Rede von
Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die Regierungskonferenz in Amsterdam zurückkommen und mich nicht mit dem im Jahre 1992 mit überwältigender Mehrheit im Bundestag verabschiedeten Maastricht-Vertrag auseinandersetzen. Natürlich gibt es wenige Tage vor dem europäischen Gipfel in Amsterdam verbale Schlachten um das Für und Wider, um das Ob und Wie einer gemeinsamen europäischen Währung, die jedoch in Amsterdam nicht zur Entscheidung ansteht.
Aber in diesem unüberschaubar gewordenen Wirrwarr von Meinungen und Stellungnahmen sind gerade die derjenigen zu finden, denen der Prozeß der europäischen Einigung ein Dorn im Auge ist. Angeblich ist es zum Wohl der Menschen, aber in Wahrheit wollen sie nichts anderes als unzweifelhaft bestehende Informationsdefizite, Ängste und Vorurteile
der Menschen zu ihren Gunsten instrumentalisieren. Dem müssen wir auch bei dieser Debatte entgegenwirken. Deshalb ist es so wichtig, daß wir hier über die Regierungskonferenz diskutieren.
Wo und wie auch immer der jetzt zur Verabschiedung stehende Revisionsvertrag in Amsterdam Wünsche offenlassen mag, wo und wie er auch zu kritisieren sein mag, eines steht fest: Die offenen und versteckten Gegner des europäischen Einigungsprozesses, die Apologeten des längst obsolet gewordenen klassischen Nationalstaats werden Grund haben, sich über das Ergebnis der Revisionskonferenz zu ärgern. Das ist gut so; denn man mag ihn, wie er jetzt im Entwurf vorliegt, bewerten, wie man will.
Er markiert zweifellos eine weitere und wichtige Etappe in der Entwicklung der Europäischen Union.
Nicht nur der wirtschaftliche, sondern gerade auch der politische Integrationsprozeß schreitet fort, vielleicht manchmal langsam, aber sehr stetig. Deshalb ist zu hoffen, daß die Völker und die Menschen Europas gerade nach Amsterdam wieder mehr zusammenrücken werden.
Welche Integrationsfortschritte werden wir erreichen?
Erstens. Den europäischen Institutionen werden zusätzliche, bisher teilweise allein auf einzelstaatlicher Ebene verfolgte Bereiche der Politik übertragen.
Lassen Sie mich erwähnen: Die nach Art. 113 des EG-Vertrags zu vereinheitlichende gemeinsame Handelspolitik wird - so sieht es der niederländische Vertragsentwurf vor - unter anderem um das ausdrückliche Ziel eines vereinheitlichten Schutzes des geistigen Eigentums angereichert. Gerade das stärkt nicht nur die Innovationskraft Europas, es ist auch ein Aspekt, der das abstrakte Ziel gemeinsamer Handelspolitik für die einzelnen, für die kreativen Menschen faßbar und einsichtig macht.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Diskussion um das Beschäftigungskapitel; denn durch die Aufnahme eines auch von uns mit unterstützten Beschäftigungskapitels wird die gemäß Art. 103 des EG-Vertrags koordinierte Wirtschaftspolitik um einen Aspekt angereichert. Die Anreicherung hat große Bedeutung für die wirtschaftliche und fiskalische Prosperität der Europäischen Union.
Ich denke, es ist sehr richtig, wenn die Koalitionsfraktionen dies ohne zusätzliche Budgetbelastungen der Mitgliedstaaten haben wollen; denn die Akzeptanz durch die Bürger liegt darin, daß sie wissen, daß durch die Beschlüsse von Amsterdam nicht noch mehr Geld für Europa ausgegeben wird.
Ich darf hier aber auch sagen, daß zu begrüßen ist, daß sich die Regierungen in Britannien und Frankreich grundsätzlich zu Europa bekennen. Das zeigt, daß über Grenzen, über Parteigrenzen hinweg der Integrationsprozeß nicht aufgehalten werden kann.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Zweitens. Wir werden mit dem Revisionsvertrag wichtige politische Bereiche, die bisher der sogenannten dritten Säule, der Koordinierung von Innen-und Justizpolitik, angehörten, in die erste Säule übertragen, sie also zu echten Gemeinschaftsaufgaben machen. Diesen Fortschritt dürfen wir nicht mit kleiner Münze handeln. Zu Beginn des Verhandlungsmarathons konnten wir wirklich nicht erwarten, daß es zur Visa-, Asyl- und Einwanderungspolitik, zu Außengrenzen sowie zum Zollregime in der Europäischen Union jetzt verbindliche Entscheidungen geben wird.
