Protokoll:
17163

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 163

  • date_rangeDatum: 2. März 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:30 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/163 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 163. Sitzung Berlin, Freitag, den 2. März 2012 I n h a l t : Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum besseren Schutz der Ver- braucherinnen und Verbraucher vor Kos- tenfallen im elektronischen Geschäftsver- kehr (Drucksachen 17/7745, 17/8805) . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von den Abgeordneten Christine Lambrecht, Burkhard Lischka, Dr. Eva Högl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs ei- nes Strafrechtsänderungsgesetzes – Be- kämpfung der Abgeordnetenbestechung (Drucksache 17/8613) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Lange (Backnang) (SPD) . . . . . . . . 19375 A 19375 B 19375 C 19376 C 19377 B 19379 A 19380 C 19382 A 19383 C 19384 C 19385 C 19386 C 19388 B 19388 B 19389 D 19390 C 19392 C 19392 B 19395 D 19396 D 19398 C 19399 B 19401 B 19403 B 19404 C 19405 C 19407 D 19408 D 19409 B 19410 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2012 Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der kalten Progression (Drucksache 17/8683) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: a) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Herbert Behrens, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Pendlerpauschale in sozial ge- rechtes Pendlergeld umwandeln und er- höhen (Drucksache 17/5818) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Ulrich Maurer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Preiserhöhungswelle an den Tankstellen stoppen – Gesetzliche Ben- zinpreiskontrolle einführen (Drucksache 17/8786) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Mücke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Mücke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem An- trag der Abgeordneten Katja Dörner, Ingrid Hönlinger, Monika Lazar, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsames elterliches Sorge- recht für nicht miteinander verheiratete Eltern (Drucksachen 17/3219, 17/8555) . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Bundesmittel zur Fi- nanzierung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 1 : 1 an Kommunen weiterreichen (162. Sitzung, Tagesordnungspunkt 21) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19411 D 19412 A 19413 B 19414 A 19415 C 19416 B 19417 C 19419 A 19421 A 19422 B 19423 C 19424 B 19425 B 19425 B 19425 C 19426 C 19424 A 19428 A 19429 B 19429 D 19431 B 19432 B 19432 C 19433 A 19434 A 19435 A 19435 A 19436 C 19437 D 19440 A 19440 D 19441 C 19442 C 19443 A 19444 A 19445 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2012 19375 (A) (C) (D)(B) 163. Sitzung Berlin, Freitag, den 2. März 2012 Beginn: 9.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2012 19443 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 02.03.2012 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 02.03.2012 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 02.03.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 02.03.2012 Brunkhorst, Angelika FDP 02.03.2012 Burchardt, Ulla SPD 02.03.2012 Freitag, Dagmar SPD 02.03.2012 Friedhoff, Paul K. FDP 02.03.2012 Dr. Friedrich, Hans- Peter CDU/CSU 02.03.2012 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 02.03.2012 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 02.03.2012 Dr. Geisen, Edmund FDP 02.03.2012 Gerster, Martin SPD 02.03.2012 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.03.2012 Gruß, Miriam FDP 02.03.2012 Dr. Harbarth, Stephan CDU/CSU 02.03.2012 Dr. Heider, Matthias CDU/CSU 02.03.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 02.03.2012 Juratovic, Josip SPD 02.03.2012 Kaczmarek, Oliver SPD 02.03.2012 Kelber, Ulrich SPD 02.03.2012 Kipping, Katja DIE LINKE 02.03.2012 Körper, Fritz Rudolf SPD 02.03.2012 Korte, Jan DIE LINKE 02.03.2012 Krellmann, Jutta DIE LINKE 02.03.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.03.2012 Laurischk, Sibylle FDP 02.03.2012 Dr. Lauterbach, Karl SPD 02.03.2012 Dr. Lotter, Erwin FDP 02.03.2012 Ludwig, Daniela CDU/CSU 02.03.2012 Luksic, Oliver FDP 02.03.2012 Lutze, Thomas DIE LINKE 02.03.2012 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.03.2012 Mattheis, Hilde SPD 02.03.2012 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 02.03.2012 Nord, Thomas DIE LINKE 02.03.2012 Ortel, Holger SPD 02.03.2012 Pieper, Cornelia FDP 02.03.2012 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 02.03.2012 Pronold, Florian SPD 02.03.2012 Dr. Ruppert, Stefan FDP 02.03.2012 Rupprecht (Weiden), Albert CDU/CSU 02.03.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 02.03.2012 Staffeldt, Torsten FDP 02.03.2012 Süßmair, Alexander DIE LINKE 02.03.2012 Tillmann, Antje CDU/CSU 02.03.2012 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 02.03.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 02.03.2012 Vogler, Kathrin DIE LINKE 02.03.2012 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 02.03.2012 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 02.03.2012 Zypries, Brigitte SPD 02.03.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 19444 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2012 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Bundesmittel zur Finanzierung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 1 : 1 an Kommunen wei- terreichen (162. Sitzung, Tagesordnungspunkt 21) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Der Antrag der Frak- tion Die Linke zeigt einmal mehr, dass Sie aus der euro- päischen Staatsschuldenkrise nichts gelernt haben. Wie- der soll Geld durch den Bund ausgegeben werden, das nicht zur Verfügung steht. Statt die solide Haushaltspoli- tik der Bundesregierung zu unterstützen, schreien Sie wieder nach neuen Mitteln. Noch viel schlimmer ist, dass Sie den Erfolg für die Kommunen leugnen und nach Luftbuchungen schreien. Hierzu komme ich später. Es trifft zu, dass die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die Kommunen erheb- lich belasten. Doch schauen wir uns einmal den Gesetz- gebungsprozess an. Ein solides und nachhaltiges Gesetz wurde auch unter Mitwirkung des von Ihnen mitregier- ten Landes Brandenburg im Bundesrat verhindert. Das gehört auch zur Wahrheit, wenn Sie schon den Vermitt- lungsausschuss ins Spiel bringen. Sie picken sich, wie ein wählerisches Huhn, einen Aspekt des Gesetzes zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen heraus. Das ist typisch, denn mit diesem Fo- kus können sie wieder geistig brandstiften und den So- zialneid schüren. Fakt ist aber, dass die christlich-libe- rale Koalition auf breiter Front die Kommunen stärkt und entlastet. Halten wir uns doch die wichtigsten Aspekte noch einmal vor Augen: Die Kommunen werden zusammen mit den Mitteln des Bildungs- und Teilhabepaketes bis 2020 in einer Größenordnung von mehr als 50 Milliar- den Euro entlastet. Eine einseitige und dauerhafte Kom- munalentlastung in dieser Größenordnung – ohne Über- tragung neuer kostenträchtiger Aufgaben und sonstiger Ausgabenpflichten – ist in der Geschichte der Bundesre- publik Deutschland einmalig. Flankiert wird diese Aus- gabenreduktion von steigenden Einnahmen. Denn die solide und weitsichtige Wirtschafts- und Arbeitsmarkt- politik der christlich-liberalen Koalition führt zu spru- delnden Mehreinnahmen in den meisten deutschen Kommunen. In den ersten drei Quartalen 2011 lagen die Mehreinnahmen der Kommunen bei fast sieben Prozent. Das sind knapp 135 Milliarden Euro mehr für die Ge- meinden. Alleine die Steuereinnahmen der Gemeinden stiegen dabei um elf Prozent auf knapp 47 Milliarden Euro. Auch die von der christlich-liberalen Koalition ge- plante Einkommensteueränderung wird sich positiv auf die Kommunen auswirken. Wenn die Bürgerinnen und Bürger mehr Geld in den Taschen haben, geben Sie es erfahrungsgemäß auch aus. Hierdurch werden die Kom- munen alleine bei der Gewerbesteuer Mehreinnahmen verzeichnen können. Sie sehen, wir denken global und machen keine einseitige Klientelpolitik wie Sie so oft. Wir, die christlich-liberale Koalition, haben die Kom- munen sicher durch die Krisenjahre begleitet. In der Fi- nanzmarkt- und Wirtschaftskrise der Jahre 2009 und 2010 stammte jeder sechste in den Kommunen inves- tierte Euro aus den Mitteln des Konjunkturpaketes. Wir haben hierdurch Arbeitsplätze gesichert und Unterneh- men vor der Insolvenz bewahrt. Ohne die konjunkturel- len Maßnahmen des Bundes und der Länder hätten die Investitionen der Kommunen sowohl 2009 als auch im Jahr 2010 als Folge der kritischen Finanzlage deutlich abgenommen. Die Bauausgaben der Kommunen stiegen aufgrund unseres Konjunkturpaketes alleine 2010 um 10,5 Prozent auf 18,6 Milliarden Euro. Auch hier haben die Kommunen in die Zukunft investiert. Sie haben mehrheitlich in Bildungsinfrastruktur investiert. Bildung ist der Schlüssel zu einer gerechten Gesellschaft, nicht Gleichmacherei und Ideologie wie in Ihrer kleinen Welt. Auch 2012 werden sich nach den Steuerschätzungen vom November 2011 die gemeindlichen Steuereinnah- men positiv entwickeln. Die Steuereinnahmen steigen um fast 5 Prozent. Das sind fast vier Milliarden Euro mehr. Genauso positiv zeichnet sich die Entwicklung für den Zeitraum 2013 bis 2016 ab. Hier prognostizieren die Steuerexperten einen weiteren Anstieg von 4 Prozent jährlich. Das bedeutet aber auch, dass in diesen positiven Zeiten die Kommunen gefordert sind. Sie müssen Rück- lagen bilden, wenn dies möglich ist, oder Schulden ab- bauen. Das Bundesfinanzministerium hat errechnet, dass die Kommunen ohne Defizit auskommen können. Das ist ambitioniert, der Generationengerechtigkeit und der in unserem Grundgesetz festgeschrieben Schulden- bremse jedoch auch geschuldet. Die CDU/CSU-Fraktion steht für solide Haushalts- politik. Wir machen keine Luftbuchungen, wie es Ihre Fraktion hier fordert. Es ist sinnvoll, dass vorvorletzte Kalenderjahr als Berechnungsgrundlage zu nehmen. Dieses Kalenderjahr ist nämlich dann nicht nur abge- schlossen, sondern auch abgerechnet. Wir verbinden mit dieser Berechnungsgrundlage zwei wichtige Prinzipien: Dies sind die Solidarität auf der einen Seite, aber auch die Subsidiarität auf der anderen Seite. Wir wissen, dass die Kommunen die steigenden Kosten der Grundsiche- rung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht alleine stemmen können. Deswegen erstatten wir ihnen in die- sem Jahr 45 Prozent, im Jahr 2013 75 Prozent und 2014 dann 100 Prozent der Kosten. Wir zeigen uns solida- risch. Gleichzeitig, und das ist das Element der Subsidia- rität, sehen wir die Kommunen in der Bringschuld. Sie müssen nachweisen, welche Kosten tatsächlich entstan- den sind. Keine Kommune hätte etwas davon, wenn eine Überzahlung erfolgte. Diese wäre an den Bund zurück- zuzahlen. Ein Mehr an Bürokratie. Dieses Vorgehen würde die Entlastung konterkarieren. In den Kämme- reien wäre ein Personalmehraufwand erforderlich, um die Rückbuchungen ordentlich und zeitnah abzuwickeln. Auch auf der Bundesebene würde dies zu einer Verzöge- rung des Haushaltsabschlusses führen. Das kann auch nicht in Ihrem Interesse sein, werte Kolleginnen und Kollegen. Außerdem, tun Sie nicht so, als sei dieser Zweijahres- rhythmus eine Erfindung des Vermittlungsausschusses. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2012 19445 (A) (C) (D)(B) Auch in den Ländern werden die Steuereinnahmen in der Regel erst zwei Jahre nach Vereinnahmung an die Kom- munen ausgeschüttet. Sie können hier bei Ihren Kolle- gen in den Ländern nachfragen. In Brandenburg regieren Sie ja noch mit. Hier können Sie sehr zeitnah zu einer Veränderung beitragen. Und die Beendigung Ihrer Re- gierungsbeteiligung in Berlin liegt auch noch nicht so lange zurück. Hier können Sie sicherlich auch Erfah- rungswerte abfragen. Mit Ihrem Antrag unterstreichen Sie wieder, warum Sie auf Bundesebene keine Regierungsverantwortung tragen. Sie können nicht mit Geld umgehen und haben als Patentrezept die Gießkanne in der Hand. Deshalb werden Sie, meine Damen und Herren der Linksfraktion, auch dauerhaft in der Opposition bleiben. Denn die über- wältigende Mehrheit der Deutschen unterstützt die Spar- anstrengungen dieser Bundesregierung. Seien Sie versi- chert, dass ich auch weiterhin aufzeigen werde, wie Sie Steuermittel verschwenden wollen und Halbwahrheiten als Skandale verkaufen wollen. Ihr Antrag ist Polemik. Deshalb und weil er unausgegoren ist, ist er abzulehnen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 892. Sitzung am 10. Fe- bruar 2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Rechts der Verbrau- cherinformation – Gesetz zur Änderung des Düngegesetzes, des Saatgutverkehrsgesetzes und des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches – Gesetz zur Einrichtung und zum betrieb eines bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ (Hilfetelefongesetz – HilfetelefonG) – Zweites Gesetz zur Umsetzung eines Maßnah- menpaktes zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Zweites Finanzmarktstabilisierungsgesetz – 2. FMStG) Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: 1. Der Bundesrat unterstützt die Zielsetzung des Geset- zes, die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems ge- währleisten zu wollen. In der aktuellen Situation sieht er die Notwendigkeit, im Rahmen des abge- stimmten Vorgehens auf EU-Ebene die Stabilität des Banken- und Finanzsektors durch geeignete Maß- nahmen zu bewahren und die bankenaufsichtsrechtli- chen Befugnisse zu stärken. 2. Der Bundesrat erkennt an, dass der Bundestag wich- tige Länderanliegen – wie etwa die Stärkung der Kompetenz der BaFin gegenüber der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) – aufgegriffen hat. Er beanstandet aber, dass schwerwiegende Bedenken im Gesetzgebungsverfahren nicht berücksichtigt worden sind. 3. Der Bundesrat lehnt aus folgenden Gründen die wei- tere Mithaftung der Länder für Garantien und Reka- pitalisierungsmaßnahmen des Finanzmarktstabilisie- rungsfonds ab: – Es gibt erhebliche verfassungsrechtliche Zwei- fel, ob die im Gesetz vorgesehene Mischfinanzie- rung von Bund und Ländern im Rahmen der Las- tenverteilung des Fonds mit dem Grundgesetz vereinbar ist. – Die im Herbst 2008 von den Ländern im Rahmen des ersten Finanzmarktstabilisierungsgesetzes über- nommenen Ausfallrisiken erstrecken sich ledig- lich auf Maßnahmen der Finanzmarktstabilisie- rungsanstalt (FMSA), die bis Ende des Jahres 2010 ergriffen wurden. Die vorgesehene zeitliche und finanzielle Erweiterung der Ermächtigungen der FMSA ist von der damaligen Entscheidung nicht gedeckt. – Der Bund hat durch die FMSA die alleinige Ver- waltungs- und Entscheidungskompetenz über Stabilisierungsmaßnahmen. Den Ländern steht – abgesehen von dem von ihnen benannten Mit- glied des Leitungs sowie des Lenkungsausschus- ses – kein signifikanter Einfluss zu. Eine solche Konstellation, in der Bund und Länder haften, der Bund aber die alleinige Entscheidungsbefugnis hat, muss auf die damalige Ausnahmesituation beschränkt bleiben und darf nicht durch wieder- holte Übung zur Regel erhoben werden. – Den Ländern ist – angesichts der Spar- und Kon- solidierungszwänge in den öffentlichen Haushal- ten, die sich insbesondere aus der Befolgung der Schuldenbremsen ergeben – eine weitere Belas- tung durch neue Garantien und Rekapitalisierun- gen nicht mehr zuzumuten. Für die Risiken aus neuen Rettungsmaßnahmen muss daher der Bund alleine einstehen, nachdem er sich dafür entschie- den hat, den Finanzmarktstabilisierungsfonds mit aufgestockten Ermächtigungen als aktuelles Kri- seninstrument einzusetzen. 4. Der Bundesrat hat erhebliche Zweifel an der Auffas- sung, dass das Gesetz nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf: – Nach Artikel 105 Absatz 3 des Grundgesetzes be- dürfen Bundesgesetze über Steuern, deren Auf- kommen den Ländern oder den Gemeinden (Ge- meindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließt, der Zustimmung des Bundesrates. Das Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabili- sierung des Finanzmarktes, das mit dem vorlie- genden Gesetz geändert werden soll, war unter anderem deshalb zustimmungspflichtig, weil es in § 14 FMStFG eine Befreiung des Finanzmarkt- stabilisierungsfonds von der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer enthält. 19446 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2012 (A) (C) (D)(B) – Da es sich bei dem vorliegenden Gesetz im We- sentlichen um die Wiedereinsetzung des Finanz- marktstabilisierungsfonds handelt, der nicht ohne die Steuerbefreiung beurteilt werden kann, wirkt die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabili- sierung des Finanzmarktes für das vorliegende Gesetz fort. 5. Angesichts der besonderen Bedeutung des Gesetzes für die Stabilität des Finanzsystems sieht der Bun- desrat von der Anrufung des Vermittlungsausschus- ses ab. Dieser Schritt ist an die Erwartung geknüpft, dass die Bundesregierung die durch die weitere Mit- haftung den Ländern entstehenden Belastungen an anderer Stelle entsprechend zum Ausgleich bringt. – Gesetz zur Unterstützung der Fachkräftegewin- nung im Bund und zur Änderung weiterer dienst- rechtlicher Vorschriften – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürger- initiative Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat bedauert, dass die Hinweise seiner Stellungnahme in Bundesratsdrucksache 523/11 (Be- schluss), denen – ausgenommen zu Ziffer 2 – die Bun- desregierung laut Gegenäußerung (Anlage 4 zum Geset- zesentwurf Bundestagsdrucksache 17/7575) zugestimmt hatte, vom Bundestag offenbar ignoriert worden sind. Der Bundesrat weist die Bundesregierung nachdrück- lich darauf hin, dass ein Zugriff des Bundesverwaltungs- amtes im Wege des automatisierten Abrufverfahrens auf zentrale Meldedatenbestände der Länder rechtlich unzu- lässig und entsprechend abzulehnen wäre. Die Bundesregierung wird gebeten, zu prüfen, ob eine entsprechende Änderung möglicherweise in einem Arti- kelgesetz zeitnah doch noch auf den Weg gebracht wer- den kann. Begründung: Die Länder mit zentralen Meldedatenbeständen dürfen den vom Gesetz beabsichtigten Zugriff des Bundes- verwaltungsamtes darauf im Wege des automatisierten Abrufverfahrens nicht gewähren. Die Schaffung der notwendigen gesetzlichen Erlaubnistatbestände ist parallel zum Inkrafttreten des Bundesmeldegesetzes im Jahr 2014 geplant. Der Gesetzeswortlaut verpflichtet die Länder, dem Bundesverwaltungsamt prioritär einen automatisier- ten Abruf aus zentralen Meldedatenbeständen zu ermöglichen, sofern es solche zentralen Registerfüh- rungen gibt. Das Wahlrecht, aus welchem Meldeda- tenbestand der Abruf erfolgen soll (zentral oder aber dezentral bei den Meldebehörden), obliegt dem Bun- desverwaltungsamt. Hierin liegt eine gesetzeskompe- tenzrechtliche Überschreitung. – Gesetz zur dem Protokoll vom 17. Mai 2011 zur Änderung des Abkommens vom 3. Mai 2006 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Slowenien zur Vermeidung der Doppel- besteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 4. Februar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft – Gesetz zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts Der Bundesrat hat ferner beschlossen, die folgende Entschließung zu fassen: E n t s c h l i e ß u n g Der Bundesrat hält einen praxisgerechten Vollzug des § 3 des künftigen Kreislaufwirtschaftsgesetzes im Hinblick auf die Frage, ob es sich bei tierischen Ausscheidungen, die als Wirtschaftsdünger vor ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung in einer Biogas- anlage vergoren werden, um Abfall handelt oder nicht, für unverzichtbar. Im Zuge der Energiewende ist es sinnvoll und erwünscht, im Sinne einer Kaska- dennutzung Wirtschaftsdünger zunächst zur Energie- gewinnung und anschließend als Düngemittel einzu- setzen. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, insbeson- dere das BMELV und das BMU, gemeinsam mit den Ländern Muster-Vollzugshinweise zu erarbeiten, durch die ein möglichst einheitlicher und praxisge- rechter Vollzug der vorgenannten Frage unter Be- rücksichtigung der düngerechtlichen Vorgaben für organische Düngemittel sichergestellt wird. – Gesetz zur Änderung telekommunikationsrechtli- cher Regelungen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung der NATO Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO vom 28. Mai bis 1. Juni 2010 in Riga, Lett- land – Drucksachen 17/7762, 17/8406 Nr. 1.2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 163. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2012 19447 (A) (C) (D)(B) Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2011 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts- ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei a) Kapitel 60 67 Titel 636 42 – Erstattung an Sozial- versicherungsträger für Rentenleistungen an Ange- hörige der ehemaligen Nationalen Volksarmee und ihre Hinterbliebenen - bis zu Höhe von 14,44 Mio. Euro und b) Kapitel 60 67 Titel 636 45 – Erstattungen an Sozial- versicherungsträger für Rentenleistungen an Ange- hörige des aufgelösten MfS/AfNS und ihre Hinter- bliebenen – bis zur Höhe von 3,56 Mio. Euro – Drucksachen 17/8288, 17/8406 Nr. 1.4 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2011 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts- ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Aus-gabe bei Kapitel 11 10 Titel 632 51 – Kriegsopfer- fürsorgeleistungen und gleichartige Leistungen - bis zur Höhe von 7 Mio. Euro – Drucksachen 17/8315, 17/8406 Nr. 1.5 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Gewährleistung der Sicherheit der Eisenbahnen in Deutschland – Drucksachen 17/5576, 17/5820 Nr. 7 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/8426 Nr. A.1 Ratsdokument 18383/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.1 EuB-BReg 1/2012 Drucksache 17/8515 Nr. A.4 EuB-BReg 3/2012 Drucksache 17/8515 Nr. A.6 EP P7_TA-PROV(2011)0582 Drucksache 17/8515 Nr. A.7 Ratsdokument 18154/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.12 Ratsdokument 18725/11 Innenausschuss Drucksache 17/8227 Nr. A.10 Ratsdokument 17205/11 Drucksache 17/8227 Nr. A.12 Ratsdokument 17429/11 Drucksache 17/8227 Nr. A.13 Ratsdokument 17430/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.8 Ratsdokument 18209/11 Finanzausschuss Drucksache 17/8426 Nr. A.13 EP P7_TA-PROV(2011)0513 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 17/8227 Nr. A.34 EP P7_TA-PROV(2011)0453 Drucksache 17/8227 Nr. A.35 Ratsdokument 16923/11 Verteidigungsausschuss Drucksache 17/8515 Nr. A.40 EP P7_TA-PROV(2011)0574 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 17/8227 Nr. A.38 Ratsdokument 16939/11 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/8426 Nr. A.43 Ratsdokument 18007/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.45 Ratsdokument 18009/11 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 17/7918 Nr. A.20 EP P7_TA-PROV(2011)0392 163. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 25 Kostenfallen imelektronischen Geschäftsverkehr TOP 26 Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung TOP 7 Abbau der kalten Progression TOP 28 Pendlerpauschale TOP 30 Elterliches Sorgerecht nicht verheirateter Eltern Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716300000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Einen wunderschönen guten Morgen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Bevor wir in unsere heutige Sitzung
eintreten, weise ich Sie auf die interfraktionelle Verein-
barung hin, den Gesetzentwurf zur Neuordnung des
Energieverbrauchskennzeichnungsrechts auf Druck-
sache 17/8427 dem Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung nachträglich zur Mitberatung zu
überweisen. Hat jemand dagegen schwerwiegende Be-
denken? – Das ist nicht der Fall. Dann beschließen wir
das so.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
zum besseren Schutz der Verbraucherinnen
und Verbraucher vor Kostenfallen im elektro-
nischen Geschäftsverkehr

– Drucksache 17/7745 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/8805 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Marianne Schieder (Schwandorf)

Stephan Thomae
Halina Wawzyniak
Ingrid Hönlinger

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Auch dazu stelle
ich Einvernehmen fest. Dann verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Wir beschließen heute ein Gesetz, das den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern wirklich nützt und das ih-
nen hilft. Viele sind in den letzten Monaten Opfer von
sogenannten Kosten- bzw. Abofallen im Internet gewor-
den; davon sollen 5 Millionen Bürgerinnen und Bürger
betroffen sein.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: In den letzten Jahren!)


Wir haben erkannt, dass die derzeit bestehenden
Schutzmechanismen einfach nicht ausreichen, wenn es
darum geht, zu verhindern, dass Verträge unter falschen
Voraussetzungen oder wegen eines Irrtums abgeschlos-
sen werden. Die Möglichkeiten von Widerruf oder An-
fechtung wegen arglistiger Täuschung reichen allein
nicht aus, um die Verbraucherinnen und Verbraucher zu
schützen.

Deshalb beschließen wir heute im Bundestag – ich
hoffe mit großer Mehrheit – ein Gesetz, das die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher stärkt. Dieses Gesetz be-
schließen wir so zügig, wie es uns angesichts der Gesetz-
gebung auf europäischer Ebene möglich war. Wir
mussten zunächst die EU-Verbraucherrechterichtlinie
abwarten. Diese ist im Oktober 2011 im Europäischen
Rat beschlossen worden. Sofort danach ist dieser Ge-
setzentwurf von uns eingebracht worden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nun zum Inhalt des Gesetzentwurfs. Sachverständige
und Praktiker haben uns aufgefordert, eine einfache,
klare, verständliche und technikneutrale Regelung vor-
zulegen. Genau dazu enthält der vorliegende Gesetzent-
wurf unmissverständliche, klarstellende Regelungen:

Erstens. Unternehmer müssen Verbraucherinnen und
Verbraucher im unmittelbaren Zusammenhang mit der
Bestellung im Internet über die wesentlichen Merkmale
des Produktes, über den Preis, weitere Kosten sowie bei
Dauerschuldverhältnissen, also Abonnements, über die
Mindestlaufzeitzeit des Vertrags informieren. Das alles





Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger


(A) (C)



(D)(B)


muss klar, verständlich, in hervorgehobener Weise und
unmittelbar bevor der Verbraucher seine Erklärung ab-
gibt, dass er etwas bestellen und kaufen will, erfolgen.
Das darf nicht an versteckter Stelle irgendwo auf dem
Bildschirm erscheinen; das reicht nicht aus.

Zweitens. Unternehmer müssen deshalb ihre Online-
shops so gestalten, dass Verbraucher bei ihrer Bestellung
ausdrücklich bestätigen, dass sie sich zu einer Zahlung
verpflichten. Die Schaltfläche für die Bestellung am
Computer, der Bestellbutton, muss unmissverständlich
und gut lesbar auf diese Zahlungspflicht hinweisen. Eine
Schaltfläche mit der Aufschrift „Kostenpflichtig bestel-
len“ macht jedem Verbraucher sofort klar, auf was er
sich einlässt, was die Rechtsfolge seiner Bestellung ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Diese Pflicht gilt für alle Vorgänge der Onlinebestel-
lung von Waren und Dienstleistungen. Ausnahmen und
Schlupflöcher, die zur Verunsicherung der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher führen könnten, gibt es nicht.
Die Pflicht gilt technikneutral für Käufe per Computer,
Smartphone oder Tablet.

Drittens. Erfüllt der Unternehmer diese Pflicht zur
eindeutigen Beschriftung nicht, kommt – das ist ganz
entscheidend – ein entgeltpflichtiger Vertrag mit einem
Verbraucher gar nicht erst zustande. Ohne einen solchen
eindeutig beschrifteten Button gibt es eine klare, eindeu-
tige und, wie ich finde, auch angemessene Rechtsfolge:
Der Verbraucher schuldet keine Zahlung. Die Unterneh-
mer können diese gesetzlichen Vorgaben zur Beschrif-
tung der Bestellschaltfläche gut erfüllen; das geht. Na-
türlich ist das mit zusätzlichem Aufwand verbunden;
aber der ist eindeutig vertretbar. Meine Damen und Her-
ren, das Risiko, dass Verträge wegen falscher Beschrif-
tung des Bestellbuttons ungewollt nicht zustande kom-
men, ist deshalb hoffentlich ganz gering; wir haben die
gesetzliche Regelung entsprechend ausgestaltet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir schaffen also mehr Transparenz und mehr Sicher-
heit für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Das ist
ein wichtiger Schritt zur Stärkung des Verbrauchers,
aber nicht der einzige, den wir als Bundesregierung vor-
haben: Wir werden noch im Frühjahr Regelungen vorle-
gen, mit denen wir Konsequenzen aus der unerlaubten
Telefonwerbung ziehen; damit haben wir uns in diesem
Hause auch in vergangenen Legislaturperioden oft be-
fasst. Wir werden auch Regelungen zu unseriösen Inkas-
sodienstleistungen und zu überzogenen Abmahnungen
im wettbewerbsrechtlichen und urheberrechtlichen Be-
reich vorlegen. Wir unternehmen jetzt also einen ersten,
wichtigen, großen Schritt zur Stärkung des Verbrau-
chers, und es werden weitere folgen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716300100

Marianne Schieder hat nun das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1716300200

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Frei nach Klaus Lage – „… und es hat zoom ge-
macht“ – schreibt der Verbraucherzentrale Bundesver-
band in einer Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung
zum Gesetzentwurf: „Und es hat ‚klick‘ gemacht …“
Genau so ist es: Tausendmal ist nichts passiert, aber mit
einem kurzen Klick auf einer unseriösen Internetseite
fallen unzählige Verbraucherinnen und Verbraucher auf
betrügerische Abofallen im Internet herein. Die Hände
reiben sich dann auch dubiose Inkassofirmen, die häufig
mit diesen kriminellen, betrügerischen Abohändlern un-
ter einer Decke stecken. Im Dezember letzten Jahres hat
der Verbraucherzentrale Bundesverband eine Untersu-
chung veröffentlicht, die genau dies belegt: 5,4 Millio-
nen Menschen, das sind 11 Prozent aller deutschen Inter-
netnutzer, sind auf eine Abofalle hereingefallen.

Zum vierten Mal diskutieren wir nun über dieses
Thema hier in diesem Haus. Aber immerhin geht jetzt
endlich etwas voran. Hätten Sie aber, liebe Kolleginnen
und Kollegen aus den Reihen der Union und der FDP,
unserem Gesetzentwurf vor über einem Jahr zugestimmt
und ihn nicht abgelehnt, könnten wir schon erheblich
weiter sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vielen Menschen in unserem Land wären dann viel Är-
ger und viele Ausgaben erspart geblieben.

Nun beschließen wir endlich den Gesetzentwurf der
Bundesregierung – einen Gesetzentwurf, der die Forde-
rungen der SPD aufgreift; deshalb werden wir ihm zu-
stimmen. Vollkommen unerklärlich ist es uns aber, wa-
rum Sie diese Gelegenheit nicht genutzt haben, um den
unseriösen Inkassobüros das Handwerk zu legen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist wirklich sehr schade, dass Sie diese Chance, für
mehr und umfassenderen Verbraucherschutz zu sorgen,
vertan haben.

Noch ein Wort zu den Interessenvertretern. Da beklagt
doch tatsächlich der Verband der Anbieter von Telekom-
munikations- und Mehrwertdiensten – kurz VATM –, die
im Gesetzentwurf vorgesehene Umsetzungsfrist von drei
Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes sei zu knapp.
Man brauche eine Schonfrist von zwei Jahren oder zu-
mindest von einem Jahr. Meine Damen und Herren vom
VATM, diese Schonfrist hatten Sie doch schon. Es muss
doch in den letzten zwei Jahren auch bei Ihnen ange-
kommen sein, was allen klar ist, die sich jemals mit die-
ser Thematik beschäftigt haben: dass es längst an der
Zeit ist, hier eine gesetzliche Regelung zu schaffen.





Marianne Schieder (Schwandorf)



(A) (C)



(D)(B)


Äußerst ärgerlich aber, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von Union und FDP, ist es, dass Sie mit Ihrem Ge-
setzentwurf im Omnibusverfahren nun auch das Woh-
nungseigentumsgesetz ändern wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie wollen die Verlängerung der Frist für den Ausschluss
der Nichtzulassungsbeschwerde um mehr als zwei Jahre,
nämlich vom Enddatum 1. Juli 2012 auf das Enddatum
31. Dezember 2014 ausweiten. Gemäß § 62 Abs. 2 Woh-
nungseigentumsgesetz ist die Nichtzulassungsbe-
schwerde nach § 543 Abs. 1 Nr. 2 und § 544 der ZPO –
in Wohnungseigentumssachen nach § 43 Nr. 1 bis 4
Wohnungseigentumsgesetz – nicht statthaft, soweit die
anzufechtende Entscheidung vor dem 1. Juli 2012 ver-
kündet wurde. Sinn und Zweck von § 62 Abs. 2 Woh-
nungseigentumsgesetz war es, einer Überlastung des
Bundesgerichtshofs vorzubeugen. Sie konnten weder im
Berichterstattergespräch noch im Rechtsausschuss über-
zeugend darlegen, warum Sie diese Beschränkung des
Rechtswegs um weitere zwei Jahre verlängern wollen.
Diese ebenfalls geplante Gesetzesänderung hat mit dem
eigentlichen Gesetzesvorhaben, nämlich dem verbesser-
ten Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern vor
Kostenfallen im Internet, gar nichts zu tun. Daher haben
wir im Rechtsausschuss unsere Kritik am Verfahren an
sich, aber auch an der Fristverlängerung als solcher deut-
lich zum Ausdruck gebracht und die geplante Änderung
des Wohnungseigentumsgesetzes abgelehnt.

Der längst überfällige und von uns lange geforderte
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor den
Kostenfallen im Internet ist uns aber so wichtig, dass wir
dennoch, wenn auch mit Bauchschmerzen im Hinblick
auf die Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes, zu-
stimmen werden. Wir meinen, die Verbraucherinnen und
Verbraucher in diesem Land haben es verdient, dass jetzt
endlich gehandelt wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716300300

Marco Wanderwitz ist der nächste Redner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1716300400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit

dem heute zu verabschiedenden Gesetz setzen wir ein
weiteres wichtiges rechts- und verbraucherpolitisches
Vorhaben der christlich-liberalen Koalition um. Wir stel-
len damit auch unter Beweis, dass wir die neuen Heraus-
forderungen der digitalen Welt annehmen und mit
maßgeschneiderten rechtlichen Regelungen für mehr
Rechtssicherheit bei den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern sorgen.

Kostenfallen sind für viele Millionen Menschen in
unserem Land – das haben wir schon in der ersten Le-
sung besprochen – ein großes Übel geworden. Die

Ministerin und Frau Kollegin Schieder haben schon da-
rauf hingewiesen, was sich hinter dem Begriff Kosten-
fallen so alles verbirgt. In wenigen Worten: im Internet
angebotene Dienstleistungen zumeist, von denen man
annimmt und, so wie die Internetseiten gestaltet sind, an-
nehmen muss, dass sie kostenfrei sind; diese Dienstleis-
tungen werden oft als gratis beworben. Aus dem Klein-
gedruckten geht dann allerdings hervor, dass man sich
beim Kauf dieser Dienstleistungen eine Forderung ein-
handelt.

Viele von uns kennen solche Fälle aus eigenem Erle-
ben, aus dem Familien- oder Bekanntenkreis. Aus Ärger
über sich selbst und über die eingetretene Situation, aus
Ungewissheit und natürlich aus der Scheu, wegen einer
meist nicht sehr hohen, aber dennoch beachtlichen For-
derung – häufig handelt es sich um ungefähr 100 Euro –
zum Anwalt zu gehen, zahlen am Ende viele.

Eine aktuelle Infas-Studie belegt, dass bereits über
5 Millionen Menschen in unserem Land in Abofallen ge-
raten sind. Jeder Zehnte zahlt sofort und jeder Fünfte, so-
bald er eine Mahnung oder Drohung bekommt. Ange-
sichts dieser Zahlen bekommen wir schnell ein Gefühl
dafür, wie groß dieses Problem ist, wie sehr dieser Markt
im negativen Sinne prosperiert.

Durch die ständig wiederholte und auch heute wieder
vorgetragene Untätigkeitsschelte seitens der Opposition
wird nichts besser.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Aber es ist wahr!)


Wir haben bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, dass
wir in diesem Bereich etwas tun wollen.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Aber dafür kann sich niemand etwas kaufen!)


Wir haben frühzeitig darauf hingewiesen, dass wir eine
Regelung auf europäischer Ebene brauchen. Die Kosten-
fallen sind ein europäisches Problem, und es macht da-
her nur Sinn, gemeinsam mit unseren Nachbarländern
eine Lösung zu finden.

Wir haben also nicht nichts gemacht, sondern wir ha-
ben auf die kürzlich verabschiedete EU-Richtlinie, die
Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger angesprochen
hat, Einfluss genommen.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin: So ist es!)


Die Ministerinnen Aigner und Leutheusser-Schnarrenberger,
die heute anwesend sind, haben an der Erstellung der
EU-Richtlinie maßgeblich mitgewirkt. Die Schaltflä-
chenlösung, die jetzt implementiert worden ist, wurde
von Deutschland vorangetrieben.

Es ist sinnvoll, dass wir uns darauf geeinigt haben,
dass wir auf den Erlass der EU-Richtlinie warten, bevor
wir auf nationaler Ebene eine Regelung einführen, die
wir wenige Monate später revidieren müssen. Den seriö-
sen Anbietern sind einmalig höhere Bürokratiekosten
zuzumuten; aber es ihnen nicht zuzumuten, drei Monate
später noch einmal für diese Kosten aufkommen zu müs-





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)


sen, nur weil man einen Schnellschuss gemacht hat; das
wäre nicht sinnvoll gewesen. Deshalb haben die Bundes-
regierung und die Koalitionsfraktionen parallel zur Er-
stellung der EU-Richtlinie den vorliegenden Gesetzent-
wurf erarbeitet, damit er zeitnah nach Verabschiedung
dieser Richtlinie eingebracht werden kann.

Die europarechtlich zulässige, partielle und zeitlich
vorgezogene Umsetzung einer vollharmonisierten Richt-
linie müssen wir innerhalb von weniger als zwei Jahren
– bis zum 13. Dezember 2013 – vollziehen. Die Tatsa-
che, dass wir so schnell arbeiten, zeigt, wie wichtig uns
dieses Thema ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dem vorliegenden Gesetzentwurf liegt die sogenannte
Schaltflächenlösung zugrunde: Ein Vertrag kommt nur
zustande, wenn am Ende einer Bestellung im Internet
eine finale Schaltfläche aufpoppt, in der mit der Formu-
lierung „Zahlungspflichtig bestellen“ oder einer ähnlich
unmissverständlichen Formulierung klargestellt ist: Hier
entstehen dem Verbraucher Kosten.

Das Unternehmen muss die Bestellsituation im elek-
tronischen Geschäftsverkehr so gestalten, wie es außer-
halb des elektronischen Geschäftsverkehrs zu sein hat.
Der Verbraucher muss durch Anklicken ausdrücklich be-
stätigen, dass er erkannt hat, dass Kosten auf ihn zukom-
men. Ebenso wichtig ist, dass der Verbraucher unmittel-
bar vor Abgabe der Bestellung durch den Unternehmer
über wesentliche Merkmale des Produkts sowie über
Mindestlaufzeit und entstehende Kosten – Gesamtpreis,
Liefer- und Versandkosten – informiert wird. Stichwort
Abofallen: Es ist oft so, dass dem Verbraucher suggeriert
wird, dass er einmalig eine Dienstleistung erwirbt; dabei
handelt es sich um ein über Jahre laufendes Abo. All das
muss oberhalb der Schaltfläche „Bestellbutton“ in her-
vorgehobener Weise abgebildet sein.

Die rechtlichen Konsequenzen hat die Frau Ministe-
rin schon angesprochen. Die neue Regelung ist ein gro-
ßer Gewinn für die Verbraucherinnen und Verbraucher,
denn die Verbraucher müssen nicht mehr selber die nöti-
gen Schritte einleiten – das haben wir in der Anhörung
diskutiert –; vielmehr sieht die Regelung vor: Wenn die
Gestaltungspflichten nicht erfüllt sind, dann kommt von
vornherein kein Vertrag zustande. Der Verbraucher muss
also nicht vom Vertrag zurücktreten. Wer als Anbieter
seine Informationspflichten nicht erfüllt, dem drohen
Abmahnungen und Schadenersatzansprüche. Das Ganze
ist also ein scharfes Schwert.

Im parlamentarischen Verfahren, insbesondere bei der
Expertenanhörung im Rechtsausschuss, die ich als sehr
fruchtbar empfand, wurden vonseiten der Wissenschaft-
ler und der Richterschaft verschiedene Modifizierungs-
vorschläge angeregt und praxisnah diskutiert.

In dem Berichterstattergespräch am Montag habe ich
den Eindruck gewonnen, dass wir uns relativ einig sind.
Vorgestern legten die Grünen aber einen Entschließungs-
antrag vor, wodurch dieser Eindruck nachträglich ge-
trübt wurde. Ich will ein paar Sätze zu den Details dieses
Entschließungsantrags sagen.

Sie fordern eine ausdrückliche gesetzliche Normie-
rung. Sie fordern, dass die Unternehmer einen rechtsgül-
tig zustande gekommenen Vertrag nachzuweisen haben.
Sie fordern also ausdrücklich eine Beweislastregel. Das
ist zum einen unnötig, zum anderen unüblich, ganz ein-
fach deshalb, weil sich die Beweislastverteilung aus der
Formulierung der Vorschrift ergibt. Will der Unterneh-
mer einen vertraglichen Zahlungsanspruch geltend ma-
chen, muss er entsprechend den allgemeinen zivilrechtli-
chen Regelungen den Beweis erbringen; der Gläubiger
muss also die den Anspruch begründenden Tatsachen
darlegen.

Weiterhin fordern Sie wissenschaftliche und rechtli-
che Prüfungen bezüglich der Musterschaltfläche; das ha-
ben wir in der Anhörung besprochen. Ich gebe offen zu –
auch ich habe eine Frage gestellt, die in diese Richtung
zielt –: Charmant wäre das. Gleichwohl passt diese For-
derung überhaupt nicht zu Ihrer Forderung nach Tech-
nikneutralität. Denn selbst wenn es gelänge, eine Mus-
terschaltfläche für den klassischen PC zu entwickeln, ist
es schlechterdings nicht denkbar, diese zum Beispiel auf
einem Tablet oder einer Spielekonsole in derselben Form
darzustellen. Deswegen glauben wir, dass die Forderung
nach einer Musterschaltfläche, so wünschenswert sie ist,
schlicht nicht umsetzbar ist. Außerdem ist sie, wie ge-
sagt, mit Ihrer Forderung nach Technikneutralität nicht
in Einklang zu bringen.

Zum Thema Technikneutralität hat die Ministerin
schon etwas gesagt. Ich will noch einmal betonen – das
steht auch in der Begründung des Gesetzentwurfs –, dass
eine Technik bzw. ein Endgerät ausdrücklich nicht er-
wähnt wurde. Insofern ist diese Regelung technikneutral.
Dementsprechend sind weitere Formulierungen über-
flüssig.

Ich halte Ihren gesamten Entschließungsantrag für
überflüssig. Mir ist klar, dass er nicht von den Rechts-
politikerinnen und Rechtspolitikern der Grünen kommt.
Wir werden ihn ablehnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der mir
wichtig ist – Frau Schieder hat ihn bereits erwähnt –:
Hinsichtlich der unseriösen Inkassounternehmen müssen
wir etwas unternehmen.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dringend!)


– Ja, da müssen wir etwas tun. – Allerdings gibt es nicht
nur unseriöse Inkassounternehmen, sondern auch seriöse
Inkassounternehmen. Das sollten wir an dieser Stelle
auch sagen.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Aber die seriösen Inkassounternehmen verschwinden in der Masse!)


– Nein, sie verschwinden nicht in der Masse. Es gibt
eine ganze Menge seriöser Inkassounternehmen; es gibt
auch eine ganze Menge Menschen in diesem Land, die
Schulden haben und sie nicht bezahlen. Gleichwohl
müssen wir hinsichtlich der unseriösen Inkassounterneh-





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)


men etwas unternehmen. Die Koalition wird in Kürze et-
was dazu vorlegen.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Was heißt „in Kürze“? Nach der Wahl, oder?)


Wir werden also sehr bald darüber verhandeln können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716300500

Das Wort erhält nun die Kollegin Caren Lay für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716300600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Abofallen im Internet sind ein großes Problem.
Deswegen haben wir in den vergangenen Jahren hier
schon mehrfach darüber diskutiert. Was scheinbar gratis
angeboten wird, wird schnell, durch ein paar Maus-
klicks, zu einem teuren Abo. Will man sich beispiels-
weise gratis einen Songtext herunterladen, ist man nach
wenigen Mausklicks ein teures Jahresabonnement für
ein Horoskop eingegangen. Deswegen ist es völlig uner-
lässlich, dass die Bundesregierung handelt, dass der
Bundestag handelt, dass dieser Abzocke im Internet end-
lich ein Riegel vorgeschoben wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Möglichkeiten, versteckte Kostenfallen im Inter-
net unterzubringen, sind sehr vielfältig. Einige unseriöse
Unternehmen haben sehr viel Kreativität entwickelt –
leider an der falschen Stelle. Dabei geht es, wie gesagt,
um Songtexte, um Kochrezepte, um Psychotests oder um
Horoskope. Hier ist man vor Abzocke im Internet in der
Tat nicht sicher.

Diese perfide Abzocke im Internet findet seit vielen
Jahren statt. Sie schädigt Millionen Verbraucherinnen
und Verbraucher. 5,5 Millionen Menschen sind nach
Schätzungen der Verbraucherzentralen davon betroffen.
Es wird höchste Zeit, dass diese Abzocke im Internet
endlich beendet wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe schon gesagt, dass wir hier seit Jahren über
dieses Thema diskutieren. Schon vor anderthalb Jahren
ist an dieser Stelle über einen Gesetzentwurf der SPD
diskutiert worden. Dieser Gesetzentwurf wurde von der
Koalition abgelehnt. Die Linke hat dieses Thema bereits
in der letzten Legislaturperiode eingebracht. Deswegen
komme ich nicht darum herum, mich zu fragen, warum
es so lange gedauert hat, bis die Bundesregierung dies-
bezüglich eine Regelung vorgeschlagen hat.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Weil die Verbraucherrechterichtlinie nicht vorlag!)


Ich frage erneut: Was ist in der Koalition los?


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Hören Sie zu?)


Ministerin Aigner lässt seit Jahren kein Mikrofon aus,
um etwas zu diesem Thema zu sagen; gehandelt hat sie
gleichwohl nicht. Die Justizministerin sagte vorhin, das
Thema sei seit einigen Monaten bekannt. Immerhin hat
sie jetzt gehandelt. Ich sage: Durch diese Zeitverzöge-
rung liegt der Schaden für die Verbraucherinnen und
Verbraucher im mehrstelligen Millionenbereich. Das
wäre nicht nötig gewesen.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch das Argument, man müsse eine europäische Re-
gelung abwarten, ist aus meiner Sicht nicht zielführend.
Anträge und Gesetzentwürfe lagen vor, um zumindest
das zu regeln, was auf nationaler Ebene möglich gewe-
sen wäre – es gibt keinen Grund, warum man dies nicht
getan hat –; dies wäre im Interesse der Verbraucherinnen
und Verbraucher gewesen.

Das Schneckentempo der Bundesregierung in dieser
Frage ist der Entwicklung im digitalen Zeitalter einfach
nicht angemessen. Das Internet entwickelt sich in Licht-
geschwindigkeit, und die Bundesregierung sattelt die
Pferde, um hinterherzukommen. So funktioniert das
nicht. Das muss in Zukunft schneller gehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Hinzu kommt: An einigen Stellen lässt der Gesetzent-
wurf der Bundesregierung die Klarheit vermissen, die
wir uns gewünscht hätten und die aus meiner Sicht auch
nötig gewesen wäre. Die Empfehlungen der Experten
wurden an einigen Stellen nicht ausreichend berücksich-
tigt. Das wird auch in dem vorliegenden Entschließungs-
antrag kritisiert, dem wir als Linke zustimmen werden.

