Gesamtes Protokol
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 sowie die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
14. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Versorgungsberichts
- Drucksache 13/9527 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/10322 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Meinrad Belle Fritz Rudolf Körper
Dr. Antje Vollmer
Max Stadler
Maritta Böttcher
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/10323 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth Ina Albowitz
Uta Titze-Stecher
Oswald Metzger
Maritta Böttcher
ZP8 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die im Kalenderjahr 1993 erbrachten Versorgungsleistungen im öffentlichen Dienst sowie über die Entwicklung der Versorgungsausgaben in den nächsten 15 Jahren - Versorgungsbericht
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Andrea Fischer , Oswald Metzger, Marina Steindor und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Modernisierung von Beamtenrecht und Beamtenversorgung
- Drucksachen 13/5840, 13/6153 Nr. 2, 13/ 9622, 13/10322 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth Ina Albowitz
Uta Titze-Stecher
Oswald Metzger
Maritta Böttcher
ZP9 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Versorgungsrücklage des Bundes
- Drucksache 13/10282 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Erwin Marschewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der öffentliche Dienst mit mehr als 6 Millionen Mitarbeitern ist eine der wichtigsten Branchen der deutschen Volkswirtschaft und mitentscheidend für den Standort Deutschland.
Vorweg: Dieser öffentliche Dienst hat sich bewährt. Damals noch zwischen Tradition und Reform, hatte der öffentliche Dienst einen wesentlichen Anteil
Erwin Marschewski
daran, daß Deutschland zu einem hervorragenden Wirtschaftsstandort wurde, aber auch zu einem Land mit hoher Rechtssicherheit und mit großer Verläßlichkeit des Verwaltungshandelns.
Nicht zuletzt wäre die immense Aufgabe der deutschen Einheit ohne das hohe Niveau der Beamten und ohne ihren enormen Einsatz nicht zu bewältigen gewesen.
Dennoch sind Reformen vonnöten: Wir haben zu viele Gesetze, wir haben zu komplizierte Verwaltungsabläufe, wir brauchen mehr Flexibilität und Mobilität, und wir müssen die sehr hohen Kosten dämpfen. Deswegen wollen wir heute die größte Reform des öffentlichen Dienstes nach dem Kriege abschließen. Wir wollen nichts Bewährtes umstürzen, vielmehr wollen wir Überholtes und nicht mehr Zeitgerechtes reformieren. Dieser Reformweg besteht aus drei Schritten:
Zum einen ziehen wir die Konsequenzen aus der Arbeit der Expertenkommission „Schlanker Staat", die vom Kollegen Scholz in so hervorragender Weise verwaltet worden ist,
indem wir unter anderem die Staatstätigkeit reduzieren und Gesetze mit einem Legitimations- und Bedürfniszwang versehen.
Zweitens. Durch die Reform des öffentlichen Dienstrechtes haben wir das Leistungsprinzip verstärkt, wir haben die Mobilität erhöht, und wir wollen die Zahl von Frühpensionierungen vermindern. Dabei gilt für uns der Grundsatz: Wir wollen die Beamtenschaft, den Status des Beamten erhalten. Zum einen sind Beamte kostengünstiger als Angestellte. Das ist wichtig. Aber noch wichtiger ist, daß wir das ständige Funktionieren staatlichen Handelns zugunsten der Bürger garantieren wollen. Deshalb wollen wir Beamte, die kein Streikrecht haben.
Daher sind wir auch dagegen, das Berufsbeamtentum abzuschaffen, wie es Frau Simonis und Teile der Grünen fordern. Wir sind auch dagegen, eine Beschränkung der Verbeamtungen auf den hoheitlichen Bereich vorzunehmen, was immer das auch sein mag.
Drittens verabschieden wir heute, meine Damen und Herren, das dritte große Gesetz, das Versorgungsreformgesetz für Beamte. Wir sind dazu aus demographischen Gründen gezwungen. Die Versorgungsleistungen, die im Augenblick 34 Milliarden DM betragen, werden im Jahre 2025 rund 125 Milliarden DM betragen. Dabei meinen wir, daß wir diese Versorgungskosten durch wirksame Korrekturen im System angemessen begrenzen können. Was sich bewährt hat, das verändert man nicht. Wenn weiterhin 75 Prozent der Aktivenbezüge als Pension gezahlt werden sollen - und das wollen wir -, dann müssen wir natürlich die Bauteile der Pensionen verändern. Dabei verhalten wir uns, soweit das eben systemgerecht möglich ist, wie im Rentenrecht - wie es auch im Dienstrechtsreformgesetz der Fall war.
Heute werden wir mit dem Entwurf des Versorgungsreformgesetzes vorschlagen, das Zulagenwesen neu zu ordnen und zu straffen. Wir werden die Wartefrist für die Versorgung aus dem letzten Beförderungsamt verlängern. Wir werden die Hinzuverdienstregelungen verändern und vor allen Dingen auch eine Begrenzung der Pensionen politischer Beamter vornehmen. Denn Fälle wie die des GrünenStaatssekretärs Schädler aus Hessen, der drei Monate Dienst gemacht hat und dann 660 000 DM Pension kassiert hat, darf und wird es nicht mehr geben.
Neu und besonders wichtig ist die Bildung der Versorgungsrücklage aus Einsparbeträgen der Besoldungs- und Versorgungsempfänger. Dabei wird ein Teil der Bezügeanpassung eingespart und einer Sonderrücklage zugeführt. Der dann in 2013 auf 62 Milliarden DM angesparte Betrag darf gesetzlich nur zur Zahlung der gestiegenen Pensionskosten verwendet werden.
Diese Veränderungen des öffentlichen Dienstes werden zur Steigerung von Leistung und Motivation führen. Für den einzelnen Beamten werden diese Veränderungen auch finanzielle Auswirkungen haben. Dies ist zwar bedauerlich, aber ich meine, es ist notwendig. Es ist die einzige Möglichkeit, Einsparungen zu erzielen.
Weder Reformen noch Einsparungen lassen sich jedoch mit den Forderungen der Grünen erreichen. Sie wollen den - ich zitiere - „Obrigkeitsstaat" in einen sogenannten „Dienstleistungsbetrieb für die Bürgergesellschaft" umwandeln.
Was das im einzelnen auch bedeuten mag, Frau Kollegin: Mit absurden verbalen Forderungen nach radikalen Gesamtlösungen ist nichts gewonnen. Das gehört in die Kiste Spritpreise, das gehört in die Kiste NATO-Beschlüsse, das gehört in die Kiste Flugreisen. Damit ist überhaupt nichts gewonnen, Frau Kollegin.
Das ist kein tragbares Gegenkonzept zu unserem Reformprogramm, das vom Bundesinnenminister in so hervorragender Weise
erarbeitet worden ist.
Und was die SPD betrifft, Herr Kollege Penner: Sie haben mit uns gemeinsam das Dienstrechtsreformge-
Erwin Marschewski
setz - wenn auch erst im Vermittlungsausschuß; sehr spät, wie öfter - beschlossen.
Das war gut so; denn ich meine, diese Reform ist eine Sache des gesamten Parlamentes. Im Pensionsbereich haben Sie jetzt zwar die Ursachen erkannt und die Notwendigkeit einer Reform akzeptiert; Ihr Nein im Innenausschuß bedeutet aber, daß Sie sich der Verantwortung entziehen.
Nur zu sagen, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, „Ich bin bereit!" - das sind Sie ja hier noch nicht einmal -,
reicht nicht aus.
Wir als Regierungsfraktionen werden diesen Entwurf alleine tragen. Denn wir wissen: Der öffentliche Dienst muß fitgemacht werden für das Jahr 2000 und darüber hinaus. Nur wer dies nicht will, verweigert hier seine Zustimmung.
Herzlichen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Fritz Rudolf Körper.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sollten zu diesem Gesetzentwurf keine Grundsatzdebatte über das Thema „öffentlicher Dienst" führen. Das haben wir gerade vor kurzem getan. Nur zwei Vorbemerkungen: Erstens. Wenn man Frau Heide Simonis, die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, zitiert, dann sollte man sie richtig zitieren. Sie hat sich nie für die Abschaffung des Beamtentums ausgesprochen,
sondern lediglich für die Beschränkung auf den sogenannten hoheitlichen Bereich. Ich denke, so etwas muß korrekterweise hinzugefügt werden.
Zweitens zur Qualität der Beratungen über das Versorgungsreformgesetz: Die Beratungsvorgänge sprechen nicht unbedingt für Qualität.
Beispielsweise wurde vorgestern morgen im Innenausschuß ein sage und schreibe 25 seitiger Änderungsantrag vorgelegt.
- Herr Penner gibt einen richtigen Hinweis. Ich habe mich vertan. Es waren nicht 25, sondern 27 Seiten.
Diese Vorgehensweise ist nicht Ausdruck sorgsamer Beratung.
Es zeigt sich ja auch heute - ich sage das mit einer gewissen Gelassenheit -, daß wieder ein Änderungsantrag, wenn auch nur ein kleiner, nachgeschoben werden muß, weil sich eben wieder gezeigt hat, daß die Art und Weise der Beratung nicht unbedingt für die Qualität der Arbeit der Koalition spricht.
Rentenversicherungssysteme und Versorgungssysteme stehen in einem sehr engen Zusammenhang. Es gibt dabei zum Teil auch die gleichen Probleme und Herausforderungen. In den Versorgungsfragen hat es natürlich auch eine Rolle gespielt, wie sich der demographische Wandel darstellt. Die Bundesregierung - das sage ich auch wohlwollend - hat mit dem Versorgungsbericht eine, so glaube ich, gute Grundlage geschaffen, aus der man erkennen kann, wie sich unsere Versorgungssysteme entwickeln.
Aber bezeichnenderweise stellt man in diesem Versorgungsbericht fest, daß im Jahre 1975 die sogenannte Versorgungsquote ungefähr 1,74 Prozent betrug. Das wird, in die Zukunft gerechnet, als eine sehr problematische Zone betrachtet. Aber im Jahre 1975 hatten wir überhaupt keine Diskussion über das Thema „Versorgungsquote". Daran wird deutlich, daß das Hauptproblem darin besteht, in welch eine schwierige Situation diese Bundesregierung die öffentlichen Haushalte geführt hat. Da liegen die Ursachen.
Ich hätte Ihnen auch die Empfehlung gegeben, Herr Belle, es nicht „Versorgungsreformgesetz" zu nennen. Lieber wäre uns ein Titel wie „Einspargesetz" oder so etwas gewesen. Denn eines ist ganz klar: Um Reform handelt es sich im Grunde genommen nicht, sondern es handelt sich schlichtweg um einige Einsparmaßnahmen, um die Zukunft zu bewältigen.
Es kommt ja zu dem sogenannten demographischen Wandel noch hinzu, daß wir Mitte der 60er bis Mitte der 70er Jahre eine verstärkte Einstellungspraxis im öffentlichen Bereich - ob auf Länderebene, ob auf Bundesebene oder auch auf kommunaler Ebene - hatten. Das war übrigens völlig unabhängig davon, unter welcher Federführung beispielsweise eine Landesregierung stand. Nein, das war politisch gewollt. Man darf heute und in der Zukunft die Betroffenen
Fritz Rudolf Körper
nicht verantwortlich machen, wenn sich Schwierigkeiten für die Versorgungssysteme ergeben.
Versorgungssysteme und Rentenversicherungssysteme stehen in einem sehr engen Zusammenhang. In der Rentenversicherung finanzieren die aktiv Beschäftigten mit ihren Beiträgen von heute diejenigen, die Rente beziehen. Im Grunde genommen liegt das bei der Beamtenversorgung ähnlich. Auch hier werden laufende Pensionen aus dem Personaletat von heute finanziert. Dieses Modell hat - ich verweise noch einmal auf das Jahr 1975 - lange Zeit ohne große Diskussion funktioniert. Aber es gerät angesichts der schwierigen öffentlichen Haushaltslage immer mehr ins Rutschen.
Deswegen - wir wollen uns heute ganz bewußt sehr differenziert mit diesem Gesetzentwurf auseinandersetzen - ist der Versuch, ein Stück Zukunftssicherung durch die Einführung einer sogenannten Versorgungsrücklage zu betreiben, ein richtiger Weg. Das haben wir auch in den Beratungen deutlich gemacht.
Wir sind auch der Auffassung, daß es richtig ist, den Begriff „Beitrag" in diesem Gesetzentwurf zu streichen,
was auch erfolgt ist, weil es sich bei diesen Maßnahmen im Grunde genommen nicht um einen Systemwechsel handelt, sondern um Veränderungen im System.
Das sollte man auch nicht durch falsche Vokabeln belasten.
- Ich kann nicht ausgeschlossen werden, weil ich nicht Mitglied der ÖTV bin, lieber Kollege Marschewski.
Der Versorgungsbericht zeigt auch - ähnlich übrigens wie bei der Rentenversicherung -, daß wir nach dem Jahre 2015 ganz schwierige Jahre bekommen werden. Dafür ist das sogenannte Untertunnelungsmodell - ich weiß nicht, wer diese Vokabel erfunden hat - vorgesehen.
Ich will mich nicht auf den Streit einlassen, meine Damen und Herren, ob diese Beträge ausreichend sind oder nicht. Aber sehr bedeutsam ist schon, daß auch der Deutsche Beamtenbund einen Handlungsbedarf nicht in Abrede gestellt hat. Er hat nur ein anderes Modell vorgeschlagen. Aber daraus wird deutlich, daß auch hier ein Änderungsbedarf gesehen wird.
Herr Körper, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Penner?
Gerne.
Herr Kollege Körper, Handlungsbedarf ist mein Stichwort. Es haben ja ganz viele Handlungsbedarf angemeldet. Besonders hat die Ebene der Länder Handlungsbedarf angemeldet, auch deshalb, weil die Länder den größten Teil der Personal- und Versorgungskosten zu zahlen haben. Was halten Sie, Herr Kollege Körper, denn davon, daß der Bundesrat hier so „zahlreich" vertreten ist?
Lieber Kollege Penner, Handlungsbedarf ist in der Tat vorhanden. Jeder ist für sein eigenes Tun verantwortlich, so auch die Mitglieder des Bundesrates. Weiter habe ich das nicht zu kommentieren.
- Lieber Kollege Scholz, Sie kennen meine Milde. Auch da lasse ich Milde walten. Ich denke, das ist auch gut so.
Ich möchte aber noch auf etwas eingehen, was ich ein bißchen schade gefunden habe. Sie hatten in Ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf zumindest als Zielformulierung auch die inhalts- und zeitgleiche Übernahme und Anpassung an die jeweiligen Tarifergebnisse. Das haben Sie leider herausgenommen.
Wir jedenfalls sind der Auffassung, daß das gefundene Verfahren mit der Versorgungsrücklage und auch mit der zeit- und inhaltsgleichen Übernahme der Tarifergebnisse für den Beamtenbereich den Betroffenen und der Öffentlichkeit mehr Transparenz böte. Wie war es denn in der Vergangenheit, meine Damen und Herren? Die Besoldung im Beamtenbereich wurde entweder vier Monate oder sechs Monate oder wie auch immer verspätet angepaßt - mit der Begründung, das sei ein Beitrag für die Versorgung. Zwölf Monate später, wenn dies wiederum anstand, war das in der Öffentlichkeit längst vergessen, und die Diskussion begann von neuem. Deswegen ist es wichtig, daß man transparente Verfahren findet, die in der Öffentlichkeit objektiv und sachgerecht zur Kenntnis genommen werden.
Fritz Rudolf Körper
Ich komme nun dazu, warum wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
- Da braucht man nicht gespannt zu sein. Ich habe auf den Zusammenhang zwischen Rentenversicherung und Versorgungssystemen hingewiesen. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, haben auch bei der Diskussion um die Rentenversicherungssysteme die Regelungen im Schwerbehindertenbereich und zur Erwerbsunfähigkeit, die hier mit der Dienstunfähigkeit gleichzusetzen ist, sehr deutlich abgelehnt. Sie sehen eine Abschlagsregelung mit Übergangszeiten für den Bereich der Schwerbehinderten und im Falle der Dienstunfähigkeit vor. Was wir beispielsweise in der Rentendiskussion abgelehnt haben, müssen wir auch an dieser Stelle ablehnen, weil wir nicht einsehen, daß Schwerkranke, Schwerbehinderte und chronisch Kranke noch für ihr Schicksal bestraft werden.
Eine Gleichbehandlung in der Schlechterstellung ist für uns nicht akzeptabel. Wer unsere Verhandlungsposition kennt, den wird das nicht überraschen. Das habe ich auch den Kolleginnen und Kollegen in dem Gespräch, das wir geführt haben, deutlich gemacht.
Im übrigen halten wir es auch nicht für angebracht, in diesem Gesetz die Anwärterbezüge zu streichen. Im Grunde gehören auch diese Maßnahmen nicht in diesen Gesetzentwurf hinein.
Dies ist auch ein Grund für unsere ablehnende Haltung.
Ich bin sehr froh, daß die Koalition in den Gesprächen auch zu dem Ergebnis gekommen ist, es nicht bei der Heraufsetzung der besonderen Altersgrenze im Bereich von Polizei, Feuerwehr und Justiz zu belassen. Dies haben Sie in Ihrem Änderungsantrag wieder zurückgenommen. Das ist angesichts der Belastungen in diesen Bereichen auch gut so.
Ein weiterer Punkt, der angesprochen werden muß, ist die Schließung der Versorgungslücke für Beamtinnen und Beamte im Bereich von Polizei, Feuerwehr der Bundeswehr in den neuen Bundesländern. Dabei ist aber zu berücksichtigen - das muß man sehr deutlich sagen -, daß das keine Sonderregelung für die neuen Bundesländer ist, sondern nur die Anwendung der Regelung, die bisher in den Westländern bestand. Sie wird jetzt auf die neuen Bundesländer übertragen. Das ist auch gut so.
Meine Damen und Herren, begrüßenswert - das wird auch vom Bundesrat geteilt - ist die Anhebung der Eingangsämter im mittleren Dienst nach A 6.
Sie haben heute mit der Beratung zu diesem Gesetzentwurf auch die erste Lesung des Versorgungsrücklagegesetzes aufgerufen. Hier macht die Bundesregierung einen konkreten Vorschlag. Wir werden uns an den Beratungen insbesondere unter dem Aspekt beteiligen, daß die Versorgungsrücklage zukünftig nicht zur politischen Manövriermasse wird.
Ein politischer Zugriff muß ausgeschaltet werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, damit die Versorgungsrücklage auch zu dem Zweck zur Verfügung steht, für den sie angesammelt wurde.
Herzlichen Dank.
Es spricht jetzt die Kollegin Dr. Antje Vollmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren sind die Probleme des Beamtenrechts endgültig und für jedermann deutlich zutage getreten. Sie liegen vor allen Dingen in der Starrheit des Systems, in der fehlenden Leistungsorientierung und in der Unbezahlbarkeit der künftigen Pensionen für künftige Generationen.
Die Bundesregierung - das ist die Bilanz, und Sie haben es auch noch einmal bestätigt, Herr Marschewski - hat den Mut zu einer echten Modernisierung und einem wirklichen Neuansatz nicht gehabt.
Zuletzt mußte sie sich sogar von der kleinen Kommunalverwaltung der Stadt Offenbach auf der Nase herumtanzen lassen, die in großen Zahlen zu verbeamten begonnen hat, um das Geld für die sozialen Sicherungssysteme zu sparen. Damit es klar ist: Ich verurteile das.
Ich weiß, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst wollen aus den falschen populistischen Debatten heraus. Sie wollen auch keine Debatten mehr über Privilegien und Sondersysteme, sondern sie wollen normale Bedingungen, die sie vor jedermann vertreten können.
Die Bundesregierung aber hat nichts dafür getan, daß auch Beamte zum Beispiel Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung werden können, was viele wollen. Sie hat keinen Einstieg für ihre Einbeziehung in die Rentenversicherung geschafft, auch wenn sie so etwas wie eigene Beiträge der Beamten
Dr. Antje Vollmer
zu ihrer späteren Versorgung eingeführt hat, worauf ich noch zu sprechen komme.
Es wäre vernünftig, die Pensionen wie die Renten künftig nach dem Lebenseinkommen und nicht nach der Höhe der letzten Besoldung zu berechnen.
- Auf diese Position und darauf, daß die 75 Prozent für Sie die heilige Kuh sind, der Sie alle anderen Reformen unterordnen, komme ich noch zu sprechen.
Aber die Hilfskonstruktion der verlängerten Wartefrist zeigt, daß allmählich auch die Bundesregierung dem Prinzip „Oktobersonne", der Beförderung noch kurz vor der Pensionierung, vorbeugen will, und zwar zu Recht. Sie hatten unserem Antrag entnommen, daß Bündnis 90/Die Grünen eine grundsätzlich andere Auffassung vom öffentlichen Dienst haben als die Bundesregierung. Wir wollen einen Staat, der auch in seinen Gehaltsstrukturen transparent für alle aufgebaut ist, gut für den Bürger erreichbar ist, effektiv arbeitet und über motivierte Mitarbeiter verfügt.
Das Beamtenrecht muß sich auf dieses Leitbild ausrichten. Aber vor lauter Reden über den „schlanken Staat" hat die Bundesregierung die Erarbeitung eines solchen modernen Leitbilds gar nicht versucht. Das ist mir jedenfalls nicht einmal aus den Ministerien bekannt. Aber nur dann, wenn man dieses moderne Leitbild hat, kann man das andere notwendige Verfassungsprinzip, nämlich die Alimentation, auch auf die neuen, modernen Biographien anwenden. Das ist unser Ansatz.
