Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um einen Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/7901 zu erweitern. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir verfahren so.
Ich möchte darauf hinweisen: Die Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird heute im Anschluß an die Fragestunde aufgerufen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich auf der Tribüne den Außenminister Polens, Dariusz Rosati, ganz herzlich begrüßen, der heute unserer europapolitischen Debatte folgen wird.
Wir freuen uns, daß Sie daran teilnehmen. Das zeigt, daß Europa zusammenwächst.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 h sowie den Zusatzpunkt 1 auf:
1. a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung zum Europäischen Rat in Amsterdam am 16./17. Juni 1997
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Zur Tagung des Europäischen Rates in Amsterdam am 16./17. Juni 1997
- Drucksache 13/7897 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold , Wilhelm Dietzel, Herbert Frankenhauser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Birgit Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und der Fraktion der F.D.P.
Keine neuen bürokratischen Verfahren auf EU-Ebene
- Drucksache 13/7060 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaele Hustedt, Christian Sterzing, Gila Altmann , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ökologisierung der Europäischen Verträge - Drucksache 13/7822—
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Manfred Such, Christian Sterzing, Volker Beck und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Maastricht II: Wege zu einer politischen Union mit bürgerrechtlichem Fundament und demokratischen Strukturen in der Justiz- und Innenpolitik
- Drucksache 13/7824 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Demokratische Reformen auf dem Weg zu einer politischen Union - die zentrale Aufgabe der Regierungskonferenz
- Drucksache 13/7823 -
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union '
Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Sterzing, Angelika Beer, Winfried Nachtwei, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Europäische Union muß zum Motor für eine zivile Außenpolitik werden
- Drucksache 13/7825 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuß
Verteidigungsausschuß
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Gysi, Manfred Müller , Hanns-Peter Hartmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Durchführung einer Volksabstimmung über die Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an der vom Maastrichter Vertrag beschlossenen Europäischen Währungsunion und die Ratifizierung der Ergebnisse der Regierungskonferenz zur Überprüfung und Revision des Vertrags über die Europäische Union
- Drucksache 13/7307 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Zum Abschluß der Konferenz zur Überprüfung des Vertrags von Maastricht
- Drucksache 13/7901 -
Zur Regierungserklärung liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. Sind Sie damit eiverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa steht in den nächsten zwölf Monaten vor entscheidenden Weichenstellungen. Es geht um die Zukunftsfähigkeit unseres Kontinents. Dabei kommt es ganz besonders auf Deutschland an.
Was sind die wichtigsten Stationen, die vor uns liegen? Amsterdam muß am kommenden Montag und Dienstag den neuen Unionsvertrag bringen. Der NATO-Gipfel am 8./9. Juli wird Kernelemente der neuen europäischen Sicherheitsordnung verabschieden. Anfang nächsten Jahres beginnen die Verhandlungen über die Ost- und Süderweiterung der Union. Im Mai 1998 fällt die Entscheidung über die Teilnehmer an der dritten Stufe der Währungsunion. Vor der Sommerpause 1997 wird die Kommission Vorschläge zur Neuordnung der Gemeinschaftsfinanzen nach 1999 vorlegen. Das ist sozusagen das Programm, das vor uns liegt.
Die Bundesregierung hat auf der Regierungskonferenz konstruktiv, an den eigenen und an den Gemeinschaftsinteressen orientiert, verhandelt. Sie ist davon überzeugt, daß die weitere europäische Integration im ureigensten vitalen deutschen Interesse liegt.
Wir gehen in die Schlußverhandlungen mit Zuversicht. Wir möchten gern ein substantielles Ergebnis erreichen - das wird möglich sein -, ein Ergebnis, das Europa zur Erweiterung fähig macht.
In der Europapolitik gibt es in diesem Bundestag - trotz einiger Meinungsverschiedenheiten in einzelnen Fragen - einen breiten Konsens. Die Bundesregierung hat die Ausschüsse des Bundestages und die Länder über den Verhandlungsfortgang laufend unterrichtet. Dies hat sich auch bei der Erarbeitung deutscher Positionen für die Regierungskonferenz bewährt. Ich möchte an dieser Stelle insbesondere dem Beauftragten für die Regierungskonferenz, Herrn Staatsminister Hoyer, für seine engagierte, sachkundige Arbeit und Unterstützung sehr herzlich danken.
Aber ich danke natürlich auch allen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Amtes und der beteiligten Ressorts sowie all denen, die in den Ländern engagiert mitgearbeitet haben, für den außergewöhnlichen Einsatz während dieser Konferenz.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat der Regierungskonferenz gemeinsam mit ihren Partnern wichtige Impulse gegeben. Ich erinnere nur an die Briefe des Bundeskanzlers und des Staatspräsidenten Chirac, den deutsch-französischen Außenministervorschlag zur Flexibilität oder unsere gemeinsame Initiative mit fünf weiteren Partnern zur schrittweisen Integration der WEU in die EU.
Deutschland kommt in dieser Phase als bevölkerungsreichstem und wirtschaftsstärkstem Land eine ganz besondere Verantwortung zu. Unsere Partner schauen auf uns, suchen die Zusammenarbeit mit uns und wollen, daß wir vorangehen.
Der Europäische Rat in Amsterdam wird den Abschluß der Regierungskonferenz bringen. Daneben
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
muß die Vorbereitung für den Übergang in die dritte Stufe der Währungsunion weiter vorangetrieben werden.
Nun zur Regierungskonferenz: Die Präsidentschaft wird wohl morgen den Vertragsentwurf für die Schlußrunde in Amsterdam vorlegen. Nach unserem jetzigen Kenntnisstand ist ein guter, ambitionierter Text zu erwarten, der unsere Unterstützung verdient. Dafür Dank und Anerkennung an die niederländische Präsidentschaft, aber auch an die Präsidentschaften, die dies vorbereitet haben, nämlich Italien und Irland. Sie haben sozusagen die Grundlage des Erfolges geschaffen.
Die Bedingungen für einen erfolgreichen Abschluß der Konferenz in Amsterdam sind günstig. Großbritannien zeigt mehr europäische Offenheit. Wir stehen mit der neuen britischen Regierung in einem intensiven Dialog über die Punkte, die ihr nach wie vor Schwierigkeiten machen. Die Gespräche mit Premierminister Blair am vergangenen Freitag und zuvor mit Außenminister Cook haben gezeigt: Es gibt nach wie vor Meinungsunterschiede, aber eben auch Lösungsmöglichkeiten.
Entscheidend für die Schlußrunde wird - wie so oft - der deutsch-französische Schulterschluß sein. Die neue Regierung in Paris hält Europakurs. Sie hält am Stabilitätspakt fest. Sie will, genauso wie die Bundesregierung, den planmäßigen Start des Euro, und zwar termingerecht und unter Einhaltung der Stabilitätskriterien.
Noch vor Amsterdam werden wir uns am Freitag auf dem deutsch-französischen Gipfel in Poitiers intensiv mit Frankreich abstimmen können. Selbstverständlich nehmen wir Rücksicht darauf, daß die französische Regierung erst wenige Tage im Amt ist und etwas Zeit braucht. Ich bin aber überzeugt davon, daß wir in Amsterdam an einem Strang ziehen
und auch das Momentum für den vertragsgemäßen Beginn des Euro erhalten werden.
Der Vertragstext für die Schlußverhandlungen, meine Damen und Herren, wird fünf Kapitel umfassen:
Erstens: Grundrechte, Justiz- und Innenpolitik.
Zweitens: Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
Drittens: Der Bürger und die Union. Viertens: Reform der Institutionen. Fünftens: Flexibilität.
Das alles klingt sehr, sehr technisch. Es sind aber alles Fragen, die das Leben der Bürgerinnen und Bürger sehr unmittelbar berühren.
Ein greifbares Ergebnis ist nah, wir haben es aber noch nicht endgültig in der Hand. Keiner der Mitgliedstaaten, auch wir nicht, wird seine Maximalforderungen durchsetzen können. Die Bundesregierung ist jedoch zuversichtlich, daß am Ende ein Ergebnis stehen wird, das die Integration fortführt, das politische Profil der Union schärft und vor allem die Tür für die Vollendung der europäischen Einigung öffnet, der eigentlichen Jahrhundertaufgabe für die europäische Politik.
Bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft vor 40 Jahren sagte Robert Schuman: „Ein geeintes Europa entsteht nicht auf einen Schlag; dazu bedarf es vieler kleiner Schritte. Das gilt bis heute, und es wird auch künftig gelten. "
Wie ist der Stand der Verhandlungen am heutigen Tag? Ich beginne mit der Justiz- und Innenpolitik. Unser Ziel ist ehrgeizig. Der Wirtschaftsraum Binnenmarkt, der bald auch Währungsraum sein wird, muß auch ein einheitlicher Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts werden. Die niederländische Präsidentschaft hat weitreichende, von uns unterstützte Vorschläge vorgelegt zur Vergemeinschaftung von Asylrecht, Visa, Außengrenzen, Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik sowie zur justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsachen und Teilbereichen der Zollzusammenarbeit, zur wirksamen Verbesserung der Polizeizusammenarbeit und der operativen Befugnisse von Europol und zur Integration von Schengen in den EU-Rahmen. Nochmals: Diese Vorschläge unterstützen wir.
In der Frage der Kontrolle der Außengrenzen haben wir Verständnis für Großbritanniens und Irlands Wunsch nach Sonderregelungen; die besondere Insellage rechtfertigt das nach unserer Meinung.
Ein Plus an Freizügigkeit muß von einem europäischen Mehrwert an innerer Sicherheit begleitet werden. Deshalb muß nach unserer Meinung Europol gestärkt werden - hin zu einer Polizeibehörde mit operativen Befugnissen. Das muß erreichbar sein.
Nicht zu Unrecht messen die Bürger das Ergebnis dieser Konferenz gerade an dieser Frage. Deshalb werden wir in Amsterdam darum ringen, daß dieses Paket bestehenbleibt, zu dem im übrigen auch ein besserer Grundrechtsschutz gegenüber den EU-Organen gehört, worauf der Deutsche Bundestag immer besonderen Wert gelegt hat.
Nun zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik: Die Europäische Union muß nicht nur den Frieden im Innern wahren; sie muß künftig auch mehr Verantwortung für die Sicherheit außerhalb ihrer Grenzen übernehmen. Deshalb haben wir darauf hingearbeitet, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu einem kohärenten, wirksamen und
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
sichtbaren Instrument vor allem bei der Konfliktvorbeugung und dem Krisenmanagement zu machen.
Konsens herrscht auf der Regierungskonferenz über die Einrichtung einer Analyse- und Planungseinheit.
Auch in puncto sichtbare Außenvertretung und größere Kontinuität durch einen GASP-Generalsekretär besteht weitgehende Übereinstimmung.
Zwei Fragen sind noch offen, erstens: Wir wollen, daß die Außenpolitik aus der Zwangsjacke der Einstimmigkeit herauskommt. Es darf nicht weiterhin so sein, vor allem wenn wir in Zukunft eine vergrößerte Union haben, daß ein einzelner Mitgliedstaat eine Entscheidung praktisch verhindern kann. Zumindest muß die Hürde für eine solche Blockademöglichkeit möglichst hoch angesetzt werden. Das wird bis zum Schluß ein nicht ganz einfacher Punkt sein. Aber die Einsicht wächst, auch bei den Partnern: Wer stur an der Einstimmigkeit festhält, nimmt die außenpolitische Ohnmacht der EU dadurch praktisch in Kauf. Das kann nicht richtig sein.
Zweitens. Deutschland und zehn weitere Staaten wollen einen deutlichen Schritt auch in Richtung gemeinsame Verteidigungspolitik machen. Der Weg dorthin führt über eine Leitlinienkompetenz des Europäischen Rates auch für die WEU und über die schrittweise Integration der WEU in die EU. Hier geht es um die Weichenstellung für eine künftige europäische Verteidigungsidentität. Deshalb brauchen wir in diesem Punkt in Amsterdam eine klare Aussage.
Zum Verhandlungskapitel „Der Bürger und die Union": Dahinter stehen vor allem die Themen Beschäftigung, Umwelt und Subsidiarität. Die Bürger wollen zu Recht eine Union, die Probleme anpackt und löst. Das gilt erst recht für die Themen, die den Bürgerinnen und Bürgern in ihrem Alltag unter den Nägeln brennen. Dazu gehört in erster Linie natürlich die Arbeitslosigkeit. 18 Millionen Menschen in Europa sind ohne Beschäftigung. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit ist die größte Herausforderung an die Politik, wobei die Hauptverantwortung eindeutig bei den Mitgliedstaaten der Union liegt. Wir alle wollen mehr Arbeitsplätze schaffen; aber mit Vertragsartikeln allein ist es eben nicht getan. Wir wollen keine bürgerfernen, nicht mehr finanzierbaren und uns - uns ganz besonders - belastende Ausgabenprogramme. Eine bessere Koordinierung nationaler Maßnahmen auf europäischer Ebene wird uns weiterbringen. Unter diesen Vorzeichen wird die Bundesregierung auch einem Beschäftigungskapitel zustimmen.
Zum Thema Umwelt. Hier werden wir zwei wesentliche Ergebnisse erzielen: Der Umweltschutz wird Querschnittsaufgabe; künftig muß er bei dei Umsetzung aller Gemeinschaftspolitiken berücksichtigt werden. Jedes Land wird beim Umweltschutz über die gemeinschaftlichen Standards hinausgehen können, wenn dies die Regeln des Binnenmarktes nicht verletzt.
Stichwort Subsidiarität: Dies ist ein zentrales Element im Bauplan der Union und - verständlicherweise - auch ein besonderes Anliegen der Länder, für das sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen massiv eingesetzt hat und bis Montag und Dienstag nächster Woche weiter massiv einsetzen wird.
Es geht dabei nicht um Renationalisierung, sondern um die Funktionsfähigkeit und die Bürgernähe der Europäischen Union. Je größer die Union werden wird, um so mehr wird es auf das Prinzip der Arbeitsteilung ankommen.
Heute morgen haben wir im Kabinett den jährlichen Subsidiaritätsbericht verabschiedet. Er zeigt, daß es Fortschritte gibt. Wir wollen im Vertrag aber klar festschreiben, daß Brüssel nur dann entscheidet, wenn dies erstens notwendig ist und wenn zweitens das Problem auf europäischer Ebene tatsächlich besser gelöst werden kann.
Meine Damen und Herren, zur Reform der Institutionen. Dies ist die Voraussetzung für die Osterweiterung der Union und neben der Einführung des Euro die große strategische Aufgabe der nächsten Jahre. Die heutigen Entscheidungsverfahren und -organe sind nicht für 15 und schon gar nicht für 20 und mehr Mitglieder ausgelegt. Wenn wir sie nicht anpassen, droht Stillstand.
Die Beitrittskandidaten unternehmen große Anstrengungen, sich ihrerseits auf die EU-Mitgliedschaft vorzubereiten. Sie erwarten andererseits zu Recht, daß die Union, deren Mitglied sie werden, auch in Zukunft gemeinsam handlungsfähig ist. Schlankere Organe und effizientere Entscheidungsverfahren sind deshalb kein Selbstzweck.
Deutschland geht voran. Wir sind unter gewissen Voraussetzungen bereit, künftig auf einen unserer beiden Kommissare zu verzichten. Unsere Vorschläge zur Stärkung des Kommissionspräsidenten finden viel Unterstützung. Seine Bestätigung durch das Europäische Parlament wird ihm zusätzliche Legitimation verschaffen. Er wird innerhalb der Kommission eine Art Richtlinienkompetenz erhalten und bei der Auswahl der Kommissare im Benehmen ein Wort mitzureden haben.
Zu den Kernfragen Stimmengewichtung, Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen und Größe der Kommission wird in Amsterdam eine endgültige Entscheidung wohl erst ganz am Schluß in Form eines Gesamtpakets fallen. Für uns sind die folgenden Eckpunkte entscheidend: Künftige Begrenzung der Kommission auf 20 Kommissare und Gewährleistung, daß auch künftig bei Entscheidungen des Rats die demographischen Verhältnisse in der EU angemessen berücksichtigt werden. Das heißt, daß auch weiterhin hinter einer Entscheidung mit qualifizierter
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Mehrheit etwa 60 Prozent der Bevölkerung stehen müssen.
Ein Wort zum Europäischen Parlament. Es hat durch den Vertrag von Maastricht einen Kompetenzzuwachs erhalten. Wir betonen, daß wir uns für Amsterdam deutlichere Fortschritte gewünscht hätten
Leider sind wir da bei unseren Partnern und Freunden auf sehr große Widerstände gestoßen. Immerhin: Der niederländische Vertragsentwurf geht in die richtige Richtung. Überall dort, wo der Rat legislative Akte mit Mehrheit entscheidet, soll das Europäische Parlament mitentscheiden können. Damit wird in Europa ein wichtiges Stück mehr Demokratie und Bürgernähe geschaffen, was wir von Anfang an gefordert haben.
Zum Thema Flexibilität. In einer erweiterten Union wird es immer schwieriger, die Interessen aller Mitgliedstaaten auf einen Nenner zu bringen, wenn es um weitere Schritte zur Vertiefung der Integration geht. Deshalb muß die Möglichkeit geschaffen werden, daß eine Gruppe von Staaten auf dem Weg der Integration vorangeht. Kein anderer Mitgliedstaat darf dies blockieren können. Nichtteilnehmer dürfen aber auch nicht auf Dauer ausgeschlossen werden oder sonstige Nachteile erleiden. Das ist der Kerngedanke der deutsch-französischen Initiative zur Flexibilität.
Der niederländische Textvorschlag zu diesem Thema entspricht unserem Ansatz. Noch offen ist die Frage des Auslösemechanismus für eine solche flexiblere Zusammenarbeit. Unsere Haltung ist: Einstimmigkeit würde bei diesem Auslösemechanismus im Zweifelsfall nicht über den Status quo hinausgehen. Der Einstieg in die flexible Zusammenarbeit muß deshalb nach unserer Meinung mit qualifizierter Mehrheit erfolgen, und dafür werden wir uns einsetzen.
Ein Wort zur Debatte um den Euro: Sie ist notwendig und wichtig. Ein solches Jahrhundertprojekt ist ohne breite Diskussion seiner Chancen und Risiken nicht durchführbar. Nur: Niemand sollte unter falscher Flagge segeln und die Fragen und Sorgen der Bürger mißbrauchen.
Unsere europäischen Partner setzen im Kontext des Euro in ganz besonderer Weise auf uns. Wer jetzt glaubt, die Probleme in unserem Land seien dadurch in den Griff zu bekommen, daß wir von unseren Verpflichtungen und vor allem unserer Verantwortung für Europa abrücken, bringt Deutschland in eine schwierige Lage und in die Isolation.
Wer für Verschiebung eintritt, muß wissen: Er redet damit das Aus für dieses entscheidende Vorhaben herbei. Er muß auch wissen, daß er damit unserem eigenen Land Schaden zufügt, ich füge hinzu: sogar erheblichen Schaden. Ich bezweifle, ob die Kraft zu einem zweiten Anlauf aufgebracht werden könnte. Alle im Fall einer Verschiebung des Euro zu erwartenden Folgen - ich nenne ganz bewußt mit an erster Stelle: enormer Ansehensverlust für Europa, Flucht in die D-Mark, vermutlich Abwertung bei unseren Partnern, Nachlassen der Stabilitätsanstrengungen - würden in erster Linie - wir sollten das nicht vergessen und auch nicht wegdrücken - Deutschland in Mitleidenschaft ziehen und unsere Exportwirtschaft schwer treffen.
Zudem würde viel von dem zunichte gemacht, was allein durch das Ziel der gemeinsamen Währung schon erreicht wurde: eine neue Stabilitätskultur in Europa, ein historisch tiefes Zinsniveau und eine einmalig niedrige Inflationsrate. Wir sollten das wirklich nicht aufs Spiel setzen.
In Amsterdam werden auch eine Reihe von Einzelthemen zur Diskussion stehen, die gerade für uns von ganz besonderer Bedeutung sind. Ich nenne vor allem die Sicherung des öffentlichen Rundfunks und des Systems der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute. Ich nenne die Kirchen, den Sport, die Raumordnung und die kommunale Selbstverwaltung, Themen, an denen verständlicherweise auch und gerade die Länder ganz besonders interessiert sind.
Ich muß leider vor allzu hohen Erwartungen in diesen Bereichen etwas warnen. Wir werden nicht für alle diese eher deutschen Spezialanliegen die notwendige Unterstützung unserer Partner bekommen können. Aber wir haben heute morgen im Kabinett nochmals ausführlich über all diese Punkte gesprochen und sind - jedenfalls der Bundeskanzler und ich - bei den Gesprächen, die jetzt anstehen, fest entschlossen, uns gerade im Hinblick auf die Länderinteressen zu bemühen, soviel wie möglich von diesen Themen durchzubekommen.
Die Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft hatten nach dem Krieg eine große Vision: unseren Kontinent, der sich jahrhundertelang in Bruderkriegen zerrieben hat, dauerhaft zu befrieden. Die immer engere Integration hat Kriege in Westeuropa undenkbar gemacht und die Grundlage für einen nie gekannten Wohlstand gelegt. Diese wirklich historische politische Erneuerung Europas ist weltweit zum Erfolgsmodell für regionale Zusammenarbeit, für regionale Zusammenschlüsse, für Sicherheit und wirtschaftlichen Aufschwung geworden. Darauf können wir stolz sein.
Das Ende des Ost-West-Konflikts hat uns jetzt die Chance eröffnet, dieses Modell sozusagen auf ganz Europa auszudehnen. Diese Chance ist Verantwor-
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
tung und Verpflichtung, die Vision des größeren Europa wahrzumachen, gerade für uns Deutsche, die wir aus der Geschichte heraus eine ganz besondere Verantwortung tragen. Wir haben diese Verantwortung angenommen als Anwalt der Beitrittskandidaten in Mittel- und Osteuropa. Die vor uns stehende Erweiterung ist eine Aufgabe mit historischer Dimension. Sie kann nicht mit Kleinmut bewältigt werden. Die Welt erlebt gegenwärtig tiefgreifende Umbrüche, und wer vor diesem Hintergrund in Europa nur in den Kategorien des Tagesgeschäfts denkt, der wird den geschichtlichen Herausforderungen nicht gerecht werden. Wir brauchen jetzt den Mut und die Vision der Gründerväter Europas. Das ist und bleibt für die Bundesregierung in der jetztigen entscheidenden Phase Leitlinie und Maxime ihrer Europapolitik.
Vielen Dank.
Ich eröffne jetzt die Aussprache. Als erste spricht die Abgeordnete Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Zukunft Europas geht es um eine Vision, aber aus der Art und Weise, wie Außenminister Kinkel es vorgetragen hat, und auch aus dem Inhalt wird jedenfalls nicht spürbar, daß die Bundesregierung diese Vision selber empfindet.
Wer so mit Europa umgeht, darf sich nicht wundern, wenn er die Menschen nicht bewegt.
Der Wind des Wechsels weht in Europa.
Die Wahlergebnisse in Großbritannien und Frankreich sind Ausdruck dafür,
daß die Menschen nicht länger bereit sind, Massenarbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit hinzunehmen.
Jetzt wird der Blick frei für ein Europa jenseits neoliberaler Denkschablonen, die uns Massenarbeitslosigkeit wie zu Brünings Zeiten beschert haben.
Der Bankrott der politischen Irrlehre des Neoliberalismus darf aber an seinem Ende nicht auch noch die europäische Perspektive beschädigen,
die heute im wahrsten Sinne des Wortes der wichtigste Ausweg für alle Mitgliedstaaten angesichts der Globalisierung ist. Denn die Politik der Regierungskoalition aus CDU/CSU und F.D.P., die dafür verantwortlich ist, daß in Deutschland der soziale Zusammenhalt, der soziale Friede und die öffentlichen Haushalte massiv gestört sind, ist auch verantwortlich für das noch vorherrschende Konzept in Europa: den Kampf zwischen den EU-Mitgliedstaaten um die Standarte mit den Mitteln niedriger Sozialbedingungen, niedriger Unternehmensteuern und niedriger Umweltbedingungen.
Wir dürfen nicht zulassen, daß die Krise der Bundesregierung nach dem Scheitern ihrer Politik im eigenen Land nun auch noch die EU ruiniert.
Es zeigt sich deutlich: Eine Währungsunion verwirklichen zu wollen, ohne aktive Beschäftigungspolitik mit ihr zu verbinden, eine Währungsunion verwirklichen zu wollen und nicht die Perspektiven einer koordinierten Wirtschaftspolitik und einer politischen Union anzustreben kann nicht gutgehen. Die Bundesregierung und Theo Waigel wollten der Europäischen Union eine monetaristische Zwangsjacke schneidern. Das lehnen die Menschen ab. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist es, das europäische Kleid so zuzuschneiden, daß es den Menschen paßt. Denn um sie geht es, und sie sollen zu Recht diese Europäische Union als ihre Perspektive empfinden.
Das schlimmste Risiko für den Euro - er spielt ja bei der Frage der Globalisierung eine zentrale Rolle - ist mittlerweile Bundesfinanzminister Theo Waigel.
Mit seinem Goldfinger-Versuch zeigte er, daß er selber die Tricks der kreativen Buchführung versuchte, die er den anderen EU-Mitgliedstaaten vorwarf. Mit seiner Haushalts- und Finanzpolitik zerstört er das Vertrauen der Menschen in den Euro.
Man hat im übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CSU, den Eindruck, Sie hoffen auf niemanden mehr als auf die französischen Kommunisten, um die Währungsunion zu verhindern.
Das ist ja hochinteressant.
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Wir verlangen von Helmut Kohl eine eindeutige Erklärung: Stehen Sie zum Projekt der Europäischen Währungsunion,
oder wollen Sie, wie es heute in den Nachrichten steht, eine Verschiebung vorbereiten? Wenn Sie eine Verschiebung betreiben, treten Sie vor die Wähler und Wählerinnen, und räumen Sie Ihr Versagen ein! Für die SPD gilt: Wir wollen die vertragsgemäße Verwirklichung der Währungsunion einschließlich des Zeitplanes.
Wenn Sie damit nicht klarkommen, stehen Sie vor den Wählern offen zu Ihrem eigenen Versagen!
Es geht in Europa jetzt darum, mit den veränderten Mehrheitsverhältnissen den Zusammenhalt in der EU und zwischen den Mitgliedstaaten neu zu organisieren. Europa braucht eine Initiative gegen Massenarbeitslosigkeit. Ein Europa der Massenarbeitslosigkeit und des Sozialabbaus ist ein Programm zur Stärkung der Haiders in allen unseren Ländern. Ein Europa, das Arbeitslosigkeit bekämpft und den Menschen eine Perspektive nachhaltiger Entwicklung bietet, kann zum Hoffnungsschimmer für alle Länder in der Europäischen Union werden. Dafür müssen wir uns engagieren.
Frau WieczorekZeul, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Laschet?
Im Moment nicht. - Es bietet eine Hoffnung darauf, im Rahmen der Globalisierung den Risiken des Weltmarktes nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, und eine Hoffnung darauf, daß die Sicherungsfunktion des sozialen Rechtsstaats europäischer Prägung auch in Zukunft trägt.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf: Denken Sie in Ihrem wirtschaftspolitischen Konzept um. Der EU-Vertrag, dessen Reform wir heute diskutieren und der am 16./17. Juni zur endgültigen Beschlußfassung ansteht, muß - so haben wir es von Anfang an gesagt - um ein substantielles Beschäftigungskapitel ergänzt werden, damit die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten in bezug auf das Ziel von Wachstum und Beschäftigung koordiniert und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit endlich zu einer verpflichtenden Aufgabe der Europäischen Union wird.
Es wäre ein deutliches Signal dafür, daß die Mitgliedstaaten nicht nur finanzielle Stabilität, wie sie die Währungsunion vorsieht, sondern auch soziale Stabilität in Europa verwirklichen wollen.
Nachdem die Bundesregierung und besonders Sie, Herr Außenminister Kinkel, über Monate hinweg in allen Europadebatten gesagt haben, ein Beschäftigungskapitel sei im Maastricht-Vertrag nicht notwendig, weil die „Beschäftigungspolitik zu Hause gemacht" werde, bemerken Sie jetzt, nachdem Sie in den EU-Beratungen völlig isoliert sind, daß Sie an derartigen Regelungen nicht vorbeikommen, und lenken ein. Wenn es zur Verankerung dieses Kapitels kommt, dann ist das dem Druck der Sozialdemokraten und den anderen EU-Mitgliedsländern zu verdanken, die diese Forderung seit langem gestellt haben.
Praktisch versuchen Sie aber immer noch, den sinnvollen Vorschlag der niederländischen Ratspräsidentschaft in internen Beratungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu verwässern. Ihnen fehlt in bezug auf dieses Beschäftigungskapitel jede Orientierung. Ich zeige Ihnen hier den Vorschlag, den die Bundesregierung - -
- Ja, genau, Sie haben recht, es ist ein leeres Blatt; denn die Bundesregierung beschränkt sich darauf, aus dem niederländischen Vorschlag alle verbindlichen Regelungen zu streichen.
Deshalb sage ich Ihnen: Lassen Sie die Versuche, unter Ausschluß der Öffentlichkeit und jenseits der allgemeinen Erklärungen diesen sinnvollen Vorschlag der niederländischen Ratspräsidentschaft zur Schaffung eines Beschäftigungskapitels zu verwässern! Es ist notwendig, daß diese Regelungen verwirklicht werden.
Bleibt es nämlich bei der bisherigen Praxis - diese Vermutung legt die schlappe Art, in der Herr Kinkel hier vorgetragen hat, nahe -,
dann werden die Staats- und Regierungschefs wie nach jedem Gipfel voll Abscheu wiederum nur erklären, wie schlimm die Arbeitslosigkeit ist; anschließend wird nichts geändert.
Wir fordern Sie auf: Geben Sie diese für unser Land, für die deutsch-französische Freundschaft und für die Europäische Union gefährliche Haltung auf, und tragen Sie dazu bei, daß wirklich ein substantieller Text verabschiedet wird!
Worum geht es denn? Was ist für uns das Wichtigste? Es geht darum, daß man nicht eine Währung aus 14 verschiedenen Einzelwährungen machen und glauben kann, die Wirtschaftspolitik könne unverändert lediglich national gestaltet werden. Wenn die
Heidemarie Wieczorek-Zeul
15 Mitgliedsländer den Einstieg in die ökologische Steuerreform begännen und gleichzeitig die Lohnnebenkosten senkten,
wäre das ein großartiges Projekt der Modernisierung, der ökologischen Umgestaltung und der Schaffung von Arbeitsplätzen.
Ihre Reaktion zeigt, daß Sie mit diesem Aspekt, Beschäftigung in der Europäischen Union, überhaupt nichts verbinden.
Der frühere Kommissionspräsident Jacques Delors hat zu Recht darauf verwiesen: Hätten die Mitgliedsländer der Europäischen Union in den letzten fünf Jahren ihre Wirtschaftspolitik mit dem Ziel von Wachstum und Beschäftigung koordiniert - also eine Wirtschaftsunion praktisch verwirklicht -, hätten wir 3 Prozent mehr Wirtschaftswachstum gehabt. Das würde sich heute in Arbeitsplätzen und vor allen Dingen auch in Einnahmen für die Haushalte unserer Mitgliedstaaten ausdrücken. Mit Waigels Politik dagegen steigen die Massenarbeitslosigkeit und die soziale Ungerechtigkeit und sinken die Steuereinnahmen. Das ist die Perspektive, die Sie bieten.
Aus diesen Gründen haben wir Verständnis dafür, daß die neue französische Regierung eine zusätzliche Erklärung zum Stabilitätspakt verlangt. Die Positionen, die von ihr vertreten werden, beinhalten Forderungen, die im übrigen auch vom Europäischen Parlament und von der zuständigen Berichterstatterin für den Stabilitätspakt mehrfach erhoben worden sind.
Es geht darum, daß sich die EU-Mitgliedstaaten gemeinsame Ziele und Schritte für die Beschäftigungspolitik setzen und diese - wie die finanzielle Stabilität der Europäischen Union - einer gemeinsamen Überprüfung unterziehen. Genau diesem Prozeß, nämlich der Überprüfung dessen, was dort an Verpflichtungen festgelegt ist, wollen Sie sich entziehen. Das zeigen Ihre Streichungsvorschläge zu dem niederländischen Beschäftigungskapitel.
