Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch
– Drucksache 16/99 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
– Drucksache 16/688 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Pothmer
– Drucksache 16/689 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
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Redet
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch, Katja Kipping, Kornelia
Möller und der Fraktion der LINKEN
Angleichung des Arbeitslosengeldes II in den
neuen Ländern an das Niveau in den alten
Ländern rückwirkend zum 1. Januar 2005
– Drucksachen 16/120, 16/688 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Pothmer
an sollte ganz deutlich daran erinnern – auch Fritzuhn weiß dies –, dass wir im letzten Jahr das Vorhabenestartet haben, gleiche Regelsätze in Ost und Westinzuführen. Wir werden dieses Gesetz nun gemeinsamit der CDU/CSU verabschieden. Insofern ist es wich-ig, heute festzustellen: Das Arbeitslosengeld II ist künf-ig in Ost und West gleich. Das entsprechende Gesetzurde einer kontinuierlichen Bewertung unterzogen.extWir können heute sagen: Wir haben dem gesellschaftli-chen Wandel Rechnung getragen. So sieht eine lernendeGesetzgebung aus. Dafür steht die neue Koalition. Daranwollen wir uns messen lassen.
Ich will ganz klar feststellen: Wer glaubt, es bedürfein Deutschland nur einer abschließenden Reform, irrt.Die Welt ist nicht statisch. Wir müssen an den Verände-rungen arbeiten. Wir haben deshalb Schluss gemacht mitder Vorstellung, dass das Nettoeinkommen und die Le-benshaltungskosten im Osten niedriger sind, dass es imrschiedliches Verbraucherverhalten gibtlb ungleiche Regelsätze in Ost und Westnd. Wir haben sie auf ein Niveau zusam-ir haben damit ein Stück SpaltungOsten ein unteund dass deshagerechtfertigt simengeführt. W
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1488 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Klaus Brandnerüberwunden. Das ist das Ergebnis unserer Politik unddas finden wir richtig so.
Ich sprach von lernender Gesetzgebung. Das heißtauch, dass wir die aktuellen Entwicklungen nicht ausdem Auge verlieren dürfen. Dazu will ich ganz deutlichsagen: Wir müssen den Erwartungen und den Verände-rungen Rechnung tragen. Damit meine ich ganz konkretdie Frage, wie sich die Zahl der Bedarfsgemeinschaftenin Deutschland entwickelt hat. Denn die Zahl der Ein-personenbedarfsgemeinschaften ist überdurchschnitt-lich stark gestiegen: allein von Januar bis September2005 um 19,5 Prozent.Doch wer darin Missbrauch sieht – das will ich gleichklar sagen –, liegt falsch. Denn CDU/CSU, SPD undGrüne haben es gemeinsam zu verantworten, dass dieseGesetzgebung ermöglicht worden ist und dies Rechtszu-stand ist. Deshalb will ich mich klar gegen jegliche Formvon Diskriminierung derjenigen zur Wehr setzen, die nurihre rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft haben.
Ob das sinnvoll ist, ist eine ganz andere Frage. Wir müs-sen darüber nachdenken, ob bei all den Ausgaben, diedie Gesellschaft zu tragen hat, die Justierung dieser Aus-gaben in der bisherigen Form zu Recht erfolgt ist. Dennes kann nicht Aufgabe des Staates sein, für Jugendlicheein Auszugsprogramm zu organisieren.Wir haben diesen Punkt aufgegriffen, wobei wir dieSorgen der Menschen ernst nehmen. Wir wehren uns– ich finde, zu Recht – gegen die Hysterie, die in diesemLande teilweise entfacht worden ist, dass es ganze Um-zugskarawanen gegeben haben soll. Wir weisen aus-drücklich darauf hin: Der Zustand, den wir jetzt erlebthaben, ist so nicht gewollt gewesen. Aber von massen-haftem Missbrauch kann auch nicht die Rede sein.Deshalb wollen wir, dass klargestellt wird, dass auchzukünftig jungen Menschen die notwendige Unterstüt-zung bereitgestellt wird und dass es auch zukünftig keineZwangsfamilien geben wird. Um es klar zu sagen: Wergute Gründe hat, aus dem Elternhaus auszuziehen, derhat dazu auch in der Zukunft die Möglichkeit. Wer zumBeispiel eine Arbeitsstelle fernab vom Elternhaus antre-ten will, der muss dazu die Möglichkeit haben.Wir haben diese Jugendlichen nicht zu Bittstellern ge-macht. Vielmehr haben wir im Gesetz drei konkreteGründe vorgesehen, bei denen man nach wie vor eineBedarfsgemeinschaft gründen kann. Denjenigen, dieschwerwiegende soziale Gründe vorweisen können, dieim Elternhaus vorliegen, wird weiterhin ein Umzug er-möglicht. Diejenigen, die zur Eingliederung in den Ar-beitsmarkt einen Umzug in Anspruch nehmen müssen,können dies. Wir haben hinzugefügt, dass ein sonstigerschwerwiegender Grund Anlass sein kann, aus der elter-lichen Bedarfsgemeinschaft auszuziehen. Wir wissen,dass dies zwei sehr konkrete Gründe und ein dritter,nicht so konkreter Grund sind. Letzterer trägt aber denLebenswirklichkeiten Rechnung.JeLbkDnsizaAuzhksnlRdngBgtmsdiDvwggaaRwsMsebdddbD
Meine Damen und Herren, in einer solidarischen Ge-ellschaft müssen alle Verantwortung füreinander über-ehmen. Deshalb sagen wir an diesem Punkt sehr deut-ich, dass Jugendliche unter 25 Jahren künftig in deregel 80 Prozent der Regelleistung erhalten. Sie werdenamit nicht schlechter gestellt als Ehe- bzw. Lebenspart-er. Denn ein Alleinstehender erhält 100 Prozent der Re-elleistung; kommt ein Partner hinzu, erhöht sich deretrag um 80 Prozent. Genau das regeln wir auch für Ju-endliche oberhalb des 18. Lebensjahres, die in der el-erlichen Bedarfsgemeinschaft verbleiben. Das ist ange-essen. Dazu stehen wir auch.Manche haben das als Sparen bezeichnet. Aber wofürparen? Wir sparen für Investitionen in die Zukunft, inie bessere Kinderbetreuung, in die bessere Ausbildung,n mehr Fortbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen.arin zu investieren, kann kein Schade sein. Das sind In-estitionen in die Zukunft. Dazu stehen wir. Das wollenir fortsetzen.
Worauf kommt es an? Wir wollen den Beitrag an dieesetzliche Rentenversicherung für Arbeitslosen-eld-II-Bezieher zukünftig absenken. Wir senken damitber nicht die Rentenzeiten ab. Wir minimieren damituch nicht den Versicherungsschutz in der gesetzlichenentenversicherung. Er soll voll erhalten bleiben. Dennir wollen nicht, dass Menschen dauerhaft im Arbeitslo-engeld-II-Bezug bleiben. Vielmehr wollen wir, dassenschen die Chance bekommen, aus dem Arbeitslo-engeld-II-Bezug wieder in normale Arbeitsverhältnisseinzutreten. Insofern ist es uns wichtig, dass keine ge-rochenen Erwerbsbiografien entstehen, sondern dassurchgehende Versicherungsverläufe bleiben, dassurchgängig Anspruch auf Rehabilitation bleibt und dassie vollen Leistungen bei Erwerbsminderung möglichleiben. Das ist sozialstaatlich geboten. Dazu stehen wir.as werden wir auch weiterhin einhalten.
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Klaus BrandnerIch will in diesem Zusammenhang ganz deutlich sa-gen, dass wir gemeinsam die Langzeitarbeitslosen, diein der Vergangenheit oft als Sozialhilfeempfänger nichtrentenversichert, nicht krankenversichert und nicht pfle-geversichert waren, in das solidarische Sozialsystemaufgenommen haben und damit Rechtsfortschritt in die-sem Lande organisiert haben.
Wir waren es, die dafür gesorgt haben, dass man auf ei-ner sicheren Grundlage die Zukunft angehen kann.
Ich will ganz deutlich sagen: Dazu gehört auch, dassdiejenigen, die in der Vergangenheit ausgegrenzt waren,erstmals Anspruch auf alle Leistungen am Arbeitsmarkthaben. Alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente stehenden Langzeitarbeitslosen zur Verfügung. Das haben wirdurchgesetzt. Uns kommt es darauf an, den Menschen zuhelfen, sie zu unterstützen, sie nicht auszugrenzen.In diesem Zusammenhang wird in vielen Fällen überdie Frage der Mietschulden – über Einzelfälle – disku-tiert und die Frage gestellt: Gibt es auch zukünftig dieMöglichkeit, eine dem Einzelfall angemessene Regelungzur Begleichung von Miet- oder Energieschulden zufinden? Ich möchte ganz deutlich sagen: Wir wollen zu-allererst, dass diejenigen, die Schulden machen, auch da-für aufkommen müssen. Deshalb müssen sie zuallererst– ich sage es hier klipp und klar – auf Darlehen verwie-sen werden.
Ich sage aber auch: Da, wo es im Einzelfall notwen-dig ist, wo Härtefälle auftreten, wo zum Beispiel Woh-nungslosigkeit droht, muss es möglich sein, dass anstattdes Darlehens eine Beihilfe gewährt wird. Wir haben imAusschuss sichergestellt – das Ministerium hat das zwei-felsfrei beantwortet –, dass der Gesetzestext genau dieshergibt. Damit geben wir ein Signal an die Fallmanager,an die Kommunen, an diejenigen, die Leistungen zurVerfügung stellen, genau so zu verfahren: Die Beihilfeist nicht die Regel, aber sie ist im Einzelfall möglich.Das wollen wir sichergestellt wissen.Ich bin mir insgesamt darüber im Klaren, dass wir dieJugend fördern und nicht alimentieren müssen. Dasmuss unsere Orientierung sein: Wir müssen all unsereKräfte auf das Fördern konzentrieren. 2005, nachdemdieses riesige Gesetzeswerk in Kraft getreten ist, hat dasnoch nicht so geklappt, wie wir uns das vorgestellt ha-ben.
Wir wissen: Viele Arbeitsgemeinschaften sind erst imLaufe des Jahres 2005 entstanden; nur etwa 50 Prozentder Aktivierungsmittel sind abgerufen worden. Das istbedauerlich. Das heißt aber nicht, dass der Reformschrittnicht klug und richtig war. Vielmehr müssen wir genauhier ansetzen, den Reformschritt mit mehr Fahrt umzu-setzen und die Maßnahmen zu unterstützen.sSztmSdsbVgWnlinSatulbdwngzhbfgdFHudoAss1dWd
ie können diese Aufgaben nicht einfach der Bundes-gentur übereignen. Vielmehr fordern wir die Verpflich-ung der Länder ein, hier das zu tun, was ihnen aufgrundnserer Verfassung gebührt.Wir wollen, dass die intensive Betreuung Jugend-icher insbesondere in den Arbeitsgemeinschaften ver-essert und ausgebaut wird. So verstehen wir die Verän-erungen im Sozialgesetzbuch II, bei deren Umsetzungir alle mithelfen und mitwirken sollen, damit sie zu ei-em Erfolg werden, damit zukünftig die arbeitslosen Ju-endlichen, von denen – ich sage es deutlich – eine vielu große Zahl keine abgeschlossene Berufsausbildungat, eine nachhaltige Chance zum Eintritt ins Arbeitsle-en erhalten. Das wird unsere Zukunftsaufgabe sein. Da-ür sind wir angetreten; dafür haben wir die Veränderun-en im Sozialgesetzbuch vorgenommen. Ich bitte Sie,iese gemeinsam zu unterstützen.
Nächster Redner ist der Kollege Dirk Niebel, FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfend Sozialhilfe sollte unter anderem Kosten sparen undie Vermittlung in Arbeit verbessern. Beide Ziele sindffenkundig nicht erreicht worden. Die Vermittlung inrbeit, insbesondere der Langzeitarbeitslosen, ist nichtignifikant besser geworden; aber dafür sind die Kostenignifikant gestiegen: auf 26 Milliarden Euro statt4 Milliarden Euro. Von daher ist es bemerkenswert,ass die Angleichung des Arbeitslosengeldes II Ost aufestniveau durchgeführt wird. Wir sind der Ansicht,ass das Trennende zwischen Ost und West im 16. Jahr
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Dirk Niebelder deutschen Einheit nicht mehr Maßstab für Sozialge-setzgebung sein darf.
Allerdings gibt es Unterschiede nicht nur zwischenOst und West, sondern auch zwischen Nord und Süd. So-gar in den ostdeutschen Bundesländern gibt es ganz un-terschiedlich strukturierte Regionen, genauso wie in denwestlichen Bundesländern. Von daher wäre es sinnvollgewesen, die Einkommens- und Verbrauchsstichprobeabzuwarten, um zu wissen, wo man im Land wie teuerlebt, um das Problem dann differenzierter anzugehen.Bei der Sozialhilfe für Nichterwerbsfähige tun Sie dasimmerhin.Es stellt sich zugleich die Frage, weshalb die großeKoalition nun beim Arbeitslosengeld II eine Anglei-chung anstrebt, nicht aber bei den Sozialhilfeempfän-gern, bei den Erwerbsunfähigen, denen es meist nochschlechter geht als denen, die jung und gesund sind.Fest steht: Um durch einen regulären Arbeitsplatz dasgleiche Einkommensniveau wie beim Arbeitslosengeld IIerreichen zu können, müssen je nach Familienstand zwi-schen 8 und 10 Euro brutto pro Stunde verdient werden.Das kann in der nächsten Debatte über die Mindestlöhnenicht außer Acht gelassen werden.In diesem Gesetz sind neben der Angleichung desArbeitslosengeldes II auch noch andere Dinge enthalten,zum Beispiel die Absenkung des Rentenversicherungs-beitrages für Langzeitarbeitslose um 2 Milliarden Euro.Die maroden Rentenversicherungskassen werden nocheinmal zusätzlich um 2 Milliarden Euro belastet, damitsich der Staat seinen Haushalt schönrechnen kann,
obwohl wir seit gestern wissen, dass die Steuerschätzungergeben hat, dass wir in diesem Jahr 20 Milliarden EuroSteuereinnahmen mehr als vorausgesehen haben werden.Des Weiteren ist in dieses Gesetz die Neuregelungfür die jugendlichen Langzeitarbeitslosen eingearbei-tet. Wir sind der festen Überzeugung: Jeder Mensch indiesem Land darf aus dem Elternhaus ausziehen, wenner es sich leisten kann. Wir sind auch der festen Über-zeugung: Wer es sich nicht leisten kann und dafür dieHilfe der Allgemeinheit braucht, der muss sich schärfe-ren Kriterien unterwerfen. In der Art und Weise, wie Siediese Regelung allerdings vorsehen, sind die Kriteriender Überprüfung der schwerwiegenden Gründe für einenArbeitsvermittler nicht nachvollziehbar.Sie schaffen es ja noch nicht einmal, festzustellen, obes eheähnliche Gemeinschaften gibt. Sie wollen dochnicht hinter jeden jugendlichen Arbeitslosen einen Ar-beitsvermittler oder einen „Arbeitslosenpolizisten“ stel-len, um zu überprüfen, ob die Kriterien tatsächlich erfülltwerden. Das wird in der Praxis kaum handhabbar sein,insbesondere weil über die Frage, ob man ausziehendarf, die abgebende Gemeinde entscheidet und nicht dieaufnehmende. Wenn also der Bezirk Kreuzberg Kostensparen möchte und der Jugendliche meint, er müsse drin-gend ganz weit weg vom Elternhaus, weil es da kriselt,nmFwbBGeDidmRdWrmbnwbmdlenrrsndwIkewlBussdzeüKrDmSt
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Den Entschließungsantrag der Grünen werden wir lei-
der ablehnen müssen; denn in ihm wird eine Ausweitung
der Leistungen gefordert. Hier geht es allerdings um das
Geld anderer Leute, das diese mit ihrer Hände Arbeit zu
erwirtschaften haben. Mit diesen Steuergeldern können
Sie offensichtlich nicht anständig umgehen. Wir Libe-
rale können das.
Das Wort hat der Kollege Gerald Weiß, CDU/CSU-Fraktion.
Gerald Weiß (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Lieber Kollege Niebel, wenn Sie sagen, dass Sieden vorliegenden Gesetzentwurf kraftvoll mit Enthal-tung abstrafen werden,
dann merkt jeder, dass etwas nicht stimmt. Ich selbst bingelernter Oppositionspolitiker und sage Ihnen: Wenn wiruns, als wir noch in der Opposition waren, enthalten ha-ben, war es immer so, dass das, was die Regierung vor-gelegt hatte, gar nicht so schlecht war.
Man muss sich nun einmal entscheiden, wie man ab-stimmt; das ist Ihr gutes Recht und das respektieren wirauch.Wir müssen die knappen Mittel unseres Sozialstaateszielgenauer einsetzen; denn sie fließen nicht wie Milchund Honig in einem Land der Verheißung, sondern siemüssen von den Erwerbstätigen täglich hart erarbeitetwerden. Mit diesen knappen Mitteln müssen wir zielge-richtet und verantwortungsvoll umgehen. Unser Sozial-staat muss mit seinen begrenzten Mitteln mehr errei-cuzheAegsdgBkgbOB3lUGgEgdgi1hdua–hdKHswSHnt
Erstens. Das ALG II wird gerechter gestaltet. Wirleichen den Zahlbetrag in Ostdeutschland an den Zahl-etrag in Westdeutschland an, wie es uns auch dermbudsrat nahe legt. Die Regelleistung in den neuenundesländern wird um 14 Euro – von 331 Euro auf45 Euro – erhöht. Das muss angesichts des linkspopu-istischen Getöses der PDS immer wieder betont werden.
m mehr Gerechtigkeit zu schaffen, müssen wir mehreld ausgeben; daher wird diese Leistung erhöht. Dabeieht es immerhin um einen Betrag von 260 Millionenuro, den wir gemeinsam mit den Kommunen zur Verfü-ung stellen. Nicht nur, aber auch deshalb müssen wir anen Stellen, an denen wir eindeutig über das Ziel hinaus-eschossen sind, Ressourcen einsparen.
Zweitens. Da wir ein Faible für Fakten haben, sagech Ihnen Folgendes: Das neue Recht gilt ab dem. Januar 2005. Seit diesem Zeitpunkt – Herr Brandnerat darauf hingewiesen – ist die Zahl der Einpersonenbe-arfsgemeinschaften – so heißt dieses Wortungetüm –m 19,6 Prozent gestiegen, sogar noch deutlich stärkerls die Zahl der Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften.
Ja, das ist deutlich mehr. Der Unterschied beträgt na-ezu 4 Prozentpunkte.Gleichzeitig ist die Zahl der erwerbsfähigen Hilfsbe-ürftigen unter 25 Jahre um 28 Prozent gestiegen – Herrurth, doppelt so stark wie die Zahl der erwerbsfähigenilfsbedürftigen über 25 Jahre. Diese beiden statisti-chen Daten braucht man nur zusammenzubringen, danneiß man, was geschehen ist: Junge Leute sind auftaatskosten, auf Kosten der Gemeinschaft von zuause ausgezogen; sie haben den zu großzügig bemesse-en Rechtsrahmen genutzt, den der Gesetzgeber gestal-et hat. Kollege Brandner, das ist natürlich kein Miss-
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1492 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Gerald Weiß
brauch. Aber es ist ein Mitnahmeeffekt, den wir nichtwollen können.
Deswegen verändern wir heute gemeinsam die Rahmen-bedingungen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Seifert?
Gerald Weiß (CDU/CSU):
Ja, bitte.
Herr Kollege Weiß, Sie haben gerade von einer zugroßzügigen Ausstattung der jugendlichen ALG-II-Empfänger gesprochen. Würden Sie mir bitte erklären,wieso ein 20-Jähriger oder ein 23-Jähriger als Soldatnach Afghanistan geschickt werden kann,
aber nicht einmal eine eigene Wohnung haben darf?
Gerald Weiß (CDU/CSU):So etwas kann ja nur einem Linken einfallen!
Wir müssen doch in den Kategorien von Eigenverant-wortung, Familienverantwortung und gesellschaftlicherVerantwortung denken.
Wir schreiben doch niemandem seinen Lebensstil vor;wir verordnen niemandem, wie lange er bei den Eltern– gestern hat jemand vom „Hotel Mama“ gesprochen –wohnen muss. Das ist Privatsache; das soll jeder selbstentscheiden. Allerdings darf die Gemeinschaft mit dieserprivaten Lebenswegentscheidung nicht länger belastetwerden. Das ist die Folgerung aus dem Prozess, den wireben dargestellt haben.
Grundsicherung, Herr Seifert, ist Hilfe für Hilfsbe-dürftige, nicht aber die Finanzierung bestimmter Le-benswegentscheidungen und persönlicher Lebensstile.Grundsicherung ist Hilfe, auf die man angewiesen ist.Deshalb hat Herr Brandner zu Recht die beiden Ausnah-men angesprochen, die wir in den Gesetzentwurf aufge-nommen haben. Die Genehmigung zum Auszug aus demElternhaus und zur Gründung eines eigenen Hausstandes– samt Umzug und Erstausstattung – auf Kosten der Ge-meinschaft bleibt möglich, wenn schwer wiegende so-ziale Gründe gebieten, dass der junge Mensch von zuHause auszieht. Manche, Herr Niebel zum Beispiel, hal-tbEunbWtsFsJkDsNnsBeSRmcRlMzdWlBhdwtßIrdzvGic
eder muss sich schon selbst um seinen Lebensunterhaltümmern.
ie Fehlanreize sind damit beseitigt. Die sozialpoliti-che Wirksamkeit wird erhöht. Wir gestalten diese neueorm mit dem allerbesten Gewissen; sie ist eine ver-ünftige Balance zwischen Eigenverantwortung und ge-ellschaftlicher Verantwortung.Dasselbe gilt für meinen dritten Punkt: dass wir dieedarfsgemeinschaften präziser definieren. Bisher ists so, dass jemand, der volljährig wird, automatisch dentatus einer Bedarfsgemeinschaft erhält, mit 100 Prozentegelsatz. Die Lebenswirklichkeit ist doch die, dass je-and, der zu Hause lebt, zu den Generalkosten – Versi-herungen, Strom, haushaltstechnische Geräte – in deregel nichts beizutragen hat. Da ist es nur recht und bil-ig, wenn wir solche im Elternhaus wohnende jungeenschen in die elterliche Bedarfsgemeinschaft einbe-iehen und ihren Regelsatz auf 80 Prozent kürzen. Auchas bedeutet eine größere Treffsicherheit im Sozialstaat.ir tun etwas Richtiges, wenn wir auf die Fehlentwick-ungen, die wir beobachten, entsprechend reagieren.
Mein vierter Aspekt: Mehr Zielgenauigkeit auch mitlick auf die EU-Ausländer. Die Freizügigkeit ist einohes Gut. Gemeint sind auch nicht die EU-Ausländer,ie hier bei uns den Status eines Arbeitnehmers besitzen,eil sie gearbeitet haben. Wer aber aufgrund des Leis-ungsrechts nach Deutschland einreisen will, den schlie-en wir künftig von Leistungen aus.
ch denke, auch das ist eine normale und richtige Folge-ung. In Zukunft werden wir es nicht mehr zulassen, dassie Freizügigkeit genutzt wird, um nach der Einreise ein-ig und allein Leistungen zu beziehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir handelnerantwortungsbewusst und machen die Statik derrundsicherung belastungssicherer und tragfähiger. Dasst ein erster Schritt einer großen Reform. Ich bin mir si-her, dass es eine kluge Entscheidung ist.Ich danke Ihnen sehr herzlich.
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Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping, Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die ge-planten Verschärfungen von Hartz IV sind ein Angriffauf die Eigenständigkeit junger Menschen und auf Bür-gerrechte.
Dabei sind Sie es doch immer gewesen, meine Damenund Herren von SPD und CDU, die nach mehr Selbst-ständigkeit, nach mehr Flexibilität bei jungen Menschenrufen.
Dann degradieren Sie Volljährige unter 25 Jahre zuMinderjährigen, dann verdonnern Sie junge Erwachsenezum Sitzenbleiben im „Hotel Mama“ und kürzen gleichnoch die Regelleistungen auf 276 Euro. Das ist nunwirklich die falsche Richtung.
Ich muss mich schon wundern, wie schnell Sie ausdem Häuschen sind, wenn jemand Ihren Ansatz desSozialabbaus grundsätzlich nicht teilt. Daran werdenSie sich gewöhnen müssen.
Es kann ja sein, dass Sie in den letzten Jahren etwas ver-wöhnt wurden. Man war halt mehr unter sich. Von derOpposition gab es eher Kritik im Detail. Sie werden sichjetzt aber daran gewöhnen müssen, dass es nicht mehrnur zwei Frauen von der PDS gibt, die Ihren Grundkon-sens durchbrechen, sondern dass im Bundestag jetzt wie-der eine gesamte Fraktion sitzt, die der Meinung ist, dasswir das Problem der Arbeitslosigkeit nicht auf dem Rü-cken der Schwächsten austragen dürfen.
– Herr Brauksiepe, anstatt über Leistungskürzungen zureden, sollten wir mal darüber reden, was man beim Le-ben jenseits von Armut eigentlich braucht.Wenn man im 2. Armuts- und Reichtumsbericht nach-schlägt, dann kann man lesen:In Deutschland beträgt die so errechnete Armuts-risikogrenze 938 Euro...938 Euro, meine Damen und Herren von der SPD – dasist die Zahl Ihrer Regierung!
Folgt man dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, sostellt man fest, dass der Regelsatz mindestens 420 EurobuwkudgswSdwuslefsK1WdcltSsvugAtdSdn2s
Indem Sie die Angleichung Ost an West mit Kürzun-en bei den Rentenbeiträgen und bei den EU-Ausländernowie mit einem faktischen Auszugsverbot für junge Er-achsene verbinden, beweisen Sie eigentlich nur eines:ie verfolgen nach wie vor die Politik des Gegeneinan-er-Ausspielens der gesellschaftlichen Schichten, die so-ieso am wenigsten haben. Daran werden wir als Linkens nicht beteiligen. Da brauchen Sie sich gar keine fal-chen Hoffnungen zu machen.
14 Monate lang prellen Sie die ostdeutschen Erwerbs-osen nun schon pro Monat um 14 Euro. 14 Euro sind fürinen ALG-II-Empfänger wahrlich kein Klacks. Den of-iziellen Berechnungen zufolge hat ein Erwerbslosereine gesamten Gesundheitskosten und seine gesamtenosten für die Körperpflege pro Monat von 13 Euro und9 Cent zu finanzieren. Seien wir doch einmal ehrlich:ie weit würden wir mit knapp 14 Euro kommen, umamit die Kosten für Kosmetik und Gesundheit zu de-ken? Da die Differenz zwischen Ost- und Westdeutsch-and unrechtmäßig war, fordern wir Sie auf, diesen Be-rag rückwirkend nachzuzahlen. Das ist für uns eineelbstverständlichkeit.
Nun wenden Sie ein, das sei ein zu großer bürokrati-cher Aufwand. Gut, wir müssen keine unnötige Arbeiterursachen. Lassen Sie uns dann gemeinsam nach einernbürokratischen Lösung, beispielsweise einer einmali-en Pauschale, suchen.
propos bürokratischer Aufwand. Sie dürfen nicht soun, als ob die von Ihnen geplanten Verschärfungen beien unter 25-Jährigen völlig unbürokratisch seien.
ie alle kennen die Stellungnahme der Bundesagentur, iner ausgeführt wird, dass das Softwaresystem die Auf-ahme der Kategorie „Volljährige Kinder, die das5. Lebensjahr noch nicht vollendet haben“ in eine be-tehende Bedarfsgemeinschaft nicht zulässt. Man könnte
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Katja Kippingfast meinen, das Softwareprogramm verfüge über einrechtsstaatliches Verständnis, von dem sich hier so man-cher eine Scheibe abschneiden könnte.
In den Debatten der letzten Tage wurden von den Be-fürwortern der Kürzung vor allen Dingen vier Argu-mente genannt, die ich gemeinsam mit Ihnen gerne nä-her beleuchten möchte.Erstens. Die Herausbildung falscher Verhaltensmusterwar ein Argument. Die Metapher von der Zellteilungmachte die Runde. Aber wenn man genauer nachfragt,wo das belastbare Zahlenmaterial sei, dann wurde esverdammt dünn. Um einmal Herrn Senius von der Bun-desagentur – übrigens der Sachverständige, den die gro-ßen Koalition benannt hat – zu zitieren: Man habe keinegesicherten Angaben.
Der Vertreter der Wohlfahrtspflege wurde noch deut-licher. Ich zitiere: Nach unserer Interpretation – wir sindsehr tief in die Statistik eingestiegen – gibt es keinerleiAnzeichen, nach denen man auf ein so genanntes Phäno-men der Zellteilung schließen kann. – Sie haben keinebelastbare Grundlage für Ihre Behauptungen. Aber Sienehmen Ihr diffuses Empfinden als Grundlage für tiefeEinschnitte.
Eine solche Politik aus dem Bauch heraus wird in Zu-kunft zu weit mehr als Bauchschmerzen führen.
Zweitens. Menschen unter 25 Jahre – so Ihre Argu-mentation – sollen sowieso in einen Ausbildungs- oderArbeitsplatz vermittelt werden. Dazu kann ich nur sa-gen: Schön wäre es! Ihr Anspruch nützt jedoch dem Ju-gendlichen, der bereits seine 50. Bewerbung vergeblichgeschrieben hat, leider sehr wenig.Drittens. Es handele sich hier – so führen Sie an – umeine steuerfinanzierte Leistung, für die die Menschenaufkommen müssten, welche jeden Tag bei Wind undWetter zur Arbeit gehen.
Es ist tatsächlich ein Problem, dass das Steueraufkom-men immer mehr von den Menschen getragen wird, dieeine Arbeit haben.
Hier müssen wir tatsächlich etwas verändern. Also wa-gen wir uns endlich daran, Gewinne und Vermögen bes-ser zu besteuern, um die Beschäftigten etwas zu entlas-ten.Viertens. Sie sagen, die Familie sei eine Verantwor-tungsgemeinschaft. Als emanzipatorische Linke habeich ein anderes Familienverständnis. Das mag Ihnen alt-modisch vorkommen, aber ich bin nach wie vor der Mei-ntGHdt–nsesesseldbn2dksLkhgugedEh
Herr Brauksiepe, Sie werden sich wieder daran gewöh-en müssen, dass auch hier im Bundestag der in wissen-chaftlichen Schriften am meisten zitierte Autor wiederine Rolle spielt.
Die Argumente, die SPD und CDU/CSU für die Fort-etzung ihres Kürzungskurses vorbringen, überzeugeninfach nicht. Wenn Frau Connemann argumentiert, dertaatlich finanzierte Auszug sei kein Bürger- und Men-chenrecht, dann lässt das aufhorchen. Wollen Sie hiertwa einen Testballon für weitere Kürzungen steigenassen? Ihre Logik, Frau Connemann, zu Ende ge-acht, bedeutet, man könne die Grenze genauso gutei 35, 55 oder am besten bei 67 Jahren ziehen, um da-ach nahtlos in Rente zu gehen.
Die Kürzungen, die heute Erwachsene unter5 Jahren treffen, können von Ihnen schon morgen fürie unter 35-Jährigen oder für die über 55-Jährigen dis-utiert werden. Wir Linken meinen jedoch: Junge Men-chen dürfen nicht zum Experimentierfeld für weitereeistungskürzungen werden.
Zusammenfassend ist zu sagen: Hartz IV junior istein Deut besser als Hartz IV senior. Es lohnt sich also,ier in diesem Haus über Alternativen zu reden.Erstens sollten wir endlich das Konstrukt der Bedarfs-emeinschaft abschaffen
nd schrittweise das Individualprinzip einführen. Eseht schließlich um soziale Rechte jedes Einzelnen.
Zweitens sollten wir das Arbeitslosengeld II durchine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung ersetzen,ie ein Leben jenseits der Armut und unabhängig vominkommen der Verwandtschaft ermöglicht. Es istöchste Zeit dafür.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1495
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Katja KippingDrittens sollten wir – um die Finanzierung dieserMaßnahmen sicherzustellen – endlich einen Kurswech-sel in der Steuerpolitik vornehmen und uns daran wagen,Vermögen und Gewinne von Unternehmen ordentlich zubesteuern.
Ihre bisherige Steuerpolitik hat die Löcher in den Haus-halten nur weiter vergrößert.
Ich denke, wir können es uns nicht mehr leisten, aufdiese Steuereinnahmen zu verzichten.Es kann nicht sein, dass die Folgen Ihrer verfehltenSteuerpolitik, die Sie zu verantworten haben, auf demRücken der Ärmsten ausgetragen werden. Es ist höchsteZeit für einen politischen Kurswechsel in diesem Land.Besten Dank.
Das Wort hat der Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!An dieser Stelle wird häufig das so genannte struckscheGesetz bemüht, demzufolge ein Gesetz nicht so aus demParlament herauskommt, wie es dort eingebracht wordenist. Meistens wird das in diesem Hohen Hause von Ab-geordneten in der Hoffnung geäußert, dass das Gesetz,das im Parlament beschlossen wird, besser ist als dereingebrachte Gesetzentwurf. Dass auch der umgekehrteFall möglich ist, nämlich dass ein Gesetz das Parlamentin einer schlechteren Fassung verlässt, beweist der vor-liegende Gesetzentwurf zur Änderung des als Hartz IVbekannt gewordenen SGB II. Eingebracht wurde näm-lich das Vorhaben einer durchaus sympathischen Anglei-chung der Regelsätze in Ost und West. Herausgekom-men ist dagegen ein relativ krudes und unsystematischesSpargesetz mit weiteren Leistungseinschränkungen.
Sparen ist an sich keine Sünde, sofern Begründung,Ziel und Grundannahmen stimmen. Das alles stimmt imvorliegenden Fall jedoch nicht. Sie behaupten, dass esbei Hartz IV zu Kostensteigerungen gekommen ist. Siewidersprechen nicht den öffentlich geäußerten Behaup-tungen, dass es bei Hartz IV sogar zu einer Kostenexplo-sion gekommen sei.
Sie treten auch nicht dem Eindruck entgegen, dass dieLeistungsempfänger dafür verantwortlich sind.Wahr ist aber – das ist an dieser Stelle festzuhalten –:Die gesamten Leistungen für Sozialhilfe, Arbeitslosen-hilfe und Wohngeld, die zu zahlen gewesen wären, wennezJAgKisddrodAf–LsMZtcbAhdVjBwshedImggmeGSgh2r
st denn nicht Ihr Vorsitzender Platzeck im Hartz-Som-er 2003 mit genau den Verbesserungen, die ich geradeenannt habe, über das Land gezogen, um Stimmen zuewinnen, damit Sie mit einem blauen Auge davonkom-en?Jetzt bauen Sie den Popanz einer angeblichen Kosten-xplosion und angeblicher Massenauszüge auf, um dierundsicherungselemente von Hartz IV zu demontieren.ie diskutieren hier hinlänglich über die unter 25-Jähri-en; das ist sicherlich ein wichtiger Punkt. Aber bislangat niemand erwähnt, dass der größte Kostenblock dieMilliarden Euro sind, die zulasten der Rentenversiche-ung eingespart werden.
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Markus KurthSie erwecken den Eindruck, die Jugendlichen führtenauf Kosten der Steuerzahler ein Leben in Saus undBraus. Sie unterschlagen aber geflissentlich, dass die Ju-gendlichen bei Androhung der vollständigen Leistungs-kürzung – 100 Prozent Leistungskürzung! – verpflichtetsind, ein Angebot anzunehmen. Aber wo sind denn dieAngebote? Das Problem ist, dass es an Angeboten man-gelt
und dass der Zugang zur Arbeitsförderung sowie zuQualifizierung und Zuschüssen, den wir im Gesetz vor-gesehen haben, unzulänglich geblieben ist. Das mag na-türlich auch mit dem schleppenden Aufbau der Job-Cen-ter zu tun haben. Aber hier müsste der Gesetzgeberherangehen; hier müsste man etwas machen. Fast dieHälfte der bereitgestellten Mittel für das Fördern imRahmen von Hartz IV ist im vergangenen Jahr nicht aus-gegeben worden. Tun Sie wirklich alles, damit sich dasin diesem Jahr nicht wiederholt? Ich habe nicht den Ein-druck. Wenn Sie mit der gleichen Anstrengung, mit derSie Leistungskürzungen betreiben, Jugendliche förder-ten, bräuchten wir uns um Auszüge beileibe nicht soviele Gedanken zu machen.
Sie unterschlagen des Weiteren, dass es sich keines-falls um ein Massenphänomen handelt. Herr Weiß undHerr Brandner haben behauptet, die Zahl der Einperso-nenbedarfsgemeinschaften sei um 19 Prozent gestie-gen. Tatsächlich ist die Zahl der Bedarfsgemeinschafteninsgesamt angestiegen. Die Zahl der Mehrpersonenhaus-halte ist um 16 Prozent angestiegen. Ich kann zwischeneinem Anstieg um 16 Prozent und einem um 19 Prozentkeine so gewichtige Differenz feststellen.
Es ist erstaunlich, dass Sie das für etwas Gravierendesund Außergewöhnliches halten. Wenn es das Phänomender so genannten Zellteilung, also dass Jugendliche aus-ziehen und Einpersonenbedarfsgemeinschaften grün-den, tatsächlich gegeben hätte, hätte dann in der Statistiknicht nachweisbar sein müssen, dass die Zahl der Zwei-,Drei- und Vierpersonenhaushalte in Arbeitslosigkeit zu-rückgegangen ist? Genau das Gegenteil ist der Fall.Das Verfahren im Umgang mit den unter 25-Jährigenist exemplarisch. Ich nenne als weiteres Beispiel nur dieMietschulden. Hier wird ebenfalls auf fadenscheinigeArt und Weise zu kurz gesprungen. Herr Brandner – woist er denn? –, Sie haben behauptet, die Mietschuldenkönnten nun auch im Rahmen der Beihilfe übernommenwerden. Tatsächlich deckt dies das Gesetz nicht ab. Ichhabe mir gerade aus meinem Büro den entsprechendenÄnderungsantrag kommen lassen. Hier steht: Geldleis-tungen sollen als Darlehen erbracht werden. – Dabei hatdie Sachverständige aus der kommunalen Praxis eindeu-tig gesagt: Die bestehenden Beihilferegelungen sind Pra-xis in den Kommunen und sind günstig. Es rechnet sichfür die öffentliche Hand, wenn den Hilfsbedürftigen derMietschuldenrucksack abgenommen wird und sie sichatWgsbvdbidzÜEdrmKsFgdvSIewdBedHßsrdgteZmbidGm
ie jammern über die Höhe des Arbeitslosengeldes II.ch erinnere Sie daran, dass die Regelsatzverordnungine Verordnung ist, die nicht im Parlament beschlossenird, sondern von der Bundesregierung zusammen miten Bundesländern erlassen wird. Sie sind doch in zweiundesländern mit in der Regierung. Schauen Sie sichinmal das Abstimmungsverhalten des Landes Berlin beier Regelsatzverordnung an, bevor Sie hier über dieöhe des Arbeitslosengeldes II Krokodilstränen vergie-en!
Es sind weiterhin einige Veränderungen zu berück-ichtigen. Es ist zum Beispiel nicht nachvollziehbar, wa-um bei den Stromkosten ein 15-prozentiger Abschlag iner Regelsatzverordnung vorgenommen worden ist. An-esichts des Anstiegs der Energiekosten gerade der letz-en fünf Jahre um fast 26 Prozent ist eine Nachbesserungrforderlich. Ebenso ist die Gesundheitsreform mit denuzahlungen nicht im Regelsatz systematisch verortet.Das sind die entscheidenden Punkte. Fangen Sie da-it an, Hartz IV zu einer echten Grundsicherung auszu-auen! Wenn schon in der aktiven Arbeitsmarktpolitikm Moment nicht alle Schritte getan werden können,ann erfüllen Sie wenigstens das verfassungsrechtlicheebot der Sicherung des soziokulturellen Existenzmini-ums.Vielen Dank.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres.
G
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Arbeit bedeutet Teilhabe und Teilhabe schafftgesellschaftliche Chancengerechtigkeit. Diese Formel istso kurz wie zutreffend. Sie beschreibt die Zielsetzung,mit der wir gemeinsam – jetzt schaue ich die Damen undHerren in der Mitte an – die Arbeitsmarktreformen in derletzten und in der vorletzten Legislaturperiode auf denWeg gebracht haben. Wir wollten erreichen, dass dieje-nigen, die im Sozialhilfesystem, aber erwerbsfähig wa-ren, erstmals Zugang zu allen Leistungen der Bundes-agentur für Arbeit erhalten. Wir wollten ihnen Chancenauf Weiterbildung eröffnen, auf Qualifizierung und Ver-mittlung. Wir wollten diesen Menschen alle Möglichkei-ten eröffnen – das werden wir auch weiterhin tun –, da-mit sie statt des Verharrens in einem Transfersystemihren Lebensunterhalt durch Arbeit selbst bestreiten kön-nen. Das ist völlig richtig und das ist die Grundlage des-sen, was wir uns in der großen Koalition vorgenommenhaben.
„Fördern und fordern“ – das will ich nicht auslassen –lautete das Schlagwort, mit dem wir die Zusammenle-gung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbs-fähige zu einer einheitlichen Grundsicherung für Ar-beitsuchende beschrieben haben. Dieser Grundsatz giltnach wie vor. Der Staat unterstützt diejenigen, die derHilfe bedürfen. Deshalb sollen die Leistungen auch nurdiejenigen erreichen, die ohne diese Unterstützung inernste Bedrängnis geraten würden. Diese Zielgenauig-keit sind wir allen Steuerzahlern, aber auch den Men-schen schuldig, die Tag für Tag durch ihre Arbeitsleis-tung diese Unterstützung von Hilfebedürftigen inunserer Gesellschaft ermöglichen.
Die Einführung des Arbeitslosengeldes II hat inDeutschland hohe Wellen geschlagen. Daran haben sichviele die Finger gewärmt und das muss keinen erstau-nen. Manchmal kommt der angebliche Fortschritt alsganz plumper Populismus daher. Ich sage noch einmalvor dem Hintergrund dessen, was ich hier dargestellthabe: Wir hielten die Einführung dieses Systems fürrichtig und wir halten es nach wie vor für richtig. Wirlassen uns nicht bange machen. Wir haben versucht, aufdie Proteste und die populistischen Kampagnen großerBoulevardzeitungen und anderer, die es gegeben hat, zureagieren, indem wir den Ombudsrat eingesetzt haben.Der Ombudsrat hat empfohlen, die Angleichung derRegelleistung Ost an die Regelleistung West vorzuneh-men. Dieser Empfehlung folgen wir hiermit ausdrück-lich. Er hat dafür eine ganz einfache Begründung gelie-fert, die ziemlich stichhaltig ist: Die Löhne und Gehältersind ebenso wie Lebenshaltungskosten und Verbraucher-verhalten von Region zu Region unterschiedlich. SiesszuBghssdKEnRKgEDKbivdGecwiRuidsIadtPSthDS
ie haben einen Satz des Sachverständigen Senius zi-iert. Ich lese Ihnen seine Aussage jetzt im Zusammen-ang vor:Wir haben nur eine eingeschränkte Empirie, auf diewir zugreifen können. Wir haben keine gesichertenAngaben, wie groß die Anzahl der Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften vor In-Kraft-Treten desSGB II letztendlich war.as kann Ihnen jeder hier bestätigen. Auch das müsstenie einmal zur Kenntnis nehmen. Weiter sagt er:
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Parl. Staatssekretär Gerd AndresFakt ist aber, dass seit 1. Januar 2005 die Zahl derEin-Personen-Bedarfsgemeinschaften um 19,6 Pro-zent angestiegen ist, während die Zahl der Mehr-Personen-Bedarfsgemeinschaften um „nur“ 16 Pro-zent gestiegen ist.Also haben wir hier zum einen eine deutlich stärkereSteigerung der Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften,zum anderen haben wir einen deutlichen Anstieg dererwerbsfähigen Hilfebedürftigen unter 25 Jahren. Derwar schlicht und einfach doppelt so stark im Anstieg wieder Anstieg aller erwerbsbedürftigen Hilfebedürftigen:14 Prozent zu 28 Prozent bei den über 25-jährigen er-werbsfähigen Hilfebedürftigen.Nachdem wir diese Zahlen dargelegt haben, will ichsagen: Weil es so nicht beabsichtigt war, finde ich es völ-lig korrekt, dass wir „Bedarfsgemeinschaft“ neu definie-ren. Künftig gehört auch ein unter 25-Jähriger zur Be-darfsgemeinschaft – er bildet nicht automatisch eineeigene Bedarfsgemeinschaft –, sofern er im elterlichenHaushalt lebt. Wenn er zur Bedarfsgemeinschaft gehört,dann bekommt er nicht den vollen Satz von 345 Euro,sondern nur 80 Prozent davon. Selbst Frau Pothmer hatsich in der Aktuellen Stunde am vergangenen Mittwochdazu herabgelassen, zu erklären – das kann man im Pro-tokoll nachlesen –, dass der Neuregelung eine gewisseSystematik zugrunde liegt.
