Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung.
Zunächst gratuliere ich herzlich dem Kollegen Wolfgang Weiermann, der heute seinen 60. Geburtstag feiert. Ich sage ihm die herzlichsten Glückwünsche unseres Hauses.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996
- Drucksache 13/2000 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999
- Drucksache 13/2001 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
Ich erinnere daran, daß wir am Dienstag für die heutige Aussprache anderthalb Stunden beschlossen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Riedl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir gehen heute in die Schlußrunde dieser ersten Lesung des Bundeshaushalts für 1996. Wenn man diese viertägige erste Beratung unter haushalts- und unter finanzpolitischen Aspekten Revue passieren läßt, dann können jedenfalls die Haushaltspolitiker und unter ihnen wiederum vor allem diejenigen, die der Koalition angehören, mit klaren Zielsetzungen und Aufgabenstellungen in die nun beginnenden Einzelplanberatungen im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages gehen.
Herr Kollege Wieczorek, ich habe mich in den bisherigen drei Tagen sehr bemüht, schon einmal zu hören, mit welchen Zielsetzungen die Sozialdemokratische Partei in die Einzelplanberatungen geht. Es war leider nichts zu hören.
Der Bundesfinanzminister und die Bundesregierung haben einen um die Systemumstellung des Kindergeldes bereinigten Bundeshaushalt vorgelegt, dessen Gesamtausgaben mit rund 452 Milliarden DM um 1,3 % niedriger liegen als die des Vorjahreshaushalts.
Dies ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Finanzgeschichte der Bundesrepublik Deutschland ein außerordentlich bemerkenswerter Vorgang. Herr Bundesfinanzminister, Sie verdienen Respekt und Anerkennung dafür.
Deutschland setzt mit diesem Haushalt nicht nur ein deutliches Spar- und Konsolidierungszeichen nach innen, sondern gibt damit auch ein Beispiel für die Länder Europas auf dem Weg zur Vollendung der Europäischen Wirtschaftsunion. Die von Deutschland bisher erfüllten Maastricht-Kriterien beim Staatsdefizit und beim Schuldenstand werden bei konsequenter Fortsetzung dieser Haushaltspolitik weiter und auf Dauer stabilisiert. Dafür wird - davon bin ich schon heute überzeugt - der Bundeshaushalt für 1996 ein weiterer Meilenstein sein.
Wenn in einigen Wochen dieser Haushaltsentwurf in zweiter und dritter Lesung endgültig verabschiedet sein wird, dann wird Deutschland für seine Wirtschafts- und Finanzpolitik auch im nächsten Jahr wieder Lob und Akzeptanz der großen internationalen Organisationen wie OECD und IWF finden.
Dr. Erich Riedl
Mit dieser Finanzpolitik wird es uns gelingen, derzeit noch vorhandene strukturelle finanzielle Schwachpunkte unserer Volkswirtschaft schrittweise zu beheben. Der Bundesfinanzminister hat nämlich recht, wenn er sagt:
Noch immer sind die Staatsquote, das Budgetdefizit, die Steuer- und Abgabenlast als Folge der Einheit zu hoch.
Die Opposition hat sich dazu auch nicht geäußert. Sie hat nur generell beklagt, daß strukturelle Verschiebungen notwendig sind, aber sie hat mitnichten erklären können, wie sie dazu beitragen kann, diese strukturellen Unterschiede und Ärgernisse - so kann man sogar schon sagen - systematisch abzubauen.
Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind uns mit dem Bundesfinanzminister darin einig, daß wir in gemeinsamen Anstrengungen von Regierung und Parlament - und hierzu möchte ich auch den Bundesrat zählen, meine sehr verehrten Damen und Herren - die Staatsquote bis zum Jahre 2000 von jetzt 50,5 % mindestens auf 46 % zurückführen müssen,
und zwar damit wir Spielräume gewinnen, mit denen wir dann zu gleichen Teilen das Staatsdefizit abbauen und die Steuerlast absenken können.
Im Finanzplan der Bundesregierung ist ein Abbau der Nettokreditaufnahme auf unter 30 Milliarden DM vorgesehen. Dies ist für uns eine wichtige finanzpolitische Zielmarke. Ich bin einmal neugierig, ob die Redner der Opposition diese Zielmarke auch anstreben, ob sie sie überhaupt erkennen und wie sie bei der Bewältigung dieser Aufgabe künftig vorgehen wollen. Leider hat die Opposition in dieser ersten Lesung - ich muß es noch einmal ganz deutlich sagen; ich sage es ohne Häme, und ich sage es ohne Schaum vor dem Mund, aber es muß gesagt werden - keine Antwort auf die Frage gegeben, ob und wie Sie mit diesen haushalts- und finanzpolitischen Herausforderungen - ich sage es noch einmal zum Mitschreiben, Herr Kollege Wieczorek -, die Nettokreditaufnahme abzusenken und gleichzeitig die Abgabenbelastung zu verringern, in den nächsten Jahren fertig werden wollen.
Seit Jahren - auch das ist eine Beobachtung, die wehtut; ich weiß es ja - werden von der SPD in der ersten Lesung Haushaltsrisiken in unglaublicher Höhe als Schreckgespenster an die Wand gemalt. Man kann gar nicht aufzählen, welche zig Milliarden Haushaltslöcher in den Reden von Frau MatthäusMaier und den anderen über die ganze Jahre aufgezeigt wurden. Aber es zählt zu der eigentlichen Wirklichkeit immer nur ein abgeschlossener Haushalt. Um so erfreulicher war es jedesmal für uns, die Schlußbilanz der abgewickelten Haushalte nachzulesen. Wenn wir richtig nachrechnen, dann lagen die Endergebnisse der vom Bundesfinanzminister Dr. Waigel zu verantwortenden Haushalte der Jahre 1990 bis 1994 insgesamt um mehr als 50 Milliarden DM niedriger als von ihm veranschlagt. Dies, Herr Minister, ist eine außerordentlich bemerkenswerte Leistung.
Dabei will ich überhaupt nicht bestreiten, daß der Weg zu den von uns gesteckten finanziellen Zielen steinig und vor allem auch wegen des von der SPD majorisierten Bundesrates gefahrenreich ist. Dieser Weg könnte aber erfolgreich gegangen werden, nicht nur wenn wir dies alles wollen, sondern wenn wir auch die entsprechenden Initiativen dazu ergreifen. Ich frage heute schon die SPD - und wir werden dies natürlich auch im Haushaltsausschuß immer wieder tun -, ob sie für diesen erfolgversprechenden Weg mit uns gemeinsam die Verantwortung übernehmen möchte.
Wir von der Koalition sind für diesen Weg gut gerüstet. Wir werden im Rahmen unserer Beratungen zunächst die 1,6 Milliarden DM auf der Ausgabenseite zu kürzen haben, die als Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz 1996 vom Bund zu verkraften sind und die über die 60-MilliardenDM-Grenze für die Nettokreditaufnahme hinausgehen. Als Haushälter hat man es natürlich ungern, daß man nach Vorliegen des Regierungsentwurfes durch zusätzliche Gesetzesmaßnahmen, die unvermeidbar waren, zusätzlich streichen muß. Es wäre uns lieber gewesen, wenn diese 1,6 Milliarden DM beim Bund auf der Ausgabenseite nicht angefallen wären, aber wir haben diese Aufgabe nun zu bewältigen. Das wird der erste Schritt sein.
Spielraum für belastende Ausgabenbeschlüsse ist deshalb - ich sage es hier ganz deutlich, auch an die, die jetzt schon wieder kommen und mehr haben wollen - nicht vorhanden. Wir haben in der Koalitionshaushaltsgruppe vorweg schon einmal beschlossen, die sächlichen Verwaltungsausgaben grundsätzlich auf dem Stand des Vorjahrs zu belassen. Um die Ausgaben- und Defiziteckwerte unbedingt einzuhalten, müssen Ausgabeerhöhungen und Einnahmeherabsetzungen in voller Höhe durch echte Einsparungen im jeweiligen Einzelplan gedeckt werden. Dieses sogenannte Moratorium, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, gilt insonderheit natürlich auch für die Bundesregierung selbst.
Dieser Grundsatz bedeutet auch: Aufstockung und Neubewilligung spezifischer Leistungen für die neuen Bundesländer setzen eine vollständige Gegenfinanzierung durch entsprechende Absenkungen im Bereich der einigungsbedingten Leistungen voraus. Dabei möchte ich die Notwendigkeit einer Degression und einer stärkeren Konzentration der Leistungen für die neuen Länder unterstreichen.
Folgendes will ich jetzt in vier ganz knapp gefaßten Punkten festhalten:
Erstens. Auf der Grundlage der aktuellen Arbeitsmarkteinschätzung besteht nach Überzeugung der Haushaltsgruppe der Koalition kein Bedarf für einen Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit im Jahre 1996. Für den Fall einer flacheren Arbeits-
Dr. Erich Riedl
marktentwicklung im Herbst dieses Jahres ist möglichst durch administrative Maßnahmen darauf hinzuwirken, daß bei der Bundesanstalt für Arbeit insbesondere durch Begrenzung der disponiblen und Ermessensleistungen ein Defizit nicht entsteht.
- Sie, Herr Kollege Diller, haben gestern gefragt, und heute bekommen Sie eine Antwort. Schneller geht es doch gar nicht. Sie müssen sich nur daran halten; dann werden wir unser Sparziel erreichen.
- Sie sollen nicht so viel reden, Herr Diller, Sie sollen mitschreiben, damit Sie es sich merken und es nachlesen können.
Zweitens. In der Koalitionsarbeitsgruppe besteht Einvernehmen, die Arbeitslosenhilfeaufwendungen durch die vorgesehene Reform der Arbeitslosenhilfe und die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe um insgesamt 3,4 Milliarden DM im Jahre 1996 zu vermindern.
Drittens. An den finanziellen Eckpunkten für die BAföG-Strukturreform und an ihrem Wirksamwerden zum Herbst 1996 ist festzuhalten, um Spielraum für andere bildungs- und forschungspolitische Maßnahmen zu schaffen.
Viertens. Alle Bundesministerien müssen sich nach Überzeugung der Koalition im Haushaltsausschuß vor Beginn des Regierungsumzugs nach Berlin einer Organisationsstrukturreform unterziehen; vorhandene Strukturen müssen an die sich verändernden Anforderungen angepaßt werden.