Jetzt werden viele Nebelkerzen geworfen. Auch Herr Kinkel hat das hier getan. Es wird behauptet, es gehe darum, teure Beschäftigungsprogramme auf EU-Ebene zu verhindern. Es geht aber nicht um neue Finanzmittel für die EU. Es geht um Umschichtungen im EU-Haushalt: weg von Agrarpreissubventionen, die Theo Waigel die ganze Zeit praktiziert und mitbeschließt, hin zu sinnvoller Strukturpolitik und zum Anschub von zukunftsorientierter Technologie.
Ich mache mir ausdrücklich den Vorschlag meines Kollegen Siegmar Mosdorf zu eigen, der anregt, die Geldstrafen, die sich aus dem Stabilitätspakt ergeben könnten, einzusetzen, um die großen Reformvorhaben in bezug auf die transeuropäischen Verkehrsverbindungen zu finanzieren. Das wäre eine sinnvolle Nutzung, und die Regierungen würden endlich Nägel mit Köpfen machen. Bisher reden sie nur über diese Fragen und haben noch nie gehandelt.
Daß es nicht um die Verhinderung von finanziellen Belastungen der Bundesrepublik aus den Regelungen des Vertrags über die Europäische Union geht, wird im übrigen durch die Tatsache deutlich, daß an anderer Stelle, wo es um Finanzen geht, die Bundesregierung sehr viel schweigsamer zu dem Vertrag wird. Sagen Sie, Herr Finanzminister, doch der deutschen Bevölkerung, daß in dem überarbeiteten Maastricht-Vertrag im Zusammenhang mit der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik von Ihnen Regelungen mitgetragen werden, die besagen, daß zukünftig bei jeder EU-Aktion, auch wenn sie nicht aus dem EU-Haushalt finanziert wird, die Bundesrepublik mit rund 30 Prozent der Kosten aus ihrem nationalen Haushalt dabei ist! Ich fordere den Finanzminister auf, hier offen zu sagen, wie hoch er die finanziellen Belastungen aus derartigen Regelungen für die Bundesrepublik Deutschland und den nationalen Haushalt ansieht.
Sie sehen an diesem Beispiel: In diesem Bereich werden im Vertrag entsprechende Regelungen getroffen und deren Einhaltung zugesagt. Bei der Beschäftigungspolitik wird aber der finanzielle Aspekt vorgeschoben. Es geht darum, daß Sie die gemeinsame Beschäftigungspolitik bisher nicht wollten und daß Sie versuchen, dies zu kaschieren.
Wir jedenfalls wollen unser Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag bei der Ratifizierung des überarbeiteten Maastricht-Vertrags von der Verankerung eines substantiellen Kapitels zur Beschäftigungspolitik abhängig machen. Dafür müssen Sie mit substantiellen Ergebnissen zurückkommen. Was zählt, ist der endgültige Vertragstext, nicht allgemeine Erklärungen. Wir fordern Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen: Stimmen Sie heute unserem Antrag zu, nach dem der niederländische Vorschlag zur Beschäftigungspolitik von der Bundesregierung unterstützt werden soll.
Die Regierungsparteien sind in ihrem Antrag genau dieser zentralen Frage, um die es eine Woche vor dem Abschluß geht, ausgewichen; sie drücken sich davor. Deshalb werden wir diesen Antrag nicht unterstützten.
Wir fordern Sie auf: Stellen Sie im Vertrag zukünftig auch sicher, daß Fördermaßnahmen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten zugunsten der Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen ergriffen werden, möglich bleiben. Die Europäische Union und ihre Gleichberechtigungsgesetze waren immer eine große Hoffnung für die Frauen. Durch eine neue, restriktive Interpretation des Europäischen Gerichtshofs droht auch dieser Hoffnung der Boden entzogen zu werden.
Wir wollen deshalb, daß im Vertrag klargestellt wird, daß die Europäische Union entsprechenden Maßnahmen der einzelnen Mitgliedsländer zugunsten der Gleichstellung von Frauen nicht entgegen-
Heidemarie Wieczorek-Zeul
steht, sondern daß die Gleichberechtigung der Frauen von ihr aktiv gefördert wird.
Auch das ist eine Perspektive, die die EU bietet.
Europa braucht einen neuen politischen Impuls. Die EU braucht einen sichtbaren Schritt in Richtung mehr Akzeptanz und Bürgernähe. Perspektiven, wie es da weitergehen soll, habe ich von Herrn Kinkel nicht hören können. Deshalb schlagen wir vor, eine Charta europäischer Grundrechte zu verwirklichen. Leider ist dieser Vorschlag von der Regierung bisher nicht ausreichend vertreten worden.
Wir fordern Sie auf, entsprechende Grundrechte im Vertrag zu verankern. Auf dem Amsterdamer Gipfel soll ein Auftrag an das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente gegeben werden, eine solche Charta zu erarbeiten, die zukünftig dem Maastrichter Vertrag vorangestellt wird. Mit einer Grundrechtscharta würde sich die EU, die bisher schwerpunktmäßig eine Wirtschaftsgemeinschaft ist, zu einer Wertegemeinschaft weiterentwickeln. Das ist dringend notwendig und wäre ein wichtiges Signal.
Schutz der Würde des Menschen, die Garantie der Freiheitsrechte, Asylrecht und Freizügigkeit müssen gewährleistet sein. Die im Maastricht-Vertrag angelegten politischen Beteiligungsrechte für EU-Bürger und -Bürgerinnen müssen ausgeweitet werden. Es geht darum - das sage ich in aller Deutlichkeit -, schrittweise das Wahlrecht auch für die zu garantieren, die dauerhaft auf dem Boden der Europäischen Union leben.
Das Recht zu wählen muß am Ausgang unseres Jahrhunderts, ja Jahrtausends endlich danach definiert werden, wo ein Mensch dauerhaft lebt, nicht nach angeblichen völkischen Blutbanden.
Die Reform des Vertrags von Maastricht muß vor allem zu mehr Demokratie und demokratischer Legitimation der EU beitragen. Wenn das Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat zukünftig von Mehrheitsentscheidungen abgelöst wird, wofür wir im legislativen Bereich der Gemeinschaft eintreten, dann muß dies mit der Einführung eines Mitentscheidungsrechts des Europäischen Parlaments in der europäischen Gesetzgebung verbunden werden. Zukünftig muß das Europäische Parlament immer da, wo der Rat mit Mehrheit entscheidet, gleichberechtigt mitentscheiden können. Ein europäisches Gesetz darf nur zustande kommen, wenn beide, Ministerrat und Europäisches Parlament, zustimmen.
Wir haben die Orientierung in Richtung Mehrheitsentscheidungen für viel wichtiger gehalten -
und das tun wir noch immer - als die Orientierung auf das Prinzip der flexiblen Integration. Wir wollen nicht, daß auf dem Umweg über dieses Prinzip das Kerneuropakonzept mancher Christdemokraten durch die Hintertür in die Europäische Union eingeführt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Voraussetzungen, die bei dem Amsterdamer Gipfel geschaffen werden müssen, sind wichtige Voraussetzungen gerade für diesen Bereich. Sie sollen gewährleisten, daß neue Mitgliedsländer der Europäischen Union beitreten können. Deshalb sage ich auch in Richtung des Außenministers Rosati, der heute hier ist: Wir wollen durch ganz konsequente Reform der EU - auch der inhaltlichen Komponenten - dazu beitragen, daß die Europäische Union der großen Aufgabe, neue Mitglieder aufzunehmen, wirklich gerecht wird und dieses Ziel auch praktisch einlöst.
Das konservative, neoliberale Zeitalter geht zu Ende.
Die Bundesregierung ist sein letztes Fossil. Es geht um einen neuen Entwurf für Europa. Er basiert auf der gemeinsamen Überzeugung, daß Massenarbeitslosigkeit die Grundlagen unserer Demokratie zerstört und deshalb von unseren Ländern nicht hingenommen werden darf.
Er gründet auf der Überzeugung, daß der soziale Rechtsstaat europäischer Prüfung die wichtigste Voraussetzung dafür ist, daß wir uns mit Erfolg im weltweiten Wettbewerb behaupten können. Wer diesen sozialen Rechtsstaat zerstört, sägt den Ast ab, auf dem die Europäer sitzen.
Er gründet auf der Überzeugung, daß eine europäische Währungsunion ein wichtiges Gestaltungsinstrument zu mehr Gerechtigkeit in den weltweiten Finanzmärkten sein kann.
Er gründet auf der Überzeugung, daß sie dauerhaft nur funktionieren kann, wenn sie durch eine gemeinsame Beschäftigungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik ergänzt wird, wenn sie von der Überzeugung der Bürger und Bürgerinnen in Europa getragen wird.
Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht der Abgordnete Rudolf Seiters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Wieczorek-Zeul, Sie haben uns nicht enttäuscht. Jetzt weiß ich etwas genauer, was die Kollegen Voigt und Verheugen meinen, wenn sie in diesen Tagen in ihrem Positionspapier schreiben:
Die sozialdemokratische Außen- und Sicherheitspolitik wird im In- und Ausland als Schwachstelle angesehen.
Das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis und zutreffende Beschreibung, aus der Sie allerdings die notwendigen Konsequenzen ziehen sollten, vielleicht auch bei der Auswahl Ihrer Redner.
Dann habe ich gerade noch gefunden, was in diesem Zusammenhang Franz Walter, Politikwissenschaftler an der Universität Göttingen, geschrieben hat:
Die neue SPD gibt es nicht. Die Funktionärsrekrutierung verläuft so unprofessionell und zufällig wie schon zu Ollenhauers Zeiten.
An diese Zeit erinnert erschreckend auch die außenpolitische Inkompetenz der SPD in den 90er Jahren.
Daran wollte ich nach diesem Beitrag von Frau Wieczorek-Zeul nur noch einmal erinnern.
- Sie haben doch gerade gesagt, die Rede des Regierungsvertreters sei Ihnen zu schlaff gewesen. Nun freuen Sie sich doch, daß es ein bißchen lebendiger zugeht!
Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst ein Wort des Dankes an die Adresse der Regierung sagen - an den Bundeskanzler, an den Außenminister, aber auch an Staatsminister Hoyer - für die enge Kooperation in diesen letzten Monaten und für die ständige ehrliche und offene Unterrichtung in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages.
Ich finde, die Opposition hätte ebenso wie wir durchaus anerkennen sollen, daß es kaum eine Regierung in Europa gibt, die mit so viel Engagement für die parlamentarischen Wünsche eingetreten ist,
für die Stärkung der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union
und auch für die Verbesserung der demokratischen Legitimation.
Manches von dem - vielleicht vieles von dem; das ist auch eine Frage der Betrachtungsweise -, nicht alles von dem, was wir als Ziele der Regierungskonferenz formuliert und beschlossen haben, ist in den Verhandlungen erreicht worden. Wichtige andere Fragen sind noch offen, müssen noch geklärt werden, auch auf dem Amsterdamer Gipfel. Ich möchte mich auf folgende fünf Bereiche konzentrieren:
Erstens. Wir haben immer gesagt, daß die innere Sicherheit in der Europäischen Union dringlich ein europäisches Mandat erfordert. Das Europa der offenen Grenzen muß auch ein sicheres Europa sein.
Jetzt zeichnen sich im Bereich der Innen- und Rechtspolitik sowie bei der Kriminalitätsbekämpfung Fortschritte ab. Es ist wahr und zutreffend, daß dies nicht zuletzt ein Erfolg der gemeinsamen Initiative des Bundeskanzlers und des französischen Staatspräsidenten vom Dezember letzten Jahres ist.
Wir begrüßen den jüngsten niederländischen Vertragsentwurf; denn durch ihn wird es gelingen, einen Durchbruch bei der Integration des Schengener Übereinkommens in den Maastrichter Vertrag zu schaffen, Europol auszubauen und mittelfristig mit operativen Kompetenzen auszustatten.
Die polizeiliche Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung wird durch die neuen Vereinbarungen schlagkräftiger werden. Es ist doch völlig klar, daß die Bürger zu Recht genau das von uns als Antwort auf die Herausforderungen durch das internationale Verbrechen erwarten: daß wir Europa im Kampf gegen die Kriminalität schlagkräftiger machen.
Im übrigen hat die Vergangenheit auch gezeigt, daß rein nationale Strategien unkontrollierten Migrationen, deren Zahl wächst, nicht gerecht werden können. Die Erfahrungen mit Bosnien haben zudem deutlich gemacht, daß eine faire europäische Lastenteilung bei der solidarischen Bewältigung dieser Probleme notwendiger ist denn je. Wir haben deshalb immer wieder die gemeinsame Verantwortung der Europäischen Union bei der Vorsorge im Asyl- und Zuwanderungsbereich angemahnt und eine Vergemeinschaftung der Flüchtlings-, Asyl-, Visa- und Einwanderungspolitik gefordert. Wir begrüßen den niederländischen Vertragsentwurf auch in dieser Frage.
Rudolf Seiters
Zweitens. In der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind die Schaffung eines GASP-Generalsekretärs und der GASP-Einheit wichtige Instrumente zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Wichtig dafür ist aber auch, daß außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen so weit wie möglich mit Mehrheit getroffen werden können. Dabei geht es nicht darum, bestimmte Länder auszugrenzen. Es geht darum, eine Möglichkeit zum Handeln zu schaffen, wenn ein Mitglied in einer bestimmten Frage - das haben wir ja erlebt - einen sachlich gerechtfertigten und akzeptablen Kompromiß verweigert. Das gilt künftig, wenn die Union 18, 20 oder mehr Mitgliedstaaten umfassen wird, noch mehr als in der Vergangenheit.
Deshalb ist es schon bedauerlich, daß die niederländischen Vorschläge, bezogen auf diesen Politikbereich, noch nicht ausreichen, um die gewünschte nachhaltige Verbesserung der außenpolitischen Entscheidungsfähigkeit herbeizuführen. Es würde wenig nützen, wenn auf der Grundlage bereits einstimmig vereinbarter Strategien gemeinsame Aktionen und deren Durchführung grundsätzlich zwar mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden könnten, zugleich aber die Mitgliedstaaten in jedem Einzelfall praktisch doch ein Vetorecht erhielten. Der Außenminister hat darauf und auf die deutschen Bemühungen hingewiesen.
Wir halten jedenfalls an unserer Auffassung fest, daß die Beibehaltung des Vetorechts die Neigung zu nationalen Alleingängen unterstützt und damit die Handlungsfähigkeit, das Gewicht und die Bedeutung der Europäischen Union schmälert. Deswegen ermutigen wir die Bundesregierung nachdrücklich, in dieser Frage wichtige Verbesserungen anzustreben.
In diesem Zusammenhang - Frau Wieczorek-Zeul, das muß ich an dieser Stelle allerdings auch sagen - ist mir folgendes aufgefallen. Die SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament schalten in den Zeitungen große Anzeigen: Wir fordern eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Da wundert es mich, daß in dem Antrag, den Sie heute vorlegen, überhaupt kein Wort über die Notwendigkeit einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik steht. Das fällt mir auf: kein einziges Wort.
Das ist bemerkenswert und kennzeichnend für den Stellenwert der Außenpolitik in Ihrer Fraktion.
Aber vielleicht ist das ja sogar ein Fortschritt; denn in früheren Anträgen der SPD hieß es stets, das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen dürfe grundsätzlich nicht auf die Bereiche übertragen werden, die in der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit verblieben. Das haben Sie bis heute nicht zurückgenommen. Das hätte die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik direkt betroffen.
Es bleibt dabei, daß wir eine solche Position, die der gewünschten Stärkung der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union diametral entgegensteht, nachdrücklich ablehnen. Wir wollen die Mehrheitsentscheidung auch auf dem Felde der Außen- und Sicherheitspolitik.
Drittens. Auch für die sogenannte erste Säule des Maastrichter Vertrages gilt: Um die Entscheidungsfähigkeit des Ministerrates zu verbessern, muß der Bereich der Mehrheitsentscheidungen erweitert werden. Auch hierzu gibt es offene Fragen. Sie gehören zu den zentralen Themen für die Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs. Wir streben nach wie vor an, auch in diesen Politikbereichen das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen zum Regelfall mit möglichst wenigen Ausnahmen zu machen. Zu diesen Ausnahmen - darin sind wir uns einig - gehören vor allem Steuer- und Finanzfragen.
Die niederländische Präsidentschaft hat eine Liste mit elf Bestimmungen vorgelegt, für die künftig das Prinzip der qualifizierten Mehrheit gelten sollte. Wir sind der Meinung, daß es noch weitere Bestimmungen - auch im Bereich der Innen- und Rechtspolitik - im Maastrichter Vertrag gibt, für die künftig das Vetorecht nicht mehr angewandt werden sollte. Wir haben das der Bundesregierung als Position der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion noch einmal ausdrücklich übermittelt.
Was die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments anbetrifft, ist die Bundesregierung Vorreiter in der Europäischen Union. Auch das begrüßen und unterstützen wir ausdrücklich.
Viertens. Die wichtigste wirtschafts- und gesellschaftspolitische Herausforderung, über die wir in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig diskutieren und streiten, besteht darin, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen unseres Staates für die Zukunft sicher und wetterfest zu machen.
Deshalb müssen die entscheidenden Schritte und die notwendigen Maßnahmen für wirtschaftliches Wachstum und zusätzliche Arbeitsplätze in den Mitgliedstaaten selbst unternommen werden, beispielsweise durch strukturelle Reformen der Arbeitsmärkte oder durch neue Wege in der Steuerpolitik zur Entlastung des Faktors Arbeit.
Auch auf diesem Felde weise ich die Unterstellungen der SPD ausdrücklich zurück. Niemand bestreitet, daß die Europäische Union bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit noch mehr als bisher leisten kann: durch eine stärkere Koordinierung und durch den sinnvollen Einsatz der bestehenden Instrumente und Fördertöpfe, durch den verstärkten Einsatz der
Rudolf Seiters
Strukturpolitik für mehr Beschäftigung, indem zum Beispiel die kleinen und mittleren Unternehmen stärker gefördert werden; denn sie sind die Beschäftigungsmotoren der europäischen Wirtschaft.
Auch sollte mit Blick auf die neuen Technologien mit den Mitteln der Strukturpolitik die berufliche Qualifizierung gefördert werden. Eine solche Zielsetzung stünde durchaus in der Konsequenz der EUGipfel von Essen, wo unter deutscher Präsidentschaft Leitsätze zur Verbesserung der Beschäftigungslage vereinbart wurden, und von Dublin, wo Ihr Parteifreund Klaus Hänsch, der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, gesagt hat - ich stimme ihm zu -, die Hauptlast in der Beschäftigungspolitik müsse auch künftig bei den Mitgliedstaaten liegen,
die EU könne keine eigene Beschäftigungspolitik betreiben, sie könne die Aktionen der Mitgliedsländer lediglich koordinieren, orientieren und in bescheidenem Maße stimulieren. Das ist auch unsere Meinung.
Vor diesem Hintergrund ist es abwegig zu behaupten, die Bundesrepublik stehe in der Frage eines Beschäftigungskapitels isoliert da. Sie sollten einmal nachlesen, was Tony Blair zu Beschäftigung, Flexibilität und verstaubten Forderungen nach staatlichen Arbeitsplätzen in Malmö gesagt hat.
Was wir ablehnen, sind Formulierungen, die zusätzliche Ausgaben für teure Beschäftigungsprogramme nach sich ziehen. Derartige Programme würden nicht dadurch richtiger, wenn sie künftig vom europäischen Ministerrat verabschiedet werden könnten. Was national falsch war, kann europäisch nicht richtig sein.
Stimmen Sie der Steuerreform zu; das ist wichtiger als fünf europäische Beschäftigungsprogramme.
- Die Dame saß hier bei dem Thema Währungsunion und Stabilitätspakt auf einem ziemlich hohen Roß. Sie sollten aufpassen, daß Sie nicht herunterfallen.
Eine fünfte Bemerkung: Ich will die alte Diskussion aus den vergangenen zwei Jahren nicht mehr aufgreifen, in der Monika Wulf-Mathies und Klaus Hänsch Ihren Fraktionsvorsitzenden darauf aufmerksam machen mußten, daß bestimmte Äußerungen zur Währungsunion an den Stammtisch gehören, und in der sie gewarnt haben, daß man nicht die Balken des eigenen Hauses verbrennen sollte. Daran möchte ich ganz kurz erinnern.
Viel aktueller ist der Streit zwischen Herrn Lafontaine und Gerhard Schröder, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten. Sie können doch nicht bestreiten, daß Gerhard Schröder seit Monaten über Land zieht und immer wieder gegen die europäische Währungsunion mit unglaublichen Bemerkungen polemisiert.
Sie können überhaupt nicht bestreiten, daß der niedersächsiche Ministerpräsident immer wieder Ängste schürt, Nachverhandlungen auf der Regierungskonferenz fordert und das Zieldatum 1999 für unmöglich erklärt. Er hat jetzt wieder die Verschiebung der Europäischen Währungsunion gefordert - in Widerspruch zu allem, was wir von den Gewerkschaften und aus der Wirtschaft hören, daß nämlich die Währungsunion ein entscheidender Schritt sei, die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Beschäftigungsmöglichkeiten und die Stabilität in der Europäischen Union zu sichern und zu stärken.
Wir wollen einen starken Euro. Wir stehen zu der strikten und vertragsgemäßen Einhaltung der Stabilitätskriterien.
Aber ebenso wie eine Aufweichung der Kriterien liegt eine Verschiebung der Währungsunion nicht im deutschen Interesse.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, ist auch der Stabilitätspakt sehr wichtig. Deswegen ist - auch vom Bundesfinanzminister, den wir nachdrücklich unterstützen - deutlich gesagt worden, ein Nachverhandeln des Stabilitätspaktes oder ein Abkoppeln kann es nicht geben. Der Stabilitätspakt ergibt sich aus dem Maastricht-Vertrag. Er soll auch nach Inkrafttreten der Währungsunion eine Politik der Preisstabilität und solider Haushaltsführung sichern. So wie es keine Aufweichung der Stabilitätskriterien geben kann, kommt auch eine Aufweichung des Stabilitätspaktes nicht in Betracht. Der Euro muß dauerhaft halten, was er verspricht. Das haben wir auch unserer Bevölkerung zugesagt. Deswegen dürfen wir einer Politik des leichten Geldes keinen Vorschub leisten.
Amsterdam muß eine entscheidende Station zur Stärkung der Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit der Europäischen Union werden. Dann wird Amsterdam auch eine entscheidende Station beim Aufbau der gesamteuropäischen Friedensordnung sein.
Eine große dänische Zeitung würdigt in diesen Tagen den Bundeskanzler, dessen ganzes Engagement
Rudolf Seiters
von dem Wunsch getragen werde, Europa möge zusammenwachsen. Wörtlich diese dänische Stimme:
Das Deutschland von heute und sein Kanzler sind die beste Garantie dafür, daß alle in Europa - die Großen wie die Kleinen - eine Rolle spielen.
Meine Damen und Herren, wir wünschen dem Bundeskanzler alles Gute und viel Erfolg für Amsterdam. .
Als nächster hat der Abgeordnete Christian Sterzing das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Darin sind wir uns doch einig: Wir brauchen Europa; wir brauchen eine starke Politische Union, die auf die Herausforderungen, denen sich Europa gegenübersieht, vorbereitet ist. In Ihren Ausführungen, Herr Außenminister, haben Sie zum wiederholten Male gesagt, wir seien auf einem guten Weg. Aber ich glaube, wir alle wissen, wir sind nicht auf einem guten Weg. Gemessen an den Herausforderungen, an den Hoffnungen und auch an den Versprechungen sind die Ergebnisse, die sich für Amsterdam abzeichnen, äußerst mager, ja in vielen Richtungen zeichnen sich gefährliche Weichenstellungen in die falsche Richtung ab.
Nicht nur die absehbaren Ergebnisse von Amsterdam, vor allem auch Ihre Verhandlungsstrategie bei der Regierungskonferenz machen deutlich, daß Sie, Herr Kinkel, sich von vielen Visionen eines vereinten Europa weitgehend verabschiedet haben, auch wenn Sie sie heute wieder so vollmundig beschworen haben.
Vor wenigen Tagen - anläßlich des 50. Jahrestages des Marshall-Planes - haben Sie jenseits aller europapolitischen Sonntagsreden eine viel deutlichere Sprache gesprochen. Sie zitierten zunächst Ihre amerikanische Kollegin, Frau Albright, die von „der Realisierung des am schwersten faßbaren Traums dieses Jahrhunderts - eines vereinten, stabilen und demokratischen Europas" sprach. Sie fuhren selber fort:
In der Tat: Die Europäische Union wird sich in den nächsten 20 Jahren um ein Drittel vergrößern und rund ein Drittel mehr Einwohner hinzubekommen. Ein Großteil dieser Staaten wird durch eine gemeinsame Währung, enge militärische Zusammenarbeit in WEU und NATO sowie gemeinsame Verbrechensbekämpfung und Asyl- und Zuwanderungsregelungen verbunden sein.
Ist das Ihr Traum, Herr Kinkel? Ist das Ihre Vision vom zukünftigen Europa? Immerhin, Sie machen deutlich, wo Sie Ihre Prioritäten setzen: Geld, Militär und Polizei. Indem Sie von der Verbundenheit nur eines „Großteils" der EU-Staaten sprechen, machen Sie auch deutlich, daß Sie das Ziel eines gemeinschaftlichen Integrationsprozesses aller EU-Staaten im Grunde schon aufgegeben haben. Das Kerneuropa-Konzept läßt grüßen! Flexibilisierung der Integration heißt deshalb Ihre Zauberformel. Zwar ist noch nicht klar, welche Gestalt die Integration in Amsterdam endgültig annehmen wird, doch die deutschen Vorschläge bedeuten aus unserer Sicht einen integrationspolitischen Sprengsatz für Europa.
Die Prioritäten, die in dieser Rede deutlich wurden, finden Sie alle in den Initiativen der Bundesregierung im Rahmen der Regierungskonferenz wieder. Innere und äußere Sicherheit, das waren die Themen der Bundesregierung - konkret: Militarisierung der EU durch die angestrebte institutionelle Verschmelzung mit der WEU, Ausdehnung der operativen und auch der exekutiven Befugnisse von Europol und Sicherung der Außengrenzen. Also: Sicherheitsapparate nach innen, Abschottung nach außen und Reduktion der außenpolitischen Handlungsfähigkeit auf die Schaffung von militärischen Handlungsoptionen.
Sie sprechen von Fortschritten in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und auch in der Innen- und Justizpolitik. Aber „Fortschritte " heißt für Sie: Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen ohne ausreichende parlamentarische und gerichtliche Kontrolle. Es droht ein Europa der Regierungen an Stelle dessen, was wir uns alle wünschen: ein Europa der Bürger.
Das Europäische Parlament mußte sich mit Händen und Füßen gegen den drohenden Verlust von Rechten wehren; ich hoffe, mit Erfolg. Aber es ist doch bezeichnend, daß es dieses Kampfes des Europäischen Parlaments überhaupt bedurfte. Das EP ist immer noch keine gleichberechtigte Gesetzgebungskammer. Mit dem Demokratiedefizit auf europäischer Ebene ist es wie mit dem Haushaltsdefizit auf nationaler Ebene: Trotz - oder muß man sagen: wegen? - aller Anstrengungen der Bundesregierung werden die Löcher immer größer. Das Bekenntnis der Bundesregierung zur Stärkung der Demokratie in der EU hat sich im Laufe der Verhandlungen doch weitgehend als ein Lippenbekenntnis erwiesen.
Die Liste der Versäumnisse ließe sich beliebig verlängern. Lassen Sie mich ein paar Punkte, die für die Akzeptanz der Union in der Bevölkerung besonders wichtig sind, erwähnen.
Umweltpolitik: wohlklingende Textergänzungen, die aber folgenlos bleiben werden, da konkrete Konsequenzen für die Umsetzung in einzelnen Politikbereichen nicht gezogen werden.
Kosmetische Vertragsänderungen und -ergänzungen auch zum Thema Grundrechte: ein zahnloses Diskriminierungsverbot, ein zu nichts verpflichtender Artikel zum Thema Gleichstellung von Frauen und Männern, ein Akteneinsichtsrecht, das praktisch auf ein Gnadenrecht reduziert wird, und Datenschutzregelungen, die in entscheidenden Bereichen der Europäischen Union, zum Beispiel bei Europol, gar keine Geltung haben.
Christian Sterzing
Beispiel Beschäftigungspolitik: Hier ist es so off en-sichtlich wie kaum woanders, welch bremsende Rolle die Bundesregierung in vielen Bereichen der Verhandlungen gespielt hat. Da hilft es auch nichts, wenn sie jetzt kurz vor Toresschluß publikumswirksam umfällt und selbst die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag nun ein Beschäftigungskapitel fordern. Wir wissen doch: Spätestens seit dem Gipfel in Dublin hat sich die Bundesregierung mit Händen und Füßen nicht mehr gegen ein Beschäftigungskapitel, wohl aber gegen eine wirksame europäische Beschäftigungspolitik gewehrt - wie es aussieht, leider mit Erfolg. Denn was jetzt unter dem Etikett Beschäftigungskapitel auf dem Tisch liegt, ist längst nicht mehr das, wofür sich viele andere europäische Regierungen in den letzten Monaten eingesetzt haben und was sich noch im irischen Vertragsentwurf in substantiellen Regelungen niedergeschlagen hat. Bereits der niederländische Vertragsentwurf atmet die Luft von Neoliberalismus und Deregulierung. Die Aufnahme eines nichtssagenden Beschäftigungskapitels garantiert keineswegs eine wirksame europäische Beschäftigungspolitik. Von diesem Etikettenschwindel - auch im Antrag der Regierungskoalition - sollte man sich auf keinen Fall täuschen lassen.
Aber das paßt in das Bild Ihrer Prioritäten, Herr Außenminister: die gemeinsame Währung, die Herrschaft des Marktes - das alles soll keinem politischen Korrektiv mehr unterworfen werden. Sie wollen alles verhindern, was auch nur im mindesten den Primat des Binnenmarktes tangiert oder gefährdet. Das, was an neoliberaler Politik der Deregulierung und des Sozialabbaus auf nationaler Ebene nicht mehr umgesetzt werden kann, das wollen Sie jetzt im Stabilitätspakt und auch im Beschäftigungskapitel auf europäischer Ebene umsetzen. Aber wir hoffen, das wird nicht gelingen.
Das ist natürlich auch der Kern des Streites mit der französischen Regierung über ein beschäftigungspolitisches Zusatzprotokoll zum Stabilitätspakt. Wir wollen den Euro.
Doch als Instrument für eine neoliberale Politik wollen wir ihn nicht. Wir wollen eine Beschäftigungspolitik, um die Risiken der Währungsunion zu minimieren. Deshalb sagen wir: Diese Währungsunion bedarf dringend einer Einbettung in eine Beschäftigungs- und Sozialunion.
Geben Sie deshalb Ihr Bemühen auf! Die neoliberale, monetaristische Medizin hat Europa wirklich nicht geholfen, hat es nicht gesund gemacht, im Gegenteil. Öffnen Sie sich deshalb den Impulsen, die aus Frankreich kommen, und machen Sie bei einem substantiellen Beschäftigungskapitel mit!
Europa muß sozialer werden. Es muß demokratischer werden. Es muß politische Instrumente erhalten, um die natürlichen Lebensgrundlagen schützen und den Frieden in Europa sichern zu können. Schritte in diese Richtung, nicht mehr und nicht weniger, erwarten wir von Amsterdam. Dazu bedarf es
jedoch einer Bundesregierung, die das wirklich will und die sich dafür einsetzt. In der „Süddeutschen Zeitung" war heute zu lesen:
Keine Währungsunion ohne eine Politische Union, so hatte es Helmut Kohl vor Maastricht versprochen. ... Daß Kohl die Politische Union in Maastricht nicht bekam, war nicht schlimm. Schlimm ist, daß er sie inzwischen nicht einmal mehr anstrebt.
Statt Geld, Polizei und Militär müssen nach unserer Überzeugung Demokratie, Beschäftigung, Umwelt und Frieden die Leitbilder sein, an denen sich der Prozeß der Integration in Europa orientiert.
