Rede von
Dr.
Norbert
Wieczorek
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein bißchen merkwürdig ist diese Debatte schon. Es geht schließlich um zwei Themen in Amsterdam. Das eine Thema behandelt den Vertrag, und das andere behandelt das, was für die Einführung der Währungsunion getan werden muß. Ich habe den Eindruck, daß in einigen Reden diese Themen sehr vermischt worden sind. Deswegen möchte ich hier zu dem Thema Währungsunion etwas sagen.
Ich möchte klar sagen: Es ist richtig, in Amsterdam das EWS II zu verabschieden. Ich glaube, es kann noch sehr nützlich werden. Es ist richtig, für die EWU die Rechtsvoraussetzungen zu schaffen. Es ist richtig, den Stabilitätspakt abzuschließen. In diesem Zusammenhang fällt mir natürlich schon die Verbindung zum Vertrag auf, denn die Bewegungen zum Thema Beschäftigungskapitel, die jetzt von der Regierung angedeutet werden, haben etwas damit zu tun, daß die neue französische Regierung ihrerseits sagt, zum Stabilitätspakt gehöre noch etwas dazu.
Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen, daß wir den Stabilitätspakt unterstützen. Ich will Ihnen sagen, warum. Wir tun dies, weil wir nicht nur daran denken, wie man eine Währungsunion herbeiführt, sondern weil wir auch daran denken, wie man sie anschließend verwirklichen kann. Dazu gehört, daß die neue Zentralbank nicht in einem Dauerkonflikt mit den einzelnen Regierungen liegt, die ihre eigene Fiskalpolitik und ihre eigene Wirtschaftspolitik machen. Es muß vielmehr ein Korridor geschaffen werden. Deswegen ist das Kriterium von drei Prozent an dieser Stelle wichtig, damit es nicht zu einem Dauerkonflikt kommt; denn wenn er kommt, dann kann es
Dr. Norbert Wieczorek
sehr schnell zu einem Brechen der Währungsunion kommen. Ich möchte von Herrn Kinkel irgendwann einmal hören, daß er sich auch darüber einmal Gedanken macht und nicht nur darüber, wie er ganz schnell seine Währungsunion bekommt.
Ich sage das, um nicht mißverstanden zu werden. Ich sage das nicht, weil ich dagegen bin. Ganz im Gegenteil: Ich bin dafür, daß wir uns auf die Situation im Anschluß konzentrieren. Dazu gehören die von mir gemachten Überlegungen. Deswegen bin ich froh, daß die französische Regierung das noch einmal angesprochen hat, nachdem klar ist, daß sie den Text des Stabilitätspaktes nicht anzweifelt - das wurde mir vorhin noch einmal versichert - und daß sie zusätzlich ernsthafte Absprachen über Beschäftigungspolitik haben will.
Das ist der zweite Punkt. Wir brauchen hier und heute dringend Beschäftigungspolitik. Herr Müller, da nutzt es überhaupt nichts, zu sagen, es stehe alles im Vertrag. Es ist nichts umgesetzt worden; das ist doch das Entscheidende.
Es ist geschlampt worden. Ich erinnere mich daran, daß ich vor anderthalb oder zwei Jahren zum Bundeskanzler gesagt habe: Wenn Sie diese Beschäftigungspolitik weitermachen, dann wird Deutschland die größten Schwierigkeiten mit der Erfüllung der Kriterien bekommen. Wo stehen wir denn heute? Wir stehen genau an der Stelle, Herr Bundeskanzler.
- Herr Bundeskanzler, dazu komme ich gleich noch.
Ein weiterer Punkt ist mindestens genauso wichtig. Wenn wir eine Währungsunion ohne eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik haben, dann wird die Währungsunion an dieser Stelle zerbrechen können.
Ich sage Ihnen wie schon in der Ausschußsitzung sehr deutlich: Hören Sie auf, zu sagen, es gehe hier um finanzierte Beschäftigungsprogramme.
Wir haben doch bei der EIB wirklich genügend Geld. Ich finde es allerdings pikant, daß Herr Waigel die EIB aushöhlen will, indem er sich von ihr Kapital zurückholen will. Dafür habe ich wenig Verständnis.