Ich bin im übrigen überzeugt: Wenn diese vier Punkte stringent eingehalten werden, wenn vor allen Dingen auch beim letzteren gründlich gearbeitet wird, werden wir sehen, wie schnell einige Milliarden an Einsparungen zusammenkommen.
Eine Schlußbemerkung. Angesichts der immensen Aufgaben, die auf die deutsche Finanzpolitik seit der Wiedervereinigung im Jahre 1990 zugekommen waren, insbesondere auf Grund des erst allmählich sichtbar gewordenen Desasters der ehemaligen DDR, stehen wir heute vor einer bemerkenswerten Situation.
Fünf Jahre nach der Wiedervereinigung können wir schon jetzt darangehen, die einigungsbedingt überhöhten Staatsausgaben, die einigungsbedingt überhöhte Staatsverschuldung und die einigungsbedingt überhöhte Abgabenlast der Bürger planmäßig zu reduzieren,
und dies, obwohl der Bundeshaushalt - dies ist kein Fingerzeig, vor allen Dingen kein ärgerlicher, an den Bundesrat; aber es ist eine Tatsache - bei aller Anerkennung des finanziellen Beitrags der Bundesländer zur Wiedervereinigung die Kosten der Wiedervereinigung zu einem überdurchschnittlichen Anteil getragen hat. Wir haben heute eine gute Chance, die finanzpolitischen Eckdaten der Staatsverschuldung und der Abgabenlast bis zum Jahr 2000 wieder auf den Stand zurückzuführen, den wir vor der Wiedervereinigung zu verzeichnen hatten. Wenn uns dies in zehn Jahren gelänge, wäre dies ein zweites deutsches Wirtschaftswunder.
Aber damit wir dieses Ziel erreichen, müssen wir den Entwurf zum Haushalt 1996 ordentlich beraten, wobei ich der Öffentlichkeit einmal ein ganz offenes Wort sagen muß. Der Ärger, der sich im Plenum des Bundestages oft bei Haushaltsdiskussionen abspielt, ist im Haushaltsausschuß eigentlich gar nicht so zu spüren. Die Beratungen im Haushaltsausschuß sind - ich will dies auch einmal an die Opposition sagen - regelmäßig mit ernsten Anstrengungen verbunden,
zu sparen und den Haushalt korrekt zu verabschieden. Nur, meine Damen und Herren von der Opposition, dann haben Sie auch einmal den Mut, hier in aller Offenheit zu sagen, daß Sie in den vergangenen Jahren mehr als 90 % der Ausgaben im Haushaltsausschuß des Bundestages immer selbst mitgetragen haben!
Wenn Sie dies auch bei der Beratung dieses Haushaltsentwurfs tun, dann könnte man in der zweiten und dritten Lesung vielleicht sogar sagen: So schlecht, wie sich die Opposition in dieser ersten Lesung der Öffentlichkeit präsentiert hat, war sie im Haushaltsausschuß in Wirklichkeit nicht.
Sie haben eine Chance, sich zu verbessern.
Als nächster spricht der Abgeordnete Karl Diller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte in dieser Woche hat gezeigt: Diese Bundesregierung sitzt in der Zinsfalle ihrer eigenen Verschuldungspolitik.
Was Sie als Sparhaushalt bezeichnen, Kollege Erich Riedl, ist in Wahrheit das Eingeständnis der Bundesregierung, einen immer geringeren Beitrag zur Bewältigung notwendiger Strukturveränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten. In weiten Bereichen sind die Ausgabenansätze des Bun-
Karl Diller
deshaushaltes dadurch bestimmt, gerade noch die eingegangenen Verpflichtungen der Vorjahre zu erfüllen. Für die Gestaltung der Zukunft reicht das aber nicht aus.
Was ich hier in Händen halte, Kollege Dr. Weng, zeigt das Ergebnis Ihrer Finanzpolitik.
Es zeigt den Anteil der Zinsausgaben am Bundeshaushalt.
Der Unterschied zwischen der Belastung 1982 hier und 1991 dort läßt die Zinsfalle deutlich werden, in die uns Herr Waigel hineingeführt hat.
Innerhalb von nur vier Jahren hat sich der Anteil der Zinsen am Bundeshaushalt verdoppelt.
Die Zinsen für das Schuldenmassiv des Herrn Waigel von fast 1 380 Milliarden DM fressen die Steuereinnahmen förmlich auf.
- Das kann ich Ihnen nachfühlen, denn, Herr Waigel, 1991 haben Sie 13 % Ihrer Steuereinnahmen für Zinsen ausgeben müssen. Das ist roundabout jede achte Steuermark. Heute brauchen Sie schon jede vierte Steuermark, um die Zinslast zu bedienen - geschweige denn, daß Sie irgend etwas tilgen können.
Unter diesen Bedingungen ist gestaltende Politik fast unmöglich geworden.
Herr Bundesfinanzminister, Sie versuchen, diese bedrohliche Zinsfalle mit einer absurden Aufrechnung der Zinsen gegen die Nettokreditaufnahme - Sie haben am Dienstag den Kollegen Roth zitiert -
zu verniedlichen, so als wäre der Anstieg der Neuverschuldung auf mehr als 60 Milliarden DM halb so schlimm, weil dem Kapitalmarkt gleichzeitig 95 Milliarden DM an Zinsen zufließen. Das ist eine völlig verdrehte Logik.
Nach dieser Logik hätte Herr Waigel nämlich sozusagen noch einen Spielraum von 35 Milliarden DM für zusätzliche Schulden. Was Sie als für den Kapitalmarkt positiv bewerten, ist in Wahrheit eine skandalöse Umverteilung von Einkommen.
Die Steuergroschen der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen schieben Sie den Kapitalanlegern in die Taschen.
Ludwig Erhard würde bei diesen Zahlen rotieren; denn der verstand noch etwas von sozialer Symmetrie. In seinen schlechtesten Zeiten flossen gerade einmal 2,4 % der Steuereinnahmen in die Zinsausgaben.
Das Gebirgsmassiv, das Sie hier sehen, meine Damen und Herren, sind die Zinsen für den Bundesschuldenberg.
Zu Ihrer Information: Das hier ist der Schuldenstand des Bundes und seiner Schattenhaushalte des Jahres 1982.
Sie wissen, was ich damit sagen will. Das hier ist das Waigelsche Gebirgsmassiv an Schulden.
Um die Zinsen für den Bundesschuldenberg zu bezahlen, muß im Durchschnitt jeder, vom Säugling bis zum Greis, wenn man es auf die Einwohner umrechnet, 1 150 DM pro Jahr nur an den Bund Steuern zahlen, also mehr als 4 500 DM von einer vierköpfigen Familie. Herr Waigel, uns allen würde es heute sehr viel besser gehen, wenn Sie die Bürger weniger geschröpft hätten oder wenn Sie den Bürgern die überhöhten Steuern zumindest in Form von Arbeitsplätzen, einem besseren Verkehrssystem, besseren Aus-
Karl Diller
bildungen oder mehr Wohnungen in den neuen Ländern zurückgegeben hätten.
Die Formel Ihrer Finanzpolitik lautet seit Jahren: Steuern und Abgaben herauf, staatliche Leistungen herunter! Was daran symmetrisch sein soll, bleibt Ihr Geheimnis.
Mit „symmetrischer Politik" wollen Sie jetzt die Staatsquote bis zum Jahr 2000 auf 46 % senken. Kollege Riedl sprach davon. Ich halte das für ein finanzpolitisches Märchen; denn das hieße doch nach Ihrer Rechnung, daß Sie über einen finanzpolitischen Handlungsspielraum von 140 Milliarden DM verfügen müßten, 70 Milliarden davon zur Senkung des Defizits und über 70 Milliarden DM für zusätzliche Steuerentlastungen. Wenn diese Zahlenspielerei auch nur etwas mit der Wirklichkeit zu tun hätte, dann schreiben Sie das doch in Ihre Finanzplanung hinein, Herr Waigel.
Dann machen Sie doch Schluß mit dem koalitionsinternen Hickhack um den Abbau des Solidaritätszuschlags. Dann sagen Sie ohne Wenn und Aber: Der Bundesfinanzminister wird spätestens 1998 39 Milliarden DM Solidaritätszuschlag den Bürgern zurückgeben. Dafür bräuchten Sie doch gerade einmal die Hälfte Ihres angeblichen Steuersenkungsspielraums. Sie wissen, daß dies ein Märchen ist. Deshalb unterlassen Sie das.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben gesagt: Auch die Politik muß ehrlich arbeiten. Wir sagen: Dann halten Sie sich endlich einmal daran!
Denn daran hat es in Ihrer Finanzpolitik seit der deutschen Einheit gefehlt.
Mit Ihrer Behauptung, 1996 würden die Ausgaben des Bundes sogar sinken, ist Ihnen ein medienwirksamer Gag gelungen. Das müssen wir zugestehen. Aber ehrlich, Herr Waigel, ist das doch nicht, denn die Bundesausgaben steigen um 0,4 % gegenüber dem Vorjahr. Das ist nicht viel. Aber sie steigen. Weil es ihm nur um das Plus und Minus ging, konnte er es sich wieder nicht verkneifen zu mogeln.
Denn während Sie die Bundesausgaben um die Systemumstellung beim Familienleistungsausgleich bereinigen, verschweigen Sie die zur gleichen Zeit stattfindende Systemumstellung des schienengebundenen Nahverkehrs von der Ausgabenseite auf die Einnahmeseite;
eine Bilanzverkürzung genauso wie beim Kindergeld. Auf der Einnahmeseite werden dafür
8,7 Milliarden DM im nächsten Jahr abgesetzt. Bis
1999 wird der Betrag auf 13,2 Milliarden DM sogar steigen. Verfälschen Sie, Herr Waigel, mit solchen Buchungstricks nicht den wahren Anstieg der Bundesausgaben!
Herr Waigel, Sie haben am Dienstag behauptet, beim Lean management, neudeutsche Vokabel für Personalabbau, könne sich der Bund im Dreijahresvergleich 1992 bis 1995 sehen lassen. Sie haben sogar den Vergleich zum Personalabbau bei DaimlerBenz gezogen. Im Gegensatz zu Daimler-Benz allerdings kommen Sie nie aus den roten Zahlen heraus.
