Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Die frühere Kollegin Angelika Volquartz hat am16. Juni 2003 auf ihre Mitgliedschaft im DeutschenBundestag verzichtet. Der Abgeordnete Helmut Lamphat als ihr Nachfolger am 18. Juni 2003 die Mitglied-schaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüßeden uns bereits aus der 14. Wahlperiode bekannten Kol-legen. Herzlich willkommen!
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 14auf:17 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Änderung der Handwerksordnungund zur Förderung von Kleinunternehmen– Drucksache 15/1089 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Arbeit
dhmudvuHd1Redet– Drucksache 15/1224 –Berichterstattung:Abgeordneter Christian Lange
ZP 14 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zurÄnderung der Handwerksordnung und ande-rer handwerksrechtlicher Vorschriften– Drucksache 15/1206 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung unLandwirtschaftVerteidigungsausschuss
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaftnd Arbeit:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginnieses Monats haben wir ein Gesetz für Erleichterungenon Existenzgründungen und zur Förderung von Klein-nternehmen erörtert. Heute steht eine große Reform desandwerksrechts auf der Tagesordnung. In der Tat: Seitem In-Kraft-Treten der Handwerksordnung im Jahre953 gab es in diesem Land keine vergleichbare Reformextdes Handwerksrechts, wie wir sie heute anstreben.Mit dieser Novelle wollen wir das Handwerksrechtzukunftssicher und europafest machen. Wer sich die Si-tuation beim Handwerk anschaut, der sieht, dass darankein Weg vorbeiführt.
Seit Jahren verzeichnen wir einen Rückgang der Zahlder Betriebe im Handwerk und einen Abbau von Be-schäftigungsverhältnissen und vielen Ausbildungsplät-zen. Seit Jahren gehen die Umsätze zurück.Ramsauer [CDU/CSU]: Bei der Po-under! – Hans Michelbach [CDU/wem liegt das?)
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Bei dem Gesetzentwurf, den wir heute beraten, gehtes um eine Änderung der Strukturen. Wir wollen we-der den großen Befähigungsnachweis abschaffen,
noch haben wir vor – das wird gelegentlich behauptet –,einem der wichtigsten Bereiche unserer Wirtschaft, näm-lich dem Handwerk, den Garaus zu machen.
Solche Behauptungen entbehren jeder Grundlage; siesind Unsinn. Das Gegenteil ist richtig.
Wer sich die Situation einigermaßen unbefangen an-sieht, der erkennt, dass das Handwerk große strukturelleProbleme hat. Damit es in seinen Grundstrukturen erhal-ten bleiben und vor den heutigen und künftigen Heraus-forderungen bestehen kann, muss es Veränderungen ge-ben.Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von derUnion, haben ein Konzept mit dem Titel „Handwerkmit Zukunft“ vorgelegt. Mit dem Titel stimmen wirüberein. Um dieses Ziel aber zu erreichen, bedarf es ziel-führender Reformen. Ihr Zwölfpunkteplan ist dagegen inTeilbereichen, zum Beispiel bei den Kriterien für denVorbehaltsbereich, unpräzise und rechtlich bedenklich.Es handelt sich aus meiner Sicht insgesamt eher um einDokument des Stillstandes – um nicht zu sagen: derRückwärtsgewandtheit – und sicher nicht um ein Kon-zept für Modernisierung, die Zukunft hat.
Das Seminar für Handwerkswesen der UniversitätGöttingen, eines unserer Handwerksinstitute, hat kürz-lich in einer Studie – lassen Sie mich das deutlich sagen –beim Vollhandwerk einen Rückgang der Zahl der Be-triebe von über 100 000 bis zum Jahr 2010 prognosti-ziert, und zwar auf der Grundlage des heute geltendenHandwerksrechts. Es ist uns wie Ihnen doch klar, wasdas für die Beschäftigung und für die Ausbildung imHandwerk praktisch bedeuten würde. Deshalb meineich: Es sollte klar sein, dass wir dem nicht tatenlos zuse-hen können und keine Beschlüsse fassen können, die denStatus quo festschreiben. Wir brauchen weit reichendeÄnderungen, wie wir sie jetzt vorschlagen.Meine Damen und Herren, weil es immer wieder inden Hintergrund gedrängt wird, will ich noch einmal be-tonen: Auch mit diesen Reformen, die wir vorschlagen,bzdTQwsbdnudgZrnDJDnwtwdkkwKfKtcneitsafba
Der Meisterbrief bleibt Bestandteil und Ausdruck un-eres bewährten Systems der beruflichen Aus- und Fort-ildung. Aber wir kommen auch in der Aus- und Fortbil-ung nicht umhin, die Dinge zu modernisieren und deneuen Erfordernissen zugunsten von mehr Wachstumnd Innovation und für mehr Beschäftigung und Ausbil-ung anzupassen.Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Ich habe bereitsesagt, dass die Umsätze, die Betriebszahlen sowie dieahl der Arbeits- und Ausbildungsplätze unentwegt zu-ückgehen. Seit 1995 befindet sich das Handwerk in ei-er strukturellen Krise.
as bedeutet sieben Jahre Schrumpfung. Das sind siebenahre zu viel.
eshalb müssen wir reagieren, und zwar strukturell,ämlich mit den vorgeschlagenen Änderungen im Hand-erksrecht.Die Entwicklung der Gesamtwirtschaft in den letz-en Jahren gibt den Rahmen dafür vor, was möglich ist,enn das Angebot flexibler wird, wenn Existenzgrün-ungen erleichtert werden, wenn das Handwerk gewer-eübergreifend tätig sein kann und wenn neue Tätig-eitsbereiche ohne berufliche Restriktionen akquirierterden können.Meine Damen und Herren und insbesondere meineolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich emp-ehle Ihnen einen vertiefenden Blick in eine Studie desieler Instituts für Weltwirtschaft. Es ist wirklich in-eressant, sich diese durchzulesen. Sie ist vor zwei Wo-hen unter dem Titel „Die Reform der Handwerksord-ung: ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung“rschienen. In dieser Studie des Kieler Instituts wird dernteressante Versuch unternommen, wichtige zu erwar-ende Auswirkungen unserer Gesetzentwürfe vorherzu-agen. Ich empfinde die Lektüre jedenfalls als ziemlichufschlussreich.Ich will nur darauf hinweisen, dass das Kieler Institutür Weltwirtschaft unsere Novellierung befürwortet. Esestätigt unsere ökonomische Argumentation mit Blickuf ein mögliches Anwachsen der Betriebszahlen. Wir
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Bundesminister Wolfgang Clementwerden mehr Betriebe, mehr Beschäftigung und auchmehr Handwerksleistungen am Markt haben.
– Das steht alles in dem Bericht des Kieler Instituts. Ichhabe nichts versprochen. Dem Kieler Institut werden Siedoch glauben, Herr Kollege. Ich würde es Ihnen jeden-falls empfehlen.Wir werden sinkende Handwerkspreise haben. Vor al-len Dingen ist ein Rückgang der Schwarzarbeit zu er-warten und darauf kommt es an.
All das ist genau das, was das Handwerk in unseremLand dringend braucht. Genau das wollen wir und wer-den wir erreichen. Lesen Sie nach, was das Kieler Insti-tut ermittelt hat!Meine Damen und Herren, um es klar zu sagen: DerStaat kann strenge Berufszugangsregelungen wie dasHandwerksrecht nur bei einem übergeordneten öffentli-chen Interesse vorsehen. Das ist zum Beispiel dann ge-geben, wenn durch mangelnde Produktsicherheit eineGefahr für Leben und Gesundheit entstehen kann. Ausdiesem Grunde haben wir die Anlage A auf gefahrge-neigte Handwerke beschränkt. Die zukünftig zulas-sungsfreien Handwerke wollen wir demgegenüber inAnlage B der Handwerksordnung aufführen. So bleibtzwar nur ein Drittel der Gewerke in der Anlage A, aber– das kann niemand übersehen – das entspricht knappzwei Dritteln – immerhin 62 Prozent – aller Handwerks-betriebe in unserem Land. Das muss man sich auch an-gesichts mancher Diskussionsbeiträge, die gelegentlichzu hören sind, vergegenwärtigen.
Auch für die Gewerke, die künftig in die Anlage Bwandern, bleibt das Qualitätssiegel des Meisterbriefserhalten. Für den Berufsnachwuchs bleibt die Meister-prüfung eine wichtige und besondere Qualifikation, al-lerdings nunmehr auf freiwilliger Basis. Ich bin zutiefstüberzeugt, dass der Meisterbrief ein Qualitätssiegelbleibt und die Meister von der Konkurrenz abhebt. Wirwerden sehen, dass viele Kunden sich weiterhin fürMeisterbetriebe entscheiden werden, allerdings freiwil-lig und nicht weil der Staat sie dazu zwingt.Auch bei den gefahrgeneigten Gewerken des Hand-werks in der Anlage A müssen die Marktzutrittsbar-rieren verhältnismäßig sein. Dazu gehört, dass die Meis-terprüfung zukünftig zeitnah nach der abgeschlossenenBerufsausbildung, das heißt nach der Gesellenprüfung,möglich werden muss. Es ist eine Tatsache, dass über-proportional viele erfolgreiche Existenzgründungen inder gewerblichen Wirtschaft außerhalb des Handwerksgerade von ganz jungen Menschen erfolgen. DieseChancen müssen auch die Jungmeister bekommen.denArvNswwddbtEgz1dglDd5iDnü–dwmveetwBdsAFpdWndb
Herr Kollege, machen Sie sich nicht lächerlich.Wir geben dem Handwerk nach einer langen Phasees Rückgangs eine neue Chance für die Zukunft, weilir Gründungen erleichtern, notwendige Impulse fürehr Beschäftigung und Ausbildung schaffen, die Inno-ationsfähigkeit erhöhen, das Dienstleistungspotenzialrweitern und weil wir – nicht zuletzt, sondern zualler-rst – einen Beitrag zum Abbau der Schwarzarbeit leis-en.Auch die Ausbildungsleistung des Handwerks wirdeder bei der Zahl der Auszubildenden noch in derreite der Ausbildung beeinträchtigt. In den Gewerkener Anlage A werden wie bisher die Meister die prakti-che Ausbildung durchführen. In den Unternehmen dernlage B werden viele freiwillig ihren Meister machen.ür Ausbilder in Nichtmeisterbetrieben wird die gleicheersönliche und fachliche Eignung nach dem Berufsbil-ungsgesetz verlangt wie in der übrigen gewerblichenirtschaft. Das sollte niemand übersehen. Es wird auchiemand ernsthaft behaupten wollen, dass die Ausbil-ungsqualität im Handwerk aufgrund seiner Vorbehalts-ereiche besser sei als die Berufsausbildung in der
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Bundesminister Wolfgang Clementübrigen gewerblichen Wirtschaft. Dort werden immerhinzwei Drittel aller Lehrlinge in Deutschland ausgebildet.
Es gibt ja zurzeit viele Diskussionen und Beiträgedarüber, die oftmals von vielen Emotionen getragensind. Ich habe mit dem Handwerk viele Gespräche ge-führt, übrigens auch mit der Spitze des Handwerksver-bandes. Leider waren diese nicht von Erfolg, das heißtvon einer Einigung, gekrönt. Deshalb sage ich hier klar:Ich sehe nicht, dass die Motivation des Handwerks, wei-ter auszubilden – wie es oft behauptet wird –, zurückge-hen wird.
Dagegen stehen schon rein ökonomische Interessen,Herr Kollege. Der Auszubildende beginnt sich – wie wiralle wissen – bereits nach dem zweiten Ausbildungsjahr– wie man so schön sagt – zu rentieren. Das Verhältnisvon Kosten und Nutzen ist im Handwerk viel besser undschneller spürbar als in Industrie und Handel.
– Die Beiträge vonseiten der Liberalen finde ich beson-ders beeindruckend, weil Sie sonst immer gegen Regu-lierung und für Freiheit und Spielräume im Handwerkeintreten. Wenn Sie jetzt als die Verteidiger der letztenRegularien auftreten, ist das wirklich nicht sehr überzeu-gend.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:
Aber mit großem Vergnügen.
Bitte schön.
Herr Minister Clement, mit meinem Zwischenrufwollte ich darauf hinweisen, dass Ihre Behauptung, dassman mit Ausbildung im Handwerk Geld verdienenkönnte, einfach falsch ist. Es ist vielmehr so, dass Aus-bildung Geld kostet. Von daher ist es anerkennenswertund eine besondere Leistung, dass das Handwerk inDeutschland über den eigenen Bedarf hinaus ausbildet.Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen und anzuer-kennen?
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Jeder Handwerker weiß, dass der Berufsnachwuchsür die Zukunft des eigenen Betriebes unerlässlich ist.lle wissen es: Die Auszubildenden von heute sind dieachkräfte von morgen. Die Handwerksbetriebe schät-en natürlich ihren talentierten Nachwuchs und sie ken-en seinen Wert.Meine Damen und Herren, wir debattieren heute auchber eine bedeutsame Klarstellung im Handwerksrecht, näm-ch über das Gesetz zur Änderung der Handwerksordnungnd zur Förderung von Kleinunternehmen. Dabei geht esuch um die Erleichterung von Existenzgründungen. Wirollen die Möglichkeit zur Existenzgründung auch fürrbeitslose Männer und Frauen erleichtern. Mit demweiten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Ar-eitsmarkt wurden dafür bereits neue Anreize geschaf-en.Schon jetzt zeigt sich – darauf habe ich bereits gesterningewiesen –, dass viele diese Chance durch die Ich-G oder das Überbrückungsgeld ergreifen. In diesemahr haben bereits etwa 100 000 Menschen den Weg auser Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit gewählt. Ichabe gestern darzustellen versucht, dass dieser Weg füriele mit Erfolgsaussichten verbunden ist.
eshalb kann ich nur dazu ermutigen, diesen zu wählen.Mit dem Kleinunternehmerförderungsgesetz wer-en außerdem die Steuer- und Buchführungsvorschriftenerade für Existenzgründer erleichtert. In diesem Zu-ammenhang steht auch der Gesetzentwurf, der Ihnenorliegt. Eine Klarstellung besagt, dass so genannte ein-ache Tätigkeiten außerhalb der Handwerksordnung undes Vorbehaltsbereichs von Handwerken mit Meister-flicht stehen. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-er in Deutschland warten darauf, dass einfache Tätig-eiten, zum Beispiel bei den Hausmeisterdiensten, auchon Dienstleistern wahrgenommen werden dürfen.
ei der hohen Arbeitslosigkeit in unserem Land wäre esicht hinnehmbar, dass unternehmerische Initiativen undngagements untersagt, eingeengt oder gar verhindert
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Bundesminister Wolfgang Clementwerden. Im Gegenteil: Wir müssen dazu anregen undmotivieren.
Um auch klar anzusprechen, wie es in der Praxis aus-sieht, wenn Existenzgründer den Schritt in die Selbststän-digkeit wagen und eine Nischentätigkeit zur tragendenGeschäftsidee für eine gewerbliche Tätigkeit machenwollen: Handwerkskammern und Behörden gehen heutevielfach mit Abmahnverfahren und Betriebsschließun-gen gegen Unternehmen vor, die nicht in die Handwerks-rolle eingetragen sind und einfache Tätigkeiten ausüben.Es werden Betriebe geschlossen, die teilweise schon zehnbis 15 Jahre am Markt sind. Im wahrsten Sinne des Wor-tes sind davon nicht nur Existenzgründer betroffen, son-dern auch bestehende Unternehmen, die neue Tätigkeits-felder akquirieren. Selbst Handwerksunternehmen, dieüber das eigene Gewerk hinaus tätig werden, bleibennicht verschont. Wir müssen uns doch fragen, ob dies sosein und bleiben kann. Kann es sein, dass wir arbeitswil-lige Unternehmer daran hindern, bestehende Aufträgeauszuführen? Ich bin davon überzeugt, dass das sicher-lich nicht sein kann.
Wir können und wir werden mit dem, was wir hiervorlegen, einen wichtigen Schritt in der Entwicklung derDienstleistungsgesellschaft tun; dieser Schritt muss sein.Auch hier wird nicht an den Grundfesten des großen Be-fähigungsnachweises gerüttelt. Er wird auch nicht zu-gunsten von Teiltätigkeiten, die dem Vorbehaltsbereichder Meister unterliegen, aufgebohrt, wie man es gele-gentlich lesen kann. Das Gesetz beinhaltet keine Neure-gelung, die wir gewissermaßen aus dem Hut zaubern. Esenthält eine Klarstellung der bisherigen höchstrichterli-chen Rechtsprechung, wonach einfache Tätigkeitennicht den Regelungen zum Handwerk unterliegen, son-dern von jedem ausgeübt werden dürfen.Das Bundesverfassungsgericht hat am 7. April die-ses Jahres in einer Handwerksangelegenheit entschie-den, dass es keinem Handwerker zugemutet werdenkann, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfra-gen gewissermaßen auf der Anklagebank erleben zumüssen. Das kann ich nur dick unterstreichen. Deshalbgreifen wir das auf und sorgen wir für mehr Rechtsklar-heit bei unberechtigten Vorwürfen bezüglich derSchwarzarbeit.Meine Damen und Herren, es geht hierbei um ganzeinfache handwerkliche Tätigkeiten, die binnen einesVierteljahres erlernt werden können, und auch darum,dass wir die effektive Beachtung des Grundrechts derBerufsfreiheit nach Art. 12 des Grundgesetzes gewähr-leisten. Dazu gehören auch diese einfachen Tätigkeiten.Ich wundere mich über manches, was dazu zu lesen undzu hören ist, nicht zuletzt auch über das, was gestern imBundesrat dazu gesagt worden ist. Meines Erachtens istes völlig klar: Es muss endlich damit Schluss sein, dassfür einfache und einfachste Tätigkeiten in Deutschlanddie Meisterprüfung deshalb verlangt wird, weil auchMntDnAbdndsgvvasUkdEddldHezesiszAgSzTDdigsn
Jeder Selbstständige fängt einmal klein an. Wir soll-en nicht die Motivation des Einzelnen unterschätzen.ie Existenzgründerinnen und Existenzgründer strebenach Gewinn und mehr Umsatz. Daraus entstehen mehrrbeits- und Ausbildungsplätze. Genau das wollen undrauchen wir in Deutschland. Deshalb ist diese Reformes Handwerksrechts notwendig. Es ist eben nicht mehrur mit oberflächlichen Korrekturen und ein paar Verän-erungen bei Anlage A und Anlage B getan. Wir müssenchon an die Substanz dessen gehen, was heute gilt. Diesilt übrigens nicht nur für das Handwerk, sondern füriele Berufsstände.Viele Berufsstände bei uns haben sich Schutzmauernerschafft, die für sie selbst ein Vorteil sein können, dieber verhindern, dass andere von außen in diese Berufs-tände hinein können: durch die Gründung eines kleinennternehmens, um aus der Arbeitslosigkeit herauszu-ommen, also von unten, oder durch Unternehmer ausen Nachbarstaaten, die sich hier in Deutschland einexistenz aufbauen wollen, also von der Seite. Dies istann möglich, wenn sie fünf bis sechs Jahre gemäß denort geltenden Regelungen gearbeitet haben. Wer in Hol-and, Belgien, Frankreich oder anderen Staaten unter denortigen Rechtsbedingungen fünf bis sechs Jahre einandwerk betrieben hat, kann in Deutschland jederzeitin Unternehmen aufbauen und hier praktizieren, undwar ohne die strengen Auflagen des Handwerksrechtsrfüllen zu müssen.Deutsche Gesellen dürfen dies nicht. Es muss klarein, dass dies kein Weg in die Zukunft sein kann. Dasst auch in den meisten Ländern anders geregelt. Insbe-ondere in den Grenzregionen unseres Staates findetwischen den einzelnen Gewerken und Handwerken einustausch unter unterschiedlichen rechtlichen Bedin-ungen statt.Daher haben wir meines Erachtens die Pflicht undchuldigkeit, hier für die notwendigen Veränderungenu sorgen. Die Vorschläge dazu liegen vor Ihnen auf demisch. Ich hoffe, dass wir uns nach einigen emotionaleniskussionen über den richtigen Weg einigen. Er ist mitiesem Entwurf vorgezeichnet.Ich danke Ihnen.
Herr Minister, ich möchte Sie darauf hinweisen, dassn diesem Hause Minister und Abgeordnete gleichran-ige Partner sind. Das sollte sich auch sprachlich nieder-chlagen. Es ist jedenfalls kein Lehrer-Schüler-Verhält-is.
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4474 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Präsident Wolfgang ThierseIch erteile nunmehr dem Kollegen Ernst Hinsken,CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Ich bedanke mich zunächst herzlich, Herr Prä-
sident, dass Sie dem Minister eine meisterliche Weisung
erteilt haben. Dies ist erforderlich, wenn man nicht weiß,
wie man sich zu verhalten und mit Kollegen umzugehen
hat.
Herr Minister Clement, es ist eine infame Behaup-
tung, uns zu unterstellen, dass wir am Status quo festhal-
ten wollen.
– Nein, ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen. Ich
werde nachdrücklich herauszuarbeiten versuchen,
wo unsere Schwerpunkte liegen. Wir wollen dem Hand-
werk Zukunftsperspektiven geben und es europatauglich
machen. Den Meistern muss die Möglichkeit eröffnet
werden – dazu sind auch viele bereit –, den Weg in die
Selbstständigkeit zu gehen.
Zunächst möchte ich die vielen anwesenden Hand-
werksmeister auf der Tribüne herzlich willkommen hei-
ßen. Ich bedanke mich dafür, dass Sie so zahlreich er-
schienen sind.
Ihnen brennt dieses Thema auf den Nägeln. Sie sind
hierher gekommen, um zu erfahren, wie die einzelnen
Fraktionen das anstehende Problem bewältigen wollen.
Ich möchte mich gerade auch bei denen bedanken, die
auf Einladung der Fraktionsvorsitzenden der CDU, Frau
Angela Merkel, vor vier Wochen zu Tausenden an der
Zahl zu uns nach Berlin gekommen sind, um deutlich zu
machen, dass sie mit dem, was Sie hier vorhaben, nicht
einverstanden sind.
Das ist für mich das Zeichen eines lebendigen Hand-
werks. Eine Novelle, die mit heißer Nadel gestrickt wird,
wie das hier der Fall ist, wird nie zu einem vernünftigen
und guten Ergebnis führen. Das hat sich in der Vergan-
genheit immer gezeigt und wird sich auch in der Gegen-
wart bewahrheiten.
Es ist mir auch wichtig, darauf zu verweisen, dass of-
fenbar nicht alle Kolleginnen und Kollegen der SPD und
der Grünen der Meinung der Fraktionen der SPD und der
Grünen hier im Bundestag sind. Wie sonst könnte es
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ehmen Sie sich ein Beispiel an den Kolleginnen und
ollegen im hohen Norden. Auch wenn nicht alles rich-
ig ist, was von dort kommt, aber da haben sie Recht.
nd wo sie Recht haben, sollen sie auch Recht behalten.
eute beraten wir die Vorschläge der Bundesregierung
nd der Regierungsfraktionen zur Novellierung der
andwerksordnung, zum einen das Gesetz zu den Ich-
Gs, über das heute hier abschließend abgestimmt wer-
en soll, zum anderen die große Novelle zur Handwerks-
rdnung, die von der Bundesregierung eingebracht wird.
eide Gesetze müssen in einem engen Gesamtzusam-
enhang betrachtet werden. Ich stelle fest, dass dies
uch die Regierungsfraktionen so sehen, denn sonst wür-
en wir jetzt nicht innerhalb eines Tagesordnungspunk-
s darüber sprechen.
Man muss sehen, dass sich im Handwerk große Sorge
reit macht. Denn die Zielrichtung der Ich-AGs ist klar:
ewachsene mittelständische und handwerkliche Struk-
uren, die die Grundlage für das Wirtschaftswunder
udwig Erhards waren, sollen zerschlagen werden. Da-
egen werden wir mit aller Entschiedenheit kämpfen.
enn dies kommt einer Veränderung der Gesellschaft
leich. Anstatt mit vernünftigen Konzepten um die Zu-
timmung des Handwerks zu werben, soll es mit der
rechstange und dem Vorschlaghammer zerschlagen
erden.
Kollege Hinsken, gestatten Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Helias von der CDU/CSU-Fraktion?
Gerne, bitte schön.
Herr Kollege Hinsken, Sie haben den einstimmigeneschluss des Landtages von Schleswig-Holstein er-ähnt. Sind Sie mit mir der Meinung,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003 4475
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Siegfried Heliasdass auch die schriftlich vorliegende Auffassung des Mi-nisteriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des LandesSchleswig-Holstein richtig ist, dass der Entwurf einesDritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnungeine Fülle weiterer Probleme schafft, die Zweifel auslö-sen, ob ein geordneter Vollzug überhaupt möglich seinwird, und dass dieses Gesetz ohne eine grundlegendeÜberarbeitung weder durchführbar noch zielführend ist?Sind Sie außerdem mit mir der Meinung, dass dieserGesetzentwurf gesellschaftspolitisch verfehlt ist, denSelbstständigen die Zukunft raubt, den Jugendlichen diePerspektive nimmt und diese Regierung ihr Handwerknicht versteht?
Herr Kollege Helias, ich bedanke mich für diese
Frage,
und zwar deshalb, weil Sie verschiedene SPD-Institutio-
nen zum Beleg für die Bewahrheitung vieler Befürchtun-
gen herangezogen haben.
Deshalb müssen wir alle zusammen eine Konzeption er-
arbeiten, die die Grundlage für eine weitere Fortentwick-
lung des Handwerks im Hinblick auf ein gemeinsames
Europa und im Hinblick auf offene Grenzen bilden kann.
Ich kann die Befürchtungen, die in Ihrer Frage zum Aus-
druck kamen, voll und ganz teilen.
Unsere Devise lautet wie immer: Nicht gegen das Hand-
werk, sondern mit dem Handwerk wollen wir den mo-
dernen, dynamischen, zukunftstauglichen und europa-
festen Meister schaffen. Sie von Rot-Grün setzen die
Axt an der Wurzel des Handwerks an und höhlen das
Handwerksrecht aus. Das geht uns entschieden zu weit.
Sie sprechen momentan laufend von der
Agenda 2010. Das Handwerk braucht aber eine
Agenda 2003, damit der Aderlass bei den Betrieben,
Mitarbeitern und Ausbildungsplätzen endlich gestoppt
werden kann. Herr Bundesminister, Sie behaupten, mit
Ihrer Novelle werde das Existenzgründungsklima ver-
bessert. Ich sage Ihnen: Darum geht es in der Tat. Sie be-
treiben aber nur Augenwischerei und setzen mit Ihrer
überzogenen Novelle den Hebel falsch an. Sie wollen
den Leuten weismachen, dass das Handwerk schuld an
der Wirtschaftsmisere Deutschlands ist.
Sie machen damit die Opfer zu Tätern!
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ch nenne als Beispiele die Reform des Kündigungs-
chutzgesetzes, mit der der Schwellenwert von zehn auf
ünf Beschäftigte reduziert wurde, die Rücknahme der
nderung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das
esetz zur Bekämpfung der so genannten Scheinselbst-
tändigkeit, die Neuregelungen zum Abschluss befriste-
er Arbeitsverhältnisse oder die Ausweitung der betrieb-
ichen Mitbestimmung auf Kleinbetriebe.
Eine wirkliche Veränderung des wirtschaftlichen Kli-
as ist aber nur dann möglich, wenn Sie von Rot-Grün
ndlich die notwendigen Strukturreformen in der Wirt-
chafts-, Arbeitsmarkt-, Finanz- und Sozialpolitik um-
etzen.
Kollege Hinsken, gestatten Sie eine weitere Zwi-
chenfrage des Kollegen Rossmann von der SPD-Frak-
ion?
Gerne.
Herr Kollege Hinsken, wenn Sie schon feststellen,
ass alles schlecht gelaufen sei, könnten Sie dann auch
rläutern, wie Sie aus heutiger Sicht Ihre seinerzeit geäu-
erte positive Beurteilung des Meister-BAföGs als we-
entliche Förderung des Handwerks durch die jetzige
undesregierung bewerten?
Herr Kollege Rossmann, ich meine, dass gerade dieaßnahmen im Zusammenhang mit dem Meister-BAföGin Schritt in die richtige Richtung waren. Wenn Sie unsinen vernünftigen Vorschlag unterbreiten, unterstützenir Sie immer wieder gerne, damit solche Vorschlägeuch umgesetzt werden können. Das war beim Meister-AföG so und das wird auch in Zukunft so bleiben.
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4476 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Ernst HinskenAngesichts der notwendigen Veränderung des wirt-schaftlichen Klimas halte ich die erwähnten Strukturre-formen für den richtigen Weg, um der boomendenSchwarzarbeit, die mit einem Finanzvolumen in Höhevon 350 Milliarden Euro der größte prosperierendeWirtschaftsbereich ist, das Wasser abzugraben. Denn esist nicht nachvollziehbar, dass ein Handwerker dem Auf-traggeber für eine Arbeitsstunde viermal so viel berech-nen muss wie jemand, der den Auftrag in Schwarzarbeitausführt.Bei uns in Deutschland sind die Bruttolöhne zu hochund die Nettolöhne zu niedrig. Dabei müssen wir unsalle an die eigene Nase fassen, unabhängig davon, aufwelcher Seite wir sitzen.
Wenn wir die bestehende Ordnung entkrusten würden,könnten unzählige – vielleicht sogar einige Millionen –Arbeitsplätze geschaffen werden. Ich meine aber, dassdas mit den Ich-AGs nicht möglich sein wird.Herr Minister Clement, Sie vergessen offenbar, dassderzeit 130 000 Meister sozusagen in Reserve stehen.Wenn das Konzept der Ich-AGs so umgesetzt wird wievorgesehen, hätten sie ihre Meisterprüfung vergeblichgemacht. Das geht doch nicht an!Ich meine, dass die heutige Debatte – unabhängig da-von, was uns von der Bundesregierung unterscheidet –die Möglichkeit bietet, die Zukunftspotenziale desHandwerks hervorzuheben. Denn für uns bedeutet dasHandwerk etwas Positives, während Sie es vielfachschlechtreden.