Das tut in der Diskussion über Asyl- und Einwanderungsfragen gut, die ja nun einmal sehr populistisch besetzt sind. Ich denke, mit einer Verlagerung nach Europa - in Europa muß man wirklich versuchen, die Probleme besser in den Griff zu bekommen - ist man diesem Thema gerecht geworden. Daß das Grundgesetz damit nicht berührt wird, stelle ich noch einmal sehr zufrieden fest.
Die justitielle Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen wird konkretisiert. Was wichtig ist: Es wird die Festlegung von Mindestvorschriften hinsichtlich strafbarer Handlungen und Strafen in den Bereichen Terrorismus, Drogenhandel und organisierte Kriminalität schrittweise forciert. Damit ist klar, daß wir in dem europäischen Einigungsprozeß keine Harmonisierung der nationalen Strafrechtsregelungen in den Mitgliedstaaten brauchen. Das ist nicht notwendig. Aber Mindeststandards müssen her, damit Strafbarkeitslücken geschlossen werden. Wer will das in den Bereichen Frauenhandel, Menschenhandel und Vorgehen gegen Rassismus denn bestreiten wollen?
Aber wir werden im Rahmen dieses Integrationsprozesses auch bei den Bereichen, die in der dritten Säule verbleiben, weiterkommen. Wir werden sie auf eine höhere Stufe der Integration anheben: zum einen durch das neue Instrument der Rahmenbeschlüsse. Das sagt für sich noch nicht viel aus; aber es ist dazu angetan, zu verhindern, daß diejenigen Mitgliedstaaten, die ihre in der dritten Säule verbleibenden Politiken stärker vereinheitlichen möchten, durch ein Veto einzelner Mitgliedstaaten von ihrem Vorhaben abgehalten werden können. Das heißt, die Handlungen werden effektiver. Das ist ein Schub für weitere Integration.
Ein Schub wird auch daher kommen, daß im Vertragsentwurf verbindlich festgelegt werden soll, in welchen Bereichen, aber vor allen Dingen in welchen zeitlichen Etappen die Vertiefung vorangetrieben wird. Damit wird sichergestellt, daß wir hinter einen bestimmten Integrationsprozeß nicht mehr zurückfallen können. Diejenigen, die dabei nicht mitmachen möchten, werden jedenfalls den Zug zurück nicht mehr besteigen können. Das alles ist positiv und verdient, gelobt zu werden. Zu diesen Entwicklungen muß aber ein paralleler Prozeß in zwei Fragestellungen hinzukommen: zum ersten, was den Rechtsschutz und zum zweiten, was mehr Demokratie angeht. Denn die erwartete zusätzliche Integrationswirkung des Revisionsvertrages wird notwendigerweise
zunächst einmal mit einer Abnahme der gesetzgeberischen Kompetenzen der nationalen Parlamente einhergehen.
Diese Lücke, die im Rechtsschutzbereich und im Demokratiebereich entstehen kann, muß natürlich geschlossen werden. Das ist nicht nur die Auffassung einiger, sondern das hat uns das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Maastricht-Vertrag vorgegeben. Für den Maastricht-Vertrag hat man keine Rechtsschutzlücke gesehen, weil noch keine Kompetenzen übertragen worden sind, sondern bisher nur mit völkerrechtlichen Verträgen gearbeitet wird. Das heißt umgekehrt, wenn hier Kompetenzen schrittweise - richtig, wie ich uneingeschränkt sagen will - aus der dritten Säule übertragen werden, dann muß das mit einer Stärkung der Stellung des Parlamentes einhergehen. Es ist richtig, wie wir im Koalitionsantrag fordern, daß alle mit qualifizierter Mehrheit gefaßten Beschlüsse dem Mitentscheidungsverfahren des Europäischen Parlaments unterworfen werden müssen.
Genauso muß es zu einer stärkeren Verankerung der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes kommen. Denn wir dürfen keine Rechtsschutzlücke eintreten lassen, auch nicht im Zusammenhang mit Europol.
Wenn wir Europol weiter ausbauen, hin zu operativen, exekutiven Befugnissen, dann muß damit eine verstärkte Kompetenz des Europäischen Gerichtshofs einhergehen.
Ich fordere die Bundesregierung auf, diese beiden Aspekte in Amsterdam parallel zu den anderen Integrationsfortschritten mit Nachdruck zu vertreten. Ich sage das ganz bewußt; denn wir können wohl damit rechnen, daß es, egal, wie der Vertrag aussieht, wieder zu einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts kommt. Da wollen wir sichere Karten haben.
Zum zweiten hoffe ich, daß diese Aspekte dazu beitragen, daß wir bei der Ratifizierung des Vertrages eine solche Mehrheit bekommen wie am 2. Dezember 1992. Damals haben nämlich 543 von 568 anwesenden Abgeordneten dem Vertrag zugestimmt. Das möchte ich mir auch für diesen Vertrag, wie er, noch verbessert, in Amsterdam verabschiedet wird, wünschen.