaft Reue und Umkehr zeigt, dem
kommt diese Passage des neuen Gesetzes entgegen .

Meine Damen und Herren, viele Sportlerinnen und
Sportler unterstützen diesen Gesetzentwurf, aber ich
weiß auch, dass es bei einzelnen Athleten immer noch
Skepsis gibt .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele? Die Mehrheit der Verbände ist nicht dafür!)


– Nur ruhig . Frau Künast, man hat den Eindruck, Sie sind
heute Morgen gedopt erschienen .

Ich will das aufgreifen, was sie gesagt haben, und
auch das, was es an Kritik gegeben hat . Wir haben das,
was geäußert wurde, sehr ernst genommen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie jetzt die Kinderstube verloren?)


Chancengleichheit erreichen wir nicht durch Nachsicht,
meine sehr verehrten Damen und Herren . Das ist der
Grund, weshalb wir das Dopen unter Strafe stellen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn heute zu viel ge trunken? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war denn in Ihrem Kaffee?)


Chancengleichheit erreichen wir nur, wenn wir den Be-
trügern vollständig das Handwerk legen . Nur so können
wir den Druck von den einzelnen Athleten nehmen, dem
sie sich ausgesetzt sehen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen deshalb den Teufelskreis aus Doping und
Betrug stoppen . Wir haben uns entschieden, dazu auch
mit den Mitteln des Strafrechts vorzugehen . Dieses Ge-
setz wird den Sport – da bin ich mir vollkommen sicher –
sauberer, ehrlicher und fairer machen . Es wird die Sport-
verbände – entgegen dem, was vielleicht der eine oder
andere befürchtet – bei ihrem Kampf gegen das Doping
unterstützen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was zu beweisen wäre!)


Meine Damen und Herren, seit dem Jahr 2000 ver-
pflichten sich alle Athleten im olympischen Eid zu einem 
„Sport ohne Doping und ohne Drogen …, im wahren
Geist der Sportlichkeit“. Wir wollen, dass dieser Eid im 
Sommer 2024 bei der Eröffnung der Olympischen Spiele
in Hamburg gesprochen wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie ernst wir unsere Bewerbung nehmen – es ist nicht
nur eine der Hamburgerinnen und Hamburger, sondern
mittlerweile eine unseres ganzen Landes –, zeigen wir
auch mit diesem Gesetz und der Ernsthaftigkeit, mit der
wir gegen Doping vorgehen . Mit dem neuen Gesetz wer-
den wir im internationalen Vergleich deutlich vorne lie-
gen .

Ich hätte vielleicht eine Anregung an die Verbände,
die große Sportveranstaltungen vergeben: das IOC, die
FIFA, die UEFA und wer auch immer . Wenn sie sich da-
rauf verständigen könnten – sie alle sind ja Unterstützer
im Antidopingkampf –,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind doch Teil des Systems!)


ihre Großereignisse zukünftig nur noch in Länder zu ver-
geben, die ein Anti-Doping-Gesetz haben, so wie wir es
haben werden,


(Dagmar Freitag [SPD]: Ein sehr gutes!)


dann würden sie der Glaubwürdigkeit ihrer Verbände ei-
nen Dienst erweisen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass die-
se wirklich sehr, sehr lange Diskussion heute zu einem
Abschluss geführt wird und wir mit diesem Anti-Do-
ping-Gesetz nicht nur eine Kampfansage an die Doper
formulieren, sondern vor allen Dingen die große Masse

Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


der ehrlichen Sportler besser schützen, als das in der Ver-
gangenheit möglich gewesen ist .

Schönen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813704100

André Hahn erhält nun das Wort für die Fraktion Die

Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813704200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Er-

eignisse erschütterten in den vergangenen Tagen und
Wochen die Sportwelt: der FIFA-Skandal, in dessen
Folge Sepp Blatter und UEFA-Präsident Platini suspen-
diert wurden, der dringende Verdacht des Stimmenkaufs
bei der Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 an
Deutschland mit einem katastrophalen Krisenmanage-
ment des DFB, dessen Präsident dann zurücktreten
musste, sowie die Dopingskandale bei den Leichtathleten
Russlands und dem Internationalen Leichtathletik-Ver-
band; der Minister hat es eben angesprochen . Alle drei
Ereignisse haben dem Sport, insbesondere dem Spitzen-
sport, nachhaltig schweren Schaden zugefügt .

Spätestens hier wird klar: Gegen Doping, Korruption
und Manipulation im Sport müssen die Sportverbände,
die Politik und die Gesellschaft gemeinsam vorgehen,
mit null Toleranz, national wie international . Auch des-
halb hat die Linke bereits im August 2014 einen Antrag
auf Vorlage eines Anti-Doping-Gesetzes für den Sport in
den Bundestag eingebracht . Deshalb unterstützt sie vom
Grundsatz her das Vorhaben der Koalition, ein derartiges
Gesetz zu beschließen .

Zugleich sind wir, die Linke, aber auch dafür, dass die
ost- und westdeutsche Geschichte des Dopings und der
Manipulation im Sport konsequent aufgearbeitet wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Die im wahrsten Sinne des Wortes erst vor wenigen
Stunden getroffene Entscheidung, einen Entschädigungs-
fonds für Dopingopfer mit einem Volumen von 10 Mil-
lionen Euro einzurichten, ist ohne Zweifel ein richtiger
Schritt . Wir brauchen aber endlich einen redlichen Um-
gang mit der Geschichte, eine ehrliche Bilanz und eine
akzeptable Lösung für die Dopingopfer in Ost und West .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun aber zum vorliegenden Anti-Doping-Gesetz . Am
17 . Juni 2015 führte der Sportausschuss eine öffentliche
Anhörung zum Gesetzentwurf der Koalition sowie zum
Antrag der Linken durch . In dieser Anhörung gab es zu
vielen Punkten zum Teil sehr kritische Einwendungen
sowohl vom Leichtathleten und Olympiasieger Robert
Harting als auch von Vertretern des DOSB sowie von der
Mehrzahl der anwesenden Juristen . Noch einmal: Die
Anhörung fand Mitte Juni statt . An diesem Dienstag, also
erst einen Tag vor der Beratung des Sportausschusses,

bekamen wir dann einen mehrere Punkte umfassenden
Änderungsantrag der Koalition präsentiert .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch immer so!)


Bis zuletzt war völlig offen, ob es innerhalb der Koalition
überhaupt zu einer Einigung kommen würde .


(Matthias Schmidt Quatsch! Das steht im Koalitionsvertrag!)


Zwar steht das Anti-Doping-Gesetz, Herr Kollege
Schmidt, im Koalitionsvertrag;


(Michaela Engelmeier [SPD]: Im Koalitionsvertrag! Genau!)


aber Union und SPD stritten sich bis zuletzt sprichwört-
lich wie die Kesselflicker, sodass es fast ein Wunder ist, 
dass heute tatsächlich über einen gemeinsamen Entwurf
abgestimmt werden kann .


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist eine mutige Interpretation, Herr Kollege!)


Doch das, meine Damen und Herren und Herr Kollege
Gienger, ist fast schon die einzige positive Nachricht . In
dem vorgelegten Änderungsantrag der Koalition sind die
aus meiner Sicht berechtigten Einwendungen aus der An-
hörung nur unzureichend aufgenommen worden .

Wir als Linke haben zu diesem Thema seit langem
eine klare Position: Doping im Sport, um sich gegenüber
anderen Sportlerinnen und Sportlern einen Wettbewerbs-
vorteil zu verschaffen, gefährdet nicht nur die Gesund-
heit, sondern ist auch eine Gefahr für den Sport als sol-
chen und für die Werte, die durch ihn in die Gesellschaft
transportiert werden .


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Freitag [SPD]: Dann können Sie ja zustimmen! – Michaela Engelmeier [SPD]: Deswegen unser Anti-Doping-Gesetz!)


Es geht hier nicht um das Recht auf Selbstschädigung .
Hier geht es schlicht und einfach um Betrug; auch da
gebe ich dem Minister recht . Genau deshalb haben wir
vor anderthalb Jahren unseren Antrag eingereicht . Zu
den Vorschlägen der Linken gehörte die Einführung ei-
nes neuen Straftatbestandes Sportbetrug in das Strafge-
setzbuch, die Erweiterung bestehender Strafvorschriften
für den Handel mit Dopingmitteln sowie der zwingende
Entzug der Approbation für Ärztinnen und Ärzte, die
nachweislich an Dopinganwendungen beteiligt waren .
Pharmazeutische Unternehmen sollten verpflichtet wer-
den, bei Produkten, welche zum Doping geeignet sind,
entsprechende Warnhinweise auf den Verpackungen an-
zubringen . Für den Schutz von Whistleblowern wollten
und wollen wir bereichsspezifische Regelungen schaffen. 
Mit unserem Antrag werden auch deutlich verschärfte
Sanktionen für Spitzensportlerinnen und -sportler vorge-
schlagen, welche Eigendoping mit dem Ziel betreiben,
sich einen unlauteren Vorteil im sportlichen Wettbewerb
zu verschaffen . Bei Wiederholungstätern sollten auch
Freiheitsstrafen verhängt werden können . Die Geldbu-
ßen sollten sich jeweils an der Höhe der direkt oder mit-
telbar durch den Sport erzielten Einnahmen orientieren,

Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


könnten also, wie Gehalt, Siegprämien und Einnahmen
aus Werbeverträgen, von Sportart zu Sportart durchaus
unterschiedlich sein .

Anders als manche Skeptiker sehen wir in einem An-
ti-Doping-Gesetz keine Beeinträchtigung oder Aushöh-
lung der Sportgerichtsbarkeit . Beides kann problemlos
nebeneinander funktionieren . Die Verbände können bei
Dopingvergehen weiterhin die in ihren Satzungen vor-
gesehenen Wettkampfsperren aussprechen . Bei gravie-
renden Verstößen gegen Dopingbestimmungen oder bei
Wiederholungstätern kann künftig aber auch die Staats-
anwaltschaft tätig werden . Ich wiederhole: Das ist kei-
ne unzulässige Doppelbestrafung . Schon heute wird ein
Fußballer gemäß Regelwerk nach einer Tätlichkeit vom
Platz gestellt und entsprechend gesperrt; darüber hinaus
kann es dennoch ein Ermittlungsverfahren wegen Kör-
perverletzung geben .


(Matthias Schmidt so!)


Bei Sportlern, die am Ende ihrer Karriere stehen, können
Wettkampfsperren aber gänzlich ins Leere laufen, wenn
sie ihre Laufbahn einfach beenden . Gerade hier erhöht
eine Strafbarkeit von Doping die Hürde, sich entspre-
chender Mittel zu bedienen .

Bei der Einbringung unseres Antrags hatte ich zudem
deutlich gemacht, dass wir es für ganz wichtig halten,
auch auf Bundesebene Prävention zu betreiben . Aus un-
serer Sicht soll im Jugend- und Nachwuchssport, im Fit-
nessbereich sowie in der Aus- und Weiterbildung der in
diesem Umfeld tätigen Personen über die Wirkung von
anabolen Steroiden, Nahrungsergänzungsmitteln und
sporttypischen Aufbaupräparaten aufgeklärt und eine un-
abhängige Ombudsstelle eingerichtet werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Der von uns vorgelegte Antrag zielt hinsichtlich der
strafrechtlichen Maßnahmen ganz bewusst auf die Do-
pinganwendung im Hochleistungssport, nicht aber auf
die gesundheitliche Gefährdung durch Selbstdoping oder
die Einnahme verbotener Substanzen, zum Beispiel von
Anabolika in Fitnessstudios . Dies kann weder in einem
Gesetz geregelt noch wirksam kontrolliert werden .

Mit unserem Antrag wollten wir als Linke konstrukti-
ve Vorschläge für ein Anti-Doping-Gesetz unterbreiten .
Natürlich messen wir den nun vorliegenden Gesetzent-
wurf an jenen Kriterien, die wir vor 16 Monaten formu-
liert haben . Wenn man dies als Maßstab nimmt, muss
man sagen, dass der Regierungsentwurf zwar in die rich-
tige Richtung geht, zentrale Forderungen, die auch in
der Anhörung formuliert wurden, aber unberücksichtigt
lässt .

Ich frage: Warum gibt es keine gesetzliche Verpflich-
tung des Bundes zur Prävention? Warum hat man darauf
verzichtet, endlich eine wirklich unabhängige Ombuds-
stelle einzurichten, an die sich Athleten, Trainer, Ärzte
oder auch Eltern von Sportlern vertrauensvoll wenden
können? Die bei der NADA geschaffene Stelle, auf die

man im Ausschuss hingewiesen hat, wird von den Betrof-
fenen offenkundig nicht angenommen .


(Dagmar Freitag [SPD]: Eben!)


Das wurde in der Sitzung des Sportausschusses am Mitt-
woch deutlich .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb brauchen wir eine unabhängige Stelle!)


Mich persönlich wundert das nicht; denn ein Athlet, der
irgendein Problem mit oder Hinweise auf Doping hat,
wird sich nicht ausgerechnet an eine Institution wenden,
die Dopingsünder verfolgt und die Daten für deren even-
tuelle Bestrafung liefert . Wir brauchen endlich eine wirk-
lich unabhängige Anlaufstelle .


(Beifall bei der LINKEN)


Doch davon ist im Gesetzentwurf ebenso wenig die
Rede wie von einem echten Schutz für Whistleblower .
Aber ohne die Information von Insidern – das zeigen alle
bisherigen Erfahrungen – wird es kaum möglich sein,
Dopingstrukturen aufzudecken und Hintermänner zur
Rechenschaft zu ziehen . Im vorliegenden Gesetzentwurf
findet sich auch keine Kennzeichnungspflicht für Medi-
kamente, die Dopingsubstanzen enthalten, keine klare
Regelung zum Approbationsentzug für Ärzte, die Do-
ping anwendungen unterstützen, obwohl dies gerade von-
seiten der Sportler auch in der Anhörung gefordert wor-
den ist . Die Koalition hat sich lediglich auf den kleinsten
gemeinsamen Nenner geeinigt . Das wird den Herausfor-
derungen in diesem schwierigen Themenbereich nicht
einmal ansatzweise gerecht . Wir als Linke unterstützen
durchgreifende Maßnahmen zur Dopingbekämpfung .
Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt diesen Anspruch
leider nicht .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813704300

Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekre-

tär im Bundesinnenministerium Günter Krings .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


D
Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1813704400


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Schon die Aussprache in der ersten Beratung zum
vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung
von Doping im Sport hat gezeigt: Wir sind uns erfreuli-
cherweise zumindest darin einig, dass Doping im Sport
nicht nur den Sport unmittelbar gefährdet, sondern auch
die mit ihm verbundenen Werte; denn: Sport verbindet,
und Sport vermittelt Werte wie Integrität und Fairness .

Wird im Sport betrogen, fühlen sich nicht nur die
Konkurrenten betrogen, sondern auch wir, die wir als
Zuschauer mitfiebern und sportliche Leistungen bewun-
dern, ebenso wie junge Menschen, für die Sportler Idole
sind, die in Sportlern Vorbilder sehen, die ihre Leistun-

Dr. André Hahn






(A) (C)



(B) (D)


gen durch hartes Training und Verantwortungsbewusst-
sein erreichen und eben nicht durch den Gebrauch von
illegalen Substanzen . Was wir alle, Leistungssportler,
Freizeitsportler oder eben nur Zuschauer, im Sport nicht
wollen, das ist Betrug und Unfairness .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es ist richtig: Wir können Doping im Sport nicht gänzlich
ausrotten . Das zu glauben, wäre naiv; das tut vermutlich
auch niemand . Aber wir können das uns Mögliche tun,
um Doping im Leistungssport einzudämmen und besser
zu bekämpfen .

Der heute zur Abstimmung vorliegende Gesetzent-
wurf ist mit seinen Strafvorschriften unter anderem an
den selbst dopenden Leistungssportler adressiert; Brei-
tensportler werden gerade nicht erfasst .

Zum Teil ist die Kritik geäußert worden, Strafrecht sei
hier nicht das richtige Mittel, um gegen Doping vorzuge-
hen, Sportler – so wurde gesagt – würden hierdurch kri-
minalisiert . Meine Damen und Herren, Leistungssportler,
die Dopingmittel oder Dopingmethoden anwenden, sol-
len ja kriminalisiert werden . Das ist doch der Sinn des
Strafrechts: als Ultima Ratio Täter eines sozial in hohem
Maße als schädlich empfundenen Verhaltens mit straf-
rechtlichen Sanktionen zu überziehen . So sieht das im
Rechtsstaat eben aus .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das Sportrecht und seine Sanktionsmöglichkeiten
haben natürlich weiterhin Geltung . Aber es hat sich in
der Vergangenheit eben gezeigt, dass der Sport allein
nicht in der Lage ist, wirkungsvoll gegen Doping im
Leistungssport vorzugehen . Erlauben Sie mir in diesem
Zusammenhang die Bemerkung: Ohnehin scheint mir in
diesen Tagen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die blo-
ßen Selbstregulierungskräfte im deutschen und im inter-
nationalen Sport ein wenig abzunehmen .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Richtig!)


Die Probleme mit einer sportinternen Dopingbekämp-
fung hängen zum einen mit dem Umstand zusammen,
dass dem Sport die tauglichen Ermittlungsinstrumente
fehlen . Dopingfälle können bisher im Wesentlichen nur
verfolgt werden, wenn positive Dopingproben bereits
vorliegen . Sachverhalte, die zum Beispiel den Besitz von
Dopingmitteln betreffen, waren in der Vergangenheit
faktisch bedeutungslos .

Wir brauchen das Strafrecht aus generalpräventiven
Zwecken . Wir brauchen es aber auch aus Repressions-
gründen . Ich verbinde mit den neuen strafrechtlichen Re-
gelungen die Erwartung, dass das Entdeckungsrisiko für
den dopenden Sportler und damit für seine Helfer deut-
lich gesteigert wird .

Es geht beim Doping im Sport eben nicht nur um den
Einzeltäter, nicht nur um den einen dopenden Sportler,
es geht auch nicht nur um den einen Dopingmittel ver-
abreichenden Arzt, sondern es geht hier um kriminelle
Strukturen, ja, auch um organisierte Kriminalität . Die
Strafvorschriften im Entwurf des Anti-Doping-Gesetzes
erlauben den staatlichen Ermittlungsbehörden die um-

fassende Sachverhaltsaufklärung über den Einzelfall hi-
naus . Hierdurch können Strukturen aufgedeckt und kann
Doping nachhaltiger und besser bekämpft werden .

Die Sportgerichtsbarkeit – sie ist eben angesprochen
worden – hat unstreitig ihre Berechtigung für Streitig-
keiten im Sport, und sie wird diese Berechtigung auch
behalten . Das will ich hier sehr klar erklären .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Sie sorgt für schnelle Verfahren und auch für schnelle,
sachgerechte Entscheidungen in vielen Einzelfällen .
Darüber hinaus ermöglicht sie, die Besonderheiten des
Sports in ganz besonderer Weise zu berücksichtigen und
gleichartige Fälle auch gleichartig zu behandeln, was
wiederum der Fairness dient . Aber dem Sport selbst feh-
len eben die Aufklärungsmöglichkeiten . Sportorganisati-
onen fehlen die Aufklärungsmöglichkeiten, wie sie staat-
lichen Ermittlungsstellen zur Verfügung stehen . Deshalb
brauchen wir beide: Sportgerichtsbarkeit und für die
wirklich schweren Fälle als Ultima Ratio das Strafrecht .

Über die Besitzstrafbarkeit wurde bereits ausführlich
gesprochen . Ich denke, allen hier, die sich ein wenig in-
tensiver damit beschäftigt haben, ist inzwischen klar ge-
worden, dass nur der Besitz mit der Absicht, das Doping-
mittel auch anzuwenden, unter Strafe gestellt werden
soll . Damit sind die immer wieder ins Feld geführten Fäl-
le des Unterschiebens von Dopingmitteln – der Bundes-
justizminister hat darauf hingewiesen – natürlich gerade
nicht von der Strafbarkeit nach dem Anti-Doping-Gesetz
erfasst .


(Dagmar Freitag [SPD]: Genau so ist es!)


Deswegen sind auch die geäußerten Befürchtungen Un-
sinn . Die Strafverfolgungsbehörden und letztlich das Ge-
richt müssen den Vorsatz ersten Grades – so nennen die
Juristen das – nachweisen . Andernfalls gibt es keine Ver-
urteilung . Vor dem Hintergrund, dass mit dem Gesetzent-
wurf auch der mengenunabhängige Besitz unter Strafe
gestellt ist, ist es auch gut, dass wir die Versuchsstraf-
barkeit im Hinblick auf den Besitz hier herausgenommen
haben .

Bei allem darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass
es am allerbesten wäre, wenn es dieses Gesetzes über-
haupt nicht bedurft hätte . Ich möchte deshalb ausdrück-
lich auch auf die Präventionsarbeit hinweisen, die schon
heute geleistet wird, allen voran von den Sportverbänden
und auch der NADA . Die Präventionsarbeit geht dabei
gerade auf die jungen Sportlerinnen und Sportler zu .
Diese jungen Menschen müssen klar und deutlich und,
wo nötig, auch drastisch erfahren – möglichst nicht erst
durch den Strafrichter –, was sie ihrem Körper, ja, was
sie ihrer Seele durch Doping antun können .

Meine Damen und Herren, wie alle anderen gesell-
schaftlichen Bereiche stehen sportliche Aktivitäten na-
türlich unter dem Schutz unserer Privatautonomie, unter
dem Schutz entsprechender Grundrechte . Damit steht der
Sport aber natürlich nicht außerhalb unserer Rechtsord-
nung . Durch ein Gesetz gegen Doping im Sport leisten
wir deshalb unseren offenbar notwendigen Beitrag, den

Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings






(A) (C)



(B) (D)


Sport dabei zu unterstützen, sauber und attraktiv zu blei-
ben .

Ich freue mich, dass wir über dieses notwendige Ge-
setz heute abstimmen können . Dem integren Sportler und
der integren Sportlerin, aber eben auch dem sauberen
Sport insgesamt tut dieses Gesetz gut . Ich bitte Sie daher
um Zustimmung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813704500

Das Wort erhält nun die Kollegin Renate Künast für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813704600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr

geehrter Herr Maas, bei Ihrer Rede hatte ich ein Déjà-vu,
und das lag nicht daran, dass in dem Darjeeling, den ich
heute früh hier im Restaurant zum Frühstück getrunken
habe, irgendetwas drin gewesen wäre .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe den Eindruck, Ihre Reden fangen immer so an:
Heute ist ein toller Tag .


(Michaela Engelmeier [SPD]: Ja! Das ist auch so! – Dagmar Freitag [SPD]: Genau so ist das!)


Na ja, heute ist Freitag, der 13 . Mir ist bisher nichts pas-
siert . Insofern ist es ein toller Tag . Aber mit: „Heute ist
ein toller Tag“, fing auch die Rede zur sogenannten Miet-
preisbremse an .


(Michaela Engelmeier [SPD]: Auch ein guter Tag!)


Leider stellen wir später fest, dass sich die Realität nicht
nach diesen Redebeginnen des Ministers richtet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Freitag [SPD]: Nach Ihren auch nicht!)


Es ist bei der Mietpreisbremse so und auch hier . Das
muss man einmal feststellen .

Auch wenn Sie, Herr Maas, Kritik an diesem Gesetz-
entwurf  zurückweisen,  finde  ich  es  putzig,  dass wir  in 
diesen Zeiten ein Gesetz verabschieden, dessen erster
Paragraf mit „und damit zur Erhaltung der Integrität des
Sports beizutragen“ endet. 


(Michaela Engelmeier [SPD]: So ist das! – Dagmar Freitag [SPD]: Bitter nötig!)


Erhaltung von Integrität?


(Dagmar Freitag [SPD]: Gibt es auch!)


Meine Damen und Herren, da stimmt schon das Ziel
nicht; denn der Leistungssport hat im Augenblick gar
keine Integrität . Welche meinen Sie denn? Meinen Sie

die, die sich im Schattenreich bewegen? FIFA-Funktio-
näre?


(Dagmar Freitag [SPD]: Ein bisschen mehr Differenzierung täte gut, Frau Kollegin! – Michaela Engelmeier [SPD]: Es gibt im Sportbereich auch noch mehr als nur die FIFA!)


Einige – mindestens einige – DFB-Funktionäre? Oder
den Leichtathletik-Weltverband? Von welchem Erhalt,
von welcher Integrität ist in diesem Gesetzentwurf ei-
gentlich die Rede? Ich glaube, Sie doktern an einem un-
sauberen Sport herum


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)


und meinen, es jetzt mithilfe des Strafgesetzbuchs, indem
Sie gegen Einzelne vorgehen, richten zu können . Meine
Damen und Herren, ich denke aber, dass sich so nichts
massiv verändert .

Geht es um die Frage, wie der Sport wirklich zu Inte-
grität kommt, muss man doch feststellen, dass der Leis-
tungssport heute gar keine Vorbildwirkung mehr hat,
dass er von Abhängigkeiten und Seilschaften bestimmt
ist und dass wir dem eigentlich entgegensetzen müssten,
dass in Zukunft die Standards tatsächlich zu Standards
werden sollen, dass Vergütungen offengelegt werden,
dass Verträge nicht mehr mündlich geschlossen werden
und dann nach Jahren 2 Millionen Euro für bestimmte
Leistungen gezahlt werden, bei denen keiner mehr sieht,
ob sie erbracht wurden . Da hilft kein sogenanntes An-
ti-Doping-Gesetz . Die Strukturen im Leistungssport sind
von Grund auf falsch . Das müsste unser Ausgangspunkt
sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich habe vorgestern zum ersten Mal die Situation er-
lebt, dass Herr Grindel und ich einer Meinung waren .


(Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Ui! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wunder geschehen!)


Das war am Anfang der Legislaturperiode so nicht abzu-
sehen, Herr Grindel .


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ich hoffe, das wird sich auch bald wieder ändern!)


– Ich glaube auch; wahrscheinlich ändert es sich jetzt
gleich . – Ich weiß gar nicht, ob er sich als Mitglied des
Sportausschusses oder des Rechtsausschusses, als Präsi-
diumsmitglied des DFB oder als etwas Zukünftiges ge-
äußert hat,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch ist er nicht Präsident!)


zumindest in diesem einen Punkt waren wir einer Mei-
nung: Das gesamte System im Profisport ist falsch.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nein, da sind wir uns nicht einig! – Eberhard Gienger [CDU/CSU]: So hat er das aber nicht gesagt!)


Ich glaube, so müssen wir darüber diskutieren . Es
hilft nicht, Regelungen zur Strafbarkeit von Sportlern zu

Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings






(A) (C)



(B) (D)


treffen, wenn man, wie jetzt beim Thema Leichtathle-
tik – Stichwort: Russland usw . – merkt: Wir haben zwar
Institutionen,  die  zum Beispiel  „Anti-Doping Agentur“ 
heißen, die es aber leider komplett verpassen, sich um
genau dieses Thema zu kümmern .


(Matthias Schmidt stimmt doch so gar nicht, Frau Kollegin! – Weiterer Zuruf: Vertuschung!)


– Vertuschung, ja . – Meine Damen und Herren, wenn ir-
gendeine andere Behörde so arbeiten und mit ihrer Auf-
gabenstellung so umgehen würde, würden wir alle, wie
beim Thema Verfassungsschutz, sagen: Auflösen und neu 
gründen! Hier stimmt diese Forderung meines Erachtens
auch .

Ich will Ihnen sagen, warum ich das kritisch sehe und
warum ich auf die Strukturen eingegangen bin . Das Straf-
recht soll Ultima Ratio sein . Ich glaube, Sie behandeln es
hier nicht so . Winfried Hassemer hat einmal gesagt:

Der Strafgesetzgeber

– das sind wir -

ist in der Wahl der Anlässe und der Ziele seines
Handelns nicht frei; er ist beschränkt auf den Schutz
elementarer Werte des Gemeinschaftslebens …

Ich sage Ihnen: Fairness oder Integrität im Sport sind
keine elementaren Werte des Gemeinschaftslebens . Das
ist kein Fall fürs Strafrecht . Es ist Aufgabe des organi-
sierten Sports selber, Doping und auch Korruption end-
lich systematisch und ordentlich zu bekämpfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Ich mache mir langsam Sorgen um unser Rechtssystem,
da es mit immer mehr Aufgaben belastet wird – das be-
trifft den Staat, die Staatsanwaltschaften, die Gerichte
und die Steuerzahler –, die ein hochpotenter Wirtschafts-
bereich bitte selber erfüllen sollte . Man kann ja zum Bei-
spiel über Betrug im Sport reden . Aber auch da muss die
Ultima-Ratio-Regel gelten .

Ich meine, heute ist kein besonders guter Tag .


(Dagmar Freitag [SPD]: Nein, nach der Rede nicht mehr!)


Sport und Integrität werden in Zukunft erst dann wie-
der, ohne zu einer Lachnummer zu werden, ordentlich
in einen Satz passen, wenn sich der Sport und seine
Funktionäre selber als Vorbilder auf den Weg machen .
Die Vorbildfunktion und die Integrität beginnen bei den
Funktionären und, ehrlich gesagt, nicht bei den Sportlern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das Protokoll notiert nicht enden wollenden Beifall! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Hoffentlich haben alle Sportler in Deutschland das gehört!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813704700

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dagmar Freitag für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1813704800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach der Rede der Kollegin Künast erlaube ich mir zu-
nächst, zur Sachlichkeit zurückzukehren .


(Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir ja gleich sehen!)


Deutschland bekommt ein Anti-Doping-Gesetz, nach
rund zwei Jahrzehnten – nennen wir es einmal so – anhal-
tender, kontroverser und teilweise auch ziemlich verlet-
zender Diskussionen in Sport und Politik, mit und unter
Juristen . Einheitliche Linien waren in keinem der drei
genannten Bereiche zu erkennen . Es gab überall Befür-
worter und auch erbitterte Gegner .

Wenn ich mich recht erinnere: Allein die bloße Erwäh-
nung des Begriffes „Anti-Doping-Gesetz“ trieb manchen 
Vertreter des organisierten Sports über Jahre geradezu auf
die berühmte Palme, aber – das ist, glaube ich, auch der
Kollegin Künast entgangen – nicht alle, längst nicht alle .
Es hatte sich nämlich mittlerweile auch bei Verbandsver-
tretern die Erkenntnis durchgesetzt, dass allein mit Kon-
trollen im Training und im Wettkampf der Kampf gegen
Doping nicht zu gewinnen ist .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Verabschie-
dung  des  heutigen  Gesetzentwurfes  findet  in  unserem 
Land in der Tat ein Paradigmenwechsel statt . Liegt ein
Verdacht vor oder gibt es entsprechende Hinweise, steht
demnächst eben nicht nur, wie bisher, das Umfeld der
Sportler im Fokus, sondern der Sportler gerät auch selbst
in den Fokus staatlicher Ermittlungen, sofern er der defi-
nierten Zielgruppe angehört .

Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf erreichen, dass
alles getan wird, um saubere Sportlerinnen und Sportler
zu schützen . Das alleine ist die Motivation .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Eberhard Gienger [CDU/CSU])


H
Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1813704900
Natürlich ist dieser Gesetzentwurf kein Allheil-
mittel, aber er ist aus unserer Sicht ein ganz unverzicht-
barer Baustein in diesem großen Puzzle des Kampfs
gegen Doping .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wollen wir denn wirklich weiterhin tatenlos zusehen,
wie Betrüger im Sport – ob als Aktive oder, Frau Kolle-
gin Künast, auch als korrupte Funktionäre, wie jetzt im
Internationalen Leichtathletikverband – dem Sport mit
seinen so wunderbaren Werten, wie Fairness, Respekt
und Völkerverständigung, schaden und ihn vor die Hun-
de gehen lassen? Wir wollen das jedenfalls nicht .

Ich muss sagen: Vor diesem Hintergrund wirkt es ge-
radezu absurd, dass der erbittertste Widerstand über Jah-

Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


re ausgerechnet von der Spitze des organisierten Sports
in Deutschland gekommen ist .

Frau Künast, ich sage Ihnen: Das, was Sie gerade ge-
macht haben, geht nicht . Sie haben eine Pauschalverur-
teilung des Sports vorgenommen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört!)


– Ich höre immer zu, wenn Sie reden, Herr Kollege
Mutlu; das gilt immer besonders, wenn jemand von der
Fraktion Die Grünen redet .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Das muss jetzt auch nicht sein!)


Frau Kollegin, diese Pauschalverurteilung des Sports
war eine Beleidigung für alle, die im Sport für Integrität
und Sauberkeit kämpfen . Die gibt es nämlich auch . Scha-
de, dass Sie sie offensichtlich nicht kennen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Do-
ping reden, dann reden wir eben nicht über eine lästige
oder lässliche Begleiterscheinung im Sport . Nein, wir re-
den mittlerweile nämlich über eine Industrie ungeahnten
Ausmaßes, unbestritten über eine Form von organisierter
Kriminalität und über unzählige Menschen, die auf der
einen oder anderen Seite involviert sind . Auf der einen
Seite sind die Hersteller, die Dealer, die Verabreicher, die
Konsumenten, die Athleten mit ihren erbeuteten Siegen,
Medaillen, Prämien und im Idealfall auch fetten Sponso-
renverträgen, und auf der anderen Seite sind die Forscher
in den Laboren, die Dopingjäger der nationalen Antido-
pingagenturen – Russland im konkreten Fall einmal aus-
genommen –, die Kontrolleure und eben die sauberen
Athleten, die um Siege, Medaillen, Prämien, emotionals-
te Momente und vielleicht auch fette Sponsorenverträge
betrogen wurden .


(Beifall bei der SPD)


Die diesem Gesetzentwurf zugrundeliegenden straf-
rechtlichen Regelungen werden die unbestrittenen Mög-
lichkeiten des Sports zu schnellen Sanktionen des Sports
nicht schwächen und schon gar nicht aushebeln; denn
es sind nicht vergleichbare Verfahren . Daher bleibt es
auch in Zukunft so: Der Sport bleibt bei seinen schnellen
Sanktionen und der Staat bei seinen gegenüber dem Sport
natürlich unbestritten überlegenen Ermittlungsmethoden .
Kurzum: Jeder soll das machen, was er am besten kann .

Auch auf staatlicher Seite sehe ich noch ein wenig
Luft nach oben; denn auch hier braucht es Experten . Die-
se  findet man  ganz  zweifellos  in Anti-Doping-Schwer-
punktstaatsanwaltschaften .


(Beifall bei der SPD)


Und da muss ich schon darauf hinweisen, dass leider nur
2 unserer 16 Bundesländer hier ernst machen, nämlich
der Freistaat Bayern und das Bundesland Baden-Würt-

temberg . Sie sind sozusagen einsame Vorreiter in der
Riege der Bundesländer .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das war schon immer so!)


Ich appelliere daher an die Bundesländer, uns im Kampf
gegen Doping zu unterstützen und ihren Teil dazu bei-
zutragen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eingangs
darauf hingewiesen: Wir haben mehr als zwei Jahrzehnte
um solch einen Gesetzentwurf gerungen. Ich finde, es ist 
an der Zeit, Dank zu sagen, Dank an alle, die zum Zu-
standekommen des Gesetzentwurfs beigetragen haben .
Da darf ich insbesondere Justizminister Heiko Maas
erwähnen, der schon zu Beginn seiner Amtszeit klarge-
macht hat, dass er so ein Gesetz möchte .


(Beifall bei der SPD)


Ich danke auch meiner Fraktion, meiner Arbeitsgruppe
und insbesondere dem Sprecher der Arbeitsgruppe Recht
und Verbraucherschutz, unserem Kollegen Johannes
Fechner, der uns ebenfalls nach Kräften unterstützt hat .
Ein weiterer Dank geht an die Minister de Maizière und
Gröhe . Es war eine Gemeinschaftsaktion . Vielen Dank
an alle, die dazu beigetragen haben, auch dem Koaliti-
onspartner, der nach Anlaufschwierigkeiten nun mit im
Boot sitzt . Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dafür .


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich bin fest davon überzeugt, es wird für Doper in un-
serem Land etwas ungemütlicher . Das ist doch wirklich
eine  gute Nachricht.  Ich  bin  sicher,  irgendwann  finden 
auch Bündnis 90/Die Grünen das gut .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813705000

Nächster Redner ist der Kollege Özcan Mutlu für

Bündnis 90/Die Grünen .


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813705100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben

es schon gehört: In den vergangenen Wochen hat uns die
Welt-Anti-Doping-Agentur ihren Bericht über deutliche
Unregelmäßigkeiten im Kampf gegen Doping vorgelegt .

Die Ergebnisse, die in den Medien breit diskutiert
worden sind, sind erschreckend: In Russland – ich glau-
be, das ist nicht das einzige Land, das damit Probleme
hat – besteht ein von der Regierung gedecktes System
des organisierten Dopings . Unfassbar ist die Erkenntnis,
dass die Tests erst von russischen Ärzten geprüft worden
sind, bevor sie zu einem unabhängigen akkreditierten
Dopinglabor gegangen sind . Wenige Tage zuvor nahmen
französische Behörden Ermittlungen gegen den Alters-
präsidenten des internationalen Leichtathletikverbandes
auf . Der Vorwurf war gravierend: Er habe mithilfe enger
Verwandter ein Schmiergeld- und Schutzgeldsystem eta-

Dagmar Freitag






(A) (C)



(B) (D)


bliert, in dem sich gedopte und erwischte Sportler regel-
recht freikaufen konnten .

Diese Vorfälle sind Belege dafür, dass der organisierte
Sport ein massives und ernsthaftes Problem mit Doping
hat . Ich zitiere aus einer Studie aus Deutschland, des
BISp, aus 2013:

6 % der deutschen Spitzensportler geben die regel-
mäßige Einnahme von Dopingmitteln ehrlich zu .


(Volker Kauder 10 % der deutschen Spitzensportler geben ehrlich zu, dass sie schon einmal an Absprachen über den Spielbzw . Wettkampfausgang beteiligt waren . Das waren anonymisierte Umfragen . Deshalb kann man davon ausgehen, dass diese Zahlen stimmen . (Dagmar Freitag [SPD]: Deswegen gibt es ein zweites Gesetz!)


Meine Damen und Herren, wir lehnen wie alle Frak-
tionen in diesem Hause Doping im Sport in aller Deut-
lichkeit ab .


(Dagmar Freitag [SPD]: Immerhin!)


Frau Kollegin Freitag, das sollten Sie bereits mitbekom-
men haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen aber auch nicht verhehlen, dass der orga-
nisierte Sport immer noch zu wenige Anstrengungen
unternimmt, um Doping im Sport einzudämmen . Denn
die Vorfälle beim IAAF und in Russland zeigen, dass es
nicht nur der Sportler oder die Sportlerin ist, Frau Kolle-
gin Freitag, sondern es sind die Strukturen um den Sport-
ler, um die Athletin herum: Trainer, Ärzte, Funktionäre,
aber auch Medien und Sponsoren, die ein starkes eigenes
Interesse an Höchstleistungen des Sportlers haben .


(Dagmar Freitag [SPD]: Habe ich ja erwähnt!)


Und da greift Ihr Gesetz eben nicht .


(Beifall der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dagmar Freitag [SPD]: Das ist Unsinn!)


Wir als Gesetzgeber sollten Abstand davon nehmen,
eine einseitige und so weitgehende Kriminalisierung der
Sportlerinnen und Sportler in Deutschland vorzunehmen .
Herr Krings, genau das wird mit Ihrem Gesetz passieren .
Deshalb haben wir damit ein Problem .

Es geht beim Doping hauptsächlich um den Tatbe-
stand Sportbetrug – das wurde hier auch vom Kollegen
Hahn gesagt –, der mit der Absicht begangen wird, wirt-
schaftliche Gewinne zu erzielen .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813705200

Kollege Mutlu, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Freitag?


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813705300

Nein, ich habe nur noch 50 Sekunden Redezeit . Ich

möchte jetzt weiterreden .


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Die Uhr wird angehalten!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813705400

Die Frage und die Antwort würden nicht auf Ihre Re-

dezeit angerechnet werden .


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813705500

Ja, ich weiß, Herr Präsident . Aber ich möchte trotz-

dem in meiner Rede weitermachen .


(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Schlechte Ausrede!)


Ich möchte für meine Fraktion noch einmal feststel-
len, dass der Griff zum Strafrecht, wenn überhaupt, nur
der allerletzte Schritt sein darf und gut begründet werden
muss. Ihre Begründung mit Begrifflichkeiten wie „Inte-
grität  des  Sports“  oder  „Fairness  im  Sport“  greifen  zu 
kurz .

