Rede von
Manfred
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Haussmann, es ist ein starkes Stück gewesen, was Sie uns hier vorgetragen haben. Sie wenden sich gegen eine keynesianische Schuldenpolitik zur Überwindung der europäischen Massenarbeitslosigkeit. Sie aber sind der Weltmeister in der deutschen Schuldenpolitik -
nicht etwa, um Arbeitslose wieder in Lohn und Brot zu bringen, sondern um die Reichen noch reicher zu machen. Steuerkürzungen in Höhe von 9 Milliarden DM - nur, um die Reichen noch reicher zu machen.
Ich kann mich noch erinnern, daß Sie im Rahmen des Kriteriums der Neuverschuldung monatelang von 2,9 Prozent gesprochen haben. Sie haben die Diskussion über die europäische Einheit durch die Kommadiskussion ersetzt und sagen jetzt in aller Offenheit - ich höre das hier zum ersten Mal -, daß die europäische Einheit nicht an der Kommadiskussion scheitern darf.
Sie haben diese Kommadiskussion jahrelang geführt.
Ich weiß aus unzähligen Gesprächen und Veranstaltungen, welch große Hoffnung in den neuen Ländern auf Europa gesetzt wurde - viel größere übrigens als mittlerweile in der alten Bundesrepublik, wo der Verlust der D-Mark für manche in die Nähe der nationalen Selbstaufgabe rückt. Nun geben Sie sich aber bitte nicht der Hoffnung hin, die Menschen in den neuen Bundesländern würden auf die gleiche Weise dem Euro entgegenfiebern, wie sie einmal auf die D-Mark gehofft haben. Wer sieben Jahre nach der hastigen Einführung der D-Mark noch immer vergeblich auf blühende Landschaften wartet, wird sich kaum davon überzeugen lassen, daß der Euro um so mehr Arbeitsplätze bringt, je früher er eingeführt wird.
Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, als würde der Gaul wieder einmal vom Schwanz her aufgezäumt. Oder um es konkreter zu sagen: Von der Einführung des Euro werden Segnungen erwartet, die erst einmal geschaffen sein müssen, ehe eine gemeinsame Währung Sinn macht.
Es ist schon bezeichnend, daß die glühenden Verfechter der Währungsunion das Projekt nicht mehr so nennen, wie es eigentlich heißt, nämlich „Wirtschafts- und Währungsunion". Eine Wirtschaftsunion schließt realwirtschaftliche Angleichungen ein. Sie setzt vor allem gemeinsame wirtschaftliche Anstrengungen beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit voraus. Sie setzt voraus, daß es eine minimale
Angleichung der sozialen Sicherungssysteme sowie der arbeitsmarkt- und tarifrechtlichen Rahmenbedingungen gibt.
Nichts davon ist im Vertragsentwurf zu finden. Sie sollten nicht immer wieder auf die Gewerkschaften hinweisen, die diesem Projekt angeblich zugestimmt haben. Die Haltung der Gewerkschaften hängt ganz entscheidend von dem Text ab, den Sie in der nächsten Woche vorlegen werden.
Ohne die Möglichkeit der Gewerkschaften, europäische Tarifverträge abzuschließen, werden die Gewerkschaften dieses Vertragswerk ablehnen.
Die Situation auf den deutschen Baustellen hat deutlich gemacht, was droht, wenn die Europäische Zentralbank allein der Währungsstabilität verpflichtet ist. Wenn Staaten, die sich einer aktiven Beschäftigungspolitik widmen, dafür Mittel bereitstellen und sich daher kurzzeitig über das vorgesehene Kriterium von 3 Prozent hinaus verschulden, dann muß die Europäische Zentralbank zum Beispiel die Möglichkeit haben, eine nachhaltige Wirtschaftspolitik auch damit zu honorieren, daß sie dann eben nicht im Rahmen des Stabilitätspaktes in die nationale Wirtschaftspolitik eingreift und dafür sorgt, daß diese Länder nicht in einen Topf einzahlen müssen, der ihre Verschuldung noch weiter in die Höhe treibt.
Diese Einsicht hat sich herumgesprochen - nicht überall in diesem Haus, aber in Europa. Die Bundesregierung aber spielt inzwischen die Rolle des Bremsers. Sie verweigert sich einem Beschäftigungskapitel mit konkreten Verpflichtungen und hält noch immer an einem sogenannten Stabilitätspakt fest, obwohl jedermann weiß, daß sie ihn nur noch durch kreative Buchführung und andere Interpretationskünste bei den Konvergenzkriterien einhalten kann.
In Ihrem Entschließungsantrag steht dazu überhaupt nichts. Da heißt es:
Die Gemeinschaft kann durch die stärkere Förderung der Koordinierung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten, durch die Übernahme des Sozialabkommens von Maastricht in den Vertrag sowie durch die stärkere beschäftigungsrelevante Ausrichtung des europäischen Sozialfonds zusätzliche wichtige Beiträge leisten.