Zutreffend ist: Die Personalstellen des Bundes sollen von 1992 bis 1995 - das ist Ihr Zeitraum - von 380 000 auf 325 000 zurückgeführt werden. Von diesem Rückgang aber entfallen allein 45 000 Stellen, also 82 %,
auf die Truppenreduzierung der Bundeswehr. Soll das etwa die Modernisierung der Verwaltung sein?
Geradezu peinlich wird es bei den Ministerien. Da wachsen die Personalstellen in dem von Ihnen genannten Zeitraum, von 1992 bis 1995, trotz aller angeblichen Kürzungen sogar noch um 511 auf 21 570.
Vielleicht verstehen Sie in der Koalition unter Lean management ja etwas ganz anderes. Beispielsweise die Frühpensionierung eines Botschafters, der im Alter von 59 Jahren anschließend wieder fit genug ist, zu seiner Pension eine gutbezahlte Nebentätigkeit bei einem deutschen Konzern zu übernehmen.
Oder Sie verstehen darunter das Ausscheiden eines Staatssekretärs aus dem Innenministerium, liebe Kollegin Albowitz, der im Alter von 46 Jahren gegangen wurde - bei voller Pension. Der Mann hatte ein Dienstvergehen begangen. Da wäre ein Disziplinarverfahren mit drastisch verkürzten Bezügen angebracht gewesen. Statt dessen hat der Mann heute einen neuen Job. Zusätzlich zur Pension verdient er noch als Vorstandsvorsitzender einer Krankenkasse.
Herr Bundesfinanzminister, Ihre Frage nach dem Konzept der SPD für eine moderne Politik, für eine wirkliche Alternative - -
Karl Diller
- Herr Waigel?
- Herr Waigel!
- Herr Waigel, ich gönne Ihnen die Unterhaltung mit dieser Kollegin natürlich, das ist völlig klar.
Das ist bestimmt angenehmer, als sich unsere Vorhaltungen anzuhören.
Herr Waigel, Ihre Frage nach dem Konzept der SPD für eine moderne Politik, für eine wirkliche Alternative, diese Frage, die Sie am Dienstag gestellt haben, ist an Scheinheiligkeit nicht mehr zu überbieten;
denn es ist doch die Koalition, die auf Grund ihrer eigenen Handlungs- und Reformunfähigkeit gezwungen ist, Stück um Stück sozialdemokratische Alternativen zu übernehmen.
Erstes Beispiel. Es war doch die Koalition, der nach den Urteilen zur Verfassungswidrigkeit beim Familienleistungsausgleich sowie beim steuerfreien Existenzminimum 1991, 1992, 1993, 1994 nichts einfiel, die nichts vorlegte.
Erst auf den letzten Drücker legten Sie einen Gesetzentwurf vor, der erneut verfassungswidrig war und von der Fachwelt in der Luft zerrissen wurde.
Die mit dem Jahressteuergesetz 1996 erreichten Verbesserungen für Normalverdiener und Familien, der Einstieg in die Korruptionsbekämpfung und in den Abbau ungerechter Steuersubventionen sind doch der Erfolg der SPD. Deshalb erinnere ich nochmals an unsere Alternativen.
Herr Riedl hat vorhin gemeint, man solle sich das eine oder andere aufschreiben. Lieber Kollege Riedl, deshalb zum Notieren: Sie hatten einen unausgegorenen Gesetzentwurf mit dem häßlichen Buckeltarif vorgelegt. Wir, die SPD, haben erreicht, daß sich die Steuerentlastung nun auf die kleinen und mittleren Einkommen konzentriert.
Sie wollten das Existenzminimum auf höchstens 12 000 DM begrenzen.
Wir, die SPD, haben erreicht, daß das Existenzminimum bis 1999 auf 13 000 DM angehoben wird. Damit helfen wir erneut den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen.
Sie wollten die ungerechte Familienförderung fortsetzen. Wir, die SPD, haben für das Jahr 1996 eine Verbesserung des Kindergeldes für das erste und zweite Kind auf 200 DM, für 1997 auf 220 DM, für das dritte und vierte Kind sogar auf 300 DM bzw. 350 DM durchgesetzt. Es ist das Verdienst der Sozialdemokratie, daß ab 1996 für 95 % aller Kinder in diesem Land ein einheitliches, vom Einkommen der Eltern unabhängiges, gleiches Kindergeld gezahlt wird.
Sie haben eine Steuervereinfachung immer wieder angekündigt, aber nie in Angriff genommen.
Wir, die SPD, haben jetzt erreicht, daß die ersten Steuervereinfachungen in Kraft treten. Dabei ist es ein steuerpolitisches Signal für mehr Ehrlichkeit und Gerechtigkeit im Steuerrecht - das sage ich vor allem an die Verweigerer in der F.D.P. -, daß wir endlich die Abzugsfähigkeit von Bestechungs- und Schmiergeldern abgeschafft haben.
Das ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Korruption, gegen den sich die Koalition und insbesondere die F.D.P. jahrelang mit Händen und Füßen gewehrt haben.
Ein zweites Beispiel: Sie wollten jahrelang von einer gerechten Neuregelung der steuerlichen Wohneigentumsförderung nichts wissen. Wir Sozialdemokraten haben immer wieder gefordert, die bisherige progressionsabhängige Förderung in einen für alle Bürger gleich hohen Förderbetrag umzuwandeln.
Ihr Gesetzentwurf vom 8. August greift unsere Forderungen auf, ist aber noch unzureichend und muß in mehreren Punkten nachgebessert werden, z. B. bei der von uns geforderten Zusammenlegung der dem einzelnen Ehegatten zustehenden Förderung auf eine gemeinsame Wohnung. Sonst greift diese Reform zu kurz.
Was jetzt geschieht, ist nach der Sozialdemokratisierung der Steuerpolitik die Sozialdemokratisierung der Wohnungspolitik.
Wir Sozialdemokraten haben Sie mit unserem Konzept in der Steuer- und Wohnungspolitik gezwungen, Stück um Stück unseren Kurs zu übernehmen.
Karl Diller
Drittes Beispiel: Bei der ökologischen Steuerreform wird es Ihnen nicht besser ergehen. Weil Sie noch keine eigene Konzeption vorstellen können, versuchen Sie, unsere Konzeption als ideologische Träumerei abzutun. Das sind wir gewohnt. Ich wette, Sie werden sich auch hier auf Dauer unserer zukunftsweisenden Konzeption nicht entziehen können.
Wir Sozialdemokraten wollen die ökologische Erneuerung und die wirtschaftliche Modernisierung miteinander verknüpfen. Unser Ziel ist, die Verbesserung der Leistungskraft unserer Volkswirtschaft und der Wettbewerbschancen der Unternehmen in Ost- wie in Westdeutschland mit dem Schutz von Umwelt und Gesundheit sowie der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu verbinden.
Unverzichtbarer Bestandteil dieser Strategie ist eine Steuerreform, die zwei Ziele miteinander verknüpft: Die Preise für Energie müssen langfristig die Kosten der Umweltbelastung durch Energieerzeugung und Energieverbrauch widerspiegeln. Dieses Ziel verbinden wir mit einem steuerlichen Konzept, das die notwendigen Kostenentlastungen für Unternehmen wie für Arbeitnehmer durch eine Senkung der Lohnnebenkosten kombiniert.
Dieses Konzept ist komplett aufkommensneutral, beim Staat wird keine müde Mark verbleiben. Alles wird zurückgegeben. Eine Mehrbelastung von Bürgern und Wirtschaft findet nicht statt.
Das ist ein anspruchsvolles, ein ehrgeiziges Konzept, ein Vorschlag, mit dem die Politik den Bürgern wieder eine Reformperspektive bietet und von dem wir deshalb überzeugt sind, daß er irgendwann eine Mehrheit finden wird.
Ihre Politik dagegen wird durch fortwährende Angriffe gegen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, gegen Tarifautonomie und Mitbestimmungsrechte, gegen paritätische Finanzierung der Krankenversicherung, gegen Arbeitslosen- und Sozialhilfe, gegen Arbeitszeitverordnungen usw. geprägt.
Wer Kostensenkungen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit nur auf der Personalseite und nur durch Entlassungen sucht, gibt einen entscheidenden Standortvorteil Deutschlands auf: unser Kapital an hervorragend ausgebildeten Wissenschaftlern, Ingenieuren und Arbeitnehmern im Osten wie im Westen. Wer wie Sie der Entwertung menschlicher Arbeit zum reinen Kostenfaktor Vorschub leistet, fällt hinter Ludwig Erhard zurück und schwächt die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft, statt sie zu stärken.
Ziel unserer Politik ist, die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß mit innovativen Produkten Arbeitsplätze ebenso schnell aufgebaut werden können, wie sie bei den traditionellen Industrien wegbrechen.
Sonst kommen wir von den immensen Kosten der Arbeitslosigkeit von 140 Milliarden DM im Jahr nie herunter, und die Konsolidierung des Staatshaushaltes rückt in weite Ferne.
Wir haben mit unserem Arbeitsmarkt- und Strukturförderungsgesetz einen konzeptionell neuen Ansatz vorgelegt. Wir fordern Sie im Interesse von Millionen arbeitslosen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zwischen Stralsund und Trier, zwischen Flensburg und Garmisch auf: Verweigern Sie sich nicht weiter dieser Aufgabe! Beschreiten Sie mit uns die neuen Wege zu einer Arbeitsmarktpolitik, die zu mehr Beschäftigung führt!
Herr Minister, Sie sprechen von „zukunftsweisenden Schwerpunkten und Akzenten" Ihres Haushaltsentwurfs. Schauen wir sie uns an. Ihrem Umweltetat haftet nach wie vor Alibicharakter an. Dieses Ministerium - die Älteren erinnern sich - wurde nach der Tschernobyl-Katastrophe gegründet, nur um einen politischen Gag hervorzuzaubern und eine Landtagswahl gewinnen zu können. Heute ist der Umweltetat zum Steinbruch Waigelscher Finanzpolitik geworden. Ein Beispiel: Die Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen betrugen 1992 noch über 200 Millionen DM. Im nächsten Jahr sollen es nur noch 58 Millionen DM sein. Dies ist ein besonders trauriges Beispiel für Ihr Versagen in der Umweltpolitik.