Wir müssen uns bei der Bekämpfung des Dopings
insbesondere mit der Leistungsspirale im Sport ausein-
andersetzen . Immer höher, immer schneller, immer wei-
ter und eine ausufernde Kommerzialisierung des Sports
sind die wahren Ursachen von Doping . Diese Ursachen
müssen wir gemeinsam mit dem Sport bekämpfen, statt
Begrifflichkeiten wie „Fairness  im Sport“ zu bemühen. 
Im Sport geht es leider nicht mehr um die olympische
Idee . Es geht um Milliarden, die dabei umgesetzt werden .
Diese Fakten, diesen Tatbestand sollte man in einem An-
tidopinggesetz abbilden .

Wir brauchen mehr Prävention, eine Evaluierung und
den Ausbau der Dopingforschung . Wir sind auch der
Meinung, dass eine rechtspolitisch fragwürdige Auswei-
tung von Befugnissen der NADA sehr problematisch ist .
Wir brauchen eine tatsächlich unabhängige Ombuds-
stelle oder eine Ombudsperson . Wir brauchen vielleicht
auch im Sport etwas Ähnliches wie einen Whistleblo-
wer-Schutz, damit Athletinnen oder Athleten, die der
Meinung sind, dass das Dopen von Kollegen nicht mehr
angeht, und dies aufgrund der Strukturen nicht offen sa-
gen wollen, geschützt sind .

Auf all diese Dinge wird in dem Gesetzentwurf nicht
eingegangen . Deshalb werden wir, obwohl wir mit Ihnen
an dem Ziel, Doping zu bekämpfen, festhalten, diesem
Gesetzentwurf nicht zustimmen .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813705600

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der

Kollegin Freitag .


Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1813705700

Vielen Dank, Herr Präsident . – Der Kollege Mutlu hat

einmal darauf verwiesen, dass das Umfeld des dopenden

Özcan Mutlu






(A) (C)



(B) (D)


Sportlers nicht erfasst würde . Das ist natürlich nicht rich-
tig . Es war im Übrigen bisher schon so, dass das Umfeld
erfasst wurde . Ein Blick ins Arzneimittelgesetz würde im
Zweifel weiterhelfen .

Herr Kollege Mutlu, es geht mir aber um einen ande-
ren Punkt Ihrer Rede . – Herr Kollege Mutlu, ich weiß
nicht, wem Sie gerade zuhören, der Frau Kollegin Künast
oder mir .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kollege hat zwei Ohren, Frau Freitag! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Wunderbar! Multitalente beeindrucken mich immer
besonders .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Außerdem muss er nicht zuhören! Das steht nicht in der Geschäftsordnung!)


Herr Kollege Mutlu, Sie haben vor allen Dingen kriti-
siert, dass der dopende Sportler selbst in den Fokus staat-
licher Ermittlungen rückt . Darf ich Sie darauf hinweisen,
dass es erklärtes Ziel der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen in früheren Jahren war, genau dies zu machen? Ich
darf, Herr Präsident, dem Kollegen Mutlu kurz ein Zitat
zur Kenntnis geben .

Einer Ihrer Vorgänger, nämlich der anerkannte
Sport experte Winfried Hermann, heute Minister in Ba-
den-Württemberg, wird im Jahr 2007 mit dem Hinweis
zitiert, der damalige Gesetzentwurf der Großen Koaliti-
on mache „einen weiten Bogen um den Sportler selber“; 
denn selbst mit den neuen Strafregelungen mache sich
ein Sportler, der dopt, nicht strafbar . – Das war damals
im Jahr 2007 richtig . Ich frage Sie jetzt: Woher kommt
der Sinneswandel in Ihrer Fraktion, dass Sie heute kri-
tisieren, dass diese Regierungskoalition genau das jetzt
durchsetzen will?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber mal Schluss mit der Kurzintervention! Ruhe jetzt!)


Vielen Dank .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813705800

Der Kollege Mutlu hat die Möglichkeit, darauf einzu-

gehen, wenn er das möchte .


(Volker Kauder [CDU/CSU], an den Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Sie haben doch nicht zugehört!)



Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813705900

Ich kann es kurz und schmerzlos machen . – Frau

Vorsitzende des Sportausschusses, wenn Sie sich unse-
ren Entschließungsantrag zu Ihrem Gesetzesvorhaben
gründlich durchgelesen hätten,


(Dagmar Freitag [SPD]: Mehrfach!)


würden Sie wissen, dass es hier nicht um einen grundle-
genden Sinneswandel geht,


(Dagmar Freitag [SPD]: Doch!)


sondern es geht darum, dass wir das Strafgesetz erst im
allerletzten Fall bemühen wollen . Es steht im Entschlie-
ßungsantrag ganz ausdrücklich: Wenn keine anderen
Wege möglich sind, dann ist natürlich auch die Einfüh-
rung eines Straftatbestands Sportbetrug zu prüfen . Das
ist, denke ich, deutlich und klar, und wenn Sie sich das
noch einmal durchlesen, werden Sie es auch merken .


(Dagmar Freitag [SPD]: Sie haben es leider nicht verstanden! – Gegenruf des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es verstanden? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Freitag ist die Einzige, die etwas verstehen kann! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ein Problem von uns Männern, dass wir öfter nicht verstehen, was Frauen sagen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813706000

Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege

Eberhard Gienger .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1813706100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Künast, zunächst einmal muss ich meiner Kollegin
Frau Freitag recht geben: Mit Pauschalverurteilungen
des Sports kommen Sie nicht weiter . Und was den Bei-
fall in diesem Hause betrifft, wurde ich an Karl Valentin
erinnert, der sagte: „Der Beifall wollte keinen Anfang
nehmen.“


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht wollen wir ja auch keinen Beifall! Da machen wir ja was falsch, wenn wir Beifall kriegen!)


Das vorliegende Gesetz stellt einen bedeutenden Fort-
schritt im Kampf gegen Doping dar . Die Vergangenheit
hat uns gelehrt, dass der organisierte Sport offensichtlich
doch nicht in der Lage ist, das Dopingproblem in den
Griff zu bekommen . Darüber hinaus zeigt sich aktuell –
das wurde heute schon mehrfach erwähnt –, dass der
Weltleichtathletikverband eine erschreckende Szenerie
von nie dagewesenem Ausmaß generiert hat . Darin ist
wohl nicht nur der ehemalige Präsident des Verbandes in-
volviert, sondern auch gleich noch ein von der internati-
onalen Anti-Doping-Agentur akkreditiertes Dopinglabor
in Russland, nationale Fachverbände, Trainer und nicht
zuletzt auch die dopenden Sportler selbst .

Eine derartige Erosion und Zerstörung der Ideale des
Sports hat es meiner Meinung nach noch gar nie gege-
ben . Wie soll man im Kontext derartiger Abgründe für
den Sport werben und junge Menschen für den Spitzen-
sport gewinnen, um an internationalen Wettbewerben
teilzunehmen? Nicht zuletzt stellt sich aber auch die
Frage nach der Grundlage unserer Sportförderung . Mit
dem vorliegenden Anti-Doping-Gesetz machen wir klar:
Die Förderung rechtfertigt sich nur dann, wenn wir auch

Dagmar Freitag






(A) (C)



(B) (D)


entschlossen gegen Doping vorgehen, und zwar national
wie international .

Doping, Korruption und Manipulation sind längst in-
ternationale Phänomene und eine ernsthafte Bedrohung
von Sport und Gesellschaft . Dem Doping sagen wir mit
dem Gesetz jetzt den Kampf an, aber bestimmt nicht den
Engagierten, die zur Aufklärung beitragen . Der Fall beim
internationalen Leichtathletikverband offenbart: Ohne
tiefgreifende Veränderungen und Konsequenzen läuft der
Sport Gefahr, die eigenen Grundwerte zu zerstören .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Sportorganisationen sind deswegen aufgerufen, jetzt
entschlossen zu handeln . Es hilft jedoch nicht, dabei nur
auf andere Länder zu zeigen, nachlässige Verbände zu
verurteilen oder bei überführten Sportlern den Kopf zu
schütteln . Wie können wir international Aufklärung for-
dern, ohne hierzulande den Antidopingkampf weiterzu-
entwickeln?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die bekannten Dopingfälle verdeutlichen, dass hoch-
professionell, verdeckt, vernetzt und mit enormer krimi-
neller Energie vorgegangen wird . Dem kann der organi-
sierte Sport nur schwer etwas entgegensetzen,


(Dagmar Freitag [SPD]: Doch! Schon!)


wobei der Glaube an die Selbstreinigungskräfte des
Sports hier auch gar keine Rolle spielt . Deswegen brau-
chen wir das vorliegende Anti-Doping-Gesetz und das
Strafrecht mit Ultima Ratio .

Der Sport nimmt in unserem Land eine wichtige Po-
sition und Vorbildfunktion ein . Die Integrität des Sports,
die Gesundheit der Athleten und auch die Fairness und
die Chancengleichheit gilt es – und in letzter Instanz auch
mit dem Strafrecht – zu schützen . Ich kann die Grünen
hier durchaus beruhigen: Bei der Auswahl der genann-
ten Rechtsgüter hat der Gesetzgeber Ermessensspielraum
eingeräumt . Wesentlich ist, dass der Bestimmtheits-
grundsatz und die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben .
Lieber Özcan Mutlu, die Evaluierung haben wir auch ins
Gesetz aufgenommen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Letzteres zeigt aber auch – zumindest was die Ver-
hältnismäßigkeit bei der Abgrenzung der Zielgruppen
betrifft –: Der Gesetzgeber hat sich bewusst auf die Spit-
zensportler konzentriert, und zwar im Testpool der Na-
tionalen Anti Doping Agentur . Aber auch jene Personen
sind vom Gesetz betroffen, die durch Spitzensport Ein-
nahmen von erheblichem Umfang erzielen . Schließlich
ist es so, dass im Spitzensport durchaus hohe Preisgelder
bei den Sportwettbewerben und dadurch auch Vermö-
gensvorteile zu erzielen sind .

Wir sind also beim Adressatenkreis mit Augenmaß
vorgegangen . Nicht einbezogen sind die Breitensport-
ler, die Medikamentenmissbrauch betreiben . Sie werden
von der Schiedsgerichtsbarkeit aber dennoch erfasst,

aber nicht von der strafrechtlichen Seite . Damit es aber
zu keinen Missverständnissen kommt: Wer, egal wo, mit
anabolen Steroiden handelt, kann auch nach bisheriger
Rechtsprechung belangt werden .

Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auf die Anträge
der Opposition eingehen, da hier deutliche Unterschie-
de sichtbar werden . Ich frage mich, welches politische
Signal die Grünen eigentlich mit der Ablehnung des An-
ti-Doping-Gesetzes verbinden, gerade mit Blick auf die
Leichtathletik . Wie wollen Sie denn Dopingbetrug fest-
machen? Frei nach dem Motto: Legalisierung von Can-
nabis, dann auch Legalisierung von Dopingmitteln?

Lieber Özcan Mutlu, ich habe gestern von dir im
Deutschlandfunk ein Zitat gehört . Das möchte ich hier
kurz vortragen:

Wir können nicht auf der einen Seite für die Legali-
sierung von Cannabis einstehen

– das muss man ohnehin nicht –

und auf der anderen Seite den Besitz von leistungs-
steigernden Mitteln … unter Strafe stellen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal den Rest vor!)


Das ist einfach ein Widerspruch in sich . Und des-
halb finden wir: Das Recht auf Selbstschädigung ei-
nes Menschen – egal ob er Leistungssportler ist oder
nicht –, das hat er, und da kann man nicht mit Gesetz
dem irgendwie das Ganze verbieten .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal den Rest vor!)


Da stelle ich mir doch ernsthaft die Frage – das lässt
mich total ratlos zurück –, wie das gemeint sein soll .
Vielleicht kannst du mir nachher weitere Informationen
darüber geben . Als Sportpolitiker müsste man zumindest
wissen, dass privater Rausch und Manipulation im Spit-
zensport nicht das Gleiche sind .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Vielmehr muss man die Gesundheit der jungen Men-
schen in den Fokus nehmen .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813706200

Herr Kollege Gienger, gestatten Sie eine Zwischenfra-

ge des Kollegen Mutlu?


Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1813706300

Natürlich, gerne .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Er selber hat keine gestattet!)



Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813706400

Herr Kollege Gienger, würden Sie zur Kenntnis neh-

men, dass es in diesem Deutschlandfunk-Interview um
den Tatbestand der uneingeschränkten Besitzstrafbarkeit
ging? Das ist für uns zu weitgehend . Deshalb habe ich
auf diesen Widerspruch aufmerksam gemacht . Wenn Sie
nur diesen einen Satz aus dem längeren Interview her-

Eberhard Gienger






(A) (C)



(B) (D)


ausnehmen, ist das nicht anständig . Aber egal, ich wollte
das einmal zur Klarstellung sagen . Nehmen Sie das zur
Kenntnis, und sagen Sie, was noch so in dem Interview
steht .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie den Rest des Interviews!)



Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1813706500

Ich weiß nicht, ob ich das noch alles vortragen darf .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben jetzt zwei Minuten!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813706600

Das liegt bei Ihnen .


Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1813706700

Es ist für mich auf jeden Fall eindeutig . Wenn ich die-

sen Satz aus dem Interview betrachte, muss ich mir doch
die Frage stellen dürfen, ob Sie demzufolge Dopingmit-
tel legalisieren wollen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Das liest sich hier so . Ich kann es bedauerlicherweise
nicht anders interpretieren .

Die Vorschläge der Linken sind hingegen konkreter,
nur sind sie bedauerlicherweise längst überholt . Die
Finanzierung der NADA haben wir bereits sicherge-
stellt . Einen unabhängigen Ombudsmann haben wir in
Deutschland seit 2012, lieber André Hahn .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Nein! Er ist nicht unabhängig!)


Noch ein Punkt: Bereits nach geltender Rechtslage kann
einem Arzt die Approbation entzogen werden, wenn die-
ser Doping unterstützt .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Wie oft ist das passiert?)


Prävention wird durch NADA und die Verbände bereits
betrieben .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Wie oft ist das passiert?)


Insofern verstehe ich die Kritik der Linken nicht so recht .
Eigentlich müssten sie dieses Gesetz doch unterstützen
und mit wehender Fahne in der Hand dem Gesetz vo-
rauslaufen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Mit einer roten Fahne!)


Das tun sie bedauerlicherweise nicht .


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Mit einer roten Fahne, genau!)


Das vorliegende Anti-Doping-Gesetz wird in der
Sportgerichtsbarkeit keine Widersprüche hervorrufen,
sondern sie sinnvoll ergänzen und nicht beschneiden . Das
haben wir schon mehrfach gehört . Auch in anderen Le-
bens- und Rechtsbereichen existieren staatliche Gerichte

neben Schiedsgerichten . Die Sportschiedsgerichtsbarkeit
haben wir im Anti-Doping-Gesetz gestärkt . Sie ist wei-
terhin zentral, wenn es darum geht, das internationale
Regelwerk im Sport durchzusetzen und überführte Spit-
zensportler umgehend für einen Wettkampf zu sperren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


An dieser Stelle möchte ich mich ebenfalls ganz herz-
lich bei dem Justiz-, dem Innen- und dem Gesundheits-
ministerium ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit
bedanken . Wie bereits angekündigt, werden wir zudem
einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Korrupti-
on und Manipulation im Sport bald diskutieren . Dieses
zweite wichtige Vorhaben  befindet  sich  in  der Verbän-
deanhörung . Ich denke, wir sind hier auf einem guten
Weg .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813706800

Bevor der abschließende Redner, Kollege Grindel, das

Wort hat, erteile ich das Wort zu einer Kurzintervention
dem Kollegen André Hahn .


Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813706900

Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Kollege Gienger,

Sie haben gesagt, die Dinge, die in unserem Antrag ste-
hen, seien überholt, und haben zwei Punkte genannt, die
so nicht korrekt sind .

Zum einen haben Sie auf den Ombudsmann verwie-
sen, der angeblich unabhängig sei . Ich habe vorhin in
meiner Rede darauf hingewiesen, dass er der Nationa-
len Anti Doping Agentur zugeordnet ist, der Behörde,
die Doping verfolgt, die Dopingsünder bestraft, die aus
Sicht der Betroffenen keine unabhängige Stelle ist . Wir
brauchen einen Anlaufpunkt, der die Dopingverfolgung
vornimmt, der sich aber nicht im Zusammenhang mit
dieser Organisation befindet. Das  ist nicht geregelt und 
demzufolge nicht korrekt .

Zum anderen haben Sie gesagt, dass die Approbation
aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften schon jetzt
entzogen werden kann . Ich möchte Sie fragen: Wie oft
ist das in Deutschland wegen Doping passiert? Können
Sie einmal darstellen, wo das bislang stattgefunden hat?

Es gibt andere Punkte, zu denen Sie gar nichts ge-
sagt haben, die aber auch in unserem Antrag stehen . Die
Kennzeichnung von Arzneimitteln, in denen Dopingstof-
fe enthalten sind, ist nicht geregelt . Die Frage des Schut-
zes von Whistleblowern ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht
geregelt . Das zeigt, dass unser Antrag Forderungen ent-
hält, die deutlich über das hinausgehen, was im Gesetz-
entwurf steht . Deshalb ist der Antrag nicht überholt, son-
dern höchst aktuell .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813707000

Herr Kollege Gienger, möchten Sie darauf antwor-

ten? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann haben Sie das Wort .

Özcan Mutlu






(A) (C)



(B) (D)



Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1813707100

Schönen Dank . – Herr Präsident! Lieber Kollege

André Hahn, ich bleibe beim „du“, auch wenn du mich 
mit „Sie“ angesprochen hast. 

Die Prävention durch die NADA und die Verbände
wird vorgenommen . Die NADA unterstützt die Sportler
und die Verbände und ist nicht nur dafür da, zu kontrol-
lieren . Sie ist eine Hilfestellung für die Sportler .

Noch eines: Die NADA sperrt die Sportler nicht, son-
dern das machen die Verbände . Vor diesem Hintergrund
kann man das nicht ohne Weiteres stehen lassen .

Zur zweiten Frage, dem Entzug der Approbation . Dies
ist in § 3 Absatz 1 Nummer 2 der Bundesärzteordnung
geregelt . Hierfür sind die Landesbehörden zuständig .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Aber nicht bei Doping!)


– Wenn ein Arzt Doping unterstützt, dann kann ihm die
Approbation entzogen werden . Daran führt kein Weg
vorbei .

Schließlich gebe ich zu: Wir können, was das Gesetz
angeht, durchaus noch einige Themen mit aufnehmen,
beispielsweise die Kennzeichnungspflicht bei Arzneimit-
teln . Dafür haben wir aber auch einen Evaluierungspa-
ragrafen . Nach spätestens fünf Jahren wird das durchge-
zogen . Wenn dann bessere Erkenntnisse vorliegen, wie
beispielsweise zur Kennzeichnung von Arzneimitteln,
dann kann es durchaus umgesetzt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schluss jetzt!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813707200

Jetzt hat zum Abschluss dieser Aussprache der Kol-

lege Reinhard Grindel für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1813707300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei diesem Thema ist die entscheidende Frage: Reicht
die sportrechtliche Sanktion aus, oder brauchen wir das
Strafrecht?


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer redet denn jetzt: DFB oder MdB?)


In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Mutlu,
haben Sie die anonyme Untersuchung der Deutschen
Sporthochschule angesprochen und darauf verwiesen,
dass über 5 Prozent der Sportler angegeben haben, sie
würden dopen . Sie haben nicht angesprochen, dass über
40 Prozent der Sportler diese Frage gar nicht beantwortet
haben .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Insofern kann man sagen: Egal ob das Dunkelfeld bei
einer Größenordnung von über 5 oder annähernd sogar
in Richtung 40 Prozent liegt, es ist jedenfalls deutlich
höher als die 0,1 Prozent der positiven Dopingtests, die

die NADA auch im letzten Jahr gefunden hat . Deswegen
sage ich Ihnen: Ich halte es für einen klaren Widerspruch,
dass man auf der einen Seite die Diagnose eines ernst-
haften Problems im Sportsystem anspricht und auf der
anderen Seite sagt: Dieses Sportsystem soll sich allein
auf interne Maßnahmen beschränken .

Gerade diese Untersuchung, die zeigt, dass die
NADA-Dopingtests bisher zu unzureichenden Ergebnis-
sen geführt haben, macht deutlich, wie richtig in der Tat
unsere Überzeugung ist: Wenn man gegen Doping durch-
greifende Maßnahmen ergreifen will, dann geht das nur
über das Strafrecht . Diesen Schritt vollziehen wir heute,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das hat die NADA auch bei der öffentlichen Anhö-
rung bestätigt . Der Justiziar der NADA hat uns klipp und
klar erklärt – ich zitiere –:

Wir haben in jedem Jahr mindestens 25 Anzeigen,
die wir an die Staatsanwaltschaften richten . Wenn
diese nicht gerade in Freiburg oder München

– wo es Doping-Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften
gibt –

ankommen, werden sie schneller eingestellt, als wir
sie tippen können . Das liegt nicht daran, weil die
Kolleginnen und Kollegen Staatsanwälte nicht han-
deln wollen, sondern sie schlichtweg nicht handeln
können, weil sie kein strafbares Verhalten oder kei-
nen Anfangsverdacht sehen . . .

Wenn wir also gegen Doping durchgreifen wollen,
dann brauchen wir Staatsanwaltschaften und Polizeibe-
amte, die auch durchgreifen können, dann brauchen wir
Straftatbestände, die ihnen helfen, gegen die zu ermit-
teln, die Fairness im Sport mit Füßen treten, dann brau-
chen wir das Strafrecht im Kampf gegen Doping, liebe
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Experten haben uns auch deutlich gemacht, dass
es zum Beispiel ohne die Antidopinggesetze in Frank-
reich oder Italien nicht möglich gewesen wäre, zum Bei-
spiel gegen Doping im Radsport wirklich durchzugrei-
fen . Aufgrund dieses Zusammenhangs habe ich in der
Tat gesagt, Frau Kollegin Künast, dass Sie mit Ihrer Be-
merkung recht haben, dass die ganze Konstruktion nicht
integer ist . Ich habe mich auf die Situation in Russland
und die unzureichende Reaktion des Weltleichtathletik-
verbandes bezogen . Insofern verstehe ich Ihre Position
nicht, dass Sie gleichzeitig gegen strafrechtliche Maß-
nahmen sind und sich nur für sportrechtliche, also nur für
interne Sanktionen aussprechen . Wenn man sagt: „Die
ganze  Konstruktion  ist  nicht  integer“,  dann  kann  man 
doch nicht glauben, dass die sportrechtlichen Sanktionen
plötzlich zu dieser Integrität führen . Wenn man bei ei-
ner Konstruktion, die nicht integer ist, durchgreifen will,
dann muss man vielmehr von außen Maßnahmen ergrei-






(A) (C)



(B) (D)


fen, dann müssen wir das Strafrecht im Kampf gegen Do-
ping anwenden, liebe Freunde .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Das sehen wir an der FIFA!)


Für strafrechtliche Maßnahmen ist es nötig, Rechtsgü-
ter zu benennen, die wir schützen wollen . Wer dopt, der
betrügt und der mindert im Spitzensport die Verdienst-
möglichkeiten von anderen Sportlern, der beschädigt
Vermögensinteressen von Vereinen und Sportveranstal-
tern . Insofern ist es konsequent – das darf nicht überse-
hen werden –, dass wir das Rechtsgut des Vermögens
auch mit dem vorliegenden Anti-Doping-Gesetz schüt-
zen wollen .

Aber wir wollen in der Tat auch das Rechtsgut der
Integrität des sportlichen Wettbewerbs schützen . Ange-
sichts der großen gesellschaftlichen Integrationskraft
des Sports, angesichts von 28 Millionen Mitgliedern des
DOSB und vor dem Hintergrund der großen Aufmerk-
samkeit einer ganzen Nation bei sportlichen Großveran-
staltungen, die ansonsten im digitalen Zeitalter in viele
kleine Teilöffentlichkeiten zerfällt, kann man doch nicht
bestreiten, dass dem Schutz der Integrität des sportlichen
Wettbewerbs eine wachsende Bedeutung zukommt .


(Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!)


Zu Recht investieren wir als der Bund dreistellige Mil-
lionenbeträge in den Spitzensport . Wir wissen, wie wich-
tig erfolgreiche Sportidole als Motivation für Kinder
und Jugendliche sind, um selbst Sport zu treiben . Aber
wenn sich ein Jugendlicher in Zukunft fragt: „Lohnt es
sich, die Strapazen des Trainings auf mich zu nehmen?“, 
dann wollen wir ihm zumindest sagen können: Wenn du
dich anstrengst und wenn du Talent hast, dann hast du im
Sport alle Chancen, weil nur deine Leistung zählt und
nicht die Leistung deiner behandelnden Ärzte oder die
Skrupellosigkeit deiner Betreuer . – Für diejenigen, die
daran glauben, dass es im Sport mit rechten Dingen zu-
geht, brauchen wir Rahmenbedingungen, die es ermögli-
chen, auch durchzugreifen . Deswegen schaffen wir jetzt
eine entsprechende strafrechtliche Vorschrift, liebe Kol-
leginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Adressaten dieses Gesetzes sind ausschließlich Spit-
zensportler, die dem Testpool der NADA angehören oder
in erheblichem Umfang ihre Einnahmen aus dem sport-
lichen Wettbewerb beziehen . Dem wird nun entgegenge-
halten – auch das ist hier heute Morgen gesagt worden –,
auch der Breitensportler dürfe sich doch wohl nicht
dopen und müsse bestraft werden . Natürlich muss auch
Max Mustermann, der beim Berlin-Marathon mit einem
Dopingmittel erwischt wird, bestraft werden und aus dem
Wettbewerb ausscheiden . Aber bei ihm reicht es aus – das
ist wahr –, ihn nach Sportrecht zu sanktionieren . Weder
läuft er beim Berlin-Marathon aus finanziellen Gründen 
mit und würde die Einkünfte seiner Konkurrenten durch
Einnahmen, die er aufgrund von Doping erzielte, schmä-
lern, noch verlieren junge Leute den Glauben an den sau-
beren Sport, wenn Max Mustermann gedopt ist .

Das kann aber eben bei Läufern aus dem Testpool der
NADA schon völlig anders aussehen . Da gucken junge
Läufer schon genau hin, wie sich ihre Vorbilder aus ih-
rem Verein oder dem DOSB-Team schlagen . Da geht es
dann auch schon um Sieg- oder Platzprämien, um Sport-
fördermittel oder Unterstützung durch die Sporthilfe .
Deshalb ist es doch völlig klar: Je mehr ein Sportler für
die Integrationskraft und den Vorbildcharakter des Sports
steht und damit auch Geld verdient, umso mehr muss ihn
die volle Härte des Strafrechts treffen, wenn er dopt und
damit die Ideale des Sports geradezu mit Füßen tritt, lie-
be Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In der Tat: Wir haben neben der Ausweitung des Tatbe-
stands Doping auch auf ausländische Trainingsaufenthal-
te und dem Verzicht auf eine Versuchsstrafbarkeit beim
Besitz von Dopingmitteln wegen der starken Vorverlage-
rung der Strafbarkeit im Rahmen der Ausschussberatun-
gen als Drittes auch die tätige Reue eingeführt . Zu Recht
ist vom Minister erwähnt worden, dass im Strafrecht die
tätige Reue nichts Neues ist . Sie wird insbesondere bei
solchen Delikten vorgesehen, bei denen die Strafbarkeit
bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Tathandlung
gegeben ist . Eine solche tätige Reue muss natürlich frei-
willig und nach außen hin deutlich sichtbar erfolgen .


(Dagmar Freitag [SPD]: Und rechtzeitig!)


Die tätige Reue ist notwendig wegen der besonderen
Konstruktion unseres Gesetzes . Wenn ein Sportler, be-
vor er das Dopingmittel zum ersten Mal einnimmt, sich
dann doch entschließt, den fairen Weg des Sports nicht
zu verlassen und auf rechtmäßige Weise um Siege und
Titel zu kämpfen, dann steht er nämlich vor einem Di-
lemma: Auch wenn er das Dopingmittel zum Beispiel
gegen Quittung bei einer Apotheke abgibt und damit das
Rechtsgut der Integrität des sportlichen Wettbewerbs
nicht tangiert hat, würde er ohne die tätige Reue trotzdem
wegen Besitzes eines Dopingmittels bestraft werden,
weil er diese Deliktsform bereits vollendet hat, indem er
das Mittel zum Beispiel eine Zeit lang bei sich zu Hause
aufbewahrt hat .

Mit der tätigen Reue wollen wir dem sozusagen wan-
kenden Sportler eine Brücke zurück ins gesetzmäßige
Verhalten bauen . Ohne diese neue Vorschrift gäbe es ja
gar keinen Anreiz für einen Sportler, über den Weg zu-
rück zu Fairness und Integrität nachzudenken, weil er ja
wüsste: Wegen Besitzes bist du sowieso dran . – Nein, wir
wollen den Sportlern und Athleten in Deutschland sagen:
Wer sauber bleiben will, dem bieten wir eine Möglich-
keit, zu Fairness und Integrität zurückzukehren . Deswe-
gen ist diese Ergänzung des Gesetzes von großer Bedeu-
tung, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dagmar Freitag [SPD]: Aber ein Freibrief ist es nicht!)


Die Integrität des sportlichen Wettbewerbs – Staats-
sekretär Krings hat darauf hingewiesen – wird nicht nur
durch Doping, sondern auch durch Spielmanipulation
gefährdet . Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass das

Reinhard Grindel






(A) (C)



(B) (D)


Bundesjustizministerium jetzt die Abstimmung mit den
Ländern und Verbänden eingeleitet hat und wir unverzüg-
lich zu einem Kabinettsbeschluss und hier im Bundestag
zu einer Beratung des Gesetzes gegen Spielmanipulation
kommen werden . Wir brauchen den umfassenden Schutz
der Integrität des sportlichen Wettbewerbs, und darauf
haben wir uns auch im Koalitionsvertrag verständigt .

Eine Anmerkung zum Schluss . Wir, zumindest die
Abgeordneten der Koalition, sind davon überzeugt, dass
dieses Gesetz gut ist für den deutschen Sport . Und doch
wissen wir, dass der Deutsche Olympische Sportbund
dieses Gesetz bis heute ablehnt .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Es hört sich da ein bisschen anders an!)


Ich bedauere das . Deshalb sage ich: Ich bin zutiefst da-
von überzeugt, dass es für die Integrität des Sports, seine
Integrations- und Strahlkraft nicht in erster Linie darauf
ankommt, unbedingt immer Gold zu gewinnen .


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Was sagt denn der DFB dazu?)


Vielmehr kommt es darauf an, immer Fairness und An-
stand im Sport zu verwirklichen und auf keinen Fall zu
verlieren . Das ist die Botschaft dieses Gesetzes .

Herzlichen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813707400

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Be-
kämpfung von Doping im Sport . Es liegt mir dazu eine
schriftliche Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unse-
rer Geschäftsordnung vor .1)

Der Sportausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/6677, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/4898 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


1) Anlage 2

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/6687 .


(Unruhe)


– Bleiben Sie bitte noch auf Ihren Plätzen; wir haben
noch Abstimmungen . – Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist damit mit den Stim-
men von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt .

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 28 b . Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Sportaus-
schusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen“. Der 
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf 
Drucksache 18/6678, den Antrag der Fraktion Die Lin-
ke auf Drucksache 18/2308 abzulehnen . Wer für diese
Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte
ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen gibt es keine . Die Beschlussempfehlung des
Ausschusses ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Dem CETA-Abkommen so nicht zustimmen

Drucksache 18/6201

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
höre ich keinen . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Katharina Dröge von Bündnis 90/Die
Grünen das Wort .


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813707500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist noch nicht lange her, dass wir hier im
Bundestag über das Freihandelsabkommen TTIP mit den
USA diskutiert haben . Heute geht es um das Freihan-
delsabkommen CETA mit Kanada . Aus unserer Sicht ist
es auch dringend erforderlich, dass der Bundestag über

Reinhard Grindel






(A) (C)



(B) (D)


dieses Freihandelsabkommen ausführlich und detailliert
diskutiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich möchte Ihnen auch erklären, warum das aus unserer
Sicht so notwendig ist .

Der CETA-Vertragstext liegt mittlerweile schon über
ein Jahr vor . Im August letzten Jahres hat die Bundesre-
gierung uns das ausverhandelte Dokument zugeschickt .
Seitdem ist nur eines klar, nämlich dass nichts klar ist .
Weder wann, weder wo noch was beschlossen wird, ist
bislang klar . Und dazu tragen Sie als Regierung maßgeb-
lich bei .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


So behauptet beispielsweise die Bundesregierung, in
Person des Bundesministers Sigmar Gabriel, dass CETA
nachverhandelt werden könne . Er hat auch auf meine
schriftliche Frage eine Reihe von Punkten genannt, die
die Bundesregierung gerne in diesem Abkommen noch
nachverhandeln möchte . Er nennt das nicht Nachver-
handlung; denn das könnte problematisch sein . Er nennt
das Präzisierung von Rechtsbegriffen, nennt uns dann
aber erhebliche Dinge, die im Rahmen dieser Präzisie-
rung von Rechtsbegriffen noch nachverhandelt werden
sollen . Immerhin sagt er jedoch, dass er am Vertrag noch
etwas ändern möchte .

Gleichzeitig sagt aber die EU-Kommissarin, die für
dieses Thema zuständig ist, dass der Deal closed ist, das
heißt, dass am Abkommen nichts mehr geändert werden
kann.  In  dieser Unsicherheit  befinden wir  uns  jetzt  als 
Bundestag. Und  ich  finde,  es  ist  relevant,  darüber  ein-
mal zu diskutieren . Denn wenn Herr Gabriel recht haben
sollte – wir würden ihn ja darin unterstützen, dass das
Abkommen noch einmal aufgemacht werden sollte, um
entscheidende Punkte zu verbessern –, dann wäre es aber
auch sinnvoll, dass wir hier im Bundestag im Rahmen
dieser Nachverhandlungen beteiligt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aus meiner Sicht geht es nicht, dass sich ein Bundes-
wirtschaftsminister allein so ein paar Punkte ausdenkt,
die er im Rahmen dieses Abkommens bis Dezember oder
Januar – wir wissen ja noch nicht einmal, wie lange diese
Rechtsförmlichkeitsprüfung noch dauern wird – in Brüs-
sel noch irgendwie unterschummeln will, und wir danach
das fertige Ding dann nur noch zur Abstimmung bzw .
zum Abnicken vorgelegt bekommen . Da können wir als
Parlament kein einziges Wort mehr am Vertragstext än-
dern . Wir können dann nur noch Ja oder Nein sagen . Das
ist ein Problem . Deswegen zielt unser Antrag darauf ab,
dass wir als Bundestag beteiligt werden, falls denn Nach-
verhandlungen möglich sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die zweite Konfusion betrifft den Inhalt des Vertrags-
textes . Um die Schiedsgerichte haben wir hier schon
hart gerungen . Sie kennen unsere Position . Wir kennen

mittlerweile die Position von Frau Malmström, wissen
aber auch, dass sie diese Positionen in CETA nicht mehr
verhandeln wird . Ein weiteres unklares Element in die-
sem Abkommen ist aber die Beteiligung der Parlamente,
wenn der Vertragstext einmal abgeschlossen ist .

Laut CETA ist ja ein sogenannter Hauptausschuss
vorgesehen, der die Kompetenz haben wird, in Rück-
kopplung mit dem Europäischen Rat die Anhänge und
Protokolle des Vertragstexts zu ändern . Wir haben die
Bundesregierung gefragt: Wie bewerten Sie das? Darauf-
hin bekamen wir erst die Antwort: Dieser Hauptausschuss
kann auf keinen Fall eigenmächtig, ohne Beteiligung des
Parlamentes, den Vertragstext verändern . – Dann haben
wir noch einmal nachgefragt, haben auf Textstellen in ei-
nem Gutachten verwiesen, haben auch auf Textstellen in
den europäischen Verträgen verwiesen und gesagt: Wenn
man diese Textstellen zugrunde legt, dann ist doch nicht
rechtssicher geklärt, dass das Europäische Parlament
auch beteiligt werden muss .

Es gab einen ziemlich langen Schriftwechsel zwi-
schen uns, also zwischen Frau Haßelmann und der
Bundesregierung . Und irgendwann – genau gesagt, war
es gestern – hat Herr Machnig dann zugegeben: Ja, es
stimmt . In den Verträgen steht tatsächlich, dass es die
Möglichkeit gibt, ein sogenanntes schnelles Verfahren
durchzuführen, bei dem das Europäische Parlament nicht
beteiligt ist .

Das ist keine Art des Umgangs mit dem Parlament .
Wir haben zigmal nachfragen müssen, um eine relevante
Frage zu klären, nämlich die demokratische Beteiligung
von Parlamenten . Die Bundesregierung hatte es entweder
nicht auf dem Schirm oder wollte uns täuschen . Beides
finde ich relevant. Beides finde ich schlimm. Und zu bei-
dem sage ich: So geht man mit einem Abkommen, das
relevante Auswirkungen haben wird, nicht um . Deswe-
gen fordere ich Sie alle auf: Stellen wir uns alle endlich
vernünftig der Debatte . Wir haben einen langen Antrag
mit vielen inhaltlichen Punkten geschrieben .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813707600

Frau Kollegin Dröge, darf ich Sie an die vereinbarte

Redezeit erinnern?


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813707700

Genau . – Leider kann ich


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Nicht noch schneller reden!)


den ganzen Inhalt meines Antrags in drei Minuten nicht
mehr darstellen . Aber meine Kollegin, Frau Höhn, ist
gleich auch noch dran . Sie wird Ihnen dazu noch viele
gute Dinge sagen . Deswegen belasse ich es erst einmal
bei diesen Punkten


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Zum Glück!)


und wünsche mir, dass Sie auch mit uns endlich in die
inhaltliche Debatte einsteigen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Katharina Dröge






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813707800

Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Mark

Hauptmann .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1813707900

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Lie-

be Frau Dröge, Sie reden ja wirklich schnell .


(Zuruf von der LINKEN: Aber gut!)


Das kann Ihnen keiner absprechen . Aber richtig ist das
trotzdem nicht . Wenn Sie sich anmaßen, zu sagen, wir
sollten hier im Deutschen Bundestag doch einmal über
CETA reden, antworte ich: Das machen wir, und das
haben wir bisher auch schon gemacht . Deswegen nutzen
wir diese Debatte natürlich auch gerne als Gelegenheit,
das geradezustellen, was Sie im Hinblick auf die Empö-
rungsindustrie der Anti-TTIP- und Anti-CETA-Bewe-
gung gerade wieder gesagt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE] – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist eine Frechheit!)


– Nein, es ist keine Frechheit, es ist die Wahrheit .


(Zurufe von der LINKEN)


Frau Kollegin Dröge, Sie sind der gleiche Jahrgang
wie ich . In den 1980er-Jahren war die Welt, die wir heute
sehen, noch eine andere .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Da haben Sie Glück! Es gibt auch gute Dinge!)


Deutschland, Europa und die westliche Welt hatten wirt-
schaftlichen Kontakt zu ungefähr 800 Millionen Men-
schen . Heute beteiligen sich durch die Globalisierung
fast 8 Milliarden Menschen an diesem Austausch . Nur
Nordkorea glaubt, man müsse oder brauche sich nicht
daran zu beteiligen .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Die sind wegen Hunger ausgeschlossen!)


Mit CETA und TTIP, die ja von Ihnen gerne in einem
Atemzug genannt werden, beanspruchen wir, diese Glo-
balisierung aktiv gestalten zu wollen, und wir wollen mit
CETA und TTIP die Globalisierung mit westlichen Stan-
dards gestalten .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wow! Die Erde ist eine Scheibe! – Weiterer Zuruf des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE])


Das ist letztendlich der Grund, warum wir mit Kanada
und warum wir mit den USA verhandeln .

Ich sage Ihnen, Herr Ernst, und auch Ihren Kollegen –
und das wissen Sie ganz genau, weil auch Sie sich damit
befassen und auch Ihr Horizont durchaus ausreicht, um
die internationalen Bedingungen zur Kenntnis zu neh-
men –: Wenn wir nicht handeln, wenn wir als Europäer
mit den Amerikanern und den Kanadiern keine Regelung

finden, wenn wir als westliches Wertebündnis keine Re-
gelung finden, 


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Papst Franziskus erzählt mal etwas über die westlichen Standards!)


dann machen es andere – China und andere Akteure –,
und dann sind wir gezwungen, nach deren Standards zu
handeln . Das kann nicht in unserem Interesse liegen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Sehr geehrte Damen und Herren, 40 Handelsabkom-
men verhandelt die EU bzw . hat sie schon verhandelt .
Derzeit werden noch für 12 Handelsabkommen Verhand-
lungen geführt . Kollegin Dröge hat es richtig gesagt: Seit
2014 liegt ein konsolidierter Text für das Abkommen
zwischen Europa und Kanada vor . Jetzt geht es eben dar-
um, in diesem Prozess des Legal Scrubbing den Vertrag-
stext in die einzelnen Sprachen zu übersetzen; denn nicht
nur in Europa, sondern auch in Kanada werden mehrere
Sprachen gesprochen .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: In Deutschland haben wir auch zwei Sprachen!)


