Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa steht in den nächsten zwölf Monaten vor entscheidenden Weichenstellungen. Es geht um die Zukunftsfähigkeit unseres Kontinents. Dabei kommt es ganz besonders auf Deutschland an.
Was sind die wichtigsten Stationen, die vor uns liegen? Amsterdam muß am kommenden Montag und Dienstag den neuen Unionsvertrag bringen. Der NATO-Gipfel am 8./9. Juli wird Kernelemente der neuen europäischen Sicherheitsordnung verabschieden. Anfang nächsten Jahres beginnen die Verhandlungen über die Ost- und Süderweiterung der Union. Im Mai 1998 fällt die Entscheidung über die Teilnehmer an der dritten Stufe der Währungsunion. Vor der Sommerpause 1997 wird die Kommission Vorschläge zur Neuordnung der Gemeinschaftsfinanzen nach 1999 vorlegen. Das ist sozusagen das Programm, das vor uns liegt.
Die Bundesregierung hat auf der Regierungskonferenz konstruktiv, an den eigenen und an den Gemeinschaftsinteressen orientiert, verhandelt. Sie ist davon überzeugt, daß die weitere europäische Integration im ureigensten vitalen deutschen Interesse liegt.
Wir gehen in die Schlußverhandlungen mit Zuversicht. Wir möchten gern ein substantielles Ergebnis erreichen - das wird möglich sein -, ein Ergebnis, das Europa zur Erweiterung fähig macht.
In der Europapolitik gibt es in diesem Bundestag - trotz einiger Meinungsverschiedenheiten in einzelnen Fragen - einen breiten Konsens. Die Bundesregierung hat die Ausschüsse des Bundestages und die Länder über den Verhandlungsfortgang laufend unterrichtet. Dies hat sich auch bei der Erarbeitung deutscher Positionen für die Regierungskonferenz bewährt. Ich möchte an dieser Stelle insbesondere dem Beauftragten für die Regierungskonferenz, Herrn Staatsminister Hoyer, für seine engagierte, sachkundige Arbeit und Unterstützung sehr herzlich danken.
Aber ich danke natürlich auch allen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Amtes und der beteiligten Ressorts sowie all denen, die in den Ländern engagiert mitgearbeitet haben, für den außergewöhnlichen Einsatz während dieser Konferenz.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat der Regierungskonferenz gemeinsam mit ihren Partnern wichtige Impulse gegeben. Ich erinnere nur an die Briefe des Bundeskanzlers und des Staatspräsidenten Chirac, den deutsch-französischen Außenministervorschlag zur Flexibilität oder unsere gemeinsame Initiative mit fünf weiteren Partnern zur schrittweisen Integration der WEU in die EU.
Deutschland kommt in dieser Phase als bevölkerungsreichstem und wirtschaftsstärkstem Land eine ganz besondere Verantwortung zu. Unsere Partner schauen auf uns, suchen die Zusammenarbeit mit uns und wollen, daß wir vorangehen.
Der Europäische Rat in Amsterdam wird den Abschluß der Regierungskonferenz bringen. Daneben
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
muß die Vorbereitung für den Übergang in die dritte Stufe der Währungsunion weiter vorangetrieben werden.
Nun zur Regierungskonferenz: Die Präsidentschaft wird wohl morgen den Vertragsentwurf für die Schlußrunde in Amsterdam vorlegen. Nach unserem jetzigen Kenntnisstand ist ein guter, ambitionierter Text zu erwarten, der unsere Unterstützung verdient. Dafür Dank und Anerkennung an die niederländische Präsidentschaft, aber auch an die Präsidentschaften, die dies vorbereitet haben, nämlich Italien und Irland. Sie haben sozusagen die Grundlage des Erfolges geschaffen.
Die Bedingungen für einen erfolgreichen Abschluß der Konferenz in Amsterdam sind günstig. Großbritannien zeigt mehr europäische Offenheit. Wir stehen mit der neuen britischen Regierung in einem intensiven Dialog über die Punkte, die ihr nach wie vor Schwierigkeiten machen. Die Gespräche mit Premierminister Blair am vergangenen Freitag und zuvor mit Außenminister Cook haben gezeigt: Es gibt nach wie vor Meinungsunterschiede, aber eben auch Lösungsmöglichkeiten.