Sie haben sich als unfähig erwiesen, den Herausforderungen der Industriegesellschaft gerecht zu werden. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, die von Ihnen eingegangene Selbstverpflichtung bezüglich des CO2-Gehalts in Politik umzusetzen. Sie betreiben ökologischen und ökonomischen Unfug, wenn Sie den Kohlepfennig durch eine Haushaltsfinanzierung ersetzen, die in Milliardenhöhe der Bundesanstalt für Arbeit Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik im Gegenzug streicht. Hier haben sich CDU und CSU wohl gegen bessere Einsicht von der F.D.P. parteipolitisch mißbrauchen lassen.
Ihre falsche Weichenstellung setzt sich in der Struktur des Verkehrshaushalts fort. Sie konnten Ihre politische Entscheidung von 1994, die zweite Stufe der Bahnreform durch Einnahmen aus dem Verkehrsbereich zu finanzieren, politisch nicht einlösen, weil Sie sich in dem Gestrüpp von Finanzierungsvorschlägen - Mineralölsteuererhöhung, CO2- Abgabe, Straßenbenutzungsgebühren, Vignettenlösung und und und - verstrickten. Herausgekommen ist nun die schlechteste aller denkbaren Lösungen. Das Finanzierungsloch bei der Bahnreform in Höhe von 6 Milliarden DM wollen Sie durch eine drastische Kürzung der Verkehrsinvestitionen stopfen. Ein Musterbeispiel für falsche Prioritätensetzung! Jedermann ist klar, daß der tägliche Verkehrsinfarkt auf unseren Straßen nur durch eine Verlagerung auf die
Karl Diller
Schiene gebremst werden kann. Dennoch kürzen Sie die Bahninvestitionen um 2,3 Milliarden DM. Sie schnüren der neuen Bahn die Luft ab, bevor sie überhaupt die Chance hat, sich zu bewähren.
In Ihrer Verkehrspolitik stimmt gar nichts mehr. Da lehnen Sie bei den Haushaltsberatungen für dieses Jahr den SPD-Vorschlag, 250 Millionen DM beim Autobahnneubau zugunsten von Lärmschutzmaßnahmen an Straßen- und Schienenwegen umzuschichten, rundweg ab. Was macht diese Koalition für 1996? Sie greifen diesen Vorschlag auf, aber nicht, um die Lebenssituation der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern, sondern um Haushaltslöcher zu stopfen. Sie kürzen die Investitionsmittel für die Bundesstraßen um sage und schreibe 22 %, um mehr als ein Fünftel. Das bedeutet, daß dringend notwendige Ortsumgehungen zur Verkehrsentlastung der innerstädtischen Verhältnisse nicht in Angriff genommen werden können. Ich verstehe den Zorn der Bürgerinnen und Bürger sehr gut, die diesen krassen Fehlgriff von Waigel als Anschlag auf ihre Gesundheit empfinden müssen.
Wenn Sie angesichts eines Fehlbestands von zwei Millionen bezahlbarer Wohnungen die investiven Mittel für den sozialen Wohnungsbau um 600 Millionen DM zusammenstreichen, dann setzen Sie in der Wohnungspolitik einfach die falschen Akzente.
Neubestimmung der Prioritäten heißt für Kanzler Kohl, daß er von seiner Zusage in der Regierungserklärung nichts mehr wissen will, das Wohngeld einkommens- und mietengerecht anzupassen. Mit keinem Satz bietet die mittelfristige Finanzplanung irgendeine Perspektive. Das heißt, zwischen 1990 und 1999 soll nach Ihrem Willen in Sachen Wohngeld überhaupt nichts passieren. In dieser Zeit wird sich die durchschnittliche Mietbelastung, gemessen am verfügbaren Einkommen, mehr als verdoppelt haben.
Daß der Herr Töpfer, jetzt fachlich zuständig, als Umweltminister nur ein Ankündigungsminister war, wissen wir alle. Das beweist sich auch hier; denn er hat für 1996 eine Wohngelderhöhung angekündigt. Aber ich mache darauf aufmerksam: Hier handelt es sich um eine Regierungserklärung. Hier ist der Bundeskanzler persönlich im Wort.
Ihr Akzent im Verteidigungshaushalt ist der Ausgabenanstieg. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben unsere kritische Wertung des Verteidigungshaushaltes am Dienstag mit haltlosen Bemerkungen garniert. Der Verteidigungshaushalt ist für uns kein Steinbruch der Haushaltspolitik; das sage ich, damit das klar ist.
Aber Sie müssen uns und den Bürgern begründen, weshalb die Verteidigungsausgaben um eine halbe Milliarde DM steigen können, während für Wohngeld kein Geld da ist.
Wir haben allen Grund zu der Annahme, daß im Verteidigungshaushalt nicht sparsam genug mit dem Geld des Steuerzahlers umgegangen wird. Denn Sie können den Verteidigungsminister auf die Schnelle anweisen, Hunderte von Millionen DM für den Bosnien-Einsatz in seinem Haushalt zusammenzusuchen.
Wenn ich Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel nennen darf: Auf der Hardthöhe realisiert man jetzt ursprünglich nicht geplante Beschaffungsvorhaben - 20 Millionen DM für neue Tarnanzüge -, für die es im Dezember letzten Jahres bei Ihnen noch hieß: 1995 kein neuer Bedarf, da ausreichend Vorräte vorhanden. Bei so viel Luft unseren Antrag, für 1995 eine Wehrsolderhöhung vorzusehen, abzulehnen zeigt Ihre wahre Einstellung.
Sie bezeichnen es als einen weiteren Akzent Ihres Haushaltsentwurfs, daß die Aufwendungen für Forschung und Technologie um 270 Millionen DM oder 2,9 % steigen. Auch das ist nur die halbe Wahrheit. Forschung und Bildung gehören nämlich zusammen. Die Ausgaben für diesen vielbeschworenen Zukunftsetat des Ministers, der bei dieser Regierung nicht in der ersten, sondern in der letzten Reihe der Regierungsbank sitzt, steigen um klägliche 0,6 %. Damit wird nicht einmal die Preissteigerung wettgemacht. Bis 1999 sollen die Ausgaben praktisch bei 15,5 Milliarden DM stagnieren. Das heißt, die Leistungen gehen wegen der Preisentwicklung real deutlich zurück. Das ist keine Innovationsoffensive; das ist ein Armutszeugnis.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben der von Ihnen beabsichtigten Umstellung der BAföG-Finanzierung Modellcharakter für andere Reformen zugesprochen. Tatsächlich wäre die BAföG-Umstellung zum ersten ein Musterbeispiel für Ihre verfehlte Sachpolitik. Die geplante Umstellung der staatlichen Förderung auf Bankdarlehen - hochverzinslich - spricht dem Ziel bildungspolitischer Chancengleichheit hohn. Ihre Pläne führen zu einer Verdopplung des zurückzuzahlenden Darlehensbetrages bei Vollförderung von rund 35 000 auf 72 000 DM.
Wenn zwei Absolventen einer Hochschule heiraten, haben sie zu gewärtigen, daß sie zusammen 140 000 DM Schulden haben. Eine absurde Förderung für junge Familien! In den Lebensjahren, in denen andere für ihr Häuschen sparen, sollen die Rüttgers-Studenten ihren Ausbildungskredit abstottern. Ihre Pläne, junge Menschen mit einer solchen Hypothek in das Erwerbsleben zu schicken, lehnen wir ab.
Karl Diller
Jeder weiß, daß heutzutage hohe Qualifikation keine Einkommensgarantie mehr darstellt. Sie befreit auch keineswegs von dem persönlichen Arbeitsplatzrisiko oder dem Risiko einer unterwertigen Beschäftigung.
Ihre Pläne sind das Gegenteil der angekündigten Qualifizierungs- und Innovationsoffensive. Sie wollen fähige junge Leute aus einfachen Verhältnissen vom Studium abhalten.
Wir brauchen aber keine bildungspolitische Abschreckungsstrategie, sondern eine Strategie zur Ausschöpfung unserer Bildungspotentiale.
Zum zweiten wäre die BAföG-Umstellung ein Musterbeispiel für Ihre unsolide Finanzpolitik. Diese Pläne sind finanzpolitisch unsolide, weil der Bundeshaushalt nur vorübergehend Spielraum für Umschichtungen bekäme. Die Bankenlösung ist nichts anderes als ein neuer Schattenhaushalt. Die Auslagerung der Darlehen auf das Bankensystem führt in der Zeit staatlicher Zwischenfinanzierung übrigens zu kumulativen Zinsausgaben und wird spätestens nach zehn Jahren den Haushalt von Bund und Ländern teurer als das bestehende System kommen. Deshalb lehnen die Bundesländer zu Recht Ihren Vorschlag völlig ab.
Zum dritten wäre die BAföG-Umstellung ein Musterbeispiel für Ihre Art der Lastenverschiebung auf die Länder. Sie versuchen, dieses Angebot den Ländern mit einer Paketlösung schmackhaft zu machen: Da habt Ihr 80 Millionen DM mehr für den Hochschulbau. Damit lösen Sie zum einen nicht die strukturellen Probleme im Hochschulbau, und zum anderen versteckt sich hinter diesem Angebot eine massive Umverteilung der Kosten auf die Länder. Das nämlich, was Sie als Reform der Hochschulfinanzierung vorgestellt haben, z. B. die Anhebung der Bagatellgrenze oder die geplante Reduzierung des Medizinanteils, würde im Ergebnis für die Länder zusätzliche Mehrbelastungen in Höhe von 1 000 Millionen DM pro Jahr bedeuten. Ihre rückwärtsgewandte Bildungspolitik wird deshalb zu Recht nahezu einhellig von den Ländern, dem Wissenschaftsrat, den Hochschulen und selbst den Ihnen nahestehenden Studentenverbänden abgelehnt.