Wir wollen erreichen, daß sich die Besoldung konsequent an Leistung und Funktion orientiert, daß der Zulagendschungel abgeschafft wird und die Arbeitszeitregelungen flexibler werden, und zwar auch auf die Lebensarbeitszeit bezogen. Es gehört zu den modernen Entwicklungen, daß sich die Lebensbiographien und auch die Arbeitsbiographien anders aufbauen.
Die Vorschläge der Regierung aber haben zum Beispiel folgende Elemente: Bei den Anwärtern wird kräftig gespart. Das betrifft die Menschen genau in der Lebensphase, in der sie Existenzen gründen.
- Herr Marschewski, Sie wissen, daß Ihre Stimme lauter ist als meine. Ich finde, damit könnten Sie ein bißchen eleganter umgehen.
Die eingeführten Leistungsprämien sind unpraktikabel; das sagen selbst die Dienststellenleiter. Herr Minister, Sie haben solche Reaktionen bestimmt aus allen Dienststellen gehört.
Die Dienstaltersstufen bestehen weiter, auch wenn Sie jetzt bloß noch „Stufen" heißen. Die Zulagen sind auch nicht weniger geworden, jedenfalls nicht wesentlich. Gerade darin liegt einer der Gründe dafür, daß der öffentliche Dienst so in der Kritik ist.
Das Kernstück Ihres Verfassungsreformgesetzes ist die Einführung einer Rücklage, aus der später die Versorgung der Beamten mitfinanziert werden soll. In diesem einen Punkt hat die Bundesregierung tatsächlich mit ihren bisherigen Tabus gebrochen und die Beamten selbst in die Pflicht genommen. Das ist von uns anzuerkennen; denn daß es hierbei, Herr Körper, durchaus auch um richtige Beiträge zur Altersversorgung geht und daß an solche gedacht war, zeigen die ursprünglichen Formulierungen im Gesetzestext, die erst kurzfristig - ich glaube, der Optik wegen - herausgestrichen wurden.
Auch wir sind - um es deutlich zu sagen - für eine solche Rücklage, halten aber den Vorschlag der Bundesregierung dafür nicht für geeignet; denn das Verfahren ist undurchsichtig. Der Abzug wird nicht auf den Lohnzetteln ausgewiesen. Die Beamten erwerben damit keine nachweisbaren Anwartschaften. Das alles macht diese Rücklage nicht sicherer, sondern erhöht die Gefahr, daß sie später für andere Zwecke verfrühstückt werden könnte.
Sie werden sicherlich etwas dazu sagen. Immerhin ist genau das in Schleswig-Holstein, dem sogenannten Musterland der Beamtenreformen, passiert.
Seit zwei Tagen sind wir nun immerhin darüber informiert, wie diese Rücklage im einzelnen aussehen soll. Es soll ein Sondervermögen des Bundes gebildet werden, das jedoch die absolute Zweckgebundenheit der Mittel nicht sicherstellt. Wir fordern deshalb die Einrichtung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts,
die eine eigenständige juristische Person ist und deren Vermögen deshalb nicht für andere Zwecke verwendbar ist. Der aus Ministeriums- und Arbeitnehmervertretern gebildete Beirat soll in dieser Richtung wirken. Aber er dient nur der Anhörung; er hat keine Mitbestimmungsrechte. Das erhöht das Vertrauen nicht. Ein starker Beirat würde im übrigen auch nur bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts Sinn machen und möglich sein, so daß das eine mit dem anderen zusammenhängt.
Schließlich bleibt noch immer völlig unklar, wie die Entnahme der Mittel ab 2014 geregelt werden soll. Es wird da wiederum auf ein neues Gesetz verwiesen, das wir aber alle nicht kennen.
Dr. Antje Vollmer
Die Versorgungsreform der Bundesregierung ist ganz offensichtlich - jedenfalls in ihren letzten Zügen - in größter Eile entstanden. Herr Körper hat schon darauf hingewiesen, daß wir die letzten Änderungen - 37 Seiten lang - am Abend vor der Anhörung um 19 Uhr bekommen haben.
Man hatte schon den Eindruck, daß darunter etwas versteckt wurde, was man in der Eile nicht finden sollte, nämlich die Sonderregelungen für die politischen Beamten. Ich möchte dagegen im Namen meiner Fraktion ausdrücklich protestieren, daß diese politischen Beamten, die ja sowieso schon besonders günstige Regelungen genießen, wiederum von einer Maßnahme ausgenommen wurden, die für alle anderen Beamten gilt. Während alle anderen Beamten nur 20 Prozent über die Höchstgrenze hinaus dazuverdienen können, bleibt es bei den politischen Beamten bei 50 Prozent. Das ist überhaupt nicht akzeptabel.
Dies ist insbesondere deswegen nicht akzeptabel, weil wir doch ausdrücklich von ihnen möchten, daß sie in anderen Bereichen arbeiten.
Kurz und gut, in einer Emnid-Umfrage von Februar 1998 haben sich 83 Prozent der Befragten für eine Beteiligung der Beamten an der Altersversorgung ausgesprochen. 69 Prozent waren dafür, Beamte nur noch in den staatlichen Kernbereichen einzusetzen. Es gibt also gerade in diesem Bereich eine deutliche Mehrheit für Reformen. Vor diesem Hintergrund hätte man mit den Vorschlägen schon ein bißchen mutiger sein können.
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Dr. Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Penner hat vorhin in einer Zwischenfrage die mangelnde Präsenz des Bundesrates zur Diskussion gestellt. Ich muß sagen, verehrter Herr Kollege Penner: Mich stört es nicht so sehr, daß der Bundesrat hier nicht so zahlreich vertreten ist; denn bei der Dienstrechtsreform haben wir die Erfahrung gemacht, daß ein gutes Gesetz, das von der Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages verabschiedet worden ist, vom Bundesrat im Vermittlungsverfahren verschlimmbessert worden ist.
Wenn die verhältnismäßig geringe Zahl von anwesenden Mitgliedern des Bundesrates also ein Indiz
dafür sein soll, daß das Gesetzeswerk diesmal vom
Bundesrat unverändert übernommen wird, dann ist dies sicherlich ein erfreulicher Beginn unserer heutigen Debatte.
Einige gängige Pauschalvorwürfe an die Politik lauten:
Erstens. Politiker denken und handeln nicht langfristig, sondern nur in den kurzen Vierjahresrhythmen der Legislaturperiode.
Zweitens. Politiker scheuen sich, der Bevölkerung unangenehme Erkenntnisse zu vermitteln.
Drittens. Politiker sind unfähig, nach diesen Erkenntnissen zu handeln. Vor allem vor Wahlen wagen sie es nicht, notwendige, aber unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Statt dessen verteilen sie Wahlgeschenke.
Ich bin der Meinung, daß das heute vorliegende Versorgungsreformgesetz 1998 all diesen üblichen Vorwürfen widerspricht.
Mit diesem Gesetz wird die Lösung von Problemen angepackt, die sich in aller Schärfe erst in den Jahren von 2010 bis 2025 stellen werden. In diesem Zeitraum würde die Versorgungsquote für den öffentlichen Dienst dramatisch ansteigen, wenn der Gesetzgeber keine Gegenmaßnahmen ergreifen würde. Die öffentliche Hand hätte dann Pensionsansprüche der Beamten in einer Höhe zu erfüllen, die ohne eine rechtzeitige Reform nicht mehr zu bewältigen wäre. Deshalb verdient der Bundesinnenminister dafür Anerkennung, daß er den Auftrag des Parlaments, einen Versorgungsbericht vorzulegen, zwar spät, dafür aber um so gründlicher erfüllt hat. Herr Kanther hätte es sich leicht machen können und die zu erwartende Situation im Bereich der Beamtenversorgung auftragsgemäß nur bis zum Jahre 2008 darstellen können.
Sonderliche Probleme treten bis dahin nämlich nicht auf. Die Koalition hätte es sich leicht machen und darauf verzichten können, über diesen Zeitraum hinaus zu planen. Vor allem hätten die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen es sich leicht machen und darauf verzichten können, ausgerechnet kurz vor einer Bundestagswahl für die Betroffenen schmerzliche Maßnahmen vorzuschlagen, um Versorgungsprobleme zu lösen, die erst nach weiteren drei Legislaturperioden akut werden.
Dies wäre allerdings kein verantwortungsbewußtes Verhalten gewesen; denn je später man notwendige Einschnitte vornimmt, desto tiefer fallen diese aus. Die Beamten haben schon anläßlich der Rentenreform 1957 eine Vorleistung durch eine Besoldungsabsenkung erbracht. In der Folgezeit ist aber versäumt worden, von den eingesparten Geldern eine Rücklage für die Zahlung der Beamtenpensionen zu bilden.
Dr. Max Stadler
Jetzt wird - endlich - gehandelt. Das geschieht noch rechtzeitig. Mit einem maßvollen Einbehalt von den jeweiligen Besoldungserhöhungen kann eine Versorgungsrücklage in Höhe von 66 Milliarden DM gebildet und damit der nächsten Generation die Sorge um die Erfüllung der dann fällig werdenden Beamtenpensionen abgenommen werden.
Diese Versorgungsrücklage ist das Kernstück der heute zu beratenden Gesetzentwürfe. Wir halten die Bildung dieser Rücklage für einen brauchbaren Lösungsweg. Das Versorgungsreformgesetz muß allerdings durch ein Rücklagegesetz ergänzt werden, welches ebenfalls, allerdings in erster Lesung, dem Plenum vorliegt. Dabei geht es um die Frage, wie die Versorgungsrücklage verwaltet wird. Die F.D.P. hat in den Beratungen innerhalb der Koalition von Anfang an Wert darauf gelegt, optimal sicherzustellen, daß die Rücklage ausschließlich zum Zweck der Bezahlung von Pensionsansprüchen verwendet werden kann.
Frau Ministerpräsidentin Simonis hat einen großen Vertrauensschaden verursacht, als sie eine entsprechende Rücklage in Schleswig-Holstein anderweitig zweckentfremdet hat.
Mir war, Frau Kollegin Vollmer, bisher auch nicht geläufig, daß Schleswig-Holstein ein Musterland sei, wie Sie es bezeichnet haben,
auch nicht ein Musterland der Dienstrechtsreform.
Der Entwurf eines Rücklagegesetzes sieht vor, daß eine so angesehene Institution wie die Deutsche Bundesbank die Versorgungsrücklage des Bundes verwalten wird. Damit kann das dringend notwendige Vertrauen der Betroffenen in die Beständigkeit dieser Rücklage gesichert werden.
Über einzelne Modalitäten, wie etwa über die Frage, welche Anlageformen möglich sein sollen, damit auch genug aus der Rücklage erwirtschaftet wird, muß nach Auffassung der F.D.P. aber noch in den Ausschußberatungen ergebnisoffen gesprochen werden.
Meine Damen und Herren, zuzugeben ist, daß das Versorgungsreformgesetz außer der Bildung der Rücklage noch eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen vorsieht, die zu weiteren auch versorgungswirksamen finanziellen Entlastungen der öffentlichen Hand führen werden. Selbstverständlich kann man über jede einzelne dieser Sparmaßnahmen trefflich streiten. Wir meinen, daß sie sich insgesamt in einem für die Betroffenen zumutbaren Rahmen halten.
Die Koalition hat in den Ausschußberatungen aber die Kritik, die etwa seitens der Verbände und der Gewerkschaften an Details des Regierungsentwurfs geübt worden war, sehr ernst genommen und den ursprünglichen Gesetzentwurf punktuell verändert.
Dies erklärt auch, warum es unsererseits noch bis kurz vor Schluß der Ausschußberatungen einzelne Änderungsanträge gegeben hat. Nehmen Sie dies als ein Zeichen dafür, daß wir uns nicht etwa als Notar der Bundesregierung verstehen und einen Gesetzentwurf unkritisch absegnen, sondern daß wir die Debatte, die darüber geführt wird, aufnehmen und auch zu einzelnen Änderungen bereit sind.
Dies gilt zum Beispiel für die besonderen Altersantragsgrenzen für Feuerwehr-, Polizei- und Justizvollzugsbeamte.
Meine Damen und Herren, bei der Gesamtbewertung dieser umfassenden und außerordentlich bedeutsamen Reform muß man unserer Ansicht nach auch noch folgendes würdigen. Ich komme damit zu dem, was Frau Vollmer, diesmal ernst gemeint, ausgeführt hat.
Die F.D.P. hält am Berufsbeamtentum als einer bewährten Institution unseres Staatswesens fest. Dazu gehört aber auch eine eigenständige Beamtenversorgung. Bestrebungen, wie sie von Ihnen auch heute wieder vertreten worden sind, die Alterssicherungssysteme des öffentlichen Dienstes zu vereinheitlichen, werden daher in dem Versorgungsreformgesetz zu Recht nicht aufgenommen. Die Reform bleibt im System, sorgt aber dafür, daß das System weiterhin bezahlbar ist.
Meine Damen und Herren, die bewährten Grundprinzipien der Beamtenversorgung bleiben unangetastet. Zugleich erbringt die Beamtenschaft aber Sparleistungen, die durchaus vergleichbar mit den Opfern sind, die von den Mitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherungen getragen werden. Daher stimmt die F.D.P.-Fraktion dieser Reform insgesamt zu.
Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Maritta Böttcher.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Trotz der Verbesserungen einiger Regelungen des Versorgungsreformgesetzes - wir begrüßen ausdrücklich die Schließung der Versorgungslücke Ost - bleibt der Regierungsentwurf für uns insgesamt nicht zustimmungsfähig.
Wenn das Wort „Reform" hier allmählich zum Synonym für Kürzungskonzepte wird, so ist es an der Zeit, auch einmal - in diesem Sinne gebe ich Frau Vollmer recht - über grundsätzliche Alternativen zum bestehenden System nachzudenken. Seit die Altersversorgung der Beamtinnen und Beamten auf den Tagesordnungen von Bundestag und Bundesrat steht - das geschieht in immer kürzeren Abständen -, waren Veränderungen immer Leistungskürzungen.
Maritta Böttcher
An einer wirklichen Reform gibt es offenbar schon aus dem Grund kein Interesse, weil das Beamtenrecht einseitig regelbar ist, was den Zugriff der Kürzungspolitiker zur Sanierung der Haushalte erheblich erleichtert. Dieser Weg wird jedoch weder im Ansatz noch auf Dauer das Grundproblem lösen können. Soviel kann gar nicht eingespart und gestrichen werden, wie an Einnahmeausfällen hingenommen werden muß. Sollen die öffentlichen Kassen wirklich saniert werden, müssen vor allem Wirtschafts- und Finanzpolitik geändert werden. Denn nicht die Alten gefährden die Zukunft der Alterssicherung, sondern die hohe Arbeitslosigkeit.
- Es geht jetzt nicht um die ehemalige DDR, sondern es geht bei diesem Versorgungsreformgesetz um die Beamtenversorgung, Herr Marschewski.
Wenn immer mit der Zukunftssicherung der Beamtenversorgung argumentiert wird, während die einzusparenden Milliarden aufgerechnet werden, so stellt sich schon die Frage: Geht es eigentlich tatsächlich um die Sicherung der Pensionsansprüche von Beamtinnen und Beamten oder nicht vorrangig darum, Besoldungs- und Versorgungsausgaben zu reduzieren?
Zweifel an der gesamten Ausrichtung dieser sogenannten Reform sind auch insofern angebracht, als eine wirkliche Analyse, die eigentlich die Grundlage von Veränderungen sein müßte, nach wie vor nicht vorliegt. So hat die ÖTV erhebliche Bedenken gegenüber dem Datenmaterial, das dem Versorgungsbericht und insbesondere der Prognose bis zum Jahr 2040 zugrunde liegt. Die analytischen Defizite setzen sich fort, indem die unter anderem vom DGB geforderte Betroffenheitsanalyse ebenfalls nicht vorgelegt wurde. Ansätze dazu waren in der Sachverständigenanhörung zu vernehmen. Dort wurde festgestellt, daß durch die Strukturänderungen des Dienstrechtsreformgesetzes bereits 15 prozentige Versorgungseinsparungen für die Jahre bis 2008 erreicht werden, die durch das Versorgungsreformgesetz auf zirka 25 Prozent steigen.
Aber damit nicht genug. Peter Grottian bringt die Kritik auf den Punkt, indem er sagt: Es handelt sich schlicht und einfach um den Schlußverkauf öffentlicher Aufgabendiskussion. Der Verdacht liegt nahe, „daß man sich im Grunde genommen nur für die Versorgung der Beamtenwagenburg stark gemacht hat."
Bei der ganzen Kosten- und Lastendiskussion spielen Fragen der Personalinnovation keine Rolle mehr. Die Feststellung „Kein Geld - keine neuen Aufgaben" geht voll an den gesellschaftlichen Entwicklungen vorbei - sowohl an den Verpflichtungen gegenüber der älteren Generation wie auch an der Notwendigkeit, 1,2 bis 1,5 Millionen junge Menschen unter anderem auch über den öffentlichen Dienst in das Bildungs- und Beschäftigungssystem zu integrieren. So wurden in den letzten Jahren über 200 000 Menschen - im Verhältnis zu den fünf Jahren davor - nicht eingestellt. Nur 4 Prozent der Lehrer sind unter 35 Jahre. Der öffentliche Dienst leistet sich nur 3 bis 4 Prozent Ausbildungsplätze und macht ansonsten die Schotten dicht.
Diese Abschottungspolitik wird der Notwendigkeit der Weiterentwicklung öffentlicher Dienstleistungen in keiner Weise gerecht. Da das Ganze aber - wie Professor Battis in der Anhörung bemerkte - eben kein Reformgesetz, sondern ein Kürzungsgesetz ist, ordnet sich hier auch die Absenkung der Anwärterbezüge ein, die ansonsten in diesem Kontext eigentlich nichts zu suchen hätte. Die Anwärterbezüge sind bereits seit einem Jahr eingefroren und werden nun im ungünstigsten Fall zu Einkommenseinbußen bei Referendarinnen und Referendaren sowie bei Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern von bis zu 25 Prozent führen.
Junge Familien werden am härtesten von den Kürzungen betroffen sein.
Es gäbe sicher noch eine Vielzahl von Kritikpunkten, insbesondere auch hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Versorgungsrücklage, in bezug auf die jetzt ein Gesetzentwurf vorliegt, der noch zu diskutieren sein wird. Insgesamt müssen wir einem solchen vom Rotstift diktierten Gesetz unsere Zustimmung verweigern. Das heißt nicht, daß wir uns einer kritischen Prüfung der sozialen Sicherungssysteme entziehen. Die unseligen Privilegiendiskussionen, die zu immer weiterem Sozialabbau mißbraucht werden, müssen ein Ende finden. Deshalb brauchen wir eine fortschrittliche Harmonisierung der Alterssicherungssysteme, die Tendenzen der Entsolidarisierung der Beschäftigtengruppen im öffentlichen Dienst entgegenwirkt. Möglich wäre das zum Beispiel durch die Einbeziehung der Beamten in ein einheitliches gesetzliches Sozialversicherungssystem, wie es von der ÖTV vorgeschlagen wird. Auf diesem Weg kommen wir mit den vorliegenden Kürzungsvorschlägen, die sich in keinerlei sachliche Zusammenhänge einordnen lassen, keinen Schritt weiter. Wir bleiben bei unserer Forderung zur Schaffung eines einheitlichen Dienstrechtes im öffentlichen Dienst.
Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung. Unsere mangelnde Präsenz heute ist nicht Ausdruck mangelnden Interesses, sondern hat den einzigen Grund darin, daß in diesem Hause nicht einheitlich verfahren wird. Ich möchte von dieser Stelle aus den Parteitag der PDS in Rostock sehr herzlich grüßen.
Danke.
Es folgt der Kollege Meinrad Belle.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Körper, Sie wissen, daß ich Sie sehr schätze. Aber trotzdem muß ich Ihnen sagen, daß ich bei Ihrem Beitrag vorhin unwillkürlich an das alte Sprichwort erinnert wurde: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß. In weiten Bereichen stimmen Sie dem Versorgungsreformgesetz zu - Sie sind dafür -, aber in entscheidenden Fällen werden Sie von Ihren Sozialpolitikern zurückgepfiffen. So ist die Sachlage.
Nachdem mein Freund Erwin Marschewski die großen Zusammenhänge der Versorgungsreform dargestellt hat, will ich mich nun in die Niederungen der eigentlichen Reform begeben.
Die kritische, nicht immer objektive Öffentlichkeit beanstandet gelegentlich, daß die Beamten nicht ausreichend an den notwendigen Reformen der Alterssicherungssysteme beteiligt sind. Diese Diskussion ist ungerecht und falsch.
Bei der Neugestaltung der Besoldungsordnungen A und B in den 50er Jahren wurde das Gehalt der Beamten um 7 Prozent niedriger als vergleichbare Gehälter in der freien Wirtschaft angesetzt - im Hinblick auf die Pensionsregelungen. Die Einsparmaßnahmen bei den Beamten außerhalb des Dienstrechtsreformgesetzes und des Versorgungsreformgesetzes - diesen Zusammenhang muß man sachgerechterweise herstellen - summieren sich für die Zeit von 1991 bis 2008 auf immerhin 10 Milliarden DM in Bund, Ländern und Gemeinden durch Verschiebung der Besoldungserhöhungen, Einfrieren des Weihnachtsgeldes, Verschlechterungen der Beihilfe, Wegfall von früher arbeitsfreien Tagen.
Mit dem Dienstrechtsreformgesetz 1997 sparen Bund, Länder und Gemeinden in der Zeit bis 2008 insgesamt 22,5 Milliarden DM. Ab 2008 sind dies jährlich Einsparungen von 3,6 Milliarden DM durch die geänderte Gehaltstabelle, Anheben der allgemeinen Altersgrenzen, Kürzung der Anrechnung von Ausbildungszeiten, Einschränkung bei den Frühpensionierungen.