Übrigens: 70 Prozent der kanadischen Bevölkerung
sind für CETA .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Haben Sie die gefragt?)


Ich glaube, das ist ein deutlicher Beweis dafür, dass
CETA nicht nur in den verschiedenen Mitgliedstaaten
Europas von einer breiten Unterstützung getragen wird,
sondern dass es eben auch in Kanada einen Willen gibt,
mit Europa zusammen verschiedene Positionen in Ein-
klang zu bringen .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Warum haben die eine Regierung gewählt, die dagegen ist? Warum haben die eine Regierung abgewählt, die dafür war? – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Warum haben sie dann die Regierung abgewählt?)


– Herr Kollege, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen
möchten, dann tun Sie das ruhig . Aber sich einfach nur
zu empören, bringt nichts; denn Ihr Dazwischenbrüllen
macht die Debatte nicht leichter . Sie sorgen mit Ihrem
Dazwischenbrüllen lediglich dafür, dass die Debat-
te nicht versachlicht werden kann . Das ist letztendlich
der Punkt, den wir hier anmerken: Wir müssen zu mehr
Sachlichkeit zurückkommen .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813708000

Herr Kollege Hauptmann, nach dieser Aufforderung

hat sich der Kollege Dehm sofort gemeldet . Gestatten Sie
eine entsprechende Zwischenfrage?


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Schon im Freizeitlook!)



Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1813708100

Gerne . Ich habe es ihm ja angeboten .






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813708200

Wer nicht hören will, muss fühlen .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ein bisschen hemdsärmelig!)


Deswegen stelle ich die Frage, zu der Sie mich aufgefor-
dert haben .

Wenn das mit den 70 Prozent Zustimmung so zutrifft,
wie erklären Sie sich denn dann, dass die Kanadier eine
Regierung zum Teufel gejagt haben, die für CETA war,
und jetzt eine Regierung gewählt haben, die dagegen ist?


Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1813708300

Herr Kollege, wir haben letzte Woche wieder Par-

lamentarier aus Kanada zu Gast gehabt . Wir stehen im
regelmäßigen Austausch mit den Kollegen in Kanada .
Sowohl unsere Kollegen im kanadischen Parlament als
auch 70 Prozent der Bevölkerung, wie ich es gerade
gesagt habe, befürworten CETA . Das war das Ergebnis
einer repräsentativen Umfrage der kanadischen Handels-
kammer .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, die Handelskammer!)


Von daher zeigt das deutlich, dass innerhalb der Bevölke-
rung ein starkes Maß an Unterstützung da ist . Und diese
Unterstützung sollten wir nutzen, auf beiden Seiten des
Atlantiks .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte zurückkehren zu dem Prozess, den Sie
angemahnt haben, nämlich dass wir Veränderungen bei
CETA bräuchten und jetzt das Paket noch einmal auf-
schnüren müssten . Frau Kollegin Dröge, wir haben ein
ausformuliertes und ausverhandeltes Programm . Wenn
wir jetzt dieses Paket aufschnüren und in einem entspre-
chenden Prozess neu verhandeln, dann kommen wir nie
zu einem Ergebnis .


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Das will sie auch gar nicht!)


Sie wissen doch hoffentlich, dass auf der anderen Sei-
te der Welt, nämlich in Asien, mit den Verhandlungen zur
Transpazifischen Partnerschaft schon Fakten geschaffen 
werden .


(Zurufe des Abg . Dr . Axel Troost [DIE LINKE])


Das heißt, die Welt um uns herum schläft nicht; Asien
handelt . Es gibt weitere Abkommen mit ASEAN+6, also
mit den ASEAN-Staaten plus China, Japan, Südkorea
und anderen . All diese Länder werden in den nächsten
Jahren globale Standards setzen, wenn wir als Europäer
uns immer wieder zerstreiten, immer wieder Pakete auf-
schnüren wollen, immer wieder das bereits Verhandelte
infrage stellen . Das kann nicht unser Anspruch sein .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie wollen nicht nachverhandeln!)


Vielmehr brauchen wir in Zukunft einen Startpunkt . Die-
ser Startpunkt für CETA ist jetzt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Warum mit Kanada? Kanada ist der zweitgrößte Flä-
chenstaat der Welt, die elftgrößte Volkswirtschaft und
einer der wohlhabendsten Staaten, aber vor allem einer
unserer wichtigsten Wertepartner . Die EU-Direktinves-
titionen in Kanada betrugen 136 Milliarden Euro und
machten damit ungefähr 28 Prozent der Auslandsinves-
titionen in Kanada aus . Für diese Investitionen brauchen
wir natürlich auch Rechtssicherheit .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ist Kanada eine Bananenrepublik und kein Rechtsstaat, oder was? Unglaublich!)


Dann komme ich zu dem Punkt, den Sie immer wie-
der gerne ansprechen: Investor-Staat-Schiedsverfahren .
Auch hier mahne ich Sie zu einer Versachlichung der
Debatte . Wir als Deutsche haben doch den Investitions-
schutz geradezu erfunden .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber nicht mit Kanada!)


1959 haben wir mit dem ersten Abkommen zwischen
Deutschland und Pakistan


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eben!)


quasi den Investitionsschutz für deutsche Unternehmen
im Ausland erfunden . Insgesamt haben wir 140 Abkom-
men zum Investitionsschutz geschlossen .

Im Rahmen dieser Abkommen haben deutsche Un-
ternehmer in 70 Fällen im Ausland gegen andere Staa-
ten geklagt und ungefähr 50 Prozent dieser Fälle auch
gewonnen . Drei Verfahren wurden gegen Deutschland
geführt; eines endete mit einem Vergleich, in zwei Ver-
fahren gibt es bisher noch keine Entscheidung . Das heißt
einerseits, Deutschland hat bis jetzt noch nie einen Pro-
zess verloren, hat aber auf der anderen Seite mit den Ver-
fahren vor Schiedsgerichten dafür gesorgt, dass die Inte-
ressen unserer Unternehmen, die im Ausland investieren,
gewahrt werden konnten . Deswegen sind wir der festen
Überzeugung, dass Schiedsgerichtsverfahren notwendig
sind, um ausländische Investitionen zu ermöglichen und
bei Enteignungen, zu denen es in der Vergangenheit im-
mer wieder gekommen ist, dass also ausländische Firmen
von den jeweiligen Staaten enteignet wurden – -


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813708400

Herr Kollege Hauptmann, gestatten Sie noch eine

Zwischenfrage des Kollegen Lenkert?


Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1813708500

Nein . Ich habe bereits eine Frage zugelassen . – Der

Punkt ist somit, dass die Firmen nach einer Enteignung
eine Entschädigung bekommen . Das wird letztendlich
über Schiedsgerichtsverfahren geregelt . Deswegen sind
sie unglaublich wertvoll . Es ist wichtig, dass wir es im
Rahmen von CETA bei den vorgesehenen Schiedsgerich-
ten belassen .






(A) (C)



(B) (D)


Auch Sie wissen, dass CETA ein moderner Vertrag ist .
CETA sieht die Möglichkeit vor, die Anforderungen der
Globalisierung in den nächsten Jahren zu berücksichti-
gen . Der Vertragstext ist also nicht in Stein gemeißelt,
sondern kann in den nächsten Jahren noch Veränderun-
gen erfahren . Das ist aus Sicht unserer Fraktion eine
sehr moderne Vertragsgestaltung . Daraus ergibt sich aber
auch, dass wir einen Startpunkt brauchen, um gemein-
sam auf Grundlage unseres Wertefundaments für freien
Handel und auch – liebe Kollegen der Grünen – für fai-
ren Handel zu sorgen . Fairer Handel ist ohne Freihandel
nicht möglich . Von daher werben wir für CETA und wer-
ben wir für TTIP .

Mit CETA schaffen wir letztendlich eine elementare
Grundlage für mehr Freihandel . Wenn wir dem Antrag
der Grünen folgten, dann würden wir diese Chance gera-
dezu verpassen . Wir würden die Verhandlungserfolge, die
bisher erzielt worden sind, gefährden und dafür sorgen,
dass die weltweiten Standards sich nicht nach uns, sich
nicht nach Europa, sich nicht nach dem transatlantischen
Wertebündnis, sondern nach anderen Staaten richten .

Der globale Welthandel ist doch unsere Arena .
Deutschland als Exportnation – wir sind Exportwelt-
meister! – ist darauf angewiesen, in dieser Arena handeln
zu können . Mit Ihrem Antrag würde man den Export-
weltmeister Deutschland vom Platz stellen .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ein Quatsch! Ist ja unglaublich!)


Das können wir nicht gutheißen . Daher werben wir für
CETA und für TTIP .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813708600

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege

Klaus Ernst .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813708700

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Prä-

sident! Ich habe hier ein Argument gehört, Herr Haupt-
mann, das so daneben ist, dass ich darauf eingehen muss .
Sie sagen, wenn man den Antrag annähme, würde man
ausländische Investitionen verhindern . Fakt ist: Wir
haben momentan kein Handelsabkommen mit Kanada –
auch keines mit den USA –, und trotzdem haben wir eine
Vielzahl von Investitionen der Kanadier bei uns und von
uns bei den Kanadiern . Ich bitte Sie, doch wenigstens die
Realität zur Kenntnis zu nehmen und hier nicht so einen
Unsinn zu erzählen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813708800

Herr Kollege Ernst, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Hauptmann?


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813708900

Auf die freue ich mich ganz besonders .


Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1813709000

Herr Kollege Ernst, eines werden wir natürlich nicht

infrage stellen: Das sind die Realitäten . Natürlich gibt es
Investitionen . Das will doch gar kein Mensch bestreiten .
Es geht aber um das Mehr an Investitionen, um zusätzli-
che Impulse, darum, Zölle abzuschaffen,


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Lesen Sie mal die Studien dazu!)


weltweit gemeinsame Standards zu etablieren .

Schauen Sie sich das doch bei den Automobilen an:
Wir haben heute hohe Zölle, wenn Automobile deutscher
Unternehmen aus den USA nach Deutschland zurückge-
führt werden; und wenn deutsche Lkw nach Nordameri-
ka exportiert werden, fällt eine Zollbelastung von 25 Pro-
zent an .


(Zurufe von der LINKEN und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das sorgt natürlich dafür, dass wir keine Mehrinvestiti-
onen haben . Von daher frage ich: Wie halten Sie es mit
zusätzlichen Mehrinvestitionen, durch die übrigens auch
mehr Arbeitsplätze entstehen würden?


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Gott, die alte Leier! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, Mann!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813709100

Herr Hauptmann, ich glaube, Sie haben den Sinn die-

ser Handelsabkommen noch gar nicht richtig begriffen .
Es geht nicht nur um den Abbau von Zöllen . Das wären
ja die tarifären Handelshemmnisse .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das ist ein Baustein!)


Sinn der Handelsabkommen ist der Abbau von nichttari-
fären Handelshemmnissen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das ist ein Baustein!)


Nichttarifäre Handelshemmnisse sind nach dem allge-
meinen Verständnis Regelungen, Herr Hauptmann:


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Und Standards!)


Regelungen des Arbeitsschutzes, Regelungen des Um-
weltschutzes, Regelungen des Verbraucherschutzes . Da-
bei geht es zum Beispiel um die Frage, welche Chemie in
dem jeweiligen Land verwendet werden darf und welche
nicht, welche Substanzen in Medikamenten zugelassen
werden und welche nicht . Das ist der eigentliche Sinn
dieser Handelsabkommen .


(Beifall des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mark Hauptmann






(A) (C)



(B) (D)


Es geht also überhaupt nicht um Ihre Zölle . Die Zölle
kann man von mir aus abbauen; das ist nicht das Prob-
lem . Es geht darum, dass diese Handelsabkommen dazu
dienen sollen, die Standards


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Hochzuhalten!)


in Europa, in Kanada und übrigens auch in den USA ab-
zusenken .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Quatsch! Herr Ernst, das ist eine Lüge!)


Ich würde Sie bitten, das zur Kenntnis zu nehmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


– Ich werde Ihnen das gleich noch beweisen .

Jetzt kommen wir zur Transparenz .


(Zuruf des Abg . Mark Hauptmann [CDU/ CSU])


– Sie können weiter brüllen, Sie können aber auch noch
eine Frage stellen . Ich bin gerne bereit, sie zu beantwor-
ten .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Totaler Blödsinn!)


Meine Damen und Herren, gestern waren wir mit dem
Ausschuss für Wirtschaft in Brüssel . Dort haben wir Frau
Malmström getroffen . Sie hat gesagt, dass die Transpa-
renz, also was die Einbeziehung der Bürger angeht, bei
diesen Fragen vorbildlich sei .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Da habe ich wirklich gedacht: Sie lebt auf einem anderen
Stern .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Du lebst auf einem anderen Stern!)


Das CETA-Abkommen ist – das wissen Sie alle, die
Sie hier sitzen – ohne jegliche Beteiligung der europä-
ischen Parlamente verhandelt worden . Keiner, der hier
sitzt, auch Sie nicht, hat die Chance gehabt, auch nur ein
Komma oder einen einzigen Buchstaben in diesen Ver-
trägen zu beeinflussen. Jetzt gucken wir einmal, was un-
ser Parlamentspräsident, Herr Lammert, dazu gesagt hat .
Er hat gesagt – Zitat –:

Ich halte es für ausgeschlossen, dass der Bundes-
tag einen Handelsvertrag zwischen der EU und den
USA

– darum ging es in dem Fall –

ratifizieren wird, dessen Zustandekommen er weder 
begleiten  noch  in  alternativen Optionen  beeinflus-
sen konnte .

Was bei TTIP gilt, das muss doch wohl auch für CETA
gelten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei CETA hat er nichts beeinflussen können. Wenn Sie 
den Bundestagspräsidenten ernst nehmen und nicht zu
einer Witzfigur machen wollen, dann müssen wir als Par-
lament unsere Rechte ernst nehmen und dürfen uns nicht
kleinmachen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann müssen wir CETA ablehnen, weil wir nicht betei-
ligt waren .

Es gibt übrigens einen sehr aktuellen Vorschlag – ich
weiß nicht, ob Sie ihn schon gesehen haben –: Es sollen
Leseräume eingerichtet werden, nicht mehr in der Bot-
schaft der USA, sondern in Ministerien . Haben Sie das
einmal gelesen? Die Regeln, die für diejenigen vorgese-
hen sind, die Dokumente einsehen wollen, erinnern mich
an die Regeln, die gelten, wenn man einen Einsitzenden
besucht: Sicherheitspersonal muss anwesend sein; Name,
Besuchszeit und konsultierte Dokumente – Texte, die die
Europäische Union verhandelt – werden notiert; Handys
und sonstige elektronische Geräte müssen abgegeben
werden; eine Verpflichtungserklärung zur Einhaltung der 
Regeln muss unterschrieben werden;


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Alles sinnvoll!)


es ist nur erlaubt, Notizen zu machen; aber über diese
Informationen darf nicht gesprochen werden . Meine Da-
men und Herren, da gibt es nur noch eine Steigerung:
Panzerglas zwischen dem Besucher und dem Dokument .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und das soll transparent sein?

Im Übrigen empfehle ich Ihnen, auch meinen Kolle-
gen von der SPD, die gestern dabei waren: Schauen Sie
sich die heutige Stellungnahme der Europäischen Union
an . Darin steht, dass das gar nicht für die Abgeordneten
gilt . Es gilt für die Minister; es gilt für das Regierungs-
personal . Diese sollen sich behandeln lassen, als würden
sie einen Verbrecher besuchen, wenn sie Dokumente ein-
sehen wollen . Wenn wir in diesem Parlament noch ein
bisschen Selbstbewusstsein haben, dann müssen wir sol-
che Vorgänge ablehnen; denn sonst machen wir uns zum
Büttel der Europäischen Union .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813709200


Herr Kollege Ernst, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Wiese?


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813709300


Sehr gerne .

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1813709400

Sehr geehrter Herr Kollege Ernst, vielen Dank, dass

Sie die Zwischenfrage zulassen . Ich diskutiere immer
gerne mit Ihnen .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist meistens sinnlos!)


Wir waren gestern zusammen in Brüssel und haben
gehört, dass Kommissarin Malmström gesagt hat, dass
sich im Hinblick auf den Zugang von uns Abgeordneten
etwas ändern soll . Ich gebe Ihnen in diesem Punkt völlig
recht:


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Das, was jetzt auf den Weg gebracht worden ist, ist noch
nicht befriedigend . Auch ich möchte die Dokumente
gerne bei mir im Büro auf meinem Schreibtisch liegen
haben .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Kriegen wir ja nicht!)


Auch ich möchte nicht als Bittsteller momentan zur
US-Botschaft gehen, klingeln und sagen, dass ich Ein-
blick in konsolidierte Dokumente haben möchte . Darum
bin ich mit der momentanen Situation nicht zufrieden .

Sie haben gerade aus einem Dokument zitiert, das die
Kommission veröffentlicht hat . Aber es gibt zwei Doku-
mente: 356/15 und 358/15 . In diesem Dokument werden
die Punkte angesprochen, die Sie gerade beschrieben
haben .

Ich habe fast den Eindruck, dass Sie noch nie in der
Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages gewe-
sen sind .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813709500

Doch, doch! Da war ich .


Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1813709600

Auch dort muss man sich anmelden, auch dort sitzt

jemand im Nebenraum, und man muss sein Handy ab-
geben,


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es!)


aber man darf sich Notizen machen .


(Zuruf von der LINKEN)


– Das Handy muss man abgeben . Das ist wirklich so .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Nein, stimmt nicht!)


– Man muss es abgeben . – Dort können Sie übrigens
auch die Klageschrift der Bundesregierung gegen Vat-
tenfall lesen .

In dem von mir angesprochenen Dokument – dieser
Punkt ist mir wichtig – steht nicht, dass nur Minister
und Beamte Zugang zu den Dokumenten haben . Es liegt
allerdings nur die englische Fassung vor; darüber kann
man streiten – zwei Juristen, drei Meinungen . Aber mei-
ne erste Frage lautet: Stellen Sie fest, dass es langsam
in die richtige Richtung geht und dass die langsamen

Schritte sowohl der Bundesregierung als auch dem Bun-
destagspräsidenten zu verdanken sind, die immer wieder
versuchen, zu intervenieren? Die deutsche Botschaft hat
zuletzt am Donnerstagabend in Washington förmlich in-
terveniert, um noch einmal Druck zu machen . Wann hat
die Linkspartei einmal einen Brief an Frau Malmström
geschrieben, um Einsicht in die Dokumente einzufor-
dern?

Meine zweite Frage, die ich Ihnen noch stellen möch-
te . Sollten wir in der nächsten Woche Zugang zu den
Räumen bekommen, sei es im Wirtschaftsministerium,
sei es im Arbeitsministerium: Versprechen Sie mir, dass
wir dann zusammen hingehen und die Dokumente lesen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813709700

Zum letzten Teil Ihrer Frage: Ja . Aber ein Problem ist,

dass ein großer Teil der Abgeordneten die Dokumente
nicht lesen kann, weil sie kein Englisch können; die Do-
kumente sind nämlich auf Englisch verfasst .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Mein Gott!)


Das ist das erste Problem: Wenn wir hier Vereinbarungen
treffen


(Hubertus Heil doch einen Sprachkurs, Mensch!)


und ein Teil der Abgeordneten faktisch ausgeschlossen
ist, dann ist das nicht transparent .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Herr Ernst, es gibt Sprachkurse!)


Jetzt komme ich zu den von Ihnen genannten Stel-
lungnahmen der Europäischen Kommission . Ja, es gibt
zwei Dokumente . In dem einen sind die Verfahren ge-
regelt; von den Verfahren sind die Parlamentarier nicht
betroffen . Heute liegt eine zweite Stellungnahme vor . In
dieser Stellungnahme heißt es eindeutig, dass dies nur
die Ministerien betrifft, dass allerdings die nationalen
Parlamente entsprechend ihrer Gesetzgebung Regelun-
gen treffen können . Das ist interessant; denn Frau Malm-
ström hat uns gestern etwas ganz anderes erzählt . Sie hat
uns erzählt: Jetzt gibt es die große Offenheit für Abge-
ordnete . – Aber ich kann nicht feststellen, dass es diese
Offenheit gibt .

Jetzt komme ich zur Geheimschutzstelle . Ja, auch ich
bin der Auffassung: In einem Parlament muss es eine
Geheimschutzstelle geben . Aber hier stellt sich doch
eine ganz andere Frage: Warum werden Dokumente, die
500 Millionen Bürger in Europa betreffen, als Geheimsa-
che behandelt und selbst vor den Parlamentariern geheim
gehalten?


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist doch die Frage, lieber Kollege, die wir uns stellen
müssen .

Es geht um den Umgang mit uns in diesen Verfahren .
Die Verhandlungen über CETA sind lange abgeschlos-
sen, über TTIP wird seit Jahren verhandelt, aber wir






(A) (C)



(B) (D)


Parlamentarier werden nach wie vor von den wichtigen
Dokumenten ferngehalten . Das ist ein Skandal . Ich bin
der Auffassung – ich hoffe, dass ich Sie und viele in der
SPD dabei als Partner habe –, dass wir uns dagegen weh-
ren müssen . Wir dürfen jetzt nicht kuschen . Das ist die
Aufgabe, vor der wir stehen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Allerdings sind die Verträge nicht nur wegen der Ge-
heimhaltung, sondern auch wegen ihres Inhalts abzuleh-
nen .

Nun komme ich zur Union . Sie und auch die EU
behaupten permanent, es gebe keinen Abbau von Stan-
dards . Aber genau das ist doch das Ziel der Abkommen .
Wenn dies nicht so wäre, lieber Kollege Hauptmann,
meine Damen und Herren, warum sind dann unsere Bun-
desregierung und auch viele in der Öffentlichkeit der
Auffassung, dass bestimmte Bereiche von diesen Verein-
barungen ausgenommen werden müssen? Warum wollen
wir bestimmte Dinge ausnehmen? Wenn es überall nur
aufwärtsginge, müssten wir ja alle Bereiche einbeziehen,
damit es besser wird als vorher . Nein, bestimmte Berei-
che sollen explizit ausgenommen werden: Daseinsvor-
sorge soll ausgenommen werden, Kultur soll ausgenom-
men werden, öffentliche Wohlfahrt soll ausgenommen
werden . Warum?


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Um Wettbewerb geht es!)


Wenn diese Verfahren einen anderen Charakter hätten,
müssten sie nicht ausgenommen werden . Allein die Tat-
sache, dass wir selber dafür kämpfen, einzelne Bereiche
aus dieser Liberalisierung, aus dieser Vereinheitlichung
auszunehmen, ist der Beweis dafür, dass die Verträge
in Richtung Abbau von Standards gehen . Deshalb ist es
richtig, sie abzulehnen .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Martin Rosemann [SPD]: Da geht es um Wettbewerb!)


Ich komme zum Schluss . Ich möchte Ihnen sagen: Ver-
antwortlich für diese Abkommen ist momentan die Euro-
päische Union, die sie verhandelt . Aber im Hintergrund
stehen die europäischen Regierungen . Deshalb müssen
wir in den nationalen Parlamenten Position beziehen .
Wenn wir dies nicht tun, sind auch wir als Parlamente
dafür verantwortlich, dass vor privaten Schiedsgerich-
ten geklagt wird . Sie gelten nach wie vor in CETA, und
wenn sie in CETA enthalten sind, haben die Amerikaner
über Kanada die Möglichkeit, uns zu verklagen . Deshalb
müssen wir dafür sorgen, dass das abgelehnt wird . Wenn
es nicht abgelehnt wird, wird es dazu führen, dass wir
mitverantwortlich sind, wenn Regierungen vor diesen
Schiedsgerichten verklagt werden und letztendlich die
deutschen und europäischen Steuerzahler für das zahlen
müssen, was andere versauen .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813709800

Nächster Redner ist der Kollege Bernd Westphal für

die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1813709900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lie-
ber Kollege Klaus Ernst, wir haben heute einen Antrag
der Grünen auf der Tagesordnung, der sich mit CETA
beschäftigt, also mit dem schon ausgehandelten Abkom-
men der EU mit Kanada; darüber haben wir zu diskutie-
ren . Sie haben hier eben eine ganze Zeit über TTIP und
über Transparenz gesprochen . Da gehe ich ja mit . Aber
das hat nichts mit diesem Tagesordnungspunkt zu tun .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Am Thema vorbei!)


Von daher: Thema verfehlt, setzen, sechs .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Aber die sind sinnverwandt!)


Der Antrag der Grünen fasst noch einmal die Kritik
zusammen, die die Fraktion an dem Freihandelsabkom-
men zwischen der EU und Kanada hat .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813710000

Herr Kollege Westphal, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Ernst?


Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1813710100

Selbstverständlich .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So kommst du heute nie zu dem Geburtstag deiner Frau! – Heiterkeit)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813710200

Bernd – wir sind ja per Du; ich darf das so sagen –,

ich habe doch deutlich dargestellt – deshalb habe ich sehr
wohl zum Inhalt gesprochen –, dass dieses Parlament
bei CETA, also bei dem Handelsabkommen mit Kana-
da, in keiner Weise beteiligt war . Ich habe die Position
des Präsidenten des Deutschen Bundestages angeführt,
der gesagt hat: Dann müsste man so ein Abkommen ei-
gentlich ablehnen . Er kann sich nicht vorstellen, dass so
zugestimmt wird . Daher habe ich doch bitte schön zum
Thema gesprochen .

Ich habe auch zum Thema gesprochen, Kollege
Westphal, lieber Bernd, als ich gesagt habe: Bei diesen
Abkommen geht es im Kern darum, dass dereguliert wer-
den soll . Genau das ist ja in CETA enthalten . Auch der
Investorenschutz ist in CETA enthalten . Genau darüber
diskutieren wir . Ich habe zum Schluss noch einmal da-
rauf hingewiesen,


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Das wird nicht besser, wenn es wiederholt wird!)


Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


dass, wenn wir den Investorenschutz bei CETA bekom-
men, wir ihn automatisch mit Amerika bekommen, weil
sehr viele amerikanische Unternehmen in Kanada sind .
Sie können das Abkommen nutzen, um europäische Staa-
ten zu verklagen . Daher habe ich doch bitte schön zum
Thema gesprochen .

Mich würde interessieren: Wie seht ihr das? Seid ihr
gegen CETA, wenn private Schiedsgerichte enthalten
sind, oder seid ihr dafür? Diese Antwort seid ihr als Sozi-
aldemokraten schuldig .


Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1813710300

Ich bin ja erst am Anfang meiner Rede . Von daher

komme ich gleich dazu .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Aber der Anfang war schon schlecht!)


Aber ich will zu der Frage Stellung nehmen .


(Rainer Spiering [SPD]: Er hat gar keine Frage gestellt! – Zuruf des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


– Jetzt musst du auch zuhören, wenn ich antworte . – Die
Frage war ja, inwieweit der Bundestag beteiligt ist . Wir
haben ja die Freihandelsabkommen auf europäischer
Ebene delegiert . Das heißt, der Bundestag ist gar nicht
Verhandlungsführer, auch nicht das Europäische Par-
lament, sondern die EU-Kommission . Dieser Vertrag
musste erst einmal ausgehandelt werden . Er liegt jetzt
vor und wird übersetzt . Wenn es ein gemischtes Abkom-
men ist – wir gehen davon aus, dass es so ist –, dann wird
sich dieses Parlament damit beschäftigen . – So weit die
Antwort auf Ihre Frage .

Die Verhandlungen zum Abkommen CETA sind seit
dem 26 . September 2014 abgeschlossen . Das sage ich,
damit auch dies klar ist . Es ist im Grunde genommen
schon verhandelt und liegt vor . Derzeit läuft die Rechts-
förmlichkeitsprüfung, das sogenannte Legal Scrubbing,
und dementsprechend auch die Übersetzung . Wahr-
scheinlich wird es im ersten Halbjahr 2016 in deutscher
Sprache vorliegen . Wir sind einer Meinung, dass es si-
cherlich ein Anspruch ist, den Parlamentarier haben kön-
nen, dass solch ein kompliziertes Vertragswerk in deut-
scher Sprache vorliegt .

Abgesehen davon bitte ich um mehr Vertrauen, was
das Europäische Parlament betrifft . Auch dort gibt es
klare Positionierungen . Ich bitte auch darum, den Kolle-
gen Bernd Lange zu unterstützen, der eine hervorragende
Arbeit macht, für Aufklärung sorgt und die Dinge dar-
stellt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch in Kanada hat es Veränderungen in der Regierung
gegeben . Der neue Premierminister Justin Trudeau – er
ist seit dem 4 . November dieses Jahres, also sehr frisch,
im Amt – hat sich für dieses Freihandelsabkommen aus-
gesprochen . Nun muss sich auch die EU-Kommission
den strittigen Fragen zuwenden . Wir haben gestern zu-
mindest erreichen können – du hast die Verhandlungen
und Gespräche mit der EU-Kommission erwähnt –, dass

uns die für Handel zuständige Kommissarin Malmström
versichert hat, dass sie der kanadischen Regierung die
entsprechenden Punkte schriftlich mitgeteilt hat . Wir
erwarten, dass wir zumindest hier Fortschritte erreichen
werden .

Was die kanadische Seite angeht, hatten wir heu-
te Morgen in der Diskussion mit der Botschafterin von
Kanada noch einmal die Möglichkeit, darauf hinzuwei-
sen, dass wir, gerade was den Investitionsschutz angeht,
eine Weiterentwicklung brauchen . Die Vorschläge, die
die SPD im Hinblick auf einen Internationalen Handels-
gerichtshof entwickelt hat, könnten hier aufgenommen
werden, nicht in einem neuen Verfahren, sondern im
Rahmen der Weiterentwicklung dieses Abkommens .

Ich will zwei inhaltliche Punkte ansprechen, die
in dem Antrag der Grünen erwähnt werden . Sie, Frau
Dröge, haben eben ausgeführt, was in Kapitel 10 und 11
des CETA-Abkommens hinsichtlich der Ausnahmen für
die kommunale Ebene vereinbart ist und welche Vorbe-
halte die Anhänge I und II bezüglich der kommunalen öf-
fentlichen Dienstleistungen enthalten . Im Antrag werden
Bedenken geäußert, der CETA-Hauptausschuss könne
die Negativliste verändern . Ich muss Ihnen sagen, dass
das falsch ist . Das, was Sie in dem Antrag formulieren,
ist widerlegt . Der Hauptausschuss hat keine Befugnis,
die in Anhang I und II genannten individuellen Vorbehal-
te der Mitgliedstaaten im Bereich der Dienstleistungen
eigenmächtig zu verändern; er kann lediglich Empfeh-
lungen aussprechen . Deshalb ist das, was Sie auf Seite 6
Ihres Antrags formulieren, falsch; Dirk Wiese hat gleich
sicherlich noch Gelegenheit, darauf näher einzugehen .
Wir haben im GATS-Abkommen übrigens seit 20 Jahren
solche Regelungen und bis heute keine Probleme damit .

Was die Vereinbarkeit mit dem Inhalt des Freihan-
delsabkommens angeht, ein zweiter inhaltlicher Punkt .
Im Antrag wird einerseits Kritik daran geäußert, dass
Mechanismen vorgesehen sind, die ein nachträgliches
Verändern und Anpassen, also ein sogenanntes Living
Agreement, verlangen . Andererseits kritisieren Sie, dass
das Abkommen als gesetzgeberische Momentaufnahme
einzementiert würde und dadurch präjudizierende Wir-
kung haben könnte, Stichwort „Urheberrecht“. 


(Zuruf von der CDU/CSU: Widerspruch!)


Sie müssen sich schon entscheiden, für welche Variante
Sie hier sprechen . Ich denke, man sollte die Möglichkeit
haben, neue Erkenntnisse in ein Living Document ein-
fließen zu lassen. Das erfüllt dieses Abkommen.

Die Diskussion über Freihandelsabkommen ist wich-
tig . Durch die breite Diskussion, die wir auch öffentlich
führen, wird deutlich, dass es eine ganze Menge Chancen
gibt, den Freihandel auch global voranzubringen . Wir
müssen nur die Vorteile für uns, für unseren Standort er-
kennen . Manche, auch auf Brüsseler Ebene, schütteln nur
noch den Kopf, wenn sie hören, welche Argumente teil-
weise aus einem so großen Exportland wie Deutschland
angeführt werden und dass man Freihandelsabkommen
gegenüber hier sehr kritisch eingestellt ist . Wir haben
unseren Nutzen von solchen Abkommen, was Beschäf-
tigung, Innovation und Freihandel angeht . Gestern haben
wir sogar mit Vertretern der katholischen Kirche disku-

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


tiert, die auch die Impulse für eine globale Regulierung
der Märkte gesehen haben .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813710400

Herr Kollege Westphal, denken Sie an die Redezeit?


Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1813710500

Letzter Satz, Herr Präsident . – Der globale Handel

muss nicht nur frei, sondern auch fair sein . Daran werden
wir als Sozialdemokraten arbeiten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813710600

Jetzt hat der Kollege Peter Beyer für die CDU/CSU

das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1813710700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit
etwas Positivem beginnen, und zwar mit dem Titel des
Antrags der Grünen . Er bringt nämlich zum Ausdruck,
dass es einen gewissen Lernprozess gegeben hat . Hieß
es in den letzten Anträgen zum Thema CETA noch, man
wolle den Gesetzentwurf komplett ablehnen, so heißt es
jetzt: So ist nicht zuzustimmen . – Ich denke, wenn wir
noch etwas mehr Debatten führen, kommen wir da viel-
leicht ein gutes Stück vorwärts, sodass auch dieser Lern-
prozess noch weiter fortschreitet. Ich finde, das ist eine 
gute Sache .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir immer so gesagt! Sie haben die anderen Anträge nur nicht gelesen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813710800

Herr Beyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kol-

legin Dröge?


Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1813710900

Im Moment nicht, vielleicht hinterher .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


– Es gab schon so viele schöne Zwischenfragen . Wir
können uns gleich sehr gerne noch einmal austauschen .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von mir noch keine einzige!)


Vielleicht ist das Ganze ja auch ein positiver Ausfluss 
aus der baden-württembergischen Landesregierung . Dort
tragen die Grünen ja durchaus Regierungsverantwortung .
Wenn man dorthin schaut, dann erkennt man, dass der
gesamte Prozess zu CETA und TTIP, den beiden Freihan-
delsabkommen mit den nordamerikanischen Partnern,
dort durchaus konstruktiv und positiv begleitet wird . Es
gibt ein Positionspapier, einen Beschluss der Landes-

regierung Baden-Württembergs dazu, wo die Chancen
dieser Abkommen betont werden . Das ist etwas ganz an-
deres als das, was sich in Ihrem, wie Sie selbst gesagt
haben, sehr lang ausformulierten Antrag letztlich findet.

Wo stehen wir mit CETA? Das haben wir von den Vor-
rednern schon ein paar Mal gehört . Deswegen kann ich
mich an dieser Stelle kurzfassen .

Das Ganze ist ausverhandelt . Die Verhandlungen sind
schon vor über einem Jahr final zu Ende geführt worden; 
sie sind also abgeschlossen . Man ist jetzt in der Phase der
Rechtsförmlichkeitsprüfung, des Legal Scrubbing; das
wurde hier schon genannt .

Ich rate allerdings gemeinsam mit meiner Fraktion
eindringlich davon ab, das Inkrafttreten von CETA durch
weitere überzogene Forderungen nach einem komplet-
ten erneuten Aufschnüren dieses Verhandlungspakets,
wie sie auch in dem Antrag der Grünen formuliert sind,
weiter zu verzögern . Das ist gerade im Hinblick auf wirt-
schaftliche Impulse nicht das, was wir brauchen . Dane-
ben ist das übrigens auch völlig unrealistisch . Ich komme
gleich noch einmal darauf zu sprechen .

Meine Damen und Herren, CETA ist das Ergebnis
intensiver Verhandlungen zwischen den Delegationen
unserer Seite, der Europäischen Union, und Kanadas .
Dieses Ergebnis ist ein gutes Ergebnis, mit dem wir sehr
zufrieden sein können . Es ist insbesondere ein wichtiger
Baustein für eine der Zukunft zugewandte Handelspoli-
tik auf globaler Ebene .

Bei TTIP sind wir – um das hier auch noch einmal zu
erwähnen; da verhandelt man noch nicht so lange, des-
halb liegt das in der Natur der Sache – noch nicht ganz
so weit, aber auch auf einem guten Weg . Ich bin frohen
Mutes, dass wir das mit großem Engagement und – ja –
auch mit parlamentarischer Begleitung – nicht nur auf
europäischer Ebene, sondern auch auf nationaler Ebene –
nach vorne und zu einem guten Ergebnis bringen können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Denn – machen wir uns da nichts vor – unseren Wohl-
stand, den wir in unserer starken Volkswirtschaft, in
Deutschland, im Großen und Ganzen genießen, verdan-
ken wir nicht zuletzt der Wirtschaft und vor allen Dingen
den Menschen, die in den Unternehmen und Betrieben
hier in Deutschland arbeiten, und genau für diese Men-
schen sind diese Freihandelsabkommen – ich nenne sie
bewusst beide – TTIP und CETA, das bereits zu Ende
verhandelt ist . Für diese Menschen müssen diese Pro-
jekte gelingen und gut umgesetzt werden . Wir können
uns jetzt nicht zurücklehnen und sagen: Unser relativer
Wohlstand und unsere starke volkswirtschaftliche und
politische Position in Europa sind gottgegeben, und das
wird immer so bleiben .

Die Realität, vor der wir uns ja nicht verschließen
wollen, ist, dass es auf dem Markt der Volkswirtschaf-
ten – so ist die Entwicklung nun einmal; das ist nichts
Schlechtes – nun andere, erstarkende, gestaltungsmäch-
tige, wie wir sie einmal bezeichnet haben, Wettbewerber
gibt, nämlich die Volksrepublik China, Indien und weite-
re Länder . Diese Länder haben Umweltschutzstandards,
Sozialstandards und Arbeitsschutzstandards, die diejeni-

Bernd Westphal






(A) (C)



(B) (D)


gen, die die TTIP- und CETA-Freihandelsabkommen ve-
hement bekämpfen, überhaupt nicht haben wollen – und
insbesondere auch wir nicht .

Deswegen kämpfen wir dafür, dass diese Verhand-
lungen auf einen hohen Schutzstandard ausgerichtet,
entsprechend weitergeführt und letztlich zu einem guten
Ende gebracht werden; denn wenn wir nicht aufpassen –
der Kollege Hauptmann und andere Redner an diesem
Pult haben schon darauf hingewiesen – , werden uns die
Standards gesetzt, und diese wären allemal – davon kön-
nen wir mit Sicherheit ausgehen – geringer als die, die
wir jetzt mit den nordamerikanischen Freunden zusam-
men verhandeln können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass wir in der Welt enger zusammenrücken und dass
es immer globaler wirkende Herausforderungen gibt,
führt uns auch zu der Erkenntnis, dass wir alleine schei-
tern müssen . Es ist nämlich ein Faktum, dass die Tendenz
zurück zu immer mehr Nationalstaatlichkeit und weni-
ger Supranationalismus kleingeistig, rückwärtsgewandt
und letztlich insbesondere schlecht für die Menschen
ist . Denn das Abschotten – und Protektionismus ist ein
Abschotten – von den globalisierenden Fortschritten in
der Welt führt zu keinem guten Ergebnis . Und deswegen
können wir das nicht unterstützen .

Meine Damen und Herren, ich sage aber auch, dass
eine – so will ich es einmal bezeichnen – Selbstverzwer-
gung vor den Verhandlungspartnern nicht angezeigt ist .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist doch keine Selbstverzwergung!)


Die europäische Seite und die EU-Mitgliedstaaten kön-
nen durchaus selbstbewusst mit den Amerikanern, mit
den Kanadiern Verhandlungen führen, wie es auch ge-
schehen ist, wenn man sich einmal vor Augen hält, dass
in Europa mehr Menschen leben, nämlich über 500 Mil-
lionen Menschen, während in den USA und in Kanada
zusammen ungefähr 355 Millionen leben . Wir können
selbstbewusst und auf Augenhöhe miteinander reden und
verhandeln und lassen uns nicht von den Amerikanern,
die ja hier oftmals als die ganz Bösen dargestellt werden,
insbesondere die amerikanische Industrie, über den Leis-
ten ziehen . Wir müssen hier selbstbewusst auftreten – das
machen wir auch –, dann kommt das Ganze auch zu gu-
ten Ergebnissen .