Das Wort hat der Abgeordnete Haussmann.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allem Parteienstreit und bei allen Haushaltssorgen sollte man doch vor einer wichtigen europäischen Konferenz innehalten und zur Kenntnis nehmen, daß sich Europa unter globalen Bedingungen für das nächste Jahrhundert organisiert und daß Europa nach wie vor vorne liegt. Der Wirtschaftshistoriker Kennedy hat zu Recht betont, daß sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika als auch Japan nicht das Glück der Deutschen haben, in einer Freihandelszone zu leben und darüber hinaus noch wirtschaftlich, währungspolitisch und politisch mit ihren Nachbarstaaten eng zusammenzuarbeiten. Das ist die optimale Form, um unter den Bedingungen der Globalisierung Arbeitsplätze, persönliche Freizügigkeit und Sicherheit für den einzelnen zu garantieren.
Das ist einer der entscheidenden Punkte, der auch für diese Regierung und diese Koalition spricht. Beim Bundeskanzler weiß man, woran man in der Europapolitik ist. Bei der SPD weiß man das eben nicht.
Es bringt überhaupt nichts, hier Anträge zu formulieren, während einer Ihrer wichtigsten Politiker durchs In- und Ausland zieht und die Währungsunion zerredet.
Das jüngste Interview von Herrn Schröder geht schon so weit, daß er nicht von einer Verschiebung um lediglich ein oder zwei Jahre spricht, sondern von einer Verschiebung um drei bis fünf Jahre. Das heißt - und das ist wichtig für die Europadebatte -, einer der aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten der SPD redet von einer Verschiebung der Währungsunion auf das Jahr 2004 und nimmt damit bewußt ein Ende
Dr. Helmut Haussmann
des wichtigsten europäischen Projektes in Kauf. Das ist die Wahrheit!
Wie ich höre, Herr Fischer, haben Sie sich angepaßt und setzen sich für die Währungsunion ein: vormittags, in einer Europadebatte. Abends war ich in einer „Pro und Contra " -Sendung mit Ihrem Fraktionsgeschäftsführer: Verschiebung, Ende der Währungsunion. - Das ist grüne Politik.
- Aber sicher!
Deshalb ist mit Rot-Grün europapolitisch kein Staat zu machen.
Das Thema Europa ist einer der wichtigsten Gründe dafür, daß diese Koalition weiter erfolgreich zusammenarbeitet.
Wenn die Arbeitsplätze in Deutschland und in Europa das entscheidende Thema sind, dann muß klargemacht werden, daß das Scheitern des Euro bei den Sozialdemokraten durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Sie blockieren derzeit 11 Milliarden DM Einsparvolumen im Bundesrat. Machen Sie zunächst einmal mit, bevor Sie sagen, wir gefährdeten das Projekt.
Ganz entscheidend ist: Machen Sie endlich bei einer richtigen Steuerreform mit,
denn die Steuerreform ist die Voraussetzung dafür, daß Wachstum und Beschäftigung für die Jahre 1998, 1999 und 2000 stimmen. Mit Ihrer Art der Steuerpolitik wird Deutschland mittel- und langfristig die Maastricht-Kriterien nicht erfüllen.
Herr Haussmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spiller?
Nein, ich will im Kontext vortragen, auch wenn es für die Sozialdemokraten unangenehm ist.
Beschäftigungspolitik in Europa heißt zunächst einmal, die Währungsunion auch innenpolitisch und haushaltspolitisch durchzusetzen und zu unterstützen.
Die Währungsunion ist nach wie vor das wichtigste Beschäftigungsprojekt.
Es ist unter Niveau, Herr Sterzing, wenn Sie erklären, wir betrieben eine Politik des Geldes, der Polizei und des Militärs. Was steht denn hinter dem gemeinsamen Geld? - Mehr Arbeitsplätze für uns Europäer. Was steht denn hinter dem Begriff Polizei? - Mehr Sicherheit für Europäer. Was steht denn hinter dem Begriff Militär? - Mehr Friedenspolitik in Europa. So, wie Sie das tun, kann man Europapolitik wirklich nicht betreiben.
Alle Ministerpräsidenten haben dem Vertrag von Maastricht zugestimmt. Daran werden sie auch vom deutschen Parlament gemessen werden, egal, ob sie in Niedersachsen oder in Bayern regieren. Der einzige Unterschied besteht darin, daß das Land Bayern die Maastricht-Kriterien erfüllt, während das Land Niedersachsen die Maastricht-Kriterien eben nicht erfüllt.
Insofern sind weder Herr Lafontaine noch Herr Schröder die geeigneten Mahner in bezug auf mehr Stabilität in Deutschland. Baden-Württemberg erfüllt die Maastricht-Kriterien, spätestens seit die F.D.P. dort mitregiert. Das muß man einmal in aller Deutlichkeit sagen.
Die Kommadiskussion nimmt inzwischen perverse Züge an. Ich muß das wirklich sagen.
Als Ökonom kann ich nur sagen: Jeder Wissenschaftler, aber auch jeder Medienvertreter hat die Aufgabe, klarzumachen, daß die Stabilität des europäischen Geldes nicht an einer Kommadiskussion hängt, sondern daran, daß wir nachhaltig für eine niedrige Inflation, nachhaltig für niedrige Zinsen und nachhaltig für eine konvergente Wirtschaftspolitik eintreten. Egal, wen es betrifft: Wir dürfen die Bevölkerung nicht fehlinformieren. Wichtig für stabiles Geld sind eine niedrige Inflation, niedrige Zinsen und die Konvergenz in der Wirtschaftspolitik. Wichtig ist nicht zuletzt das Vertrauen der Märkte. Dieses entsteht nur, wenn man sich zur Währungsunion nicht nur in Sonntagsreden bekennt, sondern auch in der Innenpolitik, wenn man bei der Steuerreform und der Haushaltspolitik seine Aufgaben macht.
Herr Lamfalussy hat in seiner Abschlußrede in Straßburg klar gesagt: Die tiefgehende strukturelle Arbeitslosigkeit in Europa kann nicht mit einem neuen Beschäftigungskapitel beseitigt werden. - Sorry, das ist die Wahrheit. Die tiefgehende struktu-
Dr. Helmut Haussmann
relie Arbeitslosigkeit muß mit nationalen Mitteln der Arbeitsmarktpolitik beseitigt werden.
Ich kann den vereinigten Kollegen von Rot-Grün nur empfehlen: Seien Sie vorsichtig mit der Verachtung des Etiketts „neoliberal" ! Lesen Sie bitte einmal nach, was Tony Blair oder der neue Schatzkanzler in Großbritannien wirklich vorschlägt. Das ist eher neoliberal als altsozialistisch.
Sie reden von mehr Flexibilität; sie reden von mehr Deregulierung; sie reden von flexiblen Arbeitszeiten; sie reden davon, daß in der Sozialpolitik nicht das teuerste Land in Europa die Maßstäbe setzen darf, und sie vertreten eine strikt angebotsorientierte Beschäftigungspolitik. Das ist nichts anderes als eine liberale Beschäftigungspolitik und keine keynesianische schuldenfinanzierte Politik.
Das wollen wir austragen, und das müssen Sie wissen.
So, jetzt ist es gut. Herr Fischer, haben Sie eine Zwischenfrage?
Meine Damen und Herren, wenn ein Beschäftigungskapitel in der Europäischen Gemeinschaft mehr Koordinierung, mehr Qualifikation und eine bessere Abstimmung nationaler Politiken bedeutet, dann stimmt die F.D.P. diesem Kapitel zu. Wenn aber ein Beschäftigungskapitel nur dazu dient, neue Schulden zu machen,
die die Nationalstaaten zu finanzieren haben, dann macht ein Beschäftigungskapitel keinen Sinn.
Jetzt warten wir so lange, bis sich wieder Ruhe einstellt.
Lassen Sie mich folgendes feststellen: Die europäische Idee ist mehr als die Währungsunion. Aber ohne die Währungsunion wird aus der europäischen Integration nichts.
Zur Währungsunion gehören Fortschritte bei der Politischen Union. Deshalb ist das, was Herr Hoyer und Herr Kinkel verhandelt haben, wichtig. Wir wollen mehr Rechte für das Europäische Parlament. Daran wird uns auch das Bundesverfassungsgericht messen. Wir wollen eine flexible, eine progressive Integration. Das heißt: Je mehr Staaten da sind, um so eher muß es möglich sein, daß einzelne Staaten vorangehen, ohne daß andere ausgeschlossen werden. Diese Idee der flexiblen Integration ist für die Integration in Europa enorm wichtig. Wir wollen ferner mehr Sicherheit in Europa durch eine gemeinschaftliche Innen- und Justizpolitik.
Am Ende des Tages werden Sozialdemokraten entscheiden müssen, ob sie den Vertrag von Maastricht scheitern lassen. Wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit. Sie werden sich am Schluß entscheiden müssen, ob Sie wegen Differenzen beim Beschäftigungskapitel den ganzen Vertrag in Deutschland aufs Spiel setzen. Das wird nicht einfach werden. Deshalb warne ich vor Festlegungen im Vorfeld. Denn der Vertrag von Maastricht ist die Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit mittel- und osteuropäischen Staaten. Das ist sehr wichtig. Deshalb: Kehren Sie zurück zu einer sachlichen Analyse! Wünschen Sie der Bundesregierung viel Glück in Amsterdam, wenn Ihnen an Europa etwas liegt!
Ich will meine Rede mit einem besonderen Dank an Herrn Staatsminister Hoyer beenden, der monatelang - weit über das Übliche hinaus - alle Europa-und Außenpolitiker informiert hat. Ich schließe mit dem Wunsch, daß Bundeskanzler Kohl und Außenminister Kinkel in Amsterdam Erfolg haben: damit Europa vorankommt, damit eine gemeinsame europäische Währung eingeführt wird und damit eine erweiterte europäische Union gute Grundlagen für die nächste Generation von Europäern im nächsten Jahrhundert legt.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Manfred Müller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Haussmann, es ist ein starkes Stück gewesen, was Sie uns hier vorgetragen haben. Sie wenden sich gegen eine keynesianische Schuldenpolitik zur Überwindung der europäischen Massenarbeitslosigkeit. Sie aber sind der Weltmeister in der deutschen Schuldenpolitik -
nicht etwa, um Arbeitslose wieder in Lohn und Brot zu bringen, sondern um die Reichen noch reicher zu machen. Steuerkürzungen in Höhe von 9 Milliarden DM - nur, um die Reichen noch reicher zu machen.
Ich kann mich noch erinnern, daß Sie im Rahmen des Kriteriums der Neuverschuldung monatelang von 2,9 Prozent gesprochen haben. Sie haben die Diskussion über die europäische Einheit durch die Kommadiskussion ersetzt und sagen jetzt in aller Offenheit - ich höre das hier zum ersten Mal -, daß die europäische Einheit nicht an der Kommadiskussion scheitern darf.
Sie haben diese Kommadiskussion jahrelang geführt.
Ich weiß aus unzähligen Gesprächen und Veranstaltungen, welch große Hoffnung in den neuen Ländern auf Europa gesetzt wurde - viel größere übrigens als mittlerweile in der alten Bundesrepublik, wo der Verlust der D-Mark für manche in die Nähe der nationalen Selbstaufgabe rückt. Nun geben Sie sich aber bitte nicht der Hoffnung hin, die Menschen in den neuen Bundesländern würden auf die gleiche Weise dem Euro entgegenfiebern, wie sie einmal auf die D-Mark gehofft haben. Wer sieben Jahre nach der hastigen Einführung der D-Mark noch immer vergeblich auf blühende Landschaften wartet, wird sich kaum davon überzeugen lassen, daß der Euro um so mehr Arbeitsplätze bringt, je früher er eingeführt wird.
Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, als würde der Gaul wieder einmal vom Schwanz her aufgezäumt. Oder um es konkreter zu sagen: Von der Einführung des Euro werden Segnungen erwartet, die erst einmal geschaffen sein müssen, ehe eine gemeinsame Währung Sinn macht.
Es ist schon bezeichnend, daß die glühenden Verfechter der Währungsunion das Projekt nicht mehr so nennen, wie es eigentlich heißt, nämlich „Wirtschafts- und Währungsunion". Eine Wirtschaftsunion schließt realwirtschaftliche Angleichungen ein. Sie setzt vor allem gemeinsame wirtschaftliche Anstrengungen beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit voraus. Sie setzt voraus, daß es eine minimale
Angleichung der sozialen Sicherungssysteme sowie der arbeitsmarkt- und tarifrechtlichen Rahmenbedingungen gibt.
Nichts davon ist im Vertragsentwurf zu finden. Sie sollten nicht immer wieder auf die Gewerkschaften hinweisen, die diesem Projekt angeblich zugestimmt haben. Die Haltung der Gewerkschaften hängt ganz entscheidend von dem Text ab, den Sie in der nächsten Woche vorlegen werden.
Ohne die Möglichkeit der Gewerkschaften, europäische Tarifverträge abzuschließen, werden die Gewerkschaften dieses Vertragswerk ablehnen.
Die Situation auf den deutschen Baustellen hat deutlich gemacht, was droht, wenn die Europäische Zentralbank allein der Währungsstabilität verpflichtet ist. Wenn Staaten, die sich einer aktiven Beschäftigungspolitik widmen, dafür Mittel bereitstellen und sich daher kurzzeitig über das vorgesehene Kriterium von 3 Prozent hinaus verschulden, dann muß die Europäische Zentralbank zum Beispiel die Möglichkeit haben, eine nachhaltige Wirtschaftspolitik auch damit zu honorieren, daß sie dann eben nicht im Rahmen des Stabilitätspaktes in die nationale Wirtschaftspolitik eingreift und dafür sorgt, daß diese Länder nicht in einen Topf einzahlen müssen, der ihre Verschuldung noch weiter in die Höhe treibt.
Diese Einsicht hat sich herumgesprochen - nicht überall in diesem Haus, aber in Europa. Die Bundesregierung aber spielt inzwischen die Rolle des Bremsers. Sie verweigert sich einem Beschäftigungskapitel mit konkreten Verpflichtungen und hält noch immer an einem sogenannten Stabilitätspakt fest, obwohl jedermann weiß, daß sie ihn nur noch durch kreative Buchführung und andere Interpretationskünste bei den Konvergenzkriterien einhalten kann.
In Ihrem Entschließungsantrag steht dazu überhaupt nichts. Da heißt es:
Die Gemeinschaft kann durch die stärkere Förderung der Koordinierung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten, durch die Übernahme des Sozialabkommens von Maastricht in den Vertrag sowie durch die stärkere beschäftigungsrelevante Ausrichtung des europäischen Sozialfonds zusätzliche wichtige Beiträge leisten.
Also, zur Beschäftigungspolitik steht substantiell nichts in Ihrem Entschließungsantrag. Was ist Koordinierung, wenn diese Koordinierung nicht von konkreten Maßnahmen begleitet wird, wenn sie nicht die Staaten schützt, die sich dem Beschäftigungsproblem wirklich widmen? Ihr Entschließungstext ist wie weiße Salbe.
Es ist doch kein Wunder, daß die mahnenden Stimmen vor diesem Abenteuer mittlerweile aus allen Parteien kommen. Bevor Sie, Kollege Fischer, wieder einmal auf die breite Front von Gauweiler bis Gysi hinweisen,
Manfred Müller
möchte ich Ihnen einmal die mahnenden Stimmen in der eigenen Fraktion nennen.
- Richtig, Kollege Werner Schulz dürfte von Herrn Gauweiler mindestens so weit entfernt sein wie von Gregor Gysi.
Lieber die Währungsunion verschieben, als Hals über Kopf einen Euro einführen, der die Gauweilers wie Pilze aus dem Boden schießen läßt.
Man muß schon sehr schlechte Argumente für die Sturzgeburt des Euro haben, wenn man seinen Kritikern nichts anderes als Nationalismus vorwerfen kann oder die eilige Zusammenziehung der Währungsunion zu einer Frage von Krieg und Frieden macht. Es ist reiner Geldfetischismus, von der Einführung des Euro Dinge zu erwarten, die allein die Politik schaffen kann.
Auch das möchte ich an die Adresse der bündnisgrünen und sozialdemokratischen Euro-Fetischisten richten: Wo die neoliberale Politik versagt hat, nämlich bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, kann man sie nicht durch eine neoliberale Finanz- und Haushaltspolitik rückgängig machen.
Es läßt sich nicht leugnen: Währungskurse und Geldwertstabilität gehorchen weniger den ökonomischen Lehren als der gesellschaftlichen Psychologie. Im Grunde genommen weiß das niemand besser als der ökonomische Sachverstand - deshalb auch die großen Sorgen der Banker über die kreative Buchhaltung des Kollegen Waigel und die Angst der Bundesregierung vor einer Verschiebung des Euro.
Aber ich muß mich schon außerordentlich wundern, wie sehr Sie bei der europäischen Integration um das Vertrauen der Finanzmärkte buhlen und wie wenig Ihnen am Vertrauen der Menschen gelegen ist, ohne die dieses Europa niemals Wirklichkeit werden kann.
Der Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß der Durchbruch zu einem demokratischen Europa für den Kanzler in Maastricht gescheitert war. Die Währungsunion sei eine reine Ersatzhandlung. In der gegenwärtigen Europadebatte geht es nicht um mehr, sondern um weniger Demokratie. Die nationalen Parlamente geben keine Rechte an das Europäische Parlament ab, sondern an die europäischen Behörden, und die Souveränität der europäischen Völker wird einem Stabilitätspakt geopfert, der zum Sozialabbau
und zum Verzicht auf aktive Arbeitsmarktpolitik zwingt.
Nach einer Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin betrachten 70 Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern die Demokratie als die beste aller Staatsformen. Aber mehr als zwei Drittel lehnen die Art und Weise ab, wie Demokratie hierzulande praktiziert wird. Ich denke, daß das ostdeutsche Unbehagen angesichts des westdeutschen Demokratiestils durch den gegenwärtigen Kurs in der Europapolitik nicht kleiner, sondern größer geworden ist.
Dieses Unbehagen nährt sich übrigens auch aus der für die Menschen in den neuen Ländern schwer einsehbaren Tatsache, daß zwar Dänen und Franzosen in einem Referendum über Maastricht abstimmen dürfen, nicht aber die Deutschen. Ihre Ablehnung einer Volksabstimmung wird übrigens auch nicht einsehbar, wenn Sie sich hinter die Verfassung zurückziehen. Dieses Grundgesetz ist bereits so häufig geändert worden, um demokratische Rechte einzuschränken, daß es wirklich eine Wohltat wäre, wenn es diesmal um ein demokratisches Recht für die Bürgerinnen und Bürger erweitert würde.
Natürlich haben wir einen Antrag zur Volksabstimmung über Euro und Maastricht II eingebracht, um eine Mehrheit gegen die Ergebnisse der konservativen Politik zu mobilisieren. Aber im Unterschied zu Ihnen glauben wir nicht, daß das Ende Ihrer Europapolitik das Ende der europäischen Integration ist. Im Gegenteil, ein Referendum über den Euro und Maastricht II würde nicht nur das Ansehen unserer Demokratie erhöhen, sondern auch neue Hoffnungen auf ein demokratisches Europa wecken.
Ich bedanke mich.
Das Wort erhält jetzt der Abgeordnete Gerd Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Europa ist nicht ein Traum, nicht eine Vision; Europa ist Realität, Realität dank Konrad Adenauer und Helmut Kohl.
Es waren und sind die Christdemokraten, die dieses Europa in den letzten 50 Jahren gebaut haben. Dies läßt etwas den Frust der Opposition, der Sozialdemokraten und Sozialisten in Europa verstehen.
Wir haben eine atemberaubende Zeit hinter uns, atemberaubende zehn Jahre seit 1987. Man muß sich das noch einmal verdeutlichen: die Schaffung des
Dr. Gerd Müller
Europäischen Binnenmarktes, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, der Beitritt Finnlands, Schwedens und Österreichs zur Europäischen Union, die Neubegründung einer Zusammenarbeit mit den Staaten Mittel- und Osteuropas. Bundeskanzler Helmut Kohl, Theo Waigel und die Außenminister sind die tragenden Kräfte dieser erfolgreichen europäischen Politik.
Ich möchte ein paar Anmerkungen zu den lauf enden Regierungsverhandlungen machen. Ich finde es außerordentlich gut, daß die Regierung fünf Tage vor den Abschlußverhandlungen der Regierungen die Stunde des Parlaments einläutet und sich noch einmal rückkoppelt.
Herr Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weng?
Ich entwickle meinen Gedankengang und werde auf die Themen, die er anschneiden möchte, wohl noch zu sprechen kommen.
Europapolitik ist für mich und für uns längst keine Außenpolitik mehr. Deshalb ist es wichtig, daß das deutsche Parlament eine Woche vor den abschließenden Regierungsverhandungen sagt, was es will. Ich sage auch: Es gibt Defizite. Der Europäischen Union fehlt es ein Stück weit an Transparenz und an parlamentarischer Kontrolle. Deshalb frage ich: Welche Forderungen richten wir an den Gipfel von Amsterdam? Welche Erwartungen haben wir an die Verhandlungsführer?
In bezug auf die Reform der Institutionen erwarten wir eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen den Rechten der Europäischen Union und denen der Mitgliedstaaten und eine neue Funktionalreform bei der Aufteilung der Aufgaben zwischen Europäischer Union, den Mitgliedstaaten, den Ländern und den Regionen. Man kann nicht nur oben an Kompetenz draufsatteln. Wir wollen weniger Bürokratie, weniger Staat in der Europäischen Union.
Deshalb hat die CSU auf die strikte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips immer großen Wert gelegt. Wir wollen stärkere regionale Ansätze, beispielsweise in der Agrarpolitik.
Ein weiteres Problem ist: Wie schaffen wir Demokratie in der Europäischen Union? Nun wird hier ein Weg durch die Einführung häufigerer Mehrheitsentscheidungen aufgezeigt. Es gibt Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, die sagen: Bei allen Entscheidungen muß in Zukunft im Ministerrat mit Mehrheit abgestimmt werden. Parallel dazu sollte es ein Mitentscheidungsrecht des Europäischen Parlaments geben. Ich frage: Ist das Demokratie? Ich meine: Nur bedingt. Man muß sich über folgendes klarwerden: Wenn man Mehrheitsentscheidungen, beispielsweise in der Innen-, Rechts- und Sozialpolitik - ich möchte nur einen Punkt herausgreifen -, einführt, bedeutet dies, daß in Brüssel der deutsche Ratsminister überstimmt werden kann, so daß sich seine Position und damit auch die Position des deutschen Parlaments nicht durchsetzt. Das deutsche Parlament ist anschließend gezwungen, Gesetze umzusetzen, die wir so nicht beschlossen haben. Wer vertritt diese Gesetze gegenüber dem europäischen Bürger? - Wir als Abgeordnete, die diese Gesetze so nicht beschlossen haben. Dies ist die Kehrseite des Mehrheitsprinzips, die sich dann ergibt, wenn man seine Anwendung in allen Bereichen fordert. Wir müssen das konsequent zu Ende denken. Die Probleme können wir beispielsweise im Agrarbereich sehen. Wir müssen gegenüber dem Bürger draußen, der sagt: „Ihr seid unsere gewählten Abgeordneten", Dinge vertreten, die wir hier eigentlich nicht zu verantworten haben bzw. in Brüssel nicht beeinflussen konnten.
Mehrheitsentscheidungen im Rat setzen eine befriedigende Stimmengewichtung im Rat voraus. Wir haben das Prinzip der doppelten Mehrheit vorgeschlagen; Außenminister Kinkel sprach heute von der 60-Prozent-Mehrheit. Dies ist ein richtiger und wichtiger Weg.
Die Einführung eines Mitentscheidungsrechts des Europäischen Parlaments setzt - darauf muß hingewiesen werden; dies muß eingefordert werden - die Proportionalität bei der Sitzverteilung voraus.
Wir haben im Europäischen Parlament die Situation - „One man, one vote" kann nicht nur für Südafrika eingefordert werden -, daß ein deutscher Abgeordneter 820 000 Einwohner vertritt, daß aber ein österreichischer Abgeordneter nur 370 000 Einwohner und ein finnischer Abgeordneter 310 000 Einwohner vertritt. Wir brauchen eine Annäherung bei der Proportionalität und die Verwirklichung eines einheitlichen Wahlrechts. Dann sind auch wir für mehr Mitentscheidungsrechte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch zur Rolle des Rates wäre einiges zu sagen. Herr Staatsminister Hoyer hat die Forderung nach einem eigenen Initiativrecht des Rates eingebracht. Dies war im Augenblick noch nicht mehrheitsfähig. Ich halte es mit meiner Fraktion aber schon für etwas paradox, daß wir ein Europa schaffen, in dem aus dem Ministerrat heraus keine politische Initiative angestoßen werden kann. Wir begrüßen - das sind die zentralen Erfolge - die Fortschritte auf den Sektoren Innen- und Rechtspolitik, eine verbesserte und effektivere Zusammenarbeit bei der Polizei und der Justiz und die Stärkung von Europol. Genau das sind die Antworten, die der Bürger von uns und von Europa will.
Dr. Gerd Müller
Damit keine Unklarheiten - auch bei unseren bayerischen Freunden - bleiben: Der Vertrag muß die Gefahr des Zuwanderungsdruckes aus Drittstaaten ausschließen. Ich sage: Der Vertrag schließt sie aus. Wir wollen - dies ist auch die Position der Verhandlungsführer der Bundesregierung - keinen Sozialtourismus von Asylanten und Flüchtlingen.
Wir brauchen keine europäischen Beschäftigungsprogramme. Als ich 1972, Frau Wieczorek-Zeul, in die CSU eingetreten bin, waren Sie noch Vorsitzende der Jungsozialisten in Deutschland. Wir beide sind 25 Jahre älter geworden und nicht unbedingt weiser, aber die Rede, die Sie gehalten haben, war eine Rede aus der alten Stamokap-Zeit.
Ich glaube, Sie haben - das sage ich den Kolleginnen und Kollegen der Opposition insgesamt - den Vertrag noch nie gelesen. Schon jetzt steht in Art. 130 die klare Verpflichtung zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik. Sie lenken mit dieser Geisterdebatte davon ab. Wir haben längst die Koordinierung der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik. Wir haben den Binnenmarkt geschaffen. Was sind der Binnenmarkt - Sie sprachen vom größten europäischen Beschäftigungsprogramm -, die Freizügigkeit und die gemeinsame Handelspolitik denn anderes? Im Vertrag haben wir die Koordinierung der Forschungspolitik, transeuropäische Netze und Außenhandelsvertretungen verankert. Wir haben in den letzten fünf Jahren den europäischen Haushalt verdoppelt und Struktur-, Regional-, Kohäsions- und Sozialfonds eingeführt.
Seit 1988 wurden über 100 Milliarden DM in den Strukturfonds für die Staaten des Südens der Gemeinschaft eingesetzt, um Beschäftigung zu schaffen. Es gibt kaum einen Flughafen, kaum ein größeres Projekt im Süden der Gemeinschaft, das nicht wesentlich von der Gemeinschaft mitfinanziert wird.
Die Ergebnisse sind zum Teil zweifelhaft.
Wir sind soweit, daß in Griechenland zwischenzeitlich über tausend EU-Projekte laufen. Geld ist kaum noch unterzubringen. Über 10 Prozent dieser Mittel wird schon heute kein Verwendungsnachweis erbracht. Deshalb ist es falsch, neue Beschäftigungsprogramme zu fordern und einzuführen; dies kostet Geld und bringt kaum Arbeitsplätze.
Weil Sie so geifern, muß ich Ihnen doch das Originalzitat Tony Blairs über Ihre Vorschläge vorlesen. Ich zitiere Tony Blair aus seiner Rede in Malmö:
Die Sozialdemokratie werde unweigerlich auf dem Müllhaufen der Geschichte landen, wenn es ihr nicht gelinge, sich der antiquierten arbeitsmarktpolitischen Rezepte zu entledigen, welche die Schaffung neuer Arbeitsstellen behindern, statt fördern würden ... Die Linke werde ihre Macht wieder umgehend verlieren, sollte sie zu den diskreditierten Methoden des Staatsinterventionismus der ungehemmten Steuererhöhungen zurückkehren.
Am Schluß hat Tony Blair seinen sozialdemokratischen Freunden Europas zugerufen:
Modernisiert euch oder sterbt!
Ich sage euch: Modernisiert euch oder bleibt Opposition!
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Wieczorek.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein bißchen merkwürdig ist diese Debatte schon. Es geht schließlich um zwei Themen in Amsterdam. Das eine Thema behandelt den Vertrag, und das andere behandelt das, was für die Einführung der Währungsunion getan werden muß. Ich habe den Eindruck, daß in einigen Reden diese Themen sehr vermischt worden sind. Deswegen möchte ich hier zu dem Thema Währungsunion etwas sagen.
Ich möchte klar sagen: Es ist richtig, in Amsterdam das EWS II zu verabschieden. Ich glaube, es kann noch sehr nützlich werden. Es ist richtig, für die EWU die Rechtsvoraussetzungen zu schaffen. Es ist richtig, den Stabilitätspakt abzuschließen. In diesem Zusammenhang fällt mir natürlich schon die Verbindung zum Vertrag auf, denn die Bewegungen zum Thema Beschäftigungskapitel, die jetzt von der Regierung angedeutet werden, haben etwas damit zu tun, daß die neue französische Regierung ihrerseits sagt, zum Stabilitätspakt gehöre noch etwas dazu.
Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen, daß wir den Stabilitätspakt unterstützen. Ich will Ihnen sagen, warum. Wir tun dies, weil wir nicht nur daran denken, wie man eine Währungsunion herbeiführt, sondern weil wir auch daran denken, wie man sie anschließend verwirklichen kann. Dazu gehört, daß die neue Zentralbank nicht in einem Dauerkonflikt mit den einzelnen Regierungen liegt, die ihre eigene Fiskalpolitik und ihre eigene Wirtschaftspolitik machen. Es muß vielmehr ein Korridor geschaffen werden. Deswegen ist das Kriterium von drei Prozent an dieser Stelle wichtig, damit es nicht zu einem Dauerkonflikt kommt; denn wenn er kommt, dann kann es
Dr. Norbert Wieczorek
sehr schnell zu einem Brechen der Währungsunion kommen. Ich möchte von Herrn Kinkel irgendwann einmal hören, daß er sich auch darüber einmal Gedanken macht und nicht nur darüber, wie er ganz schnell seine Währungsunion bekommt.
Ich sage das, um nicht mißverstanden zu werden. Ich sage das nicht, weil ich dagegen bin. Ganz im Gegenteil: Ich bin dafür, daß wir uns auf die Situation im Anschluß konzentrieren. Dazu gehören die von mir gemachten Überlegungen. Deswegen bin ich froh, daß die französische Regierung das noch einmal angesprochen hat, nachdem klar ist, daß sie den Text des Stabilitätspaktes nicht anzweifelt - das wurde mir vorhin noch einmal versichert - und daß sie zusätzlich ernsthafte Absprachen über Beschäftigungspolitik haben will.
Das ist der zweite Punkt. Wir brauchen hier und heute dringend Beschäftigungspolitik. Herr Müller, da nutzt es überhaupt nichts, zu sagen, es stehe alles im Vertrag. Es ist nichts umgesetzt worden; das ist doch das Entscheidende.
Es ist geschlampt worden. Ich erinnere mich daran, daß ich vor anderthalb oder zwei Jahren zum Bundeskanzler gesagt habe: Wenn Sie diese Beschäftigungspolitik weitermachen, dann wird Deutschland die größten Schwierigkeiten mit der Erfüllung der Kriterien bekommen. Wo stehen wir denn heute? Wir stehen genau an der Stelle, Herr Bundeskanzler.
- Herr Bundeskanzler, dazu komme ich gleich noch.
Ein weiterer Punkt ist mindestens genauso wichtig. Wenn wir eine Währungsunion ohne eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik haben, dann wird die Währungsunion an dieser Stelle zerbrechen können.
Ich sage Ihnen wie schon in der Ausschußsitzung sehr deutlich: Hören Sie auf, zu sagen, es gehe hier um finanzierte Beschäftigungsprogramme.
Wir haben doch bei der EIB wirklich genügend Geld. Ich finde es allerdings pikant, daß Herr Waigel die EIB aushöhlen will, indem er sich von ihr Kapital zurückholen will. Dafür habe ich wenig Verständnis.