Nun aber zum eigentlichen Versorgungsreformgesetz. Wir ziehen heute die erforderlichen Schlußfolgerungen aus dem Versorgungsbericht der Bundesregierung. Die demographische Entwicklung - die Zahl der Kinder geht zurück; das Durchschnittsalter der Bevölkerung erhöht sich; der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung nimmt zu, Gott sei Dank; die Lebensarbeitszeit wird immer kürzer - macht eine Reform in allen Alterssicherungssystemen notwendig. Wir ziehen heute die erforderlichen Konsequenzen in der Beamtenversorgung. Für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist dabei besonders wichtig: Wir bleiben im bewährten System.
Erstens. Wir halten durch die strukturellen Einzelmaßnahmen dieses Gesetzes - gemeinsam mit den Versorgungsteilen des Dienstrechtsreformgesetzes - die Versorgungsquote, nämlich den Anteil der Versorgungslasten am Bruttoinlandsprodukt, bis 2008 auf dem heutigen Stand von 1,2 Prozent.
Zweitens. Wir können durch das neugeschaffene System der Versorgungsrücklage den für das Jahr 2020 zu erwartenden Versorgungsberg - das ist wichtig, Herr Kollege Körper: nicht die heutige Haushaltslage spielt die entscheidende Rolle, sondern die voraussichtliche Lage im Jahre 2020 - mit 1,64 Prozent Versorgungsquote bei 1,4 Prozent sozusagen untertunneln.
Kollege Marschewski hat bereits einiges zur Versorgungsrücklage gesagt. Herr Minister Kanther wird sie anschließend sicher noch im einzelnen erläutern. Für mich persönlich ist dabei wichtig, daß - im Gegensatz zur Rentenreform - aktive Beamte und Ruheständler zur Bildung der Versorgungsrücklage herangezogen werden. Damit werden die Lasten besser verteilt. Das Volumen der Versorgungsrücklage wird enorm erhöht. Schlußendlich wird mittelfristig eine dauerhafte Absenkung der Gehälter der aktiven Beamten und der Versorgungsbezüge der Pensionäre um 3 Prozent erreicht. Dies ist eine Novität in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Bevor ich angesichts der Kürze der Zeit die Änderungen erläutere, die der Gesetzentwurf im Verlaufe der Beratungen erfahren hat, will ich noch einige Worte zum Verfahren verlieren. Gut eineinhalb Jahre haben wir, die Innenpolitiker der Koalitionsfraktionen, an diesem Reformvorhaben gearbeitet.
- Was lange währt, wird endlich gut, Kollege Körper.
Die Zusammenarbeit mit Ihnen, Herr Minister Kanther, und Ihren Mitarbeitern verdient aus unserer Sicht das Prädikat „ausgezeichnet". Ich bedanke mich herzlich.
Dieser Gesetzentwurf hat uns viel Arbeit gemacht. Er ist aber auch trotz aller Einwendungen der Opposition eine gute Reform geworden. Sehr viele Gespräche mit den Verbänden der betroffenen Beamten und Ruhestandsbeamten verliefen überaus fruchtbar. Wir hatten bei der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf - das muß ich schon sagen - mit ganz wenigen Ausnahmen eine sehr qualifizierte Sachverständigenrunde.
Einige Teilergebnisse dieser Gespräche und der Anhörung konnten wir verwerten und den Gesetzentwurf gemeinsam positiv weiterentwickeln. Ich schaue heute einigermaßen zufrieden auf die Arbeit der letzten Monate zurück und bedanke mich bei meinen Fraktionskollegen, den Kollegen der F.D.P. und allen unseren Mitarbeitern.
Nun aber zu den wesentlichen Änderungen, die der Gesetzentwurf auf Antrag der Koalitionsfraktionen erfahren hat. Dieses Gesetz ist nicht nur ein Spargesetz, wie es auch heute morgen dargestellt wurde oder wie es von interessierter Seite ursprünglich gescholten wurde.
Auf unser Betreiben hin wurde im ursprünglichen Gesetzentwurf die Altersteildienstfähigkeit aufge-
Meinrad Belle
nommen. Während der Beratungen wurden auf Antrag der Koalitionsfraktionen weitere strukturelle Verbesserungen eingeführt, wie Anhebung der Eingangsbesoldung im mittleren Dienst von A 5 nach A 6, Verbesserung der Versorgung bei qualifiziertem Dienstunfall - das Ruhegehalt wird künftig aus der übernächsten Besoldungsgruppe errechnet -, bessere Bewertung der Kindererziehungszeiten, Erhöhung des Mindestbetrages der Pension bei Ruhestandsbeamten und Witwen von 1,25 auf 1,5 der Besoldungsgruppe A 4.
Auch für Beamte und Soldaten der neuen Bundesländer konnten folgende Verbesserungen erreicht werden: Die Versorgungslücke bei ausscheidenden Soldaten und insbesondere Polizeibeamten mit Mindestversorgung zwischen dem Zeitpunkt des Ausscheidens und dem 65. Lebensjahr wurde geschlossen.
Für Bürgermeister der ersten Stunde wurden verbesserte Hinzuverdienstmöglichkeiten geschaffen.
Die Anerkennung der Laufbahnbefähigung von Bewährungsbewerbern zur Erleichterung des Dienstherrenwechsels wurde realisiert.
Weitere positive Veränderungen sind die Beibehaltung der besonderen Altersgrenze bei Polizei, Feuerwehr und Vollzugsbeamten beim 60. Lebensjahr
- vielen Dank an die Kollegen aus dem Innenausschuß -, die Konkretisierung der Absenkung für die Versorgungsrücklage um jährlich 0,2 Prozent, die Beibehaltung der Ruhegehaltsfähigkeit der Vollstreckungszulage bei Gerichtsvollziehern, die teilweise Beibehaltung der Ruhegehaltsfähigkeit der Stellenzulage für Flieger, die Erhöhung der Übergangsregelung bei Anrechnung des Hinzuverdienstes auf sieben Jahre und - aus meiner Sicht nicht ganz so positiv - die Einführung des Versorgungsabschlages bei Dienstunfähigkeit vor dem 63. Lebensjahr, analog dem Rentenrecht.
Gleichzeitig wird allerdings die Zurechnungszeit wieder auf zwei Drittel wie vor der Dienstrechtsreform erhöht.
Nun einige kurze Bemerkungen zu Ihrem Beitrag heute morgen, Frau Kollegin Vollmer. Ihre Reform wäre keine Reform mit den Beamten, sondern gegen die Beamten.
Zu Ihrer Kritik der Sonderregelung in der Begrenzung der Hinzuverdienste bei den politischen Beamten einige Sätze:
Erstens. Wir haben erstmalig in diesem Gesetz bei Frühpensionären eine Begrenzung der privaten Hinzuverdienstmöglichkeiten überhaupt eingeführt.
Zweitens. Wir haben in diesem Gesetz die Zahl der politischen Beamten erheblich verringert.
Drittens. Wir haben in diesem Gesetz deutliche Verschlechterungen bei der Versorgung der politischen Beamten eingeführt.
Der politische Beamte kann - da kommt das entscheidende Moment - im Gegensatz zum Lebenszeitbeamten ohne Angabe von Gründen jederzeit aus dem Amt entlassen werden. Da meinen wir, daß im Interesse des Aufbaus einer privaten Existenz nach dem Ausscheiden die politischen Beamten bei der Begrenzung der privaten Hinzuverdienste besser als die Lebenszeitbeamten behandelt werden müssen. Wir halten dies für richtig, und wir stehen auch dazu.
Die Kollegin Vollmer möchte eine Zwischenfrage stellen. Bitte sehr.
Nur damit wir uns richtig verstehen, Herr Kollege Belle: Es geht nicht um diejenigen, die keinen Zuverdienst gefunden haben, sondern um die, die einen Zuverdienst gefunden haben, und zwar einen Zuverdienst, der insgesamt höher ist als ihr vorher doch sehr beachtliches Gehalt als politischer Beamter. Diese können 50 Prozent über diese Höhe hinaus bekommen, während der normale Beamte nur 20 Prozent hat. Es geht nicht um die Versorgung von jemandem, der in einer schlechten Situation ist. Vielmehr ist er in einer Situation, die noch erheblich besser ist, als sie zu der Zeit als politischer Beamter war. Da stimmen Sie mir doch zu?
Nicht ganz, Frau Kollegin, einfach deshalb, weil sie nicht 50 Prozent Hinzuverdienst haben dürfen.
Vielmehr werden 50 Prozent des Mehrverdienstes von der Versorgung abgezogen. Das heißt ganz konkret: Bei einem erheblichen Hinzuverdienst behalten auch die politischen Beamten lediglich den Mindestbetrag der Versorgung von 20 Prozent.
Insoweit werden sie bei erheblichem Hinzuverdienst gleich behandelt. Wir sind in dieser Sache auseinander, Frau Kollegin.
Meine Damen und Herren, in zahlreichen Gesprächsrunden nicht nur mit den Verbänden, sondern auch mit den unmittelbar betroffenen Beamten habe ich nach Erläuterung viel Verständnis für Art und Umfang der Versorgungsreform gefunden. Be-
Meinrad Belle
geisterte Zustimmung ist bei Einschnitten in den Besitzstand selbstverständlich nicht zu erwarten. Ich habe aber auf jeden Fall den Eindruck gewonnen, daß die Beamtenschaft diese Reform mitträgt; ich bedanke mich für dieses Verständnis.
Herr Kollege Adam hat eine Zwischenfrage. Gestatten Sie, Herr Belle? - Ja.
Herr Kollege Belle, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß gerade die von Ihnen erwähnte Schließung der sogenannten Versorgungslücke ein sehr wichtiger Baustein zur Integration ehemaliger NVA-Soldaten in die Bundeswehr ist, und finden Sie es nicht auch bemerkenswert, daß die PDS für diesen Vorgang gerade mal einen Halbsatz übrig hatte?
Ich stimme Ihnen voll zu, daß das ein ganz wichtiger Fortschritt ist. Ich möchte aber - für die Kollegin von der PDS positiv - klarstellen, daß sie sich im Ausschuß sehr stark für die Schließung der Versorgungslücke eingesetzt hat.
Was recht ist, muß recht bleiben, meine Damen und Herren.
Aber vielen Dank; ich stimme Ihnen zu, Herr Adam.
Meine Damen und Herren, ich wollte noch einige Bemerkungen zu dem Gesetz über die Bildung der Versorgungsrücklage machen. Wichtig war aus unserer Sicht, daß bei diesem Gesetz die Sicherheit der Versorgungsrücklage im Vordergrund stand. Diese sichere Anlage ist uns mit der Übertragung der Verwaltung auf die Deutsche Bundesbank gelungen.
Ich hoffe auf eine zügige Gesetzesberatung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Zum Abschluß dieser Debatte spricht der Bundesminister des Innern, Manfred Kanther.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung greift in allen Bereichen den Veränderungsbedarf auf, den es in unserem Land gibt. Dabei werden auch Bereiche aufgegriffen, in denen in Jahrzehnten zuwenig Veränderung und Anpassung erfolgt sind. Dazu gehört auch manches, was unsere Verwaltungen und in diesen Verwaltungen den öffentlichen Dienst angeht. Aber die Bundesregierung tut das nicht mit der vor allem in den Medien nicht seltenen, unerfreulich zu hörenden und zu lesenden Häme gegen den öffentlichen Dienst. Vielmehr tut sie dies ihm zugewandt, weil er ein unverzichtbarer Pfeiler unseres Staates ist und eine Standortbedingung Deutschlands darstellt, die gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.
Unsere Verwaltung stellt eine Standortbedingung dar, die wir selbst gestalten können, anders als viele andere Standortbedingungen, wo wir Konkurrenz, die wir nicht alleine gestalten, ertragen müssen. Diese Bedingung liegt in unserer Hand. Deshalb hat nichts einen Sinn, was heißblütig daherkommt und die Leute vor den Kopf stößt oder ohne jede Sachkenntnis Systeme erdenkt, die vielleicht vor 120 Jahren so hätten erdacht werden können, aber nach 120 Jahren nicht mehr implantierbar sind.
Wer all das Zeug, das da über die Überführung der Beamten in die Sozialversicherung geredet wird und das man sich dann anhören muß, vorschlägt, der weiß offenbar gar nicht, was er sagt.
Wenn wir die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung zusätzlich zu den Pensionen bezahlen sollten, dann brauchten wir uns über die Probleme der öffentlichen Kassen nicht mehr zu unterhalten. Das Thema ist doch nicht von dieser Welt und beendet für mich von vornherein die Debatte. Das heißt, die öffentliche Verwaltung und damit den öffentlichen Dienst zu modernisieren ist ein wesentlicher Aspekt unserer Arbeit.
Man kann das aber doch nicht unter dem Gesichtspunkt „Leistung in den öffentlichen Dienst einführen" tun. Es wäre ja eine unglaubliche Anmaßung, zu behaupten, daß 5 Millionen Menschen im öffentlichen Dienst heute nicht auf Leistung ausgerichtet wären. Natürlich sind sie das, aber natürlich gibt es auch Starrheiten im System. Es gibt Gewohnheiten, denen man früher hätte zu Leibe rücken können. Es gibt nicht genügend Mobilität und auch nicht überall ein hinreichend motivierendes Vorgesetztenverhalten, so daß wir z. B. noch einen hohen Krankenstand im öffentlichen Dienst beklagen müssen. Das liegt weniger am einzelnen als daran, wieviel Mühe sich der Vorgesetzte um einen Mitarbeiter macht, damit er sich in den Riesenverwaltungen und Betrieben nicht als Nümmerchen fühlt, auf das es nicht ankommt.
Das heißt also, es gibt viel geistigen Innovationsbedarf, der sich der gesetzgeberischen Regelung ohnehin entzieht. Es gibt aber gesetzgeberische Beiträge dazu, wie wir sie im Dienstrechtsreformgesetz beispielsweise mit Leistungs- und Mobilitätsanreizen geschaffen haben.
Zu einem effizienten öffentlichen Dienst, den wir wollen, gehört natürlich auch, daß er kostengünstig arbeiten soll. In einer Zeit knapper Kassen gewinnt
Bundesminister Manfred Kanther
dieses Argument eine größere Bedeutung als in Zeiten voller Kassen. Deshalb haben wir in beiden Gesetzen auch unter dem Gesichtspunkt der Finanzen Einsparungen im öffentlichen Dienst vorgenommen, von denen ich weiß, daß sie niemanden erfreuen, die aber wegen ihrer Behutsamkeit sämtlich vertretbar sind.
So steht im Dienstrechtsreformgesetz der Wegfall von „Urlaubsgeld" bei Pensionären, die erfreulicherweise immer Urlaub haben, wenn man so will. Ebenso ist von Anpassungen die Rede, die Veränderungen im aktiven Bereich bei Pensionären nachzeichnen. Weil es ums Geld geht, ist auch die Anpassung bei den Anwärterbezügen enthalten. Der öffentliche Dienst hat in Zeiten, in denen er auf dem Arbeitsmarkt darauf angewiesen war, die besten Leute anzulocken, sehr hohe Anwärterbezüge gezahlt. Heute hat der öffentliche Dienst keine Schwierigkeiten, gute Leute auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen, und deshalb wird er doch mit den Bezügen reagieren können und sie um 5 Prozent absenken dürfen.
Im mittleren Dienst hat ein Anwärter nach der Absenkung ein Einkommen in Höhe von 1 430 DM und ein Lehrling im dritten Lehrjahr 1 217 DM. Der Lehrling hat immer noch 200 DM weniger als der beamtete Anwärter und muß Sozialabgaben bezahlen. Da kann doch kein Mensch behaupten, daß das eine ungerechte Maßnahme wäre, wenn es darum geht,
in vielen Bereichen behutsam Geld einzusparen und nicht überstürzt und brachial mit dem Hammer daranzugehen, wenn einem das Wasser bis zum Halse steht.
Genau das ist nicht der geistige Ansatz dieses Gesetzes, auch nicht in der Versorgung. Davon kann überhaupt keine Rede sein.
Im Rentenrecht ebenso wie im Recht des öffentlichen Dienstes stellt die Tatsache, die Herr Stadler und Herr Belle dargestellt haben, daß die Zahl der älteren Menschen in unserem Land wächst und die Dauer des Bezugs von Altersversorgungsbezügen aus vielen Gründen - Frühruhestand ebenso wie glücklicherweise längere Lebenserwartung - ansteigt, natürlich eine Frage an die Bezahlbarkeit des Systems.
Es ist doch eine Frage der Gerechtigkeit, daß wir nicht in der Rente andere Bedingungen schaffen als in anderen Versorgungssystemen. Beamten- und gewerbliches Recht unterscheiden sich in vielen Dingen sehr, aber in den gesellschaftlichen Grundfragestellungen sind natürlich alle Bürger gleich. Deshalb haben wir diese Neuerung des Sozial-, Arbeits- und Rentenrechts ins Recht des öffentlichen Dienstes übernommen, deshalb gelten gleiche Anrechnungsvorschriften bei der Ausbildung. Deshalb haben wir bei der Pflegeversicherung die entsprechenden Vorschriften in die Beihilfevorschriften übernommen.
Ich könnte unendlich viele Beispiele nennen, die einen Gerechtigkeitsaspekt ebenso wie einen Einspareffekt haben. Deshalb ist es notwendig, daß sich der demographische Faktor bzw. die Dauer des Bezugs von Altersversorgungsbezügen ebenso wie im Rentenrecht auch im öffentlichen Dienstrecht widerspiegelt.
Es fügt sich nun einmal so, daß diese Debatte heute, einen Tag nach dem Abschluß des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst,
stattfindet. Im Zusatzversorgungsrecht des öffentlichen Dienstes gilt ab 1. Januar 1999 die Beteiligung der Arbeitnehmer an ihrer Zusatzversorgung; Betriebsrente würde man in der gewerblichen Wirtschaft sagen.
Das ist ein Durchbruch der Gerechtigkeit. Das ist nicht nur eine Finanzfrage, aber es ist auch eine wesentliche Finanzfrage an die Bezahlbarkeit von Versorgungssystemen.
Wir befassen uns jetzt erstmalig, seit wir ein Beamtenrecht haben, mit Eigenbeiträgen der Beamten, und zwar nicht mit Härte und im Konflikt gegen die Beamtenschaft oder die öffentlichen Bediensteten - auch nicht zu ihrer Freude; ich bin ja nun hinreichend von dieser Welt. Wenn jemand jedes Jahr 0,2 Prozent weniger Besoldungsfortschritt hat, freut er sich natürlich nicht darüber; das weiß ich. Aber die Kondition wird verstanden. Die Bedingung wird akzeptiert, daß, wenn sich die Versorgungszeiten verlängern, die ganze Last nicht allein beim Steuerzahler bleiben kann, sondern der Zuwachs an dieser Last geteilt werden muß. Das ist die Idee, und diese Idee wird, einschließlich Versorgungsrücklagegesetz, durch dieses Reformgesetz - deshalb verdient es seinen Namen - eingelöst.
Man müßte es nicht wegen der 20 kleineren Punkte so bezeichnen, die es auch bewegt. Aber daß sich die Beamten mit einem maßvollen Eigenanteil über lange Frist und deshalb tragbar am Anstieg ihrer Versorgungslasten beteiligen, daß es ein Gebot der Gerechtigkeit ist, daß sie dies so tun wie die Rentner, und daß es deshalb ein Gebot der Gerechtigkeit ist, wenn dies auch von den Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst bei der Zusatzversorgung geschieht, wie gestern vereinbart, das ist schon eine Auszeichnung für diesen gesetzgeberischen Ansatz.
Ich lege schon Wert darauf, daß wir, die Regierung, diesen einheitlichen Ansatz verfolgen und nicht ein-
Bundesminister Manfred Kanther
fach da zugreifen, wo es sich gerade ergibt, daß wir es in Aufrichtigkeit vor unseren Mitbürgern tun,
daß wir es vor einer Wahl tun
und nicht den Handlungsbedarf dahinschleifen lassen.
Ich fand es kennzeichnend, Herr Körper, daß Sie zu den vielen kleineren Punkten, die dieses Gesetz verbessernd einführt, ja sagen,
aber dazu, daß dieses Gesetz auch Anforderungen an unsere Mitbürger enthält, sagen: Das tragen wir nicht mit; das ist eure Sache. Aber in 10 von 16 Bundesländern und in vielen Kommunen tragen Sozialdemokraten Verantwortung für die Ordnung der öffentlichen Finanzen.
Infolgedessen machen wir als Bund - auch das muß gesagt werden, wenn es um die Frage geht, wer hier politischen Mut hat - hier die Schularbeiten der Länder und Kommunen in der fiskalischen Wirkung.
Die Bundesregierung hat 11 Prozent Personalkosten in ihrem Etat, die Länder 40, 42, 44 Prozent. Der Bund ist der einzige Bereich der öffentlichen Hand, in dem die Versorgungslasten nach dem Versorgungsbericht im Betrachtungszeitraum bis 2020 leicht geringer werden. Bei den Ländern steigen sie dynamisch. Wir machen ein Gesetz, das bevorzugt die Länder und Kommunen entlasten wird.
Es ist ein rundum vernünftiger, geschlossener und sehr innovativer Vorgang, den wir mit dem Dienstrechtsreformgesetz, dem Versorgungsreformgesetz und dem Versorgungsrücklagegesetz vor Ihnen ausgebreitet haben. Diese Gesetzgebungsarbeit schließen wir mit diesem Gesetz in dieser Legislaturperiode heute ab, womit wir gleichzeitig dem öffentlichen Dienst Sicherheit für seine Konditionen in Zukunft geben.
Vielen Dank.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Vollmer?
Bitte.