Entscheidend für die Schlußrunde wird - wie so oft - der deutsch-französische Schulterschluß sein. Die neue Regierung in Paris hält Europakurs. Sie hält am Stabilitätspakt fest. Sie will, genauso wie die Bundesregierung, den planmäßigen Start des Euro, und zwar termingerecht und unter Einhaltung der Stabilitätskriterien.
Noch vor Amsterdam werden wir uns am Freitag auf dem deutsch-französischen Gipfel in Poitiers intensiv mit Frankreich abstimmen können. Selbstverständlich nehmen wir Rücksicht darauf, daß die französische Regierung erst wenige Tage im Amt ist und etwas Zeit braucht. Ich bin aber überzeugt davon, daß wir in Amsterdam an einem Strang ziehen
und auch das Momentum für den vertragsgemäßen Beginn des Euro erhalten werden.
Der Vertragstext für die Schlußverhandlungen, meine Damen und Herren, wird fünf Kapitel umfassen:
Erstens: Grundrechte, Justiz- und Innenpolitik.
Zweitens: Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
Drittens: Der Bürger und die Union. Viertens: Reform der Institutionen. Fünftens: Flexibilität.
Das alles klingt sehr, sehr technisch. Es sind aber alles Fragen, die das Leben der Bürgerinnen und Bürger sehr unmittelbar berühren.
Ein greifbares Ergebnis ist nah, wir haben es aber noch nicht endgültig in der Hand. Keiner der Mitgliedstaaten, auch wir nicht, wird seine Maximalforderungen durchsetzen können. Die Bundesregierung ist jedoch zuversichtlich, daß am Ende ein Ergebnis stehen wird, das die Integration fortführt, das politische Profil der Union schärft und vor allem die Tür für die Vollendung der europäischen Einigung öffnet, der eigentlichen Jahrhundertaufgabe für die europäische Politik.
Bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft vor 40 Jahren sagte Robert Schuman: „Ein geeintes Europa entsteht nicht auf einen Schlag; dazu bedarf es vieler kleiner Schritte. Das gilt bis heute, und es wird auch künftig gelten. "
Wie ist der Stand der Verhandlungen am heutigen Tag? Ich beginne mit der Justiz- und Innenpolitik. Unser Ziel ist ehrgeizig. Der Wirtschaftsraum Binnenmarkt, der bald auch Währungsraum sein wird, muß auch ein einheitlicher Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts werden. Die niederländische Präsidentschaft hat weitreichende, von uns unterstützte Vorschläge vorgelegt zur Vergemeinschaftung von Asylrecht, Visa, Außengrenzen, Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik sowie zur justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsachen und Teilbereichen der Zollzusammenarbeit, zur wirksamen Verbesserung der Polizeizusammenarbeit und der operativen Befugnisse von Europol und zur Integration von Schengen in den EU-Rahmen. Nochmals: Diese Vorschläge unterstützen wir.
In der Frage der Kontrolle der Außengrenzen haben wir Verständnis für Großbritanniens und Irlands Wunsch nach Sonderregelungen; die besondere Insellage rechtfertigt das nach unserer Meinung.
Ein Plus an Freizügigkeit muß von einem europäischen Mehrwert an innerer Sicherheit begleitet werden. Deshalb muß nach unserer Meinung Europol gestärkt werden - hin zu einer Polizeibehörde mit operativen Befugnissen. Das muß erreichbar sein.
Nicht zu Unrecht messen die Bürger das Ergebnis dieser Konferenz gerade an dieser Frage. Deshalb werden wir in Amsterdam darum ringen, daß dieses Paket bestehenbleibt, zu dem im übrigen auch ein besserer Grundrechtsschutz gegenüber den EU-Organen gehört, worauf der Deutsche Bundestag immer besonderen Wert gelegt hat.
Nun zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik: Die Europäische Union muß nicht nur den Frieden im Innern wahren; sie muß künftig auch mehr Verantwortung für die Sicherheit außerhalb ihrer Grenzen übernehmen. Deshalb haben wir darauf hingearbeitet, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu einem kohärenten, wirksamen und
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
sichtbaren Instrument vor allem bei der Konfliktvorbeugung und dem Krisenmanagement zu machen.