Wer mit seiner Politik zu Hause so wenig überzeugen kann, dem fällt ein Stein vom Herzen, wenn er einmal vom Ausland gelobt wird, in Ihrem Falle von der OECD. Wir fragen uns aber, was die 3 Millionen Arbeitslosen in Ost- und Westdeutschland damit anfangen sollen. Glauben Sie ja nicht, daß die Arbeitslosen sagen: Prima, eine solche Note von der OECD ist es uns wert, daß die Bundesregierung die Arbeitsmarktpolitik um 12 Milliarden DM zusammenstreicht!
Mit Maastricht-Kriterien allein können Sie die Bürgerinnen und Bürger nicht überzeugen, Herr Waigel.
Diese erfahren nämlich im Osten wie im Westen tagtäglich am eigenen Leib, daß diese Bundesregierung keine Strategie für mehr Arbeitsplätze, keine Strategie für eine moderne und umweltgerechte Wirtschaftspolitik, keine Strategie für ein bedarfsgerechtes Ausbildungssystem und auch keine Strategie für die Schaffung ausreichenden, bezahlbaren Wohnraums hat.
Die meisten Bürgerinnen und Bürger leben mit der bitteren Erfahrung, wegen einer erdrückenden Steuer- und Abgabenlast jede Mark zweimal umdrehen zu müssen. Der Einzelhandel kann in diesen Tagen ein Lied davon singen.
Die meisten Bürgerinnen und Bürger leben mit der bitteren Erfahrung, daß die Regierung Kohl/Kinkel Stück um Stück aus dem Sozialhaushalt bricht.
Ihre Finanzpolitik verstärkt die Fehlentwicklungen der Vergangenheit und stellt die Weichen für die Zukunft unseres Landes in die falsche Richtung. Das Motto Ihrer Politik, Herr Waigel, ist in Wahrheit nicht „Sparen und Gestalten", sondern „Verschieben und Spalten" und wird deshalb von uns entschieden bekämpft.
Es spricht jetzt der Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Dr. Solms.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Abschluß dieser Haushaltsdebatte nur einige Stichworte aufgreifen.
Ihnen, Herr Kollege Diller, will ich sagen: Ihren Mut und Ihre Bemühungen in Ehren, gegen die miserable Presse für die Opposition anzureden - allein, es wird nichts fruchten, insbesondere nicht mit den Buchhalterargumenten, mit denen Sie uns hier zu unterhalten versucht haben.
Aber zuerst, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich dem Bundesfinanzminister gratulieren.
Einen besseren Haushalt und eine schönere Haushaltswoche hat er in seinem Berufsleben, glaube ich, noch nicht erlebt.
Nun ist es leider so: Der Sieg von heute könnte eine Niederlage von morgen bedeuten; das ist wie beim Ring des Polykrates. Wir werden jedoch hart daran arbeiten, daß dieser erfolgreichen Haushaltswoche eine Reihe noch erfolgreicherer folgen werden. Das ist unser Bemühen.
Dr. Hermann Otto Solms
Meine Damen und Herren, es führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen Ausgaben einsparen, um Gestaltungsspielräume zur Erneuerung unserer gesellschaftspolitischen Verhältnisse zu erreichen.
Dieser Haushalt ist ein Beweisstück dafür, daß die Ausgaben trotz der Notwendigkeit, den Einnahmeausfall durch den Wegfall des Kohlepfennigs auszugleichen - dies zeigt die große Anstrengung, die da -hintersteht -, seit 40 Jahren zum erstenmal tatsächlich absolut gesenkt werden.
Ich bin auch heute der Meinung, daß es richtig war, dies so zu machen - es hat sich gezeigt, daß das machbar ist -, weil nur dadurch der Druck erhalten bleibt, nicht mehr notwendige Subventionen tatsächlich abzubauen. Ohne den Druck der leeren Kassen geht das eben nicht.
Meine Damen und Herren, jetzt geht es darum, weiter an der Auflösung der Verkrustungen zu arbeiten und mehr Handlungsspielraum, insbesondere mehr Beschäftigungsmöglichkeiten im Standort Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist der richtige; allerdings ist er noch lange nicht zu Ende.
Dabei braucht man eine Opposition, die treibt, die anregt, die kritisiert, die hilft.
Ich kann die SPD nur auffordern, diese Aufgabe zu übernehmen. Allein, die SPD scheint gegenwärtig so sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, daß sie manövrierunfähig ist wie das Schiff von Frau WieczorekZeul in den Weiten des Südpazifiks. Ein Kollege aus der sozialdemokratischen Fraktion hat mir beiläufig gesagt, es wäre gar nicht schlecht, wenn das Schiff mit seiner Fracht noch lange dort liegenbliebe.
- Aber, bitte, ich berichte das nur; das ist nicht meine Meinung.
Meine Damen und Herren, der bekannte langjährige Fraktionsvorsitzende der SPD in NordrheinWestfalen, Friedhelm Farthmann, hat in einem sehr lesenswerten Interview in der „Wirtschaftswoche" von gestern auf die Frage „Ist die Krise des Interventionismus nicht die Krise der Sozialdemokratie?" gesagt:
Wir
- nämlich die SPD -
mißtrauen noch immer den Marktkräften und erwarten statt dessen das Heil von staatlichen Regelungen. Das gilt zwar nicht für die ganze Partei, hat aber die Entwicklung seit Beginn der siebziger Jahre stark geprägt.
So ist es.
In diesem Zusammenhang dauert mich Herr Scharping schon; denn es ist schwer, eine geradlinige Politik gestalten zu wollen, wenn die Truppen nicht stehen, wenn die Partei auf eine Linie gebracht werden soll, aber die Funktionäre auf den Parteitagen das anders sehen, wenn die Fraktion gegen den Bundesrat kämpft, wenn innerhalb der Fraktion und zwischen den Ministerpräsidenten Schaukämpfe ausgetragen werden. Trotzdem: Denkblockaden müssen, was ideologische Positionen anbetrifft, aufgehoben werden.
Wenn ich mir die Debattenbeiträge ansehe, die gestern beispielsweise Herr Schreiner oder Herr Dreßler oder am Dienstag Frau Matthäus-Maier hier abgeliefert haben, dann kann ich keine Verbesserungen erkennen.
Es wird mit Wortgewalt und großer rednerischer Begabung etwas getan, was die SPD in ihren Positionen geradezu blockiert und den Befreiungsschlag, der notwendig wäre, nicht möglich macht.
Aber, meine Damen und Herren, es geht ja jetzt darum, weitere Fortschritte zu erzielen. Wir müssen die Steuerbelastung, die Bürger und Unternehmen so sehr in ihrer Leistung hemmt und ihnen die Leistungsbereitschaft erschwert, dringend senken.
Wenn Sie allerdings, Frau Matthäus-Maier, erklären, die Steuerpolitik, die wir mit dem Jahressteuergesetz machen, sei eigentlich SPD-Politik, dann ist das eher peinlich; denn die gravierenden Unterschiede gerade beim Familienlastenausgleich überdecken Sie. Sie haben 250 DM Kindergeld für alle vorgeschlagen - gleichmacherisch - und dabei verschwiegen, daß dies ein verfassungwidriger Vorschlag ist. Wir haben einen Vorschlag gemacht, der verfassungskonform ist und den Kinderfreibetrag um über 50 % anhebt, aber eine gestaffelte Kindergeldlösung bringt, die bei Familien mit mehreren Kindern sogar zu Leistungen führt, die deutlich höher sind, als die, die Sie angeboten haben. Sie sollten also die Vaterschaft dort belassen, wo sie hingehört.
Wir müssen bei der Steuerentlastung aber weiter vorangehen. Sie wissen, daß wir uns darüber streiten, wann der Solidaritätszuschlag abgebaut werden soll und kann - wir meinen: so bald wie irgend möglich; er darf 1998 nicht überleben -, allerdings nicht zu Lasten der Fördermaßnahmen in den neuen Bundesländern. Das ist machbar. Der Solidaritätszuschlag belastet die Arbeitnehmer und Unternehmen im Osten genauso wie die im Westen. Deswegen ist es auch für diese notwendig, daß er abgebaut wird. Allerdings müssen die Fördermaßnahmen da, wo notwendig, insbesondere beim produzierenden Gewerbe, über einen längeren Zeitraum erhalten werden,
Dr. Hermann Otto Solms
Meine Damen und Herren, es geht jetzt um die Unternehmensteuerreform. Ich stelle mit Freude fest, daß hier ein Lerneffekt auf seiten der Opposition eingetreten ist. Man erkennt, daß die Gewerbekapitalsteuer eine ausgesprochen beschäftigungswidrige Abgabeform ist, weil sie die Substanz der Unternehmen belastet und sozusagen die Kosten erhöht.
Das gleiche gilt in weitem Maße, Frau MatthäusMaier, für die Vermögensteuer. Es hat doch keinen Sinn, sofort, nur weil das Wort Vermögen ausgesprochen und damit assoziiert wird, es könne sich nur um die ganz Reichen handeln, eine sachgerechte Diskussion zu verhindern. Wie sieht es bei der Vermögensteuer aus? Im letzten Jahr betrug das Aufkommen 6,6 Milliarden DM; davon stammen etwa 60 % aus der betrieblichen Vermögensteuer.
Für die betriebliche Vermögensteuer gilt genau das gleiche wie für die Gewerbekapitalsteuer. Sie belasten die Substanz der Unternehmen. Sie werden in anderen Industrieländern nicht erhoben und müssen dringend verschwinden.
Was bleibt dann übrig? Es bleibt eine Vermögensteuer mit einem Volumen von 2 bis 3 Milliarden DM übrig, die sehr aufwendig zu erheben ist. Schauen Sie sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes an! Wenn Sie dieses Urteil verwirklichen - das hat beispielsweise der „Spiegel" sehr gut analysiert -, dann wird die private Vermögensteuer, die verbleibt, von den Besitzern mittlerer Vermögen - von den Kleinen ohnehin nicht, da sie kein Geld haben - bezahlt werden müssen. Für die Großen gelten die Freistellungskriterien aus dem Urteil, so daß sie gar nicht mehr zum Zuge kommen.
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, darüber zu diskutieren, ob wir diese Steuerart nicht abschaffen, eine erhebliche Vereinfachung erzielen und eine Verrechnung mit anderen Steuerarten vornehmen können. Dann können wir über die Verteilungswirkung diskutieren. Damit habe ich gar kein Problem.
Mein Appell dient nur dazu, daß man nicht vordergründige Argumentationen aufbaut, die die sachgerechte Behandlung der Probleme verhindern.