– Ich habe zugehört. Ich komme gleich auf Sie zu spre-chen.
Herr Staatssekretär, ich muss Sie fragen, ob Sie eine
Zwischenfrage der Abgeordneten Kipping zulassen.
G
Nein, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen. Ichmöchte das jetzt hier darstellen.
– Sie haben Ihr Pulver schon verschossen. Es ist dochgut.
Frau Pothmer, Sie haben hier erklärt, dass Sie für dieNeuregelung großes Verständnis haben. Populistisch ha-ben Sie aber hinzugefügt, dass die Reduzierung nicht auf80 Prozent, sondern auf 90 Prozent erfolgen müsse. Dashabe ich schon verstanden.Wir halten die Neuregelung für sachgerecht. Sie istrichtig, weil derjenige, der zur Bedarfsgemeinschaft ge-hört, anders als der Haushaltsvorstand keine Generalkos-ten zu tragen hat: Man hat eine Waschmaschine, man hateine Küche und man hat bestimmte Aufwendungen nichtzu erbringen. Deswegen halten wir die Neuregelung fürbedarfsgerecht und richtig.
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Erst wir – ich will das einmal ausdrücklich sagen –haben die Rentenversicherungspflicht für diesen Perso-nenkreis eingeführt.
Wir haben lange darüber diskutiert und uns mit derFrage auseinander gesetzt, wie wir das ausgestalten. Wirhaben das so ausgestaltet, dass alle Anwartschaftszeitengenutzt werden können und Maßnahmen der Rehabilita-tion sowie andere Dinge in Anspruch genommen werdenkönnen. Aber wir reduzieren für den Staat die Beitrags-zahlung von jetzt 78 Euro auf 40 Euro und sparen damit– das ist auch überhaupt nicht zu leugnen; wir müssennämlich sparen – knapp 2 Milliarden Euro ein, die sonststeuerfinanziert vom Staat dafür aufgebracht werdenmüssten. Auch das halten wir für sachgerecht und regelnes entsprechend.Es ist schon einiges über den Leistungsausschlussfür Ausländer gesagt worden. Dazu muss ich noch ein-mal Folgendes feststellen: Es geht nicht darum, dassAusländer nicht die ihnen zustehenden Leistungen erhal-ten sollen. Aber wenn Personen in die BundesrepublikDeutschland einreisen, nur um ALG II zu erhalten, dannmuss dem ein Riegel vorgeschoben werden. Das tun wirjetzt.
Ich halte alles das, was wir machen, für sachgerechtund notwendig. Damit niemand sagen kann, er habe esnicht gewusst – es steht im Koalitionsvertrag; wir arbei-ten auch schon an der Umsetzung –, will ich hier Folgen-des ankündigen: Die große Koalition wird in den nächs-ten Monaten mit einem Optimierungsgesetz in einerganzen Reihe von Positionen des SGB II und desSGB III nachsteuern und da zu Veränderungen kommen.Das ist auch sinnvoll.Ich sage noch einmal: Ich halte die Reform, die am1. Januar des vergangenen Jahres in Kraft getreten ist,für eine gewaltige Sozialreform. Sie ist nur mit der gro-ßen Rentenreform im Jahr 1957 oder mit der Einführungder Arbeitsförderung im Jahre 1969 zu vergleichen. Siemüssen sich einmal anschauen, wie viele Menschen da-von betroffen sind. Es gibt 3,8 Millionen Bedarfsge-meinschaften. Wir haben festgestellt, dass hier mehr als300 000 Menschen aufgetaucht sind, die vorher in kei-nem anderen System waren. Wer sich anschaut, wie sichdas SGB II entwickelt, der muss zugeben: Da mussnachgesteuert werden; da muss verändert werden. Daswerden wir in diesem Jahre tun. Wir werden dabei auchüber den Ausschluss von Missbräuchen diskutieren. WirwdVIwAsshVtIwgjwSEsSKwlZ1AmanZSF
rinnern Sie sich daran, was Sie in den sieben Jahren un-erer gemeinsamen Koalition mitgetragen haben! Gebenie sich einen Ruck und stimmen Sie diesem Gesetz zu!Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort an die
ollegin Katja Kipping.
Frau Präsidentin! Da Herr Andres den Eindruck er-eckt hat, ich hätte beim Zitieren bewusst etwas wegge-assen, und dann stolz präsentiert hat, es habe bei derahl der Ein-Personen-Haushalte einen Anstieg um9 Prozent und bei Mehr-Personen-Haushalten einennstieg um 16 Prozent gegeben,
öchte ich schon noch einmal darauf verweisen, dassuch in der Anhörung dargelegt wurde, dass die von Ih-en so stolz zitierten Zahlen nicht das Phänomen derellteilung beschreiben. Als Beleg zitiere ich Herrnchneider von der Bundesarbeitsgemeinschaft derreien Wohlfahrtspflege:Für das Phänomen der „Zellteilung“ wird sich je-doch eine Abnahme bei den Mehr-Personen-Haus-halten finden lassen müssen. Dann kann man voneiner „Zellteilung“ sprechen. Das ist nicht passiert.Das heißt, es findet sich nirgendwo eine Auflösungvon Zwei- oder Mehr-Personen-Haushalten wieder.
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Katja KippingWeiter führt Herr Schneider aus:Es finden sich statistisch nicht nur keine Anhalts-punkte für das Phänomen der Zellteilung, sondernIndizien, dass es dieses nicht gibt.Wenn Sie, Frau Nahles, dem Vertreter der Wohlfahrts-pflege Realitätsverlust unterstellen,
dann ist das Ihr Ding. Wir meinen, die genauen statisti-schen Untersuchungen sprechen eine klare Sprache. DasPhänomen Zellteilung ist so nicht belegbar.
Herr Staatssekretär, bitte.
G
Ich bedanke mich herzlich für Ihre Kurzintervention,
weil ich dadurch die Gelegenheit habe, noch etwas zu
den Aussagen des Sachverständigen Schneider zu sagen.
Seine Argumentation ist wirklich toll. Er sagt, von einer
Explosion der Anzahl an Bedarfsgemeinschaften in
Form von Ein-Personen-Haushalten könne nur dann die
Rede sein, wenn es gleichzeitig eine Abnahme bei der
Zahl der Mehr-Personen-Haushalten gebe.
Das ist blühender Unsinn; der müsste selbst Ihnen auf-
fallen. Wenn aus einer Bedarfsgemeinschaft, die aus vier
Personen besteht, einer auszieht, gibt es nach wie vor ei-
nen Mehr-Personen-Haushalt, nunmehr mit drei Perso-
nen, und zusätzlich entsteht ein neuer Ein-Personen-
Haushalt. So viel zu dem von Ihnen zitierten Herrn
Schneider.
Ich möchte Ihnen ganz schlicht noch etwas sagen:
Wenn Sie in der Aktuellen Stunde dem zugehört hätten,
was beispielsweise Frau Connemann und andere gesagt
haben, dann wüssten Sie es. So muss ich Ihnen empfeh-
len, einmal verschiedene Arbeitsgemeinschaften aufzu-
suchen, sich dort umzuschauen und mit den Fachleuten,
die das genehmigen müssen, zu reden. Dann erhalten Sie
ganz viele Belege dafür, dass insbesondere die Zahl der
Ein-Personen-Haushalte mit unter 25-Jährigen kräftig
explodiert ist. Deswegen ist es richtig, dass wir hier die
Regelungen ändern.
Das Wort hat der Kollege Heinrich Kolb, FDP-Frak-
tion.
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ass die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II unter an-erem auch deswegen gestiegen sind, weil viele volljäh-ige Jugendliche, die ALG II bezogen, eine eigene Be-arfsgemeinschaft gegründet und sich in einer eigenenohnung selbstverwirklicht haben. Ich habe keinenweifel daran, dass es deren persönlicher Entwicklungut getan hat und dass das auch ihre Selbstständigkeitördert, aber in Ordnung ist das nicht, jedenfalls dannicht, wenn es keine zwingenden Gründe dafür gibt undenn es auf Kosten der Solidargemeinschaft geschieht.as will ich hier sehr deutlich sagen.
eistungen der Solidargemeinschaft müssen den wirk-ich Bedürftigen vorbehalten bleiben. Wir finden es rich-ig, dass die Familie oder das Elternhaus finanziell wie-er stärker in die Pflicht genommen wird, wenn jungeenschen nicht für sich selbst sorgen können.
Deswegen, Herr Kollege Brandner – das sage ichuch den Kollegen von der Union –, finden wir es nichtn Ordnung, wenn der Status quo jetzt sozusagen hono-iert wird. Die Findigen werden belohnt, während dienständigen, die die Hausstandsgründungsmöglichkei-en auf Kosten des Steuerzahlers nicht in Anspruch ge-ommen haben, nun die Dummen sind. Wir meinen, wos sinnvoll und möglich ist, muss es im Rahmen derechsmonatigen Überprüfung der Anspruchsvorausset-ungen auch einen gewissen Druck in Richtung einer
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Dr. Heinrich L. KolbRückführung in die Haushalte geben, wenn ein offen-sichtlicher Missbrauch von Steuergeldern zu erkennenist.
Dann haben Sie so getan, Herr Kollege Brandner, alsob mit diesem Gesetz nichts eingespart würde. Ich habemir einmal das Zahlentableau besorgt, das Sie im Ge-setzgebungsverfahren vorgelegt haben. Das ist schonsehr erheblich. Sie führen die Öffentlichkeit hier einStück weit hinters Licht. Die Abschaffung der Renten-versicherungspflicht von erwerbstätigen Leistungsbezie-hern zum Beispiel bringt der Haushaltskasse in dennächsten Jahren 150 Millionen Euro per anno. Hier mussman eines sehr deutlich sagen: Die Abschaffung derRentenversicherungspflicht von erwerbstätigen Leis-tungsbeziehern ist ein falsches Signal. Da widersprecheich ausdrücklich auch dem Kollegen Andres. Das istaber offensichtlich soziale Gerechtigkeit nach Lesart dergroßen Koalition. Ein reiner ALG-II-Empfänger stelltsich hinsichtlich der erworbenen Rentenansprüche bes-ser als jemand, der eine Arbeit aufnimmt und hinzuver-dient. Auch hier gilt: Die Fleißigen sind die Dummen.Das ist Ihre Politik.
Schließlich bleibt die Frage des In-Kraft-Tretens die-ses Gesetzes. Ich habe ein Stück weit die Befürchtung,dass sehenden Auges ein erneutes Chaos im BereichHartz IV angerichtet wird. Sie wollen mit dem Kopfdurch die Wand. Der Ausschussvorsitzende, Herr Weiß,hat in anderem Zusammenhang – bezogen auf dasSaisonkurzarbeitergeld, das in dieser Woche von der Ta-gesordnung abgesetzt wurde – in diesen Tagen gesagt,Sorgfalt gehe vor Schnelligkeit. Bei der Nachbesserungvon Hartz IV allerdings geht Sorgfalt offensichtlichnicht vor Schnelligkeit, sondern hier soll politischesHandeln demonstriert werden. Ob das Ganze am Endegelingt, ist mehr als fraglich. Es hat jedenfalls mit sorg-fältiger Gesetzgebung nichts zu tun.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
nicht? – Gegenruf des Abg. Dr. Heinrich L.Kolb [FDP]: Das haben wir schon gesagt!)
Das Wort hat die Kollegin Maria Michalk, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Unser aller Leben ist gekennzeichnet vonpermanenten Veränderungen. Mal sind es gewollte, malungewollte, mal sind es kleinere, mal größere. Jetzt ste-hen wir am Anfang eines langen Reformweges. Deshalb,lieber Kollege Kurth: Emotionen runter! Sachlichkeit,Nüchternheit, Beharrlichkeit und auch Gemeinsamkeitsind angesagt. Der Herr Staatssekretär hat die Verbin-dhlAJMuddegeitedEKtmmhtlVOBSihlcdEdmcegAagWvnKLmügiv
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in überteuertes, uneffektiv gewordenes soziales Netztrapaziert nicht nur unsere internationale Wettbewerbs-ähigkeit. Es droht am Ende ein Wohlstandsverlust fürlle, am meisten für die sozial schwachen Gruppen unse-er Gesellschaft, für die wir das soziale System erhaltenollen.Deshalb: Wir sind erst am Anfang eines langen Re-ormprozesses. Ich bitte darum, dass wir diesen in Ruhend vernünftig gemeinsam weitergestalten.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Karl
chiewerling, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-egen! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir die De-atte, die wir in dieser Woche – sei es in der Aktuellentunde und heute Morgen – zu diesem Thema geführtaben, noch einmal durch den Kopf gehen lasse, dannabe ich den Eindruck, dass eine ganze Menge an Ver-irrung gestiftet worden und Nebel entstanden ist. Eseht nicht um alle Jugendlichen in dieser Republik. Eseht um diejenigen, die der Hilfe bedürfen, die arbeitslosind, in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern le-en und ausziehen wollen, obwohl sie selbst keine eige-en wirtschaftlichen Grundlagen haben. Um nichts an-eres geht es hier.Ich habe den Eindruck, als sollte nach außen vermit-elt werden, wir hätten nichts anderes vor, als jungeenschen zu ärgern. Es geht nicht um Ärgern und auchicht um Sozialabbau. Die Sozialpolitik richtet sichicht danach aus, wie viel Geld irgendwohin fließt. Dieozialpolitik richtet sich danach aus, was man mit dem,as man einsetzt, bewirkt und erreicht. Eines der we-entlichen Ziele der Sozialpolitik ist es, Hilfe zur Selbst-ilfe zu gewähren. Nichts anderes ist in SGB II vorgese-en.
Die letzten 14 Monate haben gezeigt – Staatssekretärndres hat es eindrucksvoll dargestellt –, dass es mit
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Karl Richard Schiewerlingdem SGB II ein völlig neues Projekt zur sozialen Siche-rung in der Bundesrepublik Deutschland gibt. DasSGB II ist natürlich an verschiedenen Stellen zu verän-dern. Es gibt Handlungsbedarf.Die immense Kostenexplosion, die wir erlebt haben,hat unter anderem auch damit zu tun, dass vermehrt Ar-beitslose zwischen 18 und 25 Jahren auf Kosten desStaates aus dem Elternhaus ausziehen. Was anfänglichdafür gedacht war, junge Menschen bei einem Auszugzu unterstützen, weil sie in einer anderen Stadt einenAusbildungsplatz oder eine Arbeit gefunden haben, hatsich mittlerweile unter jungen Menschen als kostenlosesUmzugspaket herumgesprochen.Wenn junge Menschen in einer Kommune meinesWahlkreises auf einen Ausbildungsplatz mit einer Ver-gütung von knapp 350 Euro im ersten Jahr verzichten,weil es finanziell attraktiver ist, nach SGB II zu leben,das heißt eine Grundsicherung plus die Übernahme derMietkosten für die lang ersehnte eigene Wohnung unddazu noch den Umzug finanziert zu bekommen, dann, sobehaupte ich, ist etwas falsch in unserer Gesellschaft, inunseren Köpfen und damit auch in der Vorgehensweiseunseres Staates.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wunderlich?
Ja.
Vielen Dank. – Herr Kollege, Sie haben von Hilfe zur
Selbsthilfe gesprochen. Definieren Sie die Senkung der
Rentenversicherungsbeiträge bei ALG-II-Empfängern
und die damit einhergehende Rentenkürzung auch als
Hilfe zur Selbsthilfe?
Die Senkung der Rentenbeiträge hat mit Hilfe zur
Selbsthilfe nichts zu tun, sondern ist Auswirkung der
Einzahlungen in das Rentensystem.
Deswegen gehört das nicht in diese Diskussion.
– Regen Sie sich nicht auf! Es geht hier um die Frage, ob
es uns gelingt, junge Menschen und Menschen, die der
Hilfe anderer bedürfen, aus der Sozialhilfe und damit
aus dem SGB II herauszuholen und ihnen eine Perspek-
tive aufzuzeigen. Das hat mit der Rentenversicherung
und mit der Absicherung der Rente nichts zu tun.
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eine Aussage bezog sich nicht auf die Höhe der Aus-
ildungsbeihilfe bzw. Ausbildungsvergütung. Meine
ussage bezog sich vielmehr darauf, dass, wenn jemand
ie Chance auf einen Ausbildungsplatz hat, auf diesen
ber verzichtet, weil das aus materiellen Gründen attrak-
iver ist, die Chancen in unserer Gesellschaft von den
inzelnen nicht richtig erkannt werden. Das war meine
otschaft.
Herr Kollege, wir sind zwar nicht in der Fragestunde,
ber es gibt trotzdem noch die Bitte um Zulassung einer
wischenfrage, und zwar von der Kollegin Lötzsch.
Eine Frage lasse ich noch zu. Dann müssen wir aber
ehen, dass wir heute noch fertig werden.
Vielen Dank für die Großzügigkeit, Herr Kollege. –
ie haben gerade angemerkt, dass das Thema „Höhe der
entenversicherungsbeiträge“ nicht in diese Debatte ge-
öre. Stimmen Sie mir aber zu, dass mit der Entschei-
ung über diesen Gesetzentwurf, die jetzt zu treffen ist,
erade die Kürzung des Rentenversicherungsbeitrages
rfolgt? Ich könnte meine Frage vereinfacht formulieren:
aben Sie das Gesetz gelesen?
Durch die Senkung des Beitrags zur Rentenversiche-ung senkt sich die Rentenanwartschaft von etwas mehrls 4 Euro im Monat auf 2,18 Euro. Das weiß ich
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1504 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Karl Richard Schiewerlingnatürlich. Aber das hat doch mit der Hilfe zur Selbst-hilfe, die ich vorhin angesprochen habe, nichts zu tun.
Bei aller Sympathie für die Emanzipation jungerMenschen: Es ist nicht Aufgabe des Staates, zu finanzie-ren, dass junge Menschen nicht zu Stubenhockern wer-den.Lassen Sie mich auf einen Punkt eingehen, der wich-tig ist. Ich gehe davon aus, dass Kinder, die bereits vorVollendung des 18. Lebensjahres im Haushalt ihrer El-tern gelebt haben, nicht plötzlich mit Vollendung des18. Lebensjahres von ihren Eltern an den Kosten derWohnung, zum Beispiel für Versicherungen und Fern-sehgebühren, beteiligt werden. Deshalb halte ich es fürzumutbar, die Ansprüche junger Menschen auf 80 Pro-zent zu reduzieren, vor allem dann, wenn sie nicht selbstfür sich sorgen können.Dass wir hier nicht willkürlich vorgehen, ist im ge-planten § 22 Abs. 2 a SGB II des vorliegenden Gesetz-entwurfes, über den wir gleich abstimmen werden, gere-gelt. Heute Morgen wurde schon ausführlich dargestellt,unter welchen Bedingungen auch ein Auszug aus demElternhaus akzeptiert und mitgetragen wird.Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass diegeplante Kürzung des Arbeitslosengeldes II keine Erfin-dung im Rahmen der Hartz-IV-Reform ist. Die Anpas-sung im Familienbereich ist bereits im SGB XII geregeltund schon lange bewährte Praxis. Dies wird jetzt imPrinzip nur auf das SGB II übertragen. Der gekürzte Re-gelsatz für unter 25-Jährige gefährdet nicht das Existenz-minimum dieser jungen Menschen. Wir haben imSGB XII geregelt, dass Jugendliche, die im Haushalt ih-rer Eltern leben, 237 Euro bekommen. Nach SGB II er-halten die Jugendlichen – das ist bereits der gekürzte Be-trag – 276 Euro. Das ist nicht weniger, sondern das sind39 Euro mehr. Nicht alles was neu ist, ist unbedingtschlecht.Meine Damen und Herren, mit dem Prinzip des For-derns und Förderns sind wir auf dem richtigen Weg.Dieses Grundprinzip des SGB II trägt dazu bei, dassMenschen ohne Arbeit gefordert werden, ihren Lebens-unterhalt möglichst rasch wieder aus eigener Kraft be-streiten zu können. Schließlich wollen wir Menschen inArbeit bringen und sie somit aus dem Bezug staatlicherLeistungen herausholen.Unser oberstes Ziel ist und bleibt die Bekämpfungder Arbeitslosigkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, müs-sen alle mithelfen: jeder Einzelne, die Tarifpartner, derStaat und die Gesellschaft.Wir haben den Arbeitsgemeinschaften und den optie-renden Gemeinden vorgegeben: Vorfahrt für junge Men-schen. Junge Arbeitsuchende werden gezielt unterstützt.Sie sollen umgehend in einen Ausbildungsplatz, einPraktikum oder einen Zusatzjob mit Qualifizierung kom-men. Dass die Eingliederungsmaßnahmen fruchten, be-legt auch die sinkende Zahl arbeitsloser junger Men-schen. Sie ist im vergangenen Monat um über 52 000gesunken.wAnFbSdeEGDgssbkbdmuueSrMtnVsVBgdmnmnJd
Wir müssen die jungen Menschen erreichen – das istin Punkt, der mir große Sorge bereitet –, die aus einemlternhaus kommen, das bereits in zweiter oder drittereneration von Sozialhilfe lebt.
as ist ein Themenbereich, der uns sehr bewegt. Ichlaube, dass es notwendig ist, gerade den jungen Men-chen eine Perspektive aufzuzeigen, dass es sich lohnt,ich zu engagieren, und dass es sich nicht lohnt, ein Le-en lang von Transferleistungen des Staates zu leben.
Mein Appell an die jungen Menschen lautet: Ihrönnt mehr, als ihr denkt! Ihr könnt mehr, als ihr euchis jetzt vielleicht selbst zugetraut habt! Ich appelliere anie Eltern, gemeinsam mit ihren Kindern die Beratungs-öglichkeiten und Unterstützung bei Berufsorientierungnd Lebenshilfe anzunehmen, die vonseiten des Staatesnd der freien Träger angeboten werden, damit sie ausigener Kraft die Brücke begehen können, die ihnen dertaat und die Gesellschaft bauen.Ich fordere die Arbeitsgemeinschaften und die optie-enden Kommunen auf, noch mehr als bisher jungenenschen auf ihrem Weg in Arbeit beratend und beglei-end zur Seite zu stehen, die vorhandenen Netzwerke zuutzen und die Eingliederungsmittel, die der Bund zurerfügung stellt, auch wirklich abzurufen und gut einzu-etzen.Eines ist klar: Das SGB II löst keine Probleme wieereinsamung, Schwierigkeiten in der Erziehung oderildungsarmut. Das SGB II gewährt eine Grundversor-ung, nicht mehr und nicht weniger. Beim Sprung auser Grundversorgung wollen wir helfen, aber springen,eine Damen und Herren, muss jeder selbst.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Bevor wir zur Abstimmung über diesen Tagesord-ungspunkt kommen: Mir liegen Meldungen zu dreiündlichen Erklärungen nach § 31 der Geschäftsord-ung vor, und zwar von Diana Golze, Elke Reinke undörn Wunderlich, die ich dann aufrufen werde. Außer-em liegen mir noch zwei schriftliche Erklärungen zur
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerAbstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vonDagmar Enkelmann und Lutz Heilmann vor.Das Wort zu einer persönlichen Erklärung hat dieKollegin Diana Golze.
Ich stimme gegen dieses Gesetz, da ich den Gedanken
der Gleichbehandlung konsequent zu Ende denke. Es
geht nicht, wie vorhin gesagt wurde, um ein staatlich ge-
fördertes Auszugsprogramm. Wir wollen auch keine
Umzugskarawane organisieren. Ich begrüße die längst
überfällige Angleichung der Regelleistungen Ost und
West, aber wir dürfen nicht gleichzeitig beschließen,
dass es Jugendliche erster und zweiter Klasse gibt. Wenn
wir nicht in der Lage sind, jedem jungen Menschen ei-
nen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu bieten, dürfen wir
sie nicht für unser Versagen bestrafen und zahlen lassen.
Wir führen jede millionenschwere Initiative zur Stär-
kung des Selbstbewusstseins und des Demokratiever-
ständnisses junger Menschen ad absurdum, wenn wir ih-
nen gleichzeitig kein eigenständiges Leben ermöglichen
und ihnen immer tiefer in die Tasche greifen. 345 Euro
sind schon zu wenig, aber 276 Euro für unter 25-Jährige
sind ein Skandal. Das hat mit Vorfahrt für Jugend nichts
zu tun.
Danke schön.
Das Wort zu einer weiteren Erklärung erhält die Kol-
legin Elke Reinke.
Ich bedanke mich für die Möglichkeit, hier eine per-
sönliche Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten
abgeben zu dürfen.
Ich lehne den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf ab, weil in ein Änderungsgesetz zum
längst überfälligen Ost-West-Angleich in einer Nacht-
und-Nebel-Aktion zusätzliche Hartz-IV-Verschärfungen
eingeflochten wurden. Sie stopfen Haushaltslöcher auf
Kosten junger Erwachsener und ihrer Familien. Mich er-
reichen täglich Anrufe, und zwar nicht nur von Hartz-IV-
Betroffenen. Die Menschen sind enttäuscht und zornig
über dieses Gesetz. Sie meinen, dass das wie Zuckerbrot
und Peitsche und eine riesige Sauerei ist. Sie sagen: Die-
sem Machwerk dürft ihr als Linke nicht zustimmen.
Danke.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Kolle-
innen und Kollegen! Ich stimme gegen diesen Gesetz-
ntwurf. Denn als das Änderungsgesetz zum SGB II auf
rucksache 16/99 zum ersten Mal in den Ausschuss
am, ging es lediglich um die Angleichung des ALG II
om Ost- auf das Westniveau.
em hätte ich noch zustimmen können. Es wurde dann
ber sofort von der Tagesordnung genommen.
In der jetzigen Form kann ich dem nicht mehr zustim-
en. Denn in Drucksache 16/688 sind noch schnell Ver-
chärfungen gestrickt worden, die sozial unerträglich
ind. Ich begrüße ausdrücklich eine Anhebung des
LG II. Aber aufgrund der massiven sozialen Ein-
chnitte kann ich dem Gesetzentwurf in der vorliegenden
orm nicht zustimmen. Was ich von den neuen Änderun-
en halte, habe ich – so denke ich jedenfalls – am Mitt-
och deutlich gemacht.
Ich stimme gegen diesen Gesetzentwurf, damit ich
orgen noch in den Spiegel schauen kann, ohne mich
chämen zu müssen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-esregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-ung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, Druck-ache 16/99. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialesmpfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-ung auf Drucksache 16/688, den Gesetzentwurf in derusschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, dieem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –nthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweitereratung mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU beiegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und derraktion Die Linke und Enthaltung der FDP angenom-en.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –er stimmt dagegen? –
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerEnthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit mit dem-selben Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratungin der dritten Beratung angenommen.Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag derFraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-sache 16/696 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungs-antrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Ich würdejetzt gern wissen, wie das Abstimmungsverhalten derFraktion der Linken ist. Meiner Ansicht nach hat ein Teilder Fraktion der Linken dagegen gestimmt und ein Teilhat sich enthalten.
– Das ist ihr gutes Recht, sehr richtig, Herr Kollege. –
Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmenvon SPD, CDU/CSU und FDP bei einigen Gegenstim-men der Fraktion der Linken und einigen Enthaltungender Linken abgelehnt.
– Es hat kein Teil zugestimmt, Frau KolleginEnkelmann.
– Nein, Sie haben überhaupt nicht abgestimmt.
– Ich habe Sie gesehen.
– Frau Kollegin Enkelmann, mein Blick war auf dieFraktion der Linken gerichtet. Sie haben definitiv über-haupt nicht abgestimmt.
Tagesordnungspunkt 15 b. Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So-ziales auf Drucksache 16/688 zu dem Antrag der Frak-tion Die Linke mit dem Titel „Angleichung desArbeitslosengeldes II in den neuen Ländern an das Ni-veau in den alten Ländern rückwirkend zum 1. Januar2005“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-ner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Druck-sache 16/120 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung mitden Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/DieGLaZdhGgBtizhsnduKEGTABhte
nd ob man das, wie manche sagen, dem freien Spiel derräfte überlassen kann.In den letzten Jahren haben wir in Deutschland einentwicklung erlebt, die es erforderlich macht, dass deresetzgeber tätig wird:
ariflöhne sind in den neuen Bundesländern zu einerusnahme geworden und es gibt sie auch in den altenundesländern immer seltener. Im Osten kommen sehräufig Haustarife zur Anwendung, kaum mehr Flächen-arifverträge. In vielen Unternehmen gibt es nicht einmalinen Haustarifvertrag; dort wird Monat für Monat
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Dr. Gregor Gysientweder ausbezahlt, was da ist, oder es werden andereKriterien zugrunde gelegt. Es gibt für die Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer also keine verlässlichen Maß-stäbe mehr.Solange überall bzw. in zumindest 90 Prozent derFälle Tarifverträge gegolten haben und die Gewerk-schaften dafür sorgen konnten, dass angemessene Min-destlöhne gezahlt wurden, konnte man auf eine Rege-lung verzichten; das war in den früheren Jahrzehnten derBundesrepublik der Fall. Heutzutage ist das unverant-wortlich.
Man muss sagen, was jemand pro Stunde Erwerbsarbeitin Deutschland mindestens verdienen muss.Ich höre schon jetzt, was die Redner der FDP, die jaimmer die Freiheit betonen, vermutlich sagen werden:dass man all das wunderbar miteinander vereinbarenkann.
– Das haben Sie früher immer gesagt. Warum also soll-ten Sie heute etwas anderes sagen?
Eines möchte ich Ihnen aber entgegenhalten: Selbst fürIhre Klientel, die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
– leider gibt es eine ganze Reihe von ihnen, die zu IhrerKlientel gehören – und die Ärztinnen und Ärzte, geltenMindestlöhne. Diese Berufsgruppen haben Gebühren-ordnungen, in denen steht, wie viel sie mindestens ver-dienen. Hier haben Sie nichts dagegen. Darüber würdeich an Ihrer Stelle einmal nachdenken.
Wir sagen: Diese Art der Sicherheit brauchen auchdie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch-land.
Inzwischen gibt es in Deutschland mehr als 3 Millionenerwerbstätige Menschen, die weniger als den pfändungs-freien Betrag – dazu sage ich noch etwas – verdienen.Darunter befinden sich sehr viele Menschen, die wenigerals 800 Euro im Monat verdienen. Mit Ausnahme jener,die wirklich in dieser Situation waren, kann niemandhier im Hause ernsthaft sagen, wie man von diesem Be-trag leben kann.
Da wir diese Frage nicht beantworten können, müssenwir als Gesetzgeber eine andere Regelung schaffen.tmwuFiGdgULAwnDdlDsd–mmWajrsEEpssGldSpwdtn1fg
ie Kosten in Deutschland sinken aber doch nicht: We-er wird die Miete geringer noch werden Busfahrten bil-iger noch Bahnfahrten. Im Gegenteil, alles wird teurer.eshalb ist es doch nicht zu viel verlangt, dass der Ge-etzgeber von den Unternehmen die Zahlung eines Min-estlohns erwartet und sie dazu verpflichtet.
Auf die Arbeitsplätze komme ich noch zu sprechen.Wenn man für einen solchen Mindestlohn streitet,uss man auch sagen, wo er liegen soll; dafür brauchtan einen Maßstab.
ir können uns nach dem richten, was der Gesetzgeberls pfändungsfreies Einkommen festgelegt hat. Wenn Sieemandem ein Darlehen gewähren, dieser es nicht zu-ückzahlt und Sie nach drei Jahren endlich Ihren Voll-treckungstitel haben, dann bekommen Sie, wenn dieseinzelperson nur 985 Euro netto hat, gar nichts davon.rst wenn die Person mehr als 985 Euro hat, können Siefänden. Das ist doch ein Maßstab! Damit hat der Ge-etzgeber – die Mehrheit im Bundestag – gesagt: An die-en Betrag lassen wir auch einen Gläubiger nicht heran.enau dieser Betrag muss der Mindestlohn in Deutsch-and werden: Wer arbeitet, muss mindestens den pfän-ungsfreien Betrag verdienen.
o kommt unsere Rechnung zustande: Bei 8 Euro bruttoro Stunde kommen Sie bei einer 40-Stunden-Arbeits-oche auf einen Bruttolohn im Monat, dem netto etwaiese 985 Euro entsprechen. Damit würde jeder mindes-ens den pfändungsfreien Betrag verdienen. Das ist dochicht zu viel verlangt.Es gibt noch ein Argument für unser Anliegen:4 europäische Staaten haben einen Mindestlohn einge-ührt – und sie haben damit keine schlechten Erfahrun-en gemacht.
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Dr. Gregor GysiSagen Sie jetzt nicht: Die sind alle doof und wir sind alseinzige schlau. Nein, sie hatten gute Gründe, einen Min-destlohn einzuführen.
Reden Sie einmal mit einem Taxifahrer, mit einer Fri-seuse, mit Leuten aus dem Bäckereihandwerk oder garmit Wachpersonal!
– Ja, ich bin jetzt ein paar Jahre einem normalen Berufnachgegangen. Da lernen Sie viele Leute kennen. Damüssen Sie mal wieder rein; das ist zur Abwechslung garnicht schlecht.
Wenn Sie mit diesen Leuten reden, werden Sie eins fest-stellen: Es gibt Leute, deren Bruttoeinkommen bei3 Euro, 4 Euro die Stunde liegt.
Herr Kollege, ich möchte Sie an Ihre Redezeit erin-
nern. Sie reden sonst auf Kosten Ihrer Kollegen.
So viele Überstunden können Sie gar nicht machen,
dass Sie davon Ihren Lebensunterhalt einigermaßen be-
streiten können. Ich sage, es ist eine Frage des Anstands,
dass wir – der Bundestag – dafür sorgen, nicht von Ar-
mut umgeben zu sein. Dafür brauchen wir den Mindest-
lohn.
Das Wort hat der Kollege Ralf Brauksiepe, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Herr Gysi, nach Ihrem Beitrag bin ich in einer Hin-sicht erleichtert: Anscheinend gibt es in Ihrer Fraktiondoch Leute, die die freie Rede beherrschen; das klang javorhin bei den abgelesenen Erklärungen anders.
Mir ist gleichwohl klar, dass die Zettel, die hier eben ab-gelesen wurden, nicht aus SED-Zeiten stammen.
Denn zu DDR-Zeiten konnten die Leute auf solche Sum-men, wie Sie sie hier einfordern, nicht hoffen; das warendamals andere Zeiten.
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ch würde Ihnen empfehlen, einmal nachzulesen, wasas Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung inürnberg dazu gesagt hat, was das für das Lohngefügeedeutet, gerade in den neuen Ländern, die Sie hier her-orheben: 34 Prozent der Menschen, die in den neuenändern arbeiten – nehmen Sie den Fall: mit zwei Kin-ern –, haben ein Einkommen im Monat, mit dem sieen Betrag, den Sie hier gefordert haben, nicht errei-hen. Für 34 Prozent der sozialversicherungspflichtigeschäftigten würde das bedeuten: Ihr Arbeitsplatz istkut gefährdet, wenn das, was in Ihrem Antrag gefordertird, umgesetzt wird. In der Realität einer sozialenarktwirtschaft, die sich im weltweiten Wettbewerb be-aupten muss, ist so etwas nicht zu machen; das habenie gefälligst zur Kenntnis zu nehmen. Solche Forderun-en kosten Arbeitsplätze, sie treiben zusätzlich Men-chen in die Arbeitslosigkeit. Das ist reiner Populismus.
eswegen lehnen wir diesen Antrag ab.
Nun wird man natürlich zur Kenntnis nehmen müs-en, dass sich im Bereich des Niedriglohnsektors in denergangenen Jahren etwas verändert hat, und zwar auchum Negativen. Im Vorgriff auf das, worüber wir gleichielleicht noch diskutieren, will ich ausdrücklich sagen:uf unserem Arbeitsmarkt und im Niedriglohnbereichst eben nicht alles wunderbar geordnet. – Traditionellnd richtigerweise haben wir die Tarifautonomie. Diearifvertragsparteien haben in den letzten Jahren aber anindungskraft verloren.
ie Wirkungen der Vereinbarungen der Tarifvertragspar-eien haben Bedeutung eingebüßt.
eswegen ist es auch richtig, dass wir uns darüber Ge-anken machen, wo in diesem Bereich politischer Hand-ungsbedarf besteht.
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Dr. Ralf BrauksiepeDie große Koalition hat sich das im Koalitionsvertragentsprechend vorgenommen. Wir haben uns vorgenom-men, die Geltung des Entsendegesetzes zu erweitern.
– Hören Sie zu, Herr Kollege Niebel! – Wir werden esauf den Bereich der Gebäudereiniger ausweiten und wirhaben uns vorgenommen, eine weitere Ausdehnung aufweitere Branchen zu prüfen. Das ist der eine Punkt.
Daneben haben wir uns vorgenommen, Lösungsmög-lichkeiten für den Bereich der Kombilöhne vorzuschla-gen – das werden wir im Laufe dieses Jahres machen –,um auch im Niedriglohnbereich etwas zu tun.Hier geht es natürlich darum, dass wir den Staat unddie Steuerzahler vor Ausbeutung schützen. Deswegenwird darüber zu reden sein, wie man das, was ein Arbeit-nehmer durch sein Markteinkommen und die hinzukom-menden staatlichen Transfers erhält, justieren und in einvernünftiges Verhältnis zueinander setzen kann. Aus die-sem Grund ist im Koalitionsvertrag an dieser Stelle auchder Zusammenhang mit den Themen Mindestlohn undEntsendegesetz aufgeführt. Wir haben deutlich gemacht,dass eine Debatte über den Kombilohn natürlich auchdiese Themen berührt. Die Bundeskanzlerin hat in denvergangenen Wochen mehrfach völlig zu Recht auf die-sen Zusammenhang hingewiesen. Wir sind an dieserStelle offen, uns auch Gedanken darüber zu machen, wiewir im Bereich des Niedriglohns vorankommen. Wirsind hier offen und wir werden unaufgeregt, mit der nöti-gen Sorgfalt und ohne irgendwelche ideologischen Vor-behalte an diese Fragen herangehen.
Ich möchte das ausdrücklich auch vor dem Hinter-grund der Vereinbarungen sagen, die gestern im Euro-päischen Parlament getroffen worden sind. Wir habennun die Dienstleistungsrichtlinie. Ich denke, das gehtim Grundsatz in die richtige Richtung. Ich finde es rich-tig, dass der Bundesarbeitsminister und der Bundeswirt-schaftsminister auch vor diesem aktuellen Hintergrundgemeinsam bekräftigt haben, dass die Koalition bei ih-rem Willen bleibt, den deutschen Arbeitsmarkt gegenLohndumping zu schützen und rechtzeitig entsprechendegesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen.Ich denke, für die Koalitionsfraktionen gilt gemein-sam, dass tarifliche Lösungen immer Vorrang vor ge-setzlichen Lösungen haben. Deswegen werden die Mög-lichkeiten, die uns durch das Entsendegesetz gebotenwerden, in diesem Zusammenhang zu prüfen sein. Dabeiwerden wir insbesondere auch unsere Möglichkeitenprüfen, ein Absinken der Löhne ins Bodenlose zu ver-hindern.
Im Übrigen will ich in diesem Zusammenhang deut-ich sagen: Die Frage, was denn nun eigentlich eine an-tändige Entlohnung für eine Arbeit ist, ist sehr alt. Icharf das sagen: Dies ist eine sehr christliche Frage undie hängt mit unserem Verständnis von Menschenwürdend mit unserem christlichen Menschenbild zusammen.er anständig arbeitet, hat auch einen Anspruch auf ei-en anständigen Lohn.
Das ist nicht Gegenstand einer neuen Debatte. Schonapst Leo XIII. hat Ende des 19. Jahrhunderts die erstenedanken zu dieser Frage formuliert. Papst Pius XI. hatann in seiner Sozialenzyklika von 1931 darauf hinge-iesen, dass bei der Bemessung eines gerechten Lohnserschiedene Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind,ben auch die allgemeine Wohlfahrt. Ich zitiere ihn sehrerne. Schon damals hat er gesagt:Die Gemeinwohlgerechtigkeit verbietet daher, ohneRücksicht auf das Gemeinwohl nur dem eigenenVorteil gemäß die Löhne über den zulässigen Spiel-raum hinaus hinabzudrücken oder hinaufzutreiben;…as schrieb Pius XI. schon vor gut 80 Jahren. Da war erchon sehr viel weiter als die Linke heute.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Kolb?
Aber gerne, Herr Kolb.
Herr Kollege Brauksiepe, nachdem ich Ihnen auf-
erksam zugehört habe, weiß ich zwar jetzt, was Papst
eo XIII. und Papst Pius XI. in dieser Frage gedacht ha-
en. Aber so recht hat sich mir noch nicht erschlossen,
ie Ihre persönliche Position oder die Position Ihrer
raktion zu dem Thema Mindestlohn aussieht.
Wäre es zu viel verlangt, mir in Kürze zu sagen, ob
ie dafür oder dagegen sind?
Nein, das ist nicht zu viel verlangt, Herr Kollegeolb. Ich habe noch 3,25 Minuten an Redezeit, die ichiesem Thema widmen werde.
Ja, jetzt habe ich noch mehr Redezeit. – Ich will Ihneneutlich sagen: Es geht in der Tat darum, dass wir ver-chiedene Gesichtspunkte gleichermaßen berücksichti-en, auf die ich im Laufe der nächsten Minuten noch zuprechen kommen werde. Ich beginne mit dem Punkt,er eben angesprochen worden ist.
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Dr. Ralf BrauksiepeIch sage Ihnen erst einmal etwas zu der Frage der inden anderen europäischen Ländern so weit verbreitetenMindestlöhne, die angeblich dafür sprechen, Mindest-löhne auch in Deutschland einzuführen. Es heißt, dass esin 14 Ländern einen Mindestlohn gibt. Ich will Ihnen dieMindestlöhne in ein paar Ländern nennen: Lettland:71 Cent die Stunde, Litauen: 85 Cent die Stunde, Est-land: 93 Cent, Slowakei: 93 Cent. So viel zum Mindest-lohn in anderen Ländern und den angeblich guten Grün-den, die dafür sprechen. Genau das wollen wir nicht.
Jetzt zu der Frage, wie es in Deutschland sinnvoller-weise laufen soll. Ich habe eben darauf hingewiesen: Esgibt bei uns die Tradition der Tarifautonomie, die unserLand aus guten Gründen von anderen Ländern unter-scheidet. In Großbritannien gibt es seit 1909 Mindest-löhne, in Frankreich seit 1915 und in anderen Ländernsieht es ähnlich aus. Bei uns steht anstelle der Traditionder Mindestlöhne die Tarifautonomie.
Diese hat für uns Vorrang; das will ich Ihnen deutlich sa-gen.In der Frage, wie wir bei Niedriglöhnen, Kombilohnoder Mindestlohn vorankommen können, sind drei Leit-linien im Auge zu behalten. Ich hoffe, Herr KollegeKolb, dass wir darin mit Ihnen einig sind. Die erste Leit-linie ist: Die Löhne in diesem Land dürfen nicht ins Bo-denlose sinken. Es muss eine sittliche Untergrenze ge-ben, unterhalb derer niemand arbeiten muss. Derjenige,der anständig arbeitet, muss einen angemessenen Lohnbekommen. Sollten die Tarifvertragsparteien bei denLöhnen etwas übersehen haben, ist der Gesetzgeber ge-fordert, dem Einhalt zu gebieten.
Die zweite Leitlinie, die zu beachten ist – ich denke,auch da werden Sie uns zustimmen –: Es dürfen keinezusätzlichen Anreize für Schwarzarbeit geschaffen wer-den. Das setzt allen Regelungen, die wir treffen, Gren-zen nach oben.Die dritte Leitlinie ist: Die Löhne müssen für die Un-ternehmen finanzierbar bleiben. Es dürfen keine zusätz-lichen nicht tragbaren Belastungen für den Haushaltentstehen. Das haben wir im Koalitionsvertrag im Zu-sammenhang mit dem Kombilohn festgehalten. Es wirdund darf keine flächendeckende Subventionierung vonUnternehmen geben. – Um diese Leitlinien geht es.