Ich nenne einige Beispiele. Abzocke im Internet und
unseriöses Inkasso gehören zusammen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aus einer ursprünglichen Forderung von 20,84 Euro
wird mithilfe unseriöser Inkassounternehmen schnell
eine Forderung von 1 200 Euro. Die Verbraucherzentra-
len haben in einer Auswertung festgestellt, dass nur
1 Prozent dieser Forderungen berechtigt war. Wir haben
schon bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes über
dieses Thema diskutiert. Auch die Vertreterinnen und
Vertreter der Koalition haben das Problem nach eigenen
Aussagen erkannt. Deswegen frage ich mich: Warum
wurde die Gelegenheit nicht genutzt, um dieses Problem
gesetzlich auszuräumen? Auch hier ist die Bundesregie-
rung in der Pflicht. Durch Untätigkeit werden Verbrau-
cherinnen und Verbraucher geschädigt. Bei dem Thema
unseriöses Inkasso muss schnellstmöglich gehandelt
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Der zweite Kritikpunkt, den ich anbringen möchte
– auch dies hat schon eine Rolle gespielt –, betrifft die
Ausgestaltung der Schaltflächen. Um Verbraucherinnen
und Verbraucher ausreichend vor Kosten warnen zu kön-
nen, sollte nach unserer Auffassung nicht nur eindeutig
darüber informiert werden, dass sie zahlen müssen, son-
dern auch darüber, wie viel sie zahlen müssen. Diese





Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)


Schaltfläche müsste immer separat betätigt werden. Das
ist beispielsweise in Frankreich schon so üblich. Deswe-
gen sind Kostenfallen im Internet dort kein Thema. Bei
uns hingegen geht es bei 20 bis 30 Prozent der Be-
schwerden, die Verbraucherinnen und Verbraucher an
die Verbraucherzentralen richten, um dieses Problem.
Auch das zeigt, dass man auf nationaler Ebene deutlich
mehr hätte tun können.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Forderung nach einer Musterschaltfläche, damit Un-
ternehmen die Schaltflächen nicht bis zur Unkenntlich-
keit kaschieren können, ist unerlässlich. Wir schließen
uns dieser Forderung an.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine weitere Forderung in dem Entschließungsantrag
ist – auch diese Auffassung teilen wir – die nach der Be-
weislastumkehr. Es muss eindeutig geregelt sein, dass es
die Pflicht der Unternehmen ist, die Rechtmäßigkeit der
Verträge zu beweisen, und dass nicht die Verbraucherin-
nen und die Verbraucher, die durch die vielen Regelun-
gen im Internet ohnehin schon überfordert sind, nach-
weisen müssen, dass sie im Recht sind.

Gegen Ende meiner Rede komme ich zur bereits er-
wähnten Technikneutralität. Die Zeiten, in denen man
das Internet zu Hause oder am Arbeitsplatz an großen
grauen Computern nutzte, sind vorbei. Immer mehr nut-
zen auch Smartphones und iPads – sie sind unsere stän-
digen Begleiter –, um im Internet zu surfen. Untersu-
chungen zeigen, dass über ein Drittel der Bevölkerung
von unterwegs auf das Internet zugreift. Es ist also nicht
auszuschließen, dass man zum Beispiel bei der Internet-
nutzung, während man in der U-Bahn ist, in eine Abo-
falle tappt. Angesichts dessen muss sichergestellt wer-
den, dass diese Internetbuttons auch für Smartphones
gelten. Das ist eigentlich selbstverständlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum Schluss. Die Vorschläge der Bundes-
regierung sind an zu vielen Stellen nicht präzise genug,
um die Verbraucherinnen und Verbraucher vor Abzocke
im Internet zu schützen. Auf der Zielgeraden kamen
dann noch völlig sachfremde Themen hinzu. Was die
Neuregelung des Wohnungseigentumsgesetzes mit Ab-
zocke im Internet zu tun hat, das kann mir kein Mensch
erklären. Auch für das Omnibusverfahren haben wir
kein Verständnis.


(Beifall bei der LINKEN)


Moderne und effektive Verbraucherpolitik muss prä-
ziser sein. Sie muss sich auf die Seite der Verbraucherin-
nen und Verbraucher stellen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Genau das tun wir!)


Sie darf nicht davor zurückschrecken, Herr Kollege, sich
auch mit Unternehmen anzulegen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das tun wir auch!)


Vor allen Dingen muss sie schneller sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716300700

Ingrid Hönlinger ist die nächste Rednerin für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716300800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In-

ternet und Verbraucherschutz ist ein Thema, das viele
Menschen betrifft. In den Verbraucherzentralen sind
Fälle der Internetabzocke seit fünf Jahren der Spitzenrei-
ter in der Beschwerdestatistik. Tausende von Beschwer-
den gehen hier jährlich ein. Unzählige Verbraucher füh-
len sich schutzlos gegenüber unseriösen Unternehmern,
die die Kostenpflichtigkeit ihrer Angebote im Internet
verschleiern.

Verbraucherschutz und Internet, das ist ein echtes
Massenphänomen, ein Phänomen, das auch eine erhebli-
che Belastung der Gerichte zur Folge hat. Heute stim-
men wir über einen Gesetzentwurf ab, der Verbraucher
vor genau diesen unseriösen Praktiken schützen soll. Wir
setzen damit in Deutschland eine EU-Richtlinie um. Er-
freulich ist, dass wir die Frist zur Umsetzung der Richtli-
nie nicht abwarten, sondern es schon jetzt machen.


(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP] – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Genau! Vorziehen!)


Das verhindert, dass noch mehr Verbraucher Opfer von
Internetfallen werden. Allerdings haben wir dieses
Thema am 2. Dezember 2010 schon einmal debattiert.
Mehr als ein Jahr hat es gedauert, bis wir jetzt über den
Gesetzentwurf abstimmen können. Weniger erfreulich
ist, dass wir nicht früher handeln konnten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Vorher lag der Bericht nicht vor!)


Meine Damen und Herren, wir alle wissen: Im Inter-
net ist die Zeit zwischen optischem Reiz und Kaufklick
extrem kurz. In einem Lebensmittelgeschäft zum Bei-
spiel ist das ganz anders. Da können Sie auch einmal
eine Dose Mango in die Hand nehmen, schauen, wie viel
Zucker drin ist, und die Dose bei Nichtgefallen wieder
ins Regal stellen. Das muss in ähnlicher Form auch im
Internet möglich sein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was? Sie wollen eine Dose Mango?)


Wir sind der Meinung, dass die Umsetzung der soge-
nannten Buttonlösung für Vertragsabschlüsse im Internet
einen richtigen Schritt darstellt. Wenn der Button zu se-
hen ist, sind dem Nutzer und der Nutzerin das Produkt
und der Gesamtpreis klar. Er und sie wissen dann: Jetzt
wird es ernst, jetzt tippt der Verkäufer die Rechnung ein,
jetzt kostet es Cash. Die Buttonlösung ist ein Verbrau-
cherschutzinstrument, für das wir Grüne uns seit langem
einsetzen. Wir werden dem Gesetzentwurf, der die But-





Ingrid Hönlinger


(A) (C)



(D)(B)


tonlösung vorsieht, zustimmen, weil wir damit den Ver-
braucherschutz im Internet stärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das war bisher der sinnvollste Satz der Rede!)


Aus verbraucherpolitischer Sicht hätten wir uns aber
mehr von der Bundesregierung gewünscht.


(Gisela Piltz [FDP]: Na, was wünschen Sie sich denn?)


Es geht hier um einen Gesetzentwurf, der einzig und al-
lein die Stärkung des Verbraucherschutzes zum Ziel hat.
Deshalb sollten wir den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern alle Möglichkeiten an die Hand geben, ihre Rechte
zu erkennen und durchzusetzen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das tun wir ja!)


Unser Ziel ist es, den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern im Internet ein Instrument an die Hand zu geben,
das ihnen klar und deutlich ihre Rechte vor Augen führt.

Dazu gehört Folgendes:

Erstens. Die EU-Richtlinie gibt vor, dass der Unter-
nehmer die Beweislast dafür trägt, dass er seine Informa-
tionspflichten im Internet erfüllt hat. Nach den Regelun-
gen der Zivilprozessordnung ist klar: Wer eine
Geldforderung einklagt – das ist im Regelfall der Unter-
nehmer –, trägt die Beweislast dafür, dass der Vertrag im
Internet wirksam zustande gekommen ist. Für den juris-
tischen Laien ergibt sich das aus der vorgeschlagenen
Regelung aber nicht auf den ersten Blick. Deshalb ist
hier aus unserer Sicht eine Klarstellung erforderlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ja, ja! An anderen Stellen wollen Sie das dann aber wieder weglassen!)


Zweitens. Technische Entwicklungen sind schnellle-
big; das wissen wir alle. Wir müssen deshalb ein Auge
darauf haben, dass Internetanbieter neuere Entwicklun-
gen nicht dazu nutzen können, ihre Pflichten zu umge-
hen. Auch eine Musterschaltfläche erscheint uns sinn-
voll. Wir meinen, dass wir die Verbraucherinnen und
Verbraucher damit noch besser vor unseriösen Anbie-
tern, die ganz bewusst nach Umgehungsmöglichkeiten
suchen, schützen können.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Ich hätte auch gerne 365 Tage Sonne im Jahr!)


Drittens. Wir treffen jetzt Regelungen, um unseriöse
Internetangebote zu verhindern. Es wäre sinnvoll gewe-
sen, dies mit Regelungen zu unseriösen Inkassomaßnah-
men zu verbinden. Häufig ist es doch so: Auch wenn der
Klick im Internet nicht zu einem Vertragsabschluss
führt, gibt es manche Internetanbieter, die ihre vermeint-
liche Forderung Inkassounternehmen zum Einzug über-
geben. Diese senden Mahnungen an die Verbraucher.
Die Verbraucher fühlen sich eingeschüchtert und zahlen.
Hier brauchen wir dringend eine gesetzliche Regelung,
die unseriösem Inkassogebahren Einhalt gebietet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Deswegen werden wir sie vorlegen!)


Mit der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf stim-
men wir nicht nur über die Buttonlösung in Bezug auf
Vertragsabschlüsse im Internet ab, sondern zusätzlich
auch über eine Änderung im Wohnungseigentumsgesetz.
2007 wurden die Verfahren in Wohnungseigentums-
sachen der Zivilprozessordnung unterstellt und aus der
Freiwilligen Gerichtsbarkeit herausgenommen. Die Zi-
vilprozessordnung sieht verschiedene Rechtsmittel vor,
darunter auch die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bun-
desgerichtshof. Um eine Überlastung des BGH zu
vermeiden, wurde die Nichtzulassungsbeschwerde in
Wohnungseigentumssachen für eine Übergangsfrist aus-
geschlossen. Diese Frist würde am 1. Juli dieses Jahres
enden.

Jetzt soll die Frist bis zum 31. Dezember 2014 um
zweieinhalb Jahren verlängert werden.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Begründung!)


Das sind zweieinhalb Jahre, in denen sich die Beteiligten
in Wohnungseigentumssachen nicht an den Bundesge-
richtshof wenden können. Ein Rechtsmittel, das die Zi-
vilprozessordnung für diese Fälle vorsieht, wird ihnen
per Gesetz verweigert.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht ja gar nicht!)


Wir Grünen haben 2007 klar zum Ausdruck gebracht,
dass Wohnungseigentumssachen besser in der Freiwilli-
gen Gerichtsbarkeit aufgehoben wären. Nun sind sie in
der ZPO geregelt. Das war der Wille des Gesetzgebers.
Jetzt müssen wir auch die Konsequenzen daraus tragen.
Eine Konsequenz ist, dass die Rechtsmittel, die die ZPO
bietet, jedem zur Verfügung stehen. Ausnahmen bedür-
fen einer triftigen Begründung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Koalition bezieht sich in ihrem Änderungsantrag
auf Erfahrungen aus den Jahren 2008 bis 2010. Sie er-
klärt, dass es nicht gelungen ist, eine zuverlässige Pro-
gnose darüber aufzustellen, wie viele der Fälle in Woh-
nungseigentumssachen der Nichtzulassungsbeschwerde
zugänglich wären. Diese Erklärung genügt uns nicht.

Inzwischen liegt das Jahr 2011 hinter uns. Vier Jahre
müssten genügen, um eine klare Prognose zu erstellen.
Der Zugang zum Recht muss für alle Rechtsstreitigkei-
ten gleichermaßen eröffnet sein. Das beinhaltet auch den
Zugang zur höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716300900

Das Wort hat nun die Kollegin Mechthild Heil für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1716301000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Internet ist aus unserem Leben nicht mehr
wegzudenken. 55 Millionen Bundesbürger haben heute
regelmäßigen Zugang zum Internet. Viele Menschen
vertrauen den Informationen aus dem Netz. Heute wird
auf Wikipedia verwiesen, um die Glaubwürdigkeit einer
Information zu unterstreichen. Im Brockhaus nachzuse-
hen, ist komplett out.

Menschen breiten ihr ganz privates Leben im Netz
aus, und Menschen mit gleichen Interessen finden sich
im Netz. Sie tauschen sich aus, befreunden sich oder ma-
chen Geschäfte miteinander. Es wird spioniert, herunter-
geladen und gespeichert, und illegal erworbene Daten
werden vervielfältigt und für den eigenen Gebrauch ge-
nutzt.

Dennoch vertrauen die meisten Menschen dem Inter-
net. 74 Prozent der Smartphone-Benutzer haben sich vor
einem Einkauf schon einmal mobil über das gewünschte
Produkt informiert. 85 Prozent aller deutschen Internet-
nutzer haben Erfahrungen mit Onlinekäufen. Viele nut-
zen den Onlinehandel vor allem, weil er für sie so un-
kompliziert ist, sagt der law-blog-Gründer Udo Vetter.
Die größte Gruppe der Internetnutzer bilden dabei junge
Verbraucher. Und: Mehr Männer als Frauen kaufen per
Internet ein.

Aber: 32 Prozent davon haben schon einmal schlechte
Erfahrungen gemacht. Jeder zehnte Deutsche soll schon
einmal in eine Internetfalle getappt sein. Da wundert es
nicht, dass 93 Prozent aller Befragten eine sichere Be-
zahlung und eine sichere Rechnungslegung für beson-
ders wichtig halten. Sicherheit und Vertrauen sind ge-
nauso Grundlage des Internethandels wie jedes
herkömmlichen Handels.

Die Möglichkeiten, im Internet Geschäfte zu machen,
sind unglaublich schnell gewachsen. Das Wissen um die
Gefahren, die damit einhergehen, wächst hingegen viel
langsamer. Wir Internetnutzer befinden uns in einem
Lernprozess: Wie schütze ich meine persönlichen Da-
ten? Wie kann ich feststellen, ob das, was ich lese, auch
wahr und richtig ist und ich keinem Betrug aufsitze?

Die Antworten darauf sind naturgemäß nicht ganz
einfach. An erster Stelle ist der Nutzer gefragt. Er muss
sich eigenständig informieren, bilden und auseinander-
setzen. Er muss für sein eigenes Handeln Verantwortung
übernehmen, egal ob er den Vertrag im Internet ab-
schließt oder seine Unterschrift unter ein Papier setzt.
Aber wir wollen ihn dabei nicht alleinlassen. Wir wollen
gute Information und Aufklärung ermöglichen, und wir
wollen das Vertrauen der Verbraucher in Internetge-
schäfte erhalten, ja besser noch: Wir wollen es stärken.

Da, wo Missbrauch getrieben wurde, schieben wir in
Zukunft einen Riegel vor, und das europaweit. Einzellö-
sungen auf Länderebene sind beim Internet zum Schei-
tern verurteilt. Deswegen herzlichen Dank an unsere
Ministerin Ilse Aigner.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ilse Aigner ist es gelungen, die deutschen Standards in
ganz Europa umzusetzen. Frau Aigner, Sie haben einen
tollen Job gemacht. Große Anerkennung und vielen
Dank dafür!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren Lay [DIE LINKE]: Hervorragend! Besser geht es nicht!)


Wo waren die Schlupflöcher für unseriöse Machen-
schaften? Wo liegen die Schwerpunkte des Betrugs? Das
wissen wir sehr genau. Allein bei den Verbraucherzen-
tralen gehen bundesweit monatlich rund 22 000 Be-
schwerden ein. Dabei geht es bei weitem nicht nur um
Bereiche wie Horoskope oder Gewinnspiele. Nein, die
kriminelle Energie bezieht sich auf ganz unterschiedli-
che Nutzergruppen. So werden zum Beispiel Kinder mit
Seiten zur Hausaufgabenhilfe oder mit Malvorlagen an-
gelockt. Jugendliche tappen bei berufswahl.de oder Mo-
vie Tests, bei fuehrerschein.de oder einem IQ-Test in die
Abofalle.

Suchen Sie auf der falschen Seite nach einem Vorna-
men, wollen Sie auf eine Datenbank zur Ahnenfor-
schung zugreifen oder vielleicht Kontakt zu Ihren Nach-
barn per Internet herstellen, dann kann Sie das leicht
200 Euro kosten. 192 Euro verlieren Sie auf der Seite ei-
nes Routenplaners oder einer Mitfahrerzentrale. Ab-
schließend noch ein Beispiel insbesondere für die Kolle-
gen: wahlinfo2009.de, angelehnt an den uns allen
bekannten Wahl-O-Mat, arbeitete ebenfalls unseriös.

Die Aufzählung zeigt: Das Phänomen ist weit ver-
breitet. Dabei ist das Schema immer das Gleiche. Der
Nutzer liest etwas, lädt etwas herunter, bestellt etwas,
immer in dem Glauben, dies sei kostenlos oder billiger,
als später auf der Rechnung steht.

Warum? Der Hinweis auf den Preis ist versteckt:
kleingeschrieben, ganz am Ende der Seiten und nur über
Umwege zu finden. Der einzige Sinn einer solchen Seite
besteht darin, den Nutzer zu täuschen und ihn zu bewe-
gen, eine von ihm eigentlich so nicht gewollte kosten-
pflichtige Bestellung aufzugeben. Das ist unseriös, aber
leider sehr erfolgreich.

Dabei muss der Kunde, wie schon gesagt wurde, in
solchen Fällen gar nicht zahlen. Aber wer weiß das
schon? Viele Kunden fürchten den Schriftwechsel, die
Arbeit und den Ärger und zahlen lieber sofort. Darauf
spekuliert der Anbieter. Aber damit ist jetzt Schluss.

Zukünftig gilt: Ein Vertrag kommt nur zustande,
wenn der Kunde am Ende auf eine Schaltfläche mit fol-
genden Informationen klickt: „Zahlungspflichtig be-
stellt“ oder mit einer entsprechenden anderen eindeuti-
gen Formulierung, mit Angaben zum Preis, den
Gesamtlieferkosten und zur Vertragslaufzeit. Das ist eine
einfache und klare Lösung.

Der Kunde kann also in Zukunft sicher sein, dass er
nur zahlen muss, was er auch vorher aktiv bestätigt und
damit bestellt hat. Er muss keine Angst mehr haben, dass
er irgendwo auf den vielen Seiten einen Hinweis überse-
hen hat, dass Kosten dazukommen, weil irgendwo ein
Haken gesetzt war, den er hätte löschen müssen, oder





Mechthild Heil


(A) (C)



(D)(B)


dass ihm ein Jahresvertrag untergeschoben wurde, ob-
wohl er nur einmalig etwas bestellen wollte. Die Sicher-
heit für den Kunden steigt, und die Missbrauchsmöglich-
keiten sinken.

Die Bestätigung des Kaufs über diese gesonderte
Schaltfläche wird bald zum normalen Vertragsabschluss
im Internet gehören; man wird sie sich bald nicht mehr
wegdenken können. Taucht die Schaltfläche nicht auf,
weiß der Kunde: Hier ist etwas nicht in Ordnung; ich
lasse besser die Finger davon.

Die Opposition fordert nun, eine Musterschaltfläche
gesetzlich vorzugeben. Aber das ist in der Praxis leider
nicht durchführbar.

Erstens. Die Darstellungsmöglichkeiten auf einem
Smartphone sind komplett andere als auf einem PC.

Zweitens. Die Bestellungen sind auch ganz unter-
schiedlich. Kaufen Sie im Internet ein Buch, wird es für
den Anbieter ganz einfach sein, Preis und Lieferkosten
auf einer kleinen Schaltfläche auf einen Blick anzuzei-
gen. Bestellen Sie aber zum Beispiel eine Küche mit al-
len Einzelteilen, benötigen Sie naturgemäß eine größere
Zusammenstellung, die vielleicht sogar eines Weiterblät-
terns, eines Scrollens bedarf.

Drittens. Ich schließe eine Musterfläche schließlich
deshalb aus, weil sie technisch nicht neutral ist. Wir
könnten damit technische Entwicklungen sowie den Ge-
staltungswillen der Wirtschaft beschränken. Deswegen
bin ich an dieser Stelle ganz klar aufseiten der Wirt-
schaft.

Ich habe andererseits kein Verständnis für Teile der
Wirtschaft, die eine längere Übergangszeit zur Umset-
zung der Maßnahme einfordern. Seriöse Anbieter verste-
cken ihre Kosten nicht,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist es!)


und seriöse Anbieter haben nicht eine Vielzahl von Vor-
einstellungen programmiert – also Häkchen in Kästchen
gesetzt –, die der Kunde gar nicht bemerkt, die den Kun-
den aber viel Geld kosten.

Ja, so manche gesetzliche Maßnahme ist eine Grat-
wanderung zwischen mehr Schutz und mehr Bürokratie.
Mit diesem Gesetz gelingt uns ein sehr vernünftiger
Ausgleich zwischen Aufwand und Nutzen für die
Diensteanbieter. Wir sind uns allerdings auch dessen be-
wusst, dass wir mit diesem Gesetz nicht jede kriminelle
Energie im Internethandel werden verhindern können.
Die nächste Generation der Kostenfallen wird kommen.
Aber das uns bekannte Schlupfloch schließen wir heute.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein weiteres Schlupfloch werden wir mit dem Gesetz-
entwurf zur Inkassopraxis schließen.

Wir brauchen in Zukunft zwei Dinge, um den unse-
riösen Anbietern das Handwerk zu legen: aufmerksame
und informierte Kunden und eine Politik, die schnell und
zielgenau gesetzlich einschreitet.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716301100

Frau Kollegin.


Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1716301200

Beides ist uns in der Vergangenheit sehr gut gelungen,

beides werden wir auch in der Zukunft engagiert betrei-
ben. Wir beschließen heute dieses Gesetz. Das ist ein gu-
ter Tag für den Verbraucherschutz.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716301300

Die Kollegin Drobinski-Weiß ist die nächste Rednerin

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1716301400

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf den
Tribünen! Dass dies ein guter Tag für die Verbraucherin-
nen und Verbraucher ist, ist klar. Doch hätten wir das al-
les schon sehr viel früher haben können, Frau Kollegin.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Wie Benjamin Franklin schon sagte: Zeit ist Geld.
Das gilt leider auch für die deutschen Verbraucherinnen
und Verbraucher. Denn bereits seit 15 Monaten könnten
– ich spreche im Konjunktiv – die Internetnutzerinnen
und -nutzer durch den Gesetzentwurf der SPD vor Kos-
tenfallen im Internet geschützt sein.


(Beifall bei der SPD)


Wie viele Verbraucherinnen und Verbraucher inzwi-
schen tatsächlich auf die Internetabzocker hereingefallen
sind, werden wir wohl nie erfahren. Eine Untersuchung
des Sozialforschungsinstituts infas sprach im Sommer
2011 von 5,4 Millionen deutschen Internetnutzern, die
auf eine Abofalle im Internet hereingefallen waren. Das,
Frau Verbraucherschutzministerin, sind immerhin 11 Pro-
zent aller deutschen Internetnutzerinnen und -nutzer.

Dem Einsatz der Verbraucherzentralen verdanken wir,
dass der Schaden nicht noch größer ist. Bundesweit,
schätzen die Verbraucherzentralen, gibt es 22 000 Be-
schwerden pro Monat. Bei Rechnungen von durch-
schnittlich knapp 100 Euro pro Jahr – und in der Regel
handelt es sich um Zweijahresverträge – konnten die
Verbraucherzentralen von Januar 2011 bis Ende Februar
2012 damit einen geschätzten Schaden von etwa 66 Mil-
lionen Euro verhindern. Lassen Sie sich diese Zahl ein-
mal auf der Zunge zergehen.

Zeit ist Geld. Das gilt überall dort, wo die Bundesre-
gierung viel redet, aber nichts tut. Ankündigungen statt
Taten: Das finden wir bei den überhöhten Gebühren für
Pfändungsschutzkonten, bei dem Recht auf ein Giro-
konto für jedermann oder bei den überhöhten Gebühren
für das Geldabheben an Bankautomaten. Ich könnte
diese Liste fortführen.





Elvira Drobinski-Weiß


(A) (C)



(D)(B)


Die Verbraucherpolitik ist der Koalition offensichtlich
so unwichtig, dass heute Morgen statt 90 Minuten nur
60 Minuten Debattenzeit angesetzt sind. Sie befürchten
wohl, dass wir Ihnen noch mehr verbraucherpolitische
Versäumnisse unter die Nase reiben könnten. Das wäre
kein Problem.

So haben Sie heute zum Beispiel eine Chance ver-
passt, das Inkassounwesen zu reformieren.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das kommt noch!)


Das ist schon mehrfach von Frau Schieder und auch von
anderen Kollegen angesprochen worden. Die Inkassopro-
blematik hängt direkt mit dem Kostenfallentrick zusam-
men. Manche haben daraus ein gemeinsames, perfides
Geschäftsmodell entwickelt. Deshalb hat der Bundesrat
im Gesetzgebungsverfahren dazu Vorschläge auf den
Tisch gelegt. Warum haben Sie diese eigentlich nicht auf-
genommen? Sollen wir wieder erst mindestens 15 Mo-
nate ins Land gehen lassen, bis die Koalition tätig wird?

Wir von der SPD-Bundestagsfraktion haben Vor-
schläge gemacht. Wir fordern beispielsweise eine De-
ckelung der Gebühren, wir fordern mehr Sanktionsmög-
lichkeiten gegen die schwarzen Schafe unter den
Inkassounternehmen. Auch der Kollege von der CDU
hat das kurz angesprochen, aber es wird ja nichts vorge-
legt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Aufsichtsbehörden müssen bei Verstößen auch Buß-
gelder verhängen können. Wir wollen, dass die Inkas-
sounternehmen die Verbraucher informieren müssen, um
welche Forderung es konkret geht.


(Zuruf des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP])


– Dann tun Sie das doch, Herr Kollege. – Vor allem plä-
diere ich dafür, ein sozialdemokratisches Modell aus der
Ära von Willy Brandt auf diesen Bereich anzuwenden.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das ist lange her!)


Wie bei der Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedin-
gungen oder im Gesetz gegen den unlauteren Wettbe-
werb sollten wir den Verbraucherzentralen die Möglich-
keit geben, unseriöse Inkassounternehmen abzumahnen
und notfalls zu verklagen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich schlage hier also einen Marktwächter für die Inkas-
sobranche vor. Den einzelnen Verbraucher sollten wir
nicht allein lassen. Die Verbraucherzentralen sollen als
Marktwächter die Beschwerden der Verbraucher und
Verbraucherinnen über Inkassounternehmen erfassen,
berechtigte Beschwerden an die Überwachungsbehörden
weitergeben und Inkassounternehmen abmahnen und auf
Unterlassung bestimmter Geschäftsgebaren verklagen
können. Wie im Gesetz gegen den unlauteren Wettbe-
werb muss auch geprüft werden, ob und wie dabei er-
zielte Gewinne abgeschöpft werden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
ich hoffe, Sie legen uns bald – auch darauf gab es jetzt

leider keine Antwort – Vorschläge zur Reform des Inkas-
sowesens vor.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Tun wir!)


– Darauf warte ich, Herr Kollege. – Denn, wie gesagt,
Zeit ist Geld. Sonst müsste unser Fazit über die Arbeit
von Schwarz-Gelb lauten: Es ist leicht gesagt, aber lang-
sam getan.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716301500

Nächster Redner ist der Kollege Erik Schweickert für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1716301600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist

ein guter Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher;
denn heute beenden wir die Abzocke im Internet. Wir
machen die Kosten im Internet transparent und die Kos-
tenfallen dicht. Den Kolleginnen und Kollegen der SPD
sage ich: Sie tun so, als ob es Abzocke im Internet erst
gäbe, seit wir an der Regierung sind. Ich frage, was Sie
vorher getan haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn ich mir den Entschließungsantrag der Grünen
anschaue, Frau Hönlinger, dann stelle ich fest, dass Sie
selbst schreiben, dass die Verbraucherrechterichtlinie die
Grundlage der heute zu beschließenden Regelung ist. Ich
frage Sie: Wann wurde die denn vom Europäischen Par-
lament beschlossen? Es war am 23. Juni 2011.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Aber Sie wussten schon lange, was darin stehen würde!)


Wir haben unseren Gesetzentwurf sofort vorgelegt. Es
ist gerade einmal ein Dreivierteljahr vergangen. Wir ha-
ben sofort gehandelt; heute wird der Gesetzentwurf in
zweiter und dritter Beratung behandelt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben den Gesetzentwurf zu diesem Punkt sogar
vorgezogen, um die Abzocke bald zu beenden;


(Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Nein! Sie waren nicht mutig genug! Das ist der Punkt! Mutlos war das!)


denn die Verbraucherrechterichtlinie ist komplex, und
ihre Umsetzung dauert lange. Wir haben den Punkt mit
den Kostenfallen im Internet vorgezogen, weil wir wuss-
ten, dass hier der Schuh drückt. Die Lücke wird heute
geschlossen.

Der bisherige Rechtsrahmen hat sich als nicht ausrei-
chend erwiesen. Die Abzocker sind auf immer neue Ge-
schäftsideen gekommen. Es wurde schon gesagt, dass
5,5 Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher ir-





Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)


gendwann schon einmal in eine Abofalle getappt sind.
Diese Zahl ist nicht unbeträchtlich. Wir verpflichten nun
die Unternehmen, den Verbraucher klar und verständlich
und in hervorgehobener Weise vor Abgabe einer Bestel-
lung ausdrücklich darauf hinzuweisen, wenn etwas kos-
tenpflichtig ist.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sind Selbstverständlichkeiten!)


Das heißt, es geht nicht mehr, dass man die Kosten-
pflicht in ellenlangen AGBs versteckt oder man vorher
zehn Semester Jura studiert haben muss, um bei der Sa-
che durchzublicken. Also: Ellenlange, unverständliche
AGBs gehören der Vergangenheit an. Im Bereich der
Kostenpflichtigkeit haben wir einfache und klare Rege-
lungen eingeführt; dadurch wird sofort deutlich, wenn
man sich im Internet zu einer Zahlung verpflichtet.

In Ihrem Entschließungsantrag sprechen Sie zwei
weitere Punkte an, nämlich die Regelung der Beweislast
und das Thema der Musterschaltfläche.

Der Erwähnung der Beweislast des Unternehmens im
Gesetz bedarf es schon deshalb nicht, da es heute so-
wieso schon gängige Praxis ist, dass der Unternehmer
beweisen muss, dass er einen Anspruch auf sein Geld
hat. Dahinter steht der allgemeine Rechtsgrundsatz, dass
derjenige, der eine Tatsache behauptet, diese auch nach-
weisen muss. Deswegen ist es obsolet, so etwas in das
Gesetz hineinzuschreiben.

Jetzt kommen wir einmal zu der von Ihnen erhobenen
Forderung, eine Musterschaltfläche im Gesetz festzu-
schreiben. Das ist für mich reine Kosmetik. Lassen Sie
es sich einmal an einem einfachen Beispiel zeigen.
Schauen wir doch einmal auf die Homepage der Grünen.
Im „Grünen Shop“ kann man ein paar Spielereien erwer-
ben. Inhalte sind zwar nicht dabei, da geht man lieber zur
FDP,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


aber ein paar lustige Give-aways sind da doch zu haben,
zum Beispiel eine grüne Badeente. Für 3,49 Euro kann
man sie mit einem einfachen Klick kaufen. Hier soll jetzt
nach unseren Vorstellungen ein Kasten kommen, in dem
steht: „zahlungspflichtig bestellen“.


(Zuruf der Abg. Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD])


Seien wir doch einmal ehrlich: Es macht doch keinen
Unterschied, ob bei den Grünen nun ein grüner Button
auftaucht und bei der SPD ein roter. Ich könnte mir aber
Ihr Geschrei vorstellen, wenn wir ins Gesetz hineinge-
schrieben hätten: Der Kasten muss schwarz-gelb sein. Es
wäre spannend gewesen, zu erfahren, wie groß dann der
Aufschrei gewesen wäre.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das wäre ja auch ein Desaster bei dieser Politik! – Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das ist billig! Bitte eine größere Ernsthaftigkeit!)


Meine Damen und Herren, das überlassen wir technik-
neutral den Anbietern, wie sie es darstellen. Die Smart-
phones sind unterschiedlich.

Ich habe in einer früheren Rede schon einmal aufge-
zeigt, wie hoch die Schadstoffbelastung von Quietsche-
enten – keine grünen, sondern gelbe – ist. Was findet man
aber auf Ihrer Homepage? Grüne Quietscheentchen. –
Aber das ist ein anderes Thema.

Meine Damen und Herren, heute ist ein guter Tag für
die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wer eine wirk-
lich gute Webseite besuchen will, der sollte sowieso auf
www.abzockerstopper.de gehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716301700

Das Wort erhält nun der Kollege Stefan Rebmann für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1716301800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In der heutigen Debatte wurden ja schon
Klaus Lage und Benjamin Franklin zitiert. Ich könnte
jetzt als Mannheimer auch aus der Mannheimer Urauf-
führung von Schillers Räubern zitieren. Nur, die waren
halt damals noch nicht im Internet unterwegs.


(Zuruf von der FDP: Und nicht in Mannheim!)


Aber Schiller hat ja recht, wenn er bei Wallensteins La-
ger sagt: „Es geht nicht zu mit rechten Dingen!“ Denn
wer meint, dass nur unachtsame Internetnutzer in die
Kostenfallen geraten, der irrt sich. Es kann praktisch je-
den treffen. Das Prinzip der Betrüger im Netz ist denk-
bar einfach und leider auch wirksam.

Es ist noch nicht lange her, dass ein guter Freund von
mir völlig arglos einen Gutschein für ein kostenloses
Musik-Download eingelöst hat und sich dann monate-
lang mit Mahnschreiben und unseriösen Inkassounter-
nehmen zum angeblich abgeschlossenen Jahresabo he-
rumschlagen musste. Wir alle kennen ja solche Beispiele
zur Genüge.

Die allermeisten Bürgerinnen und Bürger wissen gar
nicht, dass es wegen irreführender Gestaltung der Inter-
netseiten oft gar nicht zu einem wirksamen Vertrag ge-
kommen ist; sie glauben, zahlen zu müssen, und scheuen
den Streit mit den Inkassounternehmen.

Auf die Zahl der Nutzer, die in solche Abofallen gera-
ten sind, wurde ja schon mehrfach hingewiesen. Der da-
durch entstandene Schaden überschreitet bei weitem
60 bis 70 Millionen Euro im Jahr, ohne die Dunkelziffer
miteinzurechnen. Natürlich ist das ein lukratives Ge-
schäft für unseriöse Unternehmen, wenn ihr Geschäfts-
modell darauf basiert, auf diese Weise Geld zu verdie-
nen.

Wir als SPD haben deshalb bereits 2010 einen Ge-
setzentwurf zu diesem Thema vorgelegt, um genau die-
sem Treiben einen Riegel vorzuschieben.


(Beifall bei der SPD)






Stefan Rebmann


(A) (C)



(D)(B)


Wenn man mit diesem Wissen den vorliegenden Gesetz-
entwurf liest, dann kommt man nicht umhin, zu sagen:
Das hätten wir schon wesentlich früher haben können.
Den Betroffenen wäre damit viel Geld und noch mehr
Ärger erspart geblieben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])


Allen Fraktionen war doch schon 2010 klar, dass der
rechtliche Schutz der Verbraucher im Internet bei wei-
tem nicht ausreicht. Nur, daraus auch Schlussfolgerun-
gen zu ziehen und Handlungen abzuleiten, dazu hatte die
Koalition offensichtlich keinen Mut.

Bei Schillers Räubern geht es um das Verhältnis von
Recht und Freiheit. Zur vertanen Chance, unserem An-
trag schon damals zuzustimmen, sage ich Ihnen mit
Schiller: „Das Gesetz hat zum Schneckengang verdor-
ben, was Adlerflug geworden wäre.“


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD und der FDP: Oh!)


Man warte lieber eine Einigung auf europäischer
Ebene ab, hieß es damals. Dafür gab es aus unserer Sicht
keinen hinreichenden Grund. Die Menschen warten bis
heute auf eine Lösung, die es in anderen EU-Mitglied-
staaten, zum Beispiel in Frankreich, schon längst gibt.

Heute nun können wir endlich über einen Entwurf
entscheiden,


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Endlich?)


der sich übrigens wie auch die inzwischen vorliegende
EU-Richtlinie inhaltlich nur marginal von unserem da-
maligen Antrag unterscheidet.

Internetanbieter müssen endlich deutlich und unmiss-
verständlich über den Preis einer Ware oder einer
Dienstleistung informieren. Und noch wichtiger: Der
Verbraucher muss bei der Bestellung ausdrücklich erklä-
ren, dass er den Preis zur Kenntnis genommen hat bzw.
dass er über einen Button unmissverständlich auf die
Zahlungspflicht hingewiesen worden ist.

So weit, so gut. Aber dass Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Koalition, die breite Zustimmung zu die-
sem Thema ausnutzen, um kurzfristig eine Änderung des
Wohnungseigentumsgesetzes mit durchzuwinken, ist,
finde ich, nicht in Ordnung.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra-
ten überwiegt das Wohl der Verbraucher. Die Verbrau-
cher brauchen den Schutz des Gesetzes vor Kostenfallen
im Internet. Deshalb sagen wir Ja zu diesem Gesetz, und
ich sage Ihnen mit Schiller: „Denn das Auge des Geset-
zes wacht.“

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716301900

Zum Abschluss dieses Tagesordnungspunktes erhält

der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1716302000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-

nen! Sehr geehrte Kollegen! Genau heute vor einer Wo-
che hat der US-Präsident Barack Obama seine neue
Strategie zur Verbesserung des Datenschutzrechts im In-
ternet vorgestellt. Kernziel dieser Strategie ist die Wie-
derherstellung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bür-
ger in das Internet und in den elektronischen
Geschäftsverkehr.

Es handelt sich bei dieser Vorstellung der Strategie
von Barack Obama jedoch nur um ein Weißbuch, das im
weiteren Verlauf erst noch in Gesetzesform gegossen
werden muss. Wir sind hier schon weiter fortgeschritten.
Die christlich-liberale Koalition handelt, und wir verab-
schieden heute endgültig das Gesetz zur Verbesserung
und zur Steigerung des Vertrauens der Bürgerinnen und
Bürger in das Internet und in den elektronischen Ge-
schäftsverkehr.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Endlich! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dicker geht es nicht!)


Es ist schon erwähnt worden: 90 Prozent der deut-
schen Internetnutzer nutzen das Internet insbesondere
zum Kauf von Produkten und zum Bestellen von Dienst-
leistungen. Was besorgniserregend ist, ist, dass 73 Pro-
zent von ihnen in den letzten Jahren negative Erfahrun-
gen damit gemacht haben. Ich glaube, es geht nicht um
eine Dämonisierung des Internets. Das Internet bietet
vielfältige Chancen und ungeahnte Möglichkeiten, die
noch vor 20 Jahren undenkbar waren, aber es birgt auch
gewisse Risiken in sich, und diese Risiken manifestieren
sich zusehends insbesondere darin, dass es unseriöse
Anbieter gibt, die in den letzten Jahr immer mehr ihr Un-
wesen getrieben haben und hunderttausendfach, ja mil-
lionenfach Ärger in Deutschland hervorgerufen haben.

Ich möchte mir nicht einmal annähernd vorstellen,
wie oft sich – wahrscheinlich hunderttausendfach – Bür-
gerinnen und Bürger geärgert haben, als sie Mahnungen,
Zahlungsaufforderungen und Schreiben von Rechtsan-
wälten und Inkassounternehmen erhalten haben. Mit Si-
cherheit haben viele darauf reagiert, indem sie gezahlt
haben, obwohl sie rechtlich dazu nicht verpflichtet ge-
wesen wären,

Die Studie von infas aus dem August des letzten Jah-
res, nach der schon 8,4 Millionen Bundesbürger Opfer
von Internetbetrug geworden sind, ist schon erwähnt
worden. Der überwiegende Teil von ihnen, nämlich
5,4 Millionen Bürger, sind Opfer von Kosten- und Abo-
fallen im Internet geworden.

Was an dieser Studie sehr interessant ist, ist, dass es
keine signifikanten Unterschiede gibt, was das Alter,
was das Geschlecht und auch was das Einkommen der





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)


Betroffenen anbelangt. Jeden kann es treffen, und keiner
ist davor gefeit. Es ist auch nicht so, dass es nur wenige
schwarze Schafe gibt, die sich in diesem Bereich tum-
meln. Es hat sich mittlerweile betrüblicherweise eine
ganze Abofallenindustrie in Deutschland entwickelt. Im
kollusiven Zusammenwirken von Internetunternehmen,
Rechtsanwälten und Inkassounternehmen sind Millionen
von Bundesbürgern geschädigt worden. Jeder hat es
schon am eigenen Leib erlebt. Es gibt Internetshopsei-
ten, die trickreich und sehr irreführend gestaltet sind.
Aufgrund des häufig unklar, irritierend und überra-
schend gestalteten Bestellprozesses sind diesen Shops
leider schon Millionen von Bundesbürgern auf den Leim
gegangen. Diese Abo- und Kostenfallen im Internet be-
treffen das Bestellen sowohl von Produkten als auch von
Dienstleistungen. Das Angebot reicht von Haustieren,
Kochrezepten, Hilfen bei der Berufswahl, Routenpla-
nern, Grußkarten und Gedichten bis hin zu Gewinnspie-
len und Wohnungsannoncen.

Wir, die christlich-liberale Koalition, handeln mit die-
sem Gesetzentwurf, der heute in zweiter und dritter Le-
sung behandelt wird, effektiv und gehen massiv gegen
diesen rapide zunehmenden Internetbetrug vor. Wir als
christlich-liberale Koalition sind handlungsfähig.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Die meiste Zeit nicht!)


Wir machen klare Vorgaben, was die Ausgestaltung der
Internetseiten anbelangt. Die Schaltflächen müssen ins-
besondere hinsichtlich des Bestellprozesses transparent,
klar und eindeutig sein. Wichtig ist uns, dass schon auf
der Schaltfläche klar erkennbar ist, dass damit eine Zah-
lungsverpflichtung verbunden ist. Deshalb fassen wir
§ 312 g des Bürgerlichen Gesetzbuches neu.

Damit ist natürlich unweigerlich ein Mehraufwand
für die Unternehmen verbunden; das möchte ich nicht
unerwähnt lassen. Aber ich bin der festen Überzeugung,
dass dieser Mehraufwand, der auf etwas mehr als
41 Millionen Euro geschätzt wird, in der Abwägung mit
dem exorbitant hohen Schaden, der in der Vergangenheit
verursacht wurde, und vor allem mit dem Schadenspo-
tenzial, das mit dem Missbrauch im Internet verbunden
ist, durchaus vertretbar ist.

Ich möchte auch noch Stellung beziehen zu der im
Ausschuss beantragten Entschließung mit der Forderung
zur Beweislast. Meines Erachtens ist es überflüssig, hier
eine Neuregelung vorzunehmen, weil es im BGB gän-
gige Praxis ist, dass derjenige, der eine Forderung durch-
setzen will, die Rechtmäßigkeit dieser Forderung bewei-
sen muss. Es bedarf also keiner nochmaligen Festlegung,
dass der Anbieter im Internet das rechtswirksame Zu-
standekommen des Kauf- oder Dienstleistungsvertrages
beweisen muss. Deswegen ist diese Forderung abzuleh-
nen.

Nach dem heutigen Tag gilt es, viele Internetseiten
umzugestalten. Wie wir vom Kollegen Dr. Schweickert
gehört haben, gilt dies auch für die Internetseite der Grü-
nen. Ich bin gespannt, ab wann die Schaltfläche für die
Bestellung der Quietscheente rechtskonform ausgestaltet
ist. Aber selbst wenn sie rechtskonform ausgestaltet ist

und den Vorgaben in § 312 g BGB entspricht – ich gehe
davon aus, dass die Grünen, rechtstreu wie sie sind, ihren
Internetshop sehr schnell neu konfigurieren werden –,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir werden die Ersten sein!)


befürchte ich, dass die Kosten doch weitaus höher als
3,50 Euro für diese Ente sein werden. Denn wer bei den
Grünen zugreift, muss leider Gottes langfristig mehr be-
rappen als diese 3,50 Euro.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Ich sage nur: Bayerische Landesbank und CSU!)


Das muss man dazusagen.

Mit diesem Gesetzeswerk, das in diesem Hause mit
Ausnahme der Linkspartei große Zustimmung finden
wird, beweisen wir, dass die christlich-liberale Koalition
insbesondere in der Rechtspolitik in der Lage ist, effek-
tiv und schnell zu handeln, wenn sich ein Problem offen-
kundig und signifikant zeigt.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Beim nächsten Tagesordnungspunkt stimmt es schon nicht mehr!)


Wir setzen die zugrunde liegende EU-Richtlinie jetzt
schnell und zügig in deutsches Recht um. Damit bewei-
sen wir einmal mehr, dass die christlich-liberale Koali-
tion handlungsfähig ist


(Zurufe von der SPD: Oh! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Warten wir mal ab, wie es bei TOP 26 aussieht!)


und dass wir effektiv ans Werk gehen, wenn sich Pro-
bleme ergeben. Wenn sich Missstände in unserer Gesell-
schaft und auch in unserer Wirtschaft zeigen,


(Caren Lay [DIE LINKE]: Dann braucht die Koalition fünf Jahre, um es zu lösen!)


dann erwarten die Bürgerinnen und Bürger, dass wir
schnell und effektiv handeln.

Ihre Argumentation „Das hätte doch alles schon
längst passieren müssen“ ist meines Erachtens sehr dürf-
tig und durchsichtig. Mehr haben Sie nicht zu bieten.


(Widerspruch bei der SPD)


Wir hingegen haben sehr viel zu bieten. In diesem Sinne
bedanke ich mich für die Unterstützung und werbe um
Zustimmung in diesem Hause.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Eigentlich haben Sie die Zustimmung nicht verdient!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716302100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Bürgerlichen Gesetzbuches zum besseren
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Kos-





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


tenfallen im elektronischen Geschäftsverkehr. Wir wol-
len einmal abwarten, ob im Sinne des Kollegen
Rebmann diese Beschlussfassung den Schneckengang
zum Adlerflug transformiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf der Drucksache 17/8805, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/7745 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit
breiter Mehrheit bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
in zweiter Beratung angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit der gleichen Mehrheit angenommen.

Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/8806 auf. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan-
trag ist mehrheitlich abgelehnt.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten
Christine Lambrecht, Burkhard Lischka, Dr. Eva
Högl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der SPD eingebrachten Entwurfs eines Straf-
rechtsänderungsgesetzes – Bekämpfung der
Abgeordnetenbestechung

– Drucksache 17/8613 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Christine Lambrecht für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1716302200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und

Kollegen! Im Jahr 2003 hat die Bundesrepublik
Deutschland die UN-Konvention zur Bekämpfung von
Korruption unterzeichnet, wie ich finde: völlig zu Recht.
Es muss unser aller Anliegen sein, Korruption da, wo sie
auftritt, weltweit zu bekämpfen.


(Beifall bei der SPD)


Peinlich ist allerdings, dass nach dieser Unterzeich-
nung nichts weiter passiert ist. Nötig wäre gewesen,

diese Konvention auch in innerdeutsches Recht umzu-
setzen, sprich einen Straftatbestand zu schaffen, der die
Korruption, die Bestechung, die Bestechlichkeit von Ab-
geordneten erfasst. Warum wäre die Umsetzung dieser
Konvention notwendig gewesen? Weil wir im deutschen
Recht bisher lediglich das Thema des sogenannten Stim-
menkaufs gesetzlich geregelt haben! Dies ist ein ganz
enger Tatbestand, der nur das Abstimmungsverhalten er-
fasst und deswegen ein stumpfes Schwert ist und der
Konvention, so wie sie vorliegt, bei weitem nicht ge-
nügt.