Unser Handwerk steht für innovative Unternehmen undkompetente Dienstleistungen. Es steht für Berufsvielfaltund Ausbildungskompetenz,
Flexibilität, Innovation und Anpassungsfähigkeit. Wirwollen, dass das Handwerk ein wichtiger wirtschafts-und gesellschaftspolitischer Faktor bleibt, auch wennviele Mitbürger – wahrscheinlich weil sie sich schon ein-mal über einen Handwerker geärgert haben – der Mei-nung sind, man könnte auf alle Standards verzichten.Das Handwerk ist unbestritten ein Faktor, den wir inunserer Gesellschaft brauchen. In rund 580 000 Betrie-ben arbeiten fast 5,3 Millionen Menschen. Mehr als520 000 Lehrlinge erhalten in diesen Betrieben eine qua-lifizierte Ausbildung. Damit sind nahezu 15 Prozent al-ler Erwerbstätigen und circa 34 Prozent aller Lehrlingein Deutschland im Handwerk tätig.
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ie Recht er hat, wenn er das Handwerk in höchsten Tö-en lobt und auf es setzt! Herr Minister Clement, Ihrorgänger hat für das Handwerk mehr übrig gehabt alsie.
uch wenn ich nicht alles gut finde, was er gemacht hat:a hat er Recht gehabt.Zweifellos müssen in allernächster Zeit viele Pro-leme bewältigt werden. Früher hing das Damokles-chwert der Arbeitslosigkeit vor allem über den älterenrbeitnehmern; mittlerweile sind immer mehr Jugendli-he davon bedroht. Es wird aber noch schlimmer wer-en, wenn Sie durch die Abschaffung des Meisterbrie-es dem Handwerk, der Ausbildungslokomotive ineutschland, den Boden unter den Füßen wegziehen.ie Zahl der Betriebe mag kurzfristig steigen, weil ihreründung und Führung auch für Nichtmeister möglichird, Herr Minister Clement. Die Bestandsfestigkeit deretriebe dürfte dagegen abnehmen, sodass unter dem
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003 4477
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Ernst HinskenStrich zwar nichts gewonnen wird, aber möglicherweiseviele Existenzen zerstört werden.
Immerhin sind rund drei Viertel aller Meisterbetriebefünf Jahre nach der Existenzgründung noch am Markt,während die Quote der übrigen Wirtschaft bei knappüber der Hälfte liegt.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Vo-raussetzungen dafür schaffen, dass das deutsche Hand-werk weiterhin die Reife hat, in der Champions Leaguezu spielen. Wenn unsere Vorschläge umgesetzt werden,wird das Handwerk sein enormes Zukunftspotenzial nut-zen können. Wir wollen es unseren Handwerksmeisternermöglichen, den Weg in ein erweitertes Europa zu ge-hen. Herr Clement, das Handwerk kann sich mit Ihren sogenannten Reformen nicht weiter herumschlagen.Das Handwerk will unseren Jugendlichen durch dieBereitstellung von Ausbildungsplätzen eine Zukunftbieten. Dem Handwerk ist für die millionenfachen Aus-bildungsleistungen, die bisher erbracht worden sind, zudanken.
Die Zeit, in der es „Handwerk hat goldenen Boden“hieß, ist vorbei. Aber entgegen allen Untergangsvoraus-sagen, die im letzten Jahrhundert gemacht wurden, ist esquicklebendig. Die Situation des Handwerks wäre nochbesser, wenn die Rahmenbedingungen stimmten. DasHandwerk ist der Garant des dualen Ausbildungssys-tems – des besten Ausbildungssytems der Welt. Überallwerden wir darum beneidet. Aus unserer Sicht ist esfraglich, ob das nach der Verabschiedung dieses Geset-zes noch so sein wird.Ich begrüße es nachträglich, dass Bayern einen eige-nen Gesetzesantrag zur Novellierung der Handwerksord-nung in den Bundesrat einbringen wird.
Dies wird noch vor der Sommerpause geschehen. DieCDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ihre Absichten fürein modernes und europafestes Handwerk in zwölfPunkten festgelegt. Die wichtigsten sind dabei:Wir sagen Nein zu dem von der Bundesregierung be-absichtigten Kahlschlag der Meisterberufe. „Gefahren-geneigtheit“ als einziges Kriterium ist uns zu wenig.CDU/CSU haben für die Festlegung der Gewerbe inAnlage A drei Kriterien aufgestellt: Ausbildungsleis-tung, Gefahrengeneigtheit und Schutz wichtiger Ge-meinschaftsgüter. Das ist der richtige Ansatz.
Wir lehnen die von Ihnen, Herr Clement, geplanteSonderregelung strikt ab, wonach sich Altgesellen nachzehnjähriger Berufserfahrung und fünfjähriger Tätigkeitin herausgehobener, verantwortlicher oder leitender Stel-lwMJtwFFIiwFsAdlöaIpwgtwsfusmDEwwwcüTdbPgdBdD
st das richtig? – Ich habe dieses Beispiel genannt, weilch von einem Handwerksmeister diesbezüglich gefragtorden bin. Ich habe ihm versprochen, dass ich dierage gerne an Sie weitergeben werde.Wir, die CDU/CSU, sind jedenfalls für Einzelfallent-cheidung. Dabei muss der Betriebsinhaber etwas vonusbildung und Betriebsführung verstehen. Klar undeutlich sagen wir deshalb Nein zur „Existenzgründungight“.Wir wollen des Weiteren die Handwerksordnungffnen. Künftig soll zur Existenzgründung im Handwerkuch die Qualifikation von Technikern, Ingenieuren undndustriemeistern berechtigen. Zudem soll die Meister-rüfung die Tür zu einem Hochschulstudium öffnen. Wirissen, dass dies alles in erster Linie von den Länderneregelt werden muss. Aber wir sollten das Ganze sei-ens des Deutschen Bundestages positiv begleiten. Wirollen außerdem, dass als Voraussetzung für die Zulas-ung zur Meisterprüfung keine Gesellenjahre mehr er-orderlich sind. Wir wollen das Inhaberprinzip ändernnd Personengesellschaften gegenüber Kapitalgesell-chaften nicht mehr benachteiligen. Als Meister solltean aber höchstens in zwei Betrieben fungieren können.adurch verhindern wir einen Betriebsleitertourismus.ine Reform der Kammern und deren Beitragswesenollen wir nicht innerhalb der Novellierung der Hand-erksordnung, sondern in Abfolge vornehmen. Dabeierden wir auch der Bürokratie nachhaltig zu Leibe rü-ken.Der heute zu verabschiedende Entwurf eines Gesetzesber die Ich-AGs muss, wie ich bereits gesagt habe, alseil der Gesamtnovelle gesehen werden und dem Bun-esrat zugeleitet werden. Der Zusammenhang kann nichtestritten werden. Ich hoffe, dass das Ganze in einemaket verabschiedet wird. Die Betätigungsfelder der soenannten Ich-AGs müssen unserer Meinung nach aufen Bereich der jetzigen Anlage B – handwerksähnlicherereich – beschränkt werden; denn wir wollen nicht,ass ein Meister, der ausbildet, zu guter Letzt derumme ist.
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4478 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Ernst HinskenEines muss bei der Novellierung der Handwerksord-nung klar sein: Der Standort Deutschland braucht einehohe Qualifikation. Nur Unternehmen mit Qualität – dassind nun einmal die Meisterbetriebe – können unserLand wieder nach vorne bringen. Voraussetzung ist aber,dass Sie von Rot-Grün das auch zulassen. Das Hand-werk in Deutschland braucht mehr Arbeit und Aufträge,mehr Meister statt Ich-AGler, verehrter Herr Bundesmi-nister Clement.
Wie hieß es in der Vergangenheit immer – das gilt auchfür die Gegenwart –: „Lehrling ist jedermann. Geselleist, der was kann. Meister ist, der was ersann.“ Was fürden Arzt der Doktortitel ist, ist für Betriebsinhaber undHandwerker der Meisterbrief. Wir meinen, dass diesesPrädikat bestehen bleiben soll. Das wollte ich für dieCDU/CSU-Fraktion besonders einfordern; dennDeutschland braucht weiter den Meister. Er ist schließ-lich Fachmann, Kaufmann und Techniker in einer Per-son.Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, ich freue mich, dass uns in diesem Bereich fastnichts trennt
und dass wir an einem Strang ziehen, um dem Meistereine Zukunft zu geben. Ich hoffe, dass der Bundesrat inder Lage sein wird, die Korrekturen vorzunehmen, dievorgenommen werden müssen, um die Grundlagen füreinen modernen Meister für die nächsten Jahre und Jahr-zehnte in einem freien und zusammenwachsenden Eu-ropa zu schaffen.Ich bin auch der festen Überzeugung, dass zumindestauf einigen Seiten die Bereitschaft dazu vorhanden ist.Herr Müntefering, Sie sind ja genauso wie wir oftmals inLernprozessen begriffen. Wenn Sie diesen Lernprozess ab-geschlossen haben, dann ist die Hoffnung gegeben – das istmein letzter Satz –, dass Sie zur Einsicht kommen unddas, was Sie vorhaben, nicht umsetzen, sondern demHandwerk eine Zukunftsperspektive geben, die es drin-gend braucht, um auch künftig tief und gut atmen zukönnen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Hinsken, Ihre Lebkuchen haben mich bei
Gelegenheit schon überzeugt,
aber Ihre Argumente noch nicht. Ich will Ihnen darstel-
len, warum.
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ie Überprüfung, in welchem Bereich diese Zugangsbe-
chränkung aufrechterhalten werden kann und in wel-
hem Bereich sie abgeschafft werden muss. Klare Ant-
ort: Bei gefahrengeneigten Berufen wird der
eisterbrief weiterhin obligatorisch sein. Überall sonst
ilt: Der Wettbewerb, die Kundensouveränität werden es
ichten, übrigens auch zugunsten des Handwerks. Ich
ürde mir an Ihrer Stelle nicht die Sorge machen, dass
utes Handwerk dabei untergehen wird.
Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Türk?
Ja, bitte.
Herr Kollege Kuhn, Sie wollen durch die Novellierunger Handwerksordnung Marktzutrittsbeschränkungen be-eitigen und damit Arbeitsplätze schaffen. In dem Zielind wir uns noch einig. Meinen Sie aber nicht auch, dass
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Jürgen Türkes daran liegt, dass wir zu wenig Aufträge haben – undnicht, wie Sie sagen, zu viele Handwerksbetriebe – unddass der Umfang der Bürokratie und die Höhe der Kos-tenlast die eigentlichen Marktzutrittsbeschränkungensind?
Es gibt vieles, was wir ändern müssen. Selbstver-
ständlich hat das Handwerk auch deswegen Probleme,
weil die Lohnnebenkosten zu hoch sind. Sie können im
Rahmen der Agenda 2010 und der Reformen bei Rente
und Gesundheit mitmachen und so mit dazu beitragen,
dass die Lohnnebenkosten sinken.
Dann wird die Handwerkerstunde für die Verbraucherin-
nen und Verbraucher günstiger und wird es dem Hand-
werk besser gehen. Die ganze Veranstaltung, die wir
jetzt gerade durchführen, die Agenda 2010, hat den Sinn,
den Laden an verschiedenen Stellen aufzufrischen. Des-
wegen fordere ich Sie auf: Machen Sie bei der Kosten-
senkung mit,
machen Sie mit bei der Finanzierung des Vorziehens der
nächsten Steuerreformstufe! Dabei geht es nämlich auch
um die Personengesellschaften, um die mittelständi-
schen Betriebe: Wenn die Steuersätze für diese Betriebe
schneller sinken können, dann ist deren Bereitschaft, in
Investitionen einzusteigen, größer.
Sie haben hier eine Verantwortung für das Gesamtpaket.
Ihre politische Vorgehensweise, Herr Hinsken, ist ja
ganz eindeutig: Bei den Vorhaben, die Ihnen recht sind,
machen Sie mit, aber sobald starke Lobbys wie Apothe-
ker- und Handwerksverbände auftreten, sagen Sie: Nein,
diese Vorhaben sind vom Teufel, die tragen wir nicht
mit. Das ist nicht in Ordnung.
Ich möchte jetzt einmal die zentralen Argumente für
die Änderung der Handwerksordnung, die wir vorhaben,
nennen:
Erstens. Wir sind für mehr Wettbewerb. Ich möchte
noch einmal festhalten: Wettbewerb ist das konstitutive
Element einer Marktwirtschaft. Wenn man feststellt,
dass es Elemente gibt, die den Wettbewerb untergraben
und verhindern, muss man sie beseitigen. So einfach ist
Marktwirtschaft. Ihr ganzes Gerede nützt da überhaupt
nichts.
Wir sind für sinkende Preise. Es ist ja bekannt, dass
funktionierender Wettbewerb – übrigens: Wettbewerb
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Ihre Rede, Herr Hinsken, beinhaltete einen Wider-
pruch, auf den ich Sie hinweisen möchte: Wenn das
andwerk Arbeiten so qualifiziert und gut ausführt, wie
ie sagen – ich glaube übrigens, dass wir sehr gute
andwerker in der Bundesrepublik Deutschland haben,
ie etwas gelernt haben und ihren Job gut ausführen –,
ann braucht es doch den Wettbewerb nicht zu fürchten,
err Hinsken.
ie sagen: Schützt unser Handwerk! – Aber warum
enn, wenn Sie es gleichzeitig so loben? Das ist ein Wi-
erspruch in Ihrer Argumentation. Im Handwerk arbei-
en Hochqualifizierte. Die, die gut sind, werden Wettbe-
erb nicht zu fürchten haben. Ihre Argumentation ist
ngstlich und drückt eigentlich Misstrauen gegenüber
er Qualität des Handwerks aus. Ich bin fest davon über-
eugt, dass Sie diesen Punkt noch einmal überdenken
ollten.
Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Hinsken?
Bitte, Herr Hinsken.
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4480 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Herr Kollege Kuhn, ist es Ihrer Meinung nach lauterer
Wettbewerb, wenn der Meisterbetrieb Sozialabgaben
und Steuern zu zahlen und die ganze Bürokratie zu tra-
gen hat, während der Inhaber einer so genannten Ich-AG
weder Steuern noch Sozialabgaben zu zahlen hat, büro-
kratisch nicht belastet ist usw. und zu guter Letzt noch
einen Zuschuss vom Staat bekommt, also subventioniert
wird? Ich kann Ihre Argumentation nicht nachvollzie-
hen. Für mich bricht hier eine Welt zusammen.
Wir haben die Ich-AGs ja als Einstieg von Arbeitslo-sen in die Erwerbsarbeit vorgesehen. Das Ziel der gan-zen Maßnahme ist, dass sich aus diesen Ich-AGs nacheiner gewissen Zeit – Sie kennen die zeitlichen Be-schränkungen – Betriebe entwickeln, die sich ohne jedeUnterstützung am Markt halten können.
Wir sehen am Markt einen Bedarf für einfache Tätigkei-ten, der heute in der Regel durch Schwarzarbeit befrie-digt wird. Wir haben mit diesem Gesetz eine Regelunggemacht, mit der einfache Tätigkeiten leichter in die nor-male und damit sozialversicherungspflichtige Erwerbs-arbeit überführt werden. Genau das ist unser Ziel. Dabeiliegen wir ja nicht so weit auseinander. Nur, Sie habenbisher kein Instrument genannt, wie man solche Tätig-keiten aus dem Bereich der Schwarzarbeit herausholenkann. Wir sind alle gespannt auf den Gesetzentwurf ausBayern. Ich bin ganz sicher, dass da dann die entspre-chenden Regelungen enthalten sind.
Ich komme jetzt zu meinem zweiten Punkt, HerrHinsken: Wir sind für Kundensouveränität. Die Ver-braucherinnen und Verbraucher in Deutschland könnenselber einen Betrieb für die handwerklichen Leistungen,die sie erbracht haben wollen, aussuchen. Sie können inZukunft souverän entscheiden, ob sie jemanden habenwollen, der das Verbrauchergütesiegel Meisterbrief hat,oder ob sie einen Betrieb beauftragen, der es nicht hat.Sie werden es in der Qualität beurteilen. Sie werden esim Preis beurteilen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wie dieUnion als eine Partei, die sagt, sie sei für Marktwirt-schaft, auf den Gedanken kommt, dies verhindern zuwollen, kann ich bis heute nicht nachvollziehen.
Wir wollen mehr Existenzgründungen. Wir wollenmehr Arbeitsplätze schaffen. Und wir wollen mit dem,was heute zu beraten ist, einen Beitrag zur Bekämpfungder Schwarzarbeit leisten. Schwarzarbeit hat viele Ur-sachen. Eine davon sind die hohen Lohnnebenkosten;ich glaube, da sind wir uns vom Grundsatz her einig.Eine weitere Ursache dafür sind aber natürlich auch dieZugangsbeschränkungen bei handwerklichen Berufen.WrsvnhVdjSSlalnssEegFDDCwSIrZnVmFdgKksA
s geht doch nicht, dass jemand in Deutschland, wenn erinen Handwerksbetrieb aufmachen will, Beschränkun-en unterliegt, die für den Kollegen zum Beispiel ausrankreich nicht gelten.
a muss man etwas tun.
eswegen ist unsere Reaktion vernünftig.
Ich verstehe die ordnungspolitische Konzeption derDU/CSU nicht. Ich will Ihnen noch einmal vergegen-ärtigen, Frau Merkel, was Sie im Wahlkampf in Ihremofortprogramm dargestellt haben. Dort heißt es:Schritt für Schritt werden wir die notwendigen Re-formen einleiten, den überbürokratisierten Arbeits-markt entriegeln …ch sage klipp und klar: Wenn Sie den Arbeitsmarkt ent-iegeln wollen, dann ist es doch nicht damit getan, dieugangsbeschränkungen in der Handwerksordnung, dieicht notwendig sind, hier im Bundestag zu verteidigen.ielmehr müssen Sie einen substanziellen Vorschlagachen, wie man entriegeln und entbürokratisieren soll.rau Merkel, mit „neuer sozialer Marktwirtschaft“ hatie Verriegelung des Arbeitsmarktes und haben Zu-angsbeschränkungen überhaupt nichts zu tun. Diesesonzept, das Sie in der Öffentlichkeit immer darstellen,önnen Sie vergessen.
Auf einen Widerspruch möchte ich die Union hinwei-en. Sie sagen: Um die Anzahl der Gewerke in dernlage A der Handwerksordnung zu erhalten, sollte
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Fritz Kuhnnicht nur das Kriterium der Gefahrengeneigtheit, son-dern sollten auch andere Kriterien herangezogen wer-den, zum Beispiel die Ausbildungsintensität und derSchutz wichtiger Gemeinschaftsgüter. Wenn Sie ernstmeinen, was Sie da sagen, dann müssen Sie viele derGewerke, die heute in der Anlage B sind, in dieAnlage A nehmen, weil sie sowohl viel ausbilden alsauch wichtige Gemeinschaftsgüter zur Verfügung stel-len. Was die Union da will, ist: mehr aus der Rolle B indie Rolle A. Damit würden Sie das Handwerk noch wei-ter verriegeln. Ich glaube, Sie haben sich diese Ge-schichte nicht konsequent überlegt. Nach dem, was Sieuns hier erzählen, sind Sie für noch mehr Bürokratie undnoch mehr Zugangsbeschränkungen.
Meine Fraktion unterstützt den Gesetzentwurf derBundesregierung, hat aber an zwei Stellen noch Anfra-gen, Herr Minister. Wir werden im Verfahren im Bundes-tag noch stärker darauf achten, ob wirklich alle Berufe,die jetzt nach Ihrem Vorschlag in der Handwerksrolle Astehen, in dem Sinne gefahrengeneigt sind, wie wir es inunserer gemeinsamen Definition festgelegt haben. Ichglaube, dass es eine ganze Reihe von Berufen gibt, dienoch in die Rolle B überführt werden können. Dafür wer-den wir uns einsetzen, ebenso wie für die Beantwortungder Frage, ob man eigentlich wirklich zehn Jahre braucht,bis Gesellen in der Handwerksrolle A einen Betrieb über-nehmen können, oder ob dies nicht in kürzerer Zeit geht.Ich will noch zu einem weiteren Punkt etwas sagen,nämlich zu dem Ausbildungsargument. Ein zentrales Ar-gument der Union ist: Wer jetzt weniger Betriebe in derMeisterpflicht hält, schadet der Ausbildung.
Ich kann Ihnen nur sagen: Die tatsächliche Entwicklung,wie viele Betriebe wir von A nach B verschieben, gibtIhrem Argument nicht Recht.Die entsprechenden Zahlen sind bekannt: Nach demEntwurf der Bundesregierung gibt es 455 000 Betriebemit Gewerben in der Anlage A und 214 000 Betriebemit Gewerben in der Anlage B. Aus diesen Zahlen kannman Ihr Argument also nicht ableiten. Wir reden überein Drittel der Betriebe und ein Viertel der Auszubilden-den.Wenn man sich anschaut, dass die Ausbildungsleis-tung des Handwerks zurückgegangen ist – das liegtauch an der Krise, in der sich das Handwerk befindet;das darf man dem Handwerk nicht vorwerfen –, dannwird doch offensichtlich, dass der Bedarf des Hand-werks an Jungmeistern – aus demographischen Gründenwird dieser Bedarf ab 2005 noch größer sein als heute –allein über die Regelungen der Handwerksordnung garnicht mehr bedient werden kann. Deswegen ist es völligabsurd, wenn Sie noch mehr Betriebe von der Anlage Bin die Anlage A bringen wollen. Das können Sie letztenEndes auch nicht durchsetzen.mdemDsbMstsaqdnSfdddjWwvsbnsGfhknai
Es gibt noch ein weiteres Argument und dieses Argu-ent ist perfide. Es wird nämlich behauptet, Betriebe,ie nicht mehr meisterpflichtig sind und in denen nurinfache Tätigkeiten ausgeführt werden, würden nichtehr ausbilden.
iese Behauptung ist empirisch nicht bewiesen. Sie wis-en, dass in Betrieben der Anlage B sehr intensiv ausge-ildet wird. Wenn Handwerksfunktionäre, wie in denedien dargestellt, zum Teil jetzt davon sprechen, dassie nicht mehr ausbilden, wenn diese Novelle in Kraftritt, dann muss ich sagen: Das ist eine politische Erpres-ung. Diejenigen, die so reden, sägen selber den Ast ab,uf dem sie sitzen, weil qualifiziertes Handwerk auchualifizierte Ausbildung braucht.
Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Michelbach?
Ja, bitte.
Herr Kollege Kuhn, ich frage Sie, ob Sie jemals in ei-
em Betrieb ausgebildet haben. Wahrscheinlich haben
ie das nicht getan. Für meinen Betrieb stelle ich jeden-
alls fest, dass es einen engen Zusammenhang zwischen
er Größe und der Leistungsfähigkeit eines Betriebs auf
er einen Seite und der Ausbildungsfähigkeit auf der an-
eren Seite gibt. Es gibt also einen Unterschied zu dem-
enigen, der als Einzelperson mit meinem Betrieb im
ettbewerb steht. Wenn Sie die Ich-AGs in dieser Form
eiter begünstigen, was für das Handwerk wettbewerbs-
erzerrend ist, dann wird diese Wettbewerbsverzerrung
elbstverständlich automatisch zu einer geringeren Aus-
ildungsleistung führen. Es handelt sich also sozusagen
icht um eine künstliche Geiselhaft, die Sie anprangern,
ondern es ist eindeutig die Folge Ihrer Politik und Ihres
esetzes. Diesen Punkt muss man ganz klar ins Auge
assen.
Lieber Herr Kollege, ich teile Ihr Argument über-aupt nicht. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Es gibtein stichhaltiges Argument, warum sich die Größe ei-es Betriebs, dessen Gewerbe heute in der Anlage Aufgelistet wird und nach dem Vorschlag der Regierungn die Anlage B wechseln soll, verändern soll. Das
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4482 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Fritz KuhnArgument „Je kleiner der Betrieb ist, desto weniger wirdausgebildet“ trifft nicht zu.Noch eine Bemerkung zu den einfachen Tätigkeiten.Wer sagt Ihnen denn, dass aus den Ich-AGs, die logi-scherweise nur wenige Beschäftigte haben, durch denWettbewerb, den wir anstoßen, nicht eines Tages größereBetriebe werden können? Es gibt kein stichhaltiges Ar-gument dafür, dass das nicht möglich sein soll.Sie wollen etwas anderes. Sie wollen diejenigen, diekeinen Meisterbrief haben, schon heute präventiv dieBereitschaft und den Willen absprechen, auszubilden.Das ist reine Ideologie. Dafür können Sie uns kein ver-nünftiges Argument nennen. So können wir nicht ver-fahren.
Schauen wir einmal ins Ausland – das soll gelegent-lich helfen –, zum Beispiel nach Österreich.
Der Untergang eines Berufsstandes – das ist doch Ihr Ar-gument – hat in den Ländern, die die Regelungen gelo-ckert haben, nicht stattgefunden. Dort sind viele neueBetriebe entstanden; dort ist das Handwerk nicht ruiniertworden. Ein empirischer Blick auf die tatsächliche Situ-ation in anderen Ländern würde Ihnen zeigen, dass esgelegentlich klug ist, in Marktwirtschaften auch nach50 Jahren – so lange geht die Diskussion schon –, zuüberprüfen, ob die ordnungspolitischen Instrumentenoch stimmen.
Herr Kollege Kuhn, Sie können Ihre bereits abgelau-
fene Redezeit noch verlängern, indem Sie auf eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Schauerte eingehen.
Bitte schön, Herr Schauerte.
Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Ich denke, die Aus-
bildungsdichte ist das zentrale Argument, um das wir
politisch ringen sollten. Deswegen lohnt es, sich im Rah-
men einer Frage damit noch einmal zu beschäftigen.
Können Sie nicht bestätigen, dass erstens das Hand-
werk, so wie es heute verfasst ist, 3,5-mal mehr ausbildet
als die übrige Wirtschaft
und dass zweitens zum Beispiel der Handel oder die
freien Berufe bei 710 000 Existenzen 160 000 Auszubil-
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Das entscheidende Argument ist aber, dass die Zu-angsbeschränkung, die wir heute haben, ein Wettbe-erbshindernis ist und dass es kein systematisches Ar-ument dafür gibt, warum Betriebe, deren Gewerbeicht mehr in der Anlage A, sondern in Anlage B aufge-istet sind, oder auch die neuen Betriebe der einfachenätigkeiten weniger ausbilden.
Ich will auf Ihre Frage eingehen. Sie haben Recht:ie Ausbildungsdichte ist heute bei Betrieben nachnlage A größer als bei solchen nach Anlage B. Denrund dafür haben Sie aber unterschlagen. Der Grundafür ist, dass Betriebe nach Anlage B gegenwärtig iner Regel kleinere Betriebe sind. Das liegt am Zuschnitter Gewerbe. Angesichts der Tatsache, dass Gewerbeon Anlage A in die Anlage B kommen, können Sieoch niemandem erzählen, dass diese Betriebe deswe-en schrumpfen.Ich will Ihre Frage zum Anlass nehmen, an die Demo-raphie zu erinnern. Diese Diskussion ist ein wenig eineespensterdiskussion. Ab 2005 werden die Jahrgänge,ie die Schule verlassen, in ihrer Zahl schwächer. Daseißt, wir werden überall das Problem bekommen, quali-izierte junge Leute für die Ausbildung zu gewinnen.as Beste, was wir tun können, ist, durch mehr Wettbe-erb viele Betriebe neu auf den Markt zu bringen, so-ass Ausbildungschancen für alle bestehen werden.
Herr Schauerte, Sie haben die Frage angesprochen, obie Betriebe nicht durch die Diskussion über diese Ver-nderungen demotiviert werden. Dazu will ich Ihnenlipp und klar sagen: So wie Sie die Diskussion führen,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003 4483
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Fritz Kuhnkann das passieren. Denn Sie bringen die Handwerkervor Ort – wir bekommen ja mit, was da vorgeht – zumTeil gegen die Bundesregierung in Stellung – und dasnicht aus Leidenschaft in der Sache, sondern deswegen,weil Sie sich erhoffen, daraus politisches Kapital schla-gen zu können. Sie sind verantwortlich dafür, wenn De-motivation entsteht. Sie glauben, Sie könnten die Leuteverrückt machen und aufhetzen.
Zum Abschluss möchte ich feststellen: Wenn wir einemutige, nach vorn gewandte Wirtschaftspolitik machenwollen, kommt es sehr darauf an, dass wir uns den gutorganisierten Lobbys entgegenstellen.
Der CDU/CSU muss ich sagen: Sie zeigen immer mitausgestrecktem Finger auf die SPD und die Gewerk-schaften. Sie jedoch sind in einem Lobbydenken gefan-gen. Sie sind vor den Handwerksorganisationen in dieKnie gegangen und haben eine eigenständige wirt-schaftspolitische und ordnungspolitische Konzeptionaufgegeben. Ich glaube, dass sich das rächt, auch wennSie es geschafft haben, 1 000 Personen zu diesemThema hier zu versammeln. Wenn 1 000 Leute auf eineEinladung von Frau Merkel kommen, dann ist das schonein besonderes Ereignis. Aber der zukünftigen wirt-schaftlichen Entwicklung wird das nicht gut tun.Ich danke Ihnen.
Ich erteile dem Kollegen Dirk Niebel, FDP-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Bundesarbeitsminister Clement hat heuteebenso wie gestern den Zustand, in dem wir uns befin-den, ganz richtig beschrieben. Das Handwerk hatschwere strukturelle Probleme. Die BundesrepublikDeutschland und die deutsche Wirtschaft insgesamt ha-ben Probleme. Wir haben seit der Wiedervereinigung diehöchste Arbeitslosigkeit, und das nicht nur in einem Mo-nat, sondern drei Monate in Folge. Wir haben im letztenJahr seit der Wiedervereinigung die höchste Zahl an In-solvenzen – übrigens noch die wenigsten im Handwerks-bereich – in der Geschichte der Bundesrepublik gehabt.
Der Bundeswirtschaftsminister hat diesen Zustand völligrichtig beschrieben.Aber schuld daran ist doch nicht der Meisterbrief,schuld daran ist die verkorkste Politik von Rot-Grün imBereich Wirtschaft, Arbeit und Finanzen.
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4484 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Wir brauchen eine Regierungspolitik, die die Men-schen mitnimmt. Sie haben auch beim Handwerkertaggesagt, Sie wollen die Novelle der Handwerksordnunggemeinsam mit dem Handwerk auf den Weg bringen, da-mit diejenigen, die sie hinterher auszubaden haben – indiesem Fall muss man das so sagen –, damit leben kön-nen.Wir wissen doch, dass die Handwerksvertreter mitt-lerweile einsehen, dass hinsichtlich der Handwerksord-nung Modernisierungsbedarf besteht, der über die No-velle von 1998 hinausgeht. Sie könnten die bestehendeBereitschaft nutzen und die Menschen auf dem Weg zurSchaffung von neuen Chancen und neuen Arbeitsplätzenmitnehmen, statt sie so zu verprellen, wie das jetzt ge-schieht.