Wer sich auf dem transatlantischen Terrain bewegt,
weiß, dass jenseits des Atlantiks das Interesse an Europa
in der letzten Zeit ein Stück weit nachlässt – so will ich
es einmal ausdrücken –


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Beim Abhören aber nicht!)


und dass  sich alles ein wenig hin zum  transpazifischen 
Verhältnis,  zur  transpazifischen  Partnerschaft  verrückt. 
Ein Scheitern dieses Abkommens wäre schlecht für Eu-
ropa und insbesondere für die Menschen in Deutschland .
Dabei geht es weniger um bloßes Wirtschaftswachstum –
dazu existiert ja ein bunter Strauß von Studien, die sich
zum Teil widersprechen –, sondern vielmehr – darin liegt
die geostrategische und geopolitische Bedeutung von

TTIP und CETA – um nichts Geringeres als die zukünfti-
ge Gestaltung des globalen Handels . Und das kann eben
nicht mit Angst gelingen .

Wenn ich den Antrag der Grünen lese, dann stelle
ich fest, dass es eine Aneinanderreihung von Ängsten,
Vorbehalten und Worst-Case-Szenarien ist . Ich nehme
einmal die Schiedsgerichte heraus, auf die ich aus Zeit-
gründen nicht lange eingehen will . Wir können doch
nicht von Ängsten bestimmte Politik betreiben und dabei
unseren Sachverstand komplett ausschalten . Wenn die
Menschen in unserem Lande bei ihren Unternehmungen,
bei dem, was sie anpacken, womit sie Zukunft gestalten
wollen, in den letzten Jahren so agiert hätten, dann wäre
Deutschland nicht da, wo es jetzt in der Welt steht – mit
einer starken Volkswirtschaft, mit einem großen Selbst-
bewusstsein .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!)


Deswegen sage ich an dieser Stelle: Der Antrag ist
eine Aneinanderreihung von Angstmachereien . Das führt
nicht zum Erfolg . Lassen Sie uns konstruktiv an der Sa-
che arbeiten . Dann kommen wir auch zu einem guten
Verhandlungsergebnis, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist sicherlich richtig – ich komme sofort zum
Schluss, Herr Präsident –, auf mögliche Probleme hin-
zuweisen . Das bezieht auch die Leseräume ein . Es ist ja
schon angesprochen worden, dass sich der Parlament-
spräsident für die Parlamentarierrechte starkmacht . Das
ist sicherlich zu unterstützen . Ich glaube auch hier, dass
wir auf dem richtigen Weg sind .

Meine Damen und Herren, wenn CETA und TTIP
selbstbewusst weiterverhandelt und gut umgesetzt wer-
den, dann ist CETA, dann ist TTIP gut für die Menschen,
insbesondere für die Menschen in Europa und ganz
speziell für die Menschen in unserem wunderschönen
Deutschland – ein ganz wunderbares Ergebnis .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813711000

Ich darf generell daran erinnern, dass es sich bei den

vereinbarten Redezeiten nicht um Richtwerte handelt,
sondern um präzise vereinbarte Zeiträume .

Ich erteile jetzt zu einer kurzen Kurzintervention der
Kollegin Dröge das Wort .


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813711100

Sehr geehrter Herr Kollege Beyer, Sie haben ja leider

meine Zwischenfrage nicht zugelassen . Ich möchte aber
doch auf etwas eingehen und Sie zu dem, was Sie gerade
gesagt haben, noch etwas fragen .

Als Sie über unsere Anträge sprachen, hatte ich den
Eindruck, Sie haben nur die Titel unserer Anträge gele-
sen . Deswegen möchte ich Sie noch einmal auf den In-
halt unserer Anträge hinweisen . Wenn Sie den Inhalt zur
Kenntnis genommen hätten, dann wüssten Sie, dass in

Peter Beyer






(A) (C)



(B) (D)


den Anträgen, die wir bislang zu CETA gestellt haben,
immer klar formuliert wurde – beispielsweise in dem
letzten Antrag, den Sie zitiert haben –: So, wie das Sys-
tem der Schiedsgerichte enthalten ist, kann man CETA
nicht zustimmen . Und da das System der Schiedsgerichte
enthalten ist, muss man dieses Abkommen ablehnen . Das
hat aber immer beinhaltet – das steht in allen Anträgen,
die wir gestellt haben –, dass es die Option zur Verände-
rung gibt .

Deswegen die zweite Frage an Sie: Haben Sie ei-
gentlich wahrgenommen, was wir hier diskutiert haben?
Unser Antrag ist nämlich anlässlich des Handelns der
Bundesregierung gestellt worden, deren Vertreter gesagt
haben, dass sie das CETA-Abkommen nachverhandeln
werden . Sie und Herr Hauptmann begründen in Ihren
Reden die ganze Zeit nur, warum das CETA-Abkommen
auf keinen Fall nachverhandelt werden dürfte .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)


Daher frage ich Sie: Wie erklären Sie denn das Han-
deln Ihrer eigenen Bundesregierung, die Sie mit Ih-
ren Stimmen tragen? Wie ist denn Ihre Position zu den
Punkten, die man unserer Meinung nach nachverhandeln
müsste? Oder haben Sie sich einmal an Herrn Gabriel
gewandt und gesagt: „Bitte unterlasse deine Handlungen
in Brüssel“?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813711200

Herr Kollege Beyer, Sie haben die Möglichkeit, da-

rauf zu erwidern .


Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1813711300

Das mache ich sehr gerne, Herr Präsident . – Vielen

Dank, Frau Kollegin Dröge, für die an mich gerichteten
Fragen . Ich werde mit der letzten Frage beginnen . Selbst-
verständlich stehen wir mit dem Bundeswirtschaftsmi-
nister im Dialog .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Was?)


Bloß: Ich habe genauso wie der Kollege Hauptmann oder
auch die anderen Mitglieder meiner Fraktion eine völlig
andere Wahrnehmung . Sie betonen hier, es gäbe Wider-
sprüche . Ich habe mir Ihren Antrag sehr wohl durchgele-
sen . Darin steht sehr viel von Widersprüchen – das kam
auch vorhin in den Reden zum Ausdruck – und davon,
dass das Bundeswirtschaftsministerium erklärt habe,
man müsse bestimmte Dinge neu aufschnüren . Dabei
war nicht die Rede davon, das Paket komplett neu zu ver-
handeln . Das ist auch richtig, sehr geehrte Frau Dröge .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen es verändern?)


Das Bundeswirtschaftsministerium ist sich seiner Ver-
antwortung bewusst . Man verschließt ja nicht die Augen
vor der Realität . Niemand im Bundeswirtschaftsministe-
rium, den ich kenne, sagt: Wir müssen das Verhandlungs-

paket komplett neu aufschnüren . – Dort hat man schließ-
lich die Realität akzeptiert .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Bundeswirtschaftsminister sagt etwas anderes!)


Dass bereits vor über einem Jahr die Verhandlun-
gen abgeschlossen worden sind, müssen Sie einmal zur
Kenntnis nehmen und auch die Tatsache, dass es im
Rahmen der Rechtsförmlichkeitsprüfung, die als Legal
Scrubbing bezeichnet wird, ein ganz normaler Vorgang
ist, Dinge in der Feinjustierung zu verändern .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sind Schiedsgerichte Feinjustierung oder nicht?)


Das ist etwas, was wir natürlich unterstützen . Die Chance
zu nutzen, die darin besteht, vielleicht die eine oder an-
dere Sache in unserem Sinne zu korrigieren, ist unterstüt-
zenswert und richtig . Aber ein komplettes Aufschnüren
des Verhandlungspaketes ist dummes Zeug . Deswegen
lehnen wir es ab .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und meine zweite Frage? – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sind Schiedsgerichte Feinjustierung oder nicht?)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813711400

Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn für Bünd-

nis 90/Die Grünen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sehr gut! Zeig es Ihnen, Bärbel!)



Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813711500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am

10 . Oktober dieses Jahres gab es eine sehr große De-
monstration in Berlin . 250 000 Menschen – ich war da-
bei – haben gegen die Freihandelsabkommen CETA und
TTIP demonstriert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn  Sie  hier  von  „Empörungsindustrie“  und  von 
„Angstmacherei“ reden, 


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Dann ist das die Wahrheit!)


dann sage ich: Nehmen Sie die Sorgen der Menschen
ernst! Das sollten gerade auch Sie in der Koalition tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Sie schüren die Ängste!)


Warum haben diese Menschen Sorgen? Es geht hier
um Punkte, die seit Jahren und Jahrzehnten in WTO-Ver-
handlungen nicht geklärt worden sind, zum Beispiel
die Frage der Gentechnik . Das ist zwischen Europa und
Nordamerika schon immer ein Riesenproblem gewesen .
Natürlich hat Nordamerika mit seinem Gentechnikein-
satz immer gesagt: Eure Argumente gegen die Gentech-
nik sind doch nur ein Handelshemmnis . Ihr wollt eure

Katharina Dröge






(A) (C)



(B) (D)


Märkte für unsere Produkte einfach sperren . – Wir haben
gesagt: Nein, wir haben einen vorsorgenden Verbrau-
cherschutz .

Das, was jetzt mit dem CETA-Abkommen passieren
soll – der Text liegt ja vor –, ist, dass dieser Konflikt zu-
lasten der Verbraucher und zugunsten der Gentechnik
gelöst werden soll . Dagegen werden wir Widerstand leis-
ten . Das nehmen wir so nicht hin .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wie wichtig dieses Thema ist, wissen Sie selbst . Herr
Seehofer hat damals als Minister als Nachfolger von Frau
Künast im November 2005 den Anbau von MON 810 ge-
nehmigt . Das war die erste kommerziell angebaute Gen-
technikpflanze. Gegen diesen Anbau hat es  so viel Wi-
derstand gegeben, auch von den Bauern aus Bayern und
auch von der Firma Hipp aus Bayern, dass Herr Seehofer
später seine Nachfolgerin Frau Aigner angewiesen hat,
den Anbau von MON 810 wieder zu verbieten .

Wenn Sie dem CETA-Abkommen jetzt zustimmen,
wird es die Möglichkeit, zukünftig den Anbau von Gen-
technikpflanzen  zu  verbieten,  nicht mehr  geben,  es  sei 
denn, Sie sind bereit, massive Schadensersatzzahlun-
gen zu leisten . Das, meine Damen und Herren, ist nicht
das, was wir wollen . Deshalb: Stimmen Sie gegen das
CETA-Abkommen in der jetzigen Form!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dass bereits die Verhandlungen Standards absenken,
sehen wir doch . Ein Beispiel dafür ist Honig aus Kanada .
Der Europäische Gerichtshof hat erklärt: Dieser Honig
muss besonders gekennzeichnet werden, weil das gen-
technisch veränderte Material in den Pollen über dem
Grenzwert liegt . – Was hat die EU gemacht? Weil sie die
Verhandlungen mit Kanada nicht gefährden wollte, hat
sie den Pollen als Bestandteil des Honigs deklariert, und
damit war der Gentechnikanteil unter dem Grenzwert .

Diese Beispiele könnte ich noch fortsetzen . Schon
heute werden Standards aufgrund der Verhandlungen im
Rahmen des CETA-Abkommens relativiert . Deshalb ist
Ihr Versprechen, dass keine Standards abgesenkt werden,
nur ein hohles Versprechen, das wir nicht glauben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Besser als hohle Reden!)


Sie wissen doch, was im Vertrag steht: 75 000 Ton-
nen Schweinefleisch zollfrei, 50 000 Tonnen Rindfleisch 
zollfrei . Wo sind die Schweinepreise momentan? Im Kel-
ler! Wenn Sie das, was im Vertrag geregelt ist, eingedenk
der Tatsache, dass die Kosten in Kanada um 40 Prozent
geringer sind, zulassen, dann übt das einen so starken
Druck auf unsere einheimischen Familienbetriebe aus,
dass noch mehr aufgeben müssen . Was machen Sie ei-
gentlich für eine Politik für die Bauern in diesem Land?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Letzter Punkt . Eine kanadische NGO hat eine Initiati-
ve gestartet, die eine Passage im Paris-Abkommen zum
Ziel hat, wonach Schiedsgerichte in geschlossenen wie
zukünftigen Freihandelsverträgen für den Pariser Kli-
mavertrag nicht gelten dürfen, weil man sich sonst nicht
in der Lage sieht, den Paris-Vertrag für Klimaschutz
zu erfüllen . Das hat übrigens das Europaparlament mit
einer Resolution unterstützt . So viel zu der momenta-
nen Haltung in Kanada . Seit der Regierungsübernahme
durch Herrn Trudeau zeichnet sich eine Veränderung ab .
Er sieht diesen Vertrag in einem neuen Licht . Nehmen
Sie die Möglichkeit wahr, endlich neu zu verhandeln,
auch über Schiedsverfahren! Sie können doch nicht die
Schiedsverfahren bei TTIP verändern wollen, während
sich bei CETA nichts ändern soll . Dann würden 80 Pro-
zent der Klagen von US-Firmen mit Niederlassungen in
Kanada auf der Grundlage des CETA-Vertrages trotzdem
hier erhoben werden . Lassen Sie uns also die Verträge
nachverhandeln! Ich bin nicht bereit, dass der Preis für
einheitliche Autoblinker die Gentechnik auf unserem
Teller sein soll . Das werden wir nicht hinnehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813711600

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Spiering für die

SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1813711700

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-

gen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Lassen Sie mich
eine Vorbemerkung machen . Es mag sein, dass ich falsch
liege, aber wenn ich das Verfahren einigermaßen richtig
verstanden habe, dann hat man sich in Europa geeinigt,
dass das Europäische Parlament für Europa die Verhand-
lungen führt .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein! Die Kommission!)


– Richtig, die Kommission . Danke schön, Herr Ernst, für
die Berichtigung .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre aber einmal eine gute Idee!)


Momentan liegt die Verhandlungsführung also bei
der Europäischen Kommission . Es entspricht unseren
europäischen Wertvorstellungen, das gemeinsam zu tun .
Wenn ich es weiterhin richtig verstanden habe – die Aus-
sagen in meiner Fraktion sind eindeutig –, dann handelt
es sich um ein gemischtes Abkommen . Wenn es sich um
ein solches Abkommen handelt – davon gehe ich aus –,
dann wird es letztendlich zu einer endgültigen Entschei-
dung über CETA und TTIP in diesem Hohen Hause kom-
men; das ist so auch richtig .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Mit Ja und Nein!)


– Richtig, mit Ja und Nein . – Von meinem Verständnis
her – ich kann sicherlich falsch liegen – verhält es sich

Bärbel Höhn






(A) (C)



(B) (D)


so: Entweder wir trauen Europa und dem Europäischen
Parlament einschließlich aller Abgeordneten und Frak-
tionen – Frau Höhn, auch der Grünen – Kompetenz zu
oder nicht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das ist für mich die entscheidende Frage: Trauen wir
dem Europäischen Parlament zu, seine Souveränität für
Europa auszuüben?


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist an den Verhandlungen nicht beteiligt!)


Wenn nicht, dann ist das Ihre Entscheidung . Aber wir
trauen es dem Europäischen Parlament zu . Wir trauen
dem Europäischen Parlament und der Kommission auch
zu, ordnungsgemäß zu verhandeln .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813711800

Herr Kollege Spiering, erlauben Sie eine weitere Zwi-

schenfrage des Kollegen Ernst?


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Nein! Er hat schon genug geredet!)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1813711900

Das müssen Sie schon mir überlassen . Jetzt erst recht!


(Heiterkeit bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813712000

Der Kollege Ernst hat damit das Wort .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813712100

Das macht Sie sehr sympathisch, Herr Spiering . – Ich

will auf das Vertrauen eingehen . Glauben Sie denn, Kol-
lege Spiering, dass es dem Präsidenten des Deutschen
Bundestags an Vertrauen in die europäischen Institutio-
nen mangelt?


Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1813712200

Darum geht es nicht .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813712300

Doch, genau darum geht es . – Er fordert, dass bei den

infragestehenden Handelsabkommen die Parlamente in
der Form beteiligt werden müssen, dass sie Einfluss auf 
die Inhalte haben .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das hat er doch gesagt!)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1813712400

Die nationalen Parlamente .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813712500

Richtig, die nationalen Parlamente . – Er hat ausdrück-

lich von unserem Parlament und nicht vom italienischen
oder vom Europäischen Parlament gesprochen . Er for-

dert, dass die Parlamente Einfluss auf die Gestaltung der 
Verträge haben müssen .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Nein!)


Sie sollen nicht nur abwinken oder mit Ja oder Nein stim-
men . Ich glaube, dem Präsidenten des Deutschen Bun-
destages mangelt es nicht an Vertrauen in die europäi-
schen Institutionen .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Er hat es nicht verstanden!)


– Was hat er nicht verstanden? Meinen Sie Herrn Spiering
oder mich?


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie haben es nicht verstanden!)


– Ich verstehe zwar viel nicht . Aber Sie könnten einmal
zuhören .

Der Punkt ist: Wenn wir uns als Parlament nur auf die
Vertrauensebene begeben, Herr Kollege Spiering, dann
werden wir dem nicht gerecht, was die Bürger von uns
erwarten . Die Bürger erwarten schon, dass auch dann,
wenn es ein gemischtes Abkommen ist – Sie sagen, es
solle eines sein; es war gestern bei Frau Malmström
völlig unklar, ob es ein gemischtes Abkommen ist oder
nicht; es ist selbst jetzt noch unklar, ob wir selbst bei der
Endabstimmung überhaupt mitreden dürfen –,


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Keine zweite Rede!)


wir über das Vertrauen hinaus einen Schritt machen, um
unseren  Einfluss  als  Parlament  im  Sinne  unseres  Bun-
destagspräsidenten geltend zu machen . Glauben Sie das
nicht auch?


(Beifall bei der LINKEN)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1813712600

Herr Ernst, lassen Sie mich bescheiden antworten: Es

steht mir nicht zu, den Bundestagspräsidenten zu inter-
pretieren . Dafür fühle ich mich viel zu klein .

Meine zweite Bemerkung betrifft das Grundverständ-
nis – das will ich gerne noch einmal erklären – des Auf-
baus der Europäischen Union . Daran kann man viel kri-
tisieren . Ich mache mir viele Sorgen um Europa, ganz
viele, aber so, wie Europa im Moment aufgebaut ist,
müssen wir dem Europäischen Parlament und der Euro-
päischen Kommission erst einmal zubilligen, das zu tun,
was ihnen obliegt . Das ist meine Auffassung dazu .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich will das gerne wiederholen: Ich gehe davon aus,
dass meine Fraktion recht hat und wir ein gemischtes Ab-
kommen haben . Die Fragen, die übrigens zu Recht von
der Bevölkerung angesprochen werden, müssen beant-
wortet werden . Frau Höhn, ich nehme die 250 000 Men-
schen, die demonstriert haben, sehr ernst .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich!)


Rainer Spiering






(A) (C)



(B) (D)


Frau Höhn, ich nehme aber auch viele andere ernst,
die im Lande im Moment Auffassungen vertreten, die
ich nicht vertrete und die den Umgang mit Flüchtlingen
betreffen . Auch die nehme ich ernst; denn man muss die
Strömungen aufnehmen . Man kann sich nicht davor weg-
ducken .

Weil wir die Fragen und Bedenken ernst nehmen, be-
schäftigen wir uns intensiv damit . Es ist nicht so, dass
wir die Kritikpunkte der Grünen nicht verstehen können .
Selbstverständlich kann man diese verstehen . Ich halte
Transparenz für das Wichtigste im politischen Umgang .
Wir müssen klarmachen, worum es uns geht . Aber noch
einmal: Der entscheidende Tag wird dann kommen,
wenn wir hier im Bundestag mit Ja oder Nein abstimmen .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Dann können wir nicht mehr mitreden!)


Lassen Sie mich abschließend noch etwas sagen, wozu
ich noch gar nicht gekommen bin . Meine Aufgabe war es
hier, die AG Landwirtschaft zu vertreten .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gründlich misslungen!)


Wir haben im Bereich der Landwirtschaft einen Sektor,
die Landmaschinentechnologie, der extrem erfolgreich
ist . Der ist allerdings zu 75 Prozent vom Export abhän-
gig . Ich habe mir einmal die Zahlen von Kanada kommen
lassen . Wir kommen fast nicht in diesen Markt hinein .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es! – Zurufe von der LINKEN: Oh! – Gegenruf des Abg . Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das kann man wirklich bedauern!)


– Ich als Vertreter einer Industrienation bedaure das . –
Wir haben ganz große Probleme, in diesen Markt zu
kommen . Ich habe mir heute Morgen die Zahlen geben
lassen . Es gibt einen Wahnsinnsmarkt, es werden da al-
lein 26 000 Schlepper pro Jahr veräußert . Wir kommen da
gar nicht vor. Wir haben aber eine unglaublich effiziente, 
auf Hightech basierende Landmaschinenindustrie . Ich
würde mich zutiefst freuen, wenn die sehr gut bezahlten
Arbeitsplätze in den Betrieben, die fast durchgängig der
Mitbestimmung unterliegen, in Deutschland an Zahl zu-
nehmen könnten, weil das unserer Mentalität entspricht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Herzlichen Dank fürs Zuhören .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813712700

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der

Kollege Dirk Wiese für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1813712800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Kollege Bernd Westphal hat schon ange-
deutet, dass ich mich auf zwei Punkte des Antrags der
Grünen beschränken will . Einer davon betrifft den Be-
reich der regulatorischen Kooperation .

Die angestrebte regulatorische Kooperation kann
… dazu beitragen, die Entwicklung neuer Regulie-
rungen besser zu koordinieren bzw . gemeinsam zu
gestalten . … Die Entwicklung gemeinsamer transat-
lantischer Standards kann gute Rahmenbedingun-
gen für Innovationen insbesondere auch im Bereich
der nachhaltigen Zukunftstechnologien schaffen
und damit die Innovationsfähigkeit der Unterneh-
men insgesamt steigern .

Liebe Grüne, Sie dürfen klatschen, das ist aus dem Eck-
punktepapier der baden-württembergischen Landesre-
gierung .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bringen Sie jedes Mal! Das kennen wir schon! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist doch langweilig!)


Liebe Grüne, Sie haben in Ihrem Antrag dargestellt
und viele Punkte aufgeführt, warum Sie CETA in der
derzeitigen Fassung nicht zustimmen . Ich muss Ihnen
ehrlicherweise eines sagen: Ich war unter der Woche hier
in Berlin auf Podiumsdiskussionen zu TTIP und CETA
und habe Ihre baden-württembergische Staatsministerin
Silke Krebs auf den Diskussionen explizit sagen gehört –
der Kollege Beyer war selbst da gewesen und auch Klaus
Müller von der Verbraucherzentrale Bundesverband –,
dass sie die Position, die die Bundestagsfraktion ein-
nimmt, nicht versteht und nicht teilt . Gleichzeitig aber
sagt sie, sie würde CETA in der jetzigen Form zustim-
men . Sie hingegen suggerieren den Bürgern, dass Sie
sich an die Spitze einer Bewegung stellen, die versucht,
CETA abzulehnen und zu verändern . Das ist aber un-
glaubwürdig, weil die baden-württembergische Landes-
regierung und auch andere Landesregierungen, in denen
Sie Wirtschaftsminister stellen, dem letztendlich zustim-
men wollen . Es ist unglaubwürdig, was Sie den Bürge-
rinnen und Bürgern suggerieren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


An dieser Stelle – jetzt bitte einmal zuhören – muss
ich den Kollegen Klaus Ernst einmal loben .


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Was?)


Der Kollege Klaus Ernst ist in der Sache wenigstens klar .
Auch wenn wir uns bei CETA und TTIP nur auf Markt-
zugangskriterien einigen würden, auch wenn wir uns nur
auf Zölle einigen würden, auch wenn wir die Schiedsge-
richte komplett herausnehmen oder etwa die Implemen-
tierung der ILO-Kernarbeitsnormen durchsetzen würden:
Sie würden es trotzdem ablehnen . Sie würden Nein zu
TTIP und CETA sagen, egal welche Reformbestrebungen
wir auf den Weg bringen . Das sollten Sie an der einen
oder anderen Stelle ebenfalls ehrlich sagen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Noch ein letzter Punkt . Liebe Kolleginnen und Kol-
legen der CDU/CSU, eine kleine Differenz besteht auch
zwischen uns . Das muss man einmal sagen .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine kleine nur? – Zuruf von der CDU/ CSU: Muss auch sein!)


Rainer Spiering






(A) (C)



(B) (D)


Sie sind für TTIP und CETA, egal was darin steht . Wir
wollen wenigstens noch verhandeln . Das ist ein ganz
kleiner Unterschied .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


Wir wollen ein gutes, ein richtiges Abkommen . Dafür
muss man erst einmal verhandeln .


(Beifall bei der SPD)


Frau Dröge, Sie haben am Anfang das Bundeswirt-
schaftsministerium angesprochen .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813712900

Kollege Wiese, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Lenkert?


Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1813713000

Ja, selbstverständlich .


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813713100

Vielen Dank, Herr Kollege . – Ich wollte vorhin schon

die Kollegen fragen: Ist Ihnen der Fall Hamburg-Moor-
burg bekannt? Ausgangspunkt waren die vom Hambur-
ger  Senat  ausgesprochenen  Umweltauflagen.  In  einem 
internationalen Schiedsgerichtsverfahren mit den USA
wurde ein Vergleich geschlossen, und die Umweltau-
flagen wurden  zurückgenommen.  Jetzt findet  daraufhin 
ein Vertragsverletzungsverfahren durch die Europäische
Kommission  statt,  weil  bei  den  Umweltauflagen  euro-
päisches Recht nicht eingehalten worden ist . Die Um-
weltauflagen mussten aber aufgrund des Vergleiches im 
Schiedsgerichtsverfahren zurückgenommen werden .

Meine Frage an Sie: Ist es klug, ein Abkommen ab-
zuschließen, wonach sich am Ende die Hansestadt Ham-
burg entscheiden muss, ob sie an den Investor das im
Schiedsgerichtsverfahren ausgehandelte Strafgeld oder
an die EU-Kommission wegen Vertragsverletzung zahlt,
weil man die EU-Norm nicht eingehalten hat?


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil Sehr geehrter Kollege Lenkert, ich danke Ihnen für die Frage, weil ich noch einmal die Gelegenheit habe, dies klarzustellen . Warum, meinen Sie, war Sigmar Gabriel in Madrid mit den Handelsministern der Europäischen Union unterwegs? Warum, meinen Sie, ist Bernd Lange in vorderster Front unterwegs mit einer Resolution, um Reformen im bestehenden ISDS-System auf den Weg zu bringen? Weil das alte ISDS-System – darum ist auch die Klage betreffend Hamburg-Moorburg auf den Weg gebracht worden, die Sie angesprochen haben – reformbedürftig ist . Dafür setzen wir uns ein . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


(Peine) [SPD]: Steilvorlage!)

Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1813713200

Diese Reformen in den Verfahren, lieber Herr Klaus
Ernst, erreicht man nur am Verhandlungstisch . Wenn

man nicht am Verhandlungstisch sitzt, wird es noch mehr
Fälle wie Hamburg-Moorburg geben . Sie tragen dazu
bei, weil Sie es ablehnen und nicht mitgestalten wollen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813713300

Die Kollegin Höhn möchte auch eine Zwischenfrage

stellen, wobei ich meine, dass am Schluss der Debatte
keine weiteren Zwischenfragen mehr gestellt werden
sollten . Wir haben schon eine sehr lebendige Debatte ge-
habt .

Sie haben das Wort .


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813713400

Herr Kollege Wiese, Sie haben gerade zu Recht ge-

sagt, dass eine Reform der Schiedsgerichtsverfahren
auch von den Sozialdemokraten deshalb angestrebt wird,
weil die Passagen, die bei TTIP vorgesehen sind, auch
aus Ihrer Sicht nicht befriedigend sind . Gleichzeitig gibt
es aber im CETA-Vertragstext Passagen zu Schiedsge-
richtsverfahren . Hier wird gesagt: Nur noch im Rahmen
eines Legal Scrubbing wird etwas geändert . Wird die
SPD-Fraktion einem CETA-Vertragstext zustimmen, wo
diese Schiedsgerichtsverfahren noch enthalten sind und
damit US-Firmen über ihre Dependancen in Kanada wei-
terhin die Schiedsgerichtsverfahren gegen Deutschland
anstrengen können?


(Beifall bei der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist eine ganz entscheidende Frage!)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1813713500

Ich komme gerne darauf zu sprechen . Einmal bitte

ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch in den re-
formierten ISDS-Verfahren, sowohl das Abkommen mit
Singapur als auch das CETA-Abkommen betreffend, die
klassische Klagemöglichkeit von Briefkastenfirmen


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt!)


– lassen Sie mich aussprechen –, die in allen vorherigen
Abkommen stand, herausgenommen worden ist . Das ist
die erste Feststellung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU -Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon habe ich nicht gesprochen!)


Den zweiten Punkt, den Sie ansprechen, kann ich aus
Sicht der Opposition voll und ganz verstehen . Sie möch-
ten gerne wissen, ob am heutigen Tag feststeht, ob wir Ja
oder Nein sagen . Ich kann das nachvollziehen . Das ist Ihr
gutes Recht .

Nur: Die neue kanadische Regierung hat vor einer
Woche die Arbeit aufgenommen . Wir waren gestern zu
Gesprächen in Brüssel . Auch wir haben mit den Kolle-
ginnen und Kollegen des Europäischen Parlaments ge-
sprochen . Ich bin guter Dinge, dass wir in dem sich noch

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


bis Ostern 2016 hinziehenden sogenannten Legal-Scrub-
bing-Verfahren – Frau Dröge, ich teile Ihnen den Zeit-
plan gern mit; schließlich haben Sie vorhin gesagt, Sie
wüssten davon nichts – noch zu punktuellen Veränderun-
gen kommen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und wenn nicht? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es verschiebt sich immer mehr!)


Die EU-Kommissarin Malmström hat uns gestern in
einem Gespräch gesagt – Frau Dröge, vielleicht tauschen
Sie sich einmal mit dem Kollegen Janecek aus, wenn er
von einer Reise zurückgekommen ist –, dass sie Kontakt
mit der neuen kanadischen Handelsministerin aufnimmt,
um klarzustellen, dass im Legal-Scrubbing-Verfahren
noch Möglichkeiten bestehen, an der einen oder anderen
Stelle Feinjustierungen, Änderungen vorzunehmen .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An der einen oder anderen Stelle? – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Frage war eine andere!)


Ich bitte Sie an diesem Punkt einfach einmal um etwas
Geduld; denn hier wird sich zeigen, dass die SPD sowohl
im Europäischen Parlament als auch über das Bundes-
wirtschaftsministerium an jeder Stelle versuchen wird,
da noch etwas zustande zu bringen . Das ist Politikgestal-
ten, und da machen Sie nicht mit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie lenken ab! – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Wenn’s nicht gelingt, stimmt ihr dann zu oder nicht? – Hubertus Heil geht, sehen wir weiter!)


Ich will noch auf einen Punkt eingehen: Sie fordern
in Ihrem Antrag die Bundesregierung auf, dass die wei-
teren Kooperationsvereinbarungen im Regelungsbereich
so zu gestalten sind, dass daraus keine Verlagerung von
Kompetenzen in den Exekutivbereich erwächst . Ich kann
Ihnen eins sagen – das steht im vorläufigen CETA-Ver-
tragsentwurf; er ist übrigens öffentlich; man kann ihn
einsehen; Herr Kollege Ernst, ich lade Sie herzlich ein, in
mein Büro zu kommen; da liegt dieser Entwurf auf dem
Schreibtisch –: Keine Kompetenzen werden in den Exe-
kutivbereich verschoben, da die Kompetenzverteilung
im Vertragsentwurfstext gar nicht geregelt wird . CETA
verweist vielmehr darauf, dass Entscheidungen erst dann
wirksam werden, wenn die Vertragsparteien im Einklang
mit ihrem jeweiligen internen Verfahren zugestimmt
haben . Darum ist die Behauptung, die Sie in Ihrem An-
trag aufstellen, schlichtweg falsch .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch!)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813713600

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6201 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall; es gibt keinen
Widerspruch . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Industrie 4.0 und Smart Services – Wirt-
schafts-, arbeits-, bildungs- und forschungs-
politische Maßnahmen für die Digitalisierung
und intelligente Vernetzung von Produktions-
und Wertschöpfungsketten

Drucksache 18/6643

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist auch dieses so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster
Rednerin das Wort der Bundesministerin Professor
Dr . Johanna Wanka .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Industrie 4 .0 wissen Sie, wer sich diesen Begriff
überlegt hat, woher dieses Wort kommt?


(Hubertus Heil – Nicht acatech . – Vielmehr kommt dieser Begriff aus dem BMBF . Der erste Versuch, diesen Begriff zu etablieren, wurde am 1 . April 2011 – es war aber kein Aprilscherz; das Ganze hat ja funktioniert – von Wahlster, Lukas und Kagermann unternommen . Dieser Begriff hat sich durchgesetzt. Ich finde ihn immer noch wunderbar.  „4.0“, das heißt, dieser Begriff hat etwas mit Digitalisierung zu tun und einer vierten industriellen Revolution . Das klingt sehr viel besser als „Internet der Dinge“ oder  anderes . Außerdem freut sich Herr Singhammer darüber, dass es ein deutsches Wort ist, das sich international auch wirklich durchsetzt . Es wird von Chinesen und anderen verwendet . An diesen Fakt wollte ich noch einmal erinnern . Ich möchte darauf verweisen, dass unsere Hightech-Strategie „Industrie 4.0“ schon in der letzten Legislaturperiode als Zukunftsprojekt verfolgt hat . Ich freue mich, dass wir heute in der Situation sind, dass auch die anderen Ressorts an diesem Punkt ganz entscheidend mitziehen . Wir sind gemeinsam der Meinung: Das ist eine Riesenchance für Deutschland . Warum bedeutet „Industrie 4.0“ für uns so eine große  Chance? Ich will zwei Fakten nennen: Zum einen geht es um Industrie und um eine industrielle Revolution . Viele Länder, zum Beispiel Großbritannien und die USA, haben seit Jahren deindustrialisiert, Deutschland nicht . Wir haben also einen viel höheren Dirk Wiese Industrialisierungsgrad . Wenn man Industrie entwickeln will, braucht man eine entsprechende industrielle Basis . Die anderen Länder versuchen jetzt, da aufzuholen . Der zweite Punkt . Wir sind in Deutschland weltspitze – ich hoffe, dass keiner nachher das Gegenteil behauptet; denn das würde nur Unkenntnis zeigen –, wenn es um Embedded Systems, um Robotik und Sensorik mit der dazugehörigen Software geht . Wir exportieren mehr Software, als wir importieren . Ich möchte zum Vergleich folgende Zahlen nennen: In China kommen auf 10 000 Industriearbeitsplätze 14 Roboter . In Deutschland kommen auf 10 000 Industriearbeitsplätze 286 Roboter . Das heißt, wir haben da einen Vorsprung . Aber auf einem Vorsprung sollte man sich nicht ausruhen, sondern man muss etwas daraus machen . Die Ausgangsposition ist jedenfalls klasse . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)





(A) (C)


(B) (D)


Wir haben – „wir“ heißt an der Stelle: der Wirtschafts-
minister und ich – in diesem Jahr anlässlich der letzen
Hannover Messe die Plattform Industrie 4 .0 etabliert . So
etwas schaffen wir in Deutschland, wo Wirtschaft, Wis-
senschaft und gesellschaftliche Kräfte zusammensitzen
und über diese Dinge beraten . So wird eine Andockstelle
geschaffen . Es ist also nicht so, dass gesagt wird: Die
Wirtschaft soll sich von allein entwickeln, und außer-
dem sind wir schon gut . Es wird vielmehr überlegt, wie
man die neuen Entwicklungen vonseiten der Politik, aber
auch vonseiten der Wissenschaft flankieren kann. 

Man könnte ständig darüber reden, dass es die größte
Plattform ihrer Art weltweit ist und dass dort viele Part-
ner beteiligt sind . Das stimmt zwar alles; aber das Einzi-
ge, was uns interessiert, ist: Was liefert diese Plattform?
In der nächsten Woche werden wir auf dem IT-Gipfel
200 Beispiele präsentieren, die zeigen, wo Industrie 4 .0
in Deutschland schon realisiert wurde .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Hubertus Heil Was noch spannender ist, ist die Tatsache, dass wir auf der nächsten Hannover Messe Entwicklungsszenarien der nächsten Jahre für Industrie 4 .0 präsentieren wollen . Die Umsetzung von Industrie 4 .0 ist für die Großindustrie in Deutschland kein Problem . Was diese größten Player auf der Hannover Messe ausstellen, ist spitze und wird im Internet weltweit sofort angeklickt . Ganz entscheidend für Deutschland ist aber, dass der Mittelstand, die KMUs, mitziehen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In diesem Zusammenhang möchte ich drei Punkte her-
ausgreifen:

Erster Punkt . Die KMUs stehen bei uns im Fokus,
wenn es um Industrie 4 .0 geht . Wir haben dafür entspre-
chende Programme entwickelt . Im Programm „Indus-
trie 4.0 auf dem Hallenboden“ geht es ganz konkret da-
rum, wie die Wirtschaftlichkeit von Industrie 4 .0 durch
kleine Unternehmen beurteilt werden kann und welche
Einführungsstrategien man anwenden kann . Dazu gehört

nicht so sehr das Herstellen von Handreichungen, son-
dern es geht um das Erstellen von Musterbeispielen auf
der Grundlage von einfachen Szenarien . Der Mittelstand
wird durch diese Programme an Industrie 4 .0 herange-
führt und entsprechend motiviert .

Ich freue mich, dass wir jetzt die Situation haben – an-
ders als im letzten Jahr –, dass 70 Prozent der KMUs
glauben, dass durch die mit Industrie 4 .0 verbundene
Effizienzsteigerung  ein  großer Vorteil  für  ihre Betriebe 
entstehen kann . Das Wirtschaftsministerium will nächs-
tes Jahr die fünf angekündigten Demonstrationszentren
einrichten . Das ist eine gute Anlaufstelle für den Mittel-
stand . Dazu brauchen wir aber die Ergebnisse aus diesen
Programmen . Wir müssen eine Antwort auf die Frage ge-
ben, wie man Investitionsentscheidungen trifft . Da müs-
sen wir etwas vorzuweisen haben .

Wir wollen – diese Neuerung haben wir angekur-
belt –, dass man auch testen kann; ein Mittelständler
soll seine Idee testen können . Aber vonseiten unseres
Ressorts werden keine Testzentren eingerichtet . Denn in
der Forschung, auch bei Großunternehmen in Deutsch-
land gibt es Testmöglichkeiten, und wir geben dem Mit-
telstand über ein Förderprogramm das dazu notwendige
Geld . Die Mittelständler können selbst entscheiden, wo
sie ihre Idee austesten wollen . Wir werden nächste Wo-
che bekannt geben, wo es Koordinierungsstellen gibt, in
denen man sich beraten lassen kann . Ich denke, dies ist
eine ganz wesentliche Maßnahme, um den Mittelstand
mitzunehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweiter Punkt . Ohne entsprechende Sicherheit – da brau-
chen wir uns gar nicht katholisch zu machen – ist es nicht
möglich, Industrie 4 .0 zu realisieren . Ich bin sehr stolz
darauf, dass wir die Idee des Industrial Data Space, die
von Fraunhofer kam, durchgekämpft haben . Da gab es
viele Gegner etc .; das können Sie in der Presse noch ein-
mal nachlesen . Jetzt ist es Standard .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt haben wir dazu bei der Plattform Industrie 4 .0 or-
ganisatorisch alle zusammen – es sind alle Großen dabei;
es ist der Mittelstand dabei –, sodass es umgesetzt wird;
Stichwort „MoU“. Wir geben im Moment Geld, um die 
Entwicklung der Softwarebausteine zu befördern .

Thema IT-Sicherheit . Die drei Kompetenzzentren für
IT-Sicherheit  haben wir  vier  Jahre  finanziert  und  dann 
evaluiert . Bei einer solchen Evaluation kann auch einer
rausfallen . Das Ergebnis aber ist: Exzellent! Super! – So
ist die internationale Einschätzung . Deshalb erhöhen wir
jetzt die Summe für die nächsten vier Jahre . Wir gehen
auf 40 Millionen Euro . Diese Summe werden wir dort
hineinstecken . Dann gibt es Kontinuität . Ich nenne auch
das große Programm „Referenzprojekt für IT-Sicherheit
in Industrie 4.0“, das im Juli gestartet ist, und, und, und.