Es gibt einen ganz entscheidenden Punkt, warum die Aufgabe der Koordination der Wirtschaftspolitik so in den Vertrag oder in zusätzliche Absprachen hineingehört, daß sie funktioniert. Ich bin dafür, daß es ein Initiativrecht in bezug auf die Koordinierung für die Kommission geben muß. Wir sind bald in einer Situation, daß wir die Währungsunion haben, aber daß einzelne Regionen nicht mithalten können. Dann haben wir aber keinen Wechselkursmechanismus mehr, um dieses Ungleichgewicht auszugleichen.
- Ja, Herr Kollege Haussmann, das wissen Sie so gut wie ich. Was passiert dann? Dann werden Arbeitsmarkt, Beschäftigung, Einkommen und Soziales betroffen sein. Eines müssen wir doch wohl verhindern, daß dann jede dieser Regionen - das mag ein ganzer Staat oder ein Staat für eine Region sein - eine „beggar my neighbour-policy" macht, wenn es nicht einen gemeinschaftlichen Ansatz gibt. Wir müssen wie in der Steuerpolitik jetzt endlich anfangen, den Trend zu korrigieren, daß sich die Schraube nach unten dreht. Das muß verhindert werden. Deswegen brauchen wir einen gemeinschaftlichen Ansatz. Das ist für mich konstitutiv für das dauerhafte Funktionieren der Währungsunion.
Deshalb empfehle ich Ihnen sehr, diesen Ball der Franzosen aufzunehmen und an der Stelle etwas Gescheites in den Vertrag hineinzuschreiben. Sie haben sich der Lächerlichkeit ausgesetzt, als Sie aus dem Entwurf der niederländischen Regierung alles herausstreichen wollten. Das ist genau der falsche Weg. Ich empfehle Ihnen eine Kehrtwende und genau diese Vorschläge in den Vertrag hineinzuschreiben.
Wir reden nicht über finanzierte Beschäftigungsprogramme.
Das ist nicht der Punkt. Es geht um diese Ansätze. Wenn Sie sie versäumen, können Sie das Funktionieren der Währungsunion gefährden.
Jetzt will ich noch etwas zu Herrn Blair sagen, Herr Müller. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich die Rede gehört. Ich habe mit Herrn Blair gesprochen. So begabt sind wir schon lange: Wir sind für Flexibilisierung mit sozialer Gerechtigkeit. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Herrn Blair und uns.
- Gucken Sie sich doch an, was die Gewerkschaften in den Betrieben gemacht haben. Hätte der Bundeskanzler nach der Wahl im März 1996, nachdem die F.D.P. gerettet war, nicht den groben Fehler gemacht, die Tür zuzuschlagen, wären wir bei vielen Reformen in der Bundesrepublik längst viel weiter. Das war doch der eigentliche Fehler des Bundeskanzlers. Machen Sie sich doch nichts vor!
Herr Blair sagt zum Beispiel: Wir müssen dringend in die Ausbildung investieren. Deswegen will er eine Umlage einführen. A la bonne heure! Bitte schön.
Wo sind denn eigentlich die großen Unterschiede? Wir haben schon längst einiges in den Programmen drin, was die Labour Party erst nachgeholt hat. Ich
Dr. Norbert Wieczorek
will ihr das nicht vorwerfen. Nur, Sie werden feststellen, daß es da eine sehr viel engere Zusammenarbeit geben wird, als es Ihrer gegenwärtigen Vorstellung entspricht. Das garantiere ich Ihnen auch für das Kapitel Beschäftigungspolitik. Sie hätten einmal hören müssen, was Gordon Brown am Montag im EcofinRat vorgetragen hat. Vielleicht nehmen Sie das einmal zur Kenntnis.
Ich will noch etwas zu der gespenstischen Debatte über Kriterien und Zeitplan sagen. Lassen Sie mich daran erinnern, was wir selbst hier beschlossen haben und was uns das Bundesverfassungsgericht aufgetragen hat. Ich lese nur einen Absatz aus der Entschließung des Bundestages vom 7. Februar 1992 vor. Unter Ziffer 3 steht:
Dabei werden beim Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion die Stabilitätskriterien eng und strikt auszulegen sein. Die Entscheidung für den Übergang zur dritten Stufe kann nur auf der Grundlage erwiesener Stabilität, des Gleichlaufs bei den wirtschaftlichen Grunddaten und erwiesener und dauerhafter haushalts- und finanzpolitischer Solidität der teilnehmenden Mitgliedstaaten getroffen werden. Sie darf sich nicht an Opportunitätsgesichtspunkten, sondern muß sich an den realen ökonomischen Gegebenheiten orientieren.