Die FDP hat schon bei der Beratung der kleinenNovelle der Handwerksordnung Vorschläge für einegroße Novelle eingebracht, die heute nicht Thema sind,aber in der Anhörung Thema sein werden. Wir habenVorschläge gemacht, wie das Handwerk zukunfts- undeuropafest gestaltet werden kann. Ich denke, dass dieseVorschläge, die mit vielen Handwerkerinnen und Hand-werkern abgestimmt sind, zielführend sind, was die not-wendigen Modernisierungsschritte betrifft, dass sie abernicht das Kind mit dem Bade ausschütten und nicht ei-nen der wichtigsten Wirtschaftszweige in der Bundesre-publik Deutschland weiter schwächen.Ich biete Ihnen an, auf diesem Wege zusammenzuar-beiten. Nehmen Sie unsere Vorschläge an. Gestalten Siedie Novelle nicht so, wie Sie es jetzt vorhaben. WerdenSie erst einmal Lehrling,
lernen Sie die Grundlagen des politischen Zusammenar-beitens und werden Sie dann Geselle! Vom Meister sindSie noch ziemlich weit entfernt. Diese Regierung ist al-lenfalls ein Meister des Dilettantismus.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Brandner, SPD-
Fraktion.
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as haben Sie, meine Damen und Herren von der Oppo-ition, eigentlich gegen Bürokratieabbau?
ir wollen, dass dieser absurde Zustand in unseremande – er ist leider Realität – endlich beendet wird.Wir reden hier nicht nur über Friseurinnen und Fri-eure, wir reden auch über Fliesen- und Mosaikleger,aler und Lackierer, Stuckateure, Parkettleger, Korbma-her, Damen- und Herrenschneider, Schuhmacher, wireden über Gebäudereiniger, Fotografen und Buchbin-er, ja wir reden über Geigenbauer und Bogenmacher.
as ist nur eine kleine Auswahl der Handwerke, die wiretzt von alten Regelungen, wie dem großen Befähi-ungsnachweis, befreien wollen, damit es mehr Selbst-tändigkeit und mehr Möglichkeiten der Existenz in die-em Lande gibt.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003 4485
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Klaus BrandnerIch kann die Gesellen, die vielen arbeitslosen Hand-werker und Techniker nur auffordern: Trauen Sie sich et-was zu! Wir sorgen dafür, dass es ein zustimmungsfreiesHandwerk gibt, in dem Sie die Möglichkeit haben, eineExistenz zu gründen.
Versuchen Sie sich als Unternehmer! Wir sind bereit, Ih-nen dabei zu helfen, Ihnen Unterstützung zukommen zulassen.Wir wollen die Behinderungen, die mehr Existenz-gründungen in diesem Lande verhindern, endlich ab-schaffen.
Wir werden dafür sorgen, dass sich in diesem Landeviel mehr Menschen selbstständig machen können, alsdas jetzt möglich ist. Wir werden dafür sorgen, dass dieEinschränkung der Berufsfreiheit und die Reglementie-rung der Gewerbefreiheit auf das absolut notwendigeMaß begrenzt wird. Wir werden dafür sorgen, dass in derEuropäischen Union und vor allem auch hier in Deutsch-land gleiche Wettbewerbsbedingungen auf den Hand-werksmärkten geschaffen werden. Wir werden dafür sor-gen, dass Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft drastischreduziert werden.
Das ist ein ganz wichtiges Ziel unserer Handwerksnovel-len.Nichts wächst in unserer Volkswirtschaft so stetig undso schnell wie der Bereich der Schwarzarbeit und derSchattenwirtschaft.
Auch wenn keine gesicherten Kenntnisse über Umfangund Art der Schwarzarbeit vorliegen, weiß jeder, dassinsbesondere das Baugewerbe, der Gartenbau, das Ho-tel- und Gaststättengewerbe und die haushaltsbezogenenDienstleistungen besonders davon betroffen sind.Professor Schneider von der Universität Linz, dessenAnalysen in der Öffentlichkeit breite Resonanz finden,hat ausgerechnet, dass allein im Baugewerbe und in denHandwerksbetrieben die Schwarzarbeit eine Wertschöp-fung von 133 Milliarden Euro ausmacht. Hunderttau-sende, vielleicht sogar Millionen von Vollzeitschwarzar-beitern sind in unserem Lande tätig.
Wir wollen durch Veränderung der Handwerksordnungmit dafür sorgen, dass es weniger Schwarzarbeit undmehr legale Existenz in diesem Lande gibt.
Wir wollen dafür sorgen, dass die Handwerksordnunguropatauglich wird. Wir stärken die Berufsfreiheit. Diepposition, die landein, landaus Tag für Tag das WortFreiheit“ im Munde führt, geht in diesem Punkt mit derreiheit aber äußerst zwiespältig um. Von Berufsfreiheitollen Sie anscheinend nichts wissen. Sie gehen bei die-em Thema zu einer einfachen Klientelpolitik zurück.
eine Kollege Kuhn hat eben sehr deutlich gesagt, wieas bei Ihnen bei den Arbeitnehmern aussieht. Die Ab-eordneten der CDU/CSU und FDP sprechen Bürokra-ieabbau in jeder Rede an. Kein Redebeitrag ohne Forde-ung nach Bürokratieabbau. Dafür machen Sie sichormalerweise stark.
ier haben Sie die Möglichkeit, mitzuhelfen,
urch Bürokratieabbau dafür zu sorgen, dass in diesemand mehr Bewegung, mehr Flexibilität und mehr Exis-enzmöglichkeiten entstehen.
Sie haben scheinbar ein fast erotisches Verhältnis zuem Wort „Deregulierung“. Sie rufen jeden Tag danach.ier – nicht nur wenn es um Arbeitnehmerrechte geht –aben Sie die Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass die not-endige Dynamik im wirtschaftlichen Prozess in diesemande eintritt. Meine Damen und Herren von der Oppo-ition, es fehlt Ihnen an diesem Punkt wirklich an Wahr-aftigkeit.Wir stehen zum Meister. Wir haben nicht umsonst daseister-BAföG deutlich verbessert. Wir stehen für Qua-ifizierung in diesem Land. Wir wissen, dass die Men-chen ohne gute Qualifizierung keine berufliche Per-pektive haben. Deshalb sagen wir Ja zum Meisterbrief.ber wir sagen Nein dazu, dass der Meisterbrief allei-ige Voraussetzung für die Existenzgründung in vielenandwerksbereichen sein soll. Das ist überholt und ver-ltet. Deshalb werden wir die Reform durchführen.
Meine Damen und Herren, mit der Verabschiedunger kleinen Handwerksnovelle heute wird das erste Ge-etzesvorhaben aus der Agenda 2010 ins Gesetzblattommen. Es hat, wie wir wissen, bis zum Schluss erheb-iches Sperrfeuer von allen Seiten gegen dieses Gesetzegeben. Doch wer für einfache Tätigkeiten die Meister-rüfung verlangt, hat den großen Befähigungsnachweisicht verstanden, der verstößt gegen die Verfassung und
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4486 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Klaus Brandnergefährdet den großen Befähigungsnachweis. Dieser giltbekanntlich nur für das Handwerk prägende Tätigkeiten.Da dies gerade nicht für einfache Tätigkeiten gilt,gleichwohl in der behördlichen Praxis bei Kammern undGerichten seit der Entscheidung des Bundesverwal-tungsgerichts von 1992 permanent dagegen verstoßenwird, muss der Gesetzgeber diese Regelung klarstellen,damit wir Rechtsklarheit in diesem Land haben. Dassind wir jungen Existenzgründern schuldig.Wir halten Kurs und werden uns nicht beirren lasen.
Wir haben unseren Fahrplan eingehalten. Meine Damenund Herren von der Opposition, das wird auch so blei-ben. Wir werden auch die große Handwerksnovelle zü-gig beraten und beschließen. Da das Gesetzesvorhabendiesmal zustimmungspflichtig ist, können Sie es zwarverzögern; aber wir werden nicht um jeden Preis kom-promissbereit sein. Wenn wir den Eindruck haben, dassSie kein wirkliches Interesse an einer sinnvollen Verän-derung haben, dann werden wir es auch alleine machen.
Wir sind aber sachgerechten Vorschlägen zugeneigt.Deshalb erwarten wir einen Kompromiss bei der großenNovellierung der Handwerksordnung.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Gunther
Krichbaum, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Fakt ist, dass die Handwerksordnung modernisiert wer-den muss. Dem stimmt auch das deutsche Handwerk zu.In Zeiten eines zusammenwachsenden Europas magman sich die Frage stellen, ob es gerecht ist, dass Hand-werker aus den EU-Nachbarländern hier ohne Meister-brief tätig werden können, während von den deutschenHandwerkern die Meisterprüfung verlangt wird. Vielfachwird dies als eine unzulässige Inländerdiskriminierungangesehen. Die Lösung kann nun doch aber nicht darinliegen, dass man den Meisterbrief für viele traditionelleHandwerksberufe – nämlich in 65 von insgesamt 94 Be-rufsbildern – faktisch abschafft. Dies ist nicht nur fanta-sielos, sondern auch in hohem Maße gefährlich.
Eine Reform ist nur so gut, wie sie die Menschen ab-holt und mitnimmt. Springen die Menschen von diesemReformzug ab, dann mag dieser Zug vielleicht sein Zielerreichen, aber ohne Passagiere.Dd5AAuwukwAibzDAsvKzNdudtinigGBvIsWhgi
as Problem liegt doch nicht in der Anzahl fehlenderrbeitskräfte,
ondern in den viel zu hohen Lohnnebenkosten für dieorhandenen Arbeitskräfte.
ommt es deshalb vor allem in grenznahen Regionenur Beauftragung eines Handwerkers aus einem EU-achbarland, dann hat dies seine Ursache darin, dassieser seine Arbeitsleistung wegen geringerer Steuernnd Lohnnebenkosten günstiger anbieten kann als seineutscher Kollege.Diesen Umstand zum Anlass zu nehmen, den Meis-erbrief und damit den qualitativen Standard insgesamtnfrage zu stellen, ist neben der Sache. Nein, die von Ih-en vorgeschlagene Reform löst das Problem nicht, siest Teil des Problems.
Welcher Handwerker fühlt sich denn unter den heuti-en Umständen noch motiviert, zu investieren und seineschäft auszubauen? Nur wenn er für sich und seinenetrieb eine Perspektive sieht, wird er Neueinstellungenornehmen und junge Leute ausbilden.
Sie müssen endlich erkennen, dass es genau die vonhnen heute vorgeschlagenen Maßnahmen sind, die un-erem Standortklima nicht nutzen, sondern schaden.enn im Handwerk weniger ausgebildet wird, fehleneute die Lehrstellen, morgen die Meister und übermor-en die Unternehmensnachfolger, die diese Betriebe mithren Angestellten weiterführen sollen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003 4487
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Gunther KrichbaumIch spreche Ihnen nicht ab, dass Sie erkennen, wassich gegenwärtig im Ausbildungssektor abzeichnet. Daseinzige, was Ihnen dabei jedoch als Lösung in den Sinnkommt, ist eine Ausbildungsplatzabgabe als Zwangsab-gabe, frei nach dem Motto: Und bist zu nicht willig, sobrauch’ ich Gewalt.Nein, mit Ihrer Reform demotivieren Sie einen gan-zen Berufsstand und nehmen damit im Ergebnis vielenjungen Menschen die Perspektive eines soliden Ausbil-dungsplatzes. Es ist schon auffällig, dass alle Ihre Maß-nahmen unter dem Deckmäntelchen des Bürokratieab-baus in Wirklichkeit auf die Handwerker und freienBerufe abzielen. So sollen beispielsweise die Vergü-tungssysteme der Architekten, Ingenieure, Rechtsan-wälte und anderer zerschlagen werden. Damit schadenSie den Freiberuflern und Selbstständigen massiv. Lang-sam gewinne ich aber auch den Eindruck, dass dies be-absichtigt ist.
Unser Reformvorschlag sichert den Meisterbrief alsQualitätssiegel des deutschen Handwerks und ist damitpraktizierter Verbraucherschutz. So sind wir im Gegen-satz zu Ihnen auf das Handwerk zugegangen und habengemeinsam mit dem Handwerk klare Linien entwickelt,wie eine tragfähige Reform auszusehen hat.Wenn eines der drei Kernelemente – Gefahrenge-neigtheit, überdurchschnittliche Ausbildungsleistungund Schutz wichtiger Gemeinschaftswerte wie Umweltund Gesundheit – verwirklicht ist, wollen wir auch, dasses im Interesse aller beim obligatorischen Meisterbriefbleibt.
Das Haus „Deutsches Handwerk“ werden Sie nichtdadurch modernisieren, dass Sie es abreißen, die Funda-mente herausnehmen und anschließend wieder neu hin-stellen. Dieses Haus wird nicht lange stehen. Ziel einerReform muss es sein, eine beschäftigungsfördernde Poli-tik einzuleiten, aber auch eine beschäftigungssicherndePolitik zu betreiben. Diesen Zielvorstellungen wird IhrEntwurf nicht gerecht.Handwerk hat goldenen Boden – so war es in der Ver-gangenheit. Wir von der Union wollen, dass es auch inZukunft dabei bleibt bzw. wieder so wird. Der Kurs vonRot-Grün bedeutet den Konkurs für viele Handwerksbe-triebe. Dabei werden wir von der Union nicht mitma-chen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Krichbaum, dies war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag. Unsere herzliche Gratulation!
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Christian
Lange, SPD-Fraktion.
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Aufhebung des Inhaberprinzips – Einigkeit mit demeutschen Handwerk; Wegfall der Gesellenjahre für dieulassung zur Meisterprüfung – Einigkeit mit dem deut-chen Handwerk;
egfall von Doppelprüfungen und Erleichterung für In-enieure und staatlich geprüfte Techniker – Einigkeitit dem deutschen Handwerk.
ören Sie endlich mit der Legende auf, wir würden mitem deutschen Handwerk nicht sprechen. Das Gegenteilt der Fall.
Eine zweite Bemerkung. Ich bin erstaunt darüber, mitelchen verdrehten Rollen wir hier argumentieren. Die-enigen, die sich im Deutschen Bundestag für die Ge-erbefreiheit einsetzen, die immerhin im Grundgesetznserer Bundesrepublik Deutschland steht und dieeutschland stark gemacht hat, müssen sich dafür recht-ertigen, während diejenigen, die an Regulierungen fest-alten wollen, glauben, sie könnten das per ordre duufti hier durchsetzen. So funktionieren das Grundge-etz, die Bundesrepublik Deutschland und die sozialearktwirtschaft nicht.
ie Handwerksordnung ist aus dem Jahre 1953 und sieedarf der Veränderung, um die Eingriffe in die selbst-tändige Berufsausübung rechtfertigen zu können.
Lassen Sie mich jetzt einige Beispiele nennen, anhanderen man das beweisen kann. Während im Jahre 1970och etwa 632 000 Unternehmer in der Anlage A regis-riert waren, sind es heute trotz der deutschen Einheit nuroch etwa 560 000.
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Christian Lange
– Moment. – Vergleichen wir das einmal mit der Anlage B.In der Anlage B waren 1970 nur 29 400 Unternehmen re-gistriert. Heute verzeichnet diese Liste 176 270 Unterneh-men.
Dies entspricht einem durchschnittlichen Zuwachs von6 Prozent. Das belegt, dass gerade in den Bereichen eineDynamik zu verzeichnen ist, in denen es den Meister-brief als Marktzugangsregelung nicht gibt. Ich bitte Sie,dies entsprechend zur Kenntnis zu nehmen.
Kollege Lange, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Niebel?
Gerne.
Lieber Kollege Lange, stimmen Sie mir zu, dass die
von Ihnen genannten Veränderungen bezüglich der Be-
rufe in den Anlagen A und B der Handwerksordnung zu
einem überwiegenden Teil durch die Handwerksnovelle
von 1998 zustande gekommen sind?
Das will ich gerne.
Dazu will ich das nächste Beispiel nennen, Herr Kol-
lege Niebel. 1998 haben wir die Gerüstbauer von der
Anlage B in die Anlage A heraufgestuft. Schauen Sie
sich dort die entsprechenden Zahlen an. Von 1970 bis
1998 konnte die Zahl der Gerüstbauer in der Anlage B
aufgrund des freien Marktzugangs eine ganz besondere
Dynamik nehmen und expandieren. Nach der 1998 er-
folgten Überführung in die Anlage A schrumpfte die
Zahl der Betriebe aufgrund der Marktzugangsregelung,
die wir alle gemeinsam hier im Deutschen Bundestag be-
schlossen haben,
innerhalb von vier Jahren von 7 138 auf 4 934, das heißt
um 35 Prozent. Das ist der schlagende Beweis dafür,
dass eine Marktzugangsregelung ein strukturelles Ele-
ment ist. Wir müssen es lockern, damit in Deutschland
eine stärkere Gründungsdynamik Platz greifen kann.
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ass es eine entsprechende Dynamik durch die Verände-ung der Marktzugangsregelung gibt, muss man zumin-est einmal zur Kenntnis nehmen. Ihr zentrales Argumentutet doch, dass die Marktzugangsregelung keinerlei Ein-luss auf die Gründungsdynamik in Deutschland hat. Dasegenteil ist der Fall. Diese Zahlen belegen das.Auch ein Blick in die Geschichte der Bundesrepublikeutschland belegt das.
ch habe mir einmal die Mühe gemacht, nachzuschauen.n den Jahren 1949 bis 1953 gab es in Deutschland kei-en Meisterzwang. Es ist interessant, sich hier einmalie Entwicklung anzuschauen. Ein Verlust der traditio-ellen Ausbildung zum Meister ist durch die Marktöffnungufgrund des Wegfalls des Meisterzwangs nicht zu befürch-n. Gab es 1949 in den damals zehn westlichen Bundeslän-ern – ohne das Saarland und ohne Westberlin – 39 011 be-tandene Meisterprüfungen, so sind es heute, nach dereutschen Einheit, bei einer höheren Bevölkerungszahlundesweit 30 146, wie der Minister kürzlich vor demeutschen Bundestag ausgeführt hat.
uch das macht deutlich, dass Ihre Befürchtung, unseresetzentwurf könnte negative Auswirkungen haben,icht der Wirklichkeit entspricht. Nehmen Sie diesechlichten Zahlen einfach zur Kenntnis. Entfernen Sieich an dieser Stelle von der bloßen Polemik.
ersuchen Sie doch, Ihre Einwände rational zu begrün-en.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003 4489
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Christian Lange
Auch das geltende EU-Recht zwingt uns zur Novel-lierung. Wir alle wissen: Nur noch Luxemburg hat eineentsprechende Berufszugangsschranke, die dem deut-schen Meisterbrief ähnelt. Andere Staaten, etwa die Nie-derlande, haben ihre Bestimmungen auf gefahrenge-neigte Tätigkeiten konzentriert. Österreich hat aufgrundeines Urteils des österreichischen Verfassungsgerichts-hofs Inländer bei der Zulassung zur HandwerksausübungAngehörigen der übrigen EU-Staaten gleichgestellt.
Handlungsbedarf besteht also unabweisbar. In der ge-samten Europäischen Union gelten ähnliche Regelun-gen. Wir müssen dafür sorgen, dass der Meisterbriefauch in Zukunft europafest ist. Das ist das Ziel der No-velle. Ich bitte darum, dies zur Kenntnis zu nehmen.
Durch die Aufhebung der Beschränkungen werden Exis-tenzgründungen ebenso wie Unternehmensnachfolgen sowiedie Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen und Lehr-stellen wesentlich erleichtert. Den zulassungspflichtigen undzulassungsfreien Handwerken wird es nämlich ermöglicht,umfassende branchenübergreifende Leistungen anzubie-ten sowie auf Kundenwünsche flexibel zu reagieren. Au-ßerdem werden vermehrt Angebote aus einer Hand mög-lich.Neue, bisher unter Meistervorbehalt stehende Tätig-keitsfelder können ausgenutzt werden. So können zumBeispiel Kosmetikerinnen künftig auch Friseurleistun-gen anbieten. Dadurch wird die Erschließung neuer Ab-satzmärkte möglich. Innovationen können stärker alsbisher für das Handwerk genutzt werden. Außerdemwerden die bisher so häufigen Abgrenzungsproblemezwischen den in der Anlage A verbliebenen Handwer-ken und den in die Anlage B überführten Handwerkenbeseitigt.Ich möchte dazu ein Beispiel aus meinem eigenenWahlkreis nennen. Eine Friseurmeisterin mit einem Be-trieb in meiner Stadt wollte in der Nachbargemeindeeine Filiale eröffnen. Die entsprechende Kammer unter-sagte ihr dies, obwohl sie dadurch zwei Arbeitsplätzeschaffen würde, mit der Begründung: Dies wäre mit derheute geltenden Handwerksordnung unvereinbar.
Das darf eigentlich nicht wahr sein, ist aber leider Wirk-lichkeit in Deutschland. Erst als der Fall publik gemachtwurde, hat die Kammer reagiert: Sie wartet mit einerEntscheidung so lange, bis diese Gesetzesnovelle be-schlossen ist.
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Die Gesetzesnovelle liegt nicht nur im Interesse deresellinnen und Gesellen und der Dynamik des Wirt-chaftsstandorts Deutschland; sie liegt auch im Interesseer expansiven Meisterinnen und Meister, die schoneute eine entsprechende Qualifikation haben und ihrenetrieb voranbringen wollen. Deshalb bitte ich Sie herz-ich: Hören Sie mit dieser ideologischen Diskussion auf!
ören Sie damit auf, das Thema zu einem Kulturkampfoch zu stilisieren! Konzentrieren Sie sich auf den Kern.ir brauchen in Deutschland mehr Existenzgründungennd im Handwerk mehr Dynamik. Dem dient diese No-elle. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung.Herzlichen Dank.
Ich erteile Kollegen Heinrich Kolb, FDP-Fraktion,
as Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieorgeschlagene Änderung der Handwerksordnung – Herrinister Clement, auch Sie haben das eingeräumt – darficht isoliert gesehen werden, sondern sie steht im Zu-ammenhang mit anderen, derzeit laufenden oder un-ängst abgeschlossenen Gesetzgebungsvorhaben. Um esuf den Punkt zu bringen: Es geht Rot-Grün um einenngriff auf die Bürgergesellschaft,
eil neben den Handwerksmeistern auch die Apotheker,rzte, Architekten und Rechtsanwälte auf der Liste derurch die Bundesregierung gefährdeten Arten stehen.Wir von der FDP wollen die bewährten freiberuflichentrukturen ebenso wie die bewährten handwerklichentrukturen erhalten. Das schließt – das sage ich aus-rücklich – die Weiterentwicklung geltender Vorschrif-en nicht aus. 1994 und 1998 – Herr Lange, Sie waren998 doch dabei – haben wir die Handwerksordnung zu-ächst innerhalb des Handwerks geöffnet und weiterent-ickelt.
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Dr. Heinrich L. KolbWeitere Schritte müssen folgen: die Abschaffung des In-haberprinzips und ein verbesserter Zugang durch § 8 derHandwerksordnung. Dazu sind wir bereit. Aber dieseAnpassungsmaßnahmen müssen so erfolgen, dass dasHandwerk die Chance hat, auf diese Anpassungen zureagieren.
Ich befürchte, dass mit der Reform, wie Sie sie vorge-schlagen haben, ganze Handwerksbereiche platt ge-macht werden.
Wenn man sich die Begründung Ihres Gesetzentwur-fes durchliest, dann kommt man zu dem Verdacht, dasOpfer solle zum Täter gemacht werden, weil die Novelledamit begründet wird, es gebe eine anhaltend schlechtewirtschaftliche Entwicklung. Aber kein Wort von verfehl-ten rot-grünen Reformen, die gerade das Handwerk belas-ten, kein Wort von zu hohen Steuern, von steigenden Ab-gaben, die es für junge Meisterinnen und Meister – davongibt es immerhin noch eine Reserve von 120 000 – un-attraktiv erscheinen lassen, sich im Handwerk zu betäti-gen. Kein Wort schließlich über fehlende Investitionenvon Bund, Ländern und vor allen Dingen Kommunen,was letztendlich das Ergebnis einer schlecht gemachtenSteuerreform ist.
Es ist ein Hohn – Herr Minister Clement, es ist mehrals das; es ist böswillig –, wenn in der Begründung desEntwurfes darauf hingewiesen wird, dass es im Hand-werk bei der Ausbildung eine Abbrecherquote von30 Prozent gebe, aber kein Wort darüber verloren wird,dass die Ausbildungsquote des Handwerks mit 9,8 Pro-zent fast dreimal so hoch ist wie im Durchschnitt der üb-rigen Wirtschaft. Das zeigt mir, Herr Minister Clement,dass Rot-Grün wirklich keine Ahnung davon hat, wie esim Handwerk aussieht und vor allen Dingen wie die ak-tuelle wirtschaftliche Situation im Handwerk ist.
Der große Befähigungsnachweis ist im Übrigenauch kein Berufsverbot, wie es in der Begründung IhresGesetzentwurfes heißt, sondern er ist ein Qualifizie-rungsgebot und mithin die einzige Ausbildung zum Un-ternehmer, die wir in Deutschland haben. Das führt imErgebnis zu der im Vergleich sehr niedrigen Insolvenz-quote und zu der Bestandsfestigkeit der Handwerksbe-triebe.
Herr Kollege Kuhn, ich sage Ihnen voraus und gebezu Protokoll, damit Sie später nicht sagen, das habe mannicht voraussehen können:Dsd1ewrddAzftetimchSwgwzteNgszsnmAgßmsjensd
er vorliegende Gesetzentwurf wird, wenn die Novelleo umgesetzt wird, wie Sie es vorschlagen, dazu führen,ass wir im Herbst nicht nur über 70 000, sondern über40 000 fehlende Ausbildungsplätze reden müssen, weils absehbar und durch aktuelle Umfragen beim Hand-erk belegt ist, dass die dann von A nach B zu überfüh-enden, künftig zulassungsfreien Handwerke ihre Ausbil-ungsleistung deutlich auf das Niveau des Durchschnittser Gesamtwirtschaft zurückführen werden. Das führt zuusbildungsplatzverlusten in dieser Größenordnung.Man greift sich an den Kopf. Dieselbe Koalition, dieu Beginn ihrer Amtszeit mit dem Gesetz zur Bekämp-ung der so genannten Scheinselbstständigkeit die Exis-nzgründungen in Deutschland nachträglich beeinträch-gt hat, glaubt jetzt, ein Patentrezept gefunden zu haben,it der Ich-AG Arbeitslose zu Unternehmern zu ma-hen. So lautet das Motto. Wenn es so einfach wäre – –Ich sage Ihnen voraus: Mit der Ich-AG als Anbieterandwerklicher Leistungen entfachen Sie vielleicht eintrohfeuer um den Preis einer Atomisierung des Hand-erks in kleinste Einheiten ohne nachhaltige Beschäfti-ungswirkung. Aber die Ich-AG als Nischenanbieterird am Markt jämmerlich scheitern, weil der Trend dortu kompletten, immer umfassenderen Leistungsangebo-n geht. Deswegen trifft Ihre Vorstellung auch nicht denerv der Zeit.
Insgesamt sehe ich die Gefahr, dass die jetzige Be-ründung, die allein auf die Abwehr von Gefahren ab-tellt, nicht ausreichen wird, um die Anlage A auf Daueru erhalten. Wenn es so kommt, wie von Ihnen vorge-chlagen, werden Gerichte den großen Befähigungs-achweis in absehbarer Zeit zu Fall bringen. Wir müssenit mehr Sorgfalt zu Werke gehen. Nachhaltigkeit undusbildungsleistung sind Kriterien, die unbedingt heran-ezogen werden müssen, um die Anlage A und den gro-en Befähigungsnachweis zu begründen.Nehmen Sie Vernunft an! Lassen Sie uns gemeinsamit dem Handwerk überlegen, welche nächsten Liberali-ierungsschritte nach den Novellen von 1994 und 1998tzt gegangen werden können! Ich habe Beispiele ge-annt. Das Handwerk hat die Hand ausgestreckt. Sieollten nicht danach schlagen.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Nun hat Kollege Hans-Werner Bertl, SPD-Fraktion,as Wort.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Gestern hat hier ein Mitglied meiner Fraktion einenAusspruch des stellvertretenden Vorsitzenden IhrerFraktion, Herrn Merz, vom März im „Spiegel“ zitiert.Ich sehe noch den heftigen Zuspruch des AbgeordnetenHinsken. Ich bringe das Zitat noch einmal, benutze aberdas Wort, das er benutzt hat, nicht: Wenn man einenTeich trocken legen will, dann darf man nicht die Frö-sche fragen.
Dazu haben Sie kräftig genickt. Ich kann Ihnen eines sa-gen, Herr Kollege Hinsken: Wenn wir so handelten undso mit der Organisation des Handwerks umgingen, wieIhre Fraktionsoberen es Ihnen in Bezug auf andere Orga-nisationen empfehlen, dann wären Sie heute hier derFrosch und ich sehe keine Prinzessin, die Sie küssenwürde.
Ihre Position zur Handwerksordnung kann ich nur un-ter oppositionsstrategischem Gesichtspunkt verstehen.Ehrlich sind Sie dem Handwerk gegenüber nicht.Die dubiose Haltung der Liberalen, denen sonst jedeForm von Regulierung in der Wirtschaft ein Gräuel ist,das sie fürchten wie der Teufel das Weihwasser, könnensie selbst einem Handwerker nicht mehr vernünftig er-klären.Ich glaube, dieses Thema ist es wert, in aller Ruhe er-örtert zu werden. Wir sollten die Wirklichkeit der Erfah-rungen eines deutschen Verbrauchers mit dem Handwerkund die Lebenswirklichkeit eines deutschen Hand-werksmeisters im Zusammenhang mit dem Verbrauchernicht ausblenden. Es ist doch schon alles beschriebenworden. Ich nenne als Beispiel den verzweifelten Ver-such eines ordentlichen, gesetzestreuen Verbrauchers,die abgeplatzte Fliese von einem fachkundigen Hand-werksmeister ersetzt zu bekommen. Bei einem solchenVersuch ist doch ein Scheitern bereits vorprogrammiert.Eine reale Chance, eine solche Bagatellreparatur ausfüh-ren zu lassen, besteht in den frühen Abendstunden oderam Samstag, wenn zwar der Verbraucher verschämt dieUmsatzsteuer einbehalten muss, letztlich aber glücklichist, dass der Schaden von fachkundiger Hand behobenwird.Wie sieht die Situation aus der Sicht des Handwerks-meisters aus? So mancher Handwerksmeister macht sichbeklommen an die Behebung eines Schadens, der nichtzu seinem Gewerk gehört, der ihn aber fachlich nichtüberfordert. Er ist vielleicht gerade im Hause und kannsich dem bettelnden Blick der Verbraucherin irgendwannauch mit dem besten Argument nicht mehr entziehen. Estreibt ihn in den Gesetzesbruch.