Der dritte Punkt . Allen ist klar, dass Industrie 4 .0 nur
funktionieren kann, wenn die Mitarbeiter mitziehen oder
mitgezogen werden . Das heißt, es gibt Veränderungen
in der Arbeitsorganisation, in der Arbeitsmotivation, bei
dem, was man können muss . Das muss jetzt in Deutsch-

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


land entsprechend umgesetzt werden, und das ist nicht
einfach . Wir behandeln dieses Thema im Ministerium in
unterschiedlichsten Programmen, schon seit Jahren . Ich
hoffe, ich höre nachher nicht das Märchen, das ich schon
mehrfach gehört habe, nämlich dass wir erst jetzt, nach
all der Technologie, anfangen, uns um diese Punkte zu
kümmern . Das ist einfach Quatsch . Das kann man bele-
gen . Das kann man zeigen .

Ich habe noch vor der Bundestagswahl Verhandlun-
gen mit den Sozialpartnern gehabt, also mit den Ge-
werkschaften, mit den Arbeitgeberverbänden . Deswegen
haben wir jetzt die Möglichkeit, gemeinsam ein großes
Programm zu etablieren, bei dem es um die Arbeitswelt
von morgen geht, bei dem von Vornherein die Interes-
sen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer mit verankert
sind – mit richtig vielen 100 Millionen .

Aber es geht nicht darum, dass man nur Forschung
macht; Forschung muss immer an die konkrete Wirt-
schaft gebunden sein . Deswegen wird es keine abstrak-
ten Forschungsprojekte geben, sondern sie werden an-
wendungsbezogen sein, immer in Verbindung mit einem
Betrieb, einem kleinen, einem mittelgroßen, je nachdem .

Wir haben die Initiative Berufsbildung 4 .0 zur Berufs-
feldentwicklung gestartet – mit den Kammern, mit dem
BIBB . Die Berufsfelder müssen geändert werden . Die
Digitalisierung muss sich in den Curricula wiederfinden. 
Wir werden hier hoffentlich beschließen, was gestern in
der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses nicht
strittig war: An die überbetrieblichen Ausbildungszen-
tren des Handwerks geben wir 14 Millionen Euro im
nächsten Jahr; das soll sich steigern bis auf 20 Millionen
Euro . Das ist für die Hardware an der Stelle .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, es wird in Deutschland im-
mer gesagt: Guckt bei Industrie 4 .0 auf die Amerikaner!
Was die alles können! – Unsere großen Wirtschaftschefs,
ob nun Denner oder Veit, sind dagewesen . Sie sagen uni-
sono – sie sagen das jetzt auch vor versammelter Mann-
schaft, auf großer Bühne –: Da ist viel heiße Luft . Wir
sind richtig gut . – Dieses Selbstbewusstsein wünsche
ich uns bei diesem Thema; denn Marketing gehört auch
dazu . Wir haben es oft ein bisschen vergeigt oder nicht
geschafft . Ich denke, mit Industrie 4 .0 sind wir, auch was
das Marketing anbetrifft, gut gewesen . Und jetzt wollen
wir handeln .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813713700

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Herbert

Behrens von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813713800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es geht um Industrie 4 .0, eine Produktionsweise, die
heute in den Betrieben schon teilweise vorhanden ist –

wir haben es gerade gehört –, aber in der Zukunft noch
wesentlich größere Dimensionen erreichen wird . Darum
hätte ich bei diesem umfassenden und umfangreichen
Antrag der Koalitionsfraktionen erwartet, dass sie Ant-
worten auf die neuen Herausforderungen geben,


(Hubertus Heil Ihre Anträge?)


dass sie klarmachen, an was es eigentlich fehlt, nachdem
im Bundestag seit zwei Jahren über Industrie 4 .0 disku-
tiert wird . Diese Antworten bleiben sie schuldig . Diesen
Anforderungen werden sie nicht gerecht .

Sie haben keine Antwort auf die Frage gegeben: Wie
müssen eigentlich die Schwerpunkte gesetzt werden? Es
ist eine Ansammlung, teilweise ein Sammelsurium von
verschiedenen Maßnahmen, die es in der Vergangenheit
gegeben hat und die es auch künftig noch geben soll . Sie
haben nicht gleich zu Anfang festgestellt: Es bedarf eines
schnellen Internets auf Glasfaserbasis . – Sie haben wie-
derholt: Es kann so weiterlaufen wie bisher . Die Indust-
rie hat ja zugesagt, zu investieren . Sie wollen sozusagen
technologieneutral – das ist ja das besondere Wort, das
Sie verwenden – agieren. Nein, es bedarf eines flächen-
deckenden Glasfaserausbaus, um wirklich das umzuset-
zen, was wir mit Industrie 4 .0 verbinden .


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil Industrie 4 .0 ist aber auch nicht nur Wirtschaftspolitik . Frau Ministerin Wanka hat ja – allerdings erst unter Punkt 3 – darauf hingewiesen, dass es eben auch darauf ankommt, dass wir es mit real existierenden Belegschaften zu tun haben, die heute und morgen damit konfrontiert sein werden, wie sich ihre Arbeit verändert und auf was sie sich einstellen müssen . Auch dazu gibt es deutliche Leerstellen in diesem Antrag . Sie haben keine Ansagen zu Ihrer Position bzw . klaren Schwerpunktsetzung in Bezug auf die Beschäftigten gemacht . (Hubertus Heil Die Linke stellt die heutigen und künftigen Belegschaften ins Zentrum von Industrie 4 .0 und ordnet dem alles unter, was wir dort zu erwarten haben . Wir machen Vorschläge, wie wir die Produktivitätsgewinne, die zu erwarten sind, verteilen wollen, um den Fortschritt der Produktion auch zu einem gesellschaftlichen Fortschritt zu machen . Die Gewinne sollen nicht allein den Kapitalgebern zukommen, auch die Belegschaften sollen etwas davon haben . Konkret heißt das: Wenn in der Zukunft weniger Beschäftigte mehr günstiger und schneller produzieren können, dann dürfen die Gewinne eben nicht einseitig verteilt werden . Wir müssen beispielsweise die kürzeren Produktionszeiten – bedingt durch die produktivere Art und Weise, mit der wir produzieren – in kürzere Arbeitszeiten umsetzen, um Arbeitsbedingungen zu schaffen, die mehr Zeit für ehrenamtliche Tätigkeit und Familie mit sich bringen . Bundesministerin Dr. Johanna Wanka Kolleginnen und Kollegen, Sie haben keine Antworten auf die teilweise anmaßenden Forderungen gegeben, die seitens der Industrieverbände an Sie herangetragen worden sind . Das wäre ein Signal gewesen . Sie wären frei gewesen, die Bundesregierung in Ihrem Antrag dazu aufzufordern, eindeutig zu der Frage Stellung zu nehmen: Was halten Sie davon, wenn die Industrie den Ausbau von Werkverträgen verlangt und wenn sie fordert, dass die Leiharbeit nicht abgeschafft werden soll? Und sogar der Achtstundentag soll infrage gestellt werden . Es gibt keine kommentierenden Hinweise oder Abgrenzungen gegenüber diesen absurden Forderungen . Arbeit im 21 . Jahrhundert darf nicht zu Arbeitsbedingungen des 19. Jahrhunderts stattfinden! Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel Erfahrung mit der Umstellung von Produktionsweisen bzw . ganzer Produktionszweige gemacht . Sie haben Erfahrungen darüber gesammelt, wie Belegschaften darauf reagieren, wie Kolleginnen und Kollegen mit den technologischen Veränderungen umgehen und wie diese einbezogen werden oder eben auch nicht einbezogen werden . Und sie haben sehen müssen, dass es zusätzliche Belastungen gab und dass es zu Qualifikationsverlusten  gekommen ist, was einseitig auf die Schultern der Kolleginnen und Kollegen abgewälzt worden ist . Das hat seinen Grund darin, dass die bisherige Mitbestimmung, die es in den Betrieben gibt, diesen neuen Herausforderungen noch nicht gerecht geworden ist . Darum sagen die Linke, aber auch die Gewerkschaften in ihren Vorschlägen, wie sich Mitbestimmung verändern muss, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden: Wir brauchen a)


(Peine) [SPD]: Steht aber drin!)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)





(A) (C)


(B) (D)


(Beifall bei der LINKEN)

Unternehmensentscheidungen, b) zwingend Mitbestim-
mung bei allen personellen Maßnahmen einschließlich
Outsourcing, Leiharbeit und Werkverträgen, und wir
brauchen c) Gestaltungsmöglichkeiten von Betriebsräten
über die Betriebsgrenze hinaus, wenn es zu Kooperati-
onen kommt . Wenn es dazu kommt, dass Betriebe eng
kooperieren, darf die Mitbestimmung nicht an den Be-
triebsgrenzen Halt machen . Das alles macht ein anderes
Betriebsverfassungsgesetz möglich .

Die Linke fordert mehr Mitbestimmung und Beteili-
gung; denn nur mit mehr Demokratie im Betrieb wird
es auch zu einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Fortschritt kommen können .


(Beifall bei der LINKEN)


Unsere Aufgabe als Politiker ist es, die Rahmenbedin-
gungen zu setzen . Wir können – das ist klar – nicht jeden
einzelnen kleinen Schritt vorgeben . Darum gehört noch
viel Forschungsarbeit auf diesem Feld dazu . Ministerin
Wanka hat recht, wenn sie sagt: Wir fangen nicht erst
heute an . Es gibt bereits aus den Jahren des technologi-
schen Umbruchs bzw . der Digitalisierung in der Produk-
tion weitreichende Forschungsergebnisse . Damals hieß
die Überschrift dazu „Leben und Arbeiten in der Infor-
mationsgesellschaft“.

Wir brauchen Forschung darüber, wie Belegschaften
mit diesem Veränderungsprozess umgehen . Wir müssen
ihnen Sicherheit geben, damit sie wissen, auf was sie
sich  –  qualifikatorisch,  aber  auch  im  Hinblick  auf  die 
Veränderung des Betriebes – vorbereiten müssen . Des-
halb fordern wir, dass die Forschungen, die hier in dem
Antrag noch einmal explizit genannt worden sind, auch
wirklich ernst genommen werden . Wir brauchen keine
weiteren Forschungsergebnisse, die in den Bibliotheken
der Universitäten verschwinden oder verstauben . Diese
Forschungsergebnisse müssen in die politischen, aber
auch  in  die  unternehmerischen Entscheidungen  einflie-
ßen, sonst machen sie keinen Sinn .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich kritisiere an Ihrem Antrag, dass Sie, wie vorhin
schon gesagt, keine eindeutigen Hinweise darauf geben,
wie Sie zu den Forderungen stehen, die beispielsweise
von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber-
verbände oder vom Bundesverband der Deutschen In-
dustrie kommen . Ich lese nichts von Widerspruch zu der
anmaßenden Forderung, Unternehmensgründer mit Son-
derrechten auszustatten, keine gesetzlichen Beschrän-
kungen beim mobilen Arbeiten zuzulassen oder das
Verbot der Sonntags- und Feiertagsarbeit aufzuweichen .
Dazu haben Sie Stellung zu nehmen, damit wir Sicher-
heit in den Umbau der Industrie bekommen . Ohne diese
Sicherheit, insbesondere auch für die Beschäftigten, wird
es keinen vernünftigen Einstieg in die Industrie 4 .0 geben
können .


(Beifall bei der LINKEN)


Es besteht die Gefahr, dass Belegschaften zur Rest-
größe von industriellen Veränderungsprozessen werden .
Sie haben keine Antworten auf die Frage, wie sich mög-
licherweise die Lebensqualität der Belegschaften verän-
dert, wenn es zur Entgrenzung von Arbeitszeiten kommt,
sei es, dass sie zu Hause arbeiten müssen oder sollen, sei
es, dass sie just in time in den Produktionsprozess inte-
griert werden . Ohne diese Antworten werden wir aber die
Industrie 4 .0 nicht gestalten können .


(Hubertus Heil einen Antrag! Wäre mal schön!)


Von daher ist es erforderlich, dass wir zu den Forde-
rungen der Wirtschaftsverbände eindeutig Position be-
ziehen, die aus den Möglichkeiten, die ihnen die neuen
Technologien bieten, einseitig ihren Profit heraussaugen 
wollen . Die Linke sagt: Ja, wir wollen einen technologi-
schen Fortschritt, der den Menschen dient . Wir wollen
die Möglichkeiten nutzen für gute Arbeit, für gute Löh-
ne, für eine umweltverträglichere Produktion und für
Entwicklungsmöglichkeiten in den Ländern des globalen
Südens .


(Beifall bei der LINKEN)


Das sind die wirklichen Herausforderungen der Digi-
talisierung von Wirtschaft und Arbeit . Ihr Denken ist von

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


gestern und lässt es nicht zu, dass wir wirklich die Pro-
bleme von morgen lösen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813713900

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Hubertus Heil

von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1813714000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Was verstehen wir eigentlich unter der Chiffre
Industrie 4 .0? Ich glaube, wir müssen es immer wieder
erklären, weil wir als Parlament nicht die Aufgabe haben,
in Fachtermini zu sprechen, sondern die Aufgabe haben,
uns mitzuteilen . Es geht dabei um die intelligente und
internetbasierte Vernetzung von industrieller Produktion,
und zwar auf allen Stufen der Wertschöpfung . Es geht
nach den industriellen Revolutionen der letzten 150 Jah-
re – nach Dampfmaschine, Fließband und Robotik – tat-
sächlich um einen neuen Sprung .

Warum wird sich das Ganze ökonomisch überhaupt
als Frage stellen? Weil es natürlich technologiegetrie-
bene, riesige Produktivitätsfortschritte verspricht, wenn
wir uns auf diesen Weg machen . Es wäre hinsichtlich
der ökonomischen Entwicklung dieses Landes eine Ka-
tastrophe, wenn wir diesen Weg nicht konsequent gehen
würden . Deshalb, Herr Kollege, ist beides richtig . Wir
müssen aus diesem technologischen und ökonomischen
Fortschritt sozialen Fortschritt machen, ohne Zweifel .
Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Produktivität ge-
recht verteilt wird . Aber erst einmal müssen wir für einen
Produktivitätssprung sorgen . Es muss etwas erwirtschaf-
tet werden, und es muss gerecht verteilt werden . Das sind
für uns Sozialdemokraten keine Gegensätze, sondern
wechselseitige Bedingungen .


(Beifall bei der SPD)


Frau Ministerin Wanka, bei allem in Ihrer Rede, was
ich unterstreiche, muss ich sagen: Ich finde, diese Chiff-
re Industrie 4 .0 hat sich zwar in den letzten zwei Jahren
durchgesetzt . Trotzdem müssen wir ein bisschen aufpas-
sen, dass sich auch Teile der Wirtschaft darunter versam-
meln und damit identifizieren können, die sich manchmal 
nicht  im klassischen Sinne mit dem Begriff „Industrie“ 
anfreunden . Die großen Industriebetriebe unseres Lan-
des, ob nun Bosch oder Siemens, und auch größere Tei-
le der Automobilindustrie, haben sich längst auf diesen
Weg gemacht .

Es gibt auch eine Reihe von großen Hidden Cham-
pions, wie sie immer genannt werden, im produzierenden
Mittelstand unserer Marktwirtschaft, die sich auf diesen
Weg gemacht haben: Unternehmen wie Festo, KUKA,
TRUMPF und WITTENSTEIN . Aber die Tatsache, dass
in den letzten zwei Jahren vor allen Dingen immer die-
se sechs Beispiele genannt werden, zeigt auch, dass wir

noch viel Aufholbedarf haben . Wir müssen dafür sorgen,
dass sich gerade mittelständische Unternehmen auf die-
sen Weg machen und machen können und dass sie nicht
abgehängt werden . Da bin ich mir nicht sicher, ob diese
Chiffre Industrie 4 .0 immer ganz hilfreich ist, weil vie-
le dieser Unternehmen sich nicht im klassischen Sinne
als große Industrieunternehmen begreifen, sondern als
produzierender Mittelstand . Deshalb wäre es eigentlich
wichtiger, insgesamt über eine Wirtschaft 4 .0 zu spre-
chen .

Wie auch immer der Begriff lautet – es geht um ganz
konkrete Handlungsfelder . Meine Damen und Herren, wir
beschreiben im vorliegenden Antrag nicht nur, was die
Bundesregierung macht – sie ist in vielen Bereichen auf
einem guten Weg –, sondern bündeln es in einer Strate-
gie . Herr Kollege Behrens von den Linken, Sie beklagen
sich darüber, dass wir darin so viele Themen ansprechen .
Das liegt einfach daran, dass wir vom Ressortdenken und
von der Vorstellung einzelner Säulen Abstand nehmen,
wenn wir dieses Thema angehen; denn dann wäre es kei-
ne Strategie . Wir müssen vernetzt denken, wenn wir in
diesem Bereich zu Fortschritten kommen wollen .

Wir verstehen – erstens – die digitale Infrastruktur
als Grundlage . Sie ist die Grundlage dafür, dass wir uns
auf den Weg zur Industrie 4 .0 machen können . Ohne sie
wäre es eine abstrakte und akademische Debatte . Hier hat
Deutschland tatsächlich einen Nachholbedarf, auch im
internationalen Vergleich . Wir schreiben in unserem An-
trag übrigens, dass wir uns in diesem Zusammenhang mit
dem Zwischenziel einer Übertragungsgeschwindigkeit
von 50 Mbit pro Sekunde im Jahr 2018 nicht zufrieden-
geben können, dass wir größere Bandbreiten brauchen .
Sie haben die Glasfaser angesprochen . Im Antrag steht
explizit, dass wir insbesondere auf die Glasfasertechno-
logie setzen, um diese Bandbreiten in Deutschland zu
erreichen .

Zweitens geht es uns um Forschung zur Industrie 4 .0 .
In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass der
Haushaltsausschuss gestern beschlossen hat, Ihrem Mi-
nisterium, Frau Wanka, 6 Millionen Euro zusätzlich für
die IT-Sicherheitsforschung beim Fraunhofer-Institut zur
Verfügung zu stellen. Ich finde, das ist ein guter Schritt, 
eine gute Unterstützung auf diesem Weg . Wir müssen in
diesem Bereich vor allen Dingen anwendungsorientiert
forschen, im Interesse einer Durchdringung auch für den
Mittelstand .

Drittens . Es geht um Aus- und Weiterbildung, die an
die Erfordernisse der Industrie 4 .0 angepasst werden
müssen . Es geht um neue Berufsbilder . Es geht darum,
dass wir mehr moderne Berufsbilder brauchen . Das geht
nur im Dialog zwischen den Sozialpartnern, beispiels-
weise in der Frage, dass wir in vielen mittelständischen
Unternehmen im Maschinenbau zukünftig mehr Mecha-
troniker brauchen . Da geht es konkret um Fachkräftesi-
cherung in diesem Bereich .

Viertens . Es geht um Arbeit 4 .0 . Ich will sagen: Das,
was Sie eingefordert haben, nämlich Studien durchzu-
führen, wurde im Bundesarbeitsministerium schon längst
auf den Weg gebracht . Zudem hat Frau Wanka zusätz-
liches Geld für die Arbeitsforschung erhalten . Das hat

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


der DGB ausdrücklich begrüßt . Wir wollen in diesem
Prozess nicht nur dafür sorgen, dass die betriebliche Mit-
bestimmung nicht unter die Räder kommt, sondern im
Antrag steht ausdrücklich: Wir wollen die betriebliche
Mitbestimmung weiterentwickeln, und zwar in zwei-
erlei Hinsicht . Das ist wichtig, um diesen Prozess hin-
zubekommen . Denn gegen die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer können und wollen wir uns nicht auf den
Weg machen .

Es ist gut, dass wir dafür sorgen, dass aus dem tech-
nischen Fortschritt kein Fortschritt für wenige wird, son-
dern Fortschritt für möglichst viele Menschen . Wir kön-
nen das Konzept der Industrie 4 .0, wenn wir den Rahmen
richtig gestalten, zum Beispiel nutzen, um die Huma-
nisierung der Arbeitswelt voranzubringen . Das macht
Andrea Nahles mit dem Grünbuch Arbeit 4 .0 und dem
Prozess auf dem Weg zum Weißbuch Arbeit 4 .0 deutlich .
Das ist ein wesentlicher Teil der Strategie .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fünftens – ich bin sehr dankbar, dass sich die Koa-
litionsfraktionen da einig waren – haben wir uns klar
dazu bekannt, dass wir uns nicht nur im Bestand unserer
Wirtschaft – die großen und mittelständischen Unterneh-
men – auf den Weg machen müssen, sondern wir viel
mehr junge, dynamische, wachsende Start-ups und Un-
ternehmen in diesem Land brauchen und wir sehr kon-
kret etwas für sie tun müssen . Beispielsweise müssen
wir dafür sorgen, dass mehr Wagniskapital zur Verfü-
gung steht, um das Wachstum junger, vor allen Dingen
digitaler Unternehmen zu unterstützen . Wir brauchen das
Wagniskapital als Ausrüstung in dieser Entwicklung . Da
geht es nicht nur darum, den Bundesfinanzminister da-
von abzuhalten, die Rahmenbedingungen zu verschlech-
tern  –  Stichwort  „Streubesitz“  –,  sondern  auch  darum, 
etwas dafür zu tun, dass die Bedingungen besser werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SDP sowie des Abg . Albert Rupprecht [CDU/CSU])


Das hat die Kanzlerin auf dem IT-Gipfel zugesagt . Da-
bei ging es beispielsweise um Verlustvorträge, die bei
Anteilseignerwechsel vorzunehmen sind . Wir brauchen,
meine Damen und Herren, ein Wagniskapitalgesetz .


(Beifall des Abg . Dirk Wiese [SPD])


Das steht im Koalitionsvertrag, und die Koalitionsfrakti-
onen sind miteinander der Meinung, dass es Aufgabe der
von uns getragenen Regierung ist, entsprechende Geset-
zesvorschläge zu machen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es geht um IT-Sicherheit und Datenschutz, es geht
um Normen und Rechtsrahmen, es geht um Technologie-
transfer und Wissenstransfer . Aber im Kern, meine Da-
men und Herren, geht es um Folgendes: Wir sind in der
Situation, dass wir eine gute industrielle Basis haben . Die
Ministerin hat es beschrieben: 22 Prozent der deutsch-
landweiten Wertschöpfung entfallen auf die Industrie .
Wir haben die Plattform Industrie 4 .0, die Bundeswirt-
schaftsminister Sigmar Gabriel auf den Weg gebracht

hat . Damit bringen wir alle Akteure an einen Tisch . Auch
das Bundesministerium für Bildung und Forschung wirkt
daran mit.  Ich finde, das  ist  eine gute Zusammenarbeit 
zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Na ja! Das ist nicht die richtige Beschreibung gewesen! Hauptakteur ist das BMBF!)


Wir müssen uns schleunigst auf den Weg machen . An-
dere schlafen nicht . Es gibt in Teilen der Welt Unterneh-
men, die besser sind als unsere in Deutschland, wenn es
darum geht, aus Daten Geschäftsmodelle zu entwickeln .
Wir wollen uns auf diesen Weg machen, und dieser An-
trag zeigt: Wir machen uns auf den Weg . Das ist eine gute
Nachricht .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813714100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dieter Janecek

von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813714200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau

Dr . Wanka! Sehr geehrter Herr Heil, dieser Antrag liest
sich so: Wenn sich zwei Ministerien nicht einigen kön-
nen, schreibt man alles zusammen; am Ende hatten Sie
ein fertiges Stück, aber eine klare Strategie für die In-
dustrie 4 .0 haben Sie nun wirklich nicht formuliert . Das
ist ein Grund – ich nenne Ihnen gleich noch andere –,
warum wir diesen Antrag ablehnen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gabriele Katzmarek [SPD]: Ehrlich?)


Auch ich komme ein bisschen rum in der Welt . Frau
Dr . Wanka, wenn Sie zu den Amerikanern, den Chinesen
oder den Afrikanern gehen und ihnen von Industrie 4 .0
erzählen, dann sagen die Ihnen nicht: Mit dem Begriff
können wir etwas anfangen; da hat Deutschland ebenso
wie bei der Energiewende Maßstäbe gesetzt . – Das ist
eine ehrliche Analyse; das muss man erst einmal fest-
halten . Ich glaube, dass diese Analyse zutreffend ist . Mit
diesem Begriff suggerieren Sie und die Bundesregie-
rung zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen
Industrie zwar, dass wir jetzt aufholen wollen, dass wir
Hardware und Software endlich zusammenbringen wol-
len . Aber das Problem ist, dass die gesamten Rahmen-
bedingungen des Internets in diesem Antrag überhaupt
nicht thematisiert werden . Das ist ein großes Problem .
Sie können viele Forschungsprojekte  auflegen und viel 
über Automatisierung reden; aber Sie müssen auch über
die Entscheidungen sprechen, die Sie zum Beispiel im
Europäischen Parlament treffen . Dort hat nämlich je-
weils nur ein Abgeordneter Ihrer Fraktionen für die Netz-
neutralität gestimmt . Wenn das so weitergeht, werden wir
schlechte Rahmenbedingungen für den Mittelstand und
für die Industrie bekommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


Diese Themen gehören zu einer Gesamtstrategie .

Das freie Internet ist in Gefahr . Wir haben im Zusam-
menhang mit Industrie 4 .0 auch über Innovationen durch
Offenheit zu sprechen: Open Access, freie Schnittstellen,
Wettbewerbsrecht . Wo sind die Vorschläge dazu?


(Hubertus Heil Ihre Vorschläge?)


Wir haben Probleme mit der Plattformisierung der Wirt-
schaft . Es ist ja gut, wenn sich die Industrie automati-
siert; aber wenn sich die gesamte Struktur der Wirtschaft
gleichzeitig so verändert – Herr Heil hat das immer-
hin  angesprochen;  ich  finde  es  richtig,  dass  er  gesagt 
hat, dass das Thema eigentlich „Wirtschaft 4.0“ heißen 
muss –, dass immer mehr digitale Plattformen entstehen,
die ein Andocken anderer Plattformen ermöglichen, wir
bzw . unsere Industrie diese Plattformen aber nicht baut,
dann ist das ein grundlegendes Problem . Dann verlieren
wir international auch Marktanteile. Dieser Prozess fin-
det gerade statt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will ein positives Beispiel nennen . Deutsche Au-
tomobilhersteller haben gesagt: Okay, wir haben es ver-
pennt; aber wir kaufen jetzt Nokia Maps, bauen uns eine
eigene Map und machen da etwas . – Über diese großen
Rahmenlinien haben Sie nicht gesprochen . Darüber müs-
sen wir aber reden . Das muss unsere Richtung sein .

Ein freies Internet schafft Wettbewerb . Dieser Wett-
bewerb muss fair sein, und die Bedingungen für diesen
Wettbewerb müssen wir in Europa selbst schaffen . Wir
müssen nicht – da gebe ich Ihnen recht – in Sack und
Asche gehen, weder unsere Industrie noch unsere For-
schungslandschaft; denn wir können das . Aber wir haben
das in der Vergangenheit nicht wirklich gut gemacht . Wir
müssen das besser machen . Wir müssen den Rahmen set-
zen .

Nächstes Beispiel: Europäische Datenschutz-Grund-
verordnung . Auch diesbezüglich ist Deutschland kein
Player, der das Ganze so entwickelt, dass Sicherheit zu
einem Wettbewerbsvorteil wird . Sicherheit wird, wenn
wir das nicht ordentlich machen, zu einem Wettbewerbs-
nachteil . Der Rahmen muss stimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Rahmen stimmt aber nicht, und solange dieser
Rahmen nicht stimmt, werden wir auch mit der Indus-
trie 4 .0 – das ist ein sogenanntes Buzzword – nicht re-
üssieren .

Wir müssen uns auch einmal fragen: Was sind denn die
Themen, die wir nach vorne stellen wollen? Automatisie-
rungsprozesse finden in der Industrie vom Stahlwerk bis 
zur Gießerei – auch ich komme rum – seit 20 Jahren statt .
Das ist für die Industrie nichts Neues . Es ist richtig, dass
dadurch Produktivitätspotenziale erschlossen werden,
vielleicht auch ökologische Potenziale . Auch darüber
sollten wir reden . Wir sollten fragen: Wie können wir die
Mobilität anders lenken? Wie können wir zum Beispiel
dafür sorgen, dass sich der Besitz von Automobilen öfter
geteilt wird und nicht mehr jeder eins besitzen muss? Das
kann Vorteile für Städte und Kommunen haben . Da kann

viel getan werden . Aber diese Fragen müssen in den Vor-
dergrund gestellt werden .

Es reicht nicht, auf ich weiß nicht wie vielen Seiten
zahlreiche Spiegelstriche zu setzen . Das ist schön und
gut . Ich erkenne auch an, dass etwas passiert . Am Ende
muss man aber eine Richtung definieren: Wo wollen wir 
mit dieser Wirtschaft 4 .0 hin? Wo wollen wir mit der
Digitalisierung hin? Wie wollen wir fairen Wettbewerb
schaffen? Wie wollen wir ökologische Rahmenbedingun-
gen schaffen, die für Ressourcenschonung sorgen? Das
alles müssen wir zusammenbringen, wir müssen etwas
für den Mittelstand tun und die Rechtssetzung in Europa
im Sinne unserer Unternehmen gestalten . Wir dürfen uns
nicht danach richten, was das Silicon Valley macht, son-
dern müssen selbstbewusst vorangehen . Wenn wir das
schaffen, dann haben wir wirklich etwas gewonnen .

Weil Sie das in Ihrem Antrag nicht formuliert haben,
werden wir heute nicht zustimmen, nicht, weil wir den
Antrag prinzipiell ablehnen – er enthält viele interessante
Maßnahmen, das Grünbuch „Arbeiten 4.0“ und anderes, 
womit wenigstens eine Analyse in Angriff genommen
wird –, aber die Ziele stimmen noch nicht . Der Rahmen
muss gesetzt werden; die Rechtssetzung muss stimmen;
der Wettbewerb muss stimmen . Das alles ist in dem An-
trag nicht enthalten . Deswegen werden wir diesen Antrag
ablehnen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813714300

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Axel Knoerig

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Axel Knoerig (CDU):
Rede ID: ID1813714400

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin, Frau

Professor Wanka! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, wir
stellen fest, dass die Digitalisierung einen riesigen Ab-
satzmarkt erzeugt hat, der unserer Wirtschaft weltweit
neue Chancen bietet . Die Globalisierung und auch die
mittlerweile über 130 Handelsabkommen – dieses The-
ma haben wir in der vorherigen Debatte besprochen –
tragen dazu bei, dass wir uns neue Zukunftsmärkte er-
schließen . Dabei sind hohe Wachstumsraten zu erwarten .
Allein durch Industrie 4 .0, durch das digitalisierte Arbei-
ten und Wirtschaften, erwarten wir ein zusätzliches Wirt-
schaftswachstum von 1,7 Prozent . Diese Wertschöpfung
wird sich vor allem in den Branchen Informations- und
Kommunikationstechnologie, Maschinen-, Anlagen- und
Automobilbau vollziehen; hier wird es zu immensen
Steigerungen kommen . Und dass die Arbeitslosigkeit
derzeit auf dem niedrigsten Stand seit 1991 ist, ist vor
allem dem entschlossenen Handeln der Unternehmer und
ihrer Fachkräfte zu verdanken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist völlig richtig, dass wir die Debatte nicht allein
auf Technik und auf Industriepolitik beschränken dür-

Dieter Janecek






(A) (C)



(B) (D)


fen – das hat die Ministerin richtigerweise ausgeführt –;
vielmehr müssen wir die Entwicklung auch mit sozialen
und kulturellen Veränderungen verbinden . Unter dem
Stichwort „Arbeit 4.0“ – es ist schon angesprochen wor-
den – beschäftigen wir uns mit den Auswirkungen der
Digitalisierung auf die Arbeitswelt .

Das Konzept der sozialen Marktwirtschaft hat sich
immer wichtigen gesellschaftlichen Veränderungen an-
gepasst . In den 80er-Jahren entstand ein neues Verhält-
nis zwischen Wirtschaft und Ökologie, jetzt verändert
die Digitalisierung das Verhältnis zwischen Technik
und Arbeit . Dabei müssen wir eine Frage besonders in
den Vordergrund stellen: Was prägt die digitale soziale
Marktwirtschaft?

Als Erstes ist zu nennen: Seitdem die Digitalisierung
auf den Finanzmärkten greift, haben sich die Börsenbe-
wegungen verändert . Wir haben Krisen erlebt . Deswegen
ist es wichtig, die Finanzmärkte im Hinblick auf das ge-
samtwirtschaftliche Gleichgewicht intensiv zu beobach-
ten .

Wir stellen zweitens fest, dass die Wertschöpfung
unserer Wirtschaft immer mehr über das Internet und
die Daten als solche bestimmt wird . Deshalb nimmt die
staatliche Regulierung in der Netzpolitik einen immer
höheren Stellenwert für unsere Volkswirtschaft ein . Dazu
gehören unter anderem die Preisregulierung, das Urhe-
berrecht, der Verbraucherschutz und die Datensicherheit .

Der dritte Punkt ist besonders wichtig im Hinblick auf
den Schutz von Unternehmen, Patenten und Informati-
onsrechten vor Cyberkriminalität; denn es kann nicht
sein, dass in unserer Volkswirtschaft jährlich ein Schaden
von über 50 Milliarden Euro angerichtet wird .

Marktorientierte  Wirtschaftspolitik  und  staatlich  fi-
nanzierte Arbeitspolitik stehen seit jeher in einem Span-
nungsverhältnis . Der digitale Wandel richtet dieses neu
aus . Was wir angesichts dieser massiven Veränderungen
brauchen, ist eine neue Kooperation von Wirtschaft und
Arbeit . Dabei müssen wir unseren Blick vor allem auf die
Unternehmenskultur richten; denn der digitale Wandel
findet  innerhalb  der Unternehmen  statt. Deswegen  for-
dern wir ein Umdenken auf beiden Seiten: Arbeitnehmer
müssen unternehmensorientierter denken, und Unterneh-
men müssen Mitarbeiterinteressen mehr berücksichtigen .

Mit einem neuen Label möchte ich die wichtigste
Strategie für Wirtschaft und Arbeit auf den Punkt brin-
gen: Jetzt ist ein „Neues Digitales Management“ gefragt. 
Dieses  „Neue  Digitale  Management“  muss  vor  allem 
ganzheitlich ausgerichtet sein . Das bedeutet für die Un-
ternehmen, dass erstens die leitenden Aufgaben mehr de-
legiert werden müssen, dass Hierarchien abgebaut und
dezentrale Strukturen, Netzwerke und Mobilität aufge-
baut werden müssen .

Zweitens. Auch  effizientes  Personalmanagement  ge-
hört zur eigenen Fachkräftesicherung dazu . In meinem
Wahlkreis Diepholz–Nienburg erlebe ich immer wieder,
dass Unternehmer spezielle Personalmanager einstellen,
um  betriebsintern  das  ganze  Spektrum  der  beruflichen 
Aus-, Fort- und Weiterbildung gut abzudecken und um
darüber hinaus neue Arbeitskräfte zu akquirieren .

Der dritte Punkt ist entscheidend: Arbeitnehmer soll-
ten durch Mitbestimmung und Teilhabe in die Verant-
wortung und somit in das unternehmerische Handeln
eingebunden werden .

Diese digitalen Prozesse schaffen vor allem eine neue
Art der Transparenz in den Unternehmen . Der VW-Skan-
dal ist ein gutes Beispiel . Denn ich meine, dass dieser
insbesondere in der Firmenkultur begründet ist . Die digi-
talen Medien, die neuen Arbeits- und Geschäftsprozesse
bieten einen Neubeginn, eine Chance, dass mithilfe die-
ser digitalen Geschäftsprozesse die Unternehmenskultur
transparent ausgestaltet werden kann .

Wir brauchen natürlich – das ist auch angesprochen
worden – leistungsfähige Infrastrukturen . Dazu gehören
EU-weite Serverlandschaften und ein schnelles Internet
jenseits von 100 Mbit/s . Wir wollen vor allem in Europa
keine Konzentration von Diensten und keine Kartellbil-
dung im digitalen Markt – Google ist hierfür ein Bei-
spiel –, wie das entsprechend untersucht wird .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Stattdessen brauchen wir im digitalen Binnenmarkt
günstige Investitionsbedingungen vor allem für kleine
und mittelständische Unternehmen und eine Sicherheits-
architektur für das Internet, die von europäischer Souve-
ränität geprägt ist . Deswegen muss die Politik an dieser
Stelle die regulatorischen Vorgaben europäisch begrün-
den und globale Standards setzen .

Abschließend möchte ich mit Blick zu den Kollegen
von den Grünen sagen: Wir gehen progressiv an die Wirt-
schaft heran


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


und gestalten neue Geschäftsmodelle . Wir verteufeln
es nicht, dass man, zum Beispiel im Bereich der Medi-
zin, über die Ländergrenzen hinweg zu neuen Diensten
kommt, zu Spezialdiensten, die über das Internet laufen .
Deswegen kann man das eine wie auch das andere, die
Netzneutralität und die Spezialdienste, zu einem guten
Trend miteinander verbinden .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813714500

Ganz herzlichen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kol-

legen, bisher hat bis auf Ministerin Wanka jeder Redner,
jede Rednerin die Redezeit überzogen . Ich habe einfach
die Bitte, dass Sie auf das Warnsignal, das Sie erhalten,
achten . Wir haben bereits jetzt eine Überziehung von ei-
ner Stunde .


(Hubertus Heil Debatte vorher!)


Das wird ein wenig schwierig für einen Teil der Kollegen
werden . Das werden wir nicht aufholen – diese Illusion
habe ich nicht –, aber wir sollten versuchen, es nicht noch
weiter zu vergrößern . Deshalb meine Bitte .

Axel Knoerig






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt hat Kai Gehring als nächster Redner das Wort .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813714600

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Schade, dass dieser

Appell jetzt den letzten Oppositionsredner in dieser De-
batte trifft .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813714700

Er trifft alle .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813714800

Sehr geehrte Damen und Herren! Mit den Schlag-

worten „Industrie 4.0“ und „Smart Services“ verbinden 
sich ganz klar epochale internetbasierte Veränderungen .
Deswegen brauchen wir freies Internet für alle statt ein
Zweiklasseninternet, und deshalb kann ich nur sagen:
Finger weg von der Netzneutralität .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Gabriele Katzmarek [SPD] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir gehen da gar nicht ran!)


In der Industrie 4 .0 liegen Chancen für Innovation, Chan-
cen für eine humanere Gestaltung der Arbeitswelt und ef-
fizienteren Ressourceneinsatz, Chancen, die wir nutzen 
müssen und die wir auch dringend politisch gemeinsam
gestalten müssen .

Bei dem Antrag der Koalitionsfraktionen teilen wir
sicherlich die Beschreibung, dass wirtschafts-, arbeits-,
bildungs- und forschungspolitische Maßnahmen zur
Förderung der Digitalisierung notwendig sind, übrigens
auch Datenschutz und -sicherheit . Aber Sie stellen den
lernenden, den forschenden und arbeitenden Menschen
nicht in den Mittelpunkt Ihres Antrags .


(Hubertus Heil Das ist die große Schwäche . Was heißt denn Digitalisierung im Klassenzimmer für Schüler, Lehrer und Eltern? Wie kommen gute Ideen vom Forschungscampus oder dem Reallabor in den Alltag für alle? Wie müssen die neuen zeitpolitischen Arrangements in der digitalisierten Arbeitswelt aussehen? Welche neuen Innovationen und auch welche neuen sozialen Fragen verbinden sich damit? Da muss deutlich weitergedacht und dann etwas gemacht werden . Auf 15 langen Seiten listen Sie viele schöne Programmnamen und insgesamt 75 Bullet Points mit Selbstbeauftragungen auf . (Hubertus Heil nahmen!)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dafür haben Sie auf jeden Fall ein Fleißkärtchen verdient .
Dennoch bleibt das Bild blass, wie Sie denn die vierte in-
dustrielle Revolution kreativ, menschlich und ökologisch
ausrichten wollen. Ihre Auflistung ist ein Sammelsurium. 

Jedes Ministerium wurschtelt vor sich hin . Industrie 4 .0
braucht dringend eine konsistente Gesamtstrategie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Herbert Behrens [DIE LINKE] – Hubertus Heil immer schön! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN], an Abg . Hubertus Heil (Peine)

klatschen!)