Also: Erstens. Kein Absinken der Löhne ins Boden-lose! Zweitens. Keine zusätzlichen Anreize für Schwarz-arbeit! Drittens. Das Problem muss in einer Weise gelöstwerden, die den Staat insgesamt nicht finanziell überfor-dert. Von diesen Linien lassen wir uns leiten. Wir habenuns vorgenommen, dieses Thema in diesem Jahr anzuge-hen, und das werden wir auch tun. Wir werden LösungenfwKsGgcAreVmu„plKgeMdhsvgMlDstLswk
Herr Kollege Brauksiepe, bitte.
Herr Kollege, Sie wissen, dass ich genau das Gegen-eil gesagt habe. Mit uns wird es kein Abgleiten deröhne ins Bodenlose geben. Wir werden dazu Vor-chläge erarbeiten, die wir noch in diesem Jahr vorlegenerden.Die von mir genannten Zahlen belegen eines: Je stär-er der real existierende Sozialismus in der Vergangen-
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Dr. Ralf Brauksiepeheit verbreitet war, desto größer ist das Elend der arbei-tenden Menschen heute. Das und nichts anderes belegendiese Zahlen.
Nächster Redner ist der Kollege Heinrich Kolb, FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Linke und Grüne wollen mit der heutigen Debatte Druckauf die zerstrittene Koalition ausüben, Mindestlöhne ein-zuführen. In der Tat ist zu befürchten – das ergibt sichauch aus dem, was Herr Kollege Brauksiepe gesagt bzw.nicht gesagt hat –, dass die Koalition ernsthaft einen sol-chen Schritt erwägt. Auch Äußerungen von Bundes-arbeitsminister Müntefering lassen diesen Schluss zu.
In der Tat, es klingt durchaus heimelig, Herr KollegeBrandner, wenn Herr Müntefering feststellt: „Wer seinenJob richtig macht, muss auch so viel Geld bekommen,dass er seine Familie davon ernähren kann.“
Im Ergebnis stimme ich ihm zwar zu – das wird Siesicherlich wundern, Herr Kollege Brandner –, aber daserreicht man nicht dadurch, dass man die Löhne auch füreinfache Tätigkeiten per Gesetz hochschraubt
– hören Sie zu, Herr Brandner! –, sondern dadurch, dassman Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht durchihre eigene Tätigkeit finanzieren können, bei Bedarf ei-nen ergänzenden staatlichen Transfer gewährt, wie es dieFDP mit ihrem Konzept des Bürgergeldes vorgeschla-gen hat.
Ich stelle für die FDP-Bundestagsfraktion klipp undklar fest: Gesetzliche Mindestlöhne – egal, in welcherForm – lösen keine Probleme; sie verschärfen sie.
Das hat der jetzige Unionsfraktionsvorsitzende, VolkerKauder, am 9. April 2005 in einem Interview mit der„Welt“ noch genauso gesehen. Es ist wirklich erschre-ckend, festzustellen, wie sich zwischenzeitlich die CDU/CSU in dieser Frage immer mehr sozialdemokratischenPositionen annähert.
Mindestlöhne sind faktisch Arbeitsplatzvernich-tungsprogramme. Sie führen – besonders im BereichdbpSvMgbSlMShfdL–BndsPüAbwWLNBdrnvgwdldFm
Melden Sie sich doch zu einer Zwischenfrage, Herrrandner!Die Forderung nach Mindestlöhnen lässt die aus mei-er Sicht entscheidende Frage offen, wer zu solchen Be-ingungen noch Arbeitsplätze schaffen soll. Die deut-che Volkswirtschaft leidet schon jetzt unter massivenroblemen: unter zu geringen Wachstumsraten, unterberzogener Bürokratie, unter den hohen Steuer- undbgabelasten und der zu hohen Regelungsdichte im Ar-eits- und Tarifrecht.Ich finde, es ist eher mehr als weniger Flexibilität not-endig.
ir brauchen ein flexibleres Tarifrecht, damit sich dieöhne wieder an der Produktivität orientieren können.otwendig sind auch Öffnungsklauseln für betrieblicheündnisse für Arbeit und ein funktionierender Nie-riglohnsektor, damit sich auch die Aufnahme einer ge-ing entlohnten Tätigkeit gegenüber der Inanspruch-ahme staatlicher Transferleistungen lohnt.
Ich habe bereits festgestellt, dass das von der FDPorgeschlagene Bürgergeld – also das System einer ne-ativen Einkommensteuer – in diese richtige Richtungirkt. Ich kann Sie nur ermuntern, Herr Brandner, sichamit zu befassen.
Abschließend stellt sich die Frage – die auch der Kol-ege Gysi bereits angesprochen hat –, wie hoch der Min-estlohn sein soll. Wir glauben, dass der Markt dieserage beantwortet. Ich habe Ihre Angaben, meine Da-en und Herren von der Linken, nachvollzogen und bin
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Dr. Heinrich L. Kolb– diese Rechenaufgabe habe ich ohne Taschenrechnergelöst – bei 985 Euro und einer Arbeitszeit von rund160 Stunden im Monat – das ist zwar etwas mehr alseine 35-Stunden-Woche, aber so rechnet es sich besser –auf einen Stundenlohn von 6,15 Euro als gesetzlichenMindestlohn gekommen.
– 985 Euro netto? Dann wird es ja sogar noch mehr. Ichrechne gerne noch einmal nach
und werde mich nachher vielleicht noch einmal zu Wortmelden. Aber besser wird es dadurch nicht, Herr Gysi.
– Hören Sie mir zu! Ich entschuldige mich ja. Aber da-durch wird es, wie gesagt, nicht besser; denn dann wer-den noch mehr Arbeitsplätze und noch mehr Menschenin Beschäftigung aus dem ersten Arbeitsmarkt ver-drängt. Ich frage Sie, ob Sie das ernsthaft wollen.Es bleibt festzuhalten: Mindestlöhne lösen keine Pro-bleme, sondern schaffen welche.Ein weiteres Problem, das noch zu nennen wäre, istdie Bürokratie. Es bedarf letztendlich eines riesengro-ßen Kontrollapparates, um festzustellen, ob die Mindest-lohnregelungen eingehalten werden. Der Präsident desDeutschen Industrie- und Handelskammertages, LudwigGeorg Braun, warnt daher zu Recht vor den bürokrati-schen Folgen einer solchen Regelung.Wir können klipp und klar, ohne Wenn und Aber,ohne Wackeln und Herumeiern sagen: Wir sind gegengesetzliche Mindestlöhne in Deutschland.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Nahles,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Für die ostdeutsche Floristin, die für1 000 Euro brutto 41 Stunden in der Woche arbeitet,muss es wie Hohn klingen, wenn Sie, Herr Kolb, sagen,dass der Markt dieses Problem letztlich schon lösenwerde. Das kann ich nur zurückweisen.
Wir werden über diese Frage noch einmal ernsthafterdiskutieren müssen.dssAdfAwshDfhmUUgdktrBswdgwdDwMpLswArbnsaeEz
Nun ist das Herkunftslandprinzip zwar weg. Aber wiraben im Zielland unsere Hausaufgaben noch nicht ge-acht. Dass im gesamten europäischen Umland bei dermsetzung der Entsenderichtlinie der Europäischennion viel mehr Branchen als in Deutschland einbezo-en worden sind, ist nun für uns ein Problem. Wenn inen nächsten Jahren in Deutschland die volle Freizügig-eit gilt, dann sind wir – unabhängig von der Dienstleis-ungsrichtlinie – ohne eine Ausweitung der Entsende-ichtlinie und des Entsendegesetzes auf weitereranchen verwundbar. Dann haben wir unsere Interes-en nicht adäquat vertreten. Wir brauchen also eine Aus-eitung des Entsendegesetzes hier in Deutschland.
Es ist Angela Merkel gewesen, die festgestellt hat,ass es in 19 europäischen Ländern einen Mindestlohnibt und dass es daher nur schwer zu erklären ist, warumir in Deutschland noch nicht einmal darüber sollen re-en dürfen.
ie entscheidende Frage, die sich hier stellt, ist, warumir überhaupt über die Einführung eines gesetzlichenindestlohns diskutieren müssen. Dass es Steuerdum-ing in Europa gibt, wissen wir alle. Es gibt aber auchohndumping. Wir müssen darüber nachdenken, wieich das verhindern lässt. In Deutschland gibt es mittler-eile 3 Millionen Menschen, die Vollzeit arbeiten undrmutslöhne bekommen. Es gibt dafür einen ganz kla-en Gradmesser. Die Armutslohngrenze liegt nämlichei 1 400 Euro brutto. Jeder fünfte ostdeutsche Arbeit-ehmer arbeitet zurzeit für weniger als 1 300 Euro. Dasind Armutslöhne. Das heißt, dass das, was in den USAls Working Poor bezeichnet wird, längst Deutschlandrreicht hat.
s gibt nämlich Armut trotz Arbeit. Das können wir So-ialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht hinneh-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1513
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Andrea Nahlesmen, das können wir nicht akzeptieren. Ich hoffe, dasgilt auch für die Bundesregierung.
Es geht aber nicht nur darum, dass wir Armutslöhnein Bereichen haben, in denen wir keine tarifvertraglichenRegelungen haben.
Mittlerweile sind in Ostdeutschland nur noch54 Prozent der Unternehmen tarifvertraglich gebunden.Zieht man davon den öffentlichen Dienst ab, dann wirdman feststellen, dass die Zahl der tarifvertraglich nichtgebundenen Unternehmen relativ noch höher ist.
Es reicht also nicht, Löhne tariflich abzusichern odereine Tarifgruppe für allgemeinverbindlich zu erklären.Das wird denen, die überhaupt nicht mehr tariflich ein-gebunden sind, weil deren Arbeitgeber sich aus der Ta-rifgemeinschaft herausgestohlen haben, nichts nützen.
Deswegen müssen wir über diese tarifliche Absicherunghinausgehen und auch deshalb brauchen wir Mindest-löhne. Das steht für mich außer Frage.
Frau Kollegin Nahles, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Niebel?
Gerne.
Vielen Dank, Frau Kollegin. Sie haben eben beklagt,
dass die verfügbaren Einkommen von vielen Men-
schen, insbesondere in den neuen Bundesländern, nach
Ihrem Dafürhalten zu gering sind. Widerspricht das nicht
dem Willen der großen Koalition, die auch von der SPD-
Fraktion mitgetragen wird, die Mehrwertsteuer um
3 Prozentpunkte zu erhöhen, weil damit den Menschen
noch mehr Kaufkraft entzogen wird?
Herr Niebel, erstens wird diese große Koalition nichtauch, sondern ganz ausdrücklich von der SPD mitgetra-gen. Zweitens ist es selbstverständlich richtig, dass wirdie Frage der Mehrwertsteuererhöhung, die Sie offen-sichtlich in jede Debatte hier im Deutschen Bundestageinfließen lassen–adwuasjnELmthwbbTrggzndmtugEllmTatDdfgseVzd
das ist Ihr wichtigster Profilierungspunkt –, gerne annderer Stelle diskutieren können. Wenn Sie aber sagen,ass Sie ausdrücklich keinen gesetzlichen Mindestlohnollen, dann ist das eine weitaus größere Bedrohung fürntere Einkommensgruppen in Deutschland
ls die Mehrwertsteuererhöhung. Lassen Sie uns darübertreiten, wenn das Thema an der Reihe ist. Machen Sieetzt bitte keine Show zu einem Thema, das heute garicht zur Debatte steht.
Man kann feststellen, dass das Problem der untereninkommensgruppen durch tariflich festgesetzteöhne leider nicht gelöst wird. In den unteren Einkom-ensbereichen gibt es Tariflöhne, die 4 Euro betragen,eilweise sogar weniger. Es reicht also nicht, wie eseute von den Grünen vorgeschlagen wird, beispiels-eise durch das Gesetz zur Festsetzung von Mindestar-eitsbedingungen die unteren Tarifgruppen festzuschrei-en. Ich kann Sie nur auffordern, sich einmal dieabellen mit den tariflich festgelegten Löhnen im unte-en Einkommensbereich anzusehen. Da wird Ihnen eini-es auffallen. Sie sind den entscheidenden Schritt nichtegangen. Sie vermeiden ja heute eine klare Aussageum Mindestlohn. Das trauen Sie sich offensichtlichicht. Ihre Vorschläge reichen nicht aus, um das Niveau,as wir brauchen, zu erreichen und die Leute aus der Ar-ut zu holen.
Ich glaube auch, dass wir uns heute von der Linkspar-ei nicht in eine Debatte treiben lassen sollten, in der esm 20 oder 50 Cent mehr oder weniger Mindestlohneht.
s geht zunächst einmal nicht um die Höhe des Mindest-ohns, sondern um die Frage, ob wir eine untere Halte-inie brauchen. Ich sage Ihnen: Ja. Muss das im Verbundit den Tarifparteien und unter Berücksichtigung derarifautonomie in Deutschland geschehen? Da sage ichuch: Ja. Brauchen wir aber auch jenseits der Tarifver-räge, die nicht mehr verhindern, dass die Löhne ineutschland abrutschen, zusätzliche Regelungen? Auchazu sage ich: Ja. Wir brauchen Mindestlöhne.Warum schlagen Sie vor, dass das alles gesetzlichestgelegt wird? Warum soll das alles über einen Kammeschoren werden? Sie treten hier dafür ein, dass ein be-timmter Betrag festgelegt wird. Wir hingegen wollenine unabhängige Kommission – es gibt ein sehr gutesorbild in Großbritannien –, die die Tarifparteien einbe-ieht und die ein Mindestentgelt festlegt. Das ist ein an-erer Ansatz als der, dass wir hier im Bundestag
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Andrea Nahlesversuchen, einmal ein bisschen mehr oder ein bisschenweniger gesetzlich festzulegen.Mein Petitum hier ist: Lassen Sie uns denen, die vonder Sache wirklich etwas verstehen, beispielsweise denTarifparteien, eine Mitsprachemöglichkeit in Bezug aufdas, was auf diesem Gebiet in diesem Lande geschieht,einräumen. Das ist besser, als hier von vornherein über20 Cent mehr oder weniger zu streiten. Das ist kein hilf-reicher Weg.
Wenn wir uns an dieser Stelle über Mindestlöhnestreiten, dann darf dabei nicht vergessen werden, wasLöhne eigentlich sind. Löhne sind eben mehr als einKostenfaktor oder eine Variable im Standortwettbewerb.Löhne stehen zunächst einmal für die schiere Existenzvieler Menschen. Löhne bedeuten darüber hinaus einStück weit die Absicherung des Lebensstandards. Löhnehaben aber auch etwas mit Würde zu tun: Für gute Ar-beit bekommt man auch gutes Geld. Das hat auch etwasdamit zu tun, dass man überhaupt die Eintrittskarte fürdiese Gesellschaft erhält.
Es muss uns heute darum gehen, dafür zu sorgen, dassder eigentliche Zweck von Löhnen – Menschen erhaltenden Verdienst für ihre eigene Arbeit – gesichert und be-fördert wird.
In den letzten Jahren haben wir Folgendes erlebt: Aufder linken Seite wurde so getan, als gäbe es irgendwoeine Quelle der Geldvermehrung und als ginge es nurnoch darum, Grundeinkommen zu verteilen. Von dieserVorstellung ist auch das Modell des Bürgergeldes nichtweit entfernt. Auf der anderen Seite wurde der Eindruckerweckt, das Manko in Deutschland sei der Niedriglohn-bereich und man müsse dafür sorgen, dass möglichstviele Menschen in diesem Bereich tätig sind. Wir sindein Hochlohnland und wir wollen es bleiben. Deswegenmüssen wir in diesem Land in Bildung, Innovation undWachstum investieren.Aber wir dürfen nicht zulassen, dass der untere Randunseres Hochlohnlandes entkoppelt wird, sodass ganzegesellschaftliche Gruppen aus der Armutsfalle – sie exis-tiert, auch wenn wir sie nicht bewusst herbeigeführt ha-ben – nicht mehr herauskommen. Wir wollen Möglich-keiten des Ausstiegs aus dem Niedriglohnbereichorganisieren. Deswegen wollen wir mehr Geld in Prä-vention und Aktivierung investieren. Das bringt mehr,als immer nur Transferleistungen zu erbringen. Die ge-samte Arbeitsmarktpolitik, die wir in den letzten Jahrenvertreten haben, folgt dieser Logik.
Demzufolge ist eine Hochlohnlandstrategie ohne eineDefinition von Mindestabsicherung, von würdigem Ent-gelt für Arbeit in diesem Land nicht möglich. Wir kön-nen uns nicht damit zufrieden geben, dass die Min-dUfHsazidDWUvwcsaneWbsbesElDnN
Hier wird immer wieder behauptet – das fand ich sehrnteressant, Herr Kolb –, der Mindestlohn würde scha-en.
as kann ich nicht feststellen.
ir haben diese Debatte in Großbritannien und in denSA gehabt. In unserer Arbeitsgruppe Wirtschaft waror einigen Tagen Herr Zimmermann vom DIW. Ob-ohl er ein Gegner des Mindestlohns ist, hat er, mögli-herweise zähneknirschend,
agen müssen: Die Einführung von Mindestlöhnen hatuf die Beschäftigung weder einen positiven noch einenegativen Einfluss. – In Großbritannien, wo man 1999inen Mindestlohn eingeführt hat – da wurde für dieirtschaft sozusagen der Untergang des Abendlandeseschworen –, hat es nicht nur keinen negativen, sondernogar einen positiven Effekt auf dem Arbeitsmarkt gege-en.Das heißt, es geht bei der Frage Mindestlohn nicht umine Schwächung des Arbeitsmarkts,
ondern um die Stärkung von Arbeit gegenüber Transfer.s geht um Würde und es geht darum, dass wir Armuts-öhne und Sozialdumping in diesem Land verhindern.eswegen brauchen wir das.
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen erhält
un das Wort die Kollegin Brigitte Pothmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frauahles und Herr Brauksiepe als Vertreter der großen
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Brigitte PothmerKoalition haben hier den Vorteil, dass sie wahrlich kom-fortabel mit Redezeit ausgestattet sind.
Sie haben aber wieder unter Beweis gestellt: „Viel hilftviel“ trifft nicht immer zu. Sie haben hier viel geredet,aber nicht gesagt, was sie wollen.
Frau Nahles, das trifft auch auf Sie zu, und ich findees schon ein bisschen absurd, dass Sie uns vorwerfen,wir hätten keine klare Linie. Wir haben einen Antragvorgelegt, der sehr klar und sehr differenziert darstellt,wofür sich die Grünen in dieser Frage einsetzen.
Wir setzen uns dafür ein, weil wir sehen, dass Sozial-und Lohndumping inzwischen tatsächlich die Substanzunserer Wirtschaftsordnung zu zerstören droht. HerrKolb, da hilft auch kein Mantra: „Die soziale Marktwirt-schaft wird es schon richten“. Da hilft auch kein intensi-ves Wünschen. Da müssen Sie schon handeln, wenn Sieverhindern wollen, dass immer mehr Beschäftigte unter-halb der Bedingungen des Mindeststandards arbeiten.Es trifft inzwischen nicht nur den nicht organisiertenBereich im Niedriglohnsektor. Es trifft inzwischen auchden tariflich organisierten Niedriglohnbereich.
Wir sehen, dass die Einkommen insgesamt immer stär-ker unter Druck geraten. Natürlich müssen wir auf dasreagieren, was durch die Erweiterung der EuropäischenUnion und durch die angekündigte Dienstleistungs-richtlinie auf uns zukommt, wenn wir verhindern wol-len, dass die Lohnspirale immer weiter nach unten geht.
Ich frage Sie, Herr Kolb, und Ihre Kollegen von derFDP-Fraktion: Was ist eigentlich Ihre Antwort auf eineSituation zum Beispiel im Bereich der Gebäudereiniger,in dem es inzwischen Löhne von 3 Euro bis 4 Euro dieStunde gibt? Das zeigt doch das Ausmaß dieser wirklichirrwitzigen Entwicklung. Da können Sie nicht einfachsagen: Die Marktwirtschaft wird es schon richten.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir von den Grünenwollen unbedingt ein offenes und auch freizügiges Eu-ropa, weil wir im Gegensatz zu vielen von Ihnen darineine richtig große Chance auch für unsere Unternehmenund für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer se-hen; denn denen wird es erleichtert, ihre hoch qualifi-zADstshllgz–rn1Dns–dBsgfbABsugugMgSudl
Wir müssen aber schauen, wie wir auch darauf reagie-en.Statt zwischen acht und zehn Stunden – das wären dieormalen Arbeitszeiten – ist da zum Beispiel9,5 Stunden gearbeitet worden.
ie Unterbringung hatte mit Menschenwürde wirklichichts mehr zu tun. Arbeiter sind zum Teil im Schweine-tall untergebracht worden. Das ist soziale Realität!
Ja, genau, darauf komme ich jetzt. – Wir meinen, dassie Abschottung des deutschen Arbeitsmarktes keineneitrag dazu leistet, solche Situationen zu verhindern,ondern im Gegenteil immer noch so wie in der Vergan-enheit dazu führen kann, dass solches Handeln eher ge-ördert wird, weil die Menschen in die Illegalität getrie-en werden.
Wir sind also der Auffassung, dass es falsch ist, dierbeitnehmerfreizügigkeit noch einmal, wie es dieundesregierung plant, für weitere drei Jahre einzu-chränken. Das ist der falsche Weg. Wir setzen auf einemfassende Festlegung von Mindestarbeitsbedingun-en, die für in- und ausländische Arbeitnehmerinnennd Arbeitnehmer gleichermaßen gelten müssen.Folgendes möchte ich an die Kolleginnen und Kolle-en von der Linkspartei sagen:
it der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns be-ibt man sich auf einen sehr schmalen Grat zwischenchutz und Verderben gerade für diejenigen, für die wirns in besonderer Weise einsetzen wollen, nämlich fürie Geringqualifizierten. Mindestlöhne können näm-ich tatsächlich zum Einstellungshindernis werden, wenn
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Brigitte Pothmersie, gemessen an der Produktivität der Arbeitskräfte, zuhoch festgesetzt werden. Wenn sie hingegen zu niedrigfestgesetzt werden, können sie gleichsam eine staatlicheLegitimation für einen Niedriglohnbereich schaffen. Wirbrauchen also eine sehr fein taxierte Regelung, die aufder einen Seite Lohndumping verhindert, auf der ande-ren Seite aber nicht zur Ausgrenzung derjenigen führt,um die es uns in besonderer Weise geht. In dieser Fragehaben Sie sich – das muss ich ganz ehrlich sagen – imletzten Jahr nun nicht gerade mit Ruhm bekleckert.Ursprünglich hatten Sie nämlich in Ihrem letztjähri-gen Wahlprogramm 1 400 Euro Mindestlohn gefordert.In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden aus den1 400 Euro ganz schnell 1 000 Euro.
Ich frage mich, wie lang die Halbwertzeit Ihrer heutigenForderung nach 8 Euro Stundenlohn ist.
Mit dieser 8-Euro-Forderung laufen Sie Gefahr, dassganze Branchen plattgemacht werden.
Die Arbeitsbereiche von Wachpersonal, Verkäuferin-nen, Floristinnen – dieser Bereich wurde ja schon ange-sprochen –, aber auch Hilfstätigkeiten in der Landwirt-schaft könnten so verloren gehen.
Damit ist niemandem geholfen.
Wir wollen regional- und branchenspezifisch differen-zierte Lösungen. Wir schlagen Ihnen deswegen folgen-den Dreischritt vor:Erstens wollen wir die Ausweitung des Arbeitneh-mer-Entsendegesetzes auf alle Branchen ermöglichen.Zweitens wollen wir eine Reform der Allgemeinver-bindlichkeitserklärung im Tarifvertragsgesetz, umMindestlöhne unterschiedlich gestalten zu können.Drittens wollen wir eine Reform des Mindestarbeits-bedingungengesetzes von 1952.Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir mitdiesem Dreischritt tatsächlich die Gratwanderung zwi-schen Lohndumping auf der einen Seite und Ausgren-zung von Geringqualifizierten und Berufseinsteigerin-nen und -einsteigern auf der anderen Seitehinbekommen.
In Deutschland hat die Debatte um den Mindestlohnja leider eine lange und nicht immer rühmliche Ge-schichte. Einer der Protagonisten war immer der Ex-Prä-sMkcIemCvKtwsitsfgWkrßsM–zn1vseNbbpwad
anzlerin Merkel jedenfalls hat da schon einmal Posi-ion bezogen. Bei Herrn Glos sieht das noch anders aus,enn ich das richtig gelesen habe.Insgesamt hat sich die große Koalition bis jetzt die-em Thema verweigert. Nun kommt der Arbeitsministern die Strümpfe. Fehlt nur noch, dass die Regierung jetztatsächlich in die Siebenmeilenstiefel steigt. Unser Vor-chlag zur Einführung von branchen- und regionalspezi-ischen Mindestlöhnen könnte dafür vielleicht ein ganzeeigneter Schuhanzieher sein.Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gysi das
ort.
Herr Präsident! Frau Pothmer, ich wollte eine Sachelarstellen. Man muss politische Entwicklungen in ande-en Parteien richtig verfolgen, wenn man sich dazu äu-ern will. Es gab bei uns immer den Unterschied zwi-chen 1 400 Euro brutto und 1 000 Euro nettoindestlohn.
Darf ich zu Ende sprechen? Ich sage gleich noch etwasu dem Unterschied, den auch die FDP offensichtlichicht mehr begreift. Früher kannten Sie den.Der Parteitag hat ganz klar beschlossen, dass es bei400 Euro brutto bleibt. Wir hatten einen Nettobetragorgeschlagen; aber er hat ganz klar so entschieden. In-ofern gab es da keine Änderung.Nun sage ich Ihnen, dass unser Antrag damit in Über-instimmung steht. 985 Euro beträgt der pfändungsfreieettobetrag, der einer Bürgerin oder einem Bürger blei-en muss. 985 Euro netto entsprechen etwa 1 440 Eurorutto. Das ist die Situation in Deutschland. Die 8 Euroro Stunde, die wir fordern, sind brutto. Netto sind daseniger. Mit diesen 8 Euro brutto kommen Sie in etwauf das Bruttogehalt von 1 440 Euro und damit netto aufie 985 Euro, die in Deutschland pfändungsfrei sind.
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Dr. Gregor Gysi
Ich will das einfach einmal sagen, weil das ein Maßstabist.Jetzt wollen Sie das nach Branchen unterscheiden.Die Lebenskosten in Deutschland sind aber gleich, unab-hängig davon, ob ich in der einen Branche oder in deranderen Branche arbeite.
Es kann Branchen geben, die so produktiv sind, dass esdort gar keine Mindestlöhne gibt, sondern höher bezahltwird. Aber der Mindestlohn in Deutschland ist die Min-destanforderung, die wir an Arbeitgeber stellen.Ich nenne einmal ein Beispiel. Die Union plädiert fürKombilöhne. Wir sind nicht dafür. Aber wie wollen Siedenn Kombilöhne einführen, wenn es keinen Mindest-lohn gibt? Sie müssen doch einen Betrag ansetzen, bis zudem Sie aufstocken wollen. Da brauchen Sie einen Min-destlohn; darum kommen Sie an dieser Stelle nicht he-rum.Das Zweite, was uns in dem Zusammenhang wichtigist: Das, was zur Schwarzarbeit gesagt worden ist, istwirklich kein Argument. Sie können doch nicht im Ernstsagen, die Entnahme von Waren im Warenhaus müssegeduldet werden, damit es weniger Diebstähle gibt. Ver-stehen Sie? Schwarzarbeit ist eine Straftat. Wenn esMindestlöhne gibt, besteht zum ersten Mal ein klarerSchadenersatzanspruch,
der sich auf die Differenz zwischen dem, was bezahltwurde, und dem Mindestlohn bezieht.Dann noch ein Satz zu den Unternehmen. Natürlichwissen auch wir, dass es kleinere Unternehmen gibt, dieheute nicht in der Lage sind, Mindestlöhne zu bezahlen.Deshalb steht in unserem Antrag, dass es für diese Un-ternehmen Übergangsregelungen geben muss.
Aber eines sage ich Ihnen auch: Wenn alle Bäcker, auchder polnische und der tschechische, die in Deutschlandarbeiten, den Mindestlohn zahlen müssen, dann habenwir wieder Wettbewerbsgleichheit; dann fällt das keinemBäckermeister schwer.
Das ist Marktwirtschaft; das müsste selbst die FDP be-greifen.Danke.
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Wir sind ja jedem dankbar, der sich im Sinne der Be-
irtschaftung der Redezeit nicht angesprochen fühlt und
amit keinen zusätzlichen Redeanspruch reklamiert.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Paul
ehrieder für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!iebe Kollegen! Die Linkspartei hat am 18. Januar 2006en hier vorliegenden Antrag auf Einführung eines Min-estlohns gestellt. Hierbei fällt auf, dass ein Vertreter derinkspartei, Herr Lafontaine, noch gestern vor diesemohen Haus gefordert hat, das Steuerniveau müsse deut-ich angehoben werden, da die Unternehmensteuern ineutschland im internationalen Vergleich viel zu geringeien.
Ja, ich habe aufgepasst.Mit der nunmehr erhobenen Forderung nach Einfüh-ung eines Mindestlohns ohne Berücksichtigung und au-erhalb des Kontextes von so genannten Kombilohnmo-ellen zeigt die Linkspartei abermals unverhohlen ihrerständnis von Marktwirtschaft.
Im Antrag führen Sie noch wortwörtlich aus:Die Autonomie der Tarifparteien bei der Lohnfin-dung ist ein hohes gesellschaftliches Gut inDeutschland. Die Tarifautonomie ist auch in Zu-kunft zu schützen.twas weiter fordert die Linkspartei die Bundesregie-ung auf,schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorzulegen,der sicherstellt, dass alle Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer, die in Deutschland arbeiten, einenrechtlichen Anspruch auf einen Lohn von mindes-tens 8 Euro/Stunde haben.Der Versuch der Reglementierung von Angebot undachfrage, der Versuch der Reglementierung von Lohn-öhen, aber auch von Verfügbarkeit von Arbeitsplätzenat bei der Vorvorgängerin der Linkspartei, der SED,ber 40 Jahre nicht funktioniert.
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Paul LehriederMit völlig untauglichen Rezepten versucht die Linkspar-tei nun in offensichtlich populistischer Weise – mögli-cherweise gar gegen besseres Wissen –, durch Einfüh-rung eines Mindestlohnniveaus zum jetzigen Zeitpunktabermals eine Vielzahl von gering qualifizierten Arbeits-plätzen zu beseitigen bzw. ins Ausland zu verlagern.Vom Grunde her wird sich unsere Partei einer Diskus-sion über Sinn und Höhe möglicher Mindestlohnrege-lungen nicht entziehen. Zunächst wäre hier aber auchmit unserem Koalitionspartner, mit unseren neuenFreunden von der SPD, zu definieren, ob der Mindest-lohn die Löhne am unteren Rand der Tariflöhne fest-schreiben soll, um beispielsweise osteuropäische Billig-anbieter abzuwehren und den Niedriglohnsektoreinzugrenzen, oder ob der Mindestlohn eine deutlichniedrigere Untergrenze darstellen soll, mit der verhindertwerden soll, dass Arbeitgeber den von unserer Fraktionangepeilten Kombilohn nur dazu nutzen, um die Löhneallzu stark zu drücken.Je nach Definition eines so genannten Mindestlohnsliegt hier eine enorme Bandbreite zwischen 3,50 und7,50 Euro vor, sodass auf dem von der Linkspartei bean-tragten Niveau von 8 Euro zum jetzigen Zeitpunkt eineMindestlohnfestsetzung beim besten Willen nicht erfol-gen kann.
In den Tagesordnungen von Bundestag und Europäi-schem Parlament gibt es dieser Tage interessante Berüh-rungspunkte. Die Vorredner sind zum Teil bereits daraufeingegangen. Gestern debattierte das Europaparlamentüber die Dienstleistungsrichtlinie; es hat diese mit großerMehrheit verabschiedet. Heute reden wir hier über dengesetzlichen Mindestlohn.Die Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie kreistebei uns in der Vergangenheit vielfach nicht nur umLohndumping und Billiganbieter aus Osteuropa, sie hatauch die Diskussion um einen gesetzlichen Mindestlohnstark beeinflusst. Schon 2001, also im Vorfeld der EU-Osterweiterung, hat die Union vor uneingeschränkterDienstleistungsfreiheit gewarnt. Wir sind auch heute derAnsicht, dass gegen unzumutbare Billiglöhne konse-quent vorgegangen werden muss. Dabei ist die Autono-mie der Tarifparteien auch in Zukunft zu gewährleisten.Wie das mit einem flächendeckenden Mindestlohn von8 Euro gehen soll, den Linkspartei und in ähnlicherHöhe auch einzelne Gewerkschaften fordern, ist mirschlicht schleierhaft.
Probleme gibt es ja schon im Niedriglohnsektor ins-gesamt – dazu gehören Jahreseinkommen unter20 000 Euro – wie auch in den Branchen, in denen eintariflicher Mindestlohn eingeführt wurde. In Tarifver-handlungen der Vergangenheit sind Löhne für einfacheArbeiten so weit angehoben worden, bis diese für vieleUnternehmen schlicht zu teuer wurden.dttwk3eOF7Dsdsn–nethQig–wlnvsfmsudesüaA
In der niedersächsischen Chemieindustrie werden iner untersten Tarifgruppe 11,10 Euro gezahlt, in der Me-all- und Elektroindustrie von Baden-Württemberg be-rägt der niedrigste Stundenlohn 10,42 Euro. Im Bauge-erbe – bestes Beispiel für tarifliche Mindestlöhne –ommt im Zeitraum vom 1. September 2005 bis1. August 2006 ein ungelernter Arbeiter im Westen aufinen tariflichen Mindestlohn von 10,20 Euro und imsten auf einen tariflichen Mindestlohn von 8,80 Euro.
ür Maler und Lackierer liegt der Mindestlohn bei,15 Euro im Osten bzw. bei 7,85 Euro im Westen. Beiachdeckern sind es seit dem 1. Januar 2006 10 Euro.Oft bleiben die niedrigsten Tarifgruppen jedoch unbe-etzt. Stattdessen wurden in den vergangenen Jahren iniesen Branchen Arbeitsplätze zu Hunderttausenden ge-trichen oder ins Ausland verlagert, von der Schaffungeuer Stellen ganz zu schweigen.
Warten Sie noch ein wenig, Herr Niebel. Ich sage Ih-en gleich das Ergebnis.Dasselbe würde – natürlich in größerem Umfang – fürinen gesetzlichen Mindestlohn auf hohem Niveau gel-en. Er würde zwar ausländische Billigarbeitskräfte fernalten, aber auch Beschäftigungschancen für niedrigualifizierte verringern. Wenn ein Mindestlohn höherst, als der Arbeitsmarkt eigentlich hergibt, dann sperrt ererade diese Menschen aus dem Arbeitsmarkt aus.
Sie dürfen ruhig lauter klatschen, Herr Niebel.Soll ein Unternehmer zwischen den Alternativenählen, einen gering Qualifizierten bei hohem Mindest-ohn einzustellen oder die Produktion in Länder mitiedrigerem Lohnniveau zu verlagern, braucht man nichtiel Fantasie zu haben, um sich vorzustellen, wofür erich letztendlich entscheidet. Diese Möglichkeit bestehtür Global Player ungleich stärker als für einen kleinenittelständischen Handwerksbetrieb. Kleine und mittel-tändische Unternehmen, die 75 Prozent der Arbeits-nd Ausbildungsplätze in unserem Land stellen, werdeniesbezüglich entsprechend benachteiligt. Das kann aberigentlich nicht im Interesse der Tarifvertragsparteienein. Es kann nicht darum gehen, das untere Lohnniveauber einen gesetzlichen Mindestlohn anzuheben und sols – unerwünschten – Nebeneffekt weite Teile unseresrbeitsmarktes von unten stillzulegen.
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Paul LehriederDarüber hinaus hat der Mindestlohn, per Gesetz fest-gelegt, das Potenzial, die Tarifautonomie auszuhebeln.Der Staat kann aber nicht Ersatz für die Tarifparteiensein. Zudem würden bei Tarifverhandlungen die Ge-wichte verschoben: Ein gesetzlich garantierter Mindest-lohn birgt die Gefahr, dass dieser über gewerkschaftli-chen Druck weiter angehoben wird. Für jede Regierungwird es dann sehr schwer, diesen Mindestlohn im Sinneeiner dem Markt überlassenen Lohnfindung wieder zusenken. Letztlich würden so die gesamten Arbeits-marktreformen konterkariert. Der über das Arbeitslosen-geld II gesunkene Anspruchslohn, mit dem gering Quali-fizierte integriert werden sollen, würde durch dieHintertür wieder angehoben.
Wie soll es nun weitergehen? Unsere Fraktion be-schränkt sich nicht auf ein bloßes Nein zum vorliegen-den Antrag der Linkspartei. Wir wollen, da die Forde-rung nach einem Mindestlohnstandard ohneEinbeziehung der Kombilohndiskussion grundsätzlichkeinen Sinn macht, im Rahmen der Einführung einesKombilohnmodells ohne Aufgeregtheit prüfen, ob und,wenn ja, in welcher Höhe ein Mindestlohn in unser be-stehendes System eingeführt werden kann.
In jedem Fall soll vermieden werden, dass Ähnliches,wie heute Morgen bei der vorherigen Abstimmung indiesem Hohen Haus geschehen – als durch die Ein-schränkung der Bildung von Bedarfsgemeinschaftendurch unter 25-jährige Hartz-IV-Empfänger bestehendegesetzliche Möglichkeiten zurückgefahren werdenmussten –, bereits nach kurzer Zeit bei der Einführungeines Mindestlohnmodells droht. Die finanziellen Aus-wirkungen, die tariflichen Einschränkungen wie auchdie Auswirkungen auf das kollektive Arbeitsrecht sindmit den jeweils betroffenen Gruppierungen zu erörtern,bevor eine sinnvolle Diskussion über die Einführung ei-nes Mindestlohnsektors zielstrebig geführt werden kann.Ich will an dieser Stelle ausdrücklich auf das zutref-fende Sprichwort verweisen: Was immer du beginnst,bedenke das Ende.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Lehrieder, ich gratuliere Ihnen herzlich
zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag, verbun-
den mit allen guten Wünschen für die weitere Arbeit.
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Oskar
Lafontaine, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! In diesem Hause werden drei Positionen zu demheute zur Diskussion stehenden Thema vertreten. Ichwdsdfd–sPgMSLamdsgenwDEdbgMkpwdsddnliTtenEt
ie klipp und klar gegen Mindestlöhne ist, allerdings nurür diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,ie geringe Löhne erhalten. Denn Sie sind sehr wohlKollege Gysi hat bereits darauf hingewiesen – fürtaatlich festgelegte Löhne und staatlich festgesetztereise, wenn es um Anwälte, Architekten, Ärzte usw.eht.
it der Forderung nach einem Honorar von 50 Euro protunde für diesen Bereich sind Sie für gesetzlicheöhne. Aber wenn es um geringe Löhne geht, versagtuf einmal Ihr Denkvermögen. Darin sehen Sie auf ein-al eine große Gefährdung für den Arbeitsplatz.
Insofern nehmen wir zur Kenntnis, dass Sie eine dezi-ierte Position haben, die im Hinblick auf eine be-timmte Klientel zwar akzeptabel, letztendlich aber un-laubwürdig ist. Denn Sie können wirklich niemandemrklären, wieso Sie bei Berufsgruppen, die viel verdie-en, für Mindestlöhne sind, aber bei Berufsgruppen, dieenig verdienen, keine Mindestlöhne vorsehen wollen.as ist niemandem in Deutschland zu erklären.
Die große Koalition hat sich noch nicht verständigt.s geht uns nicht darum – wie einige gemutmaßt haben –,er großen Koalition irgendwelche Schwierigkeiten zuereiten, indem wir dieses Thema auf die Tagesordnungesetzt haben. Wir glauben, dass wir in Deutschland imoment die Situation haben, dass die Bruttolöhne sin-en; ich sage das immer wieder. Das heißt, Lohndum-ing wird ohne Einschränkung fortgesetzt. Menschenerden arbeitslos, weil sie durch andere ersetzt werden,ie bereit sind, für viel geringere Löhne zu arbeiten. Die-en Prozess wollen wir stoppen. Wir haben nicht mehrie Zeit, noch lange zu quatschen. Wir müssen entschei-en. Deshalb haben wir diesen Antrag auf die Tagesord-ung gesetzt.
Nun möchte ich etwas zu der Argumentation des Kol-egen Lehrieder von der CDU/CSU-Fraktion sagen. Esst schön, dass Sie, wie ich Sie hier erlebt habe, so fürarifverträge eintreten. Es ist gut, dass Sie diese Posi-ion einnehmen und auch in Zukunft für Tarifverträgeintreten. Nur, beim Mindestlohn geht es überhaupticht um diese Position. Sie leben außerhalb der Realität.s gibt ganze Bereiche in Deutschland, wo die Tarifver-räge überhaupt nicht mehr greifen und die Menschen
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Oskar Lafontainegar keinen tarifvertraglichen Schutz mehr haben. Des-halb brauchen wir Mindestlöhne.
Reden Sie doch nicht völlig an der Wirklichkeit vorbei!Es ist unglaublich, was man sich hier teilweise anhörenmuss.Wir sind gespannt, was aus dem Gesäusel wird, dasvon der Kanzlerin vorgetragen worden ist: Wir brauchenMindestlöhne; ich nähere mich diesem Projekt. – Irgend-wann muss man sich entscheiden. Die betroffenen Men-schen können nicht mehr warten. Sie sind bereits seitJahren arbeitslos. Deshalb kann man dieses Thema nichtin der Form ansprechen, wie Sie es getan haben.
Natürlich, Frau Kollegin Pothmer, gibt es Argumentefür die Position der Grünen. Sie krankt aber daran, dassdifferenzierte Mindestlohnregelungen letztendlich zueinem Lohn von 3,40 oder 3,90 Euro führen würden.Wir lehnen dies schlicht ab. 3,40 oder 3,90 Euro stellenin Deutschland keine Grundlage dafür dar, anständig le-ben zu können. Hier unterscheiden wir uns von der Posi-tion der Grünen.
Was die Argumentation des Vorredners angeht,8 Euro seien nun wirklich nicht vertretbar, so frage ichmich, ob Sie nicht in der Lage sind, einmal über dieGrenze zu schauen. In Frankreich liegt der Mindestlohnbei 8,13 Euro. Wieso stellen Sie sich also hierher und tunso, als sei dies nicht machbar, als sei eine Massenabwan-derung von Arbeitsplätzen die Folge? Sie betreiben eineIrreführung der Öffentlichkeit. Was andere europäischeLänder können, können wir auch in Deutschland. Des-halb sind wir für den Mindestlohn.
Eine letzte Bemerkung.
Herr Kollege, würden Sie – –
Ja, ich weiß, Herr Präsident. – Die Bolkestein-Richtli-
nie stellt für uns eine Herausforderung dar – – Ach, es
geht um eine Frage. Entschuldigung!
Sie hätten beinahe leichtsinnig die Möglichkeit der
Verlängerung Ihrer Redezeit ausgeschlagen und wir alle
hätten sagen können: Wir sind dabei gewesen.
Vielen Dank für den Tipp, Herr Präsident. Ich sehe,
Sie sind fürsorglich.
Bitte schön, Herr Kollege.
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Ich komme zum Schluss: Die Bolkestein-Richtlinie,
ie sich zurzeit im Parlament in der Diskussion befindet
sie ist ja noch nicht verabschiedet worden –, wurde
ittlerweile stark verwässert. Ich will mich gar nicht in
ie Diskussion darüber einmischen – so viel Zeit steht
ir auch gar nicht mehr zur Verfügung –, wer sich wo
urchgesetzt hat. Nachdem nun aber die Bereiche So-
ialgesetzgebung und Verbraucherschutz herausgenom-
en worden sind, muss man schon genau hinsehen, was
ier eigentlich passiert.
Die Richtlinie stellt aber auf jeden Fall einen Grund
ar, in Deutschland endlich einen Mindestlohn einzufüh-
en. Sie wird nämlich nicht nur auf die Löhne Druck aus-
ben, die sich unterhalb der Schwelle bewegen – das ist
n Gesamteuropa mittlerweile akzeptiert –, sondern auch
uf die Löhne, die sich über den Mindestlöhnen bewe-
en. Das wird bei dieser Diskussion immer ausgeklam-
ert. Deutschland befindet sich mittlerweile in einer
ohnabwärtsspirale. Es ist höchste Zeit, diese Spirale zu
toppen, wenn man überhaupt noch ein Herz für diejeni-
en hat, die den Euro mehrmals umdrehen müssen, weil
ie nicht wissen, wie sie ihren täglichen Lebensunterhalt
ezahlen sollen.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Kolb
as Wort.