– Das ist die Wirklichkeit!DeWcuavMswMsnkmckwnHsulGBgbtaKtiwnbtpfnnIuAtrS
as hört sich vielleicht lustig an, macht aber das Systemines geschlossenen Marktes deutlich, das weit von derirklichkeit unserer Wirtschaft entfernt ist. Wir brau-hen hingegen ein System, das Wirtschaftswachstumnd Beschäftigung ermöglicht.
Ich will ein Zitat aus der Schlussarie des Hans Sachsus den „Meistersingern von Nürnberg“ anführen, dasom Handwerk sehr geliebt wird: Verachtet mir dieeister nicht und ehrt mir ihre Kunst! – Hans Sachsingt von Kunst, aber nicht von Zunft. Genau das wollenir auch: Wir wollen die Kunst und die Qualität deseisters nicht in Zweifel ziehen. Vielmehr wollen wireine Markt- und Wettbewerbsfähigkeit und sein Kön-en durch die Novellierung der Handwerksordnung stär-en.
Im Bereich der Handwerksberufe der Anlage A sollit dem Primat des besonderen Schutzes des Verbrau-hers und in der Anlage B mit der freiwilligen Möglich-eit der Meisterprüfung in den Wettbewerb eingebrachterden, was im Handwerk einen Wert an sich darstellt,ämlich Qualität und hohe fachliche Kompetenz.Kann man bestreiten, dass es in vielen Bereichen desandwerks durchaus zu verantworten ist, sich dem Ge-chick und der Fachkunde eines Gesellen anzuvertrauennd ihm die Möglichkeit einzuräumen, sich nach zehnangen Jahren verantwortlichen Arbeitens ein eigeneseschäft aufzubauen und sogar auszubilden, wenn er dieedingungen der Ausbildungsverordnung erfüllt? – Ichlaube nicht.
Ist es in einem System der Nischenwirtschaft nichtesser, diejenigen, die in Fachgebieten, in denen heutzu-ge fast jeder in wenigen Wochen die notwendigenenntnisse erwerben kann, heimlich ungesetzliche Tä-gkeiten ausüben, mit einzubeziehen? Glauben Sieirklich, die Behauptung aufrecht erhalten zu können,ur der Meister sei ein Garant für die fachgerechte Aus-ildung und nur er sei durch seinen Prüfungsteil in Be-riebswirtschaft in der Lage, in unserem sicherlich kom-lizierten Land erfolgreich zu wirtschaften?Was machen eigentlich die Hunderttausende von er-olgreichen Unternehmen, die nicht der Handwerksord-ung unterliegen? Welchen Wert hat die Ausbildung ei-er Industriekauffrau in unserer Wirtschaft? 56 000 derndustriekaufmänner und -frauen werden in der Industriend im Handel ausgebildet, ganze 61 im Handwerk.Welchen Wert hat der Fachinformatiker, Fachrichtungnwendungsentwicklung, von dem 18 000 in der Indus-ie ausgebildet werden und ganze vier im Handwerk?ind all diese Menschen für Unternehmer tätig, denen
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4492 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Hans-Werner Bertljede wirtschaftliche Kompetenz fehlt und die nicht amMarkt bestehen, weil sie keinen Meistertitel haben?Wir müssen zugeben, dass wir an einem Punkt ange-langt sind, an dem wir uns der Realität stellen müssen.Ich gebe auch offen zu, dass mir das ein bisschen weh-tut; ich bin nämlich selbst Handwerksmeister und ich binstolz auf das, was ich einst erlernt habe und beweisenmusste.
Über die Niederlassungsfreiheit innerhalb Europas istschon gesprochen worden. Andere EU-Staaten bieten ih-ren Handwerkern weitere Freiräume. Nach den Regelndes Binnenmarktes kann kein Bürger an einer grenzüber-schreitenden wirtschaftlichen Betätigung gehindert wer-den.Wir befinden uns in einer Situation, in der wir ge-meinsam mit dem Handwerk – vonseiten des Handwerksgibt es durchaus entsprechende Zeichen – den Weg be-schreiten sollten, die Handwerksordnung angesichts derfür sie tatsächlich bestehenden Gefährdungen im Zusam-menhang mit unserer Verfassung, der Rechtsprechungund der Diskussion auf europäischer Ebene über die sogenannte Inländerdiskriminierung zukunftsfähig zu ma-chen.
– Doch!
Beenden Sie Ihre Ideologisierung! Lassen Sie uns mitden Vertreterinnen und Vertretern des Handwerks – man-che von ihnen räumen diese Gefahren in Vieraugenge-sprächen ein und zeigen die Bereitschaft, etwas Vernünf-tiges zu entwickeln – sachgerecht und fachgerechtsprechen! Wir werden die Handwerksordnung zukunfts-fähig machen und nichts, weder die Qualität noch dieAusbildungsfähigkeit noch die Ausbildungsbereitschaftim deutschen Handwerk, infrage stellen.Herzlichen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kol-
lege Schauerte.
Herr Präsident! Ich habe mich zu dieser Kurzinter-
vention gemeldet, da dieser Redner ein Argument aufge-
griffen hat, das auch Clement und andere immer wieder
angeführt haben. Dieses Argument ist falsch und es darf
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Ich empfehle, einen Blick auf andere Bereiche zu
erfen, um zu prüfen, ob dieses Argument richtig ist.
er Einzelhandel in Deutschland ist völlig unreguliert.
r hat sich – ohne jede Regulierung – katastrophal ent-
ickelt. Es ist daher nicht richtig, zu behaupten, der Ne-
ativtrend sei ein Ergebnis der Regulierung. Ein anderer
ereich ist in hohem Maße reguliert – es gibt dort Zu-
angsbeschränkungen, die deutlich strenger als die im
andwerk sind, einschließlich einer Gebührenordnung –:
ch denke an die Rechtsanwälte und insbesondere Kon-
ursverwalter. Ihre Anzahl hat sich in den letzten Jahren
norm vermehrt.
Die Qualität und der Umfang der Zugangsvorausset-
ungen sind kein Maßstab, um zu beurteilen, ob sich
ine Branche gut oder schlecht entwickelt und ihren Bei-
ag zur Volkswirtschaft leistet. Dass es im Handwerk so
chlecht läuft, ist das bittere Ergebnis Ihrer absolut ver-
ehlten Wirtschaftspolitik.
Erklären Sie das Handwerk nicht zum Täter! Das
andwerk ist in dieser Frage Opfer. Lassen Sie diese Art
er Argumentation! Sie ist nicht zielführend und zeigt,
ass Sie ideologisch vorgehen und nicht an der Sache
rientiert sind. Ändern Sie Ihre Wirtschaftspolitik und
as Handwerk hat wieder goldenen Boden!
Kollege Bertl, Sie haben Gelegenheit zur Erwiderung.
Sehr geehrter Herr Kollege, zunächst einmal ist fest-uhalten: Was die Existenzgründungsquote angeht, sindir von vielen anderen europäischen Ländern überholtorden. Die Problematik, die Sie angesprochen haben,at mit der gegenwärtigen Situation überhaupt nichts zuun. Es geht nicht darum, die Meisterprüfung oder denefähigungsnachweis zu diskreditieren. Wir müssenoch einfach sehen, dass wir es hier mit einem geschlos-enen Markt zu tun haben, für den es kaum noch eineerechtigung gibt. Die Geschlossenheit des Marktes hatllerdings in denjenigen Bereichen, bei denen es um den
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003 4493
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Hans-Werner BertlVerbraucherschutz geht, durchaus noch ihre Berechti-gung.
Anlage A regelt, dass über ein Drittel des Handwerks– dort arbeiten fast zwei Drittel der im Handwerk Täti-gen – in einem geschlossenen Markt verbleibt. Das zeigtdie wirtschaftliche Struktur in unserem Land, insbeson-dere im Handwerk, auf. Es zeigt aber auch auf, dass die-ser Markt, der aus der Tradition der Zünfte heraus regu-liert ist – diese Regulierung lässt sich mit dieserTradition heute nicht mehr rechtfertigen –, Freiräumebraucht. Also: Keine Gefährdung für den großen Befähi-gungsnachweis!Ich glaube, dass es für junge Menschen nach wie vorein sehr interessantes und anzustrebendes Ziel sein wird,auch in den in Anlage B aufgeführten Handwerksberu-fen den Meisterbrief zu machen.
Sie haben hier eben einen großen Fehler begangen,als Sie behauptet haben, ein Arzt könne sich nur nach ei-ner Promotion selbstständig machen. Das ist eben nichtso.
Das Examen reicht aus. Sie müssen sich einmal dieFrage stellen, warum so viele junge Medizinerinnen undMediziner und so viele andere Hochschulabsolventeneine Promotion machen. Warum sollen junge Menschenim Handwerk in Zukunft anders vorgehen? Darübermüssen Sie einmal mit den Vertretern des Handwerksund mit den Gesellinnen und Gesellen diskutieren.
Wenn Sie das getan haben, dann werden Sie feststellen:Ihre gesamte Argumentation ist ad absurdum geführtworden.
Ich erteile das Wort Kollegen Werner Wittlich, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Lieber Herr Kollege Bertl, wenn man Ihre Bio-grafie liest, dann stellt man fest, dass Sie irgendwanneinmal den Titel eines Uhrmachermeisters erworben ha-ben.–wdei–WBBBwddHjtvhDwRgfkEsrnttfns9tEAsn
Das mache ich doch nicht. – Aber man merkt, dass Sieahrscheinlich Jahrzehnte aus diesem Beruf heraus sind;enn sonst würden Sie hier nicht einen solchen Unsinnrzählen.
Jeder kennt das Handwerk und kommt täglich mithm in Berührung.
Erzählen Sie nicht ein solches Zeug, Herr Lange. –er vom Handwerk spricht, denkt dabei oft nur an denäcker um die Ecke oder an den Installateur nebenan.eide verkörpern das traditionelle Handwerk und sindeispiele seiner Nähe zum Verbraucher. Doch Hand-erk ist viel mehr. Handwerk ist Zukunft. Es ist ein mo-erner, innovativer und kreativer Wirtschaftsbereich, derurch Qualität und Kundenorientierung überzeugt.andwerk ist so alt wie die Steinzeit und gleichzeitig soung wie die Technologie von morgen.
Die Handwerksordnung, wie sie seit vielen Jahrzehn-en besteht, hat sich nicht nur bewährt. Wir werden auchon vielen Ländern um die Leistungsfähigkeit und denohen Qualitätsstandard unseres Handwerks beneidet.as Gütesiegel ist der Meistertitel. Er steht für Fach-issen und solide Kenntnisse in Betriebswirtschaft,echt und Pädagogik. Damit dieser Qualitätsstandardehalten werden kann, muss sich die Handwerksordnunglexibel und dynamisch neuen Entwicklungen anpassenönnen. Der jetzt von der Bundesregierung vorgelegtentwurf zur Novellierung der Handwerksordnung ist inich widersprüchlich, unlogisch sowie tatsächlich undechtlich fehlerhaft. Er ist außerdem mit dem Handwerkicht abgestimmt. Die Reform wurde überdies von Poli-ikern eingeleitet, die selbst nie an der Spitze eines Un-ernehmens gestanden haben, die nie in einem Betriebür Arbeitsplätze gesorgt haben und die nie auch nur ei-en einzigen Ausbildungsplatz geschaffen haben.
CDU und CSU kritisieren insbesondere die Neufas-ung der Anlage A der Handwerksordnung. Von jetzt4 Meisterberufen sollen künftig nur noch 29 dem Meis-erzwang unterliegen.
ntscheidendes Kriterium zur Aufnahme in dienlage A soll die Gefahrengeneigtheit eines Gewerkesein. Sogar die Bäcker und die Fleischer sollen künftigicht mehr unter den Meistervorbehalt fallen. Das ist
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Werner Wittlich– gelinde gesagt – ein schlechter Treppenwitz. Geradeeine Regierung, die den Verbraucherschutz in den Vor-dergrund rücken will, plant jetzt, die Bewältigung derBSE-Krise, der Schweine- und Geflügelpest sowie nichtzuletzt die Beachtung umfangreicher Hygienevorschrif-ten in nicht meisterliche Hände zu legen. An diesem Bei-spiel kann man erkennen, wie weit es mit Ihrer Trennungin gefahrengeneigte und nicht gefahrengeneigte Hand-werksberufe her ist.Wir fordern deshalb, die Aufnahme in die Anlage Avon drei Kriterien abhängig zu machen, und zwar erstensvon der Gefahrengeneigtheit, zweitens von der Ausbil-dungsleistung und drittens von dem Schutz wichtigerGemeinschaftsgüter, etwa vom Umwelt- und Verbrau-cherschutz. Dies würde auch den Vorgaben des Grund-satzurteils des Bundesverfassungsgerichts zum Meister-brief aus dem Jahre 1961 entsprechen. Im Übrigenarbeiten 50 Prozent der Absolventen eines Meisterlehr-gangs als abhängig Beschäftigte. Der Wegfall des Meis-terzwangs wird deshalb nicht automatisch zu mehrSelbstständigkeit führen.
Nach den Plänen der Regierung sollen Gesellen nachzehnjähriger Tätigkeit – davon fünf in leitender, verant-wortlicher oder herausgehobener Funktion – auch ohneMeisterbrief einen Betrieb, der in Anlage A aufgeführtist, eröffnen dürfen. CDU und CSU werden es nicht hin-nehmen, dass Gesellen künftig ihre Berechtigung zurUnternehmensgründung ersitzen können.
Denn die Gesellenprüfung wird durchschnittlich mitAnfang 20 gemacht, die Meisterprüfung durchschnittlichmit Anfang 30. Die Gesellen werden sich doch fragen,warum sie eine Meisterprüfung überhaupt ablegen sol-len, warum sie sich neben dem Berufsleben durch dieMeisterschule quälen sollen,
wenn sie im gleichen Zeitraum in tatsächlich gefahren-geneigten Berufen nebenher die Berechtigung zur Unter-nehmensgründung erwerben können. – Ich komme nochdazu. – Wir befürchten außerdem, dass sich die Ausbil-dungsleistung drastisch reduzieren wird, wenn die Qua-lifikation zur Ausbildung junger Menschen nicht mehrvorhanden ist. Wir schlagen deshalb in diesem Zusam-menhang eine Einzelfallprüfung vor.
Damit die Berufserfahrung der Altgesellen entspre-chend berücksichtigt wird und qualifizierte Unterneh-mensgründungen leichter werden, sollen die Teile Iund III der Meisterprüfung, also über die praktischen Fä-higkeiten und die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse,angerechnet werden.dgdddasksAjadAuwNlvMntwosdMsAMdtMbBIwujlg
ur so erhalten wir ein Mindestmaß an beruflicher Qua-ifikation, einen ausreichenden Verbraucherschutz undernünftige Voraussetzungen für die Ausbildung jungerenschen.Wir fordern außerdem die Einführung einer so ge-annten Revisionsklausel. Alle sieben Jahre soll die gel-ende Liste der Meisterberufe in der Anlage A überprüfterden. Damit werden bei der Zuordnung zur Anlage Ader zur Anlage B neue Entwicklungen zeitnah berück-ichtigt.
Unsere Zustimmung findet die geplante Aufhebunges Inhaberprinzips. Einem Existenzgründer ohneeisterbrief sollte eine Betriebsübernahme möglichein, wenn er einen Meister einstellt.
uf der einen Seite arbeiten in Deutschland 130 000eister als abhängig Beschäftigte in Betrieben und aufer anderen Seite stehen Menschen, die bereit sind, un-ernehmerische Verantwortung zu tragen, aber keineneistertitel haben. Wenn wir die Zusammenarbeit diesereiden Gruppen ermöglichen, erleichtern wir unzähligeetriebsübernahmen.ch darf Ihnen kurz ein Beispiel aus dem Friseurhand-erk nennen. Durch die Novellierung werden einzignd allein die so genannten Ich-AGs gefördert; denn dieetzige Form der Handwerksordnung steht in vielen Fäl-en der Gründung einer Ich-AG entgegen. Viele Friseur-esellen – das Thema ist heute schon oft angesprochen
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Werner Wittlichworden – werden bei der Verbandsgemeinde oder derStadtverwaltung ein so genanntes Kleingewerbe anmel-den. Damit wird Schwarzarbeit legalisiert. An ihrem jet-zigen Arbeitsplatz werden sie den Kunden erzählen, dasssie anderenorts nunmehr auch offiziell das Friseurhand-werk ausüben dürfen und die Kunden eingeladen sind,sich abends privat zum halben Preis bedienen zu lassen.Das wird dazu führen, dass die offiziellen Friseursalonsimmer weniger Kundschaft haben und deshalb Ausbil-dungs- und Arbeitsplätze abbauen müssen. Die Umsätzeder legalisierten Schwarzarbeiter werden zumindest offi-ziell unterhalb der Freigrenze liegen. Damit werden dieSozialkassen und der Staat leer ausgehen.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme sofort zum Schluss.
Aus dem jahrhundertealten Zunftwesen ist ein Relikt
bis zum heutigen Tag übrig geblieben. Es ist der Satz,
mit dem die meisten Handwerksversammlungen enden:
Gott segne das ehrbare Handwerk. – Dieser Satz ist
heute aktueller denn je. Nur müssen wir ihn heute ergän-
zen: Gott schütze das ehrbare Handwerk vor den wenig
ehrenhaften Schnellschüssen dieser Bundesregierung.
Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kol-
lege Bertl für die SPD-Fraktion.
Kollege Wittlich, wenn ich Sie so höre – was Sie ge-
sagt haben, wird auch in anderen Bereichen artikuliert –,
dann frage ich mich schon: Wie geht das organisierte
Handwerk, das Verbandshandwerk in Deutschland, mit
denen um, die für das Handwerk eine ganz wichtige
Größe sind und eine hohe wirtschaftliche Leistungskraft
bringen, nämlich mit den Gesellinnen und Gesellen?
Es ist kaum noch begründbar und wirklich schon diffa-
mierend, wenn in Diskussionen – ich habe das von Ver-
tretern des Handwerks selber erlebt – Ausdrücke fallen
wie: Da kann sich ja jeder Hansel selbstständig machen.
Man muss sich doch einmal die Hintergründe klar
machen: Was unterscheidet eigentlich eine Gesellin oder
einen Gesellen im Handwerk von einem jungen Fachar-
beiter oder einem jungen kaufmännischen Angestellten,
der selber entscheiden kann, wann er eine Technikeraus-
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Ich sage Ihnen: Es wird in wenigen Jahren in einer er-
eiterten Europäischen Union nicht mehr die Inländer-
iskriminierung eine große Rolle spielen, sondern an-
esichts der demographischen Situation und der
bnehmenden Zahl an Schulabgängern werden wir uns
ich sage „wir“, denn ich fühle mich da dem Handwerk
chon zugehörig – im Handwerk schon die Frage stellen
üssen, ob wir jungen Menschen in einem System, des-
en Marktschranken wirklich aus dem Mittelalter kom-
en, überhaupt noch Anreize und Perspektiven bieten,
ich selbstständig zu machen.
Lassen Sie Ideologie aus dieser Diskussion heraus.
ie schaden dem Handwerk gnadenlos. Wir müssen viel-
ehr einen Dialog mit ihm führen.
Herr Kollege Wittlich zur Entgegnung.
Lieber Kollege Bertl, ich glaube, das Gegenteil ist derall. Dem Handwerk schaden nicht wir – das müsstenie draußen längst mitbekommen haben –,
ondern Sie, indem Sie die Handwerksordnung zerschla-en.
Ich will noch einmal deutlich sagen: In keinem Wirt-chaftsbereich werden die Mitarbeiterinnen und Mitar-eiter so familiär behandelt.
Ja, das ist so; das sage ich ganz deutlich. – Wir Be-riebsinhaber kümmern uns doch um viele Probleme deritarbeiter, seien sie auch privater Natur.
Mit der jetzt vorgesehenen Zerschlagung der Hand-erksordnung werden Sie das Handwerk nicht dazu brin-en, so wie bisher Schulabsolventen, die nicht die geis-ige Frische haben, die vielleicht, um es einmalorsichtig auszudrücken, etwas benachteiligt sind,
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Werner Wittlichauszubilden. Auch in diesem Bereich wird es eine Kata-strophe geben.Meine Damen und Herren, setzen wir uns gemeinsaman einen Tisch und beraten wir über die Vorlage der FDP,die Vorlage der CDU/CSU und Ihre.
Lassen Sie uns gemeinsam – ich denke, das hat dasHandwerk verdient – eine Lösung suchen und zu einemvernünftigen Kompromiss kommen.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denFraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grüneneingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Hand-werksordnung und zur Förderung von Kleinunterneh-men auf der Drucksache 15/1089. Der Ausschuss fürWirtschaft und Arbeit empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 15/1224, den Gesetzentwurf an-zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionengegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-men.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? –
Möchte sich jemand der Stimme enthalten? – Das istnicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen derOppositionsfraktionen angenommen.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/1206 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, die wirheute nicht mehr im Plenarsaal sehen werden, schon ein-mal ein schönes Wochenende – jedenfalls für den Teildes Wochenendes, der jenseits von Veranstaltungen nochverbleibt.gf1jdsauGWawseea
Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen,Dr. Wolfgang Götzer, weiteren Abgeordnetenund der Fraktion der CDU/CSU eingebrachtenEntwurfs eines Ersten Gesetzes zur Beschleuni-gung von Verfahren der Justiz
– Drucksache 15/999 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Haushaltsausschussb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenWolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen,Dr. Jürgen Gehb, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSUFehler beim neuen Revisionsrecht korrigieren –Entscheidungsfähigkeit des Bundesgerichts-hofs sicherstellen– Drucksache 15/1098 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazuhöre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-sen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Justizbeschleunigung ist ein Anliegen, dem sichkeiner entziehen kann. Der Faktor Zeit ist elementar beider staatlichen Tätigkeit im Allgemeinen, aber im Be-sonderen gerade auch bei der Gewährung von Recht.Der Kläger in einem Zivilverfahren will nicht nur Rechthaben, sondern er will zu seinem Recht kommen. EinUnternehmen, das vor einer wirtschaftlichen Entschei-dung steht und investieren möchte, braucht Rechtssi-cherheit, die es durch gerichtliche Tätigkeit bekommt.Zeit ist auch eine Voraussetzung für Sicherheit. Wirhaben in Deutschland immer wieder die Situation, dassBeschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen wer-den müssen, nicht weil sich die Haftgründe erledigt hät-ten, sondern wegen Zeitablaufs, weil die Gerichte unddie Staatsanwaltschaft nicht in der Lage waren, in derrechtlich zulässigen Zeit die Sache zu verhandeln. DasVerfassungsgericht hat gerade entschieden, dass das keinGrund ist, Untersuchungshaft fortdauern zu lassen. Dashalte ich auch für richtig. Also müssen wir die Justiz ef-fektiver machen; wir müssen sie beschleunigen. Wir ha-ben dazu einen umfassenden Entwurf vorgelegt. Keinerkann sich dem Anliegen der Justizbeschleunigung ent-ziehen, zuallererst nicht die Justizpolitik, aber auch nichtdie Justiz und auch nicht die Anwaltschaft. ReflexhafteBesitzstandswahrung ist auch an dieser Stelle deplat-ziert.Auch die Regierung hat einen Entwurf vorgelegt. Wirunterscheiden uns von Ihnen unter anderem darin, dassSie sehr anspruchsvoll im Titel sind – Justizmodernisie-rung – und wir zum Ausgleich im Inhalt etwas an-spruchsvoller sind.
Ihr Entwurf ist ja im Wesentlichen eine Sammlung tech-nischer Kleinigkeiten. Viele mögen sich schon lange ge-fragt haben: Was ist eigentlich die Vorstellung der Koali-tion von Modernität? Das hat man lang nicht mehrerfahren. Jetzt haben Sie ein Justizmodernisierungsge-setz vorgelegt.
Es ist eine Sammlung technischer Kleinigkeiten, ein ein-drücklicher, überzeugender Nachweis der Vorstellungvon Modernität bei Rot-Grün in der Rechtspolitik. Es istsozusagen Ausdruck der neuen rechtspolitischen Be-scheidenheit bei Ihnen, einen solchen bescheidenen Ent-wurf Justizmodernisierungsgesetz zu nennen.olemebcmuztlgdtemZklftDSnd–etuWhdmNhdRgIDcSea
Sie haben durch diese Belastung praktisch das Gegen-eil einer Justizbeschleunigung erreicht.
er erste Schritt ist daher, dass wir das korrigieren, wasie falsch gemacht haben.
Ich beziehe den Bundesgerichtshof mit ein, weil sichach dessen Angaben diese Reform auch auf das höchsteeutsche Zivilgericht nachteilig ausgewirkt hat.
Zu sagen, das sei ein „bisschen Arbeit“, ist eine sehrntspannte Art, wie ein ehemaliger Richter über Belas-ngsklagen des höchsten deutschen Zivilgerichts redet.ir sollten die Erfahrungen, die dieses Gericht gemachtat, im Parlament ernst nehmen. Die Richter sagen ein-eutig, dass eine neue Belastung für sie hinzu gekom-en ist und dass sie in Zulassungsrevisionen und inichtzulassungsbeschwerden ertrinken. Dieses Systemat sich nachteilig ausgewirkt. Wir korrigieren auch anieser Stelle.Zweiter Unterschied: In der Tradition rot-grünerechtspolitik nehmen Sie leider den Strafprozeß, wo ei-entlich die größten Probleme liegen, fast komplett aushrem Entwurf heraus.
as hat etwas mit der strukturellen Handlungsschwä-he von Rot-Grün auf dem Gebiet von Strafrecht undtrafverfahrensrecht zu tun. Sie sind sich politisch nichtinig, weil Sie in Ihren Reihen – sowohl bei den Grünenls auch bei der SPD – Ideologen haben. Darum
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Dr. Norbert Röttgenkommen Sie nicht zu einem Ergebnis. Das ist der Fallbei der Terrorismusbekämpfung, bei der Reform des Se-xualstrafrechts und bei dieser Reform. Sie sind einfachnicht handlungsfähig. Das geht zulasten des Landes,weil Rot-Grün die Probleme nicht lösen kann. Es istdoch nicht nachvollziehbar, dass es bei kleinen Delik-ten drei Instanzen – Amtsgericht, Landgericht undOberlandesgericht –, aber bei großen Delikten nur zweiInstanzen – Landgericht und Bundesgerichtshof – gibt.Wir wollen das ändern; Sie wollen es bei dieser Asym-metrie belassen.Wir sagen auch an dieser Stelle: Es ist gerade imSinne des Opferschutzes wichtig, dass bereits im Straf-prozess, wenn es um Gewaltverbrechen geht, auch zivil-rechtliche Schadenersatzansprüche und Entschädigungs-ansprüche verhandelt und entschieden werden, um demOpfer ein zweites Verfahren zu ersparen, in dem es wie-der in die Opferzeugenrolle kommt, die eine Perpetuie-rung seiner Verletzung darstellt. Wir wollen dem Opferschnell zur Genugtuung und zum Recht verhelfen.
Entziehen Sie sich doch nicht diesen Vorschlägen, nurweil sie von uns kommen! Sie sollten etwas mehr Sou-veränität aufbringen!
Ich will einen letzten Punkt nennen, bei dem Sie vonuns und auch von der Anwaltschaft scharfe Kritik hörenwerden. Sie haben nämlich eine rechtsstaatlich nicht hin-nehmbare Auszehrung des Zivilverfahrens verursacht,indem Sie die Tatsachenfeststellungen aus dem Strafpro-zess mit Wirkung für und gegen alle im Zivilverfahrenzwingend übernehmen wollen. Sie erstrecken damit dieBeweise aus dem Strafverfahren auf das Zivilverfahren,auch wenn die Beteiligten dort keinen Anteil an der Ge-winnung dieser Beweise hatten. Dadurch belasten Sieden Bürger, der am Strafverfahren nicht beteiligt war,mit der Last eines Gegenbeweises. Das ist rechtsstaat-lich, wie gesagt, nicht hinnehmbar und eine Verletzungdes Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und elementarerBeweisgrundsätze.Verbunden mit der Möglichkeit, den Zeugen im Straf-verfahren unmittelbar nicht mehr zu hören, sondern nurnoch das Vernehmungsprotokoll zu lesen, ist das einerechtsstaatliche Auszehrung des Zivilverfahrens. Es istder alte Geist aus der letzten ZPO-Reform in einer neuenFlasche: rechtsstaatswidrig und praxisfern. Sie werdenvon der Opposition die schärfste Kritik dazu hören. Wirsind die Wahrer der rechtsstaatlichen Qualität im Zivil-verfahren und im Strafverfahren.