Deswegen unterbreiten wir Ihnen heute einen Lö-
sungsvorschlag für ein nicht einfaches Thema, nämlich
die Auflösung des Spannungsfeldes zwischen dem, was
zu Recht als Abgeordnetenbestechung, als Bestechung,
als Korruption benannt werden muss, und dem, was zum
parlamentarischen Verhalten gehört. Wir haben es uns
mit unserem Entwurf nicht leicht gemacht. Wir haben
viele Argumente, die in der Diskussion seit vielen Jahren
genannt werden, gegeneinander abgewogen. Ich will un-
seren Vorschlag kurz begründen; denn ich kann damit
auf viele Kritikpunkte eingehen.

Wir schlagen vor, Abgeordnetenbestechung in Zu-
kunft ganz klar zu beschreiben als einen Vorgang, bei
dem ein Abgeordneter einen Vorteil für sich oder einen
Dritten dafür bekommt, dass er einen Auftrag oder eine
Weisung in entsprechendes parlamentarisches Verhalten
umsetzt. Dies ist ein ganz klar definierter Tatbestand.
Warum ist er so klar und so eng beschrieben? Weil wir
wollen, dass die Kritikpunkte, die aufgekommen sind
– nämlich dass dann in Zukunft parlamentarisches Ver-
halten, also die Aufgabe des Abgeordneten, sich für die
Interessen derjenigen einzusetzen, für die er sich berufen
fühlt, nicht mehr möglich wäre –, ausgeräumt werden,
haben wir diesen Tatbestand eng beschrieben. Ich will
dazu einige Beispiele nennen.

Ich bekomme vom Weinbauernverband den Auftrag
oder die Weisung, eine Initiative zur Abschaffung der
Sektsteuer zu ergreifen, was ich dann in meiner Fraktion
und im parlamentarischen Verfahren durchsetze. Wenn
ich dafür dann eine mehrwöchige Urlaubsreise als Vor-
teil erhalte, würde das genau den von uns definierten
Straftatbestand erfüllen, wie ich finde: völlig zu Recht.
Das wäre ein klarer Fall von Bestechung und Bestech-
lichkeit.


(Beifall bei der SPD)


Nun wird eingewandt, dies widerspreche dem freien
Mandat. – Ja, zu Recht haben wir als Abgeordnete die
Möglichkeit, nach Art. 38 des Grundgesetzes das freie
Mandat auszuüben. Das ist das Wesen, der Inhalt dessen,
was wir als Abgeordnete tun. Aber im Ernst: Niemand
kann behaupten, dass der Vorgang, den ich eben be-
schrieben habe, nämlich einen Vorteil dafür zu bekom-
men, dass ich als Abgeordnete einen Auftrag oder eine
Weisung befolge, auch nur im Geringsten etwas mit dem
freien Mandat zu tun hat. Deswegen sollten wir eine
klare Definition vornehmen


(Beifall bei der SPD)






Christine Lambrecht


(A) (C)



(D)(B)


Es wird des Weiteren kritisiert, dass der Vorteilsbe-
griff nicht eng genug gefasst sei und dass dann unter
Umständen Staatsanwälte ungerechtfertigte Ermittlungs-
maßnahmen einleiten könnten. Aber wir haben aus-
drücklich geschrieben, dass parlamentsübliches Verhal-
ten nicht als Vorteilsnahme zu verstehen ist. Dazu gehört
beispielsweise das Abendessen beim Parlamentarischen
Abend. Selbstverständlich erwartet niemand, dass in Zu-
kunft ein Abgeordneter mit der Brotdose zum Parlamen-
tarischen Abend geht, weil er Angst hat, dass es ihm als
Vorteilsnahme ausgelegt wird, wenn er sich am Buffet
bedient. Wir wollen das im Gesetz genau regeln, um ent-
sprechende Sorgen auszuräumen.

Ich habe wahrscheinlich ein bisschen mehr Vertrauen
in die deutschen Staatsanwälte – ich habe einige Erfah-
rungen im 1. Ausschuss gemacht –, darin, dass sie in den
entsprechenden Angelegenheiten mit Augenmaß vorge-
hen und nicht wegen jedes Essens oder jedes geschenk-
ten Bleistifts Ermittlungen einleiten.


(Beifall bei der SPD)


Es gibt auch den Kritikpunkt, wir setzten die UN-
Konvention nicht um, weil sonst bei uns mit Ermittlun-
gen zu rechnen sei; in Bananenrepubliken sei das mög-
lich, weil dort die Staatsanwälte sowieso nicht gegen
Abgeordnete ermitteln. Sie sollten sich aber anschauen,
welche Länder diese Konvention bisher nicht umgesetzt
haben. Das sind zum Beispiel der Sudan, Somalia und
die Bundesrepublik. Aber Staaten wie Norwegen, Frank-
reich, Großbritannien und die USA haben diese Konven-
tion umgesetzt. Bei diesen Ländern handelt es sich mit-
nichten um Bananenrepubliken.


(Beifall bei der SPD – Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: China! Russland! Gehen Sie mal dahin!)


Wir sollten jetzt die Chance ergreifen und nach neun
Jahren endlich für eine Umsetzung sorgen, um uns nicht
länger dem Vorwurf auszusetzen, dass wir Korruption
bei anderen kritisieren, uns aber, wenn es um uns geht,
auf einmal nicht in der Lage sehen, ein entsprechendes
Gesetz in Kraft zu setzen. Das ist peinlich. Das sollte ge-
löst werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich merke, dass es ein bisschen Bewegung auch in
den Reihen der Koalition gibt. Es hat mich sehr erfreut,
dass der Bundestagspräsident, Herr Lammert, ein klares
Bekenntnis in dieser Fragestellung abgegeben und da-
rauf hingewiesen hat, dass wir dringend eine gesetzliche
Regelung brauchen.


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Eine Regelung!)


Wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann entsprechen
die Vorstellungen des Bundestagspräsidenten ziemlich
genau dem, was wir klar definiert und hinreichend be-
stimmt formuliert haben.


(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Da ist der Wunsch der Vater des Gedanken! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Sie müssen die Ehre des Präsidenten retten!)


– Ich kann gerne die entsprechenden Stellen zitieren. –
Ich freue mich auf jeden Fall auf die Auseinanderset-
zung.

Es ist richtig, dass wir in dieser Frage miteinander
diskutieren. Hören Sie aber auf, eine Totalverweige-
rungshaltung einzunehmen! Wir sollten uns auf den Weg
machen und endlich klare Regelungen – auch für uns –
schaffen, damit der Verdacht, dass wir nur für uns Aus-
nahmen schaffen wollen, ausgeräumt wird. Es wird Zeit.
Deswegen fordere ich Sie auf: Machen Sie mit! Ein ent-
sprechender Vorschlag liegt auf dem Tisch.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716302300

Frau Kollegin Lambrecht, ich freue mich ebenfalls

auf die Auseinandersetzung. Aber Sie verstehen sicher-
lich, dass ich von diesem Stuhl aus mich mit dieser
knappen Bemerkung begnüge.

Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Voßhoff für
die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Andrea Astrid Voßhoff (CDU):
Rede ID: ID1716302400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

debattieren heute im Zusammenhang mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf der SPD zum, glaube ich, dritten Mal
in diesem Jahr in diesem Hause über das Thema Abge-
ordnetenbestechung. Hintergrund der Diskussion sind
– das ist von der Kollegin Lambrecht zur Einführung be-
reits gesagt worden – die Antikorruptionsübereinkom-
men der Vereinten Nationen und des Europarates. Dass
diese Abkommen seinerzeit von der von SPD und Grü-
nen getragenen Bundesregierung für Deutschland unter-
zeichnet, aber bislang nicht ratifiziert wurden, ist ein un-
befriedigender Zustand. Wohl wahr!


(Dr. Eva Högl [SPD]: Dem können wir abhelfen!)


Worin besteht aber der unbefriedigende Zustand? Ist es
die bisher fehlende Ratifizierung,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich! Was denn sonst?)


oder ist es nicht vielmehr das Dilemma, dass die Unter-
zeichnung – wie der Vorsitzende des Rechtsausschusses
und Kollege Siegfried Kauder es einmal beschrieben hat –
schon ein Webfehler war,


(Jörg van Essen [FDP]: Richtig!)


weil uns die sich daraus ergebende Notwendigkeit der
Ratifizierung vielleicht vor eine unlösbare Aufgabe
stellt,





Andrea Astrid Voßhoff


(A) (C)



(D)(B)



(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Entsprechendes selbst unterschrieben!)


weil uns dadurch vorgegeben wird, unter Umständen das
Mandat mit der Amtsträgereigenschaft gleichzusetzen,
was für uns nicht umsetzbar ist?


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht auch niemand!)


Ich darf mir erlauben, an dieser Stelle einmal grund-
sätzlich etwas zu dem Thema anzumerken; denn wir ha-
ben heute viele Zuhörer. Aus der bisher fehlenden Ratifi-
zierung darf nun nicht geschlussfolgert werden – auch
wenn dies immer wieder getan wird –, dass wir in
Deutschland mit der Korruptionsbekämpfung bei Abge-
ordneten gegenüber manch anderen Staaten hoffnungs-
los ins Hintertreffen geraten,


(Burkhard Lischka [SPD]: Doch, das aber sehr wohl!)


die ein solches Übereinkommen, wie auch immer, ratifi-
ziert haben. Aus diplomatischer Rücksichtnahme will
ich hier gar keine nennen. Wenn uns aber diejenigen, die
ständig die Ratifikation fordern, wirklich einreden wol-
len, dass wir in Deutschland ohne eine solche Ratifika-
tion in der Korruptionsbekämpfung bei Abgeordneten
diesen Staaten hinterherhinken, dann weise ich das zu-
rück.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe gerade von einer vielleicht unlösbaren Auf-
gabe gesprochen. Die Tatsache, dass wir heute bereits
den dritten Versuch einer gesetzlichen Regelung zum
Thema Abgeordnetenbestechung vorliegen haben, zeigt
wohl das grundsätzliche Problem: Wie kann das Ganze
geregelt werden?

Die beiden Gesetzentwürfe, die von den Linken und
den Grünen vorgelegt worden sind, sind aus guten
Gründen abzulehnen. Darüber haben wir häufig genug
diskutiert. Der heute von der SPD vorliegende Entwurf
begegnet ebenfalls erheblichen Bedenken. Die Materie
ist nun einmal strafrechtlich außerordentlich kompliziert
und verfassungsrechtlich vielschichtig. Populistische
Schnellschüsse wie die beiden Gesetzentwürfe der Grü-
nen und der Linken sind schon deshalb grundsätzlich
verfehlt.


(Burkhard Lischka [SPD]: Von Schnellschüssen kann nach neun Jahren keine Rede sein!)


Auch die Stellungnahme des Anwaltvereins, der ja
unverdächtig ist, den Abgeordneten nach dem Munde zu
reden, hat in einem, man kann fast sagen, Totalverriss
der Gesetzentwürfe der Linken und der Grünen darge-
legt, dass diese Entwürfe eben nicht geeignet sind, die
grundsätzliche Schwierigkeit einer über den bisherigen
Tatbestand des § 108 e StGB – darin geht es nur um den
Stimmenkauf – hinausgehenden Erfassung als korrupt
bezeichneter Verhaltensweisen zu überwinden und sie
unter Wahrung verfassungsrechtlicher Vorgaben unter
Strafe zu stellen.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Dann legen Sie halt selber was vor!)


Ich befürchte, dass eine Bewertung des SPD-Entwurfs
nicht wesentlich besser ausfallen würde.

Überhaupt fragt man sich – Frau Kollegin, Sie hatten
vorhin die Daten genannt; darüber wurde bereits häufi-
ger diskutiert, und das darf man auch wieder tun –,
warum die Oppositionsfraktionen, die seinerzeit Re-
gierungsfraktionen waren, denn damals nach der Unter-
zeichnung nicht gehandelt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Burkhard Lischka [SPD]: Da waren Neuwahlen!)


Sie hatten nach der Unterzeichnung der UN-Konven-
tion zwei Jahre Zeit, und beim Europaratsabkommen
von 1999 waren es immerhin sechs Jahre. Was haben Sie
gemacht? Nichts. Wir haben an dieser Stelle häufig ge-
nug die Worte Ihres damaligen rechtspolitischen Spre-
chers Stünker zitiert – das könnte ich mir heute eigent-
lich ersparen –, der im September 2008 das rot-grüne
Scheitern hier im Plenum ausreichend kommentiert hat,
indem er sagte:

Aber dann mussten wir koalitionstreu sein, und wir
durften sie

– gemeint waren Ihre Vorschläge –

nicht ins Parlament einbringen, weil uns die Grünen
blockiert haben. … Das war eine Regelung, die
dem Kollegen Beck zu weit und dem Kollegen
Ströbele nicht weit genug ging.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716302500

Frau Voßhoff, darf die Kollegin Lambrecht Ihnen eine

Zwischenfrage stellen?


Andrea Astrid Voßhoff (CDU):
Rede ID: ID1716302600

Gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716302700

Bitte schön.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1716302800

Frau Kollegin Voßhoff, Sie haben ja angesprochen,

dass auch in der rot-grünen Regierungszeit kein Vor-
schlag unterbreitet wurde. Das ist richtig. Ich erlaube mir
in diesem Zusammenhang aber noch einmal, an die zeit-
lichen Abläufe zu erinnern, und möchte Sie bitten, mir
das entsprechend zu bestätigen.

2003 gab es diese Konvention; das ist richtig. Unter
Rot-Grün haben wir uns dann relativ zügig an die Arbeit
gemacht. Sie haben beschrieben, dass es in der damali-
gen Koalition nicht ganz einfach war, zueinanderzukom-
men, weil es sich eben um keine einfache Regelungs-
materie handelt. Wir hatten uns aber trotzdem
darangemacht. Es gab unterschiedliche Entwürfe. Die
konnten dann allerdings nicht mehr eingebracht werden,
weil 2005 vorgezogene Neuwahlen angesetzt waren. Da-
nach gab es eine Große Koalition, in der die SPD dieses
Thema weiterhin auf die Tagesordnung gebracht hat.





Christine Lambrecht


(A) (C)



(D)(B)


Vom Koalitionspartner CDU/CSU kam aber damals die
klare Ansage: In dieser Fragestellung werden wir auf
keinen Fall etwas auf den Weg bringen wollen. – Auf-
grund der Koalitionsvereinbarung, dass Gesetze eben
nur gemeinsam eingebracht werden dürfen, mussten wir
dann darauf verzichten, dieses Thema weiterhin zu ver-
folgen.

Deswegen bitte ich, doch zur Kenntnis zu nehmen,
dass es in der Großen Koalition nicht die SPD war, die
untätig war – genauso wenig wie in der rot-grünen Re-
gierungszeit –, sondern dass es in der Großen Koalition
gerade Ihre Fraktion war, die in dieser Frage ganz kon-
kret geblockt hat.


(Beifall bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Erstaunlich, dass man sich so lange verteidigen muss!)



Andrea Astrid Voßhoff (CDU):
Rede ID: ID1716302900

Frau Kollegin Lambrecht, ich habe nicht von der Zeit

der Großen Koalition gesprochen.


(Christine Lambrecht [SPD]: Das war es!)


– Ja, das ist doch in Ordnung; dazu stehe ich auch.


(Gustav Herzog [SPD]: Neinsagerkoalition!)


Wir können das auch gerne diskutieren. Das ist nicht der
Punkt. – Wir haben über die Zeit von 2003 bis 2005 ge-
sprochen. Da hat bekanntermaßen Rot-Grün regiert. Ja,
Gott sei Dank ist das vorzeitig beendet worden. Nichts-
destotrotz hätte es Zeit gegeben.


(Burkhard Lischka [SPD]: Bei Ihrem Tempo in der Rechtspolitik! – Christine Lambrecht [SPD]: Das sehen wir bei Ihrem Tempo in der Rechtspolitik!)


Das beweist das Zitat des Kollegen Stünker doch eindeutig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, es gab übrigens auch Zei-
ten, in denen das Thema zwischen Opposition und Re-
gierung sehr ausgewogen beraten wurde,


(Jörg van Essen [FDP]: Ja! Richtig!)


nämlich bei der Schaffung des § 108 e im Jahre 1993,
bei der das Thema Abgeordnetenbestechung sehr wohl
auch Gegenstand war – logisch! – und man zu dem Er-
gebnis gekommen ist, das Sie heute hier kritisieren. Die
Kollegen haben sich damals sehr abgewogen mit dem
Bestimmtheitsgrundsatz befasst.


(Jörg van Essen [FDP]: Es lohnt sich, das noch mal nachzulesen!)


In den Begründungen der damaligen Gesetzentwürfe
nicht nur von CDU/CSU und FDP, sondern auch von der
SPD heißt es – ich darf zitieren –:

Der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung kann
nicht dem der Beamten- und Richterbestechung
nachgebildet werden.


(Christine Lambrecht [SPD]: Tun wir auch nicht!)


… Bei der Ausübung von Stimmrechten im Parla-
ment spielen oft auch politische Gesichtspunkte
und Rücksichtnahmen eine Rolle. Es ist nicht zu
beanstanden, wenn bei der Stimmabgabe politische
Zwecke mitverfolgt werden, die den eigenen Inte-
ressen des Stimmberechtigten entgegenkommen.


(Christine Lambrecht [SPD]: Das will auch niemand antasten!)


Bei zahlreichen Abgeordneten ist die Zugehörigkeit
zu einer gesellschaftlichen Gruppe von wesentli-
cher Bedeutung für ihre Aufstellung als Kandidat.
Von dem Abgeordneten erwartet die gesellschaftli-
che Gruppe dann auch, daß er sich für ihre Belange
einsetzt. …

Die Tätigkeit der Abgeordneten reicht über das ei-
gentliche parlamentarische Wirken hinaus in das
allgemeine politische Geschehen, wo scharf ab-
grenzbare Verhaltensvorschriften fehlen.

Liebe Kollegen von der SPD, Ihre damaligen Er-
kenntnisse hätten Sie vielleicht auch heute berücksichti-
gen sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie betonen in der Begründung Ihres heute vorliegen-
den Entwurfs zu Recht, dass es darum gehen müsse, die
Abgrenzung zwischen erlaubtem Tun und strafbewehr-
tem Verhalten in der Hand des Gesetzgebers zu belassen,
nicht in die Hände der Staatsanwaltschaften und Ge-
richte zu geben. Diesem eigenen Anspruch werden Sie
dann aber nicht gerecht. In § 108 e Abs. 3 StGB in der
von Ihnen vorgeschlagenen Fassung versuchen Sie mehr
schlecht als recht, mit Negativbeispielen, also mit einer
Beschreibung dessen, was nicht strafbar sein soll, ir-
gendeine Form der Abgrenzung hinzubekommen. Im Er-
gebnis überlassen Sie es dann in verfassungsrechtlich
bedenklicher Weise eben doch der jeweiligen Auslegung
der Staatsanwaltschaft, was parlamentarischen Gepflo-
genheiten entspricht und was nicht.


(Christine Lambrecht [SPD]: Ich glaube, das ist auch verantwortbar!)


Ebenso ungeeignet ist Ihr Versuch der Definition der
strafbaren Vorteilsannahme, wie er auf Seite 3 Ihres Ent-
wurfs in der Begründung sinngemäß zu lesen ist: Eine
Strafbarkeit der Vorteilsnahme soll dann nicht der Fall
sein, wenn der Mandatsträger gemäß seiner inneren
Überzeugung handelt,


(Christine Lambrecht [SPD]: Also nicht mit Auftrag oder Weisung!)


die Vorteilsgewährung das Verhalten des Mandatsträgers
also nicht beeinflusst hat. Meine Damen und Herren von
der SPD, Ihr Vorschlag läuft auf eine Gesinnungsprü-
fung und Gewissensrechtfertigung eines Abgeordneten
gegenüber einem Staatsanwalt hinaus


(Beifall des Abg. Marco Buschmann [FDP] – Widerspruch bei der SPD – Burkhard Lischka [SPD]: Das haben wir in anderen Bereichen auch!)






Andrea Astrid Voßhoff


(A) (C)



(D)(B)


und konterkariert geradezu die verfassungsrechtliche
Stellung des freien und nur seinem Gewissen unterwor-
fenen Abgeordneten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage das auch in Richtung unserer Zuhörer heute:
Wir sollten uns in dieser Debatte auch einmal in Erinne-
rung rufen, was die verfassungsgemäße Aufgabe von
Abgeordneten ist. Bei der Suche nach einer Antwort
geht es nicht um das Selbstverständnis jeder einzelnen
Person, sondern auch um Fragen des Parlamentarismus
und der verfassungsrechtlichen Stellung, Aufgabe und
Verantwortung von uns Abgeordneten nach Art. 38 GG.
Ich finde, ein Blick in die Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts vom 4. Juli 2007 fördert da sehr Erhel-
lendes und Eindrucksvolles zutage – ich darf zitieren –:

Dem von Art. 38 Abs. 1 GG gewährleisteten freien
Mandat des Abgeordneten entspricht es, dass die
Abgeordneten über die Art und Weise der Aus-
übung des Mandats grundsätzlich frei und in aus-
schließlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem
Wähler entscheiden.


(Christine Lambrecht [SPD]: Deshalb wollen wir die Bestechung unter Strafe stellen!)


… Dafür bedarf es keiner rechtsförmigen Kriterien;
die wertende Beurteilung soll vielmehr gerade der
öffentlichen Diskussion und letztlich dem Wähler
anheim gegeben werden.

Noch viel treffender besagt das Urteil unter Rand-
nummer 262:

Wer freie Abgeordnete will, muss auch ein Min-
destmaß an Vertrauen aufbringen, dass die vom
Volk Gewählten ganz überwiegend mit Umsicht
und verantwortlich mit ihrer Freiheit umgehen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre bei allen Bürgern auch so! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wer freie Abgeordnete will, will nicht Korruption!)


Das Prinzip der Freiheit verlangt, dass nur der
Missbrauch gezielt und konsequent bekämpft wird,
aber nicht, dass aus dem abweichenden Verhalten
Weniger zuerst ein Ambiente des Misstrauens ge-
schürt und sodann eine lückenlose Kontrolle auch
der redlich Arbeitenden verlangt wird.

Ich denke, meine Damen und Herren, dem ist eigent-
lich nichts mehr hinzuzufügen,


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Doch! Nur noch unser Gesetzentwurf!)


was die Stellung von Abgeordneten betrifft.

Keiner von uns, keiner, der hier gegen Ihren Gesetz-
entwurf redet, ist für Korruption; das ist überhaupt keine
Frage.


(Christine Lambrecht [SPD]: Aber auch nicht für Bekämpfung der Korruption!)


Aber wenn entsprechende gesetzliche Regelungen dazu
führen würden, dass gerade in Fällen von Wahlkämpfen

durch falsche Anzeigen die Staatsanwaltschaft verpflich-
tet wird, zu ermitteln,


(Christine Lambrecht [SPD]: Haben Sie mal mehr Vertrauen in die deutschen Staatsanwälte!)


dann wird dies zu einem politischen Instrument. Das ist
für uns nicht tragbar.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ihr Misstrauen gegenüber der deutschen Justiz ist schon bemerkenswert!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716303000

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege

Sharma das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716303100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worüber

reden wir heute? Wir reden über Vertrauen: Vertrauen in
die Politik, Vertrauen in Politiker und Vertrauen in die
parlamentarische Demokratie ganz allgemein. Konkret
reden wir über einen Gesetzentwurf zur Änderung des
Strafgesetzbuches und eines Straftatbestandes, der die
Abgeordnetenbestechung regeln soll. Abgeordnetenbe-
stechung ist heute im Grunde nicht geregelt. Es ist nur
das Verbot des Stimmenkaufs geregelt.

Wie soll man sich Stimmenkauf vorstellen? Es ist
klar, dass so etwas in der Praxis kaum Anwendung fin-
det; denn wenn jemand wirklich vorhat, die Stimme ei-
nes Abgeordneten zu kaufen, werden da in der Regel
keine Verträge schriftlich verfasst und unterschrieben.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bei der Bestechung auch in den seltensten Fällen!)


Insofern ist es klar, dass dieses Gesetz, so wie wir es
jetzt haben, im Grunde ein Placebogesetz ist, bei dem es
dringenden Änderungsbedarf gibt.


(Beifall bei der LINKEN)


Nichtsdestotrotz und ohne dass man hier überall im-
mer gleich Böswilligkeit und kriminelles Handeln unter-
stellen muss, ist es wohl unumstritten, dass Abgeordnete
in Korruptionsgeflechte eingebunden sind. Das ist keine
Formulierung, die von mir stammt; das ist eine Formu-
lierung, die aus einer Bundesratsinitiative des Landes
Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2002 stammt. Sie war
schon damals richtig. Diese Bundesratsinitiative ist
– wie so viele Initiativen, die in diesem Bereich entwi-
ckelt worden sind – im Ausschuss verschwunden und
nicht weiter behandelt worden. Aber der Ansatz war
richtig. Das ist jetzt fast zehn Jahre her.

Blicken wir einmal von Nordrhein-Westfalen etwas
weiter nach Norden und in die Gegenwart: nach Sylt.
Dort gab es im vergangenen Jahr ein Treffen auf Einla-
dung der Glücksspiellobby mit Spitzenpolitikern von
CDU und FDP, um dort gemeinsam darüber zu reden,





Raju Sharma


(A) (C)



(D)(B)


wie man die Weichen für eine Liberalisierung des
Glücksspielmarktes stellen könne.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sylt-Sause!)


– So ist es. Richtig, das ist auch „Sylt-Sause“ genannt
worden. – Die Weichen sind auch gestellt worden; denn
dieses Treffen fand interessanterweise am gleichen Tag
statt, an dem die Entscheidung in der Staatskanzlei ge-
troffen worden ist, hier als Land Schleswig-Holstein ei-
nen Sonderweg zu gehen.

Ich würde jetzt nicht definitiv sagen können – und
man kann es auch nicht beweisen –, dass das eine die
Leistung und das andere die Gegenleistung gewesen ist.
Aber zumindest ein Geschmäckle hat es mit Sicherheit.
Wir als Politiker haben hier die Verantwortung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Geschmäckle kann man nicht unter Strafe stellen! – Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Nur Geschmäckle oder Straftat?)


– Wir reden über Straftaten, Herr Kollege Kauder; wir
reden aber auch darüber, wie wir Vertrauen in die Politik
schaffen wollen. Es gibt aufgrund solcher Vorgehens-
und Verhaltensweisen Misstrauen bei den Bürgerinnen
und Bürgern. Wenn wir diesem Misstrauen begegnen
wollen, können wir uns nicht hinstellen und sagen: „Wir
sind erhaben über dieses Misstrauen, weil wir Politiker
sind“, sondern wir müssen es aufnehmen.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716303200

Herr Kollege Sharma, würden Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Grosse-Brömer gestatten?


Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716303300

Ja, gern.


Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1716303400

Herr Kollege Sharma, vielen Dank, dass Sie die Zwi-

schenfrage zulassen. – Ich will auf Ihr Beispiel zurück-
kommen. Ich weiß nicht, wie Sie dieses Treffen bewertet
hätten, wenn es unter den gleichen Voraussetzungen
nicht auf Sylt, sondern in Berlin


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Eckernförde!)


stattgefunden hätte. Vielleicht ist es, gerade weil es auf
Sylt stattgefunden hat, plötzlich eine Sause. Das Schöne
ist, dass Sie offenkundig darüber Bescheid wissen – wie
alle anderen auch –, weil natürlich von einer sehr auf-
merksamen Presse sehr ausführlich beschrieben wurde,
was dort alles stattgefunden hat – eine Sache, die in
Deutschland offenbar funktioniert.

Sind Sie nach Ihrer eigenen Schilderung der Auffas-
sung, dass wir dieses Problem künftig dadurch lösen,
dass ein Staatsanwalt in Regelfällen bei betroffenen
Politikern nach einer relativ schnell gestellten Anzeige

bewertet, ob das jetzt eine parlamentarische Gepflogen-
heit ist und ob es auch deshalb strafbar ist, weil so ein
Treffen auf Sylt stattgefunden hat und nicht in Berlin im
Jakob-Kaiser-Haus? Entspricht es Ihrer Vorstellung von
effizienter Bestrafung und besserer Überwachung von
Abgeordnetenbestechlichkeit und soll es so sein, dass
ein Staatsanwalt dann künftig bewerten muss, ob ein
Treffen auf Sylt oder ein Treffen in Berlin den parlamen-
tarischen Gepflogenheiten entspricht oder nicht? Ist das
effizient – auch im Hinblick auf Ihre Aufgabe als Abge-
ordneter?


Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716303500

Herr Kollege Grosse-Brömer, lassen Sie mich zwei

Aspekte ansprechen. Zunächst eine Bemerkung zu Sylt.
Sylt ist eine wunderschöne Insel in Schleswig-Holstein,
wo man wunderbar Ferien machen kann und wo sich be-
kanntermaßen nicht nur Filmproduzenten und Bundes-
präsidenten treffen und Urlaub machen, sondern wo sich
insgesamt die Schönen, Reichen und Mächtigen treffen.
Wenn man Sylt kennt, dann kann man das auch nach-
vollziehen. Also: nichts gegen Sylt. Aber wenn dort, wo
sich die Schönen, Reichen und Mächtigen treffen, auf
Einladung der Glücksspiellobby eine Veranstaltung statt-
findet, bei der es genau um dieses Thema geht – man re-
det in schönem Ambiente über Blackjack und Lotto –,
dann hat das einen gewissen Beigeschmack.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch nicht die Frage! Sylt oder Berlin? Soll das der Staatsanwalt entscheiden?)


– Vergessen Sie Blackjack. Das soll der Staatsanwalt aus
meiner Sicht nicht entscheiden. Ich halte den Vorschlag
der SPD an dieser Stelle für zu unkonkret; darauf werde
ich später eingehen. Wir brauchen konkretere Regelun-
gen, mit denen nicht nur die Staatsanwaltschaft etwas
anfangen kann, sondern auch die Betroffenen selbst. Es
muss klare Spielregeln geben, damit auch die Bürgerin-
nen und Bürger wissen, was erlaubt ist und was nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Wie ärmlich muss denn das Ambiente sein, in dem wir tagen dürfen?)


Das Treffen auf Sylt – wir können es Sylt-Sause nen-
nen oder auch nicht – ist keine Ausnahme; Ähnliches er-
leben wir in unserer tagtäglichen Praxis. Es gibt viele an-
dere Beispiele, die ein Geschmäckle haben. Wenn ein
Bundestagsabgeordneter, der beispielsweise für den Be-
reich Gesundheit zuständig ist, regelmäßig Vorträge bei
der Pharmalobby hält, für die er ein Honorar zwischen
1 000 und 3 500 Euro bekommt – das ist transparent; das
kann man aufgrund der Veröffentlichungspflichten nach-
vollziehen –, dann würde ich nicht unbedingt unterstel-
len, dass das Honorar für diese Vorträge unangemessen
ist, aber trotzdem stellt sich die Frage, ob sich nicht in
gewisser Art und Weise Dankbarkeitsverhältnisse und
Verpflichtungen entwickeln,


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Genau das ist rausgenommen aus diesem Entwurf! Wir reden über Gepflogenheiten! Das ist etwas anderes!)






Raju Sharma


(A) (C)



(D)(B)


allein dadurch, dass man regelmäßig Geld bekommt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein anderes Thema! Jetzt geht es um die Strafbarkeit!)


– Ich komme gleich zum Thema Strafbarkeit und werde
Ihnen einen ganz konkreten Vorschlag machen.


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Sie reden über Gepflogenheiten!)


– Genau das ist ja das Problem. Auch da stellen sich Fra-
gen. Das alles erzeugt Misstrauen bei den Bürgerinnen
und Bürgern, und diesem Misstrauen müssen wir begeg-
nen; denn Vertrauen ist der wichtigste Wert in der Poli-
tik. Dieses Vertrauen müssen wir stärken.


(Beifall bei der LINKEN)


Eingangs wurde bereits erwähnt, dass es schon seit
langem Handlungsbedarf gibt. Ein Gesetzentwurf ist
überfällig. Die rot-grüne Regierung hat 2003 vieles ge-
macht, was wir als Linke überhaupt nicht gut finden. Die
Agenda 2010 ist nur ein Beispiel.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Burkhard Lischka [SPD]: Jetzt haben Sie die auch noch untergebracht! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Sharma, Hartz IV noch, bitte! Auslandseinsätze! – Jörg van Essen [FDP]: SPD dreht alles zurück!)


– Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich will
ausdrücklich loben, dass die SPD-geführte Bundesregie-
rung unter Gerhard Schröder im Jahr 2003 die UN-Kon-
vention gegen Korruption unterzeichnet hat. Das war
richtig gut; das haben Sie gut gemacht. Das Problem ist
– das ist schon gesagt worden –, dass es danach erst ein-
mal für lange Zeit einen Stillstand gab.

Im Moment haben wir die Situation, dass CDU, CSU
und FDP die Ratifizierung und Umsetzung weiterer
Richtlinien verhindern. Das finde ich bemerkenswert.
Erst am Montag haben wir über das Hilfspaket für Grie-
chenland abgestimmt. Nun sagt der Fraktionsvorsitzende
der FDP, Herr Brüderle, den Griechen, sie sollen Maß
halten, sie sollen die Korruption bekämpfen und sich
insgesamt am deutschen Michel orientieren. Dabei ha-
ben die Griechen, wie viele andere Staaten auch, im Ge-
gensatz zu Deutschland einen erweiterten Straftatbe-
stand, der die Abgeordnetenkorruption in umfassenderer
Weise unter Strafe stellt.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Und? – Marco Buschmann [FDP]: Man sieht ja, was das bringt!)


– Überlegen Sie sich gut, ob es richtig ist, über einen
Mitgliedstaat der Europäischen Union im Deutschen
Bundestag so hämisch zu lachen. Sie wollen Europäer
sein? Ich finde, das ist Häme, das ist deutsche Groß-
mannssucht.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Griechen haben entsprechende Richtlinien, genauso
wie die Finnen, die Franzosen und andere. Sie können
sich überall in Europa und in der Welt umgucken – es
wurde schon gesagt –: Deutschland steht auf einer Ebene
mit dem Sudan.

Zur CDU/CSU. Sie sind eigentlich die Fraktion von
Law and Order, die jeden Kiffer und jeden Falschparker
mit drakonischen Strafen versehen will. Jetzt schauen
Sie auf einmal weg, man hört, weitere Maßnahmen seien
nicht nötig; denn es geht um die eigene Sache, es geht
um eigene Privilegien. An die will man nicht herange-
hen. Das sind doppelte Standards, das ist doppelbödig,
und das ist nicht in Ordnung.


(Beifall bei der LINKEN)


Indem Sie seit Jahren verweigern, diesen Straftatbestand
einzuführen, betreiben Sie mindestens Arbeitsverweige-
rung. In einem anderen Zusammenhang wäre es Straf-
vereitelung im Amt.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg. Marco Buschmann [FDP])


Die verschiedenen Initiativen sind schon angespro-
chen worden. In dieser Wahlperiode waren die Linken
die Ersten: Wir haben im Jahr 2010 einen Gesetzentwurf
vorgelegt. Die Grünen folgten im Jahr 2011, die SPD in
diesem Jahr, im Jahr 2012. Wenn wir in diesem Tempo
weitermachen, legt die FDP vielleicht im Jahr 2014 ei-
nen Gesetzentwurf vor, vielleicht, weil dann die Wahlpe-
riode zu Ende ist. Alles andere weiß man auch nicht.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind dann nicht mehr im Bundestag!)


Das dauert alles viel zu lange. Wir müssen schneller
vorangehen. Deswegen ist die Initiative gut. Die Tolerie-
rung politischer Korruption, wie sie jetzt gehandhabt
wird, schwächt den Kampf gegen Korruption insgesamt.


(Beifall bei der LINKEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie mit Ihrer Rede auch!)


Zum Gesetzentwurf der SPD. Ich habe ihn wirklich
sorgfältig durchgelesen. Die erste Seite finde ich ganz
prima. Ich habe da ganz viele Haken angebracht. Alles
richtig: die Problembeschreibung, grundsätzlich die Lö-
sung, auch die Alternativen sind richtig beschrieben, und
zu den Kosten brauche ich nichts zu sagen.

Das Problem aber ist die Formulierung – das ist hier
schon gesagt worden –, dass Zuwendungen, die „parla-
mentarischen Gepflogenheiten“ entsprechen, ausgenom-
men werden sollen. Das ist sehr allgemein formuliert;
das sage ich auch als Jurist. Wenn ich so eine Formulie-
rung lese, gehen bei mir die Alarmglocken an. Das wird
noch näher ausgeführt. Hier heißt es, dass die Bewirtung
bei Informationsgesprächen und Festveranstaltungen in
Ordnung sein soll, dass das, was üblich ist, in Ordnung
sein soll. Die Teilnahme an sportlichen und kulturellen
Veranstaltungen soll in Ordnung sein, auch der unent-
geltliche Transport zu einer Veranstaltung und die Über-
nahme der Übernachtungskosten. Das Gleiche gilt für
Informationsreisen. Das sind genau die Beispiele, die Sie





Raju Sharma


(A) (C)



(D)(B)


in den Korruptionsrichtlinien der Landesregierungen fin-
den.


(Zurufe von der SPD: Nein! – Eben nicht!)


Die Landesregierungen untersagen all das ihren Beam-
ten und Angestellten.


(Christine Lambrecht [SPD]: Wir sind keine Beamten!)


– Darauf komme ich gleich zu sprechen. – All das wird
Beamten und Angestellten untersagt. Bei Abgeordneten
soll das alles möglich sein.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wehe, ich sehe einen von Ihnen demnächst beim Parlamentarischen Abend!)


Dann sind das alles parlamentarische Gepflogenheiten.

Auf diese Beispiele setzen Sie noch eines drauf, in-
dem Sie auf die „allgemeine Lebenserfahrung“ abheben.
Meine allgemeine Lebenserfahrung sagt mir etwas, was
ich hier nicht aussprechen möchte. Ich befürchte, dass
viele Bürgerinnen und Bürger das genauso sehen. Wir
können nicht die allgemeine Lebenserfahrung zum Maß-
stab für das Handeln machen und die Beurteilung dessen
in die Hände eines Staatsanwalts oder einer Staatsanwäl-
tin legen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus Hagemann [SPD]: Haben Sie das mit Herrn Ernst mal diskutiert, Herr Kollege?)


Das Problem ist, dass hier der Versuch unternommen
wird, Politikern Privilegien einzuräumen. Sie haben völ-
lig recht: Beamte sind keine Abgeordneten, und man
muss sie anders behandeln als Parlamentarier.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Andersherum gilt das auch!)


Der Grundsatz ist aber der gleiche – diesen Grundsatz
finden Sie in den Korruptionsrichtlinien und den ent-
sprechenden Erlassen –: Die Annahme von Aufmerk-
samkeiten kann ein Einfallstor für Korruption sein. Dem
müssen wir begegnen, weil genau das Misstrauen aus-
löst.

Ich nehme einmal ein ganz konkretes Beispiel: Wenn
meine Katze wegläuft und ein Polizeibeamter so freund-
lich ist, sie mir nach seinem Feierabend nach Hause zu
bringen, sodass ich überglücklich bin, darf ich ihm keine
Flasche Wein geben. Ich darf sie ihm zwar anbieten, aber
er muss dieses Dankeschön abschlagen. Bei Politikern
wäre das überhaupt kein Problem, und bei diesen bleibt
es auch nicht bei einer Flasche Wein.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Aber wir sammeln auch keine Katzen ein!)


Ich will Ihnen sagen, was wir brauchen: Wir brauchen
klare Regeln, um dem begegnen zu können. Eine klare
Regel wäre zum Beispiel eine Bagatell- oder Erheblich-
keitsgrenze.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen auch: Ich würde diese Grenze ziemlich
niedrig ansetzen. Ich würde sie bei 10 Euro ansetzen.
Für 10 Euro kann man sich durchaus von Herrn
Maschmeyer, wenn man das möchte, auf einen Kaffee
einladen lassen. Für 10 Euro ist sogar ein Stück Kuchen
drin. Wenn Sie aber ein Abendessen oder schöne Wein-
runden haben möchten, dann müssen Sie die selbst be-
zahlen. Das ist zumutbar. Wir bekommen anständige
Diäten, und wir erhalten Aufwandsentschädigungen.
Das ist alles möglich. Wir können das selbst bezahlen.
Ich möchte nicht, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern
der Eindruck entsteht, der Bundestag sei eine Schnor-
rerbude. Das ist er nämlich nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit der Strafbarkeit nichts zu tun!)


Ich komme zum Schluss. Es ist sinnvoll, Abgeordne-
tenkorruption unter Strafe zu stellen. Sinnvoll ist es, kein
Sonderrecht für Abgeordnete und Parlamentarier zu
schaffen. Bezüglich der Details sind wir immer zu Ge-
sprächen bereit. Statt dieses Placebogesetzes brauchen
wir endlich eine bittere Pille für korrupte Abgeordnete.
Das müssen wir schaffen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716303600

Jörg van Essen ist der nächste Redner für die FDP-

Fraktion.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1716303700

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe zu denen ge-

hört, die im Jahre 1993 zusammen mit dem Kollegen
Hans de With von der SPD den Versuch unternommen
haben, die Situation, die wir damals vorgefunden haben
– seit dem Jahr 1953, in dem eine entsprechende Bestim-
mung aufgehoben worden ist, hatten wir überhaupt keine
Strafbarkeit –, sorgfältig zu analysieren, auch im Rah-
men von Anhörungen.

Nachdem wir uns die verschiedenen Fragestellungen
sehr sorgfältig angeschaut hatten, waren wir gemeinsam
zu dem Vorschlag gekommen, die jetzige Vorschrift be-
züglich des Stimmenkaufs – § 108 e StGB – in den
Deutschen Bundestag einzubringen. Das ist damals auch
mit den Stimmen der SPD verabschiedet worden. Auch
die SPD hat damals – zu Recht, wie ich finde – gesagt,
dass alle Versuche, auch anderes Verhalten strafrechtlich
zu fassen, in die Irre führen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin der Auffassung, dass das weiterhin gilt.

Interessant ist im Übrigen, dass hier immer als Not-
wendigkeit angeführt wird, dass es internationale Ab-
kommen gibt – es gibt sie –, dass aber nie als Notwen-
digkeit angeführt wird, dass wir irgendeinen Fall haben,
der eigentlich bestraft gehört.





Jörg van Essen


(A) (C)



(D)(B)



(Christine Lambrecht [SPD]: Darauf kommt es nicht an!)


Ich bin sehr froh, dass das so ist. Ich finde, dass das
zeigt, was unsere wichtigste Aufgabe ist. Unsere vor-
nehmste Aufgabe ist nämlich, unsere Amtsverhältnisse
so zu gestalten, dass es nach Möglichkeit keine Beste-
chung im Bundestag und auch überhaupt keinen Anreiz
dafür gibt.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: So soll es auch bleiben! – Christine Lambrecht [SPD]: Jawohl!)


Deshalb möchte ich damit anfangen und nicht mit dem
Strafrecht, wie man es vielleicht von einem Oberstaats-
anwalt wie mir erwarten könnte.


(Burkhard Lischka [SPD]: Es geht nicht nur um den Bundestag, Herr van Essen! Das wissen Sie!)


Der erste Punkt bei der Verhinderung von Korruption,
der mir ganz wichtig ist, ist: Ein Parlament darf nicht zu
klein werden. In einem kleinen Parlament bestimmt
praktisch der einzelne Berichterstatter, was verabschie-
det wird; dies macht ihn anfällig für Angebote. In einem
Parlament wie unserem, in dem schon in den Fraktionen
breit diskutiert wird, merken die Kollegen sehr schnell,
wenn ein Kollege, dessen Meinung man in aller Regel
kennt, plötzlich andere Auffassungen vertritt. Die Kolle-
gen werden dann überrascht nachfragen und dafür sor-
gen, dass die Argumente, wenn es keine guten sind, nie
das Licht des Deutschen Bundestages erblicken. Das ist
aktive Vorbeugung gegen Korruption.

Der zweite Punkt, der mir ganz wichtig ist – auch das
spielt kaum eine Rolle in der Diskussion –, ist, dass wir
Abgeordnete brauchen, die nicht von der Politik abhän-
gig sind,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


die einen Beruf haben, in den sie zurückkehren können.
Wer beispielsweise Rechtsanwalt ist und nach der Zeit in
der Politik wieder als Rechtsanwalt tätig werden kann,
wer wie ich Beamter ist und eine Garantie hat, in den
Beruf zurückkehren zu können, der wird sich ganz an-
ders verhalten als jemand, der nicht über einen solchen
Beruf verfügt und deshalb große Sorgen hat, was aus
ihm wird. So jemand wird eher Gefälligkeiten umsetzen
als jemand, der vor seiner Zeit im Deutschen Bundestag
einen Beruf ausgeübt hat, in den er zurückkehren kann,
und der daher selbstbewusster ist.


(Burkhard Lischka [SPD]: Jetzt fehlt nur noch das Katzenbeispiel!)


Deshalb – das ist der nächste Aspekt, den ich gerne
ansprechen möchte – brauchen wir Verhaltensregeln, die
Transparenz schaffen. Ich glaube, dass wir da gut voran-
gekommen sind.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen Ihren Willen!)


Ich gestehe zu – ich schaue den Kollegen Beck an –,
dass ich da und dort kritisch war.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten das gar nicht!)


Aber ich muss sagen: Manches, das ich kritisch gesehen
habe, hat sich inzwischen bewährt. Transparenz führt na-
türlich auch dazu, dass weniger Korruption stattfinden
kann. Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt bei der Vor-
beugung von Korruption im Deutschen Bundestag.

Ich glaube, dass das bei uns bisher sehr gut funktio-
niert hat. Wenn ich mich recht entsinne, dann hat es bis-
her nur zwei Fälle von wirklichem Stimmenkauf gege-
ben; das wäre strafbar gewesen. Das war das Kaufen von
Stimmen durch die Stasi der DDR bei einem Votum
1972.


(Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ja, Herr Kollege.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716303800

Darf der Kollege Montag Ihnen eine Zwischenfrage

stellen?


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1716303900

Bitte.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716304000

Herr Kollege Montag, bitte schön.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716304100

Danke schön, Kollege van Essen, ich hatte auf die Er-

laubnis des Präsidenten gewartet. – Sie führen, wie ich
finde, völlig zu Recht aus, dass wir im Deutschen Bun-
destag seit vielen Jahren zum Glück überhaupt keinen
Fall von Bestechung oder Bestechlichkeit kennen und
dass es in der Vergangenheit nur sehr wenige Fälle gege-
ben hat. Würden Sie mir zustimmen, dass dieser Blick-
winkel auf den Deutschen Bundestag bei dieser Debatte
über die Strafbarkeit viel zu eng ist?


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Denn die internationalen Verträge, die wir eingegangen
sind, und die Gesetzentwürfe, die hierzu in der Vergan-
genheit und auch jetzt vorgelegt worden sind, umfassen
alle Abgeordneten der Kommunen, der Bezirke, der
Länder und des Bundes. Für die Zehntausenden von
Kolleginnen und Kollegen auf allen diesen Ebenen ist
das Bild schon ein bisschen anders, Herr Kollege van
Essen.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1716304200

Vielen Dank. – Sie haben jetzt einen Punkt angespro-

chen, auf den ich ohnehin gekommen wäre. Dafür bin
ich Ihnen ganz dankbar; denn so spare ich Redezeit.

Was, glaube ich, sehr hilft – das ist der erste Teil mei-
ner Antwort –, ist unsere offene Immunitätsregelung.





Jörg van Essen


(A) (C)



(D)(B)


Bei uns weiß jeder Abgeordnete: Wenn er etwas pek-
ziert, dann findet sofort Strafverfolgung statt. Bei uns
wird nicht so verfahren wie in Frankreich, wo ganz lange
Immunität herrscht und irgendwann, ganz spät, Strafver-
folgung stattfindet.