Schönen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollegeafontaine, damit es sich nicht versehentlich in Ihrenöpfen festsetzt, will ich auf Folgendes hinweisen: Bei
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Dr. Heinrich L. Kolbder Gebühren- und Honorarordnung – das ist einThema, über das man sicherlich trefflich streiten kann –handelt es sich, wie Sie zu Recht gesagt haben, um einePreisregelung. Wir reden hier über den Umsatz bei-spielsweise einer Rechtsanwaltspraxis oder eines Archi-tekturbüros.Ich weiß, dass die Linken ein Problem damit haben,zwischen Umsatz und Gewinn zu unterscheiden.
Deshalb will ich noch einmal darauf eingehen. Von dem,was ein Rechtsanwalt erlöst, muss er noch die Miete fürdie Kanzlei und die Löhne und Gehälter der Rechtsan-walts- und Notargehilfin zahlen. Der Kollege Gysi kenntdas. Was am Schluss verbleibt – das hängt von vielenFaktoren ab, auch davon, wie viele Fälle ein Rechtsan-walt hat –, stellt die Vergütung des Anwalts dar. Dass dasein gewisser Unterschied ist, sollte man zur Kenntnisnehmen.Einmal nachrichtlich zu den Honorar- und Gebühren-ordnungen: Die für Architekten sind seit Jahren nichtmehr angepasst worden, die für Anwälte vielleicht, weildie eine relativ gute Lobby im Deutschen Bundestag ha-ben, Herr Kollege Gysi. Bei den Architekten ist dasschwieriger. So üppig sind die Honorare jedenfalls nicht.Ich will noch etwas anderes ausdrücklich festhalten:Ich habe Ihre Anregung aufgenommen, erneut nachge-rechnet – das war eigentlich nicht erforderlich, weil Siees hier gesagt haben – und festgestellt: Die Linke will ei-nen Mindestlohn von 8 Euro. Sie verweisen auf Frank-reich. Das Problem ist nur, dass die Franzosen in der Re-gel einen Mindestlohn festlegen, diesen ins Schaufensterlegen, ihn dann jedoch mit sehr vielen Ausnahmen aus-höhlen, sodass er in der Praxis nicht greift. Wenn wir inDeutschland flächendeckend einen Mindestlohn von8 Euro hätten, würde das einen Kahlschlag in vielen Be-reichen hervorrufen. Es würden wahrscheinlich Hun-derttausende von Arbeitsplätzen in Bereichen entfallen,in denen die Löhne heute deutlich unter diesem Mindest-lohn liegen. Deswegen kann man Ihrem Vorschlag nichtmit gutem Gewissen und Verstand folgen.Vielen Dank.
Zur Erwiderung, Herr Kollege Lafontaine.
Ich verstehe, dass die FDP Schwierigkeiten hat, wenn
man sie mit ihrer Widersprüchlichkeit konfrontiert.
Ich gehe zunächst einmal auf Ihren Beitrag ein, in
dem Sie so tun, als ginge es nur um eine Preisfestset-
zung. Das ist sachlich falsch.
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Nun haben sich außer dem Präsidenten auch noch
iele Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege
afontaine, an der Vermehrung Ihrer Redezeit wirklich
atkräftig beteiligt,
as ich wegen gelegentlicher Beschwerden noch einmal
usdrücklich festhalten möchte. Ich weise im Übrigen
ber schon jetzt darauf hin, dass ich weitere Kurzinter-
entionen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht mehr
ulassen möchte, weil wir zu Beginn eine Vereinbarung
ber die Gesamtdebattenzeit getroffen haben.
Nun erhält als nächste Rednerin die Kollegin Katja
ast für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat starten:
Die Tarifvertragsparteien sind aufgefordert, bun-deseinheitliche tarifliche Mindestlöhne in allenBranchen zu vereinbaren.
Soweit dies nicht erfolgt oder nicht erfolgen kann,werden wir Maßnahmen für einen gesetzlichenMindestlohn ergreifen.Ich zitiere das SPD-Wahlkampfmanifest aus demundestagswahlkampf des letzten Jahres.
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Katja MastEs macht deutlich, dass die SPD in Gänze hinter demZiel steht: Wer arbeitet, muss auch davon leben können.
Unser Parteivorsitzender, Matthias Platzeck, hat völligRecht, wenn er fordert, existenzsichernde Löhne inDeutschland zu garantieren.
Heute diskutieren wir im Bundestag über existenzsi-chernde Löhne. In jedem Gespräch mit Bürgerinnen undBürgern wird die Sorge deutlich: Ein Arbeitstag rund umdie Uhr, ohne den eigenen Kindern eine Ausbildung er-möglichen zu können! Es gibt viele Beispiele, die einesdeutlich zeigen: Unser Handeln als Volksvertreter istdringend notwendig. Insgesamt gibt es in Deutschlandzurzeit 3 Millionen Menschen, die Vollzeit arbeiten unddennoch unter der Armutsgrenze leben. Ich weiß nicht,ob Sie sich alle vorstellen können, was das heißt, aberich denke, die meisten hier im Haus wissen das.Es gibt Menschen in Deutschland, die bei einer Vier-zigstundenwoche weniger als 600 Euro brutto verdienen,zum Beispiel ein Angestellter im Gartenbau in Sachsenmit einem Stundenlohn – wenn ich Sie jetzt schätzenließe, würden Sie nie auf diesen Stundenlohn kommen –
von 2,74 Euro. Das sind 438 Euro brutto im Monat. EinFriseur in Thüringen bekommt 3,18 Euro pro Stunde.
Nur zum Vergleich: Ein Arbeitslosengeld-II-Empfängerbekommt inklusive Zuschuss zu Miete und Heizkostenmaximal 665 Euro.Durch die Freizügigkeit in Europa hat sich unser Ar-beitsmarkt verändert. Jeder Europäer kann vom Grund-satz her überall in der Europäischen Union arbeiten.Aber in den einzelnen europäischen Staaten sind dieLohnunterschiede enorm. Für uns in Deutschland stelltsich nun die Frage: Wollen wir uns an das Lohnniveau inPolen, Rumänien oder Portugal anpassen? In Rumänienbeispielsweise sind Monatslöhne von 150 Euro keineSeltenheit. Wir von der SPD wollen uns daran nicht an-passen.
Denn sonst wäre die Sorge der Menschen berechtigt. So-wohl unser Wohlstand als auch unser Sozialstaat basie-ren auf dem Prinzip: Wer arbeitet, muss davon seineExistenz sichern können. Nun ist natürlich die Frage spannend, wie hoch einexistenzsichernder Lohn sein soll. Unsere Kolleginnenund Kollegen von der PDS haben sich festgelegt: Min-destens 8 Euro per Gesetz lautet ihre Forderung. Aber soeinfach ist die Welt nicht.
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ein persönliches Verständnis von Politik sagt mir: Dasst falsch. Es geht um differenzierte Lösungen, die diearifautonomie berücksichtigen.Hilfreich finde ich auch einen Blick über die Grenzen.8 von 25 EU-Mitgliedstaaten haben einen Mindest-ohn, davon sind 16 gesetzlich festgelegt. In Großbritan-ien, zum Beispiel, liegt der Mindestlohn unter,50 Euro. Mindestlohn – dies ist vielleicht für die Kol-eginnen und Kollegen von der FDP sehr wichtig – istchon längst ein international akzeptiertes Instrument alsntwort auf die Globalisierung.
Wie soll nun die Höhe des Mindestlohns in Deutsch-and aussehen? Wir in der SPD sind der Meinung: Sieuss die Regelungen der Tarifautonomie berücksichti-en.
as ist ein komplexes System, aber es hat sich in der Pra-is bewährt. Wir in der SPD-Bundestagsfraktion setzenns deshalb mit den Gewerkschaften zusammen und dis-utieren über Modelle. Unser Ziel ist es, ausgehend vonpezifischen Bedürfnissen der Branchen und auch der Re-ionen, Instrumente zu entwickeln, die existenzsicherndeöhne garantieren. Dort, wo es Tarifverträge gibt, solleniese für die gesamte Branche gelten. Das erreichen wirurch das Entsendegesetz oder die Allgemeinverbind-ichkeitserklärung. Dort, wo es keine Tarifverträge gibt,rauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn, der sichbenfall an den Besonderheiten orientiert.Dieses komplexe System macht allerdings auch deut-ich, dass ein Schnellschuss hierbei alles andere als sinn-oll ist. Wir sind uns sicher, dass wir sowohl in der Zu-ammenarbeit mit den Gewerkschaften als auch innserer Koalitionsarbeitsgruppe zu guten Ergebnissenommen werden.Woher kommt diese Sicherheit? Die Zahl der Befür-orter einer Neuregelung nimmt auch in konservativenreisen zu.
ute Lösungen brauchen Zeit. Diese Zeit wollen wir unsn diesem Jahr nehmen.Wie gesagt, es gibt in der Europäischen Union bereits8 Länder mit einem Mindestlohn. Ab nächstem Jahrind es 19. Denn dann gehören wir dazu. Das sind wiren Menschen schuldig, die darauf angewiesen sind.
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Das Wort erhält nun der Kollege Dirk Niebel für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Gysi, wer Mindestlöhne festlegt, der wird
als nächsten Schritt auch die staatlichen Brot- und But-
terpreise haben.
Denn beidem liegt das gleiche Prinzip zugrunde. Deswe-
gen ist Ihr Antrag nicht zielführend.
Das Grundproblem in Deutschland ist ein ganz ande-
res – es ist bemerkenswert, dass die Bundesregierung in
dieser Debatte überhaupt nicht das Wort ergreift –: Das
Grundproblem besteht darin, dass viel zu viele Men-
schen in einer dauerhaft gefestigten Arbeitslosigkeit ver-
harren müssen.
Weshalb ist das so? 2 Millionen Menschen bzw.
39 Prozent der Arbeitslosen sind gering qualifiziert. Die
hohe Sockelarbeitslosigkeit, Herr Gysi, ist das Ergebnis
der in den vergangenen Jahrzehnten gut gemeinten und
durchgeführten Sockellohnerhöhungen, bei denen die
Löhne der unteren Lohngruppen deutlich höher – über-
proportional – angehoben worden sind als die Löhne der
anderen. Das war gut gemeint, aber man hat damit die
Menschen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt; denn der
Preis für ihre Leistung war plötzlich zu hoch. Diese
Leistung wurde dann im Inland oder als legale Leistung
nicht mehr nachgefragt. Dass die Schattenwirtschaft mit-
tlerweile ein geschätztes Volumen von 346 Milliarden
Euro hat, ist unter anderem ein Ergebnis dieser gut ge-
meinten Sockellohnerhöhungen;
denn der Faktor Arbeit ist darüber hinaus viel zu stark
durch Steuern und Abgaben belastet.
Wenn ich höre, was insbesondere vonseiten der So-
zialdemokratie gesagt wird, dann muss ich mich sehr
wundern: Einerseits beklagen Sie, dass die Menschen zu
wenig Geld haben, andererseits tragen Sie die Merkel-
Münte-Steuererhöhung, die Mehrwertsteuererhöhung
um 3 Prozentpunkte, mit, wodurch Sie den Menschen
noch mehr Geld aus der Tasche ziehen.
Es ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, warum
Sie nicht den umgekehrten Weg gehen: Sie sollten versu-
chen, die Menschen zu entlasten und dafür zu sorgen,
dass ihnen von ihrem selbst verdienten Geld mehr übrig
bleibt. Dann könnten sie investieren und konsumieren.
Dann könnten auch neue Arbeitsplätze geschaffen wer-
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Indem man aber einen staatlich festgelegten Mindest-
ohn einführt, greift man in die Tarifautonomie ein.
rau Mast hat bereits angedeutet, dass in all den Berei-
hen, in denen es keinen Tarifvertrag gibt, ein staatlicher
indestlohn eingeführt werden soll. Hier widersprechen
ie sich selbst. Sie haben ja vorgelesen, wie hoch die Ta-
iflöhne sind. Auch ich habe mich darüber informiert.
eilweise ist es wirklich beängstigend, zu sehen, welche
egelungen die Tarifvertragsparteien, also auch die Ge-
erkschaftsfunktionäre, die Ihrer Partei angehören, un-
erschrieben haben. So gibt es zum Beispiel im privaten
ransport- und Verkehrsgewerbe in Mecklenburg-Vor-
ommern einen Tariflohn in Höhe von 3,91 Euro. Jeder
eiß, dass man in Deutschland nicht von einem solch
iedrigen Stundenlohn leben kann.
Aber man kann das Steuersystem auf vernünftige Art
nd Weise so organisieren – das hat auch der Herr Bun-
espräsident Anfang dieses Jahres im „Stern“ vorge-
chlagen; wir führen ja nachher noch eine Debatte
azu – und zu einem negativen Einkommensteuersystem
ommen, dass jemand sowohl durch Arbeit Geld verdie-
en als auch ohnehin vorhandene Transferleistungen be-
iehen kann, ohne dass durch Mitnahmeeffekte bei den
rbeitgebern die Arbeitsplätze „downgegradet“ werden.
Herr Präsident, falls Sie Herrn Tauss nicht sehen,
öchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass er mich
twas fragen möchte. Ich würde mich auch fragen las-
en.
Es ist ja sehr schwer, Herrn Tauss nicht zu sehen.
Das ist wohl wahr, ja.
Deswegen erweckt Ihre Nachfrage unnötigerweise
en Eindruck einer bestellten Zwischenfrage. Dass dem
o ist, möchte ich ausdrücklich ausschließen. Aber ich
ermute, dass Sie die Zwischenfrage des Kollegen Tauss
enehmigen möchten.
Ich würde mir diese Freude nie entgehen lassen, Herrräsident.
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1524 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Dirk Niebel
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Niebel, Ihre Freude wird sich noch stei-
gern. Ich will Sie fragen, ob Sie bereit sind, mit mir eine
Wette abzuschließen, und zwar darüber, ob es in den
letzten Jahren Sockellohnerhöhungen gegeben hat oder
nicht. Wenn Sie mir beweisen können, dass es in einem
Tarifvertrag in den letzten Jahren zu Sockellohnerhöhun-
gen gekommen ist, also zu Tariferhöhungen, von denen
die unteren Lohngruppen überproportional profitiert ha-
ben, würden Sie von mir eine Kiste unseres guten nord-
badischen Weins bekommen,
und wenn Sie diesen Nachweis nicht erbringen können,
müssten Sie mir eine Kiste geben. Wären Sie bereit,
diese Wette mit mir abzuschließen, damit wir dieses
Thema im Deutschen Bundestag künftig nicht mehr auf
diese Art und Weise erörtern müssen?
Lieber Herr Kollege Tauss, da ich weiß, dass Sie denguten nordbadischen Wein nach den Landtagswahlen am26. März dringender benötigen werden als ich, werde ichdiese Wette nicht annehmen;
denn Sie haben von den „letzten Jahren“ gesprochen.Diese Formulierung ist zunächst einmal zu definieren.
– Wenn Sie mir eine Frage stellen, müssen Sie auch mitmeiner Antwort leben.
– Sie können mich fragen, was Sie wollen, und ich kannIhnen antworten, was ich will; so handhaben wir das.
Wenn Sie sich die Entwicklung der Arbeitslosenquotein der Bundesrepublik Deutschland ansehen, werden Siefeststellen, dass die Massenarbeitslosigkeit, die sich seitdem Ölpreisschock gerade im Bereich der gering Quali-fizierten verfestigt hat, das Ergebnis der Sockellohnerhö-hungen ist, zu denen es damals gekommen ist.
Wenn Sie sich die Tarifverträge, die im öffentlichen Sek-tor in den letzen 15 Jahren abgeschlossen worden sind,asnAaRwStlsvdhrwTWTsnlHwwWhSlsMSkuldb
Ein Aspekt wurde gar nicht beachtet: dasrbeitslosengeld II. Sie haben das Arbeitslosengeld IIls soziokulturelles Existenzminimum eingeführt. Imahmen des Vermittlungsverfahrens wurde richtiger-eise festgestellt, dass jede legale Arbeit zumutbar ist.
Mit dem Arbeitslosengeld II, bei dessen Berechnungie leider immer vergessen, die Wohn- und Energiekos-en einzubeziehen, gibt es bereits einen staatlich festge-egten Mindestlohn. Wenn Sie nun einen Anreiz dafürchaffen wollen, dass die Betroffenen aus dem Bezugon Transferleistungen herausgehen, dann müssen Sieen Mindestlohn, den Sie neu einführen wollen, deutlichöher als das Arbeitslosengeld II ansetzen. Denn ande-enfalls hätte das den Effekt, dass kein Mensch einenirtschaftlichen Anreiz hätte, statt des Bezugs einerransferleistung eine Arbeitsstelle anzunehmen.
ir wollen doch nicht dauerhaft eine Gesellschaft vonaschengeldempfängern organisieren, in der den Men-chen zuerst womöglich alles Selbstverdiente wegge-ommen und ihnen dann etwas zugeteilt wird. Wir wol-en den Menschen die Möglichkeit geben, durch eigenerände Arbeit wieder ein Bestandteil der Gesellschaft zuerden und ihren Lebensunterhalt – wenigstens teil-eise – selbst zu verdienen. Das hat etwas mit derürde der Betroffenen zu tun; darum muss es uns ge-en.
Vor dem Hintergrund der heutigen Debatte fordere ichie noch einmal eindringlich auf: Kehren Sie um! Ver-assen Sie den Weg, die Bürger immer weiter abzukas-ieren! Fangen Sie damit an, dass Sie wenigstens auf dieerkel/Münte-Steuererhöhung verzichten.
orgen Sie dafür, dass in diesem Land investiert undonsumiert werden kann! Nur das schafft Arbeitsplätzend nur das bringt die Menschen aus der Sockelarbeits-osigkeit heraus, die unter anderem Sie, Herr Tauss,urch Ihre falsche Tarifpolitik mit zu verantworten ha-en.Vielen herzlichen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Hiller-
Ohm für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ichglaube, es war Mitte 2004, als Franz Müntefering mitseiner Forderung nach Mindestlöhnen die Republik inAufregung versetzt hat. Inzwischen hat sich der Pulver-dampf zum Glück verzogen.
Ich erinnere mich noch sehr genau an die Bundestags-debatte über Mindestlöhne im letzten Jahr,
als wir mit den Grünen das Entsendegesetz entsprechendanpassen wollten. Schade, dass die PDS zu diesem ihrdoch so wichtigen Thema damals nichts zu sagen hatte:Kein einziges Wort zum Mindestlohn in dieser Debatte!Heute lehnen Sie sich dafür umso weiter aus dem Fens-ter. Voran bringt uns Ihr Schnellschussantrag leidernicht. Mit Ihrer pauschalen Forderung von 8 Euro füralle Tätigkeiten lassen sie die Vielschichtigkeit des The-mas vollkommen außer Acht. Die Sorge ist aber berech-tigt, dass mit einem beliebig gegriffenen Mindestlohn– nach dem Prinzip Hoffnung – großer Schaden ange-richtet werden kann. Was wir brauchen, sind differen-zierte und möglichst branchenspezifische Lösungen.Informieren Sie sich doch einmal bei den Gewerk-schaften! Diese haben inzwischen einen dreistufigen An-satz zum Schutz vor Lohndumping entwickelt: An ers-ter Stelle Tarifverträge, an zweiter die Ausweitung desEntsendegesetzes – mit dem Vorteil, dass nicht der Ge-setzgeber, sondern die Tarifparteien selbst die Mindest-löhne vereinbaren – und an dritter Stelle gesetzlicheMindestlöhne. Ich finde diesen Ansatz gut. Er kommtunseren Vorstellungen sehr entgegen. Ihnen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen von der Linkspartei, sind die Lö-sungsvorschläge der Gewerkschaften in dieser für dieMenschen im Niedriglohnbereich so wichtigen Frage of-fensichtlich egal.
Wenn man sich Ihren Antrag anschaut, wird man das Ge-fühl nicht los, dass Sie Angst vor der eigenen Couragehaben. Wie sonst kann es sein, dass Sie Übergangsrege-lungen für kleine und mittlere Unternehmen einführenwollen, die damit überfordert sind, 8 Euro die Stunde zuzahlen?! Wie lange sollen solche Übergangsfristen gel-ten und wer soll das alles kontrollieren? Dazu finde ichin Ihrem Antrag kein einziges Wort.
Zum Antrag der Grünen. Ich will eine gewisse Sym-pathie für Ihren Antrag nicht verhehlen.ABnMegLLbzDnWWmmg–sbBSgDbhslmsavwvvgsrg
ber man merkt, dass er mit heißer Nadel gestrickt ist.
ei einem so wichtigen Thema sollten wir uns aber dieötige Zeit nehmen.Wir lehnen beide Anträge ab.
inister Müntefering hat angekündigt, bis zum Herbstinen Vorschlag zu Kombi- und Mindestlöhnen vorzule-en. Im Koalitionsvertrag haben wir verabredet, dieohnstrukturen am Arbeitsmarkt gemeinsam unter dieupe zu nehmen, Kombilohnmodelle zu prüfen und da-ei auch das Thema Mindestlohn anzupacken. Ich binuversichtlich, dass uns hier etwas Gutes gelingen wird.enn in den Reihen der Union ist Bewegung zu erken-en.
enn der Staatssekretär im Wirtschaftsministeriumürmeling offen anspricht, dass er glaubt, dass wir inehr Branchen in Deutschland Mindestlöhne bekom-en, und betont, dass auch er dafür sei, dann ist das eineute Verhandlungsgrundlage.Diese Aussicht kann Sie, meine Herren von der FDP Damen sind keine mehr da, obwohl gerade Frauen die-es Thema enorm interessieren müsste –, natürlich nichtefriedigen.
ei Ihnen ist keinerlei Bewegung zu erkennen. Ich frageie: Warum lösen Sie sich nicht endlich aus Ihrer ideolo-ischen Totenstarre und nehmen zur Kenntnis, dasseutschland und Europa nicht nur aus Wettbewerb purestehen? Hier leben Menschen, die ein Recht auf Teil-abe, Chancengleichheit und natürlich auch existenz-ichernde Löhne haben. Die Menschen können frei wäh-en, wo in Europa sie leben und arbeiten wollen. Wirüssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungentimmen.Wir haben gerade erlebt, was passiert, wenn wir nichtufpassen und den Rahmen nicht richtig setzen. Dannerlieren die Menschen das Vertrauen in die Politik. Sieenden sich von einem Europa ab, das ihnen das Gefühlermittelt, Verlierer zu sein. Der massive Protest der Be-ölkerung gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie hatezeigt: Markt ist nicht alles, er kann nur in Überein-timmung mit guten Standards im Sozial- und Arbeits-echt funktionieren. Mindestlöhne sind hier ein wichti-er Baustein.
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1526 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Gabriele Hiller-OhmHerr Niebel, das ist auch ganz unabhängig von derMehrwertsteuererhöhung.
Mit oder ohne Mehrwertsteuererhöhung: Wir brauchenMindestlöhne.
Herr Niebel, stellen Sie also endlich Ihre Nebelmaschineab.
Inzwischen begreifen das immer mehr: Wissenschaft-ler, Gewerkschafter und zum Glück auch unser neuerKoalitionspartner.
Die FDP hingegen verteufelt den Mindestlohn als maxi-malen Unsinn. Herr Brüderle spricht vom Antikapitalis-mus der Sozialdemokraten, der sich in dieser Frage of-fenbare, und erschrickt über die Sozialdemokratisierungder Union, die sich in erschreckendem Tempo fortsetze.
Frau Merkel wandele in dieser Frage inzwischen gar aufden Spuren von Marx und Co.
Also ehrlich: Wenn es denn so wäre und wenn es denMenschen dann nützt: Ich könnte nichts Schlechtes da-ran finden, Herr Niebel.
Meine Damen und Herren von der FDP: Sie solltensich einmal fragen, warum Sie mit Ihrer Einstellung zumMindestlohn zunehmend alleine stehen. Ich will es Ihnensagen: Sie haben sich zu weit von den Lebenswirklich-keiten der Menschen entfernt.
Herr Niebel, Sie haben im Oktober einen flotten Spruchlosgelassen.
Mit Blick auf die SPD haben Sie gesagt:Wer heute Mindestlöhne fordert, verlangt morgenstaatlich festgelegte Bierpreise.
Herr Kollege, richtig muss der Satz lauten: Wer heuteMindestlöhne fordert, setzt sich für die Menschen ein,die von ihrer Hände Arbeit leben müssen und dafür ihrengerechten Lohn verlangen. – Das tun wir, Herr Niebel.MKAwsdnMaddc2igszwmshaidWlMsÜd
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält der
ollege Laurenz Meyer das Wort.
ls Vertreter einer einschlägig ausgewiesenen Region
ird er die Frage nach der Entwicklung der Bierpreise
icher abschließend beantworten.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufas Thema Bierpreise werde ich mich hier überhaupticht kaprizieren. Ich schlage vor, dass wir das Themaindestlohn so angehen, wie wir viele andere Themenuch angehen,
ass wir uns in Europa umschauen und uns ansehen, wasort funktioniert und was dort aus unserer Sicht mögli-herweise auch nicht funktioniert.Zunächst einmal muss ich dabei feststellen: In 19 von5 Ländern gibt es einen Mindestlohn. Als Zweites stellech fest – darauf hat der Kollege Brauksiepe schon hin-ewiesen –, dass die Unterschiede in Europa riesengroßind: Der Mindestlohn bewegt sich innerhalb der EUwischen 1 300 Euro und 120 Euro. Deswegen werdenir uns das ansehen und schauen, ob andere es richtigachen. Wenn es Möglichkeiten gibt, zu sinnvollen Lö-ungen zu kommen, werden wir sie nutzen.
Während ich mir heute die Debatte hier angehörtabe, habe ich nicht den Eindruck gewonnen, dass aufllen Seiten ideologisch schon richtig abgerüstet wordenst. Bei der Rede von Herrn Gysi und durch den Antrager Linken habe ich etwas Bemerkenswertes erfahren.enn ich Journalist wäre, dann würde ich mich bezüg-ich der Rechnung von Herrn Gysi, mit der er auf seinenindestlohn gekommen ist, nicht nur auf die 8 Euro,ondern auch auf die 40 Stunden konzentrieren. Alsberschrift würde ich schreiben: Gysi fällt Bsirske inen Rücken und akzeptiert die 40-Stunden-Woche.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1527
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Laurenz Meyer
Das ist die erste Botschaft des heutigen Tages und wirsollten sie festhalten.Ich komme nun zu dem, was Herr Lafontaine undHerr Gysi über Anwälte und Architekten gesagt haben.Herr Lafontaine, Herr Gysi, wenn Anwälte anders alsSie nur einen Auftrag in der Woche haben, möglicher-weise noch von einem Mandanten mit weniger Geld,dann ist das für den Mandanten zwar gut, dass er einenfesten Satz bezahlen muss, aber nicht für den Anwalt.Deswegen ist dieses ganze Gerede einfach nur Klassen-kampf pur. Hier müssen wir uns fragen: Was wollen Siedamit für die Menschen erreichen?
In der Bauwirtschaft gilt das Arbeitnehmer-Entsen-degesetz. Wir wissen aber auch, was in diesem Bereichpassiert. Das brauchen wir uns nur in Ruhe anzusehen.Wenn einer staatlichen Stelle – Frau Nahles, selbst Ge-werkschaften –, die einen Bauauftrag zu vergeben hat,ein Angebot mit ausschließlich deutschen Kräften für10 Millionen Euro und ein anderes Angebot mit Sub-unternehmen aus dem Ausland für 8 Millionen Euro vor-liegt, dann ist die Versuchung offensichtlich groß – fürstaatliche Stellen wie für Gewerkschaften wie für Ar-beitgeber –, das Angebot mit den Subunternehmen für8 Millionen Euro anzunehmen. Damit sind die ganzenRegelungen ausgehebelt und wir haben ein Problem.Wenn dann noch die Arbeitszeiten nicht kontrollier-bar sind und die betreffenden Arbeitnehmer bei gleichenLöhnen fünf Stunden mehr arbeiten als die deutschenArbeitnehmer oder sogar Mieten für miserable Unter-künfte bezahlen, wenn ihnen noch die Löhne wegge-nommen werden, dann ist uns allen nicht geholfen. Da-mit müssen wir uns beschäftigen. Deswegen müssen wirmögliche Regelungen kritisch hinterfragen, ehe wir sieals Lösung akzeptieren.
Auch bei uns gibt es Mindestlöhne. Wir haben denMindestlohn beim Arbeitslosengeld II in vielen Fällenaufgestockt. Arbeitslosengeld-II-Empfänger können ei-nen 400-Euro-Job oder 1-Euro-Job annehmen, sodass imGrunde genommen eine Lohnhöhe vorgegeben ist. Je-mand, der rational denkt, wird sich also fragen: Nehmeich jetzt eine Arbeit an oder kombiniere ich das mitSchwarzarbeit? So ist die Situation.Frau Nahles, ich will es für uns noch ein bisschenkomplizierter machen. Sie haben gesagt, jedem fünftenArbeitnehmer in Ostdeutschland stehen weniger als1 400 Euro zur Verfügung.
– Gut, also unter 1 300 Euro. Das ist aber für das, wasich ausdrücken will, nicht entscheidend. Jeder von unsist sicherlich der Meinung, dass 1 300 Euro nicht vielsind.
– Brutto. Natürlich gönnen wir es jedem, dass er mehrals nur diese Summe verdient.hlhdDLWuzgigIjh–leePLTdvkhdneVbfKwsldWuM
Aber die Fragestellung, die hinter dem steht, was wirier diskutieren, ist, offen ausgesprochen, ob wir Gefahraufen wollen, dass die 20 Prozent der Arbeitnehmer, dieeute weniger als 1 300 Euro verdienen, arbeitslos wer-en, wenn wir den Mindestlohn bei 1 300 Euro ansetzen.
iese Fragestellung müssen wir diskutieren, bevor wirösungen zustimmen.
ir müssen sicher sein, dass dieser Effekt nicht eintritt,nd wir müssen den Menschen helfen, ihren Arbeitsplatzu behalten. Wir dürfen sie nicht behindern oder durchut gemeinte Regelungen ihren Arbeitsplatz gefährden.Bei einem anderen Punkt, den Sie genannt haben, willch Ihnen aus vollem Herzen widersprechen. Sie habenesagt: Lohn hat etwas mit Würde zu tun.
ch sage Ihnen: Arbeit hat etwas mit Würde zu tun. Obemand eine Arbeit zu menschenwürdigen Bedingungenat, hat etwas mit Würde zu tun.
Über diese Überlegungen werden wir sprechen.Selbstverständlich wollen wir, dass Arbeit – der Kol-ege Brauksiepe hat darauf hingewiesen – insgesamt sontlohnt wird, dass ein Mensch davon leben kann. Wenns unter den Bedingungen in Deutschland wegen derroduktivität des Einzelnen nicht möglich ist, dass seinohn ausreicht, dann wollen wir ihn mit staatlichenransferleistungen aufstocken. Es sollte nicht so sein,ass jemand ausschließlich von Transferleistungen lebt;ielmehr geht es um eine Kombination von Arbeitsein-ommen und Transferleistungen.Schauen Sie sich einmal an, wie viele Menscheneute einen 1-Euro-Job annehmen wollen, wie die Zahler Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen und ei-en 400-Euro-Job haben, angestiegen ist. Da passiertiniges. Gleichzeitig sehen wir, dass es natürlich eineerlockung ist, neben dem 400-Euro-Job schwarzzuar-eiten. Frau Nahles, auch Sie haben sicherlich schonestgestellt, dass es sehr schwer ist, Schwarzarbeit inombination mit einem 400-Euro-Job zu kontrollieren,eil die Betreffenden bei einer Kontrolle erklären, diesei der erste Tag ihres 400-Euro-Jobs.Dabei dürfen wir uns nicht von ideologischen Vorstel-ungen leiten lassen, sondern es geht in der Diskussionarum: Was wollen wir erreichen?ir wollen erreichen, dass Menschen Arbeit bekommennd dass die Mitnahmeeffekte in diesem Prozess auf eininimum reduziert werden.
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1528 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Laurenz Meyer
Wir sollten insofern – wie es meines Erachtens heutebei manchen der Fall war – nicht nur aus der Sicht dererdiskutieren, die bereits Arbeit haben, sondern auch ausder Sicht derjenigen, die Arbeit suchen. Wir haben dasProblem, dass die Hälfte der Arbeitslosen Langzeitar-beitslose sind. Viele von ihnen haben keine Berufsaus-bildung und auch keinen Schulabschluss. Damit wirdsich die CDU/CSU-Fraktion nicht zufrieden geben.Vor diesem Hintergrund müssen wir uns fragen: Wol-len wir, dass diese Zahlen immer weiter steigen, weil wirnichts tun, oder wollen wir zumindest den ernsthaftenVersuch machen, auch diesen Menschen in Deutschlandwieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu bieten?Darum geht es – um nicht mehr und nicht weniger.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/398 und 16/656 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 18:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der
Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversor-
gung
– Drucksache 16/194 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit
– Drucksache 16/691 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Marlies Volkmer
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP, der Fraktion Die Linke und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Auch
das ist offensichtlich einvernehmlich.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst der Kollegin Dr. Marlies Volkmer für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Seit der ersten Beratung des Gesetzentwurfs sindungefähr zwei Monate vergangen. Wir haben die Zeitsehr gut dazu genutzt, alle Maßnahmen zu diskutieren.Ich möchte gleich vorwegschicken: Wir sind derÜberzeugung, dass mit dem Gesetz die notwendigenEinsparungen erzielt und die hohe Qualität der Versor-gung der Versicherten gewährleistet werden können.
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in solches Verhalten ist unredlich und in intellektuellerinsicht manchmal schon eine Zumutung. Aber solchergumentationen werden sich letztlich gegen die Urhe-er selbst richten.Ich kann die Patientinnen und Patienten nur ermuti-en, sich nicht beirren zu lassen. Sie bekommen nachie vor die für ihre Behandlung notwendigen Medika-ente.
elegentlich kann es dazu kommen, dass der Arzt einnderes Medikament verordnet als früher. Das ist abericht schlimm. Sie kennen das bereits aus dem Bereicher rezeptfreien Medikamente: Wenn Sie zum Beispielegen einer starken Erkältung eine Apotheke aufsuchen,
ann können Sie Aspirin, Acesal oder ASS kaufen. Dasind verschiedene Medikamente zu unterschiedlichenreisen, die aber denselben Wirkstoff enthalten.
Ich mache keine Werbung, sondern ich habe alle ein-chlägigen Medikamente aufgeführt. –
ine ähnliche Regelung wird in Zukunft auch bei den re-eptpflichtigen Medikamenten gelten.Etwa 45 Prozent der Ausgabensteigerung werdenurch einen Wechsel zu teureren, aber nicht wirksame-en Medikamenten verursacht. Der Arzt entscheidet,elches Medikament der Patient erhält. Er trägt die Ver-ntwortung für eine wirtschaftliche Arzneimittelthera-ie. Er hat den Stift in der Hand. Eine gesetzliche Rege-ung, die genau an dieser Stelle ansetzt, ist daherberfällig. Entgegen einer verbreiteten Ansicht ist dieteuerung der Arzneimittelausgaben über eine Len-ung des ärztlichen Verordnungsverhaltens sehr wohlöglich. Das zeigt der Blick auf die regionalen Unter-chiede bei den Arzneimittelausgaben. Die Ärzte imereich der kassenärztlichen Vereinigungen mit deniedrigsten Arzneimittelausgaben geben etwa ein Dritteleniger aus als die mit den höchsten Ausgaben. Dasind beachtliche Unterschiede.Vor diesem Hintergrund haben wir uns für eine Rege-ung entschieden, die Ansporn für alle regionalen Ver-ragspartner sein soll, zu eigenen Lösungen zu kommen.ute Ansätze gibt es zum Beispiel in der KV Nordrheinnd in der KV Sachsen. Nun wird es zwar eine Bonus-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1529
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Dr. Marlies VolkmerMalus-Regelung auf Bundesebene geben. Sie kann aberaußer Kraft gesetzt werden, wenn durch fristgerecht ver-einbarte regionale Lösungen die Einsparziele der Bonus-Malus-Regelung erreicht werden. Nur wenn also keineregionale Regelung vereinbart wird, gilt das Bonus-Malus-System. Der Malus greift dann, wenn ein Arztvereinbarte Durchschnittskosten für verordnungsstarkeWirkstoffe um mehr als 10 Prozent überschreitet. Ur-sprünglich sollte diese Zone schon bei 5 Prozent begin-nen. Im Übrigen hat ein Arzt, der wirtschaftlich verord-net, auch in Zukunft keinen Regress zu befürchten. Neuist, dass bei der Festlegung der Durchschnittskosten jedefinierter Dosiereinheit die Besonderheiten unter-schiedlicher Anwendungsgebiete berücksichtigt werdenmüssen. Hier haben wir die Ergebnisse der Anhörungberücksichtigt, um die bedarfsgerechte Versorgung derPatientinnen und Patienten besser zu gewährleisten.Im Gesetz stellen wir klar, dass der GemeinsameBundesausschuss unzweckmäßige und unwirtschaftlicheArzneimittel von der Versorgung ausschließen kann. Beiseiner Entscheidung hat er neben dem Nutzen und dermedizinischen Notwendigkeit die Wirtschaftlichkeit ei-nes Arzneimittels zu bewerten. Dies ist ein Schritt inRichtung einer Kosten-Nutzen-Bewertung von Arz-neimitteln, der Ärzten eine verlässliche Orientierung beieiner wirtschaftlichen Verordnung von Arzneimittelnbieten kann.
Ein weiteres wichtiges Thema in der Diskussion wardie Festbetragsregelung. Wir haben klargestellt, dassdas bisherige Verfahren des Gemeinsamen Bundesaus-schusses weiterhin angewendet werden soll. Die Neuar-tigkeit allein wird auch künftig keine Freistellung bewir-ken. Nur wenn ein Arzneimittel eine therapeutischeVerbesserung bringt, ist es vom Festbetrag freizustellen.Das Festbetragssystem bleibt damit das wichtigste In-strument der Preisregulierung bei den Arzneimitteln. Diein der Anhörung vorgetragene Befürchtung, die Versor-gung der Patientinnen und Patienten mit Medikamentenzum Festbetrag sei nicht mehr vollständig sichergestellt,haben wir sehr ernst genommen. Zum einen haben wireine Lösung gefunden, die sowohl notwendige Einspa-rungen erreicht als auch für die Patientinnen und Patien-ten genügend Arzneimittel zum Festbetrag zur Verfü-gung stellt. Zum anderen haben wir zusätzlich denVorschlag der Spitzenverbände der Krankenkassen auf-gegriffen, nach dem besonders preisgünstige Arzneimit-tel gänzlich von Zuzahlungen befreit werden können.Die Entscheidung darüber müssen die Krankenkassengemeinsam und einheitlich treffen. Wenn die Kassen dieRegelung umgesetzt haben, sollten die Patientinnen undPatienten den Arzt auf die Verordnung solcher zuzah-lungsfreien Arzneimittel ansprechen.Das Gesetz ist ein Instrument, um die Ausgaben dergesetzlichen Krankenversicherung für Arzneimittel mit-telfristig im Zaum zu halten.
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as AVWG, das Arzneimittelspargesetz, ist ein Kosten-ämpfungsmonstrum. Die Arzneimittelversorgung fürie Patienten in Deutschland wird durch dieses Gesetzrheblich verschlechtert, die freie Therapiewahl einge-chränkt.
Frau Kollegin Volkmer, Sie machen es sich meinesrachtens zu leicht, wenn Sie jetzt nur kritisieren, dassie Ärzte angeblich Fehlinformationen herausgeben oderrotestieren. Wenn ich in 14 Tagen aus einer Praxis ei-en großen Stapel von Protestschreiben mit Unterschrif-en bekomme,
ann ist das bedenklich. Ignorieren Sie das nicht, son-ern nehmen Sie das ernst! Es ist doch nicht normal,ass 22 000 Ärzte in Berlin auf die Straße gehen, Haus-rzte, Fachärzte, Zahnärzte, angestellte und niedergelas-ene Ärzte. So etwas hatten wir noch nie.
as findet in ganz Deutschland statt. Warum gehen sieuf die Straße und warum protestieren die Patientinnennd Patienten? Weil sie Angst haben, dass dieses Gesetzu einer weiteren massiven Rationierung führt.
ie Bonus-Malus-Regelung, die Sie, Frau Dr. Volkmer,ngesprochen haben, wird dazu führen, dass der Arzt,er bei der Verschreibung rationiert, bevorzugt wird.
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1530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Daniel Bahr
Eine solche Bonus-Malus-Regelung wird das Arzt-Pa-tienten-Verhältnis erschüttern. Ich will nicht den Teufelan die Wand malen, aber allein die Tatsache, dass Patien-ten die Sorge haben, dass ein Arzt nach wirtschaftlichenGesichtspunkten verschreibt und nicht nach den Prin-zipien der freien und richtigen Therapiewahl, wird dasArzt-Patienten-Verhältnis massiv erschüttern.
Es ist doch nicht so, als ob wir nicht schon Instrumentehätten. Wir haben heute schon viele Instrumente, die denArzneimittelmarkt regulieren: Arzneimittelrichtlinien, vonder Erstattung ausgeschlossene Arzneimittel, Festbeträgefür Arzneimittel, Nutzenbewertung von Arzneimitteln,Arzneimittelvereinbarung und Arzneimittelrichtgrößen,Aut-idem-Regelung, Importförderung, Preisvergleichs-liste und gesetzliche Zwangsrabatte. Das Arzneimittel-sparpaket wird diese Unübersichtlichkeit und mangelndePlanungssicherheit noch verschärfen und keine grundle-genden Reformen voranbringen.
Herr Kollege Bahr, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Zöller?
Bitte sehr.
Herr Kollege Bahr, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass Ihre Äußerung, die Therapiefreiheit
werde eingeschränkt, falsch ist?
Zu dieser Meinung kann man nur kommen, wenn man
nicht zwischen Wirkstoffgruppen und Wirkstoff unter-
scheiden kann. In der Änderung ist nämlich klar festge-
legt worden, dass der Arzt den Wirkstoff frei wählen
kann. Die Therapiefreiheit bleibt voll erhalten.
Nur, wenn er sich für einen Wirkstoff entscheidet, soll er
sich preisbewusst verhalten. Bei den Preisen gibt es
Bandbreiten von 300 bis 400 Prozent. Die Therapiefrei-
heit wird mit diesem Gesetz gegenüber der bisherigen
Regelung sogar verbessert. Möchten Sie das bitte zur
Kenntnis nehmen?
Nein, Herr Kollege Zöller, das nehme ich so nicht zurKenntnis. Wir hatten schon im Ausschuss eine Debattedarüber, dass es schwer abzuschätzen ist, wie die neueRegelung der Durchschnittskosten je Dosiereinheit über-haupt wirkt. Die Staatssekretärin hat mir auf Nachfragee–VnwmhefdnvdeZtwmdcskfiwGhdtwivhssslsrAkdgwkasdzsdiw
Als Begründung wird die Steigerung der Ausgabenür Arzneimittel herangezogen. Ich wage zu bezweifeln,ass diese Steigerung der Ausgaben für Arzneimittelicht abzusehen war; denn wir hatten mit dem GMGiele Entscheidungen, die in der Folge dazu führten, dassie Arzneimittelausgaben stiegen. Wir hatten Vorzieh-ffekte in 2003, es gab den Wegfall des zusätzlichenwangsrabatts und viele andere Effekte, die dazu führ-en, dass die Arzneimittelausgaben gestiegen sind. Ichage zu bezweifeln, dass das der Grund für das Arznei-ittelspargesetz ist. Ich habe den Eindruck, Sie machenas Arzneimittelsparpaket, um im Bereich der gesetzli-hen Krankenversicherung die drohende Mehrwert-teuererhöhung, die ab 1. Januar 2007 geplant ist, zuompensieren. Ich vermute, dass das der wahre Grundür das Zustandekommen dieses Arzneimittelsparpaketsst.Wir halten das für einen Fehler. Wir halten die Mehr-ertsteuererhöhung für einen grundsätzlichen Fehler.erade für den Arzneimittelbereich bedeutet sie eine er-ebliche Einschränkung. Ich weise darauf hin, dass inen meisten anderen Ländern beim Kauf von Arzneimit-eln entweder der niedrigere Mehrwertsteuersatz An-endung findet oder gar keine Mehrwertsteuer zu zahlenst. Mit dem erhöhten Mehrwertsteuersatz beim Kaufon Arzneimitteln ist Deutschland eine Ausnahme. Sieätten einmal darüber diskutieren sollen, den Mehrwert-teuersatz für Arzneimittel erheblich zu senken. Eineolche Senkung würde die gesetzlichen Krankenver-icherungen entlasten.Die Patienten werden aber auch durch die Neurege-ung der Festbeträge massiv belastet. Es ist doch er-taunlich, dass sogar die Krankenkassen vor dieser Neu-egelung warnen. Die Krankenkassen haben denuftrag, mit den Beiträgen der Versicherten besondersostengünstig umzugehen. Es ist doch spannend, dassie Krankenkassen die Neuregelung der Festbeträgeanz besonders infrage gestellt haben.Durch die niedrigeren Festbeträge könnte beispiels-eise der Preis für Antidepressiva um 65 Prozent sin-en. Die Firmen der Pharmaindustrie werden ihre Preiseber nicht zwangsläufig auf die Höhe der Festbeträge ab-enken, sondern vielleicht nur ein bisschen. Das führtann zu Aufzahlungen für die Versicherten. Diese Auf-ahlungen fallen – anders als die Zuzahlungen, die be-timmten Grenzen unterliegen – nicht unter die Überfor-erungsregelung, sondern sind voll wirksam. Das heißt,m Sommer werden die Patientinnen und Patientenahrscheinlich massiv belastet.