Es ist eine Nachfrage; ich beherrsche jetzt auch schon diesen Apparat. Das habe ich schnell gelernt.
Herr Minister, ich schätze ja Ihren Sinn für Nüchternheit und habe deswegen länger über Ihre Aussage nachgedacht, daß man ein System, das es seit 120 Jahren gibt, nicht mehr ändern könne; das sei nicht von dieser Welt. Halten Sie diese Aussage auch angesichts der Perspektive für richtig, daß wir uns in weniger als 100 Jahren auf Europa und völlig andere Systeme einstellen müssen? Finden Sie nicht angesichts der Tatsache, daß wir jetzt schon wissen, wie die Lage in 30 Jahren ist - kein Mensch will doch, daß von heute auf morgen ein System in ein anderes umgewandelt wird; solche Realisten sind wir doch alle -,
daß es zu unseren Vorsorgepflichten gehört, schon heute einen Überstieg in ein System, das in 20 oder 30 Jahren voll greift, vorzudenken und auch vorzubereiten? Das heißt also, den Neuaufbau eines anderen Systems neben dem jetzt herrschenden vorzusehen, wenn es die europäischen Verhältnisse verlangen.
Ich danke Ihnen dafür, daß Sie mich als nüchternen Menschen bezeichnet haben. Das bin ich. Deshalb kann ich schlecht mit Phrasen umgehen, vor allen Dingen, wenn sie nicht rechenbar sind.
Ich weiß, weil man es rechnen kann, daß man nicht neben der Beamtenversorgung die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung zahlen könnte. Das kann man rechnen. Ich weiß, daß all die aufgestellten Behauptungen und Phrasen, daß Beamte teurer als Angestellte seien und man deshalb aus Beamten Angestellte machen müsse, in sich zusammengebrochen sind, weil alle Sachverständigen das Gegenteil errechnet haben.
Ich weiß, daß die vollmundige Phrase der Frau Simonis, die durch Verkäufe von Landesvermögen eine Rücklage eingeführt hat, die der Versorgung dienen sollte, aber so zwergen- und mückenhaft war, daß man sie kaum erkennen konnte - ganz abgesehen davon, daß diese Rücklage jetzt wieder abgeräumt ist -, nunmehr keine Rolle mehr spielt. Wir tun unseren Mitbürgern keinen Gefallen, wenn wir sie unentwegt mit Phrasen füttern, die wir am nächsten Tag als nicht rechenbar wieder zurücknehmen müssen.
Ich möchte dem öffentlichen Dienst sichere Konditionen für die Zukunft geben. Hierauf nahm der zweite Teil Ihres Beitrages Bezug. Das deutsche Recht des öffentlichen Dienstes soll auch in Europa erhalten bleiben, denn es ist ein taugliches Dienstrecht.
Bundesminister Manfred Kanther
Es gibt nicht den leisesten Grund dafür, ein einheitliches europäisches Dienstrecht zu schaffen.
Das haben wir nicht vor. Andere mögen ihr Dienstrecht haben und damit den Konditionen ihres Staates entsprechen, wir entsprechen damit denen unseres Staates.
Eine völlig andere Frage ist, inwieweit man das Dienstrecht unter europäischen Rechtsaspekten für Ausländer öffnet. Das alles ist selbstverständlich. Aber daß wir etwa von Finnland bis Neapel ein einheitliches Dienstrecht bräuchten, wird uns hoffentlich nicht passieren, denn dann wäre der Kampf gegen die Bürokratie endgültig verloren.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Versorgungsberichts, Drucksachen 13/9527 und 13/10322. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit demselben Stimmenverhältnis angenommen.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Bericht der Bundesregierung über die im Kalenderjahr 1993 erbrachten Versorgungsleistungen im öffentlichen Dienst sowie über die Entwicklung der Versorgungsausgaben in den nächsten 15 Jahren, Drucksachen 13/5840 und 13/10322, Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Modernisierung von Beamtenrecht und Beamtenversorgung, Drucksache 13/10322 Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 9622 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/ CSU, der F.D.P. und der SPD angenommen, gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, bei Enthaltung der PDS und einer Stimme aus der SPD.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/10282 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Vorschriften der Land- und Forstwirtschaft
- Drucksache 13/10187 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
- Drucksache 13/10315 -
Berichterstattung: Abgeordnete Ludwig Eich
Norbert Schindler
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/10324 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Oswald Metzger
Peter Jacoby
Dr. Wolfgang Weng
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem erteile ich dem Kollegen Norbert Schindler das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten abschließend über das Gesetz zur Anpassung steuerlicher Vorschriften der Land- und Forstwirtschaft, über die Anhebung der Vorsteuerpauschale und den Viehschlüssel.
Die Anpassung der Vorsteuerpauschale von 9,5 auf 10 Prozent für die Landwirtschaft und von 5 auf 6 Prozent für den forstlichen Bereich dient eigentlich nur der Gerechtigkeit im Umsatzsteuerrecht. Die deutsche Agrarwirtschaft hätte ohne diese Korrektur eindeutige steuerliche Nachteile erfahren. Deswegen bin ich dankbar, daß wir in diesem Punkt in allen Fraktionen Übereinstimmung erreicht haben. Um es deutlich zu sagen: Es ist damit keine Mindereinnahme für den Staat verbunden.
Ich lobe dabei ausdrücklich das Engagement der Minister Dr. Theo Waigel und Jochen Borchert und bin dankbar, daß sie nach Abstimmung der makroökonomischen Zahlen mitgeholfen haben, dies durchzusetzen.
Um zu verdeutlichen, um was es überhaupt geht, möchte ich das Problem gerne an einem Beispiel beschreiben: Ein Betrieb mit 300 000 DM Umsatz erhält - bei Verrechnung einer Vorsteuerpauschale von 9,5 Prozent - auf diesen 28500 DM pauschalierte Umsatzsteuer. Kauft dieser Betrieb für 200 000 DM
Norbert Schindler
netto Betriebsmittel sowie Maschinen und Anlagen, so hat er dafür 32 000 DM Umsatzsteuer zu zahlen. In diesem Beispiel bewirkt die Anhebung der Vorsteuerpauschale auf 10 Prozent einen Rückerhalt von nun 30 000 DM. Damit haben wir wieder ein Angleichen der Zahlen erreicht.
Daß man bei der pauschalen Verrechnungsmodalität geblieben ist, demonstriert den Willen aller, das Schlagwort „Entbürokratisierung" auch im Steuerrecht tatsächlich ernst zu nehmen. Eigentlich ist dies ein gutes Werk.
Für die Forstwirtschaft ist eine Erhöhung auf 6 Prozent eigentlich nicht genug. Es müßten beinahe 7 Prozent sein; aber dies war auch in den eigenen Fraktionen leider nicht durchzusetzen.
Dies belegen auch, wie schon erwähnt, die makroökonomischen Zahlen, die der Beratung als Grundlage gedient haben. - Soweit zum zweiten Teil unseres Gesetzentwurf es.
Zum ersten Teil. Verschiedentlich werden Bedenken vorgetragen, es gebe in der Landwirtschaft einen zu dichten Viehbesatz pro Hektar.
Entgegen diesen Bedenken will ich ausdrücklich festhalten: Wenn wir bei den Betriebsflächen zwischen 30 und 100 Hektar eine Veränderung vornehmen, um die Vieheinheitenstaffeln etwas anzugleichen, so dient dies letztendlich nur dem geänderten Strukturwandel. Die letzte Änderung dieser Zahlen fand 1964 statt.
- Das eine hat aber mit dem anderen, Kollege Sielaff, nichts zu tun. - Wir geben damit dringend notwendige Antworten auf den Strukturwandel.
Ich will auch auf die Agenda 2000 hinweisen. Hier haben wir die Möglichkeit, auch fiskalisch deutlich zu machen, daß wir die Priorität nicht dem Gewerbebetrieb in der Landwirtschaft, sondern weiterhin dem bäuerlich strukturierten Familienbetrieb geben. Deshalb muß auch hier der bäuerliche Betrieb eine Bevorzugung erhalten.
Es gibt gleichzeitig auch eine Hemmschwelle für Betriebsleiter: Damit sie unter der Gewerbegrenze bleiben, dürfen sie sich nur in einem bestimmten Viehbesatz bewegen. Diejenigen, die ins Gewerbe rutschen oder schon gerutscht sind, schauen nicht mehr auf fünf oder zehn Vieheinheiten. Sie gehen dann als gewerbliche Unternehmer in die vollen und belegen damit gleiche Fläche mit deutlich mehr Vieheinheiten. Das kann ja auch ökologisch nicht gewollt sein. Gerade dies wollen wir nicht. Deshalb bitte ich die Bedenkenträger bei den Grünen und der gesamten Opposition, auch in diesem Punkt mitzustimmen.
Ich betone nochmals: Gerade das, was Sie als Bedenken vorgetragen haben, können wir mit dieser Neuregelung letztendlich verhindern.
Abschließend hoffe ich auch auf Zustimmung des Bundesrates, obwohl es dort ja sehr modern geworden ist, mit rotgrünen Mehrheiten Politik mit Blockaden auszuschmücken. Aber ich hoffe, hier zählt die Vernunft.
Vielen Dank.
Wir setzen die Debatte mit dem Kollegen Kurt Palis fort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Ich erkläre für meine Fraktion, daß wir dem Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher Vorschriften der Land- und Forstwirtschaft zustimmen werden.
Wir tun dies, obwohl wir mit dem parlamentarischen Verfahren, in dem es zu dieser zweiten Lesung gekommen ist, nicht einverstanden sind. Ich will das im einzelnen auch begründen.
Wir sind der Meinung, daß vor allem in bezug auf die vom Kollegen Schindler geschilderte Vieheinheitenstaffel Zeit genug gewesen wäre, eine Reform sorgfältig vorzubereiten oder aber, da wir es nicht getan haben, uns mehr Zeit zu nehmen, bevor wir darüber abstimmen.
Ich will das auch begründen. Grundsätzlich erkennen auch wir an, daß die Vieheinheitenstaffel, die ja den Gewerbebetrieb vom bäuerlichen abgrenzen soll, da sie aus dem Jahr 1971 stammt, nicht das berücksichtigt, was in der Zwischenzeit an Veränderungen passiert ist. Es ist in den Beratungen im Ausschuß auch darauf hingewiesen worden, man habe schon in den 80er Jahren, Herr Susset, Handlungsbedarf erkannt. Wieviel wichtiger wäre es gewesen, diese Geschichte nicht innerhalb einer Wochenfrist über die Bühne zu bringen.
- Das Ergebnis mag jetzt möglicherweise nicht schlechter sein. Aber, Herr Vorsitzender Carstensen, ein bißchen ist es schon so, daß man nicht genau weiß, was in der Schachtel drin ist. Wir wollen auf jeden Fall - da haben wir Ihre Fraktion an unserer Seite - die Bundesregierung bitten, zu den Fragen,
Kurt Palis
die ich gleich vortragen will, noch Auskunft zu geben.
Im normalen Verfahren läuft es ja anders herum: Man überlegt, ob man eine bestimmte Maßnahme ergreifen soll, und klärt vor der Abstimmung, welche Konsequenzen sie hat. Hier wird umgekehrt verfahren.
Hier wird zunächst der Beschluß gefaßt, und dann wird die Bundesregierung gebeten, Daten offenzulegen und zu erläutern, ob das, was wir beschlossen haben, auch in Ordnung ist.
- Ja, dieses Verfahren nennt man „das Pferd von hinten aufzäumen", Herr Susset.
Grundsätzlich erkennen wir also den Handlungsbedarf an. Aber warum jetzt diese Eile? Wir halten es für nötig, eine grundsätzliche Beratung noch nachzuholen.
Die Abgrenzung zwischen der Landwirtschaft und dem Gewerbe hat Auswirkungen auf die Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Steuervergünstigungen und Fördermittel. Daher müssen wir jeden Eingriff - das ist unsere Überzeugung - im Gesamtkontext der zentralen Ziele von Agrarpolitik und der auf sie ausgerichteten Förderung sehen und überprüfen. Über den Kontext, unter anderem über die ökologischen Konsequenzen, konnte nicht mehr beraten werden.
Wir sind allerdings der Meinung, daß es einen Einklang zwischen der Steuerpolitik in der Land- und Forstwirtschaft und der Agrar- und Umweltpolitik geben muß.
Dieser Einklang - mein Kollege Sielaff hat schon mit einem Zwischenruf darauf hingewiesen - ist zum Beispiel bei der Vieheinheitenstaffelung in der Düngemittelverordnung nicht gewahrt. Da gibt es jetzt eine Diskrepanz, die man noch reflektieren muß.
Der eigentliche Fortschritt wird von uns erst dann erzielt sein, wenn wir uns den Vieheinheitenschlüssel genauer vornehmen, nämlich die Futterbedarfsnormen für die Festlegung der Vieheinheitenstaffel. Daß sie inzwischen überholt sind, wissen wir - das wissen auch die Vertreter der Regierungskoalition -; denn sie stammen aus dem Jahr 1964, dem Zeitpunkt der letzten Hauptfeststellung. Inzwischen hat es biologisch-technische Fortschritte in der Landwirtschaft und in der Tierernährung gegeben, die natürlich berücksichtigt werden müssen.
Ein weiterer Punkt ist noch zu prüfen: Man muß bedenken, ob die neue Staffelung nicht ganz neue Anreize für Betriebsteilungen bietet, egal, wie die Staffel verändert wird. Man muß hier darüber nachdenken, ob nicht beispielsweise Gewerbebetriebe durch Teilung oder Drittelung ihres Unternehmens in die Landwirtschaft zurückflüchten, um damit die Steuerprivilegien zu behalten.
- Wegen dieser Gesetzesnorm nicht. Die Frage ist aber, ob die Gewerbebetriebe da möglicherweise eine Chance sehen.
Wir haben, meine Damen und Herren, in einem Entschließungsantrag bei den Beratungen am Mittwoch dieser Woche all diese Fragen aufgeworfen. Sie haben dankenswerterweise, obwohl Sie dem Entschließungsantrag nicht gefolgt sind, zugesagt, daß Sie in der Tendenz, im Gehalt der Fragen mit uns gehen. Das ist gut so. Wir wollen also einen Prüfauftrag an die Bundesregierung geben. Aber, wie gesagt, Sie müssen sich mit Recht dem Vorwurf ausgesetzt fühlen, daß die Verabschiedung von Gesetzen, ohne deren Wirkung zu kennen, immer den Zwang zum anschließenden Herumdoktern erzeugt.
Eigentlich hätte die Opposition Grund gehabt, den Gesetzentwurf hier abzulehnen.
Aber es geht in dem Gesetz auch noch um einen zweiten Teil, nämlich die Anhebung der Vorsteuerpauschale zum 1. Juli 1998. Hier hat es schon sehr früh ein Einvernehmen zwischen unserer Arbeitsgruppe und Fraktion und der Regierungskoalition gegeben.
Es bestand auch Einvernehmen - jedenfalls am Ende eines langen Diskussionsprozesses - über die Anhebung der Mehrwertsteuer zum 1. April dieses Jahres, um die versicherungsfremden, einigungsbedingten Leistungen aus der Rentenversicherung herauszunehmen und steuerzufinanzieren. Das war ein vernünftiger Kompromiß. Insofern ist es konsequent zu sagen: Wenn wir die Mehrwertsteuer erhöhen, wollen wir auch die Vorsteuerpauschale entsprechend anpassen. Es handelt sich hierbei auch nach unserem Verständnis nicht um eine Subvention, sondern um eine notwendige Anpassung.
Wir wollen an dieser Stelle keine Grundsatzdiskussion über die Durchschnittsbesteuerung und die Pauschalierung führen, die wir schon gelegentlich geführt haben. Wir werden sie irgendwann - etwa im Zusammenhang mit einer großen Steuerreform - in Ruhe wieder aufgreifen müssen. Ich gebe meinem Kollegen Schindler recht, wenn er sagt, daß man bei der Gelegenheit das Problem einer möglichen Über-
Kurt Palis
bürokratisierung nicht übersehen darf. Sie haben es anders ausgedrückt, aber in der Tendenz das gleiche gemeint.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, die Frage der Kosten: Im Gesetzentwurf ist die Rede davon, daß die Änderung des § 24 des Umsatzsteuergesetzes keine Kosten verursacht. Das ist insofern richtig, als man durch die Erhöhung der Umsatzsteuer Mehreinnahmen in Höhe von 15 oder 16 Milliarden DM und damit einen neuen Finanzrahmen hat, innerhalb dessen man diese strukturelle Weitergabe finanzieren kann. Insofern ist das, was im Gesetzentwurf steht, systemimmanent richtig. Aber es ist natürlich auch richtig, daß der Finanzminister dann, wenn wir diesen Vollzug nicht vorgenommen hätten, mehr Geld in der Hand gehabt hätte.
Bei der Vieheinheitenstaffel heißt es, die Kosten ließen sich nicht beziffern, sie dürften jedoch nicht ins Gewicht fallen. Das hoffen wir sehr. Wir werden das zu überprüfen haben. Hier besteht noch Klärungsbedarf.
Trotz der Bedenken werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Herzlichen Dank.
Ich rufe die Kollegin Ulrike Höfken auf.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Man könnte diesen Gesetzentwurf mit seinen vier Artikeln unter die Überschriften stellen: „Steuerbelohnung für Umweltbelastung", „ Gülletourismusförderung " und „Gewerbe wird zu Bauern gemacht" .
Mit der Neubewertung der Vieheinheitenstaffel wird das Signal in Richtung Umweltverschmutzung gesetzt. Statt artgerechte Tierhaltung zu fördern und damit den Gülleanfall und den Stickstoffeintrag in Boden und Gewässer zu verringern, sollen ab Juli auch bisher gewerbliche Tierhaltungsbetriebe zu Bauern erklärt werden. Dann werden noch viele hinzukommen - das ist das Problem -, die den Intensivierungsschritt bisher aus Furcht vor der Einstufung als Gewerbebetrieb noch nicht gemacht haben. Die Folgen werden sein: mehr Intensivtierhaltung, mehr Tiere pro Hektar und noch mehr Nitrat im Wasser, also sozusagen eine Umkehr der Idee der Ökosteuer.
Der jüngst umgesetzten und ständig als Beweis für die Umweltleistung der Landwirtschaft zitierten Düngeverordnung wird regelrecht von hinten durch die Brust ins Auge geschossen. Beispielsweise darf ein Betrieb nun - jetzt steuerlich als „bäuerliche Landwirtschaft" gefördert - bei 100 Hektar 540 Vieheinheiten halten, also immerhin noch 5,4 Vieheinheiten je Hektar. Nach der Düngeverordnung sind aber pro
Hektar Grünland nur 210 Kilo Stickstoffeintrag pro Jahr erlaubt, also der Gülleanfall von etwa 2,5 Vieheinheiten je Hektar, auf dem Ackerland nur 170 Kilo Stickstoff pro Jahr, also nur der Output von etwa 2 Vieheinheiten je Hektar. Das heißt, daß es keine Kompatibilität zwischen der Düngeverordnung und der neuen Vieheinheitenstaffel gibt.
Ein Rechtswiderspruch kann nur deswegen vermieden werden, weil es dann eben vermehrt Abnahmeverträge gibt und damit zu mehr Gülletourismus kommt. Es wird auf jeden Fall zu einem deutlichen Mehr an Gülleeintrag kommen als bisher.
Zu dieser „Wohltat" für die Bauern kann man dem Minister wohl kaum gratulieren; denn die Kritik an solcher Subventionspraxis wird damit zu Recht noch größer werden und das Image der Bauern weiter schädigen. Das ist Ihre Verantwortung.
- Nein, die Vieheinheitenstaffel hätte an die Düngeverordnung angepaßt werden müssen und nicht umgekehrt, wie es jetzt der Fall ist.
Bündnis 90/Die Grünen lehnen die Neubewertung der Vieheinheitenstaffel, die bislang schon eine recht hohe Intensität kleiner Betriebe erlaubte, als Schritt in die völlig falsche Richtung ab.
Zur Anpassung der Vorsteuerpauschale an die erhöhte Mehrwertsteuer läßt sich nur sagen: Es ist wahrhaftig ein Zynismus, wenn erst die Mehrwertsteuer erhöht wird und dann auf der Jubiläumsfeier des Deutschen Bauernverbandes die daraus folgende Anpassung der Vorsteuerpauschale als Wahlgeschenk verkauft wird.
Damit werden die Bauern von ihrem eigenen Minister wahrhaftig für dumm verkauft.
Zur Abstimmung: Der Vieheinheitenstaffel - das haben wir im Ausschuß deutlich gemacht - stimmen wir nicht zu. Der Vorsteuerpauschale stimmen wir zu. Wir werden uns hier aber der Stimme enthalten, und zwar unter Protest bezüglich des Abstimmungsverfahrens,
den auch Herr Palis bereits geäußert hat. Es ist eine absurde Vorgehensweise, die Folgen einer Änderung erst nach der erfolgten Änderung zu bewerten.
Danke.
Es spricht der Kollege Ulrich Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden
Ulrich Heinrich
heute ein Artikelgesetz, das zwei zentrale Verbesserungen für die deutsche Landwirtschaft enthält: zum einen die Anhebung der Vorsteuerpauschale zum 1. Juli dieses Jahres von 9,5 Prozent auf 10 Prozent in der Landwirtschaft und von 5 Prozent auf 6 Prozent in der Forstwirtschaft. Zum anderen wird die Vieheinheitenstaffel zum 30. Juni 1998 angepaßt.