Da Sie praktizierender Rechtsanwalt sind – auch ich
komme aus dem Bereich der Justiz –, wissen Sie: Je spä-
ter eine Verhandlung stattfindet, desto günstiger ist dies
für den Beschuldigten bzw. den Angeklagten, weil sich
die Zeugen dann schlechter erinnern können. Deshalb
trägt unsere offene Immunitätsregelung mit dazu bei,
dass solch strafwürdiges Verhalten bei uns seltener vor-
kommt als in anderen Ländern.


(Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz)


Was Sie zu Recht angesprochen haben – Herr Kol-
lege, ich möchte weiter auf Ihre Frage antworten –,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerne!)


ist die Situation insbesondere in den Kommunalparla-
menten. Dort gab es entsprechende Vorgänge; das ist un-
bestreitbar. Ich weise allerdings darauf hin, dass der
Bundesgerichtshof in einer Entscheidung deutlich ge-
macht hat, dass die Vorschrift des § 108 e StGB viel wei-
ter auszulegen ist, dass sie als Unternehmensdelikt aus-
gestaltet ist und dass die Strafbarkeit deshalb schon sehr
früh beginnt.

Sie, Frau Kollegin Lambrecht, haben in dieser De-
batte wieder die Behauptung aufgestellt, dass das Ganze
ins Leere läuft.


(Christine Lambrecht [SPD]: Nein! Das stimmt so nicht! Es besteht Regelungsbedarf! – Burkhard Lischka [SPD]: Nein! Der BGH hat Regelungsbedarf angemahnt!)


Wer sich die Entscheidung des Bundesgerichtshofes an-
schaut, stellt fest: Der BGH hat sehr deutlich gemacht,


(Christine Lambrecht [SPD]: Dass Regelungsbedarf besteht! Das hat er deutlich gemacht!)


dass das Gericht dies übersehen hat und unsere Entschei-
dung, den § 108 e StGB als Unternehmensdelikt aus-
zugestalten, auch die Möglichkeit eröffnet, ein solches
Verhalten, beispielsweise in Kommunalparlamenten,
strafrechtlich zu erfassen.


(Christine Lambrecht [SPD]: Das sieht der BGH aber völlig anders! Sie mögen das Urteil ja gelesen haben! Sie haben es aber wohl nicht verstanden!)


Von daher bin ich der Auffassung, dass wir eine ganze
Menge unternommen haben, um unser Parlament nach
Möglichkeit von Korruption frei zu halten.


(Ansgar Heveling [CDU/CSU]: So ist es!)


Es hat hier immer wieder eine Rolle gespielt, welche
internationalen Vereinbarungen von den verschiedenen
Bundesregierungen, insbesondere von der rot-grünen
Bundesregierung, abgeschlossen worden sind. Daran er-

innere ich mich sehr gut. Die rot-grüne Bundesregierung
ist von allen damals im Bundestag vertretenen Fraktio-
nen – von der SPD als stärkster Fraktion, von der CDU/
CSU, von den Grünen und von der FDP – gebeten wor-
den, die Konvention nicht zu unterzeichnen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht! – Christine Lambrecht [SPD]: Das stimmt nicht! – Burkhard Lischka [SPD]: Was?)


– Das war so.


(Christine Lambrecht [SPD]: Nein!)


Ich war bei den Gesprächen mit der Bundesregierung
selbst dabei.


(Burkhard Lischka [SPD]: Für die FDP mag das gelten! – Christine Lambrecht [SPD]: Das gilt vielleicht für Sie! Für uns gilt das nicht!)


Die Bundesregierung ist selbstverständlich von allen
Fraktionen gebeten worden, die Konvention nicht zu un-
terzeichnen.

Was war der Grund dafür, dass alle Fraktionen dies
gefordert haben? Der Grund war sehr nachvollziehbar.
Es war nämlich beabsichtigt, in dieser internationalen
Konvention alle Amtsträger


(Christine Lambrecht [SPD]: Ja, Amtsträger! Das war der Knackpunkt!)


einschließlich der Abgeordneten gleichzubehandeln.
Das ist angesichts unseres nationalen Rechts nicht umzu-
setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Ich habe deutlich gemacht: Ich bin von der Ausbil-
dung her Jurist und von Beruf Oberstaatsanwalt – und
damit Beamter. Somit war vollkommen klar: Wenn ich
bei Ermittlungen ein Gespräch geführt habe, habe ich
kein Geschenk angenommen; das ist für Beamte ein
ganz klarer Pflichtenkreis. Aber als Abgeordneter gilt
für mich Art. 38 des Grundgesetzes. Wenn man zum
Beispiel – es sind ja schon einige Beispiele angeführt
worden – einen Betrieb besichtigt, etwa einen Bäckerei-
betrieb, dann bekommt man danach in aller Regel ein
Gastgeschenk.


(Christine Lambrecht [SPD]: Ja! – Burkhard Lischka [SPD]: Ja, und? Kein Problem!)


Es ist auch eine Frage der Höflichkeit, dieses dann anzu-
nehmen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber es fehlt die Unrechtsvereinbarung! – Christine Lambrecht [SPD]: Ja! Es fehlen dann aber der Auftrag und die Weisung! – Burkhard Lischka [SPD]: Das ist doch gar kein Problem!)


– Woher wissen Sie denn, dass die Unrechtsvereinba-
rung fehlt?





Jörg van Essen


(A) (C)



(D)(B)



(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Ihrem Beispiel fehlt sie! – Burkhard Lischka [SPD]: In Ihrem Beispiel!)


Das wäre nämlich der nächste Satz gewesen, den ich sa-
gen wollte: Damit wird häufig der Wunsch verbunden,


(Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: So ist es!)


dass man sich für die Interessen des Betriebes, die ge-
rade vorgestellt und in aller Regel gut begründet worden
sind, einsetzt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieses Geschenk dürfen Sie jetzt schon nicht annehmen!)


Das macht deutlich, dass wir hier in einer ganz schwieri-
gen Situation sind.

Die Kollegin Lambrecht hat die Erwartung geäußert,
dass die Staatsanwälte all das, was die SPD formuliert
hat, nicht so eng sehen würden.


(Christine Lambrecht [SPD]: Mit Augenmaß!)


Das ist doch schier unfassbar! Wir befinden uns hier im
Bereich des Strafrechts.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Und hier gilt das Bestimmtheitsgebot. Es kann nicht
sein, dass Sie irgendwelche Hoffnungen gegenüber den
Strafverfolgern äußern,


(Christine Lambrecht [SPD]: Ich habe keine Hoffnungen, ich habe Vertrauen!)


sondern es muss doch ganz klar definiert sein, was straf-
bar ist und was nicht.


(Christine Lambrecht [SPD]: Auftrag und Weisung! – Burkhard Lischka [SPD]: Ja, das haben wir doch gemacht!)


– Dass Sie es nicht gemacht haben, hat Ihnen der Kol-
lege Raju Sharma ja schon vorgeführt. Sie normieren et-
was in dem einen Paragrafen, und im nächsten Absatz
führen Sie aus, was alles nicht strafbar sein soll. Das ist
doch schier unfassbar.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716304300

Herr Kollege van Essen, darf auch der Kollege

Ströbele eine Zwischenfrage stellen?


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1716304400

Beim Kollegen Ströbele tue ich mich immer ganz

schwer, aber bitte sehr.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Respekt vor allen Abgeordneten! Wir sind alle gleich, lieber Kollege!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Warum eigentlich, Herr Kollege van Essen?


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1716304500

Sie können sich denken, dass Oberstaatsanwälte mit

Ihnen Probleme haben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/ CSU]: Das hat gesessen! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber unterirdisch! Das war jetzt wirklich unterste Schublade! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sind Sie hier als Abgeordneter oder als Oberstaatsan-
walt?

Herr Kollege van Essen, nehmen Sie zur Kenntnis,
dass in unseren Gesetzentwurf eine Vorschrift aus dem
Strafgesetzbuch, die seit Jahrzehnten geltendes Recht ist,
nämlich die Verwerflichkeitsklausel im Nötigungspara-
grafen, deshalb aufgenommen worden ist, um klar und
deutlich zu machen, dass es nach allgemeiner Meinung
– hier muss der Staatsanwalt gar nicht großzügig sein –
nicht verwerflich ist, wenn Sie in der Bäckerei ein Bröt-
chen annehmen. Deshalb kommt hier Strafbarkeit gar
nicht in Betracht.

Dieser Tatbestand im Nötigungsparagrafen hat sich
– in Anführungsstrichen – weitgehend bewährt. Sie kön-
nen doch nicht sagen, das sei zu allgemein. Das ist vom
Bundesverfassungsgericht immer wieder abgesegnet und
dort aufgenommen worden.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1716304600

Es ist so, ja. Sie führen ja selber aus, dass das sehr all-

gemein ist.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Dann müssen Sie es auch ändern!)


Wir haben die Diskussion hierzu ja schon mehrfach ge-
führt. Es sei insbesondere darauf hingewiesen, dass sich
auch der Deutsche Anwaltverein dazu geäußert hat und
dass wir daher eine breite Unterstützung dafür haben,
dass der Vorschlag, den Sie gemacht haben – das gilt ins-
besondere für die Verwendung des Begriffs „verwerf-
lich“ –, nicht zielführend ist.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Stimmt!)


Deshalb muss ich Ihnen sagen, dass wir diesen Weg
nicht gehen werden. Ich bin im Übrigen dankbar, dass
auch die SPD diesen Weg nicht gegangen ist, weil sie
genau gemerkt hat, dass die Kritik, die an dieser Formu-
lierung erhoben worden ist, zutrifft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es allerdings richtig, dass die SPD mit ihrer
Vorschrift deutlich gemacht hat, dass für Abgeordnete
eine andere Regelung als für Beamte gefunden werden
muss.





Jörg van Essen


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Eva Högl [SPD]: Logisch! – Burkhard Lischka [SPD]: Jetzt kommen wir zum Kern!)


Damit unterscheidet sich die SPD ganz deutlich von den
Linken. Ich glaube, dass das der Weg sein muss, wenn
man zu einer Lösung kommen will.

Ich kann jedem nur empfehlen – damit will ich meine
Ausführungen schließen –, einen wirklich bemerkens-
werten Aufsatz zu lesen, den nicht eine Abgeordnete,
sondern eine Strafverteidigerin, Regina Michalke, in der
Festschrift für Professor Hamm geschrieben hat. Dort
hat sie sich mit all diesen Argumenten ganz außerordent-
lich gut auseinandergesetzt. Das ist nicht nur für Juristen
verständlich, das können auch Historiker, gelernte So-
zialwissenschaftler oder andere sehr gut lesen.

Wenn Sie den Artikel gelesen haben, wissen Sie, wa-
rum wir uns so schwer damit tun. Eine wirklich befriedi-
gende Abgrenzung – auf der einen Seite die Freiheit des
Mandats und auf der anderen Seite die Anforderungen,
die wir an Beamte stellen – und strafrechtliche Lösung
finden wir hier nicht. Deshalb sollten wir, wie ich finde,
unseren Schwerpunkt weiter auf einen Weg legen, mit
dem wir sehr viel Erfolg hatten, nämlich darauf, durch
Prävention zu verhindern, dass es überhaupt zu entspre-
chenden Handlungen von Kolleginnen und Kollegen des
Deutschen Bundestages kommt.

Eine Bemerkung ganz zum Schluss: Es liegt ein neuer
Vorschlag auf dem Tisch. Dies ist ein neuer Ansatz. Des-
halb ist es ganz selbstverständlich, dass wir uns in den
parlamentarischen Beratungen mit diesem Vorschlag der
SPD auseinandersetzen und dass wir gucken, was mög-
lich und was nicht möglich ist. Das ist ganz selbstver-
ständlich und gehört auch mit zu einer parlamentari-
schen Debatte.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716304700

Jerzy Montag hat nun das Wort für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716304800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zu Ihnen
sage ich heute: Willkommen an Bord! Seit 2005 be-
schäftige ich mich im Deutschen Bundestag mit der Ab-
geordnetenbestechung.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Noch nichts Brauchbares herausgekommen!)


Wir haben darüber schon sehr viele Debatten geführt. In
all diesen Debatten haben Sie immer gesagt, dass etwas
getan werden muss. Es hat zwar sehr lange gedauert,
aber jetzt sind Sie dabei. Das freut uns.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will zuallererst etwas zu dem sagen, was uns hof-
fentlich eint. Korruption ist ein Verhalten, das in der
Kommune, im Land, in Europa und im globalen Ausmaß
wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe verursacht.

Korruption zersetzt die Moral. Sie eliminiert Grundsätze
ethischen Verhaltens und fördert Gier und Egoismus.
Korruption zerstört demokratische und rechtsstaatliche
Strukturen. Sie vernichtet die Bindung der Bürokratie an
Recht und Gesetz.

Korruption folgt dem Gesetz des Dschungels. Des-
halb muss sie bekämpft werden, national und internatio-
nal. Das geschieht mit Verhaltenskodizes, durch Schu-
lungen und Ausbildung und auch auf gesetzlichem
Wege. Auf internationaler Ebene geschieht es durch die
Eingehung internationaler Verträge. Das ist im Grund-
satz die Position der jetzigen Bundesregierung, und das
war die Position der früheren Bundesregierungen. Heute
geht es darum, was wir jetzt machen müssen. Deshalb
will ich mich nicht über die Vergangenheit, ob 1999,
2003 oder wann auch immer, äußern. Wir reden über die
Situation 2012 und über die Zukunft.

Uns liegt das Strafrechtsübereinkommen über Kor-
ruption des Europarats vor. Deutschland ist Gründungs-
mitglied des Europarats. Wir haben dieses Abkommen
mit ausgearbeitet. Wir gehören zu den Erstunterzeich-
nern. Im Rahmen des Europarats ist das Abkommen seit
zehn Jahren in Kraft. 43 der 47 Mitgliedstaaten des Eu-
roparats haben es ratifiziert. Wir gehören zu den letzten
Staaten, die es noch nicht ratifiziert haben. Das ist eine
Schande.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch die Konvention der Vereinten Nationen gegen
Korruption, die seit 2005 in Kraft ist, liegt uns vor. Auch
daran hat Deutschland im Rahmen der UNO konstruktiv
mitgearbeitet. 160 Staaten haben sie ratifiziert. Nicht un-
terschrieben haben Nordkorea, Somalia und der Tschad,
nicht ratifiziert haben Saudi-Arabien, Sudan, Syrien,
Myanmar und Deutschland. Das ist ebenfalls eine
Schande.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Beide Verträge fordern von uns, dass wir bestechliche
und bestochene Mitglieder inländischer öffentlich-recht-
licher Vertretungskörperschaften, die Gesetzgebungsbe-
fugnisse ausüben – das sind Abgeordnete –, unter Strafe
stellen. So der Europarat.

Die Vereinten Nationen definieren Personen, die
durch Wahl ein Amt im Bereich der Gesetzgebung aus-
üben. Das sind Abgeordnete.

Worum es nicht geht, ist eine Gleichsetzung mit
Amtsträgern. Es geht auch in diesen völkerrechtlichen
Verträgen nicht um die Gleichsetzung. Es gibt eine Dif-
ferenzierung. Diese kann aber nicht bedeuten, dass es bei
Amtsträgern keine Bestechung geben darf, dass dies je-
doch für Abgeordnete nicht gelten soll. Eine solche Dif-
ferenzierung zwischen Amtsträgern und freien Abgeord-
neten wollen Sie doch sicherlich nicht. Das können Sie
nicht verlangen, meine Damen und Herren von der
Union und der FDP.





Jerzy Montag


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich will an dieser Stelle nur am Rande auf einen Völ-
kerrechtsvertrag von 1997 hinweisen, Herr Kollege van
Essen, nämlich das OECD-Übereinkommen über die
Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger
im internationalen Geschäftsverkehr. Dieses völker-
rechtliche Abkommen hat die damalige schwarz-gelbe
Regierung verhandelt und unterschrieben. In dieser völ-
kerrechtlichen Vereinbarung wird gefordert, eine Straf-
barkeit einzuführen für – Zitat – „eine Person, die in ei-
nem anderen Staat durch … Wahl ein Amt im Bereich
der Gesetzgebung … innehat“. Diese Formulierung ist
identisch mit denjenigen aus den Völkerrechtsverträgen
von 1999 und 2003.

Berichterstatter waren Herr Kollege Geis und Sie,
Herr van Essen. Als der Straftatbestand der Bestechung
ausländischer Abgeordneter im Sommer 1998 eingeführt
worden ist, gab es hier eine Debatte. Ich habe gestern die
Protokolle nachgelesen. In dieser Debatte hat lediglich
der Kollege van Essen ganz kurz dazu Stellung genom-
men. Sie haben diese Strafvorschrift in dem neuen Ge-
setz ausdrücklich begrüßt.

Deswegen ist es unglaubwürdig und auch ein biss-
chen heuchlerisch,


(Jörg van Essen [FDP]: Ist es überhaupt nicht!)


wenn Sie jetzt so tun, als wenn erst unter Rot-Grün eine
falsche völkerrechtliche Richtung bei der Bekämpfung
internationaler Kriminalität eingeschlagen worden wäre.


(Jörg van Essen [FDP]: Nein!)


Es wurde nur den bewährten Spuren gefolgt, die Sie be-
reits gezogen hatten. Nur weigern Sie sich heute, die
Konsequenzen daraus zu ziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Völlig falsch!)


In der Debatte im letzten Jahr haben Kolleginnen und
Kollegen von der Union behauptet, die Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs würde eine Ungleichbehandlung
von Amtsträgern und Abgeordneten fordern, und zwar in
der Richtung, dass Abgeordnete von Strafbarkeit freizu-
sprechen seien.


(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Das hat niemand behauptet!)


Sie haben die BGH-Rechtsprechung für sich rekla-
miert. Nun will ich Ihnen einmal einen Auszug aus der
Wuppertal-Entscheidung des Bundesgerichtshofs im
Wortlaut vorlesen – Zitat –:

Die enge gesetzliche Regelung der Strafbarkeit des
Stimmenkaufs

… führt nach dem ausdrücklichen Willen des Ge-
setzgebers dazu, weite Teile von als strafwürdig
empfundenen Manipulationen im Zusammenhang
mit Wahlen und Abstimmungen in Volksvertretun-

gen … straflos zu stellen. Der Senat sieht hier ge-
setzgeberischen Handlungsbedarf …


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: In Bezug auf kommunale Mandatsträger!)


– Nein, in Bezug auf Mandatsträger – ohne eine Be-
schränkung auf kommunale. Aber selbst diesbezüglich
handeln Sie ja nicht.

Deutlicher kann die Rechtsprechung in der Bundesre-
publik Deutschland nicht sein. Der Auftrag liegt auf dem
Tisch, und wir müssen ihn endlich erfüllen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Im Übrigen sieht auch das Grundgesetz nicht vor,
dass bestochene und bestechliche Abgeordnete von
Strafe freigestellt werden. So ist die Freiheit des Man-
dats in Art. 38 Grundgesetz nun wirklich nicht zu verste-
hen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wir diskutieren fünf Gesetzentwürfe, zwei von der
Linken, zwei von uns und einen von der SPD. Bei allen
haben Union und FDP immer behauptet, die Entwürfe
seien zu ungenau, zu unpräzise, zu schwammig. Die
Union hat mit diesem Argument allerdings noch nie auf
ein Strafgesetz verzichtet.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das stimmt allerdings!)


Den Bürgern muten Sie auch manchmal ungenaue, un-
präzise und schwammige Formulierungen zu.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!)


Für sich reklamieren Sie allerdings eine Sonderbehand-
lung. Das ist unglaubwürdig, und das geht nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wenn Sie wirklich der Meinung sind, unsere Gesetz-
entwürfe seien nicht ausreichend, dann legen Sie endlich
selbst einen vor, über den wir diskutieren können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Haben wir bereits!)


Insbesondere der Vorwurf, in den Gesetzentwürfen,
insbesondere in dem der Grünen, würden unbestimmte
Rechtsbegriffe verwendet, ist ein geradezu lächerliches
Argument. Das Strafgesetzbuch strotzt vor unbestimm-
ten Rechtsbegriffen.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ja, genau!)


Diese muten Sie den Bürgerinnen und Bürgern alle zu,
weil wir eine funktionierende, objektive und unabhän-
gige Justiz haben, die in der Lage ist, auch unbestimmte





Jerzy Montag


(A) (C)



(D)(B)


Rechtsbegriffe im Strafrecht nach dem Bestimmtheits-
grundsatz auszudeuten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das gilt in gleicher Art und Weise auch für die Aufgabe,
der wir uns jetzt zu stellen haben.

Die Zeit reicht nicht, um noch einige kritische Worte
zum Gesetzentwurf der SPD zu sagen. Das werden wir
in den Beratungen tun. Ich will schließen, indem ich
sage – da greife ich sehr gerne Ihre Schlussbemerkung,
Herr Kollege van Essen, auf –: Jenseits der Positionie-
rungen in der ersten Lesung müssen wir – das ist poli-
tisch evident – zu einer Lösung kommen, die es uns er-
möglicht, in der internationalen Korruptionsbekämpfung
nicht lächerlich dazustehen. Deswegen müssen wir ge-
meinsam eine Lösung finden. Ich hoffe, dass Ihr Beitrag
und die Tatsache, dass auch die SPD jetzt dabei ist, ein
Anlass sind, dass wir uns interfraktionell zu Gesprächen
zusammenfinden und an der bestmöglichen Lösung ar-
beiten.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716304900

Das Wort hat nun Wolfgang Götzer für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1716305000

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Als sich der Deutsche Bundestag 1993 mit der Frage be-
schäftigte, wie der Tatbestand der Abgeordnetenbeste-
chung gesetzlich geregelt werden könnte und sollte, kam
man nach intensiven Beratungen und einer Sachverstän-
digenanhörung zu dem Ergebnis, eine Erweiterung des
Tatbestands der Abgeordnetenbestechung über den
Stimmenkauf hinaus abzulehnen. Ich möchte jedem
empfehlen – das wurde heute schon von meinen Vorred-
nern zitiert –, die Begründung der Gesetzentwürfe der
CDU/CSU und der FDP einerseits und der SPD anderer-
seits dazu noch einmal genau zu studieren.

Die Begründungen ebenso wie die vorgeschlagenen
Gesetzesänderungen sind in den Gesetzentwürfen der
CDU/CSU und FDP und der SPD identisch. Das ist ein
höchst seltener und umso bemerkenswerterer Vorgang.


(Jörg van Essen [FDP]: Und die SPD war vorangegangen!)


– Die SPD war vorangegangen. – Die Grünen haben ih-
ren Gesetzentwurf dann zurückgezogen, sodass es zu ei-
ner überwältigenden Mehrheit für den § 108 e StGB, wie
er jetzt gültig ist, gekommen ist.

Ich darf einige wenige Sätze aus der identischen Be-
gründung beider Gesetzentwürfe zitieren:

Bei der Art des Aufgabenbereichs der Abgeordne-
ten ist es jedoch nicht möglich, solche andersarti-
gen Handlungen, die Gegenstand einer Bestechung
sein könnten, begrifflich in einem klar abgegrenz-
ten Tatbestand zu erfassen. …

Eine hinreichend klare Abgrenzung läßt sich auch
nicht dadurch erreichen, daß – wie verschiedentlich
vorgeschlagen – dem Tatbestand Merkmale wie „in
verwerflicher Weise“, „in pflichtwidriger Weise“
oder

– jetzt kommt der Ausdruck, der auch im SPD-Entwurf
vorkommt –

„den Gepflogenheiten eines ehrenhaften Abgeord-
neten unangemessen“ beigefügt werden …

Auch die Aufnahme einer der Bestimmung des
§ 240 Abs. 2 StGB entsprechenden Rechtswidrig-
keitsklausel ist nicht zu befürworten.

Das ist aus der Begründung der Gesetzentwürfe. Ich
kann beim besten Willen nicht erkennen, dass sich an
dieser Sach- und Rechtslage irgendetwas grundlegend
geändert hat.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In 19 Jahren kann man dazulernen!)


Über mehr als zehn Jahre war diese Regelung, die da-
mals, wie gesagt, mit überwältigender Mehrheit be-
schlossen wurde, auch nicht umstritten. Seit einigen Jah-
ren wird das Thema nun wieder verstärkt behandelt und
beschäftigt den Bundestag allmählich jährlich, teils mit
neuen, teils mit aufgewärmten Gesetzentwürfen. Dabei
sind die Argumente doch hinlänglich ausgetauscht.

Was ist der Grund dafür, dass das Thema der Abge-
ordnetenbestechung seit einigen Jahren wieder verstärkt
thematisiert wird? Sind etwa einschlägige Vorkomm-
nisse, Fälle oder gar eine Häufung derselben in den letz-
ten Jahren aufgetreten? Das Beispiel des Kollegen
Sharma ist nun wahrlich nicht geeignet, eine solche Ver-
schärfung zu begründen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Bundestag hat es nach meiner Erinnerung in den letz-
ten Jahren nichts dergleichen gegeben, was Anlass zu ei-
ner Verschärfung des Straftatbestandes der Abgeordne-
tenbestechung geben würde.

Nun berufen sich die Befürworter einer solchen Ver-
schärfung – das haben wir heute wieder gehört – man-
gels tatsächlicher Erfordernisse gerne auf internationale
Übereinkommen, insbesondere der VN und des Europa-
rats, gegen Korruption, die von der damaligen rot-grü-
nen Bundesregierung unterzeichnet worden sind, wor-
über insbesondere die Abgeordneten der SPD damals
alles andere als begeistert waren.

Auch der aktuelle Gesetzentwurf der SPD kritisiert
– wir haben es heute wieder gehört –, dass Deutschland
zu den wenigen Vertragsstaaten gehört, die bis heute ins-
besondere das VN-Übereinkommen nicht in nationales
Recht umgesetzt haben. Warum hat der Deutsche Bun-





Dr. Wolfgang Götzer


(A) (C)



(D)(B)


destag diesem Abkommen bis heute nicht zugestimmt?
Der entscheidende Punkt – ich sage es noch einmal –,
der gegen eine Ratifizierung dieser Abkommen damals
wie heute spricht, ist: Beide Abkommen stellen Abge-
ordnete ausdrücklich mit Amtsträgern gleich.


(Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)


Eine solche Gleichstellung ist aber nicht nur sachwidrig,
sie ist auch mit unserem Verfassungsverständnis nicht
vereinbar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Burkhard Lischka [SPD]: Das steht doch gar nicht im Gesetzentwurf!)


Darüber sind sich – das ergibt sich auch aus den Debat-
tenbeiträgen des letzten Jahres – jedenfalls die Fraktio-
nen der demokratischen Parteien in diesem Hause einig.
Weitere Ausführungen dazu möchte ich mir deshalb an
dieser Stelle ersparen.

Obwohl der damaligen rot-grünen Bundesregierung
der grundlegende Unterschied zwischen Amtsträgern
und Abgeordneten klar war, hat sie seinerzeit bei der Zu-
stimmung zu den beiden internationalen Abkommen kei-
nen entsprechenden Vorbehalt erklärt – was sie hätte ma-
chen können.

Gerne versucht man auch heute wieder die Forderung
nach Ratifizierung des VN-Abkommens damit zu unter-
mauern, dass inzwischen, wie ich glaube, 158 Staaten
diese vollzogen hätten und außer Deutschland nur noch
Länder wie Syrien, Saudi-Arabien oder Nordkorea nicht
dabei seien.


(Jörg van Essen [FDP]: Aber solche Länder wie Italien sind dabei!)


Das überzeugt mich aber nun am allerwenigsten.
Schauen wir uns doch einmal umgekehrt an, welche
Länder diese Abkommen ratifiziert haben: Pakistan,
Afghanistan,


(Christine Lambrecht [SPD]: USA! Norwegen!)


Iran, China,


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Frankreich! Großbritannien! Norwegen!)


Russland, Kuba,


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Italien!)


Libyen unter Gaddafi usw. Ich glaube, da erübrigt sich
jeder Kommentar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Burkhard Lischka [SPD])


Die Forderung nach Verschärfung des Tatbestands der
Abgeordnetenbestechung wird auch heute wieder wie im
SPD-Gesetzentwurf darauf gestützt, dass eine Recht-
sprechung des BGH eine solche Verschärfung angeblich
erforderlich mache. Dazu möchte ich klar sagen: Das
angeführte Urteil aus dem Jahr 2006 bezieht sich aus-
drücklich auf kommunale Mandatsträger. Deren Rechts-

stellung ist eine andere als die von Landtags- und Bun-
destagsabgeordneten.


(Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)


Damit möchte ich zusammenfassend feststellen: Da
es in den letzten Jahren im Bereich des Deutschen Bun-
destages keine Vorkommnisse gab, die eine Verschär-
fung der Strafvorschrift der Abgeordnetenbestechung er-
forderlich erscheinen lassen,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die konnten nicht ermittelt werden!)


da des Weiteren schwerwiegende Gründe gegen eine Ra-
tifizierung der einschlägigen internationalen Abkommen
sprechen und da sich keine Handlungsverpflichtung aus
höchstrichterlicher Rechtsprechung herleiten lässt, gibt
es, verehrte Kolleginnen und Kollegen, keinen Rege-
lungsbedarf.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Umso fragwürdiger und hinterfragungswürdiger ist
es, dass dieses Thema immer wieder hochgespielt wird;
denn dadurch wird – entgegen der Realität – der Ein-
druck erweckt, Korruption bei Parlamentariern sei ein
großes Problem.


(Christine Lambrecht [SPD]: Nein!)


Damit stellt man die Abgeordneten in Gesamtheit unter
Generalverdacht.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nur durch Ihre Weigerung entsteht der Eindruck! – Weitere Zurufe von der SPD)


Das ist durch nichts gerechtfertigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Leider leistet dem auch der SPD-Gesetzentwurf in seiner
Begründung Vorschub.

Die Gefahr, dass Abgeordnete unberechtigt öffentli-
chen Anschuldigungen und damit Vorverurteilungen
ausgesetzt werden,


(Zuruf des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])


würde im Übrigen noch verstärkt, wenn der Tatbestand
des § 108 e StGB mit unscharfen Formulierungen und
unbestimmten Rechtsbegriffen angereichert würde, wie
sie bislang alle Änderungsvorschläge enthalten.


(Beifall des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])


Alle bisher bekannten Formulierungsvorschläge werden
den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots des
Art. 103 Grundgesetz nicht gerecht.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Machen Sie doch einmal einen Vorschlag!)


– Sie kennen doch die Schlussfolgerung meiner Argu-
mentation, werte Kollegin: weil es nicht möglich ist.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie wollen es nicht! Das ist doch die Wahrheit!)






Dr. Wolfgang Götzer


(A) (C)



(D)(B)


Ich beziehe mich dabei auf die damals einvernehmlich
auch von SPD und Grünen übernommene Begründung
von 1993: Weil es nicht möglich ist, das, was Sie regeln
wollen, juristisch in einen sauberen, klar abgrenzbaren
Tatbestand zu fassen.


(Christine Lambrecht [SPD]: Nur große Worte bei der Korruptionsbekämpfung, keine Taten!)


Ich sage noch einmal: Keiner der vorgelegten Vor-
schläge genügt den Anforderungen des Bestimmtheits-
gebots in Art. 103 Grundgesetz. Das gilt auch für den
jetzt eingebrachten Gesetzentwurf der SPD. Da ist zum
Beispiel von „parlamentarischen Gepflogenheiten“ die
Rede. Ja, wer bestimmt denn im Fall des Falles, was da-
runter zu verstehen ist?


(Christine Lambrecht [SPD]: Ein Blick in die Begründung hilft da schon ein bisschen!)


Sollen das die Staatsanwaltschaften machen?

Auch die Begründung des SPD-Entwurfes, verehrte
Kollegin Lambrecht, spricht im Übrigen die grundsätzli-
che Schwierigkeit an, bei diesem Thema überhaupt zu
einer hinreichend klaren Formulierung zu kommen. Sie
sprechen zwar die Schwierigkeiten an, scheitern aber an
ihnen.

Meine Damen und Herren, die wirksamsten Mittel ge-
gen Korruption sind öffentliche Kontrolle und parlamen-
tarische Transparenz.


(Jörg van Essen [FDP]: Genau!)


Das ist gerade in einer Demokratie mit einer kritischen
Medienöffentlichkeit effektiver als jede Strafdrohung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)


Dass die Kontrolle durch die Öffentlichkeit funktioniert,
kann niemand bezweifeln. Und was die Transparenz an-
geht, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Durch die Ver-
schärfung unserer Verhaltensregeln haben wir gezeigt,
dass es uns ernst damit ist.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716305100

Das Wort hat nun Eva Högl für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Endlich mal wieder eine gute Rede!)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1716305200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

bin immer optimistisch, und deswegen bin ich heute in
der Hoffnung in die Debatte gegangen, dass sich die Ko-
alitionsfraktionen nicht länger verschließen, sondern
endlich erkennen, dass wir dringend eine Regelung brau-
chen, um Abgeordnetenbestechung unter Strafe zu stel-
len.

Denn die Stimmen hatten sich gemehrt. Die Staatsse-
kretärin im Bundesjustizministerium hat bereits vor zwei
Jahren angekündigt, die Bundesregierung setze alles da-

ran, die UN-Konvention zur Bekämpfung von Korrup-
tion umzusetzen. Unabhängig davon, dass wir es nicht
als eine Aufgabe der Bundesregierung ansehen, fand ich
das sehr ambitioniert formuliert.

Auch unser Bundestagspräsident, der heute schon ein
paar Mal erwähnt wurde, hat sich mehrfach sehr deutlich
dazu geäußert, dass er ebenfalls dafür sei. Jüngst hat
auch Ex-Finanzminister Theo Waigel – das hat mich
sehr überrascht, aber auch gefreut – an Sie appelliert und
offensichtlich sogar die bayerische Justizministerin auf-
gefordert, einen Entwurf vorzulegen und endlich tätig zu
werden.

Ich bin heute also in der Hoffnung in die Debatte ge-
gangen, dass sich bei Ihnen endlich etwas bewegt, und
da wir einen exzellenten Vorschlag für die Strafbarkeit
der Abgeordnetenbestechung gemacht haben, hatte ich
gehofft, dass Sie sich zumindest dieser Debatte nicht
weiter grundsätzlich verschließen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, es besteht Handlungsbedarf. Ich will – das ist
schon erwähnt worden – zur UN-Konvention noch eines
sagen: Mich hat es einigermaßen erstaunt, Frau Voßhoff,
dass Sie heute in die Debatte eingeworfen haben, es sei
ein Fehler gewesen, diese Konvention zu unterzeichnen.
Ich denke, wir sind uns hier in diesem Haus einig, dass
internationale Vereinbarungen eingehalten werden und
dass wir sie nicht dem politischen Tagesgeschäft und der
aktuellen Meinung unterwerfen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind uns in diesem Haus sicherlich auch einig, liebe
Kolleginnen und Kollegen, dass uns die Tatsache, dass
Staaten, bei denen wir uns wundern, dass sie einzelne
Konventionen unterzeichnet haben, die Übereinkommen
auch umgesetzt haben, nicht daran hindern darf, unsere
international eingegangenen Verpflichtungen zu erfül-
len.


(Beifall bei der SPD)


Jetzt stellen wir uns bitte einmal die Botschaft vor, die
von diesem Haus ausgehen würde, wenn wir sagen wür-
den: Wir bekräftigen hier, dass wir uns nicht an diese so
wichtige Konvention halten. – Das kann ich mir über-
haupt nicht vorstellen, und deswegen schließe ich an das
an, was schon gesagt wurde: Es ist peinlich, dass wir zu
den wenigen Staaten gehören, die noch nicht unterzeich-
net haben. – Auch Bundestagspräsident Lammert hat ge-
sagt, dass wir uns damit nicht nur statistisch, sondern
auch politisch in einer schwierigen Gesellschaft befin-
den.


(Beifall bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Er sollte vielleicht einmal den Artikel von Frau Michalke lesen! Danach hat er vielleicht eine andere Meinung!)


– Das haben Sie ihm ja schon an die Hand gelegt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um das Ver-
trauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik. Wir
wissen ganz genau, dass das Vertrauen der Bürgerinnen





Dr. Eva Högl


(A) (C)



(D)(B)


und Bürger in die Integrität der Volksvertreterinnen und
Volksvertreter auch von dieser Frage abhängt und dass
es nicht besonders groß ist. Dazu, Herr Kollege van
Essen, brauchen wir keinen Fall von Abgeordnetenbe-
stechung. Schließlich sind wir alle froh und dankbar,
dass wir es nicht massenhaft mit solchen Fällen zu tun
haben.


(Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)


Vielmehr setzt uns schon die Tatsache, dass Sie sich
verschließen, gemeinsam eine sinnvolle, praktikable Re-
gelung zu finden, dem unberechtigten, unnötigen und
absolut vermeidbaren Verdacht aus, wir hätten irgend-
etwas zu verbergen. Dieses Signal müssen wir ganz drin-
gend verhindern.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Allein der Verdacht reicht aus, das Vertrauen in uns und
unsere Politik zu beschädigen oder zu reduzieren.

Meine Damen und Herren, das deutliche Signal
„Nein, wir sind nicht bestechlich!“ muss von uns, muss
vom Deutschen Bundestag ausgehen. Es ist unsere Auf-
gabe, das Vertrauen herzustellen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich stelle bei der Debatte fest, dass unser Gesetzent-
wurf überhaupt nicht gelesen worden ist. Denn da wird
etwas „hineingeheimnist“, was da überhaupt nicht drin-
steht. Deswegen will ich noch einmal ganz deutlich sa-
gen, dass die Unrechtsvereinbarung der entscheidende
Punkt ist. Wir füllen den Begriff vom freien Mandat des
Abgeordneten – nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grund-
gesetzes sind wir nicht an Aufträge und Weisungen ge-
bunden und nur unserem Gewissen unterworfen – mit
dieser Regelung in unserem Gesetzentwurf aus. Wir
wollen eben nicht, dass Abgeordnete an Aufträge und
Weisungen gebunden sind.

Natürlich haben wir um den Vorteilsbegriff gerungen.
Das ist ein ganz schwieriger Punkt; wir wissen das. Aber
wir alle wollen nicht unter Verdacht geraten, wenn wir
an einem parlamentarischen Abend teilnehmen. Da
möchte ich einmal die Frage stellen, was Sie auf einem
parlamentarischen Abend machen, Herr Kollege
Sharma. Entscheidend ist, dass wir nach dem Besuch ei-
nes parlamentarischen Abends oder nach der Teilnahme
an einem Abendessen eben nicht Aufträge erhalten oder
Weisungen entgegennehmen.

Das ist der entscheidende Gesichtspunkt in unserem
Gesetzentwurf. Wir formulieren den Sachverhalt sehr
konkret. Die Aufnahme des Abs. 3 in § 108 e StGB, wie
wir sie in unserem Gesetzentwurf vorsehen, ist daher
sehr wichtig. Ich bitte darum, das genau nachzulesen.
Durch den Verweis auf die parlamentarischen
Gepflogenheiten soll der Vorteilsbegriff eingegrenzt
werden. Wir sagen, dass alles, was den parlamentari-
schen Gepflogenheiten unterliegt, vom Vorteilsbegriff
nicht umfasst wird. Das ist eine ganz wichtige Eingren-
zung.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716305300

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Montag?


Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1716305400

Selbstverständlich.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716305500

Danke schön, Herr Präsident. Danke sehr, Frau Kolle-

gin Högl. – Sie haben gerade gesagt, Ihr Gesetzentwurf
sei im Hohen Hause offensichtlich nicht gelesen worden.
Ich für meinen Teil möchte das zurückweisen.


(Jörg van Essen [FDP]: Ich auch!)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1716305600

Ihnen habe ich das auch nicht unterstellt.


(Jörg van Essen [FDP]: Ich hoffe, mir auch nicht!)


– Nein.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716305700

Ich habe ihn intensiv gelesen. Sie haben in diesem

Abs. 3 – das ist von Ihnen sicherlich gut gemeint – be-
schrieben, was eine Ausnahme in Bezug auf den Vor-
teilsbegriff ist. Ein Vorteil ist zwar immer noch ein Vor-
teil, aber kein Vorteil im Sinne des Gesetzes, wenn er
den parlamentarischen Gepflogenheiten entspricht.

Ich möchte Sie fragen, wie Sie sich das in der Praxis
vorgestellt haben. Soll es ein geschlossener Begriff sein?
Das würde bedeuten, dass sich die Justiz beim zuständi-
gen Parlament der Gemeinde XY erkundigt, was dort die
Gepflogenheiten sind, wenn sie einen entsprechenden
Fall auf dem Tisch hat. Wenn die Wildwuchsgepflogen-
heiten dieses Parlaments so sind, wie sie sind, dann ist
die Strafbarkeit offen. Oder soll es ein offener Begriff
sein? Das würde bedeuten, dass die Staatsanwaltschaft
und damit die Justiz bestimmen, was parlamentarische
Gepflogenheiten sind. Beide Varianten halte ich für un-
möglich. Können Sie uns erklären, was Sie genau mei-
nen?


Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1716305800

Selbstverständlich. Ich möchte aber zunächst voraus-

schicken, dass ich großes Vertrauen in unsere Staatsan-
waltschaften, in unsere Richterinnen und Richter und in
die Justiz allgemein habe.


(Beifall bei der SPD)


Das spiegelt sich in diesem Gesetzentwurf wider. Mit
Blick auf Ihre Frage möchte ich auch sagen, dass ich es
bedenklich finde, dass schon die Bejahung eines An-
fangsverdachts manchmal politische Karrieren verhin-
dern kann. Deswegen tun wir uns so schwer bei der Kon-
kretisierung dieses Vorteilsbegriffs.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber jetzt die Antwort auf meine Frage!)






Dr. Eva Högl


(A) (C)



(D)(B)


Ich kann mir vorstellen, dass wir in der weiteren Be-
ratung den Begriff „parlamentarische Gepflogenheiten“
weiter konkretisieren. Es gibt schon einen Kanon dessen
– dieser Punkt ist heute schon angesprochen worden –,
was wir unter parlamentarischen Gepflogenheiten ver-
stehen. Ich nenne beispielsweise die Einladung zu einem
Essen und die Teilnahme an einer Veranstaltung mit In-
teressenvertreterinnern und Interessenvertretern.

Ich möchte aber so weit wie möglich konkretisieren,
was parlamentarische Gepflogenheiten sind. Ich kann
mir vorstellen – darüber müssen wir uns noch einmal un-
terhalten; das gilt auch für meine Fraktion –, dass wir ei-
nen Katalog erstellen, der entsprechende Hinweise ent-
hält. Wir müssen uns, wie gesagt, Gedanken darüber
machen, was wir unter parlamentarischen Gepflogenhei-
ten verstehen. Ich möchte diesen Begriff nicht so unbe-
stimmt wie möglich lassen, sondern ihn so weit wie
möglich konkretisieren; denn ich halte die Konkretisie-
rung für den entscheidenden Gesichtspunkt in unserem
Gesetzentwurf.

In der Vergangenheit gab es immer schon Debatten
darüber, wie man den Vorteilsbegriff eingrenzen kann.
Ich sage es noch einmal: Ich bin optimistisch, dass wir
auf Basis unseres Vorschlages, den ich für sehr praktika-
bel und sehr gut durchdacht halte – logischerweise; wir
haben uns sehr viele Gedanken darüber gemacht –, zu ei-
ner gemeinsamen Haltung kommen und den richtigen
Weg finden.

Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass wir un-
sere Vorschläge zum Thema, was man gegen Abgeord-
netenbestechung tun kann, in einem Paket mit anderen
Maßnahmen sehen. Das Stichwort „Transparenz und Of-
fenheit im Deutschen Bundestag“ ist schon gefallen. Wir
haben auch Vorschläge auf den Tisch gelegt, was die Be-
schäftigung von Externen in der Bundesverwaltung und
was das Lobbyregister angeht. Ich bitte sehr darum, dass
wir uns gemeinsam diese Vorschläge ansehen. Es wäre
ein starkes Signal des Deutschen Bundestages, wenn wir
uns selbst verpflichten würden, mehr Transparenz wal-
ten zu lassen. Damit würden wir uns nicht mehr grundlo-
sen Verdächtigungen aussetzen, sondern wir würden et-
was dafür tun, dass das Vertrauen in uns und unsere
Politik gestärkt wird. Unser Gesetzentwurf dient dazu,
die Korruption zu bekämpfen und gegen diesen General-
verdacht anzugehen. Deswegen bitte ich – hier greife ich
das auf, was Sie, Herr Kollege van Essen, gesagt haben –
darum, dass wir in die Diskussion eintreten und dass wir
uns gemeinsam bemühen und allen Sachverstand zusam-
mennehmen, um eine gute Regelung zu finden. Wir kön-
nen nicht ohne Regel bleiben, sondern wir müssen die
Abgeordnetenbestechung unter Strafe stellen. Wir haben
Handlungsbedarf. Ich hoffe, dass diese Debatte das
heute auch gezeigt hat. Wir haben einen guten Vorschlag
vorgelegt. Schließen Sie sich dem an! Kommen Sie in
die Diskussion mit uns!

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716305900

Das Wort hat nun Ansgar Heveling für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1716306000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

beschäftigen uns in dieser Legislaturperiode nunmehr
mit dem dritten Gesetzentwurf zur Regelung der Abge-
ordnetenbestechung. Nach mehr als einer Stunde De-
batte zu diesem Gesetzentwurf der SPD heute im Ple-
num des Bundestages gibt es wahrscheinlich kaum ein
Argument, das nicht schon in irgendeiner Form ange-
sprochen worden ist.

Alle vorgelegten Entwürfe nehmen Bezug auf die bei-
den internationalen Übereinkommen gegen Korruption,
nämlich die UN-Konvention vom 30. Oktober 2003 und
das Strafrechtsübereinkommen des Europarates über
Korruption vom 27. Januar 1999. Deutschland hat beide
Übereinkommen bisher noch nicht ratifiziert.

In der Begründung des SPD-Entwurfes heißt es, dass
es ein peinlicher Umstand sei, dass wir das UN-Überein-
kommen bisher noch nicht in nationales Recht umgesetzt
haben.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt auch!)


Das mag man so sehen. Es ist hier im Plenum bei den
vorausgegangenen Debatten ebenso wie bei der heutigen
Debatte stets eingewandt worden, dass dieser Vorgang
uns nicht erst in dieser Wahlperiode betrifft. Insofern
handelt es sich, wenn überhaupt, um eine fortwirkende
Peinlichkeit, die auch andere politische Konstellationen
betrifft.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir versuchen, das zu beenden!)


In meiner letzten Rede dazu habe ich schon sehr ausführ-
lich aus einem Plenarprotokoll des Jahres 2008 zitiert;
das könnte ich hier heute bei Bedarf gerne wiederholen.
Aber ich glaube, es ist allen noch präsent.

Lassen Sie mich eines vorab klarstellen: Für Deutsch-
land und für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist
die Bekämpfung von Korruption ein wichtiges Anliegen.
Wir meinen, dass es dabei nicht nur um formelle Rege-
lungen gehen darf. Dessen sollten wir uns bei der ganzen
Diskussion stets bewusst sein, insbesondere wenn wir
auf die 158 Staaten schauen, die die genannten Konven-
tionen schon ratifiziert und/oder umgesetzt haben. Hier
kann man sich das eine oder andere Land anschauen;
Kollege Götzer hat Libyen unter Gaddafi genannt.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Was sagen Sie zu den USA? – Christine Lambrecht [SPD]: Norwegen, Finnland, Italien, Frankreich!)


– Dazu komme ich gleich auch noch. Hören Sie erst ein-
mal beide Sätze an. Ich habe „eines“ gesagt. Darauf folgt
meistens noch ein „Zweites“.





Ansgar Heveling


(A) (C)



(D)(B)


Erstens. Es gibt Länder wie Libyen unter Gaddafi: Da
muss man sehen, dass die Buchstaben eines Gesetzes
zwar Recht schaffen mögen, es aber etwas anderes ist,
wie man Recht lebt. Dies ist auch eine Frage des gesell-
schaftlichen Gesamtumganges. Das mag für das eine
oder andere Land zutreffen. Das ist der eine Punkt.

Zweitens. Dann gibt es noch einige andere Länder. Zu
denen gehören Frankreich, aber auch die USA,


(Christine Lambrecht [SPD]: Norwegen!)


die rechtssystematische Unterschiede zu uns haben. Die
Unterscheidung zwischen Amtsträgereigenschaft und
Mandatsträgereigenschaft in der Form, wie wir sie ha-
ben, kennen sie eben nicht. Insofern darf man das nicht
über einen Kamm scheren.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das tun wir doch auch nicht! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist das Besondere unseres Gesetzentwurfs, dass wir das nicht tun!)