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Daniel Bahr
Ich will noch etwas anderes aufgreifen, was die Pa-tienten angeht. Frau Volkmer sprach von den regionalenUnterschieden. Frau Volkmer, soweit ich weiß, sind Sieaus Sachsen. Schauen Sie einmal nach Sachsen-Anhalt!Sie können doch nicht die Ärzte für die regionalen Un-terschiede im Verschreibungsverhalten verantwortlichmachen. Ein Grund für unterschiedliches Verschrei-bungsverhalten ist vielmehr, dass beispielsweise dieMorbiditätsstruktur und die Versichertenstruktur inSachsen-Anhalt ganz anders als die in der Region Nord-rhein sind. Weil es einige wenige KV-Bezirke gibt, in de-nen dieser Ansatz gut funktioniert, sollen Ihrer Auffas-sung nach sämtliche KV-Bezirke diese Regelungübernehmen. Sie sollten schon berücksichtigen, dass eswoanders andere Strukturen gibt. Insofern sehe ich dieregionale Umsetzung sehr kritisch. Ich glaube, dass esdamit eher zu einer bundesweiten Bonus-Malus-Rege-lung kommt.Auch die Krankenhäuser werden arg gebeutelt, wiewir feststellen. Von heute auf morgen erfahren die Kran-kenhäuser, dass sie ihre Planungen für 2006 über Bordwerfen und auf niedrigerer Basis neu kalkulieren müs-sen. Ihre Arzneimittel werden teurer, weil die Natural-rabatte wegfallen. Gleichzeitig müssen sie ihre Ein-kaufspolitik grundlegend ändern; denn zukünftig müssensie sich an das halten, was im vertragsärztlichen BereichStandard ist. Viele Vertragsärzte wenden sich an uns, umuns mitzuteilen, dass sie viele ärgerliche Diskussionenhaben; denn sie müssen die Medikamentierung von Pa-tienten umstellen, nachdem die Krankenhäuser sie aufteure Medikamente eingestellt haben.Ich wage aber zu bezweifeln, dass diese Regelungwirklich ihre Wirkung entfaltet. Ich glaube, sie führteher zu einer Einschränkung bei der stationären Versor-gung. Ich befürchte, dass gerade GKV-Patienten bei derstationären Versorgung gegenüber Privatpatienten be-nachteiligt werden.Gestatten Sie mir, dass ich zum Schluss auf die Natu-ralrabatte zu sprechen komme. Auch hier gab es sicher-lich Auswüchse, über die man nachdenken muss. DieUrsache dafür ist meines Erachtens die Aut-idem-Rege-lung. Sie verbieten die Naturalrabatte sogar bei Tierarz-neien. Diese Arzneien sind nun wirklich überhaupt nichtvergleichbar mit der Arzneimittelversorgung von Patien-tinnen und Patienten über die Apotheken. Das gehtwahrlich zu weit.Die in diesem Gesetzentwurf verankerte Regelungwerden wir nicht mittragen. Wir haben einen Entschlie-ßungsantrag eingebracht. Wir sind auf weitere Vor-schläge der großen Koalition gespannt. Das „Arzneimit-telspargesetz“ ist der falsche Weg.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Annette
Widmann-Mauz, CDU-Fraktion.
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adurch entstehen Kosten im Gesundheitswesen, dieir nicht einfach hinnehmen können, die wir auch nichtinfach an die Patienten und Versicherten weitergebenürfen. Wir müssen diese Kosten jetzt auffangen.Das wollen wir mit dem Gesetzentwurf, den wir vor-elegt haben, erreichen. Wir wollen die Senkung derrzneimittelausgaben und die nachhaltige Stabilisierunger Arzneimittelversorgung erreichen.Das AVWG ist in den vergangenen Wochen heftigiskutiert worden. Ärzte, Patienten, Apotheker, Arznei-ittelhersteller, die Krankenkassen, die Verbände, alleaben sich zu Wort gemeldet. Da wurde gestreikt undestritten, da wurde mobilisiert und polemisiert, aber esurde eben auch sehr ernsthaft diskutiert, nicht zuletztm zuständigen Ausschuss des Deutschen Bundestages;enn alle wissen, dass es keine Einsparmaßnahme ist,enn man sich nur billige Ausreden leistet.Die zahllosen Gespräche und die Beratungen habenich gelohnt. Wir haben viele Anregungen aufgegriffen.ir haben Änderungen und Präzisierungen in den Ge-etzentwurf eingearbeitet. Viele Aspekte der Diskussionurden berücksichtigt. Ich glaube, wir können heute mitem Ergebnis zufrieden sein.
Das AVWG wird insbesondere die Arzneimittelver-orgung besser als bisher an dem tatsächlichen medizi-ischen Versorgungsbedarf der Patienten ausrichten.edizinisch nicht notwendige Ausgabensteigerungenönnen künftig besser vermieden werden. Dabei bleibtewährleistet – das möchte ich ausdrücklich betonen –,ass Patientinnen und Patienten auch in Zukunft alles,as medizinisch notwendig ist, auch verordnet bekom-en.
as erste Ergebnis dieses Gesetzes ist also: Die Versor-ung der Patienten ist und bleibt auf hohem Niveau ge-ichert.Lassen Sie mich auf die einzelnen Maßnahmen einge-en. Zunächst zur Bonus-Malus-Regelung. Auf unser
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Annette Widmann-MauzDrängen wird die viel gescholtene Bonus-Malus-Rege-lung jetzt so gestaltet, dass es in der Hand der Ärzte undder Krankenkassen liegt, ob diese gesetzliche Regelungzur Anwendung kommt oder nicht. Das heißt, die Ärzteentscheiden zusammen mit den Krankenkassen, ob diesegesetzliche Regelung zum Tragen kommt oder nicht. DieFrage ist, ob sie bessere Alternativen haben. Wenn dieKVen mit den Landesverbänden der Krankenkassen Ver-einbarungen treffen, mit denen sie dieselben Ausgaben-ziele bei den Arzneimitteln erreichen können, dannkommt die gesetzliche Bonus-Malus-Regelung gar nichtmehr zum Tragen. Das heißt, Vorfahrt für die Selbst-verwaltung!
Die Selbstverwaltung erhält endlich mehr Verantwor-tung und einen größeren Spielraum für eine praxisnaheund partnerschaftliche Gestaltung. Also nur dann, wennes nicht zu einer solchen freiwilligen Vereinbarungkommt, gilt die gesetzlich vorgesehene Bonus-Malus-Regelung.Sie ist jetzt sogar verbessert worden.
Bei der Ermittlung der Durchschnittskosten je Dosier-einheit, also den Tagestherapiekosten, ist jetzt auch dieIndikationsstellung zu berücksichtigen. Herr Bahr, wennSie es immer noch nicht verstanden haben, dann macheich es Ihnen auch hier im Plenum noch einmal an einemBeispiel deutlich.
Ein Wirkstoff wie der Betablocker Metoprolol wird jenach Indikation in unterschiedlicher Dosierstärke ange-wendet: bei Bluthochdruck 50 Milligramm, bei korona-rer Herzkrankheit 100 Milligramm, bei Herzmuskel-schwäche 200 Milligramm. Einen Dosiermittelwert überdie einzelnen Indikationen zu legen, ist nicht sachge-recht – da sind wir uns einig –; es könnte – da haben SieRecht – zu einer Unterversorgung je nach Patienten-klientel in der Arztpraxis führen.
Deshalb haben wir gesagt: Die durchschnittlichen Do-siereinheiten können nur für die jeweilige Indikation undnicht über die Indikationen hinweg zur Geltung kom-men. Unterschiedliche Behandlungsbereiche müssen be-rücksichtigt werden.
Der Malus wirkt auch nicht schon ab einem Über-schreitungsbetrag von 5 Prozent. Wir haben jetzt eineGrenze von 10 Prozent festgelegt.kKtKvdgdDgdeevuwhKwDlnPgtwDlnsIsPcFFsfgdpmkkzüd
Ich will einen Hinweis zu einer Sache geben, die Sieritisch hinterfragt haben, zu der Verordnung aus demrankenhaus heraus. Für die Ärzteschaft ist ganz wich-ig, dass wir hierbei Verbesserungen erreichen und dierankenhäuser in der Weise in die Pflicht nehmen, dassor der Entlassung die Präparate angewendet werden,ie auch nachher im ambulanten Bereich, also im nieder-elassenen Sektor, wiederum sparsam, verwendet wer-en müssen.
as Eintragen teurer Präparate in die ambulante Versor-ung können wir nicht hinnehmen. Das ist eine Abhilfe,ie wir gerade auch für die niedergelassenen Ärzte ver-inbart haben.
Also, die Bonus-Malus-Regelung, wie sie im Gesetz-ntwurf steht, muss nicht angewendet werden. Sie kannermieden werden. Die Therapiefreiheit wird gestärktnd die Versorgungssicherheit der Patienten bleibt ge-ahrt.Ein weiterer Punkt: die Zuzahlungsbefreiung. Wiraben im AVWG die Möglichkeit geschaffen, dass dieassen ihren Versicherten bei der Wahl besonders preis-erter Medikamente die Zuzahlung erlassen können.en Krankenkassen wird also zum ersten Mal die Mög-ichkeit eröffnet, Patientinnen und Patienten einen eige-en ökonomischen Vorteil einzuräumen. Damit wird derreiswettbewerb bei den Herstellern unterstützt. Das ei-entlich Entscheidende ist aber: Der Patient hat zum ers-en Mal ein eigenes ökonomisches Interesse, ein preis-ertes Medikament vom Arzt verordnet zu bekommen.as bedeutet auch, dass der Arzt erstmals nicht mehr al-ein die Verantwortung für eine wirtschaftliche Verord-ungspraxis trägt und damit in der Kritik steht. All dasind wichtige Ergebnisse dieses Gesetzes.Sie haben die Festbetragsregelungen angesprochen.n den Festbetragsgruppen der Stufen 2 und 3 kann ge-part werden. Wir wollen hier die Festbeträge ins unterereisdrittel absenken. Wir haben aber wiederum auch Si-herungslinien eingezogen; denn es müssen jeweils einünftel aller Verordnungen und aller Packungen zumestbetrag verfügbar sein. Damit bleibt die Versorgungs-icherheit gewährleistet. Das sind wichtige Kriterien.Wir wissen natürlich, dass diese Regelungen bei derorschenden und bei der generischen Industrie auf Kritikestoßen sind. Die Daten der Kassen zeigen jedoch auf,ass insbesondere in der Stufe 2, in der Pharmamittel mitharmakologisch vergleichbaren Wirkstoffen zusam-engefasst sind, noch gespart werden kann. Angesichtsnapper Mittel in der gesetzlichen Krankenversicherungönnen wir doch Innovationen nur dann angemessen be-ahlen, wenn so genannte Scheininnovationen nicht zuberhöhten Preisen abgegeben werden. Von daher istiese Absenkung vertretbar.
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Annette Widmann-MauzWir nehmen aber auch die Sorgen der Unternehmenernst, insbesondere hinsichtlich ihres Engagements beiForschung und Innovation. Deshalb haben wir in einemweiteren Schritt die Innovationsschutzklausel verbes-sert. Wir werden so, wie es im Koalitionsvertrag verein-bart wurde, den Pharmastandort Deutschland stärken.
Zwei Regelungen sind hier insbesondere in den Blick zunehmen:Zunächst ermöglichen wir den Kassen, Rabattver-träge mit Unternehmen abzuschließen, die ihre Präparatenicht bis auf den Festbetragspreis absenken wollen. Diestrifft genau auf das Beispiel zu, das Sie vorhin angeführthaben, nämlich dass ein Unternehmen nicht bereit ist,den Preis zu senken. Es kann nun, um den hohen Refe-renzpreis im europäischen Ausland aufrechterhalten zukönnen, Rabattverträge im Interesse der Versichertenbzw. Patientinnen und Patienten mit den Kassen ab-schließen, sodass hier überhaupt keine höheren Zahlun-gen anfallen müssen.
Frau Kollegin Widmann-Mauz, gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Bahr?
Ich gestatte sie.
Frau Kollegin Widmann-Mauz, sind Sie mit mir der
Meinung, dass Einsparungen über den Weg der Rabatt-
verträge nur bei dem jeweiligen Medikament möglich
sind? Sind Sie außerdem mit mir der Meinung, dass die
Pharmaunternehmen eine so massive Absenkung der
Festbeträge nicht mitmachen werden und es damit zu
massiven Aufzahlungen für Patienten in diesem Sommer
kommen kann?
Nein, ich bin nicht dieser Auffassung. Ich bin der fes-
ten Überzeugung – die Vergangenheit hat es auch ge-
zeigt –, dass der deutsche Arzneimittelmarkt in Europa
von so großer Bedeutung ist, dass die Arzneimittelher-
steller in der Regel das Absenken des Preises auf den
Festbetrag für sich selbst als wirtschaftlicher und be-
triebswirtschaftlich sinnvoller erachten als das Aufrecht-
erhalten eines hohen Preises, was ja zur Folge hätte, dass
sie kaum Umsätze machen würden. Es kann natürlich
Unternehmen geben, für die es interessant ist, bei be-
stimmten Präparaten den Preis hochzuhalten. Auch diese
Unternehmen wollen das Auslandsgeschäft nicht gefähr-
den. Um nun aber die Möglichkeit zu haben, die Versi-
cherten in der Bundesrepublik Deutschland trotzdem mit
den eigenen Präparaten zu versorgen, ermöglichen wir
das Abschließen von Rabattverträgen. Ob sich das ins-
gesamt auf das Preisgefüge auswirken wird, können wir
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eshalb wollen wir neuem Denken eine Chance geben.
ährend wir das angehen, werden wir es sorgsam über-
rüfen und begleiten. Stillstand ist nicht das, was die
nion auszeichnet. Deshalb wollen wir auch hier neue
ettbewerbsinstrumente zur Anwendung kommen las-
en.
Ich will noch einmal auf das Stichwort Innovation zu-
ückkommen. Wir haben diesbezüglich im Gesetzent-
urf weitere Verbesserungen, insbesondere was den the-
apeutischen Nutzen anbelangt, festgelegt. Dieser
utzen kann sich in der Praxis für die Patienten durch
ine Verbesserung der Lebensqualität darstellen. Er kann
ich auch auf einzelne Patientengruppen mit bestimmten
ndikationen erstrecken. Wenn die Verbesserungen nicht
it klinischen Endpunktstudien, bezogen auf Mortalität
nd Morbidität, nachgewiesen werden können, sind
ünftig auch andere Studien, die zur Verfügung stehen,
ulässig. Das sind wichtige Erfordernisse, um den Inno-
ations- und Forschungsstandort Deutschland zu stär-
en.
Darüber hinaus haben wir neue Regelungen für die
aturalrabatte vorgesehen. Ich will nur noch kurz da-
auf eingehen. Die Gewährung von Naturalrabatten an
ffizinapotheken, Krankenhausapotheken und Tierärzte
urch Pharmaunternehmen wird ausgeschlossen. Das
eißt, die Gewährung von unentgeltlichen Packungen ei-
es apothekenpflichtigen Arzneimittels ist künftig nicht
ehr möglich. Möglich bleiben aber Verhandlungen mit
em Hersteller oder Händler über Mengen und Preise so-
ie Skonti. Egal ob im Krankenhaus, beim Tierarzt oder
m nicht verschreibungspflichtigen Bereich der Apo-
heke, es besteht keine Regelung für einen einheitlichen
erkaufspreis in diesem Sektor.
Frau Kollegin, Sie denken bitte an die Zeit.
Ja. – Das Naturalrabattverbot und die Zertifizierungon manipulationsfreier Praxissoftware sind ein Anreizu höherer Transparenz bei der Verordnung und der
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Annette Widmann-MauzPreisgestaltung. Damit kommen niedrigere Preise zumersten Mal der Solidargemeinschaft zugute. Das warvorher nicht der Fall. Deshalb ist auch dies ein wichtigerBeitrag, den dieses Gesetz leistet.Nicht alles ist neu; viele Instrumente kennen wir. DieHandhabung erfordert von allen Beteiligten Augenmaßund Verantwortungsbewusstsein. Das fordere ich von al-len ein.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Frank Spieth
für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Frau Widmann-Mauz benutzte einen Vergleich mitHähnen. Sie sprach davon, dass einige Hähne meinten,um sie würde die Sonne kreisen. Ich will einen anderenBezug herstellen. Es gibt einen alten Spruch, der da lau-tet: Kräht der Hahn morgens auf dem Mist, ändert sichdas Wetter oder es bleibt, wie es ist. – Ein wenig kommtmir das auch bei diesem Gesetzentwurf so vor, um daseinmal klar und deutlich zu sagen.
Das Gesetzgebungsverfahren zum AVWG lässt ausmeiner Sicht schlimme Ahnungen in Bezug auf die wei-teren gesundheitspolitischen Projekte der großen Koali-tion aufkommen. Das Ministerium macht einen Entwurf,der, weil er nicht passt, von der CDU/CSU einkassiertund anschließend verschlimmbessert als neuer Entwurfpräsentiert wird. Alle Akteure kritisieren die Unzuläng-lichkeit dieses dann gemeinsamen Entwurfes und weisenauf die handwerklichen Fehler hin. Es gibt massenhaftProteste. Daraufhin – immerhin – erfolgen vor der ab-schließenden Beratung noch schnell Korrekturen. ImAusschuss werden diese Änderungsanträge – allerdingsohne dass man wirklich Zeit hätte, die Argumente aus-reichend zu bewerten –
durchgepeitscht, sodass dem Bundestag heute der Ge-setzentwurf zur Beschlussfassung vorgelegt werdenkann.Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz wirdnach meiner Überzeugung bei den Arzneimittelausgabennur ein begrenzter Effekt erreicht und im Kern schonwieder die nächste Reform mit verankert. Das ist dieRealität. Hoffentlich wird dieses Verfahren nicht zurBlaupause für die Gesundheitspolitik in der laufendenLegislaturperiode.
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nd belastet aufgrund des entstehenden Misstrauens – dasagen eben nicht nur Ärzte, sondern auch die chronischranken, die Selbsthilfeorganisationen und die Sozial-erbände – das Arzt-Patienten-Verhältnis.
Wir haben den Gesetzentwurf sehr genau gelesen undusführlich darüber diskutiert.
Wir meinen, dass es zu dem, was auf den Weg ge-racht wird, eigentlich nur eine wirksame Alternativeibt, nämlich die seit Jahren zunächst immer wieder ge-chredderte und danach von allen Beteiligten geforderteositivliste.
enn die Positivliste, Frau Widmann-Mauz, führt zuehr Durchblick bei den Ärzten und auch bei den Pa-ienten hinsichtlich ihrer Behandlung. Die Kassen wer-en die Preisgestaltungsmöglichkeiten und die Kosten-ntwicklung nachvollziehen können. Auch die Herstellerissen genauer, auf was sie sich einlassen werden. Dieinführung der Positivliste wird am Ende also zu einereutlich besseren Versorgung führen.Wir werden mit einer Positivliste eine gute Arznei-itteltherapie sicherstellen. Die Auswahl zwischen zig-ausenden Präparaten ist nicht mehr erforderlich. Ichage auch: Durch eine Positivliste werden die Naturheil-ittel ebenfalls erfasst. Diese Liste könnte durch dasQWiG erstellt und ständig aktualisiert werden.
Ich wundere mich nicht darüber, dass Sie von derDU/CSU an dieser Stelle heftig intervenieren. Denneine letzten Aussagen sind auch in Veröffentlichungenes Bundesgesundheitsministeriums zum Thema Posi-ivliste von vor wenigen Jahren zu finden. Wir schließenns dieser Position grundsätzlich an.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1535
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Frank SpiethWir weisen darauf hin, dass wir neben der Einführungder Positivliste auch endlich die Halbierung des Mehr-wertsteuersatzes für Pharmaprodukte brauchen. Es istdoch überhaupt nicht nachvollziehbar – ich bin keinTierfeind –, dass in unserem Land für Hundefutter nurder halbe Mehrwertsteuersatz erhoben wird, währendman für verschreibungspflichtige Arzneimittel nach wievor den vollen Mehrwertsteuersatz verlangt.
Wir brauchen eine Politik, die zum sozialen Aus-gleich zurückkehrt. Wir wollen eine Krankenversiche-rung, in der alle Bürgerinnen und Bürger – unabhängigvon ihrem Einkommen – einen Anspruch auf eine quali-fizierte medizinische Versorgung haben. Wir meinen,dass eine Krankheit nicht zum humanitären und finan-ziellen Risiko werden darf.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ver-
treterinnen und Vertreter der Koalition haben ausführlich
dargelegt, wie lange man über den Gesetzentwurf bera-
ten und um Formulierungen gerungen habe. Das kann
ich aus Sicht eines Ausschussmitglieds der Opposition
bestätigen.
Es gab eine ständige Begleitmusik, nämlich allgemei-
nes Zähneknirschen. Man hat richtig gehört, wie zwi-
schen der SPD und der Union und manchmal auch inner-
halb der einzelnen Fraktionen um Positionen gerungen
wurde. Es ging nicht wirklich darum, bessere Lösungen
zu finden. Im Grunde genommen hatte die Gesichtswah-
rung Vorrang vor der Suche nach überzeugenden Rege-
lungen.
Wenn dies das Muster ist, nach dem die Koalition die
immer wieder angekündigte Gesundheitsreform stricken
will, dann kann ich nur sagen, dass das kein Vertrauen in
die Reformfähigkeit dieser Koalition geschaffen hat.
An diesem Gesetz ist nichts wirklich besser gewor-
den. Ich habe Ihnen in der ersten Lesung vorgehalten,
dass Sie durch eine Änderung der Festbetragsregelung
der Strategie der Pharmaindustrie, Scheininnovationen
auf den Markt zu bringen, Tür und Tor öffnen.
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uch dies kann man nicht als Verbesserung bezeichnen.
s bleibt dabei, dass Sie den Mittelstand mit einem
0-prozentigen Rabatt für die Generikahersteller in die
redouille bringen und damit am Ende den Wettbewerb,
en Sie angeblich wollen, beeinträchtigen.
Auch die Bonus-Malus-Regelung wurde nicht wirk-
ich verbessert. Jetzt soll man – so sagen Sie in der Be-
ründung – Durchschnittskosten je definierter Dosier-
inheit – sozusagen die drei D – festlegen. Sie schaffen
amit hohen Verwaltungsaufwand im Vorfeld und hohen
erwaltungsaufwand bei der Kontrolle und bewirken
iel Ärger bei denjenigen, die diese Regelung umsetzen
ollen. So wird es nicht funktionieren.
Auch die Alternative, dass die Selbstverwaltung dies
egeln kann, verlagert die Konflikte nur in Richtung
elbstverwaltung. Strukturell haben Sie nichts verändert.
Frau Widmann-Mauz würde gern eine Zwischenfrage
tellen.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Kollegin Bender, Sie haben gerade dargestellt,
ass wir bei der Festlegung von durchschnittlichen Kos-
en je Dosiereinheit nur in der Begründung eine Verän-
erung vorgenommen hätten. Wollen Sie zur Kenntnis
ehmen, dass in Abs. 7 a des § 84 SGB V eindeutig und
lar geregelt wird, dass – ich zitiere – „bei der Festle-
ung der Durchschnittskosten je definierter Dosierein-
eit Besonderheiten unterschiedlicher Anwendungsge-
iete zu berücksichtigen sind“? Wollen Sie mir
estätigen, dass es eine gesetzliche Vorgabe ist, diese
esonderheiten zu berücksichtigen, und Ihre Interpreta-
ion sehr tendenziös war?
Ich bestätige Ihnen gerne, dass Sie den Gesetzestexteändert haben. Aber das Gesetz ist dadurch nicht bessereworden. Das ist meine Kritik.
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Birgitt BenderWahr ist – das ist immer Ihr Ausgangspunkt, HerrKollege Zöller –, dass natürlich von den Ärzten abhängt,was verschrieben wird. Nur, man kann die Ärzte nichtallein lassen und sie nur den Informationen der Pharma-referenten aussetzen. Man braucht eben andere Rahmen-bedingungen. Das ist zum einen Aufgabe der kassen-ärztlichen Vereinigungen. Sie müssen eine ordentlicheBeratung anbieten. Man kann und muss aber auch dieKassen stärker einbinden. Es bräuchte zudem gewisserRahmenbedingungen, damit eine Kosten-Nutzen-Be-wertung durchgeführt werden kann, damit die Ärzte wis-sen, was sie tun. Das wäre unserer Ansicht nach der bes-sere Weg.Ein besserer Weg wäre es auch, wenn man das Ver-tragsgeschehen insgesamt stärkt und mehr Verhandlun-gen zwischen Arzneimittelherstellern und Kassen auchunter Einschluss der Apotheken einführt. Wettbewerb istletztlich das Instrument, das auch in der Krankenversi-cherung gelten muss.Solange dies nicht umfassend gewährleistet ist, sindPreisregulierungsmechanismen wie Festbeträge notwen-dig. Wir bedauern, dass Sie diese Regelung verschlech-tert haben. Unserer Ansicht nach müsste es darum ge-hen, die Patienten stärker einzubeziehen und damit zueiner guten Bewertung des Zusatznutzens zu kommen.Meine Damen und Herren, ohne stärkeren Wettbe-werb in diesem Bereich werden wir kein gutes Gesund-heitssystem bekommen. Man kann nicht allen Ineffizien-zen, die es gibt, hinterheradministrieren. Ich hoffe,meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition:Wenn Sie diesen Gedanken schon nicht in dem vorlie-genden Gesetz berücksichtigt haben, dann sollten Sie ihnzumindest als Leitlinie für die Gesundheitsreform beach-ten. Denn es gibt einiges zu tun in diesem Sektor.Danke schön.
Das Wort hat für die Bundesregierung die Parlamen-
tarische Staatssekretärin Frau Caspers-Merk.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Über den Beitrag der Kollegin Bender bin ich etwas ver-wundert. Denn, Kollegin Bender, Sie haben zunächstausgeführt, wofür Sie nicht sind und wogegen Sie Be-denken haben. Man muss der deutschen Öffentlichkeitnatürlich aber auch sagen, was wäre, wenn man diesesGesetz ablehnt. Wenn man dieses Gesetz ablehnt,
dann ist man dagegen, dass künftig manipulationsfreiePraxissoftware benutzt wird.WsduwtllatemSdutibGkgbfkdsdMTuuwÄlwTShseIoBEPbg
chauen Sie sich die Statistik, die ich Ihnen zugestelltabe, einmal genau an. Brandenburg ist hier unterdurch-chnittlich. Es lohnt sich also, wenn eine gute Beratungrfolgt und wenn die Selbstverwaltung den Ärzten gutenformationen an die Hand gibt. Wenn alle Ärzte so ver-rdnen würden wie die Ärzte in Schleswig-Holstein undayern, hätten wir im Arzneimittelbereich 2 Milliardenuro gespart, und zwar ohne dass den Patientinnen undatienten Medikamente fehlen. Denn weder ist die Le-enserwartung in Schleswig-Holstein und Bayern gerin-er noch werden die Patienten dort nicht versorgt.
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Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk
Auch das muss man der Öffentlichkeit einmal sagen.Wir wollen hier ein Steuerungsinstrument, durch dasdie ärztliche Verantwortung gestärkt wird. Wir habenzwei Optionen. Die erste Option ist, dass es die Selbst-verwaltung künftig in der Hand hat, die Medikamenten-kosten selbst zu steuern. Wir stellen ihr dies frei.
Sie waren es doch, die immer gesagt haben, die Selbst-verwaltung müsse gestärkt werden. Warum würdigen Siedann nicht, dass wir ihr jetzt die Möglichkeit geben, ge-nau das zu tun? Nur wenn dies nicht greift, kommt es zurgesetzlichen Bonus-Malus-Regelung.Hier wird immer so getan, als komme der Bonus demArzt individuell zugute. Das stimmt nicht. Ein Blick insGesetz erleichtert die Wahrheitsfindung. Die Boni kom-men den kassenärztlichen Vereinigungen zu und werdenvon dort wieder verteilt, gerade um den Arzt gegenüberdem Vorwurf in Schutz zu nehmen, er verhalte sich so,um den Bonus einzustecken.
Wir haben doch reagiert. Man sollte draußen nichts an-deres erzählen.Nun stellt sich die Frage, wie man eine Medikamen-tentherapie wirtschaftlich misst. Mit dem von uns ge-wählten Konzept haben wir auf ein WHO-Konzept zu-rückgegriffen. Dieses Konzept, Frau Kollegin Bender,ist schon im GMG verankert; das haben Sie gemeinsammit uns verabschiedet. Es ist nichts Neues, keine neuebürokratische Herausforderung.
Im GMG steht bereits, dass man die Wirtschaftlichkeitaufgrund dieses Instruments ermitteln kann.Weil auch auf den Bildschirmen in den Berliner U-Bah-nen Unsinn verbreitet wird, will ich noch einmal auf dasKonzept eingehen: Es gängelt den Arzt weder bezüglichder Anzahl der verordneten Pillen noch bezüglich derZahl seiner Patienten. Hier ist der Arzt nach wie vor frei.Das Konzept regelt aber, dass der Arzt, wenn er sich füreinen Wirkstoff entschieden hat, in die Wirkstoffgruppeschauen und dann das wirtschaftlichere Medikamentverordnen muss. Verantwortungsvolles wirtschaftlichesHandeln und Therapiefreiheit gehören unteilbar zusam-men.
Verantwortliche Ärzte – das ist die Mehrheit – tun dasbereits. Deshalb müssen wir die Mehrheit der Ärzte beidem unterstützen, was sie bereits tun, müssen ihnenmehr Informationen zur Verfügung stellen und uns öf-fuwdwnmSwibSsnstsdudSvfEtbgthmdtuttPuT
Es wäre wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen,ass Sie sich an der Sachaufklärung beteiligen und nichteiterhin bewusst die Unwahrheit sagen. Ich wiederholeoch einmal: Wir wollen eine Steuerung der Arznei-ittelkosten. Hierbei wollen wir die Ärzte an unserereite wissen. Wir möchten sie besser informieren undir möchten mehr Transparenz und Wirtschaftlichkeitm Versorgungswesen.
Nicht gewürdigt wurde, dass zum ersten Mal – hierin ich den Koalitionsfraktionen sehr dankbar – diechnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Ver-orgung in einem Gesetzentwurf angegangen wird. Dieiedergelassenen Ärzte warten seit Jahren darauf. Dieseagen, dass die aus den Krankenhäusern entlassenen Pa-ientinnen und Patienten oft mit der Verordnung einesehr teuren Medikaments zu ihnen kommen. Wir wollen,ass hier zukünftig stärker zusammengearbeitet wirdnd bei der Entlassmedikation die Wirtschaftlichkeit inen Vordergrund gestellt wird.Herr Kollege Bahr, dazu gibt es eine sehr interessantetudie
on Ärzten in Lübeck. Ich stelle sie Ihnen gerne zur Ver-ügung.
s wurden 400 Hausärzte bezüglich der Entlassmedika-ion befragt. 70 Prozent antworteten, dass der Arztkurz-rief bzw. der Arztbrief keine Informationen zu ver-leichbaren Wirkstoffen enthalte. Vielmehr würdeneilweise außer dem Namen des Originalpräparats über-aupt keine Informationen gegeben. Wenn wir hier fürehr Transparenz und Wirtschaftlichkeit bei der Verän-erung dieser Schnittstelle sorgen,
un wir das zum Wohle der Patientinnen und Patientennd weil wir glauben, dass wir damit im System enthal-ene Effizienzreserven erschließen können.Wer wie Sie diese unverantwortliche Kampagne un-erstützt, versündigt sich auch ein Stück weit an denatientinnen und Patienten
nd sorgt dafür, dass nicht fair und sachlich über dashema Arzneimitteltherapie diskutiert wird.Schönen Dank.
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1538 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Das Wort hat der Kollege Jens Spahn, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Ich möchte kurz fünf Anmerkungen zum vorliegenden
Gesetzentwurf machen.
Zum Ersten geht es um die Ausgangslage. Angesichts
drohender Beitragssatzsteigerungen und Kostensteige-
rungen möchten wir jetzt, um Beitragssatzsteigerungen
zu vermeiden
– das ist das, was Sie in Ihrer Kritik ausblenden –, erst
einmal sparen, um im Sinne niedriger Lohnnebenkosten
und der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirt-
schaft die Beiträge gering zu halten.
Damit bin ich bei meiner zweiten Anmerkung. Ich
kann insbesondere der FDP – der Oppositionsführung,
wie Sie sich immer nennen – nur bedingt folgen. Sie sa-
gen immer nur: Nein, das wollen wir nicht und das wol-
len wir auch nicht. Gleichzeitig haben Sie Vorschläge,
die Ausgabenerhöhungen bedeuten würden, so etwa be-
züglich der Finanzierung der Ärzte und der Krankenhäu-
ser. Das kann man alles wollen; aber zur Wahrheit gehört
dazu, den Versicherten und Patienten zu sagen, dass das
mehr kostet. Diesen Teil jedoch lassen Sie in der Diskus-
sion immer weg.
Herr Kollege Spahn, möchten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Bender zulassen?
Bitte schön.
Herr Kollege Spahn, Sie sprachen davon, dass Bei-
tragssatzsteigerungen in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung drohen könnten. Sind Sie bereit, zuzugeben,
dass solche Beitragssatzsteigerungen durch Ihre Politik
drohen könnten,
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Ich bin bereit, zuzugeben, dass in der Zukunft weitereeitragssatzerhöhungen drohen können.
ber es geht erst einmal um die Situation, wie sie sicheute darstellt.
s geht darum, dass wir bis zum Jahreswechsel die Kos-en und die Beitragssätze im Griff behalten müssen, ver-hrte Frau Kollegin Bender.Insbesondere in den Entschließungsanträgen der Grü-en und der FDP werden an der einen oder anderentelle grundlegende Veränderungen gefordert. Selbstenn Sie grundlegende Veränderungen bekämen, kämenie nicht von heute auf morgen. Sie müssten mit der Si-uation, wie wir sie heute haben, umgehen und auf jedenall darlegen, wie Sie die Beitragssätze stabil haltenollen,
der aber, wie ich es gerade schon erwähnte, den Versi-herten ehrlich sagen – das sollten auch all die, die zuemonstrationen aufrufen –, dass es am Ende mehr kos-en wird.Meine dritte Anmerkung ist die, dass viele der Maß-ahmen im Sinne der Beitragssatzstabilität natürlichicht schön, aber notwendig sind, etwa wenn es um einreismoratorium oder Zwangsrabatte geht. Wir haben iner Frage der Festbetragsregelung eine Berichtspflichtingebaut. Ich bin gern dazu bereit – und ich glaube, dieoalition ist es auch –, im Zuge des Berichtes über allie Instrumente, die uns im Arzneimittelbereich zur Ver-ügung stehen, zu sprechen und zu schauen, welches da-on unser Ziel effektiv erreicht und am Ende in klarend deutliche Regelungen umgesetzt werden kann.Zu der Bonus-Malus-Regelung und den Veränderun-en, die insbesondere in den letzten Tagen vorgenom-en wurden und die in den öffentlichen Darstellungenowohl im Parlament wie außerhalb des Parlamentesielfach nicht gewürdigt worden sind, hat die Kolleginidmann-Mauz schon einiges gesagt. Ich finde den Hin-eis sehr wichtig, dass es die Möglichkeit gibt, vor Orton den Regelungen abzuweichen und eigene Regelun-en zu treffen, die unserem Ziel, die Kosten in vertretba-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1539
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Jens Spahnrem Maße – es geht ja nicht darum, dass es überhauptkeine Kostensteigerung geben darf – zu halten, gerechtwerden.
Die Regelung berücksichtigt Besonderheiten bei be-stimmten medizinischen Notwendigkeiten. Wenn es umWirkstoffe geht, tragen wir in jedem Fall dem Bedürfnisnach Therapiefreiheit Rechnung; das wollen wir auch.Viertens möchte ich die guten Ansätze, die dieses Ge-setz beinhaltet und die auch Sie unterstützen müssten,unterstreichen. Es geht um den Preiswettbewerb im Be-reich der nicht verschreibungspflichtigen Medika-mente, im OTC-Bereich, in dem wir die Naturalrabatteverbieten. Es gehört auch zur Wahrheit, dass Preis- undMengenrabatte in diesem Bereich in Zukunft vollum-fänglich möglich sind. Das müssten Sie doch mit kom-munizieren. Wir erhoffen uns, dass die möglichen Di-mensionen innerhalb der Preisbildung nicht nur beidenen, die in der Leistungserbringung oder in den Ver-triebsstrukturen sind, ankommen, sondern auch bei denVersicherten. Denn eine Preissenkung hat es in diesemBereich bis jetzt nicht gegeben.
Beim Punkt Innovation stellt sich die Frage: Was isttherapeutische Verbesserung und welche Studien sindvorzulegen? Es geht nicht nur um Endpunktstudien, wiesie etwa im Bereich HIV nur bedingt sinnvoll sind, wennes um neue Medikamente geht, sondern eben auch da-rum, dass es möglich sein muss, international anerkannteStudien vorzulegen. Damit wird im Übrigen den Anlie-gen chronisch Kranker Rechnung getragen. Sie, dieLinke, sind dafür bekannt, dass Sie immer gern und vielauf die Pharmaindustrie schimpfen; so haben Sie es auchgerade getan. Aber gerade chronisch kranke Menschenprofitieren doch davon, dass es Innovationen und neueMedikamente gibt.
Deswegen müssen wir zwischen den Innovationen, dieuns tatsächlich nach vorne bringen und eine bessere Be-handlung von chronisch kranken Menschen ermögli-chen, und denen, die das eher nicht tun, sauber trennen.Fünftens und abschließend möchte ich sagen, dassdies natürlich ein Gesetz ist, das noch ein Stück weit inder alten Tradition von Spargesetzen steht, die vor allemunter dem Druck des Beitragssatzes entstehen.Deswegen lade ich Sie alle herzlich ein, gemeinsammit uns an einer großen Reform zu arbeiten, die demZiel näher kommt, aus dieser Beitragssatzdynamik unddieser Kostensenkungsdynamik herauszukommen, lohn-unabhängiger zu finanzieren, mehr Wettbewerb, vor al-lem mehr Wettbewerb um Qualität, zuzulassen unddamit das Potenzial, das schon heute angesichts von4,2 Millionen Beschäftigten in dieser Branche liegt, zusteigern.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,wenn Sie heute dabei helfen, den Beitragssatz stabil zuhwlFGiDsdmugmOuGGemdsEdussWDmGgDßidgSBsfhbGs
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachtenesetzentwurf zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeitn der Arzneimittelversorgung auf Drucksache 16/194.er Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Ziffer 1einer Beschlussempfehlung auf der Drucksache 16/691,en Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh-en. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen,m das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-en? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratungit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen derpposition angenommen.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –egenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-ntwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-en der Opposition angenommen.Unter Ziffer 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlter Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –nthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung miten Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der FDPnd der Fraktion Die Linke bei Enthaltung des Bündnis-es 90/Die Grünen angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-chließungsanträge.Entschließungsantrag der FDP auf Drucksache 16/697.er stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –amit ist dieser Entschließungsantrag mit den Prostim-en der FDP bei Enthaltung des Bündnisses 90/Dierünen und bei Gegenstimmen im Rest des Hauses ab-elehnt.Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke aufrucksache 16/698. Wer stimmt für diesen Entschlie-ungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damitst dieser Entschließungsantrag abgelehnt. Dafür habenie Abgeordneten der Fraktion Die Linke gestimmt. Da-egen haben die Abgeordneten von FDP, CDU/CSU undPD gestimmt. Enthalten hat sich die Fraktion desündnisses 90/Die Grünen.Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnis-es 90/Die Grünen auf Drucksache 16/699. Wer stimmtür diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe! – Ent-altungen? – Dieser Entschließungsantrag ist abgelehntei Prostimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Dierünen, Enthaltung der Fraktion Die Linke und Gegen-timmen im Rest des Hauses.
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1540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtDamit rufe ich Tagesordnungspunkt 19 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten BrigittePothmer, Dr. Thea Dückert, Kerstin Andreae,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENProgressiv-Modell statt Kombilohn– Drucksache 16/446 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für GesundheitHaushaltsausschussInterfraktionell ist für die Aussprache zu diesem Ta-gesordnungspunkt eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazuhöre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätzeeinzunehmen bzw. ihre Wochenendverabredungen drau-ßen zu treffen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derKollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ausdem Problem der Massenarbeitslosigkeit ist in Deutsch-land leider längst eine Dauerkatastrophe geworden.
Diese Dramatik wird noch dadurch gesteigert, dass dieZahl der Langzeitarbeitslosen ständig zunimmt. Dabeihandelt es sich um eine Gruppe, die überwiegend sehrschlecht ausgebildet ist oder gar keine Ausbildung hat.Aufgrund der wirklich mangelhaften Ausbildungs- undBildungssituation in Deutschland steigt die Zahl derLangzeitarbeitslosen leider von Jahr zu Jahr. Paralleldazu schwinden die Arbeitsplätze, insbesondere solchemit einfachen Anforderungen. Deshalb muss es vor allenDingen um eines gehen: zu klären, wie wir die Voraus-setzungen dafür schaffen können, dass insbesondere fürdie Gruppe der gering Qualifizierten Beschäftigungs-angebote entstehen.
– Herr Kolb, die FDP-Fraktion hat in Deutschland sehrlange mitregiert.
– „Das waren gute Zeiten“? Herr Kolb, über Ihre Defini-tion davon, was gute Zeiten sind, müssen wir hier nocheinmal reden. Jedenfalls ist das, was damals gut war,hFpgSDpAALzpdddddmaldwwDDWgtDuWdDmsadn
eute offensichtlich schlecht. Sie hängen doch Ihreahne nach dem Wind!Die Hauptursache für den Mangel an solchen Arbeits-lätzen muss in den hohen Sozialversicherungsbeiträgenesehen werden. Diese sind übrigens auch unterchwarz-Gelb ständig angestiegen, Herr Kolb!
ie hohen Lohnnebenkosten machen diese Arbeits-lätze für die Arbeitgeber unwirtschaftlich und für dierbeitnehmer unattraktiv. Das Ergebnis ist ein ständigesnwachsen der Schwarzarbeit.
Wir schlagen mit unserem Progressivmodell vor, dieohnnebenkosten im unteren Einkommensbereich ge-ielt zu senken, und zwar nicht um 1 oder 2 Prozent-unkte – das würde gar keine Wirkung entfalten –, son-ern nach der Formel „Je geringer das Einkommen,esto geringer auch die Sozialabgaben“. Wir glauben,ass wir damit insbesondere im unteren Lohnbereicheutlich bessere Ergebnisse erzielen werden, als es mitem von der CDU favorisierten Kombilohnmodell jeöglich wäre.Wir lehnen dieses Kombilohnmodell übrigens nichtus ideologischen Gründen ab. Sie können sich viel-eicht noch daran erinnern, dass wir Grünen seinerzeitafür waren, Kombilohnmodelle auszuprobieren. Aberir müssen nach der Probephase zur Kenntnis nehmen,ie die Ergebnisse sind:
ie Ergebnisse sind grottenschlecht.
eswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie die Finger davon!ir wissen doch inzwischen, dass Kombilohnmodelleeradezu absurd teuer sind: Je nach Ausgestaltung kos-en sie 35 000 bis 70 000 Euro pro Jahr.
as ist ein Vielfaches von dem, was die Leute in diesemnteren Lohnbereich verdienen.Kombilohnmodelle setzen außerdem falsche Anreize:ir haben die berechtigte Sorge, dass durch diese Mo-elle Arbeit generell zu subventionierter Arbeit würde.as können wir nicht wollen. Kombilohnmodelle, zu-indest in großem Umfang, sind in Deutschland ge-cheitert; das ist das Ergebnis.Mit dieser Skepsis stehen wir Grünen wahrlich nichtlleine da. Dass wir uns allerdings in Gemeinschaft miter FDP wieder finden, lässt mich noch einmal darüberachdenken, ob wir uns richtig positioniert haben.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1541
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Brigitte Pothmer
Wenn aber die Bundesagentur für Arbeit dagegen ist,wenn die Arbeitgeberverbände, die Gewerkschaften, dieMitglieder des Sachverständigenrates und große Teileder SPD-Fraktion dagegen sind, dann muss doch klarsein: Die Einführung von Kombilohnmodellen wäre eingroßer Fehler.
