Im Moment nicht. - Es bietet eine Hoffnung darauf, im Rahmen der Globalisierung den Risiken des Weltmarktes nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, und eine Hoffnung darauf, daß die Sicherungsfunktion des sozialen Rechtsstaats europäischer Prägung auch in Zukunft trägt.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf: Denken Sie in Ihrem wirtschaftspolitischen Konzept um. Der EU-Vertrag, dessen Reform wir heute diskutieren und der am 16./17. Juni zur endgültigen Beschlußfassung ansteht, muß - so haben wir es von Anfang an gesagt - um ein substantielles Beschäftigungskapitel ergänzt werden, damit die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten in bezug auf das Ziel von Wachstum und Beschäftigung koordiniert und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit endlich zu einer verpflichtenden Aufgabe der Europäischen Union wird.
Es wäre ein deutliches Signal dafür, daß die Mitgliedstaaten nicht nur finanzielle Stabilität, wie sie die Währungsunion vorsieht, sondern auch soziale Stabilität in Europa verwirklichen wollen.
Nachdem die Bundesregierung und besonders Sie, Herr Außenminister Kinkel, über Monate hinweg in allen Europadebatten gesagt haben, ein Beschäftigungskapitel sei im Maastricht-Vertrag nicht notwendig, weil die „Beschäftigungspolitik zu Hause gemacht" werde, bemerken Sie jetzt, nachdem Sie in den EU-Beratungen völlig isoliert sind, daß Sie an derartigen Regelungen nicht vorbeikommen, und lenken ein. Wenn es zur Verankerung dieses Kapitels kommt, dann ist das dem Druck der Sozialdemokraten und den anderen EU-Mitgliedsländern zu verdanken, die diese Forderung seit langem gestellt haben.
Praktisch versuchen Sie aber immer noch, den sinnvollen Vorschlag der niederländischen Ratspräsidentschaft in internen Beratungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu verwässern. Ihnen fehlt in bezug auf dieses Beschäftigungskapitel jede Orientierung. Ich zeige Ihnen hier den Vorschlag, den die Bundesregierung - -
- Ja, genau, Sie haben recht, es ist ein leeres Blatt; denn die Bundesregierung beschränkt sich darauf, aus dem niederländischen Vorschlag alle verbindlichen Regelungen zu streichen.
Deshalb sage ich Ihnen: Lassen Sie die Versuche, unter Ausschluß der Öffentlichkeit und jenseits der allgemeinen Erklärungen diesen sinnvollen Vorschlag der niederländischen Ratspräsidentschaft zur Schaffung eines Beschäftigungskapitels zu verwässern! Es ist notwendig, daß diese Regelungen verwirklicht werden.
Bleibt es nämlich bei der bisherigen Praxis - diese Vermutung legt die schlappe Art, in der Herr Kinkel hier vorgetragen hat, nahe -,
dann werden die Staats- und Regierungschefs wie nach jedem Gipfel voll Abscheu wiederum nur erklären, wie schlimm die Arbeitslosigkeit ist; anschließend wird nichts geändert.
Wir fordern Sie auf: Geben Sie diese für unser Land, für die deutsch-französische Freundschaft und für die Europäische Union gefährliche Haltung auf, und tragen Sie dazu bei, daß wirklich ein substantieller Text verabschiedet wird!
Worum geht es denn? Was ist für uns das Wichtigste? Es geht darum, daß man nicht eine Währung aus 14 verschiedenen Einzelwährungen machen und glauben kann, die Wirtschaftspolitik könne unverändert lediglich national gestaltet werden. Wenn die
Heidemarie Wieczorek-Zeul
15 Mitgliedsländer den Einstieg in die ökologische Steuerreform begännen und gleichzeitig die Lohnnebenkosten senkten,
wäre das ein großartiges Projekt der Modernisierung, der ökologischen Umgestaltung und der Schaffung von Arbeitsplätzen.
Ihre Reaktion zeigt, daß Sie mit diesem Aspekt, Beschäftigung in der Europäischen Union, überhaupt nichts verbinden.
Der frühere Kommissionspräsident Jacques Delors hat zu Recht darauf verwiesen: Hätten die Mitgliedsländer der Europäischen Union in den letzten fünf Jahren ihre Wirtschaftspolitik mit dem Ziel von Wachstum und Beschäftigung koordiniert - also eine Wirtschaftsunion praktisch verwirklicht -, hätten wir 3 Prozent mehr Wirtschaftswachstum gehabt. Das würde sich heute in Arbeitsplätzen und vor allen Dingen auch in Einnahmen für die Haushalte unserer Mitgliedstaaten ausdrücken. Mit Waigels Politik dagegen steigen die Massenarbeitslosigkeit und die soziale Ungerechtigkeit und sinken die Steuereinnahmen. Das ist die Perspektive, die Sie bieten.