Man muss, wenn man auf die anderen Länder schaut,
sehr differenziert hinsehen.

Sie scheren das insofern über einen Kamm, als Sie auf
die Peinlichkeit hinweisen, dass eine Konvention nicht
umgesetzt wurde. Es lohnt sich schon, dort genauer hin-
zuschauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es muss natürlich auch darauf hingewiesen werden,
dass Deutschland schon jetzt über ein sehr hohes straf-
rechtliches Schutzniveau bei der Bekämpfung von Kor-
ruption verfügt.


(Lachen der Abg. Christine Lambrecht [SPD])


Für Abgeordnete ist der Stimmenkauf und der -ver-
kauf in § 108 e des Strafgesetzbuches strafrechtlich ge-
regelt. Für Amtsträger gibt es die §§ 331 ff. des Strafge-
setzbuches. Es ist daher sehr genau hinzuschauen und
die Frage zu stellen, ob es überhaupt eine Lücke gibt, die
jetzt geschlossen werden muss.

Schauen wir uns ganz genau an, was in den letzten
Jahren beim Thema Abgeordnetenbestechung passiert
ist. Sämtliche Gesetzesinitiativen scheiterten doch stets


(Burkhard Lischka [SPD]: An der Union!)


daran, dass es nicht wirklich gelang, den Bereich des ei-
gentlich strafbaren Verhaltens des Abgeordneten genau
zu bestimmen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie scheiterten an Ihnen!)


Das gelingt auch dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion
nicht. Ich möchte unterstellen, dass dieser Gesetzentwurf
genauso wie andere Gesetzentwürfe – das habe ich
schon in meinen vorherigen Reden ausgeführt – von dem
guten Willen getragen ist, eine Regelung zu finden.


(Christine Lambrecht [SPD]: Dann machen Sie einen besseren Vorschlag!)


Aber gerade der geänderte § 108 e Abs. 3 des Strafge-
setzbuches zeigt, dass auch Sie versuchen, durch eine

Negativabgrenzung für mehr Klarheit zu sorgen. Aber
das misslingt; denn die Formulierungen sind zu unbe-
stimmt. So heißt es in der Begründung Ihres Gesetzent-
wurfs:

Um die im parlamentarischen Verkehr üblichen
Verhaltensweisen aus der Strafbarkeit auszuklam-
mern, nimmt der Gesetzentwurf Zuwendungen, die
parlamentarischen Gepflogenheiten entsprechen,
explizit aus dem Vorteilsbegriff heraus.

Genau daran krankt der Gesetzentwurf. Wie kann man
diesen Begriff ausfüllen, und wie kann das politisch Er-
laubte vom strafrechtlich Verbotenen abgegrenzt wer-
den? In der Konsequenz würde das Staatsanwälten und
Strafrichtern eine kaum einzugrenzende und eine kaum
zu kontrollierende Einflussnahme auf das parlamentari-
sche System eröffnen. Deswegen kann ich nur festhal-
ten: Was erlaubt ist und was nicht, ist im Gesetzentwurf
zu unbestimmt dargestellt. Es wird eine praktisch kaum
einzugrenzende Grauzone geschaffen.

Was aber könnte für klare Bestimmungen herangezo-
gen werden? Ist es die Geschäftsordnung des Deutschen
Bundestages, die die Abgeordneten schon jetzt in eini-
gen Bereichen zu Transparenz verpflichtet und gemäß
der Angaben zum Teil veröffentlicht werden müssen und
zum Teil auch nicht? Trägt der Rückgriff auf die Verhal-
tensregeln für Abgeordnete in irgendeiner Form dazu
bei, parlamentarisch übliches Verhalten und die entspre-
chenden Gepflogenheiten klar einzugrenzen? Was macht
eine politisch übliche und sozial adäquate Verhaltens-
weise überhaupt aus? Ist eine Bewirtung erlaubt, und,
wenn ja, in welchem Umfang, oder wäre das schon eine
solche Vorteilsnahme? Vielleicht ist dabei auch die
Frage entscheidend, wo eine Bewirtung stattfindet, ob in
Berlin oder auf Sylt. Müsste dann jede Einladung von ei-
nem Interessenvertreter oder ein Treffen mit einem sol-
chen offengelegt werden?


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist neben der Sache! – Christine Lambrecht [SPD]: Was hat das mit unserem Gesetzentwurf zu tun?)


Wenn nicht, liegt es dann zum Beispiel in der Hand des
jeweiligen politischen Gegners, zu entscheiden, was so-
zial adäquat ist und ob der Staatsanwalt eingeschaltet
wird?


(Christine Lambrecht [SPD]: So wie im richtigen Leben auch!)


Kurzum: Damit wären Tür und Tor für ungerechtfertigte
Ermittlungsverfahren geöffnet,


(Burkhard Lischka [SPD]: Das ist in einem Rechtsstaat so! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Kennen Sie das AR-Register nicht?)


die möglicherweise zu Wahlzwecken oder zur Ausschal-
tung des politischen Gegners eingeleitet werden bzw.
– das ist der entscheidende Punkt – eingeleitet werden
müssten. Denn die Staatsanwaltschaft müsste – so sieht
es Ihr Gesetzentwurf vor – in Fällen, in denen ein sol-
cher Anschein besteht, Ermittlungen aufnehmen. Somit





Ansgar Heveling


(A) (C)



(D)(B)


muss die Staatsanwaltschaft bestimmen, was den politi-
schen Gepflogenheiten entspricht. Was bleibt aber übrig,
wenn es zu einem Ermittlungsverfahren kommt?


(Christine Lambrecht [SPD]: Das ist bei anderen Bürgern auch so! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Selbst beim Bundespräsidenten!)


Da ist ein Abgeordneter, gegen den ein Ermittlungsver-
fahren geführt wurde, und es kommt nicht mehr darauf
an, ob es zu Recht oder zu Unrecht geführt wurde. Das
zeigt: Auch der SPD gelingt es in ihrem Gesetzentwurf
nicht, mehr Klarheit zu schaffen.

Insgesamt muss man festhalten, dass die Kernpro-
bleme in zwei Bereichen bestehen. Zum einen gibt es
das Problem bei der Unterscheidung zwischen der Man-
datsträgereigenschaft und der Amtsträgereigenschaft.


(Christine Lambrecht [SPD]: Diese Unterscheidung ist ja wohl zu leisten!)


Zum anderen gibt es daraus folgend das Problem, den
Bereich des politisch Erlaubten klar zu umreißen. In den
internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der
Korruption ist generell nur von Amtsträgern die Rede.
Dies mag für andere Rechtssysteme passen, nicht aber
für unser Rechtssystem, das deutlich zwischen Mandats-
und Amtsträger unterscheidet.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie ich bereits am 8. April 2011 zum Gesetzentwurf
der Linken ausgeführt habe, haben Amtsträger anders als
Abgeordnete einen ganz klar umrissenen Pflichten- und
Aufgabenkreis.


(Burkhard Lischka [SPD]: Darum geht es doch in unserem Gesetzentwurf überhaupt nicht! – Christine Lambrecht [SPD]: Was hat das mit unserem Gesetzentwurf zu tun?)


Um nur einige Abgrenzungskriterien zu nennen: Sie sind
weisungsgebunden und treffen und vollziehen im Rah-
men von Diensthandlungen Einzelentscheidungen, die
nicht an den Amtsträger gebunden und damit nicht per-
sonengebunden sind. Demgegenüber bedeutet das freie
Mandat, das in Art. 38 grundgesetzlich verankert ist,
dass der gewählte Abgeordnete sein Mandat im Parla-
ment frei ausübt und dafür nur seinem Gewissen unter-
worfen und an keine Aufträge und Weisungen gebunden
ist.


(Christine Lambrecht [SPD]: Und deswegen wollen wir das straffrei stellen!)


Das ist im Übrigen auch vom Bundesgerichtshof so be-
stätigt worden.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das ist ein Plädoyer für unseren Antrag!)


Natürlich vertreten Abgeordnete in ihrer Mandatsaus-
übung Interessen, und das müssen sie sogar.


(Christine Lambrecht [SPD]: Richtig!)


Aus diesen Interessen formt sich dann im parlamentari-
schen Prozess das allgemeingültige Recht. Interessenge-
leitetes Handeln und Öffentlichkeit sind dabei zwei

einander bedingende und sich gegenseitig ausbalancie-
rende Elemente politischen Handelns.

Ich vertraue – das darf ich abschließend sagen – auf
die in Deutschland meines Erachtens schon sehr gut
funktionierenden Instrumente: auf das Gewissen eines
jeden Mandatsträgers, die strafrechtlichen Sanktionen,
die Transparenz durch Verhaltensregeln für Abgeordnete
und durch eine aktive Zivilgesellschaft, darauf, dass die
politischen Folgen von Fehlverhalten klar diskutiert wer-
den,


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716306100

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1716306200

– darauf, dass wir eine funktionierende Beobachtung

und Kontrolle durch die Öffentlichkeit, insbesondere
durch die Medien, haben und dass es eine funktionie-
rende gegenseitige Kontrolle durch die unterschiedli-
chen politischen Institutionen und Fraktionen gibt. Zum
Schluss: Ich vertraue natürlich den Wählerinnen und
Wählern, dass sie unser Verhalten schon richtig beurtei-
len können.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das können wir in der Tat!)


Wir werden uns einer weiteren Diskussion nicht ver-
schließen


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716306300

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1716306400

– und haben dazu in der Ausschussberatung ausrei-

chend Gelegenheit.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716306500

Das Wort hat nun Burkhard Lischka für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Bravo! Guter Mann!)



Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1716306600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, ich habe
Ihnen jetzt über eine Stunde sehr aufmerksam zugehört
und all Ihre Argumente, die Sie gegen eine Regelung zur
Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung hier ins Feld
geführt haben, vernommen: die Besonderheiten des par-
lamentarischen Betriebs, die manches Mal schwierige
Abgrenzung zwischen einer zulässigen politischen Ein-
flussnahme und einer unzulässigen Bestechung, die Ge-
fahr, dass der Ruf eines Abgeordneten durch eine Straf-
anzeige beschädigt wird, dass er ein Mandat verliert und,
und, und.





Burkhard Lischka


(A) (C)



(D)(B)


Ich frage mich allerdings: Ist das nur hier in Deutsch-
land so, oder warum haben gleichwohl mehr als
150 Staaten weltweit – fast alle europäischen Länder,
fast alle Demokratien dieser Welt – eine Regelung zur
Abgeordnetenbestechung hinbekommen?


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nur wir in Deutschland diskutieren seit über neun Jahren
und kriegen überhaupt nichts auf die Reihe. Woran liegt
das eigentlich? Das ist doch die Kernfrage. Darauf haben
Sie in dieser Debatte überhaupt keine Antwort gegeben.
Das macht sie so bedrückend und so peinlich.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


All die Argumente, die Sie hier vortragen, gelten
doch nicht nur für uns hier in Deutschland, sondern für
jede Demokratie weltweit. Natürlich haben das Parla-
ment und der einzelne Parlamentarier eine besondere
Rolle, die es zu schützen gilt. Natürlich ist es manches
Mal schwierig, die zulässige Einflussnahme von der un-
zulässigen Bestechung abzugrenzen. Aber dass diese
Abgrenzung unmöglich wäre, so wie Sie behaupten,
wird doch durch alle Demokratien mit entsprechenden
Regelungen widerlegt, und zwar schon seit Jahren und
Jahrzehnten. Das ist doch der springende Punkt.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb drängt sich der Verdacht auf, dass es sich um
Schutzbehauptungen handelt. Viele von denen, die uns
zugehört haben, werden sagen: Das ist eine Art Selbst-
privilegierung, der Sie hier das Wort reden. Darüber
können wir nur den Kopf schütteln. – Im Ausland stößt
das mittlerweile auch auf Unverständnis, wie wir alle
wissen.

Nein, meine Damen und Herren, bei dieser Debatte
geht es um eine gefährliche und beunruhigende – ich
finde sogar: eine fast unfassbare – Strafbarkeitslücke.
Jede Demokratie lebt doch zunächst einmal von dem
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger darauf, dass wir
Parlamentarier Vertreter des ganzen Volkes sind und uns
nicht in die Abhängigkeit zu irgendwelchen Geldgebern
begeben, dass die Auseinandersetzungen hier im Parla-
ment mit Argumenten geführt werden und nicht durch
die Bestechung einzelner Abgeordneter beeinflusst wer-
den.

Andere Länder haben das offensichtlich verstanden.
Es ist eben ein strafwürdiges Unrecht, wenn sich ein
Volksvertreter, der dem Gemeinwohl verpflichtet ist,
schmieren lässt. Es ist ein Skandal, wenn das in Deutsch-
land nach wie vor noch weitestgehend straflos ist.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das schadet der Demokratie, und das schadet der politi-
schen Kultur in unserem Land. Es schadet mittlerweile
auch dem Ansehen der Republik. Dafür tragen Schwarz
und Gelb mit ihrer beharrlichen Verweigerungsstrategie
die Verantwortung.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich darf einmal ein Fazit der heutigen Debatte ziehen.
Ich glaube, Sie haben bis heute eines nicht verstanden:
Die Bestechung eines Abgeordneten ist der wohl
schwerste Angriff auf ein Parlament und auf die Funk-
tionsweise einer Demokratie, den man sich überhaupt
vorstellen kann. Gerade wir Parlamentarier haben die
Aufgabe und die Pflicht, unsere Demokratie vor solchen
Angriffen zu schützen. Eine Rechtsordnung, die es un-
terlässt, ihre Rechtserzeuger vor solchen Angriffen zu si-
chern, verliert auf Dauer an Legitimation. Es schadet üb-
rigens uns allen, wenn wir uns als unfähig erweisen,
unsere Demokratie in diesem wichtigen Punkt zu vertei-
digen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Unser Gesetzentwurf, den wir von der SPD hier ein-
gebracht haben, zeigt, dass wir es mit der Korruptionsbe-
kämpfung ernst meinen, und zwar auch dann, wenn es
um unsere eigene Zunft geht. Dieser Gesetzentwurf
zeigt, dass wir unsere eigenen Angelegenheiten transpa-
rent regeln können. Dieser Gesetzentwurf zeigt, dass wir
das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere
Volksvertretungen stärken wollen. Dieser Gesetzentwurf
zeigt schließlich auch, dass wir uns nicht damit abfinden
wollen, dass wir international betrachtet inzwischen die
rote Laterne haben, wenn es darum geht, den Kernbe-
reich politischer Entscheidungsprozesse zu schützen.

Ihre Reaktion zeigt mir nur eines: Sie von Union und
FDP sind nicht willens und in der Lage, etwas zu regeln,
was international inzwischen zum Standard gehört, näm-
lich parlamentarische Entscheidungsprozesse vor Kor-
ruption zu schützen. Dass wir uns damit international
betrachtet inzwischen in der Glaubwürdigkeitsfalle be-
finden, das ist Ihnen offensichtlich vollkommen egal. Sie
wollen keine Regelung; Sie denken nicht einmal ernst-
haft über eine Lösung nach. Deshalb sage ich Ihnen: Sie
können diesen Gesetzentwurf ablehnen und sich dann
weiter im Nichtstun üben; aber spätestens 2013, unter
der neuen rot-grünen Bundesregierung, werden wir das
regeln, und zwar sofort und ohne Wenn und Aber.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Dann werden sich Herr Beck und Herr Ströbele einig?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716306700

Das Wort hat nun Siegfried Kauder für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wer-
den auch beim fünften Mal scheitern, wenn wir über eine
Lösung beim Thema Abgeordnetenbestechung diskutie-
ren. Viermal hat es nicht geklappt; beim fünften Mal
wird es wieder nicht klappen,





Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)



(A) (C)



(D)(B)



(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das liegt aber an Ihnen! Weil Sie es nicht wollen!)


wenn man immer versucht, die Abgeordnetenbestechung
an einen Straftatbestand anzudocken, der schlicht und
ergreifend nicht auf das parlamentarische Verhalten
passt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Man kann es nicht schöner sagen als der Bundesge-
richtshof, 5. Senat, in einer Entscheidung vom 9. Mai
2006, Randziffer 29, wo es heißt:

Amtsausübung ist etwas anderes als Mandatsaus-
übung.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das bestreitet doch keiner! – Christine Lambrecht [SPD]: Das sagen wir doch!)


Derjenige, der eine Amtspflicht wahrnimmt, ist bei sei-
ner Entscheidung ersetzbar; er ist gebunden an Vor-
schriften, an die wir nicht gebunden sein wollen und dür-
fen.


(Christine Lambrecht [SPD]: Dem trägt unser Gesetzentwurf Rechnung!)


Der Abgeordnete ist frei und muss eine freie Entschei-
dung treffen können.


(Zuruf von der SPD: Ja, genau! Das meint dieser Gesetzentwurf!)


Meine lieben Kollegen, was mich am meisten irritiert,
ist der Umstand, dass ich wieder einen Begriff vorfinde,
den der Kollege Ströbele einmal beim Verfassungsge-
richt erwähnt hat. Sie alle fühlen sich „normativ unfrei“,
weil es Verträge gibt, an die Sie sich gebunden fühlen,
die Sie umsetzen wollen. Sie müssen doch überlegen:
Welchen Sachverhalt wollen Sie regeln? Oder wollen
Sie nur einem Vertrag, den eine Regierung unterschrie-
ben hat, nachfolgen?


(Christine Lambrecht [SPD]: Wir sind selbstbewusste Abgeordnete!)


Wir sind das Parlament und entscheiden, was wir zu tun
haben; wir lassen uns nicht an die Entscheidung einer
Regierung binden.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716306800

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Montag?

Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Gerne.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716306900

Danke schön, Herr Kollege Kauder. – Sie haben wie

in Ihren früheren Reden so auch jetzt auf die Differenz,
auf den Unterschied zwischen einem Amtsträger und ei-
nem frei gewählten Abgeordneten abgestellt. Ich gebe
Ihnen völlig recht: Das ist etwas ganz anderes. Die Frage

ist – ich stelle sie Ihnen –: Was ist das Wesen des Unter-
schieds? Insbesondere in unserer Debatte stellt sich die
Frage: Ist der Unterschied zwischen dem Mandatsträger
und dem Amtsträger derjenige, dass der Amtsträger
nicht bestochen werden darf, während der freie Abge-
ordnete bestochen werden darf? Wenn dies das Wesen
des Unterschieds wäre, dann wären Sie, Herr Kollege
Kauder, auf einem Irrweg.


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Das war unter Ihrem Niveau, Herr Kollege!)


Wenn das aber der Unterschied nicht ist, dann können
wir selbstverständlich auf eine dem Mandat gemäße Art
und Weise die Strafbarkeit der Bestechung einführen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU):

Herr Kollege Montag, Sie sind Strafrechtler wie ich
auch. Sie wissen genau, was die Voraussetzungen für
eine Bestechung oder eine Bestechlichkeit, für die Vor-
teilsannahme oder das Anbieten einer Leistung sind.
Nicht einmal diese Differenzierungen macht dieser Ge-
setzentwurf. Was eigentlich unter Strafe gestellt werden
soll, ist keine Bestechung, weil wir keine pflichtwidrige
Diensthandlung vornehmen können; es wäre allenfalls
eine Vorteilsannahme.


(Burkhard Lischka [SPD]: Aber sicher! Wenn Sie gegen Ihre innere Überzeugung handeln!)


Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Schon die Be-
grifflichkeiten stimmen nicht.

Wir nehmen keine Dienstpflichten wahr. Wir entschei-
den. Wir sind auch nicht objektiv, wir können subjektiv
sein, wir dürfen Interessen von Bürgern verfolgen – also
ein grundlegender Unterschied. Solange Sie das Verhal-
ten, das Sie inkriminieren wollen, an den Strafvorschrif-
ten zu Bestechung und Bestechlichkeit festmachen, wer-
den Sie scheitern, weil es dazu nicht passt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die SPD bläst einen riesengroßen Luftballon auf,
stellt den Abgeordneten, obwohl es nicht passt, erst ein-
mal dem Dienstverpflichteten gleich,


(Burkhard Lischka [SPD]: Nein, wo steht das? – Christine Lambrecht [SPD]: Das haben Sie nicht verstanden! Wer lesen kann, ist klar im Vorteil! – Weitere Zurufe)


um dann am Ende wieder den Ballon zu zerstören und
sich ins Knie zu schießen, indem man sagt: Wenn der
Abgeordnete diese Handlung auch vorgenommen und
die Entscheidung ohne das Geschenk getroffen hätte,
dann soll es nicht strafbar sein. – Über die innere Tat-
seite kann sich der Abgeordnete wieder aus der Verant-
wortung ziehen. Der Vorschlag, den Sie machen, bringt
hinten und vorne nichts, weil er nicht zu einer Strafbar-
keit führen wird.





Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)



(A) (C)



(D)(B)


Dann tun Sie etwas, von dem Sie selbst wissen, dass
Sie es nicht verantworten können, weil es nicht geht:
Was den parlamentarischen Gepflogenheiten entspricht,
soll nicht strafbar sein. Sie vergessen dabei eines: Sie
wollen nicht nur den Abgeordneten bestrafen, nicht nur
den bestrafen, der nimmt, sondern auch den, der gibt.
Wir wissen vielleicht, was eine parlamentarische Ge-
pflogenheit ist, aber der, der einen parlamentarischen
Abend ausrichtet, weiß nicht, was die parlamentarischen
Gepflogenheiten sind.


(Lachen bei der SPD – Burkhard Lischka [SPD]: Wenn der dabei mit 50 000 Euro wedelt, weiß der schon, dass er etwas Unrechtes tut! – Gegenruf von der CDU: Zu dem parlamentarischen Abend müssen wir aber auch mal hin!)


Den müssen wir nachher fragen. Und nicht Sie fragen
ihn, sondern der Staatsanwalt fragt. Da wundert mich
das Verhalten der Linken etwas, die zu Recht darüber
klagen, ohne Genehmigung des Parlaments würden sie
vom Verfassungsschutz bespitzelt. Sie werden es in Zu-
kunft, wenn Sie diesen Straftatbestand einführen, nicht
nur mit dem Verfassungsschutz zu tun haben, der Ihnen
auf die Finger schaut, sondern auch mit dem Staatsan-
walt, der nach einem parlamentarischen Abend zu Ihnen
ins Büro kommt, sich die Tür öffnen lässt und schaut,
wie viele Flaschen Wein Sie darin stehen haben. Wenn
Sie das wollen, können Sie den Straftatbestand verab-
schieden.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das hat mit unserem Gesetzentwurf nichts zu tun! – Christine Lambrecht [SPD]: Jetzt mal zu unserem Gesetzentwurf!)


Er wird nicht das erreichen, was Sie erreichen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen ganz woanders anfangen. Wenn Sie ein
bestimmtes Verhalten von Abgeordneten nicht haben
wollen, müssen Sie das über die Verhaltensregeln ma-
chen und nicht über Straftatbestände.


(Burkhard Lischka [SPD]: Nein!)


Wir wollen nicht, dass der Staatsanwalt uns zu parla-
mentarischen Abenden begleitet. Wer dieses Gesetz be-
fürwortet, schadet dem Parlamentarismus, und er de-
montiert den Abgeordneten im deutschen Parlament.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Genau so ist es! – Burkhard Lischka [SPD]: Das scheint ja für ausländische Parlamente nicht zu gelten! Da steht es ja unter Strafe!)


Sie haben es doch selbst gesagt, Herr Kollege
Sharma: Natürlich darf man zu parlamentarischen Aben-
den gehen, aber nicht nach Sylt. – Ich habe ganz bewusst
gefragt: Wie karg muss die Veranstaltung sein, zu der
wir gehen? Müssen wir vorher anrufen und fragen, was
die Location und das Brötchen kosten und ob man ein
oder zwei Brötchen essen darf?


(Christine Lambrecht [SPD]: Lesen Sie doch mal die Begründung unseres Entwurfs! – Burkhard Lischka [SPD]: Das ist doch alles raus!)


Das ist doch absoluter Unsinn. Das funktioniert nicht
und ist eines Parlaments nicht würdig.

Deswegen sage ich Ihnen eines: Wir brauchen keine
strafrechtliche Regelung. Der Kollege van Essen hat es
zu Recht ausgeführt. Es gibt im Staat eine Gewalt, die
sehr genau weiß und schaut, was ein Abgeordneter tut.
Das ist die Bevölkerung, die Öffentlichkeit und die
Presse.


(Burkhard Lischka [SPD]: Die schüttelt nur den Kopf, wenn sie das hört! – Zuruf der Abg. Christine Lambrecht [SPD])


Wir brauchen keine Regelungen, die für das Parla-
ment nicht passen und die auch eines Parlamentes un-
würdig sind. Deswegen lassen Sie diese Diskussion bitte
sein, sie führt nicht weiter.


(Christine Lambrecht [SPD]: Den Gefallen werden wir Ihnen nicht tun!)


Sie nützt niemandem, sie dient niemandem, sie schadet
nur. Ich empfehle Ihnen, solche Debatten nicht zu füh-
ren,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Gefallen tun wir Ihnen nicht!)


sondern darüber nachzudenken, was wir tatsächlich in
einem Parlament brauchen:


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Gefallen tun wir Ihnen nicht!)


selbstbewusste Parlamentarier, die sich nicht von Regie-
rungen und nicht von der öffentlichen Meinung gängeln
und sich nicht von parlamentarischen Abenden beein-
drucken lassen. Es kann doch nicht sein, dass ein Parla-
mentarier im Nachhinein sagen kann, er hätte die Ent-
scheidung auch so getroffen, deswegen sei das Geschenk
dafür nicht kausal. – Da begeben Sie sich in eine Falle.
Sie schießen sich selbst mit Ihrem Gesetzentwurf ab. Er
ist in sich nicht schlüssig, nicht nachvollziehbar. Deswe-
gen kann ich nur empfehlen, dem nicht zuzustimmen.
Hören Sie mit der Debatte auf!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Christine Lambrecht [SPD]: Den Gefallen werden wir Ihnen nicht tun!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716307000

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich Christian Lange für die SPD-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der SPD)



Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1716307100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Im Spiegel vom 21. Mai 2007 war folgende Be-
gebenheit zu lesen – ich zitiere –:





Christian Lange (Backnang)



(A) (C)



(D)(B)


Die Gäste im Kanzleramt waren höflich, aber deut-
lich. Eine Gruppe afrikanischer Bischöfe und Kar-
dinäle war Anfang Mai zu Angela Merkel gereist,
um über die Lage auf dem Schwarzen Kontinent zu
sprechen. Ausführlich referierte der kongolesische
Erzbischof …, dass Armut meist mit schlechter Re-
gierungsführung und Korruption einhergehe. Dann
erinnerte der Afrikaner die Gastgeberin schnörkel-
los an ihre Verantwortung: „Auch Deutschland“,
sagte der Erzbischof, „hat die UNO-Konvention ge-
gen Korruption noch nicht ratifiziert“. Merkel
schwieg.

Meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, er-
sparen Sie Ihrer Kanzlerin, ersparen Sie Deutschland
solche Peinlichkeiten.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Ihnen schon Ihre Kanzlerin egal ist, dann halten
Sie sich wenigstens an das, was der niedersächsische
Justizminister Bernd Busemann am 30. Juli 2008 zu Pro-
tokoll gab. Der Justizminister forderte, die UN-Konven-
tion gegen Korruption endlich vonseiten des Bundesta-
ges zu ratifizieren und zu verabschieden. – Hören Sie auf
Ihre Länder! Vielleicht hilft das weiter.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP,
wenn Ihnen die Meinung der Länder egal ist, dann hören
Sie doch wenigstens auf die Vertreterinnen und Vertreter
der Wirtschaft. Ihr Parteifreund von der CSU, Theo
Waigel, Berater von Siemens,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Korruptionsbeauftragter!)


hat Ihnen einen Formulierungsvorschlag an die Hand ge-
geben, wie man es regeln kann. Dann, bitte schön: Hören
Sie doch auf Theo Waigel, hören Sie auf die Wirtschaft,
und tun Sie endlich etwas!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schließlich lassen Sie mich auf zwei Gegenargumente
eingehen. Auf Ihr Gegenargument, das auf eine angebli-
che Verbeamtung von Abgeordneten abstellt, möchte ich
mit den Worten des Geschäftsführers von Transparency
International, Christian Humborg, antworten. Er sagte
dazu – ich zitiere –:

Für eine Ratifizierung der Konvention wird keine
Gleichstellung von Beamten und Parlamentariern
verlangt.


(Burkhard Lischka [SPD]: Genau!)


Er führt weiter aus: In einigen Ländern sei das so umge-
setzt worden, aber die Regelungen zur Abgeordnetenbe-
stechung könnten auch unabhängig davon verschärft
werden. – Genau das tut die SPD-Bundestagsfraktion in
ihrem Gesetzentwurf.


(Beifall bei der SPD)


Das beredtste Beispiel dafür ist die Begründung – auch
die Begründung gehört zu einem Gesetzentwurf –, in der
wir Abs. 3, um den es hier geht – parlamentarische Ge-
pflogenheiten –, auslegen. Wir geben darin Staatsanwalt-
schaften und Justiz eine Richtschnur mit auf den Weg,
etwa: Auf der einen Seite das DGB-Sommerfest und un-
ser Eintreten für den Mindestlohn und auf der anderen
Seite die Spielautomatenwirtschaft und der Las-Vegas-
Ausflug – das eine ist möglich, das andere ist rechtswid-
rig.


(Marco Buschmann [FDP]: Aha!)


Ihr zweites Gegenargument bezieht sich auf den Be-
stimmtheitsgrundsatz. Wir knüpfen an die Aussagen des
Art. 38 Grundgesetz an, der besagt, dass Vertreter des
Volkes nicht an Aufträge und Weisungen gebunden sind.
So steht es im Grundgesetz, und so steht es in unserem
Gesetzentwurf. Er ist daher hinreichend bestimmt. Im
Übrigen haben wir ausgebildete Juristen, die dies ent-
sprechend auslegen können.

Wenn alles das nicht hilft, will ich den Bundestags-
präsidenten anführen. Auch er hat Sie von CDU/CSU
und FDP aufgefordert, endlich zum Abschluss zu kom-
men. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie schon unserem
Vorschlag nicht folgen wollen, wenn Sie dem Vorschlag
der Grünen nicht folgen wollen und wenn Sie dem Vor-
schlag der Linken nicht folgen wollen, dann bringen Sie
doch bitte einen eigenen Vorschlag ein! Blockieren Sie
nicht weiterhin! Die Wahrheit ist doch: Sie wollen nicht,
und das ist traurig, traurig für die internationale Reputa-
tion und insbesondere für uns Abgeordnete.

Abgeordnete sind nicht bestechlich,


(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Dann brauchen wir also keinen Entwurf!)


sie wollen nicht bestechlich sein, und deswegen wird es
Zeit, dass wir endlich eine Regelung finden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716307200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/8613 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau
der kalten Progression

– Drucksache 17/8683 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
minister der Finanzen Wolfgang Schäuble das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die kalte Progression in der Lohn- und Einkommensbe-
steuerung, die wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
bekämpfen wollen, entsteht durch die Wirkungsweise ei-
nes Lohn- und Einkommensteuertarifs, der Leistungsfä-
higere prozentual höher besteuert. Dieses Prinzip ist
Grundlage unseres Einkommensteuerrechts und weitge-
hend unbestritten. Es gibt zwar gelegentlich andere Vor-
schläge, weil das in Zweifel gezogen wird. Ich finde
aber, es hat sich über Jahrzehnte bewährt, dass wir als
Grundlage der Einkommensbesteuerung ein progressi-
ves Steuersystem haben, das heißt bei höheren Einkom-
men einen höheren Steuersatz.

Im Zusammenwirken mit der Geldentwertung ent-
steht hier aber der Effekt der kalten Progression. Wenn
jemand bei einer unterstellten Preissteigerungsrate von
2 Prozent mehr Lohn oder Einkommen erhält, dann zahlt
er eben nicht 2 Prozent mehr Lohn- oder Einkommen-
steuer, sondern einen etwas höheren Prozentsatz. Die
Differenz ist die kalte Progression. Auf lange Sicht führt
das zu einer starken Verschiebung, zu einer höheren
Steuerbelastung, die vom Gesetzgeber so nicht entschie-
den ist. Da Einnahmen und Ausgaben, die den Steuer-
zahler betreffen, vom Gesetzgeber entschieden werden
müssen – im Zusammenhang mit den Ausgaben erinnern
wir wieder und wieder an die Budgetverantwortung des
Parlaments – ist die kalte Steuerprogression, da sie nicht
vom Gesetzgeber vorgesehen ist, ein eigentlich gesetzes-
widriger Zustand. Deswegen schaffen wir mit diesem
Gesetzentwurf Abhilfe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Mit einer solchen Entscheidung geben wir zugleich
das klare Signal, dass wir dauerhaft auf Stabilität setzen
und nicht daran interessiert sind, weder als Regierung
noch als Parlament, durch Geldentwertung, durch Infla-
tion, quasi Windfall Profits, nicht vom Gesetzgeber be-
schlossene Steuermehreinnahmen, zu haben. Nein, die
Bekämpfung, die dauerhafte Absage an die kalte Steuer-
progression ist ein glaubwürdiges Signal, dass Regie-
rung und Parlament an dauerhafter Preis- und Geld-
wertstabilität interessiert sind. Auch unter diesem
Gesichtspunkt bitte ich um Unterstützung für diesen Ge-
setzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Unser Vorschlag zielt darauf, die ohnedies verfas-
sungsgerichtlich gebotene Anpassung des steuerlichen
Grundfreibetrags an das steuerfreie Existenzminimum
zu nutzen, im gesamten Verlauf des Lohn- und Einkom-
mensteuertarifs progressive Wirkungen, die ausschließ-

lich aus diesem Zusammenwirken resultieren, zu
vermeiden. Deswegen schlagen wir vor, den Grundfrei-
betrag zu erhöhen. Ich will hinzufügen: Der steuerfreie
Grundfreibetrag liegt im Jahr 2012 knapp 1 Prozent über
dem steuerfreien Existenzminimum; das sind 9 Euro.
Das ist also knapp. Das heißt, dass für 2013/2014 Hand-
lungsbedarf besteht; denn niemand wird riskieren
wollen, dass wir aufgrund eines nicht mehr verfassungs-
gemäßen steuerlichen Grundfreibetrags eine verfas-
sungsrechtlich nicht einwandfreie Grundlage unseres
Steuersystems haben. Die Anhebung des Grundfreibe-
trags in zwei Stufen, 2013 und 2014, um insgesamt
4,4 Prozent – gleich 350 Euro – ist verfassungsrechtlich
geboten und kann deswegen eigentlich nicht bestritten
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn man diesen Schritt unternimmt und vermeiden
will, dass der Eingangssteuersatz steigt – wenn man wei-
ter nichts täte, als nur den Grundfreibetrag zu erhöhen,
würde der Einkommensteuersatz steigen; das wird nie-
mand wollen –, ist es zwangsläufig geboten, den Steuer-
tarif entsprechend zu schieben. Wenn man die kalte Pro-
gression bekämpfen will, muss man den Grenzsteuersatz
konstant lassen. Deswegen muss man die prozentuale
Anhebung des Grundfreibetrags auf den Tarifverlauf
übertragen. Das genau ist Inhalt dieses Gesetzentwurfs.
Das ist konsequent und sachlich richtig zur Bekämpfung
der kalten Steuerprogression.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Richtig! Das ist Gerechtigkeit!)


Eigentlich sind das keine Steuerentlastungen, sondern
es ist der Verzicht auf vom Gesetzgeber nicht beschlos-
sene Steuererhöhungen. Wer sich dagegen ausspricht,
plädiert für Steuererhöhungen, die der Gesetzgeber so
nicht beschlossen hat. Gelegentlich wird gesagt, das
würde nur einer Tasse Kaffee pro Monat entsprechen. Es
ist im Vergleich erstaunlich, wie groß die Erregung bei
steigenden Belastungen ist. Hier reden wir immerhin
von monatlichen Steuerentlastungen zwischen 15 und
25 Euro für Ledige; für Verheiratete ist der Betrag dop-
pelt so hoch. Das ist nicht viel; aber wer sagt, das sei gar
nichts, hat keine Vorstellung von der Lebenswirklichkeit
der Arbeitnehmer in unserem Lande.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben lange darüber diskutiert. Wir wollen nicht,
dass die kalte Progression durch einen automatisch wir-
kenden Mechanismus beseitigt wird, weil sich dadurch
das Problem der Scala mobile ergibt und weil wir grund-
sätzlich gegen jede Indizierung sind; jede Indizierung
fördert tendenziell die Inflation. Daher haben wir uns
entschieden, es diskretionär zu machen. Wir legen jetzt
für die Jahre 2013 und 2014 einen Vorschlag für die An-
hebung des Grundfreibetrags, orientiert an der voraus-
sichtlichen Entwicklung des steuerfrei zu stellenden
Existenzminimums, vor. Hierzu sehen wir eine Überprü-
fung im Zwei-Jahres-Rhythmus vor. Der Tarifverlauf
soll, falls notwendig, entsprechend angepasst werden.
Durch diskretionäre Entscheidungen wollen wir dauer-





Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) (C)



(D)(B)


haft sicherstellen, dass kalte Steuerprogression nicht ent-
steht.

Ich will im Übrigen, weil es eine Debatte darüber
gibt, ob das notwendig sei, hinzufügen: Wir haben den
steuerlichen Grundfreibetrag zwischen 1998 und 2009,
wenn ich es richtig in Erinnerung habe, sechsmal ange-
hoben. Das ist also nicht ungewöhnlich. Diejenigen, die
sich dagegen aussprechen, sollten sich dies genau über-
legen, da dies in einem auffälligen Widerspruch zu frü-
heren Entscheidungen steht. Wir haben den Grundfreibe-
trag seit 1998 sechsmal angehoben, und oft waren damit
Maßnahmen verbunden, mit denen eine Erhöhung des
Eingangssteuersatzes vermieden wurde. Im Übrigen ha-
ben wir auch durch andere Steuerentscheidungen immer
wieder die kalte Progression bekämpft.

Jetzt haben wir einen systematisch richtigen Ansatz:
Anhebung des Grundfreibetrags, Verschiebung im Tarif-
verlauf um denselben Prozentsatz und alle zwei Jahre
eine Überprüfung mit den entsprechenden Konsequen-
zen. Ich glaube, dass das die richtigen Maßnahmen sind.
Das Gesamtausfallvolumen durch beide Stufen der An-
hebung des Grundfreibetrags beläuft sich, wenn es voll
wirksam wird, auf 6 Milliarden Euro. Da Bund, Länder
und Gemeinden am Aufkommen von Lohn- und Ein-
kommensteuer partizipieren, müssen Bund, Länder und
Gemeinden auf nicht vom Gesetzgeber gewollte Steuer-
erhöhungen entsprechend ihrem Anteil am Gesamtsteu-
eraufkommen verzichten. Darüber kann kein Zweifel be-
stehen.

Gleichwohl hat die Bundesregierung im Gesetzent-
wurf vorgeschlagen, den Ländern in den ersten Jahren
für den Teil der Auswirkungen, der aufgrund der propor-
tionalen und der prozentualen Verschiebung entsteht, ein
Stück weit entgegenzukommen. Diese Ausnahme ist der
besonderen Situation der Länder- und der Kommunal-
finanzen geschuldet. Aber grundsätzlich müssen alle Ge-
bietskörperschaften akzeptieren, dass sie nicht dauerhaft
Steuermehreinnahmen erhalten, die vom Gesetzgeber
nicht beschlossen sind. Deswegen erwarte ich, dass der
Bundesrat dem Gesetzentwurf zustimmen wird, falls der
Deutsche Bundestag ihn beschließen wird, worum ich
bitte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es geht darum, das Prinzip der leistungsgerechten Be-
steuerung – das prägt unser progressives Steuersystem –
mit der Verteidigung der Geldwertstabilität in eine ver-
nünftige Übereinstimmung zu bringen. Ich bitte Sie um
Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716307300

Das Wort hat nun Joachim Poß für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1716307400

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Lieber Herr Bundesfinanzminister, Sie führen in
dieser Frage eine Ablenkungsdiskussion.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Richtig!)


Die Steuerpolitik der schwarz-gelben Koalition in den
letzten zweieinhalb Jahren war zum Erbarmen. Sie wol-
len nun von dem ablenken, was wir erlebt haben, was
Sie der Öffentlichkeit geboten haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE])


Deshalb haben Sie sich etwas einfallen lassen, und das
haben Sie gerade zusammengefasst vorgetragen.

Über Jahre hinweg, vor allem im Bundestagswahl-
kampf 2009, haben alle drei Koalitionsparteien, nicht
nur die FDP, den Menschen massive Steuersenkungen
versprochen. Schon 2009 war das nichts anderes als eine
Wählertäuschung.


(Beifall bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Was haben wir denn zum 1. Januar 2010 gemacht?)


Das Versprechen massiver Steuersenkungen waren der
Wahlkampfschlager und die Legitimation von Schwarz-
Gelb.


(Manfred Kolbe [CDU/CSU]: Ich sage nur: keine Umsatzsteuererhöhung!)


Ihre Steuersenkungsversprechen gehörten zur Entste-
hungsgeschichte von Schwarz-Gelb.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Zur SPDEntstehungsgeschichte!)


Wie viel – oder besser, Herr Kollege: wie wenig – davon
übrig geblieben ist, sieht man an dem Gesetzentwurf,
den wir hier und heute beraten.


(Holger Krestel [FDP]: Was haben Sie denn 2005 gemacht? Sie haben doch damals die Umsatzsteuer angehoben!)


Sie biegen sich die Dinge zurecht. Der Täuschung aus
dem Jahre 2009 folgt der politische Pfusch, den Sie mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf abliefern.


(Beifall bei der SPD)


Natürlich haben Frau Merkel und Herr Schäuble be-
reits vor der letzten Bundestagswahl gewusst, dass in
den öffentlichen Kassen auf absehbare Zeit kein Geld für
Steuersenkungen ist. Nur: Sie haben das im Wahlkampf
verschwiegen oder den Bürgern sogar das Gegenteil er-
zählt. Vornehm ausgedrückt: Sie waren unehrlich.
Schwarz-Gelb basierte von Anfang an auf massiver
Wählertäuschung. Diese Wählertäuschung gehört zur
Entstehungsgeschichte von Schwarz-Gelb, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Helmut Heiderich [CDU/ CSU]: Zur Sache, bitte! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Kommen Sie doch mal zum Punkt!)


In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie für die laufende
Legislaturperiode Steuersenkungen in einer Größenord-
nung von insgesamt 24 Milliarden Euro versprochen.
Seitdem der Koalitionsvertrag unterschrieben ist – wir





Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)


haben die Geschichte in den Medien verfolgen können –,
überlegt der durchaus trickreiche Bundesfinanzminister
Schäuble, wie er im Hinblick auf die angekündigten
Steuersenkungen eine Minimallösung konstruiert, die
a) von der FDP – und auch von der CSU – geschluckt
wird und die es b) der Opposition möglichst schwer
macht, sie abzulehnen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716307500

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Krestel von der FDP-Fraktion?


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1716307600

Natürlich.


Holger Krestel (FDP):
Rede ID: ID1716307700

Sehr geehrter Herr Kollege Poß, davon abgesehen,

dass ich, wie wahrscheinlich die Mehrheit der hier anwe-
senden Kollegen, Ihren Ausführungen zur Steuerpolitik
der Bundesregierung nicht ganz folgen kann


(Nicolette Kressl [SPD]: Doch! Wir können gut folgen! – Gegenruf des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Na ja! Nur sehr, sehr schwer! – Gegenruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können es Ihnen auch in einfachen Worten erklären!)


– ich sprach von der Mehrheit –, möchte ich Ihnen eine
Frage stellen. Wenn Sie das ehrliche Bemühen dieser
Koalition, die Besteuerung in diesem Land einfacher,
niedriger und gerechter zu gestalten, in Abrede stellen,
wie erklären Sie uns dann, dass Ihre Partei im Jahre 2005
mit dem Slogan „Keine Erhöhung der Mehrwertsteuer!“
in den Wahlkampf gegangen ist und die Umsatzsteuer
unmittelbar nach der Wahl, als Sie Regierungsverant-
wortung hatten, von 16 auf 19 Prozent erhöht hat? Ich
bitte Sie, diese Frage zu beantworten.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1716307800

Lieber Kollege, ich glaube, dass die deutsche Bevöl-

kerung im Gegensatz zu Ihnen nachvollziehen kann, was
ich gesagt habe. Umfragen kamen zu dem Ergebnis, dass
mindestens zwei Drittel der Befragten, wenn nicht mehr,
angesichts des Theaters, das Sie in der Steuerpolitik auf-
geführt haben – nicht nur im Hinblick auf die Hotelier-
steuer, sondern auch im Hinblick auf die Diskussion
über Steuersenkungen –, nur mit dem Kopf geschüttelt
haben. Von daher sehe ich mich durchaus auf der Seite
der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, wenn auch
nicht dieses Parlaments.

Der andere Aspekt, den Sie angesprochen haben,
macht deutlich, dass es in den Parteien unterschiedliche
Auffassungen gibt. Dieser Umstand hat zu Beginn der
Regierungszeit der Großen Koalition zu dem Ergebnis
geführt, das Sie geschildert haben. Eine Parallele zu dem
Vorgang, den ich erwähnt habe, besteht aber nicht. Hier
ging es darum, dass von Ihrer Seite – insbesondere von
der FDP, aber auch von der CDU und der CSU – der Be-
völkerung suggeriert wurde, wir könnten die Steuern
senken. Teilweise war von Steuersenkungen in einer
Größenordnung von über 30 Milliarden Euro die Rede.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sogar im Koalitionsvertrag steht das drin!)


Das muss man sich einmal vorstellen! Jetzt sehen wir,
womit wir es zu tun haben.

Herr Kollege Schäuble hat versucht, zu retten, was zu
retten ist. Er hat die Stichworte Grundfreibetrag und
kalte Progression angesprochen.


(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Immer schon!)


Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist alles, was von
dem jahrelangen Steuersenkungsgerede von CDU, CSU
und FDP übrig geblieben ist. Am Anfang klang es ja wie
ein Weltrettungsprogramm; daran wird man in diesem
Parlament doch erinnern dürfen. Sie wollen das verges-
sen machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was sagen Sie denn zur kalten Progression?)


Weil Sie das wissen, reden Sie nicht mehr von „Steuer-
entlastung“. Stattdessen sprechen Sie in diesem Gesetz-
entwurf von der Vermeidung „nicht gewollter Steuerbe-
lastungen“.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Merken Sie nicht, wie lächerlich Sie sich mit diesen ver-
balen Verrenkungen machen?

Um nicht falsch verstanden zu werden: Selbst für Ihre
Minientlastung ist kein Geld in den öffentlichen Kassen.
Schon ohne die Zusatzbelastung von gut 2 Milliarden
Euro, die dieses Gesetz allein die Länder und Kommu-
nen jährlich kosten würde, wissen viele Länder und Ge-
meinden nicht, wie sie die Schuldenbremse einhalten
können. Das ist doch die Realität. Schauen Sie sich ein-
mal in Ihren Gemeinden und in Ihren Ländern um! Dann
wissen Sie Bescheid.

Der Schuldenstand Deutschlands liegt im Übrigen
noch immer 20 Prozentpunkte über dem, was die Euro-
päische Währungsunion maximal zulässt.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Das hat Herr Steinbrück verursacht, Herr Kollege! – Gegenruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2010 waren Sie es!)


Die 6 Milliarden Euro, die die Umsetzung dieses Gesetz-
entwurfs kosten würde, sind mit keinem Euro gegen-
finanziert. Die öffentliche Verschuldung erhöht sich um
den vollen Umfang. Zur Begründung entwerfen Sie eine
neue Philosophie, über die auch unter juristischen
Aspekten noch zu reden sein wird.

Bisher hat das Bundesverfassungsgericht zum Grund-
freibetrag immer gesagt, die Anpassung müsse nach
Vorlage des Existenzminimumberichts erfolgen. Da hat
der Gesetzgeber noch Spielraum. Das wird in der Dar-
stellung von Herrn Schäuble in ein ganz anderes Licht
getaucht. Darüber wird noch zu reden sein. Sie haben
keinen Vorschlag zur Gegenfinanzierung vorgelegt, was
aber notwendig wäre. Wie passt das zusammen, Herr
Schäuble? Sie spielen zusammen mit Frau Merkel in





Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)


Europa den fiskalischen Zuchtmeister, und hier zu Hause
wollen Sie Steuersenkungen auf Pump.