Das gleiche gilt für die Frage der Arbeitsplätze. Es ist die zentrale Problemfrage in unserer Gesellschaft. Wie können wir erreichen, daß in Deutschland im ersten Arbeitsmarkt wieder Arbeitsplätze entstehen und geschaffen werden können? Wie können die Wettbewerbsverhältnisse verbessert werden? Man muß doch erst einmal eine schonungslose Analyse vornehmen, bevor man die Argumente der anderen niederknüppelt.
Dies ist mein Appell an Herrn Dreßler: Bemühen Sie sich, nicht nur über den zweiten Arbeitsmarkt zu reden, der seine Berechtigung hat, der aber das Problem nicht lösen kann, sondern lassen Sie uns über den ersten Arbeitsmarkt diskutieren und schauen, wo wir helfen können!
Eines ist doch klar: Die erste Verantwortung in diesem Punkt haben die Tarifvertragsparteien. Wenn Sie nicht wollen, daß weiterhin Arbeitsplätze verlorengehen und daß die Einkünfte der Arbeitnehmer sinken, dann müssen Sie zumindest mehr Flexibilität bei den Arbeitszeitgestaltungsregelungen oder auch bei den Tarifen möglich machen.
Sonst können wir dem nicht begegnen.
Der jetzige Kampf bei Volkswagen ist ein typisches Beispiel dafür. Bei BMW hat man den Samstag als Regelarbeitstag schon seit langen Jahren. Kein Mensch regt sich auf, auch nicht die IG Metall. Bei Volkswagen soll das Ganze nicht zugelassen werden. Das Ergebnis kann doch nur sein, - -
- Entschuldigung, ich hätte von Ihnen erwartet, daß auch Sie dazu einen Beitrag leisten und sagen: Kinder, wenn wir die Lohnhöhe sichern wollen, dann müssen wir an anderer Stelle dazu beitragen, daß die Lohnkosten für die Unternehmen sinken, damit sie wettbewerbsfähig bleiben.
Das gleiche gilt natürlich auch für die Sozialleistungen und die Lohnzusatzkosten. Wir sind uns darüber doch gar nicht uneinig, daß die Lohnzusatzkosten gesenkt werden müssen. Laßt uns doch darüber streiten, wie wir es machen!
Lassen Sie mich zum Schluß ein Argument aufgreifen, das Frau Kollegin Fuchs gestern angesprochen hat und bei dem es ein kleines Mißverständnis zwischen ihr und mir gab. Das Mißverständnis lag darin, daß ich von dem, was sie sagte, vielleicht etwas falsch verstanden habe oder sie sich mißverständlich geäußert hat. Wenn das Gesamtmanöver aufkommensneutral vonstatten gehen soll, hat sie meine volle Zustimmung. Das ist gar keine Frage. Ich bin der SPD dankbar, daß sie sich nicht von den Grünen hat verführen lassen, in diesem Bereich einen falschen Weg zu gehen.
Die Vorschläge der Grünen, was die Einführung von Öko-Steuern betrifft, bedeuten - wenn man einmal nachzurechnen versucht -, daß die Belastung der Steuerpflichtigen von 21 Milliarden DM Minimum am Anfang bis auf etwa 70 Milliarden DM steigt. Das
Dr. Hermann Otto Solms
kann in einer Zeit der zu hohen Steuern und Abgaben wirklich nicht das richtige Instrument sein.
Deswegen halte ich die Vorschläge der SPD, die ich zwischenzeitlich genau gelesen habe, für eine sehr gute Anregung zu einer sachgerechten Diskussion. Man muß ja auch einmal loben, wenn etwas lobenswert ist, auch wenn es von der Opposition kommt.
Auf diese Vorschläge gehen wir gerne ein. Über die Einzelheiten wird man reden müssen.
Aber die Linie, das aufkommensneutral zu gestalten, ist richtig. Auch darf bei der Einführung ökologischer Elemente ins Steuersystem die Arbeitsplatzsituation nicht beschädigt werden. Das ist eine der zwingenden Voraussetzungen dafür, daß bei der Diskussion ein vernünftiges Ergebnis herauskommt.
Das wollte ich etwas differenzierend darstellen, meine Damen und Herren.
Es geht jetzt darum, daß wir uns über die praktischen, aber notwendigen Fragen einigen und daß wir nicht von vornherein die Diskussion mit Totschlagsargumenten tottreten, so daß sie sich gar nicht erst entwickeln kann. Wenn es uns gelingt, diese Diskussion so zu führen, werden wir, auch was die Arbeitsplätze anbetrifft, wieder größere Erfolge erzielen.
Vielen Dank.
Als nächster spricht jetzt der Kollege Oswald Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Theo Waigels Milchbubenrechnung hat sich in den letzten Tagen bereits in erstaunlicher Dramatik bestätigt. Er stellt sich am Dienstag hier hin und sagt: Das ist ein Sparhaushalt par excellence. - Die Opposition - obwohl zugegebenermaßen nicht in bester Form - erwähnt die Haushaltsrisiken. Dann kamen gestern die Arbeitsmarktdaten, die die FAZ, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", heute als Hiobsbotschaft für den Finanzminister bezeichnet. Und heute früh kamen vom Statistischen Bundesamt die neuen Leistungs- und Handelsbilanzdaten, die ganz klar belegen, daß es im Juni dieses Jahres im Vergleich zum letzten Jahr einen Abwärtstrend von im Saldo über 4 Milliarden DM gibt. Auch das zeigt, wie die Konjunktur tatsächlich verläuft.
Sich dann als Finanzminister hier hinzustellen und zu sagen: „Bei diesem Haushalt kommen wir mit einer Neuverschuldung von knapp 60 Milliarden DM hin; dieser Haushalt repräsentiert seit langem die erste große Entlastungsaktion für den Steuerzahler", das paßt mit der tatsächlichen Entwicklung nicht zusammen. Denn die Entlastung, die Sie für das nächste Jahr versprechen, finanzieren sie auf Pump.
Sie reden hier immer von symmetrischer Finanzpolitik, von der Senkung der Steuer- und Abgabenquote und gleichzeitiger Absenkung der Verschuldung. Doch man muß klar sagen: Im nächsten Jahr müssen Sie nach dem Haushalt 1996 10 Milliarden DM Schulden machen, um die Entlastung für den Steuerzahler zu finanzieren. Zum anderen drücken Sie mit einer politischen Luftbuchung 3,4 Milliarden DM auf die kommunale Seite ab, und zwar durch die Senkung der Arbeitslosenhilfe, die Sie politisch nie und nimmer durchbekommen.
Der Kollege Riedl hat heute früh in seiner Auftaktrede gesagt, die Opposition operiere nur mit Horrorzahlen. Dazu sage ich: Im März dieses Jahres habe ich selber in der Abschlußdebatte prophezeit, daß dem Kollegen Roth das Drücken der Neuverschuldung im 95er Haushalt auf knapp unter 50 Milliarden DM wie ein Bumerang um die Ohren fliegen werde, daß im nächsten Jahr eine Neuverschuldung von 13 bis 15 Milliarden DM realistisch sei. - Wenn das eine Horrorzahl sein soll und wenn Sie die Opposition hier so undifferenziert darstellen, dann weiß ich nicht, wo wir stehen.
Wenn Sie sich die jetzigen Zahlen im Haushaltsplan Waigels angucken, die schon genannten 10 Milliarden DM, das Risiko der Arbeitslosenhilfe mit 3,4 Milliarden DM - wie gesagt, eine politische Luftbuchung -, keine Zahlungen an die Bundesanstalt für Arbeit, was auf Grund der Arbeitsmarktdaten absehbar nicht einzuhalten ist, dann wissen Sie genau, daß die Neuverschuldung realistischerweise eher über 13 bis 15 Milliarden DM als darunter liegen wird. Außerdem müssen Sie noch 1,6 Milliarden DM für die sich aus dem Jahressteuergesetz ergebenden Mehrkosten aufbringen, die aus der Lastenverschiebung zwischen Ländern und Bund resultieren. Das sind herkulische Aufgaben, auch in der kurzfristigen Finanzpolitik.
Wie die herkulische Aufgabe der deutschen Wiedervereinigung geschultert wurde, ist in dieser Woche bereits ausführlich diskutiert worden, nämlich zum größeren Teil auf den Schultern der Beitragszahler der Renten- und Sozialversicherungen, nicht aber durch die Steuerzahler. Wenn andere Kostenträger das zahlen, kann man sich hier natürlich breitschultrig hinstellen und sagen: Wir machen eine solide Finanzpolitik, wir senken die Kreditfinanzierung des Haushalts. So spielt die Musik nicht!
Es gibt eine weitere Begriffsverirrung hier im Gremium: Wo ist denn die Senkung der Staatsquote im nächsten Jahr? Wie aussagekräftig ist denn die ominöse Staatsquote, die in der mittelfristigen Finanzplanung von Theo Waigel bis zum Jahr 1999 auf 46 % zurückgeführt werden soll? Im nächsten Jahr sinkt durch die Veränderung in der Systematik der Kinder-
Oswald Metzger
geldzahlung, die zu einer Einnahmeverschlechterung beim Bund führt, die Staatsquote um etwa 0,7 Prozentpunkte. Das ändert aber nichts an den Nettoeinkommen der Bevölkerung. Die Staatsquote ist wirtschaftspolitisch gesehen sowieso weniger aussagekräftig, als Sie immer behaupten. Wesentlich aussagekräftiger ist die Steuer- und Abgabenquote. Sie wird auch im nächsten Jahr trotz des Jahressteuergesetzes bei etwa 44 % liegen. Sie stagniert praktisch.
Das ist die Realität. Damit sollten Sie sich einmal wirtschafts- und finanzpolitisch seriös auseinandersetzen.
Der Aussage, daß wir die Ausgaben senken müssen, stimme ich voll zu. Die Verteilung der Ausgabenlasten ist in diesem Bundeshaushalt viel zu stark dominiert durch die Finanzierung und auch die Subventionierung ökologisch falscher Industriemuster und gleichzeitig durch einen außerordentlich unglücklichen Denkansatz in der Sozialpolitik. Wir müssen angesichts der Vorbelastung durch eine Riesenverschuldung auch als Grüne akzeptieren, daß mit sozialpolitischen Lösungsansätzen keine Finanzpolitik des Staates mehr zu betreiben ist.