Es gibt einen ganz entscheidenden Punkt, warum die Aufgabe der Koordination der Wirtschaftspolitik so in den Vertrag oder in zusätzliche Absprachen hineingehört, daß sie funktioniert. Ich bin dafür, daß es ein Initiativrecht in bezug auf die Koordinierung für die Kommission geben muß. Wir sind bald in einer Situation, daß wir die Währungsunion haben, aber daß einzelne Regionen nicht mithalten können. Dann haben wir aber keinen Wechselkursmechanismus mehr, um dieses Ungleichgewicht auszugleichen.
- Ja, Herr Kollege Haussmann, das wissen Sie so gut wie ich. Was passiert dann? Dann werden Arbeitsmarkt, Beschäftigung, Einkommen und Soziales betroffen sein. Eines müssen wir doch wohl verhindern, daß dann jede dieser Regionen - das mag ein ganzer Staat oder ein Staat für eine Region sein - eine „beggar my neighbour-policy" macht, wenn es nicht einen gemeinschaftlichen Ansatz gibt. Wir müssen wie in der Steuerpolitik jetzt endlich anfangen, den Trend zu korrigieren, daß sich die Schraube nach unten dreht. Das muß verhindert werden. Deswegen brauchen wir einen gemeinschaftlichen Ansatz. Das ist für mich konstitutiv für das dauerhafte Funktionieren der Währungsunion.
Deshalb empfehle ich Ihnen sehr, diesen Ball der Franzosen aufzunehmen und an der Stelle etwas Gescheites in den Vertrag hineinzuschreiben. Sie haben sich der Lächerlichkeit ausgesetzt, als Sie aus dem Entwurf der niederländischen Regierung alles herausstreichen wollten. Das ist genau der falsche Weg. Ich empfehle Ihnen eine Kehrtwende und genau diese Vorschläge in den Vertrag hineinzuschreiben.
Wir reden nicht über finanzierte Beschäftigungsprogramme.
Das ist nicht der Punkt. Es geht um diese Ansätze. Wenn Sie sie versäumen, können Sie das Funktionieren der Währungsunion gefährden.
Jetzt will ich noch etwas zu Herrn Blair sagen, Herr Müller. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich die Rede gehört. Ich habe mit Herrn Blair gesprochen. So begabt sind wir schon lange: Wir sind für Flexibilisierung mit sozialer Gerechtigkeit. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Herrn Blair und uns.
- Gucken Sie sich doch an, was die Gewerkschaften in den Betrieben gemacht haben. Hätte der Bundeskanzler nach der Wahl im März 1996, nachdem die F.D.P. gerettet war, nicht den groben Fehler gemacht, die Tür zuzuschlagen, wären wir bei vielen Reformen in der Bundesrepublik längst viel weiter. Das war doch der eigentliche Fehler des Bundeskanzlers. Machen Sie sich doch nichts vor!
Herr Blair sagt zum Beispiel: Wir müssen dringend in die Ausbildung investieren. Deswegen will er eine Umlage einführen. A la bonne heure! Bitte schön.
Wo sind denn eigentlich die großen Unterschiede? Wir haben schon längst einiges in den Programmen drin, was die Labour Party erst nachgeholt hat. Ich
Dr. Norbert Wieczorek
will ihr das nicht vorwerfen. Nur, Sie werden feststellen, daß es da eine sehr viel engere Zusammenarbeit geben wird, als es Ihrer gegenwärtigen Vorstellung entspricht. Das garantiere ich Ihnen auch für das Kapitel Beschäftigungspolitik. Sie hätten einmal hören müssen, was Gordon Brown am Montag im EcofinRat vorgetragen hat. Vielleicht nehmen Sie das einmal zur Kenntnis.
Ich will noch etwas zu der gespenstischen Debatte über Kriterien und Zeitplan sagen. Lassen Sie mich daran erinnern, was wir selbst hier beschlossen haben und was uns das Bundesverfassungsgericht aufgetragen hat. Ich lese nur einen Absatz aus der Entschließung des Bundestages vom 7. Februar 1992 vor. Unter Ziffer 3 steht:
Dabei werden beim Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion die Stabilitätskriterien eng und strikt auszulegen sein. Die Entscheidung für den Übergang zur dritten Stufe kann nur auf der Grundlage erwiesener Stabilität, des Gleichlaufs bei den wirtschaftlichen Grunddaten und erwiesener und dauerhafter haushalts- und finanzpolitischer Solidität der teilnehmenden Mitgliedstaaten getroffen werden. Sie darf sich nicht an Opportunitätsgesichtspunkten, sondern muß sich an den realen ökonomischen Gegebenheiten orientieren.
Dies könnte ich fortführen.
Aber was sind die realen ökonomischen Gegebenheiten? Das ist nämlich genau die Beschäftigung. Das, was Sie gemacht haben, ist eine verfehlte Politik. Sie hat erstens dazu geführt, daß wir nicht nur hohe Arbeitslosigkeit, sondern zugleich eine niedrigere Beschäftigung haben. Wir haben nämlich weniger Beschäftigungsverhältnisse. Zweitens haben wir ruinierte Haushalte. Das ist das Ergebnis.
Deswegen frage ich mich, was diese künstliche Debatte soll. Wir haben gesagt: Es gibt eine strenge Interpretation. Aber da ist der Herr Waigel, der sagt: 3,0 Prozent. Graf Lambsdorff ist jetzt bei 3,3 Prozent gelandet. Andere reden gar nicht mehr darüber. -Was gilt nun eigentlich?
Zum Zeitplan sagt Herr Kohl gerade heute wieder, nachdem es eine Pressemeldung gegeben hat, daß man den Eintritt vielleicht doch um ein Jahr verschieben wolle,
natürlich nichts. Vor kurzer Zeit hat er gesagt, er mache seine politische Zukunft von der pünktlichen Einführung des Euro ab.
Das alles ist doch gar nicht das Problem. Das Problem ist doch schlicht und einfach, daß Sie mit der Politik, die Sie im Moment vorführen, Zweifel daran säen, was nun gilt. Gilt der Zeitplan, oder gilt die Erfüllung der Kriterien, so wie wir es beschlossen haben? Das ist doch der Punkt. Im Moment erfüllen Sie die Kriterien nicht. Das Theater, das Sie um die Haushalte 1997 und 1998 vorführen, und das dauernde Verschließen der Augen vor der Realität der Haushaltswirklichkeit haben doch in Wirklichkeit die Debatte mit sich gebracht. Es ist doch gar nicht klar, ob die Kriterien erfüllt werden.
Sagen Sie endlich, was für Sie gilt. Gilt der Zeitplan? Gelten die Kriterien? Wenn das, was wir immer sagen, richtig ist, daß nämlich beides vertragsgerecht gilt, dann sind Sie bei der Erfüllung der Kriterien gefordert, eine Politik vorzuweisen, die das glaubwürdig macht. Dies ist der entscheidende Punkt.
- Herr Kollege Haussmann, wenn Sie einen Zwischenruf machen wollen, dann so, daß ich ihn verstehe.
- Herr Haussmann, das ist schön und gut. Es geht immer um die Rolle im Bundesrat. Es kann doch wohl nicht im Ernst Ihr Glaube sein, daß Sie etwas auf einem falschen Weg beschließen, der uns in diesen Schlamassel geführt hat, und noch eines draufsetzen, dann aber von uns verlangen, wir sollten dem zustimmen. Wenn wir das nicht täten, praktizierten wir Blockade.
Da muß ich Sie fragen: Warum kommen Sie bei dieser Haushaltslage auf die, wie ich sage, schwachsinnige Idee, die Vermögensteuer für Private abzuschaffen. Erklären Sie das doch einmal jemandem!
Das ist doch genau der Punkt.
Deswegen haben Sie bei der Erfüllung der Kriterien die Bringschuld. Machen Sie es so, daß es glaubwürdig ist, nicht à la Goldfinger, wie der Kollege Waigel das machen wollte, nicht mit kreativer Buchführung, die wir übrigens zu Recht gemeinsam - ich kann das gerade aus meiner Stellung sehr deutlich sagen - bei anderen kritisiert haben. Und dann wählt die Bundesregierung selber einen solchen Ansatz. Dies führt doch nicht zu Vertrauen in den Märkten. Dies führt auch nicht zu Vertrauen bei der Bevölkerung. Es macht, im Gegenteil, das Mißtrauen gegenüber der Politik in der Bevölkerung größer. Das ist das, was Sie erreicht haben.
Deswegen fordere ich Sie auf: Kommen Sie her und sagen Sie uns, wie Ihre Politik zur Erfüllung der Kriterien aussieht! Machen Sie eine Politik, die eine Kehrtwende in bezug auf die Beschäftigung macht. Nur so wird es gelingen.
Beeilen Sie sich sehr damit! Wenn Sie sich nämlich nicht sehr beeilen, dann haben Sie über die Zeit strecke überhaupt keine Chance mehr, zu einem gescheiten Ergebnis zu kommen. Was ist denn im nächsten Jahr, wenn Sie es nicht schaffen? - Ich muß Sie
Dr. Norbert Wieczorek
daran erinnern, daß Sie das vertreten müssen; denn eine solche Situation ist dann durch Ihre Politik eingetreten. Oder ist Ihnen egal, was aus der gemeinsamen Währung wird?
Herr Kinkel, Sie haben völlig recht - das sage ich mit allem Ernst -, eine Verschiebung bringt erhebliche Probleme mit sich. Ob sie so groß sind, wie Sie geschildert haben, mag man ja diskutieren.
- Ich sage gleich noch etwas dazu, Helmut Haussmann.
Eine Währungsunion, die nicht solide anfängt, die nicht genügend Vertrauen in der Bevölkerung, in den Märkten hat, führt ebenfalls zu erheblichen Problemen. Bei fehlender Beschäftigungspolitik, bei fehlenden Absprachen über Sozialpolitik in Europa birgt sie die Gefahr des Scheiterns. Diesen GAU der Europapolitik möchte ich nicht erleben. Deshalb gilt es für uns alle, eine ordentliche Währungsunion zu beginnen, so wie immer gemeinsam beschlossen. Es liegt an Ihnen, dafür die Voraussetzungen zu schaffen.
Kollege Helmut Haussmann, Sie haben Hannover, also den Kollegen Gerhard Schröder, angesprochen.
Der Kollege Gerhard Schröder hat der Formulierung, die wir bewußt gewählt haben, immer zugestimmt - das ist auch seine Haltung -: Vertragsgerechte Erfüllung der Kriterien und des Zeitplans!
Daß er die Situation diskutiert - in anderer Form, als ich das machen würde - angesichts Ihrer Politik, angesichts des jetzigen und des zu erwartenden Haushalts, angesichts der Tatsache, daß es immer hin und her geht, ist legitim.
- Nein, da wird nicht gespielt.
Wer hat denn das verursacht? - Der Kollege Waigel, der die Augen verschlossen hat vor den Zahlen: Er hat 1995 ein Defizit von 3,5 Prozent, 1996 ein solches von 3,9 Prozent erwirtschaftet,
und es pfeifen doch die Spatzen von den Dächern - obwohl das Jahr noch nicht zu Ende ist -, daß wir in diesem Jahr jetzt schon bei über 3 Prozent liegen. Es ist nicht zu sehen, wie Sie das korrigieren wollen.
Deswegen nochmals mein Rat an Sie: Wenn Sie die Währungsunion gemeinsam mit uns solide realisieren wollen - wir wollen das -, dann sorgen Sie dafür, daß Ihre Haushaltspolitik in Ordnung kommt,
daß Ihre Beschäftigungspolitik in Ordnung kommt! Schaffen Sie im europäischen Bereich die Voraussetzungen dafür, daß Beschäftigungspolitik möglich wird, damit die Franzosen mitmachen - das ist nicht unwichtig - und damit die Währungsunion hinterher auch funktioniert. Das wird schwierig genug. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Erfüllen Sie endlich Ihre Bringschuld, und kommen Sie mit Vorschlägen, die glaubwürdig und ökonomisch wirksam sind! Dieses Theater, das gerade abläuft - Steuererhöhungen ja, Steuererhöhungen nein, Steuersenkungen, mal fehlen 30 Milliarden DM, mal 57 Milliarden DM -, ist doch keine vernünftige Politik, von der man seriös sagen kann, daß sich jemand bemüht, Europa voranzubringen, indem er die Wirtschaftslage in dieser Bundesrepublik durch mehr Beschäftigung stabilisiert.
Danke.
Als nächste in der Debatte spricht die Abgeordnete Kristin Heyne.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kinkel, Sie haben zwar eben die Regierungserklärung abgegeben -
immerhin 25 Minuten; diese Gelegenheit haben Sie nicht oft -, aber daß Sie hier gesprochen haben, hat natürlich mit der Wirklichkeit wenig zu tun: Am Wochenende in Amsterdam wird nicht Herr Kinkel Politik machen. Es wird ein anderer Minister sein, aus der anderen kleinen Partei dieser Koalition.
Der Finanzminister, der dort seine Stunde haben wird, wird ein weiteres Mal die Außenpolitik gestalten. Mit inbegriffen ist das Risiko, daß jahrzehntelanges Aufbauen europäischer Integration mit der Stabilitätskeule zertrümmert wird.
Übrigens, Kollege Müller, bei diesem Thema - europäische Integration und jahrzehntelanger Aufbau - fällt mir auch der Name Willy Brandt ein. Vielleicht hört bei Ihnen Europa an der Oder auf, für mich nicht.
Kristin Heyne
In dieser Koalition ist eine zielgerichtete, gemeinsame Regierungspolitik nicht mehr realisierbar. Auch das Bild vom Schwanz, der dann mit dem Hund wakkelt, stimmt in diesem Fall nicht. Nein, es ist schlimmer: Wir haben vor uns einen Hund mit zwei Köpfen: Der eine bellt „Stabilität" und zerrt nach rechts, der andere bellt „Steuersenkung" und zerrt nach links - mit dem Ergebnis, daß sich dieses Tier wild bewegt, viel Porzellan zerschlägt, aber nicht von der Stelle kommt.
Der, der eigentlich der Kopf sein sollte, knurrt noch ab und zu einmal „Europa" , aber er rührt sich nicht. Er sitzt still und stumm.
Eine Drei-Parteien-Koalition ist objektiv kein leichtes Unterfangen. Wenn die große Partei, die das Schwergewicht bilden sollte, aber ohne Richtung und ohne Ziel ist, dann geht sie das Risiko ein, daß bei den kleinen Parteien die Profilierungsgelüste ins Kraut schießen - wie fragwürdig dieses Profil auch sein sollte.
Eine Ein-Punkt-Partei wie die F.D.P. mit einem einzigen Programmpunkt, nämlich dem der Steuersenkung, neigt zu Dogmatismus und kann sich auf veränderte Anforderungen nicht mit der nötigen Flexibilität einstellen. Ich weiß, wovon ich rede. Wir haben in unserer Geschichte durchaus Erfahrungen damit.
Die Profilierungsgelüste des anderen kleinen Partners dieser Koalition sind für ihre Regierungsfähigkeit zur Zeit mindestens ebenso gefährlich. Die CSU hat sich niemals ernsthaft auf den Euro eingestellt und ihn akzeptiert. Es ist auch nicht so leicht, der Bevölkerung klarzumachen, warum wir die D-Mark aufgeben wollen.
Aus Gründen der Wahlarithmetik hat sich die CSU für die Ja-aber-Variante entschieden. Es heißt: Ja, natürlich wollen wir den Euro, aber nur, wenn er ganz, ganz stabil ist. Den Euro darf es nur geben, wenn alle Teilnehmer wasserdicht stabil sind, also höchstens bei 3,000 Prozent Neuverschuldung liegen - lieber noch weniger, ganz egal, was der Maastricht-Vertrag aussagt.
Herr Haussmann, ich freue mich, daß Sie hier klargestellt haben, wie Sie dazu stehen. Ich nehme allerdings an, daß Sie dann auch unseren Antrag, dies heute noch einmal zu bestätigen, unterstützen werden.
Was scheren sich bayerische Landesfürsten um europäische Verträge? Der Wähler im eigenen Land soll bei der Stange bleiben. Der Komfort einer absoluten Mehrheit soll nicht gefährdet werden.
Aber eine Bundesregierung, die sich mit ihrer Finanz- und mit ihrer Außenpolitik vom Wahlkalkül eines Ministerpräsidenten abhängig macht, muß früher oder später gegen die Wand laufen.
Hätte dieser Finanzminister nicht schon so viel Schaden angerichtet, dann könnte er einem wirklich leid tun: Im Rücken hat er Herrn Stoiber mit der 3,0Prozent-Peitsche; die Steuersenkungspäpste Gerhardt und Westerwelle stehen wie die Cherubim mit flammendem Schwert vor jeder anderen Einnahmequelle: So taumelt dieser Finanzminister von einem Verzweiflungsakt zum anderen.
Plötzlich soll möglich werden, was selbst steuereinnahmegierige Grüne sich nicht getraut hätten, nämlich der Abbau von Steuervorteilen ohne tarifliche Entlastung. Aber davor steht natürlich Herr Westerwelle und lehnt auch „getarnte Steuererhöhungen" ab.
Also irrt der Finanzminister weiter. Nachdem er es beim Gold nicht geschafft hat, streckt er die Finger wieder einmal nach der Sozialversicherung. Was ist das für eine verrückte Rechnung, die besagt: Bei der Pflegeversicherung haben wir zuviel genommen, da können wir den Beitrag senken. Dafür - so wird gerechnet - können wir den Beitrag der Arbeitslosenversicherung wieder erhöhen, um Zuschüsse aus dem Haushalt einzusparen.
Gibt es das Problem der Lohnnebenkosten für Sie plötzlich nicht mehr? Wie sehr soll dieser Minister die Sozialkassen zum Stopfen von Haushaltslöchern eigentlich noch plündern?
Aus dieser selbstverschuldeten Klemme - entweder höhere Verschuldung oder mehr Steuern - kommen Sie nicht heraus.
Kollege Haussmann, wenn Sie heute die Nachrichten hören, werden Sie feststellen, daß sich Ihre Partei inzwischen für die Erhöhung der Neuverschuldung ausgesprochen hat. Sie werden Ihre Reden dem zukünftig angleichen müssen.
Diese Koalition wird sich entscheiden müssen. Sie wird das sehr bald tun müssen.
Kristin Heyne
In dem innerdeutsch aufgewirbelten Staub scheint niemand mehr zu sehen, daß der Euro im Grunde in einem guten Fahrwasser ist.
Die Konvergenz hat sich gut entwickelt; die Finanzmärkte signalisieren mit niedrigen Zinsen Vertrauen in die Währung.
Sie haben sich auch durch die Forderung der neuen französischen Regierung, den Stabilitätspakt durch ein Beschäftigungskapitel zu ergänzen, nicht irritieren lassen.
Die aus Bayern angeschobene neue Verschiebungsdebatte ist schädlich und unnötig. Sie bezieht sich auf hausgemachte Probleme und auf überzogene Stabilitätsforderungen.
Meine Damen und Herren, es wäre doch skandalös, wenn das Projekt Euro am Koalitionsgerangel und am Chaos in der Finanzpolitik dieser Bundesregierung scheitert. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sind aufgefordert, heute Farbe zu bekennen. Wollen Sie eine Euro-Verhinderungsstrategie à la Stoiber, oder stehen Sie zum Vertrag von Maastricht? Setzen Sie heute ein klares Zeichen für den Euro, stimmen Sie unserem Antrag zu! Auch Herr Kinkel hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik hier eine Verpflichtung eingegangen ist. Stimmen Sie unserem Antrag zu, und fordern Sie die Bundesregierung auf, die Einhaltung des Maastricht-Vertrags in Wort und Geist durchzusetzen!
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die Regierungskonferenz in Amsterdam zurückkommen und mich nicht mit dem im Jahre 1992 mit überwältigender Mehrheit im Bundestag verabschiedeten Maastricht-Vertrag auseinandersetzen. Natürlich gibt es wenige Tage vor dem europäischen Gipfel in Amsterdam verbale Schlachten um das Für und Wider, um das Ob und Wie einer gemeinsamen europäischen Währung, die jedoch in Amsterdam nicht zur Entscheidung ansteht.
Aber in diesem unüberschaubar gewordenen Wirrwarr von Meinungen und Stellungnahmen sind gerade die derjenigen zu finden, denen der Prozeß der europäischen Einigung ein Dorn im Auge ist. Angeblich ist es zum Wohl der Menschen, aber in Wahrheit wollen sie nichts anderes als unzweifelhaft bestehende Informationsdefizite, Ängste und Vorurteile
der Menschen zu ihren Gunsten instrumentalisieren. Dem müssen wir auch bei dieser Debatte entgegenwirken. Deshalb ist es so wichtig, daß wir hier über die Regierungskonferenz diskutieren.
Wo und wie auch immer der jetzt zur Verabschiedung stehende Revisionsvertrag in Amsterdam Wünsche offenlassen mag, wo und wie er auch zu kritisieren sein mag, eines steht fest: Die offenen und versteckten Gegner des europäischen Einigungsprozesses, die Apologeten des längst obsolet gewordenen klassischen Nationalstaats werden Grund haben, sich über das Ergebnis der Revisionskonferenz zu ärgern. Das ist gut so; denn man mag ihn, wie er jetzt im Entwurf vorliegt, bewerten, wie man will.
Er markiert zweifellos eine weitere und wichtige Etappe in der Entwicklung der Europäischen Union.
Nicht nur der wirtschaftliche, sondern gerade auch der politische Integrationsprozeß schreitet fort, vielleicht manchmal langsam, aber sehr stetig. Deshalb ist zu hoffen, daß die Völker und die Menschen Europas gerade nach Amsterdam wieder mehr zusammenrücken werden.
Welche Integrationsfortschritte werden wir erreichen?
Erstens. Den europäischen Institutionen werden zusätzliche, bisher teilweise allein auf einzelstaatlicher Ebene verfolgte Bereiche der Politik übertragen.
Lassen Sie mich erwähnen: Die nach Art. 113 des EG-Vertrags zu vereinheitlichende gemeinsame Handelspolitik wird - so sieht es der niederländische Vertragsentwurf vor - unter anderem um das ausdrückliche Ziel eines vereinheitlichten Schutzes des geistigen Eigentums angereichert. Gerade das stärkt nicht nur die Innovationskraft Europas, es ist auch ein Aspekt, der das abstrakte Ziel gemeinsamer Handelspolitik für die einzelnen, für die kreativen Menschen faßbar und einsichtig macht.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Diskussion um das Beschäftigungskapitel; denn durch die Aufnahme eines auch von uns mit unterstützten Beschäftigungskapitels wird die gemäß Art. 103 des EG-Vertrags koordinierte Wirtschaftspolitik um einen Aspekt angereichert. Die Anreicherung hat große Bedeutung für die wirtschaftliche und fiskalische Prosperität der Europäischen Union.
Ich denke, es ist sehr richtig, wenn die Koalitionsfraktionen dies ohne zusätzliche Budgetbelastungen der Mitgliedstaaten haben wollen; denn die Akzeptanz durch die Bürger liegt darin, daß sie wissen, daß durch die Beschlüsse von Amsterdam nicht noch mehr Geld für Europa ausgegeben wird.
Ich darf hier aber auch sagen, daß zu begrüßen ist, daß sich die Regierungen in Britannien und Frankreich grundsätzlich zu Europa bekennen. Das zeigt, daß über Grenzen, über Parteigrenzen hinweg der Integrationsprozeß nicht aufgehalten werden kann.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Zweitens. Wir werden mit dem Revisionsvertrag wichtige politische Bereiche, die bisher der sogenannten dritten Säule, der Koordinierung von Innen-und Justizpolitik, angehörten, in die erste Säule übertragen, sie also zu echten Gemeinschaftsaufgaben machen. Diesen Fortschritt dürfen wir nicht mit kleiner Münze handeln. Zu Beginn des Verhandlungsmarathons konnten wir wirklich nicht erwarten, daß es zur Visa-, Asyl- und Einwanderungspolitik, zu Außengrenzen sowie zum Zollregime in der Europäischen Union jetzt verbindliche Entscheidungen geben wird.
Das tut in der Diskussion über Asyl- und Einwanderungsfragen gut, die ja nun einmal sehr populistisch besetzt sind. Ich denke, mit einer Verlagerung nach Europa - in Europa muß man wirklich versuchen, die Probleme besser in den Griff zu bekommen - ist man diesem Thema gerecht geworden. Daß das Grundgesetz damit nicht berührt wird, stelle ich noch einmal sehr zufrieden fest.
Die justitielle Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen wird konkretisiert. Was wichtig ist: Es wird die Festlegung von Mindestvorschriften hinsichtlich strafbarer Handlungen und Strafen in den Bereichen Terrorismus, Drogenhandel und organisierte Kriminalität schrittweise forciert. Damit ist klar, daß wir in dem europäischen Einigungsprozeß keine Harmonisierung der nationalen Strafrechtsregelungen in den Mitgliedstaaten brauchen. Das ist nicht notwendig. Aber Mindeststandards müssen her, damit Strafbarkeitslücken geschlossen werden. Wer will das in den Bereichen Frauenhandel, Menschenhandel und Vorgehen gegen Rassismus denn bestreiten wollen?
Aber wir werden im Rahmen dieses Integrationsprozesses auch bei den Bereichen, die in der dritten Säule verbleiben, weiterkommen. Wir werden sie auf eine höhere Stufe der Integration anheben: zum einen durch das neue Instrument der Rahmenbeschlüsse. Das sagt für sich noch nicht viel aus; aber es ist dazu angetan, zu verhindern, daß diejenigen Mitgliedstaaten, die ihre in der dritten Säule verbleibenden Politiken stärker vereinheitlichen möchten, durch ein Veto einzelner Mitgliedstaaten von ihrem Vorhaben abgehalten werden können. Das heißt, die Handlungen werden effektiver. Das ist ein Schub für weitere Integration.
Ein Schub wird auch daher kommen, daß im Vertragsentwurf verbindlich festgelegt werden soll, in welchen Bereichen, aber vor allen Dingen in welchen zeitlichen Etappen die Vertiefung vorangetrieben wird. Damit wird sichergestellt, daß wir hinter einen bestimmten Integrationsprozeß nicht mehr zurückfallen können. Diejenigen, die dabei nicht mitmachen möchten, werden jedenfalls den Zug zurück nicht mehr besteigen können. Das alles ist positiv und verdient, gelobt zu werden. Zu diesen Entwicklungen muß aber ein paralleler Prozeß in zwei Fragestellungen hinzukommen: zum ersten, was den Rechtsschutz und zum zweiten, was mehr Demokratie angeht. Denn die erwartete zusätzliche Integrationswirkung des Revisionsvertrages wird notwendigerweise
zunächst einmal mit einer Abnahme der gesetzgeberischen Kompetenzen der nationalen Parlamente einhergehen.
Diese Lücke, die im Rechtsschutzbereich und im Demokratiebereich entstehen kann, muß natürlich geschlossen werden. Das ist nicht nur die Auffassung einiger, sondern das hat uns das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Maastricht-Vertrag vorgegeben. Für den Maastricht-Vertrag hat man keine Rechtsschutzlücke gesehen, weil noch keine Kompetenzen übertragen worden sind, sondern bisher nur mit völkerrechtlichen Verträgen gearbeitet wird. Das heißt umgekehrt, wenn hier Kompetenzen schrittweise - richtig, wie ich uneingeschränkt sagen will - aus der dritten Säule übertragen werden, dann muß das mit einer Stärkung der Stellung des Parlamentes einhergehen. Es ist richtig, wie wir im Koalitionsantrag fordern, daß alle mit qualifizierter Mehrheit gefaßten Beschlüsse dem Mitentscheidungsverfahren des Europäischen Parlaments unterworfen werden müssen.
Genauso muß es zu einer stärkeren Verankerung der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes kommen. Denn wir dürfen keine Rechtsschutzlücke eintreten lassen, auch nicht im Zusammenhang mit Europol.
Wenn wir Europol weiter ausbauen, hin zu operativen, exekutiven Befugnissen, dann muß damit eine verstärkte Kompetenz des Europäischen Gerichtshofs einhergehen.
Ich fordere die Bundesregierung auf, diese beiden Aspekte in Amsterdam parallel zu den anderen Integrationsfortschritten mit Nachdruck zu vertreten. Ich sage das ganz bewußt; denn wir können wohl damit rechnen, daß es, egal, wie der Vertrag aussieht, wieder zu einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts kommt. Da wollen wir sichere Karten haben.
Zum zweiten hoffe ich, daß diese Aspekte dazu beitragen, daß wir bei der Ratifizierung des Vertrages eine solche Mehrheit bekommen wie am 2. Dezember 1992. Damals haben nämlich 543 von 568 anwesenden Abgeordneten dem Vertrag zugestimmt. Das möchte ich mir auch für diesen Vertrag, wie er, noch verbessert, in Amsterdam verabschiedet wird, wünschen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gero Pfennig, CDU/CSUFraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann an die Eingangsworte der Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger anknüpfen. Wenn die Vorschläge der niederländischen Präsidentschaft in vielleicht noch ver-
Dr. Gero Pfennig
besserter Form beschlossen werden, wird die Revisionskonferenz ihre Ziele sehr weitgehend erreichen. Dies zeichnet sich bereits heute ab. Wir sollten das alle gemeinsam über die Fraktionsgrenzen hinweg und ohne Polemik als große Leistung würdigen. Denn mit diesem beachtlichen Erfolg würde der Weg freigemacht für die anstehende Erweiterung der Union. Die Union selber hätte sich ein ganzes Stück zu einer echten politischen Union weiterentwickelt. Beides ist Voraussetzung für Stabilität, Freiheit und Wohlstand auf unserem Kontinent und entspricht der Zielsetzung seit 40 Jahren. Mit Schlechtreden ist da niemandem gedient.
Lassen Sie mich ein paar wenige Punkte als Ergänzung zu dem, was hier in der Debatte bereits gesagt wurde, nennen.
Die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union wird nach derzeitigem Verhandlungsstand deutlich verbessert. Mehrheitsentscheidung in allen drei Säulen, mehr Mitentscheidung des Europäischen Parlaments, Vergemeinschaftung bei der Verbrechensbekämpfung, koordinierte Außen- und Sicherheitspolitik, Straffung der Organe und der Entscheidungsverfahren: dies waren von Anfang an unsere Forderungen; ich habe es hier gesagt. Wir werden diese Forderungen verwirklichen.
Bezüglich der Mehrheitsentscheidungen im ersten Pfeiler heißt dies zum Beispiel: Auch für finanzwirksame Politikbereiche wie Forschung und Strukturfonds wird es in Zukunft Mehrheitsentscheidungen geben. Wir sind uns alle darüber einig: Einstimmigkeit in diesen Bereichen hat in der Vergangenheit die Sache für Deutschland teuer gemacht. Das werden wir beseitigen.
Einstimmig werden hingegen alle Verfahren bleiben, die Verfassungscharakter haben, zum Beispiel auch die EU-Finanzverfassung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, häufig sind Demokratiedefizite angeprangert worden. Auch hierzu ist schon etwas gesagt worden. Ich will nur wenige Sätze hinzufügen. Wir wissen, daß das Europäische Parlament, das gerade in diesem Punkt sehr kritisch ist, nicht unzufrieden mit den sich jetzt abzeichnenden Ergebnissen ist, auch nicht die Sozialisten. Denn der niederländische Entwurf stellt einen großen Schritt nach vorne dar, und zwar nicht zuletzt dank des Einsatzes der Bundesregierung, der ich dafür danken möchte, vom Kanzler über den Außenminister bis zu Staatsminister Hoyer.
Weitere Fortschritte würden wesentlich erleichtert, wenn wir endlich die Verfälschung des Wahlsystems durch das britische Mehrheitswahlrecht beheben würden. Tony Blair hat das zugesagt, allerdings erst für die übernächsten Europawahlen. Die Kolleginnen und Kollegen von der SPD würden sicher einen Beitrag zur Behebung der sogenannten Demokratielücke leisten, wenn sie die britische Schwesterpartei für ein Vorziehen dieser Reform begeistern könnten. Da wäre also noch etwas zu tun.