Konsens herrscht auf der Regierungskonferenz über die Einrichtung einer Analyse- und Planungseinheit.
Auch in puncto sichtbare Außenvertretung und größere Kontinuität durch einen GASP-Generalsekretär besteht weitgehende Übereinstimmung.
Zwei Fragen sind noch offen, erstens: Wir wollen, daß die Außenpolitik aus der Zwangsjacke der Einstimmigkeit herauskommt. Es darf nicht weiterhin so sein, vor allem wenn wir in Zukunft eine vergrößerte Union haben, daß ein einzelner Mitgliedstaat eine Entscheidung praktisch verhindern kann. Zumindest muß die Hürde für eine solche Blockademöglichkeit möglichst hoch angesetzt werden. Das wird bis zum Schluß ein nicht ganz einfacher Punkt sein. Aber die Einsicht wächst, auch bei den Partnern: Wer stur an der Einstimmigkeit festhält, nimmt die außenpolitische Ohnmacht der EU dadurch praktisch in Kauf. Das kann nicht richtig sein.
Zweitens. Deutschland und zehn weitere Staaten wollen einen deutlichen Schritt auch in Richtung gemeinsame Verteidigungspolitik machen. Der Weg dorthin führt über eine Leitlinienkompetenz des Europäischen Rates auch für die WEU und über die schrittweise Integration der WEU in die EU. Hier geht es um die Weichenstellung für eine künftige europäische Verteidigungsidentität. Deshalb brauchen wir in diesem Punkt in Amsterdam eine klare Aussage.
Zum Verhandlungskapitel „Der Bürger und die Union": Dahinter stehen vor allem die Themen Beschäftigung, Umwelt und Subsidiarität. Die Bürger wollen zu Recht eine Union, die Probleme anpackt und löst. Das gilt erst recht für die Themen, die den Bürgerinnen und Bürgern in ihrem Alltag unter den Nägeln brennen. Dazu gehört in erster Linie natürlich die Arbeitslosigkeit. 18 Millionen Menschen in Europa sind ohne Beschäftigung. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit ist die größte Herausforderung an die Politik, wobei die Hauptverantwortung eindeutig bei den Mitgliedstaaten der Union liegt. Wir alle wollen mehr Arbeitsplätze schaffen; aber mit Vertragsartikeln allein ist es eben nicht getan. Wir wollen keine bürgerfernen, nicht mehr finanzierbaren und uns - uns ganz besonders - belastende Ausgabenprogramme. Eine bessere Koordinierung nationaler Maßnahmen auf europäischer Ebene wird uns weiterbringen. Unter diesen Vorzeichen wird die Bundesregierung auch einem Beschäftigungskapitel zustimmen.
Zum Thema Umwelt. Hier werden wir zwei wesentliche Ergebnisse erzielen: Der Umweltschutz wird Querschnittsaufgabe; künftig muß er bei dei Umsetzung aller Gemeinschaftspolitiken berücksichtigt werden. Jedes Land wird beim Umweltschutz über die gemeinschaftlichen Standards hinausgehen können, wenn dies die Regeln des Binnenmarktes nicht verletzt.
Stichwort Subsidiarität: Dies ist ein zentrales Element im Bauplan der Union und - verständlicherweise - auch ein besonderes Anliegen der Länder, für das sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen massiv eingesetzt hat und bis Montag und Dienstag nächster Woche weiter massiv einsetzen wird.
Es geht dabei nicht um Renationalisierung, sondern um die Funktionsfähigkeit und die Bürgernähe der Europäischen Union. Je größer die Union werden wird, um so mehr wird es auf das Prinzip der Arbeitsteilung ankommen.
Heute morgen haben wir im Kabinett den jährlichen Subsidiaritätsbericht verabschiedet. Er zeigt, daß es Fortschritte gibt. Wir wollen im Vertrag aber klar festschreiben, daß Brüssel nur dann entscheidet, wenn dies erstens notwendig ist und wenn zweitens das Problem auf europäischer Ebene tatsächlich besser gelöst werden kann.