Meine letzte Bemerkung. Wir sind für Beschleuni-gung und Effektivität von Justiz, aber unter Wahrung derrechtsstaatlichen Qualität unserer rechtlichen und jus-tiziellen Institutionen. Dies unterscheidet uns im Kern.Darum sage ich Ihnen: Bewegen Sie sich auf der Grund-lage unserer Vorschläge auf uns zu! Wir laden Sie zuktmdeFMw–fesbvDRhzDIsasrbdtagJLaDsgdKug
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Röttgen,enn man Ihren Gesetzentwurf aufmerksam gelesen hat ich habe das getan –, dann stellen sich aus meiner Sichtür einen engagierten Rechtspolitiker vier Fragen. Dierste ist: Warum wurde dieser Entwurf eigentlich ge-chrieben? Die zweite ist: Wer hat den Entwurf geschrie-en? Die dritte ist: Was ist der wesentliche Inhalt? Dieierte ist dann die Gesamtbeurteilung.Warum wurde dieser Entwurf eigentlich geschrieben?azu muss man ein bisschen ausholen; Sie haben nur amande darauf hingewiesen. Die Bundesjustizministerinat Anfang dieses Jahres den Anstoß zu einem Gesetzur Modernisierung der Justiz gegeben. Ich gebe zu:er Name ist vielleicht ein bisschen zu anspruchsvoll.
m Einvernehmen mit den Bundesländern sollen mit die-em Gesetz sowohl in der ordentlichen Gerichtsbarkeitls auch in den Fachgerichtsbarkeiten überholte prozes-uale Formalien verändert und die Effizienz der Verfah-enssteuerung durch die Gerichte erhöht werden. Darü-er hinaus soll ein weiterer großer Schritt auf dem Weger notwendigen Binnenreform der Justiz durch die wei-ere Aufgabenverteilung zwischen Richtern und Staats-nwälten einerseits und Rechtspflegern andererseits ge-angen werden, ein Schritt, auf den die Praxis seitahrzehnten wartet.Es soll also im Einvernehmen zwischen Bund undändern ein Gesetz beschlossen werden, das teilweiseuch der finanziellen Entlastung der Länder dienen soll.as Kabinett hat diesen Gesetzentwurf am 28. Mai die-es Jahres beschlossen. Er ist auf dem Weg und liegt ge-enwärtig im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrensem Bundesrat zur Stellungnahme vor.Dieses einvernehmliche Verfahren gefiel dem Herrnollegen Dr. Röttgen nicht. Er bestand gegenüber dennionsgeführten Ländern darauf: Wir müssen einen ei-enen Entwurf vorlegen. – So liegt uns heute der Ent-
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Joachim Stünkerwurf eines so genannten Justizbeschleunigungsgesetzesvor. Allein den Namen dieses Gesetzes sollte man sichauf der Zunge zergehen lassen: Die Justiz zu beschleuni-gen, Herr Kollege Dr. Röttgen, ist eine wundersame Fü-gung.
Dieses Vorgehen hat zur Folge, dass sich diejenigenBundesländer, in denen Sie, Herr Kollege Röttgen, zu-sammen mit der FDP regieren, von diesem Entwurf völ-lig distanzieren und gesagt haben: Wir tragen so einenUnsinn nicht mit. – Die Fachöffentlichkeit hat auf IhrenEntwurf wirklich sehr kritisch und teilweise sogar ent-setzt reagiert.
Dies alles wären für sich allein schon Gründe genug da-für, dass Sie Ihren Entwurf gleich nach der heutigen ers-ten Lesung zurückziehen.Wer hat den Entwurf geschrieben? Das ist eine span-nende Frage. Nicht, wie im Impressum angegeben, HerrKollege Röttgen oder die CDU/CSU-Fraktion, sonderndieser Entwurf ist eindeutig in einem der von der Uniongeführten Landesjustizministerien geschrieben worden.Das eröffnet sich jedem, der etwas von der Justizpolitikversteht, und lässt sich in einzelnen Bestimmungen able-sen, nämlich darin, dass einmal mehr ganz eindeutignicht die Rechtspolitik, sondern fiskalpolitische Über-legungen die Feder geführt haben. Mit diesem Entwurfhaben Sie einmal mehr ein Armutszeugnis im Hinblickauf Ihre rechtspolitischen Ansätze vorgelegt.
Die dritte Frage lautete: Welchen Inhalt hat der Ent-wurf, den Sie uns eben geschildert haben? Ich fasse ihnetwas anders zusammen, als Sie es hier beredt getan ha-ben. In großen Teilen ist Ihr Entwurf textgleich mit demschon angesprochenen Modernisierungsgesetz der Bun-desregierung. Hier finden wir also den Teil, über densich das Bundesministerium der Justiz mit den Länder-justizministerien geeinigt hat.Im Übrigen beschränkt sich Ihr Entwurf ausschließ-lich auf den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeitund lässt die Fachgerichtsbarkeiten völlig außen vor. Fürdie ordentliche Gerichtsbarkeit wird nunmehr erneutkräftig der Rotstift angesetzt – Herr Kollege Röttgen,das ist der Hintergrund –, mit dem immer wieder gleichlautenden Tenor, wie wir ihn aus der Unionsfraktion seitden 80er- und 90er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts– so darf ich heute sagen – kennen: Zur angeblichen Ent-lastung der Justiz gibt es in Wirklichkeit weitere Ein-schränkungen der prozessualen Rechte der Bürgerinnenund Bürger.
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Joachim StünkerAlle Behauptungen in dem Gesetzentwurf, die aufdieses Gesetz Bezug nehmen, entbehren jederrechtstatsächlichen Feststellung.Genau das ist der Punkt, Herr Kollege Röttgen.
Dann kommt ein schöner Satz; den sollten Sie sichaufschreiben:Auf Meinungsäußerungen einzelner am VerfahrenBeteiligter sollte ein Gesetzeswerk nicht gestütztwerden.Genau so ist es, Herr Kollege.
Weiter heißt es:Änderungen der ZPO führen zur Belastung derWirtschaft und zur Schwächung des Wirtschafts-standortes Deutschland.Das sind keine Sätze, die der böse, ideologische Sozi-aldemokrat Stünker sich ausgedacht hat, sondern das hatdie Bundesrechtsanwaltskammer in einer Stellungnahmezu Ihrem Entwurf, Herr Kollege Röttgen, zum Ausdruckgebracht.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen.Im Übrigen sind alle Ihre Vorschläge nicht neu, essind alte Kamellen aus den 90er-Jahren. Der KollegeFunke war damals Staatssekretär im Justizministerium.Er kennt sie alle; all das ist schon damals diskutiert wor-den. Schon damals sind Sie damit gnadenlos gescheitert;
denn Ihr so genanntes Justizentlastungsgesetz aus demJahre 1993 war ein echter Flop. Wenn die Praxis vor Ortliest, was Sie heute vorschlagen, wird sie sich nicht mehrempören, weil die Menschen von Ihnen insoweit kaumnoch etwas anderes erwarten. Mit diesen Vorschlägenwerden Sie nur noch ein müdes Lächeln ernten, HerrKollege Röttgen.Das sind alles alte Kamellen, über die wir schon langediskutierten,
die schon vor Jahren verworfen worden sind, weil sienicht zum Erfolg führen.Mit dem Entwurf drücken Sie sich wieder um denentscheidenden Punkt herum: Sie wagen sich nicht anwirkliche Strukturreformen in der ordentlichen Ge-richtsbarkeit heran. Ihr Entwurf enthält kein Wort zurBinnenreform in der Justiz. Durch die Vorschläge wird,wie in den ganzen 90er-Jahren, die Arbeit von oben nachunten verlagert werden, wodurch die Amtsgerichte zu-snlgbeGs–eüwkfvJnigDdsmdgEahdbdDdvswHradRgZ
Danke, im Strafrecht. – Ich möchte dazu abschließendine Anmerkung machen, die ich sehr ernst meine undber die wir gemeinsam nachdenken sollten. Ich habe,enn ich mir die Praxis in der ordentlichen Gerichtsbar-eit ansehe, zunehmend den Eindruck, dass die Gefahrür den Rechtsstaat weniger durch Straftaten droht alsielmehr dadurch, dass im Bereich der unabhängigenustiz, der dritten Säule unserer Gewaltenteilung, die fi-anziellen Mittel derart gekürzt werden, dass die Justizrgendwann nicht mehr in der Lage sein wird, ihre Auf-aben sachgerecht zu erfüllen, Herr Kollege Röttgen.
as ist der Hintergrund. Das bekommen wir nicht durchie von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen in den Griff,ondern nur dadurch, dass wir als Rechtspolitiker ge-einsam aufstehen und den Ländern deutlich machen,ass dieser Weg schädlich ist und dass es so nicht weiter-ehen kann. Das wäre die richtige Entscheidung.
Ich will zum Schluss – Herr Präsident, ich bitte umrlaubnis, das noch sagen zu dürfen; ich bin dann aberm Ende meiner Rede – auf eine Pressemitteilung einge-en, die die Justiz in Berlin betrifft. Daran sehen Sie,ass ich diese Problematik nicht einseitig parteipolitischeurteile. Einer Meldung vom 25. Juni ist zu entnehmen,ass der Präsident des Berliner Landgerichts, Herr vonrenkmann, der Justizsenatorin deutlich gemacht hat,ass es in der Justiz und bei den Strafkammern aufgrundon Personalmangel unhaltbare Zustände gibt. Aus Per-onalmangel könnten Verfahren nicht zu Ende geführterden, die Schwurgerichte müssten Personen aus deraft entlassen, was sie eigentlich nicht wollten und wasechtsstaatlich höchst bedenklich sei. Das bekommt manuch mit einem solchen Beschleunigungsgesetz nicht inen Griff, sondern nur dadurch, dass man der Justiz dieessourcen gibt, die sie braucht, um ihre Aufgaben sach-erecht zu erfüllen.Schönen Dank.
Nach zwei Rednern in dieser Debatte ein kurzerwischenstand: Die Großzügigkeit des Präsidiums ist
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003 4501
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Vizepräsident Dr. Norbert Lammertgegenüber der Koalition etwas ausgeprägter als gegenü-ber der Opposition.Nun hat der Kollege Rainer Funke für die FDP-Frak-tion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es istrichtig: Die Justiz hat es verdient, dass sich die Politikum sie kümmert. Der Gesetzgeber hat die erforderlichenMaßnahmen zu treffen, damit unsere Justiz bürgernahund leistungsfähig ist und bleibt.
Von daher sind Debatten im Bundestag über die Zu-kunftsfähigkeit der Justiz grundsätzlich zu begrüßen.Der Anlass, der uns heute hier zusammenkommenlässt, ist aber eher betrüblich, Herr Kollege Röttgen.
Die Union hat mit ihrem Entwurf eines Justizbeschleu-nigungsgesetzes eine Initiative vorgelegt, von der sieganz genau weiß, dass die meisten der darin enthaltenenVorschläge in diesem Hause und auch in der Justiz keineZustimmung finden werden.
Die Justiz hat es verdient, dass sich die Politik mit Ernst-haftigkeit und dem Willen zum Konsens ihrer Problemeannimmt und nicht mit Populismus.
Der Entwurf der Union ist zu einer Konsensbildungwahrlich nicht geeignet.Herr Kollege Röttgen, wir beide waren bei der Novel-lierung von Gesetzen in der letzten Legislaturperiode ge-gen viele Vorschriften, die von der damaligen Justizmi-nisterin hastig und ohne Notwendigkeit durchgepeitschtworden sind.
– Ich betone: in der letzten Legislatiurperiode von derdamaligen Justizministerin. – Ich teile Ihre Bedenken.Aber lassen Sie uns die Auswirkungen dieser Gesetzes-änderungen erst einmal evaluieren und sehen, ob die be-fürchteten Mängel tatsächlich alle aufgetreten sind.
Wenn das der Fall ist, dann lassen Sie uns gemeinsamdarangehen und die Mängel beseitigen. Lassen Sie sichaber doch nicht zu solchen Schnellschüssen hinreißen,ohne dass wir jemals die Chance der Evaluierung gehabthaben.
ngZggdhfJUz–ssvdlnzksmplbFAvmHh
ugegeben: Das ist nicht der große Wurf; er ist im Er-ebnis eher sehr mager. Dennoch ist der Gesetzentwurfrundsätzlich zu begrüßen, da es gelungen ist, zumindestie Punkte, die unstrittig sind, gemeinsam zu regeln. Da-er trifft das Justizmodernisierungsgesetz – das ist einurchtbarer Name – auch auf die Zustimmung bei derustiz und der Anwaltschaft.Mit ihrem Justizbeschleunigungsgesetz kündigt dienion diesen Konsens jedoch wieder auf und trägt damitur Spaltung der Länder in dieser Frage bei.
Sie brauchen nicht zu lachen, Herr Röttgen. Zum Bei-piel das unionsgeführte Land Hamburg wird Ihrem Ge-etz im Bundesrat nicht zustimmen.
Der Entwurf der Union enthält einige Elemente, dieon der FDP abgelehnt werden. Exemplarisch nenne ichie Anhebung der Grenze für zulassungsfreie zivilrecht-iche Berufungen auf 800 Euro, die Ausdehnung der An-ahmeberufung im Strafprozess auf Verurteilungen bisu 90 Tagessätzen und die Ausdehnung der Rechtsfolge-ompetenz im beschleunigten Verfahren auf Freiheits-trafe bis zu zwei Jahren ohne Bewährung. Dass Sie dasitmachen, kann ich unter rechtsstaatlichen Gesichts-unkten überhaupt nicht mehr nachvollziehen.
Wenn die Union bei der Reform der Justiz rechtsstaat-iche Grundsätze über Bord werfen will, dann kann sieei diesem Ansinnen nicht auf die Unterstützung derDP hoffen.
uch die Anwaltschaft hat zu Recht ihre Gefolgschaftersagt. Sie wissen, dass die Anwaltschaft wirklich im-er sehr vorsichtig formuliert.
err Dr. Dombek als Präsident ist da immer sehr zurück-altend. Aber so etwas Vernichtendes wie dieses
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4502 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Rainer FunkeGutachten habe ich schon seit langem nicht mehr vonder Bundesrechtsanwaltskammer gelesen.
Gerade die für die Anwaltschaft wichtige Dokumenta-tionspflicht für richterliche Hinweise will die Unionauch noch abschaffen. Das können Sie als Anwalt kaumselber mitmachen.Ich empfehle der Union, ihren Gesetzentwurf zurück-zuziehen und auf der Grundlage des Justizmodernisie-rungsgesetzes gemeinsam zu Lösungen zu kommen, diewirklich geeignet sind, die Justiz zu modernisieren undzukunftsfest zu machen. In diesem Rahmen kann dieUnion auch ihre Vorstellungen zur Reform des Revi-sionsrechts einbringen, zu der uns heute ja ein Antragvorliegt. Zu solchen Gesprächen ist wenigstens die FDPgerne bereit.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
jetzt der Abgeordnete Jerzy Montag das Wort.
Herr Präsident! Ich hoffe auf die gleiche Nachsicht,
die meine Vorredner erfahren haben.
Meine Damen und Herren Kollegen! Auch ich frage
mich, was dieses Gesetz soll, über das wir heute beraten
müssen. Das Justizmodernisierungsgesetz der Bundes-
regierung – ich stimme der Kritik am Namen zu; es zeich-
net sich eine Allparteienkoalition zur Änderung des Na-
mens dieses Gesetzes im parlamentarischen Gang ab – ist
auf den parlamentarischen Weg gebracht. Die Länder
werden dazu etwas zu sagen haben. Sie haben ja schon
im Vorfeld sehr vielem zugestimmt.
Es gibt einen zu dem Gesetzentwurf der CDU/CSU
praktisch textidentischen Antrag im Bundesrat. Dazu
gibt es durchaus eine unterschiedliche Diskussionslage.
Auch einige CDU- bzw. CSU-geführte Länder sind zu
einigen Punkten, die Sie in Ihrem Gesetz haben, völlig
anderer Meinung.
Die StPO, die Strafprozessordnung, wird von dieser
Koalition in dieser Legislaturperiode auf der Grundlage
des vorliegenden Eckpunktepapiers umfassend refor-
miert werden. Es ist schon angesprochen worden: Ein
Textvergleich Ihrer Vorschriften mit dem, was hier in
den letzten zehn Jahren aus guten Gründen abgelehnt
worden ist, zeigt: Sie haben einfach nur aufgesammelt
und in ein Papier gepackt, was Sie dann als ein neues
Gesetz vorgelegt haben. Angesichts dieser Fakten frage
ich mich: Was soll das? Sie halten uns von der Arbeit ab!
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Zur ZPO will ich hier nur eines sagen: Die Bedenken
nserer Fraktion gegen die Bindung der Zivilgerichte an
echtskräftige Strafurteile – Ihr Vorschlag in § 286 Abs. 3 –
tehen in der Begründung Ihres eigenen Gesetzentwurfs.
uallererst die Mogelpackung beim Adressaten: „Das
ericht soll gebunden werden.“ Tatsächlich richtet sich
iese Vorschrift gegen eine der Prozessparteien. Ehrlich
äre es gewesen, wenn man geschrieben hätte: Der Be-
lagte in einem Zivilprozess ist mit einem Sachvortrag
usgeschlossen, wenn dieser in Widerspruch zu den Grün-
en eines rechtskräftigen Urteils in einem Strafprozess
teht, an dem er als Angeklagter beteiligt war. – Dann aber
ätten Sie auf den Tisch gelegt, wie intensiv Sie in den Zi-
ilprozess eingreifen, indem Sie der einen Partei des Zi-
ilprozesses Rechte nehmen, die die andere Partei be-
ommt.
Sie schreiben, dass die Beweislage im Strafprozess
esser sei als im Zivilprozess. Herr Dr. Röttgen, sie ist
öllig anders. Im Strafprozess ist der Kläger des Zivil-
rozesses Zeuge in eigener Sache. Darin liegen die
echtsstaatlichen Probleme der Übertragung dieser Ur-
eile.
Sie haben Beweisverwertungsverbote und Wahrunter-
tellungen in der Begründung als Probleme des Trans-
ers angesprochen.
Herr Kollege, darf der Kollege Röttgen eine Zwi-
chenfrage an Sie richten?
Ja.
Herr Kollege Montag, da wir beide die unterschiedli-hen Entwürfe gelesen haben, möchte ich Sie aufgrundhrer Darstellung fragen, ob Sie mir in der Einschätzungustimmen, dass in unserem Vorschlag die Beweiserhe-ungsautonomie sowie die Beweiswürdigungs- und Ent-cheidungsautonomie des Zivilverfahrens voll erhaltenleiben. Das Zivilgericht entscheidet, welche Tatsachens aus einem vorhergehenden Strafprozess verwendenöchte, es verfügt über die volle Autonomie, währends im Gesetzentwurf der Bundesregierung eine gesetz-ich angeordnete gegen alle inter-omnes-wirkende Be-eiskraft der festgestellten Tatsachen im Strafverfahrenibt. Stimmen Sie mir in der Einschätzung zu, dass dasus den von Ihnen gerade genannten Gründen der struk-urellen Unterschiedlichkeit beider Verfahrensartenechtsstaatlich inakzeptabel ist?
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003 4503
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Herr Dr. Röttgen, von der rechtsstaatlichen Inakzepta-
bilität will ich nicht reden. Ich gebe Ihnen aber zu, dass
wir gegen beide Vorschläge Bedenken haben. Sie gehen
in die gleiche Richtung und beziehen sich nicht so sehr
auf das Gericht und die Bindung, die es erfährt, sondern
sie beziehen sich auf die Tatsache, dass die Rechte einer
der beiden Parteien des Zivilprozesses beschnitten wer-
den, die die andere Partei des Zivilprozesses in vollem
Umfang hat. Insofern werden wir uns über die Vorschrift
im Justizmodernisierungsgesetz genauso zu unterhalten
haben wie über die Vorschrift in Ihrem Entwurf eines
Justizbeschleunigungsgesetzes.
Besonders putzig, Herr Dr. Röttgen, ist der Hinweis
in Ihrer Begründung, dass die Vorschrift natürlich auch
zugunsten des Angeklagten bei einem „Freispruch aus
erwiesener Unschuld“ wirken soll. Den Freispruch aus
erwiesener Unschuld gab es in der Strafprozessordnung
schon nicht mehr, als ich zu studieren angefangen habe.
Sie schreiben heute eine solche Formulierung in einen
Gesetzentwurf, wohl wissend, dass es in § 267 Abs. 5 le-
diglich um die Feststellung geht, dass die Unschuldsver-
mutung nicht widerlegt werden konnte. – So viel zum
Zivilprozess.
Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, haben in Ihr Vorblatt Lyrik, Rechtsstaatslyrik,
hineingeschrieben. Sie sprechen von Straffung des Pro-
zessverlaufs unter Wahrung rechtsstaatlicher Erforder-
nisse. Sie wollen die berechtigten rechtsstaatlichen Inte-
ressen der Bürger wahren und die Wahrheitsfindung
nicht beeinträchtigen. Da, wo das Kleingedruckte steht,
reißen Sie Ihre Lyrik in jedem Punkt wieder herunter.
Ich werde vom Präsidenten aufgefordert, zum Ende
meiner Rede zu kommen. Deswegen kündige ich Ihnen
an, in den nächsten Debatten, die wir zu diesem Thema
führen werden, meine Ausführungen zu § 26 a StPO und
zu Ihren die Rechte der Menschen beschneidenden For-
mulierungen in § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, der sich mit
dem Antragsrecht im Strafprozess – dem Mittelpunkt der
Rechte des Angeklagten – befasst, fortzusetzen.
Ich will Ihnen abschließend noch eines sagen, Herr
Dr. Röttgen: Ihr Gesetzentwurf ist entgegen der Lyrik
des Vorblatts von Ihrem Glauben beseelt, Sie könnten
die Justiz nur dann effektiver gestalten, wenn Sie die
Rechte der Beschuldigten beschneiden. Ich habe in allen
Aussprachen, die wir bisher zu diesem Thema hatten,
auf eine sachliche Diskussion gepocht. Wenn Sie uns
aber in der Öffentlichkeit Ideologie vorwerfen, dann
werden wir es Ihnen mit der gleichen Münze heimzah-
len. Sie von der CDU/CSU sind die Ideologen, das ha-
ben Sie mit diesem Gesetzentwurf bewiesen. Sie vertre-
ten die Ideologie des Rechtsstaatsabbaus. Deshalb:
Packen Sie Ihren Gesetzentwurf wieder ein!
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Nachdem nun der Kollege Montag ganz unangefoch-
en die Spitze der überschrittenen Redezeiten übernom-
en hat, möchte ich den Aufruf des nächsten Redners
it der heimlichen Hoffnung verbinden, dass der Nach-
eis erbracht wird, dass ein Beitrag auch in der ange-
eldeten Redezeit erfolgen kann.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!m Gegensatz zum Kollegen Montag werde ich nichtleich zu Beginn ankündigen, dass ich die Redezeitberziehen werde. Ich möchte das zumindest offen las-en.
Ich glaube, wir sind uns bisher wenigstens in einemunkt einig: Die Belastung unserer Gerichte steigt vonahr zu Jahr weiter an. Nicht zu Unrecht mahnen dieänder seit langem Entlastungsmaßnahmen für dieustiz an. Die rot-grüne Justizreform, die etwa einein-alb Jahre her ist, hat die Gerichtsverfahren weder ver-infacht noch beschleunigt, sondern sie hat sie belastetnd verzögert. Wir brauchen jetzt dringend umfassendend praktikable Lösungen, um der ständigen Überlas-ung unserer Gerichte und der Staatsanwaltschaften wir-ungsvoll begegnen zu können. Es ist gerade auch füras Rechtsempfinden der Bürger wichtig, dass die Ge-ichte künftig zügig entscheiden.
eshalb müssen die Gerichtsverfahren beschleunigt undestrafft werden.Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Regie-ungskoalition, selbstverständlich werden wir dabei si-herstellen, dass die Wahrheitsfindung und die berech-igten rechtsstaatlichen Interessen der Bürger gewahrtleiben.
Doch, auch mit diesem Gesetzentwurf.
Dass die jüngste rot-grüne Reform unsere Justiz nurnnötig belastet hat, gesteht die Bundesjustizministerinndirekt eigentlich ein; denn sonst würde sie nicht schonieder ein neues Gesetz zu diesem Thema vorlegen. Zumfassenden und konsequenten Reformen reicht es abereder im Zivil- noch im Strafverfahren. Der große Wurfst dieses Justizmodernisierungsgesetz ganz bestimmt
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4504 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Dr. Wolfgang Götzernicht. Schon sein Titel ist geradezu verwegen; HerrStünker, Sie haben darauf hingewiesen.
– Sie haben aber eine frühe Einsicht gezeigt und wollenden Titel jetzt offensichtlich umschreiben.Der Entwurf unseres Justizbeschleunigungsgesetzeshält dagegen, was sein Name verspricht. Er bringt um-fassende und praxisnahe Erleichterungen.
Kollege Dr. Röttgen hat bereits die zivilprozessualen As-pekte angesprochen. Deshalb möchte ich einige Wortezum strafrechtlichen Schwerpunkt des Gesetzentwurfsder Unionsfraktion sagen.Während Sie sich in dem so genannten Justizmoder-nisierungsgesetz im Wesentlichen damit begnügen, ei-nige Vorschläge aufzugreifen, die vom Bundesrat in denletzten Jahren gemacht worden sind, ist der von uns vor-gelegte Entwurf nicht nur viel umfassender, sondernauch weitreichender. Ich beschränke mich auf einige we-nige Beispiele.Durch die in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Än-derungen bezogen auf die Hauptverhandlung wollen wirdie Möglichkeit schaffen, künftig auf die Hinzuziehungder Urkundsbeamten zu verzichten. Das sehen Siezwar auch in dem Justizmodernisierungsgesetz vor,
aber Sie verzichten nicht auf die Notwendigkeit der Ab-fassung eines Inhaltsprotokolls. Wir meinen: Eine Ent-lastung kann doch nur gelingen, wenn der Strafrichternicht unbedingt ein umfangreiches Inhaltsprotokoll dik-tieren muss. Solange dies nötig ist, wird ein Richterkaum auf einen Protokollführer verzichten.
– Kollege Stünker nickt aus Erfahrung. Er würde wohlauch so handeln.
– Ja, wir harren gebannt. Wir sitzen vor den Computernund warten täglich darauf, dass wir sie abrufen können.
– Ja.
– Die Ankündigungen hören wir schon lange.
Wir sind schon ganz wild darauf, Näheres zu erfahren.fedlangmntrgTnVtuVeRtibsvsrd–SimKfrkSfvk„rnwrSosWfPRdbw
Seien Sie froh, dass wir uns dieses Themas annehmen.ie wollen gar nichts machen. Das Thema Rechtsmittel Strafverfahren taucht in Ihrem Gesetzentwurf, Herrollege Montag, überhaupt nicht auf. Angesichts der Er-ahrungen mit Ihren Vorschlägen zum Thema dreiglied-iger Gerichtsaufbau in der letzten Legislaturperiodeann man allerdings nur sagen: Es ist auch besser, dassie sich in Ihrem Entwurf dazu nicht äußern. Wir jeden-alls legen etwas zu den Rechtsmitteln im Instanzenwegor.Es kann doch nicht sein, dass jemand, der sich einesleinen Vergehens schuldig gemacht hat – StichwortLadendieb“ –, drei Instanzen zur Verfügung hat, wäh-end ein Schwerverbrecher – beispielsweise ein Mörder –ur zwei Instanzen durchlaufen kann. Deshalb wollenir in Anlehnung an das Jugendstrafrecht ein Wahl-echtsmittel einführen. Dem Beschuldigten und dertaatsanwaltschaft sollen künftig entweder Berufungder Revision gegen ein erstinstanzliches Strafurteil zu-tehen. Das heißt, dass sie nur noch ein Rechtsmittel zurahl haben. Das wird zu einer deutlichen Entlastungühren.Lassen Sie mich nur noch in Stichworten weitereunkte aus unserem Entwurf nennen. Wir wollen dieegelung über die zulässige Dauer der Unterbrechunger Hauptverhandlungen lockern, damit künftig Schie-etermine möglichst vermieden werden können. Wirollen den Bereich der Annahmeberufung auf Verurtei-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003 4505
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Dr. Wolfgang Götzerlungen bis zu 90 Tagessätzen ausweiten. Wir wollen denStrafbefehl stärker zur Anwendung kommen lassen. Ersoll künftig auf zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstra-fen bis zu zwei Jahren ausgedehnt werden. Wir wollendie Rechtsfolgenkompetenz im beschleunigten Verfah-ren erweitern und auf Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahrenerstrecken. Das dient dem Opferschutz und auch dem Si-cherheitsbedürfnis der Bevölkerung.Ich hoffe, dass sich die Koalition in den weiteren Be-ratungen unseren sinnvollen und effektiven Vorschlägennicht verschließen wird.Ich möchte zum Schluss eines sagen: Das, was sichdieser Tage – es ist schon angesprochen worden – inBerlin ereignet hat, dass ein wegen Totschlags Ange-klagter wegen Überlastung des Gerichts, das sich nichtin der Lage sah, einen Termin für die Hauptverhandlunganzuberaumen, aus der Untersuchungshaft entlassenwurde, darf sich in unserem Lande nicht wiederholen.
Ich bedanke mich.
Für die Bundesregierung spricht nun der Parlamenta-
rische Staatssekretär Alfred Hartenbach.
A
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrtes Präsidium!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eigentlich ge-dacht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dass wir heute über Ihren Gesetzentwurf reden.Aber Sie haben ständig das Justizmodernisierungsgesetzangesprochen. Dazu kommen wir demnächst. Vielleichtwird ja Herr Gehb zu Ihrem Gesetzentwurf sprechen.Ihr Gesetzentwurf ist die Kopie einer bayerischenBundesratsinitiative. Als Jungsozialisten haben wir im-mer eine Doppelstrategie geübt. Das scheint auch bei Ih-nen der Fall zu sein. Ich sage Ihnen voraus: Dies wirdein Doppelflop werden.
Der Inhalt Ihres Gesetzentwurfs ist, wie so oft, zu einemguten Teil aus früheren gescheiterten Gesetzesinitiativenaus Ihren Reihen oder aus den Ländern altbekannt. Eshat den Anschein, als hätten Sie die Rechtspolitik alsolympische Disziplin entdeckt: Dabei sein ist für Sie al-les. Inhaltlich war Ihr Motto ja schon immer: schneller,härter, schlechter.
Vor allem im Strafprozessrecht wiederholen Sie un-brauchbare Vorschläge aus der vergangenen Legislatur-pszprzQcGvzpbwpdAgfmZnnksaIaghzwvgdJtdRsskgsdJJf
Eine echte Justizbremse sind Ihre Vorschläge zu dennklageschriften, die ohne wesentliches Ermittlungser-ebnis zum Schöffengericht gehen sollen. Das Schöf-engericht befasst sich mit mittlerer oder schwerer Kri-inalität mit oft umfangreichen Sachverhalten. Eineusammenfassung des wesentlichen Ermittlungsergeb-isses ist sinnvoll, damit sich das Gericht für die Eröff-ungsentscheidung rasch ein Bild von der Sache machenann. Das dient der Beschleunigung. Mit Ihrem Vor-chlag verschieben Sie nur die Belastung von der Staats-nwaltschaft auf das Gericht.
hre Vorschläge zum Jugendstrafrecht sehe ich mehrls kritisch, so wie fast alles, was von Ihnen zum Ju-endstrafrecht kommt wenig durchdacht erscheint.