Beim Thema Beschäftigung ist es hier polemisch ganz schön hin- und hergegangen. Herr Kollege Wieczorek, ich glaube nicht, daß es hilft, wenn Sie sagen: Die Position von New Labour kennen wir schon; wir als Sozialdemokraten sind hier in Deutschland schon viel weiter. Das erinnert mich ein bißchen an das verzweifelte Pfeifen im Wald.
Ich möchte das nicht vergleichen mit dem Ausspruch eines deutschen Politikers über das Tapezieren von Wänden; Sie wissen, was ich meine. Das verkneife ich mir.
Aber eins ist wohl klar. Tony Blair hat gesagt, früher hätten die Sozialisten daran gedacht, Probleme durch Mehrausgaben und mehr Kontrolle zu lösen; heute müßten sie darangehen, Arbeitsmarktflexibilität herzustellen und unnötige Bürokratiehemmnisse für die kleinen und mittleren Unternehmen als Hauptbeschaffer neuer Jobs zu kappen.
- Der macht sehr viel zu dem Punkt.
Ich höre aus SPD-regierten Bundesländern immer nur, daß dies nicht gehe und das nicht gehe und hier noch eine Umweltverträglichkeitsprüfung eingeführt werden müsse und da noch der Denkmalschutz beachtet werden müsse - und alles auf Kosten der Arbeitsplätze. Wir alle sollten einmal gemeinsam darüber nachdenken, wo wir hier Verhinderung von Arbeit betreiben.
Ich will dazu nur noch eins sagen: Es ist ja richtig, daß wir auch auf EU-Ebene in der Beschäftigungsfrage koordinieren müssen. Daran hat niemand Zweifel. So etwas haben wir schon in der Vergangenheit gehabt; Frau Wulf-Mathies als Kommissarin hat darüber berichtet. Niemand in diesem Haus ist unsensibel bei der Frage des Abbaus der Arbeitslosigkeit bei insgesamt 18 Millionen Beschäftigten. Was aber nicht geht, ist, zu sagen - das hören wir von den deutschen Sozialdemokraten -, wir bräuchten Konjunkturprogramme auf EU-Ebene, und gleichzeitig der Bundesregierung vorzuwerfen, sie gebe zuviel Geld für Europa aus. Das funktioniert ja wohl nicht.
Noch ein weiteres: Die SPD fragt in ihrem Antrag nach finanziellen Konsequenzen der Vertragsrevision. Erstens, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul: Ich möchte Sie gerne darüber aufklären. Die gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik wird zwar aus nationalen Haushalten finanziert, aber unter Anrechnung auf die EU-Eigenmittelgrenze. Das haben Sie vielleicht überlesen.
Zweiter Punkt. Die Antwort auf die Frage nach der Finanzierung heißt: Wenn die EU die von der SPD gewünschten Beschäftigungsprogramme einführen würde, fiele die Bilanz zumindest für Deutschland katastrophal aus; denn wir müßten weitere Milliardenbeträge in den EU-Haushalt überweisen, die nur
Dr. Gero Pfennig
in geringem Maße unserem eigenen Arbeitsmarkt zugute kämen. Das kann wohl niemand ernsthaft wollen.
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Mit Ihrem Vorschlag tragen Sie schlichtweg dazu bei, daß die finanziellen Spielräume der EU für die Erweiterung um die mittel- und osteuropäischen Staaten schon jetzt verfrühstückt werden
und dann kein Geld mehr da ist. Da brauchen Sie über Erweiterungswünsche doch überhaupt nicht mehr zu reden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EU-Revisionskonferenz hat uns der politischen Union ein ganzes Stück nähergebracht. Wir müssen diesen Prozeß nachhaltig unterstützen, auch durch Stellungnahmen von deutschen Politikern in der Öffentlichkeit. Bei manchen Beiträgen, die ich gehört habe - ich denke insbesondere an den Beitrag des Kollegen Sterzing -, habe ich den Eindruck, daß einige die Ergebnisse der Revisionskonferenz schon jetzt madig machen wollen, um später sagen zu können: Wir stimmen nicht zu, also gibt es keine politische Union, also gibt es auch keine Währungsunion - und das ganze Projekt ist gescheitert.
Herr Kollege Sterzing, sagen Sie doch ruhig offen, daß die Bundesversammlung der Grünen bis heute keinen positiven Beschluß zur Währungsunion zustande gebracht hat. Tun Sie doch nicht immer so, als wenn Sie etwas fördern wollen. In Wahrheit wollen Sie es sabotieren. Sagen Sie das doch hier!
Die nächsten strategischen Aufgaben bestehen für uns darin, die Währungsunion zu vollenden, die Erarbeitung einer neuen EU-Finanzverfassung voranzutreiben und die Europäische Union zu erweitern. Nun sind auch zum Thema Währungsunion einige Worte gefallen. Ich finde es ja gut, daß offensichtlich auch die Kollegen von der SPD auf ihre französischen Kollegen Sozialisten eingewirkt haben, dieses Projekt nicht zu gefährden. Das finde ich in Ordnung. Wir haben doch alle ein Interesse daran, daß die gemeinsame Währung zustande kommt, und wir sollten nicht einen Gegensatz zwischen einheitlicher Währung und Beschäftigungsförderung herstellen.
Ich will allerdings darauf hinweisen, daß es Stirn-men gibt, die nach einer kontrollierten Verschiebung der Währungsunion rufen. Dazu gehört eben Gerhard Schröder, der - wenn er richtig wiedergegeben worden ist - gesagt hat, wir sollten an den Kriterien festhalten und die Währungsunion um drei Jahre verschieben. Herr Stoiber, der Ministerpräsident von Bayern, hat hingegen ganz klar gesagt, Kriterien und Termin stünden fest und es gebe keine Verschiebung. Das ist der entscheidende Unterschied.
Rufe nach Verschiebung sind doch purer Populismus. Was passiert denn, wenn wir wirklich in eine
Verschiebungsdiskussion hineinrutschen? Dann wird von Kontrolle doch keine Spur mehr sein. Der abrupt gefallene Kurs des Französischen Franc auf den Devisenmärkten - nachdem die französische Regierung Anfang der Woche Zusatzforderungen bezüglich des Stabilitätspaktes gestellt hat - hat uns doch schon gezeigt, was passiert, wenn die Währungsunion verschoben wird:
Es knallt auf den Märkten. Unsere Exportwirtschaft wird wieder einen Vorgeschmack davon bekommen, daß der Kurs der D-Mark nach oben springt und wir nicht mehr exportieren können. Von sogenannter kontrollierter Verschiebung kann doch in Wahrheit gar keine Rede sein. Die Konsequenzen wären - wie schon in den vergangenen Jahren - verheerend für den Arbeitsmarkt in Deutschland. Keiner, der Verantwortung trägt, kann das wollen.
Deswegen sollten wir parteipolitische und wahltaktische Spielchen - sei es hinsichtlich der Erfüllung der Kriterien, sei es hinsichtlich des Termins - beiseite lassen. Im übrigen honorieren die Bürger das auch nicht. Sie wollen Planungssicherheit und erwarten von der Politik klare Rahmenbedingungen. Verschiebung bedeutet aber Ungewißheit. Unser gemeinsames Ziel sollte daher unverändert die Einführung eines harten Euro zum 1. Januar 1999 sein. Nachhaltige Stabilität und fristgerechte Einführung - das sind die entscheidenden Kriterien, über die wir befinden müssen.
Wenn Europa die Herausforderungen der Revisionskonferenz besteht und Währungsunion und Erweiterung zu einem Erfolg werden, dann werden wir die Nachkriegsgeschichte vernünftig abgeschlossen haben. Nach der Teilung des Kontinents in Jalta über die Aufhebung der Blockgrenzen Anfang der 90er Jahre werden wir zu einer europäischen Vereinigung zum Ende dieses Jahrhunderts kommen. Unsere zivilisatorischen Werte hätten dann eine sichere Grundlage für das nächste Jahrhundert.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Meyer, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einige der Redebeiträge der Koalition - angefangen bei einigen Bemerkungen des Kollegen Seiters - waren der wenig überzeugende Versuch, mit überzogenen Erfolgsmeldungen aus der dritten Säule - also aus dem Bereich der europäischen Innen- und Justizpolitik - die offensichtlichen Schwächen in anderen Bereichen, etwa im Bereich der Beschäftigungspolitik, zu überdecken.
Reden wir über die dritte Säule, und nehmen wir als Beispiel Europol! Ist es nicht so, daß die Bundesregierung und vor allem der Bundeskanzler durch
Dr. Jürgen Meyer
lautstarke Ankündigungen Erwartungen geweckt haben, die sich jetzt als schwer erfüllbar erweisen? War es nicht der Bundeskanzler, der von einem „europäischen FBI" gesprochen hat, also von einer Behörde mit exekutiven Befugnissen, von denen jetzt überhaupt nicht mehr die Rede sein kann?
Wir sollten die Erwartungen bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu hoch werden lassen. Europol wird nun operative Befugnisse erhalten. Was heißt das? Ermittlungen im Bereich der Mitgliedstaaten werden nur gemeinsam mit den Behörden des jeweiligen Mitgliedstaates und unter Beachtung des nationalen Rechts durchgeführt werden - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Immerhin ist das eine Steigerung von Kompetenzen. Die sollte immer - da stimme ich der Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger voll zu - mit mehr rechtlicher und demokratischer Kontrolle einhergehen. Deshalb sind wir der Auffassung, wir sollten uns die Begleitregelungen der Europol-Konvention sehr genau und kritisch anschauen. Brauchen wir nicht zum Beispiel mehr Datenschutz, damit es nicht problemlos möglich ist, die persönlichen Daten potentieller künftiger Straftäter - also von Personen, die noch nicht einmal im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben - zu sammeln?
Oder: Sollten wir nicht das Projekt der Immunität für Bedienstete von Europol ablehnen? Es kann doch nicht sein und ist auch nicht vertrauensbildend, wenn Bedienstete von Europol über den Gesetzen stehen.
Oder: Wie verhält es sich mit dem Rechtsschutz der Betroffenen? Reicht eigentlich das Vorabentscheidungsverfahren? Sollte man sich nicht vielmehr für ein individuelles Klagerecht betroffener Bürger beim Europäischen Gerichtshof einsetzen?
Dies alles werden wir in bezug auf die Begleitregelungen zur Europol-Konvention zur Debatte stellen. Ich hoffe auf Unterstützung auch aus den anderen Fraktionen im Europaausschuß.
Nehmen wir das Beispiel Verbrechensbekämpfung. Dazu findet man im Antrag der Koalition den - gestatten Sie mir, das zu sagen - goldigen Satz, man müsse einem solchen bürgernahen Bereich sehr viel Aufmerksamkeit widmen. Eigentlich sind wir da schon weiter. Sollten wir nicht zum Beispiel gemeinsam fordern, daß die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, die als grenzüberschreitende Kriminalität nur durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit effektiv bekämpft werden kann, verbessert werden sollte?
Sind wir nicht der Meinung, daß die schwere Kriminalität, die auf verbrecherischem Gewinnstreben beruht, nur dadurch wirksam zu bekämpfen ist, daß man diese Gewinne abschöpft? Derartige Verbrechen dürfen sich nicht lohnen. Wo sind Ihre Vorschläge dazu?
Auf nationaler Ebene sind wir schon weiter. Die Verhandlungsdelegationen der Koalition und der SPD-Fraktion haben sich bereits weitgehend auf
neue Methoden der Gewinnabschöpfung verständigt. Wo bleibt der Impuls in Richtung Europa? Warum soll ein Einreisender, der im Verdacht steht, mit den 10 Millionen DM, die er im Koffer hat, Drogenhandel finanzieren zu wollen, dem man dies aber nicht nachweisen kann, nicht mit folgendem rechnen müssen? Das Landeskriminalamt stellt fest: Dieser Mensch hat in seinem Heimatland keine Steuern gezahlt, obwohl er dort unbeschränkt steuerpflichtig ist; also gibt man das beschlagnahmte Vermögen an das Heimatland weiter, und dort wird es dann mit dem entsprechenden Steuersatz besteuert. Warum schlagen Sie nicht eine Zusammenarbeit auch im Bereich des Steuerrechts vor? Da wir ständig darüber reden, daß wir Steuern erhöhen müssen, sollten wir uns dafür einsetzen, daß zunächst einmal die geschuldeten Steuern hereingeholt werden. Das wäre eine gemeinsame Aufgabe.
Ich nenne ferner das Beispiel Grundrechtscharta. Wir sehen, wie die Vision einer europäischen Wertegemeinschaft durch bürokratisches Kleinklein in ihre Bestandteile zerlegt und völlig unkenntlich gemacht wird. In der Vergangenheit hat sich die Regierung immer darauf berufen, Großbritannien wolle das nicht. Nun hat die neue Regierung in Großbritannien gesagt, sie wolle eine Bill of Rights. Nehmen Sie doch diese Chance wahr!
Fordern Sie mit uns die Grundrechtscharta, und zwar nicht etwa, wie es im Antrag der Koalition heißt, als „Perspektive" ! Den Begriff Perspektive habe ich schon einmal bei Ihnen gelesen, als es um den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ging. Damit wollten Sie wohl zum Ausdruck bringen: Das ist etwas, was ziemlich ferne Horizonte hat. Nein, lassen Sie uns jetzt konkret dafür eintreten, daß das Ziel der Grundrechtscharta zum Auftrag für das Europäische Parlament wird! Die Regierungskonferenz ist damit überfordert; sie kann doch keine Grundrechtscharta entwerfen. Das sollte das Europäische Parlament zusammen mit den nationalen Parlamenten machen.
Das stiftet Identität in Europa. Vertun Sie diese Chance nicht durch bürokratisches Kleinklein!
Vorhin hat der Herr Außenminister gesagt, die Bundesregierung sei völlig einverstanden mit den Vorschlägen der niederländischen Präsidentschaft zur Einwanderungspolitik.
Seltsam. Um 13.21 Uhr, also rechtzeitig zu Beginn
dieser Debatte, erhielten wir alle eine dpa-Meldung,
nach der die bayerische Regierung heftige Kritik an
Dr. Jürgen Meyer
den Vorschlägen der niederländischen Präsidentschaft übt.
Darin heißt es:
Durch die geplante Neuregelung in der Ausländerpolitik drohe ein „riesiger" Zuzug von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland ... Bayern wehre sich gegen eine Regelung, „die nur dazu da ist, Deutschland zu belasten und unsere Sozialversicherung auszuplündern."
Das sind europafeindliche Töne.
Der Kollege Haussmann hat vorhin von einer Zweidrittelmehrheit gesprochen. Diese braucht man in der Tat für die Revision des Maastricht-Vertrages. Aber sorgen Sie bitte dafür, daß Sie diese Zweidrittelmehrheit trotz der Widerstände aus Bayern auch zusammenkratzen!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Müller?
Bitte schön.
Herr Kollege Meyer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in dieser Erklärung - genau drei Absätze weiter - festgestellt wird, daß sich die Bayerische Staatsregierung genau in diesem Punkt mit Bundesinnenminister Kanther und der Bundesregierung geeinigt hat, daß es zu einer klaren Regelung kommt, die dies ausschließt, was Sie jetzt angekündigt haben?
Herr Kollege Müller, ich bin nicht bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, weil es einfach nicht stimmt.
Denn zwei Absätze weiter heißt es:
Falls es Kohl in Amsterdam in der Beschäftigungspolitik nicht gelinge, „das Ruder nochmals herumzureißen", werde sich die Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht verringern,...
Zu allen Themen der dpa-Meldung, offenbar auch zur Ausländerpolitik, heißt es am Ende - ich zitiere weiter -:
An diesem Donnerstag werden die Ministerpräsidenten von Bayern und Rheinland-Pfalz ... als Vertreter der Länder mit dem Bundeskanzler nach Angaben Faltlhausers erneut die Wünsche der Länder durchsprechen.
Das ist eine Ankündigung, keine Einigung, wie Sie behaupten.
Nun gestatten Sie mir noch eine abschließende Bemerkung zum Thema Rechtsstaatlichkeit. Wer für
mehr Rechtsstaatlichkeit in Europa eintritt, sollte auch bereit sein, die Rechte und Pflichten, welche die Bundesregierung auf Grund der Verfassung gegenüber dem Parlament hat, sehr sorgfältig zu beachten. Es ist doch bemerkenswert, daß der Vorschlag der Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen über das Beschäftigungskapitel ein geheimer Vorgang geblieben ist, obwohl der Bundestag nach Art. 23 des Grundgesetzes und dem Zusammenarbeitsgesetz rechtzeitig hätte informiert werden müssen. Auf Grund unserer Forderung - ich füge hinzu: auf Grund heftigen Drängens - sind wir über die Änderungswünsche der deutschen Delegation vom 26. Mai dieses Jahres erst mit Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 30. Mai informiert worden. Ein solches Vorgehen entspricht nicht der Verfassung.
Jetzt schauen Sie sich einmal den Vorschlag der Bundesregierung an. Ich zeige Ihnen hier den Vorschlag der niederländischen Präsidentschaft. Das meiste wurde durchgestrichen. Das ist, wie ich finde, ein wenig formvollendetes, ja unwürdiges Vorgehen mit einem Vorschlag der niederländischen Präsidentschaft,
so als ob ein Lehrer einem weit zurückbleibenden Schüler Noten zu erteilen hätte. Wer hier allenfalls, auch wenn ich es ungern tue, Noten zu erteilen hätte, das ist der Deutsche Bundestag gegenüber der Bundesregierung.
Meine Bewertung lautet: Die Bemühungen der Bundesregierung in Sachen Innen- und Rechtspolitik sind gerade noch ausreichend, passiv, wenig kreativ. Im Bereich der Beschäftigungspolitik sind sie völlig unzulänglich. Also: Durchschnittsnote mangelhaft. Das heißt, selbst bei Durchführung der allfälligen Stützkurse durch den Deutschen Bundestag ist die Versetzung im September 1998 stark gefährdet.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Franz Peter Basten, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, als Sie in Ihrer Rede auf der Woge der klassenkämpferischen Nostalgie so lustvoll den Niedergang des konservativ-liberalen Lagers in Europa beschworen haben, habe ich mich gefragt: An welches Land denkt sie eigentlich? An Deutschland können Sie nicht gedacht haben. Denn in Deutschland gibt es seit 1982 eine Regierung der Mitte aus Christdemokraten, Christsozialen und Liberalen.
Franz Peter Basten
Das ist übrigens eine Regierung, zu der über viele Jahre, ja über die ganze Regierungszeit insbesondere sozialdemokratische Ministerpräsidenten aus Europa geradezu Prozessionen unternommen haben, um gut vor der deutschen und der europäischen Öffentlichkeit dazustehen und mit ihr sehr eng zusammenzuarbeiten, weil gerade von den sozialdemokratischen Regierungen in der Europäischen Union immer wieder die besondere Führungsrolle der Bundesregierung beim Aufbau Europas anerkannt worden ist.
Die einzigen in Europa, die das nicht anerkennen wollen, sind die deutschen Sozialdemokraten. Darüber sollten Sie, Frau Wieczorek-Zeul, einmal demütig nachdenken.
Herr Kollege Meyer, zu Ihrer und auch zur Beruhigung anderer bei dieser Gelegenheit noch ein Wort: Es geht um den Vorschlag der neuen Art. C und Art. G im EG-Vertrag. In Art. G steht in Abs. 2, 2. Unterabsatz:
Der Rat erläßt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments die in Art. C unter Nr. 3 Buchstabe a und Nr. 4 genannten Maßnahmen.
Diese Maßnahmen unter Nr. 3 a sind:
Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen sowie Normen für die Verfahren zur Erteilung von langfristigen Visa und Aufenthaltstiteln einschließlich solcher zur Familienzusammenführung durch die Mitgliedstaaten.
Und unter Nr. 4:
Maßnahmen zur Festlegung der Rechte und der Bedingungen, gemäß denen sich Staatsangehörige dritter Länder, die sich legal in einem Mitgliedstaat aufhalten, in anderen Mitgliedstaaten aufhalten können.
Gerade diese Bereiche unterliegen dem Einstimmigkeitsvotum. Insofern kann die deutsche Bundesregierung in dieser Frage nie überstimmt werden. Es ist für diesen Bereich auch keine vorübergehende Einstimmigkeit vorgesehen wie für andere Bereiche. Es gilt also auch hier für alle Beteiligten, was wir im ersten Semester der juristischen Ausbildung gelernt haben: Der Blick in das Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Das gilt für alle Beteiligten; das sage ich ausdrücklich.
Ich möchte einige Bemerkungen zur gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik machen. Ich verweise darauf, daß es insbesondere die Initiative von Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident Chirac vom Dezember 1996 war, die den entscheidenden Impuls in dieser Frage gegeben hat. Wir dürfen nicht verkennen: Auf keinem Feld der europäischen Politik ist der Erwartungsdruck der Bevölkerung so hoch wie im Bereich der inneren Sicherheit. Die Menschen erwarten von uns, daß wir die Verbrecher fangen, daß sie abgeurteilt werden und daß ihre Kartelle zerschlagen werden. Darauf kommt es an.
Danach ist auch die Ordnung zu richten. Deswegen verstehe ich nicht, Herr Kollege Meyer, daß Sie sich hier als Bedenkenträger betätigt haben:
Da fehle noch eine Legitimation, und dort haben Sie noch eine Lücke entdeckt.
Wir müssen zunächst einmal darüber reden, was die Menschen von uns erwarten. Wir müssen zunächst einmal die Instrumente entwickeln, die uns in die Lage versetzen, dieser Bedrohung Europas und Deutschlands Herr zu werden. Denn das organisierte Verbrechen ist wie keine andere Organisation auf dem Vormarsch. Darüber gibt es Erkenntnisse, die in dem Bericht zur Lage der organisierten Kriminalität in Europa festgehalten sind, wo es zum Beispiel zu Deutschland heißt: 64 Prozent von 7 922 Tatverdächtigen waren nicht deutsche Staatsangehörige. In 70 Prozent der Fälle gab es internationale Bezüge. In 80 Prozent der Fälle wurden gewerbliche oder geschäftsähnliche Strukturen benutzt.
Die Bundesregierung hat das erkannt und dieses Thema konsequenterweise zu einem der Schwerpunkte bei der Vorbereitung der Regierungskonferenz gemacht. Sie wird dies auch in Amsterdam als einen besonderen Schwerpunkt behandeln. Ich denke auch, daß es in Amsterdam über die Vorlage der Ratspräsidentschaft noch Fortschritte, wie beispielsweise einen weiteren Schritt zu einer Ausstattung von Europol mit operativen Befugnissen, geben wird.
Aber auch hier müssen wir erkennen - da dürfen wir in der politischen Landschaft nicht blind sein -, daß diese Fragen bei vielen unserer Nachbarländer mehr als bei uns an den Kernbereich nationaler Souveränität rühren und daß wir uns darauf einrichten müssen, hier mit einer langfristigen Strategie Etappe für Etappe vorwärtszukommen. So ist auch die Strategie der Bundesregierung angelegt. Wir unterstützen diese Politik, denn sie ist richtig. Sie ist die einzige Politik, die auf diesem Sektor möglich ist, und sie wird uns zum Erfolg verhelfen. Das sollte ausdrücklich anerkannt werden.
Im Bereich der justitiellen Zusammenarbeit werden erste Fortschritte gemacht. Uns ist das nicht ausreichend. Wir müssen das fortentwickeln. Wir brauchen auf lange Sicht für die Bearbeitung grenzüberschreitender schwerwiegender Kriminalität eine federführende Behörde. Das kann eine nationalstaatliche Behörde sein, die auch für andere Länder die Bearbeitung des Verbrechenskomplexes der organisierten Kriminalität mit übernimmt.
Ein Beispiel: Der Fall eines bandenmäßig organisierten Kokainschmuggels ereignet sich an zehn Tatorten in der Europäischen Union; der Schwerpunkt ist meinetwegen Madrid. Drahtzieher ist die kolumbianische Drogenmafia. Nach geltendem Recht werden zehn nationale Ermittlungsverfahren eingeleitet, die sich leider Gottes nicht immer ergänzen, sondern sich häufig behindern, die häufig miteinander kon-
Franz Peter Basten
kurrieren und sich in nationalstaatlicher Eifersüchtelei verzetteln. Zehn Herren des Verfahrens stehen gegen einen Drogenboß, der seinen Konzern unter Einsatz aller technischen und organisatorischen Mittel steuert. Bei dieser Schlachtordnung hat der Drogenboß immer gute Karten. Das müssen wir ändern.
Jetzt wird mit den entsprechenden Beschlüssen von Amsterdam ein wichtiger erster Schritt dazu gemacht, und es müssen weitere Schritte folgen. Aber wichtig ist, daß der Einstieg in solche Veränderungen geschafft worden ist. Das, was wir in den letzten Monaten und Jahren in diesem Bereich erlebt haben, ist mehr, als sich viele von uns vorstellen konnten. Als die Frage „Was ist denn mit Europol, wie ist es auszustatten?" diskutiert worden ist, da waren wir ja schon glücklich, daß eine Datensammelstelle eingerichtet wurde. Das ist ja noch gar nicht so lange her. Wenn die Verhandlungen in Amsterdam entsprechend abgeschlossen werden, werden wir Instrumente an der Hand haben, von denen man sagen muß, daß sie auf Grund der koordinierenden Befugnisse, die man Europol zugesteht, ganz in die Nähe unmittelbarer und direkter Ermittlungskompetenz kommen. Ich denke, das ist eine gute Entwicklung. Wir unterstützen diese Politik.
Ein letzter Gesichtspunkt. Wir haben Probleme mit der Rechtshilfe. Es ist nach wie vor äußerst kompliziert. Deswegen bin ich dankbar - auch das steht ausdrücklich im Kohl-Chirac-Brief; ich habe nicht geglaubt, daß das so weit käme, wie es jetzt gekommen ist, nämlich daß die Niederländer das in ihren Vorschlag mit hineinnehmen würden - über Regelungen in bezug auf die Überführung von Vorschriften des Schengener Abkommens in den Gemeinschaftsrahmen. Dadurch haben wir mit einem Schlag alle vereinfachten Vorschriften des Schengen-Vertrages zur Verfügung - beispielsweise zur Rechtshilfe -, wonach sich die einzelnen Justizbehörden und Strafverfolgungsorgane unmittelbar gegenseitig helfen dürfen. Mit der Überführung der entsprechenden Vorschriften in den institutionellen Rahmen haben wir mit einem Schlag einen großen Schritt im Bereich der Rechtshilfe getan.
Ich denke, daß es gut und richtig ist, auf diesem Weg fortzufahren. Je mehr wir uns als Problemlöser in den konkreten Lebenslagen der Menschen bewähren und das mit europäischen Instrumenten auf europäischer Ebene tun, wird die Akzeptanz Europas in der breiten Bevölkerung wachsen. Das ist wichtig; das ist die eigentliche Legitimation, die wir brauchen. Auf diesem Weg wollen wir fortfahren.
Vielen herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7894. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Ich stelle fest, daß dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden ist.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 7898. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD „Zur Tagung des Europäischen Rates in Amsterdam am 16./13. Juni 1997", Drucksache 13/7897. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der Fraktion der SPD abgelehnt worden ist.
Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. „Zum Abschluß der Konferenz zur Überprüfung des Vertrags von Maastricht", Drucksache 13/7901. Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Die in der Tagesordnung aufgeführten Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 1 c bis 1 h sollen an die dort genannten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Bevor wir nun als nächsten Tagesordnungspunkt die Fragestunde aufrufen, möchte ich Sie darauf hinweisen, daß die Aktuelle Stunde im Anschluß an die Fragestunde, die sehr viel kürzer als geplant sein wird, aufgerufen wird. Ich bitte Sie, die Fragestunde zu verfolgen. Vermutlich wird sie schon vor 18 Uhr beendet sein.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/7853 -
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Dr. Winfried Wolf werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl zur Verfügung.
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Ich rufe die Frage 3 der Abgeordneten Lydia Westrich auf:
Liegen der Bundesregierung Informationen vor und treffen nach ihrer Kenntnis Pressemeldungen zu, wonach bundesweit allein hei den Allgemeinen Ortskrankenkassen durch präventive Rücken- und Wirbelsäulen-Gymnastik-Programme in einem Zeitraum von neun Monaten bei einem Kostenaufwand durch die Kassen von 1,6 Millionen DM im gleichen Zeitraum die Behandlungskosten für Rücken- und Wirbelsäulenschäden um 40 Millionen DM zurückgegangen sind?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin, der Bundesregierung liegen weder diesbezügliche Pressemeldungen noch Erkenntnisse vor. Auch eine entsprechende Nachfrage des Bundesministeriums für Gesundheit beim AOK-Bundesverband hat ergeben, daß dort keine generalisierbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse über den unterstellten Zusammenhang zwischen sogenannten präventiven Rükken- und Wirbelsäulen-Gymnastik-Programmen und Kosteneinsparungen in der genannten Höhe vorliegen.
Bekannt ist demgegenüber eine vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie geförderte Untersuchung der Universität Göttingen über eine multimodale Therapie chronischer Rückenschmerzen. Die bislang vorliegenden Erkenntnisse aus dieser Studie basieren auf einer kleinen Zahl behandelter Patienten und weisen eine Vielzahl unterschiedlicher Bedingungsfaktoren für den Behandlungserfolg auf. Eine exakte Berechnung von Kosteneinsparungen wurde nicht veröffentlicht.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß ein statistisch auftretender Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen allein keinen Nachweis über deren ursächlichen Zusammenhang darstellt. Überdies scheint ein Beobachtungszeitraum von nur neun Monaten kaum geeignet, um Effekte medizinischer, therapeutischer oder präventiver Maßnahmen hinreichend zu belegen. Gerade bei Rücken- und Wirbelsäulen-Erkrankungen, die zur Chronifizierung neigen, dürfte die Langzeitwirkung von Maßnahmen eine entscheidende Bewertungsgröße im Zusammenhang mit finanziellen Auswirkungen darstellen.
Bevor ich jetzt die Zusatzfragen aufrufe, bitte ich darum, die Gesprächszirkel außerhalb des Raumes zu verlegen. Darf ich die Kollegen bitten, sich zu setzen.
Frau Westrich, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, da ich davon ausgehe, daß die Zahlen, die ich in Gesprächen erfahren habe, stimmen und wir gemeinsam alles Sinnvolle zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen tun wollen, frage ich die Bundesregierung, ob es nicht geboten ist, entsprechende Daten von den Krankenkassen abzufragen und dafür zu werben, die Maßnahmen als Sparmaßnahmen in das Konzept zur Gesundheitsreform einfließen zu lassen.
Frau Kollegin, zunächst einmal habe ich in meiner Antwort auf Ihre Frage darauf hingewiesen, daß der Beobachtungszeitraum viel zu kurz ist und eine derartig hohe Einsparungssumme sehr unwahrscheinlich erscheint. Natürlich sind wir für präventive Maßnahmen. Die Krankenkassen können in Zukunft ja über einen von den Versicherten finanzierten Beitrag solche Maßnahmen, die medizinisch sinnvoll sind, durchführen.
Ich habe eben auf eine kleine Studie hingewiesen, die in diesem Zusammenhang erstellt wurde. Wenn Sie Interesse haben, kann ich sie Ihnen gerne zustellen. Sie gibt aber die Einsparung in der genannten Höhe nicht wieder.
Haben Sie keine weitere Zusatzfrage? - Dann sind wir schon am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Der Abgeordnete Wolfgang Behrendt hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 4 und 5 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Für die Beantwortung der Fragen steht uns Staatsminister Helmut Schäfer zur Verfügung.
Ich rufe Frage 6 des Abgeordneten Gernot Erler auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die seit drei Wochen andauernde militärische Invasion des NATO-Mitglieds Türkei in die VN-Kurden-Schutzzone mit bis zu 30000 Soldaten und über 200 Panzern aus völkerrechtlicher und politischer Sicht?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Erler, die Bundesregierung beobachtet das Vorgehen der Türkei im Nordirak mit großer Aufmerksamkeit. Sie bestreitet nicht das Recht der türkischen Regierung, die von der PKK ausgehenden terroristischen Aktivitäten zu unterbinden und die territoriale Integrität des türkischen Staates zu bewahren. Wie auch bei früheren Militärinterventionen der Türkei im Nordirak hat die Bundesregierung die türkische Regierung aber sehr nachdrücklich aufgefordert, den Kampf gegen den Terrorismus unter Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien und des Völkerrechts, insbesondere der Menschenrechte und der territorialen Souveränität des Irak, zu führen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hält es die Bundesregierung mit rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Prinzipien für vereinbar, wenn jetzt die alte Idee von Außenministerin Tansu Ciller über eine Pufferzone, die sie bereits im September letzten Jahres geäußert hat, offenbar verwirklicht werden soll? Ich frage dies, weil wir heute gehört haben, daß die
Gernot Erler
Pläne zur Errichtung einer türkischen Sicherheitszone auf diesem irakischen Gebiet, das gleichzeitig eine UN-Schutzzone ist, wiederaufgegriffen werden sollen.