Die Anhebung der Vorsteuerpauschale für die Land- und Forstwirtschaft ist ein richtiger und notwendiger Schritt, nachdem die Mehrwertsteuer im Rahmen der Rentenreform zum 1. April 1998 von 15 Prozent auf 16 Prozent angehoben worden ist. Die Anpassung der Vorsteuerpauschale an die damit verbundene steigende Vorsteuerbelastung der Land- und Forstwirtschaft ist fachlich geboten und politisch korrekt. Ein Verzicht wäre für uns überhaupt nicht in Frage gekommen. Ich verstehe nicht, daß das mit irgendwelchen Wahlveranstaltungen oder Jubelveranstaltungen in Verbindung gebracht wird. Es wäre sonst ein Unterausgleich, und damit wären materielle Nachteile, insbesondere für kleinere und mittlere Betriebe, eingetreten. Das hätten wir in keinem Fall hingenommen.
Allerdings erfolgt auch mit dieser Anpassung kein voller Ausgleich, da die tatsächlichen Vorsteuerbelastungen der Land- und Forstwirtschaft mit mehr als 10 Prozent berechnet werden; im Forstbereich sind es sogar mehr als 7 Prozent, nämlich 7,3 Prozent.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die in der Vergangenheit üblich gewesene Vorgehensweise hinzuweisen. Bislang hat nämlich - außer im Bereich der Forstwirtschaft - jede Anhebung des Steuersatzes automatisch zu einer entsprechenden Anpassung der Vorsteuerpauschale geführt. Für die F.D.P. ist von besonderer Bedeutung, daß die Forstwirtschaft von der Anhebung profitiert hat. Der Anpassungsrückstand ist wenigstens zum Teil aufgehoben worden.
Des weiteren sieht unser Gesetzentwurf eine Anpassung der Vieheinheitenstaffel zum 30. Juni 1998 vor. Danach soll die Grenze zur Gewerblichkeit bis zu 30 Hektar landwirtschaftliche Fläche unverändert bleiben und in bezug auf eine landwirtschaftliche Fläche von 30 bis 100 Hektar eine entsprechende Höherstufung vorgenommen werden.
Hierbei handelt es sich ausschließlich um steuerlich angelegte Maßnahmen, durch die nach unserer Auffassung die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft entsprechend verbessert wird. Frau Kollegin Höfken, es tut mir eigentlich leid, was Sie hier eben gesagt haben, weil ich weiß, Sie wissen es besser. Daß mehr Gülle ausgebracht wird, entspricht eben nicht den Tatsachen. Wir haben entsprechende Fachgesetze, die dafür sorgen, daß entsprechend dem Entzug im Rahmen der Düngeverordnung gedüngt wird. Jeder, der mehr, als er durch den Nachweis der Ernte den Flächen entzogen hat, düngt, egal ob mit Mineraldünger oder mit wirtschaftseigenem Dünger, handelt gegen die Düngeverordnung. Insofern besteht überhaupt keine Veranlassung, diese steuerliche Maßnahme mit umweltpolitischen Argumenten zu diskreditieren. Es ist inhaltlich falsch und nach außen hin nicht nachvollziehbar, weil Sie dadurch Ihre eigenen Bestrebungen, im Rahmen der
Düngeverordnung die Überdüngung der Felder zu verhindern, in Frage stellen. In Ihren Aussagen sind also erhebliche Widersprüche enthalten. Ich kann mich nur wundern, daß Sie sich hier hinstellen und so tun, als wäre diese Anhebung der Staffel eine umweltpolitische Belastung.
Alle Versuche, in die Argumentation einen falschen Drive hineinzubringen, werden nicht funktionieren; denn genau diejenigen Betriebe, die zwischen 30 Hektar und 100 Hektar bewirtschaften und für die wir eine Verbesserung anstreben, steigen nicht in den Ausmaßen, wie Sie es darstellen, in eine gewerbliche Veredelungsproduktion ein. Auch solche Gewerbebetriebe könnten in der Frage der Umweltbelastung nicht anders handeln als so, wie wir es in der Düngemittelverordnung vorgeschrieben haben.
Selbst wenn sie einsteigen würden, bestünde dazu überhaupt keine Veranlassung; denn die Nachteile, die sie auf Grund der steuerlichen Situation hinnehmen müßten, sind so gravierend, daß es wirklich ein Phantombild ist, das Sie hier an die Wand malen.
Herr Palis, ich möchte mich bei der SPD ausdrücklich bedanken. Hinsichtlich der Geschwindigkeit kann man sich zwar beklagen; aber manchmal sind die Dinge eben auch entscheidungsreif, ohne lange und ermüdende Debatten führen zu müssen. Wie wir gesagt haben, sind wir selber an inhaltlichen Informationen interessiert. Wir werden das Nötige auf den Weg bringen. Insofern halte ich es für eine gute Sache, daß die SPD in dieser Frage genauso wie wir abstimmt.
Herzlichen Dank.
Ich teile mit, daß der Kollege von der PDS, Herr Maleuda, seine Rede mit Zustimmung der anderen Fraktionen zu Protokoll gegeben hat.*)
Es spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, der Kollege Hauser.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der heute in zweiter und dritter Lesung beratenen Gesetzesvorlage zeigt die Bundesregierung, daß sie die Belange der Land- und Forstwirtschaft außerordentlich ernst nimmt.
Wir sind bemüht, die Einkommensentwicklung, die bei den Land- und Forstwirten weiß Gott noch nicht befriedigend ist, an die allgemeine wirtschaft-
*) Anlage 2
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
liche Entwicklung anzupassen. Außerdem ist es immer wieder notwendig, die Stellung deutscher Land- und Forstwirte im europäischen Wettbewerb zu verbessern. Auch dazu dienen die beiden Maßnahmen, die wir heute abschließend beraten wollen.
Es geht um eine Aktualisierung der steuerlichen Vorschriften für die Land- und Forstwirtschaft. Zwei Bereiche sind betroffen: Zum einen geht es um die Abgrenzung der landwirtschaftlichen von der gewerblichen Tierhaltung, Stichwort Vieheinheitenstaffel; zum anderen geht es um die Anhebung der Umsatzsteuer-Durchschnittssätze und der Vorsteuerbeträge.
Lassen Sie mich zunächst zu der Vieheinheitenstaffel kommen. Seit jeher grenzen wir im Steuerrecht die bodengebundene landwirtschaftliche Tierhaltung von der gewerblichen Tierhaltung ab. Diese Abgrenzung hat sich im großen und ganzen sehr gut bewährt. Ich bin deshalb fest davon überzeugt, daß die landwirtschaftliche Tierhaltung auf einer sicheren Flächengrundlage auch mit den Mitteln der Steuerpolitik geschützt werden muß. Diese Tierhaltung bietet den bäuerlichen Familien nicht nur wichtige Einkommenschancen, sondern sie dient damit auch dem Ziel einer wettbewerbsfähigen und marktorientierten Landbewirtschaftung, die zugleich umweltverträglich ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier in aller Deutlichkeit auf das eingehen, was beispielsweise von Frau Höfken und allerdings in etwas leiseren Tönen - von Herrn Palis gesagt worden ist. Die Bauern werden hier als Umweltverschmutzer, als Ausbeuter der Umwelt hingestellt. Das muß entschieden zurückgewiesen werden. Das trifft einfach nicht zu!
Wir müssen den Bauern die Chance geben, ein vernünftiges Einkommen zu erzielen. Dazu gehört auch die Anpassung der Vieheinheitenstaffel.
Die geltende Staffel stammt noch, wie bereits gesagt worden ist, aus dem Jahre 1970. Sie legt durch § 51 des Bewertungsgesetzes bzw. durch § 13 des Einkommensteuergesetzes die Höhe der zulässigen Tierbestände je Hektar landwirtschaftlicher Fläche fest.
Seit Bestehen dieser Vorschrift hat sich die Durchschnittsgröße landwirtschaftlicher Betriebe fast verdreifacht. Allein dies zeigt, daß die Staffel anpassungsbedürftig ist. Die Ertragsleistung landwirtschaftlicher Nutzflächen ist auf das Doppelte angestiegen, und auch in der Tierhaltung sind deutliche Veränderungen eingetreten. Diese lassen sich allerdings nicht durch eine kurzfristige Änderung des sogenannten Vieheinheitenschlüssels berücksichtigen, der bei der Einheitsbewertung zur Umrechnung von verschiedenen Tierarten in eine einheitliche Bemessungsgröße dient. Eine Änderung des Vieheinheitenschlüssels ist aus rechtlichen, aber auch aus technischen Gründen nur im Zusammenhang mit einer allgemeinen Neubewertung möglich. Man müßte jeden einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb neu bewerten. Das wäre natürlich wesentlich aufwendiger als das, was wir hier machen.
Herr Palis, man sollte folgendes einmal deutlich sagen. Hier wird das Verfahren kritisiert. Ich habe aber eher den Eindruck: Man hat keine sachlichen Argumente und möchte deshalb doch noch irgendwo ein Haar in der Suppe finden.
Der vorliegende Gesetzentwurf beschränkt sich auf die Änderung der Vieheinheitenstaffel. Durch eine maßvolle Anhebung der Tierbestände für Betriebe über 30 Hektar unter Beibehaltung einer degressiven Staffelung kann kurzfristig, das heißt schon ab dem nächsten Wirtschaftsjahr - auch das haben wir noch einmal geändert; das gilt also ab dem 1. Juli 1998 - gezielt den betroffenen Betrieben geholfen werden. Es werden nicht nur die entwicklungsfähigen Tierhaltungsbetriebe in den alten Ländern, sondern auch die meist wesentlich größeren Betriebe in den neuen Ländern - wenn auch auf Grund der degressiven Wirkung in einem relativ geringeren Umfang - profitieren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch kurz auf die umweltpolitischen Aspekte des Gesetzesvorhabens eingehen, nachdem das hier immer wieder kritisiert worden ist, auch wenn das nicht mein Fachbereich ist. Die vorgesehene Neuregelung hat keinerlei Auswirkungen auf die umweltgerechte Haltung von Tieren. Für diese gelten nämlich andere Vorschriften, wie zum Beispiel die Düngeverordnung, nach der nur bestimmte Mengen von wirtschaftseigenem Dünger, wie zum Beispiel Gülle, auf den Flächen ausgebracht werden dürfen. Eine Bindung an die Bewirtschaftung der Flächen durch die Tierhalter, wie im Steuerrecht, besteht hier nicht. Deshalb macht eine Verknüpfung der steuerpolitischen Vorschriften mit umweltpolitischen Regelungen auch absolut keinen Sinn.
- Herr Sielaff, Sie können diese Diskussion noch im Fachausschuß austragen.
- Die Regelung ist sehr sinnvoll. Es geht hier um die steuerpolitische Regelung. Wir halten sie für richtig. Sie haben sich ja auch dazu durchgerungen, den Änderungen zuzustimmen. Von daher sind wir uns doch wieder einig.
Lassen Sie mich nun zu dem zweiten Teil des Gesetzes kommen. Wir haben mit Wirkung zum 1. April den Umsatzsteuersatz von 15 auf 16 Prozent angehoben. Die Ursachen wurden bereits erläutert. Die Änderung des Steuersatzes wirkt sich natürlich auch auf die Land- und Forstwirte aus, bei denen die Umsatzsteuer pauschal festgesetzt ist, die also die Vor-
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
steuer nicht auf Mark und Pfennig genau geltend machen, sondern die die Vorsteuer sozusagen pauschal ermitteln. Aber die Einkäufe haben sich durch die Anhebung der Umsatzsteuer entsprechend verteuert.
Ich glaube, die Auffassung ist nicht ganz richtig, daß hier zwingend eine automatische Anpassung vorgesehen werden müßte. Vielmehr geht es immer um die Frage: Wie hoch sind die Einkäufe mit der Umsatzsteuer belastet? Das muß von Zeit zu Zeit überprüft werden, und dann müssen möglicherweise Anpassungen vorgenommen werden.
Nach den Berechnungen des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist die Entwicklung der mit den Verkaufserlösen und Betriebsausgaben in der Land- und Forstwirtschaft anfallenden Umsatzsteuer ansteigend. Die zur Zeit geltenden Sätze von 9,5 Prozent für die Landwirte und 5 Prozent für die Forstwirte reichen ihnen zur pauschalen Abdeckung der tatsächlichen Vorsteuerbelastungen nicht mehr aus, um die Anhebung des allgemeinen Umsatzsteuersatzes zum 1. April 1998 abzufangen. Deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf vorgelegt, der der Anhebungswirkung gegensteuern soll. Wir heben die Durchschnittsätze zum 1. Juli 1998 für die Landwirte auf 10 Prozent und für die Forstwirte auf 6 Prozent an.
Damit entsteht für die meisten Landwirte, deren Umsätze nach einem pauschalierten Verfahren besteuert werden - eben nach der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 des Umsatzsteuergesetzes -, auch künftig keine Zahllast. Die Land- und Forstwirte dürfen nach diesem System ihren Abnehmern Umsatzsteuer in Rechnung stellen - künftig 10 Prozent bzw. 6 Prozent -, brauchen aber keine Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen. Es wird also unterstellt, daß die pauschalierte Vorsteuerbelastung und die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer - nämlich die 10 Prozent bzw. die 6 Prozent - gleich hoch sind und daß damit die Zahllast null DM beträgt. Wie Sie wissen, gibt es bei einem pauschalierten Verfahren immer Vorteile und Nachteile. Es wird hier eben auf die Durchschnittsbesteuerung abgestellt, und sie wird durch diese Anhebung wieder ausgeglichen.
Ich glaube, sowohl die Anpassung der Vorsteuerpauschale als auch die Änderung der Vieheinheitenstaffel sind geeignet, sehr positive Akzente für die weitere Entwicklung der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland zu setzen. Deswegen darf ich Sie bitten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpassung steuerlicher Vorschriften der Land- und Forstwirtschaft; das sind die Drucksachen 13/10187 und 13/10315. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit demselben Stimmenverhältnis wie eben angenommen worden ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie die Zusatzpunkte 10 und 11 auf:
16. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts sowie weiterer Vorschriften
- Drucksache 13/7158 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/10331 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Margot von Renesse
ZP10 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Margot von Renesse, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Betreuungsrecht
- Drucksachen 13/7176, 13/10331 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Margot von Renesse
ZP11 Beratung des Antrags der Abgeordnten Margot von Renesse, Arne Fuhrmann, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Reform des Betreuungsrechts: Von der justizförmigen zur sozialen Betreuung
- Drucksache 13/10301
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Zum Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch; wir verfahren so. Als ersten Redner
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
rufe ich den Kollegen Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten auf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie immer bei großen Gesetzesvorhaben ergeben sich nachher im Detail Schwierigkeiten, und so sind nach den praktischen Erfahrungen der letzten fünf Jahre mit dem Betreuungsrecht eine Reihe von Problemen aufgetaucht, die wir zumindest zum Teil jetzt lösen müssen, ohne die Augen davor zu verschließen, daß es noch andere Probleme gibt, die besprochen, geprüft und gegebenenfalls gelöst werden müssen. Deswegen haben wir vor, einen gemeinsamen Entschließungsantrag einzubringen, der der Bundesregierung den Auftrag gibt, die Schwachstellen zu prüfen und uns Vorschläge für andere Bestimmungen zu machen.
Das Betreuungsgesetz ist eingeführt worden, um für Menschen, die - teilweise oder ganz - nicht mehr für ihre eigenen Geschäfte sorgen können, unter Wahrung ihrer Würde und ihres persönlichen Leistungsvermögens andere zu bestimmen, die ihnen helfen sollen. Die krasse Entmündigung, die oft theoretisch durchgeführt wurde und bei der das Mündel meist nur über das Papier Kontakt zum Vormund hatte, sollte - dies ist gelungen - einer persönlichrechtlichen Betreuung weichen. Dennoch haben wir uns genötigt gesehen, in der Überschrift „rechtliche Betreuung" einzufügen, weil eine Reihe von Betreuern in der Vergangenheit den Unterschied zwischen rechtlich-wirtschaftlicher Betreuung und der sozialen Betreuung nicht gesehen haben.
Auch wir wissen, daß sich die Grenzen überschneiden. Aber schon aus Gründen der unterschiedlichen Kostentragung müssen die Grenzen gezogen werden, weil die rechtlich-wirtschaftliche Betreuung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Justizhaushalt, die sozial-menschliche Betreuung aber aus den Sozialhaushalten zu bestreiten ist.
Zudem haben wir deutlich hervorgehoben, daß die ehrenamtliche Betreuung die Regel, die Berufsbetreuung die Ausnahme sein soll - nicht nur aus Rücksicht auf ein eventuell vorhandenes Vermögen des zu Betreuenden, sondern auch aus Rücksicht auf die Haushaltslage der Länder, die bei Betreuten ohne eigenes Vermögen und Einkommen einspringen müßten.
Wir haben bewußt die Pauschale für ehrenamtliche Betreuung verdoppelt, um einen Anreiz zu schaffen. Wir haben bewußt den Berufsvormund bzw. den Berufsbetreuer erst dann als solchen anerkannt, wenn er mindestens eine Halbtagstätigkeit ausübt.
Die familiären Bindungen sollen bei der Bestellung von Betreuern zukünftig stärker berücksichtigt werden, seien es Verwandtschaftsangehörige, Freunde oder Ehepaare als gemeinsame Betreuer. Dabei soll deutlich Rücksicht auf schriftlich oder mündlich geäußerte Wünsche hinsichtlich der Erteilung von Vorsorgevollmachten genommen werden.
Wir vom Bundestag haben uns am Anfang sehr dagegen gesträubt, daß wir den Stundensatz für Berufsbetreuer hier festlegen sollen, weil dies eigentlich die Aufgabe der Länder ist. Wenn wir dennoch diesem Wunsche der Länder nachgekommen sind, so deswegen, weil extrem unterschiedliche Stundensätze zwischen 30 und 150 DM in einzelnen Bundesländern gewährt wurden. Wir verstehen aber diese Stundensätze als Richtlinien, die durch eine Öffnungsklausel jeweils um 20 Prozent von den Ländern angehoben oder ermäßigt werden können.
Diese neuen Stundensätze sind, wie wir aus vielen Zuschriften und Eingaben wissen, heftig umstritten. Oft wird sich auch gegen die Qualifikationseinteilung gewehrt. Dennoch sind wir der Meinung, daß sie mit einem Grundbetrag von 35 DM angemessen sind. Er wurde im Rahmen der Beratung von 30 auf 35 DM erhöht. Wenn besondere Kenntnisse vorhanden sind, erhöht sich dieser Satz auf 45 DM. Für diejenigen, die einen Hochschulabschluß haben, wird er auf 60 DM festgesetzt. Allen Vergütungen ist gleich, daß sie beim Auftreten besonderer Schwierigkeiten um weitere 15 DM erhöht werden können.
Irritierungen hatte es bei Betreuungsvereinen gegeben, die in der bisherigen Praxis auch die sogenannten Querschnittskosten für ihre Vereine in ihre Vergütungssätze eingerechnet hatten und auch erstattet bekamen. Dies sind aber Kosten, die im Betreuungsgesetz nicht enthalten sind. Sie müssen vielmehr von den Ländern gesondert getragen werden.
Ich kann auf Einzelheiten von Berechnungsgrundlagen, die mir zugesandt wurden, nicht eingehen. Aber seriöse Berechnungen von Steuerberatern und Länderfinanzexperten zeigen, daß ein Berufsbetreuer - für die Betreuung benötigt er, wenn überhaupt, ein weiteres Zimmer und die Mitbenutzung seines Pkw und Telefons - selbst bei Abzug von 40 Prozent Festkosten für Fahrt-, Verwaltungs- und Versicherungsaufwendungen einen auskömmlichen Bruttostundenlohn hat, der bei unterstellten 180 Stunden im Monat deutlich höher liegt als bei vergleichbaren ungelernten Berufen bzw. bei Berufen mit einfacher oder gehobener Qualifikation.
Es sind auch abenteuerliche Abrechnungen zugeschickt worden. Wenn ein Sozialarbeiter schreibt, daß er bei 1340 Stunden im Jahr als freiberuflich Tätiger mit 84 000 DM brutto nicht auskommen könne, dann kann ich nur sagen: Das mag sein, aber dafür arbeitet er auch nur 27,5 Stunden in der Woche. Wenn man sich mit einem Freiberuflichen vergleichen will, dann muß man zur Kenntnis nehmen, daß dieser in der Regel 40 bis 45 Stunden in der Woche arbeitet. So kommt er auf 2000 Stunden im Jahr, was einer Summe von 120 000 DM brutto entspricht. Umgerechnet sind das bei Abzug von 40 000 DM Kosten noch 13 Monatsgehälter von ungefähr 6000 DM brutto. Das sind immerhin die Bezüge eines Amtsrates A 12 oder Angestellten mit BAT II/III.
Wir haben aber auch, um den Mißbrauch nach oben zu verhindern, festgesetzt, daß jeder Betreuer seine Gesamtjahresbruttostunden seinen Abrechnungsstellen mitteilt. Dies ist als Anregung aus der Anhörung hervorgegangen.
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Wir haben durch Übergangsvorschriften bis zum 30. Juni 2000 alte Vergütungsregelungen bewußt zugelassen, damit sich jeder rechtzeitig und auf Dauer auf die neue Situation einstellen kann. Wir haben den Betreuern, die schon jahrelang betreuen, ohne entsprechende Qualifikationen nachgewiesen zu haben, die Möglichkeit gegeben, diese nunmehr in den nächsten drei bis fünf Jahren nachzuholen, damit sie weiterhin in ihrem Beruf bleiben können.
Lassen Sie mich zum Abschluß all denen danken, die sich für die Betreuung von alten, kranken und jungen Menschen ehrenamtlich und hauptamtlich einsetzen. Niemand will ihre Tätigkeit schmälern oder die Schwierigkeiten nicht sehen. Alle können versichert sein, daß die Mitglieder des Bundestages keineswegs einen gerechten Lohn schmälern wollen.