Dies könnte ich fortführen.
Aber was sind die realen ökonomischen Gegebenheiten? Das ist nämlich genau die Beschäftigung. Das, was Sie gemacht haben, ist eine verfehlte Politik. Sie hat erstens dazu geführt, daß wir nicht nur hohe Arbeitslosigkeit, sondern zugleich eine niedrigere Beschäftigung haben. Wir haben nämlich weniger Beschäftigungsverhältnisse. Zweitens haben wir ruinierte Haushalte. Das ist das Ergebnis.
Deswegen frage ich mich, was diese künstliche Debatte soll. Wir haben gesagt: Es gibt eine strenge Interpretation. Aber da ist der Herr Waigel, der sagt: 3,0 Prozent. Graf Lambsdorff ist jetzt bei 3,3 Prozent gelandet. Andere reden gar nicht mehr darüber. -Was gilt nun eigentlich?
Zum Zeitplan sagt Herr Kohl gerade heute wieder, nachdem es eine Pressemeldung gegeben hat, daß man den Eintritt vielleicht doch um ein Jahr verschieben wolle,
natürlich nichts. Vor kurzer Zeit hat er gesagt, er mache seine politische Zukunft von der pünktlichen Einführung des Euro ab.
Das alles ist doch gar nicht das Problem. Das Problem ist doch schlicht und einfach, daß Sie mit der Politik, die Sie im Moment vorführen, Zweifel daran säen, was nun gilt. Gilt der Zeitplan, oder gilt die Erfüllung der Kriterien, so wie wir es beschlossen haben? Das ist doch der Punkt. Im Moment erfüllen Sie die Kriterien nicht. Das Theater, das Sie um die Haushalte 1997 und 1998 vorführen, und das dauernde Verschließen der Augen vor der Realität der Haushaltswirklichkeit haben doch in Wirklichkeit die Debatte mit sich gebracht. Es ist doch gar nicht klar, ob die Kriterien erfüllt werden.
Sagen Sie endlich, was für Sie gilt. Gilt der Zeitplan? Gelten die Kriterien? Wenn das, was wir immer sagen, richtig ist, daß nämlich beides vertragsgerecht gilt, dann sind Sie bei der Erfüllung der Kriterien gefordert, eine Politik vorzuweisen, die das glaubwürdig macht. Dies ist der entscheidende Punkt.
- Herr Kollege Haussmann, wenn Sie einen Zwischenruf machen wollen, dann so, daß ich ihn verstehe.
- Herr Haussmann, das ist schön und gut. Es geht immer um die Rolle im Bundesrat. Es kann doch wohl nicht im Ernst Ihr Glaube sein, daß Sie etwas auf einem falschen Weg beschließen, der uns in diesen Schlamassel geführt hat, und noch eines draufsetzen, dann aber von uns verlangen, wir sollten dem zustimmen. Wenn wir das nicht täten, praktizierten wir Blockade.
Da muß ich Sie fragen: Warum kommen Sie bei dieser Haushaltslage auf die, wie ich sage, schwachsinnige Idee, die Vermögensteuer für Private abzuschaffen. Erklären Sie das doch einmal jemandem!
Das ist doch genau der Punkt.
Deswegen haben Sie bei der Erfüllung der Kriterien die Bringschuld. Machen Sie es so, daß es glaubwürdig ist, nicht à la Goldfinger, wie der Kollege Waigel das machen wollte, nicht mit kreativer Buchführung, die wir übrigens zu Recht gemeinsam - ich kann das gerade aus meiner Stellung sehr deutlich sagen - bei anderen kritisiert haben. Und dann wählt die Bundesregierung selber einen solchen Ansatz. Dies führt doch nicht zu Vertrauen in den Märkten. Dies führt auch nicht zu Vertrauen bei der Bevölkerung. Es macht, im Gegenteil, das Mißtrauen gegenüber der Politik in der Bevölkerung größer. Das ist das, was Sie erreicht haben.