Meine Damen und Herren, zur Reform der Institutionen. Dies ist die Voraussetzung für die Osterweiterung der Union und neben der Einführung des Euro die große strategische Aufgabe der nächsten Jahre. Die heutigen Entscheidungsverfahren und -organe sind nicht für 15 und schon gar nicht für 20 und mehr Mitglieder ausgelegt. Wenn wir sie nicht anpassen, droht Stillstand.
Die Beitrittskandidaten unternehmen große Anstrengungen, sich ihrerseits auf die EU-Mitgliedschaft vorzubereiten. Sie erwarten andererseits zu Recht, daß die Union, deren Mitglied sie werden, auch in Zukunft gemeinsam handlungsfähig ist. Schlankere Organe und effizientere Entscheidungsverfahren sind deshalb kein Selbstzweck.
Deutschland geht voran. Wir sind unter gewissen Voraussetzungen bereit, künftig auf einen unserer beiden Kommissare zu verzichten. Unsere Vorschläge zur Stärkung des Kommissionspräsidenten finden viel Unterstützung. Seine Bestätigung durch das Europäische Parlament wird ihm zusätzliche Legitimation verschaffen. Er wird innerhalb der Kommission eine Art Richtlinienkompetenz erhalten und bei der Auswahl der Kommissare im Benehmen ein Wort mitzureden haben.
Zu den Kernfragen Stimmengewichtung, Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen und Größe der Kommission wird in Amsterdam eine endgültige Entscheidung wohl erst ganz am Schluß in Form eines Gesamtpakets fallen. Für uns sind die folgenden Eckpunkte entscheidend: Künftige Begrenzung der Kommission auf 20 Kommissare und Gewährleistung, daß auch künftig bei Entscheidungen des Rats die demographischen Verhältnisse in der EU angemessen berücksichtigt werden. Das heißt, daß auch weiterhin hinter einer Entscheidung mit qualifizierter
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Mehrheit etwa 60 Prozent der Bevölkerung stehen müssen.
Ein Wort zum Europäischen Parlament. Es hat durch den Vertrag von Maastricht einen Kompetenzzuwachs erhalten. Wir betonen, daß wir uns für Amsterdam deutlichere Fortschritte gewünscht hätten
Leider sind wir da bei unseren Partnern und Freunden auf sehr große Widerstände gestoßen. Immerhin: Der niederländische Vertragsentwurf geht in die richtige Richtung. Überall dort, wo der Rat legislative Akte mit Mehrheit entscheidet, soll das Europäische Parlament mitentscheiden können. Damit wird in Europa ein wichtiges Stück mehr Demokratie und Bürgernähe geschaffen, was wir von Anfang an gefordert haben.
Zum Thema Flexibilität. In einer erweiterten Union wird es immer schwieriger, die Interessen aller Mitgliedstaaten auf einen Nenner zu bringen, wenn es um weitere Schritte zur Vertiefung der Integration geht. Deshalb muß die Möglichkeit geschaffen werden, daß eine Gruppe von Staaten auf dem Weg der Integration vorangeht. Kein anderer Mitgliedstaat darf dies blockieren können. Nichtteilnehmer dürfen aber auch nicht auf Dauer ausgeschlossen werden oder sonstige Nachteile erleiden. Das ist der Kerngedanke der deutsch-französischen Initiative zur Flexibilität.
Der niederländische Textvorschlag zu diesem Thema entspricht unserem Ansatz. Noch offen ist die Frage des Auslösemechanismus für eine solche flexiblere Zusammenarbeit. Unsere Haltung ist: Einstimmigkeit würde bei diesem Auslösemechanismus im Zweifelsfall nicht über den Status quo hinausgehen. Der Einstieg in die flexible Zusammenarbeit muß deshalb nach unserer Meinung mit qualifizierter Mehrheit erfolgen, und dafür werden wir uns einsetzen.
Ein Wort zur Debatte um den Euro: Sie ist notwendig und wichtig. Ein solches Jahrhundertprojekt ist ohne breite Diskussion seiner Chancen und Risiken nicht durchführbar. Nur: Niemand sollte unter falscher Flagge segeln und die Fragen und Sorgen der Bürger mißbrauchen.