Wir konnten uns aber den dringenden Wünschen der Länder nach einheitlichen Richtlinien nicht entziehen und hoffen, daß mit den Sätzen, die uns im übrigen von den Ländern so vorgegeben waren, Frieden einkehrt und mit diesem Gesetz auch eine Entlastung der Gerichte einhergeht, weil gerade über die Vergütungssätze sehr viel Streit entstand.
Ich hoffe, daß wir mit diesem Gesetz etwas Gutes auf den Weg gebracht haben und dann im nächsten Semester die anderen Punkte behandeln.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Margot von Renesse.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang etwas Versöhnliches. Ich freue mich, daß wir zu einem gemeinsamen Entschließungsantrag kommen können, der, obgleich heute eine wie auch immer geartete Veränderung des bestehenden Gesetzes verabschiedet wird, deutlich macht, daß es endlich einer Reform bedarf.
Da freue ich mich ganz aufrichtig, daß diese Erkenntnis inzwischen gereift ist. Dies ist eben nicht das Gesetz, mit dem Frieden einkehrt. Gott sei Dank sind auch Sie dieser Meinung. Wir werden gemeinsam - hoffentlich unter einer neuen Regierung - nach neuen Wegen suchen müssen; denn in der Tat: Das geltende Recht ist ungeheuer reformbedürftig.
Sie aber sind offensichtlich nicht mehr reformfähig.
Obgleich Sie jahrelang die Klagen der Länder über die Unzuträglichkeiten des geltenden Rechts kennen und jahrelang darüber gebrütet haben, haben Sie nach wie vor keine Verbindung zur Praxis, wie Ihre Antwort auf unsere Große Anfrage deutlich erweist. Sie haben sie nicht einmal gesucht. Sie sind so weit
von der Realität entfernt, wie sie von den Menschen entfernt sind, um die es geht.
Es hat Sie nicht interessiert, wie viele einstweilige Anordnungen in den Gerichten knallen, wo es gar nicht möglich ist, all die wunderschönen Verfahrensgarantien einzuhalten, weil es nämlich beim Vormundschaftsgericht immer von jetzt auf gleich um Entscheidungen geht, die in Krisen sofort dasein müssen.
Sie haben die grundsätzlichen Probleme des Betreuungsrechts, das wir heute haben, bei aller Richtigkeit seiner Zielsetzungen, die wir damals auch geteilt haben, nie in den Blick genommen. Sie bleiben von den Menschen weit entfernt und verziehen sich in den juristischen Elfenbeinturm; denn das Recht ist ein Justizgesetz. Der Rechtsausschuß macht es. Ich bin froh, daß es in unserer Fraktion zusammen mit Arne Fuhrmann gelungen ist, die Seniorenpolitik einzubeziehen;
das heißt, die Zuwendung zu den alten Menschen, die ihre Würde und ihre Autonomie soweit wie möglich erhalten sollen.
Was ist dieses Betreuungsrechtsänderungsgesetz? Ist es eine Novelle? Dazu sind seine Folgen zu weitreichend. Ist es eine Reform? Dazu weist es nicht in eine Gesellschaft des demographischen Wandels, in die wir hineingehen.
Was ist es dann? Es ist eine weitgehende Rücknahme einer Reform, bei der das Wort „Betreuung" übriggeblieben ist, aber Inhalte weitgehend verschwunden sind.
Sie haben in existentiellen Fragen der schwerwiegenden und risikoreichen Behandlung das Vieraugenprinzip aufgegeben, Sie haben die Verfahrenspflegschaft weitgehend zurückgedrängt, alles aus Kostengründen. Sie haben ja recht; die Länder weisen mit Recht darauf hin, daß es eine Kostenexplosion ohnegleichen gibt und daß die Kosten weiter steigen werden. Da ist etwas zu tun. Dies ist ein Bundesgesetz; es ist Ihre Verantwortung,
etwas Vernünftiges an seine Stelle zu setzen
und nicht nur einfach zu sagen: Es muß gespart werden -
Margot von Renesse
nach Ihrer Auffassung zu Lasten der Betreuungsstrukturen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pof alla?
Frau Präsidentin, Herr Pofalla hat gleich noch Gelegenheit, ausführlich auf das zu antworten, was ich sagen werde und gesagt habe. Deswegen glaube ich, daß wir uns das im Augenblick sparen können.
Herr von Stetten, Sie haben gesagt: Es geht um Kostenentlastung. Dabei schrappen Sie verfassungsrechtliche Grenzen. Sie reden von 40 Prozent, die man von den Bruttoentgelten der Betreuer abziehen müsse. Aber schon Arbeitnehmer, die den Urlaub bezahlt kriegen und Krankengeldansprüche haben, zahlen gegenwärtig - aus den berühmten Lohnnebenkostendiskussionen kennen wir das ja - 42 Prozent Sozialabgaben. Wollen Sie das den Sozialarbeitern, die Betreuung leisten, verweigern? Dazu kommt die Haftpflicht, dazu kommt die Steuer. Im Ergebnis frage ich mich sehr deutlich - das wird das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben -, ob Sie hier nicht das, wie es so hübsch heißt, verfassungsrechtlich immanente Kostendeckungsprinzip aufgegeben haben. Das wird eine Sache sein, die Sie mit den Berufsverbänden auszumachen haben, eventuell in Verfassungsbeschwerden. Das ist nicht in erster Linie mein Problem.
Wichtiger ist, daß Sie die Strukturen zerschlagen, in der juristischen Hybris, was im sozialen Bereich passiere, sei nichts wert.
Das sind die Birkenstocksandalenträger; Juristen haben mit denen sowieso nichts am Hut.
Übrig bleibt die „rechtliche Betreuung", was immer das ist. Das heißt, wenn der Betreuer als halber Anwalt fungiert, dann wollen Sie ihn ernst nehmen. Aber wenn er mit den Menschen redet, auch Kaffee trinkt und zum Geburtstag einen Blumenstrauß bringt, dann ist das alles nicht viel wert.
Herr von Stetten, Sie reden davon, daß Sie die Justiz entlasten wollen. Es tut mir leid, aber ich fürchte, die Justiz wird viel Neues zu tun kriegen, weil neue, wertausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe dazugekommen sind, die erst in einer Vielzahl von Prozessen schön ausgestritten werden müssen. Was ist zum Beispiel eine berufliche Kenntnis, die für eine Betreuung „nutzbar" ist? Das ist nicht einmal nur abstrakt; das ist konkret.
Das ist von Bezirksrevisoren überhaupt nicht mehr zu überprüfen.
Sie reden jetzt von persönlich-rechtlicher Betreuung. Im Gesetz steht: „rechtlich", was immer das ist. Ich denke, daß wir eine Reihe von Gerichtsentscheidungen brauchen, um überhaupt zu wissen, was Sie beschlossen haben.
Dann gibt es noch eine wunderschöne Vorschrift. Das ist § 1 908k, die große Datengrube bei den Betreuungsbehörden, wo Berufsbetreuer und Vereine sozusagen ihr Wirtschaftsgebaren offenbaren müssen, wobei keiner weiß, wofür. Sie haben wohlweislich den Datenschutzbeauftragten nicht gefragt. Aber mindestens müßten Sie sagen können, wie die Kommunen die Kosten im Bereich des Betreuungsbehördengesetzes für die zusätzliche Verwaltung von Daten tragen sollen, von denen keiner weiß, was er damit machen soll. Ich denke, auch hier wird es Verfassungsbeschwerden setzen.
Ich komme zu dem entscheidenden Punkt. Sie meinen - das ist eigentlich der Hintergrund der Reform -: Was bei der Justiz - Gerichte, Geschäftsstellen, Kanzleien - läuft, das ist sakrosankt. Wir wissen immerhin so viel aus Ihren Antworten auf unsere Große Anfrage, daß das der teuerste Komplex ist. Überflüssig, zu teuer erscheint Ihnen das Betreuungswesen, wo es darum geht, die Zuwendung zu leisten. Das kann so nicht bleiben.
Das war schon ein Fehler des alten Gesetzes. Deswegen unser Vorschlag der Zweigleisigkeit, die auch Sie nicht vermeiden können.
Was machen Sie mit unserem guten alten BGBl Der Bezirksrevisor soll in Zukunft auch noch mit dem Sozialrecht hantieren. Ich stelle mir vor, wie der beim Sozialamt anruft und fragt: Wie machen Sie das? Dieser komische Wechselbalg bei der Frage des Regresses, der sozialpolitisch außerordentlich problematisch ist und nichts bringen wird - das sage ich Ihnen -, diese Kreuzung aus Prozeßkostenhilfe mit Zehnjahresregreß und Sozialhilfe! Du liebe Güte, was sind das für merkwürdige Erscheinungen!
Das BGB wird sozusagen um seine Zielsetzung gebracht, indem Sie, weil Sie gar nicht anders können, auf das Sozialrecht Bezug nehmen.
Ich hoffe, wir werden mit allen Seiten dieses Hauses eine vernünftige Reform auf den Weg bringen, die sehr schwierig sein wird. Sie wird ressortüber-
Margot von Renesse
greifend sein müssen. Sie wird ebenenübergreifend sein müssen. Das wird ein langer Weg sein. Deswegen verstehe ich die Länder, die angesichts eines mißglückten Gesetzes, das sie haben, verzweifelt nach einer wie auch immer gearteten Entlastung auf die Schnelle greifen müssen;
etwas Besseres geben Sie ihnen ja nicht, obgleich Sie dafür verantwortlich sind. Schließlich tragen Sie die Bundesregierung, und die Probleme sind seit Jahren bekannt.
Lassen Sie mich nun kurz auf den Entschließungsantrag der PDS eingehen. Ich habe selten etwas aus der Feder von Bundestagsabgeordneten gesehen, was so wenig eigene Bemühungen um das Thema offenbart hat. Da werden die Kritiken zusammengeschrieben, die aus Verbänden, von Berufsbetreuern und aus der Ebene der Leute kommen, die sich mit diesen Dingen befassen. Sie haben sich jedoch offensichtlich nicht damit befaßt; denn Sie schreiben die Kritiken einfach hintereinander, und die Widersprüchlichkeit Ihrer Forderungen und Ihrer Kritikpunkte ist Ihnen offensichtlich nicht aufgegangen. Darüber können wir vielleicht noch einmal reden. Wenn es Ihnen Spaß macht, mache ich das gern.
Ich habe allerdings das Gefühl: Dieser Entschließungsantrag der PDS klappert wie ein einzelnes Zehnpfennigstück in einer sonst leeren Sparbüchse.
Er ist oberflächlich, aber das Thema ist zu wichtig, als daß man sich nicht wirklich damit befaßt. Ich habe von der PDS nichts im Rechtsausschuß gehört, was irgendwie weiterführte. Man kann nur mit Heinrich von Kleist, „Prinz Friedrich von Homburg" , sagen: „Der Meinung auf dem Schlachtfeld warst du nicht. "
Damit fischt man meines Erachtens nichts als Stimmen nach dem Motto: Wir tragen eure Anwürfe in den Bundestag. Aber, meine Damen und Herren von der PDS, wir werden dafür bezahlt, daß wir Auswege finden, und nicht, daß wir uns nur an eine wie auch immer geartete Klagemauer stellen.
Wir werden gemeinsam arbeiten. Mehrheit oder Minderheit spielt hier nicht die entscheidende Rolle; denn es handelt sich um ein Stück Alltagsrecht, das gemeinsam getragen werden muß. Darum entschuldige ich mich für meine mitunter vielleicht etwas polemischen Äußerungen.
Ich meine es nicht so; denn ich denke, daß wir zusammenarbeiten müssen und auch zusammenarbeiten können. Im Ergebnis muß es anders werden, wobei unsere Vorstellung erst der Anfang von dem ist, was im Ergebnis gemeinsam, vor allem mit den Beteiligten, erörtert werden muß. Darauf freue ich mich.
Liebe Frau Kollegin von Renesse, es ist so selten, daß Kleist im Bundestag zitiert wird, deswegen hätten wir es hier oben so gern richtig verstanden. Wir werden aber noch einmal im Protokoll nachsehen.
- Vielen Dank für die Literatur.
Herr von Stetten wollte gern eine Kurzintervention machen.
Nachdem Frau von Renesse mich mehrfach unfreundlich betitelt hat - Sie haben sich aber für Ihre Polemik bereits entschuldigt -, möchte ich sagen, Frau von Renesse: Wir haben im Ausschuß sehr viel sachlicher darüber gesprochen. Sie hätten die Polemik, die Sie an uns weitergegeben haben, eigentlich an die Länder weitergeben müssen. Dort hat bekanntlich die SPD die Mehrheit, und von dort kommen die Anregungen, die wir hier vollzogen haben, weil wir die Not der Länder erkannt haben.
Das, was Sie uns von der CDU vorwerfen, nämlich wir hätten etwas gemacht, was unmenschlich wäre, was für die Betreuten zu einer Aufhebung der Betreuung führen würde, müssen Sie an die SPD- regierten Länder, müssen Sie an Schröder, Lafontaine etc. weitergeben. Dann haben Sie die richtige Adresse erreicht.
Ich hoffe, daß ich, auch wenn ich mitunter etwas polemisch werde oder geworden bin, Sie nicht persönlich gekränkt habe; denn die Zusammenarbeit mit Ihnen allen ist mir wichtig.
- Nein, entschuldigen Sie, Herr Braun, ich würde gern ein wenig auf die verfassungsrechtliche Lage eingehen, die Herr von Stetten, wie ich meine, verkennt.
Dieses Gesetz ist ein Bundesgesetz.
Die Länder können nur ihre Not zu Ihnen, zur Bundesregierung, zur Mehrheit in diesem Hause bringen; denn Sie haben den Hebel in der Hand, um die Not zu wenden.
Sie müssen kreativ sein. Sie handeln aber, wie Ihre Antwort auf unsere Große Anfrage deutlich macht, nach dem Prinzip: Herr vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Sie haben sich um die Folgen des Bundesgesetzes zum Betreuungsrecht offensichtlich sehr wenig gekümmert.
Margot von Renesse
Ich weiß zu respektieren, daß Sie den Ländern, um ihre Not wissend, entgegenkommen wollen. Sie verkennen aber die Lage, wenn Sie nicht davon ausgehen, daß es Ihre Verantwortung ist, die der Bundesregierung. Der Bundestag ist verantwortlich für eine Reform des Betreuungsrechts, die die Länder angemahnt haben. Die Länder können sich nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen; das ist gar nicht möglich. Es ist Ihre Verantwortung. Dafür wird jeder einzelne Bundestagsabgeordnete bezahlt.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann Frau von Renesse in vielem nur beipflichten, und ich hoffe, wir werden in der nächsten Wahlperiode gemeinsam gründlicher an dieses Thema herangehen können, als das heute hier möglich ist.
Seit Bekanntwerden des Regierungsentwurfs zu einem Betreuungsrechtsänderungsgesetz sind die Betroffenenverbände Sturm gelaufen, und ich meine, zu Recht. Wieder einmal soll gerade auf Kosten der Schwächsten gespart werden. Die Existenz von qualifizierten Berufsbetreuern und von Betreuungsvereinen wird gefährdet, die ehrenamtliche Betreuung weiter zurückgedrängt,
und all dies, ohne daß man die Schwachpunkte des geltenden Rechts genau benennen könnte oder analysiert hätte.
Von dieser auch in der Anhörung des Rechtsausschusses geäußerten Kritik haben Sie sich nur wenig beeindrucken lassen. Offensichtlich haben Sie sich von dem Motto „Viel Feind, viel Ehr" leiten lassen in Ihrem Bestreben, den Entwurf doch noch in dieser Legislaturperiode auf Biegen und Brechen durchzuboxen. Ich weiß, daß auch vielen von Ihnen in der Koalition nicht recht wohl bei dem Unternehmen ist, weil Sie die Schwächen Ihres Entwurfes durchaus kennen.
Den Betreuten drohen massive Verschlechterungen. Auf ihr Einkommen und Vermögen wird bei Maßnahmen, die sie - wie bei Zwangsbetreuungen - möglicherweise gar nicht wollen, stärker Zugriff genommen als bei Leistungen der Sozialhilfe, die nur mit dem Willen der Betroffenen gewährt werden kann. Die Konsequenz wird sein, daß Betreuung nicht nur als Hilfe, sondern zuweilen auch als Belastung erlebt werden wird. Die Akzeptanz der Betreuungen wird so nicht gefördert, sondern demontiert.
Die Einführung eines zehnjährigen Rückgriffsanspruches der Staatskasse gegenüber den Betreuten und ihren unterhaltspflichtigen Angehörigen wird zur Übernahme von Betreuungen durch belastete Angehörige führen, die den staatlichen Regreß fürchten müssen. Sie gefährdet die Rehabilitation der Betreuten und entsprechende Bemühungen der Betreuer. Der Anreiz zur Aufnahme einer selbständigen Arbeit wird minimiert, wenn der ehemals Betreute noch nach zehn Jahren für die durch die Betreuung verursachten Kosten geradestehen muß. Ganz nebenbei werden auch noch die Vormundschaftsgerichte mit weiteren Verfahren belastet. Wie diese zusätzliche Belastung der Justiz den Ländern helfen soll, müssen Sie den Ländern nach dem Beschluß dieses Gesetzes wahrscheinlich noch ausführlich erklären.
Auch die vorgesehene Vergütungsregelung ist auf harte Kritik gestoßen. Sie trifft sowohl Betreuungsvereine wie auch qualifizierte Berufsbetreuer in ihrer Existenzgrundlage. Für Berufsbetreuer ohne Fachkenntnisse werden als unterste Stufe 35 DM pro Stunde geleisteter Arbeit vorgesehen. Diese „Betreuung light" stellt die bislang erreichte Fachlichkeit in der Berufsbetreuung in Frage. Zugleich wird der Vorrang der bisher maßgeblich durch die Betreuungsvereine organisierten unentgeltlichen ehrenamtlichen Betreuungen gefährdet.
Der Vergütungssatz von Berufsbetreuern mit entsprechenden Fachkenntnissen durch eine Fachhochschulausbildung, wie es bei Vereinsbetreuern in der Regel der Fall ist, soll 60 DM pro Stunde betragen. Dieser Betrag wird jedoch als bei weitem nicht kostendeckend angesehen. Sind die Betreuungsvereine aber in ihrer Existenz bedroht, gehen die ehrenamtlichen Betreuungen zurück und werden die Kommunen wieder verstärkt für Betreuungen einstehen müssen. Gespart wird damit keine Mark. Der Entwurf wird in diesen Punkten im Ergebnis, entgegen seiner erklärten Absicht, bei Ländern und Kommunen sogar kostensteigernd wirken.
Auch meine Fraktion sieht Anlaß zur Kritik am geltenden Betreuungsrecht. Solange es aber keine fundierten Kenntnisse darüber gibt, worauf die Probleme im einzelnen zurückzuführen sind, gibt es keinen Grund, jetzt im Schweinsgalopp eine Reform des erst sechs Jahre alten Gesetzes zu verabschieden. Sie erreicht ihr gesetztes Ziel nicht - das kann man heute schon sicher sagen - und führt bei allen Betroffenengruppen zu Rechtseinbußen. Deshalb lehnen wir diesen Entwurf ab und hoffen, auf der Grundlage des Antrages der SPD-Fraktion in der nächsten Wahlperiode hier zu einer anständigen und gut durchdachten Reform zu kommen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hildebrecht Braun.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau von Renesse, gestern abend habe ich
Hildebrecht Braun
noch meiner Besuchergruppe gegenüber gesagt: Die
Frau von Renesse ist ein Vorbild einer Abgeordneten,
die an der Sache orientiert diskutiert und die Dinge kenntnisreich angeht.
Heute ziehen Sie eine Wahlkampfschau ab, die dem Thema in gar keiner Weise angemessen ist.
Ich verstehe nicht, Frau von Renesse, warum Sie in die Behandlung dieses Themas, bei dem Sie so mitgearbeitet haben, eine solche Schärfe hereinbringen, wo es doch um ein Anliegen geht, das uns alle hier eint.
Wir wollen die Betreuung der zu Betreuenden verbessern und sicherstellen. Darum geht es, nicht um Wahlkampf. Dazu eignet sich dieses Thema nicht.
Ich glaube, es ist für jedermann offenkundig, daß sechs Jahre nach Einführung des neuen Betreuungsrechts genügend Erfahrung mit den neuen Instrumenten vorhanden ist, um den Änderungsbedarf einschätzen zu können. Insgesamt hat sich das neue Recht bewährt. Es haben sich aber in einigen Bereichen Defizite gezeigt, die beseitigt werden müssen.
Leider haben sich nicht genügend ehrenamtliche Betreuer gefunden. Das ist eine äußerst betrübliche Beobachtung, die aber nicht völlig überrascht. Der ehrenamtliche Bereich hat insgesamt an Zuspruch verloren. Das mag mit einer Veränderung im Denken vieler Menschen zu tun haben, die von uns allen bedauert wird. Das Gebot der Nächstenliebe wird immer mehr als Sache der Kirchgänger und hoffnungslosen Idealisten verkannt. Richtig ist aber, daß Solidarität mit denen, die Solidarität benötigen, und Hilfsbereitschaft für Hilfsbedürftige in unserem Land unverzichtbar sind und unverzichtbar bleiben.
Es kann gerade im Bereich der Betreuung nicht ausreichen, gelegentlich einer besonders rührigen Person stellvertretend für Tausende anderer ein Bundesverdienstkreuz zu überreichen oder sie in Sonntagsreden gebührend hervorzuheben. Nein, viele müssen im Bereich der Betreuung Bedürftiger Verantwortung für andere übernehmen. Wir müssen denen, die dieses tun, diese Aufgabe soweit wie möglich erleichtern. Deshalb müssen wir Überregulierung abschaffen und die Gewährung von Aufwandsentschädigungen erleichtern und gerechter machen.