Aus diesen Gründen haben wir Verständnis dafür, daß die neue französische Regierung eine zusätzliche Erklärung zum Stabilitätspakt verlangt. Die Positionen, die von ihr vertreten werden, beinhalten Forderungen, die im übrigen auch vom Europäischen Parlament und von der zuständigen Berichterstatterin für den Stabilitätspakt mehrfach erhoben worden sind.
Es geht darum, daß sich die EU-Mitgliedstaaten gemeinsame Ziele und Schritte für die Beschäftigungspolitik setzen und diese - wie die finanzielle Stabilität der Europäischen Union - einer gemeinsamen Überprüfung unterziehen. Genau diesem Prozeß, nämlich der Überprüfung dessen, was dort an Verpflichtungen festgelegt ist, wollen Sie sich entziehen. Das zeigen Ihre Streichungsvorschläge zu dem niederländischen Beschäftigungskapitel.
Jetzt werden viele Nebelkerzen geworfen. Auch Herr Kinkel hat das hier getan. Es wird behauptet, es gehe darum, teure Beschäftigungsprogramme auf EU-Ebene zu verhindern. Es geht aber nicht um neue Finanzmittel für die EU. Es geht um Umschichtungen im EU-Haushalt: weg von Agrarpreissubventionen, die Theo Waigel die ganze Zeit praktiziert und mitbeschließt, hin zu sinnvoller Strukturpolitik und zum Anschub von zukunftsorientierter Technologie.
Ich mache mir ausdrücklich den Vorschlag meines Kollegen Siegmar Mosdorf zu eigen, der anregt, die Geldstrafen, die sich aus dem Stabilitätspakt ergeben könnten, einzusetzen, um die großen Reformvorhaben in bezug auf die transeuropäischen Verkehrsverbindungen zu finanzieren. Das wäre eine sinnvolle Nutzung, und die Regierungen würden endlich Nägel mit Köpfen machen. Bisher reden sie nur über diese Fragen und haben noch nie gehandelt.
Daß es nicht um die Verhinderung von finanziellen Belastungen der Bundesrepublik aus den Regelungen des Vertrags über die Europäische Union geht, wird im übrigen durch die Tatsache deutlich, daß an anderer Stelle, wo es um Finanzen geht, die Bundesregierung sehr viel schweigsamer zu dem Vertrag wird. Sagen Sie, Herr Finanzminister, doch der deutschen Bevölkerung, daß in dem überarbeiteten Maastricht-Vertrag im Zusammenhang mit der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik von Ihnen Regelungen mitgetragen werden, die besagen, daß zukünftig bei jeder EU-Aktion, auch wenn sie nicht aus dem EU-Haushalt finanziert wird, die Bundesrepublik mit rund 30 Prozent der Kosten aus ihrem nationalen Haushalt dabei ist! Ich fordere den Finanzminister auf, hier offen zu sagen, wie hoch er die finanziellen Belastungen aus derartigen Regelungen für die Bundesrepublik Deutschland und den nationalen Haushalt ansieht.
Sie sehen an diesem Beispiel: In diesem Bereich werden im Vertrag entsprechende Regelungen getroffen und deren Einhaltung zugesagt. Bei der Beschäftigungspolitik wird aber der finanzielle Aspekt vorgeschoben. Es geht darum, daß Sie die gemeinsame Beschäftigungspolitik bisher nicht wollten und daß Sie versuchen, dies zu kaschieren.
Wir jedenfalls wollen unser Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag bei der Ratifizierung des überarbeiteten Maastricht-Vertrags von der Verankerung eines substantiellen Kapitels zur Beschäftigungspolitik abhängig machen. Dafür müssen Sie mit substantiellen Ergebnissen zurückkommen. Was zählt, ist der endgültige Vertragstext, nicht allgemeine Erklärungen. Wir fordern Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen: Stimmen Sie heute unserem Antrag zu, nach dem der niederländische Vorschlag zur Beschäftigungspolitik von der Bundesregierung unterstützt werden soll.
Die Regierungsparteien sind in ihrem Antrag genau dieser zentralen Frage, um die es eine Woche vor dem Abschluß geht, ausgewichen; sie drücken sich davor. Deshalb werden wir diesen Antrag nicht unterstützten.
Wir fordern Sie auf: Stellen Sie im Vertrag zukünftig auch sicher, daß Fördermaßnahmen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten zugunsten der Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen ergriffen werden, möglich bleiben. Die Europäische Union und ihre Gleichberechtigungsgesetze waren immer eine große Hoffnung für die Frauen. Durch eine neue, restriktive Interpretation des Europäischen Gerichtshofs droht auch dieser Hoffnung der Boden entzogen zu werden.
Wir wollen deshalb, daß im Vertrag klargestellt wird, daß die Europäische Union entsprechenden Maßnahmen der einzelnen Mitgliedsländer zugunsten der Gleichstellung von Frauen nicht entgegen-
Heidemarie Wieczorek-Zeul
steht, sondern daß die Gleichberechtigung der Frauen von ihr aktiv gefördert wird.