(Beifall bei der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das stimmt doch nicht! – Holger Krestel [FDP]: Sie widersprechen sich ja selbst!)


Im Übrigen: Kein Sozialdemokrat verweigert sich ei-
ner notwendigen Anhebung des Grundfreibetrags.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Dann können Sie ja zustimmen!)


Wer etwas anderes sagt, sagt schlicht die Unwahrheit.
Bis heute liegt aber keine ordentliche und nachvollzieh-
bare Berechnung der Bundesregierung dafür vor,


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


wann und um welchen Betrag der Grundfreibetrag er-
höht werden muss. Die von Ihnen genannten Zahlen
wurden gegriffen.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber die Inflationsrate ist Ihnen bekannt?)


In guter Übung wird die Höhe des notwendigen
Grundfreibetrags alle zwei Jahre in den sogenannten
Existenzminimumberichten der Bundesregierung fortge-
schrieben. Der nächste Bericht, der neunte, steht plan-
mäßig 2013 ins Haus. Legen Sie den Neunten Existenz-
minimumbericht mit einer vernünftigen und auch
sachgerechten Berechnung von Existenzminimum und
Grundfreibetrag vor! Dann werden wir sehen, wann und
um welchen Betrag Anhebungen notwendig sind, und
die werden wir dann auch mittragen.


(Holger Krestel [FDP]: Das glaubt kein Mensch!)


Diese „Prognoseabschätzungen“ haben allein das Ziel,
Legitimationen für Steuerentlastungen zu fingieren. Das
ist Teil dieser Ablenkungs- und Täuschungsaktion, die
wir hier erleben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Angesichts der aufgelaufenen öffentlichen Verschuldung
und auch der Schuldenbremse, die einzuhalten ist, brau-
chen wir selbst für zwingende Erhöhungen des Grund-
freibetrags eine solide Gegenfinanzierung.

Zum Phänomen der kalten Progression, dem zweiten
Stichwort, ist zu sagen, dass die Regierung trotz vieler
Nachfragen meiner Kolleginnen und Kollegen aus dem
Finanzausschuss bis heute keine überzeugenden Berech-
nungen vorgelegt hat. Im Übrigen sind sich alle Exper-
ten einig: Dank der vielen von SPD-Bundesfinanzminis-
tern zu verantwortenden Einkommensteuersenkungen in
allen Einkommensbereichen seit 1998 spielte die kalte
Progression in unserer Regierungszeit keine Rolle.

In Herrn Schäubles Rede klang fast klassenkämpfe-
risch die Frage an, ob man den Menschen nicht etwas
gönnen wolle.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was hat das mit klassenkämpferisch zu tun?)


Die Auseinandersetzung darüber, wie eine gerechte
Steuerpolitik aussieht, die auch die Hochleistungsfähi-
gen in diesem Land durch höhere Spitzensteuersätze und
eine angemessene Vermögensteuer stärker in die Mitver-
antwortung für das Gemeinwesen bringt,


(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Darum haben Sie sie auch um 12 Prozent gesenkt!)


werden wir in den nächsten Wochen und Monaten füh-
ren.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716307900

Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1716308000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Gesetzentwurf ist offensichtlich so ausgereift und so
klug und präzise justiert, dass der Kollege Poß es ver-
mieden hat, sich dezidiert mit ihm auseinanderzusetzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das wahre Ablenkungsmanöver war die Rede von Herrn
Poß, in der er Nebenkriegsschauplätze aufgemacht hat.


(Joachim Poß [SPD]: Ich habe etwas zum politischen Teil gesagt!)


Es ist nicht wahr, dass dieser Gesetzentwurf das ein-
zige Steuergesetz ist, das diese Koalition in dieser Legis-
laturperiode auf den Weg gebracht hat.


(Joachim Poß [SPD]: Ich habe auch nicht gesagt, dass es das einzige ist! – Nicolette Kressl [SPD]: Nein, für die Hoteliers habt ihr auch noch eins gemacht!)


Wir haben das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und
vieles andere, auch zur Steuervereinfachung, auf den
Weg gebracht. Jetzt gehen wir das Thema der kalten Pro-
gression gezielt in einem Punkt an, den auch Sie, wie Sie
den Menschen in Ihrem Wahlprogramm noch verspro-
chen haben, unterstützen wollten.

Der Bundesfinanzminister hat zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass es nicht darum geht, vorhandene Steuern zu
senken. Es geht vielmehr darum, auf nicht gewollte
Steuererhöhungen zu verzichten. Insofern muss man
auch keine Vorschläge zur Gegenfinanzierung vorlegen.
Damit fallen alle Ihre Gegenargumente, die Sie auch
über die Länder im Bundesrat vorbringen, wie ein Kar-
tenhaus in sich zusammen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Von der Kritik bleibt also nichts übrig.

Wir haben uns gezielt die unteren und mittleren Ein-
kommen vorgenommen, weil wir wollen, dass die Auf-





Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)


schwungsdividende endlich auch bei den Beziehern von
unteren und mittleren Einkommen ankommen soll. Wa-
rum ist die SPD ausgerechnet dagegen? Diese Frage hät-
ten Sie der Öffentlichkeit in Ihrer Rede beantworten
sollen, Herr Kollege Poß. Warum unterstützt die Sozial-
demokratie nicht den Schutz der unteren und mittleren
Einkommen vor ungewollten Steuererhöhungen?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das versteht kein Mensch! Pure Sturheit!)


Wenn man abstrakt die Frage stellt, warum man diesen
Gesetzentwurf braucht, dann könnte man sagen: „Die
Arbeit ist die Quelle allen Reichtums und aller Kultur“.
Dieses Zitat stammt aus dem Gothaer Programm von
1875. Die SPD hat sich offensichtlich weitgehend von
diesen Prinzipien entfernt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Da haben Sie sich aber Mühe gegeben!)


Was machen Sie heute? Sie kämpfen mit einer nicht
nachvollziehbaren Begründung gegen einen Ausgleich
für reale Einkommensverluste durch die Inflation.


(Joachim Poß [SPD]: Das habe ich überhaupt nicht gemacht!)


Der Bundesfinanzminister sagte zu Recht, dass der
Deutsche Bundestag die inflationsbedingten Steuererhö-
hungen nie wollte und sie auch nie beschlossen hat.
Wenn Sie zur Vermeidung ungewollter Steuererhöhun-
gen Nein sagen, dann sagen Sie Ja zu diesen Steuererhö-
hungen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist doch Quatsch! Das ist einfach Quatsch!)


Dann sind Sie eine Steuererhöhungspartei, was die unte-
ren und mittleren Einkommen angeht. Damit müssen Sie
sich auseinandersetzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Abenteuerlich!)


Das passt zu dem, was Sie sonst der Öffentlichkeit zu
bieten haben. Das ganze linke Parteienspektrum überbie-
tet sich inzwischen an Vorschlägen dazu, wie man die
Steuern in Deutschland weiter erhöhen kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716308100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Paus?


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1716308200

Ja, bitte.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716308300

Herr Wissing, Sie haben gesagt, Sie wollten die Bür-

gerinnen und Bürger vor Inflation schützen. Abgesehen
davon, dass dafür die Europäische Zentralbank zustän-
dig ist, frage ich Sie: Können Sie mir sagen – darüber

gibt der Gesetzentwurf leider keine Auskunft –, wie Sie
die Entwicklung der Inflation in den Jahren 2013 bis
2016 einschätzen? Können Sie mir zumindest die Aus-
sage des Bundesfinanzministeriums im Finanzausschuss
bestätigen, dass vor allen Dingen diejenigen mit höheren
Einkommensteuerzahlungen zu rechnen haben, die in
den nächsten Jahren höhere Boni bekommen werden,
und dass die Tarifsteigerungen jedenfalls kein Grund für
die höhere Inflationsrate sein werden?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1716308400

Frau Kollegin, die Inflationsbekämpfung ist in der Tat

Aufgabe der Europäischen Zentralbank. Aber wir haben
darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zu leisten, indem
wir uns bei der Stabilisierung unserer Währung im Rah-
men der Bekämpfung der Staatsverschuldungskrise en-
gagieren. Es ist nicht Gegenstand dieser Debatte, was die
Bundesregierung in einem großen Kraftakt, auch mit
Unterstützung der Opposition, diesbezüglich auf den
Weg bringen konnte. Ich bin sicher, dass es uns gelingen
wird, einen Inflationsanstieg zu vermeiden.

Gleichwohl sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir
auch ohne Inflationsanstieg eine kontinuierliche Infla-
tion haben, die zu einem ungewollten Anstieg der Steu-
erbelastung führt. Es ist inzwischen so, dass eine Lohn-
erhöhung in bestimmten Einkommensgruppen nur zu
einem ganz geringen Teil bei den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern ankommt.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dann müssen Sie eine jährliche Anpassung beschließen, wenn Sie das vermeiden wollen!)


Ich finde es etwas kalt, dass Sie das überhaupt nicht be-
rührt, dass Sie darüber einfach hinweggehen und sagen:
Ich mache mir keine Gedanken darüber, wie bei unteren
Einkommen eine Überstunde besteuert wird.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu kommen wir gleich noch! Sagen Sie etwas zu den Boni!)


Sie sollten sich einmal etwas intensiver mit diesem Ge-
setzentwurf auseinandersetzen. Sie sollten sich außer-
dem einmal die Frage stellen, ob Ihre Verweigerungshal-
tung den Beziehern unterer und mittlerer Einkommen in
Deutschland tatsächlich zuzumuten ist.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich!)


Ich glaube, dass Sie am Ende Ihre Meinung revidieren
müssen, denn es ist eine Gerechtigkeitsfrage, die kalte
Progression zu bekämpfen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Jedenfalls die Banker haben davon mehr als alle anderen!)


Ich komme auf die angesprochenen Steuererhöhungs-
vorschläge zurück. Sie wollen mit Ihrem Nein zu diesem
Gesetzentwurf eine Steuererhöhung für untere und mitt-
lere Einkommen. Gleichzeitig sagen Sie – das ist inzwi-





Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)


schen ein Überbietungswettkampf –, der Spitzensteuer-
satz müsse auf 45 Prozent, 49 Prozent


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: 75 Prozent!)


oder, wie zuletzt von den Linken gefordert, 75 Prozent
steigen.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Das entspricht dem Vorschlag Ihres sozialdemokrati-
schen Freundes Hollande, der Präsident der Französi-
schen Republik werden möchte. Irgendwann hat man
den Eindruck, dass die Sozialdemokraten das Steuer-
recht als Strafrecht für Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer verstehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Entschuldigen Sie doch mal!)


Das ist es aber nicht, weil es einen Zusammenhang zwi-
schen Arbeit bzw. der Steuerbelastung von Arbeit und
dem Sozialstaat gibt. Das Bewusstsein dafür ist Ihnen
offenbar abhandengekommen.

Soziale Leistungen des Staates fallen nicht vom Him-
mel, sondern müssen erwirtschaftet werden. Es gilt der
Grundsatz: Geht es den Beschäftigten und der Wirtschaft
gut, dann geht es auch dem Sozialstaat gut. Das wollten
Sie uns nie glauben, und deswegen haben wir es Ihnen
bewiesen. Wir haben wachstumsorientiert konsolidiert.
Wir haben durch kluge Steuerpolitik – von der Vermei-
dung von Steuererhöhungen zu Beginn dieser Legisla-
turperiode bis hin zu diesem Gesetzentwurf – für die ma-
ximale Entfaltung von Wachstumskräften in unserem
Land gesorgt. Jetzt sind die Sozialkassen voll, und die
Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosig-
keit, ist niedrig. Den Beweis, dass unsere Politik richtig
ist, haben wir erbracht. Jetzt setzen wir sie fort und laden
Sie ein, umzukehren, Ihre Verweigerungshaltung aufzu-
geben und endlich den richtigen Kurs für unser Land zu
unterstützen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Geben Sie Ihre Scheinkämpfe auf, und unterstützen Sie
diesen Gesetzentwurf, der endlich einen Paradigmen-
wechsel im Einkommensteuerrecht einleitet und mit der
kontinuierlichen Überprüfung der kalten Progression
mehr Gerechtigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer schafft. Wir wollen, dass sie an den Erfolgen der
Wirtschaft teilhaben.

Wir freuen uns, dass die Einkommen der Beschäftig-
ten gestiegen sind. Jetzt muss man dafür sorgen, dass
diejenigen, die sich in der Vergangenheit zurückgehalten
haben und jetzt Lohnsteigerungen erwarten, diese auch
behalten können, indem sie gerecht besteuert werden. Es
darf jetzt nicht ausgerechnet bei den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern im unteren und mittleren Einkom-
mensbereich zugegriffen werden.

Ich lade Sie ein, Ihre Verweigerungshaltung aufzuge-
ben und diesen Gesetzentwurf zu unterstützen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716308500

Das Wort hat nun Barbara Höll für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716308600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Wissing, das war eine vergiftete Einladung. Sie
können doch nicht ernsthaft meinen, dass wir uns an Ih-
rer vermurksten Steuerpolitik beteiligen. Das ist wirklich
eine Zumutung.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] und Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nach zweieinhalb Jahren kommen Sie endlich aus
dem Knick und legen etwas vor, scheinbar den großen
Wurf. Die Koalition will jetzt endlich die kalte Progres-
sion bekämpfen. Dazu kann ich nur sagen: Gut, dass Sie
endlich ausgeschlafen haben. Ich darf Sie daran erin-
nern: Wir haben in der letzten Legislaturperiode einen
Antrag vorgelegt und haben Sie aufgefordert, etwas ge-
gen die kalte Progression, die ein Teilproblem darstellt,
zu tun. Wir haben in unserem Antrag verschiedene Mög-
lichkeiten aufgezeigt: Man könnte einen Inflationsfaktor
in den Tarif einbauen, oder man könnte eine kontinuier-
liche Anpassung im Grundfreibetrag gestalten. Es gibt
verschiedene Möglichkeiten.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Spitzensteuersatz auf 100 Prozent!)


Das hat Sie damals nicht sonderlich interessiert. Sie ha-
ben den Antrag abgelehnt. Jetzt kommt Ihr großer Wurf.

Aber wir unterscheiden uns erheblich in der Einord-
nung. Sie betrachten Ihren Gesetzentwurf zum Abbau
der kalten Progression als die Lösung des Problems der
Steuergerechtigkeit. Dem ist mitnichten so. Bei uns war
diese Aufforderung in unserem Vorschlag zur Reform
der Einkommensteuer eingebettet. Da liegt das Problem;
denn die kalte Progression resultiert aus der Kombina-
tion von Lohnsteigerung, Inflation und konkretem Tarif-
verlauf.

Nun sind wir uns alle einig, dass wir mit dem progres-
siven Einkommensteuertarif dem Grundprinzip des deut-
schen Steuerrechts Rechnung tragen, die Besteuerung
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vorzuneh-
men. Allerdings – es war Herr Waigel, der das damals
eingeführt hat – haben wir keine durchgehend linear-
progressive Gestaltung, sondern wir haben einen soge-
nannten Steuerbauch. Das führt dazu, dass Bezieher von
unteren und mittleren Einkommen durch den Tarifver-
lauf überproportional belastet werden. Das ist das Pro-
blem. Solange Sie dieses Problem nicht angehen, haben
Sie bei der Kombination einer Lohnsteigerung in Höhe
der Inflationsrate mit diesem Tarifverlauf den Effekt,
dass sich die überproportionale Belastung verstärkt.





Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)


Deshalb sagen wir: Wir müssen das Grundproblem
anpacken. Wir brauchen einen neuen Einkommensteuer-
tarif. Wir haben Ihnen Vorschläge gemacht: Anhebung
des Grundfreibetrags auf 9 300 Euro und Anhebung des
Spitzensteuersatzes auf 53 Prozent, der ab 65 000 Euro
greifen soll. Um keine Verwirrung aufkommen zu las-
sen: Dieser Tarif führt zu einer Entlastung bis zu einem
zu versteuernden Jahreseinkommen von 70 000 Euro.
Das ist ein wirklich gerechter Vorschlag.


(Beifall bei der LINKEN)


Diejenigen, die über 70 000 Euro verdienen, können wir
sehr wohl belasten, weil sie tatsächlich eine wesentlich
höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit haben. Das ist
das Grundproblem, und das müssen wir angehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Solange Sie dies nicht tun, können Sie hier und da ein
bisschen herumdoktern, aber Sie lösen das Problem
nicht.

Eine solche Reform können wir uns auch leisten. Sie
ist finanzierbar, weil es sich um eine Kombination von
Entlastung und Belastung handelt; denn wir heben den
Spitzensteuersatz an, gestalten aber den Tarifverlauf
durchgehend linear-progressiv. Das würde zur Über-
sichtlichkeit beitragen; denn es ist klar, dass sich letzt-
endlich mit jeder Lohnerhöhung die Progression mini-
mal, aber durchgehend gleichmäßig erhöht. Eine solche
Progression ist sozial gerecht. Deshalb müssen wir dafür
kämpfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt ein zweites Problem. Herr Wissing, Sie tönen
hier groß über die Arbeit usw. Wer hat denn in Deutsch-
land in großer Gemeinsamkeit seit dem Jahr 2000 darauf
hingewirkt, dass Menschen nicht mehr ordentlich für
ihre Arbeit bezahlt werden? Wir haben in Deutschland
die Situation, dass das Arbeitsvolumen de facto nicht ge-
stiegen ist. Es hat sich lediglich auf mehr Schultern ver-
teilt, aber nicht bei gleichbleibender Bezahlung; viel-
mehr wurden Mini- und Midijobs installiert, wodurch
eine wahnsinnige Lohndrückerei erfolgt ist. Wir haben
in Deutschland Tausende Menschen, die Vollzeit arbei-
ten, aber von ihrem Lohn nicht leben können. Wir müs-
sen hier das Problem auch mit einem Mindestlohn ange-
hen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen hier in Deutschland massive Lohnsteige-
rungen, die nicht nur die Inflation ausgleichen, sondern
über der Inflationsrate liegen müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das sind die dringenden Probleme.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Was macht denn ein kleiner Selbstständiger?)


Wir unterstützen die Anhebung des Grundfreibetrags.
Herr Schäuble, Sie haben eben gesagt, die einfache Ver-

schiebung des Tarifs sei die endgültige Absage an die
kalte Progression. Das verstehe ich nicht ganz. Es ist ja
nicht eine laufende Verschiebung.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Doch! Es wird doch alle zwei Jahre überprüft!)


Endgültig kann das nicht sein. Das ist jetzt eine Maß-
nahme. Aber das Problem als solches ist nicht gelöst.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Haben Sie den Entwurf nicht gelesen? Alle zwei Jahre!)


Dafür brauchen wir einen anderen Tarifverlauf. Wenn
wir einen solchen Einkommensteuertarif beschließen
würden, wie wir ihn vorschlagen, erst dann hätten wir
eine wirkliche Entlastung im unteren und mittleren Ein-
kommensbereich. Das, was Sie vorschlagen, ist eine
Mini-Entlastung.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Noch nicht einmal die gönnen Sie den Leuten!)


Sie hantieren ja auch im Gesetzentwurf nicht mit ab-
soluten Zahlen, sondern nur mit relativen Zahlen. Abso-
lut und relativ sind – Frau Paus hat in ihrer Zwischen-
frage darauf hingewiesen – eben doch zwei verschiedene
Sachen. Wenn ich einer Verkäuferin sage: „Du wirst re-
lativ viel mehr entlastet“, kommt dabei absolut nur eine
Entlastung von monatlich vielleicht 5 Euro heraus. Wenn
ich aber demjenigen, der ein Einkommen in Höhe von
vielleicht 1 Million Euro hat, sage: „Es tut mir leid, du
hast relativ eine wesentlich geringere Entlastung“, be-
kommt er dann 500 Euro oder wie viel auch immer – das
kann ich jetzt nicht genau sagen –; das ist doch absolut
bedeutend mehr.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Aber doch nicht nach dem Gesetzentwurf! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Gedeckelt!)


Diese Frage steht dahinter.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie sind in einer falschen Debatte!)


Deshalb können wir Ihre Argumentation in diesem
Punkt nicht teilen. Wir können das auch nicht voll unter-
stützen. So geht es nämlich nicht. Wir brauchen die
ganze politische Kraft für die Einführung eines neuen
Einkommensteuertarifs, der sozial gerecht ist, der finan-
zierbar ist


(Holger Krestel [FDP]: Und am SanktNimmerleins-Tag kommt!)


und der damit tatsächlich wieder eine Rückkehr zum
Prinzip der Besteuerung nach der tatsächlichen wirt-
schaftlichen Leistungsfähigkeit darstellt.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716308700

Das Wort hat nun Lisa Paus für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(D)(B)



Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716308800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Minister Schäuble, es ist schon sehr erstaunlich, wie man
einen ganz normalen ökonomischen Fachbegriff zu dem
gesellschaftspolitischen Problem schlechthin aufblasen
kann. Kommen wir noch einmal konkret zu dem von Ih-
nen vorgelegten Gesetzentwurf. In Ihrem Gesetzentwurf
selbst wird festgestellt, dass es dieses riesengroße gesell-
schaftliche Problem zumindest in den letzten zehn Jah-
ren überhaupt nicht gegeben hat. Außerdem – darauf
wurde schon von Herrn Poß hingewiesen – bekämpfen
Sie so ein Problem, von dem Sie heute überhaupt noch
nicht wissen, in welcher Form es eintreten wird.

Es wird da in der Tat etwas geben. Voraussichtlich im
nächsten Jahr steht eine Anpassung beim Existenzmini-
mum an.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Also!)


Ja, wir werden auch eine Preissteigerung größer null ha-
ben. Auch das ist so weit richtig. Aber in Ihrem Gesetz
sagen Sie ganz konkret, dass die kalte Progression im
Jahr 2017 6,6 Milliarden Euro betragen wird, also in fünf
Jahren. Sehr geehrter Herr Schäuble,


(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Das ist Planwirtschaft!)


da müssen Sie als Bundesfinanzminister mir doch zu-
stimmen, dass das ökonomischer Humbug ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ihnen ging es einzig und allein um ein wohlklingen-
des Etikett für Ihre Ministeuersenkung.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


Deswegen müssen Sie das auch mit riesengroßem Ge-
töse hier immer wieder vortragen. Entsprechend don-
nernd ist Ihre Wortwahl. Aber dass Sie sich hier so in
Rage reden, ist, wie wir finden, an Bigotterie nicht zu
überbieten.


(Holger Krestel [FDP]: Wir sind völlig entspannt! – Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Wer redet sich denn in Rage? – Olav Gutting [CDU/CSU]: Stimmen Sie zu! Dann ist das Thema weg!)


Ich jedenfalls habe nicht vergessen und Hunderttausende
von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern auch
nicht, wie Sie tatsächlich mit der Existenzsicherung von
Menschen in diesem Land umgehen.

Es war im Februar 2010, als das Bundesverfassungs-
gericht den Hartz-IV-Satz für verfassungswidrig erklärt
hat. Es hat über ein Jahr gebraucht, bis Sie diesen korri-
giert haben.


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Das war doch von Rot-Grün eingeführt worden!)


Sie haben ihn auch nicht rückwirkend korrigiert, sondern
bei jedem Hartz-IV-Empfänger und bei jeder Hartz-IV-
Empfängerin satte 55 Euro eingespart, indem Sie das
Verfassungsgerichtsurteil erst später umgesetzt haben.

So halten Sie es mit den sozialen Grundrechten in die-
sem Land. Ich finde, wer so etwas tut, der hat wirklich
jegliches moralische Recht verwirkt, so zu debattieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der FDP – Olav Gutting [CDU/CSU]: Sie haben das doch eingeführt! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Wer hier gerade aus der Fassung gerät, wird doch deutlich! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP])


– Das Bundesverfassungsgerichtsurteil war im Februar
2010, Herr Lindner; das wissen Sie. Sie wissen auch,


(Holger Krestel [FDP]: Volkspädagogin, oder wie?)


wie lange Sie gebraucht haben, um auszurechnen, dass
der Ausgleich nur 5 Euro beträgt. Aber selbst diese
5 Euro haben Sie den Hartz-IV-Empfängerinnen und
-Empfängern im Jahr 2010 Monat für Monat nicht ge-
gönnt.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wir reden doch nicht nur über Hartz-IV-Empfänger! Es gibt noch ein paar mehr in der Bevölkerung, die für ihr Geld arbeiten!)


– Ja, genau.

Kommen wir jetzt zum materiellen Kern Ihres Geset-
zes.


(Holger Krestel [FDP]: Jetzt kommen Sie zum Thema!)


Sie sagen: Der Aufschwung soll bei denjenigen, die ar-
beiten, also den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
im unteren und mittleren Bereich, endlich ankommen.
Ich greife damit das auf, was Sie, Herr Wissing, eben ge-
sagt haben.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Und die kleinen Selbstständigen? Denen nützt doch der Mindestlohn nichts!)


Sie versuchen, den Leuten zu verkaufen, dass das insbe-
sondere etwas für die unteren und mittleren Einkommen
bringt.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein, bei den Selbstständigen auch! Es gibt auch Taxifahrer und Frisöre! – Gegenruf der Abg. Nicolette Kressl [SPD]: Warum seid Ihr eigentlich so nervös?)


Schauen wir uns einmal Ihr Gesetz an und rechnen.
Dann stellen wir fest: Bei einem Bruttolohn von 1 200
Euro sollen sie nach dem Gesetz im Jahre 2013 ganze
2 Euro und im Jahre 2014 ganze 5 Euro mehr im Monat
bekommen. Eine Arbeitnehmerin bzw. ein Arbeitnehmer
mit einem Bruttolohn von 3 000 Euro wird mit 5 Euro
und im Jahr darauf mit 15 Euro pro Monat entlastet.

Aber wo fängt es an, sich langsam zu lohnen? Natür-
lich wie immer bei den höheren Einkommen. Bei
6 000 Euro brutto im Monat fängt man an, es tatsächlich





Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)


zu spüren. Dann sind es 30 Euro im Monat, also
360 Euro im Jahr 2014.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der zahlt auch mehr Steuern!)


Schaut man sich an, wem die geplanten Steuerentlas-
tungen von Schwarz-Gelb tatsächlich nützen, dann muss
man erneut feststellen: Insbesondere die oberen Einkom-
men werden entlastet.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Absurd! – Holger Krestel [FDP]: Das schreibt nicht einmal mehr die taz! – Dr. Volker Wissing [FDP]: Das schreibt nicht einmal mehr das Neue Deutschland!)


Wenn man sich die Verteilungswirkungen insgesamt an-
schaut, dann sieht man: Die unteren 20 Prozent, von de-
nen Sie immer sagen, dass Sie sie entlasten wollen, be-
kommen nach Ihrem Gesetz keinen einzigen Euro mehr.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Rechnen Sie einmal richtig!)


Aber die obersten 10 Prozent bekommen 30 Prozent der
insgesamt 6,6 Milliarden Euro.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So geht Steuerpolitik bei Schwarz-Gelb. So sieht die
Gerechtigkeit bei Schwarz-Gelb aus: Wer hat, dem wird
gegeben.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber was die an Steuern zahlen, das sagen Sie nicht!)


Auch mit diesem Gesetz schaffen Sie es nicht, das zu än-
dern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die zahlen 90 Prozent des Kuchens!)


– Ich kann Ihnen die Zahlen geben. Wir haben es ausge-
rechnet.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Die obersten 10 Prozent zahlen auch 90 Prozent der Einkommensteuer!)


Und wem wird es genommen? Den öffentlichen
Haushalten wird es genommen, und das bedeutet für die
Länder und Kommunen eine Lücke von 2,25 Milliarden
Euro. Allein im Land Berlin, aus dem ich komme, wür-
den auf diesem Wege jährlich 120 Millionen Euro in der
Kasse landen. Zum Vergleich: Die Konsolidierungshilfe,
die der Bund großzügig an das Land Berlin zahlt, liegt
bei 80 Millionen Euro. Es ist also direkt wieder eine Lü-
cke von 40 Millionen Euro. Auch Nordrhein-Westfalen
ist mit einer halben Milliarden Euro dabei.

Was wird die Folge sein? Berlin und die anderen
Städte und Kommunen werden wieder einmal an den
Gebühren schrauben müssen. Ob Kita, Abfall, Wasser,
Nahverkehr, Schwimmbäder oder Kultur – das bleibt in
der Tat ihnen überlassen.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Aber die haben doch keinen einzigen Cent Mindereinnahmen!)


Betroffen sein werden immer die Bezieher von unteren
oder mittleren Einkommen, weil sie nämlich auf die öf-
fentliche Infrastruktur angewiesen sind und weil sie


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und Sie gehen nie schwimmen, oder was? – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


von den sozialen Staffelungen nur selten profitieren kön-
nen.

Wenn Sie also ernsthaft insbesondere Arbeitnehmer
mit kleineren und mittleren Einkommen entlasten wollen
– es stehen ja noch Verhandlungen an –, dann lade ich
Sie herzlich ein, genau das zu tun und unseren grünen
Tarif zu Ihrer Gesetzesinitiative zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Dann sagen Sie „Steuererhöhungen“ zu Ihrem grünen Tarif, damit die Leute wissen, wovon Sie reden!)


Durch unsere Anhebung des Grundfreibetrages auf
8 500 Euro statt wie bei Ihnen im weiteren Verlauf auf
8 354 Euro entlasten wir die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer mit einem Bruttolohn von 1 200 bis 3 500
Euro stärker als Sie von der Koalition.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wo steht das denn?)


Darüber hinaus ist unser Vorschlag bereits im Jahr 2012
vollständig umsetzbar, und wir erzielen durch die ge-
samte Einkommensteuertarifreform samt Erhöhung des
Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent nicht Mindereinnah-
men von 6 Milliarden Euro, sondern Mehreinnahmen
von 2,5 Milliarden Euro


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist das Perpetuum mobile der Steuererhöhung!)


und verbessern damit auch noch die staatliche Hand-
lungsfähigkeit und damit die Möglichkeit der Versor-
gung der Bürgerinnen und Bürger vor Ort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von der Koalition, so wird
ein Schuh draus. Schlagen Sie darauf ein, und wir be-
kommen eine vernünftige Reform, den Abbau der kalten
Progression und eine tatsächliche Entlastung der unteren
und mittleren Einkommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716308900

Das Wort hat nun Klaus-Peter Flosbach für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1716309000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in Deutschland
ein kompliziertes Steuersystem, und es gibt nicht immer
Zustimmung zu diesem Steuersystem. Es gibt zu einem
Bereich des Steuersystems große Zustimmung, nämlich
dazu, dass wir einen großen Teil der Bevölkerung von
der Lohn- und Einkommensteuer freistellen – das sind
fast 40 Prozent – und dass diejenigen, die ein gutes bzw.
ein hohes Einkommen haben, entsprechend höher belas-
tet werden.

Das nennen wir Progression nach der Leistungsfähig-
keit. Das heißt, jemand, der ein hohes Einkommen hat,
wird mit 45 Prozent Lohnsteuer oder Einkommensteuer
belastet. Dazu kommen der Solidaritätszuschlag und die
Kirchensteuer, und so erreicht man fast 50 Prozent.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei uns sind es 42 Prozent!)


Hier gibt es eine hohe Übereinstimmung darin, dass
die Leistungsfähigen für die anderen mitzahlen, und
heute ist es so, dass die oberen 10 Prozent der Leistungs-
fähigen 55 Prozent der gesamten Lohn- bzw. Einkom-
mensteuer zahlen.

Was die Bevölkerung aber nicht akzeptiert, ist, dass
man nicht automatisch 3 Prozent mehr in der Tasche hat,
wenn man eine Gehaltserhöhung von 3 Prozent be-
kommt. Aufgrund unseres Steuertarifs müssen für jeden
Euro, der mehr verdient wird, mehr Steuern gezahlt wer-
den. Das nennen wir kalte Progression. Nicht nur die
Bürgerinnen und Bürger, sondern auch wir von der Ko-
alition akzeptieren das nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Pro Jahr nimmt der Staat – also Bund, Länder und Ge-
meinden – durch diese kalte Progression etwa 3 Milliar-
den Euro mehr ein. Sie wurde nicht gesetzlich festgelegt;
sie kommt nur durch die die Inflation ausgleichenden
Gehaltserhöhungen zustande. Das heißt, mit jedem Euro
zusätzlich zahlt man automatisch mehr Steuern. Mittlere
Einkommen in Höhe von 2 000 bis 3 000 Euro brutto im
Monat zahlen nach der Grundtabelle auf jeden zusätzli-
chen Euro 30 Prozent Steuern. Das heißt, für jeden Euro,
den die Bezieher solcher Einkommen zusätzlich verdie-
nen, werden, wenn man die 20 Prozent Sozialabgaben
hinzunimmt, 50 Prozent abgezogen. Das kann auf Dauer
nicht akzeptiert werden, und wir wollen das auch nicht
akzeptieren. Im Koalitionsvertrag haben wir festgehal-
ten, was wir nach der Wahl tun werden. Jetzt tun wir,
was wir gesagt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben schon öfter über den Einkommensteuerta-
rif diskutiert. In der Großen Koalition haben wir damals
im Rahmen des Konjunkturpaketes II eine Tarifanpas-
sung vorgenommen.


(Joachim Poß [SPD]: Das war richtig!)


Wir haben 2010 zu Beginn der christlich-liberalen Ko-
alition die Familien mit 5 Milliarden Euro unterstützt,
weil es sich um Leistungsträger der Gesellschaft handelt.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: So ist es!)


Außerdem haben wir Gesetze im unternehmerischen Be-
reich sozusagen entschärft, damit die Wirtschaft wieder
Schwung aufnimmt und die Konjunktur gestärkt wird.
Diesen Effekt können wir heute erleben. Denn im Zeit-
raum von 2010 bis 2013 gibt es Steuermehreinnahmen in
Höhe von 83 Milliarden Euro für Bund, Länder und Ge-
meinden. Davon wollen wir den Bürgern jetzt 6 Milliar-
den Euro zurückgeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie alle wissen, dass im Spätherbst der neue Existenz-
minimumbericht erscheint. Das heißt, wir werden beim
Grundfreibetrag ohnehin eine Anpassung vornehmen.
Aber wir wollen auch den Tarif anpassen. Da muss ich
insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der SPD fra-
gen: Wo sind Sie eigentlich angelangt, dass Sie untere
und mittlere Einkommen nicht mehr entlasten wollen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Quatsch! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fangen Sie endlich damit an, die unteren Einkommen zu entlasten!)


Ich verstehe ja, dass Sie nicht allem zustimmen. Aber
hier geht es um 6 Milliarden Euro, die als Einnahmen für
Bund, Länder und Gemeinden nicht eingeplant waren.
Der Finanzminister hat allen, also auch Ihnen, angebo-
ten, die Kosten für die Veränderungen des Tarifverlaufs
zu übernehmen. Das ist nichts anderes als eine Kosten-
übernahme des Bundes. Dennoch lehnen Sie eine Sen-
kung der Steuern für untere und mittlere Einkommen ab.

Sie haben deutlich gemacht, dass es nach Ihrer Über-
zeugung einen höheren Spitzensteuersatz geben müsste.
Der Spitzensteuersatz in Höhe von 42 Prozent wird
schon bei einem Jahreseinkommen von 53 000 Euro er-
reicht. Plus Solidaritätszuschlag ergibt sich eine Steuer-
belastung von fast 47 Prozent. Wer zusätzlich noch die
Reichensteuer zahlen muss, liegt bei fast 50 Prozent
Steuern.

Sie sollten einmal deutlich sagen, dass Sie auch bei
Jahreseinkommen ab 53 000 Euro brutto über eine Steuer-
belastung von 47 Prozent hinausgehen wollen. Zusätz-
lich zu den Sozialabgaben müssten die Betroffenen dann
über 50 Prozent Steuern zahlen.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch nicht richtig! 80 000!)


Von der Linkspartei rede ich in diesem Zusammenhang
gar nicht erst. Sie wollen möglicherweise wie Hollande
in Frankreich in Richtung 75 Prozent gehen.

Sie müssen aber wissen: Wenn Sie den Spitzensteuer-
satz – wir nennen ihn die Reichensteuer – um einen Pro-
zentpunkt anheben, dann fließen in die Kassen von
Bund, Ländern und Gemeinden 300 Millionen Euro zu-
sätzlich. Auf den Bund entfallen dabei 128 Millionen
Euro. Das ist exakt 1 Promille unseres Sozialhaushaltes.
Sie werden erleben, dass dann die mittelständische Wirt-
schaft, die familiengeprägt ist, und die Personenunter-
nehmen, die Einkommensteuer zahlen, Investitionen zu-
rückfahren.





Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)


Heute erleben wir einen Aufschwung in Deutschland.
Damit liegen wir weltweit an der Spitze. Wir haben
durch unsere Maßnahmen im Jahre 2010 und auch im
Zeitraum bis heute unsere Wirtschaft gestärkt. Wir erle-
ben einen Boom, weil wir darauf geachtet haben, die Un-
ternehmen stark zu machen und die Familienbetriebe bei
der Erbschaftsteuer zu entlasten, damit auch die nächste
Generation Arbeitsplätze in Deutschland schafft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben immer an den Ausgleich zwischen kleineren
und größeren Einkommen, zwischen Privatpersonen und
Unternehmen gedacht. Das haben die Gesetze des Jahres
2010 geschaffen. Wir haben übrigens auch kleine und
mittlere Unternehmen entlastet, indem wir zum Beispiel
die Istbesteuerung verändert haben, damit kleine und
mittlere Unternehmen mehr Liquidität bekommen, um
damit Arbeitsplätze zu schaffen.

Herr Poß, Sie haben von Verschuldung gesprochen.
Man kann aber keine Steuersenkung vornehmen, weil
die Verschuldung so hoch ist. Sie sind lange genug da-
bei. Sehen Sie sich einmal die Jahre von 1998 bis 2005
an. Sie haben in jedem Jahr mehr Schulden aufgenom-
men als wir im Jahr 2011.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Da gab es keine Krise.

Wir haben eine Schuldenbremse eingeführt. Wir ha-
ben beim Haushalt des Bundesministers gesehen: Wir
haben eine Neuverschuldung in Höhe von 48 Milliarden
Euro geplant. Wir sind bei 17 Milliarden Euro angelangt.
Wir sind der stabile Faktor in Deutschland.

Wir sind bei der ersten Lesung dieses Gesetzes. Es
geht darum, Motivation nicht nur für Unternehmen, für
Leistungsträger, für Hochverdiener zu schaffen, sondern
es geht insbesondere darum, Motivation bei Arbeitneh-
mern mit unterem oder mittlerem Einkommen zu schaf-
fen. Motivation ist der Kernbereich für die Leistungsfä-
higkeit dieser Gesellschaft. Deswegen kann ich nur
sagen: Unterstützen Sie die Bundesregierung. Unterstüt-
zen Sie die Koalitionsparteien, dass zu viel gezahlte
Steuern von unteren und mittleren Einkommen zurück-
gefahren werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716309100

Das Wort hat nun Nicolette Kressl für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1716309200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wenn man die Debatte verfolgt hat, so ist
einem heute aufgefallen, dass aufseiten der FDP eine
ganz ungewohnte Mischung aus Nervosität und Aggres-
sion vorhanden war. Daraus kann ich nur schließen, dass
dieser Gesetzentwurf wieder für das symptomatisch ist,

was die Koalition in den letzten Jahren im Steuerbereich
anzupacken versucht hat, was nie gelungen ist.

Auch dieser Gesetzentwurf ist davon geprägt, weil er
etwas vorgibt, was er nicht ist. Sie haben am Anfang gar
nicht gewusst, was Sie vorhaben.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie haben es nicht gewusst!)


Wenn man sich einmal die Historie anschaut, dann stellt
man fest: Aus der ganz großen Steuerentlastung ist eine
witzige Melange entstanden. Wenn man die Presse ver-
folgt hat, dann weiß man, dass es einen großen Konflikt
gab. Wir haben Finanzminister Schäuble noch dabei un-
terstützt, als er gesagt hat: Wir haben für die 24 Milliar-
den Euro kein Entlastungspotenzial. Dann wurde die
Höhe der Entlastung immer kleiner. Inzwischen haben
Sie sich entschieden, zu sagen, das, was erst eine abge-
schmolzene Entlastung war und jetzt etwas wird, was nie
geplant war, sei verfassungsnotwendig.

Was sagen Sie denn jetzt? Sie sagen: Wir bräuchten
jetzt die Erhöhung des Existenzminimums. Sie verges-
sen dabei völlig, dass es eigentlich ein geregeltes Verfah-
ren gibt, wie wir uns gemeinsam immer auf eine Erhö-
hung des Grundfreibetrages geeinigt haben, um das
Existenzminimum eines erwachsenen Menschen steuer-
frei zu stellen.

Ich finde aber, Sie sollten zugeben: Wenn Sie die
Werte einfach so greifen, ohne auf die Berechnungen zu
warten, dann ist es eine politische Entscheidung, die da-
raus folgt, dass Sie die Melange, die ich beschrieben
habe, irgendwie zufriedenstellen müssen. Es wäre ein
normales Verfahren, zu sagen: Wir sehen uns die Zahlen
an. Übrigens, Herr Volk, das hat mit Inflation nichts zu
tun. Die Berechnungen des Existenzminimumsberichts
ergeben sich nicht einfach aus einer Hochrechnung der
Inflation, sondern kommen in einem wissenschaftlich
geregelten Verfahren zustande. Wir haben immer gesagt:
Wenn die Zahlen vorliegen, sind wir bereit – das ist eine
verfassungsrechtliche Vorgabe –, dies mitzutragen. Aber
Sie verbrämen sozusagen diese verfassungsrechtliche
Notwendigkeit mit einer – aus Ihrer Sicht, nicht aus un-
serer Sicht – viel zu klein geratenen Steuerentlastung.
Dann kommt so ein – ich weiß nicht, was – Mix heraus.


(Beifall bei der SPD)


Sie ziehen mit Ihrem Gesetzentwurf keine konse-
quente Linie und setzen keine klaren Prioritäten. Sie
können sich zwischen Steuerentlastung und dem Not-
wendigen nicht entscheiden. Für uns Sozialdemokraten
hätten Sie Mut bewiesen, wenn Sie Prioritäten gesetzt
hätten.

Unsere Prioritäten sind: Der Schuldenabbau ist not-
wendig, weil er dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen
entspricht. Das ist die erste Priorität.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die zweite Priorität ist: Wir wollen eine Sicherheits-
reserve für schwierige Zeiten schaffen. Ich finde es wit-
zig, zu sehen, dass Sie inzwischen so tun, als ob es aus-





Nicolette Kressl


(A) (C)



(D)(B)


schließlich einen Zusammenhang zwischen der
Überwindung der Krise und Ihrem Wachstumsbeschleu-
nigungsgesetz gäbe. Zu Beginn dieser Legislaturperiode
waren Sie noch ehrlich und haben zugegeben, dass das
auf die Krisenpakete zurückzuführen ist, die wir gemein-
sam in der Großen Koalition auf den Weg gebracht ha-
ben. Inzwischen geht es ausschließlich um das Wachs-
tumsbeschleunigungsgesetz.


(Beifall bei der SPD)


Das finde ich lustig. Entweder ist das Ausdruck von Ge-
dächtnisverlust, oder es ist Strategie. Aber das lassen wir
Ihnen natürlich nicht durchgehen.

Weil wir damals dem Schuldenabbau Vorrang gege-
ben haben, hatten wir Geld, um Ausgaben im Zusam-
menhang mit der Krisenbekämpfung – ich erwähne als
Beispiel nur die Kurzarbeiterregelung – zu decken.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Als wir mit in die Regierung gingen, gingen die Schulden zurück! Das ist richtig!)


Das machen Sie im Moment nicht. Das hat bei Ihnen
keine Priorität.

Die dritte Priorität ist: Da wir auf die Chancengerech-
tigkeit in unserem Staat achten müssen, setzen wir Mittel
vorrangig für Bildung und Betreuung ein.

Wenn diese Prioritäten beachtet sind, können wir über
Steuerentlastungen reden. Die Menschen wissen das in-
zwischen auch; Herr Poß hat das schon angesprochen.
Laut Umfragen können sich die Menschen eine Steuer-
entlastung sehr gut vorstellen, aber nur, wenn die Rei-
henfolge der von mir eben beschriebenen Prioritäten ein-
gehalten wird. Eine solche Prioritätensetzung lassen Sie
aber vermissen.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte eine letzte Anmerkung machen. Ich finde
Ihre Volte fast schon waghalsig, vielleicht in Zukunft ei-
nen automatischen Ausgleich für die kalte Progression
zu schaffen. Wir sind uns sicherlich einig, dass es einen
solchen Automatismus in den letzten Jahren nicht gab.
Sie tun so, als ob es sich nicht um eine politische Ent-
scheidung handelte, sondern als ob es schon geradezu
verfassungswidrig wäre, die Steuereinnahmen aufgrund
der kalten Progression einzubehalten. An dieser Stelle
finde ich Ihre Argumentation nicht logisch; denn wenn
dem so wäre, dann dürften Sie nicht alle zwei Jahre eine
Überprüfung der Wirkung der kalten Progression vor-
nehmen, sondern dann müssten Sie einen Automatismus
einbauen. Sonst passt das alles nicht.


(Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Tarif auf Rädern!)


Sie versuchen, das zu verbrämen, durchdenken es
aber nicht logisch. Wir wünschten uns mehr Mut, Priori-
täten zu setzen. Sie sollten nicht so viel verpacken und
Maßnahmen auf den Weg bringen, die Sie so gar nicht
geplant haben. Dann könnten wir gemeinsam reden.
Aber so handelt es sich nicht um eine Grundlage, auf der
wir vernünftig und sachlich miteinander diskutieren kön-
nen.


(Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist eine sehr sachliche Grundlage!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716309300

Das Wort hat nun Daniel Volk für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1716309400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Frau Kollegin Kressl, es ist schon erstaunlich, dass
Sie hier eine Prioritätenliste der SPD vorgetragen haben,


(Nicolette Kressl [SPD]: Gut, gell!)


die Sie in den Bundesländern, in denen Sie Regierungs-
verantwortung tragen,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Jetzt kommt wieder die Sehnsucht nach den Ländern! In denen wollen Sie vertreten sein!)


granatenmäßig verraten haben. Erklären Sie uns doch
einmal, warum die Staatsverschuldung in Nordrhein-
Westfalen nach der Regierungsübernahme durch Ihre
Partei so in die Höhe geschnellt ist. Sie machen eine ver-
antwortungslose Haushaltspolitik in den Bundesländern
und setzen sie mit einer verantwortungslosen Finanz-
politik im Bund fort.


(Joachim Poß [SPD]: Sie kennen sich doch gar nicht aus! Das war die Vorgängerregierung, an der Sie beteiligt waren! – Nicolette Kressl [SPD]: Peinlicher Ausfallschritt! Er kann nicht argumentieren zum Gesetz!)


Die steuerpolitischen Vorschläge von SPD, Grünen
und Linken in den letzten Monaten sehen massive Steuer-
erhöhungen vor. Das Einzige, was Ihnen in der Steuer-
politik einfällt, ist Steuererhöhung. Deswegen ist nach-
vollziehbar, dass Sie bei der Frage des Abbaus der kalten
Progression so herumwüten. Es geht Ihnen schlicht da-
rum, dass die Menschen in diesem Land mehr Steuern
zahlen müssen, als sie überhaupt zahlen sollten.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Die reichen Menschen!)


Dementsprechend kommt es Ihnen vollkommen zu-
pass, dass eine automatische Steuererhöhung über das
Vehikel der kalten Progression in unseren Steuergeset-
zen angelegt ist. Sie wüten, weil wir als christlich-libe-
rale Koalition unserer Verantwortung nachkommen, ei-
nen gerechten Ausgleich zu schaffen zwischen der
Steuerpflicht der einzelnen Bürger zur Finanzierung der
notwendigen Staatsausgaben auf der einen Seite und
dem Belassen eines genügend hohen Anteils des Ein-
kommens bei den Bürgern auf der anderen Seite. Kurz:
Wir wollen hier einen gerechten Ausgleich zwischen
Staat und Privat.