Die Lockerung der Vorschriften über zu fertigende Berichte speziell bei kleineren Vermögen ist zum Beispiel einer dieser Schritte, die dazu führen, daß mehr Zeit für die direkte persönliche Zuwendung für den zu Betreuenden übrigbleibt. Das ist deshalb eine richtige Entscheidung.
Es bleibt aber bei dem Grundsatz, daß Betreuung anderer Menschen primär ehrenamtliche Aufgabe sein soll. Das entspricht nicht nur dem Subsidiaritätsgrundsatz. Es wird auch zu der vom Gesetzgeber ausdrücklich erwünschten Folge führen, daß die Betreuung über die rechtliche Seite hinaus auch persönliche Zuwendung zum Betreuten bedeutet, eine Leistung, die Ehrenamtliche nicht nur auf Grund ihrer persönlichen Nähe zum Betreuten leichter zu erbringen vermögen als Berufsbetreuer.
Insgesamt muß es uns im Interesse der sehr vielen zu betreuenden Personen um die stete Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung der Betreuung und Pflege gehen. Qualität in diesem Bereich ist aber ohne Gewährleistung finanzieller Leistungen nicht zu schaffen. So haben wir eine deutlich verbesserte Regelung für die Aufwandsentschädigung ins Gesetz geschrieben. Es ist richtig, hier in zwei Stufen an die berufliche Qualifikation der Betreuer anzuknüpfen.
Ich selbst frage mich allerdings, ob wir all die heute zu beschließenden Regelungen in Gesetze hätten schreiben müssen. Muß es wirklich ein Berufsvormundsvergütungsgesetz geben, oder hätten wir nicht besser eine Verordnungsermächtigung in das BGB geschrieben, die es der Verwaltung erlaubt hätte, flexibler durch Verordnungen auf sich verändernde Bedingungen zu reagieren. Das könnte passieren, wenn sich beispielsweise die Situation auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich verändern sollte und deswegen im Wettbewerb mit anderen Arbeitsangeboten möglicherweise bald höhere Beträge aufgewandt werden müssen.
Ich möchte im Anschluß an die Grundgedanken der Reform des Kindschaftsrechtes auf die Stellung des nicht verheirateten Vaters hinweisen, die hier deutlich verbessert worden ist. Ich freue mich darüber ganz besonders; denn schließlich war es eine der Grausamkeiten der bisherigen Regelung, daß der nicht verheiratete Vater im Fall des Todes der Mutter nicht etwa selbstverständlich als Vormund in Frage kam, sondern regelmäßig die Tante, die Oma oder sonst wer immer. Grundgedanke des neuen Kindschaftsrechtes ist es, daß das Kind einen natürlichen Anspruch auf Vater und Mutter hat. Selbstverständlich muß dieser Anspruch auch und gerade dann gelten, wenn die Mutter ausfällt. Dann muß eben der Vater als erster für die rechtliche und tatsächliche Sorge des Kindes zuständig sein.
Betreuung zu verbessern ist das Ziel des Gesetzes. Ich glaube, wir kommen mit diesem Gesetz diesem Ziel einen deutlichen Schritt näher.
Das Wort hat die Abgeordnete Heidemarie Lüth.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem heute zur Beschlußfassung vorliegenden Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechtes wird erneut versucht, ein eminent wichtiges soziales Problem unter dem Aspekt der Kostendämpfung gegen die Interessen der Betroffenen zu regeln. Daran ändern, wie schon mehrfach festgestellt, auch die Novellierungsübungen nichts.
Heidemarie Lüth
Die von Verbänden, Vereinen und in der Betreuungsarbeit Tätigen immer wieder befürchteten Folgen werden eintreten. Die Rechte kranker und behinderter Menschen werden unverantwortlich eingeschränkt, Qualitätsverlust in der Betreuung wird eintreten, und Vereine und Betreuer werden in ihrer Existenz bedroht. Es erweist sich als untauglich - daher gibt es diesen bedeutsamen Reformversuch, der heute sicherlich vom ganzen Haus beschlossen werden wird -, eine so bedeutsame soziale Frage mit ausschließlich rechtlichen Mitteln lösen zu wollen und dabei auf Billigangebote abzuheben.
In der Tat, Frau von Renesse, die PDS hat einen Entschließungsantrag vorgelegt. In einem Entschließungsantrag, so dachte ich, werden die Probleme eines vorgelegten Gesetzentwurfes benannt und dann die Forderungen aufgestellt, die man für die wichtigsten hält.
Wir haben uns - das gebe ich ganz ehrlich zu - ausschließlich daran gehalten, was Vereine, Betroffene und die Berufsverbände an uns alle geschrieben haben.
Ich frage mich: Woran soll sich eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter sonst halten, wenn nicht an die Forderungen der Betroffenen?
Frau von Renesse, in einer leeren Sparbüchse befand sich dieser Antrag ja nicht. Als unser Entschließungsantrag hineinkam, befand sich darin schon der Entwurf der Regierung. Aus unserer Sicht konnte man auf das, was vorlag, nur so antworten, wie wir es getan haben. In der Tat haben wir keinen Änderungsantrag und kein Reformpaket vorgelegt.
Ein besonderer Anspruch an gesetzliche Regelungen besteht darin, die Arbeit der Betreuungsvereine so zu fördern, daß ehrenamtliche Betreuung durch professionelle Beratung, Qualifizierung und Betreuung unterstützt wird. Es darf nicht um Spareffekte um jeden Preis gehen. Vielmehr müssen die Vergütungssätze so sein, daß qualifizierte Betreuerinnen und Betreuer existenzsichernd arbeiten können.
Wir halten es auch für unumgänglich, im Gesetz festzuschreiben, daß die vorhandenen Qualifikationen der in den neuen Bundesländern in der Betreuungsarbeit Tätigen, zuzüglich in Lehrgängen erworbene Kenntnisse und in der Praxis erworbene Erfahrungen, unbedingt Anerkennung finden, ohne daß sich die betroffenen Personen einer gesonderten Prülung durch die Länder unterziehen müssen. Dieses Problemfeld ist - auch nach den jetzt gestellten Anforderungen - rechtlich überhaupt nicht ausgestaltet.
- Das könnte natürlich sein, aber wir werden ja sehen, wie das in den einzelnen Ländern gehandhabt
wird und ob ein Berufsabschluß in Sachsen soviel
wert ist, daß man auch nach Bayern auswandern kann.
Frau von Renesse, die Kollegin hat sehr wenig Zeit und ist eigentlich auch schon am Ende ihrer Redezeit. Bitte helfen Sie ihr, daß sie zum Schluß kommt
Noch einen Satz, insbesondere an Herrn von Stetten. Zu diesem Entwurf wird auch aus den Ländern Gegenwind kommen. Sachsen-Anhalt hat schon angekündigt, im Bundesrat die Initiative zu ergreifen, um dieses Gesetz, das sicherlich zustimmungspflichtig sein wird, zu verhindern.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Pofalla.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin von Renesse kommt mir mit ihrer Rede so vor, als ob sie hier die Rolle einer Art Mutter Courage zu spielen versucht,
die für das, was sie hier vorgetragen hat, in den Bundesländern keine Mehrheit hat und deshalb versucht, die Koalition anzugreifen.
Das, was in den Berichterstattergesprächen besprochen worden ist, hat deutlich gemacht, daß das, was die Bundesregierung hier jetzt im Detail vorgelegt hat, im Kern auf einen Wunsch der Bundesländer, vor allem der SPD-regierten Bundesländer, zurückgeht. Die Bundesländer wollten eine Entlastung der Zivilgerichte. Die Bundesländer wollten hier Kosten sparen. Wenn jetzt die Bundesregierung in einer Gesetzesinitiative diese Dinge umsetzt, finde ich es - das sage ich Ihnen offen - nicht fair, die Dinge hier so vorzutragen, Frau von Renesse, wie Sie es getan haben.
Der Gesetzentwurf wird die breite Zustimmung der Bundesländer finden. Das wissen Sie. Ihr Entschließungsantrag würde zum jetzigen Zeitpunkt, wäre er Beschlußlage des Deutschen Bundestages, keine Mehrheit auf der Seite der SPD-regierten Bundesländer finden, weil diese nicht bereit wären, die damit notwendigen Finanzmittel in ihre Haushaltsplanung einzustellen. Deshalb haben wir als Koalition und im übrigen auch Sie als SPD dem Bundestag
Ronald Pofalla
einen gemeinsamen Entschließungsantrag - deshalb habe ich Ihre Rede nicht verstanden -
zur Beschlußfassung vorgelegt, in dem wir die Bundesregierung bitten, in der nächsten Legislaturperiode eine umfassende Reform des Betreuungsrechtes vorzunehmen, die aus der rein rechtlichen Betreuung auch eine Sozialbetreuung werden läßt.
Wenn das aber alles so ist, Frau von Renesse, dann - das will ich Ihnen ehrlich sagen - ist es völlig inakzeptabel, wenn Sie zu Beginn Ihrer Ausführungen so getan haben, als ob wir erstens an der Stelle nicht einig seien und als ob es zweitens die Koalition sei, die diese Reform verhindert. Wenn eine Reform hin zu einer Sozialbetreuung in dieser Legislaturperiode beraten und mit der Mehrheit der Stimmen dieses Hauses verabschiedet worden wäre, wäre dieser Entwurf mit der Mehrheit der SPD-regierten Länder im Bundesrat gescheitert. Das ist die Ausgangslage, vor der wir diskutieren.
Im Rahmen der Beratungen hat es eine ganze Reihe von Änderungen gegeben, die diesen Gesetzentwurf verbessert haben. Ich will nur zwei Stichworte nennen. Wir haben die Beträge bei der Eingangsstufe auf 35 DM erhöht. Wir haben den Gerichten die Möglichkeit gegeben, in einer Übergangsregelung bis zum 30. Juni des Jahres 2000 an berufsmäßige Betreuer bis zu 60 DM erhöhte Beträge auszuzahlen. Damit sind wir auf die eingangs eingeführte Kritik der Berufsbetreuer in beachtlichem Umfang eingegangen.
Dieser Gesetzentwurf ist rund. Er wird von den SPD-regierten Bundesländern im Bundesrat abgesegnet werden. Dann tun Sie aber bitte nicht so, als ob sich hier allein die Koalition „vergnüge". Hier sind sich Bundesrat und Koalition im Bundestag einig.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort jetzt dem Herrn Bundesminister der Justiz, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, auch um die Beruhigung an der Front wieder etwas zu befördern, noch einmal auf die Grundlage zu sprechen kommen, an der wir jetzt eine vorsichtige erste Korrektur vornehmen.
Im Jahre 1992 löste das Betreuungsrecht das fast 100 Jahre alte Vormundschafts- und Gebrechlichkeitspflegschaftsrecht ab. Es war eine wahrhaft liberale Reform, die an Stelle der hergebrachten „Bevormundung" ein größtmögliches Maß an Selbstbestimmung für die Betroffenen setzte.
- Liebe Frau Dr. Däubler-Gmelin, lassen Sie uns doch ein bißchen friedlicher bei diesem Punkt sein. Es wird doch alles mit Ihrer Zustimmung verabschiedet werden, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Deswegen sehe ich gar nicht, warum da ein solcher Krach aufkommen muß.
Gleichzeitig trug die Reform, die wir jetzt korrigieren, im Sinne pflichtigen Freiheitsgebrauchs der sozialen Verantwortung der Gesellschaft für diejenigen Rechnung, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
Der vor Ihnen liegende Gesetzentwurf reagiert auf diesem Feld nun auf die Erfahrungen der bald siebenjährigen Praxis mit einer ersten - und zunächst natürlich sehr begrenzten - Änderung. Lassen Sie mich drei Punkte herausgreifen, die zum Teil auch schon zur Sprache gekommen sind:
Erstens. Der Entwurf stärkt die Autonomie der Betroffenen, indem er das Institut der Vorsorgevollmacht auch im außervermögensrechtlichen Bereich ausdrücklich anerkennt. Vorsorgevollmachten werden sich daher künftig stärker als bisher als Alternative zur Betreuung anbieten.
Zweitens. Bisher konnten - hier bedanke ich mich ausdrücklich für die Ausführungen des Kollegen Braun - Personen aus dem außerfamiliären Bereich nur in geringem Umfang zur Übernahme ehrenamtlicher Betreuungen motiviert werden. Deshalb fördert der Entwurf die ehrenamtliche Betreuung dadurch, daß er etwa die Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Betreuer von 375 auf 600 DM im Jahr angehoben hat.
Drittens. In Anbetracht der großen Zahl berufsmäßig geführter Betreuungen bedarf es vor allem einfacherer und präziserer Regeln für die Vergütung der Betreuer. Die derzeitige Situation ist kaum mehr überschaubar. Die vorgesehene Vereinheitlichung wird deshalb nicht nur zur Entlastung der Gerichte beitragen, sondern auch den Betreuern verläßliche Vergütungssätze garantieren, deren Höhe sich nach der beruflichen Qualifikation richtet.
Meine Damen und Herren, die Kritik der Verbände an der Höhe der Vergütung trifft - das soll doch noch einmal ausdrücklich unterstrichen werden - mit dem Bund die falsche Adresse. Die Vergütungssätze, in dem von mir ursprünglich vorgelegten Referentenentwurf waren höher als in dem Ihnen jetzt vorliegenden Regierungsentwurf. Sie sind auf Drängen der Bundesländer, ohne die wir nach den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten - es besteht Zustimmungsbedürftigkeit - nun einmal eine solche Re-
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
form nicht machen können, abgesenkt worden, die die Zwänge ihrer Justizhaushalte im Blick haben.
Das kann man kritisieren; aber so ist nun einmal das reale Verfassungsleben in der Bundesrepublik.
Wir sind ein föderativer Staat, und deswegen können wir unsere schönen Reformen nicht so durchsetzen, wie wir es gerne täten, sondern müssen auf die Länder Rücksicht nehmen, so sehr es uns leid tun mag.
Ich meine aber, daß die nunmehr vorgesehenen Beträge einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Betreuer und den Länderhaushalten darstellen. Die Länder erhalten zusätzlich die Möglichkeit, die Stundensätze innerhalb einer Spanne von 20 Prozent zu variieren und dadurch regionalen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Ferner sind Regelungen für eine vergütungssteigernde Nachqualifikation von Berufsbetreuern eingestellt worden. Schließlich soll eine zweijährige Übergangsregelung - auch das ist doch ein Wort - Vergütungseinbußen für bislang nicht durch eine Ausbildung qualifizierte Betreuer vermeiden.
Meine Damen und Herren, der fraktionsübergreifende Entschließungsantrag - deswegen sollte am Ende auch der Konsens im Mittelpunkt stehen - strebt eine grundlegende Überarbeitung des Betreuungsrechts an, um veränderten demographischen und finanzpolitischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Eine umfassende Reform ist in der Tat notwendig und war während der gesamten Arbeit am jetzigen Korrekturentwurf die einhellige Zielvorstellung aller. Ich sage Ihnen heute also ohne Umschweife zu, daß diese Überarbeitung zu Beginn der nächsten Legislaturperiode sofort in Angriff genommen wird. Für heute bitte ich Sie, den noch in dieser Legislaturperiode notwendigen Änderungen zuzustimmen.
Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Punkt.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Betreuungsrechts. Das sind die Drucksachen 13/7158 und 13/10331 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Nein. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist auch in dritter Lesung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/10331 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ohne Gegenstimmen angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Entschließungsantrag der SPD zur Großen Anfrage zum Betreuungsrecht, Drucksache 13/10331 Nr. 3: Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/7176 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/10336. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und SPD abgelehnt worden.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/10301 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handels- und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/8444 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/10332 - Berichterstattung:
Abgeordnete Hildebrecht Braun Detlef Kleinert (Hannover)
Dr. Eckhart Pick
Dr. Wolfgang Frhr. von Stetten
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Nun bitte ich Sie um Genehmigung, daß der Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Heuer seine Rede zu Protokoll geben darf.') Damit sind Sie sicher einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Abgeordnete Freiherr von Stetten das Wort.
*) Anlage 3
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vorliegende Änderung des Handelsgesetzbuches ist eine kleine, aber doch wirksame Reform. Über 100 Jahre gab es den schwer verständlichen Kaufmannsbegriff, unterteilt in „Mußkaufmann", „Sollkaufmann", „Kannkaufmann", „Minderkaufmann", „Kaufmann kraft Eintragung", „Formkaufmann", „Scheinkaufmann" und ähnliche - für uns Professoren, die Handelsrecht gelehrt haben, immer wieder eine Fundgrube für Klausurthemen. Diese gibt es nun Gott sei Dank nicht mehr, was auch den Rechtslernenden zugute kommt. Aber ich warne die Studenten davor, den Kaufmannsbegriff zu vergessen, denn gerade jetzt werden natürlich die Neuerungen furchtbar gern in mündlichen Prüfungen geprüft werden.
In Zukunft gibt es einen Kaufmann, und das ist der, der ein Handelsgewerbe betreibt. Handelsgewerbe ist jede Art von Gewerbebetrieb. Alle anderen, einschließlich derjenigen, die ein Gewerbe betreiben, das nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert, sind keine Kaufleute, sondern Normalbürger. Diese kleinen Gewerbetreibenden aber können sich - unabhängig davon, wie groß ihr Gewerbebetrieb ist - als Kaufmann eintragen lassen. - Damit wird auch eine Schwierigkeit bei den Registergerichten beseitigt, zu prüfen, welchen Umfang ein Gewerbebetrieb haben muß, um sich eintragen zu lassen. - Sie werden dann ohne Wenn und Aber wie ein Kaufmann behandelt.
Wir haben Vereinfachungen bezüglich der Firmenbenennung eingeführt. Die Firma muß nicht mehr den Namen des Kaufmanns führen, sondern muß geeignet sein, Unterscheidungskraft zu besitzen. Hierdurch werden langwierige Verfahren vor dem Registergericht oder Umfrageverfahren der Industrie- und Handelskammern in Zukunft nicht mehr nötig sein, weil im Verfahren vor dem Registergericht die Eignung zur Irreführung nur dann berücksichtigt wird, wenn sie ersichtlich ist. Hier hat man auf Grund leidvoller Erfahrungen mit Erbsenzählern bei Registergerichten eine Beweislastumkehr eingeführt. Ganze Generationen von Rechtspflegern müssen sich nun nicht mehr das Hirn zermartern, ob eine Unterscheidbarkeit noch gegeben ist oder nicht.
Dafür wurden in § 19 HGB die Vorschriften der Kenntlichmachung verschärft, und es wurde unter anderem die „eingetragene Kauffrau" neu eingeführt. Geschäftsbriefe des Kaufmanns müssen Klarheit über Firma, Ort, Registergericht und Registernummer bringen, so daß Inhaber und gegebenenfalls Haftende zu erkennen bzw. zu ermitteln sind.
Eine kleine Sache, die aber in der Vergangenheit immer ärgerlich und lästig war, ist, daß der Kaufmann die Firma nicht mehr persönlich mit seinem Namen zur Aufbewahrung bei dem Gericht zu zeichnen hat - oft ellenlange Unterschriften, die in der Praxis nie wieder vollzogen wurden -, sondern nur noch seine Namensunterschrift unter die angegebene Firma setzt; eine gleiche Erleichterung gilt für den Prokuristen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Wir wollen erreichen, daß den Bundesländern in einer Versuchsphase ermöglicht wird, die Registertätigkeit probeweise auf die IHK oder die Handwerkskammer zu übertragen, weil unseres Erachtens dort der Sachverstand ist. Dabei werden nicht nur die Gerichte deutlich entlastet, sondern es wird auch dort, wo Rechts- und Wirtschaftsverstand zusammenfallen, das Register geführt. Deswegen ist es für mich völlig unverständlich, daß sich Länder und andere Institutionen gegen eine Versuchsphase sträuben. Kann es sein, daß sie Angst davor haben, daß, wenn alles viel reibungsloser, schneller und damit unternehmerfreundlicher läuft, aus dem Versuch eine Dauereinrichtung wird und vielgeliebte Tätigkeiten aufgegeben werden müssen? Genau das wollen wir prüfen und sollten es auch tun. Ich hoffe, daß die Widerstände der Länder nachlassen.
Die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften sind entsprechend bei den Firmenbezeichnungen geändert worden. So kann man auch in Zukunft eine OHG gründen und nur Vermögen verwalten.
Die Privilegierung von Unternehmen öffentlicher Körperschaften, die darin bestand, daß sie nicht in das Handelsregister eingetragen werden müssen, haben wir abgeschafft. Wir haben diesen Paragraphen ersatzlos gestrichen, weil es hierfür keine Begründung mehr gibt. Die Unternehmen öffentlicher Körperschaften werden in Zukunft genauso behandelt werden wie private Unternehmen, als Kaufleute.
Die Regelung betreffend das Ausscheiden von Gesellschaftern oder die Auflösung von Gesellschaften der Kommanditgesellschaft oder OHG wird der Praxis angeglichen und so gestaltet, wie es in Gesellschaftsverträgen üblich war, indem bei Tod eines Gesellschafters nicht mehr die Gesellschaft aufgelöst wird, ebensowenig wie beim Konkurs über das Vermögen eines Gesellschafters oder bei Kündigung eines Gesellschafters. Dabei scheidet der Gesellschafter zwar selber aus. Die Gesellschaft als solche aber bleibt, wie es üblich war, bestehen. Selbstverständlich kann in Gesellschaftsverträgen etwas anderes bestimmt werden.