Haftbefehl im vereinfachten Jugendverfahren – dasört sich zunächst gut an. Natürlich ist eine möglichsteitnahe Reaktion auf begangenes Unrecht erzieherischünschenswert. Die Beschleunigung von Jugendstraf-erfahren darf aber nicht zum Selbstzweck werden. Eseht im Jugendstrafrecht doch darum, zu verhindern,ass erneut Menschen Opfer von Straftaten werden, dassugendliche erneut straffällig werden. Es ist deshalb fa-al, wenn Sie die bekannten schädlichen Nebenfolgenes Vollzugs und gerade der Untersuchungshaft, die eineesozialisierung gefährden, einfach ausblenden. Wahr-cheinlich gehen Sie nach dem Motto vor: U-Haftchafft Rechtskraft. Ich verstehe nicht, wie Sie so tunönnen, als seien alle empirischen Erkenntnisse der Ju-endkriminologen einfach irrelevant. Es gilt im Jugend-trafrecht völlig zu Recht der Grundsatz der Haftvermei-ung. Das gilt besonders für das vereinfachteugendverfahren, in dem nur Sanktionen unterhalb derugendstrafe verhängt werden dürfen.Über die Zulassung des vereinfachten Jugendver-ahrens für Heranwachsende können wir reden. Aber
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Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbachdann sollten wir auch darüber nachdenken, das beschleu-nigte Verfahren in den Fällen ausdrücklich auszuschlie-ßen, in denen Jugendstrafrecht zur Anwendung kommtund damit das vereinfachte Jugendverfahren als eine an-gemessene Alternative zur Verfügung steht. Immerhinist es erfreulich, dass Sie mit diesem Vorschlag offenbaretwas von Ihrer Forderung abrücken, auf Heranwach-sende grundsätzlich nicht mehr das Jugendstrafrecht an-zuwenden.Noch ein paar Worte zum Ordnungswidrigkeitengesetz.Hier sind wir erfreulicherweise etwas näher beieinander.Insbesondere können wir die von Ihnen vorgeschlagenenochmalige Ausdehnung des Einzelrichterprinzips beiden Oberlandesgerichten als sinnvoll mittragen.Nicht überzeugt sind wir jedoch von Ihrer Forderung,die Rechtsmittelgrenzen für den Zugang zur zweitenInstanz, also den Oberlandesgerichten, erneut deutlichanzuheben. Sie wissen – Herr Dr. Röttgen, Herr Dr. Götzerund Herr van Essen waren damals dabei –, dass wir 1998in einem breiten parlamentarischen Konsens die Gren-zen bereits mehr als verdoppelt haben. Ich habe imGesetzgebungsverfahren damals sehr eng mit IhremFraktionskollegen Freiherr von Stetten senior zusam-mengearbeitet. Wir beide haben die Sache damals ver-handelt. Wir waren uns einig, dass eine weitere Anhe-bung der Rechtsmittelgrenzen nicht sinnvoll ist. DasGesetz von 1998 hat dann auch zu einem spürbarenRückgang der Rechtsbeschwerden um 25 Prozent ge-genüber 1996 geführt. Eine erneute Verdoppelung würdein der Praxis im Straßenverkehrsbereich nahezu alleGeldbußen und Fahrverbotsfälle aus der zulassungs-freien Rechtsbeschwerde ausnehmen. Nachdem die ansich so wortgewaltigen Automobilclubs bisher zu die-sem echten Hammer in Ihrem Gesetzentwurf nichts ge-sagt haben, möchte ich Sie hier im Interesse der Auto-fahrer um etwas mehr Zurückhaltung bitten.Ich greife noch einige Beispiele aus der Zivilprozess-ordnung heraus, weil mir noch etwas Zeit verbleibt.
– Sie sollten lieber nachdenken als quatschen. – Sie wol-len die Dokumentationspflicht für richterliche Hinweisesowie die obligatorische Güterverhandlung, beides erstmit der ZPO-Reform am 1. Januar 2002 eingeführt, wie-der abschaffen und das, nachdem vor wenigen Monatenbereits ein gleichlautender Gesetzesantrag aus Hessennicht einmal die Ausschussberatungen im Bundesratüberstanden hat.Es ist sachwidrig, jetzt aus der ZPO-Reform willkür-lich einzelne Bausteine herauszubrechen. Mit der Ab-schaffung der Dokumentationspflicht für richterlicheHinweise erreichen Sie nur, dass der erstinstanzlicheRichter in Streitfällen von der Berufungsinstanz alsZeuge über die Hinweiserteiler vernommen werdenmüsste. Sie erweisen der Richterschaft mit diesem Ge-setzesantrag einen Bärendienst.
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Hören Sie gut zu, Herr Kollege Gehb!Es kommt noch schlimmer. Der Entwurf will den Par-eien das Recht nehmen, auf einen Hinweis des Gerichtschriftlich zu antworten. Damit tangieren Sie den An-pruch der Parteien auf rechtliches Gehör, das zu denrundrechten der Justiz gehört. Welchen Sinn hat einichterlicher Hinweis, zu dem die Partei nicht mehrchriftlich Stellung nehmen darf? Dieses Vorhaben istürgerfeindlich und in verfassungsrechtlicher Hinsichtedenklich. Mit dieser Formulierung bin ich noch sehrorsichtig.Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu Ihrem An-rag, der heute unterzugehen scheint. Der BGH bewäl-igt seine Arbeit. Im Jahr 2001 gab es 4 400 Revisionenum BGH. 2002 waren es 4 592 Revisionen plus Nicht-ulassungsbeschwerden. Das sind 4 Prozent. Wie manabei von „Ertrinken“ reden kann, Herr Dr. Röttgen,leibt Ihnen vorbehalten zu erläutern. Im Übrigen istem BGH ein Hilfssenat bewilligt worden, der diese Ar-eiten mit erledigt.Verehrter Herr Präsident, ich will Ihnen einen großenefallen tun und unterhalb einer einminütigen Über-chreitung der Redezeit bleiben.Alles in allem ist das so genannte Justizbeschleuni-ungsgesetz, das Ihnen als Reaktion auf unser Justizmo-ernisierungsgesetz, das wir demnächst beraten werdennd ein wirklicher Erfolg werden wird, eingefallen ist,ine ausgesprochene Justiz- und Rechtsschutzbremse.Nachdem Sie heute gemerkt haben, dass die FDPicht mitzieht – vermutlich wird das Vorhaben auch imundesrat nicht die notwendige Mehrheit erhalten –, for-ere ich Sie auf, Herr Dr. Röttgen: Seien Sie ein Mann!iehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück!
War ich einigermaßen anständig, Herr Präsident?
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Sie waren zwar einigermaßen anständig, aber das Fi-
nale Ihrer Rede hat die alte Lebensweisheit bestätigt,
Herr Staatssekretär, dass man mit Ankündigungen vor-
sichtig sein soll, vor allem wenn man sie selber einlösen
muss.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach ei-nem solchen rhetorischen Feuerwerk, wie es der Staats-sekretär abgebrannt hat, fällt es sicherlich jedem Rednerschwer, darauf zu replizieren.Herr Hartenbach, Sie haben übrigens ungefähr das-selbe vorgebracht wie in der 789. Sitzung des Bundesra-tes am 20. Juni dieses Jahres. Deswegen habe ich TeileIhrer Rede, zum Beispiel hinsichtlich der Justizbremse,vorwegnehmen können.Ich möchte – auch für die Zuschauer – einmal etwasanders beginnen als sonst. Ich möchte nämlich eineSzene simulieren, die man in deutschen Gerichtssälen imAmtsgericht oder im Landgericht täglich sehen kann:Ich rufe auf die Sache Hartenbach ./. Stünker,Az.: 14 O 237/03. – Die Herrschaften treten ein. Es be-ginnt die mündliche Verhandlung. Wie immer ist dieKlage des Klägers Hartenbach nur teilweise schlüssig,aber die Erwiderung des Beklagten Stünker auch nurteilweise erheblich. Aus diesem Grunde führt der Rich-ter mit den beiden Beteiligten ein Rechtsgespräch unddiktiert nach einer halben Stunde etwa Folgendes:In dem Zivilstreitverfahren Hartenbach ./. Stünkerschließen die Beteiligten nach eingehender Diskussionder Sach- und Rechtslage folgenden Vergleich:Erstens. Zur Abgeltung aller mit der Klage geltendgemachten Ansprüche zahlt der Beklagte an den KlägerEuro 900.Zweitens. Von den Kosten des Verfahrens trägt derKläger ein Drittel, der Beklagte zwei Drittel.Drittens. Den Beteiligten bleibt vorbehalten, den Ver-
Laut diktiert und genehmigt, vorgelesen und be-schlossen. – So stellte sich die Situation vor der ZPO-No-vellierung dar.
Das Gesetz sah vor, dass der Richter in jeder Phasedes Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Streitshinwirkt.DtlRnmtnGEwfwqdnsaLtgfMmugtdSgPwdcbadeawIaA2wc
amit wurde an das Verhandlungsgeschick, an die Rou-ine und an das Fingerspitzengefühl der Richter appel-iert und auf ihre Erfahrung und Souveränität, einechtsgespräch zu leiten und nicht alle drei Minuten ei-en richterlichen Hinweis zu protokollieren.
Diese Vorgehensweise wird dadurch verhindert, dassan solch eine Verfahrensweise formalisiert, den Rich-er damit drangsaliert und alle Beteiligten damit kujo-iert.
enau das haben Sie mit der ZPO-Reform durch dieinführung der Pflicht zur Dokumentierung von Hin-eisen und durch die Einführung der obligatorischenrühen Güteverhandlung geschafft. Unser Gesetzent-urf sieht mindestens die Wiederherstellung des Statusuo ante als einen Beschleunigungseffekt vor. Schoneshalb würden bei seiner Verabschiedung alle Betroffe-en aufatmen.Ich bin immer noch als Rechtsanwalt in Kassel foren-isch tätig. Dort gibt man mir sozusagen Laufzettel mituf den Weg in dieses Parlament in Berlin. Einer dieseraufzettel enthielt zum Beispiel den Wunsch, den Rich-er an Amtsgerichten und Landgerichten mir gegenübereäußert haben: Herr Gehb, sorgen Sie doch einmal da-ür, dass endlich Schluss ist mit dem Argwohn und demisstrauen der SPD und der Grünen – sie meinen ja,an müsse jedes Jota schriftlich fixieren – gegenüberns Richtern! Ich denke, dass die Richter in den vergan-enen Jahren und Jahrzehnten auch ohne Dokumenta-ions- und ohne Protokollpflicht in der Lage waren, in je-er Phase des Verfahrens eine gütliche Beilegung destreites zu erreichen.
Nun komme ich zu einem Wunsch, der schon vor län-erer Zeit von meinem früheren Ausbilder, dem Richterohl – Herr Hartenbach, auch Sie kennen ihn –, geäußerturde. Er sagte: Lieber Herr Gehb, sorgen Sie dafür,ass die Frist, die bei Strafprozessen eine Unterbre-hung von maximal zehn Tagen vorsieht, endlich einisschen verlängert wird. Für diejenigen, die sich nichtuskennen: Bisher ist es für Strafprozesse so geregelt,ass spätestens am elften Tag nach einer Unterbrechungine Hauptverhandlung anberaumt werden muss, weilnsonsten die Gefahr besteht, dass der ganze Prozessieder von vorne aufgerollt werden muss. Ich weiß, dasshr Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes nunuch eine Verlängerung der Frist vorsieht. Auf meinenfrage aus der letzten Legislaturperiode vom1. August, ob solch eine Verlängerung möglich sei, ant-ortete der Staatssekretär Pick in der Bundestagsdrucksa-he 14/6451, Seite 9, dass dies nicht der Fall ist.
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4508 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Dr. Jürgen GehbJetzt tingelt die neue Ministerin durch die Lande undtut so, als sei diese Initiative auf ihrem Mist gewachsen.Die Entwicklungsgeschichte, die Genesis des§ 229 StPO geht auf alle möglichen Leute zurück, nurnicht auf Mitglieder dieser Bundesregierung und schongar nicht auf Mitglieder der Fraktionen der SPD oder derGrünen. Die Begründung Ihres Gesetzentwurfs aufSeite 56 der Bundesratsdrucksache zeigt, dass Sie garnicht verstanden haben, worum es geht. Da kann mannämlich lesen – ich dachte zuerst, es sei ein Beitrag auseiner Büttenrede –, § 229 StPO sei deshalb zu ändern,damit dem Gericht ein Gerichtssaal zur Verfügung ge-stellt werden könne. Das ist ja ein Stück aus dem Toll-haus.Die richtige Begründung, die Ratio Legis, ist natür-lich eine andere: Es soll vermieden werden, dass derRichter am elften Tag nach einer Unterbrechung ledig-lich einen so genannten Schiebetermin anberaumt, umirgendeinen Schriftsatz auszuhändigen und damit – HerrHartenbach, werden Sie nicht ungeduldig; Sie kommengleich dran – den Folgen des Überschreitens der Unter-brechungsfristen zu entgehen. Das ist der Sinn dieserRegelung, nicht das Vorhalten von Gerichtssälen.Herr Hartenbach, bitte.
Das Präsidium ist immer ganz gerührt, wenn notwen-
dige geschäftsleitende Bemerkungen bilateral, also von
Rednern und Zwischenrufern, abgewickelt werden.
Hiermit erteile ich dem Kollegen Hartenbach das
Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Präsident, ich bedanke mich sehr herzlich. –
Herr Dr. Gehb, warum reden Sie eigentlich dauernd über
unseren Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes,
der heute überhaupt nicht zur Debatte steht, und nicht
über die Segnungen und Vorzüge Ihres Entwurfs eines
Justizbeschleunigungsgesetzes?
Herr Hartenbach, Herr Staatssekretär Hartenbach, lie-
ber Alfred Hartenbach, wenn Sie so gewissenhaft zuge-
hört hätten, wie Sie eben gewissenhaft das vorgelesen
haben, was Sie schon einmal vorgelesen haben, dann
hätten Sie mitbekommen, dass ich sehr wohl über unse-
ren Gesetzentwurf geredet habe, der die Aufhebung von
Teilen der ZPO-Novelle vorsieht. Dann hätten Sie auch
gemerkt, dass ich sehr wohl darüber geredet habe, dass
wir eine Änderung des § 229 StPO wollen, und dass ich
lediglich auf einen der intelligenten Einwürfe und Zu-
rufe Ihrer Kollegen hin auf Ihr Justizmodernisierungsge-
setz eingegangen bin. Sonst hätte ich es nicht für wert
gehalten, überhaupt in meiner Rede darauf einzugehen.
Herzlichen Dank.
Es ist schönes Wetter und ich wünsche ein schönes
Wochenende.
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Parl. Staatssekretärin Ute Vogtund dass wir die Spitzensportförderung weiterhin alseine der wichtigen und zentralen Aufgaben unserer Re-gierungspolitik sehen.Es geht hier um ein Themenfeld – das möchte ich aus-drücklich betonen –, bei dem die betroffenen Fachver-bände immer konstruktiv mit uns zusammenarbeiten.Wir erleben das nicht zuletzt bei der Vergabe der Mittel.Im Gegensatz zu vielen Fachbereichen, die andere Res-sorts zu begleiten haben, bedanken sich die Fachver-bände des Sports bei jeder Veranstaltung und machendeutlich, dass die Politik des Bundes und der Länder denSport unterstützt. Ich glaube, es ist ein gutes Zeichen,dass diejenigen, die mit unserem Geld arbeiten, klarstel-len, dass sie unseren Einsatz schätzen. Es ist schön, dasswir als Politikerinnen und Politiker – das kommt sonstnicht allzu häufig vor – ab und an auch einmal eine posi-tive Resonanz erhalten.
Die fachliche Zusammenarbeit im Sportbereich istsicherlich auch deshalb vorbildlich, weil wir, bevor wirentscheiden, für welche Fördermaßnahmen das Geld derSteuerzahler ausgegeben werden soll, die gemeinsameBeratung mit denjenigen suchen, die uns einen fachli-chen Rat geben können, weil wir uns als Politiker alsonicht anmaßen, am besten Bescheid zu wissen. Ichglaube, das ist ein Teil des Erfolgs. Gerade in dieser Wo-che hat Innenminister Otto Schily wieder ein Gesprächmit den Vertretern des Deutschen Sportbundes und derbetreffenden Fachverbände geführt. Wir sind also per-manent im Dialog, um dort zielgerichtet fördern zu kön-nen, wo es tatsächlich am nötigsten ist. Ich glaube, dasssich das auszahlt und dass wir unsere ureigenste Auf-gabe sehr gewissenhaft wahrnehmen.Weil viele Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, wo-hin die Gelder für den Sport fließen, will ich beispielhafteiniges nennen. Wir fördern im Bereich des Leistungs-sports derzeit etwa 260 Sportstättenbauprojekte in180 Bundesstützpunkten, fünf Bundesleistungszentrenund 20 Olympiastützpunkten. Sie sehen, welche Vielzahldas ist. Leider wird das von denen, die nicht unmittelbarfachlich damit befasst sind, oft gar nicht wahrgenommen.Die Finanzmittel sind mit Sicherheit nicht alles. Siesind nur eine Grundlage für das, was an Leistungen er-bracht wird. In dieser Debatte gilt es, noch einmal Dankan diejenigen zu sagen, die aus diesen Mitteln dann auchErfolge für unser Land erarbeiten, an die Sportlerinnenund Sportler, und nicht zuletzt natürlich an die, die sietrainieren und die für sie die Arbeit und die Organisationin den Verbänden übernehmen.
Dadurch gibt es nicht zuletzt auch eine Wirkung aufden Breitensport, was wir alle uns wünschen. Sportar-ten müssen auch öffentlich zur Geltung kommen undwahrgenommen werden. Jeder, der im LeistungssportErfolge erzielt, dient als Vorbild und gibt mit seinerLeistung einen Anreiz für andere. Wir wollen die Leute,insbesondere die Jugendlichen, ermutigen, sich sportlichzu engagieren.iuGrfZdhgtdSSddBedaupicBsldw1GkvtbFgSmWddbsddd
Ich möchte gern noch darauf aufmerksam machen,ass derzeit die Special Olympics in Dublin laufen. Sieerden in dieser Woche zu Ende gehen. Wir haben67 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ich hatte selbstelegenheit, dort zu sein. Ich kann Ihnen sagen: Es gibtaum ein schöneres Sporterlebnis, als Leistungssporton Menschen mit geistigen Behinderungen zu beobach-en. Es ist echter Sport, der mit Freude am Wettkampfetrieben wird, ohne kritische Konkurrenzen. Es ist diereude am Messen der eigenen Leistung mit der des Ge-enübers. Es ist ein unglaubliches Erlebnis. Auch diepecial Olympics hätten es verdient, mehr mediale Auf-erksamkeit und Öffentlichkeit zu bekommen.
ir als Politiker sind aufgefordert, dazu beizutragen.
Frau Staatssekretärin, denken Sie bitte an die Ver-
rängungswirkung Ihrer Redezeitüberschreitung.
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Ja. – Abschließend noch ein Hinweis auf das, was unsevorsteht; das ist nicht Gegenstand des Berichts. Wirind uns einig – man merkt es an der Zustimmung ausen Reihen der Opposition –, dass die großen Ereignisse,ie Fußball-Weltmeisterschaft 2006 und insbesondereie Olympischen Spiele 2012, die wir ausrichten
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4510 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Parl. Staatssekretärin Ute Vogtwollen, unsere gemeinsame Kraftanstrengung erfordern.Ich will es insbesondere in Bezug auf Leipzig noch ein-mal sagen. In der Politik haben wir da wenig Auseinan-dersetzungen. Innerhalb des Bundestages ziehen wir aneinem Strang. Der Sport zieht mit. Ich wünsche mir füruns alle, dass wir Gemeinsamkeiten zwischen Sport undPolitik und vielleicht auch den Medien erreichen, ge-meinsam stark auftreten und so nicht nur die Fußball-weltmeisterschaft 2006 genießen können, sondern tat-sächlich Olympia 2012 in Deutschland, also in Leipzig,haben werden. Wir sind alle gefordert, die positive Stim-mung, die wir in Bezug auf dieses Ereignis spüren, auchzu übertragen.
Das Wort hat nun der Kollege Klaus Riegert für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-desregierung muss sich bei der Sportförderung an ihrenAnkündigungen und an ihren Leistungen messen lassen.Ich zitiere:Auch die hierbei für den Sport zu erzielenden Ver-besserungen darzustellen wird eine der Aufgabendes … 10. Sportberichts sein.Außerdem heißt es:Es gilt …, Mittel zu konzentrieren, Schwerpunktezu setzen und auch Vorhaben zu strecken.So Minister Schily im Vorwort des 9. Sportberichts.Bei aller Wertschätzung Ihnen gegenüber, FrauStaatssekretärin, hätte ich es schon für angezeigter ge-halten, wenn Herr Minister Schily heute selber seinen10. Sportbericht hier vorgestellt hätte.
Der Bericht ist in weiten Teilen ein Sachstandsbericht,der keine Perspektiven für die Zukunft des Sports auf-zeigt. Damit werden die angekündigten Verbesserungennicht erreicht. Sie haben nur eines Ihrer Ziele erreicht:Sie haben Vorhaben gestreckt, geschönt und gekürzt.Zunächst möchte ich den Athleten, ihren Trainern undBetreuern danken, die unser Land seit Jahrzehnten durchSpitzenleistungen bei Olympischen Spielen, bei den Pa-ralympics, bei Welt- und Europameisterschaften hervor-ragend vertreten.
Topleistungen sind das Ergebnis jahrelanger, oft jahr-zehntelanger harter entbehrungsreicher Arbeit. Es istdeshalb mehr als unangemessen, die Topleistungen alsErgebnis rot-grüner Sportförderung von 1999 bis 2001zu vereinnahmen.
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Der letzte von der Regierung Kohl vorgelegte Haus-altsplan wies für die zentralen Maßnahmen, die sport-issenschaftlichen Einrichtungen und die Investitio-en rund 114 Millionen Euro aus. Sie veranschlagten für002 gerade einmal 95 Millionen Euro. Bei den zentra-en Maßnahmen für den Spitzensport hat sich nichts ge-an. Hier ist mit 71 Millionen Euro etwa der gleichetand wie 1998 gehalten worden. IAT und FES erhaltenbenfalls gleich viel Geld wie 1998, wobei sich die Per-onal- und Fixkosten auf 85 bis 90 Prozent belaufen. Esst eine zentrale Forderung unserer Fraktion, die Ansätzeür diese Einrichtungen zu erhöhen.
Sie haben die Übungsleiterpauschale angehoben;as begrüßen wir. Das haben Sie aber getan, weil Sie zu-or bei den Vereinen und den nebenberuflich Tätigenurch die Neuregelung der 325-Euro-Jobs kräftig abkas-iert hatten.
ur Erweiterung auf die Betreuer kann ich nur anmer-en: Ich habe ehrlich gesagt vor Ort noch keinen Be-reuer getroffen, der die Übungsleiterpauschale in An-pruch nehmen kann.
Nein, der bekommt kein Geld, deswegen hat er aucheine Chance, die Pauschale in Anspruch zu nehmen;enn in unseren Vereinen gibt es keine Betreuer, dieeld für ihre Aufgaben bekommen.Sie haben eine Novellierung des Vereinsförder-esetzes mehrfach abgelehnt. Ihre Kollegen in dernquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichenngagements“ waren da sportfreundlicher und unterstüt-en unsere Auffassung. Sie werden bald wieder Gele-enheit haben, hier im Hause über einen solchen Ent-urf abzustimmen. Stimmen Sie dann zu! Das wäre eineerbesserung für den Sport.
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Klaus Riegert
Sie verschweigen, dass Sie seit Regierungsantritt denSport durch ständiges Heraufsetzen der Energiesteuern,durch ständig neue Abgaben und durch sinnlose Auswei-tungen bürokratischer Vorschriften belastet haben, ohneeinen entsprechenden Ausgleich zu gewähren. Sie habendie Rahmenbedingungen des Sports entgegen Ihrer An-kündigung nicht verbessert.Auch beim Goldenen Plan Ost gilt: große Ankündi-gungen im Wahlkampf 1998, mäßige Leistungen.
Wir haben bis 1998 ohne so genannten Goldenen PlanOst eine hervorragende Bilanz aufzuweisen: 1,2 Milliar-den Euro für die Sportstätten in den neuen Bundeslän-dern. Seit 1999 ist durch den Goldenen Plan Ost und dasInvestitionsfördergesetz zusammengenommen wenigerGeld in die Sportstätten der neuen Länder geflossen.
Die Zahlen können Sie sich bei Ihrem Finanzministerbesorgen. Sie haben hier zu wenig getan, Herr KollegeDanckert!
Lassen Sie mich zum Thema Doping zwei Dinge an-sprechen. Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrerAblehnung eines Anti-Doping-Gesetzes. Seit fünf Jah-ren eiern die Sportpolitiker von Rot und Grün damitdurch die Landschaft. Der Sport will es nicht, die Bun-desregierung will es nicht, die CDU/CSU will es nicht.Also, legen Sie dem Haus endlich einen Gesetzentwurfvor oder schweigen Sie! So einfach ist das.
Wir begrüßen, dass die Dopingopfer der ehemaligenDDR eine Entschädigung erhalten. Ich halte fest: Ohnedie Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hätte eskein Dopingopfer-Hilfegesetz gegeben. Es ist gut, dasswir gemeinsam diese Lösung gefunden haben.
Wir erwarten, dass die Zusage des Bundesministersfür Verteidigung, die Sportförderstellen der Bundes-wehr auf dem jetzigen Stand zu halten, eingehaltenwird. Wir werden den Bundesminister der Verteidigungunterstützen, wenn er sich, wie alle seine Vorgänger, fürden Erhalt der Sportförderstellen einsetzt. Bundeswehr,aber auch Bundesgrenzschutz und Zoll leisten einenherausragenden und unverzichtbaren Beitrag für denSpitzensport.
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4512 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Ich habe mir für heute vorgenommen, dass ich dieserückwärts gewandte Debatte nach dem Motto „Früherwar alles besser; wir haben viel mehr gemacht“ heutenicht führen will.Wir haben mit dieser Debatte vor einem Jahr im Sport-ausschuss angefangen. Die Koalitionsfraktionen habeneinen Antrag vorgelegt, in dem wir die wichtigsten Zu-kunftsaufgaben in den nächsten Jahren für die Sportpoli-tik umrissen haben. Darüber will ich reden.Noch eine Bemerkung dazu, wie Sie die Förderungdes Spitzensports dargestellt haben. Wir haben es überJahre geschafft, den Spitzensport – sowohl im Behinder-tenbereich als auch im Nichtbehindertenbereich – aufhohem Niveau zu halten,
obwohl wir Schulden auf hohem Niveau übernommenhaben und mit schwierigen Haushaltslagen zu kämpfenhatten. Uns im Nachhinein die Altlasten in die Schuhezu schieben geht dann doch zu weit.
Wir haben es geschafft, das hohe Niveau zu halten.Das hat auch der organisierte Sport immer anerkannt.Die Verantwortlichen in diesem Bereich waren immereinsichtig, wenn ersichtlich war, dass die Mittel knappwaren. Auch im Sport kann man nicht so tun, als würdedas Geld aus der Steckdose kommen.Nun zu den vordringlichen Aufgaben – Sie haben esbereits angesprochen; ich will es ganz deutlich sagen –:Wenn wir heute über Spitzensport reden, dann müssenwir auch darüber reden, dass es in den nächsten Jahrenunsere gemeinsame Aufgabe sein wird, die Olympiabe-werbung Leipzigs zu einer Erfolgsbewerbung zu ma-chen.
Damit es eine Erfolgsbewerbung wird, müssen alle zu-sammenstehen: die aus Stuttgart und all die anderen, dieverloren haben und glaubten, sie seien besser. Sie müs-sen jetzt ihre Kompetenz einbringen.Wir als Bundespolitiker müssen helfen, Infrastruktu-ren aufzubauen, damit die Bewerbung erfolgreich ist.Wir werden beraten und unter Umständen als Botschaf-ter um die Welt reisen müssen, um für diese Bewerbungzu werben. Wir werden mit einem entsprechenden Haus-halt dafür sorgen müssen, dass die wichtigen Institutio-nen des deutschen Spitzensports wie etwa die wissen-schaftlichen Sportinstitute genügend Mittel haben, umdcshGrdBaSlmdwbdefmwdSwgwäwdsWGusGliSgVWsbG
Sportpolitik ist heute aber mehr. Sportpolitik mussich heute – das will ich gerade angesichts der bevorste-enden Gesundheitsreform deutlich sagen – auch alsesundheitspolitik verstehen. Deswegen sind wir ge-ade dabei, einen gemeinsamen Antrag zu schreiben, inem es um Sport und Bewegung als einen wesentlicheneitrag zu Gesundheit und Prävention geht. Das gilt fürlle Bereiche und für alle Lebensphasen.
port wirkt bewegungsfördernd für Kinder und Jugend-iche. Wir wissen, dass wir in diesem Bereich mehr tunüssen, damit es mit der Bewegungsfähigkeit der Kin-er nicht immer mehr abwärts geht.
Das Motto muss sein: „Mit Bewegung und Sport großerden.“ Die Menschen in der Stadt, alte wie junge,rauchen ein Umfeld, in dem man sich gerne bewegt, inem man beispielsweise gerne Rad fährt. Wir brauchenin neues Leitbild von einer spiel- und bewegungs-reundlichen Stadt. „Durch Bewegung mobil sein undobil bleiben“ könnte hier das Motto sein.Es ist schon angesprochen worden, dass Sport einichtiger Beitrag zur Rehabilitation und zur Einglie-erung ist. Körperlich Benachteiligte werden durchport einigermaßen mobil gehalten. Sport hat auch dieseichtige Funktion.Da wir wissen, dass in den nächsten 20 bis 30 Jahrenut ein Drittel der Menschen 60 Jahre und älter seinird, müssen wir alles tun, dass diese Menschen gesundlter werden. Dass das eine Zukunftsaufgabe ist und dassir auf diesem Feld noch viel zu tun haben werden, ist iner Anhörung des Sportausschusses zum Präventions-port deutlich geworden. Man könnte zusammenfassen:ir brauchen eine umfassende Kampagne auf derrundlage eines Gesetzes. Sport und Bewegung tun gut,nd zwar uns allen in jeder Lebenslage.Sport und Bewegung stellen aber auch eine infra-trukturpolitische Aufgabe dar. Wir haben es beimoldenen Plan Ost gesehen und werden es auch in vie-en Kommunen sehen: In den nächsten Jahren wird esmmer mehr darauf ankommen, dass es uns gelingt,portstätten beim Energie- und Wasserverbrauch ökolo-isch nachhaltig zu sanieren und sie mit öffentlichenerkehrsmitteln vorbildlich anzubinden. Die deutscheM-Bewerbung muss in dieser Hinsicht ein gutes Bei-piel für das Konzept „Green Goal“ sein. Die Olympia-ewerbung Leipzig wird ein gutes Beispiel für „Greenames“ sein müssen, wenn sie erfolgreich sein will.