Ich kann nicht sagen, ob solche Pläne Frau Cillers erwogen oder ernsthaft für politisch durchsetzbar gehalten werden. Die Auskünfte, die wir bekommen haben, besagen, daß die Operation zeitlich begrenzt sei und daß man sich wie bei vorangegangenen Operationen zurückziehen werde, wenn sie beendet sei. Ich kann also Ihre Information nicht bestätigen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, der Generalstab der türkischen Armee hat gestern mitgeteilt, daß es das Ziel dieser Offensive, dieser Invasion sei, so lange die Kontrolle über diese Region auszuüben, bis eindeutig sei, daß diese Grenzregion vollständig und dauerhaft unter Kontrolle der mit der Türkei verbündeten Demokratischen Partei Kurdistans unter Führung Massud Barsanis sei. Entspricht dieses Vorgehen dem Völkerrecht? Kann es von der Bundesrepublik Deutschland anerkannt werden, daß dieses Ziel mit solchen Mitteln verfolgt wird, oder geht dieses Vorgehen nach Auffassung der Bundesregierung über die rechtmäßigen Schutzmaßnahmen gegen den Terrorismus hinaus?
Ich kann nur sagen, daß wir, was das Völkerrecht betrifft, sehr ernsthafte Bedenken haben. Eine ständige Besetzung von Teilen des Nordiraks, die möglicherweise durch ein ähnliches Vorgehen der israelischen Regierung seit 15 Jahren im südlichen Libanon gerechtfertigt werden kann, ist natürlich außerordentlich fragwürdig. Man muß ganz klar sagen, daß das auf Dauer nicht gehen kann.
Andererseits sind die Argumente der Türken vergleichbar mit den Argumenten der Israelis. Sie sagen: Es handelt sich hier um ein Gebiet, das als Schutzzone von niemandem kontrolliert wird, das von irakischen Streitkräften nicht besetzt werden darf, wie Sie wissen, und von dem aus permanent terroristische Anschläge über die Grenzen hinweg auf die Türkei — im Fall Israels: auf Israel - verübt werden. Es besteht also eine ganz ähnliche Argumentationslage. Wir können aber in beiden Fällen nicht sagen, daß es mit dieser Begründung möglich ist, daß ein Staat auf Dauer Teile eines anderen Staates besetzt hält. Ich gehe davon aus, daß die türkische Regierung sehr wohl weiß, daß auf Dauer eine Besetzung von Teilen des Irak nicht angehen kann.
Ich rufe Frage 7 des Abgeordneten Gernot Erler auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher innerhalb der westlichen Allianz bzw. bilateral unternommen, um Ankara zu einer Beendigung dieser Invasion, die zunehmend Beunruhigung unter den regionalen Nachbarstaaten auslöst, zu bewegen, und welche Initiativen plant die Bundesregierung in dieser Hinsicht?
Herr Kollege, der deutsche Botschafter hat am 15. Mai 1997 in Ankara im türkischen Außenministerium demarchiert und betont, daß die türkische Regierung bei ihrem Vorgehen gegen den Terrorismus das Völkerrecht und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einsatz und bei der Wahl der Mittel achten und den Schutz von Leib, Leben und Besitz der unbeteiligten Zivilbevölkerung gewährleisten muß. Die türkische Seite hat versichert, Ankara lasse sich von diesen Prinzipien leiten und halte an der Achtung der Souveränität und regionalen Integrität des Irak fest. Die Aktion werde so bald wie möglich beendet werden.
Die Bundesregierung hat auch im Rahmen der EU ihre Sorge über die türkische Intervention im Nordirak und die damit verbundenen Risiken für die Zivilbevölkerung zum Ausdruck gebracht und die Erklärung der niederländischen Präsidentschaft im Namen der Europäischen Union vom 16. Mai dieses Jahres unterstützt, in der die Türkei aufgefordert wird, äußerste Mäßigung zu üben und ihre Streitkräfte so bald wie möglich aus dem irakischen Hoheitsgebiet abzuziehen.
Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatsminister, meine Frage war auch darauf gerichtet, ob die NATO tätig geworden sei.
Die Türkei ist ein wichtiges NATO-Mitglied. Gerade in diesen Tagen erleben wir den Prozeß der Erweiterung der NATO, wobei in der Diskussion mit Rußland immer gesagt wurde, die NATO sei eine Allianz demokratischer Staaten, von denen niemals eine Aggression ausgehe. Das war ein wichtiges Argument bei dem Dialog mit der Russischen Föderation.
Ist das nicht ein Anlaß dafür, daß sich auch die NATO mit der Invasion im Nordirak, in der UNSchutzzone, beschäftigen müßte?
Meines Wissens gibt es seitens der NATO keinerlei Beschäftigung mit dieser Angelegenheit. Sie wissen, daß die Türkei nicht von Aggressionen gegenüber einem anderen Staat spricht, sondern von einem Angriff auf terroristische Organisationen, die gegen die Türkei permanent aus diesem Gebiet, über die Grenze hinweg, operieren.
Die Militäroperation im Nordirak ist seitens der Türkei nicht im Rahmen der NATO angesprochen worden. Man wird sicher die Frage stellen müssen, wie lange diese Operation anhält und inwieweit Befürchtungen, die Sie hier geäußert haben, tatsächlich zutreffen, daß man glaubt, dort auf lange Sicht türkische Truppen stationieren zu können. Ich halte das kaum für denkbar, aber das würde dann sicher auch die NATO beschäftigen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, in meiner Frage war auch ein Hinweis darauf enthalten, daß sich die Reaktionen der Nachbarstaaten diesmal von früheren Reaktionen auf ein ähnliches Vorgehen der Türkei im Nordirak unterscheiden. Ist die andere Qualität dieser Reaktionen aus den Ländern dieser Region für die Bundesregierung ein Anlaß zur Sorge, und sind die Aktionen der türkischen Regierung ein Hinweis auf einen möglichen Handlungsbedarf, wenn sich eine Verschärfung der Spannungen zwischen den verschiedenen Ländern, die kurdische Minderheiten haben, abzeichnet?
Wie Sie wissen, hat die türkische Regierung im Zusammenhang mit dieser Operation immer darauf hingewiesen, daß seitens der Kurden - Sie haben Herrn Barsani schon erwähnt -, die nicht mit der PKK zusammenarbeiten, die sich selbst durch die PKK bedroht fühlen, ein Schutz durch die Türken, eine Zusammenarbeit, erwünscht ist.
Andererseits ist sicher zu beachten, inwieweit diese Operation zu größeren Besorgnissen in den Nachbarstaaten führen kann. Sie wissen, daß in den letzten Tagen, auch durch den Abschuß zweier türkischer Hubschrauber, der Eindruck entstanden ist, daß die PKK mit Boden-Luft-Raketen versehen worden ist, und Nachbarstaaten der Türkei in diesem Zusammenhang genannt worden sind - das habe ich gestern zumindest der „Zürcher Zeitung" entnommen -, so daß tatsächlich eine gewisse Gefahr besteht, daß es hier zu einer kritischeren Situation kommt. Wir werden das mit außerordentlicher Sorgfalt beachten und alles tun, damit sich aus dieser Operation nicht eine nachhaltige Störung des Gleichgewichtes der Stabilität in diesem Gebiet ergeben wird.
Sie haben eine
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Schäfer, Sie haben angeführt, Sie hätten die Türkei aufgefordert, im Rahmen dieser Aktion Völkerrecht und Menschenrechte zu achten. Vor diesem Hintergrund möchte ich fragen: Sind der Bundesregierung Berichte bekannt - und ist sie ihnen nachgegangen -, daß im Nordirak in Städten, unter anderem in Arbil und Sachu, Kurden, denen Nähe zur PKK nachgesagt wurde, die allerdings nicht an irgendwelchen Kampfhandlungen beteiligt waren, sowohl von Angehörigen der KDP als auch von türkischem Militär aus Häusern geholt und auf der Straße exekutiert wurden? Wenn ja: Mit welchem Ergebnis?
Frau Kollegin, diese Berichte liegen mir nicht vor. Die Bundesregierung konnte diesen Berichten insofern auch nicht nachgehen. Es besteht auch die Frage, wo in diesen Kampfgebieten die Bundesregierung überhaupt tätig werden könnte, um zu verifizieren, was dort passiert. Das liegt nicht im Rahmen unserer Möglichkeiten.
Dann rufe ich jetzt die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Mit welcher Begründung hat die Deutsche Botschaft in Ankara den Eltern des in Hannover durch einen Schuß aus der Dienstwaffe eines Polizeibeamten getöteten Türken H. D. ein Einreisevisum verweigert, obwohl sie als Nebenkläger das Recht haben, am Prozeß teilzunehmen, und im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft nicht davon überzeugt sind, daß sich der Schuß versehentlich gelöst hat?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Lippelt, die Visaanträge der Eheleute Dener wurden anfänglich von der Botschaft in Ankara abgelehnt, weil sie Zweifel an der Rückkehrwilligkeit der Antragsteller hatte. Zudem bestand nach Auskunft des Gerichtes keine Notwendigkeit für ihre persönliche Anwesenheit, da ihr Interesse anwaltlich vertreten war.
Wie Sie wissen, ist die Sachlage inzwischen aber so, daß dem Antrag stattgegeben wird.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Dr. Lippelt.
Ich nehme dies mit großer Freude zur Kenntnis. Darf ich fragen, wann dies den Anwälten mitgeteilt worden ist?
Das Auswärtige Amt hat die Botschaft in Ankara am 4. Juni gebeten, die Visa zu erteilen. Ich kann Ihnen jetzt leider nicht sagen, inwieweit die Anwälte schon informiert wurden. Ich dachte, daß ein Brief, den ich Ihnen geschrieben habe, schon bei Ihnen angekommen ist. In dem steht das drin, so daß ich Ihnen das auf kurzem Wege - vielleicht noch heute abend - sagen kann.
Ein solches Ergebnis meiner mündlichen Anfrage begrüße ich außerordentlich.
Herr Minister, würden Sie mir noch folgendes beantworten - denn ich habe noch eine zweite Frage gestellt -: Wie ist es möglich, daß eine Botschaft überhaupt erwägen kann, die Rechte der bei diesem Prozeß geladenen Nebenkläger, der Eltern eines durch eine Polizeiwaffe umgekommenen jungen Mannes, auf diesem administrativem Wege der Visumsverweigerung zu behindern?
Herr Kollege, ich hatte Ihnen auf die erste Frage hin schon gesagt: Auffassung der Konsularabteilung bei unserer Botschaft in Ankara war die, daß die Notwendigkeit für die persönliche Anwesenheit der
Staatsminister Helmut Schäfer
Eltern nicht gegeben war, weil deren Interessen in diesem Prozeß in Deutschland anwaltlich vertreten wurden.
Wenn hier immer wieder Proteste kommen, daß sich die Botschaften schwertun - dies ist bei der Vielzahl der täglich eingehenden Visabegründungen und dem Wunsch, solche Visa sofort zu erteilen, gar nicht anders möglich -, muß ich darauf hinweisen, daß die restriktive Visapolitik zurückzuführen ist auf die Innenpolitik bzw. die Politik unserer Länder, die der Botschaft Auflagen macht. Deshalb können sie nicht in dem Umfang Visen ausstellen, wie das unter Umständen wünschenswert wäre. Das gilt nicht, wenn seitens der Ausländerbehörden deutlich gemacht worden ist, daß die Menschen, die ein Visum wollen, möglicherweise nicht mehr zurückkehren und insofern eine Belastung darstellen angesichts der großen Zahl von Ausländern, die auf diesem Wege nach Deutschland gekommen sind.
Dies entspringt also nicht der Willkür der Botschaft, sondern gründet sich in der Besorgnis, daß man Visawünsche zu schnell erfüllt und sich dabei in Schwierigkeiten mit den zuständigen Innenbehörden der Bundesländer bringt.
Eine Zusatzfrage von dem Abgeordneten Conradi.
Herr Staatsminister, es ging ja nicht um ein Gerichtsverfahren über Mietstreitigkeiten, sondern darum, daß der Sohn der Antragsteller, die als Nebenkläger tätig werden wollten, zu Tode gekommen ist. Sind Sie wirklich der Auffassung, daß sich die Botschaft korrekt verhalten hat? Hätte die Botschaft in diesem Fall nicht prüfen und dann die Visa erteilen müssen, weil es ein Gebot der Menschlichkeit ist, den betroffenen Eltern die Möglichkeit der Teilnahme am Prozeß zu geben?
Herr Kollege, da ich die Einzelheiten, die zunächst zu einer Verweigerung geführt haben, nicht kenne, möchte ich als Staatsminister im Auswärtigen Amt' die Botschaft nicht öffentlich rügen. Die Tatsache, daß wir am 4. Juni, auch auf Grund des Hinweises von Herrn Lippelt, die Botschaft angewiesen haben, das Visum zu erteilen, macht deutlich, daß wir eine andere Meinung vertreten haben.
Aber ich bitte um Verständnis, wenn unsere mit Visaanträgen wirklich überlaufenen Konsularabteilungen - dies gilt gerade für die Botschaft in der Türkei - angesichts der Sorge, die auch innenpolitisch begründet ist, daß die Flut der Zuwanderer durch eine leichtfertige Erteilung von Visa wächst, zu diesem Ergebnis kam. Man sollte deshalb die Botschaft nicht öffentlich kritisieren, sondern Verständnis aufbringen, wenn sie manchmal zu restriktiv, zu ängstlich verfährt.
Wir kommen zu Frage 9 des Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt, soweit sie noch nicht beantwortet ist:
Was hat das Auswärtige Amt seit dem 30. Mai und weiter seit dem 3. Juni auf meine dringlichen Bitten, die Botschaft in Ankara zur Erteilung der Einreisevisa anzuweisen, unternommen, und erweckt eine Einreiseverweigerung nicht den Eindruck einer Rechtsverkürzung gegenüber den ausländischen Nebenklägern im Interesse eines deutschen Beamten?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Ich dachte, ich hätte die Frage schon damit beantwortet, daß ich gesagt habe: Das Auswärtige Amt hat die Botschaft Ankara am 4. Juni gebeten, die Visa zu erteilen. Ich weiß nicht, ob Herr Lippelt nicht noch eine Frage anschließen will.
Bitte schön.
Ich möchte mein Recht auf zwei Zusatzfragen pro Frage wahrnehmen.
Ich habe das durchaus verstanden.
Herr Staatsminister, Sie haben in Ihrer Antwort erwähnt, auch das Gericht habe bestätigt, daß die Nebenkläger nicht nötig seien. Ist es in einem Nebenklagefall üblich, daß entweder durch das Auswärtige Amt oder durch eine Botschaft bei Gericht nachgefragt wird, ob das Gericht das Visum, das man erteilen will, für nötig hält? Ist das nicht von vornherein ein sehr seltsames Zusammenspiel zweier Gewalten in unserem Staat?
Herr Kollege Lippelt, da ich kein Jurist bin und auch keine Einzelheiten dieses Vorgehens, sondern lediglich Ihren Vorwurf kenne, den wir inzwischen aus der Welt geschafft haben, erkundige ich mich gern noch nach solchen Einzelheiten. Ich muß Ihnen gestehen: Ich kann das jetzt wirklich nicht besser beantworten, als ich es gerade bei Herrn Conradi getan habe.
Weitere Zusatzfrage.
Meine zweite Zusatzfrage. Sie haben erwähnt - das entnehme ich nur aus Ihrer Antwort -, wir müßten berücksichtigen, daß die restriktive Linie des Innenministers eine Rolle spiele. Ist das Auswärtige Amt
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 180, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Juni 1997 16193
Dr. Helmut Lippelt
in den Konsularabteilungen der Botschaften vom Innenminister unterwandert?
Nein, Herr Kollege. Es geht nicht um den Innenminister, sondern - das ist etwas, was mich in diesem Land immer wieder etwas verwirrt - um 16 Innenminister plus den Bundesinnenminister, also um 17, die alle Wert darauf legen, daß das Auswärtige Amt durch seine Botschaften nicht leichtfertig Visa erteilt und damit dem Zustrom von Ausländern noch Vorschub leistet.
Es gibt sehr restriktive Verhaltensweisen der Innenminister der Bundesländer, die verschiedenen Parteien angehören, auch Ihrer Partei. Alle haben die gleiche Sorge, daß das Auswärtige Amt nicht zu leichtfertig einen Strom von Menschen in die Bundesrepublik lenkt, bevor sichergestellt ist, daß bestimmte Kriterien erfüllt werden, die die Rückreise in die Heimatländer oder aber den Aufenthalt in der Bundesrepublik sicherstellen.
Ich bitte um Verständnis, daß bei uns keineswegs von einer Unterwanderung durch das Innenministerium die Rede sein kann. Herr Kollege Lintner wird das sicher bestätigen können. Vielmehr bemühen wir uns, mit dem Innenministerium zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Auswärtigen Amts. Herzlichen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Die Fragen Nr. 10 und 11 des Abgeordneten Benno Zierer werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen dann zur Frage Nr. 12 des Abgeordneten Dietmar Schütz, SPD-Fraktion:
Welche mittel- und langfristigen Konsequenzen ergeben sich für die Finanz-, Sach- und Personalausstattung des in Oldenburg ansässigen Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte aus der vom Bundesministerium des Innern erarbeiteten Neukonzeption, und welche neue Organisationsstruktur ist für dieses Institut vorgesehen?
Herr Kollege Schütz, die Antwort lautet wie folgt: Die fachliche Neukonzeption sieht eine Beschränkung auf die Kernaufgaben des Instituts, das Setzen von Arbeitsschwerpunkten und eine stärkere Ergebnis-/Erfolgskontrolle bei wissenschaftlichen Maßnahmen vor. Aus dieser fachlichen Neukonzeption ergeben sich für die Finanz-, Sach-
und Personalausstattung im Ergebnis keine mittel- und langfristigen Konsequenzen.
Die organisatorische Neukonzeption soll eine Effizienzsteigerung und Synergieeffekte im Verwaltungsbereich bringen. Folgerungen aus der beabsichtigten organisatorischen Neukonzeption können erst nach deren Erarbeitung gezogen werden.
Bitte schön, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, aus Ihrer Schlußbemerkung folgere ich, daß trotzdem ein Neuzuschnitt dieses Instituts geplant ist. Sie sagen, im Augenblick gebe es keine Veränderung. In Ihrem letzten Satz sagen Sie aber, es sei eine geplant.
Sie wissen, daß es eine Reihe von Prüfungsmitteilungen des Bundesrechnungshofes in dieser Frage gibt, -
Deswegen frage ich.
- so daß wir auch von daher gezwungen sind, die genannten Überprüfungen vorzunehmen. Wir sind aber noch nicht am Ende unserer Überlegungen. Insofern kann ich Ihnen kein Ergebnis präsentieren.
Wann werden Sie die Prüfungsmitteilungen des Bundesrechnungshofes beantwortet haben?
Ich hoffe, daß wir es noch im ersten Halbjahr schaffen. Ob es tatsächlich gelingt, kann ich Ihnen nicht hundertprozentig versprechen.
Jetzt kommen wir zur Frage 13 der Abgeordneten Amke DietertScheuer, Bündnis 90/Die Grünen:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß ein zwischen der Bundesregierung und der libanesischen Regierung ausgehandeltes Rückübernahmeabkommen bereits im Dezember letzten Jahres vom Chef der libanesischen Securit unterzeichnet wurde, und kann sie Auskunft darüber geben, wann dieses Abkommen in Kraft treten wird?
Frau Dietert-Scheuer, die Antwort lautet: Im Dezember 1996 fanden in Beirut auf libanesische Einladung Expertengespräche zwischen der dortigen Sicherheitsbehörde Sureté Générale und Vertretern des Bundesministeriums des Innern zu aktuellen Rückführungsfragen statt. Ein Rückübernahmeabkommen wurde im Rahmen dieser Gespräche weder verhandelt noch unterzeichnet.
Zusatzfrage, bitte.
Der „Tageszeitung" von heute ist zu entneh-
Amke Dietert-Scheuer
men, daß ein solches Rückübernahmeabkommen in Verhandlung ist. Offensichtlich hat der deutsche Botschafter in Beirut gesagt, daß es noch einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen wird. Daraus entnehme ich, daß es solche Verhandlungen tatsächlich gibt.
In diesem Zusammenhang lautet meine Frage: Inwieweit wird das geplante Rückübernahmeabkommen insbesondere palästinensische Flüchtlinge und andere Flüchtlinge wie Kurden und Armenier betreffen, die aus dem Libanon geflohen sind, dort keine Staatsangehörigkeit haben und erheblich in ihren Bürgerrechten eingeschränkt sind, keine Arbeitserlaubnis erhalten und damit faktisch gezwungen sind, in Flüchtlingslagern zu leben? Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Abschiebung von Personen, die unter solchen Bedingungen im Libanon leben?
Frau Kollegin, es sind insgesamt etwa 9600 ausreisepflichtige Palästinenser im Lande. Diese sind möglicherweise von dem Verfahren betroffen. Sie wissen, daß aus unserer Sicht im Moment das größte Problem der Zeitraum ist, den der Libanon für die Paßersatzbeschaffung benötigt. Die von Ihnen genannten Gefährdungen, die heute in einer Tageszeitung aufgeführt wurden, werden in dieser Form von unseren Quellen nicht bestätigt.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Ich sprach in diesem Zusammenhang nicht von direkten Gefährdungen, sondern von den allgemeinen Lebensbedingungen, und zwar von der Tatsache, daß Palästinenser und andere Minderheiten im Libanon keine staatsbürgerlichen Rechte haben, keine Aufenthaltserlaubnis bekommen und faktisch gezwungen sind, in überfüllten Flüchtlingslagern zu leben. Darauf bezog sich die Frage, inwieweit die Bundesregierung es verantworten kann, die betroffenen Personen unter diesen Bedingungen in den Libanon abzuschieben.
Frau Kollegin, es ist Ihnen bekannt, daß die von Ihnen geschilderten Umstände - weltweit gesehen - in vielen Gegenden vorherrschen und deshalb nicht ausreichend sind, um ein ständiges Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch zu nehmen. Es handelt sich um Umstände, denen die gesamte palästinensische Bevölkerungsgruppe dort unterworfen ist. Deshalb begründet sich dadurch allein kein Bleiberecht hier im Lande.
Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
In der „Tageszeitung" von heute ist zu lesen, daß die libanesische Regierung für ihr ehrgeiziges Wiederaufbauprogramm auf Kredite angewiesen ist, die zu günstigen Konditionen vergeben werden. Sind in Verbindung mit dem geplanten oder ange-dachten Rückführungsabkommen bzw. mit der Rückübernahme der Flüchtlinge günstige Kredite oder etwaige andere Leistungen finanzieller oder anderer Art von seiten der Bundesregierung in Aussicht gestellt worden?
Nein.
Wir kommen zur Frage 14 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Landeseinwohneramt Berlin für palästinensische Flüchtlinge aus dem Libanon mit Bezug auf den erwarteten Abschluß eines Rückführungsabkommens im Juni 1997 Duldungen auf drei Monate begrenzt, und ist diese Praxis nach Kenntnis der Bundesregierung auch bei anderen Ausländerbehörden üblich?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Der Bundesregierung ist eine derartige Duldungspraxis weder von den Ausländerbehörden Berlins noch von denen anderer Länder bekannt. Im übrigen ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß das Ausländerrecht von den Ländern gemäß Art. 83 des Grundgesetzes grundsätzlich als eigene Angelegenheit ausgeführt wird und ein Weisungsrecht des Bundes nicht besteht.
Bitte schön.
Ich habe zu dem Komplex Verhandlungen mit dem Libanon über Kredite im Rahmen des Aufbauprojektes eine Zusatzfrage. Ist im Zusammenhang mit der Abschiebung palästinensischer Flüchtlinge in größerer Zahl ins Auge gefaßt worden, in den Projekten Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation der Palästinenser im Libanon durchzuführen?
Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis. Mir ist von solchen Verhandlungen und Angeboten nichts bekannt. Ich schließe nicht aus, daß sich im weiten Geflecht der Bundesregierung irgend jemand mit entsprechenden Stellen unterhalten hat, aber für den Bereich des Innenministeriums kann ich das verneinen.
Bitte schön, Frau Kollegin.
In letzter Zeit sind verstärkt Abschiebungen von Palästinensern aus der Bundesrepublik, insbesondere aus Berlin, vorgenommen worden. Nach Berichten der „Tageszeitung" von heute wurde in Beirut eine Namensliste mit 6000 Namen von Palästinensern, die abgeschoben werden sollten, übergeben. Kann die Bundesregierung dies bestätigen?
Es sind Listen an die libanesische Regierung übergeben worden, weil sie sich vorbehalten hat, zur Ausstellung von Paßersatzpapieren entsprechende Überprüfungen vorzunehmen, ob es sich tatsächlich um Palästinenser handelt, die in ihrem Staatsgebiet beheimatet sind usw. Es könnte sein, daß die Zahl in etwa stimmt. Ich kann sie Ihnen jetzt nicht genau bestätigen.
Aber ich möchte die Zahl aus der ersten Antwort in Erinnerung rufen: Es gibt zur Zeit insgesamt etwa 9600 ausreisepflichtige Palästinenser bei uns, die im Zuge der Ausstellung sogenannter Paßersatzpapiere durch den Libanon abgeschoben werden können. Ob die Länder das tun, bleibt abzuwarten.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Dr. Köster-Loßack.
Meine Zusatzfrage bezieht sich auf die sehr schwierige Phase, die im Moment im nahöstlichen Friedensprozeß durchzustehen ist: Ist Ihnen bewußt, daß mit Abschiebungen dieser Art, mit Rückführungen, wie Sie das nennen, auch eine Destabilisierung in Kauf genommen wird angesichts der verheerenden Defizite vor allem im Südlibanon, über die wir durch sehr viele Berichte informiert sind? Gibt es in diesem Zusammenhang Abstimmungen mit denjenigen, die mit einer Unterstützung des Friedensprozesses im Nahen Osten befaßt sind?
Frau Kollegin, ich kann ausschließen, daß die relativ geringe Zahl der Palästinenser, die abgeschoben werden sollen - selbst wenn ich unterstelle, daß nach und nach alle der genannten 9600 in Betracht kommen -, zu der von Ihnen befürchteten Destabilisierung führt.
Wie die allgemeine Lage in dieser Gegend der Welt ist, ist uns allen bekannt. Aber ich darf noch einmal darauf hinweisen: Diese Lage reicht nicht aus, um ein Dauerbleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland anerkennen zu können.
Damit kommen wir zur Frage 15 des Abgeordneten Horst Kubatschka, SPD-Fraktion:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach im Rahmen der Neustrukturierung des Bundesgrenzschutzes eine Reihe von BGS-Bahnpolizeiposten in Bayern geschlossen werden, und wenn ja, ist davon auch der BGS-Bahnpolizeiposten in Landshut betroffen (s. „Passauer Neue Presse" vom 5. Juni 1997)?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kubatschka, im Zuge der Reform des BGS ist unter anderem eine flächendeckende Neuorganisation in Form von Inspektionen vorgesehen. Die Neuorganisation richtet sich in erster Linie nach der Aufgabenstruktur, den kriminalgeographischen Gegebenheiten und der daraus folgenden Personalausstattung. Sie verfolgt das Ziel,
eine polizeilich effektive Organisation des BGS bei möglichst weitgehender Integration aller einzeldienstlichen Aufgabenbereiche - einschließlich der Bahnpolizei - in einem regionalen Zuständigkeitsbereich auf der untersten Ausführungsebene zu schaffen. Diese Organisation soll einen an den Schwerpunkten ausgerichteten zielgenauen Einsatz der Vollzugskräfte des BGS gewährleisten.
Das Bundesministerium des Innern wird in Kürze ein umfassendes Konzept über die künftige Organisation einschließlich der Standorte des BGS vorlegen und den zuständigen parlamentarischen Gremien und der Öffentlichkeit vorstellen. Dieses Konzept schließt auch die Standorte der Bahnpolizei ein. Ein Vorziehen einzelner Standortentscheidungen ist wegen der inhaltlichen Zusammenhänge nicht möglich und auch nicht beabsichtigt.
Zusatzfrage, bitte, Herr Kubatschka.
Herr Staatssekretär, wenn es zum befürchteten Rückzug aus der Fläche kommt, dann würden in Niederbayern bloß noch Inspektionen an der Grenze zur Tschechischen Republik von der Bahnpolizei durchgeführt. Würden Sie damit nicht gegen Ihren eigenen Anspruch handeln, daß die innere Sicherheit ein wichtiges Thema für die Bundesregierung ist?
Herr Kollege, die Lage der Inspektionen sagt nichts darüber aus, ob der BGS im Zuständigkeitsbereich präsent ist oder nicht. Es ist verständlich, daß die Führungsfunktion bei einer Inspektion nur von einigen Beamten ausgeübt wird und sich die übrigen im Zuständigkeitsbereich gemäß ihrer Aufgabe aufhalten werden. Die Befürchtung, der BGS werde sich bei Verwirklichung dieser Vorstellungen aus der Fläche zurückziehen, kann ich nicht bestätigen.
Zweite Zusatzfrage.
Würde das bedeuten, daß nach Ihren Vorstellungen jetzige Stationen oder besetzte Büros der Bahnpolizei weiter besetzt sind, also Beamte körperlich anwesend sein werden, oder werden sie punktuell, zum Beispiel am Bahnhof, nur gelegentliche „Gastspiele" geben? Damit würde die Sicherheit ganz drastisch verringert werden.
Nein. Herr Kollege Kubatschka, es gibt eine ganze Reihe von Stationen, die beispielsweise von der personellen Besetzung her gar nicht in der Lage sind, einen 24-Stunden-Betrieb aufrechtzuerhalten, und wo auch das kriminelle Geschehen, das aufgezeichnet worden ist, sich als so gering darstellt, daß dort Stationen nicht gerechtfertigt sein können. In solchen Fällen ist natürlich auch mit der
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
Aufhebung der ständigen Präsenz von BGS-Bahnpolizei zu rechnen.
Damit kommen wir zur Frage 16 des Abgeordneten Markus Meckel, SPD-Fraktion:
Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der Feststellung in einem jetzt vorliegenden Gutachten, wonach unter dem Areal des erhaltenen Teils der Betonmauer in der Bernauer Straße in Berlin keine Massengräber existieren, dort - entgegen der bisherigen Festlegung - ausschließlich die Errichtung einer Mauergedenkstätte zu unterstützen?
Herr Kollege Meckel, ich bitte um Erlaubnis, die Fragen 16 und 17 gemeinsam beantworten zu dürfen.
Ich rufe auch Frage 17 auf:
Ist es richtig, daß von seiten der Bundesregierung die in der bisherigen Verwaltungsvereinbarung zugewiesenen Mittel zurückgezogen werden sollen, und welche Verzögerungen treten nach Einschätzung der Bundesregierung ein, falls der Berliner Senat aufgrund der neuen Sachlage von dem bisher favorisierten Kohihoff-Entwurf Abstand nimmt?
Der interne Willensbildungsprozeß in Berlin über die Gestaltung des Denkmals ist noch nicht abgeschlossen. Der Bund wird zum Gesamtkomplex erst Stellung nehmen, nachdem ihm die abgestimmte Position Berlins vorgetragen worden ist.
Sollte Berlin sich für ein anderes Modell entscheiden als die Verwirklichung des Entwurfes von Kohl-hoff und Kohlhoff, müßte die über die Errichtung der Gedenkstätte geschlossene Verwaltungsvereinbarung neu verhandelt werden. Die auf Grund der bisherigen Verwaltungsvereinbarung zugewiesenen Mittel würden in diesem Falle zurückgezogen werden. Die dann notwendige baufachliche und auch haushaltsmäßige Prüfung und Genehmigung des neuen Entwurfes würde naturgemäß erhebliche Zeit in Anspruch nehmen.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Meckel.