Unsere europäischen Partner setzen im Kontext des Euro in ganz besonderer Weise auf uns. Wer jetzt glaubt, die Probleme in unserem Land seien dadurch in den Griff zu bekommen, daß wir von unseren Verpflichtungen und vor allem unserer Verantwortung für Europa abrücken, bringt Deutschland in eine schwierige Lage und in die Isolation.
Wer für Verschiebung eintritt, muß wissen: Er redet damit das Aus für dieses entscheidende Vorhaben herbei. Er muß auch wissen, daß er damit unserem eigenen Land Schaden zufügt, ich füge hinzu: sogar erheblichen Schaden. Ich bezweifle, ob die Kraft zu einem zweiten Anlauf aufgebracht werden könnte. Alle im Fall einer Verschiebung des Euro zu erwartenden Folgen - ich nenne ganz bewußt mit an erster Stelle: enormer Ansehensverlust für Europa, Flucht in die D-Mark, vermutlich Abwertung bei unseren Partnern, Nachlassen der Stabilitätsanstrengungen - würden in erster Linie - wir sollten das nicht vergessen und auch nicht wegdrücken - Deutschland in Mitleidenschaft ziehen und unsere Exportwirtschaft schwer treffen.
Zudem würde viel von dem zunichte gemacht, was allein durch das Ziel der gemeinsamen Währung schon erreicht wurde: eine neue Stabilitätskultur in Europa, ein historisch tiefes Zinsniveau und eine einmalig niedrige Inflationsrate. Wir sollten das wirklich nicht aufs Spiel setzen.
In Amsterdam werden auch eine Reihe von Einzelthemen zur Diskussion stehen, die gerade für uns von ganz besonderer Bedeutung sind. Ich nenne vor allem die Sicherung des öffentlichen Rundfunks und des Systems der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute. Ich nenne die Kirchen, den Sport, die Raumordnung und die kommunale Selbstverwaltung, Themen, an denen verständlicherweise auch und gerade die Länder ganz besonders interessiert sind.
Ich muß leider vor allzu hohen Erwartungen in diesen Bereichen etwas warnen. Wir werden nicht für alle diese eher deutschen Spezialanliegen die notwendige Unterstützung unserer Partner bekommen können. Aber wir haben heute morgen im Kabinett nochmals ausführlich über all diese Punkte gesprochen und sind - jedenfalls der Bundeskanzler und ich - bei den Gesprächen, die jetzt anstehen, fest entschlossen, uns gerade im Hinblick auf die Länderinteressen zu bemühen, soviel wie möglich von diesen Themen durchzubekommen.
Die Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft hatten nach dem Krieg eine große Vision: unseren Kontinent, der sich jahrhundertelang in Bruderkriegen zerrieben hat, dauerhaft zu befrieden. Die immer engere Integration hat Kriege in Westeuropa undenkbar gemacht und die Grundlage für einen nie gekannten Wohlstand gelegt. Diese wirklich historische politische Erneuerung Europas ist weltweit zum Erfolgsmodell für regionale Zusammenarbeit, für regionale Zusammenschlüsse, für Sicherheit und wirtschaftlichen Aufschwung geworden. Darauf können wir stolz sein.
Das Ende des Ost-West-Konflikts hat uns jetzt die Chance eröffnet, dieses Modell sozusagen auf ganz Europa auszudehnen. Diese Chance ist Verantwor-
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
tung und Verpflichtung, die Vision des größeren Europa wahrzumachen, gerade für uns Deutsche, die wir aus der Geschichte heraus eine ganz besondere Verantwortung tragen. Wir haben diese Verantwortung angenommen als Anwalt der Beitrittskandidaten in Mittel- und Osteuropa. Die vor uns stehende Erweiterung ist eine Aufgabe mit historischer Dimension. Sie kann nicht mit Kleinmut bewältigt werden. Die Welt erlebt gegenwärtig tiefgreifende Umbrüche, und wer vor diesem Hintergrund in Europa nur in den Kategorien des Tagesgeschäfts denkt, der wird den geschichtlichen Herausforderungen nicht gerecht werden. Wir brauchen jetzt den Mut und die Vision der Gründerväter Europas. Das ist und bleibt für die Bundesregierung in der jetztigen entscheidenden Phase Leitlinie und Maxime ihrer Europapolitik.
Vielen Dank.