– Ja, dann klatschen Sie doch mit . – Zur Breitbandinfra-
struktur schreiben Sie, dass das die Grundvoraussetzung
für die erfolgreiche Etablierung von Industrie 4 .0 ist .


(Hubertus Heil Binsenweisheit!)


Ich sage Ihnen: Butter bei die Fische . Da gibt es seit
Jahren kein ordentliches Vorankommen . Wenn die Basis
fehlt, muss man sich um den Innovationsstandort wirk-
lich Sorgen machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sehen leider keinen Reformbedarf bei Ihrer völlig
technologiefixierten Hightech-Strategie. In Ihrem Antrag 
sind ja zig Punkte zur Hightech-Strategie enthalten; es
ist erstaunlich, dass die Ministerin gar nichts dazu gesagt
hat . Zugleich loben Sie Programme zur sozialen Imple-
mentierung und zur Arbeitsforschung über den grünen
Klee . Stattdessen sollten Sie technologische und sozia-
le Innovationen von vornherein zusammendenken und
diesen interdisziplinären Ansatz auf die gesamte High-
tech-Strategie übertragen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil wir!)


Wenn Sie so versäult an die Sache herangehen, dann
kann das keinen neuen Gründergeist, den wir so dringend
brauchen,  entfachen. Allein  der Begriff  „Industrie  4.0“ 
würde mich als neuen Gründer oder Inhaber eines klei-
nen oder mittelständischen Unternehmens nicht anspre-
chen . Insofern: Schön, dass Sie sich ihn ausgedacht
haben . Aber offensichtlich zündet er gerade bei denen,
die „small and beautiful“ sein wollen, die Gründerinnen 
und Gründer der Zukunft sein wollen, nicht .

Wer neue Herausforderungen für Beschäftigte an-
spricht, der darf zu neuen Arbeitszeitmodellen nicht
schweigen und Aus- und Weiterbildung nicht vernach-
lässigen, liebe Koalition . Wir müssen Ihre hehren Worte
hier an den Taten und ganz klar auch an Haushaltszahlen
messen .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau das machen wir!)


Da zeigt sich: Die Unterfinanzierung bei den Berufsschu-
len bleibt bestehen . Auch die Barriere Kooperationsver-
bot für die digitale Bildung bleibt . Modelle für neue, voll-
zeitnahe Teilzeitbeschäftigung bleiben Sie uns schuldig .
Sie schweigen zu den Schutzstandards für Beschäftigte .
Auch auf Impulse für eine echte Weiterbildungskultur,
ob analog oder digital, warten wir vergebens . In diesem
Antrag attestieren Sie Geringqualifizierten ganz klar ein 

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


„erhöhtes Arbeitsplatzrisiko“ in der Arbeitswelt 4.0. Ein 
Rezept dagegen formulieren Sie aber nicht . Das muss
sich dringend ändern . Industrie 4 .0 gelingt nur mit Bil-
dung 4 .0 .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Simone Raatz [SPD])


Wir müssen die Barrieren einreißen: zwischen beruf-
licher und akademischer Bildung, zwischen Wirtschaft
und Wissenschaft . Gute Beispiele für Wissens- und Tech-
nologietransfer muss man bundesweit übertragen .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau das machen wir! Bitte lesen!)


Hier sollte der Staat auch einen besseren Rahmen setzen,
vor allem bei Ausgründungen aus Hochschulen und For-
schungseinrichtungen und für Start-ups .

Die Formulierung in Ihrem Antrag, dass hier „kon-
krete  Fördermaßnahmen  …  wichtige  Impulse  liefern“ 
könnten, offenbart Ihre Ideenlosigkeit . Übrigens: Auch
die Forderung, jetzt die Forschungs- und Entwicklungs-
ausgaben zu erhöhen, ist dringend noch einmal anzuspre-
chen; denn von der Erreichung des 3,5-Prozent-Ziels,
das auch Ihre regierungseigene Kommission formuliert
hat, sind wir weit entfernt . Das muss gesamtstaatlich
geschafft werden, aber eben auch mit der Wirtschaft zu-
sammen . Deshalb: Kommen Sie endlich in die Hufe, und
bringen Sie eine steuerliche Forschungsförderung für
kleine und mittlere Unternehmen auf den Weg! Das ist
dringend notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weil in Ihrem ganzen Antrag Anspruch und Wirklich-
keit so extrem weit auseinanderklaffen, können wir ihm
leider nicht zustimmen .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist wieder die Standardrede! Da war nichts zu „Industrie 4.0“ dabei! Alles ganz allgemein!)


Ich sage – gerade Ihnen, Herr Rupprecht –: Haben Sie
doch Mut zu Strukturreformen, statt 75 Forderungen
an sich selber zu formulieren! Da geben Sie sich ja fast
selbst auf .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Kai Gehring bringt immer dieselbe Rede! Egal zu welchem Thema – immer dieselbe Rede!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813714900

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Gabriele

Katzmarek von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabriele Katzmarek (SPD):
Rede ID: ID1813715000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich freue mich, dass wir das Thema „Industrie 4.0“ heute 
hier diskutieren können . Was mich nur etwas erstaunt –
das will ich gleich zu Beginn sagen –, ist das, was die

Opposition vorgetragen hat . Herr Behrens, Sie haben
beispielsweise davon gesprochen, dass wir in unserem
Antrag nichts zu den Forderungen der Arbeitgeber sa-
gen . Wir haben halt ein anderes Politikverständnis; das
will ich Ihnen schon einmal sagen . Es geht nicht darum,
dass wir Anträge einbringen, in denen wir uns mit Forde-
rungen von Arbeitgebern oder sonstigen Gruppierungen,
die irgendwo zu lesen sind, auseinandersetzen, sondern
unser Verständnis ist, diesen Prozess im Interesse der
Menschen in diesem Land zu gestalten . Deshalb haben
wir entsprechende Forderungen in unseren Antrag aufge-
nommen und auch Maßnahmen aufgeschrieben . Uns geht
es um die Frage: Wie sieht unsere Zukunft aus? Denn wir
wollen Zukunft gestalten und nicht nur hier stehen und
sagen, warum wir gegen etwas sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg . Herbert Behrens [DIE LINKE])


– Dazu haben wir auch etwas geschrieben . Lesen Sie
noch einmal die Seite 8 . Ich komme gleich aber noch
einmal darauf . Nach der Debatte können wir die Absätze
gerne noch einmal – dieses Angebot mache ich Ihnen –
gemeinsam durchgehen . Dazu bleibt hier jetzt aber keine
Zeit .

Ich will auch noch eines zu der anderen Oppositions-
fraktion, zu Ihnen von den Grünen, sagen: Ich fand es
sehr spannend, dass Sie, Herr Janecek, auf der einen Sei-
te gesagt haben: „Darin sind zu viele Punkte aneinander-
gereiht; es  ist ein ganzes Maßnahmenbündel“, während 
Sie sich gemeinsam mit Herrn Gehring gleichzeitig darü-
ber beklagt haben, was alles nicht enthalten ist . Natürlich
fehlt in diesem Antrag noch etwas; denn wir reden über
einen Prozess .


(Beifall des Abg . Hubertus Heil [SPD])


Er ist heute nicht abgeschlossen und beendet, sondern er
muss permanent weiterentwickelt werden .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb die Sofortabstimmung!)


Von daher hätte ich mich sehr gefreut, wenn Sie das,
was Ihrer Meinung nach im Augenblick sehr wichtig ist
und in diesem Antrag noch fehlt, durch Änderungswün-
sche hinzugefügt hätten .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn der Antrag mittwochs kommt und Sie eine Sofortabstimmung wollen, geht das nicht!)


Auch Ihre Aussage, der Mensch stehe nicht im Mit-
telpunkt, stimmt nicht . Wenn Sie genauer lesen, dann
werden Sie sehen, dass dem ein ganz großes Kapitel ge-
widmet ist .

Wir übernehmen politische Verantwortung; denn es ist
unsere Aufgabe, in diesem Prozess dafür Sorge zu tra-
gen – Hubertus Heil hat das bereits gesagt –, dass die
Menschen nicht unter die Räder kommen . Durch die Fra-
gen, die wir aufwerfen, aber auch durch die Maßnahmen,

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


die wir formulieren, übernehmen wir die Verantwortung
für den sozialen Fortschritt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die SPD-Fraktion hat sich recht früh und intensiv mit
dem politischen Handlungsbedarf bei Industrie 4 .0 be-
schäftigt . In einem breit angelegten Dialog mit Gewerk-
schaften, Unternehmen, der Wissenschaft und Verbänden
wurden die Fragen der digitalen Transformation disku-
tiert .

Im Juni haben wir ein Positionspapier vorgelegt, das
den Blick ausführlich und ganzheitlich auf die Heraus-
forderungen, Ziele und Maßnahmen richtet . Vieles davon
ist in den heute vorliegenden Antrag eingeflossen.

Meine Vorredner haben einen Teil davon schon be-
nannt . Insbesondere auf einen Punkt will ich noch einmal
eingehen, weil er in der Diskussion auch bei der Oppo-
sition eine besondere Rolle spielte: Neben der Aus- und
Weiterbildung, bei der es explizit um Arbeitnehmerfra-
gen geht, zum Beispiel: „Wie sind die Arbeitnehmer
für die Zukunft gerüstet, um diesen Wandel meistern zu
können?“, haben wir auch einiges andere mit aufgenom-
men, beispielsweise das Thema Arbeit 4 .0, und zwar in
der Form, wie Andrea Nahles es ja auch schon in ihrem
Grünbuch angesprochen hat . Andrea Nahles mit ihrem
Ministerium hat ja zu Recht dieses Thema oben auf die
Agenda gesetzt .


(Beifall bei der SPD)


Ich habe gerade gesagt, Sie sollten einmal die Seite 8
des Antrags  aufschlagen. Dort finden Sie  etwas zu den 
Fragen, wie Beschäftigte mitgenommen werden und was
für Beschäftigte passieren muss . Die Antwort darauf
haben wir dort aufgenommen, indem wir klar formuliert
haben, dass die betriebliche Mitbestimmung gestärkt
werden muss, dass wir dem Missbrauch von Werkverträ-
gen wirksam entgegentreten und dass wir es nicht zulas-
sen werden, dass technische Möglichkeiten dazu genutzt
werden, Arbeitnehmerrechte – ein Stichwort ist zum Bei-
spiel „Arbeitnehmerdatenschutz“ – einzuschränken, und 
das beschließen wir heute .

Ich habe gerade etwas zur politischen Verantwortung
gesagt . Mit diesem Antrag und mit unserer Positionie-
rung dazu übernehmen wir politische Verantwortung .
Wir stellen uns nicht nur hin und sagen: „Es könnte al-
les viel, viel mehr sein; es reicht uns nicht“, sondern wir 
kümmern uns um die Menschen in diesem Land, und wir
achten darauf, dass die Menschen in diesem Land nicht
unter die Räder kommen . Wir werden – und das ist so-
zialdemokratische Wirtschaftspolitik – nicht nur bewah-
rend tätig sein, sondern die Chancen nutzen, die Zukunft
im Interesse der Menschen und der Arbeitsplätze für die
Menschen zu gestalten .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber es nicht bei Absichtserklärungen belassen!)


Unser Antrag ist ein wichtiger Beitrag dazu, den wir
heute leisten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813715100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Wolfgang

Stefinger von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Wolfgang Stefinger (CSU):
Rede ID: ID1813715200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin!

Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Digitalisierung
verändert alle Lebensbereiche – das haben wir schon
gehört –: Gesellschaft, Staat, Wirtschaft . Alle sind glei-
chermaßen davon betroffen . Die neuen Technologien
verändern die Kommunikation, die Interaktion zwischen
Menschen, zwischen Mensch und Maschine, zwischen
Maschinen . Produktion und Internet verschmelzen zu
cyberphysischen Systemen . Die Veränderungen sind so
immens, dass manch einer von der „digitalen Revoluti-
on“ spricht.

Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten, sie
bietet Chancen, nicht nur im persönlichen Bereich – das
erleben wir täglich, wenn wir unsere Smartphones in der
Hand halten und neue Angebote für irgendwelche Apps
bekommen –, sondern auch im betrieblichen Bereich ent-
stehen neue Möglichkeiten, neue Wege der Produktion
und Dienstleistung .

Die  Fertigungsprozesse werden  flexibler,  effizienter, 
individueller und nachhaltiger . Neue Geschäftsmodel-
le entstehen, neue Arbeitsformen und Tätigkeitsfelder
eröffnen sich . Die Maschinen können über das Internet
gesteuert werden, sie kommunizieren selbstständig mit-
einander . Produkte werden über Chips mit Maschinen
vernetzt sein . Die gesamte Wertschöpfungskette bis zum
Kunden – alles automatisch, alles digital . Science- Fiction
wird Realität, werden Sie sich vielleicht denken .

Wir möchten diese Realität mitgestalten . Industrie 4 .0
ist für Deutschland von herausragender Bedeutung . Wir
möchten, dass Deutschland Leitanbieter auf diesem Ge-
biet ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das klare Ziel der Koalition ist: Deutschland soll di-
gitales Wachstumsland Nummer eins in Europa werden .
Hierfür hat Deutschland die besten Voraussetzungen;
Frau Ministerin hat bereits darauf hingewiesen . Im Üb-
rigen: Herzlichen Dank, dass Sie heute selber zu diesem
Thema gesprochen haben . Das unterstreicht noch einmal
den Stellenwert dieses Themas im Bundesbildungsminis-
terium .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben es bereits angesprochen: Wir haben Spit-
zenpositionen im Maschinen- und Anlagenbau, in der
Automobilindustrie, in der Elektrotechnik, in der Chemie
und zunehmend auch bei der IT-Sicherheit, wenn ich nur
an unsere drei Kompetenzzentren denke, die bereits mit
Preisen ausgezeichnet wurden . Wir haben hervorragen-
de Fachkräfte, einen starken Mittelstand . Deutschland
ist – und auch deswegen ist das Thema für uns besonders

Gabriele Katzmarek






(A) (C)



(B) (D)


wichtig – international führender Fabrikausrüster . Die
geschaffene Plattform Industrie 4 .0 ist im internationalen
Vergleich eines der größten Netzwerke im Bereich Indus-
trie 4 .0 . Und hier muss ich Sie, lieber Herr Kollege Heil,
korrigieren . Das BMBF wirkt hier nicht nur mit,


(Hubertus Heil sam!)


sondern wir sind Taktgeber in diesem Bereich


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und machen das gemeinsam mit dem Wirtschaftsminis-
terium .


(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil – Ich gebe Ihnen recht: Es ist wichtig, dass es klappt . Deswegen ist es auch wichtig, dass die Ministerien in dem Bereich vertrauensvoll zusammenarbeiten . (Hubertus Heil Ich möchte eine weitere Stärke herausstellen, nämlich Wissenschaft und Forschung, die weltweit ein hohes Ansehen genießen . Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Innovationsund Wettbewerbsfähigkeit . Was bislang im Bereich Industrie 4 .0 geleistet wurde, vor allem vonseiten des Bundesbildungsministeriums, des Zukunftsministeriums, ist beachtlich . Wir haben in unserem Antrag mehr als 30 Fördermaßnahmen aufgelistet: Grundlagenforschung, Arbeitsforschung, Sicherheit, Spitzencluster, Mittelstandsförderung, um nur einige wenige zu nennen . Auch wenn ich mir die Haushaltszahlen anschaue, meine sehr geehrten Damen und Herren, dann stelle ich fest, dass im Haushalt des Bundesbildungsministeriums die höchste Summe für den Bereich Industrie 4 .0 eingestellt ist . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Albert Rupprecht [CDU/ CSU]: Das ist Schwerpunktsetzung!)


(Peine) [SPD]: Wichtig ist, dass es klappt!)


(Beifall bei der CDU/CSU)


Alles automatisch, alles digital! Wo bleibt der Mensch?
Diese Frage kam schon .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


Haben wir Menschen in der Zukunft leere Fabriken?
Nein, das werden wir nicht haben . Der Mensch wird
auch weiterhin gebraucht, nur eben anders . Deshalb ist
im Antrag ein Schwerpunkt auf Bildung, Weiterbildung
und Forschung gelegt .

Natürlich bedeutet Industrie 4 .0 eine Veränderung
der Arbeitsabläufe, der Tätigkeitsbeschreibung, der Ar-
beitsplatzgestaltung.  Deswegen  sind  Qualifizierungs-
maßnahmen nötig, Ausbildungsinhalte sind anzupassen .
Hochschulen und Berufsschulen müssen sich auf Verän-
derungen einstellen; denn die Vermittlung von IT-Kom-
petenz muss in Zukunft einen noch höheren Stellenwert
einnehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auch Geringqualifizierte und An- und Ungelernte müs-
sen natürlich mitgenommen werden . Das haben wir im
Antrag entsprechend formuliert .


(Gabriele Katzmarek [SPD]: Genau!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Rahmen
des Förderprogramms „Innovationen für die Produktion,
Dienstleistung und Arbeit von morgen“ ist in diesem Be-
reich bereits vieles angestoßen . Ich darf noch einmal die
Summe nennen: Wir sind hier bei 1 Milliarde Euro, die
das Bundesbildungsministerium bis 2020 hierfür vorge-
sehen hat .

Unsere Betriebe, unsere Produktion und unser gesell-
schaftliches Miteinander verändern sich durch die fort-
schreitende Digitalisierung . Wir setzen auf die Chancen
der Digitalisierung für Industrie, für Unternehmen und
für die Gesellschaft . Wir wollen den Wandel gestalten
und stärken hierfür Bildung, Forschung und Innovatio-
nen – anwendungsbezogen, mit Unternehmen, mit dem
Handwerk .

„Deutschland hat die Chance, das bessere Silicon
Valley zu werden“, sagte Christoph Keese nach seinem 
USA-Aufenthalt 2014 . Ich sage Ihnen: Nach meiner
USA-Reise kann ich Ihnen bestätigen, dass er recht hat .
Deswegen bitte ich Sie: Lassen Sie uns diese Chance ge-
meinsam nutzen! Wir sind überzeugt: Deutschland kann
das .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland schafft das, aber die Regierung nicht! – Gegenruf des Abg . Max Straubinger [CDU/CSU]: Ihr schafft uns!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813715300

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Simone

Raatz von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Simone Raatz (SPD):
Rede ID: ID1813715400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der aktuel-
le  Monitoring-Report  „Wirtschaft  DIGITAL“,  den  das 
BMWi in Auftrag gegeben hat, zeigt, dass Deutschland
im Zehn-Länder-Vergleich auf Platz sechs zurückgefal-
len ist . Ich denke, das ist ein Aha-Signal . Warum ist das
so? Die Studie identifiziert dafür drei große Schwächen 
in Deutschland . Auf diese sind zum Beispiel die Vorred-
ner in keiner Weise eingegangen, insbesondere die von
der Opposition nicht .

Erstens . Das ist die mangelnde Verfügbarkeit von
Fachkräften . Erst wenn ich Fachkräfte habe, kann ich
über Mitbestimmung reden oder – sage ich einmal – aus
dem Grünbuch zitieren . Das ist der erste Punkt, warum
Deutschland auf Platz sechs zurückgefallen ist, nämlich
dass wir in diesem Bereich nicht ausreichend Fachkräf-
te haben . Zweitens . Die teilweise schlecht ausgebaute
Netz infrastruktur ist zu nennen; das ist angeführt wor-

Dr. Wolfgang Stefinger






(A) (C)



(B) (D)


den . Drittens . Das ist der geringe Anteil an Exporten der
Informations- und Kommunikationstechnologie .

Das macht deutlich: Wir müssen bei der Digitalisie-
rung der Wirtschaft erheblich an Tempo zulegen . Wir
brauchen natürlich auch Antworten . Ich habe hier von
der Opposition eigentlich nur Fragen vernommen . Wir
versuchen mit dem Antrag, einige Antworten zu geben .
Natürlich gelingt das nicht vollumfänglich . Aber wir la-
den Sie immer herzlich ein, sich mit Ihren Ideen zu be-
teiligen .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Wir sagen Ihnen das gern in den Ausschüssen!)


Wir stehen dem offen gegenüber .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin daher froh, dass sowohl das BMWi als auch das
BMBF Förderprogramme aufgelegt haben, die einen
ganz wichtigen Beitrag zum Gelingen der vierten indus-
triellen Revolution leisten werden . Dafür an dieser Stelle
einmal ganz herzlichen Dank an die beiden Ministerien .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, 78 Prozent der für
das Monitoring befragten Entscheidungsträger geben an,
dass sie insbesondere im Bereich des Ausbaus der Fach-
kräfteförderung die Politik, also uns, in der Pflicht sehen. 
Industrie 4 .0 – einige der Vorredner haben das bereits
erwähnt – beschleunigt den Strukturwandel in der Ar-
beitswelt erheblich und verlangt den Beschäftigten neue
Kompetenzen und mehr Flexibilität ab .

Unser Blick muss dabei gerade auch auf den Men-
schen liegen, die eben weniger gut ausgebildet sind;
denn – das muss man ehrlich sagen – gerade sie sind mit
Industrie 4 .0 besonderen Arbeitsplatzrisiken ausgesetzt .
Ja, auch diesem Thema wenden wir uns in unserem An-
trag zu . Gute Bildung von Anfang an und kontinuierliche
berufsbegleitende Qualifizierung  sind  der  Schlüssel  für 
die erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4 .0 .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit die industriel-
le Revolution gelingt, wollen wir unser Aus- und Weiter-
bildungssystem modernisieren und die Durchlässigkeit
zwischen  beruflicher  und  akademischer Bildung weiter 
verbessern; ein Thema, das insbesondere meiner Frakti-
on sehr am Herzen liegt .


(Rainer Spiering [SPD]: Längst überfällig!)


Dazu haben wir uns innerhalb der Koalitionsfraktionen
mit dem vorliegenden Antrag auf verschiedene Maßnah-
men verständigt . Es trifft nämlich nicht zu, Herr Behrens,
dass es im Antrag nichts dazu gibt . Ich werde an dieser
Stelle aber nur auf wenige Punkte eingehen können .

Wir werden zum einen die Berufsschulen verstärkt
darin unterstützen, dass sie sich den Anforderungen der
Digitalisierung endlich stellen . Ein besonderes Augen-
merk liegt dabei auf dem Qualifizierungsbedarf von Be-
rufsschullehrerinnen und Berufsschullehrern .

Zum anderen starten wir eine Initiative zur Förderung
der  Digitalisierung  in  der  beruflichen Ausbildung.  Ich 
denke, auch das ist dringend geboten . Gleichzeitig unter-
stützen wir eine entsprechende technische Ausstattung in
den überbetrieblichen Berufsbildungsstätten .

Ja, Herr Gehring, sicherlich hätte man mehr finanzi-
elle Mittel für diesen Bereich bereitstellen können . Mein
Kollege  Herr  Stefinger  hat  aber  gerade  darauf  hinge-
wiesen, welche Mittel im Bildungsministerium für die-
sen Bereich eingesetzt werden . Wenn Sie die aktuellen
Haushaltsverhandlungen verfolgt haben, dann wissen
Sie, dass zum Beispiel für den Bereich Industrie 4 .0 zu-
sätzlich 11 Millionen Euro eingestellt worden sind . Ich
denke, mit diesem Geld können wir sicherlich das eine
oder andere Sinnvolle machen . Ich hoffe deshalb, dass
das Ihre Kritik zum Teil vergessen lässt .

Neben den genannten Maßnahmen im Bereich der
Ausbildung  ist auch die berufliche Fort- und Weiterbil-
dung der Beschäftigten für den Erfolg von Industrie 4 .0
enorm wichtig . Mich hat überrascht, dass dabei schon die
30- bis 40-Jährigen angesprochen sind . Sie müssen sich
bereits  heute  zur  Qualifizierung  auf  den Weg machen. 
Das erwartet man nicht, aber das ist schon die kritische
Alterskohorte, die wir mit solchen Weiterbildungsmaß-
nahmen bedenken müssen .

Deshalb werden wir sowohl die Schaffung von dif-
ferenzierten und beschäftigungsorientierten Weiterbil-
dungsangeboten unterstützen als auch die Beratungsan-
gebote für Beschäftigte ausbauen . Denn so können sie
sich über ihre Qualifikationsbedarfe umfassend informie-
ren . Ich denke, das wird immer wichtiger werden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir den Fach-
kräftebedarf in den technologiegeprägten Berufen nach-
haltig decken wollen, geht es neben der Modernisierung
der dualen Ausbildung auch um den systematischen
Ausbau von Fort- und Weiterbildung . Es gibt Bereiche,
die noch gar nicht bedacht wurden, die aber auch einen
wesentlichen Inhalt haben . So geht es natürlich auch um
die frühzeitige Sensibilisierung für Zukunftsfelder von
Kindern und Jugendlichen . Ich denke in diesem Zusam-
menhang zum Beispiel an die Stiftung „Haus der kleinen
Forscher“, die sehr gute Projekte durchführt.

Genauso wichtig ist es, endlich die Studienabbrecher-
quote in den MINT-Fächern deutlich zu reduzieren . In
diesem Bereich verlieren wir enorm viel Fachkräftepo-
tenzial .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir haben
viel vor . Einiges davon ist in unserem Antrag enthalten .
Jetzt muss es uns noch gelingen, diese Vorhaben minis-
teriumsübergreifend umzusetzen, und dann, denke ich,
werden wir auch dem Thema Industrie 4 .0 zum Erfolg
verhelfen . Ich bin zuversichtlich .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Simone Raatz






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813715500

Vielen Dank . – Als letzter Redner in der Debatte hat

Jens Koeppen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1813715600

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Als letzter Redner in der Debatte versu-
che ich, zusammenzufassen, was bisher gesagt wurde,
und zwar nicht aus der Sicht von Bildung und Forschung
oder der Wirtschaft, sondern aus der Sicht des jüngsten
Ausschusses im Deutschen Bundestag, des Ausschusses
Digitale Agenda .

Sehr geehrter Herr Kollege Janecek und Herr Kollege
Behrens, ich bin nicht ganz so unzufrieden wie Sie . Denn
mit dem Antrag wird einiges auf den Weg gebracht . Das
muss man auch ehrlich zugeben .

Es wurde gesagt, dass die Digitalisierung in alle Be-
reiche des Lebens Einzug gehalten hat . Wir können das
nicht ausbremsen oder aufhalten – das wollen wir auch
gar nicht –, sondern wir müssen es positiv begleiten . Das
haben wir uns auch gerade in unserem Ausschuss auf die
Fahne geschrieben: die Chancendiskussion in der Frage,
wie wir auf der einen Seite die Potenziale der Transfor-
mation der digitalen Gesellschaft heben und auf der an-
deren Seite auch die Risiken benennen und die Nachteile
beseitigen können .
Das versuchen wir auch mit diesem Antrag. Ich finde, 

die Zusammenarbeit dazu ist außergewöhnlich und auch
sehr, sehr gut .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, auch beim Thema Indus-

trie 4 .0 – ich denke, das ist das entscheidende Zukunfts-
thema und die wichtigste Säule der Digitalisierung gera-
de für einen Industriestandort wie Deutschland – müssen
wir nicht nur Anschluss behalten, sondern auch, wie die
Ministerin schon gesagt hat, Vorreiter sein . Das möchte
ich uneingeschränkt unterstreichen .

Wenn wir die gesamten Wertschöpfungsprozesse bei
uns erhalten wollen, müssen wir Vorreiter sein, wie es
uns bisher bei allen anderen industriellen Revolutionen
gelungen ist, beginnend mit der Dampfmaschine 1784
über die elektrischen Fließbänder, die die Massenpro-
duktion ermöglichten, knapp 100 Jahre später bis hin zur
Computertechnik, die weitere 100 Jahre später, in den
1970er-Jahren, mit der Robotik und anderem in die In-
dustrie Einzug gehalten hat . Immer waren wir Vorreiter,
immer haben wir sehr gut mitgespielt .

Jetzt kommt Industrie 4 .0 . Das bedeutet, Smart Fac-
tory kommt . Das bedeutet die totale Vernetzung, die
Selbst organisation in der Produktion . Mensch, Maschine,
Anlagen, Logistik, Produkte, selbst die Kunden und die
Geschäftspartner sind miteinander vernetzt . Es entstehen
ganz andere Dienstleistungsmodelle, Smart Services,
weil alle miteinander kommunizieren und kooperieren .
Ich glaube, das ist eine sehr große Chance .

Um noch einmal auf unsere Vorreiterrolle zurück-
zukommen: Das ist auch eine Werbemöglichkeit für

Deutschland; die Frau Ministerin hat es sehr deutlich
gesagt . Als wir im Ausland unterwegs waren – Sie hät-
ten gerne mitkommen können, Herr Kollege Janecek;
aber leider ging das nicht –, in Japan, in Taiwan oder in
Südkorea, war bei jedem Gespräch die erste Frage: Wie
sieht es aus mit Industrie 4 .0? Ihr seid da die Vorreiter . Ihr
könnt das . Wie funktioniert das? – Wir waren aber nicht
ganz so euphorisch, weil wir in Deutschland immer ein
bisschen zurückhaltend sind, die ganze Sache abstrakt
sehen und erst einmal alles regulieren müssen . Wir konn-
ten nur sagen: Wir haben dem Kind einen Namen gege-
ben und hoffen jetzt alle gemeinsam, dass dieses Kind
irgendwann auch auf die Welt kommt . – In einem gebe
ich Ihnen recht: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu
lange abwarten . Wir müssen die Rolle, die uns zugeteilt
wurde, mit Leben erfüllen . Das Ministerium macht eine
ganz hervorragende Arbeit . Auch der Antrag zeigt, dass
wir den Anforderungen gerecht werden können .

Ich gehe in der letzten Minute, die ich habe, noch kurz
auf den Antrag ein . Es handelt sich um einen ganzheitli-
chen Ansatz . Er hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit,
Herr Kollege Gehring .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich aber froh!)


Wir fragen, welche Bedingungen herrschen und was wir
für den Erfolg der Industrie 4 .0 brauchen .

Wir haben gesagt: Wir brauchen innovative Unterneh-
mer . – Dahinter können wir einen Haken machen; denn
die haben wir in Deutschland . Wir haben gesagt: Wir
brauchen Innovationskraft durch entsprechendes Kapi-
tal, nicht Venture Capital, sondern das vorhandene Ka-
pital . – Auch dahinter können wir einen Haken machen;
das haben wir .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuerliche Forschungsförderung!)


Venture Capital – da gebe ich Ihnen völlig recht – muss
kommen . Da sind wir uns einig .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuerliche Forschungsförderung!)


Dann kommt ein Punkt, an dem wir noch Luft nach
oben haben: der kontinuierliche Ausbau der Breitband-
infrastruktur und natürlich die neue Mobilfunktechnolo-
gie 5G . Das müssen wir intensiver angehen; denn ohne
diese Mobilfunktechnologie und einen umfassenden
Breitbandausbau wird das nicht funktionieren .
Wir brauchen die Verfügbarkeit von qualifizierten Ar-

beitskräften; dazu müssen wir mehr Mittel in die Ausbil-
dung und die Qualifizierung stecken. Wir brauchen eine 
moderne Verwaltung, nicht die Old-Fashion-Verwaltung,
die wir jetzt haben, um die Genehmigungspraxis zu ver-
bessern . Wir brauchen den Abbau von bürokratischen
Hürden und die Abschaffung der Überregulierung . Das
alles ist aus dem vorigen Jahrhundert . Da müssen wir
besser werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir  müssen  auch  Standards  definieren  und  sagen, 

welche Techniken belastbar sein werden . – Frau Präsi-
dentin, ich komme zum Schluss . Ich sehe das Signal sehr






(A) (C)



(B) (D)


wohl . – Wir wurden immer wieder nach der IT-Sicher-
heit gefragt . Manche Unternehmen haben Angst, ihre
Geschäftsgeheimnisse in der Cloud zu verlieren . Da-
rauf müssen wir Antworten geben . Wir dürfen auch den
ländlichen Raum nicht vergessen . Dort müssen wir den
Ausbau forcieren, damit die Chancen der neuen Techno-
logien auch im ländlichen Raum wahrgenommen werden
können und der ländliche Raum den Anschluss nicht
verliert . Nicht der Wandel ist das Risiko . Wenn wir den
Wandel nicht begleiten, dann werden wir den Anschluss
verlieren . Machen wir es so, wie bei den anderen indus-
triellen Revolutionen: Seien wir Vorreiter .

Danke .

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813715700

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich

muss leider sagen: Es reicht nicht aus, dass Sie das Signal
sehen; Sie müssen ihm auch folgen . Das ist das Entschei-
dende .

Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/

CSU und SPD auf der Drucksache 18/6643 . Die Frakti-
onen der CDU/CSU und SPD wünschen Abstimmung in
der Sache . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die
Fraktion Die Linke wünschen Überweisung, und zwar
federführend an den Ausschuss für Wirtschaft und Ener-
gie und mitberatend an den Ausschuss für Recht und Ver-
braucherschutz, den Ausschuss für Arbeit und Soziales,
den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, den
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung sowie an den Ausschuss Digitale Agenda .

Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die beantragte Überweisung an die Aus-
schüsse? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist die Überweisung mit den Stimmen der Koaliti-
on und Gegenstimmen der Opposition abgelehnt worden .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf
Drucksache 18/6643 mit dem Titel „Industrie 4 .0 und
Smart Services – Wirtschafts-, arbeits-, bildungs- und
forschungspolitische Maßnahmen für die Digitalisierung
und intelligente Vernetzung von Produktions- und Wert-
schöpfungsketten“  in der Sache. Wer stimmt für diesen 
Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? –
Das ist nicht der Fall . Dann ist der Antrag mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition
angenommen worden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 31 a und 31 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Be-
kämpfung von Korruption im Gesundheits-
wesen
Drucksache 18/6446
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ka-
thrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Korruption im Gesundheitswesen effektiv be-
kämpfen

Drucksache 18/5452
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Gesundheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zü-
gig zu wechseln . – Ich eröffne die Aussprache . Als ers-
ter Redner in der Debatte hat für die Bundesregierung
der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange das
Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1813715800


Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Korruption im Gesundheits-
wesen beeinträchtigt den wirtschaftlichen Wettbewerb,
verteuert medizinische Leistungen und untergräbt das
Vertrauen von Patientinnen und Patienten in die Integrität
heilberuflicher Entscheidungen. Wegen  der  erheblichen 
sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung des Gesund-
heitswesens ist korrupten Praktiken in diesem Bereich
deshalb auch mit Mitteln des Strafrechts entschieden ent-
gegenzutreten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Damit schützen wir nicht zuletzt den ganz überwiegen-
den Teil der ehrlichen Heilberufsangehörigen, die sich
täglich für das Wohl der Patientinnen und Patienten ein-
setzen, und das ist gut und richtig so .

Nachdem der Bundesgerichtshof im Jahr 2012 fest-
gestellt hat, dass das geltende Korruptionsstrafrecht
weder auf niedergelassene noch für sonst selbstständig
Tätige im Gesundheitswesen anwendbar ist, waren wir
zum Handeln aufgerufen . Anders als die letzte Bundes-
regierung sehen wir Handlungsbedarf im gesamten Ge-
sundheitswesen und unterscheiden nicht zwischen Kas-
sen- und Privatärzten . Da Korruption zudem nicht nur
auf ärztliche Entscheidungen abzielt, soll die Regelung
für alle Angehörigen eines Heilberufs mit einer staatlich
geregelten Ausbildung gelten .

Der Gesetzentwurf sieht die Einführung der Straf-
tatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung im
Gesundheitswesen in den §§ 299 a und 299 b unseres
Strafgesetzbuches vor . Sie verbieten Angehörigen von
Heilberufen, Vorteile als Gegenleistung dafür zu fordern,
sich versprechen zu lassen oder anzunehmen, dass sie bei
der Verordnung oder der Abgabe von Arznei-, Heil- oder
Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten oder bei der Zu-
führung von Patienten oder Untersuchungsmaterial einen

Jens Koeppen






(A) (C)



(B) (D)


anderen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzugen .
Die Regelungen lehnen sich insoweit an den Tatbestand
der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen
Verkehr an .

Der Gesetzentwurf trägt aber zugleich den Beson-
derheiten des Gesundheitswesens Rechnung . So sollen
Heilberufsangehörige beispielsweise dann, wenn sie Me-
dizinprodukte auf eigene Rechnung beziehen, grundsätz-
lich eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen dürfen,
solange die Produkte nicht zur Weitergabe an den Patien-
ten bestimmt sind . Außerdem haben wir klargestellt, dass
das, was berufs- und sozialrechtlich zulässig ist, auch in
Zukunft straflos bleiben wird. Das gilt besonders für die 
vielen Formen der beruflichen Zusammenarbeit, die zum 
Wohle der Patientinnen und Patienten gesundheitspoli-
tisch von uns allen gewollt sind und deshalb nicht unter
Korruptionsverdacht gestellt werden sollen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, nach meiner Wahrneh-
mung ist es mit dem vorgelegten Gesetzentwurf gelun-
gen, das strafwürdige Verhalten klar zu umgrenzen . Das
mag nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen sein, dass
wir die verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen von
Anfang an aktiv bei der Entstehung unseres Gesetzent-
wurfes eingebunden haben . Deshalb bitte ich Sie, verehr-
te Kolleginnen und Kollegen, um Ihre Unterstützung bei
den anstehenden Beratungen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813715900

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Kathrin

Vogler von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813716000

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass
Korruption im Gesundheitswesen bekämpft werden
muss, darin sind sich heute alle einig hier im Haus, von
der Linken bis zur CSU, und das ist schon ein erheblicher
Fortschritt gegenüber der letzten Wahlperiode .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Das ist bemerkenswert!)


Korruption  verursacht  finanzielle  Schäden  in  Milli-
ardenhöhe . Sie ist eine Gefahr für die Patientinnen und
Patienten und für die Finanzierung unseres Gesundheits-
wesens . Unterschiedliche Schätzungen gehen davon
aus, dass durch Korruption zwischen 5 Milliarden und
17 Milliarden Euro pro Jahr verloren gehen . Dieses Geld
fehlt uns an anderer Stelle, zum Beispiel bei den Kran-
kenhäusern oder bei der Versorgung im ländlichen Raum .

Aber es geht nicht nur ums Geld . Wenn täglich Tau-
sende von Pharmaberatern durch die Arztpraxen ziehen,
um mit allen möglichen Tricks neue, teure Medikamente
in den Markt zu drücken, dann hat das auch Risiken für

die Gesundheit der Patientinnen und Patienten . Wenn ich
als Patientin nicht weiß, ob die Frau Doktor ein Mittel
verschreibt, weil es mir guttut oder weil sie dafür von
einer Firma bezahlt wird, dann nimmt auch das Vertrauen
in die Medizin insgesamt Schaden .

Genau hier, Herr Lange, hat der Gesetzentwurf der
Bundesregierung leider einen blinden Fleck . Sie wollen
vor allem den Wettbewerb im Gesundheitswesen und die
finanzielle  Stabilität  der  Krankenkassen  schützen,  und 
dabei ist Ihnen die Patientenperspektive leider weitge-
hend abhandengekommen .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wieso das denn?)


Der Bundesrat hat zum Beispiel vorgeschlagen, Beste-
chung und Bestechlichkeit auch dann zu bestrafen, wenn
zwar kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, aber
eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit eines Men-
schen . Diesen sehr guten Vorschlag hat die Bundesregie-
rung abgelehnt, und das kann ich, ehrlich gesagt, über-
haupt nicht nachvollziehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Fraktion schlägt Ihnen im vorliegenden Antrag
vor, die Strafbarkeit auf Vorteilsgewährung und Vorteils-
annahme allgemein auszuweiten . Für Nichtjuristen: Das
hätte den entscheidenden Vorteil, dass eben nicht nach-
gewiesen werden müsste, dass eine Zuwendung an eine
Ärztin diese ganz konkret dazu veranlasst hat, genau das
Medikament dieser Firma zu verschreiben . Damit könnte
man auch das Phänomen der sogenannten Landschafts-
pflege  in  den  Griff  bekommen.  Damit  hätten  wir  im 
Gesundheitsbereich ähnlich hohe Antikorruptionsregeln
wie bei den Beamtinnen und Beamten . In diese Richtung
hat in der letzten Wahlperiode auch die SPD noch ge-
dacht . Genau diese Forderung wird auch von MEZIS, der
Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte erhoben;
wir sollten ihnen hier folgen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein großes Problem, das Sie mit Ihrem Gesetzentwurf
überhaupt nicht angehen, sind die sogenannten Anwen-
dungsbeobachtungen . Kurz beschrieben handelt es sich
dabei um Vereinbarungen zwischen der Industrie und
Ärztinnen und Ärzten, wonach Ärzte Patienten auf ein
neues Arzneimittel umstellen und dafür von den Herstel-
lerfirmen  vergütet  werden.  Diese  neuen  Medikamente 
sind  häufig  viel  teurer  und  häufig  leider  auch weniger 
sicher als die bewährten alten .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Manchmal bringen sie auch mehr!)