Sie müssen bitte zum Schluss kommen, Frau
Pothmer.
Ich komme zum Schluss.
Ich will nur noch darauf hinweisen, dass bei der Ein-
führung unseres Progressivmodells auch die Mini- und
die Midijobs, deren Fehler sich im Rahmen der Evaluie-
rung von Hartz IV gezeigt haben, integriert wären. Da-
mit hätten wir den Vorteil, dass alle, die in diesem Be-
reich arbeiten, sozialversichert wären – ab dem ersten
Euro. Das ist sicher nicht umsonst zu haben; nach unse-
ren Schätzungen kostet es etwa 13 Milliarden Euro.
Doch das wäre nur ein Bruchteil von dem, was Kombi-
lohnmodelle an Kosten verursachen würden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Michael Hennrich, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Frau Pothmer, ich fühle mich an alte Zei-ten zurückerinnert, als es unter Rot-Grün Schnellschüsseen masse gab, bei denen dann permanent nachgebessertwerden musste.
Die SPD hat dazugelernt, sie ist auf den Pfad der Tugendzurückgekehrt und lässt sich Zeit. Bei Ihnen aber musses immer noch schnell gehen.Sie legen uns heute ein Modell vor, bei dem allenfallsnoch der Name ein gewisses Interesse weckt. Was sichdahinter versteckt, ist aber eine Luftblase.
– Doch, dazu kommen wir jetzt gleich noch.darizzR–pn–bPDJdcDadusD–lsguHdWfuvl
Wir müssen jetzt ja Rücksicht auf unseren Koalitions-artner nehmen. Deswegen sagen auch wir nur: Es waricht ganz so doll.
Ja, die zentralen Teile. Bei dem, was gescheitert ist, ha-en wir eben nicht mitgemacht. Denken Sie nur an dieersonalserviceagenturen: ein Verriss sondergleichen.as haben wir vom ersten Tag an angemahnt.
etzt laufen wir wieder in genau die gleiche Richtung.Der Evaluierungsbericht zu Hartz I bis III sollte unseutlich gemacht haben, dass wir jetzt Reformen brau-hen, die greifen.
a wir Reformen brauchen, die greifen, müssen wir sieuch sachlich durchdiskutieren und erörtern. Wir müssenas Pro und Contra abwägen
nd es nicht so machen, wie Sie, nämlich einen Schnell-chuss in die Welt setzen und sich dann wieder von deriskussion verabschieden.
Ja, ja, aber wir sind ja noch am Anfang dieser Legis-aturperiode, lieber Herr Kolb.
Ihre Analyse zum Niedriglohnsektor und zur Be-chäftigungsquote ist richtig. Sie sagen, die Beschäfti-ungsquote im Hinblick auf die Langzeitarbeitslosennd die Geringqualifizierten ist immer noch zu gering.ier sind wir vollkommen d’accord. In einem entschei-enden Punkt liegen Sie meines Erachtens aber falsch.enn Sie sagen, die Lohnzusatzkosten seien der Grundür die schwache Beschäftigung der Geringqualifiziertennd der Langzeitarbeitslosen, dann haben Sie das Themaerfehlt. Ich möchte Ihnen das an zwei Beispielen deut-ich machen.
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1542 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Michael HennrichZunächst aus Sicht der Arbeitgeber: Schauen Sie sichdas Grenzgebiet zu Tschechien an. Wenn ein Arbeitneh-mer in Bayern 8 Euro verdient, während man hinter derGrenze in der Slowakei oder in Tschechien vielleichtzwischen 3 und 5 Euro Lohn erhält, dann spielen Sozial-abgaben in Höhe von 10, 15 oder 20 Prozent nur eine ab-solut untergeordnete Rolle. Dieses Beschäftigungsver-hältnis wird nicht attraktiv.
– Stopp, stopp!Das zweite Beispiel ist aus Sicht der Arbeitnehmer:Schauen Sie sich das heutige System mit Hartz IV an.Ein vierköpfiger Familienvater – –
– Sie wissen, wie ich das gemeint habe. – Schauen Siesich einen Familienvater an, dessen Familie vier Perso-nen umfasst – es sind also zwei Kinder, lieber HerrKolb – und dessen Stundenlohn, so nehmen Sie an,9 Euro beträgt. Er arbeitet 160 bis 170 Stunden im Mo-nat. Dadurch kommt er auf einen durchschnittlichenBruttolohn von circa 1 500 Euro. Das ist genau der Be-trag, den er heute schon durch Hartz IV erhalten würde.Auch er hat also keinen Anreiz, eine Tätigkeit aufzuneh-men, weil er dieses Geld ja bekommen kann, ohne dasser arbeitet. Auch für ihn spielen die Sozialversicherungs-abgaben im Grunde genommen überhaupt keine Rolle. –Das sind nur zwei Beispiele, die ich erwähnen wollte.Jetzt möchte ich aber auch noch ein paar Fragen zuIhrem Antrag aufwerfen. Sie haben hier formuliert, dasszusätzliche Steuergelder in Höhe von 13 Milliarden Euroerforderlich sind.
Meine erste Frage lautet: Woher nehmen Sie die?
– Seien Sie doch bitte mal konkret. Wir wollen hier eineernsthafte und seriöse Politik betreiben. Deshalb bitteich Sie einmal, diese Frage ganz konkret zu beantworten.
Meine zweite Frage, Frau Pothmer: Völlig ungeklärtist auch, wie sich die Situation im Alter darstellt, wenndie betroffenen Personen keine Rentenversicherungsbei-träge mehr zahlen. Wer keine Rentenversicherungsbei-träge zahlt, erwirbt auch keine Rentenansprüche.
–zssbsmcdbDtHhzmwBAz–GuEsddWmenwIKb
Diese Problembereiche zeigen uns deutlich, dass die-er Antrag wenig durchdacht ist. Wie gesagt, damit ha-en Sie einen Schnellschuss in die Welt abgegeben. Voneriöser Politik haben Sie leider Gottes Abstand genom-en.
Ich stimme Ihnen völlig zu, dass wir ein Modell brau-hen, das Lohndumping eindämmt. Deswegen solltenie Transferleistungen meiner Meinung nach beim Ar-eitnehmer und nicht beim Arbeitgeber ankommen.
iese Diskussion müssen und werden wir in der nächs-en Zeit seriös führen. Wir haben gesagt, dass wir imerbst ein Konzept vorlegen.Aber ich möchte noch auf einen Punkt ganz deutlichinweisen: Wir dürfen nicht dem Irrglauben unterliegen,u denken, mit einem Kombilohn- oder Progressiv-odell könnten alle Probleme in unserem Land gelösterden. Wir brauchen flankierende Maßnahmen, umaustellen wie die Deregulierung am Arbeitsmarkt, denrbeitsschutz oder den Kündigungsschutz in den Griffu bekommen.
Ich freue mich, dass Sie applaudieren.Wir müssen Bürokratie konsequent abbauen. Dieenehmigungsverfahren sind zu lang. Wer sich heute innserem Land selbstständig machen will, braucht für dasinholen der Genehmigung 46 Tage. In anderen europäi-chen Ländern – um das einmal zu vergleichen – dauertas zwischen zwei und zehn Tagen. Das ist ein entschei-ender Unterschied. Wir müssen darüber hinaus mehrert auf Qualifizierung und Weiterbildung legen.Ich habe nur einige Punkte angerissen, um deutlich zuachen, wo die Baustellen der Zukunft liegen. Sie habeninen kleinen Teilaspekt herausgegriffen, ohne dies in ei-em Gesamtzusammenhang zu sehen. Deswegen lehnenir Ihren Antrag ab.
ch hoffe, Sie kehren auf den Pfad der Tugend zurück.onzentrieren Sie sich wieder auf das Wesentliche undringen Sie inhaltlich ausgereifte Vorschläge ein!Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Dirk Niebel, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich höre gerade den Zwischenruf „Mehrwert-steuer“ vonseiten der Sozialdemokratie. Sie werden da-mit leben müssen, dass Sie vor der Wahl etwas anderesgesagt haben als das, was Sie hinterher machen.
Natürlich wird auch die Frage der Mehrwertsteuererhö-hung in dieser Debatte einen wesentlichen Bestandteilmeiner Ausführungen einnehmen; da können Sie gewisssein.
Nichtsdestotrotz ist der Ansatz, den die Fraktion desBündnisses 90/Die Grünen mit ihrem Antrag verfolgt,falsch. Sie will die Sozialversicherungsbeiträge im unte-ren Einkommenssegment absenken und erst ab einemBruttoeinkommen von mehr als 2 000 Euro bei Sozial-versicherungsabgaben von insgesamt 42 Prozent ankom-men. Das ist grundsätzlich falsch, weil die Belastungvon Arbeit mit Steuern und Abgaben in diesem Landinsgesamt zu hoch ist.
Sie bleiben in dem Korsett, unter dem wir schon jetzt lei-den und das unter Ihrer Regierungszeit noch enger ge-schnürt worden ist – dabei haben Sie die Energiekostenvon Arbeit sogar herausgerechnet –, anstatt zu sagen:Wir brauchen einfache, niedrige und gerechte Steuernund wir müssen die Beiträge zu den sozialen Sicherungs-systemen in den Griff bekommen.
Wir Liberale haben in zwei Bereichen Vorschläge ge-macht. Wir sind der festen Überzeugung: Kombilöhneals flächendeckendes Modell werden das Problem derMassenarbeitslosigkeit gerade für Geringqualifiziertenicht dauerhaft lösen, auch wenn zum Beispiel ältere Ar-beitnehmer durch einzelne solcher Elemente – das ent-nehmen wir dem Evaluierungsbericht – in einem be-grenzten Umfang durchaus wieder integriert werdenkönnen.Wir müssen den Menschen und den Betrieben mehrvon ihrem selbst verdienten Geld übrig lassen, um soMöglichkeiten für Investitionen und Konsum zu schaf-fen. Deswegen haben wir vorgeschlagen und werden esauch in dieser Legislaturperiode in den Bundestag ein-bringen: ein einfaches, niedriges und gerechtes Steuer-system mit einem Grundfreibetrag von 7 700 Euro fürjeden Menschen, egal ob klein oder groß, und mit einemStufentarif mit drei Stufen von 15, 25 und 35 Prozent.Das ist einfach: Jeder, der weiß, was er verdient, weiß,was er an Steuern zu zahlen hat. Die Steuersätze sindniedrig, sodass jedem Steuerzahler mehr bleibt als beider heutigen Regelung,u5zgghadGkakdtDmWbzeüzwmTgDvdWmfgWtkWSMtbmMm
nd das System ist gerecht, weil 35 Prozent von0 000 Euro mehr sind als 35 Prozent von 15 000 Euro.
Wir wollen das alles kombinieren, um die Menschenu unterstützen, die derzeit vom Arbeitsmarkt ausge-renzt werden. Statt Kombilöhne zu planen oder ein Pro-ressivmodell zu entwickeln, das nur an den Symptomenerumdoktert, stellen wir zunächst einmal fest: Es gibtuf dem deutschen Arbeitsmarkt einen Bereich, der iner legalen Wirtschaft nicht nachgefragt wird, weil dieesamtkosten der Arbeit zu hoch sind. Bestimmte Tätig-eiten werden hier in der legalen Wirtschaft nicht mehrngeboten.Weil wir aber wissen, dass dauerhafte Arbeitslosig-eit Freiheitsberaubung ist, wollen wir den Menschenie Möglichkeit geben, wenigstens einen Teil ihres Un-erhalts wieder durch eigene Arbeit zu erwirtschaften.
eswegen haben wir das so genannte Bürgergeld-odell vorgeschlagen.
ir haben von unserem Herrn Bundespräsidenten eineemerkenswerte und für uns sehr erfreuliche Unterstüt-ung bekommen, als er Ende des vergangenen Jahres ininem Interview im „Stern“ angeregt hat, in Deutschlandber ein System der negativen Einkommensteuer nach-udenken.In dem von uns vorgeschlagenem Bürgergeldmodellerden Einkommensteuer und Transfersystem zusam-engefasst. In Deutschland gibt es 138 steuerfinanzierteransferleistungen – sehr große wie das Arbeitslosen-eld II, aber auch sehr kleine wie die Heizkostenbeihilfe.iese 138 steuerfinanzierten Transferleistungen werdenon 45 verschiedenen Behörden verwaltet. Wer da nochurchblickt, ist so clever, dass er die Hilfe nicht braucht.er aber Hilfe braucht, der blickt in dem System nichtehr durch. Das müssen wir ändern.
Deswegen müssen wir die steuerfinanzierten Trans-erleistungen mit dem Steuersystem verbinden. Wer eineringes Einkommen hat, weil seine Arbeit eine geringeertschöpfung aufweist – notwendig sind produktivi-ätsorientierte Löhne –, dem wird eine negative Ein-ommensteuer angerechnet. Wer leistungsfähig ist undert schöpfende Löhne erzielen kann, der unterliegt derteuerpflicht. Das ist vernünftig, weil wir damit denenschen unterstützen statt einen Arbeitsplatz oder Be-rieb. Das würde nur zu einem Downgrading der Ar-eitsplätze in Bezug auf die Bezahlung und zu Mitnah-eeffekten führen.
Die Grünen schlagen ein Modell vor, in dem dieini- und Midijobs absorbiert werden. Das ist in arbeits-arktpolitischer Hinsicht Unsinn, weil erstens die
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1544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Dirk NiebelMinijobs nach sieben Jahren rot-grüner Regierung dieeinzigen noch verbliebenen flexiblen Möglichkeiten amArbeitsmarkt sind. Sie haben nämlich den gesamten Ar-beitsmarkt zubetoniert. Es ist auch deshalb Unsinn, weilzweitens durch die Minijobs zumindest die Schwarz-arbeit eingedämmt worden ist. Dadurch haben Men-schen wieder Zugang zur legalen Wirtschaft gefunden.Das Prinzip erklären Sie in Ihrem Antrag auch für rich-tig, nämlich die Entlastung der Einkommen im Bereichgering bezahlter Tätigkeiten.Wir schlagen in unserem Bürgergeldkonzept vor, dieGrenze für Minijobs von 400 Euro auf 600 Euro zu erhö-hen und das Ganze in das geplante Steuer- und Transfer-system aus einem Guss zu integrieren, um die Chancenzur Erwerbsaufnahme im Bereich gering qualifizierterBeschäftigung in der legalen Wirtschaft im Inland zu er-höhen.Deswegen können wir dem Modell in seiner jetzigenFassung nicht zustimmen.Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat Gabriele Lösekrug-Möller, SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Seit neun Uhr heute Morgenverfolgen viele diese Plenardebatte. Was denken siewohl über uns? Wenn sie den Wortbeiträgen der Opposi-tionsparteien zuhören, dann meinen sie sicherlich, dassheute ein Tag der Vereinfachung ist. Denn Ihre Beiträgewaren von Vereinfachung und Schlichtheit geprägt undes war auch hin und wieder Nachhilfe nötig. Aber auchdas gehört sicherlich zu einer Plenardebatte.Es mag aber auch als ein Tag des Verschwendens er-scheinen, wenn wir uns in Erinnerung rufen, worüberwir seit neun Uhr heute Morgen diskutieren: Wir disku-tieren aus gutem Grund über arbeitsmarktpolitischeAspekte und Argumente – es ist bitter nötig, darüber zureden –, aber nun steht der Antrag der Grünen zur Dis-kussion. Sein Titel klingt sehr fortschrittlich; wer kannschon gegen ein Modell sein, das sich „progressiv“nennt. Das muss doch wohl Fortschritt pur enthalten.Aber schon die ersten fünf Punkte machen deutlich, dasssich das Progressive auf die Überschrift beschränkt.Frau Pothmer, Sie haben unterstrichen, dass Sie be-reits eine klare und abschließende Einschätzung haben.Wie Sie dazu gekommen sind, weiß ich nicht. Jedenfallsgehen Sie wohl davon aus, dass es sich nicht lohnt, dieIdee von Kombilöhnen zu verfolgen. Das erscheint Ih-nen als kleinliche Lösung. Sie aber sind für den großenWurf. Das finde ich gut.Ich denke, Sie haben sich mit Ihrem Antrag Skandi-navien zum Vorbild genommen. Sie glauben sicherlich,wenn das Modell umgesetzt wird, dann schaffen unsereUsTsSlmzsezkdK–HdvwinfdlsszvdddhAdEKPgwsndsDKK5Dsddlwde
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1545
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Das ist das gewesen, was heute auf den Tisch flattert undhier zu beraten ist. Es ist keinen Deut anders als der Vor-schlag des letzten Jahres. Der Vorschlag ist so ungenü-gend und undetailliert wie vor einem Jahr.
Deshalb sage ich: Gut, dass wir heute darüber geredethaben. Etwas schade um die Zeit. Ich bin sehr gespannt,ob es Ihnen gelingen wird, einen Gesamtzusammenhangherzustellen. Das Ganze muss sich nicht nur für die ge-samte Gesellschaft rechnen, sondern auch für den Staat;denn mit den 13 Milliarden Euro sind Sie an der unterenGrenze dessen, was man überhaupt kalkulieren kann. Ichfürchte, es würde wesentlich mehr kosten. Abgesehendavon geht es um die Etablierung eines Systems, überdessen Sinnhaftigkeit man genau nachdenken sollte. An-dere europäische Staaten haben anders finanzierte So-zialversicherungssysteme. Sie haben zwar abgeschrie-ben, aber wenn man abschreibt, dann sollte man richtigabschreiben und nicht so wie Sie.Vielen Dank.
FKfDDag–IntStnAeAKvTdoMrddsAAmKlKwBneeD
as ist ohne Zweifel eine innovative Leistung.
as Wort „progressiv“ bezieht sich zwar in erster Linieuf den Anstieg der Sozialabgabensätze, es soll aber ir-endwie nach Fortschritt klingen.
Frau Pothmer, entschuldigen Sie bitte, aber ich kannhnen den Vorwurf nicht ersparen, dass Sie uns unter dereuen Überschrift Ihres so genannten Progressivmodellsatsächlich alten Wein in neuen Schläuchen servieren.
ie behaupten, Ihr Modell sei eine Alternative zu tradi-ionellen, auch hier in der Debatte bereits angesproche-en Kombilohnkonzepten. Kombilohnmodelle in derrt, wie wir sie auch hier gehört haben, sind zunächstinmal nichts anderes als eine staatliche Subvention.uch Ihr Modell sieht staatliche Subventionen vor.ombilohnmodelle beinhalten eine Subventionierungon Löhnen und Sozialabgaben. Ihr Modell will eineneil der Sozialabgaben subventionieren. Kombilohnmo-elle sehen ab einer Einkommensgrenze die Reduktionder den vollständigen Wegfall der Subvention vor. Ihrodell will das auch. Mir erschließt sich nicht, was da-an wirklich progressiv oder neu ist. Allein ein Blick aufie Bilanz von Kombilöhnen hätte Ihnen zeigen können,ass es vollkommen unzureichend ist, untauglichen In-trumenten zumindest dieser Art einfach nur einen neuennstrich zu verpassen. Wenn Sie den CO2-Austoß Ihresutos reduzieren wollen, fangen Sie doch auch nicht da-it an, Ihren Wagen grün zu streichen.Was lehren uns die Erfahrungen mit den diversenombilohnmodellen, soweit wir sie bisher überhaupt bi-anzieren können? Die Arbeitsmarktstatistik zeigt, dassombilöhne traditioneller Art nicht zu einem nennens-erten Aufbau von Beschäftigung geführt haben. Dieeispiele sind genannt worden. So ist etwa das so ge-annte Mainzer Modell, auch mit Ihrer Unterstützungingeführt, kaum nachgefragt worden. Es wurden nichtinmal 20 000 Beschäftigungsverhältnisse gefördert.ieser Misserfolg – das sollten sich die Kolleginnen und
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Werner DreibusKollegen der Grünen bei ihren Kombilohnfantasien mitder Marke „progressiv“ ins Gedächtnis rufen – hat be-reits im Jahr 2003 zur Einstellung des Mainzer Modellsgeführt.Mein Fazit lautet zunächst jedenfalls: Diese Art vonKombilöhnen schafft keine Arbeitsplätze. Kein Unter-nehmen beschäftigt Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer, weil sie billiger oder teurer sind, sondern nur dann,wenn tatsächlich zusätzliche Arbeit – also Nachfrage –vorhanden ist.
An der Stelle ein Hinweis auf Ihre Begründung: Sieschreiben, Hauptursache für den Mangel an solchen Ar-beitsplätzen seien vor allem die höheren Sozialversiche-rungsabgaben. Nun einmal in allem Ernst: Es ist dochwirklich unter Niveau, auch unter Ihrem Niveau,
davon auszugehen, dass es an den Sozialversicherungs-abgaben liegt, dass wir zu wenig Arbeitsplätze haben.
Kombilöhne sind eine Subvention für die Unterneh-men, nicht für die Arbeitnehmer. Die Unternehmen wer-den solche Subventionen kassieren, eventuell Arbeitsloseeinstellen, aber – wenn es keine zusätzliche Nachfragegibt – zu teure Beschäftigte entlassen. Kombilöhne setzendamit zwangsläufig eine Lohnspirale nach unten in Gang.Das schwächt die Nachfrage und führt eher zu weiterenArbeitsplatzverlusten – ganz abgesehen von den horren-den Kosten dieser Subventionen. Herr Steinbrück wirdsich freuen.Unsere Position ist: Wir brauchen eine andere Be-schäftigungspolitik, eine andere Wirtschaftspolitik, Re-allohnsteigerungen und eine deutliche Stärkung derMassenkaufkraft, eine Erhöhung der öffentlichen In-vestitionen und den Ausbau eines modernen Dienstleis-tungssektors. Außerdem brauchen wir – das sage ich andiesem Freitag ganz bewusst, auch aus aktuellen Grün-den – keine Arbeitszeitverlängerung, sondern eine Ar-beitszeitverkürzung, um den geringeren Arbeitsumfangbesser und gerechter zu verteilen und mehr Beschäfti-gung zu schaffen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Zwischen den Fraktionen ist die Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 16/446 an die in der Tagesord-
nung ausgeführten Ausschüsse verabredet. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.
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Sie erinnern sich sicherlich daran.Die noch anhängigen Klageverfahren sollen AnfangMärz entschieden werden. Ich möchte Sie wirklich bit-ten, nach Rechtskraft dieser Urteile das Ihnen direkt un-terstellte Bundesamt für Strahlenschutz anzuweisen, so-fort den Antrag auf eine Nutzung zu stellen und dieInbetriebnahme des Schachts Konrad auf den Weg zubringen.
Das ist, finde ich, erforderlich, weil sonst die Notwen-digkeit von Umkonditionierungen droht, was noch ein-mal wieder Kosten verursacht.Als möglicher Endlagerstandort für hoch radioak-tive Abfälle – das sind die abgebrannten Brennstäbe ausden Kernkraftwerken – wurde seit 1979 das Forschungs-lager Gorleben erkundet. Die wissenschaftlichen Erkun-dungen sind weit fortgeschritten. Investitionen in Höhevon 1,4 Milliarden Euro wurden getätigt. Herr Minister,ich fordere Sie auf, das Moratorium, welches von Ih-rem Vorgänger im Jahre 2000 verhängt wurde, sofortaufzuheben und die Erkundung unverzüglich weiterzu-führen, natürlich ganz ausdrücklich ergebnisoffen.
– Herr Trittin, hören Sie doch bitte zu!Als Begründung für das Moratorium wurden vom da-maligen BMU unter Beteiligung des Bundesamts fürStrahlenschutz und der RSK insgesamt zwölf konzeptio-nelle und sicherheitstechnische Fragestellungen, so ge-nannte Zweifelsfragen, formuliert. Die Ergebnisse derKlärung dieser Zweifelsfragen wurden im September2005 von den Fachleuten zugestellt. Es wurde des Weite-ren ein nicht öffentlicher Workshop veranstaltet, auf demnochmals diskutiert und bewertet wurde. Der Synthese-bericht wurde am 4. November 2005 vorgelegt.In dem Bericht wird ganz eindeutig festgestellt, dassalle zwölf Fragen abgearbeitet und beantwortet sind. Indem Bericht wurde kein Negativvotum für Gorlebenausgesprochen. Damit wurden eigentlich die wissen-slemdwaHdfckUdBtrgviAnCubddEt
Dies ist, wie Sie, meine Damen und Herren, sicherlichemerkt haben, ein Zitat aus dem Koalitionsvertrag. Aufie Verdeutlichung dieses Sachverhalts haben Mitgliederer Bundesregierung zu Anfang dieses Jahres einigenergie verwendet. Diese Frage ist zwischen den Koali-ionspartnern – das ist klar – unstrittig strittig.
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Dr. Maria FlachsbarthIch zitiere weiter aus dem Koalitionsvertrag:Deshalb kann die am 14. Juni 2000 zwischen Bun-desregierung und Energieversorgungsunternehmengeschlossene Vereinbarung … nicht geändert wer-den.Das heißt, die Koalition hat noch einmal unterstri-chen, dass die friedliche Nutzung der Kernenergie inDeutschland für die nächsten beiden Jahrzehnte festge-schrieben ist und eine Strommenge von über1 600 Terawattstunden aus Kernenergie erzeugt werdensoll.Zur Erinnerung: Derzeit werden circa 28 Prozent desStroms durch Kernenergie erzeugt. Auch wenn diesesLand den Anschein erweckt, es habe sich längst aus derKernenergie verabschiedet, profitiert es derzeit und zu-mindest auch noch in den kommenden beiden Jahrzehn-ten von relativ preiswertem Strom aus Kernenergie.
Daher ist es eine Frage von ethischer Dimension, eineFrage von Generationengerechtigkeit, dass die heutigeGeneration, die von Kernkraft unmittelbar profitiert, dieKehrseite der friedlichen Nutzung der Kernenergie,nämlich die Beseitigung der langlebigen und hochgifti-gen Abfälle, nicht den kommenden Generationen über-lässt. Deshalb hat sich die große Koalition – ich zitiereerneut aus dem Vertrag, den wir geschlossen haben –zur nationalen Verantwortung für die sichere Endla-gerung radioaktiver Abfällebekannt und vereinbart,die Lösung dieser Frage zügig und ergebnisorien-tiertanzugehen und nochin dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zukommen.Neben den radioaktiven Abfällen, die bei der Strom-erzeugung anfallen und stark Wärme entwickelnd sind,fallen bei der Anwendung von Radioisotopen in Indus-trie, Gewerbe und Medizin zum Beispiel im Rahmen derKrebstherapie, aber auch im Rahmen von Computerto-mographien schwach oder mittel Wärme entwickelndeAbfälle an, übrigens auch und gerade bei der Forschung.Die will die neue Regierung ja insbesondere im Rahmender Sicherheitsforschung – dazu verweise ich ein letztesMal auf den Koalitionsvertrag – intensivieren. Deshalbwird sich auch hier das Abfallaufkommen bzw. -volu-men möglicherweise noch erhöhen.Derzeit werden alle radioaktiven Abfälle in – natür-lich – oberirdischen Zwischenlagern gesammelt, unterInkaufnahme entsprechender Kosten sowie einer Ge-fährdung durch Unfälle oder gar Attentate. Die Lösungder Endlagerfrage steht also gerade auch aus diesenGründen an.
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nd bei Rechtssicherheit die anstehenden politischenntscheidungen treffen.
s gibt aus meiner Sicht überhaupt keinen Grund, dieundesregierung zum Handeln zu mahnen, zumal es dieamalige niedersächsische Regierung Gabriel war, dieen Planfeststellungsbeschluss im Juni 2002 für dasndlager Konrad genehmigt hat.Bezüglich eines Endlagers für hoch radioaktive Ab-älle sind im so genannten Ausstiegsvertrag Zweifels-ragen benannt, die vor einer weiteren Erkundung desalzstocks Gorleben ausgeräumt werden müssten. Zuiesem Ziel wurde das drei- bis maximal zehnjährigeoratorium vereinbart. Nun ist man dabei, letzte Zwei-el, die noch bestehen, auszuräumen. Da an der Ernsthaf-igkeit und Vertragstreue der Bundesregierung keineweifel bestehen, wird man dann auch Gorleben, wo seit979 erkundet wird, in die Suche nach einem geeignetentandort einbeziehen.Ein letztes Wort – auch als Niedersächsin – zur Forde-ung eines Lastenausgleichs für die Standortkommunen:ie auch immer und wo auch immer eine Standortent-cheidung getroffen wird, es steht fest, einige Kommu-en werden die nationale Aufgabe atomarer Endlage-ung in besonderer Weise tragen müssen. Daher muss eselbstverständlich sein, dass sie dafür einen angemesse-en Ausgleich erhalten.
Ich bin froh –
Kommen Sie bitte zum Ende.
– ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin –, dassie Zeiten des Taktierens und Verschiebens von notwen-
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Dr. Maria Flachsbarthdigen Untersuchungen und Entscheidungen auf denSankt-Nimmerleins-Tag vorbei sind. Ich bin sicher, dieseRegierung, allen voran ihr Umweltminister Gabriel, wirdsich ihrer Verantwortung für diese Zukunftsfrage mit na-tionaler Bedeutung nicht entziehen.Vielen Dank.
Es spricht für die Linke Hans-Kurt Hill.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Eigentlich müssten wir der FDPdankbar sein.
Mit Ihrem Antrag stellen Sie völlig zu Recht fest, dassein gefährliches Problem auf Halde liegt. Nach siebenJahren grüner Ankündigungspolitik gibt es noch immerkeine Lösung für die Unmengen giftigen Strahlenmülls.
Das muss man sich einmal bewusst machen: DiesesLand betreibt atomare Anlagen ohne funktionierendesEntsorgungskonzept. Das Problem lagert in den Schub-laden. Dabei reden wir hier wirklich nicht über Altpa-pier.Der Antrag der FDP zerfällt aber dennoch in seine wi-dersprüchlichen Einzelteile. Um es noch einmal deutlichzu machen: Voraussetzung für die Endlagersuche ist derAtomausstieg. Die Linke verlangt einen schnellstmögli-chen Betriebsstopp der Atommeiler.
Es ist unverantwortlich, auch nur 1 Gramm Strahlenmüllzu erzeugen, ohne eine sichere Entsorgung vorzuweisen.Verantwortungslos, werte Liberale, ist der Betrieb derKernkraftwerke: Sie sind nach wie vor technisch nichtbeherrschbar, der Beitrag zum internationalen Klima-schutz ist gleich null und die Importabhängigkeit beimUran beträgt 100 Prozent.Im Übrigen: Wer Gorleben als Endlageroption an-sieht, lässt jede Verantwortung gegenüber den Menschenim Wendland vermissen.
Wir wissen alle, dass die Entscheidung für den Salzstockvor fast 30 Jahren aus rein willkürlichen politischenGründen getroffen worden ist. Die damalige Zonenrand-lage zur DDR war Ihnen von der CDU/CSU Argumentgenug. Man rechnete mit wenig Widerstand der betroffe-nen Menschen. Doch diese Rechnung ist nicht aufgegan-gen.
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uss jetzt, nur weil wir da angefangen haben, alles nachorleben? Das darf nicht die Prämisse sein.Ein seriöses Suchverfahren muss folgende Punkterfüllen: Festhalten am Erkundungsstopp in Gorleben,uche nicht nach dem besten, sondern dem geeignetstentandort, umfassende öffentliche Beteiligung – daraufaben die Menschen nämlich einen Anspruch –, volleostenübernahme für Suche, Bau und Betrieb durch dietomkraftbetreiber.
Jetzt noch ein Wort zum Schacht Konrad. Fraur. Flachsbarth ist eben darauf eingegangen. Obwohlas zuständige OLG den Planfeststellungsbeschluss erstm 28. Februar prüft, verlangen Sie, dass bereits heute,ach Abweisung in der ersten Instanz, Schacht Konradn Betrieb geht. Wenn das Ihre Rechtsauffassung ist,iebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dann sagech Ihnen: Ihnen sind die Männer, Frauen und Kinder,ie dort leben müssen, egal. Wenn Sie, wie in Ihrem An-rag beschrieben, Transparenz schaffen wollen, wenn Sieür Vertrauensbildung in der Öffentlichkeit sind, dannüssen Sie auch gerechte und umfassende Beteiligungs-echte für die betroffenen Bürger und Bürgerinnen unter-tützen. Aber das wollen Sie wohl nicht.
Ihre Vorlage, meine sehr geehrten Kolleginnen undollegen von der FDP, ist nichts anderes als der plumpeersuch, Gorleben und Schacht Konrad durchzudrücken.as geht auf Kosten der Frauen, Männer und Kinder, dieort leben. Das ist ebenfalls verantwortungslos.
Es grenzt schon an politische Selbstüberschätzung,enn Sie nach dem Sachstand in Gorleben glauben, derachwelt ein funktionierendes System vorstellen zu kön-en. Ich sage Ihnen: Sowohl in Gorleben als auch amchacht Konrad ist nur das Versagen des Atomzeitaltersu besichtigen.Ich danke Ihnen.
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Für die Bundesregierung spricht der BundesministerSigmar Gabriel.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege, Sie haben in Ihrem Wortbeitrag kritisiert, dasssich die letzte Bundesregierung noch nicht für ein Endla-ger entschieden habe. Es ist besser, man untersucht einbisschen länger, als dass man gleich alles nach Morsle-ben kippt. Da gibt es ja eine Verantwortung in Teilen Ih-rer Partei. Von daher wäre ich bei der Frage, wie man mitso etwas umgeht, nicht ganz so forsch.
Sie repräsentieren ja Gott sei Dank nicht das Saarland,sondern eine Partei, und die trägt zum Teil die Verant-wortung für ein nukleares Endlagerproblem, das andereLeute lösen mussten. Ich unterstelle, dass man daraus et-was lernen kann. Aber dann sollten Sie ein bisschen we-niger forsch auftreten.Man kann zu Recht sagen – darüber gibt es keinenStreit unter den meisten Mitgliedern dieses Hauses –,dass wir das Endlagerproblem lösen müssen. Es kanndabei nicht um die Frage gehen, ob man für oder gegenKernenergie ist; denn sowohl Gegner als auch Befürwor-ter der Kernenergie müssen dafür sorgen, dass mit denAbfällen nach bestem Wissen und Gewissen im Inte-resse der zukünftigen Generationen adäquat umgegan-gen wird.
Ich will offen sagen: Weil die Lösung dieses Problemsso umstritten ist, hat die große Koalition in dieser Frageeine große Verantwortung.Zur Redlichkeit in der Debatte gehört aber auch, nichtso zu tun, als habe eine Partei oder eine Parteienkonstel-lation in Deutschland bei der Lösung dieser Problemeversagt. Ich erinnere gerade die Kollegin aus der FDPdaran, dass es CDU und FDP in Niedersachsen waren,die damals die Lösung dieses Problems mithilfe derWiederaufbereitung aufgegeben haben. Der damaligeMinisterpräsident Albrecht kommentierte dies mit denWorten, dass diese politisch nicht durchsetzbar sei. Auchdie FDP hat die Wiederaufbereitung nicht durchsetzenkönnen.Der CSU ist es mit Wackersdorf nicht anders gegan-gen. Auch die rot-grüne Koalition hat es während ihrerRegierungszeit nicht geschafft, das Endlagerproblem zulösen, das in den Vorgergrund rückte, weil man von derWiederaufbereitung weggekommen ist. Wir alle mitei-nander haben bislang nicht die Kraft aufbringen können,dieses schwierige Problem zu lösen. Daran sieht manauch, welche dramatischen Auswirkungen der Einstiegin die Kernenergie auf die Zukunft hat.mssÜCDrFuatd––aewdsfedWdsevgddsSwroevswIzgm
Auch Sie in Niedersachsen.
Wenn Sie schon einen Zuruf machen, dann müssen Sieuch eine Antwort riskieren.Sie können nicht fordern, dass wir Gorleben weiterrkunden und dieses Endlager eventuell fertig stellen,enn Sie mir gleichzeitig Briefe schreiben, ich mögeoch bitte im Interesse von Baden-Württemberg dafürorgen, dass sich die Schweizer nicht auf ein Endlagerestlegen, sondern dass man die möglichen Standorterst einmal vergleiche. Sie müssen sich schon entschei-en, was Sie wollen.
as für die Schweiz gilt, gilt auch für Deutschland.Sie können sich im Pressespiegel einmal die Positioner FDP in Baden-Württemberg zu dieser Frage an-chauen. Es gab auch entsprechende Anfragen. Ich findes richtig, dass Sie wollen, dass in der Schweiz Standorteerglichen werden und der geeignetste Standort heraus-esucht wird. Aber die Bürgerinnen und Bürger in Nie-ersachsen dürfen nicht schlechter gestellt sein, indemort nur ein „geeigneter“ Standort gesucht wird. Zwi-chen einem „geeigneten“ und einem „geeignetsten“tandort besteht nämlich ein großer Unterschied. Wirollen, dass in Deutschland auf Basis gesicherter Krite-ien untersucht wird, welcher von den geeigneten Stand-rten der „geeignetste“ ist.
Wenn Sie das nicht wollen, dann haben Sie nur eininziges Ziel – das werden wir Ihnen in jeder Debatteorhalten –, nämlich dass Sie in Ihren eigenen Wahlkrei-en nicht von der Debatte um die Endlagersuche belasteterden wollen. Diesen Versuch unternehmen Sie hier.ch finde, das hat mit Redlichkeit in der Debatte nichtsu tun. Wir brauchen Kriterien für die Auswahl eineseeigneten Endlagers. Diese werden wir vorlegen. Sieüssen bereit sein, die geeigneten Standorte zu verglei-
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Bundesminister Sigmar Gabrielchen. Wenn der geeignetste Standort Gorleben wäre,dann könnte niemand etwas dagegen sagen, dass Gorle-ben Endlager wird. Aber bis das festgestellt ist, müssenauch andere Standorte untersucht werden. Das bedeutet,dass Sie in Ihren eigenen Wahlkreisen und in Ihren eige-nen Landesverbänden den Mut aufbringen müssen, zusagen, dass sie dafür einstehen, dass bei Ihnen zu Hauseim Interesse unserer Kinder, Enkel und Urenkel und allernachfolgenden Generationen entsprechende Untersu-chungen stattfinden.
Ich sagen Ihnen: Den Mut werden wir haben. WennSie ihn nicht haben, dann ist das Ihr Problem. Damit ka-tapultieren Sie sich aus der Debatte heraus.Beim Thema Schacht Konrad hatte ich mir erhofft,dass die Bürgerrechtspartei FDP, die ansonsten von sichsagt, dass sie etwas von Recht und Gesetz versteht, we-nigstens erklärt, dass man die Entscheidung des Ober-verwaltungsgerichts abwarten muss und dass sich jenach Ausgang des Verfahrens der nächste Instanzenwegergibt. Ich habe mir bislang eingebildet, dass man sichbei Ihnen wenigstens darauf verlassen kann, ein Urteilabzuwarten, bevor Sie erklären, was man danach unter-nehmen soll. Dass wir uns im Falle des Schachts Konradan die Gerichtsurteile zu halten haben, gilt für uns alle.Das gilt übrigens auch für mich. Denn Schacht Konradliegt in meinem Wahlkreis. Ich werde mich in dieserFrage nicht, je nachdem wie das Urteil ausgeht, weg-ducken. Aber ich erwarte von Ihnen, dass Sie bei der De-batte um die Frage, ob ein oder zwei Endlager errichtetwerden sollen, und bei der Suche nach alternativenStandorten den gleichen Mut aufbringen.Wenn Sie im Übrigen schon so mutig für Gorlebeneintreten, dann sollten Sie aber den Teil Ihres Antrageseinstampfen, in dem Sie sagen, das Ein-Endlager-Kon-zept sei vom Tisch. Gorleben ist nämlich als ein Ein-Endlager-Projekt beantragt worden.
Herr Bundesminister, die Frau Homburger würde Ih-
nen gern eine Zwischenfrage stellen. Ist das möglich?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Aber liebend gern.
Herr Minister, wollen Sie zur Kenntnis nehmen undhier bestätigen, dass es, bevor es zu einer weiteren Er-kundung von Gorleben kam, sehr wohl ein sehr langesProzedere gab und Abwägungsprozesse stattgefundenhaben, man seit langer Zeit eine Zwei-Endlager-Strate-gie verfolgt, der AK End, der nicht von der FDP, sondernvon Rot-Grün eingesetzt wurde, eindeutig bestätigt hat,dass es aus fachlichen Gesichtspunkten und vor allemaus Sicherheitsgründen Sinn macht, zwei Endlager zurVerfügung zu haben – dies ist der internationale Stan-dhvKwrlvaaspgwShmwbdtnrngRwwAaüAEÜEAzdFesdFtm
Ich nehme zum Dritten zur Kenntnis, dass wir gegen-ber dem Deutschen Bundestag nach Durchsicht allerkten zu erklären haben, wie wir die Frage eines Ein-ndlager-Konzeptes bewerten. Das werden wir tun.brigens, Frau Kollegin, hat die Frage, ob ein oder zweindlager errichtet werden, mit Gorleben nichts zu tun.uch bei der Konzentration auf ein Zwei-Endlager-Kon-ept sollten Sie mit Blick auf die Endlagerung hoch ra-ioaktiver Abfälle den Mut aufbringen, zu sagen: Ich alsDP-Politikerin in Baden-Württemberg bin bereit, dafürinzutreten, dass zur Not auch bei uns Standorte unter-ucht werden. Dann sind Sie in dieser Frage glaubwür-ig.
Ich nehme zum Vierten zur Kenntnis, dass für dierage des Sofortvollzuges beim Schacht Konrad Ihr Par-eikollege Sander zuständig ist. Der ist nämlich Umwelt-inister in Niedersachsen. Ich gebe zu: Ich bedauere es
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Bundesminister Sigmar Gabrielein bisschen, dass es dazu gekommen ist. Aber Sie woll-ten die Verantwortung. Jetzt haben Sie sie.
Wenden Sie sich in der Frage des Sofortvollzugs an ihn!Meine Damen und Herren, ich habe deshalb ein biss-chen engagierter zu dieser Frage gesprochen, weil es amEnde nicht darum gehen wird, ob wir uns auf Konzepteund Kriterien einigen. Ich glaube, das werden wir schaf-fen. Am Ende geht es um die Frage, ob wir den Mut ha-ben, Konsequenzen zu ziehen. Ich sage Ihnen: DieseRegierung hat den Mut. Da sind sich CDU/CSU undSPD einig. Wir wollen das Projekt „Endlager“ endlichzu einem Ende bringen, damit wir sicher sein können,wo wir die Endlagerung der Abfälle vornehmen.Aber ich sage Ihnen auch: Wir brauchen dafür denMut aller. Wir sollten nicht ständig in der Öffentlichkeitschwarzer Peter spielen und sollten zumindest für einengewissen Zeitraum den Mut aufzubringen, auch einmalzu Hause mögliche Standorte zu untersuchen.Dass man das tun muss – das ist meine letzte Bemer-kung –, zeigt sich gut an dem VersuchsendlagerAsse II. Auch dieses befindet sich in meinem Wahlkreis.Als wir das erste Mal – damals war ich 17 oder 18 Jahrealt – dort hinfuhren, gab es drei Salzstöcke. DieSalzstöcke I und II waren wegen Wassereinbrüchen ab-gesoffen. Zu Asse II haben wir die Ingenieure gefragt:Wenn zwei von drei Salzstöcken unmittelbar abgesoffensind, wieso sind Sie dann eigentlich so sicher, dass manin dem dritten Salzstock ein Endlager errichten kann?Die Ingenieure haben uns damals gesagt, das sei alleskein Problem. Wir haben als Schüler staunend vor ihnengestanden und natürlich war keine Frage mehr offen. –Seit Ende der 80er-Jahre gibt es in Asse II Salzlaugen-einbrüche und wir wissen nicht, warum dies geschieht.Wir wissen auch nicht, wie wir das in den Griff bekom-men können.Vorsicht ist hier ein guter Ratgeber. Man sollte nichtmutig sagen, man wisse schon, wo der radioaktive Ab-fall endgelagert werden könne. Es geht hier um den „ge-eignetsten“ Endlagerstandort und nicht darum, aus derTiefe des Gemüts und aus Angst davor, selber einmalmit diesem Problem konfrontiert zu werden, munter For-derungen zu stellen. Das reicht nicht aus. Sie werden se-hen, wir werden es besser machen.Vielen Dank.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin
Sylvia Kotting-Uhl.