Sie wollen immer nur die Steuern erhöhen. Aber dann
sagen Sie doch auch, dass Sie die Steuern erhöhen wol-
len. Machen Sie es nicht so wie im Jahr 2005. Da haben
Sie noch vor der Wahl gesagt: Mit uns gibt es keine Um-
satzsteuererhöhung. Kaum waren Sie in der Regierungs-





Dr. Daniel Volk


(A) (C)



(D)(B)


verantwortung, haben Sie die Umsatzsteuer von 16 Pro-
zent auf 19 Prozent angehoben. Sagen Sie heute endlich
deutlich, dass Sie für Steuererhöhungen sind.


(Joachim Poß [SPD]: Eine Erhöhung der Umsatzsteuer, das wollte der damalige Koalitionspartner, die CDU/CSU! Sagen Sie das doch der Frau Merkel!)


Dann können wir gerne eine ehrliche politische Aus-
einandersetzung über dieses Thema führen. Es ist jedoch
nicht fair, Nebelkerzen zu werfen, so wie Sie es hier in
dieser Debatte gemacht haben. Das ist nicht in Ordnung.
Sagen Sie offen und ehrlich, dass Sie die Steuern erhö-
hen wollen.

Im Übrigen möchte ich noch auf eines hinweisen: Na-
türlich können wir den nächsten Existenzminimumbe-
richt abwarten. Sie können aber nicht die Augen davor
verschließen, dass wir vor einer höheren Inflation ste-
hen. Vor diesem Hintergrund ist es doch absolut nach-
vollziehbar, dass die Tarifparteien die Tarifverhandlun-
gen in diesem Jahr mit Forderungen nach relativ hohen
Lohnsteigerungen beginnen. Wir als christlich-liberale
Koalition werden dafür sorgen, dass die vollkommen
gerechtfertigten Forderungen nach inflationsbedingten
Lohnsteigerungen bei den Leuten ankommen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716309500

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Olav Gutting von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1716309600

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit

dem Entwurf eines Gesetzes zum Abbau der kalten Pro-
gression wollen wir eine im System des linear-progressi-
ven Einkommensteuertarifs begründete Ungerechtigkeit
beseitigen. Uns geht es um die Beseitigung einer Unge-
rechtigkeit und nicht um eine Steuersenkung. Es geht
auch nicht um Steuergeschenke, die wir im Übrigen so-
wieso nicht verteilen können; denn das würde ja bedeu-
ten, dass wir etwas haben, was wir verschenken können.
Wir Politiker sind jedoch nicht Eigentümer des Geldes
der Bürgerinnen und Bürger, das aus den Steuereinnah-
men stammt, sondern wir sind die Treuhänder für dieses
Geld. Deswegen können wir gar nichts verschenken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ist es! Wir sind Treuhänder! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Richtig! So ist es!)


Dank der Progression im Einkommensteuerrecht
muss derjenige, der mehr verdient, nicht nur absolut in
Euro und Cent, sondern auch prozentual eine höhere
Steuer auf sein Einkommen zahlen. In Deutschland ha-
ben wir, wie Kollege Flosbach schon vorhin richtig dar-
gestellt hat, einen Spitzensteuersatz einschließlich Soli
und Kirchensteuer von knapp 50 Prozent. Das führt

dazu, dass das obere Drittel der Einkommensteuerzahler
knapp 80 Prozent des gesamten Einkommensteuerauf-
kommens trägt. Das ist gut so. Es entspricht dem Ge-
rechtigkeitsempfinden einer breiten Mehrheit in diesem
Land.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ändern Sie es denn dann?)


Dennoch krankt unser Einkommensteuersystem an
der Ungerechtigkeit der kalten Progression. Die kalte
Progression bedeutet eine jährliche heimliche Steuer-
erhöhung um mehrere Milliarden Euro. Die Bürger zah-
len höhere Steuern, obwohl die reale Kaufkraft des Ein-
kommens nicht gestiegen ist. Eigentlich ist es eine
Selbstverständlichkeit, dass wir hier eine Korrektur vor-
nehmen und dafür sorgen, dass sich der Staat an den be-
scheidenen Einkommen nicht noch zusätzlich bereichert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das erreichen wir durch die hier vorgeschlagene stu-
fenweise Anhebung des Grundfreibetrages und eine sich
daraus zwingend ergebende Anpassung des nachfol-
genden Tarifverlaufs. Hinzu kommt die regelmäßige
Überprüfung, alle zwei Jahre. Beim steuerfreien Exis-
tenzminimum folgen wir den voraussichtlichen verfas-
sungsrechtlichen Vorgaben.

Sie von der Opposition blockieren das hier. Ich will
doch mal sehen, wie lange Sie sich noch gegen die ver-
fassungsrechtlich vorgegebene Nichtbesteuerung des
Existenzminimums stellen wollen. Es ist schon ein biss-
chen bizarr: Die SPD, die selbsternannte Schutzmacht
der kleinen Leute, die Arbeitnehmerpartei,


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein, nein!)


stellt sich hier in der Debatte gegen die Schaffung von
Steuergerechtigkeit.

Ich muss es wiederholen: Wir machen keine Steuerge-
schenke, sondern verschonen gerade die kleinen und
mittleren Einkommen von einer Steuererhöhung. Insbe-
sondere die unteren und die mittleren Einkommen wer-
den bei dieser Maßnahme prozentual stärker begünstigt.
Natürlich gebietet es die Ehrlichkeit, zu sagen, dass die
Bezieher ganz kleiner Einkommen nichts davon haben;
denn die ganz kleinen Einkommen sind schon steuerfrei,
die Bezieher zahlen keine oder kaum Steuern und sind in
der Regel nur mit Sozialversicherungskosten belastet.
Aber die Bezieher mittlerer Einkommen, die Facharbei-
ter, die breite Masse, die in diesem Land den Karren
zieht – auf sie entfällt der größte Teil der Einnahmen aus
der Einkommensteuer – sind von den Effekten der kalten
Progression betroffen.

Ehrlich gesagt, kann ich das Argument, wir könnten
uns die Beseitigung dieser schleichenden Steuererhö-
hung nicht leisten, nicht mehr hören. Schauen Sie sich
die Entwicklung bei den Steuereinnahmen an. Wir sind
bei der Haushaltskonsolidierung dank unserem Finanz-
minister wunderbar im Plan. Die Maßnahmen stehen im
Einklang mit der Schuldenbremse. Deutschland, werte
Kolleginnen und Kollegen, ist das einzige Land in der
Euro-Zone, bei dem die Ratingagenturen ohne Makel
Triple A bestätigen. Wenn wir uns diese Maßnahme, die-





Olav Gutting


(A) (C)



(D)(B)


ses Stück Gerechtigkeit bei der Einkommensteuer, nicht
leisten können, wer dann!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Werte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Ihre Blockade mithilfe des Bundesrates ist eine Attacke
auf den Geldbeutel der kleinen Leute, die viel arbeiten
und wenig heimbringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Gerade jetzt, in den nächsten Wochen und Monaten, in
denen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach
Überwindung der schweren Wirtschaftskrise in vielen
Betrieben völlig zu Recht eine spürbare Lohnerhöhung
erhalten werden, gerade in dieser Situation müssen wir
eine Perspektive des Ausstiegs aus der kalten Progres-
sion schaffen. Die Lohnerhöhungen der nächsten Mo-
nate gehören den Bürgerinnen und Bürgern und nicht
dem Staat. Treten Sie beiseite! Machen Sie Platz für
mehr Steuergerechtigkeit!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716309700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/8683 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 a und b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Herbert Behrens, Heidrun Bluhm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Pendlerpauschale in sozial gerechtes Pendler-
geld umwandeln und erhöhen

– Drucksache 17/5818 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Ulrich Maurer, Dr. Barbara Höll, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Preiserhöhungswelle an den Tankstellen stop-
pen – Gesetzliche Benzinpreiskontrolle einfüh-
ren

– Drucksache 17/8786 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Damit eröffne ich die Aussprache und erteile als ers-
tem Redner dem Kollegen Klaus Ernst von der Fraktion
Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Porsche-Klaus!– Gegenruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ihr führt eine Neiddiskussion, oder?)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716309800

Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit Januar

2004 sind die Kraftstoffpreise um satte 53 Prozent ge-
stiegen. Das müsste auch Ihnen von der FDP aufgefallen
sein.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ein 911er braucht ja besonders viel! – Weitere Zurufe)


Allein zwischen dem 20. Dezember 2011 und Fe-
bruar 2012 – also in zwei Monaten – hat sich der Preis
für Superbenzin um 10,5 Prozent erhöht. An den Tank-
stellen findet eine Abzocke statt. Wenn man heute tankt,
hat man den Eindruck, man habe die Beteiligung an ei-
nem Ölkonzern erworben. Ich habe den Eindruck, dass
wir hier im Bundestag im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger des Landes eingreifen müssen.


(Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Rohstoff wird immer knapper!)


Ursache für diese Situation ist zum einen die unge-
hemmte Spekulation an den Rohstoffmärkten und zum
anderen die Tatsache, dass wir in der Bundesrepublik
Deutschland im Bereich der Rohstoffe, bei Benzin und
bei Öl, keinen Wettbewerb haben.

Ich zitiere Herrn Andreas Mundt, den Präsidenten des
Bundeskartellamtes, der gegenüber der Rheinischen Post
am 23. Februar 2012 gesagt hat:

Der Markt wird von fünf großen Mineralölkonzer-
nen gemeinsam beherrscht, die sich gegenseitig we-
nig Wettbewerb machen.

Das Ergebnis sind diese Preise. Das Ergebnis ist vor
allem eine Abzocke bei den Menschen, die tanken müs-
sen. Das ist nicht mehr akzeptabel.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sollen Bus und Bahn fahren!)


Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass wir als
Abgeordnete einschreiten und nicht zuschauen. Wir sind
nicht gewählt, um zu beobachten, sondern um zu han-
deln.


(Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es bald auch Lebensmittelkarten?)


Deshalb haben wir in unserem ersten Antrag gefordert,
dass die Benzinpreise künftig überwacht werden.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Zuteilen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Festsetzen wollen Sie die Benzinpreise!)


Das sollte in der Weise passieren, dass Benzinpreise an-
gemeldet werden müssen und dass ihnen zugestimmt
werden muss.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)






Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)


– Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungs-
koalition, empfehle ich, das in ihren Wahlkreisen zu dis-
kutieren. Die Menschen vor Ort sehen das nämlich deut-
lich anders als Sie, die Sie hier absolut unqualifizierte
Zwischenrufe machen. Das möchte ich Ihnen auch ein-
mal sagen.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Mit staatlicher Preisfestsetzung haben Sie 40 Jahre Erfahrung!)


– Ihr fordert doch dauernd: Mehr Netto vom Brutto! Was
wollt ihr denn eigentlich? Ihr betreibt doch, um es ein-
mal deutlich zu sagen, Volksverdummung in höchster
Vollendung, wenn ihr nicht für unseren Ansatz seid.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Das betrifft aber Steuern und nicht Benzinpreise!)


Dann kommen wir zum nächsten Antrag, der sich mit
genau diesem Thema beschäftigt: Wir wollen, dass ins-
besondere Berufspendler von der bereits erfolgten Abzo-
ckerei wenigstens zum Teil entlastet werden. Zurzeit
müssen Beschäftigte für ihren Weg zur Arbeit immer
mehr zahlen; vom Einkommen bleibt immer weniger üb-
rig. Ich habe das einmal ausgerechnet. Eine ungelernte
Arbeitnehmerin, die bei Bosch in Bamberg arbeitet – ich
nenne sie einmal Angela Fleißig –, verdient in Lohn-
gruppe 2 circa 2 400 Euro brutto. Sie muss flexibel zur
Arbeit kommen, weil sie auf Schichtarbeit angewiesen
ist. Sie gehört der Steuerklasse I an und verdient somit
netto 1 550 Euro. Wenn sie von Weißenbrunn nach Bam-
berg zur Arbeit fährt, sind das, einfache Strecke, 62 Ki-
lometer. Bei einem Standardauto mit einem Verbrauch
von 6,4 Litern auf 100 Kilometer bedeutet das,


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Porsche braucht viel mehr! – Otto Fricke [FDP]: 6,5 Liter schafft Ihr Porsche inzwischen! – Weiterer Zuruf von der FDP: 6,4 Liter? Was ist denn das für ein Auto?)


dass sie – der Benzinpreis lag im Januar 2004 bei
1,06 Euro; inzwischen, im März 2012, liegt er bei
1,65 Euro – Kosten von 265 Euro zu tragen hat; im Ja-
nuar 2004 hätten die Kosten noch bei 170 Euro gelegen.
Für diese Mitarbeiterin von Bosch – ich weiß, dass Sie
das nicht interessiert, weil es nicht Ihre Klientel ist –


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das kann ja wohl nicht wahr sein!)


bedeutet das, dass sie rund 17 Prozent ihres Einkom-
mens für Benzin ausgeben muss. Das ist unzumutbar!


(Beifall bei der LINKEN)


Bei einer Pendlerpauschale von 30 Cent werden aktuell
rund 110 Euro im Monat erstattet. Das ist nicht einmal
die Hälfte ihrer Benzinkosten. Deshalb fordern wir Fol-
gendes:

Erstens. Wir müssen die Pendlerpauschale in ein
Pendlergeld umwandeln, damit nicht nur die, die vom
Auto abhängig sind, sondern auch diejenigen, die öffent-
liche Verkehrsmittel benutzen – –


(Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Präsident, ich glaube, da gibt es den Wunsch nach
einer Zwischenfrage.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716309900

Ja. Der Kollege Hinsken möchte eine Zwischenfrage

stellen. – Wie ich sehe, nehmen Sie seine Zwischenfrage
gern entgegen.

Herr Kollege Hinsken, Sie haben das Wort.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1716310000

Herr Kollege Ernst, ich verhehle nicht, dass ich der

Erhöhung einer Pendlerpauschale sehr viel abgewinnen
kann.


(Beifall des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Weil Sie ein so ausgeklügeltes Beispiel gebracht ha-
ben, möchte ich Sie fragen, was das Ganze bei der Be-
nutzung eines Porsche kosten würde; das würde mich in-
teressieren. Sie als aktiver Porschefahrer werden doch
wissen, welche Kosten ein Porsche im Gegensatz zu
kleineren Autos, die von Arbeitnehmern überwiegend
genutzt werden, verursacht.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716310100

Das ist der Unterschied:


(Lachen der Abg. Dr. Birgit Reinemund [FDP] – Otto Fricke [FDP]: Das ist der Unterschied!)


Wir selbst fahren vielleicht ein größeres Auto; aber wir
kümmern uns trotzdem um die kleinen Leute. Bei Ihnen
bleibt es beim größeren Auto.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716310200

Herr Ernst, kommen Sie bitte zum Schluss.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Herr Ernst, Sie sind am Ende!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716310300

Ich komme sofort zum Schluss. – Ich möchte noch

kurz unsere Vorschläge nennen:

Erstens. Die Umwandlung der Pendlerpauschale in
ein Pendlergeld, damit alle etwas davon haben. Zwei-
tens. Erhöhung der Kilometerpauschale von 30 auf
45 Cent. Drittens. Das Pendlergeld wird unabhängig
vom gewählten Verkehrsmittel gezahlt.

Wie die Grünen sind wir dafür, dass der öffentliche
Nahverkehr ausgebaut wird. Aber solange das noch
nicht der Fall ist, kann man von den Arbeitnehmern
nicht verlangen, dass sie mit dem Fahrrad zur Arbeit fah-
ren, weil sie sich das Benzin nicht mehr leisten können.


(Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist gesünder, mit dem Fahrrad zu fahren! Das merken Klaus Ernst immer mehr Leute! Das ist auch besser! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Kein Wort zum Antrag!)





(A) (C)


(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716310400

Das Wort hat der Kollege Olav Gutting von der CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1716310500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege
Ernst, ich will zunächst klarstellen: Ich persönlich teile
das, was eben in Zwischenrufen geäußert wurde, nicht.
Ich finde es gut und schön, dass Sie einen Porsche 911
fahren; das gönne ich Ihnen von Herzen. Ich finde, das
macht Sie sympathisch.


(Nicolette Kressl [SPD]: Nein!)


Die Linken wollen mit ihren Anträgen auf der Welle
der Empörung über die hohen Spritpreise surfen. Was
haben sie gemacht? Sie haben flugs ihren alten Antrag
zum Pendlergeld wieder ausgegraben.

Wir alle ärgern uns über die hohen Benzin- und Die-
selpreise an den Tankstellen. Ich muss mich korrigieren:
Einige ärgern sich nicht. Die Grünen fordern sogar noch
höhere Preise.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Genau so ist es!)


Für die Grünen können die Preise gar nicht hoch genug
steigen. Wir aber glauben, dass bezahlbare Energie und
bezahlbarer Treibstoff eine wichtige Basis für unsere
Volkswirtschaft sind; denn von dieser Volkswirtschaft
leben wir alle. Es kann uns deshalb nicht egal sein, dass
die Benzin- und Dieselpreise an den Tankstellen immer
weiter in die Höhe schießen.

Man muss der Öffentlichkeit klarmachen, dass die
Energiesteuer auf die Treibstoffe seit der letzten Steuer-
erhöhung 2003 unter Rot-Grün nicht mehr erhöht wurde.
Seit 2003 ist die Energiesteuer auf Benzin und Diesel
unverändert geblieben.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Eingeführt von Rot-Grün!)


Es ist auch nicht so, dass der Fiskus, von dem kleinen
Anteil der Mehrwertsteuer einmal abgesehen, bei stei-
genden Preisen immer mehr einnimmt. Der Steueranteil
am Kraftstoff ist mit 65,6 Cent pro Liter immer gleich,
völlig egal, ob der Liter 1 Euro, 1,50 Euro oder 2 Euro
kostet. Das wissen leider die wenigsten, wenn sie an der
Tankstelle wegen der hohen Benzinpreise auf den Staat
schimpfen. Der jeweilige Steueranteil am Liter Benzin
ist in den letzten Jahren aufgrund der steigenden Preise
sogar zurückgegangen. Die Mineralölwirtschaft will die
Schuld an den teuren Preisen der Politik und dem Staat
zuschieben. Ich kann da nur sagen: Das sind schlicht Ne-
belkerzen.

Die aktuellen Steigerungen sind nur zum Teil den ge-
stiegenen Rohölpreisen geschuldet. Es ist die Preispoli-

tik der fünf großen Mineralölkonzerne, die den Markt in
Deutschland in einem Oligopol beherrschen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ach nee!)


Das Bundeskartellamt hat festgestellt, dass Absprachen
zwischen den Konzernen nicht nachgewiesen werden
können. Vielleicht bedarf es dieser Absprachen auch
nicht; denn sie verstehen sich anscheinend blind.

Ich halte es für wichtig, dass wir intensiv nach Mög-
lichkeiten suchen, wie man den Wettbewerb unter den
Konzernen und unter den Tankstellen stärker befördern
kann. Das Patentrezept der Linken lautet wie immer:
zerschlagen und verstaatlichen. Das wird in diesem Fall
aber nicht funktionieren; denn mit der Entflechtung ist es
nicht so einfach; schließlich handelt es sich um multina-
tionale Konzerne, und multinationale Konzerne kann
man durch ein deutsches Entflechtungsgesetz eben nicht
entflechten. Der Ansatz muss ein anderer sein.

Die Forderung nach Erhöhung der Pendlerpauschale
oder nach Einführung eines Pendlergeldes, wie es jetzt
die Linke wieder verlangt, ist der übliche Reflex auf den
Anstieg der Treibstoffpreise an den Tankstellen. Ich
kann jeden verstehen, der sagt: Da muss sich doch jetzt
endlich etwas ändern. Aber eine Anhebung der 30-Cent-
Grenze ist aus meiner Sicht unter haushalterischen Ge-
sichtspunkten schlicht nicht darstellbar.

In der vorangegangenen Debatte hat die linke Seite
dieses Hauses immer wieder betont, dass es keine Mehr-
ausgaben geben darf, dass wir keine Steuererleichterun-
gen vornehmen dürfen. Eine Anhebung der Pendlerpau-
schale auf die von Ihnen vorgesehenen 45 Cent würde
bei einer überschlägigen Berechnung statt bisher 3 bis
4 Milliarden Euro 7 Milliarden Euro kosten, also über
3 Milliarden Euro mehr als bisher. Wie immer machen
die Linken keinen Vorschlag zur Gegenfinanzierung.
Damit dokumentieren sie erneut, dass ihre Fraktion we-
der die Notwendigkeit eines Konsolidierungskurses an-
erkennt noch die Systematik des Steuerrechts verstanden
hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Mathias Middelberg [CDU/ CSU]: So ist es!)


Mit populistischen Anträgen nach dem Motto: „Soll
doch die nachfolgende Generation dafür bezahlen“, kön-
nen wir hier nicht arbeiten. Für die Unionsfraktion jeden-
falls hat die Haushaltskonsolidierung weiterhin Priorität.
Wir haben verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten.
Wir müssen die Schuldenbremse einhalten. Wir werden
uns daran halten.

Sie schlagen vor – das haben Sie vorhin dargestellt –,
das Pendlergeld selbst bei einer nicht vorhandenen Steu-
erschuld direkt auszubezahlen. Ich muss sagen: Ich halte
das für steuersystematischen Unsinn. Das ist wie Frei-
bier für alle. Eigentlich ist es nicht einmal das; denn be-
troffen sind letztendlich nur die Pendler. Was machen
Sie denn mit der Rentnerin oder dem Studenten,


(Otto Fricke [FDP]: Gleich mit!)






Olav Gutting


(A) (C)



(D)(B)


die ja ebenfalls unter den hohen Benzin- und Dieselprei-
sen leiden, da sie auf ihr Auto angewiesen sind? Eine
Änderung der Pendlerpauschale nützt dieser Gruppe
überhaupt nichts.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Pendlergeld! Das haben Sie nicht verstanden!)


Die Entfernungspauschale ist im Übrigen eine ver-
kehrsmittelunabhängige Pauschale. Das heißt, derjenige,
der mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, erhält sie genauso
wie derjenige, der mit dem Auto fährt, und wie derje-
nige, der mit der Bahn fährt. Selbst derjenige, der zu Fuß
zur Arbeit geht, hat Anspruch auf die Entfernungspau-
schale.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716310600

Herr Gutting, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ernst?


Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1716310700

Gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716310800

Bitte schön, Herr Ernst.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716310900

Ich würde gerne Ihren Einwand aufgreifen, dass ein

Pendlergeld einer Rentnerin, einem Rentner oder einem
Nichterwerbstätigen, der kein Pendler ist, nicht zugute-
kommt: Das ist schon nach der jetzigen Regelung so.

Würden Sie mir recht geben, dass Menschen mit nied-
rigerem Einkommen von der Erhöhung der Benzinpreise
prozentual, gemessen an ihrem Einkommen, in stärke-
rem Maße betroffen sind? Würden Sie mir recht geben,
dass sie steigende Benzinpreise schlechter verkraften
können als Personen mit einem höherem Einkommen
und dass es deshalb eine sinnvolle Lösung wäre, unab-
hängig vom Einkommen denselben Betrag zu gewähren?
Dazu müsste man die Entfernungspauschale in ein Pend-
lergeld umwandeln, und die Höhe des Betrages dürfte
nicht abhängig sein vom Steueraufkommen desjenigen,
den man entlasten will. Durch die Umsetzung unseres
Vorschlages würden insbesondere die Bezieher kleiner
Einkommen entlastet werden. Das muss doch Sinn der
Sache sein.


Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1716311000

Lieber Kollege Ernst, Sinn der Sache muss sein, dass

wir mehr Wettbewerb unter den Tankstellen und mehr
Wettbewerb unter den Ölkonzernen bekommen, sodass
wir einen funktionierenden Markt haben und die Preise
nicht mehr so unsinnig steigen wie in den letzten Wo-
chen und Monaten.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Worauf hoffen Sie?)


Sie haben richtigerweise dargestellt, dass eine Verän-
derung der Bemessungsgrundlage aufgrund der linearen
Progression in unserem Steuersystem bei denjenigen, die
höhere Steuern bezahlen, zu einer größeren Entlastung

führt. Logischerweise führt sie umgekehrt bei denjeni-
gen, die weniger Steuern zahlen, zu einer geringeren
Entlastung. Deswegen sollten Sie aber nicht das gesamte
Einkommensteuersystem auf den Kopf stellen. Die Pro-
gression ist nun einmal keine Einbahnstraße. Unser An-
satz ist ein anderer.

Wir haben noch vor ungefähr zehn Minuten über das
Thema „kalte Progression“ gesprochen. Bei diesem
Thema haben Sie sich verweigert, obwohl wir eine Re-
gelung gefunden haben, durch die gerade die Bezieher
niedriger Einkommen prozentual stärker entlastet wer-
den. Ich kann nur sagen – das ist unser Ansatz –: Wir
müssen schauen, dass Benzin und Diesel für alle bezahl-
bar bleiben und nicht nur für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer.

Steuersystematisch ist und bleibt Ihr Vorschlag unsin-
nig. Es macht keinen Sinn, die Progression zu befürwor-
ten, wenn dadurch die höheren Einkommen stärker be-
lastet werden, und sie abzulehnen, wenn es um die
Entlastung geht.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber von der Entlastung her wäre es besser!)


– Sie bejammern immer wieder, dass diejenigen, die
keine oder wenig Steuern zahlen, von der Entfernungs-
pauschale nichts haben. Das ist immer das gleiche Spiel.
Bei den Einkommen soll die Progression gelten; aber bei
der Entlastung wollen Sie davon nichts wissen.

Ich kann nur wiederholen: Solange wir einen progres-
siven Steuertarif haben, der seine Rechtfertigung gerade
in der sozialen Gerechtigkeit hat – derjenige, der mehr
verdient, zahlt nicht nur nominal, sondern auch prozen-
tual mehr Steuern –, wirken Abzugsbeträge und Freibe-
träge zwangsläufig so, dass die absolute Entlastung bei
einem höheren Einkommen höher ist. Jeder zusätzlich
verdiente Euro ist progressionssteigernd. Das heißt,
durch die Progression werden, wie schon gesagt, die
Besserverdiener stärker belastet; das ist absolut richtig.
Ein größerer Anteil ihres Einkommens wird besteuert.
Ich will mich wiederholen: Die Progression in der Ein-
kommensteuer ist keine Einbahnstraße.

Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in sei-
nem Urteil zur Entfernungspauschale, in dem es uns vor-
gegeben hat, sie wieder einzuführen, den Grundsatz der
Folgerichtigkeit herausgestellt. Zur Folgerichtigkeit ge-
hört, dass Belastungen und Entlastungen bei einer Ein-
kommensgruppe die gleiche Größenordnung haben.

Wir haben – das will ich hier klarstellen – die Nöte
der Pendler im Blick. Natürlich gibt es das Problem, das
Sie geschildert haben; wir wollen uns dem überhaupt
nicht verschließen. Wir haben in der Regierungskoali-
tion in den letzten Jahren viel für die Entlastung der Bür-
gerinnen und Bürger getan: Mit dem Bürgerentlastungs-
gesetz und mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz
haben wir


(Nicolette Kressl [SPD]: Wer hat das Bürgerentlastungsgesetz gemacht?)


– wir zusammen mit Ihnen; später haben wir es zusam-
men mit der FDP fortentwickelt – die Arbeitnehmerin-





Olav Gutting


(A) (C)



(D)(B)


nen und Arbeitnehmer um 24 Milliarden Euro entlastet.
Es wäre schön, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, wenn Sie einmal dazu stehen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Jetzt wollen wir, die Koalition, die kalte Progression
abbauen – möglich ist dies nur, wenn die Damen und
Herren von SPD und Grünen ihre Blockadehaltung im
Bundesrat aufgeben – und damit die Bezieher kleiner
und mittlerer Einkommen zusätzlich entlasten. Ich
meine, diese steuerpolitischen Maßnahmen sind jetzt
notwendig. Dadurch werden die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in diesem Land, auch die mit geringen
Einkommen, entlastet.

Ich kann nur sagen: Sie sind mit Ihren heutigen An-
trägen zu kurz gesprungen und führen mit der Forderung
nach Einführung eines Pendlergelds den linear-progres-
siven Steuertarif geradezu ad absurdum.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Von Ihnen liegt gar nichts vor!)


Deswegen werden wir die beiden vorliegenden Anträge
ablehnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie haben keine Antwort!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716311100

Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Was für ein Auto fährt die Kollegin Kressl? – Gegenruf des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Einen Dienstwagen!)



Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1716311200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Gutting, ich habe nicht so ganz verstanden, warum
man nur dadurch, dass man Porsche fährt, sympathischer
wird. Ich finde, das trifft oft nicht zu; dies nur als An-
merkung.


(Heiterkeit – Dr. Daniel Volk [FDP]: Was fahren Sie denn?)


Lassen Sie uns zum Thema kommen. Eine fachliche
Auseinandersetzung mit der Struktur der Pendlerpau-
schale kann grundsätzlich kein Tabu sein; ich glaube,
das muss man deutlich sagen. Aber, Herr Kollege Ernst,
bei Ihnen war nicht ein Hauch von Fachlichkeit zu spü-
ren.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber von Entlastung!)


Das war purer Populismus.


(Beifall bei der SPD)


Zum Thema Populismus muss man ergänzen: Herr
Gutting, das, was Sie beschrieben haben, sehen wir teil-

weise durchaus auch so. Es wäre vielleicht sinnvoll, dies
einigen Kollegen Ihrer Koalitionsfraktionen zu erklären;
denn der Populismus, der in Bayern um sich greift,
scheint nicht an Parteigrenzen haltzumachen.

Ich habe gelesen, dass Frau Kramp-Karrenbauer aus
dem Saarland gefordert hat, wegen der hohen Benzin-
preise die Benzinsteuer zu senken. Sie haben gerade sehr
schön erklärt, was das für ein Blödsinn ist; ist sage dazu
gleich noch etwas. Es gibt einige CSU-Kollegen, die
sich ähnlich geäußert und vorgeschlagen haben, die
Pendlerpauschale zu erhöhen; auch Herr Hinsken hat das
getan. Sie haben deutlich gemacht, dass das nicht geht.
Ich finde, wenn Sie die Situation beschreiben, dann soll-
ten Sie hinsichtlich der Aussagen in Ihren eigenen Rei-
hen für Klarheit sorgen. In Zeiten des Internets lässt sich
nämlich sehr leicht nachvollziehen, wer sich dem Popu-
lismus – er scheint ja sehr stark auf Bayern konzentriert
zu sein – hingibt.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Na, na! Nichts gegen Bayern! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Dem möchte ich jetzt deutlich widersprechen, Frau Kollegin!)


– Ich habe ja nichts gegen Bayern gesagt. Ich habe nur
gesagt: Dort scheint der Populismus ein bisschen kon-
zentriert zu sein.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der FDP ist das bundesweit so!)


Die entscheidende Frage lautet: Sollten wir auf die
steigenden Spritpreise mit steuerlichen Maßnahmen re-
agieren?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716311300

Frau Kressl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ernst?


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Schon wieder? Der hat doch schon so lange gesprochen!)



Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1716311400

Ja, trotz Porsche bzw. egal ob mit oder ohne Porsche.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716311500

Bitte schön, Herr Ernst.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716311600

Ich denke, dass Bayern eine weniger wichtige Rolle

spielt. Weil Sie allerdings das Wort Populismus erwähnt
haben, möchte ich Sie fragen: Halten Sie es für falsch
bzw. für ein Problem, dass sich die Leute, die an der
Tankstelle langsam ihre Geldbörsen festhalten müssen,
gegen die hohen Benzinpreise zur Wehr setzen wollen?
Halten Sie es wirklich für Populismus, wenn eine Partei
die Ängste und Sorgen der Bürger, dass ihnen von ihrem
Geld immer weniger übrig bleibt, aufgreift?


(Otto Fricke [FDP]: Es geht doch um das Wie!)






Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)


Ist es nicht vielmehr die Aufgabe von Abgeordneten, die
Bürger ernst zu nehmen und zu sagen: „Wir müssen et-
was unternehmen und dürfen nicht nur zugucken und la-
mentieren“? Müssen wir nicht wirklich etwas tun, um
die Situation der Bürger zu verbessern?


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Die Zeiten der staatlichen Preisfestsetzung sind seit 22 Jahren vorbei!)



Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1716311700

Lieber Herr Kollege Ernst, hätten Sie nicht schon im

Kopf Ihre Pseudofrage vorbereitet, sondern meinem
letzten Satz zugehört, dann hätten Sie gemerkt, dass ich
gerade Ihren Vorschlag aufgegriffen und die Frage for-
muliert habe: Ist die Steuerpolitik das richtige Mittel, um
gegen steigende Benzinpreise vorzugehen?


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Richtige Frage!)


Diesen Gedanken habe ich gerade aufgegriffen. Aber Sie
mussten ja schon Ihre Frage vorbereiten, um hier im Ple-
num wieder einmal eifrig Ihren Populismus unter Be-
weis zu stellen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sind Sie für die Abschaffung der Pendlerpauschale? Das ist doch dasselbe!)


– Hören Sie mir bitte weiter zu. Herr Ernst, Sie haben
eine Zwischenfrage gestellt. Sie müssen hier aber nicht
in der Gegend herumbrüllen. Das macht keinen Sinn. Ich
finde, wir sollten uns ordentlich verständigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] nimmt wieder Platz)


– Jetzt haben Sie sich schon wieder gesetzt. Ich soll auf
Ihre Frage offensichtlich nicht mehr antworten. Sie wis-
sen ja selbst, dass das keine ordentliche Frage war.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wenn Sie noch eine Antwort haben, stelle ich mich gerne wieder hin!)


– Nein, belassen wir es dabei.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Gut! Also keine Antwort!)


Ich würde jetzt gerne meine Überlegung fortsetzen:
Ist es wirklich sinnvoll, im Rahmen der Steuerpolitik auf
die gestiegenen Benzinpreise zu reagieren? Die Vorstel-
lung, auf diese Art und Weise zu handeln, ist völlig ab-
strus. Denn wir wissen, was passieren wird: Sowohl der
Vorschlag von Frau Kramp-Karrenbauer als auch eine
Erhöhung der Pendlerpauschale würde dazu führen, dass
man den Konzernen den Weg eröffnen würde, mit ihren
Preisen nachzuziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Deswegen wollen wir dagegen ja etwas unternehmen und eine Kontrolle!)


Wir wissen, dass das sofort passieren würde. In der Ver-
gangenheit haben wir im Zuge von Mehrwertsteuer-
senkungen erlebt, dass die entstehenden Gewinne bei
den Unternehmen verblieben sind.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Preiskontrolle!)


Was Sie vorschlagen, klingt gut, würde aber vorne und
hinten nicht funktionieren.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Preiskontrolle haben wir doch gefordert! Seien Sie doch dafür!)


Bei den Preisen gibt es ein ständiges Auf und Ab.
Dass die Preise gestiegen sind, fällt auf, wenn solche
Anträge wie der der Linken eingebracht werden. Ich
hätte gerne erlebt, dass Sie in den letzten Monaten, in
denen die Preise gesunken sind, gesagt hätten: Auch da-
rauf sollte man im Rahmen der Steuerpolitik reagieren.


(Heiterkeit des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Sie sagen, dass Sie das Auf und Ab bei den Preisen aus-
gleichen wollen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dummerweise geht es mit den Preisen aber nur aufwärts!)


Sie kapieren aber nicht, dass Sie dadurch nur die Ge-
winne der großen Konzerne erhöhen würden. Das ist der
völlig falsche Weg.

Es ist richtig – hier sind sich alle einig –, dass wir uns
im Rahmen der Ordnungspolitik, zum Beispiel mit Blick
auf Preisabsprachen, verstärkt darum kümmern müssen,
dass die Politik der Konzerne unter die Lupe genommen
wird. Wenn es eine Möglichkeit gibt, Preisabsprachen
entgegenzuwirken, sollte man sie ergreifen. Das halte
ich für richtig.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sind Sie also für Preiskontrolle?)


Im Rahmen der Steuerpolitik auf solche Vorkommnisse
zu reagieren, ist aber falsch.

Nächster Punkt. Zur fachlichen Sicht würde gehören,
dass Sie uns sagen, was die Umsetzung Ihrer Vorschläge
kostet. Herr Gutting hat, glaube ich, nur die Kosten für
die Umwandlung in ein Pendlergeld beschrieben. Durch
die Negativsteuer, die in dem Antrag steht, wird das ins-
gesamt nämlich teurer. Das, was in dem Antrag der Lin-
ken steht, kostet jährlich 11,7 Milliarden Euro. Der Hö-
hepunkt ist, dass Ihre Angaben sich lediglich auf einen
Einstieg in ein Pendlergeld beziehen.

Man muss deutlich machen: Auch dieses Geld muss
irgendwo herkommen. Erzählen Sie mir jetzt nicht zum
siebten Mal, Sie würden das Geld aus der Erhöhung des
Spitzensteuersatzes dafür verwenden. Das haben Sie
nämlich schon für die Abflachung des Waigel-Buckels,
die 25 Milliarden Euro kostet, ausgegeben.


(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)






Nicolette Kressl


(A) (C)



(D)(B)


Sie „hauen“ fast 12 Milliarden Euro jährlich heraus.
Ein Teil dieses Geldes führt zu zunehmenden Gewinnen
bei den Konzernen. Dies lassen Sie sich über die Ein-
kommensteuer von den Bürgerinnen und Bürgern bezah-
len. Das ist doch völlig abstrus! Das ist der Beweis für
Populismus – nichts anderes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb, glaube ich, sollten wir überlegen, in welcher
Form wir hier in die Preisabsprachen eingreifen können.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Machen Sie einen Vorschlag! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wie stehen Sie denn zur Pendlerpauschale? Ich habe das nicht gehört!)


– Herr Hinsken, Sie wollen offensichtlich keine Zwi-
schenfrage stellen. Auf so unqualifizierte Zwischenrufe
muss ich nicht reagieren. – Ich glaube, es macht Sinn,
sich die ordnungspolitischen Fragen anzugucken. Der
Herr Hinsken kann sich ja mit dem Herrn Gutting da-
rüber unterhalten, wie er zur Höhe der Pendlerpauschale
steht.

Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716311800

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Daniel Volk von

der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1716311900

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehr-

ten Damen und Herren! Herr Kollege Klaus Ernst von
der Linksfraktion, Ihr doch sehr großes Engagement im
Hinblick auf die Reduzierung von Benzinkosten und
Ähnliches führe ich bei Ihnen im Wesentlichen auf eine
gewisse Selbstbefangenheit zurück. Ich glaube, Sie ha-
ben ein erhebliches Eigeninteresse an der ganzen Sache.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie haben einen Blackout!)


Insofern kann ich nachvollziehen, dass Sie hier mit ganz
offensichtlich untauglichen Mitteln auf die aktuelle Si-
tuation reagieren wollen;


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir einmal einen Vergleich des Benzinverbrauches!)


denn die Zeiten staatlicher Preisfestsetzung sind seit
22 Jahren vorbei.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich sage nur Mövenpick! Setzen!)


Ich kann auch nur davor warnen, zu glauben, dass wir
mit staatlichen Preisfestsetzungen eine Besserung errei-
chen werden.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber mit Steuersubventionen bei den Hotels! – Otto Fricke [FDP]: Bingo!)


Sie haben in einem Teil Deutschlands einen 40-jährigen
Flächenversuch unternommen, mit staatlicher Preisfest-
setzung für die dort wohnenden Bürger etwas Besseres
zu erreichen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Euer Flächenversuch ist gescheitert! 3 Prozent!)


Das Ergebnis war, dass Sie eine Mangelwirtschaft hatten
und dass Sie eben nicht eine Besserung der Situation der
Menschen erreicht haben.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Thema verfehlt! Setzen! Sechs! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was sagt uns das jetzt?)


Insofern kann ich Ihnen wirklich nur empfehlen: Bleiben
Sie bei den Regeln der sozialen Marktwirtschaft. Das
bringt am Ende die besten Ergebnisse.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das mit dem „sozial“ habe ich nicht richtig verstanden!)


Im Hinblick auf die aktuellen Benzinpreise möchte
ich deutlich sagen, dass die Bundesregierung hier deutli-
che, aber marktwirtschaftliche Schritte einleitet, um ei-
ner möglichen Monopol- oder Oligopolbildung, also der
Beherrschung des Marktes durch nur einen oder wenige
Anbieter, entgegenzuwirken.

Ich glaube schon, dass es auch wichtig ist, zu erwäh-
nen, dass es in Deutschland neben den Tankstellen der
Ölkonzerne auch viele freie Tankstellen gibt, die in Kon-
kurrenz zu denen der Ölkonzerne stehen und durch den
Wettbewerb verhindern, dass der Benzinpreis durch die
Decke schießt. Ich glaube, dass wir diesen Wettbewerb
steigern sollten und dass durch diesen Wettbewerb eher
als durch staatliche Preisfestsetzungen ein angemessener
Preis zu erreichen ist.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sieht man an der Realität!)


Die christlich-liberale Koalition und die Bundesregie-
rung werden alles daransetzen, diesen Wettbewerb wei-
terhin zu fördern.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Leere Floskel! Es gibt gar keinen Wettbewerb mehr!)


Man muss eben darauf achten, dass die freien Tankstel-
len den Sprit nicht zu einem höheren Preis als die Ölkon-
zerne von den Raffinerien kaufen müssen, und wir müs-
sen für den Wettbewerb dafür sorgen, dass für die freien
Tankstellen die gleichen Bedingungen wie für die Tank-
stellen der Ölkonzerne herrschen. Aus diesem Wettbe-
werb werden sich dann angemessene Preise entwickeln.

Im Übrigen weise ich zu dem zweiten Teil Ihres An-
trags zum Pendlergeld in aller Ruhe darauf hin, dass es
nicht nur steuersystematischer Unsinn ist, das Nettoprin-
zip aufzugeben;


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das wäre mehr Netto vom Brutto! Da geben Sie mir doch Dr. Daniel Volk recht? – Gegenruf der Abg. Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sie haben es nicht verstanden, Herr Ernst!)





(A) (C)


(D)(B)


Unsinn ist auch, dass derjenige, der eine weitere Entfer-
nung zu seinem Arbeitsplatz zurücklegt, dafür auch noch
Geld vom Staat bekommen soll. Ich glaube, dass Sie da-
mit einen Fehlanreiz setzen, der sicherlich nicht vertret-
bar sein wird.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann sind Sie auch für die Abschaffung, oder?)


Denn Sie schaffen dadurch den Fehlanreiz, dass die
Menschen noch mehr Energie, nämlich Sprit, verbrau-
chen, als unbedingt notwendig ist. Ich glaube, das ist in
Zeiten, in denen wir Energieeinsparungen vornehmen
müssen, ein völlig falsches Signal.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wo sollen die Leute denn arbeiten?)


Insofern kann ich nur empfehlen, dass wir weiter bei
den marktwirtschaftlichen Regelungen bleiben, den
Kräften eines wettbewerblichen Systems vertrauen und
nicht zu staatlichen Preisfestsetzungen zurückkehren.
Denn das ist sicherlich nicht der richtige Weg.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716312000

Wollen Sie eine Frage des Kollegen Mücke zulassen?


Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1716312100

Ich erlaube sehr gerne eine Zwischenfrage des Kolle-

gen Mücke.


Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1716312200

Herr Kollege Dr. Volk, ich habe mit großer Aufmerk-

samkeit das Programm der Linkspartei gelesen.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das glaube ich nicht! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber nicht verstanden!)


Darin gibt es ein Kapitel mit der Überschrift „Mobilität
für alle – ökologische Verkehrswende“. In diesem Pro-
gramm wird eine höhere Mineralölsteuer gefordert. Was
halten Sie davon? Glauben Sie, dass die Forderung der
Linksfraktion in diesem Zusammenhang glaubwürdig
ist?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716312300

Herr Kollege Volk, der Kollege Gambke von den

Grünen möchte auch eine Zwischenfrage stellen. Dann
könnten Sie sie im Zusammenhang beantworten.


Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1716312400

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716312500

Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Volk, ich kann Ihnen eine Frage nicht
ersparen. Am 2. April 2010 gab es eine dpa-Meldung:
Aufgrund der damals sehr hohen Spritpreise hat die FDP
die Senkung der Mehrwertsteuer für Sprit vorgeschla-
gen. Können Sie hier erklären, dass die FDP eine Sen-
kung der Mehrwertsteuer aus heutiger Sicht für falsch
hält? Wie verhalten Sie sich dann im Verhältnis zu dem,
was Sie zu Beginn der Legislaturperiode mit der Mehr-
wertsteuer im Hotelgewerbe gemacht haben?


(Burkhard Lischka [SPD]: Jetzt haben wir einen sehr großen Bogen geschlagen!)



Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1716312600

Meine beiden Herren Kollegen haben jetzt einen sehr

großen Bogen gespannt. Zunächst darf ich darauf hin-
weisen, dass es immer richtig ist, eine steuerliche Belas-
tung der Bürger regelmäßig zu überprüfen.


(Caren Marks [SPD]: Von Bürgern oder von Hoteliers?)


Vor dem Hintergrund ist die von Ihnen zitierte Aussage
vom 2. April 2010 völlig richtig, Herr Kollege Gambke.
Diese Aussage ist auch heute noch aktuell.

Im Hinblick auf die inhaltlichen Vorstellungen der
Linksfraktion, auf der einen Seite die Mineralölsteuer zu
erhöhen und auf der anderen Seite jetzt gegen die hohen
Benzinpreise vorgehen zu wollen, haben Sie, Herr Kol-
lege Mücke, völlig richtig auf die Widersprüchlichkeit
hingewiesen. Ich kann leider Gottes diesen Widerspruch
nicht auflösen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann denken Sie mal nach! Vielleicht kommen Sie darauf! Mit etwas Gehirnschmalz geht es!)


Es ist aber bei vielen Forderungen der Linksfraktion so,
dass man die Widersprüche nicht auflösen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Probieren Sie es mal! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das passt sehr wohl!)


Abschließend weise ich darauf hin, dass wir die Pend-
lerpauschale wie jede Pauschale im Steuerrecht sehr
wohl überprüfen und gegebenenfalls an die konkreten
Preise anpassen müssen. Jede Pauschale im Steuerrecht
erfordert eine Gratwanderung hinsichtlich der Frage, ob
sie zu hoch oder zu niedrig ist. Insofern muss eine Pau-
schale, insbesondere auch die Pendlerpauschale, hin-
sichtlich ihrer Höhe überprüft werden. Das, was die
Linksfraktion vorgelegt hat, ist aber nicht der richtige
Weg. Denn das führt zu staatlicher Preisfestsetzung und
zu Fehlanreizen. Deswegen können wir diesen Weg
schlicht nicht unterstützen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716312700

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat nun die Kollegin Lisa Paus vom Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Die Grünen wollten doch mal 5 Mark pro Liter Sprit!)



Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716312800

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Herr Volk, ich freue mich, dass die FDP zumindest bei
diesem Thema wieder ein bisschen auf dem Boden der
Tatsachen angekommen ist. Am Anfang der Woche war
das noch nicht so. Wir haben alle mitbekommen, dass
die Spritpreise auf Rekordniveau sind. Da muss man nur
einen Augenblick lang warten, und die ersten Populisten
kommen aus den Reihen geschossen. Auf der einen Seite
ist das Herr Ernst; das war klar. Auf der anderen Seite
mussten wir am Wochenende Aussagen und Forderun-
gen von Herrn Döring, immerhin Generalsekretär der
FDP und Mitglied des Verkehrsausschusses, vernehmen.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Zitieren Sie doch mal konkret! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Er forderte eine Überprüfung der Pendlerpauschale! Nichts anderes ist auch zutreffend!)


– Nein, er hat das schon konkretisiert. Es ging auch um
die Erhöhung der Pendlerpauschale.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Zitieren Sie ihn doch bitte mal!)


Das ist genau das Gleiche, was Herr Ernst jetzt einfor-
dert.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Zitieren Sie doch korrekt!)


Wir sind uns aber grosso modo einig, dass diese Vor-
schläge nicht tragen, dass es Schnellschüsse sind, dass
sie definitiv nicht von großer Weitsicht und vor allen
Dingen von völligem ökonomischen Unverstand geprägt
sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist falsch, die Pendlerpauschale zu erhöhen. Wenn
überhaupt, Herr Ernst, dann gehört sie abgeschafft.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was haben Sie denn für einen Vorschlag? – Dr. Daniel Volk [FDP]: Die Pendlerpauschale abschaffen?)


– Wenn überhaupt, dann wollen wir sie abschaffen.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Sie wollen die Pendlerpauschale abschaffen?)


– Wir haben aktuell festgelegt, dass man dieses Fass jetzt
nicht aufmachen sollte, weil es verschiedenste Probleme
damit gibt.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Deswegen schaffen wir sie ab? Wir könnten sie auch gerechter machen!)