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Winfried HermannEine letzte und schwierige Aufgabe moderner Sport-politik ist zweifellos der Kampf gegen das Doping. Hiersind wir auf internationaler Ebene im Vergleich zu frühererheblich weitergekommen. Es gibt den internationalenAnti-Doping-Code. Otto Schily hat sich dankbarerweisesehr dahinter geklemmt; auch bei der Unterzeichnungwar er sogar dabei. Insofern sollten wir nicht den Ein-druck entstehen lassen, als sei dem Innenministerium derKampf gegen das Doping gleichgültig.Wir streiten über Folgendes – das wurde süffisant an-gesprochen –: In welcher gesetzlichen Form, in welcherpolitischen Form kann der Kampf gegen das Doping un-terstützt werden? Die Koalitionsfraktionen sind seit lan-gem der Meinung, dass angesichts der Entwicklungbeim Doping und angesichts der Tatsache, dass der Sportauch ein Geschäft ist und es beim Doping auch um Be-trug geht – und nicht nur darum, ob ein Trainer einem et-was gegeben hat oder nicht; Doping ist nicht nur einWettbewerbsbetrug am Sportler, sondern in vielen Fällenauch ein Betrug am Geschäftskonkurrenten –,
neue gesetzliche Regelungen erforderlich sind. Die altepharmakologische Regelung im Arzneimittelgesetz, diewir bisher hatten, ist nicht ausreichend. Wir werden mitdem Innenministerium daran arbeiten, hierfür eine neuegesetzliche Basis festzulegen. Seien Sie sicher: Wir wer-den am Ball bleiben. Dagmar Freitag und ich haben unsdieser Sache verschrieben; wir werden weiter dafürkämpfen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.Moderne Sportpolitik muss sich als Querschnittspolitikverstehen. Wenn sie das nicht tut, ist sie rückwärts ge-wandt. Es kann nicht nur um Zahlenakrobatik gehen,Herr Kollege Riegert. Wir müssen uns vielmehr in min-destens fünf Disziplinen einmischen:Erstens. Wir müssen uns als Gesundheitspolitiker ver-stehen.Zweitens. Wir müssen uns als Kämpfer für einen sau-beren Hochleistungs- und Spitzensport verstehen.Drittens. Wir müssen uns für spiel- und bewegungs-freundliche Stadt- und Lebensräume einsetzen.Viertens. Wir müssen eine sozialpolitische Dimensiondes Sports entwickeln, sie immer wieder betonen undverdeutlichen, dass Sport in diesem Sinne außerordent-lich nachhaltig ist, einen wesentlichen Beitrag zu einernachhaltigen Entwicklung darstellt.Fünftens. Sport ist schon immer international ausge-richtet gewesen. Er hat die Kraft, zu einer großen Frie-densbewegung zu werden.Vielen Dank.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Gerne erwähne ich auch ein Lob, welches der als be-onders kritisch bekannte Sportjournalist Thomas Kist-er gestern in der „Süddeutschen Zeitung“ dem Bundes-nnenminister gespendet hat. Er hat geschrieben:Otto Schily, der wohl stärkste Sportminister, dendas Land je hatte.em können wir uns anschließen.
Die völkerverbindende und friedenstiftende Kraftes Sports gehört unbestritten zu den wichtigsten Ele-enten seiner Bedeutung und seiner Attraktivität. Den-och war der Sport auf europäischer Ebene bisher nichtechtlich abgesichert und konnte nur durch exemplari-che Projekte gefördert werden. Der Sport ist die größte)
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Axel Schäfer
Personenvereinigung in der EU und ein relevanter Wirt-schaftsfaktor. Ihm kommt für die europäische Integra-tion und damit auch für die Zivilgesellschaft eine zen-trale Aufgabe zu. Die Aktivitäten sowohl der deutschenMitglieder im EU-Konvent als auch der Bundesregie-rung haben entscheidend dazu beigetragen, dem Sport inder künftigen europäischen Verfassung seinen Platz zugeben.Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, teilen Siemeine ganz persönliche Freude; denn 2004 ratifizierenwir im Deutschen Bundestag die Verankerung des Sportsim europäischen Vertragswerk. Damit werden wir genaudas tun, was ich im Europäischen Parlament als sozial-demokratischer Sportbeauftragter von 1994 bis 1999 zu-sammen mit anderen auf den Weg bringen konnte. Heuteist klar: Die Aufnahme des Sports in der Verfassung fürEuropa und damit seine Aufwertung ist richtig und wirdvon den Sportverbänden unseres Landes einhellig be-grüßt.
Über diesen gemeinsamen Erfolg im Zusammenwirkender politischen Vertreter und der Repräsentanten desSports, der Akteure auf europäischer und auf nationalerEbene sollten wir uns miteinander freuen.Zum Sport gehört untrennbar die Gesundheit. Diewirksame Dopingbekämpfung durch gemeinsamesVorgehen auf EU-Ebene ist besonders hervorzuheben.Unsere Bundesregierung hat national wie internationalbekanntlich deutliche Akzente gesetzt. Auch an der Er-arbeitung des Welt-Anti-Doping-Codes, den die WADAvorgelegt hat, war Deutschland maßgeblich beteiligt.Dieser Code wird das Fundament im Kampf gegen ver-botene Mittel und Methoden im Sport sein. Ein histori-scher Erfolg war die Deklaration auf der zweiten Anti-Doping-Weltkonferenz von Kopenhagen im Frühjahrdieses Jahres, wo Deutschland zu den Erstunterzeich-nern zählte. Dem Ziel von Fairplay und Chancengleich-heit bei allen internationalen Sportwettbewerben ist mandamit einen großen Schritt näher gekommen.Ehrgeizige Projekte verfolgt unsere Bundesregierungauch beim Sportstättenbau. Das SonderförderprogrammGoldener Plan Ost ist eines unserer wichtigsten sport-politischen Vorhaben. Das wissen die Bürgerinnen undBürger gerade in den neuen Bundesländern.
Die Koalitionsvereinbarung von 2002 sieht ausdrücklichdie Verlängerung dieses Programms vor. Eine Anglei-chung der Verhältnisse in den neuen Ländern an dasWestniveau ist gerade im Hinblick auf die sportlichenRahmenbedingungen unerlässlich. Der Bund beteiligtsich an der Errichtung von Sportstätten für den Breiten-sport sowie an der Modernisierung der Stadien in Berlinund Leipzig.Ich komme zum Schluss. Deutschland wird 2006Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft sein. WirhowIgOzAW1dGRglrddaSdlsit3FddwnmrdSwdHmwn
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Eberhard
ienger für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegeiegert hat die Defizite in Ihrer Sportpolitik überzeu-end dargelegt. Ich werde mich auf einige mir wesent-ich erscheinende Punkte konzentrieren.Sie als Sportpolitiker werden sich in den Haushaltsbe-atungen zu entscheiden haben, ob Sie dem Sport oderer Finanzpolitik den Vorrang einräumen wollen, ob Sieen größten Teil der Einnahmen aus dem Münzverkaufnlässlich einer sportlichen Großveranstaltung demport zukommen lassen wollen oder dem Finanzministeras Säckel füllen wollen.Der Bundesminister der Finanzen gibt nämlich an-ässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 Silber-ondermünzen im Wert von 10 Euro heraus, und zwarn einer Auflage von 17,95 Millionen Stück. Dies bedeu-et einen Umsatz von rund 180 Millionen Euro.0 Millionen Euro sollen dem Organisationskomitee derußball-Weltmeisterschaft zufließen. Auch abzüglicher Material-, Herstellungs- und Vertriebskosten sowieer 30 Millionen Euro für das Organisationskomiteeäre das eine beträchtliche Einnahme für den Finanzmi-ister. Er nutzt also die Popularität des Sports. Er willehr Einnahmen für sich behalten als dem Sport zufüh-en. Dies ist nicht in Ordnung. Schließlich ist der Käuferer Meinung, dass er durch den Kauf dieser Münzen denport unterstützt. Dies wäre auch angemessen, zumal,ie wir vorhin gehört haben, die rot-grüne Regierungie Sportförderung drastisch gekürzt hat.
Wir sind der Überzeugung, dass mindestens dieälfte des Nettoertrages aus dem Verkauf der Sonder-ünzen oder besser sogar alles dem Sport zugeführterden sollte. Dies dürften, realistisch betrachtet, bei ei-em Umsatz von 180 Millionen Euro rund 70 Millionen
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Eberhard GiengerEuro sein. Abzüglich der 30 Millionen Euro für das Or-ganisationskomitee wären dies 40 Millionen Euro, vondenen wenigstens die Hälfte in den nächsten vier Jahrendem Sport zugute kommen sollte.
Die genauen Zahlen hat uns das Bundesministerium derFinanzen noch nicht geliefert. Aber es wäre zumindestein Ansatz, auf den wir uns verständigen könnten.Was könnten wir mit dem Geld alles machen?Erstens. Das Stiftungskapital der Anti-Doping-Agen-tur könnte erhöht werden. Demzufolge müssten nichtmehr so hohe Zuschüsse vonseiten des Bundes geleistetwerden.Zweitens. Das Leistungssportkonzept im Behinder-tensport könnte umgesetzt werden.Drittens. Die sportwissenschaftlichen Einrichtungenkönnten gestärkt werden.Viertens. Der Nachwuchs könnte konsequenter geför-dert werden.Fünftens. Die Dopingkontrollen könnten verdichtetwerden.Ich hoffe hier auf Gesprächsbereitschaft der Koali-tion.Meine Damen und Herren, unser Land verfügt übersportwissenschaftliche Institute von hohem Rang: dasBundesinstitut für Sportwissenschaft in Bonn, das Insti-tut für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzigund schließlich das Institut für Forschung und Entwick-lung von Sportgeräten in Berlin. Diesen Institutenkommt eine immer höhere Bedeutung im Spitzensportzu. Grundlagenforschung, direkte Auswertungen neues-ter wissenschaftlicher Erkenntnisse am Athleten, imWettkampf und im Training sowie bestes Material – dassind unerlässliche Voraussetzungen für eine internatio-nale Spitzenleistung.Heute entscheiden Bruchteile von Sekunden, Zenti-meter, gar Millimeter über Sieg und Niederlage. Ohneneueste wissenschaftliche Erkenntnisse und deren Um-setzung in die Praxis haben unsere Athleten einen ganzentscheidenden Wettbewerbsnachteil in Kauf zu neh-men. Wir müssen diese Institute stärken. Wir müssen sieauf dem neuesten wissenschaftlichen Stand arbeiten las-sen. Sie können dies, sie wollen dies – es fehlt allein anden Mitteln. Ich weiß mich Gott sei Dank im Einklangmit Winni Hermann, dass wir das im Laufe der nächstenWochen und Monate erreichen wollen.
Die Direktoren aller Institute haben im Sportaus-schuss überzeugend dargestellt, dass sie schon heute denAnforderungen der Sportverbände nicht mehr nachkom-men können. Die engen finanziellen Spielräume lassendies nicht zu. Klaus Riegert hat es gesagt: Andere Sport-nationen rüsten auf, wir rüsten ab: personelle Ausdün-nung; kaum Möglichkeiten, neue, junge Wissenschaftlereinzustellen. Forschung muss hintangestellt werden. Na-hkpVWdudhrvha5mfmfKsinadvbnwteIDdinSindPmrgARKKctsU
Wichtiger aber ist: Trotz des Goldenen Plans Ost sind den Sportstättenbau der neuen Länder weniger Mittells vor 1998 geflossen. Investitionen in Sportstätten inen neuen Ländern werden überwiegend durch das In-estitionsförderungsgesetz getätigt. Wir haben von 1995is 1998 immerhin 1,2 Milliarden Euro ohne den so ge-annten Goldenen Plan Ost aufgebracht; das ist eineirklich hervorragende Bilanz.
Unsere Kritik richtet sich nicht gegen den so genann-n Goldenen Plan Ost, sondern gegen die nachlassendennvestitionen in den Sportstättenbau der neuen Länder.ie Bundesregierung hätte sich dafür einsetzen müssen,ass mehr Mittel aus dem Investitionsförderungsgesetz den Sportstättenbau fließen. Spätestens seit demportbericht wissen wir, dass 70 Prozent der Sportstätten den neuen Ländern sanierungs- oder renovierungsbe-ürftig sind. Wenn Sie also die Mittel für den Goldenenlan Ost kürzen oder ganz streichen müssen, wäre es zu-indest angezeigt, die Mittel aus dem Investitionsförde-ungsgesetz stärker zu nutzen. Das haben Sie zu wenigetan.
Noch ein paar Worte zum Doping: Die Gründung dernti-Doping-Agentur ist ein Schritt in die richtigeichtung. So hoffen wir, dass das Bewusstsein imampf gegen Doping durch Präventionen gestärkt, dasontrollsystem weiter ausgebaut und für eine einheitli-he Sanktionierung bei Vergehen gesorgt wird. Wir hät-en uns ein stärkeres finanzielles Engagement der Wirt-chaft gewünscht und haben dies auch erwartet; dennnternehmen, die mit zig Millionen Euro Sportarten
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Eberhard Giengersponsern, sollten auch einen nennenswerten Betrag zurBekämpfung des Dopings aufbringen können.Das von Minister Schily im Vorfeld anvisierte Stif-tungskapital in Höhe von 30 Millionen Euro wurde weitverfehlt. Mit den Erträgen allein – es handelt sich um7 Millionen Euro – wird die Anti-Doping-Agentur denhohen Erwartungen nicht gerecht werden können. DieBundesregierung muss klarstellen, wie sie eine solide Fi-nanzierung in der Zukunft absichern will. Sorgen Sie da-für, dass zumindest ein Teil der Erlöse aus dem Münz-verkauf als einmaliges Stiftungskapital der Anti-Doping-Agentur zugeführt wird.
Kein Dopingkontrollsystem ist perfekt und wird esniemals sein können. Wir haben ein dichtes und effekti-ves System, das jedem Vergleich standhalten kann. Län-der mit einem Dopinggesetz kontrollieren kaum, sie ver-lassen sich auf das Gesetz. Sie haben wegen dergeringen Kontrollen mehr Dopingfälle. Dies zeigt: Nurviele und unangemeldete Kontrollen haben eine abschre-ckende Wirkung. Daraus folgt: Wir brauchen kein Ge-setz, aber durchaus eine Prüfung bestehender Regelun-gen, wenn sich Bedarf zeigt.Wir wollen mehr Kontrollen, vor allem im C- und D-Kader und im Nachwuchsbereich. Wir wollen die leis-tungsfähigen Kontrolllabore in Kreischa und Köln aus-bauen und die Autonomie des Sports bei der Bekämp-fung des Dopings erhalten.Der Dopingbekämpfung reden viele das große Wort,aber wenn es darum geht, die Mittel bereitzustellen, wer-den die Töne leiser. Nicht nur die Nationale Anti-Do-ping-Agentur leidet unter Geldmangel, auch die WADA,die Welt-Anti-Doping-Agentur, steht vor einem finanzi-ellen Desaster, wenn man den Zeitungsmeldungen vom2. Juni 2003 glauben darf.Viele Regierungen und nationale Sportverbände ha-ben den Anti-Doping-Code beschlossen, aber sie stellenzumindest bisher nicht die notwendigen Mittel zur Ver-fügung.Die Bundesregierung hat hier einen guten Schritt indie richtige Richtung getan und Gelder zur Verfügunggestellt. Nach einem Zeitungsbericht hat sie bis heute al-lerdings nur 25 Prozent dieses Beitrags gezahlt. Solltedies zutreffen, so sollte der ausstehende Betrag umge-hend geleistet werden; denn in der Dopingbekämpfungist nur der glaubwürdig, der auch die entsprechendenMittel bereitstellt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.In der Sportpolitik sind wir uns in den Zielen weitge-hend einig: Wir wollen den autonomen Sport in derSpitze und in der Breite und wir wollen den Sport dortsubsidiär unterstützen, wo er unserer Hilfe bedarf.
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m Sport ist Fairplay wichtig, mit ihm können sozialechranken überwunden werden. Sport und Bewegungalten fit und gesund, wenn man es in Maßen macht.urzeit läuft die Aktion „Ene mene meck – der Speck isteg“. Dies sollten sich nicht nur die Kinder zu Herzenehmen, sondern ich denke, auch wir Älteren täten gutaran, uns das auf die Fahnen zu schreiben.
Darüber können wir nachher im Nachgang streiten.
Wie alles im Leben, so hat natürlich auch der Sporteine Licht- und Schattenseiten. Bei allem, was vorhiniskutiert wurde – es ging darum, was europäisch und in-ernational zu tun ist –, war für mich in der Enquete-Kom-ission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“
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Ute Kumpfbesonders das ungeheure ehrenamtliche Potenzial inden Sportvereinen und Verbänden faszinierend.Es gibt rund 27 Millionen Mitgliedschaften in87 000 Turn- und Sportvereinen und 91 Mitgliedsorgani-sationen auf Bundes- und Länderebene. In diesen Verei-nen werden insgesamt 240 Millionen Übungsstundenvon circa 2,7 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern überwiegend ehrenamtlich abgehalten. Der Sport-bund spricht von 2 bis 2,5 Millionen Menschen, die sichin den Vorständen ehrenamtlich engagieren. Erhebungender Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftli-chen Engagements“ haben ergeben, dass diese Zahl nochgrößer ist und dass sich insgesamt 6,6 Millionen Men-schen in irgendeiner Form in den Vereinen ehrenamtlichbetätigen. Diese Millionen Bürgerinnen und Bürger sindfür mich die eigentlichen Sponsoren des Sports.
Ich denke, wir alle sind uns einig – das waren wir unsauch in der Enquete-Kommission –: Wenn wir dieseSponsoren nicht hätten, dann würde unsere Gesellschafttatsächlich ärmer aussehen. Aufgrund dieser freiwilligenArbeit und dieser Kultur der wechselseitigen Achtungund Zugehörigkeit werden Gemeinsinn und Werte ent-wickelt, die eben nicht an der Börse gehandelt werdenund die den Zusammenhalt unserer Zivilgesellschaft be-stimmen.Unsere Anerkennung und unser Dank gelten diesenSponsoren. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Riegert – dasist das Tragische an der CDU/CSU –, haben wir dieseAnerkennung und diesen Dank tatsächlich auch in kon-krete Schritte umgesetzt. Es verwundert mich immerwieder, dass Sie sich zwar damit rühmen, etwas für dasEhrenamt zu tun, seltsamerweise es aber immer sozial-demokratische Bundeskanzler waren, die sich für denSport stark gemacht haben.
Willy Brandt hat damals in den 70er-Jahren dieÜbungsleiterpauschale von 100 DM eingeführt. HelmutSchmidt hat diese Summe auf 200 DM erhöht. Danachhat es 20 Jahre lang gedauert, bis unter Gerhard Schröderdie Übungsleiterpauschale auf 300 DM erhöht wurde. Eswar richtig, dass wir diesen Weg gegangen sind und überdie Übungsleiter hinaus auch den Kreis der Betreuer indie Pauschale einbezogen haben.Ich glaube, Sie waren in Ihrer Rede nicht ganz red-lich, Herr Riegert, als Sie meinten, in Ihren Vereinenfließe kein Geld; ich habe andere Erfahrungen gemacht.Wir haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dassdie Vereine auf eine bessere Grundlage gestellt wurden:Bürokratie konnte abgebaut werden, das Durchlaufspen-denverfahren wurde abgeschafft, die Möglichkeit eröff-net, Rücklagen zu bilden. Mit diesen Schritten sind wirder Sport-Community entgegengekommen, die einengroßen Teil des sozialen Kapitals in unserer Gesellschaftdarstellt. Wir werden diesen Schatz an sozialem Kapitalin den Sportvereinen und -verbänden hüten und weiterprfVTDbgddbgkHvuNugtikbdmdkuskdRfmeVdbd
Der Kollege Riegert hat um das Wort für eine Kurzin-
ervention gebeten.
Liebe Frau Kollegin Kumpf, es mag schon sein, dass
ch Kritik nicht so charmant wie Sie herüberbringen
ann und dass es dann, wie man im Schwäbischen sagt,
ruddelig wirkt. Aber ich will festhalten, dass Ihre Lan-
esvorsitzende, Frau Staatssekretärin Vogt, und ich ge-
einsam dafür gekämpft haben, Stuttgart ins Rennen um
ie Austragungsstadt für Olympia zu schicken. Jetzt er-
ennen wir fairerweise an, dass Leipzig gewonnen hat,
nd unterstützen diese Bewerbung.
Sie müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass es bei der
teuerlichen Behandlung von Sportgroßveranstaltungen
onkreten Handlungsbedarf gibt. Zum Beispiel geht es
arum, für die Weltreiterspiele 2006 in Aachen – für
eiter das Ereignis überhaupt – ähnliche Beschlüsse zu
assen, wie wir das für die Fußball-Weltmeisterschaft ge-
acht haben. Wir müssen gemeinsam mit den Ländern
in Verfahren entwickeln, damit unsere Sportverbände
eranstaltungen nach Deutschland holen können. Da-
urch würde auch die Bewerbung Leipzigs unterstützt.
Wenn wir das gemeinsam tun, dann werde ich Sie lo-
en. Wenn Sie das nicht mitmachen, dann werde ich mir
ie Freiheit nehmen, das zu kritisieren.
Zur Erwiderung, bitte schön, Frau Kumpf.
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Lieber Kollege Riegert, dass Stuttgart nicht zur Be-
werberstadt Deutschlands für die Olympiade gewählt
wurde, schmerzt mich bis heute besonders. Ich hatte
nämlich schon die 300 Stimmen aus Peking – die genaue
Zahl weiß ich nicht mehr – sicher; das wurde mir seiner-
zeit beim deutsch-chinesischen Menschenrechtsdialog
zugesichert. Deswegen finde ich das schade.
Aber was ich bei meiner Eingangsbemerkung zum
Ausdruck bringen wollte, war: Wenn Sie aus der Opposi-
tion im Bereich des Sports nur Wert darauf legen, dass
Sie bruddeln können, und nicht den Fairplay und die po-
sitiven Elemente würdigen, dann haben wir schlichtweg
schlechte Karten, das gemeinsam auf den Weg zu brin-
gen. Das beziehe ich jetzt auch auf Stuttgart. Stuttgart
war einfach schlecht aufgestellt. Als Mitglied des Kura-
toriums hätte ich mir manchmal mehr Luftigkeit und
Leichtigkeit der politischen Spitze gewünscht. Wir ha-
ben es eben nicht geschafft.
Ich bin aber ganz zuversichtlich: Wir haben eine
Staatssekretärin, die sich in diesen Bereich inzwischen
hervorragend eingearbeitet hat und die großen Respekt
bei den Verbänden genießt; das konnte ich bei meinen
letzten Gesprächen mit Herrn von Richthofen schriftlich
bekommen. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam den
Weg, die Olympiade in Leipzig auszurichten, ebnen kön-
nen, wenn wir uns alle fröhlich, mit Fairplay, mit Mut
und Engagement dahinter stellen. Dazu sind auch Sie
eingeladen. Dann können wir im internationalen Ge-
schäft – die Bruddelei beiseite gelassen – tatsächlich
vorne mitspielen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Sportausschusses zum 10. Sportbericht
der Bundesregierung auf Drucksache 15/952. Der Aus-
schuss empfiehlt, in Kenntnis des Sportberichts der
Bundesregierung auf Drucksache 14/9517 eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Opposition an-
genommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Siebten Buches Sozialge-
setzbuch und des Sozialgerichtsgesetzes
– Drucksache 15/812 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
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Ich erteile dem Kollegen Gerald Weiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.Gerald Weiß (CDU/CSU):Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Kollege Dreßen, es gibt einen – allerdings be-grenzten – Konsens: Die Geschichte der gesetzlichenUnfallversicherung ist insgesamt eine Erfolgsstory. Da-mit sie es bleiben kann, müssen wir kurzfristig und auchmittelfristig wichtige gesetzgeberische Entscheidungentreffen. Sie haben Recht: Die Anzahl der Berufs- undArbeitsunfälle ist, langfristig gesehen, zurückgegangen;die Versicherungsbeiträge sind gemessen an denen in an-deren Sektoren insgesamt relativ stabil. Das ist ein gro-ßer Erfolg der Prävention. Die Prävention ist wiederumein großer Erfolg der Sozialpartnerschaft, also der Part-nerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, inden Berufsgenossenschaften.In einigen Branchen, vor allem in der Bau- und in derTextilwirtschaft, gibt es schwere Strukturkrisen. Dashat dazu geführt, dass immer größere Lücken zwischenBeitragseinnahmen auf der einen Seite und Versiche-rungsleistungen auf der anderen Seite klaffen, dass die-ses Verhältnis sozusagen immer windschiefer wird.Eine Folge dessen ist das Ansteigen von Beitragssät-zen, was diese Betriebe am allerwenigsten verkraftenkönnen. Der Ansatz, der dem vorliegenden Gesetz zu-grunde liegt, ist deshalb richtig: Wir müssen den Lasten-ausgleich zwischen den stärkeren und den schwächerenBranchen verbessern. Dafür wollen wir – Selbstverwal-tung, die Bundesländer und die große Mehrheit der Mit-glieder dieses Hauses – gemeinsam sorgen.Kollege Dreßen, wir sind der Überzeugung, dass dervorliegende Gesetzentwurf hier und heute zwar ein not-wendiger, leider aber kein hinreichender Schritt ist. DasSystem des Lastenausgleichs zwischen den hoch belas-teten Berufsgenossenschaften muss effektiver werden.Der vorgeschlagene Weg zur Verbesserung dieses Las-tenausgleichs wird nicht zum Erfolg führen. Das ist un-sere feste Überzeugung. Für Betriebe, die zum Teil wirk-lich auf der Kippe stehen, geht kostbare Zeit verloren. Indieser Zeit wollen Sie – das haben Sie eben noch einmalzugesichert – die Entwicklung weiter beobachten.gvFaisLbwsAdsegfrssmsdfwu–bVsdembmwEzSSGbnd–srzV
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Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das Aus-
gleichsverfahren der gesetzlichen Unfallversiche-
rung neu gestaltet. Damit kommen wir der Baubranche
entgegen, die in den letzten Jahren durch den Abbau von
Überkapazitäten geschrumpft ist. Hier gibt es einen ho-
hen Bestand an Altfällen – das haben schon meine Kol-
legen dargelegt –, sodass die Einnahmen nicht mehr die
Ausgaben decken. Ich glaube, dass ich auf das Prinzip
und die technischen Einzelheiten nicht näher eingehen
muss, weil das bereits meine Vorredner ausreichend ge-
tan haben.
Ich möchte stattdessen kurz auf einen anderen Teil
des Gesetzespakets eingehen, der auch mit der geplanten
Gesetzesänderung neu geregelt wird. Wir werden durch
eine entsprechende Änderung des Vierten Buchs Sozial-
gesetzbuch die Geringverdienergrenze bei den Ausbil-
dungsverhältnissen wieder auf die ursprüngliche Höhe
von 325 Euro senken. Es hat sich nämlich in den letzten
zwei Monaten gezeigt, dass die zum 1. April dieses Jah-
res wirksam gewordene Anhebung der Geringverdiener-
grenze ein falsches Signal an die Betriebe gegeben hat,
obwohl die Belastung für die Unternehmen maßvoll war.
Gerade in den ostdeutschen Bundesländern wurden die
Arbeitgeber dadurch belastet, dass sie für eine gewisse
Zahl von Ausbildungsverhältnissen, insbesondere im
ersten Ausbildungsjahr, die Sozialversicherungsbeiträge
allein tragen müssen, nachdem das vorher anteilig getra-
gen worden war. Insofern war ihre Belastung vorher ge-
ringer.
Ziel der rot-grünen Bundesregierung ist es, alle
Ausbildungshemmnisse abzubauen, damit die Unter-
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Ich erteile dem Kollegen Heinrich Kolb, FDP-Frak-
ion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Die rot-grüne Koalition hat vor einem Jahr inhrem Koalitionsvertrag eine Reform der gesetzlichennfallversicherung angekündigt. Was Sie uns vorlegen,err Kurth, ist lediglich eine zugegebenermaßen not-endige, aber der Form nach unzureichende Neujustie-ung des Lastenausgleichs zwischen den Berufsgenos-enschaften.
ie müssen sich hier schon die Frage nach der Ernsthaf-igkeit Ihres Reformwillens stellen lassen.