Liebe Frau Präsidentin! Verehrter Herr Minister! Kol-leginnen und Kollegen! Verehrte Frau Brunkhorst!Schön war nicht nur die Rede des Umweltministers.Schön ist, dass nun auch die FDP in Verbindung mitAtomkraft endlich von ernst zu nehmenden Sicherheits-pedntusrEndabercwadfd1fsa„nlmzvwgVAssiRhmnmrrOwrEdtfs
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– Kommt noch. Ich möchte zunächst zu Ihrem Antragreden. Das ist im Moment viel spannender.Wenn Sie in Ihrer Begründung von „bis 1998 entwi-ckelten und im internationalen Vergleich vorbildlichenEntsorgungsstrukturen in Deutschland“ reden, kann mandas vielleicht gerade noch unter dem Aphorismus „UnterBlinden ist der Einäugige König“ abhandeln. Es gibtweltweit immer noch kein einziges genehmigtes Endla-ger für radioaktiven Abfall. Wohl aber gibt es seit jüngs-ter Zeit Standortauswahlprozesse in einigen Ländern– ich nenne hier Finnland, Schweden und Japan –, diesich mit unserem Ansatz auf den Weg gemacht habenund damit weit bessere Erfahrungen machen alsDeutschland mit Gorleben oder die Schweiz mit Benken.Ich stimme Ihrer ersten Forderung, Frau Brunkhorst,zu, dass sich die Regierung ihrer Verantwortung in derEndlagerfrage stellen muss. Ich möchte aber an dieserStelle noch einmal betonen, dass wir als heutige Genera-tion uns zwar der Verantwortung stellen können, diebleibende Verantwortung vielen nachfolgenden Genera-tionen aber nicht abnehmen können. Genau das war füruns Grüne schon immer eng mit der Frage grundsätzli-cher Verantwortbarkeit von Atomkraftnutzung verbun-den.Die weiteren Forderungen Ihres Antrags sind in unse-ren Augen keineswegs das, was auf der Basis der Be-griffe „Sicherheit“ und „Verantwortung“ jetzt ansteht.Deshalb lehnen wir ihn ab.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Eine verantwortungsvolle Endlagerfestlegung muss
Kriterien folgen, wie sie heute hier schon ansatzweise
beschrieben wurden und wie sie vom vorigen Umwelt-
minister bereits in ein Gesetz gegossen wurden, das wie
manch anderes dann Opfer der Neuwahlen wurde. Hast
allerdings kann bei Fragen, die eine Reichweite von
140 000 bis Millionen Jahren haben, nicht das erste Kri-
terium sein.
Frau Kotting-Uhl, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss.
Die Zukunft wird für unüberschaubar lange Zeit von
den Hinterlassenschaften der Atomstromproduktion be-
lastet sein. Der immer weiteren Produktion von Atom-
strom kann die Zukunft schon allein aus diesem Grund
nicht gehören. Sie muss und wird den erneuerbaren
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Das ist völlig logisch; ich verantworte nichts, was ichür unverantwortbar halte, wie Sie das tun. Wenn Sieetzt sagen, das sei unlogisch, dann haben Sie Recht: Dasäre unlogisch.Verantworten kann man nur Dinge, die man für ver-ntwortbar hält. Damit ist die Sicherheitsdiskussion, dieon Ihnen immer so gern geführt wird, aus meiner Sichttwas, was die Leute auf sehr unredliche Art und Weiseerunsichert.Dasselbe gilt für das Thema Zwischenlager. Dierüne Basis hat die Zwischenlager in Gorleben undhaus immer als Blechhütten oder Zeitbomben bezeich-et. Demgegenüber hat die grüne Spitze beschlossen,ass diese Zwischenlager so sicher sind, dass man dieutzungsdauer immerhin zwölffach multiplizieren kann.In meinem Wahlkreis, zu dem Gundremmingen ge-ört, gibt es nun auch ein Zwischenlager. Auch dortdas gebe ich gern zu – gab es ein gewisses Unbehagen,ls beschlossen wurde, dort eine Zwischenlagerung vor-unehmen. Mit dem Hinweis, dass es die Grünen sind,ie das Thema letztendlich zu verantworten haben,onnte man das Unbehagen etwas ausräumen, wennuch nicht ganz. Nun hat dieses Zwischenlager 30 Mil-ionen Euro gekostet. Nimmt man diese Summe malwölf, kommt man auf 360 Millionen Euro. So hoch ister volkswirtschaftliche Schaden. Ich sage das deshalb,eil die Transporte, die man offenkundig hat verhindernollen, irgendwann stattfinden müssen. Mir ist klar, dasser damalige grüne Umweltminister nicht Dinge geneh-igen wollte, gegen die er früher demonstriert hat.
as ist mir völlig klar, aber Sie werden sehen, dass hierur nach dem Motto verfahren worden ist: Lasst uns die-es Thema bis nach der Amtszeit der Grünen verschie-en. Das ist nun offenkundig gelungen.
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1554 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Dr. Georg NüßleinJetzt sind wir bei der Endlagerung. Hier darf mannicht genauso verfahren und sagen: Wir verschieben dieEntscheidung immer und immer wieder. Herr MinisterGabriel hat eines richtig formuliert: Unabhängig von derFrage, ob man für oder gegen den Ausstieg ist, ein End-lager muss man am Ende haben.Deshalb ist die Koalitionsvereinbarung an dieserStelle vollständig, logisch und konsequent. Wir sagen:Wir sind uns über den Ausstieg uneinig, aber wir sinduns darüber einig, dass wir Endlagerung brauchen. Ent-scheidend ist, dass wir sagen: Wir brauchen die Endlage-rung und eine Lösung dieses Themas noch in dieser Le-gislaturperiode. Dazu hat sich der Herr Minister bekannt.Das finde ich ganz besonders bemerkenswert. Ihnen,Herr Minister, an dieser Stelle dafür herzlichen Dank.Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/267 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 sowie Zusatz-
punkt 6 auf:
21 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Norman Paech, Wolfgang Gehrcke, Monika
Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN
Weiter verhandeln – kein Militäreinsatz gegen
den Iran
– Drucksache 16/452 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Winfried Nachtwei, Thilo Hoppe, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN
Für ein friedliches Vorgehen im Konflikt über
das iranische Atomprogramm – Demokrati-
sche Entwicklung unterstützen
– Drucksache 16/651 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, für die Bera-
tung eine halbe Stunde vorzusehen. – Dazu höre ich kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst erteile ich das
Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine für die Linksfrak-
tion.
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er kleine Koalitionspartner unterstellt dem größerenoalitionspartner, dass die Vorsitzende militärischeptionen gegenüber dem Iran erwäge. Anders sind dieusführungen und Auseinandersetzungen der letztenage nicht zu verstehen.
ass Sie versuchen, dies unter der Decke zu halten undleich vielleicht wortreich bekunden, dass das alles garicht so sei, ist verständlich. Aber es ändert nichts anem Sachverhalt, der öffentlich bekannt ist.Ich will das für unsere Fraktion so kommentieren:ntweder meint die SPD das ernst; dann würde ich mirls Sozialdemokrat die Frage stellen, ob ich mit so eineranzlerin in einer gemeinsamen Regierung sein möchte.
der sie meint es nicht ernst; dann ist es zumindest einerantwortungsloser Umgang mit diesem Thema. Dennas Thema ist zu ernst, als dass man es auf diese Art undeise behandeln könnte.Ich will nun zum Thema selbst etwas sagen: Ich un-erstelle der Kanzlerin nicht, dass sie auf militärischeptionen zielt.
ch will das hier im Deutschen Bundestag ausdrücklichesthalten. Die Frage ist allerdings, ob die Iranpolitik derundesregierung, wie sie derzeit angelegt ist, richtig ist,m solche militärischen Optionen nicht weiter zu beför-ern. Dazu von unserer Seite folgende Bemerkung: Wirlauben, dass die Politik des Westens gegenüber demran im Grundsatz nicht aufrechtzuerhalten ist. Warum?Erstens gibt es eine ganze Reihe von Staaten, die im-er noch sagen: Wir selbst wollen Atomwaffen haben,ir verbieten es aber anderen, Atomwaffen herzustellen.uf dieser Grundlage wird es keine atomare Abrüstungn der Welt geben. Es wird immer so sein, dass es Staa-en gibt, die ebenfalls Atomwaffen haben wollen. Aufer Grundlage eines solchen Widerspruchs kann maneine friedliche Politik machen.
Im Übrigen ist es selbstverständlich, dass der Irantomwaffen anstrebt. Alles andere wäre völlig unrealis-isch. Sie können in jeder Tageszeitung des Vorderenrients und darüber hinaus nachlesen, dass die Staatenort aus den kriegerischen Auseinandersetzungen deretzten Jahre den Schluss gezogen haben: Nur derjenige,
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Oskar Lafontaineder Atomwaffen besitzt, läuft keine Gefahr, von den Ver-einigten Staaten angegriffen zu werden. Ob es uns passtoder nicht, das ist die Haltung dort. Diese muss man zurKenntnis nehmen. Deshalb ist es selbstverständlich, dasssie Atomwaffen anstreben.Nun zum zweiten Widerspruch. Es ist nicht nur so,dass man eine Politik macht auf der Grundlage: Wir wol-len Atomwaffen haben, ihr dürft sie nicht haben. Mansagt auch: Wir halten uns nicht an den Atomwaffen-sperrvertrag und euch verbieten wir, die Möglichkeitendes Atomwaffensperrvertrages zu nutzen. Wie kann manmit einer solch widersprüchlichen Politik überhauptFrieden erreichen wollen?
Die Anreicherung von Uran ist im Atomwaffensperr-vertrag ausdrücklich erlaubt. Die gegenwärtigen Atom-mächte, die ihn unterschrieben haben – das liegt schonJahrzehnte zurück –, haben sich bereit erklärt, interna-tional kontrolliert zu werden und vollständig abzurüsten.Wenn man sich vor Augen hält, dass sie den Atomwaf-fensperrvertrag gebrochen haben, dann erkennt man,dass auf dieser Grundlage der Frieden nicht erhalten unddieser Konflikt nicht geschlichtet werden kann.Daher glaubt die Fraktion Die Linke, dass man vomGrundsatz her anders vorgehen muss: Wir müssen ge-genüber dem Iran ein faireres Verhalten an den Taglegen, auch wenn sich das dortige Regime zurzeit tat-sächlich auf eine Art und Weise verhält, die die Weltöf-fentlichkeit nicht akzeptieren kann. Deshalb fordern wirnach wie vor eine Friedenskonferenz für den Nahen Os-ten. Wir fordern allerdings auch, Gewaltverzicht gegen-über jedermann anzustreben und Nichtangriffsgarantienauszusprechen; das ist ganz entscheidend.
Selbstverständlich streben wir ebenso die Garantiedes Existenzrechts Israels an. Mit demselben Nachdrucksetzen wir uns allerdings auch für die Gründung einesunabhängigen Palästinenserstaates ein. Hier im Deut-schen Bundestag möchte ich betonen, dass dies für unseine genauso große Verpflichtung ist wie der Einsatz fürdie Anerkennung des Existenzrechts Israels.
Denn aufgrund unserer Geschichte haben wir auch ge-genüber dem palästinensischen Volk eine Verantwor-tung.
Herr Lafontaine, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja.
Mein letzter Punkt. Wie Sie dem von uns vorgelegten
Antrag entnehmen können, sind wir der Meinung, dass
wir die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Vor-
deren Orient anstreben sollten; dabei sollten wir das ein-
beziehen, was ich gerade gesagt habe. Auch wenn es um
den Vorderen Orient geht, kann man nicht einfach sagen:
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sich an seine Verpflichtungen aus dem Vertrag überdie Nichtverbreitung der Kernwaffen zu halten
und alles zu unterlassen, was zu einer Eskalationdes Konflikts um sein Atomprogramm beitragenkönnte.
Nein, Sie haben vorhin gesagt, es sei unsinnig, an die-en Verpflichtungen des Atomwaffensperrvertrages fest-uhalten, weil es in dieser Region und auch darüber hin-us viele Staaten gebe, die ebenfalls Atomwaffenesitzen wollten.
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Joachim Hörster
Meine Damen und Herren, wir sollten uns vergegen-wärtigen, wie dieser Konflikt überhaupt entstanden ist– ich will jetzt allerdings nicht alle Stationenaufzählen –: Im Jahre 2003 hat die IAEO Teheran vorge-worfen, verschwiegen zu haben, bestimmte nukleareMaterialien hergestellt und entsprechende Aktivitätendurchgeführt zu haben. Dann ist es zu Verhandlungengekommen. Später hat die IAEO die Feststellung getrof-fen, dass waffenfähiges nukleares Material hergestelltworden ist, von dem auch Spuren nachgewiesen werdenkonnten. Letztlich mündete das Ganze in einer Erklä-rung Teherans, die dazu führte, dass die Urananreiche-rung im Iran ausgesetzt wurde.Der Iran hat daraufhin ein Zusatzprotokoll zumAtomwaffensperrvertrag unterschrieben, dass er dieUrananreicherung unterlassen werde. Allerdings hat erin der Folgezeit nur unzureichend mit der IAEO koope-riert, sodass es erneut zu Beanstandungen gekommen ist.Im Anschluss daran gab es das Pariser Abkommen. Aberim April 2005 – da liefen die Verhandlungen schon gutzwei Jahre – hat der Iran angekündigt, sein Programmzur Anreicherung von Uran wieder aufzunehmen. Derneue iranische Präsident Ahmadinedschad hat angekün-digt, dass das Land an seinen Atomplänen festhaltenwerde; das war im Juni 2005. Im August 2005 hat derIran die umstrittene Atomanlage Isfahan wieder voll inBetrieb genommen sowie Europa und die USA davor ge-warnt, das Land im Atomstreit vor den Weltsicherheits-rat zu zitieren. Dabei ist der Weltsicherheitsrat nach denRegeln des Atomwaffensperrvertrages das Organ, dassich damit befassen muss, wenn sich ein Staat, der demAtomwaffensperrvertrag beigetreten ist, nicht an die Re-geln hält. Es war ein ständiges Hin und Her. ImSeptember 2005 hat der iranische Präsident bekräftigt,dass er am Atomprogramm festhalten werde. Er hat dasumfangreiche Programm, das die EU ihm für den Ver-zicht auf sein Atomprogramm angeboten hat – umfäng-liche Wirtschaftshilfen und Kooperationen –, abgelehnt.Mit anderen Worten: Der Konfliktkurs gegenüber der in-ternationalen Gemeinschaft ist eindeutig vom Iran ge-fahren worden.Es ist schade, dass ich die Begründung des Antragesder Grünen erst am Ende der Debatte mitbekommenwerde. Ich will aber auf diesen Antrag verweisen; denner ist ausgesprochen lesenswert, was die Darstellung derVerhältnisse im Iran anbetrifft. Die Grünen schreiben:Die Entwicklung des Iran während der Amtszeitdes Präsidenten Khatami von 1997 bis 2005 warwidersprüchlich: Einerseits gelang es den reform-orientierten Kräften in der iranischen Zivilgesell-schaft, sich sukzessive größere politische, gesell-schaftliche und kulturelle Freiräume zu erobern.Andererseits blieb die fundamentale Machtstrukturdes Staates unangetastet. Massive Menschenrechts-verletzungen waren weiterhin an der Tagesordnung,agRivdguAimpsridvAdtslgdrhzEdVfaswicm
Diese Reaktion ist der Situation nicht angemessen.ngemessen ist, dass die Europäische Union, vertretenurch die E 3 – Deutschland, Frankreich und Großbri-annien –, ihre außerordentlich erfolgreiche Arbeit fort-etzt, die dazu geführt hat, dass der Iran am Verhand-ungstisch geblieben ist.Es ist in den Jahren der Verhandlungen gelungen, eineemeinsame Position mit den Vereinigten Staaten under UNO zu finden. Bemerkenswert ist auch die Äuße-ung des russischen Außenministers Lawrow, der gesagtat: Unter rationalen Gesichtspunkten ist nicht nachvoll-iehbar, warum der Iran ein Atomprogramm will. Unternergiegesichtspunkten braucht er es nicht. Das legt denringenden Verdacht nahe, dass es hier darum geht, dieoraussetzungen zum Bau einer Atomwaffe zu schaf-en.Wenn wir diese Perspektive vor Augen haben, die vonllen Mächten der Welt, von der internationalen Gemein-chaft, geteilt wird, dann müssen wir uns doch fragen, obir sehenden Auges auf eine Situation zutreiben wollen,n der am Schluss ein Staat, dessen Präsident eine sol-hen Geisteshaltung hat, über Atomwaffen verfügt. Demüssen wir von Anfang an mit Festigkeit begegnen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1557
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Joachim HörsterDie Grünen schreiben in ihrem Antrag ja selbst, dassnotfalls Sanktionen gebraucht werden müssen. Das willich auch noch in Erinnerung rufen. Gleichzeitig will ichdabei festhalten, dass im Augenblick niemand an Sank-tionen denkt.
Im Augenblick denkt jedermann nur daran, den Iran aufden Pfad der Tugend zurückzuführen.In diesem Zusammenhang darf ich auch die Erklä-rung der E3/EU-Minister vom Januar zitieren, in der esheißt:Wir bekennen uns auch weiterhin dazu, diese Fragediplomatisch zu lösen. Wir werden uns in den kom-menden Tagen und Wochen mit unseren internatio-nalen Partnern eng abstimmen. Wir sind der Auf-fassung, dass die Zeit jetzt gekommen ist, denSicherheitsrat einzuschalten, um die Autorität derIAEO-Resolutionen zu stärken. Wir werden dahereine außerordentliche Tagung des IAEO-Gouver-neursrats beantragen,– sie hat inzwischen stattgefunden –damit dieser die hierzu erforderlichen Schritte er-greift.
Herr Hörster, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das ist die Position der Bundesregierung und auch die
Position der großen Koalition. Jeder, der bezüglich die-
ser Position vordergründig versucht, Streit zu stiften, der
dient dem Nuklearprogramm des Iran, aber nicht der
Festigkeit und Sicherheit der Region.
Jetzt erhält der Kollege Dr. Werner Hoyer von der
FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieKrise aufgrund des iranischen Nuklearprogramms istweiß Gott eine der ernsthaftesten Sicherheitsbedrohun-gen unserer Zeit. Dies verlangt ein besonnenes, verant-wortliches Handeln. Handeln heißt hier natürlich auchwirklich handeln und nicht nichts tun; denn eines istauch klar: Die Zeit arbeitet bei diesem Thema gegen uns.Deutschland, Frankreich und Großbritannien habengemeinsam mit dem Partner jenseits des Atlantiks eini-ges erreicht. Daran ist weiter zu arbeiten. Diese diploma-tischen Bemühungen müssen natürlich auch weiterhinim Vordergrund stehen.
Ich stimme all denen zu, die bei einem solchen Themaimmer sagen: Versetzt euch doch einmal in die Lage desbrSadgkiaWtiiGm„gsKDßdnrnritemshgrhsaMebmrzpagwcr
ieser Beschluss enthält Elemente, die Hoffnung verhei-en. Es sind Angebote darin, und zwar gerade auch anie aufgeschlossene und nach Westen – übrigens mehrach Amerika als nach Europa – orientierte junge Gene-ation im Iran. Sie müssen wir gewinnen. Wir dürfen sieicht vor den Kopf stoßen. Wir dürfen diese junge Gene-ation dem iranischen Staatspräsidenten nicht geradezun die Arme treiben.Hier ist noch sehr viel zu tun. Das, was bisher geleis-et worden ist, war nur möglich, weil geschlossen undntschlossen gehandelt worden ist. Deswegen ist es fürich von herausragender Bedeutung, dass diese Ge-chlossenheit und Entschlossenheit erhalten bleiben. Ichalte nichts davon, Fragen zu beantworten, die sich unsegenwärtig noch gar nicht stellen – uns sowieso nicht.Natürlich denkt in Deutschland keiner über militä-ische Optionen nach. Wir haben auch gar keine undalten sie auch nicht für wünschenswert. Diejenigen, dieehr viel stärker betroffen sind, mögen Überlegungennstellen, in der gegenwärtigen Situation kein taktischesittel aus der Hand zu geben, um bei ihrem Gegenüberinen Zustand der Unsicherheit und Verunsicherung zuewahren. Das muss man respektieren. Dafür die Ge-einsamkeit und Geschlossenheit des Westens und da-über hinaus der Völkergemeinschaft aufs Spiel zu set-en, halte ich für nicht sonderlich klug.
Was uns aber in Wahrheit darob droht, ist eine innen-olitische Dimension. Ich hoffe, es wird gelingen, sieußen vor zu lassen; denn der Versuch ist erkennbarewesen, hier gewissermaßen – da war doch einmal et-as – einen virtuellen Marktplatz von Goslar aufzuma-hen. Diesen Versuch an dieser Stelle erneut durchzufüh-en, halte ich für unverantwortlich. Deswegen sollten wir
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Dr. Werner Hoyeres lassen. Ich hoffe, dass dies in diesem Hause insgesamtso gesehen wird.
Ich füge allerdings hinzu: Um der Glaubwürdigkeitder Bundesrepublik Deutschland willen wünsche ichmir, dass wir seitens des Westens, der EuropäischenUnion, der NATO und auch der BundesrepublikDeutschland etwas sichtbarer aktiv werden, wenn es da-rum geht, bei der Nichtverbreitung und der Abrüstungweiterzukommen.
Dort hat es in den letzten Jahren eine große Lücke gege-ben. Hieran muss deutlicher gearbeitet werden; denn nurdann werden wir denjenigen unter den gutwilligen Ira-nern, die sich Gedanken darüber machen, was um sie he-rum los ist, eine befriedigende Antwort geben können.Wenn aber in der Frage der iranischen Nuklearbe-waffnung die rote Linie überschritten wird, dann stehenwir vor einem Dammbruch und einem totalen Kollapsjeglicher Abrüstungs- und Nonproliferationspolitik.Deswegen wünsche ich mir, dass die Bundesregierunggemeinsam mit ihren Partnern in Europa, in Amerika, inRussland und in China mit ihren Bemühungen Erfolghat.
Jetzt hat der Kollege Mützenich, SPD-Fraktion, das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Ausgang der iranischen Atomkrise wird
sowohl die Entwicklung im Mittleren und Nahen Osten
als auch die Hoffnung im internationalen nuklearen Be-
reich insgesamt beeinflussen. Deswegen ist es gut, wenn
der Deutsche Bundestag erneut über den Iran debattiert.
Die Öffentlichkeit hat meines Erachtens ein Interesse
und ein Bedürfnis, dieses Thema zu erörtern.
Es ist aber unangemessen, die Menschen wissentlich
zu verunsichern.
Nichts anderes aber tun Sie. Sie unterstellen, dass die
Atomkrise militärisch beantwortet werden soll. Kein
Mitglied der Bundesregierung aber hat eine militärische
Option ins Spiel gebracht. Im Gegenteil: Der Außen-
minister hat vor einer Militarisierung des Konflikts ge-
warnt. Die Bundeskanzlerin hat gestern in Interviews er-
neut die diplomatische Lösung unterstrichen. Ich sage
Ihnen ganz ehrlich: Sie unterstellen etwas und führen auf
dieser Grundlage eine falsche Debatte.
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ieses Schüren von Hass und Unfrieden hätten Sie be-
ennen sollen und müssen. Warum sagen Sie nicht, dass
er Iran in den vergangenen 18 Jahren gegen die Regeln
es Atomwaffensperrvertrages verstoßen hat? Warum
rwähnen Sie nicht, dass der Direktor der Internationa-
en Atomenergiebehörde, al-Baradei – aus meiner Sicht
in besonnener und unparteilicher Diplomat –, immer
och nicht ausschließen kann, dass der Iran ein militä-
isches Atomprogramm betreibt?
Herr Mützenich.
Sofort. – Warum verschweigen Sie, dass der Iran iner Regel den Inspekteuren nur das zeigt oder berichtet,as bereits bekannt ist? Warum übergehen Sie die Tat-ache, dass Trägersysteme entwickelt werden, die bisuropa reichen? Warum berichten Sie nicht, dass derran das europäische Angebot ohne genaue Prüfung zu-ückgewiesen hat?Wenn Sie schon über die iranische Atomkrise debat-ieren wollen, dann müssen Sie auch etwas über denern des Konflikts sagen.
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Herr Mützenich, möchten Sie jetzt die Zwischenfrage
von Frau Pau zulassen?
Wenn es nicht zulasten meiner Redezeit geht.
Natürlich nicht. – Bitte schön.
Ich habe die ganze Zeit zugehört!
Haben Sie sich jetzt darauf geeinigt, dass Frau Pau die
Zwischenfrage stellt, Herr Lafontaine, oder wollen Sie
das gerne übernehmen? – Bitte schön, Frau Pau.
Wir könnten den eindrucksvollen Katalog sowohl der
Bewertungen als auch der Vorwürfe gegenüber dem Prä-
sidenten des Irans sicherlich noch fortsetzen.
– Sie sind völlig richtig. Deswegen stellt sich für mich
die Frage, warum sie in dem vorliegenden Antrag noch
einmal aufgezählt werden sollen. Denn wir haben vor
Weihnachten der gemeinsamen Resolution des Deut-
schen Bundestages zur Verurteilung der Äußerungen
des iranischen Präsidenten, der abscheulichen Leug-
nung des Holocaust und der falschen Politik zugestimmt.
Waren Sie an dieser Resolution beteiligt und haben Sie
ihr – so wie die gesamte Fraktion der Linken – zuge-
stimmt? Etwas wird doch nicht dadurch besser, dass man
es immer wiederholt.
Der Punkt ist doch: Sie äußern sich zu der iranischen
Atomkrise und den militärischen Mitteln, die dort mögli-
cherweise eingesetzt werden. Seit dem Einbringen des
Antrags sind aber täglich neue Vorwürfe gegenüber Is-
rael erhoben worden. Warum nehmen Sie das nicht in
den Antrag mit auf, wenn er ohnehin auf Wiedervorlage
liegt? Das gehört doch alles mit in diese Debatte hinein.
Herr Kollege Mützenich.
Die rot-grüne Bundesregierung hat zusammen mit
den europäischen Partnern vor mehr als zwei Jahren das
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Bitte schön.
Herr Kollege, Sie kaprizieren sich im Moment sehr
arauf, der linken Fraktion zu unterstellen, ihr mangele
s an Sensibilität hinsichtlich der Bedrohung Israels
urch die Äußerungen des iranischen Präsidenten.
abei beziehen Sie sich auf unseren Antrag.
Darf ich Sie bitten, zu kommentieren, wie Sie zu Ih-
em Urteil kommen? Wir haben in den dritten Absatz
nseres Antrags Folgendes aufgenommen:
Der Deutsche Bundestag appelliert an den Iran, die
Drohungen gegenüber Israel unverzüglich einzu-
stellen, sich an seine Verpflichtungen aus dem Ver-
trag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen zu
halten und alles zu unterlassen, was zu einer Eska-
lation des Konflikts um sein Atomprogramm beitra-
gen könnte.
ind Sie bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen und Ihre
orhergehenden Äußerungen über die Haltung der Lin-
en zum Existenzrecht Israels zurückzunehmen?
Nein. Wenn Sie zugehört hätten, liebe Kollegin, dannüssten Sie, dass ich aus Ihrem Antrag zitiert habe. Ichabe aber auch das aufgezählt, was Sie unterlassen.Ich darf Sie an unsere Diskussion im Auswärtigenusschuss über das Thema erinnern – Sie waren dabei –,ls der Kollege Paech sich dazu in keiner Weise geäußertat.
un Sie also nicht so, als hätten Sie eine Position vertre-en! Beschreiben Sie Ihre Position und diskutieren Sieie mit uns! Das wäre viel besser.
Der Ansatz, den die damalige rot-grüne Bundesregie-ung gewählt hat, hat weiterhin eine Chance. Die Unter-tützung der Bundesregierung besteht auch fort. Amontag beispielsweise wird in Moskau mit Vertretern
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Dr. Rolf MützenichRusslands und des Irans zu klären sein, ob auf russi-schem Boden eine Urananreicherung möglich ist.Der russische Vorschlag bedeutet zweierlei: Ange-sichts der zahlreichen, langjährigen und bisher nicht auf-geklärten Verstöße des Irans gegen die Regeln desAtomwaffensperrvertrags soll das Land den Brenn-stoffkreislauf nicht schließen. Die Anreicherung und Ab-zweigung von Uran für militärische Zwecke wäre dem-nach ausgeschlossen. Damit wäre die Atomkrise zwarnoch nicht gelöst, aber mithilfe dieser vertrauensbilden-den Maßnahme könnten weitere Fragen in Ruhe ange-gangen werden. Deswegen verstehe ich nicht, KollegeLafontaine, warum Sie beispielsweise diesen Vorschlag,den die Russen eingebracht haben und den die Chinesenund die Brasilianer unterstützen, nicht in Ihrem Antragund in Ihrer Rede aufgegriffen haben. Dieser Vorschlagzeigt doch, dass diplomatische Lösungen möglich sind.Darauf müssen wir bauen und daran müssen wir arbei-ten.
Der Iran sollte im eigenen Interesse diesen Vorschlagaufgreifen. Das würde neues Vertrauen bilden. Danachkönnten weitere sicherheitsfördernde Schritte folgen.Unverzichtbar ist dabei die politische Mitwirkung derUSA.Des Weiteren brauchen wir – darüber haben wir schonvor zwei Wochen im Rahmen einer Aktuellen Stundediskutiert; es herrschte damals großes Einvernehmen imHaus; wahrscheinlich haben Sie, Herr Lafontaine, nichtteilgenommen – regionale und weltweite Initiativen fürRüstungskontrolle und Abrüstung. Wir müssen über dieatomare Rüstung, die Rolle und die Verbreitung vonKernwaffen, sprechen. Solange Atomwaffen ein Be-standteil der militärischen Ausrüstung und Planung inwenigen, in der Regel mächtigen Ländern sind, werdensich Fälle wie die des Irans oder Nordkoreas wiederho-len. Deshalb müssen Rüstungskontrolle und Abrüs-tung die Bemühungen um die Lösung der iranischenAtomkrise flankieren.
Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen ParteiDeutschlands, Matthias Platzeck, hat dies erst vor weni-gen Tagen wiederholt; darin unterstützen wir ihn.
Wir brauchen eine weitere internationale Debatte.Einzelne Staaten, vor allem die Atomwaffenstaaten, re-klamieren für sich das Recht, allein zu entscheiden, obmilitärische Gewalt ein legitimes und angemessenesMittel sein kann, wenn nationale Interessen gefährdet zusein scheinen. Damit wird ein Prinzip ausgehöhlt, wel-ches nach dem Ende des Ost-West-Konflikts eigentlichhätte wieder belebt werden müssen: das Gewaltverbot.Dieses Verbot zum Gegenstand der internationalen Poli-tik zu machen, ist auch Aufgabe dieser Bundesregierung.Darin unterstützen wir, die sozialdemokratische Frak-tion, sie. Es geht nämlich auch um die Pflicht zur friedli-ciKddlseaKIJfAdgegsadtdnEdrwddigbEbEäseAMshre
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Außerdem – es fällt mir als Atomkraftgegner schwer,das zu sagen – haben wir den Iran nicht einmal aufgefor-dert, er solle nicht anreichern. Wir beziehen uns aus-drücklich darauf, dass die Anreicherung ausgesetztwird, aber unter internationaler Aufsicht in Russlandstattfinden soll. Wir unterstützen das, gerade weil wirnicht der Logik folgen wollen, einem Land willkürlichdie Rechte abzusprechen, die andere Länder selbstver-ständlich für sich in Anspruch nehmen, auch wenn dasÖkologen und Atomkraftgegnern an dieser Stelle schwerfällt.Ich bin ein Befürworter der Klarheit. Klarheit heißtauch, den Charakter des iranischen Regimes klar zu be-nennen und klar zu machen, dass der Iran mehr als einverbrecherisches Regime ist, dass er vielmehr ein Landmit einer vielfältigen Zivilgesellschaft ist. Wenn manüber alternative Strategien spricht, dann ist es unsereAufgabe, diese Vielfalt der Zivilgesellschaft zu stützenund zu stärken. Das ist der Kern unseres Antrags, denwir hier vorgelegt haben.
Es geht um mehr Meinungsfreiheit und Unterstützungdieser Kräfte.Lieber Herr Kollege Hörster, Sie haben zu Recht ei-nige Stellen unseres Antrages zitiert. Wie Sie nach derLektüre dieses Antrags dazu kommen können, unsereForderung nach einer zivilen Lösung des Konfliktesmit dem Wort „Appeasement“ zu belegen, ist unver-ständlich. Es ist genau der andere Fehler, die eigenen In-strumentarien schlecht zu reden. Wir waren uns bis zumGebrauch des Wortes „Appeasement“ darin einig, dasswir versuchen müssen, den Griff des iranischen Regimesnach der Bombe mit zivilen, mit diplomatischen Mittelnzu unterbinden. Das ist kein Appeasement. Wenn Sieden Antrag zu Ende gelesen hätten, wäre Ihnen vielleichtauch die Ziffer II. 4 aufgefallen. Darin steht – ich leseIhnen das gerne vor –:4. Gemeinsam mit den Partnern der EU und den in-ternationalen Partnern einen abgestuften Katalogrealistischer nichtmilitärischer Sanktionsmaßnah-men zu entwickeln.Wer das zu Appeasement erklärt, lieber Herr Hörster, dersteht in der Tat im Verdacht, dass er eine offene Flankehat und zu der Lösung tendiert, die ich am Anfang ge-nannt habe. Deswegen glaube ich, dass unser Antragmehr als nötig gewesen ist.Vielen Dank.
Damit ist die Aussprache geschlossen.
Es ist verabredet worden, die Vorlagen auf den
Drucksachen 16/452 und 16/651 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Damit
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Überraschend war das Urteil für die FDP schon garicht. Die FDP hat in den Beratungen in den Ausschüs-en deutlich gemacht, dass eine Abwägung von Lebenegen Leben – dies ist beim Abschuss eines Flugzeugeser Fall – mit Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht ver-inbar ist.
ie Sachverständigen hatten dies bestätigt. Trotzdemind die damaligen Regierungsfraktionen stur geblieben.Wenn ich jetzt Kommentare der Grünen höre undese, dann muss ich die Kollegen von den Grünen schonaran erinnern: Sie haben diesem Gesetz damals zuge-timmt.
uch die Ausrede, Kollege Ströbele, dieses Gesetz be-reffe den genannten Fall gar nicht, wurde vom Bundes-erfassungsgericht ausdrücklich abgelehnt. Hören Sie
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Ernst Burgbacheralso bitte damit auf, den Menschen Sand in die Augen zustreuen! Haben Sie wenigstens den Mut, sich zu dem,was Sie entschieden haben, zu bekennen!
Auch die Bundesregierung muss jetzt klarstellen, wel-che Konsequenzen sie aus diesem Urteil ziehen will. In-nenminister Schäuble und andere wollen nach wie voreinen Einsatz der Bundeswehr im Innern, wohl auch zurFußball-WM, durchsetzen.
Innenstaatssekretär Altmaier hält dies für schwierig. DerVerteidigungsminister Jung lehnt es ab. Die SPD weistentsprechende Forderungen aus der Union zurück.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,dieses Urteil war doch absehbar. Sie hätten sich dochdarauf vorbereiten können. Die Regierung der großenKoalition ist völlig uneins und ordnungslos.
Wir erwarten, dass die Bundesregierung jetzt Stellungnimmt. Hier ist insbesondere die Kanzlerin gefordert,auch wenn bei dieser Frage kein roter Teppich vor ihrausgerollt wird.
Ich fordere Sie, Herr Minister Schäuble, auf: BeendenSie endlich die Phantomdiskussion eines Bundeswehr-einsatzes bei der WM.
Wir, die FDP, wollen diesen Einsatz nicht. Das war unddas ist die Überzeugung der FDP. Da sind wir übrigensim Einklang mit vielen Betroffenen, zum Beispiel mitdem Bundeswehr-Verband oder mit der Gewerkschaftder Polizei.Das Luftsicherheitsgesetz enthält weitere problemati-sche Regelungen. So wird in § 7 dieses Gesetzes eineZuverlässigkeitsüberprüfung für alle Piloten von motor-getriebenen Luftfahrzeugen vorgeschrieben, die alle dreiJahre wiederholt werden muss. Diese Vorschrift ist völ-lig überzogen und realitätsfern. Ich kündige deshalb fürdie FDP-Fraktion an, dass wir Änderungen von § 7 be-antragen werden, um die vielen Hobbypiloten von dieserunsinnigen und kostspieligen Bürokratie zu befreien.
Der Rechtsstaat ist mit dem Urteil von Mittwoch ge-festigt worden. Heribert Prantl schreibt in der „Süddeut-schen Zeitung“ – ich zitiere –:Bei der Verteidigung des Rechts gegen den Terrordarf das Recht dem Terror nicht geopfert werden –das ist das große Fazit dieses Urteils.
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Das Zweite. Wir sollten uns gegenseitig zumindestugestehen, dass es Fälle gibt, in denen der Staat in ei-em echten Dilemma steckt. Es kann fatal falsch sein,ine Maschine mit Waffengewalt zu stoppen, also abzu-chießen. Es kann aber auch fatal falsch sein, eine Ma-chine nicht zu stoppen – mit der Folge, dass möglicher-eise Tausende unschuldiger Menschen ihr Lebenerlieren.Vielleicht sind wir auch an den Grenzen dessen ange-angt, was ein Gesetzgeber regeln kann.
ielleicht sind wir tatsächlich nicht in der Lage, alleälle des Lebens zu regeln. Vielleicht – das hat das Bun-esverfassungsgericht offen gelassen – muss man die
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1563
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Wolfgang BosbachEntscheidung darüber, wie in einem konkreten Einzelfallhätte gehandelt werden müssen, auch einmal einer politi-schen und möglicherweise sogar strafrechtlichen Würdi-gung überlassen.
Vielleicht können wir gar nicht alle Fälle vorhersehen,die das Leben für uns bereithalten kann.Über den § 7 des Luftsicherheitsgesetzes – auch wenndas nur ein Randproblem ist – sollten wir uns – dasmöchte ich Ihnen ausdrücklich zugestehen – noch ein-mal in Ruhe unterhalten. Wir erachten nicht die Intentiondes Gesetzgebers als falsch, aber wir müssen auch diepraktischen Auswirkungen sehen, die eine gesetzlicheNeuregelung zur Folge haben kann.
Das Bundesverfassungsgericht hat auch entschieden,dass bei einem unbemannten Flugobjekt das Gesagtenicht gilt. Wenn in einer entführten Maschine nur An-greifer sind, nur Entführer, aber kein entführter Passa-gier ist, dann gilt das nicht.
Der Staat muss doch dann die Möglichkeit haben, einesolche Maschine zu stoppen, wenn die Gefahr droht, dassTausende ihr Leben verlieren. In einem solchen Fall hatnach unserer Kompetenzordnung die Polizei die Kompe-tenz zur Gefahrenabwehr, aber sie hat gar nicht die tech-nischen Möglichkeiten; die technischen Möglichkeiten,den Angriff abzuwehren, hat die Bundeswehr, aber siehat nicht die Kompetenz. Deswegen müssen wir für ge-nau diese Fallkonstellation das Grundgesetz ändern.Nichts anderes kann für Angriffe von See her gelten.Wenn nur die Bundeswehr die Fähigkeit hat, einen terro-ristischen Angriff abzuwehren, dann wäre es nicht nurfahrlässig, sondern sogar unverantwortlich, wenn wir dieBundeswehr nicht einsetzen dürften, um unsere Bevölke-rung zu schützen.
Wir wissen spätestens seit dem 11. September: Wirhaben eine völlig andere Bedrohungslage als zur Zeit desKalten Krieges, aber es ist keine minder gefährliche. Wirwissen, dass nichtstaatliche Akteure mit militärischenoder paramilitärischen Mitteln aus dem Inland herausAngriffe, Attentate verüben können – mit Folgen in mili-tärischer Größenordnung, mit Tausenden von Toten. Ichdarf bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass bei denAnschlägen am 11. September doppelt so viele Men-schen gestorben sind wie beim Angriff auf die amerika-nische Pazifikflotte in Pearl Harbor. Wir müssen dasGrundgesetz dieser neuen Bedrohungslage anpassen.Die Mütter und Väter des Grundgesetzes sind bei derWehrverfassung von einer völlig anderen Gefahrenlageausgegangen, als wir sie heute haben.Das bedeutet nicht, dass CDU und CSU die innere Si-cherheit militarisieren wollen.NpBm––dtedaMnsbkgastDKgdDndah
Nein.
Nein, auch Herr Schäuble möchte nicht,
ass die Bundeswehr den Schutz der Fußballweltmeis-erschaft übernimmt. Herr Schäuble sagt vielmehr: Wennine Kombination von einer besonderen Bedrohungslageurch den internationalen Terrorismus und von Großver-nstaltungen vorliegt, bei der wir Polizeikräfte in einemaß binden, dass die Polizei ihre eigentlichen Aufgabenicht mehr wahrnehmen kann, dann muss es möglichein, dass die Bundeswehr Teile der Objektschutzaufga-en übernimmt, damit wir die Bevölkerung so schützenönnen, wie wir sie schützen müssen.
Im Übrigen – auch das sollte an dieser Stelle einmalesagt werden, weil ich glaube, dass das zwar nicht beillen, aber doch bei manchen im Hinterkopf eine Rollepielt –: Die Bundeswehr verdient exakt das gleiche Ver-rauen, das unsere Polizei verdient.
as ist der Grund dafür, dass wir die Kolleginnen undollegen nicht nur des Koalitionspartners, sondern desanzen Hohen Hauses zu einem Gespräch darüber einla-en, wie wir Deutschland sicherer machen können.Danke fürs Zuhören.
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!as Bundesverfassungsgericht hat vorgestern das so ge-annte Luftsicherheitsgesetz für verfassungswidrig undamit für null und nichtig erklärt. Ich persönlich möchtenmerken: Ich bin darüber sehr froh. Das Luftsicher-eitsgesetz war eine Lizenz zum Töten.
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1564 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Petra PauNoch vor ein paar Jahren hätte ich nicht geglaubt, dassausgerechnet Rot-Grün so etwas beschließen würde. Sietaten es dennoch.Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt: Nie-mand hat das Recht, Menschenwürde zu gewichten unddas Leben der einen zu schützen, indem man das Lebender anderen dem Tode weiht. Niemand heißt, auch derStaat darf es nicht, nicht die Regierung, nicht das Parla-ment. Karlsruhe hat mit diesem Urteil zugleich die Kern-argumente der FDP und der damaligen PDS im Bundes-tag bestätigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen es:Es ging beim Luftsicherheitsgesetz nicht nur um dieFrage, ob ein von Terroristen entführtes Flugzeug mit-samt der als Geiseln genommenen Passagiere abge-schossen werden darf. Es ging immer auch um die Frage,ob die Bundeswehr umfassender, als es im Grundgesetzohnehin erlaubt ist, im Innern der Bundesrepublik einge-setzt werden darf. Die Linksfraktion sagt dazu Nein.
Es gibt gute Gründe für das Gebot der Trennung vonPolizei und Bundeswehr: historische, politische undsachliche. Es gibt auch gute Gründe dafür, dass die Bun-deswehr Bundessache ist und die Polizei Ländersache.Die Erfinder des Luftsicherheitsgesetzes wollten beidesumgehen: das Trennungsgebot und die jeweiligen Zu-ständigkeiten. Das Bundesverfassungsgericht hat das inseiner Begründung als Kompetenzüberschreitung desParlaments kritisiert. Seitdem – so liest und hört man je-denfalls – grübeln insbesondere Unionspolitiker darüber,wie sie trotz des Karlsruher Urteils die Bundeswehr imInnern einsetzen könnten. Ich finde, das ist arrogant undauch tollkühn.