Wohin diese Situation führt, können wir diskutieren, wenn wir den Bereich Ökosteuer ansprechen. Hier, so muß ich Ihnen, Herr Kollege Solms, attestieren, lesen Sie die grüne Programmatik zu kurz. Für uns ist klar - das möchte ich zum wiederholten Male hier festhalten; das sagen alle unsere Redner in Plenardebatten, die Wirtschafts- wie die Finanzpolitiker, auch die Haushaltspolitiker -: Wir wollen die Steuer- und Abgabenquote in dieser Republik nicht erhöhen.
- Wir wollen sie nicht erhöhen. Wir wollen eine andere finanzielle Herangehensweise an sozialpolitische Lösungsansätze, ob beim BAföG oder bei der Sozialhilfe. Wir wollen Arbeitsplätze in dieser Gesellschaft schaffen, weil es für die Gesellschaft viel billiger ist, Arbeitsplätze zu schaffen, als Arbeitslosigkeit zu finanzieren.
Wir wollen vor allen Dingen durch das Einziehen einer neuen Säule in das Finanzsystem dieser Republik, nämlich der Ökosteuer, Ressourcen besteuern und auf der anderen Seite die Faktoren Einkommen und Arbeit entlasten. Ich weiß natürlich, was die Forderung bedeutet, Ökosteuern einzuführen, und zwar möglichst kostenneutral - insbesondere wenn man in das Bundestagswahlprogramm unserer Partei schaut und sich die programmatische Fortentwicklung der konkreten Modelle durch unsere Fraktion ansieht -: Dies bedeutet, daß wir im konsumtiven Bereich die Staatsausgaben reduzieren müssen.
Ich habe am Dienstag hier gesagt - Kollege Riedl hat es heute früh für die Koalitionsfraktionen auch angesprochen -, daß das Unternehmen Bundesrepublik den Umzug nach Berlin nutzen muß, um im Hinblick auf die Ministerien und den eigenen Verwaltungsapparat eine Organisationsanalyse zu erstellen. Die Baumaßnahmen und auch das Raumprogramm muß man dann auf eine neue Organisationsstruktur abstimmen. Dabei haben Sie von uns, zumindest von der politischen Ausgangsbotschaft her, Zustimmung. Jeder Betrieb, der eine solche Betriebsstättenverlagerung plant, würde zunächst eine Organisationsanalyse erstellen und erst dann die konkrete Investitionsentscheidung treffen. Das ist auch nur vernünftig. Wenn von der Regierungskoalition solche Vernunft gezeigt wird, dann kann man dem auch als Oppositionspolitiker nach einer solchen Haushaltswoche nur zustimmen.
Wir brauchen in der Finanzpolitik eine redliche Auseinandersetzung. Gestern gab es ein Gespräch unserer Fraktion mit der BDI-Spitze. Im BDI wird inzwischen bereits befürchtet, daß die Finanzpolitiker der Regierungskoalition und auch die Haushaltspolitiker der Regierungskoalition auf grüne Versuchungen in Sachen Ökosteuer hereinfallen und die Ökosteuer unter dem Ökolabel nur als zusätzliches Mittel zur Deckung der Löcher im Haushalt ansehen. Ich glaube, diese Befürchtung ist nicht unberechtigt; denn in der Vergangenheit hat die Bundesregierung, auch der Finanzminister, eine durchaus politischideologische, pharisäerhafte Haltung eingenommen, als es um die Mineralölsteuererhöhung ging. Man sprach immer von einer ökologischen Infrastrukturförderung, während man mehr oder weniger klammheimlich billigend in Kauf genommen hat, daß die Mehreinnahmen durch die Mineralölsteuererhöhung zur Deckung von Haushaltslöchern verwendet wurden. So war es doch.
- Die Bahnreform, Herr Finanzminister, sieht doch so aus, daß Sie die Bahninvestitionen im Haushalt für das nächste Jahr herunterfahren. Auch das ist ein ökologisch falsches Signal.
Im Straßenbau wird nur geringfügig gekürzt - der Kollege Diller hat es schon gesagt -, bei der Bundesbahn dagegen sind es im investiven Bereich über 2,3 Milliarden DM. Dennoch hat der zuständige Finanzminister am Dienstag gesagt: Wir möchten ökologische Elemente in die Steuerpolitik einführen. - Das ist die Glaubwürdigkeitslücke in der konkreten Politik.
Gestern hatten wir die Landwirtschaftsdebatte. Ein kleiner Einschub zum Thema Ermüdungserscheinung dieses Parlaments angesichts zweier Haushaltsdebatten in diesem Jahr: Im März waren bei der Schlußdebatte über den Landwirtschaftshaushalt, die damals nachts um halb zwei stattfand, nicht weniger als 140 Kolleginnen und Kollegen da. Gestern abend bei der ersten Runde zu diesem Einzelplan, zu einer viel besseren Zeit, nämlich zwischen 19 und 20 Uhr, saßen sage und schreibe 50 Kolleginnen und Kolle-
Oswald Metzger
gen hier im Raum. Entweder hat man diese Debatten praktisch satt, oder das bekannte Spiel, daß man im Parlament viel zuwenig differenziert politisch argumentiert, treibt die Leute buchstäblich aus dem Haus.
- Es freut mich, wenn Sie alle mitzählen und behaupten, Sie seien hier gewesen. Ich könnte Ihnen sogar fraktionsweise genau sagen, wie viele Kolleginnen und Kollegen da waren.
- Ihre Aufregung ehrt mich.
Ich glaube, daß es uns im Augenblick wenig hilft, die 50 gegen die 140 zu stellen. Wir sind mitten in der Parlamentsreform und wissen, daß wir da noch Arbeit zu leisten haben.
Frau Präsidentin, mir ging es nicht darum, unser Haus vorzuführen. Ich weiß auch, daß wir gestern bei dieser Debatte nur zu viert da waren; bei Ihnen waren es 22. Ich bin da reell. Ich wollte nur sagen: Wenn im März nachts um halb zwei im Gegensatz zu diesmal so viele da waren, ist das außerordentlich erstaunlich. Aber die Debatten sind häufig auch relativ dröge. Das muß man wirklich sagen.
Den Haushältern schließlich steht in den nächsten Wochen im Haushaltsausschuß ein Marathonlauf bevor. Ich hoffe, daß da wirklich konstruktive Debatten laufen und daß man sich über die Dollpunkte und Schwachstellen, die ich anzusprechen versucht habe, über die nicht vorhandenen Knautschzonen in diesem Haushalt in politisch seriösen Debatten zwischen Koalition und Opposition auseinandersetzt. Wir werden sehen, wenn am 8. oder 9. November in diesem Hause die Schlußdebatte läuft, ob sich nicht durch die Kraft der objektiven Fakten eher die Opposition bestätigt sehen wird als der Finanzminister.
Vielen Dank.
Als nächste spricht die Abgeordnete Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als vor 13 Jahren der Bundeskanzler sein Amt antrat, tat er dies mit dem erklärten strategischen Ziel, eine „geistig-moralische Wende" in der Bundesrepublik Deutschland einzuleiten. Ich
glaube, da ist ihm leider sehr viel gelungen: Die Gesellschaft ist spürbar kälter geworden. Über Armut, Obdachlosigkeit und Massenarbeitslosigkeit wird kühl hinweggegangen. Die Grenzen wurden dichtgemacht, und deutsche Soldaten sind mit Schießbefehl im Einsatz.
Stellt man die abgelaufene Haushaltsdebatte in diesen Kontext, so muß man nüchtern konstatieren, daß Herr Kohl seinem Lebensziel tatsächlich ein Stück nähergekommen ist - mit der dankbar angenommenen Schützenhilfe der SPD.
Da ich mich im zweiten Teil auf die Regierungskoalition konzentrieren möchte, kurz einige Bemerkungen zu den Parteien, wobei es sich kaum noch lohnt, zur F.D.P., dem Gernegroß-Juniorpartner der CDU/CSU, etwas zu sagen.
Der Bundeswirtschaftsminister empfahl einmal mehr Flexibilisierung, Deregulierung und Privatisierung. Der Subventionsabbau bleibt leeres Gerede. Aber kann man von einer Partei etwas anderes erwarten, deren Vorsitzender im Plenum erklärt, wie blind er durch das Land geht? Ich muß sagen: Nein, Herr Gerhardt, unser Land ist nicht auf einem Weg in die Armut, in die Umweltzerstörung und in Abenteuer, wie Sie sagten. Unser Land ist da schon voll drin. Denn viele, viele Menschen in Ost und West müssen mit Sozialhilfe auskommen. Sie sind obdachlos und sind bereits an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Der Einsatz deutscher Truppen in Bosnien ist mehr als ein Abenteuer, er ist bitterer Ernst.
Und die SPD? Herr Scharping stellte sich hier hin und fragte völlig unbefangen die Koalition:
Heute muß man den Eindruck haben: Sie wollen die Lebensrisiken der Menschen vollständig privatisieren und die unternehmerischen Risiken immer stärker sozialisieren. Soll das wirklich so weitergehen?
Zugegebenermaßen kenne ich mich nicht so gut in der Geographie der alten Bundesländer aus, aber ist Rheinland-Pfalz tatsächlich so weit von Bonn entfernt, daß es an Herrn Scharping vorbeigegangen sein könnte, daß wir mitten in diesem Prozeß sind?
Die Herausnahme der Asylbewerber und -bewerberinnen aus der Obhutspflicht des Bundessozialhilfegesetzes in ein besonderes Leistungsgesetz - von der SPD gefeiert - eröffnete doch erst die Möglichkeit zu umfangreichen Kürzungen. Die Einführung der Budgetierung im Gesundheitswesen, d. h. die Aufgabe des Bedarfsdeckungsprinzips, die pauschalierte Leistungsvergütung in der Pflegeversicherung - das waren und sind Meilensteine auf dem Wege der Zerschlagung des Sozialstaates. Die SPD hat alldem zugestimmt, genau wie den Militäreinsätzen.
