Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Wieczorek-Zeul, Sie haben uns nicht enttäuscht. Jetzt weiß ich etwas genauer, was die Kollegen Voigt und Verheugen meinen, wenn sie in diesen Tagen in ihrem Positionspapier schreiben:
Die sozialdemokratische Außen- und Sicherheitspolitik wird im In- und Ausland als Schwachstelle angesehen.
Das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis und zutreffende Beschreibung, aus der Sie allerdings die notwendigen Konsequenzen ziehen sollten, vielleicht auch bei der Auswahl Ihrer Redner.
Dann habe ich gerade noch gefunden, was in diesem Zusammenhang Franz Walter, Politikwissenschaftler an der Universität Göttingen, geschrieben hat:
Die neue SPD gibt es nicht. Die Funktionärsrekrutierung verläuft so unprofessionell und zufällig wie schon zu Ollenhauers Zeiten.
An diese Zeit erinnert erschreckend auch die außenpolitische Inkompetenz der SPD in den 90er Jahren.
Daran wollte ich nach diesem Beitrag von Frau Wieczorek-Zeul nur noch einmal erinnern.
- Sie haben doch gerade gesagt, die Rede des Regierungsvertreters sei Ihnen zu schlaff gewesen. Nun freuen Sie sich doch, daß es ein bißchen lebendiger zugeht!
Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst ein Wort des Dankes an die Adresse der Regierung sagen - an den Bundeskanzler, an den Außenminister, aber auch an Staatsminister Hoyer - für die enge Kooperation in diesen letzten Monaten und für die ständige ehrliche und offene Unterrichtung in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages.
Ich finde, die Opposition hätte ebenso wie wir durchaus anerkennen sollen, daß es kaum eine Regierung in Europa gibt, die mit so viel Engagement für die parlamentarischen Wünsche eingetreten ist,
für die Stärkung der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union
und auch für die Verbesserung der demokratischen Legitimation.
Manches von dem - vielleicht vieles von dem; das ist auch eine Frage der Betrachtungsweise -, nicht alles von dem, was wir als Ziele der Regierungskonferenz formuliert und beschlossen haben, ist in den Verhandlungen erreicht worden. Wichtige andere Fragen sind noch offen, müssen noch geklärt werden, auch auf dem Amsterdamer Gipfel. Ich möchte mich auf folgende fünf Bereiche konzentrieren:
Erstens. Wir haben immer gesagt, daß die innere Sicherheit in der Europäischen Union dringlich ein europäisches Mandat erfordert. Das Europa der offenen Grenzen muß auch ein sicheres Europa sein.
Jetzt zeichnen sich im Bereich der Innen- und Rechtspolitik sowie bei der Kriminalitätsbekämpfung Fortschritte ab. Es ist wahr und zutreffend, daß dies nicht zuletzt ein Erfolg der gemeinsamen Initiative des Bundeskanzlers und des französischen Staatspräsidenten vom Dezember letzten Jahres ist.
Wir begrüßen den jüngsten niederländischen Vertragsentwurf; denn durch ihn wird es gelingen, einen Durchbruch bei der Integration des Schengener Übereinkommens in den Maastrichter Vertrag zu schaffen, Europol auszubauen und mittelfristig mit operativen Kompetenzen auszustatten.
Die polizeiliche Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung wird durch die neuen Vereinbarungen schlagkräftiger werden. Es ist doch völlig klar, daß die Bürger zu Recht genau das von uns als Antwort auf die Herausforderungen durch das internationale Verbrechen erwarten: daß wir Europa im Kampf gegen die Kriminalität schlagkräftiger machen.
Im übrigen hat die Vergangenheit auch gezeigt, daß rein nationale Strategien unkontrollierten Migrationen, deren Zahl wächst, nicht gerecht werden können. Die Erfahrungen mit Bosnien haben zudem deutlich gemacht, daß eine faire europäische Lastenteilung bei der solidarischen Bewältigung dieser Probleme notwendiger ist denn je. Wir haben deshalb immer wieder die gemeinsame Verantwortung der Europäischen Union bei der Vorsorge im Asyl- und Zuwanderungsbereich angemahnt und eine Vergemeinschaftung der Flüchtlings-, Asyl-, Visa- und Einwanderungspolitik gefordert. Wir begrüßen den niederländischen Vertragsentwurf auch in dieser Frage.
Rudolf Seiters
Zweitens. In der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind die Schaffung eines GASP-Generalsekretärs und der GASP-Einheit wichtige Instrumente zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Wichtig dafür ist aber auch, daß außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen so weit wie möglich mit Mehrheit getroffen werden können. Dabei geht es nicht darum, bestimmte Länder auszugrenzen. Es geht darum, eine Möglichkeit zum Handeln zu schaffen, wenn ein Mitglied in einer bestimmten Frage - das haben wir ja erlebt - einen sachlich gerechtfertigten und akzeptablen Kompromiß verweigert. Das gilt künftig, wenn die Union 18, 20 oder mehr Mitgliedstaaten umfassen wird, noch mehr als in der Vergangenheit.
