Rede von
Andrea
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Babel, Sie werden sich wundern, wie ich schimpfen kann. Ich bin nämlich stocksauer. Ich finde es einfach unglaublich, daß Sie hier behaupten, wir würden mit Tricks eine Debatte inszenieren. Wozu sind wir denn hier im Parlament? Sie äußern sich öffentlich zu diesem Problem, und dann sagt der Kollege Heinrich: Man wird ja wohl noch einmal darüber nachdenken dürfen! - Sie dürfen nachdenken, aber dann müssen Sie mit uns auch in diesem Hause darüber diskutieren und dürfen nicht behaupten, wir inszenierten Debatten.
Denken Sie über alles Mögliche nach, aber ersparen Sie uns und der Bevölkerung dieses ständige Hü und Hott.
- Mit Verlaub: Wer berät denn alle zwei Tage in einer Koalitionsrunde, um Krisengespräche zu führen, die dann wieder ohne Ergebnis enden? Anschließend hören wir wieder, daß der eine Steuererhöhungen befürwortet, der andere sie ausschließt, daß der eine den Euro verschieben will, der andere auf die Kriterien verweist. Das ist beliebig austauschbar. Glauben Sie eigentlich, daß Ihnen bei diesem verdammten Theater noch irgendeiner folgen kann? Glauben Sie,
Andrea Fischer
daß es in dieser Form noch interessiert? Wir würden von Ihnen wirklich gerne wissen, wie Sie rauskommen wollen aus dem Mist, in den Sie das Land gebracht haben. Da sind Sie offensichtlich völlig ratlos.
Jetzt retten Sie sich in Arroganz. Warum ist man arrogant? - Entweder glaubt man, man sei absolut auf der Gewinnerstraße - das können selbst Sie im Moment nicht annehmen -, oder man hat jede Souveränität verloren, und es treibt einen die nackte Angst und Verzweiflung um. Die Art und Weise, wie Sie mit unserem Begehren, darüber zu reden, umgehen, belegt das.
Sie ziehen sich auf Formalkram zurück und diskutieren die Frage, ob es wirklich Mitglieder der Bundesregierung gewesen sind, die sich dazu geäußert haben. Mit Verlaub: Immerhin haben der Kollege Geißler, die Kollegin Babel, der Kollege Schäuble Veranlassung gesehen,
diese Äußerungen zu dementieren.
Sehen die Gespenster, haben die Halluzinationen, oder warum reden die darüber? Sie können uns hier doch nicht für dumm verkaufen. Worüber haben Sie gestern in Berlin geredet? - Es ist auch okay, daß Sie darüber geredet haben. Aber geben Sie es zu, gehen Sie geradeaus.
Sie haben entgegnet, in den Ländern würden wir doch auch sparen. Ja, aber wenn wir es tun, dann stellen wir uns der Debatte.
Sie verweigern uns hier die Debatte. Das ist der Skandal.
Ich nehme nicht an, daß der Kollege Schäuble, die Kollegin Babel, der Kollege Geißler sich zu den Fragen betreffend die Pflegeversicherung, die Bundesanstalt für Arbeit geäußert haben, weil sie nachts wilde Träume haben. Aus den Reihen der Opposition kamen diese Vorschläge eindeutig nicht. Ich glaube, das können wir an der Presselage der letzten Tage deutlich belegen.
- Herr Kollege Heinrich, wer an diesem Stand seines Regierungsmißlingens angekommen ist - Sie wissen, von „Kunst" ist da nicht mehr zu reden -, sollte sich diese Überheblichkeit schenken. Wir wollen mit Ihnen darüber reden.
Wir haben die Debatte über die Sozialversicherungsbeiträge tausendmal geführt - die Kollegen haben eben schon darauf verwiesen -: Es ist erst ein Jahr her, seit wir eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema hatten. Trotzdem haben Sie wie die verfolgte Unschuld getan: Wir sollen über die Pflegeversicherung geredet haben? Niemals, das kann gar nicht sein, das muß alles ein Irrtum gewesen sein. - Wollen Sie denn behaupten, daß die Medien alle nur Unsinn in die Welt setzen, daß das überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was Sie tatsächlich gesagt haben?
Daß wir auf die Vorschläge zu Lasten der Sozialversicherungsbeiträge so angespitzt reagieren, hat natürlich auch damit zu tun, daß dieses Thema seit 1990 eine Geschichte hat. Wir können Ihnen rauf und runter beten - ich habe das aus dem Computer geholt; wir nehmen das bei jeder Aktuellen Stunde zu diesem Thema und auch bei anderer Gelegenheit auf Wiedervorlage -, wie Sie seit 1990 die Sozialversicherungsbeiträge munter zwischen den verschiedenen Kassen verschoben haben.
Wenn Sie bei der Arbeitslosenversicherung Geld brauchten, haben Sie das von der Rente genommen. Hinterher haben Sie gesagt: Verflixt, jetzt sind die Rentenbeiträge so hoch, das haben wir nicht gewollt. Dann müssen wir bei der Rente kürzen.
Sie wissen doch ganz genau, was es bedeutet, wenn Sie das die ganze Zeit zwischen den verschiedenen Töpfen verschieben: Wir haben es mit einem Nullsummenspiel zu tun. Mit Blick auf die Pflegeversicherung muß man darauf verweisen - die Kollegen von der SPD haben das schon getan -, daß es eine Vereinbarung gab: Erstens ist per Gesetz eine Reserve festgelegt,
und zweitens geht es darum, ob man die Mittel, die über die gesetzlich festgelegte Reserve hinaus aufgelaufen sind, mal so eben, weil man in ärgster Bedrängnis ist, verpulvert.
Übrigens, meine Damen und Herren von der Koalition: Die Rücklagen der Pflegeversicherung wirken sich günstig auf die Einhaltung der Maastricht-Kriterien aus. Von daher würde ich Ihnen raten, nicht vor der Zeit an diese Rücklagen zu gehen. Für den Fall, daß Ihnen das in Ihrem Chaos entgangen sein sollte, wollte ich Sie darauf nur noch mal hinweisen.
- Nein, ich gehe einfach ein bißchen vorsichtiger mit dem Geld der Sozialversicherten um.
Ich habe wirklich den Eindruck, daß es einen guten Grund gibt, warum die Leute inzwischen einen solchen Zorn auf ihre hohe Abgabenbelastung haben. Wir wollen von all den ökonomischen Fragen und dem, was das mit der Arbeitslosigkeit zu tun hat, gar nicht reden. Niemand hat mehr den Eindruck, daß er seine Steuern und auch seine Sozialversicherungsbeiträge in Töpfe gibt, wo er sie gut aufgehoben, gut verwaltet und politisch richtig eingesetzt weiß. Das ist die wirkliche Gefahr hinter all dem, was
Andrea Fischer
Sie uns die ganze Zeit an öffentlichen Debatten und an Querelen zumuten.