Wie das konkret funktioniert und welche Risiken das für
die Patienten mit sich bringt, das schildert Roland Holtz
in seinem Doku-Roman Pharmakrieg am Beispiel eines
fiktiven Medikaments mit drastischen Nebenwirkungen. 
Er zeigt ganz detailliert, wie verheerend sich der Miss-
brauch der sogenannten Anwendungsbeobachtungen auf
die Sicherheit von Patientinnen und Patienten auswirken
kann . Die Antikorruptionsinitiative Transparency Inter-
national hat genau diese Anwendungsbeobachtungen in
einer Studie untersucht und kommt zu dem Ergebnis,

Parl. Staatssekretär Christian Lange






(A) (C)



(B) (D)


dass es sich dabei nicht um seriöse Forschung handelt,
sondern schlicht um verschleierte Korruption, und for-
dert deshalb ein gesetzliches Verbot, was wir als Linke
unterstützen . Aber leider haben Sie dazu nichts vorgelegt .

Inzwischen hat sich die Branche weitere Umgehungs-
möglichkeiten gesucht, die wir dringend unterbinden
müssen . Schmiergelder können auch weiterhin als über-
höhte Honorare etwa für Vorträge oder Gutachtertätig-
keiten gezahlt werden; daran wird Ihr Gesetz leider auch
nichts ändern . Das ist sehr bedauerlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Die eingeschränkte Sichtweise auf das Problem kommt
in dem Gesetzentwurf leider auch zum Vorschein, wenn
es um die Frage geht, wer überhaupt Anzeige erstatten
darf . Die Staatsanwaltschaft darf nämlich nur dann tätig
werden, wenn die Bestechung von einer Ärztekammer,
einem Berufsverband, einer Krankenkasse oder einem
benachteiligten Wettbewerber angezeigt wird .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist unrichtig, Frau Kollegin!)


Nun ist es aber doch so, dass es häufig Beschäftigte sind, 
die das Unrechtsverhalten ans Tageslicht bringen . Die
Linke fordert deswegen, diese Whistleblower zu schüt-
zen, damit sie nicht aus Angst vor Regressforderungen
oder Jobverlust von einer Anzeige abgehalten werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch Patientinnen und Patienten, die von korruptivem
Verhalten erfahren, sollen selbst nicht Anzeige erstatten
dürfen.  Das  finden  wir  unzureichend,  und  wir  hoffen, 
dass Sie da noch nachbessern .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das sind Verletzte!)


Insgesamt denke ich, dass in Ihrem Gesetzentwurf
durchaus noch eine Menge Luft nach oben ist . Das wol-
len wir Linke nutzen . Ich hoffe im Interesse der Patien-
tinnen und Patienten, der ehrlichen Medizinerinnen und
Mediziner sowie eines solidarischen Gesundheitswesens
auf gute Besserung .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813716100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Jan-Marco

Luczak von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1813716200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Eines ist klar: Korruption ist kein Kavaliersde-
likt, sondern verursacht sehr hohe wirtschaftliche Schä-
den; denn wo korruptive Verhaltensweisen herrschen,
da werden Ressourcen verschwendet, da werden falsche
Anreize gesetzt, und schließlich kommt es zu Fehlalloka-
tionen . Das führt dann dazu, dass nicht mehr die Qualität,
die Leistung und der Preis entscheiden, sondern die Höhe
des korruptiven Anreizes . Damit bleibt der faire Wettbe-

werb, eines der Grundprinzipien der sozialen Marktwirt-
schaft, auf der Strecke . Deswegen gehört die Bekämp-
fung der Korruption zu den zentralen wirtschaftlichen,
politischen und gesellschaftlichen Aufgaben, denen der
Gesetzgeber nachkommen muss . Wir setzen mit unserem
Gesetzentwurf das klare Signal, dass Korruption im Ge-
sundheitswesen sanktionswürdig ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieses Signal ist notwendig, nicht etwa wegen der
Masse an Fällen, die es gibt, sondern weil der Gesund-
heitsbereich einen hohen Stellenwert innerhalb der Ge-
sellschaft und innerhalb unserer Wirtschaftsordnung hat
und weil es sich um einen hochsensiblen Bereich han-
delt . Volkswirtschaftlich betrachtet, werden in der Ge-
sundheitswirtschaft in Deutschland etwa 300 Milliarden
Euro im Jahr umgesetzt . Die Folge von Korruption ist,
dass sich medizinische Leistungen verteuern . Das geht
zulasten der Patienten und zulasten der Solidargemein-
schaft . Mir ist aber ganz wichtig, zu sagen: Korruption
hat nicht nur negative wirtschaftliche Auswirkungen . Die
gravierendste Folge von Korruption ist, dass ein Vertrau-
ensverlust der Patienten  in die  Integrität heilberuflicher 
Entscheidungen damit einhergeht .

Wir von der Koalition haben ein klares Ziel . Wir wol-
len einen verbindlichen Rechtsrahmen für einen fairen
Wettbewerb schaffen, der das Vertrauensverhältnis zwi-
schen Ärzten und Patienten schützt . Für die Union ist
immer klar gewesen: Niemand soll ein Medikament nur
deswegen verschrieben bekommen, weil ein Arzt oder
ein anderer in einem Heilberuf Tätiger einen Vorteil da-
raus zieht . Das darf nicht sein . Entscheidend muss die
medizinische Notwendigkeit sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben gehört, was Anlass unseres Gesetzgebungs-
verfahrens war; Staatssekretär Lange hat dazu schon aus-
geführt . In einem Urteil des Bundesgerichtshofes aus
dem Jahre 2012 wurde im Kern offenbar, dass es Schutz-
lücken im Gesundheitswesen gibt, die wir im Rahmen
der Bekämpfung von Korruption angehen müssen . Ärzte
sind eben keine Amtsträger, und es sind auch keine Be-
auftragten der gesetzlichen Krankenkassen . Auch greifen
hier Tatbestände wie Betrug und Untreue in aller Regel
nicht . Die sich auftuenden Schutzlücken wollen wir mit
diesem Gesetzentwurf schließen .

Für uns ist an dieser Stelle ein Punkt ganz wichtig:
Wir wollen kein Sonderstrafrecht für Ärzte schaffen;
denn damit würde das falsche Signal ausgesendet, dass
offensichtlich Regelungsbedarf besteht, weil alle Ärzte
vermeintlich korrupt sind . Das ist ausdrücklich nicht der
Fall . Daher haben wir gesagt: Nicht nur für die Ärzte sol-
len die neuen strafrechtlichen Sanktionen gelten, sondern
für Angehörige aller – und nicht nur der akademischen –
Heilberufe . All diejenigen, die im Gesundheitsbereich
arbeiten und eine staatliche Prüfung im Gesundheitswe-
sen abgelegt haben, werden von diesem Gesetz, dessen
Entwurf wir beraten, zukünftig erfasst .

Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


Es sind zwei Schutzzwecke, die wir mit diesem Ge-
setz verfolgen . Das ist zum einen der Schutz des lauteren
Wettbewerbs, und das ist zum anderen der Schutz des
Vertrauens der Patienten in die heilberufliche Unabhän-
gigkeit . Deswegen haben wir hier zwei Tatbestandsal-
ternativen ausgewählt . Für uns ist bei der Ausgestaltung
dieser Alternativen wichtig gewesen, dass wir ganz klar
und deutlich sagen: Wir wollen, dass Kooperationen im
Gesundheitswesen auch zukünftig möglich sind, weil
das wichtig ist für Anreize in Forschung, Innovation und
Fortentwicklung . Da braucht man eine enge Kooperation
zwischen der Ärzteschaft und der Pharmaindustrie . Das
ist notwendig zum Wohl der Patienten . Das kann und darf
mit diesem Gesetz nicht verhindert werden, meine Da-
men und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Eva Högl [SPD])


Wir brauchen eine klare Abgrenzung, was strafbar ist
und was nicht . Da bewegen wir uns in einem schwie-
rigen Bereich . Wir müssen das verfassungsrechtliche
Bestimmtheitsgebot beachten, also möglichst klar sa-
gen, was sanktionswürdig und strafbar ist . Gleichzeitig
brauchen wir natürlich eine abstrakt-generelle Regelung,
die es ermöglicht, auch jetzt noch unbekannte, aber aus
unserer Sicht sanktionswürdige Verhaltensweisen zu er-
fassen . In der Entwicklung vom Referentenentwurf zum
Kabinettsentwurf haben wir die Bedenken, die es dazu
in der Praxis gibt, aufgenommen und versucht, das kla-
rer zu fassen . So haben wir im Tatbestand ausdrücklich
klargestellt, dass es bei Verstößen gegen berufsrechtliche
Pflichten um  solche Pflichten geht, mit  denen die heil-
berufliche Unabhängigkeit geschützt wird, und nicht um 
andere berufsrechtliche Pflichten, also etwa Regelungen 
dazu, wie groß das Praxisschild sein darf . Letztere haben
mit  der  heilberuflichen  Unabhängigkeit  nichts  zu  tun. 
Deswegen  fallen Verstöße gegen  solche Pflichten nicht 
in den Bereich der Strafbarkeit .

Wir haben in der Begründung klargestellt, dass wir
Kooperationen im Gesundheitswesen wollen . Das gilt für
die Kooperationsmodelle, die etwa im SGB V ausdrück-
lich vorgesehen sind; aber das gilt zum Beispiel auch für
die Anwendungsbeobachtung, die Frau Kollegin Vogler
hier gerade so sehr gegeißelt hat . Das sind notwendige
Kooperationsformen, um festzustellen, ob neue Medika-
mente einen zusätzlichen Nutzen haben . Natürlich sol-
len und müssen sie gegebenenfalls vergütet werden, aber
angemessen, und das darf nicht zulasten der Patienten
gehen; aber sie sind notwendig, um an dieser Stelle für
Innovation und Fortschritt zu sorgen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Weil die Praxis hier ganz entscheidend ist, haben
wir auch gesagt: Wir müssen im SGB V eine Regelung
schaffen, mit der wir einen Erfahrungsaustausch hin-
bekommen zwischen den Leistungsträgern im Gesund-
heitswesen und denen, die möglicherweise korrupte Ver-
haltensweisen nachher verfolgen müssen, nämlich den
Staatsanwaltschaften .

Insofern haben wir einen Dreiklang: Wir haben ei-
nen Tatbestand konkreter und enger gefasst . Wir haben
in der Begründung deutlich gemacht, was zulässig und

was nicht zulässig ist . Außerdem werden wir dafür sor-
gen, dass in der Praxis auch zukünftig die Gefahr von
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht über Gebühr
droht .

Weil hier Bedenken vonseiten der Ärzteschaft und
der anderen Heilberufe bestehen, ist es wichtig, noch
einmal zu betonen: Staatsanwaltschaftliche Ermittlun-
gen sind von vielen Voraussetzungen abhängig . Es reicht
nicht aus, gegen eine bestimmte berufsrechtliche Pflicht 
zu verstoßen . Vielmehr muss immer eine Verknüpfung
von Vorteil und Gegenleistung bestehen . Das ist die so-
genannte Unrechtsvereinbarung; das ist der immanente
Kernbestandteil einer jeden Korruptionsstrafbarkeit . Ich
habe großes Vertrauen in unsere Gerichte, auch in unsere
Staatsanwälte, dass sie mit dem Instrumentarium, das wir
ihnen hier an die Hand geben, verantwortungsvoll umge-
hen werden .

Letzter Punkt, den ich hier gern noch ansprechen
möchte: das Bestimmtheitsgebot . Das ist ein Punkt, den
wir uns verfassungsrechtlich genau anschauen müssen .
Das werden wir im parlamentarischen Verfahren tun .
Wir müssen ganz klar sagen, bei welchen berufsrechtli-
chen Pflichten ein Verstoß zur Strafbarkeit führen kann; 
das müssen die Normadressaten wissen . Da müssen wir,
glaube ich, aufpassen, dass die unterschiedlichen berufs-
rechtlichen Regelungen, die es in den einzelnen Ländern
gibt, nicht zu einer unterschiedlichen Strafbarkeit führen .
Das müssen wir uns im Gesetzgebungsverfahren noch
genau anschauen . Ich glaube, da sind wir auf einem gu-
ten Weg .

Ich könnte mir noch vorstellen, in Bezug auf den
Schutzzweck des Gesetzes als besonders schweren Fall
auch eine Gesundheitsbeschädigung in den Blick zu neh-
men; dazu hat die Kollegin von den Linken etwas gesagt .

Unter dem Strich ist für uns ganz wichtig: Wir wollen
uns nur auf die schwarzen Schafe konzentrieren . Nur die
haben es verdient, verfolgt zu werden . Damit sind wir
mit diesem Gesetzentwurf auf einem guten Weg . Deswe-
gen darf ich Sie um Ihre Zustimmung bitten .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813716300

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss Sie ermah-

nen, in der Zeit zu bleiben . Der Kollege hat jetzt um über
eine Minute überzogen . Wenn wir das zusammenzählen,
sind wir bei acht Minuten zusätzlich – sogar noch ein
bisschen darüber . Ich habe einfach die Bitte, wirklich in
der Zeit zu bleiben . Wir liegen bereits sehr weit – über
eine Stunde, eine Stunde und zehn Minuten – zurück,
und im Anschluss gibt es noch eine Debattenrunde .

Als nächste Rednerin hat Maria Klein-Schmeink von
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Heute ist in der Tat ein guter Tag, weil wir zum

Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


fünften Mal über die Korruption im Gesundheitswesen
reden – erstmalig auf Grundlage eines Gesetzentwur-
fes – und alle Fraktionen erkennen lassen, dass sie ihn
und damit auch das Anliegen zumindest im Grundsatz
unterstützen . Das ist ein weitreichender Fortschritt, den
ich von unserer Seite aus begrüße .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Warum begrüße ich diesen Schritt? Als wir im Jahr
2012 das Urteil des Bundesgerichtshofes entgegenneh-
men mussten, in dem es hieß: „Nein, wir können einen be-
sonderen Fall der Einflussnahme bzw. der Bestechung – 
die nachweislich stattgefunden hatte; 18 000 Euro waren
für die Verschreibung eines bestimmten Präparates als
Zuwendung an Ärzte geflossen – auf Grundlage unserer 
derzeitigen Rechtsgebung bzw . Rechtsprechung nicht
verfolgen“,  war  deutlich: Wir  haben  eine  Rechtslücke, 
eine Handlungslücke . Die wird mit diesem Gesetz ge-
schlossen, und das ist richtig und gut so .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich begrüße auch ausdrücklich, dass die CDU an die-
ser Stelle Lernfortschritte gemacht hat . Wenn Sie in die
alten Protokolle der Debatten sehen, werden Sie sehen,
dass da immer nur von „Unterstellungen“ und „Verleum-
dung der Ärzteschaft“ die Rede war und eben nicht da-
rüber gesprochen wurde, wie dem berechtigten Anliegen
der Patientinnen und Patienten entsprochen werden kann .
Ich glaube, da sind wir einen entscheidenden Schritt wei-
ter .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Das ist auch Ausdruck dessen, wo wir als Gesetzge-
ber wirklich gefragt sind . Es geht um ein extrem hohes
Gut, um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und
Patient . Das ist kein beliebiges, sondern ein besonders
schutzwürdiges Verhältnis; denn wir müssen uns als Pa-
tientin bzw . als Patient darauf verlassen können, dass die
Behandlungsempfehlungen und Diagnosen zum Woh-
le des Patienten sind und nicht zum Wohle des eigenen
Portemonnaies . Das muss sichergestellt sein . Dieses be-
sondere Verhältnis müssen wir als Gesetzgeber auch in
besonderer Weise schützen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Ich glaube, kein Mensch in der Bevölkerung kann
nachvollziehen, dass wir im Strafrecht einen weitreichen-
den Antikorruptionsparagrafen haben, aber ausgerechnet
dieses besondere Verhältnis außen vor lassen . Auch inso-
weit ist es ein Akt des gesunden Rechtsempfindens und 
der Akzeptanz von Rechtsgebung, wenn wir diese Lücke
jetzt tatsächlich schließen .

Wir werden wahrscheinlich im weiteren Verfahren
schauen müssen, ob wir da nachschärfen und die zulässi-
ge Zusammenarbeit vielleicht noch deutlicher formulie-
ren müssen, damit hinreichend klar ist, was in Zukunft
strafbar ist, was mit den Mitteln des Strafrechts geahn-
det wird . Da müssen wir vielleicht noch einmal genauer

hinschauen . In den Gutachten und Stellungnahmen hat
es bereits sehr hilfreiche Hinweise gegeben . Dem kann
man nachgehen. Ich finde, dass zum Beispiel der Deut-
sche Anwaltverein einen nicht unlogischen Vorschlag ge-
macht hat . Er hat vorgeschlagen, dass, wenn es Zweifel
bezüglich der Zulässigkeit bei der Zusammenarbeit gibt,
im Vorfeld von den Sozialrechtsträgern eine Genehmi-
gung eingeholt werden sollte, womit Sicherheit herge-
stellt werden kann . Damit könnte an der Stelle auch ein
Ausschluss von Strafbarkeit festgestellt werden . Diesen
Vorschlag sollte man unter Umständen berücksichtigen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben als Grüne aber auch immer deutlich ge-
macht: Es kann nicht nur um das Strafrecht gehen . Wir
müssen im Vorfeld andere wichtige Schritte tun, um
Transparenz herzustellen und insgesamt ein Verhalten
herbeizuführen, das diejenigen Ärzte und Leistungser-
bringer im Gesundheitswesen schützt, die sich korrekt
verhalten . Ein wichtiger Punkt wäre beispielsweise, in
Bezug auf die Zuwendungen von Pharmaindustrieunter-
nehmen und anderen Unternehmen an die Leistungser-
bringer mehr Transparenz herzustellen . Wir möchten uns
gerne der Gesetzgebung in den USA anschließen und
nach dem Vorbild des Sunshine Act deutlich machen:
Jede Zuwendung über 100 Euro muss gemeldet werden
und ist damit nachvollziehbar und einsehbar . Damit habe
ich Klarheit: Welche Zuwendungen  sind geflossen?  Je-
der weiß also um irgendwelche ökonomischen Verflech-
tungen und kann sich als Patient auch ein eigenes Bild
machen . Das, glaube ich, ist ein ganz wichtiges Element,
das wir zusätzlich und ergänzend angehen sollten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weiterhin brauchen wir einen wirksamen Whistleblo-
wer-Schutz . Auch diese Debatte haben wir hier im Parla-
ment mehrfach geführt . Da müssten wir weiterkommen .
Ein weiterer Punkt sind die Anwendungsbeobachtungen .
Es geht nicht darum, diese unter Strafe zu stellen, son-
dern darum, einen rationalen Umgang mit den Anwen-
dungsbeobachtungen zu finden. Sie sollen anders als jetzt 
ein Instrument sein, mit dem man die Folgewirkungen
von Medizinprodukten oder Medikamenten tatsächlich
nachvollziehen kann, und nicht Scheinverfahren, mit
denen man unter der Hand Zuwendungen möglich ma-
chen will . Dazu gehört, einen strukturierten Umgang mit
den Anwendungsbeobachtungen im SGB V festzulegen .
Auch das wäre eine sehr sinnvolle Ergänzung dieser Ge-
setzgebung im Bereich der Korruptionsbekämpfung .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Dr . Silke Launert [CDU/CSU])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813716400

Als nächste Rednerin hat Dr . Silke Launert von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Maria Klein-Schmeink






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Silke Launert (CSU):
Rede ID: ID1813716500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Pati-
entinnen! Liebe Patienten! Stellen Sie sich einmal vor,
Sie gehen mit einer schweren Erkältung in die Apothe-
ke, um sich beraten zu lassen. Dort empfiehlt Ihnen der 
Apotheker ein bestimmtes Medikament, und zwar nur
deswegen, weil er von dem Pharmaunternehmen, das das
Medikament vertreibt, Prämienzahlungen erhält . Stellen
Sie sich vor, Sie benötigen orthopädische Schuheinlagen
und Ihr Arzt schickt Sie zu einem bestimmten Sanitäts-
haus, weil ihm eine Reise versprochen wurde, wenn er
nur ausreichend viele Patienten vorbeischickt . Und nun
stellen Sie sich vor, dass dieses Verhalten in Deutsch-
land strafrechtlich nicht geahndet wird . Das glauben Sie
nicht? Da irren Sie sich .

2012 hat der Bundesgerichtshof – es wurde heute schon
mehrfach angesprochen – festgestellt, dass das deutsche
Strafrecht nicht ausreichend engmaschig gestrickt ist, um
solche Taten zu verfolgen . Tatsächlich ist in Korruptions-
fällen für die Staatsanwälte schwer zu greifen, wer nicht
als  Beauftragter  handelt,  sondern  als  Freiberufler  und 
damit allein seinem Gewissen unterworfen ist . Im kon-
kreten Fall, der schon geschildert wurde, ging es darum,
dass eine Pharmareferentin in 16 Fällen Kassenärzten
Schecks in einem Gesamtwert von 18 000 Euro überge-
ben hatte . Der Übergabe der Schecks hatte ein als „Ver-
ordnungsmanagement“ bezeichnetes Prämiensystem des 
Pharmaunternehmens zugrunde gelegen .

Dieser Fall ist beispielhaft für die Gefahren, die in un-
serem Gesundheitswesen drohen . Dass es diese Gefah-
ren gibt, ist kein Wunder . Schließlich handelt es sich hier
um ein Geschäft, das 300 Milliarden Euro im Jahr um-
fasst . Natürlich regt das die kriminelle Energie an, erst
recht, wenn strafrechtliche Regelungslücken bestehen .
In diesem Fall geht das zulasten der Patienten und zu-
lasten des Gemeinwesens . Deshalb wollen wir mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf diesen Missstand beseitigen
und entsprechend dem Koalitionsvertrag die neuen Straf-
tatbestände der Bestechlichkeit und Bestechung im Ge-
sundheitswesen im Strafrecht verankern .

Bereits in der letzten Legislaturperiode gab es einen
Gesetzentwurf, der allerdings kurz vor dem Ziel aufge-
halten worden ist . Nun, zwei Jahre später, haben wir mei-
ner Ansicht nach einen konsequenteren Gesetzentwurf,
der die Straftatbestände nicht im Sozialgesetzbuch vor-
sieht, sondern im Strafgesetzbuch . Da gehören sie auch
hin, insbesondere in Anbetracht der erheblichen sozialen
und wirtschaftlichen Bedeutung des Gesundheitswesens .

Korruption im Gesundheitswesen – es wurde schon
mehrfach angesprochen – bedroht das Vertrauen in die
Integrität der heilberuflichen Entscheidungen, und das in 
einem Bereich, der so wichtig ist und in dem es um unse-
re Gesundheit geht, ja sogar um Leben und Tod . Da muss
sichergestellt werden, dass die Entscheidungen frei sind
von der Einflussnahme Dritter.

Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen sind erheb-
lich . Durch unlauter agierende Teilnehmer wird der Wett-
bewerb gestört . Wenn nicht die Qualität der Leistung ent-
scheidend ist, sondern die Qualität der Prämienzahlung,

dann brauchen wir uns natürlich nicht zu wundern, dass
alles aus den Fugen gerät und sich Gewinn und Verlust
nicht an marktwirtschaftlichen Kriterien orientieren .

Insofern müssen wir dem entschieden entgegentreten .
Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf . Der
Kreis der potenziellen Täter ist weit gefasst . Er umfasst
Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Physio- und Psychothera-
peuten, Logopäden und Krankenpfleger. Auf der anderen 
Seite: So groß der Täterkreis auch ist, so wenig wollen
wir natürlich einen ganzen Berufsstand unter General-
verdacht stellen . Strafbar soll sich nur machen, wer eine
Unrechtsvereinbarung anstrebt . Das heißt, erforderlich
ist eine inhaltliche Verknüpfung zwischen Vorteil und
Gegenleistung – wie bei allen anderen Korruptionstat-
beständen  auch.  Die  berufliche  Zusammenarbeit  der 
Beteiligten im Gesundheitswesen soll durch das Gesetz
keineswegs unterbunden werden; sie ist nach wie vor ge-
wünscht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie bei den anderen Korruptionstatbeständen auch, gibt
es Geringwertigkeits- und Bagatellgrenzen . Kooperati-
onsvereinbarungen sind natürlich nach wie vor möglich .
Auch die sogenannten Anwendungsbeobachtungen, die
schon angesprochen und erklärt wurden, sind weiterhin
möglich .

Ich denke, mit dem vorliegenden Entwurf ist uns der
Spagat zwischen der notwendigen strafrechtlichen Sank-
tionierung auf der einen Seite und der in der Praxis erfor-
derlichen Zulässigkeit gesundheits- und forschungspoli-
tisch gewünschter Kooperationen auf der anderen Seite
gelungen .

Liebe Patientinnen und Patienten, Sie sehen, wir tun
etwas für Ihr Vertrauen in das Gesundheitswesen . Sie
können auch in Zukunft bei Risiken und Nebenwirkun-
gen guten Gewissens Ihren Arzt oder Apotheker fragen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813716600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Edgar

Franke von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dietrich Monstadt [CDU/CSU])



Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1813716700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich freue mich sehr, dass wir heute das Gesetz
zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen
beraten können . Ich freue mich auch deshalb sehr, weil
sich gerade die Gesundheitspolitiker der SPD seit sechs
Jahren für ein handwerklich gutes Gesetz starkgemacht
haben . Herr Staatssekretär, dieses Gesetz ist handwerk-
lich wirklich gut gemacht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


2010, als wir den ersten Antrag der SPD mit dem da-
mals programmatischen Titel „Korruption im Gesund-






(A) (C)



(B) (D)


heitswesen wirksam bekämpfen“  beraten  haben  – Frau 
Maria Klein-Schmeink kann sich noch erinnern –,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


waren die anderen Fraktionen, auch Ihre, durchaus kri-
tisch . Aber wir haben gesagt: Es kann nicht sein, dass
ein Arzt aufgrund finanzieller Zuwendungen bestimmte 
Medikamente verschreibt, ohne dass dies Folgen hat . Ich
glaube, das war richtig . Gerade bei Krebsbehandlungen,
dann, wenn es um Leben und Tod geht, dürfen keine
Medikamente aufgrund von Schmiergeldzahlungen ver-
schrieben werden – Medikamente, die vielleicht sogar
schlechter wirken und teurer sind .

Wir haben damals gesagt: Der Patient muss immer
sicher sein, dass nur medizinische und nicht monetäre
Gründe für eine Therapie maßgebend sind . Ich glaube,
das ist wichtig und richtig, meine sehr verehrten Damen
und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unser Antrag wurde damals mit der Begründung ab-
gelehnt – beispielsweise auch von den Grünen –,


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Aha! So, so!)


dass keine Regelungslücke bestehe . Der Bundesgerichts-
hof hat aber damals der SPD recht gegeben und hat den
Gesetzgeber damals sogar unter Bezugnahme auf unse-
ren Antrag, den Antrag der SPD, aufgefordert, tätig zu
werden . Die organisierte Ärzteschaft – ich sehe gerade
Herrn Henke –, zumindest die Bundesärztekammer, auch
Herr Montgomery, hat sich der Argumentation der SPD
angeschlossen . Daran sieht man schon: Wir haben recht
gehabt .


(Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetzent-
wurf schaffen wir ein relatives Antragsdelikt . Das heißt,
ohne Strafantrag oder ohne besonderes öffentliches Inte-
resse kann ein noch so übereifriger Staatsanwalt – auch
ein Staatsanwalt aus Hannover – nicht allein loslegen .
Die Leistungsträger haben da ein bisschen Angst; aber
ich glaube, ihre Angst ist unbegründet .

Dr . Luczak hat es schon gesagt: Zusammenarbeit auf
sozialrechtlicher Grundlage oder auch Bonuszahlungen
sind nicht von den strafrechtlichen Vorschriften des § 299
StGB erfasst . Auch weil die Krankenkassen dabei sind,
geschieht das ja nicht im Verborgenen . Im Übrigen – das
haben Sie gesagt – müsste ja eine Unrechtsvereinbarung
vorliegen, das heißt eine Verknüpfung von Vorteil und
Gegenleistung . Deswegen brauchen die Leistungsträger,
von denen mich viele angerufen haben, keine Angst zu
haben . Weil ohne Unrechtsvereinbarung nichts passiert,
ist diese Angst vollkommen unbegründet . Auch deswe-
gen ist dies ein guter Gesetzentwurf, Herr Staatssekretär .

Im Zuge der Diskussionen – auch das wurde ange-
sprochen – hat sich der eine oder andere Leistungsträger
an uns gewandt . Hörgeräteakustiker, Orthopädieschuh-

machermeister oder Augenoptiker haben gesagt, dass es
manchmal üblich sein soll, dass es manchmal günstig
ist, ein bisschen nachzuhelfen, damit Patienten zu ihnen
kommen, dass man die Ärzte diesbezüglich ein bisschen
betreuen muss . Auch das war zwar berufsrechtlich zu
sanktionieren, hatte aber keine Folgen . Auch deshalb
ist es wichtig, dass wir eine klare strafrechtliche Norm
haben .

Zum Schluss will ich noch etwas zu der Kritik sagen,
es gebe ein Sonderstrafrecht für Ärzte, für bestimmte
Berufsverbände . Das wurde immer wieder gesagt . Aber
auch korruptives Verhalten von Richtern ist mit Strafe
bedroht, und keiner kommt wegen dieser Vorschrift auf
die Idee, Juristen unter Generalverdacht zu stellen . Des-
wegen ist diese Argumentation absoluter Blödsinn; das
muss ich hier wirklich einmal sagen, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir schließen vielmehr – damit komme ich zum
Schluss – eine Strafbarkeitslücke . Keine Berufsgrup-
pe wird unter Generalverdacht gestellt, nicht Ärzte und
auch nicht sonstige Leistungserbringer . Das ist ein gu-
ter Gesetzentwurf, auch wenn heute Freitag, der 13 ., ist;
wir beraten ja heute nur . Es gewährleistet den Patienten-
schutz, stärkt das Vertrauen – auch das wurde gesagt – in
die Unabhängigkeit heilberuflicher Entscheidungen und 
schützt vor allen Dingen den fairen Wettbewerb . Das
ist – ich sage es noch einmal – ein guter Gesetzentwurf .
Das haben wir 2010 schon gesagt .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Wir hätten ihn vielleicht schon eher haben können . Wir
hätten ihn vielleicht schon in der letzten Legislaturperi-
ode haben können . Aber wenn man recht hat, hat man
recht, und die SPD hatte dieses Mal wirklich recht .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei der CDU/ CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das können wir auch!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813716800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dietrich

Monstadt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dietrich Monstadt (CDU):
Rede ID: ID1813716900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wie
die meisten von Ihnen wissen, befassen wir uns mit dem
Thema  „Korruption  im  Gesundheitswesen“  sehr  diffe-
renziert und ausführlich bereits seit der vergangenen Le-
gislaturperiode, und zwar – lassen Sie mich das gleich
zu Beginn meiner Rede ganz ausdrücklich und deutlich
sagen – völlig zu Recht .

Damals bereits wurde ein strafrechtlicher Ansatz ins
Gespräch gebracht . Es ist kein Geheimnis, dass ich dieser

Dr. Edgar Franke






(A) (C)



(B) (D)


Lösung seinerzeit durchaus skeptisch gegenüberstand .
Wir waren der Meinung, dass berufsrechtliche und so-
zialrechtliche Regelungen ausreichen, um das Problem
in den Griff zu bekommen, und das haben wir dann auch
umgesetzt .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren sie aber nicht!)


Frau Klein-Schmeink, zur Wahrheit gehört, dass Sie das
im weiteren parlamentarischen Verfahren aufgehalten
haben . So weit, so gut .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie das mit einem unseligen Präventionsgesetz verbunden haben!)


Meine Damen und Herren, wir haben heute nicht nur
einen anderen Koalitionsvertrag, sondern wir müssen
auch feststellen, dass es in Einzelfällen Fehlverhalten
gibt, das sich durch das reine Berufs- und Wettbewerbs-
recht sowie das Heilmittelwerbegesetz nicht abstellen
lässt . Damals wie heute sage ich als Gesundheitspoliti-
ker: Wir sollten dringend der Versuchung widerstehen –
der Kollege Dr . Franke hat darauf hingewiesen –, so zu
tun, als gebe es im Gesundheitswesen Korruption und
Fehlverhalten größeren Umfangs oder als könnte dies
gar  ungeahndet  stattfinden. Dies wäre  nicht  nur  unred-
lich, sondern auch eine echte Gefahr, zum Beispiel für
das besondere Vertrauensverhältnis zwischen den Ärz-
ten und Patienten in unserem Land . Ja, es gibt schwarze
Schafe, wie in anderen Bereichen auch . Der vorliegende
Gesetzentwurf wird einen Beitrag dazu leisten, wirksam
gegenzusteuern; dies haben meine Vorredner hinreichend
ausgeführt .

Gleichzeitig sollten wir aber darauf achten, nicht alle
Angehörigen unserer Heilberufe unter Generalverdacht
zu stellen . Die allermeisten Ärzte, Psychotherapeuten,
Krankenpfleger usw. machen Tag für Tag einen guten Job 
im Sinne der Patientinnen und Patienten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


All diese Akteure machen sich jeden Tag Gedanken,
wie man die medizinische Versorgung weiter optimieren
kann, um den Patientinnen und Patienten noch besser zu
helfen .

Als Gesundheitspolitiker aus Mecklenburg-Vorpom-
mern, einem der großen Flächenländer, kann ich Ihnen
berichten, dass gerade zu solchen Verbesserungen sehr
oft auch notwendige und gewollte Kooperationen gehö-
ren . Diese werden zukünftig noch größere Bedeutung
erlangen . Beispielhaft möchte ich Kooperationen im
Rahmen des Patientenanspruchs auf ein Versorgungs-
management nach § 11 Absatz 4 SGB V oder im Rah-
men besonderer Versorgung nach § 140 a SGB V nen-
nen . Hier soll und muss ein breiter und bestmöglicher
Behandlungsansatz umgesetzt werden . Deshalb ist es
für mich besonders wichtig, dass gewollte und gebotene
soziale und berufsrechtliche Kooperationen ohne weiter
hinzutretende Umstände nicht strafrechtlich sanktioniert
werden . Wir müssen sicherstellen, dass dies auch künf-
tig nicht der Fall ist . Alles andere würde die Patientinnen
und Patienten in hohem Maße benachteiligen, wenn nicht
sogar ihnen schaden .

Ich bin mir sicher, dass wir uns in diesem Punkt einig
sind . Aber meines Erachtens ist der vorliegende Gesetz-
entwurf in diesem Punkt für viele Betroffene nicht ein-
deutig genug . Herr Staatssekretär Lange, von daher bin
ich nicht ganz Ihrer Auffassung . Vor allem Leistungs-
erbringer, die zumeist keinen juristischen Hintergrund
haben, können durch einfaches Lesen nicht zweifelsfrei
verstehen, was sie dürfen und was nicht . Dies würde in
nicht wenigen Fällen dazu führen, dass legale und ge-
wollte Kooperationen aufgrund der Unsicherheiten auf-
seiten der Leistungserbringer gar nicht erst aufgenom-
men werden . Das kann nicht in unserem Interesse sein .

Wir müssen die Kompetenzen und aktuellen Belas-
tungen unserer Staatsanwaltschaften im Blick behalten .
Wir sprechen hier über Vertragskonstellationen, die man
durchaus als komplex und schwierig bezeichnen kann .
Deshalb ist es besonders wichtig, dass die rechtlichen
Vorgaben klar sind . Keinesfalls darf es durch Ausle-
gungsprobleme einer mit der Problematik nicht ver-
trauten Staatsanwaltschaft zu einem unbegründeten An-
fangsverdacht kommen . Kommt es in solchen Fällen zu
Ermittlungsmaßnahmen, zum Beispiel zu Durchsuchun-
gen, dann hat das gravierende Nachteile für die Betroffe-
nen . In dem sehr sensiblen Gesundheitsbereich kann und
darf dies nur Ultima Ratio sein . Das bloße Vorhanden-
sein eines Kooperationsvertrages darf nicht ausreichen,
um den Anfangsverdacht einer Vorteilsgewährung bzw .
Vorteilsnahme zu begründen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen im anstehenden Gesetzgebungsverfahren
nicht nur über die klarere Abgrenzung von Korruption
und Kooperation nachdenken, sondern wir müssen den
Leistungserbringern auch aufzeigen, wie sie selbst dies
abgrenzen können . Eine Pönalisierung notwendiger Ko-
operationsformen wie Praxisnetzen und ambulanter spe-
zialfachärztlicher Versorgung oder integrierter Versor-
gungsformen darf keinesfalls behindert oder verhindert
werden .

Ich bin mir sicher, dass wir diese und andere Aspekte
im weiteren Verfahren in aller Sachlichkeit besprechen
und dann zu einer ausgewogenen sowie sachorientierten
Lösung kommen werden . In diesem Sinne freue ich mich
auf eine konstruktive Beratung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813717000

Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte

hat Dirk Wiese von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1813717100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist von immenser Wichtigkeit, dass Patien-
ten vollstes Vertrauen in die Unabhängigkeit der ärztli-
chen Entscheidungen haben . Patienten müssen sich auf

Dietrich Monstadt






(A) (C)



(B) (D)


ihren Arzt verlassen können . Manchmal ist es bei Ärzten
wie bei uns Juristen: zwei Ärzte, drei Meinungen . Aber
wichtig ist, dass diese interessenfrei und nicht beeinflusst 
sind . Es ist wichtig für das Vertrauensverhältnis, dass die
Patientinnen und Patienten wissen, dass sie sich auf ihren
Arzt verlassen können .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dass das nicht immer der Fall ist, hat uns der bekannte
BGH-Fall aus dem Jahr 2012 gezeigt; der eine oder an-
dere das hier schon angeführt . Die Schlussfolgerungen
daraus sind bekannt . Der BGH schloss eine Strafbarkeit
aus, da es sich bei dem niedergelassenen Arzt nicht um
einen Amtsträger im Sinne des StGB handelte, dies aber
zwingende Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach gel-
tendem Recht gewesen ist . Dieses höchstrichterliche Ur-
teil, das eine bestehende Regelungslücke aufgezeigt hat,
gehen wir jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf an .

In der letzten Legislaturperiode hatte das leider nicht
funktioniert . Wir bessern jetzt an dieser Stelle nach . Be-
dauerlicherweise – der Staatssekretär hat es ausgeführt –
war in der letzten Legislaturperiode nur geplant, eine
Korruptionsbekämpfung im Sozialrecht, im SGB V, zu
regeln, was dann aber nur für Kassenärzte gegolten hätte .
Das kann nicht sein . Darum ist es jetzt richtig, dass die
Regelung für sämtliche Ärzte gilt . Dies ist auch erst auf
Drängen der Sozialdemokratischen Partei passiert . Mein
ganz besonderer Dank gilt hier meinem Kollegen Edgar
Franke .

Wir gehen jetzt die Bekämpfung der Korruption im
Gesundheitswesen an . Wir hatten diesen Punkt in den
Koalitionsvertrag aufgenommen . Der vorliegende Ge-
setzentwurf wird die entsprechenden Regelungslücken
schließen und – das ist mir besonders wichtig –: Dadurch
wird die große Zahl der redlich handelnden Ärzte in un-
serem Land ebenfalls geschützt; denn es ist nicht so, dass
die Mehrheit der Ärzte schwarze Schafe sind . Das ist
nicht der Fall .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es gibt allerdings eine Vielzahl von anderen Fällen
von unlauteren Methoden im Gesundheitswesen . Es ist
bekannt, dass  im Pflegebereich bestimmte Produkte oft 
nur gekauft werden, weil die Hersteller Provision zahlen,
oder dass manche Krankenhäuser für die Überweisung
von Patienten sogenannte Kopfpauschalen an Ärzte aus-
zahlen . Nach einer Studie der Universität Halle-Witten-
berg werden diese Pauschalen sogar von nahezu fast jeder
vierten Klinik gezahlt . Dieselbe Studie förderte übrigens
auch zutage, dass zwei Drittel der nichtärztlichen Leis-
tungserbringer, zum Beispiel Optiker oder Logopäden,
niedergelassenen Ärzten  gelegentlich  oder  häufig wirt-
schaftliche Vorteile für Zuweisungen gewähren . Dies ist
zu bedenken . Ich denke, in diesem Hohen Haus besteht
mittlerweile Einigkeit, dass diesen unlauteren Verfahren
unbedingt Einhalt geboten werden muss .