In der Bauindustrie hat die Beitragssatzsteigerung imahr 2002 über 9 Prozent betragen. Unsere Sorge ist – datimme ich dem Kollegen Weiß zu –, dass für diese Bran-he die in Ihrem Entwurf vorgesehene Änderung des Las-enausgleichs nicht ausreichend ist. Wir fragen, warumie Ihnen vom Bundesrat aufgegebene Änderung des176 SGB VII, nämlich die Aufnahme der Altrenten-uote als ausgleichsberechtigten Faktor, in ihrem Ge-etzentwurf nicht berücksichtigt wird. Gerade in denich in der Krise befindlichen Branchen des Landes sindie Rentenaltlasten besonders drückend und bedürfen ei-er Regelung. Die Altrentenquote als Grund für die Frei-tellung reicht nicht aus. Wir brauchen die Altrenten-uote als ausgleichsberechtigten Faktor. Das werden
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Dr. Heinrich L. Kolbauch Sie über kurz oder lang, wahrscheinlich noch imVerlaufe des Jahres, einsehen müssen.Sie haben sich nicht getraut – ich deutete es bereits an –,über diese eher begrenzte Änderung hinaus echte Refor-men in der gesetzlichen Unfallversicherung anzugehen.Das wundert mich umso mehr, als Sie in der Einleitunggeschrieben haben, Herr Kollege Dreßen, alles sei imUmbruch, alles fließe, die Dinge änderten sich. Sie zie-hen daraus aber nicht die Konsequenzen. Jedenfalls ha-ben Sie sich im Ausschuss der von uns angestoßenenDiskussion zu strukturellen Änderungen verweigert.Deswegen sehe ich die Gefahr, dass Sie hier wie auch inanderen Sozialversicherungszweigen die Zeichen derZeit übersehen und erst handeln, wenn es zu spät ist. Dasmuss nicht sein. Die Vorschläge sind auf dem Tisch.Warum wollen wir eine solche strukturelle Änderung?Weil, wie jeder weiß, seit der Einführung der gesetzli-chen Unfallversicherung erstens die Definition desVersicherungsfalls, zweitens der Leistungskatalog unddrittens auch der versicherte Personenkreis zunehmendausgeweitet worden sind. Wir fordern eine klare Diffe-renzierung zwischen dem allgemeinen Lebensrisiko undbetriebsspezifischen Risiken. Wir wollen eine Fokussie-rung des Wegeunfallrisikos durch Präzisierung der Tat-bestände und Umgestaltung auch der finanziellen Absi-cherung. Wir halten eine schärfere Definition desVersicherungsfalls „Berufskrankheit“ durch eine Kon-kretisierung der Tatbestände in der Berufskrankheiten-liste für notwendig.Warum können wir nicht gemeinsam über eine obli-gatorische Abfindung von Renten bei einer Minderungder Erwerbsfähigkeit um weniger als 35 Prozent als Ab-geltung des erlittenen Gesundheitsschadens nachden-ken? Warum können wir nicht über eine Ausrichtung ge-zahlter Verletztenrenten am konkreten Erwerbsschadenund damit auch über eine Relativierung der Pauschalie-rung reden, wie sie in der gesetzlichen Unfallversiche-rung derzeit gang und gäbe ist? Warum können wir nichtüber eine Begrenzung der Zahlung von Verletztenrentenauf die Zeit der Erwerbstätigkeit sprechen?Das alles sind Punkte, die, auch wenn Sie, HerrDreßen, es heute noch nicht wahrhaben wollen,
über kurz oder lang auf der Tagesordnung stehen wer-den. Wir sind zum Dialog bereit, aber diesem relativschmalbrüstigen Änderungsvorschlag, den Sie heutevorlegen, können wir nicht zustimmen. Wir werden unsallenfalls enthalten.Vielen Dank.
Nun hat Kollege Matthäus Strebl, CDU/CSU-Frak-
tion, das Wort.
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Dazu gehört für uns, dass das Bundeswaldgesetz alsRahmenrecht erhalten bleibt. Es dürfen keine weiterenRegulierungen die Handlungsfreiheit der Waldbesitzereinschränken. Erstens gibt es dafür keinen Grund; denndie bestehenden Regelungen haben sich als erfolgreicherwiesen.ZswiBprtWdsstbAnwSuhwtkgwnIgHdkUdwzWdoiBtfarsBgls
weitens ist die Situation auf dem Holzmarkt so ange-pannt, dass bei weiteren Regulierungen notwendiger-eise mit einem Abbau von Arbeitsplätzen zu rechnenst. Das können wir uns nicht leisten.
ei 4,6 Millionen Arbeitslosen ist es geboten, Arbeits-lätze im Land zu halten, und nicht, weitere zu exportie-en, wie das in den Bereichen Transrapid, grüne Gen-echnik, Forschung, Geflügelhaltung und anderenirtschaftsbereichen bereits geschehen ist.Der Waldbesitzerverband teilt die Befürchtungener FDP. Er macht gezielt darauf aufmerksam, dass dietandörtlichen Bedingungen in Deutschland so unter-chiedlich sind, dass die Festschreibung der so genann-en guten fachlichen Praxis in einem Bundesgesetz denesonderen Bedingungen zum Beispiel von Küsten-,u- und Bergwäldern nicht gerecht werden kann. Lawi-enschutz ist in Bayern ein Thema, aber nicht in Schles-ig-Holstein, obwohl es auch bei uns einen Skilift gibt.Der Waldzustandsbericht hat deutlich gemacht, dasschadstoffeinträge die Waldböden großflächig verändertnd in ihrer Funktionsfähigkeit stark beeinträchtigtaben. Dies ist nicht von den Waldbesitzern zu verant-orten. Sie haben daher Anspruch auf eine volle Kos-endeckung bei der Durchführung von Bodenschutzkal-ungen, mit denen Auswirkungen des Schadstoffeintragsemindert werden können.Beim Thema Zertifizierung – auch darüber habenir schon diskutiert – sollte sich die Bundesregierungeutral verhalten. Zertifikate sind marktwirtschaftlichenstrumente. Gleichwohl gilt: Bayern hat nach den An-aben des statistischen Monatsberichtes die höchstenolzpreise, und das ohne FSC-Zertifizierung. Das be-eutet doch wohl, dass dieses Zertifikat auf dem Markteine Anerkennung hat und deshalb auf Ihre politischenterstützung angewiesen ist. Wir fordern von der Bun-esregierung, sich den Forderungen von Greenpeace zuidersetzen und Politik für alle Wälder in Deutschlandu gestalten, nicht nur für die nach FSC-zertifiziertenälder.
Greenpeace hat sich mit seinem Holzmarktführer,er Holz aus Deutschland als gerade einmal akzeptabelder kritisch einstuft, zum Fürsprecher für die Petro-ndustrie gemacht – nach dem Motto: statt heimischeruche oder Fichte aus dem Harz, dann doch lieber Plas-ik vom Rhein. Das hilft unseren Wäldern nicht.Ein Drittel der Fläche Deutschlands ist Wald. Es istür uns keine Frage, dass der Natur- und Artenschutzuch im Wald eine besondere Bedeutung hat. Die Be-ücksichtigung von Natur- und Artenschutz im Waldteht nicht im Widerspruch zu einer erwerbsorientiertenewirtschaftung des Waldes. Es gibt dafür hervorra-ende Beispiele bei uns. Wir brauchen Naturwaldparzel-en im Staatswald, aber auch im Privat- und Körper-chaftswald. Auflagen, die die Bewirtschaftung stark
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Dr. Christel Happach-Kasaneinschränken und damit einen Eingriff in das Eigentumdarstellen, müssen ausgeglichen oder entschädigt wer-den. Das gilt für die Ausweisung von Naturschutzgebie-ten genauso wie für die Ausweisung von FFH-Gebieten,sofern die Bewirtschaftung behindert wird.Es kann nicht sein, dass die vom Grundgesetz vorge-gebene Sozialpflichtigkeit des Eigentums als Deckman-tel benutzt wird, um von Grundeigentümern in immerstärkerem Maße entschädigungslos Eingriffe in das Ei-gentum zu verlangen. Entsprechende Leistungen werdenvon keiner anderen Eigentumsart verlangt.In Deutschland ist die Nutzung des nachwachsendenRohstoffes Holz ein wesentlicher Bestandteil aller An-strengungen hin zu einer nachhaltigen Entwicklung. Dieenergetische Nutzung von Holz ist CO2-neutral. Holz istein hervorragender Baustoff und ein wichtiger Industrie-rohstoff. Die Waldbewirtschaftung und die Holzwirt-schaft schaffen Arbeitsplätze im ländlichen Raum.Ich fasse zusammen: Ohne eine gute Politik für Waldund Holz ist jede Nachhaltigkeitsstrategie auf dem Holz-weg.Ich bitte Sie, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen,und beantrage die Überweisung an den zuständigen Aus-schuss. Die CDU/CSU-Fraktion hat freundlicherweisebereits signalisiert, dass sie mit vielen Thesen dieses An-trages übereinstimmen kann. Ich bedanke mich für diefreundliche Zustimmung genauso wie für diejenige, dieich von anderer Seite erfahren habe.Herzlichen Dank.
Ich erteile Kollegin Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vor-liegende FDP-Antrag befasst sich mit den Wäldern.
Nein, das ist nicht ganz richtig: Der vorliegende Antragbefasst sich mit den Interessen der privaten Waldwirt-schaft, der Waldbesitzer und der Holzwirtschaft.
Der Antrag kommt zwei Monate zu spät,
trifft das Thema nicht und führt uns in der Sache selbstkeinen Schritt weiter.Warum kommt der Antrag zu spät? Am 3. April die-ses Jahres haben wir hier im Bundestag eine Debattezum jährlichen Waldzustandsbericht der Bundesregie-rung geführt. Die SPD und die Grünen haben zu diesemBericht einen gemeinsamen Antrag mit einem umfassen-dArAsnnMCraSptBFdvvasSWbGSdtuKbDfdWd
Einige der Forderungen, die Sie heute stellen, sind be-eits mit unserem Antrag im Mai beschlossen und abge-rbeitet worden.
o haben wir zum Beispiel beschlossen, dass die Prinzi-ien von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit eingehal-en werden sollen, dass im Rahmen der Novellierung desundeswaldgesetzes Verwaltungsvereinfachungen imorstbereich und weitere Förderungsmöglichkeiten fürie Wälder geprüft werden sollen und dass die Nutzungon Holz als nachwachsender Roh- und Baustoff selbst-erständlich gefördert werden soll. Hier kommen Sielso eindeutig zu spät.
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben un-eren Antrag abgelehnt.
ie haben damit die ganz wichtige Chance vertan, für dieälder und die Holzwirtschaft tatsächlich etwas zu ver-essern. Sie haben diese Chance aus rein ideologischenründen vertan.
ie betrachten den Wald nämlich nicht als Ganzes, son-ern beschränken sich auf wenige Teilaspekte. Warumn Sie das? Um die Interessen einer ganz bestimmtenlientel zu befriedigen.
Nicht die privaten Waldbesitzer, sondern der Waldraucht eine starke Lobby.
enn was nützt es, wenn wir die Rahmenbedingungenür die Waldbesitzer und die Unternehmen verbessern,er Wald selbst aber auf der Strecke bleibt?
ir müssen zuallererst die Rahmenbedingungen fürie Wälder verbessern. Denn die Wälder sind – das ist
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Gabriele Hiller-Ohmdoch ganz logisch – die Produktionsgrundlage für dieWaldwirtschaft. Wenn es den Wäldern schlecht geht,dann sieht es auch schlecht für die Waldbesitzer und dieWaldwirtschaft aus.Die FDP verfolgt einen ganz anderen Ansatz. Sie zäu-men das Pferd von hinten auf. Sie betreiben reine Klien-telpolitik, die mit den tatsächlichen Problemen unsererWälder nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.
Was sind die Ursachen für Waldschäden und Wald-sterben? Das sind die hohen Schadstoffeinträge, diedurch die Luft in die Wälder und dann in den Waldbodengelangen und die Waldböden nachhaltig und oft irrepara-bel schädigen.Was haben wir getan, meine Damen und Herren, umdie Situation unserer Wälder zu verbessern?
Wir haben zahlreiche Gesetze und Maßnahmen
zur Luftreinhaltung sowie zum Klima- und zum Um-weltschutz auf den Weg gebracht. Was hat die FDP ge-tan, was haben Sie zu bieten? In Ihrem Antrag steht keinWort zum Klimaschutz.
Auch in der letzten Legislaturperiode war von Ihnen zudiesem Thema so gut wie nichts zu hören. Ich kann michjedenfalls nicht daran erinnern.
Von den Maßnahmen, die wir gemeinsam mit denGrünen auf den Weg gebracht haben, haben Sie nichteine einzige mitgetragen. Erneuerbare-Energien-Gesetz– abgelehnt, Ökosteuer – abgelehnt,
Schutz und Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung – abge-lehnt, Energieeinsparverordnung – abgelehnt, Programmezur Wohnraummodernisierung und zur CO2-Gebäude-sanierung – ebenfalls abgelehnt.Zum Glück sind wir im Bundestag nicht auf die Stim-men der FDP angewiesen. So konnten wir unsere Initia-tiven durchbringen. Sonst sähe es für unsere Wälder sehrtraurig aus.So ist die Politik der FDP: Anstatt Ursachen anzupa-cken, doktern Sie allenfalls an den Symptomen herum.
So wollen Sie jetzt eine Ausweitung der Kalkung undDüngung der Waldböden. Brauchen wir eine Auswei-tung, meine Damen und Herren? – Nein, wir brauchenkeine Ausweitung.dLbejidknDKdSSsPPsarsMiGHlWüisebSrK
as ist ein enormes Engagement der öffentlichen Hand.aum ein anderer Bereich kann auf einen so hohen För-ersatz auch nur hoffen.
ie sehen also, es wird sehr viel getan. Es sind allesteuermittel – das vergisst man leicht –, die hier einge-etzt werden, vor allem zur Strukturverbesserung beimrivatwald.Es ist schon erstaunlich, dass die FDP an diesemunkt Subventionen fordert. Ansonsten sind Sie doch soehr gegen die Einmischung des Staates in Wirtschafts-bläufe und für das freie Spiel der Kräfte. Wirklich ge-adlinig scheinen Sie beim Thema Subventionen nicht zuein.
ir ist noch sehr gut die Diskussion über die Apothekern Erinnerung.
Eigentlich ist es schade, dass wir überhaupt so vieleld zur Sanierung der Waldböden aufbringen müssen.ätten wir über die Jahrzehnte eine gute Klimaschutzpo-itik betrieben, dann wäre das nicht nötig.
arum, Herr Kollege, versauern die Waldböden dennberhaupt? – Sie versauern, weil die Luftschadstoffe nochmmer zu hoch sind, womit wir wieder bei der Luftver-chmutzung wären. Deshalb ist wichtig, dass wir zualler-rst eine konsequente Umwelt- und Klimaschutzpolitiketreiben – runter mit den Schadstoffen, runter mittickstoffoxiden, runter mit Ammoniak.
Die FDP verweigert sich hier, und zwar weil ein kla-es Bekenntnis zur Umwelt- und Klimaschutzpolitik ihrelientel in der Wirtschaft mit Sicherheit verprellen
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Gabriele Hiller-Ohmwürde. Deshalb verhalten Sie sich hier so, meine Damenund Herren von der FDP. So machen Sie Politik. Sienützt sehr wenig und den Wäldern mit Sicherheit garnicht.
Sie fordern in Ihrem Antrag nicht nur die Verbesse-rung der Rahmenbedingungen für Waldbesitzer und Un-ternehmen, sondern auch die Stärkung der Eigentums-rechte.
Was heißt das? Bedeutet eine Stärkung der Eigentums-rechte auch mehr Pflichten? Uns allen ist ja der Satz „Ei-gentum verpflichtet“ bekannt – aber nicht der FDP. Siefordern uneingeschränkte Freiheit für private Waldbesit-zer, die Abschaffung von Auflagen und Vorschriften.
Sie haben auch eine Begründung geliefert. Sie be-gründen Ihre Forderung mit dem traditionell vorbildli-chen Verhalten der Waldbesitzer, vor allem der privatenWaldbesitzer.
Ich finde es sehr gut – wir alle begrüßen das –, dass inder Forstwirtschaft seit Jahren und Jahrzehnten, ja sogarseit Jahrhunderten so vorbildlich und nachhaltig gewirt-schaftet wird.
Ich bin mir aber ganz sicher, dass ohne politische Vorga-ben zum Beispiel zur Zertifizierung und ohne Festset-zung von Standards unsere Wälder nicht so gut bewirt-schaftet werden könnten, wie sie es heute werden.
Es ist übrigens unser politischer Auftrag, Standardsvorzugeben und die Wälder eben nicht dem freien Spielder Kräfte zu überlassen. Um Zweifel auszuräumen, dieSie eventuell haben könnten, zitiere ich aus der Urteils-begründung des Bundesverfassungsgerichts, das sich mitdem Wirtschaftsziel im öffentlichen Wald auseinander-gesetzt hat. Hier heißt es:Die Forstpolitik der Bundesregierung ist wenigerauf Marktpflege ausgerichtet: Sie dient vor allemder Erhaltung des Waldes als ökologischem Aus-gleichsraum für Klima, Luft und Wasser, für dieTier- und Pflanzenwelt sowie für die Erholung derBevölkerung … Die staatliche Forstpolitik fördertim Gegensatz zur Landwirtschaftspolitik wenigerdie Betriebe und die Absetzbarkeit ihrer Produkteals vielmehr die Leistungsfähigkeit des Naturhaus-haltes.
urMFaClSguDsdUkbtenhsnWgkdvz3ntrNo
Ich erteile das Wort dem Kollegen Georg Schirmbeck,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Hiller-Ohm, ich habe zu diesem Thema schonange nicht mehr so viel wirres Zeug gehört.
ie haben noch nicht einmal die Überschrift des Antra-es richtig gelesen. Es geht um deutsche Forstwirtschaftnd nicht um Klientelpolitik. 800 000 Menschen ineutschland leben von der Forstwirtschaft. Sie erwirt-chaften einen Anteil am Bruttosozialprodukt in Milliar-enhöhe.
m diese Menschen haben wir uns zu kümmern. Ichenne Kollegen, die, wenn ein Sägewerk Pleite macht,etroffen dastehen und Krokodilstränen weinen. Sie soll-n sich aber vorher um dieses Thema kümmern.Sie haben gesagt, die FDP hätte in der Vergangenheitichts für den Umweltschutz getan. Ich frage Sie: Werat denn in den 70er-Jahren die Einführung des Kataly-ators verhindert? – Das waren Sie! – Erst 1982 mit dereuen Regierung wurde der Katalysator Pflicht.
er hat denn die Verordnung über Großfeuerungsanla-en eingeführt? – Das war die Regierung unter Bundes-anzler Helmut Kohl! In den 70er-Jahren unter den Bun-eskanzlern Brandt und Schmidt haben Sie dasersäumt. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.Sehen Sie sich die Situation in den Mittelgebirgen an,um Beispiel im Teutoburger Wald in Niedersachsen. In31 Meter Höhe hat man festgestellt, dass sich dort in ei-em Meter Tiefe im Grundwasser 150 Milligramm Ni-at befinden.
iemand kann behaupten, dass diese durch Düngungder durch Gülle dort hinkommen. Man kann wissen-
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Georg Schirmbeckschaftlich beweisen, dass dort der durch die Luft trans-portierte Schmutz aus dem Ruhrgebiet und von Belgienabregnet. Sie haben in den 70er-Jahren versäumt, dieGesetze mit den entsprechenden technischen Anforde-rungen für die Industrie zu beschließen. Das sind Fakten.Heute müssen wir die Sünden, die damals begangenworden sind, beseitigen, beispielsweise durch das Kal-ken des Waldes. Die Waldbesitzer haben an der Luftver-schmutzung aber keine Schuld. Ich frage Sie: Warumsollten diese sich an der Schadensbeseitigung beteiligenund 10 Prozent der Kosten übernehmen?Sie haben gesagt, Sie hätten 10 Millionen Euro für dieWaldkalkung eingeplant. Sie werden feststellen, dassdiese Mittel nicht abfließen werden, weil die Kommunenund die anderen Träger, die sich bisher beteiligt haben,ihren Anteil von 10 Prozent nicht mehr aufbringen kön-nen. Sie haben zwar einen Mittelansatz, sind aber insge-heim froh darüber, dass die Mittel nicht abfließen wer-den. Sie tun so, als würden Sie mit Ihren Beschlüssenirgendetwas bewegen.
In Wirklichkeit bewegen Sie nichts. Ihr Motto scheint zulauten: Es ist alles im Umbruch, aber bewegen tut sichnichts.
Sie haben uns Klientelpolitik vorgeworfen. Es gibt1,3 Millionen Waldbesitzer. Im Durchschnitt besitzt einWaldbesitzer 3,5 Hektar Wald. Wir betreiben doch keineKlientelpolitik! Sie stellen die Behauptung in den Raum,als gäbe es ein paar Großgrundbesitzer in Deutschland,für die die FDP kämpft. Nein, es ist eine große Bevölke-rungsgruppe. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass dieZahl der Waldbesitzer wächst und dass die Waldfläche inDeutschland wächst.Ferner wollen Sie unsere Wälder unter Schutz stellen.Dazu breiten Sie hier irgendwelche ideologischen Vor-stellungen aus. Was wollen Sie eigentlich unter Schutzstellen? Die Wälder sind offensichtlich so gut, dass Siesie schützen wollen. Lassen Sie die Leute doch in Ruhe,wenn Sie ihnen schon nicht helfen können! Wenn Sie ih-nen kein Geld geben, dann lassen Sie den bürokratischenSchnickschnack, den Sie auf den Weg bringen, einfachweg!
Sie zitieren Ihre Freunde von Greenpeace, die einenHolzführer auf den Markt gebracht haben. Da wird emp-fohlen, Holz aus Fichte und Kiefer nicht wirtschaftlichzu nutzen. Was da erzählt wird, ist abstrus. Ich weißnicht, woher die ihre fachmännischen Kenntnisse haben.In Deutschland wird seit 200 Jahren auf wissenschaft-licher Basis Forstwirtschaft betrieben. Wir haben diebesten Experten in der Welt. Da brauchen wir nichtGreenpeace oder irgendwelche Ideologen, die etwasFantastisches erzählen. Das hilft niemandem.
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Meine Damen und Herren, zunehmend wird aufrenzertragsböden aufgeforstet. Die Leute, die das ma-hen, brauchen Unterstützung. Wir haben Preise von950. Ein wirtschaftlicher Spielraum, so etwas aus Erträ-en zu finanzieren, ist nicht vorhanden. Deshalb brau-hen wir da Ihre Unterstützung.Ich finde es gut, wenn Sie sagen: Wir wollen eineolzcharta. Sie ist ja auch in der Regierungserklärungngekündigt worden. Das ist ein Schritt in die richtigeichtung, wenn Sie sie konkret vorstellen. Wir fordernas nach wie vor. Den Leuten muss klar gemacht wer-en, was man mit dem idealen Produkt Holz alles ma-hen kann.Wir sind auch für die energetische Nutzung von Holz,enn Sie die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.ber wir brauchen keine ideologiebefrachtete Zertifi-ierung. Wir stellen fest: 60 Prozent der deutschen Wäl-er sind nach PEFC zertifiziert. Wie kann denn die Bun-esregierung einseitig den FSC fördern, der vielleichtoder 3 Prozent der Waldflächen zertifiziert hat? Sieaben im Greenpeace-Holzführer gesehen, was auf an-eblich wissenschaftlicher Grundlage an Abstrusem ver-reitet wird. Da greifen Sie einseitig in marktwirtschaft-iches Geschehen ein, was dem Wald und allen, die iner Forstwirtschaft konstruktiv arbeiten, wirklich scha-et.
Sie sagen: Wir brauchen Naturschutzgebiete, beson-ers geschützte Flächen im Wald, beispielsweise FFH-ebiete. – Darüber kann man sich unterhalten. Aberenn man in das Eigentum eingreift, dann muss manich auch Gedanken machen, wie man diese Eingriffeusgleicht. Ich bin dankbar, dass Staatssekretärerninger auf dem 1. Deutschen Waldgipfel angekündigt
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4530 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
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Georg Schirmbeckhat, die Bundesregierung wolle da etwas tun. Wir wartenauf die entsprechenden Ansätze.Meine Damen und Herren, Forstpolitik muss auch inEuropa ein Thema werden. Denn europäische Umwelt-gesetze und europäische Politik überhaupt beeinträchti-gen die Land- und Forstwirtschaft. Deshalb muss diesauch Thema auf europäischer Ebene sein.Wir reden immer von der Nutz-, Schutz- und Erho-lungsfunktion des Waldes. Unsere Wälder sind – bei al-len Problemen, die wir haben – sehenswert. Es wird dortviel auf den Weg gebracht. Wenn wir die Schutzfunktionund die Erholungsfunktion stärken wollen, dann müssenwir vor allen Dingen dafür sorgen, dass auch die Wirt-schaftlichkeit, die Nutzfunktion, gestärkt wird. Dann istuns um den deutschen Wald nicht bange. Wenn Sie dasaber nur mit bürokratischen Regelungen und ideologi-schen Sprüchen erreichen wollen, dann tun Sie nichts fürden deutschen Wald, sondern schädigen ihn.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Cornelia Behm, Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich bin ganz erstaunt, mit wie viel Emotionman in diesem Hause die Forstwirtschaft diskutiert. Ichfreue mich darauf, dass wir mit vielleicht genauso vielEmotion, aber noch mehr Engagement gemeinsam dasBundeswaldgesetz novellieren.
– Eben. Das ist ein sehr guter Vorschlag. Ich bin sehr da-für, dass wir diese außen vor lassen.Frau Happach-Kasan, in der Präambel ihres Antragesspricht die FDP von dem seit Generationen nachhaltigbewirtschafteten Wald. An dieser Stelle wird ganz deut-lich, was uns in der Waldpolitik von Ihnen trennt. Füruns Bündnisgrüne ist es nämlich völlig abwegig, die seitGenerationen begründeten Monokulturen und Alters-klassenwälder standortfremder Kiefern und Fichten alsIdealbild nachhaltiger Forstwirtschaft anzusehen.
Wir wollen die naturnahe Waldwirtschaft vorantrei-ben. Genau das, so scheint mir, wollen Sie verhindern.Das haben Sie einmal mehr mit Ihrem Antrag deutlichgemacht.Es ist richtig: Die deutsche Forstwirtschaft hat vorGenerationen die Wiederaufforstung eingeführt und istbis heute mit Recht stolz darauf, damit das Prinzip derNachhaltigkeit eingeführt zu haben. Da sind wir d'ac-cord. Dies war in der Tat ein Fortschritt. Unser heutigesVerständnis von ökologischer, sozialer und ökonomi-sfhBmvDkdwwdDvgeSbv–abtDnedggDwWdsdMUwdwbw
Das steht so im Antrag.Der Staat hat als Marktakteur die Pflicht, seiner Ver-ntwortung im Kampf gegen den internationalen Raub-au am Wald und für eine nachhaltige Waldbewirtschaf-ung gerecht zu werden.
eswegen sollten sich auch die Länder und die Kommu-en bei der Holzproduktion und der Holzbeschaffung fürin Zertifizierungssystem mit hohem ökologischen Stan-ard entscheiden.Sie plädieren richtigerweise für Bodenschutzkalkun-en. Diese werden aus Mitteln der Gemeinschaftsauf-abe zu 90 Prozent bezuschusst.
ieser Anteil sollte meiner Meinung nach nicht erhöhterden, und zwar aus folgendem Grund: Nur wenn diealdbesitzer einen Eigenanteil erbringen müssen, wer-en sie sich die ökonomische Frage „Ist die Kalkung tat-ächlich nötig?“ ernsthaft stellen. Probleme könnte esann allerdings geben, wenn die Bundesländer dieseaßnahmen nicht ausreichend gegenfinanzieren.
ns sind aber bisher keine Klagen darüber vorgetragenorden,
ass Waldbesitzern Anträge auf Kalkung nicht bewilligturden. Sollte sich erweisen, dass es tatsächlich Wald-esitzer gibt, die keine Förderung erhalten, dann solltenir darauf drängen, dass die betreffenden Länder
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003 4531
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Cornelia Behm
die Bodenschutzkalkung im Rahmen der GAK mehr för-dern.Meine Damen und Herren, im Bundeswaldgesetzheißt es, dass der Wald ordnungsgemäß und nachhaltigbewirtschaftet werden soll. Im Bundesnaturschutzgesetzist festgelegt, dass die Forstwirtschaft naturnahe Wälderaufbauen und diese ohne Kahlschläge nachhaltig bewirt-schaften muss. Sie muss einen hinreichenden Anteilstandortheimischer Baumarten einhalten. Dies ist derbisherige Mindeststandard im Bundesrecht. Wir Bünd-nisgrüne halten es in der Tat für notwendig, die Kriteriender ordnungsgemäßen und nachhaltigen Forstwirtschaftim Bundeswaldgesetz weiter zu konkretisieren.Wir sind uns aber sehr wohl bewusst, dass dabei öko-nomische Grenzen beachtet werden müssen. Wir werdendaher die Ergebnisse der Studie zu den ökonomischenAuswirkungen durch die Vorschläge zur guten fachli-chen Praxis sehr genau prüfen.Letztlich sollten nur die ökologischen Ansprüche, diemit einem ökonomischen Betrieb vereinbar sind, alsMindeststandards festgeschrieben werden. Darüber hi-nausgehende naturschutzfachliche Ansprüche solltenhingegen durch Förderung, Ausgleichszahlungen oderVertragsnaturschutz realisiert werden. Die Förderungdes Waldbaus muss entsprechend angepasst werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP will aufjegliche Mindeststandards verzichten, weil die Waldbe-sitzer, wie sie sagt, bewiesen hätten, dass sie den gesell-schaftlichen Ansprüchen bereits gerecht werden.
In der Tat gibt es in Deutschland einen Fortschritt hin zumehr naturnaher Waldwirtschaft. Frau Happach-Kasan,Sie wissen aber doch genauso gut wie ich, dass es nachwie vor sehr viele Waldbesitzer und Forstwirte gibt, diean den alten Standards der Forstwirtschaft festhaltenwollen und keinen Grund für ein Umdenken sehen. Des-halb brauchen wir die Standards der guten fachlichenPraxis.Danke schön.
Als letzter Redner des heutigen Tages hat nun Kol-
lege Albert Deß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Kollegin Hiller-Ohm, im Ausschuss habe ich SiebezrdCsDnWeAfbcddsoswkGBSdüAwmLWddnNewüGeewsb8fWW
Metadaten/Kopzeile:
4532 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. Juni 2003
(C)
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Ich kann mich diesem Wunsch nur anschließen.
Die Aussprache ist beendet. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/941 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
nicht für Deutschland, aber für Bayern habe ich sie im
Kopf –, dass in den letzten zehn Jahren durch Auffors-
tung und Neuanpflanzung zusätzlich über 100 000 Hektar
neuer Wald geschaffen wurde. Das heißt, der Wald in
Deutschland wird im Gegensatz zu anderen Ländern
nicht mehr vernichtet, sondern die Waldfläche wird aus-
gedehnt. Der FDP-Antrag ist meiner Ansicht nach dazu
geeignet, der Forstwirtschaft insgesamt wieder mehr
Wertschöpfung zu verschaffen; denn unsere Waldbauern
sind auf Wertschöpfung angewiesen, wenn sie auch in
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rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 2. Juli 2003, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Folgen
ie dem Rat des Kollegen Deß und gehen Sie im Wald
pazieren.
Die Sitzung ist geschlossen.