Sie sprechen von einem erheblichen Zeitbedarf, der dann in Anspruch genommen wird. Können Sie diesen genauer beschreiben, da Sie vermutlich die Meinung teilen, daß es dringend notwendig ist, daß diese Gedenkstätte so bald als möglich errichtet wird?
Herr Kollege Meckel, das kann ich leider nicht, weil mir der neue Entwurf noch nicht bekannt ist. Ich kann Ihnen erst, wenn er vorliegt, wenn die Vorstellungen also bekannt sind, sagen, wieviel Zeit wir brauchen, um das zu überprüfen.
Bitte schön. Sie haben vier Zusatzfragen, wenn Sie wollen.
Falls sich der Berliner Senat dafür entscheiden würde, an dieser Stelle - die dann ausschließlich eine Mauergedenkstätte und eine Gedenkstätte zur deutschen Teilung wäre und nicht mehr, da die Massengräber nicht dort sind, eine Gedenkstätte für die Opfer des Zweiten Weltkriegs - einen Wachturm zu errichten, entgegen dem Votum der Denkmalpflege, würde das Bundesinnenministerium auch einen solchen Entwurf befürworten?
Dann würden wir ihn prüfen. Ob wir ihn befürworten, würde dann die Prüfung ergeben.
Dann haben wir eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, offensichtlich waren sich doch Bundesregierung und Senat darin einig, an der Bernauer Straße aus vorhandenen Teilen der Mauer künstlerisch eine Gedenkstätte für die Mauer zu schaffen. Nun ist der Berliner Senat, soweit ich höre, von diesem Projekt abgegangen. Was ist die Meinung der Bundesregierung? Reicht es nach Meinung der Bundesregierung aus, die Mauer einfach stehen und allmählich verfallen zu lassen, oder teilt sie die Auffassung, daß die Bedeutung dieses Denkmals eine künstlerische Gestaltung erfordert?
Herr Kollege Conradi., was die Bundesregierung zu der Idee insgesamt meint, kommt in der Vereinbarung zum Ausdruck. Wir haben das, was da vorgeschlagen worden ist, für, wenn Sie so wollen, förderungswürdig erachtet und deshalb eine Vereinbarung mit dem Berliner Senat geschlossen. Damit kommt die Bewertung durch uns zum Ausdruck. Ob andere Formen auch zu einer so positiven Bewertung führen würden, kann ich nicht voraussagen und will ich auch nicht präjudizieren.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Sie können das Mikrophon während der Antwort ruhig angeschaltet lassen und nicht immer bei uns abschalten. Bei der Regierung bleibt es ja auch an.
Wird die Bundesregierung den Senat von Berlin darauf hinweisen, daß es tunlich wäre, den bisher beauftragten Preisträger des Wettbewerbs auch mit der Ausarbeitung anderer Vorstellungen zu beauftragen, das heißt, ihn nicht einfach in die Wüste zu schicken?
Herr Kollege Conradi, wir halten
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
an dem fest, was wir mit Berlin vereinbart haben. Ob jetzt weitere Aufträge vergeben werden sollen und wer damit beauftragt wird, ist Sache des Berliner Senats. Uns liegt bisher, wenn ich das so sagen darf, noch nicht einmal die Mitteilung vor, daß an dem alten Konzept nicht festgehalten wird.
Herr Meckel, bitte schön.
Ich entnehme Ihrer Äußerung, daß Sie an dem alten Konzept festhalten, und frage Sie, ob Sie dies sehr bewußt tun, obwohl sich inzwischen herausgestellt hat, daß sich die Grundlage für die bisherige Vereinbarung verändert hat, indem festgestellt worden ist, daß dort keine Massengräber sind. Ich muß Sie deshalb fragen, was jetzt die Grundlage für Ihr Festhalten ist, wenn es doch eine veränderte Situation gibt.
Herr Kollege Meckel, eine Vereinbarung besteht immer darin, daß zwei Partner übereinkommen. Wir sind nur einer dieser Partner. Der Partner vor Ort muß uns doch wohl auf diese Aspekte hinweisen und uns seine Stellungnahme dazu übermitteln. Die Bundesregierung muß nicht sozusagen vorauseilend dem Berliner Senat sagen, was er uns denn als Stellungnahme zu übermitteln hätte.
Ich kann nur sagen: Die Bundesregierung steht zu dem, was aus ihrer Sicht bisher gilt. Die Frage, ob es weiter gilt, kann ich Ihnen nicht beantworten, weil der zweite Partner neuerdings offenkundig Schwierigkeiten mit der Entscheidung hat.
Wenn ich feststelle, daß der Berliner Senat diese neue Grundlage, also das Nichtvorhandensein der Massengräber, zum Anlaß nimmt, das Konzept zu überdenken, dann muß ich sagen, daß ich das für ausgesprochen richtig und zeitgemäß halte. Ich möchte Sie deshalb fragen, ob auch Sie die Meinung teilen, daß eine Gedenkstätte, die an die deutsche Teilung, an die Mauer und an alles Schlimme erinnert, was da passiert ist, sehr vordringlich und wichtig und nicht nur ein Anliegen Berlins, sondern ein Anliegen des deutschen Volkes ist.
Herr Meckel, unsere grundsätzliche Bewertung und Bereitschaft dazu kam in der Vereinbarung, die wir geschlossen haben, zum Ausdruck. Davon brauche ich nichts zurückzunehmen. Nur, wie es jetzt weitergeht, das kann ich Ihnen nicht an Stelle des Berliner Senats sagen.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums des Inneren. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Abgeordneten Karl Diller, Manfred Hampel und Dr. Uwe-Jens Rössel haben um schriftliche Beantwortung ihrer Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb zur Verfügung. Der Abgeordnete Erich Fritz hat um schriftliche Beantwortung der Fragen 24 und 25 gebeten; auch hier werden die Antworten als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Peter Conradi auf:
Welche Aufträge, insbesondere Berateraufträge, hat die Bundesregierung dem Architektenbüro L. im Zeitraum zwischen 1980 und 1995 erteilt, und welche Berateraufträge für das Architektenbüro L. hat die Bundesregierung den mit der Durchführung von amtlichen Beteiligungen der Bundesrepublik Deutschland an Messen und Ausstellungen im Ausland und im Inland beauftragten Messedurchführungsgesellschaften genehmigt ?
Herr Kollege Conradi, die Bundesregierung erteilt im Zusammenhang mit der Planung und Durchführung amtlicher Beteiligungen der Bundesrepublik Deutschland an Messen und Ausstellungen im Ausland weder Planungs- noch Berateraufträge an freischaffende Architekten. Sie hat solche Aufträge auch nicht an das von Ihnen genannte Architekturbüro erteilt.
Ausschließlich die vom Bundesministerium für Wirtschaft mit der Durchführung amtlicher Beteiligungen im Ausland betrauten Messedurchführungsgesellschaften erteilen nach Genehmigung durch das Bundesministerium für Wirtschaft die Aufträge für Planung, Ausschreibung und Objektüberwachung an von ihnen ausgewählte Architekten. Sie richten sich hinsichtlich der Architektenauswahl in erster Linie nach den Wünschen der ausstellenden Wirtschaft, deren eigener Anteil an den Gesamtkosten für Auslandsmessebeteiligungen etwa zwei Drittel beträgt.
Insgesamt sind für die Messedurchführungsgesellschaften bei einer summarischen Betrachtung rund 30 Architekten tätig, darunter auch das von Ihnen genannte Architekturbüro. Von allen offiziellen Beteiligungen pro Jahr - die Zahl schwankt etwa zwischen 100 und 150- entfallen auf größere und besonders leistungsfähige Büros, zu denen auch das von Ihnen erwähnte Architekturbüro gehört, jeweils rund 8 bis 10 Prozent der Planungsaufträge.
Auch Berateraufträge sind direkt von der Bundesregierung nicht an das Architekturbüro erteilt worden. Bei der Weltausstellung in Sevilla hat die damalige Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus den Messedurchführungsgesellschaften NOWEA International GmbH Düsseldorf und ISC Köln-Messe, mit Geneh-
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
migung des Bundesministers für Wirtschaft einen Beratervertrag mit dem Architekturbüro zur Klärung zahlreicher mit dem Bau des deutschen Pavillons zusammenhängender Bau- und Baurechtsfragen abgeschlossen. Der Bundesrechnungshof hat bei seiner Prüfung des Sevilla-Projektes diese Maßnahme als richtig und angemessen angesehen. Andere Beraterverträge sind dem Architekturbüro bis 1995 nicht erteilt worden.
Im übrigen: Die Förderung der Beteiligung an Inlandsmessen bezieht sich ausschließlich auf ostdeutsche Unternehmen, die dafür direkte finanzielle Zuschüsse erhalten. Die Einbindung von Architekten ist in diesem Zusammenhang nicht vorgesehen; demzufolge sind in diesem Zusammenhang auch keine Aufträge erteilt worden.
Zusatzfrage? - Bitte, Herr Conradi.
Die Bundesregierung hat also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, weder Planungsaufträge noch Berateraufträge direkt erteilt, aber die Vergabe solcher Aufträge durch die Messedurchführungsgesellschaften in jedem Einzelfall genehmigt. Wurde also auch mehrfach genehmigt, daß das Büro L. durch die jeweilige Messedurchführungsgesellschaft zugezogen wurde - sei es als Berater, sei es als planendes Büro?
Ich gehe davon aus, daß das in jedem Einzelfall geschehen ist. Ich habe Ihnen die Zahlen genannt. Daraus ergibt sich überschlägig - ich kenne die Zahlen nicht im Detail -, daß 15 bis maximal 18 Genehmigungen pro Jahr für Aufträge auch an das genannte Architekturbüro erteilt worden sind.
Zweite Zusatzfrage. Bitte, Herr Conradi.
Ist Ihnen bekannt, daß das Büro einmal - etwa bei der Vorbereitung der Expo 1998 - als Auftragnehmer der Messedurchführungsgesellschaft auftritt, ein anderes Mal - bei der Vorbereitung der Expo 2000 - als Berater auf der Seite des BMWi an Besprechungen teilnimmt?
Zumindest das letztere ist mir bekannt. In Ihrer Frage hatten Sie aber auf Aufträge bis 1995 abgestellt. Der von Ihnen genannte Auftrag ist nach meinen Erkenntnissen später erteilt worden.
Bevor ich die nächste Frage aufrufe, möchte ich die geschätzten Kolleginnen und Kollegen - vor allem aber die Geschäftsführer - darauf hinweisen, daß es jetzt nur noch vier Fragen gibt, die mündlich beantwortet werden. Dann folgt schon die Aktuelle Stunde.
Jetzt kommen wir zur Frage 27 des Abgeordneten Peter Conradi, SPD-Fraktion:
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung meinen Brief vom 18. Dezember 1996 an den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft, Dr. Norbert Lammert, sowie die Antwort von Dr. Norbert Lammert an mich vom 22. Januar 1997 dem Architektenbüro L zugänglich gemacht?
Herr Kollege Conradi, es ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß Ihr Brief an Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Lammert sowie dessen Antwort an das Architekturbüro weitergeleitet worden sind. Ich habe Ihre Vermutung ausführlich prüfen lassen. Die Recherchen im Bundesministerium für Wirtschaft - sowohl im Büro von Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Lammert als auch im Fachreferat - ergaben keine Anhaltspunkte, daß der Brief von dort aus weitergeleitet wurde. Das gleiche gilt für das Bundesministerium für Bauwesen.
Zusatzfrage.
Ich habe als Oppositionsabgeordneter keine Fürsorgepflicht gegenüber Mitgliedern der Bundesregierung. Gleichwohl möchte ich Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darauf hinweisen, daß ein früherer Kollege von Ihnen - ein Staatsminister - wegen einer wahrheitswidrigen Auskunft an mich in der Fragestunde sein Amt niederlegen mußte. Nach diesem gebotenen Hinweis möchte ich sagen: Die Tatsache, daß Sie keine Kenntnis haben, mag zutreffen. Aber es liegt eine eidesstattliche Erklärung von L. vor, er habe erfahren, daß ich beim Bundesministerium für Wirtschaft detaillierte Fragen eingereicht habe. Er zitiert die Fragen darin im einzelnen. Es ist also eine eidesstattliche Versicherung des Büros, daß er Kenntnis davon habe. Die kann er eigentlich nur von Ihnen haben, denn von mir hat er sie nicht.
Zunächst einmal - auf Ihre Eingangsbemerkung anspielend, Herr Kollege Conradi - übe ich mein Amt natürlich gern aus. Weil das so ist, habe ich gesagt, ich habe Ihre Vermutung ausführlich prüfen lassen. Ich kann mir den von Ihnen geschilderten Vorgang nach dem Ergebnis meiner Recherchen nicht erklären. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Zumindest für die beiden Ressorts - andere kommen aus meiner Sicht aber auch nicht in Frage - kann ich nach meinen Recherchen ausschließen, daß der Brief und die Antwort weitergegeben worden sind.
Zusatzfrage.
Trifft es zu, daß das Büro L. immer wieder zu Besprechungen in Ihrem Hause hinzugezogen wird? Können Sie mit Sicherheit ausschließen, daß anläßlich einer solchen Besprechung das Büro Kenntnis von unserem Briefwechsel bekommen hat?
„Immer wieder ... hinzugezogen wird" - das ist zu pauschal. Ich persönlich kann mich an zumindest eine Sitzung erinnern, bei der ein Vertreter des Büros dabeigewesen ist. Daß in diesem Zusammenhang Kenntnis erlangt worden ist, kann ich ausschließen. Das ist eine sehr weitgehende Frage, aber ich habe wirklich keinen Grund zu der Annahme, daß unser Haus diese Information weitergegeben hat.
Die Fragen 28 und 29 des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 30 und 31 der Abgeordneten Susanne Kastner. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministerums für Wirtschaft. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch zur Verfügung.
Die Fragen 32 und 33 der Abgeordneten Brunhilde Irber werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Konrad Kunick, SPD-Fraktion, auf:
Beabsichtigt der Bundesminister für Verkehr, bei der Seeberufsgenossenschaft für eine Ausnahmegenehmigung für den Betrieb eines Zwei-Mann-Schleppers in irgendeiner Form einzutreten?
Herr Abgeordneter Kunick, nach der Schiffsbesetzungsverordnung wird die Regelbesatzung für Schlepper von der Seeberufsgenossenschaft im Einzelfall oder für Schiffsgruppen festgesetzt.
Der Bundesminister für Verkehr beabsichtigt nicht, in die entsprechenden Beratungen der für die Festsetzung der Regelbesatzung von Schleppern zuständigen eben genannten Seeberufsgenossenschaft einzugreifen.
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen zur Frage 35 des Abgeordneten Heinz Schmitt , SPD-Fraktion:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse, daß aufgrund des erheblich gestiegenen Verkehrsaufkommens auf der B 10, wodurch bereits heute das für das Jahr 2000 prognostizierte Verkehrsaufkommen überschritten wird, die jetzt vorhandenen Lärmschutzmaßnahmen unzureichend sind?
Herr Abgeordneter Schmitt, Erkenntnisse darüber, daß auf Grund eines gestiegenen Verkehrsaufkommens auf der B 10 die vorhandenen Lärmschutzmaßnahmen unzureichend sind, liegen der zuständigen Straßenbauverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz nicht vor.
Zusatzfrage, bitte, Herr Schmitt.
Gibt es die Möglichkeit - falls sich die Anfragen und Befürchtungen der Anwohner bestätigen -, in Form von Verkehrsmessungen den gestiegenen Verkehrslärm von seiten des Bundes zu ermitteln und nachzuprüfen?
Wir haben in der Vergangenheit Berechnungen durchgeführt. Auf Grund dieser haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß wir irgendwelche Maßnahmen treffen müssen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Heinz Schmitt auf:
Wird es bei den Lärmschutzmaßnahmen an der B 10 Nachbesserungen - insbesondere am sog. Queichheimer Trog und in Höhe der Gemeinde Siebeldingen - geben?
Herr Abgeordneter Schmitt, es wird keine ergänzenden Lärmschutzmaßnahmen im Zuge der B 10 in Höhe der Gemeinde Siebeldingen im Rahmen der Lärmvorsorge geben. Lärmschutz auf der Grundlage der Lärmsanierung kommt derzeit nicht in Betracht, da die maßgeblichen Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden.
Der von Ihnen ebenfalls angesprochene Queichheimer Trog liegt im Zuge der A 65. Hier sind ergänzende Lärmschutzmaßnahmen vorgesehen. Die Planungsunterlagen sind bereits erstellt. Es soll und wird ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden. Es wurde auch bereits ein lärmmindernder Deckenbelag aufgetragen, wodurch eine Verbesserung der Lärmsituation erreicht wurde.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? - Bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie den Zeitrahmen ermitteln, in dem diese zusätzlichen Maßnahmen geplant sind, speziell im Bereich des Queichheimer Troges?
Ich glaube, das ist ein fest umschriebener Abschnitt im Rahmen der Verbindung zwischen der A 65 und der B 10. Wenn Sie noch genaue Kilometer- oder auch Meterangaben haben möchten, müßte ich Ihnen das nachreichen.
Entschuldigung, ich dachte eher an den zeitlichen Rahmen.
Planfeststellungsverfahren - das wissen Sie ja - dauern in der Regel ihre Zeit. Wenn alles ordnungsgemäß läuft, müßte das innerhalb eines Jahres abzuwickeln sein, so daß wir für das Baurecht die entsprechenden Maßnahmen haben. Wenn wir das Baurecht haben, wird auch die Finanzierung eingeordnet werden können, sofern das Land die Priorität für diesen Abschnitt sieht.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums für Verkehr.
Wir sind auch am Ende der heutigen Fragestunde. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu Äußerungen ihrer Mitglieder über erneute Sparmaßnahmen bei den Sozialausgaben sowie Verschiebungen von Finanzmitteln zwischen den Sozialversicherungsträgern
Ich erteile der Abgeordneten Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben die Aktuelle Stunde zum zweiten Sparpaket beantragt, weil die Meldungen vom Wochenende zu den Kürzungsplänen bei der Bundesanstalt für Arbeit genau das treffen, womit wir schon lange rechnen. Daß wir damit schon lange rechnen, haben wir dadurch belegt, daß wir bereits im April dieses Jahres den Antrag auf einen Nachtragshaushalt für die Bundesanstalt für Arbeit in den parlamentarischen Raum eingebracht haben.
Das Loch, in das sich die Regierung hineinmanövriert hat, ist inzwischen so tief, daß Sie in der Tat vor nichts mehr zurückschrecken dürfen. Denn die Quadratur des Kreises ist fast noch einfach gegenüber dem, was sich F.D.P. und CDU/CSU im Augenblick gegenseitig über den Tisch reichen. Die Goldnummer ist nicht gelaufen. Die F.D.P., inzwischen als EinPunkt-Partei agierend, kämpft mit der Verzweiflung des Ertrinkenden um ihr einziges politisches Daseinsthema, und zwar um die Steuersenkungen. Das bedeutet angesichts eines Milliardendefizits entweder Neuverschuldung oder Einsparungen.
Minister Waigel aber gestaltet seinen Finanzierungsrahmen mit der CSU im Genick. Das CSU-Programm bedeutet: Das Konvergenzkriterium der Neuverschuldung ist und bleibt bei 3,0 Prozent. Das schließt Neuverschuldungen aus.
Also bleiben tatsächlich nur Sparansätze. Die Phantasien blühen immer wieder auf. Wir haben hier minütlich mit anderen Vorschlägen zu tun, die von dem jeweils anderen Koalitionspartner aber gleich wieder in die Kiste versenkt werden.
Nun zum Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit. Die Drohung, bei der Bundesanstalt für Arbeit noch einmal zuzulangen, ist noch nicht vom Tisch. Schon bei der Haushaltsaufstellung für die Bundesanstalt für Arbeit war klar, daß die Eckwerte nichts, aber auch gar nichts mit den realen Arbeitslosenzahlen zu tun hatten. Der Ausgangspunkt für die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit waren 3,95 Millionen Arbeitslose im Jahresdurchschnitt. Aber jeder konnte wissen, daß es mehr sein würden.
Jetzt, im Juni, liegen wir bei einem Jahresmittel von 4,48 Millionen Arbeitslosen - also eine halbe Million über den veranschlagten Sätzen. Die Tendenz ist nichtfallend; sie ist höchstens unwesentlich fallend.
Herr Jagoda kann inzwischen jedem aus dem Stegreif vorrechnen, daß 100 000 zusätzliche Arbeitslose etwa ein Minus von 3,3 Milliarden DM bei der Bundesanstalt für Arbeit bedeuten. Das bekämen Sie vielleicht noch hin. Bei 300 000 zusätzlichen Arbeitslosen wären das aber 3 mal 3,3 Milliarden DM. Es ist also klar, daß im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit angesichts der Jahresmittelzahlen, die sich abzeichnen, auf jeden Fall ein Minus von etwa 10 Milliarden DM auftauchen wird.
Dabei sind nicht die zusätzlichen Kosten für die Arbeitslosenhilfe eingerechnet, für die Sie im vergangenen Jahr am Jahresende noch einmal überplanmäßige Ausgaben in Höhe von 7 Milliarden DM bereitstellen mußten. Das heißt, genau mit den Zahlen von 1996, als Sie überplanmäßige Ausgaben in Höhe von 17 Milliarden DM im Bereich „Kosten der Arbeitslosigkeit" aufzubringen hatten, werden Sie im mindesten auch in diesem Jahr zu hantieren haben.
Nun meldet sich der Kanzler aus Neuseeland zu Wort und sagt: Die Halbierung der Arbeitslosenzahl wird wohl nicht zu schaffen sein. - Dieses Ziel wird mal so eben von ferne zurückgenommen. Das heißt, Sie wissen, daß Sie mit den ursprünglichen Zahlen von 3,95 Millionen Arbeitslosen nicht durchkommen werden.
Nun wäre das alles nicht so schlimm, wenn die Defizithaftung des Bundes greifen würde. Sie haben aber die Haushaltsvorgabe gemacht, daß fehlende Mittel bei der Bundesanstalt für Arbeit intern auszugleichen seien. Da die gesetzlichen Mittel gebunden sind, können Sie nur an die freien Mittel heran. Das betrifft die aktive Arbeitsmarktpolitik, also die Mittel für F+U und ABM. Das sind 2,2 Milliarden DM.
Nicht daß dieser Vorschlag nur Unruhe und Depression in der Bevölkerung schafft, er ist auch noch finanzpolitisch dumm, weil die Arbeitslosen nicht einfach verschwinden und Sie genau wissen, daß diejenigen, die aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik herausfallen, auf der Seite der passiven Leistungen wieder auftauchen, Sie also bei dieser Finanzoperátion maximal 200 Millionen DM einsparen würden. Das hat selbst Frau Babel erkannt, die sich inzwischen von diesem Vorschlag abgegrenzt hat.
Herr Schäuble allerdings sagt, Leistungskürzungen seien „ziemlich unwahrscheinlich"; aber das ist keine eindeutige Aussage. Der CDU-Wirtschaftsrat
Marieluise Beck
hat heute mächtig nachgelegt. Denn er geht davon aus, daß noch einmal 8 Milliarden DM als Kürzungsvolumen bei der Bundesanstalt für Arbeit zu finden seien, indem Leistungen dadurch gekürzt würden, daß die Bezugszeiten für Arbeitslosengeld von maximal 32 Monaten auf 12 Monate abgesenkt, die Absenkung des Arbeitslosengeldes in den ersten Wochen auf 50 Prozent der Leistungen vorgenommen und Karenztage eingeführt werden sollen.
Sie haben hier die Möglichkeit, eindeutig zu sagen, daß mit diesen Spielereien Schluß ist. Wenn Sie sich nicht klar verhalten, ist vollkommen klar, daß die Rummanipuliererei an der Bundesanstalt für Arbeit weiter vorangetrieben wird. Sie schaffen damit eine politische Situation im Land, die so stark in die Depression -
Ihre Redezeit ist zu Ende, Frau Kollegin.
- ja - und auch in die Wut über das, was hier in Bonn getrieben wird, geht, daß das politisch von fast niemandem mehr aufzufangen ist. Es ist dann wirklich Zeit, abzutreten, wenn Sie mit der Bevölkerung so ein Schindluder treiben.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Beck, wer mit wem hier Schindluder treibt, wollen wir jetzt einmal feststellen.
Sie haben die Aktuelle Stunde unter dem Titel „Haltung der Bundesregierung zu Äußerungen,ihrer Mitglieder über erneute Sparmaßnahmen bei den Sozialausgaben sowie Verschiebungen von Finanzmitteln zwischen den Sozialversicherungsträgern" beantragt. Ich stelle dazu fest: Diese Aktuelle Stunde ist völlig unbegründet, sie stellt eine Täuschung der Öffentlichkeit dar
- hören Sie doch einmal zu! -, und sie nimmt Sachverhalte zur Begründung, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Kein Mitglied der Bundesregierung hat Äußerungen zu Sparmaßnahmen bei den Sozialausgaben sowie zu Verschiebungen von Finanzmitteln zwischen den Sozialversicherungsträgern getan.
Sie sind hier den Beweis schuldig geblieben, wer das war und wann er das gesagt hat.
Sie beziehen sich offensichtlich auf das letzte Wochenende.
- Herr Schäuble ist kein Mitglied der Bundesregierung, Frau Beck. Das müßte auch Ihnen bekannt sein. Dann müssen Sie das Thema Ihrer Aktuellen Stunde anders formulieren.
Wir haben so etwas 1996 schon einmal erlebt. Wahrscheinlich liegt das bei Ihnen halbjährlich in der Mappe auf Wiedervorlage. Wenn man das hochrechnet, kommt diese Frage wahrscheinlich in der Gestalt des Nikolaus im Dezember wieder auf uns zu.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Eine Grundlage für weitere Erörterungen ist damit nicht vorhanden.
Vielen Dank.
Dann erteile ich das Wort jetzt dem Abgeordneten Ottmar Schreiner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was sich Staatssekretär Günther hier offenkundig im Namen der Bundesregierung erlaubt hat, spottet wirklich jeder Beschreibung und stellt einen offenen Affront gegen dieses Parlament dar.
Es ist wirklich die Frage, welche Rolle die hier nicht anwesenden CDU/CSU- und F.D.P.-Kollegen in diesem Parlament noch wahrnehmen wollen. Auch sie sind mit dem Auftrag gewählt worden, die Regierung zu kontrollieren und nicht irgendwo zu feiern, wenn die Regierung hier redet.
Das ist ein ganz miserables Parlamentsverständnis.
Sie lehnen das Thema der Aktuellen Stunde hier aus formalen Gründen ab, weil sich angeblich kein Mitglied der Bundesregierung in diesem Sinne geäußert hat. Ich zitiere Ihnen einmal aus der „Frankfurter Rundschau" von heute - ich könnte auch aus der „Berliner Zeitung" zitieren -, nach der der Vorsit-
Ottmar Schreiner
zende der CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Schäuble, gestern laut dpa erklärt hat:
Wir werden bei der Bundesanstalt für Arbeit keine Maßnahmen ergreifen, die die Arbeitsmarktlage in den neuen Ländern erschweren würden.
Und dann sagt er, bezogen auf die Diskussion um die neuen Kürzungen bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, dies sei - wörtliches Zitat Schäuble - „ziemlich unwahrscheinlich", nicht „unwahrscheinlich", sondern „ziemlich unwahrscheinlich". Man könnte genausogut sagen, es sei ziemlich wahrscheinlich.
Der Kollege Schäuble spricht zwar nicht für die Bundesregierung, aber er ist einer der wesentlichen Abgeordneten der Koalitionsfraktionen. Wenn der Kollege Schäuble sagt, weitere Kürzungen seien ziemlich unwahrscheinlich, dann zeugt es von einem unglaublich miesen Parlamentsverständnis, wenn die CDU/CSU-Fraktion augenscheinlich nicht in der Lage ist, hier mit einer angemessenen Präsenz über dieses Thema zu diskutieren.
Zur Sache selbst: Bei dieser Bundesregierung und bei diesen Koalitionsfraktionen ist man augenscheinlich vor nichts mehr sicher. Vor wenigen Monaten, am 6. November 1996, erklärte anläßlich einer Aktuellen Stunde zu fast dem gleichen Thema der Bundesarbeitsminister Blüm mit der von ihm gewohnten Großspurigkeit - wörtliches Zitat -: „Der Pflegeversicherung passiert nichts. " An den Gründen, die damals zu der Aussage von Herrn Blüm geführt haben, hat sich in der Tat überhaupt nichts geändert. Die Finanzdaten sind weiter ungesichert, und wir werden vermutlich noch einige Jahre brauchen, bis wir hier auf festem Boden sind. Das liegt in der objektiven Schwierigkeit, in der Natur der Sache.
Gleichwohl wird aus den Koalitionsfraktionen und aus Regierungskreisen heraus öffentlich diskutiert, ob man die Pflegeversicherung anzapfen könne. Nach dem mißlungenen Anschlag auf den Goldschatz ist das offenkundig der Versuch, den Tresor der Pflegekasse aufzuschweißen. Selbst wenn es dazu nicht käme: Der Schaden, den Sie erneut angerichtet haben, ist irreparabel. Sie zerstören das Vertrauen in die Solidität und die Seriosität der sozialen Sicherungssysteme mit fortgesetzten Diskussionen über finanzielle Transaktionen, finanzielle Manipulationen und Verschiebebahnhöfe zwischen den Sozialsystemen. Das ist der Kern dessen, was übrigbleibt, selbst wenn es zu keinen manipulativen Eingriffen in die Pflegeversicherung käme.
Noch irrer verhält es sich in bezug auf die Arbeitslosenversicherung. Die Kollegin Beck hat darauf hingewiesen.
Im übrigen sollte die F.D.P. wirklich schweigen, Herr Heinrich. Ihr Kollege Koppelin von der Bundestagsfraktion verbreitet in einer in Norddeutschland herausgegebenen Wochenzeitschrift
folgende Erklärung über Herrn Waigel. Er fragt, warum der Finanzminister Theo Waigel nun Griechisch lerne. Und Koppelin antwortet für die F.D.P.-Bundestagsfraktion: Weil er mit seinem finanzpolitischen Latein am Ende sei.
Ich betone: Das wird von der F.D.P.-Bundestagsfraktion verbreitet.
Das können Sie in der neuesten Ausgabe des „Sterns" nachlesen: Waigel mit seinem Latein am Ende. Die Erwiderung der F.D.P.-Bundestagsfraktion ist: Er lernt deshalb jetzt Griechisch. - Sie, Herr Kollege Heinrich, sollten also ganz bescheiden und friedlich bleiben. Ich sage Ihnen: Wenn es wirklich dazu käme, daß Sie für den Rest des Jahres die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und für Qualifizierungsmaßnahmen, die ohnehin viel zu dünn, viel zu gering sind, noch weiter kürzen, dann sollten Sie die Bundesanstalt für Arbeit wirklich abschaffen; so konsequent sollten Sie dann sein.
Ich bringe Ihnen zum Schluß ein Zitat von Herrn Jagoda aus dem Arbeitsmarktbericht für Mai dieses Jahres. Da heißt es, arbeitsmarktpolitische Instrumente stützten den Arbeitsmarkt in einem Umfang von gut einer Million. Dies seien 300 000 Personen weniger als vor einem Jahr. Ein Großteil des Anstiegs der Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr sei - so Jagoda - also auf eine Abnahme der Arbeitsmarktpolitik zurückzuführen.
Ja, meine Güte: 300 000 Arbeitslose mehr, weil Sie in dem einzigen Bereich, in dem Sie über die Politik unmittelbar die Höhe der Arbeitslosigkeit beeinflussen können, durch drastische Einschnitte zu einem weiteren dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit mit beigetragen haben. Wer von seiten der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen vor diesem Hintergrund noch einmal öffentlich darüber redet, wie man Arbeitslosigkeit bekämpfen könne, während man gleichzeitig nichts unterläßt, um die Arbeitslosigkeit zu erhöhen, der ist allerdings der größte Pharisäer und der größte Heuchler dieser Republik.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Herr Abgeordneter, bevor ich jetzt dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich feststellen: Wir sollten unser Parla-
Vizepräsidentin Michaela Geiger
ment nicht schlechter machen, als es ist. Die Kollegen sind selbstverständlich nicht beim Feiern.