Dazu komme ich jetzt.

Herr Ernst, Ihr Antrag hat zumindest ein Gutes: Sie
streichen darin noch einmal schön heraus, wie ungerecht
die Pendlerpauschale ist. Diese Kritik teilen wir. Es ist
so, dass Menschen mit kleinem Einkommen weniger
von dieser Subvention bekommen als reiche Leute. Dazu
kommt, dass alle Menschen, die nahe an ihrem Arbeits-
platz wohnen, den Arbeitsweg für die Pendler subventio-
nieren.

Die Kritik teilen wir; da haben wir etwas gemeinsam.
Ihr Lösungsvorschlag trägt aus unserer Sicht aber nicht.
Frau Kressl hat die zentrale Argumentation eben schon
vorgetragen. Ich sage es noch einmal in meinen Worten.
Das Problem sind die hohen Spritpreise, die es zum
Luxus werden lassen, mobil zu sein. Der Benzinpreis
sinkt aber nicht, wenn man die Pendlerpauschale erhöht,
wenn man das Pendeln noch stärker subventioniert als
bisher.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Preiskontrolle!)


Das Einzige, was man erreicht, sind zusätzliche Fehlan-
reize zur Zersiedelung. Man könnte die Pendlerpau-
schale auch Zersiedelungsprämie nennen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohl wahr!)


Das Einzige, was geschieht, ist, dass wir Steuergelder
nutzen, um regelmäßig Geld nach Russland, Großbritan-
nien, Norwegen, Kasachstan und überall dorthin, wo das
Öl sprudelt, zu überweisen. Das ändert an den Ölpreisen
gar nichts. Im Gegenteil: Es treibt die Preissteigerung
noch weiter an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Kollege Hofreiter hat schon gesagt, dass die Benzinpreise zu niedrig sind!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716312900

Frau Kollegin Paus, der Kollege Mücke hat das drin-

gende Bedürfnis, erneut eine Zwischenfrage zu stellen,
obwohl wir eigentlich alle auf das Wochenende warten.
Trotzdem ist es Ihre Entscheidung, ob er eine Frage stel-
len darf oder nicht. Wollen Sie die Frage zulassen?


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Kollege Mücke ist ein sehr netter Fragesteller!)



Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716313000

Ich bin etwas irritiert, weil Sie die Uhr gar nicht an-

halten. Habe ich nur noch 36 Sekunden?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716313100

Ja. Ich habe die Uhr jetzt angehalten, damit Sie ent-

scheiden können, ob Sie die Zwischenfrage zulassen
oder nicht. Ich bin Ihnen schon sehr entgegengekom-
men.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716313200

Sie haben die Uhr sehr spät angehalten.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716313300

Nein, die Uhr wird gestoppt, wenn die Zwischenfrage

zugelassen ist. Ich habe sie jetzt sogar schon vorher ge-
stoppt.

Jetzt können Sie sich entscheiden. Wollen Sie die
Zwischenfrage zulassen oder nicht?


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716313400

Ja.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Sagen Sie noch einmal, dass Sie die Pendlerpauschale abschaffen wollen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716313500

Bitte schön.


Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1716313600

Frau Kollegin Paus, Sie haben gerade ausgeführt,

dass aus Ihrer Sicht eine Luxusentwicklung bei den Mi-
neralölpreisen festzustellen ist. Wie stehen Sie dazu,
dass Ihr Kollege Dr. Anton Hofreiter, seines Zeichens
Vorsitzender des Verkehrsausschusses,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Guter Mann!)


geäußert hat, dass die Benzinpreise noch viel zu niedrig
sind und noch weiter angehoben werden müssten?


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Und gleichzeitig noch die Pendlerpauschale abschaffen!)


Wie verträgt sich das mit Ihrer Auffassung, dass der An-
stieg der Benzinpreise offensichtlich dazu führt, dass
Benzin zum Luxusgut wird?


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716313700

Als Erstes können wir festhalten, dass Toni Hofreiter

ein sehr guter Mann ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: So genau wollten wir es nicht wissen!)


Als Zweites können wir festhalten, dass Herr
Hofreiter mit Sicherheit auf das hinweisen wollte, was
wir alle sehen, wenn wir Zeitung lesen, dass es schlicht-
weg ein Faktum ist, dass die Benzinpreise steigen und
dass der Preis für 1 Barrel Öl steigen wird. Der Preis
steigt jetzt, und er wird auch in den nächsten Jahren wei-
ter steigen. Wir Grüne weisen darauf hin, dass dem so
ist. Die Ölpreise werden weiter steigen, weil Öl endlich
ist. Wir brauchen eine Strategie, die weg vom Öl führt.
Wir brauchen keine Subventionierung des falschen We-
ges,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


nicht nur weil dabei CO2 ausgestoßen wird, sondern weil
das ein Weg ist, der schlichtweg in die Sackgasse führt.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Deshalb wollen Sie auch die Pendlerpauschale abschaffen!)


– Herr Volk, Sie haben mir schon eine ganze Minute ge-
klaut. Das machen wir jetzt nicht noch weiter.

Auch wir Grüne wissen, dass es in unserem Land
Menschen gibt, die nicht in der Stadt wohnen und darauf
angewiesen sind, ein Auto zu benutzen, weil der öffentli-
che Personennahverkehr nicht gut ausgebaut ist. Wir
brauchen aber keine weitere Subventionierung, sondern
eine offensive Strategie zur Entwicklung sparsamerer
Autos. Das ist das wirksamste Mittel gegen zu hohe
Fahrtkosten, und vor allem ist das ein auf Dauer wirksa-
mes Mittel.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber die haben wir noch nicht! Was sagen Sie denn den Leuten heute? Nichts! Sie ignorieren das Problem!)


Eine Beispielrechnung zum Schluss: Die Erhöhung
der Pendlerpauschale von 30 auf 40 Cent würde einer
Pendlerin mit normalem Gehalt 200 Euro pro Jahr mehr
bringen, wenn ihre Arbeitsstelle 30 Kilometer von ihrem
Zuhause entfernt ist. Steigt sie aber bei einem Spritpreis
von 1,50 Euro auf ein Auto um, das statt 8 Litern nur
6 Liter verbraucht, dann spart sie jedes Jahr das Dop-
pelte, nämlich 400 Euro.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir haben mit 6 Litern gerechnet!)


Diese Ersparnis fiele dann auch anderen Steuerzahlerin-
nen und Steuerzahlern nicht zur Last, wie es bei der
Pendlerpauschale der Fall wäre.

Dieses Beispiel zeigt die enormen Sparpotenziale, die
es gibt. Wir alle wissen, dass es schon Autos gibt, die nur
3 Liter auf 100 Kilometer verbrauchen. In diese Rich-
tung muss es weitergehen, unserem Geldbeutel und dem
Klima zuliebe. Dieses Ziel unterstützen wir gerne auch
mit vernünftigen Förderprogrammen, etwa solchen für
mehr Elektromobilität.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das nützt doch heute nichts!)


Ich lade Sie herzlich ein, bei der nächsten Gelegenheit
daran mitzuarbeiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und heute schauen Sie zu, wie die Menschen abgezockt werden!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716313800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5818 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 28 b: Abstim-
mung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/8786 mit dem Titel „Preiserhöhungs-
welle an den Tankstellen stoppen – Gesetzliche Benzin-
preiskontrolle einführen“. Wer stimmt für diesen An-





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist bei Zustimmung der Fraktion Die Linke mit
den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung des Berichts des Rechtsausschusses

(6. Ausschuss) gemäß § 62 Absatz 2 der Ge-

schäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten
Katja Dörner, Ingrid Hönlinger, Monika Lazar,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsames elterliches Sorgerecht für nicht
miteinander verheiratete Eltern
– Drucksachen 17/3219, 17/8555 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Stephan Thomae von der FDP-Frak-
tion das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])



Stephan Thomae (FDP):
Rede ID: ID1716313900

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten über
einen Bericht des Rechtsausschusses über den Antrag
der Grünen zum elterlichen Sorgerecht. Es liegen nun-
mehr zwei Anträge zu dem Themenkomplex des Sorge-
rechts für nichtehelich geborene Kinder vor, einer von
den Grünen und einer von der SPD. Nun zeigen aber
beide Anträge aus den Reihen der Opposition, wie man
es besser nicht machen sollte. Diese Anträge befeuern
die Diskussion, sie bereichern sie bisweilen auch,


(Caren Marks [SPD]: Die FDP nicht!)


aber Regierungsentwürfe werden in der Regel zum Ge-
setz. In Anbetracht der Bedeutung der Sache ist es ange-
messen, dass die Gedanken zu diesem Themenkomplex
reifen, bevor sie in einen Gesetzentwurf münden, der
dann auch beschlossen wird.


(Beifall bei der FDP)


Schauen wir uns zunächst einmal den Antrag der
SPD-Fraktion an.


(Caren Marks [SPD]: Den beraten wir heute gar nicht!)


Dort heißt es, dass dann, wenn sich die Eltern eines
nichtehelichen Kindes nicht über das gemeinsame elter-
liche Sorgerecht verständigen können, von Amts wegen
das Jugendamt aktiv wird. Dies setzt dann den Eltern
eine Frist, sich zu äußern. Nun ist es aber manchmal der
Fall, dass die Zeit für eine solche Entscheidung noch
nicht reif ist, dass sich Eltern noch einmal Gedanken da-
rüber machen wollen, welche Regelung sie gemeinsam
treffen wollen, dass sie sich Zeit lassen wollen, weil sich
vielleicht auch das Verhältnis der Eltern zueinander än-

dert. Dann ist es auch angemessen, dass zunächst einmal
eine gewisse Zeit verstreicht, bis eine Entscheidung fällt.

Stattdessen sieht der Antrag der SPD vor, dass, wenn
sich die Eltern nicht innerhalb einer gesetzten Frist ver-
ständigen, das Jugendamt einen Antrag beim Familien-
gericht stellt. Wir halten das für ganz und gar unnötig
und auch unsachgemäß; denn es ist zunächst einmal Sa-
che der Eltern, sich Gedanken zu machen. Wenn das
Kindeswohl gefährdet ist, dann ist es nach § 1666 BGB
Sache des Staates, hier tätig zu werden. Dann ist der
Staat gefragt. Ich sehe aber keine Notwendigkeit, dass
der Staat den Eltern ein Verfahren aufzwingt, das die El-
tern nicht wollen und das für die Wahrung des Kindes-
wohls auch nicht erforderlich ist.


(Beifall bei der FDP)


So weit zum Antrag der SPD.

Der Antrag der Grünen, über den wir heute an dieser
Stelle beraten, liegt mir von der Diktion und der Rich-
tung her – das sage ich offen – etwas näher,


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


aber auch hier sehe ich drei Probleme, die es zu beachten
gilt.

Das erste Problem ist, dass gemäß dem Antrag der
Grünen eine achtwöchige Schonfrist ab Entbindung grei-
fen soll und diese – jetzt kommt der entsprechende Punkt –
Frist in ihrem Ablauf gehemmt ist, wenn die Mutter eine
entsprechende Mitteilung macht. Da liegt das Problem.
Wenn die Mutter es nun versäumt, eine entsprechende
Mitteilung zu machen – das wird gerade in solchen Fäl-
len sein, in denen die Mutter mit besonders vielen Sor-
gen beladen ist, vielleicht weil es sich um eine Mehr-
lingsgeburt handelt, sich die Mutter auf keine
Angehörigen stützen kann oder die Geburt Komplikatio-
nen bereitet hat –, greift diese Ablaufhemmung nicht, die
die Mutter schützen soll. Gerade dann, wenn die Mutter
am meisten schutzbedürftig ist, kann dieser Schutz aus-
fallen. Das ist ein entscheidendes Manko des Antrags
der Grünen.


(Beifall bei der FDP – Caren Marks [SPD]: Das sagt uns ein Mann! Super! – Burkhard Lischka [SPD]: Dann sagen Sie einmal, wie es gehen soll!)


Das zweite Problem besteht darin, dass das Jugend-
amt dem Antrag des Vaters auf gemeinschaftliche Sorge
dann stattgibt, wenn, so wörtlich, „dem Jugendamt keine
Erkenntnisse über eine offensichtliche Kindeswohlge-
fährdung … vorliegen“. Das Problem besteht darin, dass
diese Formulierung zwei unbestimmte Rechtsbegriffe
enthält: einmal den Begriff der Kindeswohlgefährdung,
also wann das Kindeswohl gefährdet ist, und zum ande-
ren, wann diese Gefährdung offensichtlich ist. Solche
unbestimmten Rechtsbegriffe zu klären, ist in solchen
Fällen des Kindschaftsrechtes nicht Aufgabe der Verwal-
tungsbehörden, sondern der Gerichte. Deswegen sollten
nicht Jugendämter über diese Frage entscheiden, son-
dern die Gerichte.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)






Stephan Thomae


(A) (C)



(D)(B)


Ein weiteres Problem hierbei ist die Quelle der Er-
kenntnis. Die Jugendämter müssten ja selber Anhörun-
gen durchführen und Sachverständige hören, um diese
Fragen zu klären.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen richtig lesen!)


Es müsste eigene Ermittlungen anstellen. Aber das ist
nicht Sache der Jugendämter, die in Sorgerechtsverfah-
ren vor Gericht ja Beteiligte sind, sondern es ist eben Sa-
che der Gerichte.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist das zweite Problem.

Das dritte Problem im Antrag der Grünen ist,


(Caren Marks [SPD]: Das Hauptproblem ist, dass Schwarz-Gelb nicht in die Strümpfe kommt!)


dass die Mutter ebenfalls das gemeinsame Sorgerecht
beantragen kann. So weit, so gut. Nun heißt es aber wei-
ter, dass das Jugendamt die gemeinsame Sorge dann aus-
spricht, wenn der Vater innerhalb von acht Wochen zu-
stimmt. Das heißt e contrario, also im Umkehrschluss:
Stimmt er nicht innerhalb von acht Wochen zu, also
braucht er länger, etwa zehn oder zwölf Wochen, um zu-
zustimmen, dann kann das Gericht wegen Fristablaufs
diesem Antrag nicht stattgeben. Da frage ich mich: Was
ist eigentlich der Sinn des Ganzen? Warum sollte das Ju-
gendamt die gemeinsame Sorge verweigern, wenn der
Vater zwar etwas länger braucht, aber nach einer gewis-
sen Zeit doch sagt, dass er die gemeinschaftliche Sorge
für das Kind ausüben will? Das ergibt keinen Sinn.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


So sehen wir als Fazit: Es gibt viele Vorschläge – da-
für bedanken wir uns –,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


aber sie haben eben viele Haken.


(Caren Marks [SPD]: Sie schlagen Haken!)


Deswegen denke ich, dass die Regelung der gemeinsa-
men Sorge bei der Koalition besser aufgehoben ist.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Caren Marks [SPD]: Sie sind etwas peinlich!)


Ich kündige Ihnen an: Nachdem wir uns mit dieser An-
gelegenheit von großer Bedeutung intensiv beschäftigt
– eine solche Sache muss ja auch reifen – und sie ausdis-
kutiert haben,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit zwei Jahren!)


werden wir in Kürze in die Zielgerade einbiegen. Lassen
Sie sich überraschen!

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Überreif nennt man Fallobst!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716314000

Das Wort hat jetzt der Kollege Burkhard Lischka von

der SPD-Fraktion.


Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1716314100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Thomae, jetzt haben Sie uns über mehrere Minuten
erklärt, welche Probleme die vorliegenden Anträge mög-
licherweise beinhalten. Wissen Sie, was das Hauptpro-
blem ist? Das Hauptproblem ist, dass Sie bis heute nichts
vorgelegt haben.

Inzwischen liegen die beiden Entscheidungen des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des
Bundesverfassungsgerichts über zwei Jahre zurück.
Schwarz-Gelb hat in diesen gut zwei Jahren mehrfach
eine Neuregelung angekündigt,


(Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Ja!)


nämlich für den Herbst 2010 und für das erste Halbjahr
2011. Jetzt sind wir im März 2012.


(Stefan Rebmann [SPD]: Die haben Lieferprobleme!)


Passiert ist trotz dieser Ankündigungen überhaupt
nichts, und das ist ein Armutszeugnis für diese Bundes-
regierung und ein Beleg dafür, dass Sie in der Rechts-
politik gar nichts zustande bekommen haben, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Caren Marks [SPD]: Auch in der Rechtspolitik!)


Das ist ärgerlich, weil inzwischen mehr als 60 Prozent
der ostdeutschen und ein Viertel der westdeutschen Kin-
der nichtehelich geboren werden. Insofern ist das Ganze
auch kein Randthema, sondern brennt Hunderttausenden
betroffenen Vätern, Müttern und Kindern unter den Nä-
geln.

Die Politik hat die Aufgabe, Herr Thomae, diese
Menschen nicht weiter zu vertrösten, sondern endlich
eine praktikable Lösung auf den Weg zu bringen.


(Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Ja, das werden wir auch tun, Herr Kollege!)


Ich gebe gerne zu: Das ist eine nicht ganz einfache Auf-
gabe, meine Damen und Herren, und das hängt insbeson-
dere mit zwei grundsätzlichen Schwierigkeiten zusam-
men.

Erstens. Die Debatte über die künftige Ausgestaltung
des Sorgerechts wird sehr emotional und sehr leiden-
schaftlich geführt. Das kann auch nicht weiter verwun-
dern, weil sich hinter diesem Thema ganz unterschiedli-
che Fallkonstellationen verbergen, angefangen bei den
Eltern, die auch ohne Trauschein ein Leben lang zusam-
menbleiben und sich gemeinsam um ihre Kinder küm-
mern, bis hin zu den flüchtigen Bekanntschaften, bei de-





Burkhard Lischka


(A) (C)



(D)(B)


nen der Vater schon lange vor der Geburt verschwunden
ist und keinen Kontakt zum Kind hat.

Ein zweiter Aspekt: Jede noch so gut gemeinte ge-
setzliche Regelung ist letztendlich darauf angewiesen,
dass die Eltern sie vor Ort in der Praxis jeden Tag ge-
meinsam umsetzen. Wenn das nicht geschieht, läuft jede
Regelung ins Leere, und Notleidende sind dann vor allen
Dingen die betroffenen Kinder.

Wir erleben jetzt seit über zwei Jahren eine Debatte
darüber – das ist zumindest mein Gefühl –, die uns kei-
nen Millimeter vorangebracht hat. Im Gegenteil: Ich
habe das Gefühl, dass die Akteure unversöhnlich in den
Schützengräben verharren.

Die einen fordern, dass der Vater vor Gericht ziehen
muss, um eine gemeinsame Sorge zu erreichen.


(Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Sie täuschen sich, Herr Kollege! Es ist einvernehmlich!)


Die anderen fordern, dass die Mutter vor Gericht klagen
muss, wenn sie eine praktikable Sorgeregelung haben
will, wenn der Vater nicht greifbar ist, keinen Unterhalt
zahlt oder keinen Kontakt zu dem Kind hat. Jeder zeigt
auf den anderen. Der eine ruft: Warum muss eigentlich
bei deinem Modell der Vater vor Gericht ziehen? – Der
andere ruft: Warum muss das bei dir eigentlich die Mut-
ter machen?

Diese Diskussion, liebe Kolleginnen und Kollegen,
bringt uns nicht weiter. Sie hat uns in eine Sackgasse ge-
führt, und aus dieser Sackgasse müssen wir raus, und
zwar schnellstmöglich.


(Beifall bei der SPD)


Insofern bin ich mir sicher, dass eine Neuregelung
Brücken zwischen diesen unversöhnlichen Positionen
bauen muss – Brücken bauen im Sinne der Kinder. Denn
Kinder lieben beide Elternteile. Aber Eltern können die-
ses Bedürfnis ihrer Kinder nur erfüllen, wenn sie berück-
sichtigen: Sie müssen Vernunft walten lassen. Sie
müssen miteinander kooperieren, und sie dürfen ihre
Paarkonflikte nicht auf dem Rücken der Kinder austra-
gen. Das ist das Einzige, was in der Praxis funktioniert.

Und weil wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten das wissen, schlagen wir dreierlei vor:

Erstens. Wir wollen es Eltern so einfach wie möglich
machen, eine gemeinsame Sorge zu erklären, und zwar
gleich bei dem ersten Gang, den alle nach einer Geburt
vor sich haben. Beim Standesamt sollen sie die Möglich-
keit haben, eine gemeinsame Sorgeerklärung abzugeben.

Zweitens. Wenn die Eltern dieses nicht tun, dann wol-
len wir sie nicht sofort in gerichtliche Auseinanderset-
zungen schicken. Denn das fördert nicht die Gemein-
samkeit, sondern nur den Streit zwischen den Eltern. Wir
wollen stattdessen die Eltern mithilfe des Jugendamtes
unterstützen, zu einer einvernehmlichen Regelung zu
kommen. Das stärkt übrigens die Eigenverantwortung
der Eltern, und das vermeidet gerichtliche Auseinander-
setzungen.

Drittens. In den dann noch verbliebenen Konfliktfäl-
len, in denen die Auseinandersetzungen der Eltern so
stark sind, dass sie trotz aller Unterstützung partout nicht
zu einer Regelung kommen können, wollen wir in der
Tat, dass das Jugendamt das Verfahren dann von Amts
wegen an das Familiengericht weitergibt, mit einem An-
trag auf Entscheidung zur elterlichen Sorge, ohne dass
Vater oder Mutter einen Antrag stellen muss. Vater und
Mutter werden so nicht in die missliche Situation ge-
bracht, gegen den jeweils anderen Elternteil zu klagen.
Ich glaube, dieser Vorschlag kann verhärtete Fronten tat-
sächlich aufbrechen und den Weg nach vorne weisen.

Wir werden in Kürze die Möglichkeit haben, über
diesen Vorschlag der SPD-Fraktion im Deutschen Bun-
destag zu debattieren. Angesichts der zweieinhalb Jahre
währenden Zeit des Wartens möchte ich Sie herzlich bit-
ten: Nutzen Sie diese Chance und lassen Sie uns gemein-
sam diesen Weg nach vorne gehen! Das ist im Sinne der
betroffenen Eltern und vor allen Dingen im Sinne der be-
troffenen Kinder.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716314200

Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Silberhorn

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1716314300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist heute unstrittig, dass die Väter von Kindern aus Be-
ziehungen ohne Trauschein beim elterlichen Sorgerecht
benachteiligt worden sind. Die bisherige Rechtslage
trägt nicht nur den vielfältigen Lebensmodellen nicht
ausreichend Rechnung. Sie entspricht auch nicht ausrei-
chend dem Zweck des Sorgerechts, nämlich das Wohl
des nichtehelichen Kindes zu schützen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und
das Bundesverfassungsgericht haben das zu Recht mo-
niert. Beide rügen, dass ein nichtehelicher Vater ohne
Zustimmung der Mutter generell von der Sorgetragung
für sein Kind ausgeschlossen ist und das auch nicht ge-
richtlich überprüfen lassen kann. Das ist der Ausgangs-
punkt unserer Überlegungen.

Die Koalition hat sich intensiv damit befasst, diesen
unbefriedigenden Zustand zu korrigieren. Maßstab unse-
rer Überlegungen ist immer das Kindeswohl. Es kommt
also nicht allein auf den Elternwillen an. Allerdings wird
die gemeinsame elterliche Sorge regelmäßig auch dem
Kindeswohl entsprechen. Die Entwicklung des Kindes
wird im Idealfall durch beide Elternteile geprägt. Das ist
unser Leitbild auch in diesem Gesetzgebungsprozess:
Ein Kind braucht Mutter und Vater.

Es ist daher zu begrüßen, wenn Väter vielfach ganz
selbstverständlich dazu bereit sind und sich mit Nach-
druck darum bemühen, Verantwortung für ihr Kind zu





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)


übernehmen und ihr elterliches Sorgerecht wahrzuneh-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Klar ist aber auch, dass die Mutter als Gebärende und
Ernährende gerade für Kinder im Säuglingsalter die
engste Bezugsperson ist und ihr daher eine naturgege-
bene Sonderstellung zukommt.

Ein Großteil der nicht verheirateten Eltern, genau
62 Prozent, gibt nach einer Studie des Bundesjustiz-
ministeriums bereits kurz vor oder nach dem Geburtster-
min eine Erklärung zur gemeinsamen Sorge ab. Das un-
terstreicht, dass die gemeinsame elterliche Sorge auch
bei Unverheirateten der Regelfall ist und dem Kindes-
wohl am ehesten entspricht.

Es gibt aber auch mehr als nur vereinzelte Fälle, in
denen unverheiratete Eltern nicht zu einer gemeinsamen
Wahrnehmung ihrer Elternverantwortung bereit oder in
der Lage sind. Für die Fälle, in denen sich die Eltern zu
keiner gemeinsamen Sorgerechtserklärung durchringen
können und die oftmals durch erhebliche Konflikte zwi-
schen den Eltern gekennzeichnet sind, muss eine Neure-
gelung zum Wohl des Kindes erreicht werden. Das ist
das Feld, in dem wir uns streiten.

Es gibt grundsätzlich zwei Maximalpositionen, wenn
die Mutter mit einer gemeinsamen elterlichen Sorge
nicht einverstanden ist. Einerseits kann der Vater auf den
Klageweg verwiesen werden. Andererseits kann das
Sorgerecht kraft Gesetzes beiden Eltern zugewiesen
werden, ohne dass es eines Antrags oder einer Sorge-
rechtserklärung bedarf.

Die Rechtspolitik kann aber – auch das hat die Studie,
die im Auftrag des Bundesjustizministeriums erstellt
worden ist, ergeben – an der tatsächlichen Lebenssitua-
tion von Kindern und Eltern nicht vorbeigehen. Ich will
das anhand von zwei Fallkonstellationen kurz erläutern.

Nehmen Sie die Situation, dass eine Frau Opfer einer
Vergewaltigung wurde, dadurch schwanger wird und
sich dafür entscheidet, dieses Kind auszutragen. Kann
man dieser Frau wirklich zumuten, dass sie ihre elterli-
che Sorge kraft Gesetzes nur gemeinsam mit dem Verge-
waltiger ausüben kann und sich das alleinige Sorgerecht
erst vor Gericht erstreiten muss?


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer möchte das denn? Das hat niemand vorgeschlagen!)


Wir sind uns sicher einig – ich merke das an Ihren Re-
aktionen –, dass das keiner von uns will.

Oder sollen Väter, die ihre Vaterrolle nicht annehmen
– sei es, weil das Kind aus einer flüchtigen Beziehung
oder aus einer ungeplanten Schwangerschaft stammt –,
automatisch ein Sorgerecht für dieses Kind erhalten?


(Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die müssen keinen Antrag stellen!)


Ich meine, es sprechen gute Gründe dafür, das Sorge-
recht zunächst allein der Mutter zuzusprechen. Das sieht

das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als zulässig
an. Der Vater muss aber dann die Möglichkeit haben,
auch ohne den Willen oder gegen den Willen der Mutter,
sein Recht auf elterliche Sorge zu erhalten. Dazu brau-
chen wir zügige und unkomplizierte Verfahren. Ich halte
es für ein notwendiges Korrelat zur Privilegierung der
Mutter mit einem anfänglich alleinigen Sorgerecht der
Mutter, dass dem Vater ein Weg eröffnet wird, sein Sor-
gerecht schnell und einfach geltend zu machen.

Die Vorschläge, die die Opposition eingebracht hat,
sind schon ausführlich gewürdigt worden.

Zur SPD. Sie schlagen vor, die Rolle des Jugendamtes
zu stärken. Es soll eine eigene Bewertung vornehmen
und den Fall dann dem Familiengericht vorlegen. Dieser
Lösungsansatz beinhaltet aber eine Entscheidung über
die Köpfe der Betroffenen hinweg.


(Caren Marks [SPD]: Nein! Falsch! Mit den Eltern!)


Die eigenständige Vorlage durch das Jugendamt an das
Familiengericht ohne weitere Einbeziehung oder An-
tragstellung eines Elternteils lehnen wir ab. Solche Au-
tomatismen sind eher kontraproduktiv und sicherlich
nicht geeignet, mehr Rechtsfrieden zu stiften.

Ähnliche Automatismen sieht der Antrag der Grünen
vor. Hier wird automatisch dann die gemeinsame Sorge
erteilt, wenn der Vater einen entsprechenden Antrag
beim Jugendamt stellt, die Mutter innerhalb einer Erklä-
rungsfrist nicht widerspricht und dem Jugendamt keine
Erkenntnisse über eine offensichtliche Kindeswohlge-
fährdung durch den Vater vorliegen. Die Erteilung des
elterlichen Sorgerechts durch das Jugendamt kraft Ver-
waltungsakt halten wir für eine absurde Idee. Wir lehnen
sie ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man sollte die Anträge einmal genauer lesen!)


Ich glaube, dass wir Abstand nehmen müssen von sol-
chen automatisierten Verfahren. Wir brauchen Verfah-
renswege, die eine Aussicht auf eine Beilegung der Aus-
einandersetzung haben, die den Interessen der Mutter
und des Vaters gleichermaßen gerecht wird.

Für uns als Union ist es besonders wichtig, dass das
Schweigen der Mutter nicht als Zustimmung gewertet
wird. Wir halten das in diesem Rechtsbereich für nicht
angebracht. Gerade in den ersten Wochen und Monaten
nach der Geburt eines Kindes ist die Mutter oft psy-
chisch und physisch stark beansprucht. Ich glaube, es ist
ein wichtiges Anliegen, dass in dieser Situation ihr
Schweigen nicht einfach als Zustimmung zur Zuerken-
nung des gemeinsamen Sorgerechts gewertet wird.

Wir wollen auch verhindern, dass es ein Hin und Her
bei der Erteilung des Sorgerechts gibt, dass zunächst au-
tomatisch kraft Gesetzes ein gemeinsames Sorgerecht
etabliert wird, die Mutter dann Widerspruch einlegen
kann und der Vater dies wieder rückgängig machen
kann. Eine mehrfache Erteilung und Entziehung des Sor-
gerechts birgt die Gefahr der Rechtsunsicherheit und be-





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)


schwört weitere Konflikte unter den Eltern herauf. Unser
Ansatzpunkt ist eher ein Mittelweg.


(Burkhard Lischka [SPD]: Was heißt denn „unser“? – Caren Marks [SPD]: Es gibt doch gar keinen!)


– Ich spreche hier als Mitglied der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion.


(Burkhard Lischka [SPD]: Ah, ja! CDU/CSU!)


Wir sind in einem laufenden Gesetzgebungsverfahren.
Wir diskutieren aufgrund Ihrer Anträge ganz offen, wie
wir uns in diesem Bereich bewegen.


(Burkhard Lischka [SPD]: Dann haben wir das einmal geklärt!)


Dass Ihre Vorschläge nicht zureichend sind, die aufge-
worfenen Probleme zu lösen, ist übereinstimmend deut-
lich geworden.


(Caren Marks [SPD]: Vor allem ist auch deutlich, dass Sie nichts haben!)


Im Übrigen, wenn ich das zu Ihrem Zuruf sagen darf:
Wenn wir uns darüber einig sind, dass das Leitbild darin
besteht, dass Vater und Mutter für ihre Kinder gemein-
sam die elterliche Sorge tragen, dann wäre das Wesentli-
che schon konsentiert. Wir streiten uns dann im Kern
über Verfahrensfragen, vom Jugendamt bis zum Fami-
liengericht, Antragstellungen hin oder her, Fristen und
Ähnliches, sodass wir sagen können: Wir sind auf einem
guten Weg.


(Burkhard Lischka [SPD]: Aber im Schneckentempo! – Caren Marks [SPD]: Ihre Zeit ist bald zu Ende!)


Wir müssen aber jetzt eine solche Lösung finden, die
nicht die Verfahrensfragen und Zweifel aufwirft, die Sie
in Ihren eigenen Anträgen zum Ausdruck bringen.

Natürlich muss zunächst eine gemeinsame Sorge-
rechtserklärung der Regelfall sein. Das ist der Weg, der
Konflikten am ehesten vorbeugen kann. Es muss im
Blick gehalten werden, das Wohl des Kindes dadurch zu
fördern, dass gemeinsame Sorgerechtserklärungen er-
möglicht werden. Wenn aber die Mutter widerspricht
oder zu dieser Frage schweigt, dann sollte dem Vater ein
Antragsrecht zur Prüfung durch das Familiengericht ein-
geräumt werden. Nach meiner Auffassung sollte das in
einer angemessenen, eher kurzen Frist geschehen, weil
ich einen zügigen Verfahrensablauf als Korrelat zur Pri-
vilegierung der Mutter durch das anfänglich alleinige
Sorgerecht betrachte.


(Caren Marks [SPD]: Zügig! Gutes Stichwort, dass Schwarz-Gelb mal zügig was vorlegt!)


Wir sollten uns außerdem – dieser Aspekt ist noch gar
nicht angesprochen worden – um eine Verfahrensbe-
schleunigung vor den Familiengerichten bemühen; denn
wenn letztlich vor Gericht entschieden wird, dann ist den
Eltern und insbesondere den Vätern nicht gedient, wenn
unbefriedigend lange Wartezeiten bis zu einer Sorge-
rechtsentscheidung entstehen. Auch darauf sollten wir
unser Augenmerk richten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für uns ist zudem wichtig, den materiell-rechtlichen
Prüfungsmaßstab zu verändern. Dieser Aspekt kommt in
Ihren Überlegungen, meine Damen und Herren von der
Opposition, überhaupt nicht zum Tragen. Wir wollen,
dass vor Gericht nicht mehr begründet werden muss, wa-
rum die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl
entspricht. Wir wollen das als Regelfall und als unser
Leitbild ansehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Burkhard Lischka [SPD]: Das steht sogar bei uns im Antrag!)


Deswegen sind wir der Auffassung, dass die gerichtli-
che Prüfung künftig darauf konzentriert werden kann, ob
Gründe des Kindeswohls einer gemeinsamen elterlichen
Sorge entgegenstehen; das ist etwas ganz anderes. Der
Mutter sollte natürlich in diesem Verfahrensstadium
noch einmal die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben
werden. Aber es macht schon einen Unterschied, ob man
sich vor Gericht darüber streiten muss, ob die gemein-
same elterliche Sorge dem Kindeswohl entspricht, oder
ob man als Regelfall davon ausgeht, dass es dem Kin-
deswohl entspricht, und nur darlegen muss, ob etwas ge-
gen die gemeinsame elterliche Sorge spricht.


(Burkhard Lischka [SPD]: Darüber gibt es überhaupt keinen Disput!)


Über diesen materiell-rechtlichen Prüfungsmaßstab
müssen wir ebenfalls diskutieren. Ich denke, die Ände-
rung des Prüfungsmaßstabs untermauert noch einmal un-
ser Leitbild, dass die gemeinsame elterliche Sorge im
Regelfall dem Kindeswohl entspricht.

Wie Sie sehen, sind die Fragen der elterlichen Sorge
komplex und kompliziert. Wir müssen mit Fingerspit-
zengefühl zu einer Lösung kommen, die zuallererst dem
Kindeswohl entspricht und gleichzeitig den unterschied-
lichen Interessen von Vätern und Müttern ausreichend
Rechnung trägt.


(Burkhard Lischka [SPD]: Und ein bisschen schneller!)


Wir werden vielleicht nicht alle Betroffenen zufrieden-
stellen können. Was uns aber gelingen kann und wird
– davon bin ich fest überzeugt –, ist eine faire und trans-
parente Regelung, die dazu dient, das bestehende Un-
gleichgewicht wieder in Balance zu bringen. Unser Ziel
muss sein, dass die gemeinsame elterliche Sorge als Re-
gel- und Erfolgsmodell noch stärker verankert wird. Das
liegt im Interesse unserer Kinder.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716314400

Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716314500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

führen heute eine Geschäftsordnungsdebatte. Was sich
hier abspielt, ist den Bürgerinnen und Bürgern außerhalb
des Bundestages kaum zu vermitteln. Zuerst werden
über viele Jahre hinweg die Elternrechte nicht verheira-
teter Väter verletzt, indem sie ohne Zustimmung der
Mütter generell von der Sorgetragung für ihre Kinder
ausgeschlossen werden. Diese Väter konnten noch nicht
einmal gerichtlich überprüfen lassen, ob es aus Gründen
des Kindeswohls angezeigt ist, ein gemeinsames Sorge-
recht einzuräumen oder ihnen sogar die Alleinsorge für
ihre Kinder zu übertragen.

2009 rügt dann der Europäische Gerichtshof für Men-
schenrechte dies als Verletzung der Europäischen Men-
schenrechtskonvention. Schließlich entscheidet das Bun-
desverfassungsgericht im Juli 2010, dass nicht
verheiratete Väter das Recht haben, das gemeinsame
Sorgerecht vor Gericht zu erwirken, ohne dass die Mut-
ter dies verweigern kann. Weil das Bundesverfassungs-
gericht offensichtlich Erfahrung mit der Geschwindig-
keit bei der Umsetzung seiner Entscheidungen durch den
Gesetzgeber hat, ordnete es ein Übergangsverfahren an.
Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung des Sorgerechts
hat das Familiengericht auf Antrag eines Vaters beiden
Elternteilen die Sorge für das Kind zu übertragen, wenn
dies nicht dem Kindeswohl entgegensteht.

Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
von vor fast zwei Jahren sind wir Parlamentarier aufge-
fordert, die Frage des gemeinsamen Sorgerechts in die-
sem Sinne neu zu regeln. Dass die Bundesregierung da-
für keinen eigenen Lösungsansatz vorlegt, ist schon
seltsam genug. Zum einen hat das Bundesverfassungsge-
richt in den Gründen so klare und eindeutige Vorgaben
gemacht, dass es selbst für Nichtjuristen möglich sein
sollte, einen entsprechenden Gesetzestext oder Antrag
zu formulieren. Zum anderen interessiert die Frage der
Neuregelung der gemeinsamen elterlichen Sorge sehr
viele Menschen in diesem Land; der Kollege Lischka hat
die Zahlen schon genannt. Es sind nicht nur die Rechte
der betroffenen Väter herzustellen, sondern damit hän-
gen auch Rechte der Kinder zusammen, zum Beispiel
hinsichtlich ihrer Beziehungen zu Großeltern und ande-
ren Verwandten.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat bereits vor
mehr als einem Jahr einen Lösungsvorschlag unterbrei-
tet, wie aus ihrer Sicht eine verfassungskonforme Rege-
lung aussehen könnte, die den sich ändernden Familien-
formen in unserem Land Rechnung trägt. Was aber
passiert in den zuständigen Ausschüssen? Der federfüh-
rende Rechtsausschuss geht geschlagene neun Monate
mit dem Antrag schwanger – es geht ja auch um das Sor-
gerecht –, bevor er ihn das erste Mal überhaupt auf seine
Tagesordnung setzt. Da kann man sich gut vorstellen,
mit welcher Dringlichkeit das Votum des mitberatenden
Familienausschusses angefordert worden ist.

Andererseits – das muss man an dieser Stelle auch sa-
gen – hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen selbst be-
antragt, die weiteren Beratungen zu vertagen. Sich dann
nach wochenlangem Warten hinzustellen und nach dem

Stand der Beratungen zu fragen, ist schon ein bisschen
seltsam.


(Beifall bei der LINKEN – Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie für die Linke doch mal selbst was vor!)


Ich finde, Ihr Umgang mit einem so sensiblen und emo-
tional besetzten Thema ist ein Armutszeugnis für die
parlamentarische Arbeit.


(Beifall bei der LINKEN – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keinen Antrag und keine Ahnung, wie Sie es machen wollen!)


Inzwischen liegen auch Anträge der SPD zum Sorge-
recht vor. Meine Fraktion wird nächste Woche einen An-
trag zur Neuregelung des Sorgerechts ins Parlament ein-
bringen,


(Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir freuen uns darauf!)


der dann möglicherweise die von allen geforderte Brü-
cke zwischen den einzelnen Anträgen schlägt, damit wir
zügig zu einer Neuregelung kommen. Ich hoffe, dass die
heutige Debatte dazu beiträgt, die Beratungen der An-
träge noch vor der Sommerpause zu ermöglichen und die
beste Lösung für die betroffenen Kinder und Eltern zu
finden. Denn es ist unsere Aufgabe, für die Probleme der
Menschen in diesem Land zügig Lösungen zu finden.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716314600

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Hönlinger vom

Bündnis 90/Die Grünen.


Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716314700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

diskutieren heute im Bundestag, aufgrund unseres Ge-
schäftsordnungsantrags, zu unserem Antrag „Gemeinsa-
mes elterliches Sorgerecht für nicht miteinander verhei-
ratete Eltern“. Leider ist diese Debatte mehr als
notwendig.

Wir erinnern uns: Vor zwei Jahren hat der Europäi-
sche Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass
die deutsche Regelung zum Sorgerecht für unverheira-
tete Väter eine ungerechtfertigte Benachteiligung gegen-
über Müttern und verheirateten Vätern darstellt. Kurz
danach hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt,
dass die betreffenden familienrechtlichen Normen das
Elternrecht aus Art. 6 Grundgesetz verletzen. Das Bun-
desverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber, also uns,
die Neuregelung des Sorgerechts aufgegeben und bis da-
hin eine Übergangsregelung verfügt.

Vor über einem Jahr, im Januar 2011, haben wir hier
bereits über unseren Antrag zur Neuregelung des Sorge-
rechts diskutiert. Damals waren sich alle Fraktionen ei-
nig, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
zügig umgesetzt werden müssen. In der Debatte sagte





Ingrid Hönlinger


(A) (C)



(D)(B)


zum Beispiel Frau Granold von der CDU, dass in Kürze
ein eigener Gesetzentwurf vorgelegt werden könne.


(Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Stimmt!)


Im Februar 2011 war zu hören, dass sich die Koalition
nach intensiven Gesprächen und Diskussionen auf einen
Kompromissvorschlag der Bundesjustizministerin eini-
gen konnte. Heute schreiben wir den 2. März 2012, und
Fakt ist: Ein solches Gesetz gibt es nach wie vor nicht.

Die mehrfachen Ankündigungen, auch im Rechtsaus-
schuss, haben sich als leere Sprechblasen entpuppt. Die
schwarz-gelbe Regierung schafft es, dass eine Verurtei-
lung Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte wie eine Nebensache behandelt
wird, und das nicht zum ersten Mal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, ich fordere Sie auf, endlich tätig zu werden und für
die vielen betroffenen Kinder und Väter eine Regelung
zu schaffen. Denn eine Gesetzeslage, die gegen das
Grundgesetz verstößt, muss so schnell wie möglich be-
seitigt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Sie können sich nicht länger auf der Übergangslösung
des Bundesverfassungsgerichts ausruhen. Wenn die heu-
tige Debatte dazu beiträgt, dass wir seitens der Regie-
rungskoalition und seitens der Linken Anträge und Ge-
setzentwürfe vorgelegt bekommen,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nächste Woche!)


über die wir hier diskutieren können, dann hätte sich die
Debatte am heutigen Freitagnachmittag tatsächlich ge-
lohnt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grünen meinen jedenfalls, dass der derzeitige
Zustand nicht befriedigend ist; denn alle Kinder haben
ein Recht darauf, dass beide Eltern für sie Verantwor-
tung übernehmen. Das gilt unabhängig davon, ob diese
Eltern verheiratet sind oder nicht. Dieses Recht drückt
sich auch und gerade im Sorgerecht aus, meine Damen
und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs-
koalition, diese Thematik betrifft eine Vielzahl von Ein-
zelschicksalen. Darunter leiden nicht nur die benachtei-
ligten Väter, sondern auch die Kinder und in letzter
Konsequenz auch die Mütter. Wenn Sie sich unseren An-
trag zu diesem Thema genau anschauen, dann werden
Sie sehen: Er bietet eine gute Grundlage für eine ausge-
wogene und gerechte Lösung in der Sorgerechtsfrage.
Deshalb wiederhole ich meine Aufforderung: Handeln

Sie schnell und in diesem Sinne! Dann haben Sie unsere
Unterstützung.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716314800

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat nun das Wort die Kollegin Caren Marks von der
SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1716314900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heu-
tige Debatte um das elterliche Sorgerecht nicht miteinan-
der verheirateter Eltern macht eines ganz deutlich: Es ist
definitiv an der Zeit, dass die Bundesjustizministerin
endlich ein Gesetz vorlegt, um den Auftrag des Bundes-
verfassungsgerichts umzusetzen,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und zwar so umzusetzen, dass sich darin die heutige Le-
benswirklichkeit aller Eltern und Kinder widerspiegelt.
Denn diese Wirklichkeit ist durch eine Zunahme der
Zahl nicht miteinander verheirateter Eltern geprägt. Alle
Eltern, egal ob mit oder ohne Trauschein, haben eine ge-
meinsame Verantwortung für die Erziehung und Ent-
wicklung ihrer Kinder. Der dazugehörende rechtliche
Rahmen muss durch uns, den Gesetzgeber, festgelegt
werden.

Wir alle wissen aber auch: Das Ziel der gemeinsamen
Sorge wird in der Realität nicht immer erreicht. Es gibt
natürlich die sogenannten Konfliktfälle, in denen sich
beispielsweise Väter nicht kümmern oder aber Mütter
dies nicht zulassen. An dieser Stelle finde ich den Lö-
sungsvorschlag der Grünen nicht richtig, da dieser eine
gemeinsame Sorge erschwert, weil ein Elternteil einen
Antrag stellen oder Widerspruch einlegen muss, wenn
die gemeinsame Sorge nicht gewünscht ist. Wir, die
SPD-Bundestagsfraktion, haben ein eigenes Modell ent-
wickelt, das wir zu einem anderen Zeitpunkt ausführlich
hier im Plenum debattieren werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bisher fällt die Sor-
gerechtsverantwortung in Deutschland bei Unverheirate-
ten kraft Gesetzes automatisch der Mutter zu. Väter kön-
nen sich dieser Verantwortung schon durch die
Nichtabgabe der Sorgeerklärung ohne Weiteres entzie-
hen. Wir denken, das muss sich ändern.


(Beifall bei der SPD)


Eine gemeinsame Sorge stärkt die Partnerschaftlich-
keit von Müttern und Vätern. Sie ist auch ein Beitrag zu
mehr Gleichstellung. Vor allem aber stärkt es die Kinder,
wenn Eltern die gemeinsame Sorge haben und diese
auch wirklich wahrnehmen. So ist nach einer Scheidung
dem Kindeswohl in der Regel am besten gedient, wenn





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


beide Elternteile das Sorgerecht weiter gemeinsam und
einvernehmlich ausüben. Davon machen die meisten El-
tern Gebrauch. Die entsprechende Regelung der Kind-
schaftsrechtsreform von 1998 gilt – ich denke, unbestrit-
ten – als ein wirklicher Erfolg. Denn häufig führt die
Ausübung der gemeinsamen Sorge zu stabilen Bezie-
hungen zwischen Kindern und dem getrennt lebenden
Elternteil – das ist heute meistens noch der Vater – sowie
zu regelmäßigeren Unterhaltszahlungen.

Bei der notwendigen Neuregelung dürfen wir als Ge-
setzgeber nicht zuerst die Eltern im Blick haben, sondern
müssen das Kindeswohl in den Mittelpunkt stellen.
Schließlich sind die Kinder bei dieser Regelung die ei-
gentlich Betroffenen. Bisher erfahren uneheliche Kinder
immer noch Diskriminierungen in unserer Gesellschaft,
wie eben auch beim Thema Sorgerecht. Die Ausrichtung
am Kindeswohl darf nicht erst durch Entscheidungen
von Gerichten Bedeutung erlangen, sondern sollte das
Anliegen der Eltern, aber auch des Gesetzgebers sein.
Darum ist es Zeit, dass Schwarz-Gelb hier endlich han-
delt. Wir freuen uns jedenfalls, wenn es wirklich endlich
dazu kommt – Sie haben es angedeutet –, dass Schwarz-

Gelb etwas vorlegt. Ich denke, die Eltern, aber vor allem
die Kinder in unserem Land haben es verdient.

Als letzte Rednerin in dieser Sitzungswoche wünsche
ich meinen Kolleginnen und Kollegen ein gutes Wo-
chenende, wahrscheinlich mit vielen Wahlkreisterminen.
Ich mache heute sozusagen das Licht aus. Ich wünsche
Ihnen alles Gute.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das macht der Präsident!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716315000

Ich schließe die Aussprache.

Da wir keine Abstimmung vorzunehmen haben, sind
wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 7. März 2012, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.