Da es keinen Minderkaufmann mehr gibt, werden folgerichtig einige Vorschriften, zum Beispiel § 351 HGB, aufgehoben. Auch das sind logische Folgerungen, die in den gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen mitvollzogen wurden.
Beim Handelsvertreter haben wir dem Urteil des Bundesgerichtshofs im Gesetz Rechnung getragen, indem geregelt wird, daß derjenige, der aus wichtigem Grund das Vertragsverhältnis kündigt, sich innerhalb eines Monats nach Kündigung von der Wettbewerbsabrede lossagen kann. Dies ist eigentlich nur ein Vollzug der Rechtsprechung.
Mit diesen Vorschriften zur Reform des Handelsgesetzbuchs und den vor wenigen Wochen verabschiedeten Änderungen zum Transportrecht wurden wesentliche Teile des HGB, nämlich die jetzt zur Verabschiedung anstehenden Bestimmungen und die Regelungen in den §§ 407 ff., der Neuzeit angepaßt, um mit einem modernisierten Gesetz in Europa wettbe-
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
werbsfähig sein und mithalten zu können. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Pick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Handelsrechtsreformgesetzes nehmen wir Abschied von mancherlei geschätzten Klausurproblemen, die den Studierenden das Handelsrecht so schmackhaft machten.
Wer hätte nicht wehmütige Erinnerungen an den Vollkaufmann, definiert auch als Istkaufmann oder Mußkaufmann bzw. Kaufmann kraft Grundhandelsgewerbes usw., fein abgegrenzt vom Sollkaufmann, der sich gefälligst einzutragen hatte, und schließlich an den Minderkaufmann, diesen merkwürdigen Zwitter zwischen Kaufmann und Verbraucher, der sich nicht für das eine oder das andere entscheiden konnte?
Das ist jetzt anders. Nun heißt die einfache Maxime: entweder Kaufmann oder kein Kaufmann - fort mit der Unterscheidung nach Art des Gewerbes. Jedes Gewerbe macht künftig den Kaufmann. Erhalten bleibt uns Gott sei Dank das Problem der Abgrenzung zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann. Auch künftig darf gestritten werden - Herr Kollege von Stetten, wir haben das ja erfolglos versucht -, ob die Bundeswehrkantine mit Millionenumsatz einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert oder nicht und was diesen Geschäftsbetrieb eigentlich vom Kioskbetreiber oder vom Weihnachtsbaumverkäufer unterscheiden mag.
Sie sehen, es ist ein langer Abschied von tradierten Institutionen und Definitionen. Wir haben in den Diskussionen erfahren, wie beharrlich sich manche Traditionen halten, auch wenn sie heute recht fraglich geworden sind. Wir hoffen jetzt, daß hinter allen kaufmännischen Varianten der ehrbare Kaufmann nach wie vor erhalten bleibt.
Wir mußten uns überzeugen lassen - Herr von Stetten, das war eine längere Diskussion -, daß das Tatbestandsmerkmal „in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb" allen Versuchen einer Präzisierung erfolgreich Widerstand leistete. Alle Versuche, das Tatbestandsmerkmal durch den Gesetzgeber an Hand bestimmter Kriterien wie Umsatz, Gewinn, Zahl der Mitarbeiter usw. zu bestimmen, endeten in einer Sackgasse.
Das bleibt weiterhin der Konkretisierung durch die Rechtsprechung vorbehalten. Allerdings wird das Konfliktpotential geringer sein als bisher. Es reduziert sich auf nicht eingetragene Einzelunternehmen und nicht eingetragene Personengesellschaften. Auch enthält § 1 Abs. 2 HGB nun eine gesetzliche Beweislastregel zu Lasten des Gewerbetreibenden, der sich darauf beruft, sein Unternehmen erfordere
nach Art oder Umfang keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb.
Das zweite Thema der HGB-Änderung betrifft das Firmenrecht. Ich denke, daß man in diesem Punkt schon eher von einer Reform sprechen kann.
Hier sind zu Recht, wie ich finde, einige bisher eherne Grundsätze in Richtung auf eine größere Freiheit bei der Namensgebung des Unternehmens aufgegeben worden. Der Phantasie sind nunmehr die Tore etwas weiter geöffnet.
Allerdings muß die Firma zur Kennzeichnung des Kaufmanns geeignet sein und Unterscheidungskraft gegenüber bestehenden Finnen besitzen. Schließlich darf die Firma - wie schon bisher - nicht über geschäftliche Verhältnisse täuschen, die für die betroffenen Wirtschaftskreise wesentlich sind.
Eine Konzession an die Tatsache, daß auch Frauen in die festgefügte Welt des Kaufmanns eindringen, macht § 19 Abs. 1 Nr. 1 HGB.
Die Firma muß bei Einzelkaufleuten die Bezeichnung „eingetragener Kaufmann" oder „eingetragene Kauffrau" enthalten
oder, der Mode entsprechend, die Abkürzung „e. K." oder „e. Kfm." oder „e. Mr.". - Na ja, das ist auch eine Reform.
Uns ist ebenfalls nichts Besseres eingefallen; das muß ich zugeben. Vielleicht kann man das kleine „e" auch mit „ehrbar" übersetzen, es also als eine Abkürzung für die ehrbaren Kaufleute und Kauffrauen nehmen.
Sinnvoll ist sicherlich auch die Entlastung der Gerichte bei der Prüfung von Firmenbildung der Unternehmen und vor allem anläßlich der Eintragung von Kapitalgesellschaften. Künftig hat das Registergericht in Fragen des Firmenrechts nur noch in zweifelhaften Fällen das Gutachten der IHK einzuholen. Eine Regelanfrage entfällt. Mit der neuen Regelung kann jedoch einer durchaus unterschiedlichen gegenwärtigen Praxis auch weiterhin flexibel entsprochen werden. In Satzungsfragen der Kapitalgesellschaft wird die Kontrollbefugnis des Gerichts einerseits vereinheitlicht, andererseits auf die Kernbestimmungen reduziert. Das Registergericht wird dadurch erheblich entlastet.
Eine Eintragung ist nur dann abzulehnen, soweit eine Bestimmung bzw. ihr Fehlen gegen fundamentale Grundsätze, zum Beispiel zwingender Charakter, Gläubigerschutz usw., verstößt.
Dr. Eckhart Pick
Einem gewandelten grundsätzlichen Verständnis von der Aufrechterhaltung einer Personenhandelsgesellschaft entspricht schließlich die geänderte Vorschrift des § 191 HGB. Das Ausscheiden eines Gesellschafters führt im Gegensatz zur gegenwärtigen Rechtslage nicht mehr automatisch zur Auflösung der Gesellschaft, sondern nur zum Ausscheiden des betreffenden Gesellschafters, während die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern bestehenbleibt. Dies gilt für Umstände, die in der Person eines Gesellschafters liegen, wie Tod, Konkurs, Kündigung usw. Also statt Zerschlagung bzw. Liquidation eines Unternehmens gilt nun sein Fortbestehen unter Erhalt auch von Arbeitsplätzen als die Regel. Wir halten dies für eine sinnvolle Weiterentwicklung des gesetzlichen Leitbildes, das ja auch in der Praxis schon jetzt Vorrang hat.
In eine ähnliche Richtung zielt auch der vom Bundesrat angeregte und vom Rechtsausschuß eingeführte § 177 HGB. Beim Tod eines Kommanditisten widerspricht es im allgemeinen der Interessenlage der Gesellschaft, daß mit seinem Ausscheiden Abfindungsansprüche der Erben entstehen, die von der Gesellschaft oft nur unter existentieller Gefährdung einzulösen sind. Deshalb soll beim Tod eines Kommanditisten die Gesellschaft grundsätzlich mit den Erben fortgesetzt werden. Der Gesellschaftsvertrag kann allerdings davon abweichen. Scheidet allerdings ein persönlich haftender Gesellschafter aus, bleibt es bei der Regel wie im Falle der offenen Handelsgesellschaft. Der Abfindungsanspruch, der mit dem Ausscheiden entsteht, richtet sich - sofern dies nicht anders geregelt ist - auch nach der Neuformulierung des § 131 HGB nach der entsprechenden Vorschrift im BGB. In § 140 Abs. 1 Satz 2 HGB wird klargestellt, daß die Ausschließungsklage auch in einer Zweipersonengesellschaft möglich ist und bei Erfolg nicht zum Entstehen einer Einpersonengesellschaft führt. In einem solchen Fall geht vielmehr das Vermögen mit Aktiva und Passiva auf den verbleibenden Gesellschafter über.
Alles in allem, meine Damen und Herren, ist dies nicht der große Wurf, aber es sind, so denke ich, einige sinnvolle Änderungen und Fortschreibungen in unserem HGB. Deshalb wird die SPD diesem Schrittchen zustimmen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! So sehr wir vorhin bei der Beratung des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes schimpfen mußten, so sehr können wir Ihnen bei diesem Gesetzentwurf beipflichten. Wir begrüßen die von der Bundesregierung vorgelegte Handelsrechtsnovelle. Die Änderungen des Handelsgesetzbuches waren lange überfällig. Nach nunmehr fünf Jahren liegt ein Gesetzentwurf vor, der in den wesentlichen Punkten unsere Unterstützung findet. Drei Punkte möchte ich hervorheben:
erstens die Reformierung des Kaufmannsbegriffs, der sich nicht mehr länger an dem überkommenen Grundhandelsgewerbe orientiert, sondern an die Größe eines Unternehmens anknüpft und sich damit den gewandelten Verhältnissen des modernen Wirtschaftslebens anpaßt - welch gesellschaftlicher Fortschritt ist es doch, daß der Gesetzgeber nun auch im HGB anerkennt, daß es Kauffrauen gibt, der Fortschritt ist manches Mal kaum zu bremsen -;
zweitens eine deutliche Lockerung des Firmenrechts, die den Kaufleuten eine größere Wahlfreiheit bei der Bildung aussagekräftiger und werbewirksamer Firmennamen gibt - auch dies ist insbesondere wegen der Zulassung von sogenannten Sachfirmen ein Fortschritt, den man nur begrüßen kann -;
drittens eine Änderung des Gesellschaftsrechtes, die nunmehr auch kleinen Unternehmen, die nach dem HGB keine Kaufleute sind, die Möglichkeit eröffnet, eine offene Handelsgesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft zu gründen.
Das Zusammenspiel dieser maßgeblichen Änderungen führt zu einer Stärkung der kleineren und mittleren Unternehmen. Kleine Unternehmen werden nicht länger den strengen und scharfen Vorschriften des HGB mit kurzen Rügepflichten, höheren Zinsen, Zinsen bereits ab Fälligkeit etc. unterworfen, sondern ihrem Schutzbedürfnis wird dadurch Rechnung getragen, daß für sie grundsätzlich das normale Bürgerliche Gesetzbuch Anwendung findet. Das Gesetz stärkt somit den Mittelstand. Dort werden die meisten Arbeitsplätze geschaffen. Deshalb ist das eine richtige und kluge Entscheidung des Gesetzgebers. Es ist ja schön, daß man Sie einmal loben kann. Das ist ein Punkt, den wir ausdrücklich unterstützen. Wir schließen uns diesen Änderungen an und werden dem Gesetzentwurf deshalb zustimmen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Detlef Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist doch schön, daß sich die Juristen, über die sonst Gegenteiliges und selten Gutes gesagt wird, selbst bei so verlockend nostalgischen Vorlagen wie denen, die sich auf die diversen Kaufmannseigenschaften beziehen, noch nicht einmal mit allzuviel Kraftanstrengung dazu durchgerungen haben, nach wenig mehr als 100 Jahren zu einer Vereinfachung zu kommen. Das ist doch schon etwas.
Ich habe zwar in der Praxis nicht viele schädliche Auswirkungen der bisherigen Vielfalt gesehen. Ich will darüber aber in der heutigen Zeit nicht schimpfen.
Anders verhält es sich mit dem Firmenrecht. Wer einmal ernsthaft versucht hat, sich einen Namen für eine ehrbare, Geld einbringende und Arbeitsplätze
Detlef Kleinert
schaffende Tätigkeit auszudenken, wird immer wieder schmerzlich erfahren haben, wie schwer es ist, hier noch etwas Neues zu finden. Wenn dann auch noch das Registergericht zusätzlich Bedenken - noch dazu mit Unterstützung der Industrie- und Handelskammern - in die Sache hineinbringt, dann weiß man schließlich nicht mehr, wie man diese Tätigkeit nun nennen soll, obwohl man den Namen dringend braucht und alles schon bereit ist, mit der tatsächlichen Arbeit zu beginnen. Aber nein: Man kommt nicht mit der Firma zu Rande. Das kann Monate dauern. So kann man mit Leuten, die entschlossen sind, einmal etwas anzufassen, die Geld in die Hand genommen haben und die schließlich einen Beitrag zur Stärkung der Wirtschaft und zur Schaffung von Arbeitsplätzen - das ist heutzutage besonders wichtig - leisten wollen, nicht umgehen.
Deshalb sind diese Vereinfachungen auch sehr zu begrüßen. Ich würde das allerdings nicht überschätzen. Es gibt in der Bundesrepublik inzwischen eine Reihe von Firmen, die sich mit nichts anderem als mit der Erfindung von werbewirksamen Namen befassen. Wer es versäumt, sich bei einem zentralen Register rechtzeitig nach Namen zu erkundigen, die dem von ihm gewünschten ähnlich sein könnten, der wird erleben, daß er ein halbes Jahr später sein Geschäftspapier neu drucken lassen muß, weil ihm irgend jemand dazwischengefunkt hat. Das wäre kein Einzelfall; so etwas passiert häufiger. Wir haben es hier also mit sehr praktischen Dingen zu tun. Dafür, daß sie nun bedeutend besser geregelt werden, sind wir dankbar.
Im übrigen kann man die Sache auch etwas grundsätzlicher betrachten: Nur die kleinen Schritte bringen nach und nach die Fortschritte, die dringend notwendig sind, damit in unserem Lande auch von der behördlichen, der staatlichen Seite her die Dinge glatter laufen und vernünftige Tätigkeiten nicht gebremst, sondern befördert werden. Es kann einfach nicht richtig sein, daß im wirtschaftlichen Bereich in der Organisation und durch den Einsatz effizienter Verfahren die Tätigkeiten optimiert werden, nur um Kosten aufzufangen, die nach wie vor vom öffentlichen Bereich großzügig veranlaßt werden. In dieser Beziehung muß ein Gleichgewicht herrschen. Die zusätzlichen organisatorischen Anstrengungen, die die Wirtschaft seit langem erbringen muß, damit sie die Kosten überhaupt noch tragen kann, muß man von dem Partner im öffentlichen Bereich da, wo er gebraucht wird, ebenfalls verlangen können.
Deshalb glaube ich, daß wir uns noch einmal ganz in Ruhe und ohne Zorn und Eifer über den vorliegenden Vorschlag unterhalten sollten - gerade unter Berücksichtigung der heutigen Vorlage -, wenigstens versuchsweise auch die Industrie- und Handelskammern zur Führung der Handelsregister zu berechtigen. Das wäre besser, als wenn die Sache hier hin- und hergeht.
Ich glaube immer noch, daß noch so kluge Überlegungen und Spekulationen am grünen Tisch für die
Beurteilung einer zukünftigen Entwicklung nicht
halb soviel hergeben wie die Erfahrung. Man sollte diese Erfahrung möglich machen und die Anwendung der empirischen Methode zulassen, besonders wenn sich ein Bundesland bereit findet, ein solches Experiment zu wagen, und von sich aus auf einen Teil seiner staatlichen Tätigkeit zugunsten der Kammern verzichten will.
Man sollte dem deswegen nicht schon im Vorfeld ablehnend gegenüberstehen, weil man es selber nicht will. Es soll ja niemand gezwungen werden. Vielmehr wollen wir lediglich ermöglichen, daß Erfahrungen gesammelt werden können. Das ist ja ein vernünftiges Anliegen. Das muß nach der heute zu verabschiedenden Novellierung des HGB auch leichter als vorher möglich sein, weil die juristischen Feinheiten zu einem erheblichen Teil abgebaut worden sind und nur das übrigbleibt, was den Kern der Sache ausmacht, nämlich eine für die an diesem Rechtsverkehr beteiligten Personen einschließlich der Verbraucher übersichtliche Feststellung, welche Firmen es wo in welchen Rechtsverhältnissen gibt. Das muß festgehalten und kontrolliert werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja gerne, Herr Professor Pick.
Es ist eine ganz kurze und präzise Zwischenfrage. Ist Ihnen bekannt, daß Ihr Parteifreund, der rheinland-pfälzische Justizminister Caesar, an die rheinland-pfälzischen Abgeordneten ein Schreiben gerichtet hat - das kann ich Ihnen gerne zur Verfügung stellen -, in dem er diesen Vorschlag als einen Aprilscherz bezeichnete?
Er hat einen besonders unglücklichen Zeitpunkt für die Absendung des Schreibens erwischt,
sonst wäre er auf diese Idee nicht gekommen. Wir haben immerhin die Auswahl zwischen zwei Landesjustizministern. Ich halte mich immer an den, der gerade meiner Meinung ist. Das ist in dem Fall Herr Goll und nicht Herr Caesar.
Das Schreiben liegt mir im übrigen vor.
Ich bleibe dabei: Man muß Erfahrungen machen können. Das ist ein wesentlicher Bestandteil des Unternehmens. Darunter sind sogar schmerzliche Erfahrungen. Diese sollten wir auch in diesem Bereich gestatten, besonders wenn sich im öffentlichen Bereich Leute finden, die den Mut dazu haben, auch hier ein-
Detlef Kleinert
mal etwas zu unternehmen und etwas zu wagen. Darum bitte ich für die Zukunft um Ihr Einverständnis.
Im übrigen noch einmal herzlichen Dank an alle, die bei der Erarbeitung dieser nützlichen Novelle mitgewirkt haben.
Danke schön.
Jetzt hat Herr Bundesminister Schmidt-Jortzig das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte eigentlich nur meiner unendlichen Begeisterung Ausdruck geben, daß ich es noch erleben durfte, daß Sie, Herr Kollege Beck, einmal einen Regierungsentwurf akzeptieren.
Ich habe mich zu dieser späten Vormittagsstunde nur noch mit der Spannung auf den Beinen halten können, was Sie sich jetzt wieder ausdenken müßten, um auf keinen Fall einem vernünftigen Gesetzentwurf zuzustimmen; denn bislang haben Sie in dieser Legislaturperiode keiner vernünftigen Vorlage zugestimmt. Es gibt also immer noch Überraschungen.
Wir verabschieden heute eine Reform, die in ihrem Bereich den großen Politikzielen - zumindest ins Kleine heruntertransformiert - gerecht wird, nämlich: erstens Deregulierung, das heißt Normierungsrückbau und Vereinfachung der handelsrechtlichen Rahmenbedingungen; zweitens Flexibilisierung, das heißt größerer Handlungsspielraum für die Unternehmen, drittens Modernisierung, das heißt Schaffung eines zeitgerechten Rechtsrahmens für das Wirtschaftsleben in Deutschland.
Deshalb freue ich mich über die ungeteilte Zustimmung der Wirtschaft und des Rechtsausschusses und sogar der Grünen, auf die der Regierungsentwurf offenbar - ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob Sie es sich nicht doch bis zur Abstimmung, Herr Beck, anders überlegen -, es sind nur noch ganz wenige Sekunden, gestoßen ist.
Die Einzelheiten, die in dem Entwurf enthalten sind, sind schon hinreichend gewürdigt worden. Herr Kollege Pick, ich wollte Ihnen nur noch etwas zum Begriff des Kaufmanns sagen. Wenn wir schon feinsinnige Betrachtungen dazu anstellen, dann muß ich sagen, daß man immer noch nicht ganz zufrieden sein darf. Wenn künftig derjenige Kaufmann ist, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb betreibt, dann ist das in definitorischer Hinsicht sozusagen ein Zirkel. Denn was bedeutet der Begriff „in kaufmännischer Weise", wenn man nicht weiß, was ein Kaufmann ist? Lassen Sie uns bitte diese Feinheiten heute gnädig übersehen.
Ich will nur noch auf einen Punkt hinweisen, der überhaupt noch nicht zur Sprache gekommen ist und der, so glaube ich, eine gewisse Herausstellung verdient. In unserem Gesetz wird auch die Möglichkeit der Vorabveröffentlichung von Markenanmeldungen durch das Deutsche Patentamt eröffnet. Das ist eine kleine, aber ganz wesentliche Vorschrift, denn das garantiert den Unternehmen Planungssicherheit bei der Entwicklung und Umsetzung von Markenstrategien.
Meine Damen und Herren, ein weiterer wichtiger Baustein der rechtspolitischen Bilanz der Bundesregierung liegt nunmehr vor - das erkennt auch die grüne Partei an -, ein Baustein, der Teil des Gesamtkonzepts der Modernisierung des Wirtschaftsstandortes Deutschland ist und im Interesse der deutschen Wirtschaft liegt.
Deshalb freue ich mich, daß Sie offenbar alle dieser Handelsrechtsreform zustimmen wollen.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handels- und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften, Drucksachen 13/8444 und 13/10332. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen und Enthaltungen gibt es nicht. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung vom ganzen Haus, also einstimmig, angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Das sind alle. Gegenstimmen und Enthaltungen gibt es nicht. Der Gesetzentwurf ist damit auch in der dritten Beratung in dieser nicht ganz einmaligen Form, das heißt einstimmig, angenommen worden. Diesen Fall gab es doch schon gelegentlich, Herr Minister.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 22. April 1998, 13 Uhr ein und wünsche den verbliebenen Kolleginnen und Kollegen sowie den Besuchern auf den Rängen eine schöne Osterwoche und ein schönes Osterfest.
Die Sitzung ist geschlossen.