Jetzt rufe ich den Abgeordneten Dr. Hermann Kues, CDU/CSU-Fraktion, auf.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das ist für mich jetzt eine etwas schwierige Situation.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt diese Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung über weitere Sparmaßnahmen nicht.
Deswegen sage ich auch, daß es mir etwas schwerfällt, die Rede, die ich vorbereitet habe, zu halten. Denn über etwas, was es nicht gibt, kann man ja schlecht reden; das muß man ja, glaube ich, ganz eindeutig so sehen.
Ich will aber zur Sache folgendes sagen - darüber müßten wir uns eigentlich auch einig sein -: Wir können noch so viel über Instrumente der Arbeitsmarktpolitik reden, das Wichtigste, was uns in den nächsten Wochen und Monaten gelingen muß, ist doch eine Investitions- und Innovationsoffensive, damit neue Arbeitsplätze entstehen. Wenn wir das nicht hinbekommen,
können Sie die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik erhöhen, wie Sie wollen; letztlich wird das nicht reichen.
Ich will noch ein Zweites sagen: Ich gehe davon aus, daß die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und für Fortbildung und Umschulung so, wie es geplant war, vom Haushaltsausschuß und den Haushältern der Bundesanstalt für Arbeit zugewiesen werden, damit auch die Arbeitsämter vor Ort planen können.
Ansonsten schlage ich vor, daß wir uns nicht an weiteren Spekulationen beteiligen, sondern daß auch Sie mithelfen, bei den notwendigen Strukturveränderungen voranzukommen. Ich meine, daß wir damit den Arbeitslosen den größten Dienst erweisen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Doris Barnett.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz so billig können wir es uns nicht machen, indem wir die Spekulationen, die der CDU-Wirtschaftsrat von sich gibt, einfach zur Seite schieben.
„Der Pflegeversicherung passiert nichts." Bei der Pflegeversicherung gibt es keine Defizithaftung des Bundes, deshalb ist ein Sicherheitspolster unverzichtbar. „Wir sind ja gemeinsam bestrebt, daß weder die Sozialhilfe noch die Kommunen, noch die Krankenversicherung die Pflegeversicherung als ihre Kasse ansehen, aus der sie sich bei Finanzschwierigkeiten bedienen können. " Diese Worte hörte ich wohl am 6. November 1996 von Herrn Minister Blüm. Allein, mir fehlt nicht nur der Glaube, sondern gänzlich das Vertrauen in das, was Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition und nicht nur von der Regierung, überhaupt noch sagen.
Es kümmert Sie überhaupt nicht, was Sie mit Ihren Manipulationsversuchen in der Bevölkerung anrichten. Sehenden Auges, mutwillig, vorsätzlich, willentlich zerstören Sie System nach System.
Wollte die Bundesregierung im November letzten Jahres noch der Pflegeversicherung Gelder vorenthalten, die die Arbeitslosen- und Rentenversicherung für die bei ihr Versicherten zu zahlen hatte -
- das stimmt doch -, will sie jetzt ganz dreist die angesparte Reserve der Pflegeversicherung für Haushaltslöcher nutzen. Das ist Enteignung der Versichertengemeinschaft.
- Ach, Herr Laumann, Sie brauchen sich doch nicht so aufzuregen. Lesen Sie doch einmal die Zeitung! Oder Ihre Leute halten nächstens den Mund und sagen nicht solchen Blödsinn.
Was Sie machen, ist genauso, als würde man zur Bank gehen und die Einlagen der Bürger herausfordern, denn die Bürger haben zufällig wie auch die Pflegeversicherung bei der Bank ihre Finanzreser-
Doris Barnett
ven. An die Rückstellungen der Energieversorgungsunternehmen gehen Sie ja auch schon heran. Die Bundesregierung hat kein Anrecht auf dieses Geld. Lassen Sie also Ihre Hände davon!
Zugegebenermaßen hat sich die F.D.P. im letzten Jahr schon etwas dezidierter geäußert, als sie sagte, daß in Zeiten schwierigster Lage öffentlicher Finanzen augenblickliche Überschüsse der Sozialkassen abgeräumt werden können, um einer Schuldenaufnahme vorzubeugen. Schon damals - und sicherlich auch heute - blieb der kleine Partner dieser Regierung die Antwort schuldig, ob er denn als Kehrseite der Aktion „Abräumen" für eine Beitragserhöhung der Pflegeversicherung plädiert.
Ich rufe Ihnen nur nochmals in Erinnerung: Die Pflegeversicherung erhält keine Bundeszuschüsse. Sie finanziert sich rein aus Beiträgen. Die rund 8 Milliarden DM Mittelbestand entsprechen drei Monatsausgaben; davon sind allein 1,5 Monatsausgaben gesetzlich vorgeschrieben, also 4 Milliarden DM sind gebunden. Die restlichen 4 Milliarden DM braucht die Pflegeversicherung dringend als Sicherheitspolster für die zu erwartende demographische Entwicklung. Mein Vorschlag: Lassen Sie doch die Finger vom Solidaritätszuschlag, dann haben wir schon einmal 7,5 Milliarden DM. Dann brauchen wir die 8 Milliarden DM von der Pflegeversicherung gar nicht.
Derzeit werden bei der Pflegeversicherung zunehmend Sachleistungen statt Pflegegeld in Anspruch genommen. Das wird sich zwar langsam, aber spürbar auf den Mittelbestand der Pflegekasse auswirken. Mit zunehmender Arbeitslosigkeit wird auch die Höhe der Beiträge zur Pflegekasse abnehmen. Das sind alles Gründe, die Hände vom Topf der Pflegeversicherung zu lassen, wollen Sie nicht eine baldige Beitragssteigerung gesetzlich regeln müssen. Machen Sie endlich eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik und lassen Sie die Pflege in Ruhe!
Diese Bundesregierung läßt nichts unversucht, mit Axt und Vorschlaghammer unsere sozialen Sicherungssysteme zu zertrümmern
und dann noch so zu tun, als erfolge das im Interesse der Bürger. Haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, vergessen, was Sie zu Beginn der Legislaturperiode geschworen haben? Sie wollten dem Wohle des Volkes dienen. Tatsächlich bringen Sie das Volk um sein Wohl.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben von der Bundesregierung gehört, daß von ihr keine entsprechenden Aussagen gemacht worden sind. Der Anlaß, hier eine Aktuelle Stunde zu inszenieren, ist mehr als fadenscheinig. Wenn sich Vertreter der SPD, Herr Kollege Schreiner, aufblasen und uns hier Dinge vorwerfen, die irgend jemand irgendwo gesagt hat,
und wenn Sie gleichzeitig die SPD so darstellen, als wäre sie in ihren Ländern nicht gezwungen, Sparmaßnahmen durchzuführen, dann muß ich Ihnen sagen - das kann ich nachweisen -: Herr Schröder und auch Frau Simonis müssen sparen.
Sie sparen im Sozialbereich und bei Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Lafontaine spart in seinem Land 13,6 Prozent im Sozialetat ein, in dem Land, aus dem Sie selbst kommen. Sie stilisieren hier allein diese Frage schon so hoch, als wäre es verboten, über Bereiche nachzudenken,
in denen man große Probleme hat, weil Sie nicht bereit sind, im Bundesrat die notwendigen Reformen mitzutragen. Sie blockieren im Bundesrat eine Summe von 11 Milliarden DM, weil Sie nur Steuergelder ausgeben können.
Sie sind überhaupt nicht in der Lage, sich an den Reformen konstruktiv zu beteiligen. Das ist das eigentliche Dilemma in diesem Staat.
Eine SPD, die zusammen mit den Grünen alles blockiert und verschleppt,
um den Haushalt zu konsolidieren, um die Verschuldung zu senken und um zugunsten von mehr Arbeitsplätzen etwas zu unternehmen, hat nicht das Recht, Aktuelle Stunden fadenscheinig zu beantragen und dann noch so jämmerliche Reden zu halten, die all das, was in den Ländern passiert, konterkarieren.
Es fehlen die Substanz und die Ernsthaftigkeit in Ihren Reden.
Die Erklärung in der heutigen Presse von den Sprechern der Grünen, Frau Müller und Herrn Fischer, ist klar und deutlich der Beweis dafür, was diese Opposition will. Sie will, daß in unserem Land der Wagen tief in den Dreck gefahren wird.
Ihre verfassungsmäßig zugewiesenen Aufgaben nehmen Sie im Bundesrat nicht wahr. Sie nehmen die
Ulrich Heinrich
hohe Arbeitslosigkeit in Kauf und sagen dann: Jetzt kommen wir. Diese Rechnung wird nicht aufgehen.
Wir werden entsprechende Maßnahmen unternehmen. Daran arbeiten wir.
Verlassen Sie sich darauf: Solche üblen Tricks - Falschaussagen und Unterstellungen -,
die Sie heute in dieser Aktuellen Stunde angewandt haben, werden wir auch in Zukunft in Ihrer Politik entlarven.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Heinrich, ich finde, dafür, daß so gut wie keiner aus Ihrer Koalition hier ist, spucken Sie bei diesem Thema ganz schön laute Töne.
- Ich habe gesagt: so gut wie niemand. Da muß man schon differenzieren.
Das eigentliche aktuelle Problem ist doch, daß jedes Wochenende neue Meldungen über Pläne von Sozialkürzungen kommen,
wodurch die Bevölkerung verunsichert wird. Das ist auch das Ziel.
Die Pläne sind eindeutig - das leuchtet auch in gewisser Hinsicht ein -: Die Pflegeversicherung hat durch einen Mangel an Leistungen einen Überschuß von 8 Milliarden DM erwirtschaftet. Das sind genau die 8 Milliarden DM, die Ihnen für die Bundesanstalt für Arbeit fehlen, weil da das Defizit inzwischen entstanden ist. Nun überlegen Sie, dies auszugleichen.
Dabei hat der Bundesminister hier versprochen, daß der Überschuß aus der Pflegeversicherung den Pflegeversicherten zugute kommt und nicht für andere Zwecke benutzt wird. An dieses Versprechen muß er sich halten.
Und dann kommt der Plan von der 2-MilliardenDM-Kürzung bei den ABM. - Es ist ja schön, wenn der Vertreter der Regierung hier sagt, das sei gar nicht gesagt worden. Ich weise aber auf folgendes
hin: Er hat nicht gesagt, daß es nicht geplant ist. Er hat nur gesagt, daß das nicht gesagt worden ist.
So etwas macht mich immer stutzig. Ich würde gerne durch den Vertreter der Bundesregierung hören, ob er eindeutig ausschließt, daß solche Maßnahmen durch diese Bundesregierung beschlossen werden. Das ist die Antwort, die wir hier verlangen können.
Es geht nicht darum, ob irgendwer irgendwelche Aussagen gemacht hat. Diese Antwort ist uns die Bundesregierung bisher schuldig geblieben. - Es war eine geschickte Formulierung - das räume ich gerne ein -, eine Formulierung, die alles offenläßt und nur zu weiterer Verunsicherung beiträgt.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch auf etwas anderes hinweisen. Sie sind doch in einer Sackgasse, aus der Sie in Wirklichkeit nicht mehr herauskommen. Deshalb ist es bei aller Kritik, die man hier auch an verschiedenen Oppositionsparteien üben kann, schon ein starkes Stück, wenn Sie sagen, das Ziel von Bündnis 90/Die Grünen und überhaupt der gesamten Opposition bestünde darin, den Wagen in den Dreck zu fahren, und zwar so tief wie möglich. Sie haben den Wagen in den Dreck gefahren. Jetzt ist der Wechsel erforderlich, um ihn Schritt für Schritt wieder herauszuholen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
- Ja, kommen wir einmal auf die neuen Bundesländer, zum Beispiel auf Sachsen-Anhalt zu sprechen, wo wir immerhin eine gewisse Rolle spielen.
Sie reden sich hier immer damit heraus, daß auch in den Ländern gekürzt wird. Aber Sie schaffen die steuerlichen Bedingungen dafür, daß die Länder immer stärker stranguliert und damit zu Kürzungen gezwungen werden.
Sich dann hier herauszureden bedeutet, den Kreislauf, der in dieser Bundesrepublik in Wirklichkeit stattfindet, umzudrehen.
Ich kenne die Finanzsituation von Sachsen-Anhalt ganz gut und weiß deshalb, welche Einsparungen dort erforderlich sind. Das aber sind zumindest überwiegend Vorgaben, die vom Bund kommen.
Sie wissen, wie Sie mit den Kommunen umgehen, und vieles andere mehr.
Dr. Gregor Gysi
Wer hat denn die Vermögensteuer abgeschafft? Das waren Sie, nicht die Bundesländer. Das möchte ich hier einmal klar sagen.
Dafür kann ich Ihnen noch andere Beispiele nennen.
Sie kommen immer auf die marode DDR zurück. Wie lange wollen Sie sich denn damit herausreden?
- Es ist ganz gut, welche Perspektive Sie mir geben. Immerhin gehen Sie selber davon aus, daß ich noch zehn Jahre hier bin. Darüber können wir schon diskutieren.
Aber etwas anderes: Sie wissen ganz genau, welche Fehlentscheidungen getroffen worden sind. Ich habe Ihnen das letzte Mal erklärt, wie Sie mit den Mitteln umgegangen sind, die in den Osten geflossen sind, wohin sie gelangt sind und welche Fehlentscheidungen Sie getroffen haben. Es ist wahr, daß viel Aufbauhilfe nötig war. Es ist aber ebenso wahr, daß Sie die Mittel dort in großem Umfang verschleudert haben. Was viel schlimmer ist: Sie haben normale Zuwendungen an die neuen wie an die alten Bundesländer nur den neuen Ländern als Transfer vorgerechnet und sie damit noch immer wie Ausland behandelt.
Eine weitere Bemerkung, die mich in diesem Zusammenhang wirklich beschäftigt, zu der Sackgasse, in der Sie sich befinden. Diese Partei hier ist eine Fünf-Prozent-Partei. Sie hat sich jetzt auf eine ganz bestimmte Klientel festgelegt.
- Gleich. - Sie haben den libertären Teil Ihrer Politik völlig abgeschafft. Sie sind eine reine marktradikale, neoliberale Partei.
Das hat zur Folge, Frau Babel, daß Sie nur die Möglichkeit haben, als Steuersenkungspartei aufzutreten,
Ihre Politik auf den Solidarzuschlag auszurichten
und jede Sozialeinschränkung hinzunehmen,
Hauptsache, Ihr Ruf wird gegenüber Ihrer Klientel nicht beeinträchtigt.
Diese beiden Parteien dort sind in einer anderen Situation. Sie wollen zwar dieselbe Strategie, aber es handelt sich hier immerhin um 40-Prozent-Parteien. Sie müssen andere Rücksichten nehmen. Deshalb sind sie auch gelegentlich bereit, den Rückwärtsgang einzulegen. Sie sind gelegentlich bereit, eine Korrektur der neoliberalen Strategie vorzunehmen.
Genau das aber können Sie aus existentiellen Gründen nicht zulassen.
Dann haben Sie sich auch noch beim Euro völlig verrannt. Daher kommt Ihr Stillstand; das ist das Problem dieser Bundesrepublik Deutschland. Wenn Sie Ihren Stillstand wiederum zu Lasten der Arbeitslosen und der sozial Schwachen zu lösen versuchen, dann - das sage ich Ihnen - war das Ihre letzte Entscheidung als Regierung in diesem Lande.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Andrea Fischer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Babel, Sie werden sich wundern, wie ich schimpfen kann. Ich bin nämlich stocksauer. Ich finde es einfach unglaublich, daß Sie hier behaupten, wir würden mit Tricks eine Debatte inszenieren. Wozu sind wir denn hier im Parlament? Sie äußern sich öffentlich zu diesem Problem, und dann sagt der Kollege Heinrich: Man wird ja wohl noch einmal darüber nachdenken dürfen! - Sie dürfen nachdenken, aber dann müssen Sie mit uns auch in diesem Hause darüber diskutieren und dürfen nicht behaupten, wir inszenierten Debatten.
Denken Sie über alles Mögliche nach, aber ersparen Sie uns und der Bevölkerung dieses ständige Hü und Hott.
- Mit Verlaub: Wer berät denn alle zwei Tage in einer Koalitionsrunde, um Krisengespräche zu führen, die dann wieder ohne Ergebnis enden? Anschließend hören wir wieder, daß der eine Steuererhöhungen befürwortet, der andere sie ausschließt, daß der eine den Euro verschieben will, der andere auf die Kriterien verweist. Das ist beliebig austauschbar. Glauben Sie eigentlich, daß Ihnen bei diesem verdammten Theater noch irgendeiner folgen kann? Glauben Sie,
Andrea Fischer
daß es in dieser Form noch interessiert? Wir würden von Ihnen wirklich gerne wissen, wie Sie rauskommen wollen aus dem Mist, in den Sie das Land gebracht haben. Da sind Sie offensichtlich völlig ratlos.
Jetzt retten Sie sich in Arroganz. Warum ist man arrogant? - Entweder glaubt man, man sei absolut auf der Gewinnerstraße - das können selbst Sie im Moment nicht annehmen -, oder man hat jede Souveränität verloren, und es treibt einen die nackte Angst und Verzweiflung um. Die Art und Weise, wie Sie mit unserem Begehren, darüber zu reden, umgehen, belegt das.
Sie ziehen sich auf Formalkram zurück und diskutieren die Frage, ob es wirklich Mitglieder der Bundesregierung gewesen sind, die sich dazu geäußert haben. Mit Verlaub: Immerhin haben der Kollege Geißler, die Kollegin Babel, der Kollege Schäuble Veranlassung gesehen,
diese Äußerungen zu dementieren.
Sehen die Gespenster, haben die Halluzinationen, oder warum reden die darüber? Sie können uns hier doch nicht für dumm verkaufen. Worüber haben Sie gestern in Berlin geredet? - Es ist auch okay, daß Sie darüber geredet haben. Aber geben Sie es zu, gehen Sie geradeaus.
Sie haben entgegnet, in den Ländern würden wir doch auch sparen. Ja, aber wenn wir es tun, dann stellen wir uns der Debatte.
Sie verweigern uns hier die Debatte. Das ist der Skandal.
Ich nehme nicht an, daß der Kollege Schäuble, die Kollegin Babel, der Kollege Geißler sich zu den Fragen betreffend die Pflegeversicherung, die Bundesanstalt für Arbeit geäußert haben, weil sie nachts wilde Träume haben. Aus den Reihen der Opposition kamen diese Vorschläge eindeutig nicht. Ich glaube, das können wir an der Presselage der letzten Tage deutlich belegen.
- Herr Kollege Heinrich, wer an diesem Stand seines Regierungsmißlingens angekommen ist - Sie wissen, von „Kunst" ist da nicht mehr zu reden -, sollte sich diese Überheblichkeit schenken. Wir wollen mit Ihnen darüber reden.
Wir haben die Debatte über die Sozialversicherungsbeiträge tausendmal geführt - die Kollegen haben eben schon darauf verwiesen -: Es ist erst ein Jahr her, seit wir eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema hatten. Trotzdem haben Sie wie die verfolgte Unschuld getan: Wir sollen über die Pflegeversicherung geredet haben? Niemals, das kann gar nicht sein, das muß alles ein Irrtum gewesen sein. - Wollen Sie denn behaupten, daß die Medien alle nur Unsinn in die Welt setzen, daß das überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was Sie tatsächlich gesagt haben?
Daß wir auf die Vorschläge zu Lasten der Sozialversicherungsbeiträge so angespitzt reagieren, hat natürlich auch damit zu tun, daß dieses Thema seit 1990 eine Geschichte hat. Wir können Ihnen rauf und runter beten - ich habe das aus dem Computer geholt; wir nehmen das bei jeder Aktuellen Stunde zu diesem Thema und auch bei anderer Gelegenheit auf Wiedervorlage -, wie Sie seit 1990 die Sozialversicherungsbeiträge munter zwischen den verschiedenen Kassen verschoben haben.
Wenn Sie bei der Arbeitslosenversicherung Geld brauchten, haben Sie das von der Rente genommen. Hinterher haben Sie gesagt: Verflixt, jetzt sind die Rentenbeiträge so hoch, das haben wir nicht gewollt. Dann müssen wir bei der Rente kürzen.
Sie wissen doch ganz genau, was es bedeutet, wenn Sie das die ganze Zeit zwischen den verschiedenen Töpfen verschieben: Wir haben es mit einem Nullsummenspiel zu tun. Mit Blick auf die Pflegeversicherung muß man darauf verweisen - die Kollegen von der SPD haben das schon getan -, daß es eine Vereinbarung gab: Erstens ist per Gesetz eine Reserve festgelegt,
und zweitens geht es darum, ob man die Mittel, die über die gesetzlich festgelegte Reserve hinaus aufgelaufen sind, mal so eben, weil man in ärgster Bedrängnis ist, verpulvert.
Übrigens, meine Damen und Herren von der Koalition: Die Rücklagen der Pflegeversicherung wirken sich günstig auf die Einhaltung der Maastricht-Kriterien aus. Von daher würde ich Ihnen raten, nicht vor der Zeit an diese Rücklagen zu gehen. Für den Fall, daß Ihnen das in Ihrem Chaos entgangen sein sollte, wollte ich Sie darauf nur noch mal hinweisen.
- Nein, ich gehe einfach ein bißchen vorsichtiger mit dem Geld der Sozialversicherten um.
Ich habe wirklich den Eindruck, daß es einen guten Grund gibt, warum die Leute inzwischen einen solchen Zorn auf ihre hohe Abgabenbelastung haben. Wir wollen von all den ökonomischen Fragen und dem, was das mit der Arbeitslosigkeit zu tun hat, gar nicht reden. Niemand hat mehr den Eindruck, daß er seine Steuern und auch seine Sozialversicherungsbeiträge in Töpfe gibt, wo er sie gut aufgehoben, gut verwaltet und politisch richtig eingesetzt weiß. Das ist die wirkliche Gefahr hinter all dem, was
Andrea Fischer
Sie uns die ganze Zeit an öffentlichen Debatten und an Querelen zumuten.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Franz Thönnes.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon bezeichnend, wenn hier geäußert wird, die Bundesregierung habe dazu nichts gesagt. Wenn man „Die Welt" von heute, vom 11. Juni, aufschlägt, kann man lesen:
„Das sind Vorschläge, die offenbar aus der Koalition eingebracht werden, und die prüfe ich", sagte Waigel.
Gleichzeitig betonte der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe der Union im Bundestag, Wolfgang Vogt, in der Montagausgabe der „Neuen Osnabrükker Zeitung":
Sollten solche Spar- "Überlegungen" von Bundesfinanzminister Theo Waigel tatsächlich Teil der Haushaltskonsolidierung werden, könne er sich nicht vorstellen, daß die Abgeordneten der CDU/CSU-Arbeitnehmergruppe „einem solchen Unsinn zustimmen" .
Es gibt offensichtlich genügend Anlaß, hier ernsthaft darüber zu diskutieren.
Die Beschwichtigungen, von denen wir heute in den Zeitungen lesen, diese Aktuelle Stunde sei angeblich überflüssig, weil Herr Schäuble und Frau Babel sagen: „Das wollen wir alles gar nicht", beweisen nichts anderes, als daß Sie hier verzweifelt versuchen zurückzurudern. Andere wie Herr Murmann legen noch einen drauf. Auch Herr Repnik schiebt noch einen hinterher und sagt, daß man bei ABM und bei Umschulung eigentlich noch 2- Milliarden DM streichen könne. So steht es im „Handelsblatt" vom 10. Juni. All das, was Sie machen, Frau Babel und Herr Schäuble, ist unglaubwürdig.
Heiner Geißler hat diese Unglaubwürdigkeit bereits im August 1996 sozusagen vorgegeben. Er hat gesagt, die Lösung liege nicht in der weiteren Kürzung der Sozialleistungen, sondern in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Was haben Sie gemacht? Ihnen glaubt doch keiner mehr.
Man schaue sich nur das Arbeitsförderungsgesetz an. Man sieht ganz deutlich, wie weiter gekürzt worden ist, wie das Arbeitslosengeld verschlechtert wurde, wie bei den ABM gekürzt worden ist, wie bei den Zuschüssen für ABM gekürzt worden ist, wie die Umwandlung von Anspruchsleistungen in Ermessensleistungen erfolgt ist - und dies alles kontraproduktiv zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen; denn die Arbeitslosigkeit hat sich dadurch wesentlich erhöht.
Ihnen schenkt keiner mehr Glauben. Sie wollten Arbeit schaffen - die Arbeitslosigkeit steigt. Sie wollten Steuern senken -17 Steuererhöhungen haben
Sie mittlerweile gemacht. Sie wollten Sozialabgaben reduzieren - die sind mittlerweile auf einem Rekordniveau. Sie wollten die Arbeitnehmer entlasten - die Sonntags-, Nacht- und Feiertagszuschläge der Schichtarbeiter wollen Sie zusätzlich besteuern. Die Renten wollten Sie sichern - das Niveau wollen Sie senken.
Sie sind unglaubwürdig geworden in diesem Lande.
Die Menschen merken das langsam. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitslosen kommen zunehmend unter die Westerwelle. Pastor Hintze gibt auch noch seinen Segen dazu.
Im „Handelsblatt" vom 10. Juni steht das ganz deutlich:
Auf welche Weise CDU/CSU und F.D.P. aus dem Kladderadatsch herauskommen wollen, ist weiterhin offen. Wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen gackern die Koalitionäre über höhere Schulden, raschere und umfangreichere Verkäufe von Liegenschaften, weitere Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen.
Eigentlich müßte Landwirtschaftsminister Borchert Ihr Kanzlerkandidat werden. Das ist ein Hühnerhaufen. Das stellen auch andere fest.
In der „Neuen Osnabrücker Zeitung" sagt Pastor Hintze auf einmal:
Soziale Sensibilität und sozialer Frieden sind in der CDU wichtige Güter. In unseren Reihen gibt es mehrere Tony Blairs. Ich denke etwa an Christian Wulff.
Genau der gleiche Christian Wulff sagt am 11. Juni - ddp-Meldung -:
Da haben einige in Bonn große strategische Fehler begangen. CDU-Politiker wie Ludwig Erhard würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie die momentane Finanzdiskussion miterleben würden.
Hühnerhaufen auf allen Ebenen.
Heiner Geißler hat am 4. Juni in der „Berliner Morgenpost" deutlich nach den Wahlergebnissen in Großbritannien und in Frankreich gesagt:
Die beiden Wahlen müssen daher ein Warnsignal für die CDU sein, die Entscheidungen nicht so zu treffen, als ob die Ausgrenzung von Millionen von Menschen uns egal sei, sonst würden auch wir dafür einen hohen Preis zahlen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Machen Sie weiter so. Die Menschen werden das nicht vergessen. Sie werden Ihre Quittung dafür erhalten, und die Quittung wird am Wahlabend schlichtweg heißen: Für diese Regierung wird es kein Schlechtwettergeld, keinen
Franz Thönnes
Kündigungsschutz und keine Lohnfortzahlung im Versagerfall geben, sondern die fristlose Kündigung.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Büttner.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Sie hier so lustig über ein Thema lachen, über das sich die Arbeitslosen und andere, die in unserem Land in Sorge sind, Gedanken machen!
- Das ist genau das Thema, um das es hier geht, weil Sie der Diskussion um die Frage, wie dieses Land die Zahl der Arbeitslosen senken kann, ausweichen, weil Sie seit Jahren eine Politik betreiben, die nur davon ausgeht, den Haushalt zu konsolidieren, statt eine Politik zu betreiben, die die Wirtschaft und die Nachfrage steigert und unser Land innovativ nach vorn bringt, weil Sie eine völlig ideologiefixierte Politik, die nur auf die Angebotstheorie gesetzt hat, die vom Ansatz her nachdenkenswert war, aber die durch Sie zur Ideologie verkommen ist, betrieben haben.
- Das ist der Unterschied zwischen Blair und Ihnen: Blair denkt über Ansätze nach, und Sie halten ideologisch an der Angebotstheorie fest.
Das ist die Ursache der Misere, die wir jedes Jahr im Haushalt haben.
- Das weiß ich besser als Sie.
- Reden Sie doch nicht einen solchen Unsinn, Herr Feilcke. Denken Sie lieber auch in diesem Haus ein bißchen darüber nach, wie Sie durch Ihre Angebotsideologie in die Misere hineingesteuert sind.
Sie stehen jedes Jahr vor der gleichen Situation: Bei jeder Haushaltsberatung schielen Sie nur auf Haushaltskonsolidierung und erhöhen dadurch die Arbeitslosigkeit. Das Schlechtwettergeld ist ein Beispiel dafür, die Rente ein zweites. Bei der Pflegeversicherung machen Sie nun den dritten Versuch, nur
aus Haushaltsgesichtspunkten Verschiebungen zwischen Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung vorzunehmen, und zwar deshalb, weil Sie den Bundeszuschuß zur Rentenversicherung nicht steigern wollen. Sie wollen die Öffentlichkeit irreführen, die die Zusammenhänge nicht erkennt. Das Ergebnis sind höhere Arbeitslosenzahlen, schlechtere Wirtschaftsleistung, geringere Steuereinnahmen und eine Abschiebung der Kosten dieser Politik auf die Länder und Gemeinden.
Heute ist die jüngste Zahl des Statistischen Bundesamts herausgekommen, die besagt, daß die Sozialhilfeleistungen den höchsten Satz erreicht haben. Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik der zunehmenden Dauerarbeitslosigkeit, die Sie auf die Kommunen und Länder abschieben. Nachdem Sie die Länder durch Ihre Politik in diese Lage gebracht haben, ist es eine Heuchelei und Unverschämtheit sondergleichen, sich hier hinzustellen und zu sagen, die Länder müßten auch so handeln. Diese Unverschämtheit müssen wir schärfstens zurückweisen.
- Ja, das sind harte Worte, aber sie sind auch gerecht.
Manchmal ist es in diesem Haus notwendig, härtere Worte zu gebrauchen. Das ist deswegen notwendig, weil Sie selbst nicht mehr bereit sind, Politik nach Zielvorstellungen und Ideen zu betreiben, sondern nur noch nach Ideologien. Sie sind nicht mehr bereit, den staatlichen Zusammenhalt zu organisieren, sondern Sie sind nur noch am Machterhalt interessiert. Das ist die Politik, die Sie seit Jahren betreiben und von der Sie nicht loskommen werden, weil Ihnen längst die Luft für Konzepte ausgegangen ist.
Jedes Ihrer Konzepte, die Sie in den letzten Tagen vorgetragen haben, ist ein Schritt hin zu mehr Arbeitslosigkeit, ein Schritt hin zu weniger Wachstum, ein Schritt hin zu wirtschaftlicher Schwäche und ein Schritt hin zu weniger Innovation.
- Das sagen sehr viele Sachverständige, zum Beispiel das DIW, das Ifo und eine ganze Reihe mehr. Die Sachverständigen, auf die Sie sich stützen, sind inzwischen selbst Ideologen ihrer eigenen Propaganda geworden.
- Das unterstelle ich denen auch; ich weiß es nämlich besser als Sie. Das sage ich in aller Deutlichkeit und lasse mich nicht auf Spielereien, wie Sie sie betreiben, ein.
Ein letzter Satz: Ich möchte Sie im Interesse unserer Bürger im Lande bitten - das haben meine Kollegen schon getan -: Lassen Sie diese Spielereien und Tricksereien! Machen Sie endlich den Weg für Neuwahlen frei - das ist das Beste, weil Sie mehr nicht
Hans Büttner
mehr können - oder kehren Sie zu einer Politik zurück, bei der Sie sich zunächst einmal überlegen, welche Zielsetzungen sie verfolgen soll und welche Maßnahmen notwendig sind, und sich erst danach überlegen, wie Sie sie finanzieren können. Setzen Sie nicht den Weg fort, den Sie bis jetzt gegangen sind: von der Finanzsituation ausgehend, in die Sie sich selbst hineinmanövriert haben, die Politik zu formulieren. Das führt immer mehr in die Sackgasse. Das ist ein Weg ins Chaos, und diesen Weg kann sich unser Land nicht länger leisten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Damit sind wir auch am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 12. Juni 1997, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.