Was mich nach zwei Jahren Mitgliedschaft im Deut-
schen Bundestag heute etwas skeptisch macht – vielleicht
müssen wir uns alles noch einmal genauer anschauen –,
ist, dass Frau Keul in einer rechtspolitischen Debatte zum
ersten Mal nichts kritisiert hat . Aber vielleicht haben wir

etwas übersehen, oder die Grünen freuen sich einmal,
dass wir etwas Gutes vorgelegt haben .


(Zurufe von der CDU/CSU: Nicht provozieren! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist da etwas schiefgegangen? – Gegenruf der Abg . Michaela Noll [CDU/CSU]: Nein! Alles gut!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der gesamtwirt-
schaftliche Schaden durch Korruption im Gesundheits-
wesen ist immens . Die Schäden betragen über 10 Milli-
arden Euro . Ich glaube, mit diesem Gesetzentwurf von
Bundesjustizminister Heiko Maas gehen wir einen rich-
tigen Weg . Ich freue mich auf die Ausschussberatungen
und auf die Anhörung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813717200

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Debatte .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/6446 und 18/5452 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen . In den Aus-
schüssen können die Erwartungen ja dann allerseits voll
erfüllt werden .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses (7 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna
Karawanskij, Kerstin Kassner, Klaus Ernst, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Einstieg in die Weiterentwicklung der Gewer-
besteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer –
Freie Berufe in die Gewerbesteuerpflicht ein-
beziehen

Drucksachen 18/3838, 18/6396

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das auch
so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . – Ich bitte die Kollegin-
nen und Kollegen, sich zügig zu setzen . – Als erster Red-
ner in der Debatte hat Graf von und zu Lerchenfeld das
Wort, und er wird das jetzt auch gleich ergreifen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Graf Philipp Lerchenfeld (CSU):
Rede ID: ID1813717300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Zum ich

weiß nicht wievielten Mal beschäftigen wir uns damit,
dass die Gewerbesteuer in eine Gemeindewirtschaftsteu-
er umgewidmet werden soll .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Zum zweiten Mal! Das ist die zweite Lesung!)


Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


– Wir hier zum zweiten Mal . – Ich habe mit Freuden
noch einmal das Protokoll vom 5 . Februar gelesen, wo
wir schon alles gesagt haben . In Anbetracht der vorge-
schrittenen Zeit könnte man eigentlich darauf verweisen .
Ich denke aber, ein paar Erklärungen sollte man doch
machen .

Es geht hier darum, dass in Ihrem Antrag gefordert
wird, eine Gemeindewirtschaftsteuer einzuführen, das
heißt, alle, die Einkünfte erzielen, mit Gewerbesteuer zu
belasten . Nun ist das ein sehr verführerischer Vorschlag,
aber ich gebe zu bedenken, dass hier mehrere Aspekte zu
beachten sind .

Einer davon ist – das sollten wir uns überlegen –, dass
natürlich die Gewerbesteuer bei der Einkommensteuer
abzugsfähig ist und infolgedessen eine Verteilung vom
Bund hin zu den Kommunen entstehen würde, obwohl
der Bund in den letzten Jahren und auch im laufenden
Jahr enorme Zahlungen an die Kommunen gegeben hat .


(Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir aber auch!)


Wir haben 4,5 Milliarden Euro vorgegeben . Bis zu
20 Milliarden Euro werden insgesamt von 2012 bis 2020
an die Kommunen gegeben werden . Wenn man jetzt die
Flüchtlingssituation anschaut, sieht man: Auch hier en-
gagiert sich der Bund deutlich für Kommunen .

Natürlich haben Kommunen vielfältige Aufgaben .
Wenn ich an die freiwillige Feuerwehr von Frauenfeld
denke, die ich im Namen meines Kollegen hier sehr herz-
lich grüße, dann weiß ich, dass bayerische Kommunen so
gut ausgestattet sind, dass sie auch die Feuerwehren gut
ausstatten .


(Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht alle! Leider!)


Ich hoffe, dass sie alle neue Fahrzeuge haben und immer
zum Einsatz bereit sind .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Die Ausstattung wäre besser, wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Antrag
wird von uns abgelehnt werden, auch deshalb, weil unser
Koalitionsvertrag keine Änderung bei der Gewerbesteuer
vorsieht .

Die unionsgeführte Bundesregierung hat bereits in der
letzten Legislaturperiode versucht, die Gewerbesteuer zu
reformieren


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Abschaffen!)


und unter anderem die Hinzurechnungen abzuschaffen .
Würden wir eine Gemeindewirtschaftsteuer einführen,
dann müssten wir uns natürlich Gedanken darüber ma-
chen, ob die Hinzurechnungen weiter in dem Umfang
erhalten bleiben können . Denn dadurch würde das Ganze
eine Substanzsteuer – aus einer reinen Ertragsteuer wür-
de eine Substanzsteuer –, und das kann so nicht sein .

Die Erweiterung der Gewerbesteuer auf alle Berufe
birgt auch die ganz große Gefahr, dass in wirtschaftlich

besonders schweren Zeiten die Gewerbesteuerzahlungen
krisenverschärfend wirken würden; denn die gewerbe-
steuerlichen Hinzurechnungselemente sind ertragsunab-
hängig und führen dazu, dass auch in Zeiten von Verlust
Gewerbesteuer zu zahlen ist .


(Beifall der Abg . Anja Karliczek [CDU/ CSU] – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Notare und Ärzte haben nicht so Konjunkturschwankungen!)


Im Übrigen kann man nicht immer nur von guten Kon-
junkturdaten ausgehen, sondern es gibt auch schlechte
Konjunkturdaten .

Wir bemühen uns, mit einer Politik, die sich besonders
um die Wirtschaft, auch um die der Kommunen, küm-
mert, wirtschaftsfreundlich zu sein, damit in den Kom-
munen auch entsprechende Erträge generiert werden,
und zwar bei allen Arten von Unternehmen, sodass den
Kommunen genügend Geld zufließt.

Die Situation der Kommunen hat sich in den letzten
Jahren deutlich verbessert . Die Gewerbesteuereinnah-
men sprudeln . Es sind mittlerweile 33,3 Milliarden Euro,
wenn sie auch durchaus unterschiedlich verteilt sind .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist das Problem!)


Ich nehme an, dass die Verteilung ähnlich wie bei den an-
deren Ertragsteuern ist: dass Bayern, wie üblich, wieder
an der Spitze ist .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Und Ostdeutschland hinten!)


Norddeutschland hat natürlich ein Problem damit . Aber
das liegt unter anderem daran, dass man in diesen Län-
dern in den letzten Jahren immer wieder deutlich über
seine Verhältnisse gelebt und Schulden gemacht hat, was
der kommenden Generation gegenüber unverantwortlich
ist . Deswegen sollten wir nicht Steuern erhöhen, sondern
vernünftig sparen und die Haushalte der öffentlichen
Hand so sanieren, wie wir es in Bayern gemacht haben .
Ich bitte Sie alle, sich ein Beispiel an uns zu nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich kann Ihnen nur sagen: Wir lehnen den Antrag ab .

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit . – Ich habe
meine Redezeit nicht ganz in Anspruch genommen, ver-
ehrte Frau Präsidentin .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Sehr gut! Die wird gutgeschrieben fürs nächste Mal!)


Die bekomme ich dann das nächste Mal bitte gutge-
schrieben,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Nee, nee, nee!)


wenn es etwas länger gedauert hat .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Philipp Graf Lerchenfeld






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813717400

Gern geschehen . Wenn man die Punkte und Anliegen

in der Sache vorgetragen hat, ist es gut, wenn man auch
mit einer etwas kürzeren Redezeit auskommt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur
nächsten Rednerin . Das ist Susanna Karawanskij von der
Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813717500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Mein Vorredner hat es gerade angespro-
chen: Die Frage der Unterbringung und Versorgung von
Flüchtlingen ist zurzeit tatsächlich das größte Thema,
über das in unseren Städten und Gemeinden diskutiert
wird . Es treibt vor allen Dingen viele Bürgermeister
und Landräte und natürlich auch die Kommunalpoliti-
kerinnen und -politiker um . Da ist es nur richtig, dass
der Bund hier verstärkt Verantwortung übernimmt und
die Kommunen  auch  finanziell  kräftig  unterstützt  wer-
den . Es ist aber genauso wichtig, dass die Länder die
entsprechenden Gelder an die Kommunen weiterleiten .
Wir brauchen Soforthilfen für die Kommunen . Da ist
schon einiges getan worden; das erkennen wir an . Aber
wir brauchen vor allen Dingen weiterhin Investitions-
programme . Meines Erachtens ist es schon in Ordnung,
wenn man bei langfristigen Investitionen die Belastung
auf verschiedene Generationen überträgt und nicht alles
gleich aus der Portokasse zahlt .

Wir Linke haben schon in der Vergangenheit immer
wieder kritisiert, dass die Gelder für die kommunale Fa-
milie, für die kommunale Ebene nicht reichen . Wir haben
auch Vorschläge eingebracht . Es ist natürlich wahr, dass
die Schere zwischen armen und reichen Kommunen aus-
einandergeht und dass es da Unterschiede gibt . Natür-
lich stehen einige Kommunen ganz gut da . Aber es gibt
natürlich auch einen Haufen verschuldeter Kommunen,
die dann in einer Art Teufelskreis sind . Das Resultat sind
letztendlich Substanzverzehr und Verfall .

Man muss sich einmal anschauen, auf welche Größen-
ordnung sich der kommunale Investitionsstau beziffert .
Mehrere Studien gehen davon aus, dass der Investitions-
stau ein Volumen von 130 Milliarden Euro hat und die
gesamte kommunale Verschuldung 135 Milliarden Euro
beträgt . Das sind gigantische Zahlen . Jede zweite Kom-
mune bzw . jede zweite größere Stadt – das muss man
sich einmal vorstellen – befindet sich in Haushaltssiche-
rungskonzepten . So geht die Schere zwischen armen und
reichen Kommunen tatsächlich auseinander .


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: In Nordrhein-Westfalen!)


Der Punkt ist doch, dass ein Großteil unserer Kommunen
chronisch unterfinanziert ist.


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: In Nordrhein-Westfalen vor allem!)


Das ist einfach ein strukturelles Problem .

Die Gewerbesteuer ist nun einmal sehr schwankungs-
anfällig . Sie unterliegt den konjunkturellen Schwankun-

gen sehr stark . Die Städte und Gemeinden können damit
also nicht planen . Aus diesem Grund haben wir uns als
Ziel gesetzt, die Gewerbesteuer stabiler und vor allen
Dingen nachhaltiger zu gestalten,


(Beifall bei der LINKEN)


was letztendlich auch den Kommunen zugutekommt; sie
können dadurch höhere Einnahmen generieren .

Unser Vorschlag lautet, die Gewerbesteuer zu einer
Gemeindewirtschaftsteuer mit einer breiteren Bemes-
sungsgrundlage weiterzuentwickeln, sodass die Last auf
mehr Schultern verteilt wird, ohne dass es unbedingt zu
größeren Mehrbelastungen kommt .

Angesichts der aktuellen Situation wären stabilere und
höhere kommunale Einnahmen wünschenswert . Sie sind
unverzichtbar, und ich hoffe tatsächlich, dass Sie Ihr Vo-
tum hier noch einmal überdenken und den vorliegenden
Antrag als einen Einstieg in die Gemeindewirtschaftsteu-
er sehen, wodurch die finanzielle Situation der Kommu-
nen letztendlich ein Stück weit entlastet werden würde .

Dass Sie von der CDU/CSU mir jetzt zustimmen, er-
warte ich gar nicht .


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Richtig!)


Ich möchte aber noch einmal für Verständnis bei Ihrem
Koalitionspartner werben und auch noch einmal in Er-
innerung bringen, wie lange schon diese Forderung im
parlamentarischen Raum gestellt wird .


(Anja Karliczek [CDU/CSU]: Sie sind vernünftig geworden, seit sie mitregieren!)


– Lassen Sie mich doch ausreden . Sie haben doch genug
Zeit, darauf zu reagieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte daran erinnern: 2003 haben der damali-
ge Finanzminister Hans Eichel und Wirtschaftsminister
Wolfgang Clement  bei  der Gemeindefinanzreform  eine 
Ausdehnung des Kreises der Gewerbesteuerzahler gefor-
dert . Sie haben es sogar angekündigt .

2010 haben Sie selber einen Antrag gestellt . Ich zi-
tiere:

Das Kommunalmodell sieht eine zusätzliche Ver-
breitung der Bemessungsgrundlage durch eine
nochmalige Erweiterung der Hinzurechnungen und
durch eine Einbeziehung von Selbständigen und
Freiberuflern  in  die Gewerbesteuerpflicht  vor.  Für 
die Angehörigen der freien Berufe führt dies zu
keiner unzumutbaren Mehrbelastung, da sie ihre
Gewerbesteuerzahlungen grundsätzlich mit der Ein-
kommensteuerschuld verrechnen können .

Darum geht es letztendlich .

Wir fordern zudem – Sie können weiter schimpfen,
dass dies unzumutbar wäre – auch noch Freigrenzen von
30 000 Euro, wodurch wir die Freiberufler trotzdem zum 
Teil schützen und auch keine wirtschaftliche Tätigkeit
unterbinden wollen . Warum sollen sie auch nicht ein-
bezogen werden? Sie nutzen das kommunale Eigentum
bzw . die kommunale Infrastruktur ja genauso .






(A) (C)



(B) (D)


Noch eine kleine Erinnerung: Im SPD-Wahlprogramm
von 2013 stand, dass es mit der Weiterentwicklung der
Gewerbesteuer einen Investitions- und Entschuldungs-
pakt für die Kommunen in Deutschland geben soll .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das interessiert aber keinen mehr! Das ist von vorgestern!)


Das  grundsätzliche  finanzielle  Problem  der  Unterfi-
nanzierung der Kommunen werden wir mit diesem An-
trag sicherlich nicht abschließend beseitigen können;
das ist uns auch bewusst . Wir bieten damit aber einen
niedrigschwelligen Einstieg in eine stärkere kommunale
Finanzautonomie, und das sollte allen Fraktionen hier im
Hohen Hause ein dringliches Anliegen sein .

Ich bitte um Ihre Zustimmung; das wäre doch einmal
ein Anfang .


(Beifall bei der LINKEN – Michaela Noll [CDU/CSU]: Nein, das wäre das Ende, wenn wir zustimmen würden!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813717600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Bernhard

Daldrup von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1813717700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Karawanskij, Sie wissen, ich habe ausgespro-
chen viel Verständnis für Sie . Allerdings habe ich mehr
Verständnis als eine Mehrheit . Das ist eine der Schwie-
rigkeiten in Bezug auf Ihren Antrag .


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Das ist auch gut so! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Ihre Stimmen würden uns reichen! Dann hätten wir die Mehrheit!)


Ich beginne einmal so und frage: Warum sollte man
eigentlich einen Antrag ablehnen, dessen Zielsetzung
man dem Grunde nach befürwortet? Sie haben ja gerade
auf unsere Position hingewiesen . Ich könnte es mir jetzt
leichtmachen und sagen: „Unsere Originalität zu kopie-
ren, wäre  allein  schon  ein  hinreichender Grund“;  denn 
wir haben es in der Vergangenheit ja selbst gefordert . Das
ist schon wahr .

Sie haben 2014 einen Antrag auf Ausweitung der Be-
messungsgrundlagen und zugleich die Abschaffung der
Gewerbesteuerumlage gefordert . Den haben wir seiner-
zeit gut begründet abgelehnt . Jetzt konzentrieren Sie sich
auf die Einbeziehung freier Berufe .

Alle mitberatenden Ausschüsse empfehlen die Ableh-
nung dieses Antrages . Das hat auch ein bisschen damit zu
tun, dass das ein Stück weit alter Wein in neuen Schläu-
chen ist; denn neu ist an diesem Antrag eigentlich nichts .

Aber trotzdem ist es ja im Kern eine vernünftige Fra-
gestellung,  ob  man  Freiberufler  in  die  Gewerbesteuer 
einbeziehen soll oder nicht .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Nein! Rede beendet!)


Denn niemandem ist rational zu erklären, warum ein
Zahntechniker Gewerbesteuer zahlen muss, aber ein
Zahnarzt  nicht. Die  Zielsetzung,  dass man  Freiberufler 
einbezieht,  ist  keine  sozialdemokratische  Erfindung. 
Diese Zielsetzung verfolgen die kommunalen Spitzen-
verbände, auch parteiübergreifend . Wir haben das auch
gemacht .


(Beifall der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist eine Grundsatzfrage, der wir uns möglicherweise
schneller widmen würden, wenn es bei den Kommunen
ein aktuelles Einnahmeproblem gäbe .

Die Gewerbesteuer – Herr Lerchenfeld hat bereits
darauf hingewiesen – ist zweifelsfrei die wichtigste ori-
ginäre Einnahmequelle der Gemeinden . Das Band zur
lokalen Wirtschaft ist von eminenter Bedeutung . Herr
Lerchenfeld sagte, dass sie 2014 33 Milliarden Euro be-
tragen hätte . Wenn man die Stadtstaaten einbezogen hät-
te – was man in diesem Kontext eigentlich tun sollte –,
wären es sogar 43 Milliarden Euro . Es ist also ganz ge-
waltig . Und die Perspektiven für die Gewerbesteuer sind
gut . Das heißt, es gibt ein Stück weit Planungssicherheit
für die Gemeinden, was ihre Einnahmesituation angeht .

Es geht aber nicht nur um die Erhöhung der Ein-
nahmen, sondern auch um Verstetigung; denn die Ver-
rechnung der Gewerbesteuer  für Freiberufler soll  ja bis 
zu einem bestimmten Betrag mit der Einkommensteuer
erfolgen . Das ist ein vernünftiges Ziel; denn in vielen
Kommunen sind die Einnahmen sehr unterschiedlich,
abhängig von der jeweils lokalen Situation . Insgesamt
haben wir eine ausgesprochen positive Entwicklung bei
den Gewerbesteuereinnahmen . Es gibt Orte, in denen die
Durchschnittszahlen erheblich überschritten werden . Es
gibt aber auch Orte, in denen sie dramatisch unterschrit-
ten werden . Es kommt sehr auf die Situation an . Steuer-
und Strukturschwäche fallen leider oft genug zusammen .
Deshalb ist die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
und die Erhöhung der Zahl der Steuerpflichtigen durch-
aus eine Chance, Hebesätze zu stabilisieren, manchmal
sogar zu senken .

Im Übrigen möchte ich noch einen anderen Aspekt
ansprechen: Übersteigt der Hebesatz eine bestimmte
Schwelle, etwa von 400 Punkten, dann ist das eine Mehr-
belastung . Ein praktisches Beispiel: Ein Arzt müsste in
einer Großstadt tatsächlich deutlich mehr Geld bezahlen
als beispielsweise in einer ländlichen Gemeinde mit ei-
nem niedrigen Hebesatz . Das wäre sogar ein interessanter
Ansatz, um ärztliche Versorgung in ländlichen Gebieten
zu verbessern, wahrscheinlich sogar wirksamer als loka-
le, meist unerlaubte Subventionen, die es im ländlichen
Raum auch gibt .

Also warum eigentlich ablehnen? Ich will drei Aspek-
te nennen .

Erstens . Die Kommunen haben zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nicht so sehr ein Einnahme- als ein Ausgabe-
problem, Stichwort „Soziallasten“. Darum kümmern wir 
uns in unserer Großen Koalition . Und ich meine, dass wir
in der letzten Zeit nachweislich viele gute Dinge erbracht
haben .

Susanna Karawanskij






(A) (C)



(B) (D)


Zweitens . Steuerpolitik enthält ja insgesamt ein süßes
Gift – wenn ich das einmal so sagen darf –, das bei un-
terschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen immer
wieder herangezogen wird, mal beim Wohnungsbau, mal
bei energetischer Sanierung, mal bei ungerechter Vermö-
gensverteilung . Während die einen die Gewerbesteuer
für unzeitgemäß halten, wollen die anderen sie stärken .
Daraus ist eine Formulierung im Koalitionsvertrag ge-
worden . Dort heißt es:

Die Gewerbesteuer ist eine wichtige steuerliche
Einnahmequelle der Kommunen . Wir wollen, dass
auf der Basis des geltenden Rechts für die kommen-
den Jahre Planungssicherheit besteht .

Auf gut Deutsch: Wir machen zum gegenwärtigen
Zeitpunkt an der Gewerbesteuer nichts . „Pacta sunt ser-
vanda“  ist  ein  Grundsatz  auch  für  Koalitionsverträge. 
Diese Vereinbarung halten wir ein . Das ist eben unser
Verständnis . Es ist vielleicht auch einmal eine ganz an-
genehme Erfahrung, dass in der Steuerpolitik bei der
Gewerbesteuer über eine ganze Wahlperiode Stabilität
herrschen soll .

Der dritte Gesichtspunkt, den ich ansprechen will, ist
komplizierter . Die Linken wollen mit ihrem Antrag we-
niger Konjunkturanfälligkeit und eine Verstetigung der
Gewerbesteuer . Diese Grundüberlegung ist nicht falsch .
Diesem Ziel diente auch die Unternehmensteuerreform
der letzten Großen Koalition aus dem Jahre 2008 . Neben
Steuererleichterungen wie der Absenkung der Körper-
schaftsteuer und der Senkung der Gewerbesteuermes-
szahl wurde auch eine Hinzurechnung aller gezahlten
Schuldzinsen zu 25 Prozent vorgenommen . Das war eine
Vereinbarung . Darunter fallen auch Mieten und Pach-
ten . Das ist eine wichtige Verbreiterung – wenn ich das
einmal so sagen darf – mit entsprechenden großzügigen
Freibetragsregelungen . Im Kern geht es um eine Gleich-
wertigkeit  von  Fremd-  und  Eigenkapitalfinanzierung, 
also das, was wir unter Finanzierungsneutralität bei der
Gewerbesteuer verstehen . Den Entlastungen standen
also auch Belastungen, Hinzurechnungen gegenüber, um
Steuergerechtigkeit herzustellen .

Warum mache ich eigentlich zum gegenwärtigen Zeit-
punkt diesen Exkurs? Seit der damaligen Zeit wehren
sich Wirtschaftsverbände gegen dieses Modell der Hin-
zurechnungen, wohlgemerkt, ohne die Steuererleichte-
rungen, die es auch gegeben hat, rückgängig machen zu
wollen .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: So sind die!)


Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir ein solches
Problem in der Tourismusbranche . Vor wenigen Tagen
haben sich beispielsweise auch die Messebauer zu Wort
gemeldet .

In der Darstellung der Folgen der Hinzurechnung
verwenden Lobbyisten in hoher Intensität irreführende
Berechnungen mit absurd hohen Steuerquoten . Einige
scheinen dabei auch wirklich jedes gesunde Maß ver-
loren zu haben . Kleine Reiseveranstalter werden dabei
übrigens einmal mehr für einen Protest gegen Steuerbe-
lastungen instrumentalisiert, die vor allen Dingen große
Unternehmen treffen würden .

Beeindruckend finde ich übrigens, dass uns in Gesprä-
chen mit Lobbyisten aus der Tourismusbranche erklärt
wird, bei der Steuergesetzgebung habe man gar nicht an
sie gedacht, sie seien schließlich auch nicht zur Anhö-
rung im Gesetzgebungsverfahren eingeladen worden . –
Na ja, dann bräuchte ich ab morgen eigentlich keine Ein-
kommensteuer zu zahlen . Das ist ein bemerkenswertes
Verständnis darüber – wenn ich das einmal an dieser
Stelle so sagen darf –, wie man Betroffenheit organisie-
ren kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es passt jedenfalls nicht zusammen, wenn Lobbyisten
von Belastungen in Millionenhöhe durch die Gewerbe-
steuer sprechen, während die Steuerverwaltung auf Zu-
satzbelastungen von unter 2 Prozent hinweist .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein praktisches Beispiel: Wenn eine 1 000-Euro-Pau-
schalreise durch die Hinzurechnung um insgesamt
17,50 Euro teurer wird, dann geht davon weder das Pro-
dukt noch die Branche pleite; davon bin ich fest über-
zeugt .


(Beifall der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen will ich hier gar nicht weiter über eine
prosperierende Branche, die Tourismusbranche, reden,
sondern ich will alle Beteiligten zum jetzigen Zeitpunkt
auffordern: Setzen Sie sich dafür ein, dass das, was wir
im Koalitionsvertrag vereinbart haben, eingehalten wird,
nämlich Rechtssicherheit beim Bestand der Gewerbe-
steuer . Wer die Hinzurechnungen zur Disposition stellt,
legt die Axt an die Gewerbesteuer . Das wollen wir auf
gar keinen Fall .

Was können wir jetzt also machen? Ich glaube, wir
als diejenigen, die auch Vertreter von Kommunen sind,
sollten gemeinsam keine zusätzlichen Anträge stellen,
sondern wir sollten den Schulterschluss mit den kommu-
nalen Spitzenverbänden herstellen und ein Abrücken von
den Hinzurechnungen verhindern, weil das einen Damm-
bruch bedeuten würde .

Ich bitte an dieser Stelle auch die Mitglieder der Lin-
ken ausdrücklich, diese Diskussion in Ihrer Fraktion
zu führen . Leider sind auch Vertreter Ihrer Fraktion im
Tourismusausschuss vor der Argumentation dieser Lob-
bygruppen nicht gefeit . Ganz im Gegenteil: Sie haben
sie sich zu eigen gemacht . Das ist natürlich eine etwas
schwierige Situation .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Sie haben aber keine Mehrheit bei uns!)


– Diese habe ich im Moment alleine auch nicht; das ist
wahr . Aber deswegen kann man trotzdem sagen, was Sa-
che ist, lieber Axel Troost .

Deswegen will ich sagen: Bevor es zu Erweiterungen
des derzeit geltenden Gewerbesteuerrechts kommt, soll-
ten Sie in dieser Frage die eigene Haltung klären . Wenn

Bernhard Daldrup






(A) (C)



(B) (D)


Sie die Bemessungsgrundlage verbreitern und weitere
Berufsgruppen in die Gewerbesteuerpflicht einbeziehen, 
dann müssen Sie an anderer Stelle, meine ich jedenfalls,
Kurs halten . Deswegen können wir Ihrem Antrag an die-
ser Stelle nicht folgen .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Es war so schön! Jetzt ist alles wieder kaputt!)


Wir appellieren an alle, die Rechtssicherheit bei der Ge-
werbesteuer nicht zu gefährden und sich auch an diese
Verabredung des Koalitionsvertrages zu halten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813717800

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Britta

Haßelmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813717900

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren Zuhörerinnen
und Zuhörer auf der Besuchertribüne! In der Tat reden
wir heute zum wiederholten Mal über die Frage der Wei-
terentwicklung der Gewerbesteuer . Aber das ist ganz nor-
mal; denn ein Antrag geht nach dem normalen Verfahren
in die Fachausschüsse – diese tagen nicht öffentlich –,
und danach kommt der Antrag wieder ins Parlament, um
hier dann wieder öffentlich abschließend diskutiert zu
werden .

Ich sage das als Erklärung für Sie . Von daher ist diese
Debatte kein ermüdender und lahmer Vorgang, sondern
etwas ganz Normales . Um die ausgetauschten Argumen-
te  vorzutragen,  finden  die  Debatten  öffentlich  statt,  da 
bisher die Initiativen der Grünen zur Öffentlichkeit von
Ausschusssitzungen in diesem Haus leider keine Mehr-
heit gefunden haben .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist Sacharbeit!)


Nun aber zur Sache . Ich glaube, dass es richtig und
wichtig ist, über die Weiterentwicklung der Gewerbe-
steuer und auch über die Einbeziehung der Freiberufler 
in die Gewerbesteuer zu sprechen, zu diskutieren und
hier entsprechende Vorschläge zu machen . Ich bin ganz
froh, dass ihr von den Linken auf das verzichtet habt, was
wir untereinander bisher immer kritisch diskutiert haben,
nämlich die Gewerbesteuerumlage. Dieses Stichwort fin-
det sich in der aktuellen Antragsfassung nicht . Von daher
kann ich für unsere Fraktion sagen, dass wir das Anlie-
gen unterstützen, über die Frage nachzudenken, wie die
Einnahmen aus der Gewerbesteuer für die Städte und Ge-
meinden verstetigt werden können, sodass sie konstanter
und dauerhaft werden . Dabei geht es um zwei Elemente,
nämlich zum einen um die Hinzurechnungen bei der Ge-
werbesteuer und zum anderen um die Einbeziehung der
Freiberufler. Einen solchen Vorschlag können und wollen 

wir unterstützen, und das werden wir durch die Zustim-
mung zum Antrag auch machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Bernhard Daldrup hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass in Bezug auf die Hinzurechnungen Schluss sein
sollte mit dem Phantomargument, dass das ein ganz
furchtbarer Eingriff mit negativen Folgen wäre . Er hatte
das Dreifache meiner Redezeit; deshalb will ich das nicht
wiederholen .

Er hat vorhin auf die Frage des Eigen- und Fremdka-
pitals und das Verhältnis zueinander Bezug genommen .
Ich finde, statt der Verteufelung des Instruments der Hin-
zurechnungen wäre mehr Sachlichkeit im Umgang mit
den Argumenten geboten . Ich glaube, man kann das so
gestalten, dass es sinnvoll, richtig und nicht schädlich ist .
Daran sollten wir alle mitwirken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Von daher ist die Antragsinitiative an dieser Stelle zu
unterstützen . Denn wir haben es mit großen regionalen
Disparitäten und sehr unterschiedlichen Entwicklungen
in der kommunalen Landschaft zu tun . Es gibt Kom-
munen, denen es total gut geht . Sie können aus eigener
Kraft viel gestalten und haben konstante Gewerbesteue-
reinnahmen . Andere Kommunen sind in einer absoluten
Notsituation .

Ich will zum Schluss meiner Rede noch darauf hinwei-
sen, dass die Möglichkeiten des Ausgleichs der regiona-
len Unterschiede bzw . die Verhinderung der Entwicklung
hin zu einer Zweiklassengesellschaft der Kommunen, die
wir seit Jahren wahrnehmen, durch die Gewerbesteuer
nur ganz marginal sind . Ein viel größerer Anknüpfungs-
punkt ist die dauerhafte Entlastung der sozialen Kosten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das sollte uns immer gegenwärtig sein . Auch wenn wir
wie heute aufgrund des Antrags über eine solche Frage
diskutieren, ist das der Hauptanknüpfungspunkt . Denn
die Entwicklung der sozialen Kosten macht ganz deut-
lich, dass hier der Anknüpfungspunkt ist, um Ungleich-
heiten und Armut in Städten und Gemeinden ausgleichen
zu können. Dabei haben wir als Bund eine Verpflichtung 
über die Grundsicherung im Alter hinaus, zum Beispiel
beim Teilhabegesetz, bei der Eingliederungshilfe und
ganz aktuell bei der Unterstützung der Kommunen bei
Betreuung, Begleitung und Erstaufnahme von Geflüch-
teten und der riesigen Aufgabe der Integration, die vor
uns liegt .

Dass die sozialen Kosten laut Finanzbericht allein für
2014 um 5,2 Prozent gestiegen sind und mittlerweile bei
49 Milliarden Euro liegen, macht deutlich, dass das ein
Bereich ist, in dem es mehr Unterstützung für die Kom-
munen auch durch Bundesleistungen geben muss, wenn
es um soziale Pflichtaufgaben geht. Das sollten wir, auch 

Bernhard Daldrup






(A) (C)



(B) (D)


wenn wir heute schwerpunktmäßig über die Gewerbe-
steuer diskutieren, nicht vergessen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813718000

Vielen Dank . – Als letzter Redner in der Debatte hat

Markus Koob von der CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1813718100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn viele von uns in einigen Wochen mehr oder we-
niger text- und tonsicher vor dem Weihnachtsbaum be-
sinnliche Weihnachtslieder singen, wird ein Klassiker
sicherlich nicht fehlen: Alle Jahre wieder


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit Blick auf die heutige Debatte könnten wir dieses
Lied aber auch heute schon anstimmen . Denn wir führen
auch diese Debatte jedes Jahr wieder .

Zur vorweggenommenen Besinnlichkeit gehört, dass
wir alle die gleiche Zielsetzung verfolgen, die auch gut
und wichtig ist: die Stabilisierung der Finanzen von Städ-
ten und Gemeinden . Aber diese Bundesregierung und
diese Koalition arbeiten längst mit einem Strauß unter-
schiedlicher Maßnahmen auf dieses Ziel hin . Der Kol-
lege Lerchenfeld hat in der gebotenen Ausführlichkeit
bereits viele der unterschiedlichen Maßnahmen erläutert .

Die reichen von der Übernahme der Kosten für die
Grundsicherung im Alter und bei der Erwerbsminderung
bis hin zu der kürzlich beschlossenen Übernahme von
Kosten im Zusammenhang mit der Asyl- und Flücht-
lingssituation in Deutschland .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Das hat nichts mit Steuereinnahmen zu tun!)


Wir helfen den Kommunen . Das machen wir, weil wir
starke Kommunen wollen, das machen wir, weil wir sta-
bile Finanzen in den Kommunen wollen, und das machen
wir, weil wir mit der Stärkung der Infrastruktur mehr Le-
bensqualität in den Kommunen wollen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Bernhard Daldrup [SPD])


Diese Ziele haben wir durch konkrete Maßnahmen
auch zu unseren gemacht, obwohl nach der Kompetenz-
verteilung unserer Verfassung die Länder primär zustän-
dig für die Kommunen sind und auch bleiben müssen .
Aber der Bund hilft . Wir helfen den Kommunen, weil
wir ein verlässlicher Partner der Kommunen sind, ob-
wohl das nicht unsere primäre Pflicht ist. Wir bekräftigen 
auch an dieser Stelle gerne, dass die kommunalfreund-

liche Politik dieser Bundesregierung von uns aus voller
Überzeugung getragen wird .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Umso leichter für Sie, zuzustimmen!)


Deswegen habe ich wohlwollend zur Kenntnis ge-
nommen, dass Sie die von uns gesetzten Ziele in Ihrem
Antrag als durchaus erstrebenswert definieren. Es kommt 
nicht alle Tage vor, dass uns selbst die Linken beschei-
nigen, eine richtige Zielsetzung mit unserer Politik zu
verfolgen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, so viel Einig-
keit und Besinnlichkeit gibt es auf den zweiten Blick
dann doch wieder nicht, und wir haben auch durchaus
unterschiedliche Ansichten, mit welchen Mitteln wir die-
se Ziele erreichen wollen . Um es vorwegzunehmen: Ich
glaube, es wird Sie nicht wirklich überraschen, dass ich
am Ende der Rede empfehlen werde, Ihren Antrag abzu-
lehnen . Dafür gibt es zahlreiche Gründe .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Alle Jahre wieder! – Heiterkeit im ganzen Hause)


Mit diesem Antrag wird suggeriert, dass sich Anwälte,
Ärzte, Ingenieure oder Architekten und viele Freiberufler 
in unserem Land außerhalb der Steuerordnung bewegen
würden .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Nein! Das habe ich nicht reingeschrieben! Nein, das stimmt nicht!)


Nichts anderes lässt es vermuten, wenn der Tenor Ihres
Antrags  sinngemäß  lautet:  Die  Freiberufler  nutzen  die 
kommunale Infrastruktur und sollten sich endlich an ih-
rer Finanzierung beteiligen .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Ja! Dafür ist die Gewerbesteuer eingeführt worden!)


Wir wollen hier einige Sachen klarstellen . Die freien
Berufe tragen natürlich ihren Teil zur Finanzierung der
kommunalen Infrastruktur bei . Die Grundsätze ihrer
Besteuerung sind im Einkommensteuergesetz niederge-
schrieben .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Die sind von 1937!)


Ein Teil der Einkommensteuer – es sind 15 Prozent –
wird den Kommunen direkt zugeführt . Jetzt werden Sie
sagen: Da ist noch Luft nach oben . – Als Kommunalpo-
litiker – ich bin Stadtverordneter in meiner Heimatstadt
Oberursel – sehe ich das durchaus ähnlich . Aber das ist
heute nicht unser Thema,


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Doch!)


sondern  die Auferlegung  der  Gewerbesteuerpflicht  für 
Freiberufler, und die halte ich für falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Einkommensteuer, die auch für Freiberufler gilt, 
ist eine beachtliche Komponente von Gemeindehaushal-
ten . Außerdem: Der kommunale Anteil an der Einkom-

Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


mensteuer wird zusätzlich durch Bundesmittel verstärkt,
die den Kommunen und deren Infrastruktur zugutekom-
men . Der Bund beteiligt sich durch kluge Programme
und Fördermaßnahmen an der Unterstützung der Kom-
munen, vor allem der strukturschwachen Kommunen,
zum Beispiel durch das Bund-Länder-Programm „Die
soziale Stadt“, in dem es um städtebauliche Aufwertung 
von benachteiligten Städten geht .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Was hat das mit unserem Antrag zu tun?)


Eine  sehr  finanzschwache  Kommune  in  meinem 
Nachbarwahlkreis nimmt mit großer Begeisterung an
diesem Programm teil und hat so trotz klammer Kassen
die Möglichkeit, erheblich in die kommunale Infrastruk-
tur zu investieren . Das zeigt: Der Bund wirkt hier frei-
willig daran mit, dass auch finanzschwache Kommunen 
mitgenommen werden und nicht auf der Strecke bleiben,
und das ist auch gut so .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ohne Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung von
Finanzbeamten in den Steuerbehörden und von steuer-
erklärenden  Freiberuflern  würde  es  nicht  gehen,  wenn 
wir Ihre Vorschläge umsetzen würden; denn nach Ihrem
Entwurf sollen Freiberufler sowohl einkommen- als auch 
gewerbesteuerpflichtig  sein  und  ihre  unterschiedlichen 
Steuerschulden miteinander verrechnen .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Wie andere Kleinunternehmen auch!)


Denken Sie doch einmal an den Verwaltungsaufwand .

Mit welchen Instrumenten die kommunale Finanz-
kraft gestärkt wird, wird im Rahmen der Neuordnung
der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu klären sein . Aus
eigener Erfahrung vor Ort warne ich uns alle davor, nach
vermeintlich einfachen Lösungen zu suchen . Dazu zählt
auch, dass wir uns davor hüten sollten, die Gewerbesteu-
er entgegen der Realität vor Ort zu glorifizieren. Die Ge-
werbesteuer ist eine sehr konjunkturanfällige und damit
keine verlässliche Steuer .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Mit unserem Antrag wäre das weniger der Fall!)


Darauf hat schon die sogenannte Troeger-Kommission in
Vorbereitung der  letzten großen Gemeindefinanzreform 
aufmerksam gemacht .

Es gibt sicherlich viele weitere Anekdoten von Kolle-
ginnen und Kollegen, die auch in der Kommunalpolitik
aktiv sind und die Ihnen berichten könnten, was bei Tur-
bulenzen in der Gewerbesteuer so alles passieren kann .
Allein in meiner Heimatstadt riss erst kürzlich eine Ge-

werbesteuerrückzahlung in Höhe von 37 Millionen Euro
ein großes Loch in den kommunalen Ergebnishaushalt .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Das passiert bei Notaren und Ärzten eben nicht!)


Für eine mittelgroße Stadt ist das verdammt viel Geld .

Daher: Ja, die Finanzkraft und die Infrastruktur vor
Ort müssen gestärkt werden, aber ob die Ausweitung der
Gewerbesteuer hierbei das geeignete Mittel ist – da wür-
de ich doch ein großes Fragezeichen setzen . Die CDU/
CSU-Fraktion bleibt ein verlässlicher Partner der Kom-
munen, und sie wird sich im Rahmen der Neuordnung der
Bund-Länder-Finanzbeziehungen für einen zufrieden-
stellenden, aber vor allem für einen stabilen und nachhal-
tigen Kompromiss starkmachen . Die Menschen vor Ort
können sicher sein, dass wir am kommunalfreundlichen
Kurs dieser Bundesregierung festhalten


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das haben Sie schon einmal gesagt!)


und dass wir diesen weiterhin zu einer wichtigen Grund-
lage unserer Arbeit machen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813718200

Vielen Dank . – Damit, liebe Kolleginnen und Kolle-

gen, schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlus-
sempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Einstieg in die Weiter-
entwicklung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirt-
schaftsteuer – Freie Berufe  in die Gewerbesteuerpflicht 
einbeziehen“.  Der  Ausschuss  empfiehlt  in  seiner  Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/6396, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3838 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese
Beschlussempfehlung angenommen worden mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss
unserer heutigen Tagesordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Dienstag, den 24 . November 2015, 10 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen ein
schönes Wochenende .