Deswegen fordere ich Sie auf: Kommen Sie her und sagen Sie uns, wie Ihre Politik zur Erfüllung der Kriterien aussieht! Machen Sie eine Politik, die eine Kehrtwende in bezug auf die Beschäftigung macht. Nur so wird es gelingen.
Beeilen Sie sich sehr damit! Wenn Sie sich nämlich nicht sehr beeilen, dann haben Sie über die Zeit strecke überhaupt keine Chance mehr, zu einem gescheiten Ergebnis zu kommen. Was ist denn im nächsten Jahr, wenn Sie es nicht schaffen? - Ich muß Sie
Dr. Norbert Wieczorek
daran erinnern, daß Sie das vertreten müssen; denn eine solche Situation ist dann durch Ihre Politik eingetreten. Oder ist Ihnen egal, was aus der gemeinsamen Währung wird?
Herr Kinkel, Sie haben völlig recht - das sage ich mit allem Ernst -, eine Verschiebung bringt erhebliche Probleme mit sich. Ob sie so groß sind, wie Sie geschildert haben, mag man ja diskutieren.
- Ich sage gleich noch etwas dazu, Helmut Haussmann.
Eine Währungsunion, die nicht solide anfängt, die nicht genügend Vertrauen in der Bevölkerung, in den Märkten hat, führt ebenfalls zu erheblichen Problemen. Bei fehlender Beschäftigungspolitik, bei fehlenden Absprachen über Sozialpolitik in Europa birgt sie die Gefahr des Scheiterns. Diesen GAU der Europapolitik möchte ich nicht erleben. Deshalb gilt es für uns alle, eine ordentliche Währungsunion zu beginnen, so wie immer gemeinsam beschlossen. Es liegt an Ihnen, dafür die Voraussetzungen zu schaffen.
Kollege Helmut Haussmann, Sie haben Hannover, also den Kollegen Gerhard Schröder, angesprochen.
Der Kollege Gerhard Schröder hat der Formulierung, die wir bewußt gewählt haben, immer zugestimmt - das ist auch seine Haltung -: Vertragsgerechte Erfüllung der Kriterien und des Zeitplans!
Daß er die Situation diskutiert - in anderer Form, als ich das machen würde - angesichts Ihrer Politik, angesichts des jetzigen und des zu erwartenden Haushalts, angesichts der Tatsache, daß es immer hin und her geht, ist legitim.
- Nein, da wird nicht gespielt.
Wer hat denn das verursacht? - Der Kollege Waigel, der die Augen verschlossen hat vor den Zahlen: Er hat 1995 ein Defizit von 3,5 Prozent, 1996 ein solches von 3,9 Prozent erwirtschaftet,
und es pfeifen doch die Spatzen von den Dächern - obwohl das Jahr noch nicht zu Ende ist -, daß wir in diesem Jahr jetzt schon bei über 3 Prozent liegen. Es ist nicht zu sehen, wie Sie das korrigieren wollen.
Deswegen nochmals mein Rat an Sie: Wenn Sie die Währungsunion gemeinsam mit uns solide realisieren wollen - wir wollen das -, dann sorgen Sie dafür, daß Ihre Haushaltspolitik in Ordnung kommt,
daß Ihre Beschäftigungspolitik in Ordnung kommt! Schaffen Sie im europäischen Bereich die Voraussetzungen dafür, daß Beschäftigungspolitik möglich wird, damit die Franzosen mitmachen - das ist nicht unwichtig - und damit die Währungsunion hinterher auch funktioniert. Das wird schwierig genug. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Erfüllen Sie endlich Ihre Bringschuld, und kommen Sie mit Vorschlägen, die glaubwürdig und ökonomisch wirksam sind! Dieses Theater, das gerade abläuft - Steuererhöhungen ja, Steuererhöhungen nein, Steuersenkungen, mal fehlen 30 Milliarden DM, mal 57 Milliarden DM -, ist doch keine vernünftige Politik, von der man seriös sagen kann, daß sich jemand bemüht, Europa voranzubringen, indem er die Wirtschaftslage in dieser Bundesrepublik durch mehr Beschäftigung stabilisiert.
Danke.