Es gibt hierzulande eine Gruppe, die in letzter Zeit auf-fällig oft mit der Verfassung bricht, nämlich ausgerech-net die Minister, die für den Schutz der Verfassung zu-ständig sind. Die regelmäßige Folge des Ganzen ist, dasswir uns immer wieder vor dem Bundesverfassungsge-richt treffen.Die Frage nach dem Einsatz der Bundeswehr im In-nern ist inzwischen uralt und wird immer wieder einmalvon der Union aufgeworfen, so auch schon vor 15 Jah-ren, als Wolfgang Schäuble ebenfalls Innenminister war.Seitdem sucht sich die Union für die Umsetzung diesesVorhabens ständig neue Anlässe. Nunmehr ist es dieFußballweltmeisterschaft. Der Anlass ist gut gewählt,denn angesichts der zunehmenden Euphorie werdenGrundrechte ganz schnell an den Rand gedrängt. Geradedeshalb mahne ich: Die Weltmeisterschaft soll kommen,aber die Grundrechte müssen bleiben. Ich appelliereauch an Sie: Die Fußballweltmeisterschaft darf nicht län-ger mit Ängsten beladen und politisch missbraucht wer-den. Jeder weiß, Großveranstaltungen sind immer beson-dere Herausforderungen für die innere Sicherheit. Eineseriöse Debatte darüber wäre durchaus sinnvoll, eineGeisterdebatte zum Einsatz der Bundeswehr ist es nicht.sdf–hddIsAww1dgndzthnwburDSKrrLmbnHgFhfzwse
Der Kollege Fritz Rudolf Körper spricht jetzt für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dasarlsruher Urteil, so darf man wohl sagen und formulie-en, beschäftigte sich mit einem Spezialfall eines terro-istischen Angriffes aus der Luft. Der Beratung zumuftsicherheitsgesetz, an der ich – dazu bekenne ichich auch – teilgenommen und bei der ich mich einge-racht habe, lag die Erfahrung des terroristischen Ereig-isses vom 11. September 2001 zugrunde. Es gab dann,err Ströbele, noch einen besonderen Anlass, als eineistig Verwirrter mit einem Kleinflugzeug um denrankfurter Henninger-Turm flog.
Das Karlsruher Urteil – ich glaube, da gibt es über-aupt kein Problem, es zu respektieren – ist meiner Auf-assung nach klar und eindeutig: Der Staat darf nichtum Täter und der Mensch nicht zum Objekt gemachterden.Das Luftsicherheitsgesetz hatte das Ziel, den Ab-chuss eines von Terroristen entführten und als Waffeingesetzten Passagierflugzeuges als so genanntes letz-
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Fritz Rudolf Körpertes Mittel zu erlauben, um eine noch schlimmere Kata-strophe zu verhindern. Das war die Fragestellung, mitder wir uns auseinander gesetzt haben. Ich muss es aufeinen einfachen Nenner bringen, lieber Herr Burgbacher:Eine solch schwierige Frage, der wir uns zugewendetund für die wir Lösungen gesucht haben, ist für eineplatte parteipolitische Auseinandersetzung völlig unge-eignet.
– Lesen Sie einmal Ihre Rede nach, Herr Burgbacher. Ichbin ein bisschen enttäuscht darüber. Denjenigen, die da-mals mit darüber entschieden haben, den Vorwurf zumachen, sie wollten die Menschenwürde mit Absichtverletzen, halte ich für abstrus und absonderlich. Einensolchen Vorwurf finde ich ungeheuerlich.
Das Urteil kommt zu dem klaren Ergebnis, dass dieAbwägung Leben gegen Leben nicht erlaubt und somitnicht verfassungsgemäß ist. Mit ihrer Verfassungsbe-schwerde machten die Beschwerdeführer geltend, siewürden durch das Luftsicherheitsgesetz unmittelbar inihren Grundrechten beeinträchtigt. Das Gericht kommtzu dem Ergebnis, dass eine Abwägung Leben gegen Le-ben nach dem Maßstab, wie viele Menschen möglicher-weise auf der einen und wie viele auf der anderen Seitebetroffen seien, unzulässig sei. Die angegriffenen Rege-lungen, so das Gericht, verletzten auch den verfassungs-rechtlichen Vorbehalt in Art. 87 a Abs. 2 Grundgesetz,nach dem die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur ein-gesetzt werden dürfen, soweit das Grundgesetz dies aus-drücklich zulässt.Das Gericht bestätigt uns damit in der Auffassung,dass ein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr im Inlandverboten ist.
Dem Bund ist ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spe-zifisch militärischen Waffen weder bei der Bekämpfungbesonders schwerer Unglücksfälle noch bei einem über-regionalen Katastrophennotstand erlaubt.Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts kanndie Bundeswehr auch in Zukunft nur zur Landesverteidi-gung oder im Rahmen der Amtshilfe eingesetzt werden.Darüber hinausgehende Forderungen, die Bundeswehrauch zu polizeilichen Aufgaben einzusetzen, sind meinerMeinung nach unzulässig, weil sie nicht verfassungsge-mäß sind.
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oldaten sind weder Ersatz- noch Hilfspolizisten. Wirerden sie auch nicht zu solchen machen.Ich wäre im Übrigen dankbar, wenn die öffentlicheebatte und die Erörterung dieses Urteils ein bisscheneniger heftig und dafür sachlicher geführt würden. Ichin der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie sich inhnlicher Weise geäußert hat. Ich denke, das ist sehrichtig.Wir werden uns das Urteil genau anschauen und wer-en es prüfen. Dann werden wir sehen, was getan wer-en kann, aber auch, was vielleicht nicht getan werdenann.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele,ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat imahr 2004 diesem Gesetz zugestimmt.
ch selber war an der Ausarbeitung und Formulierungerade dieses in Rede stehenden Absatzes des § 14 desuftsicherheitsgesetzes beteiligt.
Trotzdem muss ich feststellen:
ir, Bündnis 90/Die Grünen, und ich selber respektierenicht nur, sondern wir begrüßen diese Entscheidung desundesverfassungsgerichts aus voller Überzeugung undit ganzem Herzen, weil sie historisch zu nennen ist,eil sie richtig ist und weil in ihr die Würde des Men-chen als unantastbar bezeichnet wird, wie es in Art. 1es Grundgesetzes verankert ist.
Jetzt komme ich zu der Frage, wie man diesen Wider-pruch auflösen kann.
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Hans-Christian Ströbele
Wir haben mit diesem Gesetz das Richtige gewollt undbei der Einbringung in den Deutschen Bundestag ent-sprechend zum Ausdruck gebracht.
Allerdings haben wir dann eine falsche Formulierung insGesetz geschrieben.
Ich will ohne Wenn und Aber die Kritik an unserem Ver-halten akzeptieren.Ich persönlich habe die Formulierung „den Einsatzunmittelbarer Waffengewalt zulassen“ so verstanden,dass damit nicht gemeint ist, ein Passagierflugzeug mitin der Tat unbeteiligten Passagieren abschießen zu dür-fen.
So habe ich das hier im Bundestag formuliert und sohabe ich auch auf eine Frage eines Kollegen von derFDP seinerzeit geantwortet, der auf das Dilemma hinge-wiesen hat. Ich habe klar gesagt, dass das mit unserenmoralischen Grundsätzen und auch mit Art. 1 desGrundgesetzes nicht zu vereinbaren ist.Wir akzeptieren diese Kritik. Wir haben das Problemnicht mit der genügenden Klarheit gesehen und das Ge-setz nicht mit der genügenden Klarheit formuliert. Wirbegrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht diesenFehler glücklicherweise richtig gestellt hat.Wir haben vorher diese Kritik in den Diskussionen inder Öffentlichkeit wahrgenommen. Zu dieser Formulie-rung ist es gekommen – daraus mache ich keinen Hehl –,weil der Koalitionspartner ein Recht auf Abschuss ineiner Notsituation auch für Passagierflugzeuge, in demunbeteiligte Passagiere sitzen, schaffen wollte. Die da-malige Bundesregierung, insbesondere der damaligeBundesinnenminister, wollte das von uns. Wir wolltendas aber zu keinem Zeitpunkt der Verhandlungen. Wirhaben gesagt, dass das nicht in Betracht komme. Wir ha-ben versucht, eine Formulierung zu finden, mit der beideKoalitionspartner – wie das leider in Koalitionen so ist;davon wissen auch Sie von der FDP und andere ein Liedzu singen – leben können. Wir dachten, wir hätten einegeeignete Formulierung gefunden. Aber wir haben diefalsche gewählt.Jetzt ist die Frage, welche Schlussfolgerung man ausdem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zieht. DieSchlussfolgerung darf keinesfalls lauten, dass wir erneutVersuche unternehmen, der Bundeswehr zusätzlicheRechte im Inneren unseres Staates zuzubilligen.Ein Grund, uns für einen Kompromiss auszusprechenund zu einem Kompromiss zu kommen, war für uns da-mKlgeCkdDDÜDSgwUAdwgnturzesdvlwnGSsD
eshalb war schon damals der Hintergrund unsererberlegungen, das auf gar keinen Fall zuzulassen.
enn wir wussten, dass dies die Union und Teile derPD seit dem Erlass der Notstandsgesetze immer wiederefordert haben, auch vor zehn bzw. 15 Jahren. Wirussten, dass dies nach wie vor auf der Agenda dernion und von Teilen der SPD stand.Heute stehen wir vor dem Problem: Wollen wir in deruseinandersetzung über die Schlussfolgerungen ausiesem Urteil einen zusätzlichen Einsatz der Bundes-ehr im Inneren schleichend möglich machen? Dazu sa-en wir genauso eindeutig: Nein. Wir wollten damalsicht, dass das Grundrecht in Art. 1 des Grundgesetzesangiert wird,
nd wir wollen jetzt nicht, dass die Bundeswehr im Inne-en zusätzliche Aufgaben übernimmt, für die die Polizeiuständig ist. Das ist weder richtig noch notwendig. Ininer Zeit, in der Polizeistellen abgebaut und der Objekt-chutz nicht nur an Kasernierungsstandorten der Bun-eswehr, sondern auch beim Polizeipräsidium in Berlinon Privatfirmen übernommen wird, ist es völlig unzu-ässig und neben der Sache, zu fordern, dass die Bundes-ehr im Inneren Polizeiaufgaben zusätzlicher Art über-immt.
Herr Ströbele, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Das ist der falsche Weg. Das wäre genau die falsche
chlussfolgerung aus diesem Urteil des Bundesverfas-
ungsgerichtes.
Für die Bundesregierung spricht der Bundesministerr. Wolfgang Schäuble.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1567
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Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der An-lass dieser Debatte ist so ernst, dass ich der Versuchungwiderstehen will, Herr Kollege Ströbele, Ihre Art vonRabulistik zu sehr aufzuspießen. Es ist ehrenwert, dassSie sich dazu bekannt haben, dass Sie dem Luftsicher-heitsgesetz zugestimmt haben. Der Versuch der Irrtums-begründung war ein bisschen mühsam.
Frau Kollegin Pau, Sie sollten in Zukunft ein biss-chen sorgfältiger formulieren. In meiner Verantwortungals Bundesinnenminister können Sie mir keine Verfas-sungsbrüche vorwerfen. Was immer Sie ansonsten sagenwollen, dies sollten Sie bitte nicht tun. Meine jetzigeAmtszeit ist noch ein bisschen kurz. Schauen Sie einmalgenau nach, ob Sie in meiner früheren Amtszeit irgend-etwas dazu finden.
– Gut, dann sind wir uns schon einig.Ich möchte diese Gelegenheit gern zum Anlass neh-men – denn es ist ein ernstes Thema –, dafür zu werben,das wir beim Umgang miteinander unterscheiden zwi-schen der Frage, was nach dem geltenden Grundgesetzerlaubt ist und was nicht – da gilt natürlich das Urteil desVerfassungsgerichts; es legt das geltende Grundgesetzverbindlich aus –, und dem legitimen politischen Anlie-gen, zu sagen: Ich schlage eine Ergänzung bzw. Ände-rung des Grundgesetzes vor. Darüber kann man unter-schiedlicher Meinung sein.
Aber es wäre falsch – das ist völlig klar –, daraus denVorwurf abzuleiten, derjenige, der dies sagt, wolle dieVerfassung brechen. Für alle Mitglieder des Bundesta-ges, alle Mitglieder der Bundesregierung und alle Lan-desminister gilt: Sie alle wollen und werden nur im Rah-men der Verfassung handeln. Wir alle haben übrigensunseren Amtseid darauf geschworen, das Grundgesetzund die Gesetze des Bundes zu achten und zu respektie-ren.Niemand will in irgendeiner Weise außerhalb desGrundgesetzes handeln. Trotzdem kann man unter-schiedlicher Meinung sein. Das muss in einer Demokra-tie erlaubt sein. Man kann darüber streitig diskutieren,ob es richtig ist, zu sagen: Wir müssen das Grundgesetzan dem einen oder anderen Punkt ergänzen.Ich füge ganz leise hinzu:
Die damalige Opposition hat nicht zuletzt unter Feder-führung des Kollegen Bosbach und mir gesagt – wie esim Übrigen die Bundesregierung nach dem Urteil desBundesverfassungsgerichts getan hat –, dass sie dasSchutzanliegen des Gesetzes für richtig hält. Deswegenhaben wir zugestimmt. Wir haben aber gleichzeitig ge-svh–TiLfhdvfVaNdNPv2tcwhtkvFsuMOwkgteAwnndvBdh–dbnw
Langsam, Herr Kollege Ströbele. Wir sollten demhema angemessen darüber diskutieren.Die Sicherheit während der Fußballweltmeisterschaftst ein ganz anderes Thema. Mit der Entscheidung zumuftsicherheitsgesetz haben wir das Problem, dass wirür den Fall eines 11. September eine Regelungslückeaben. Ich will übrigens darauf aufmerksam machen,ass der Weltsicherheitsrat nach den Terroranschlägenom 11. September 2001 gemäß Art. 51 der UN-Chartaestgestellt hat, dass es sich um einen Angriff gegen dieereinigten Staaten von Amerika und einen Anschlaguf den Weltfrieden handelt. Am Tag danach hat dieATO – übrigens mit Zustimmung der damaligen Bun-esregierung – beschlossen, dass hier nach Art. 5 desATO-Vertrages – wenn Sie mögen, lese ich Ihnen dieassage vor – ein bewaffneter Angriff gegen ein Landorliegt. Das war die Situation nach dem 11. September001.Der gestrige Empfang der Sozialdemokratischen Par-ei für Hans-Jochen Vogel hat mich veranlasst, an Mün-hen 1972 zu denken. Den wenigsten von Ihnen wird be-usst sein, dass wir schon einmal einen 11. Septemberatten – der 11. September scheint ein schwieriges Da-um zu sein –, nämlich im Jahr 1972. Wenn Sie mögen,önnen Sie das in den Memoiren des damaligen Bundes-erteidigungsministers Georg Leber mit dem Titel „Vomrieden“ nachlesen, die 1979 erschienen sind. Darinchildert er die Abschlussfeier am 11. September 1972nd die Situation, als – das war nach dem Anschlag – dieeldungen kamen, dass ein Flugzeug im Anflug auf daslympiastadion sei und Bomben auf das Stadion abge-orfen werden sollten. Zum Glück ist es dazu nicht ge-ommen.Machen Sie es sich und uns nicht zu einfach! Ich habeerade davon gesprochen, dass der Amtseid des Minis-ers beinhaltet, das Grundgesetz zu achten. Darin heißts aber auch, Schaden vom deutschen Volk zu nehmen.uch das ist vom Amtseid umfasst. Deswegen müssenir über diese Fragen sorgfältig nachdenken. Das wirdach diesem Urteil nicht einfacher. Aber es enthebt unsicht unserer Verantwortung.Ich möchte eine zweite Bemerkung machen. Es istoch völlig klar – das hat in der gemeinsamen Sitzungon Innen- und Sportausschuss der hessische Kollegeouffier diese Woche sehr eindrucksvoll gesagt –, dassie Innenminister von Bund und Ländern bei den Sicher-eitsvorbereitungen für die Fußballweltmeisterschaftdie auf einem guten Wege sind, obwohl die Herausfor-erungen insbesondere wegen des Phänomens des Pu-lic Viewing eine Dimension haben, wie wir sie bishericht gekannt haben – nur im Rahmen dessen planen,as das Grundgesetz erlaubt. In diesem Rahmen leistet
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1568 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Bundesminister Dr. Wolfgang Schäubledie Bundeswehr übrigens wie bei vergangenen Großver-anstaltungen jede Menge. Sie hat daher Anspruch aufRespekt und Anerkennung, auch auf Dank.
Ich sage dies auch, weil ich zunehmend die Sorgehabe, dass von irgendjemandem – das könnte auch ichsein; ich will es aber nicht – der Vorwurf der Militarisie-rung der Innenpolitik erhoben wird. Das klingt so, alsseien die Soldaten der Bundeswehr schießwütige Cow-boys. Das sind sie nicht. Der Kollege Bosbach hat zuRecht gesagt, dass sie dasselbe Vertrauen verdienen wiedie Polizeibeamten von Bund und Ländern.
Die Frage, was wir tun können, wenn wir an dieGrenzen dessen gestoßen sind, was die Polizei zu leistenim Stande ist, kann man unterschiedlich beurteilen. So-lange wir hier nicht zu einer Grundgesetzänderung kom-men – der Zeitraum ist eng; das ist mir klar –, bereitenwir uns so gut wir können im Rahmen dessen vor, wasdas Grundgesetz erlaubt. Über alles andere können wirstreitig diskutieren. Dies enthebt uns aber nicht unsererVerantwortung. Um nicht mehr, aber auch um nicht we-niger möchte ich anlässlich dieser Debatte werben.Wir freuen uns alle auf die Fußballweltmeisterschaft.Wer wird denn so blöd sein, im Zuge dessen immer vonSicherheit zu reden? Am liebsten würden wir nicht da-rüber reden. Das enthebt uns aber nicht unserer Verant-wortung. Wir sind in Vorfreude auf eine hoffentlich tolleWeltmeisterschaft, zu der viele Zehntausend Menschen,vielleicht 1 Million, zu uns kommen und bei der Milliar-den Menschen auf unser Land schauen. Das ist einegroßartige Chance, uns als Gastgeber zu erweisen undeine fröhliche Fußballweltmeisterschaft zu veranstalten.Wir dürfen aber die Sicherheitsbelange nicht vernachläs-sigen; sonst würden wir unserer Verantwortung nicht ge-recht werden.Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes könnensich darauf verlassen, dass diese Bundesregierung unddiese Koalition ihrer Verantwortung im Rahmen desGrundgesetzes gerecht werden.Herzlichen Dank.
Der Kollege Dr. Westerwelle spricht für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächstzwei Vorbemerkungen machen. Erstens. Herr KollegeKörper, ich halte es für nicht richtig und für nicht ange-messen, dass Sie Herrn Burgbacher in Heftigkeit etwasudEsw–tDmedkgPrseIDeIKltdwawddewgf
Sie sagen, Sie seien es gewesen, aber so gemeint hät-en Sie es nicht.
as ist eine drollige Verdrehung von Tatsachen.
Ich will Ihnen an dieser Stelle einmal sagen: Sieüssten sich heute nicht dieser Kritik stellen, wenn Sies nicht gewesen wären, und zwar SPD und Grüne, dieie verfassungsrechtlichen Bedenken der Freien Demo-raten in Bausch und Bogen abgetan haben.
Es ist sogar der Verfassungsminister Ihrer Regierungewesen, Otto Schily, der der Freien Demokratischenartei wörtlich unterstellt hat, sie sei ein Sicherheits-isiko für Deutschland. Weil wir die Menschenwürdechützen wollten, ist uns unterstellt worden, wir seienin Sicherheitsrisiko.
ch finde, es wäre an der Zeit, dass Sie sich heute in derebatte für solche Entgleisungen entschuldigen, um dasinmal klar auf den Punkt zu bringen.
Jetzt kommen wir aber zu dem eigentlichen Gehalt.nteressant ist, dass ein Teil hier erklärt, er will dasarlsruher Urteil achten, sich ein anderer Teil aberängst Gedanken darüber macht, wie man von dem Ur-eil wegkommt. Die Reaktion der Politik auf das Urteiles Bundesverfassungsgerichts ist es nicht gewesen, ineiten Teilen anzuerkennen, was das Verfassungsgerichtus Sorge um das Recht auf Leben und die Menschen-ürde entschieden hat. Das Erste, was die Ministerpräsi-enten von Hessen und Bayern, der Kollege Koch under Kollege Stoiber, getan haben, ist, zu sagen, jetzt gebes eine große Lücke im Gesetz, ein Sicherheitsrisiko seiieder entstanden. Jetzt müsse man neue Initiativen er-reifen, um die Verfassung zu ändern. Das ist die völligalsche Konsequenz.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1569
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Dr. Guido WesterwelleSo, wie Sie bei der Frage der Menschenwürde, derVerfassung, der Rechtsstaatlichkeit falsch lagen, als Siedieses Gesetz beschlossen haben, so liegen Sie falsch,wenn Sie meinen, Sie könnten die Menschenwürde oderdas Recht auf Leben, also das Urteil des Bundesverfas-sungsgerichts, durch einen neuerlichen Anlauf relativie-ren. Die Menschenwürde, das Recht auf Leben kanndurch keine Mehrheit im Deutschen Bundestag unddurch keine Mehrheit im Bundesrat beseitigt werden.Gott sei Dank gibt es noch eine Partei und Gott sei Dankgibt es noch ein Verfassungsgericht, das dies so klar unddeutlich formuliert.
Sie fragen: Wer will das denn? Darf ich Sie daraufaufmerksam machen, dass es genau diese Abwägung ge-wesen ist. Man kann das Leben von Unschuldigen nichtgesetzlich gegeneinander abwägen. Das ist im Kern dieEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das istdie Garantie der Menschenwürde. Wenigstens jetzt soll-ten Sie dieses Prinzip anerkennen und sich nicht Gedan-ken darüber machen, wie man möglicherweise durcheine Verfassungsänderung diesem klaren Auftrag desBundesverfassungsgerichts entgehen kann.Herr Kollege Schäuble, ich hatte eigentlich gehofftund auch darauf gewartet, dass Sie neben den richtigenallgemeinen Betrachtungen – dass Ihnen keiner unedleMotive unterstellt, wenn Sie beispielsweise Ihre Plänevertreten, ist doch selbstverständlich – auch die Konse-quenzen, die für Ihre bisherige Politik aus diesem Urteilzu ziehen sind, erläutern. Dazu haben Sie keinen Ton ge-sagt.Ich mache darauf aufmerksam, was am heutigen Tagin der Zeitung steht. Die eine Zeitung schreibt: Schäublebeharrt auf Grundgesetzänderung und zitiert Sie. Dienächste Zeitung, die einen etwas späteren Andruck hatte,schreibt: Merkel gibt Schäubles Plan für die WM auf.Das ist die derzeitige Lage. Ich finde, der DeutscheBundestag muss schon erwarten können, dass wir bei soeiner empfindlichen Frage, nämlich des Einsatzes derBundeswehr im Inland, von Ihnen jetzt eine Antwort be-kommen, und zwar hier im Plenum. Ich bitte Sie, dasWort zu ergreifen und das für die Bundesregierung klar-zustellen.
Wir Freie Demokraten begrüßen ausdrücklich, dassdie Bundeskanzlerin diese Pläne des Bundesinnenminis-ters fallen lassen will. Wir erwarten vom Innenminister,dass er dies akzeptiert und beidreht. Das ist das Aller-mindeste, was man von Ihnen als Konsequenz aus demKarlsruher Urteil erwarten kann.
Damit komme ich zum letzten Punkt, den ich anspre-chen möchte. Das hört sich gut an: Die Soldaten habendasselbe Vertrauen verdient. Als ob irgendjemand in die-sem Raume nicht den Damen und Herren Soldatinnenund Soldaten vertrauen würde. Selbstverständlich! AberSmSsBshdiüHIdSBbBWgDTewEdwazSkwbke
Für die Fraktion der SPD spricht der Kollege Frank
ofmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch möchte am Anfang meiner Rede die zwei Beiträgeer FDP ansprechen. Sie haben für heute eine Aktuelletunde zur Haltung der Bundesregierung zum Urteil desundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetzeantragt. Doch es ging Ihnen – ich spreche über dieeiträge von Ihnen, Herr Burgbacher und Herresterwelle – nicht darum, die Haltung der Bundesre-ierung zu erfahren.
enn auch Sie wissen: Wenn die Bundesregierung zweiage nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtsine abschließende Bewertung zum Urteil abgebenürde, wäre das fahrlässig.
rwarten Sie hier etwa tatsächlich von den Rednern,ass sie in ihren Redebeiträgen von fünf Minuten diesesichtige Urteil richtig einschätzen,
nalysieren und künftige Gesetzesvorhaben daraus skiz-ieren? Das kann nicht Ihr Ernst sein. Sie wollten eineelbstbeweihräucherung der FDP. Das war alles.
Sie haben eben gesagt, dass die Bundeskanzlerin diesonnte. Wenn Sie die Meldung genau gelesen hätten,üssten Sie, dass sie so einen Einsatz nur für die Fuß-allweltmeisterschaft ausgeschlossen hat. Ansonstenenne ich keine Aussage der Bundesregierung dazu, wies insgesamt weitergehen soll.
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1570 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006
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Frank Hofmann
Ich will für mich sagen: Ich war Berichterstatter derSPD zum Luftsicherheitsgesetz. Wir hatten Vertreter desInnenministeriums und des Justizministeriums in vielenSitzungen dabei, die es verfassungsrechtlich beurteilt ha-ben. Wir haben eine Sachverständigenanhörung durch-geführt, in der die Meinungen unterschiedlich waren.Eine Eindeutigkeit, wie sie jetzt dargestellt worden ist,hat es nicht gegeben. Es war für mich mehr als überra-schend, dass sich das Bundesverfassungsgericht so ein-deutig geäußert hat. Das war aus meiner Sicht vorhernicht erkennbar.Wir sind nun in einem moralischen Dilemma, das sichrechtsstaatlich nicht lösen lässt. Das wurde schon vonHerrn Bosbach angesprochen. Das Urteil lässt nur dieMöglichkeiten zu, ein unbemanntes oder nur mit Terro-risten besetztes Flugzeug mit militärischen Mitteln zubekämpfen, und zwar nur dann, wenn zuvor das Grund-gesetz geändert und die Bundeswehr damit in diesemspeziellen Fall zum Einsatz ermächtigt wird. So versteheich im Moment das Urteil.Nicht einfach ist es für mich, damit umzugehen, dassman nicht tätig werden darf, wenn Unbeteiligte invol-viert sind. Denn das Bundesverfassungsgericht untersagtden Einsatz von Waffen bei entführten Passagiermaschi-nen, die nach dem Muster des 11. September 2001 geka-pert werden.Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass das Luft-sicherheitsgesetz wesentlich weiter geht. Der Grundsatzdes Luftsicherheitsgesetzes lautet: Entführungen werdenam Boden ermöglicht und sollten dort verhindert wer-den. Wir tun das meiste vorher am Boden durch dieÜberprüfungen im Flughafen. Ich denke, man muss dasLuftsicherheitsgesetz insgesamt sehen.Gestört hat mich auch, dass nach dem Bekanntwerdendes Urteils Teile der CDU und der CSU sehr hektisch re-agiert haben; ich meine, auch ein bisschen hysterisch.Der „Spiegel“ hat nur zwei Stunden später berichtet:„Union drängt auf Grundgesetzänderung“. Auf dieseWeise wird schon wieder Zeitdruck erzeugt, damit manquasi mit heißer Nadel die eigene Position innerhalb derKoalition verbessern kann. Ich finde, so geht das nicht.Wir halten uns an die Koalitionsvereinbarung. Dort heißtes:Angesichts der Bedrohung durch den internationa-len Terrorismus greifen äußere und innere Sicher-heit immer stärker ineinander. Gleichwohl gilt diegrundsätzliche Trennung zwischen polizeilichenund militärischen Aufgaben. Wir werden nach derEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts zumLuftsicherheitsgesetz prüfen, ob und inwieweit ver-fassungsrechtlicher Regelungsbedarf besteht.Im Koalitionsvertrag steht nicht – auch daran will ich er-innern –, das dieses Gesetz vor Beginn derFußballweltmeisterschaft 2006 im Gesetzbuch zu ste-hen hat.Der Druck, der im Zusammenhang mit der Fußball-weltmeisterschaft aufgebaut wurde – ich hoffe, damit istes nun vorbei –, verdeutlicht das Dilemma, in dem sichdie Innenminister der Länder befinden: In den letztenJfuübwnfvnsasrtshawslssmFIalKCIgfBAlda
CDU und CSU haben möglicherweise ein Konzeptür den Einsatz der Bundeswehr im Innern im Kopf, sieerschweigen es aber. Lange bevor der neue internatio-ale Terrorismus aufkam, hatte Innenminister Schäubleich bereits für einen Einsatz der Bundeswehr im Innernusgesprochen. Dabei geht es nicht lediglich um Objekt-chutz. Nein, vielmehr hatten schon immer einige füh-ende Köpfe in der CDU/CSU die Sehnsucht, eine Na-ionalgarde aufzubauen. Das wollen wir aber nicht. Füro etwas wollen wir nicht unsere Hand reichen.Ich erinnere daran, dass es noch nicht einmal ein Jahrer ist, dass Bayerns Innenminister Beckstein nach Luft-bwehrraketen und Kampfhubschraubern der Bundes-ehr, die gegen Modell- und Kleinstflugzeuge einge-etzt werden sollten, rief. Herr Schönbohm hat in denetzten Tagen allerdings den Vogel abgeschossen, als eragte, die neue Bedrohungslage durch den Terrorismustelle so etwas Ähnliches wie einen Spannungsfall dar.
Herr Hofmann, Sie müssen bitte zum Schluss kom-
en.
Ja, nur noch eine Sekunde. – Damit hat er auch die
rage der Wehrpflicht verknüpft. Das geht aber zu weit.
ch erwarte von unserem Koalitionspartner, dass er sich
n den Koalitionsvertrag hält und alle Kämpfe unter-
ässt, die die Stabilität einer auf vier Jahre angelegten
oalition untergraben.
Herzlichen Dank.
Der Kollege Hermann Gröhe spricht für die CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!n der Tat: Die heutige Aktuelle Stunde kann nur der Be-inn der Debatte über die Entscheidung des Bundesver-assungsgerichts vom vorgestrigen Tage sein. Denn dieegründung der Entscheidung, die Vorschrift des § 14bs. 3 Luftsicherheitsgesetz für nichtig zu erklären, ver-angt nach einer eingehenden Prüfung, um den Umfanges nunmehr gebotenen gesetzgeberischen Handelnsuszuloten.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 20. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Februar 2006 1571
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Hermann GröheVerehrter Kollege Hofmann, insbesondere dann,wenn man möglicherweise noch keine Zeit hatte, dieseeingehende Prüfung vorzunehmen, sollte man diese De-batte nicht nutzen, um über Themen zu sprechen, die mitdieser Entscheidung nichts zu tun haben.
Obwohl es in den letzten beiden Tagen zu manchschneller, ja sogar vorschneller Kommentierung der Ent-scheidung gekommen ist, sei festgehalten: Die vomBundesverfassungsgericht für nichtig erklärte Bestim-mung wurde in der letzten Legislaturperiode von der da-maligen rot-grünen Mehrheit auch gegen die Stimmender CDU/CSU-Bundestagsfraktion beschlossen. Soweitdas Bundesverfassungsgericht erklärt hat, für die fürnichtig erklärte Vorschrift gebe es keine Gesetzgebungs-kompetenz des Bundes, entspricht diese Auffassung ge-nau jener rechtlichen Bewertung, die seinerzeit dieUnion veranlasste, gegen den damals vorgelegten Ge-setzentwurf zu stimmen,
und die die Landesregierungen Bayerns und Hessensveranlasste, ebenfalls das Bundesverfassungsgericht an-zurufen.Das Bundesverfassungsgericht hat die angegriffeneBestimmung auch in materieller Hinsicht für mit demGrundgesetz unvereinbar erklärt. Auch angesichtsmanch anderer Debatte über den Schutz der menschli-chen Würde am Beginn und am Ende menschlichen Le-bens halte ich das kraftvolle Bekenntnis des Gerichts zurUnbedingtheit der menschlichen Würde für begrüßens-wert. Ich bin gespannt, ob wir im Rahmen anderer De-batten ähnlich konsequent über die Schlussfolgerungen,die gezogen werden sollen, nachdenken. Allerdings be-kenne ich: Auch ich habe, was die konkreten Schlussfol-gerungen des Gerichts betrifft, noch einige Fragen.Die Union hat sich stets zum Schutzzweck des Luft-sicherheitsgesetzes bekannt; darin waren wir uns mit derdamaligen rot-grünen Mehrheit einig. Wir sollten ge-meinsam die verfassungsrechtlichen Grundlagen dafürschaffen, diesen Schutzzweck innerhalb der vom Bun-desverfassungsgericht gezogenen Grenzen zu erreichen.Insofern kann von einem Ende der Debatte über notwen-dige Grundgesetzänderungen nicht die Rede sein, zumal– auch dies wurde erwähnt – die Koalitionsvereinbarungausdrücklich auch das Ziel eines „Seesicherheitsgeset-zes“ benennt.Wo auch das Bundesverfassungsgericht materiellMaßnahmen zur Abwehr von Gefahren ausdrücklich fürzulässig hält, beispielsweise bei einem unbemanntenFlugzeug oder bei einem Flugzeug, in dem sich aus-schließlich die Entführer befinden, bleibt gleichwohleine Verfassungsänderung geboten, um eine notwendigeGesetzgebungskompetenz zu schaffen. Wir sollten dahermit allem Ernst prüfen, worin wir schon heute überein-stimmen, was sachlich zusammengehört und was nochdie Erarbeitung einer mehrheitsfähigen Position ver-ldAugtstiigwankfbsbtdtrdhHnAvHBRdosRdShavlDs
ei allen Schwierigkeiten, dafür eine generalisierendeegelung zu finden, dürfen wir doch nicht darauf hoffen,ass in solchen Situationen erst der Gehorsam gegenüberffen rechtswidrigen Befehlen den Schutz großer Men-chenmengen, die bedroht sind, möglich macht.Lassen Sie uns also gemeinsam prüfen, wie wir imespekt vor unserem Grundgesetz und vor der Entschei-ung des Bundesverfassungsgerichts den bestmöglichenchutz unserer Bevölkerung vor dramatischen Bedro-ungen erreichen – in der Hoffnung, dass uns, vor allember den Entscheidern und den Handelnden sowie denon diesen Entscheidungen Betroffenen solche Konflikt-agen erspart bleiben.Vielen Dank.
Es spricht Jörn Thießen für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!as Bundesverfassungsgericht hat vorgestern klarge-tellt: Eine Abschussbefugnis, wie sie im Luftsicher-
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Jörn Thießenheitsgesetz vorgesehen war, gibt es unter keinen Um-ständen. Der Einsatz der Bundeswehr zur akutenBekämpfung terroristischer Gefahren – ob aus der Luftoder von der See – im Inneren ist mit diesem Urteil er-schwert, wenn nicht verboten worden. Das Bundesver-fassungsgericht hat jede Möglichkeit ausgeschlossen,beispielsweise gegen Passagierflugzeuge vorzugehen,die von Verbrechern als Waffen genutzt werden. DerStaat darf sich demzufolge nicht der gleichen Handlun-gen schuldig machen, die von Terroristen begangen wer-den. Das ist richtig und das ist gut. Aber es bietet keineVeranlassung, die grundlegende Absicht des Luftsicher-heitsgesetzes zu diffamieren.Im Koalitionsvertrag hat sich die Regierung bereitsauferlegt, nach diesem Urteil zu prüfen, „ob und inwie-weit … Regelungsbedarf besteht“. Es ist sinnvoll und imSinne aller Betroffenen, sich einer klarstellenden Ände-rung der Gesetzeslage, die sich auf spezifische Fälle ei-ner Bedrohung aus der Luft oder von der See bezieht,nicht von vornherein zu verschließen. Wenn eine solcheBedrohung ausschließlich mit militärischen Mitteln undnur von der Bundeswehr tatsächlich bekämpft werdenkann, dann muss dazu eine Grundlage geschaffen wer-den.Der Einsatz gegen unbemannte oder nur mit Terroris-ten besetzte Flugzeuge wird nicht ausgeschlossen. Er istheute allein deshalb nicht möglich, weil nach geltendemRecht keine militärischen Mittel dafür eingesetzt werdendürfen. Bei einer möglichen Änderung des Art. 35 desGrundgesetzes wird man sich aber höchstens darauf be-schränken, den Einsatz der Bundeswehr gegen solcheBedrohungen rechtlich überall dort abzusichern, wo esnotwendig ist, zu Waffen zu greifen, die der Polizei nichtzur Verfügung stehen.Wir wissen, dass moralische Dilemmata nicht durchGesetzestexte zu lösen sind. Wir als Gesetzgeber sinddennoch in der Pflicht, auch in unwahrscheinlichen Fäl-len für die straf- und zivilrechtliche Sicherheit der Han-delnden zu sorgen. Wir müssen diejenigen absichern, dieunsere staatlichen Instrumente unmittelbarer Gewalt amEnde in den Händen halten. Diesen Schutz haben alleverdient und diesen Schutz müssen wir ihnen gewähren.Aus dem Urteil folgt: Auch in Zukunft kann die Bun-deswehr selbstverständlich zur Landesverteidigung undim Rahmen der Amtshilfe eingesetzt werden. Weiterge-hende Forderungen, Soldaten auch für polizeiliche Auf-gaben einzusetzen, sind ausgeschlossen. Nicht ausge-schlossen sind akute und präventive Maßnahmen zurAbwehr möglicher nationaler Unglücksfälle. Dazu ge-hört eben auch der Schutz vor einer denkbaren terroristi-schen Bedrohung. Hier können und dürfen Einrichtun-gen der Streitkräfte angefordert und verwendet werden.Diese Amtshilfe wird schnell und erfolgreich geleistet.Das ist heute der Fall und das wird auch morgen der Fallsein. Damit können wir dieses Kapitel schließen.Ein zeitliches Zusammentreffen von Ereignissen istaber mitnichten auch ein inhaltliches Zusammentreffenin der Sache. Wenn die Fußballweltmeisterschaft dieLänder in Schwierigkeiten bringt, weil sie bei ihren Poli-zeien zu viel gespart haben, dann können wir allenfallspPGkldAbwucgsetawVgSCdBkerDgdLtvbZGDwnbnWmv
uf diese Ausbildungen, Kernkompetenzen und Berufs-ilder ist unser Land nach innen und nach außen ange-iesen.2 000 Soldatinnen und Soldaten werden ihre Kräftend Mittel während der Weltmeisterschaft in den Berei-hen Sanität, ABC-Schutz und Verpflegung zur Verfü-ung stellen. Das ist gut, das können sie, das ist vom Ge-etz gedeckt und das reicht.Klug handelt, wer gerade diejenigen Dinge sorgfältigin zweites Mal anschaut, bei denen er sich auf den ers-en Blick nicht ganz sicher war. – Dieser weise Satz giltuch für erfahrene Bundesminister, insbesondere dann,enn sie den Bereich des Inneren verantworten. Einererschmelzung von polizeilichen und militärischen Auf-aben – und sei sie zeitlich noch so begrenzt – wird dieozialdemokratie keinen Vorschub leisten.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durchie Entscheidung über das Luftsicherheitsgesetz hat dasundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Be-ämpfung von terroristischen Bedrohungen im Luftraumnge Grenzen gesetzt.Das hat zumindest viele Juristen nicht wirklich über-ascht, es hinterlässt aber doch zwiespältige Gefühle.enn zum einen ist der Staat verpflichtet, seinen Bür-ern den größtmöglichen Schutz zu gewähren, zum an-eren steht fest, dass die Abwägung von Leben gegeneben den Kernbereich aller Ethik und allen Rechts be-rifft. Konkret geht es um die Opferung der Leben einererhältnismäßig kleinen Zahl Unschuldiger, um die Le-en einer größeren, möglicherweise sehr viel größerenahl Unschuldiger zu retten. Hier stoßen wir an dierenzen unserer gesetzgeberischen Möglichkeiten.iese hat Karlsruhe klar gezogen.Wir müssen aber auch erkennen, dass Terrorangriffeie die vom 11. September in New York eine völligeue Dimension von internationaler politischer Gewaltedeuten, die uns zwingt, diese Kampfansage des inter-ationalen Terrors als Kriegserklärung an die westlicheelt und ihre Werte zu begreifen. Das bedeutet: Wirüssen das herkömmliche Verständnis der Abgrenzungon Krieg und Kriminalität, von Kriegsführung und Ver-
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Dr. Wolfgang Götzerbrechensbekämpfung überwinden und diese neu definie-ren.Völlig neue Bedrohungen verlangen neue Schutzkon-zepte. Mit dem Urteil vom vergangenen Mittwoch ist esjedenfalls nicht mehr möglich, diesen Bedrohungen sozu begegnen, wie es mit dem Luftsicherheitsgesetz ge-plant war. Das hat die Politik zu respektieren. Allerdingshat das Bundesverfassungsgericht immerhin die Mög-lichkeit eröffnet, ein Flugzeug abzuschießen, das alleinmit Terroristen besetzt ist, ohne dabei gegen das Rechtauf Leben oder die Menschenwürde zu verstoßen. Dochbrauchen wir hierzu eine Grundgesetzänderung, da dermilitärische Einsatz der Bundeswehr im Innern in diesenFällen vom Grundgesetz nicht zugelassen ist. Das hat dieUnion schon im Jahre 2004 – das ist bereits angespro-chen worden – bei den Beratungen zum Luftsicherheits-gesetz erkannt und damals einen entsprechenden Antragzur Änderung des Grundgesetzes vorgelegt.Deshalb ist es jetzt umso wichtiger, dies unverzüglichnachzuholen und den gesetzgeberischen Spielraum, denuns Karlsruhe gelassen hat, auszuschöpfen, also die vor-handene Ermächtigung im Grundgesetz auf eine breitereBasis zu stellen. Ich hoffe, wir sind uns alle darüber ei-nig, dass der Gesetzgeber die Voraussetzungen schaffenmuss, um derartige terroristische Attacken wirksam be-kämpfen zu können. Dies ist von Staats wegen zumSchutz der bedrohten Menschen dringend geboten.
Im Übrigen müssen wir unverzüglich gewissenhaftprüfen, welche weiteren Gestaltungsspielräume unsüberhaupt noch bleiben, um die Sicherheit der Bevölke-rung in den Fällen bestmöglich zu gewährleisten, in de-nen uns nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtsdie Hände gebunden sind. Hier ist meines ErachtensHandlungsbedarf gegeben. Die „Frankfurter AllgemeineZeitung“ hat zu Recht am 16. Februar dieses Jahres ge-schrieben – ich zitiere –:Durch das Gerichtsurteil ist die Sicherheitslückeobjektiv vergrößert worden … Also muß man sichum so intensiver bemühen, die Lücke wieder zuverkleinern.Dabei gilt es, für die Sicherheitskräfte im Ernstfalleine präzise und verfassungsrechtlich unzweifelhafteRechtslage zu schaffen. Das sind wir nicht nur der Be-völkerung, sondern auch den Soldaten schuldig. Mögli-cherweise bleibt für diese wahrlich furchtbare Situationnur das Rechtsinstitut des übergesetzlichen Notstands.
Ein Satz in der Urteilsbegründung, der auf das StrafrechtBezug nimmt, könnte dahin gehend zu verstehen sein.
Unabhängig von dieser speziellen Problematik brau-chen wir eine stärkere Verzahnung aller Sicherheits-kräfte, um den Schutz der Bevölkerung im Inland bessergewährleisten zu können, insbesondere im Falle der Be-dtlDIrGhUpMUflssdktUuwaswsLgnkgFdAwrPdadwztusZv
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Das sollten wir auch und gerade vor dem Hintergrunddes internationalen Terrorismus nicht tun. Denn in einemsolchen Denken verschwimmt das zivile Bild unsererGesellschaft und erleidet auf Dauer Schaden. Damit ar-beiten wir indirekt denen in die Hände, die diese offeneund freie Gesellschaft diskreditieren wollen.
Nun wollen Ministerpräsidenten der Union die Bun-deswehr für den Objektschutz einsetzen. Lassen Siemich ein Beispiel nennen. In meinem HeimatbundeslandHessen sind nach Aussagen des Innenministers 900 bis1 000 Polizisten im Objektschutz gebunden. Demgegen-über sollen bis 2007 bei der hessischen Polizei 2 300 Stel-len abgebaut werden. Das übertrifft die theoretisch mög-liche Entlastung um das Mehrfache.
Das ist ein Offenbarungseid.
Denn es heißt letztlich: Grundgesetz nach Kassenlage.Das ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen.
Für uns gilt, was im Koalitionsvertrag festgeschriebenist: die grundsätzliche Trennung zwischen militärischenund polizeilichen Aufgaben. Diese Aufgaben werdenwir auch nicht vermischen.
Das Wort hat der Kollege Bernd Siebert, CDU/CSU-
Fraktion.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Ak-
tuelle Stunde.
Wir sind am Ende unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den
8. März 2006, 13 Uhr, ein.
Nehmen Sie die gewonnenen Erkenntnisse mit und
genießen Sie sie am Wochenende.
Ich schließe die Sitzung.