Deshalb ist es schon bedauerlich, daß die niederländischen Vorschläge, bezogen auf diesen Politikbereich, noch nicht ausreichen, um die gewünschte nachhaltige Verbesserung der außenpolitischen Entscheidungsfähigkeit herbeizuführen. Es würde wenig nützen, wenn auf der Grundlage bereits einstimmig vereinbarter Strategien gemeinsame Aktionen und deren Durchführung grundsätzlich zwar mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden könnten, zugleich aber die Mitgliedstaaten in jedem Einzelfall praktisch doch ein Vetorecht erhielten. Der Außenminister hat darauf und auf die deutschen Bemühungen hingewiesen.
Wir halten jedenfalls an unserer Auffassung fest, daß die Beibehaltung des Vetorechts die Neigung zu nationalen Alleingängen unterstützt und damit die Handlungsfähigkeit, das Gewicht und die Bedeutung der Europäischen Union schmälert. Deswegen ermutigen wir die Bundesregierung nachdrücklich, in dieser Frage wichtige Verbesserungen anzustreben.
In diesem Zusammenhang - Frau Wieczorek-Zeul, das muß ich an dieser Stelle allerdings auch sagen - ist mir folgendes aufgefallen. Die SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament schalten in den Zeitungen große Anzeigen: Wir fordern eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Da wundert es mich, daß in dem Antrag, den Sie heute vorlegen, überhaupt kein Wort über die Notwendigkeit einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik steht. Das fällt mir auf: kein einziges Wort.
Das ist bemerkenswert und kennzeichnend für den Stellenwert der Außenpolitik in Ihrer Fraktion.
Aber vielleicht ist das ja sogar ein Fortschritt; denn in früheren Anträgen der SPD hieß es stets, das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen dürfe grundsätzlich nicht auf die Bereiche übertragen werden, die in der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit verblieben. Das haben Sie bis heute nicht zurückgenommen. Das hätte die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik direkt betroffen.
Es bleibt dabei, daß wir eine solche Position, die der gewünschten Stärkung der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union diametral entgegensteht, nachdrücklich ablehnen. Wir wollen die Mehrheitsentscheidung auch auf dem Felde der Außen- und Sicherheitspolitik.
Drittens. Auch für die sogenannte erste Säule des Maastrichter Vertrages gilt: Um die Entscheidungsfähigkeit des Ministerrates zu verbessern, muß der Bereich der Mehrheitsentscheidungen erweitert werden. Auch hierzu gibt es offene Fragen. Sie gehören zu den zentralen Themen für die Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs. Wir streben nach wie vor an, auch in diesen Politikbereichen das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen zum Regelfall mit möglichst wenigen Ausnahmen zu machen. Zu diesen Ausnahmen - darin sind wir uns einig - gehören vor allem Steuer- und Finanzfragen.
Die niederländische Präsidentschaft hat eine Liste mit elf Bestimmungen vorgelegt, für die künftig das Prinzip der qualifizierten Mehrheit gelten sollte. Wir sind der Meinung, daß es noch weitere Bestimmungen - auch im Bereich der Innen- und Rechtspolitik - im Maastrichter Vertrag gibt, für die künftig das Vetorecht nicht mehr angewandt werden sollte. Wir haben das der Bundesregierung als Position der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion noch einmal ausdrücklich übermittelt.
Was die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments anbetrifft, ist die Bundesregierung Vorreiter in der Europäischen Union. Auch das begrüßen und unterstützen wir ausdrücklich.
Viertens. Die wichtigste wirtschafts- und gesellschaftspolitische Herausforderung, über die wir in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig diskutieren und streiten, besteht darin, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen unseres Staates für die Zukunft sicher und wetterfest zu machen.
Deshalb müssen die entscheidenden Schritte und die notwendigen Maßnahmen für wirtschaftliches Wachstum und zusätzliche Arbeitsplätze in den Mitgliedstaaten selbst unternommen werden, beispielsweise durch strukturelle Reformen der Arbeitsmärkte oder durch neue Wege in der Steuerpolitik zur Entlastung des Faktors Arbeit.
Auch auf diesem Felde weise ich die Unterstellungen der SPD ausdrücklich zurück. Niemand bestreitet, daß die Europäische Union bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit noch mehr als bisher leisten kann: durch eine stärkere Koordinierung und durch den sinnvollen Einsatz der bestehenden Instrumente und Fördertöpfe, durch den verstärkten Einsatz der
Rudolf Seiters
Strukturpolitik für mehr Beschäftigung, indem zum Beispiel die kleinen und mittleren Unternehmen stärker gefördert werden; denn sie sind die Beschäftigungsmotoren der europäischen Wirtschaft.