Auch das ist eine Perspektive, die die EU bietet.
Europa braucht einen neuen politischen Impuls. Die EU braucht einen sichtbaren Schritt in Richtung mehr Akzeptanz und Bürgernähe. Perspektiven, wie es da weitergehen soll, habe ich von Herrn Kinkel nicht hören können. Deshalb schlagen wir vor, eine Charta europäischer Grundrechte zu verwirklichen. Leider ist dieser Vorschlag von der Regierung bisher nicht ausreichend vertreten worden.
Wir fordern Sie auf, entsprechende Grundrechte im Vertrag zu verankern. Auf dem Amsterdamer Gipfel soll ein Auftrag an das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente gegeben werden, eine solche Charta zu erarbeiten, die zukünftig dem Maastrichter Vertrag vorangestellt wird. Mit einer Grundrechtscharta würde sich die EU, die bisher schwerpunktmäßig eine Wirtschaftsgemeinschaft ist, zu einer Wertegemeinschaft weiterentwickeln. Das ist dringend notwendig und wäre ein wichtiges Signal.
Schutz der Würde des Menschen, die Garantie der Freiheitsrechte, Asylrecht und Freizügigkeit müssen gewährleistet sein. Die im Maastricht-Vertrag angelegten politischen Beteiligungsrechte für EU-Bürger und -Bürgerinnen müssen ausgeweitet werden. Es geht darum - das sage ich in aller Deutlichkeit -, schrittweise das Wahlrecht auch für die zu garantieren, die dauerhaft auf dem Boden der Europäischen Union leben.
Das Recht zu wählen muß am Ausgang unseres Jahrhunderts, ja Jahrtausends endlich danach definiert werden, wo ein Mensch dauerhaft lebt, nicht nach angeblichen völkischen Blutbanden.
Die Reform des Vertrags von Maastricht muß vor allem zu mehr Demokratie und demokratischer Legitimation der EU beitragen. Wenn das Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat zukünftig von Mehrheitsentscheidungen abgelöst wird, wofür wir im legislativen Bereich der Gemeinschaft eintreten, dann muß dies mit der Einführung eines Mitentscheidungsrechts des Europäischen Parlaments in der europäischen Gesetzgebung verbunden werden. Zukünftig muß das Europäische Parlament immer da, wo der Rat mit Mehrheit entscheidet, gleichberechtigt mitentscheiden können. Ein europäisches Gesetz darf nur zustande kommen, wenn beide, Ministerrat und Europäisches Parlament, zustimmen.
Wir haben die Orientierung in Richtung Mehrheitsentscheidungen für viel wichtiger gehalten -
und das tun wir noch immer - als die Orientierung auf das Prinzip der flexiblen Integration. Wir wollen nicht, daß auf dem Umweg über dieses Prinzip das Kerneuropakonzept mancher Christdemokraten durch die Hintertür in die Europäische Union eingeführt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Voraussetzungen, die bei dem Amsterdamer Gipfel geschaffen werden müssen, sind wichtige Voraussetzungen gerade für diesen Bereich. Sie sollen gewährleisten, daß neue Mitgliedsländer der Europäischen Union beitreten können. Deshalb sage ich auch in Richtung des Außenministers Rosati, der heute hier ist: Wir wollen durch ganz konsequente Reform der EU - auch der inhaltlichen Komponenten - dazu beitragen, daß die Europäische Union der großen Aufgabe, neue Mitglieder aufzunehmen, wirklich gerecht wird und dieses Ziel auch praktisch einlöst.
Das konservative, neoliberale Zeitalter geht zu Ende.
Die Bundesregierung ist sein letztes Fossil. Es geht um einen neuen Entwurf für Europa. Er basiert auf der gemeinsamen Überzeugung, daß Massenarbeitslosigkeit die Grundlagen unserer Demokratie zerstört und deshalb von unseren Ländern nicht hingenommen werden darf.
Er gründet auf der Überzeugung, daß der soziale Rechtsstaat europäischer Prüfung die wichtigste Voraussetzung dafür ist, daß wir uns mit Erfolg im weltweiten Wettbewerb behaupten können. Wer diesen sozialen Rechtsstaat zerstört, sägt den Ast ab, auf dem die Europäer sitzen.
Er gründet auf der Überzeugung, daß eine europäische Währungsunion ein wichtiges Gestaltungsinstrument zu mehr Gerechtigkeit in den weltweiten Finanzmärkten sein kann.
Er gründet auf der Überzeugung, daß sie dauerhaft nur funktionieren kann, wenn sie durch eine gemeinsame Beschäftigungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik ergänzt wird, wenn sie von der Überzeugung der Bürger und Bürgerinnen in Europa getragen wird.
Ich danke Ihnen.