Also, zur Beschäftigungspolitik steht substantiell nichts in Ihrem Entschließungsantrag. Was ist Koordinierung, wenn diese Koordinierung nicht von konkreten Maßnahmen begleitet wird, wenn sie nicht die Staaten schützt, die sich dem Beschäftigungsproblem wirklich widmen? Ihr Entschließungstext ist wie weiße Salbe.
Es ist doch kein Wunder, daß die mahnenden Stimmen vor diesem Abenteuer mittlerweile aus allen Parteien kommen. Bevor Sie, Kollege Fischer, wieder einmal auf die breite Front von Gauweiler bis Gysi hinweisen,
Manfred Müller
möchte ich Ihnen einmal die mahnenden Stimmen in der eigenen Fraktion nennen.
- Richtig, Kollege Werner Schulz dürfte von Herrn Gauweiler mindestens so weit entfernt sein wie von Gregor Gysi.
Lieber die Währungsunion verschieben, als Hals über Kopf einen Euro einführen, der die Gauweilers wie Pilze aus dem Boden schießen läßt.
Man muß schon sehr schlechte Argumente für die Sturzgeburt des Euro haben, wenn man seinen Kritikern nichts anderes als Nationalismus vorwerfen kann oder die eilige Zusammenziehung der Währungsunion zu einer Frage von Krieg und Frieden macht. Es ist reiner Geldfetischismus, von der Einführung des Euro Dinge zu erwarten, die allein die Politik schaffen kann.
Auch das möchte ich an die Adresse der bündnisgrünen und sozialdemokratischen Euro-Fetischisten richten: Wo die neoliberale Politik versagt hat, nämlich bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, kann man sie nicht durch eine neoliberale Finanz- und Haushaltspolitik rückgängig machen.
Es läßt sich nicht leugnen: Währungskurse und Geldwertstabilität gehorchen weniger den ökonomischen Lehren als der gesellschaftlichen Psychologie. Im Grunde genommen weiß das niemand besser als der ökonomische Sachverstand - deshalb auch die großen Sorgen der Banker über die kreative Buchhaltung des Kollegen Waigel und die Angst der Bundesregierung vor einer Verschiebung des Euro.
Aber ich muß mich schon außerordentlich wundern, wie sehr Sie bei der europäischen Integration um das Vertrauen der Finanzmärkte buhlen und wie wenig Ihnen am Vertrauen der Menschen gelegen ist, ohne die dieses Europa niemals Wirklichkeit werden kann.
Der Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß der Durchbruch zu einem demokratischen Europa für den Kanzler in Maastricht gescheitert war. Die Währungsunion sei eine reine Ersatzhandlung. In der gegenwärtigen Europadebatte geht es nicht um mehr, sondern um weniger Demokratie. Die nationalen Parlamente geben keine Rechte an das Europäische Parlament ab, sondern an die europäischen Behörden, und die Souveränität der europäischen Völker wird einem Stabilitätspakt geopfert, der zum Sozialabbau
und zum Verzicht auf aktive Arbeitsmarktpolitik zwingt.
Nach einer Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin betrachten 70 Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern die Demokratie als die beste aller Staatsformen. Aber mehr als zwei Drittel lehnen die Art und Weise ab, wie Demokratie hierzulande praktiziert wird. Ich denke, daß das ostdeutsche Unbehagen angesichts des westdeutschen Demokratiestils durch den gegenwärtigen Kurs in der Europapolitik nicht kleiner, sondern größer geworden ist.
Dieses Unbehagen nährt sich übrigens auch aus der für die Menschen in den neuen Ländern schwer einsehbaren Tatsache, daß zwar Dänen und Franzosen in einem Referendum über Maastricht abstimmen dürfen, nicht aber die Deutschen. Ihre Ablehnung einer Volksabstimmung wird übrigens auch nicht einsehbar, wenn Sie sich hinter die Verfassung zurückziehen. Dieses Grundgesetz ist bereits so häufig geändert worden, um demokratische Rechte einzuschränken, daß es wirklich eine Wohltat wäre, wenn es diesmal um ein demokratisches Recht für die Bürgerinnen und Bürger erweitert würde.
Natürlich haben wir einen Antrag zur Volksabstimmung über Euro und Maastricht II eingebracht, um eine Mehrheit gegen die Ergebnisse der konservativen Politik zu mobilisieren. Aber im Unterschied zu Ihnen glauben wir nicht, daß das Ende Ihrer Europapolitik das Ende der europäischen Integration ist. Im Gegenteil, ein Referendum über den Euro und Maastricht II würde nicht nur das Ansehen unserer Demokratie erhöhen, sondern auch neue Hoffnungen auf ein demokratisches Europa wecken.
Ich bedanke mich.