Auch sollte mit Blick auf die neuen Technologien mit den Mitteln der Strukturpolitik die berufliche Qualifizierung gefördert werden. Eine solche Zielsetzung stünde durchaus in der Konsequenz der EUGipfel von Essen, wo unter deutscher Präsidentschaft Leitsätze zur Verbesserung der Beschäftigungslage vereinbart wurden, und von Dublin, wo Ihr Parteifreund Klaus Hänsch, der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, gesagt hat - ich stimme ihm zu -, die Hauptlast in der Beschäftigungspolitik müsse auch künftig bei den Mitgliedstaaten liegen,
die EU könne keine eigene Beschäftigungspolitik betreiben, sie könne die Aktionen der Mitgliedsländer lediglich koordinieren, orientieren und in bescheidenem Maße stimulieren. Das ist auch unsere Meinung.
Vor diesem Hintergrund ist es abwegig zu behaupten, die Bundesrepublik stehe in der Frage eines Beschäftigungskapitels isoliert da. Sie sollten einmal nachlesen, was Tony Blair zu Beschäftigung, Flexibilität und verstaubten Forderungen nach staatlichen Arbeitsplätzen in Malmö gesagt hat.
Was wir ablehnen, sind Formulierungen, die zusätzliche Ausgaben für teure Beschäftigungsprogramme nach sich ziehen. Derartige Programme würden nicht dadurch richtiger, wenn sie künftig vom europäischen Ministerrat verabschiedet werden könnten. Was national falsch war, kann europäisch nicht richtig sein.
Stimmen Sie der Steuerreform zu; das ist wichtiger als fünf europäische Beschäftigungsprogramme.
- Die Dame saß hier bei dem Thema Währungsunion und Stabilitätspakt auf einem ziemlich hohen Roß. Sie sollten aufpassen, daß Sie nicht herunterfallen.
Eine fünfte Bemerkung: Ich will die alte Diskussion aus den vergangenen zwei Jahren nicht mehr aufgreifen, in der Monika Wulf-Mathies und Klaus Hänsch Ihren Fraktionsvorsitzenden darauf aufmerksam machen mußten, daß bestimmte Äußerungen zur Währungsunion an den Stammtisch gehören, und in der sie gewarnt haben, daß man nicht die Balken des eigenen Hauses verbrennen sollte. Daran möchte ich ganz kurz erinnern.
Viel aktueller ist der Streit zwischen Herrn Lafontaine und Gerhard Schröder, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten. Sie können doch nicht bestreiten, daß Gerhard Schröder seit Monaten über Land zieht und immer wieder gegen die europäische Währungsunion mit unglaublichen Bemerkungen polemisiert.
Sie können überhaupt nicht bestreiten, daß der niedersächsiche Ministerpräsident immer wieder Ängste schürt, Nachverhandlungen auf der Regierungskonferenz fordert und das Zieldatum 1999 für unmöglich erklärt. Er hat jetzt wieder die Verschiebung der Europäischen Währungsunion gefordert - in Widerspruch zu allem, was wir von den Gewerkschaften und aus der Wirtschaft hören, daß nämlich die Währungsunion ein entscheidender Schritt sei, die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Beschäftigungsmöglichkeiten und die Stabilität in der Europäischen Union zu sichern und zu stärken.
Wir wollen einen starken Euro. Wir stehen zu der strikten und vertragsgemäßen Einhaltung der Stabilitätskriterien.
Aber ebenso wie eine Aufweichung der Kriterien liegt eine Verschiebung der Währungsunion nicht im deutschen Interesse.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, ist auch der Stabilitätspakt sehr wichtig. Deswegen ist - auch vom Bundesfinanzminister, den wir nachdrücklich unterstützen - deutlich gesagt worden, ein Nachverhandeln des Stabilitätspaktes oder ein Abkoppeln kann es nicht geben. Der Stabilitätspakt ergibt sich aus dem Maastricht-Vertrag. Er soll auch nach Inkrafttreten der Währungsunion eine Politik der Preisstabilität und solider Haushaltsführung sichern. So wie es keine Aufweichung der Stabilitätskriterien geben kann, kommt auch eine Aufweichung des Stabilitätspaktes nicht in Betracht. Der Euro muß dauerhaft halten, was er verspricht. Das haben wir auch unserer Bevölkerung zugesagt. Deswegen dürfen wir einer Politik des leichten Geldes keinen Vorschub leisten.
Amsterdam muß eine entscheidende Station zur Stärkung der Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit der Europäischen Union werden. Dann wird Amsterdam auch eine entscheidende Station beim Aufbau der gesamteuropäischen Friedensordnung sein.
Eine große dänische Zeitung würdigt in diesen Tagen den Bundeskanzler, dessen ganzes Engagement
Rudolf Seiters
von dem Wunsch getragen werde, Europa möge zusammenwachsen. Wörtlich diese dänische Stimme:
Das Deutschland von heute und sein Kanzler sind die beste Garantie dafür, daß alle in Europa - die Großen wie die Kleinen - eine Rolle spielen.
Meine Damen und Herren, wir wünschen dem Bundeskanzler alles Gute und viel Erfolg für Amsterdam. .