Brav ihre Kompromißfähigkeit beteuernd, folgt die SPD der Regierungskoalition unter dem Verdikt der angeblichen Modernisierung des Sozialstaates und beteiligt sich dadurch leider auch an dessen Demontage. Sie jagen die Regierungskoalition nicht, was auch durch den Bundesrat möglich wäre; vielmehr zwingt diese Sie, hinter ihr herzuhecheln. Auch ist
Dr. Barbara Höll
man im Plenum Zeuge von allgemeinen Beteuerungen, Einladungen zu Diskussionen, der Hervorhebung der eigenen Offenheit und eines oberflächlichen Streites über Urheberschaften von politisch unzulänglichen Lösungen.
Nehmen wir das Beispiel des ab 1996 steuerfrei zu stellenden Existenzminimums und des Kindergeldes, was sich im Haushalt niederschlägt. Alle Ihre Ansätze blieben weit unter dem tatsächlich Notwendigen. Alle haben bewußt verschwiegen, daß, egal, ob man ein Kindergeld von 200 oder 250 DM zahlt, die Familien, in denen 1 Million Kinder und Jugendliche von Sozialhilfe leben, von dieser Änderung ab Januar nicht eine müde Mark mehr haben; denn das Kindergeld wird bei der Sozialhilfe gegengerechnet.
Dasselbe geschah auch in der Frage der Werbungskosten im Rahmen der Haushaltsführung oder z. B. des Arbeitszimmers. Das ist wahrlich keine Subventionierung. In einem Betrieb würde es als Betriebskosten und nicht als Subvention bezeichnet und daher auch nicht unter den Subventionsabbau fallen. Ich hoffe, daß wir gemeinsam mit dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den Beratungen doch einiges voranbringen können.
Herr Waigel, der sich in den letzten Jahren und insbesondere mit diesem Haushalt als „Robin Hood des ,Thatcherismus', der den Armen nimmt und den Reichen gibt", wie ihn die „Frankfurter Rundschau" bezeichnete, profilierte, setzt jetzt zur offenen und radikalen Demontage des Sozialstaates an. Die Argumentation wird geringfügig geändert: Während es in den vergangenen vier Jahren der angeblich desolate Zustand der DDR war - dabei hantierten Sie mit Schattenhaushalten, nannten bei den Transferleistungen nur Bruttozahlen und nicht die realen Nettozahlen -, sind Sie jetzt dazu übergegangen, die Staatsquote als neue zu bekämpfende Hauptursache der Probleme darzustellen.
Hier muß ich fragen: Was soll das?
Herr Thiele hat als Vorsitzender des Finanzausschusses dem Ganzen am 2. Juni dieses Jahres sogar eine ideologische Weihe gegeben,
indem er sagte, wegen der zu hohen Staatsquote sei „die Freiheit der Bürger unseres Landes durch den auswuchernden Staat ernsthaft bedroht".
In der Geschichte der Bundesrepublik unterlag die Staatsquote tatsächlich beachtlichen Schwankungen, und sie hat derzeit einen sehr hohen Stand erreicht.
Wenn aber Herr Waigel die Staatsquote senken will, d. h. sparen, um gestalten zu können, und behauptet, dies führe über die Stärkung der Marktmechanismen gleichzeitig zu mehr Wachstum, so ist dies eine Scheindiskussion. Eine hohe Staatsquote bedeutet ja
nicht automatisch, daß der Staat viele Schulden hat. Ein Staat jedoch, der wie die Bundesrepublik Deutschland - dank Ihrer chaotischen Finanzpolitik - so hohe Schulden hat, muß natürlich die Zinsen bedienen. Jede vierte Steuermark wird darauf verwendet.
Es geht doch darum, mit der Staatsquote über den Inhalt zu diskutieren: An welchen Stellen ist der Staat tatsächlich in der Pflicht, Aufgaben zu zentralisieren und entsprechend zu agieren? Es geht um die Umstrukturierung der Wirtschaft in eine ökologische Richtung. Es geht um die Aufhebung der Massenarbeitslosigkeit, den Abbau der Lehrstellenmisere usw. Der Markt hat in den letzten Jahren bewiesen, daß er nicht dazu in der Lage ist, das zu regeln. In den Kategorien von Angebot und Nachfrage kann er nur aufGegenwartserfordernisse reagieren, aber keine Zukunft gestalten.
Wie sehen die Haushalte aus? Im Umweltbereich gibt es eine Senkung um 3 %, im Verkehrsbereich um 4,4 % und im Wirtschaftsbereich, rechnet man den Kohlepfennig heraus, um sage und schreibe 15 %. Das heißt: Für die Wirtschaft stehen - pro Kopf der Bevölkerung - 1996 135 DM zur Verfügung, für die Umwelt ganze 16 DM, für Gesundheit 10 DM, aber für den Verteidigungshaushalt 605 DM. Aber das ist noch nicht die wirklich richtige Zahl; denn ein großer Teil der notwendigen Finanzleistungen ist in anderen Haushalten versteckt, so die Pflichtbeiträge zu WEU und NATO im Auswärtigen Amt, ebenso wie die Militärhilfe, die vom Kanzler an die Türkei versprochen wurde, die MEKO-Fregatten. Und aus dem Haushalt „Allgemeine Finanzverwaltung" soll in diesem Jahr mindestens hälftig der Einsatz in Bosnien finanziert werden.
Der Verteidigungshaushalt steigt um 1,2 %, d. h. um 500 Millionen DM. Und dann wird behauptet, der Sozialstaat sei nicht mehr zu finanzieren.
Ich muß einmal fragen: Wer finanziert denn den Sozialstaat? Nimmt man den Zeitraum von 1984 bis 1994, so wird eine deutliche Verschiebung erkennbar. Die Staatseinnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen sind deutlich stärker als die Staatseinnahmen insgesamt gewachsen. Betrachtet man dann die Entwicklung der einzelnen Steuerarten, so fällt auf, daß die Zuwächse aus der Erhöhung der Lohnsteuer um 95,4 vom Hundert, d. h. von 136,4 auf 266,5 Milliarden DM, und der Umsatzsteuer um 113,5 vom Hundert, d. h. von 110,5 auf 235,7 Milliarden DM, total aus dem Rahmen fallen. Die breite Allgemeinheit der kleinen und mittleren Verdiener finanziert also diesen Sozialstaat. Und den Menschen aus diesen Schichten machen Sie Vorwürfe, wenn sie berechtigterweise Ansprüche anmelden, die ihnen zustehen. Dagegen sind die Steuern aus den Schichten der Vermögenden sogar überproportional gesunken. Hier geht es also wirklich nicht mehr um Kleinigkeiten.
Der Kanzler hat sich hier am Mittwoch hingestellt und gesagt:
Es war der Stil unserer Republik in diesen Jahren,
zu lange zu glauben es gehe automatisch so wei-
Dr. Barbara Höll
ter und wir würden immer besser leben können und immer weniger leisten müssen.
Damit wirft er der Masse der Bevölkerung de facto eine Hängemattenmentalität vor.
Es geht hier um das Grundgesetz. Hat es noch Gültigkeit? Es geht um Art. 20 GG, um die Sozialstaatspflichtigkeit, die Sie mit Ihrem Haushaltsentwurf endgültig aushebeln wollen. Sie ist ein eigenständiger Wert und nicht nach ökonomischen Marktmechanismen zu messen. Und es geht um Art. 14 GG. Es geht darum, ob Eigentum tatsächlich verpflichtet, ob sein Gebrauch dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll.
An dieser Stelle sind wir dann auch da, wo wir fragen müssen: Warum wird in diesem Hause ständig nur über die Ausgabenseite diskutiert? Es wird nicht ausreichen, nur über Umschichtungen innerhalb der Haushalte zu diskutieren, sondern es geht darum, tatsächlich neue Finanzierungsquellen zu eröffnen.
Der Kanzler hat hier am Mittwoch bemerkt, es sei ein Ladenhüter, zu sagen, den Reichen gehe es zu gut. Ich meine, es ging ihnen noch nie so gut wie in der Bundesrepublik der 90er Jahre. Ich glaube, nach diesen Umschichtungen von unten nach oben ist es tatsächlich an der Zeit, auch diejenigen, die an der Einheit unwahrscheinlich verdient haben, zur Kasse zu bitten und bei ihnen neue Finanzierungsquellen zu erschließen.
Ich bedanke mich.
: Reden Sie doch keinen
Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Dankward Buwitt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Höll, Sie mögen es bedauern, daß der Bundeskanzler seinem Lebensziel einen Schritt - wie ich meine, einen sehr großen Schritt - nähergekommen ist, und zwar durch die Wiedervereinigung. Das mag nicht Ihre Zustimmung finden, aber Sie wissen, daß ein Großteil des Hauses anders denkt.
Wir wollen das Schicksal der arbeitslosen Menschen nicht verharmlosen. Wir wissen, daß das bittere menschliche Schicksale sind. Aber wahr ist auch, daß trotz der Arbeitslosigkeit die Menschen in der ehemaligen DDR wenigstens in wirtschaftlicher Hinsicht oft besser leben als diejenigen, die damals keine Beziehung zum DDR-Regime hatten.
Sie lernen heute eine medizinische Versorgung kennen, die sie in der DDR-Zeit überhaupt nicht für möglich gehalten haben, ganz zu schweigen von dem Zustand der Altenheime, der Kindertagesstätten usw., wie er 1990 dort vorzufinden war.
Herr Diller, es ist nicht mein Thema, aber wenn Sie bereit sind, dies hier vorzulesen, bin ich willens, Ihnen eine Liste von Personen zusammenzustellen, die nicht aus gesundheitlichen, sondern aus politischen Gründen in SPD-regierten Ländern kostenträchtig in den Ruhestand geschickt wurden. Dann müßten Sie sich allerdings auf eine sehr lange Redezeit einrichten.
Bei Ihrer finanzpolitischen Betrachtungsweise müßten Sie eigentlich größte Verachtung für die Jahre 1975 bis 1981 empfinden; denn so schlecht wurde es Gott sei Dank nie wieder in der Bundesrepublik Deutschland, nicht einmal unter den schwierigen Verhältnissen der Wiedervereinigung. Eines muß doch eigentlich zu klären sein: Sind die Aussagen von Herrn Spöri falsch, oder sind diejenigen von Herrn Diller falsch? Ist es wirklich wahr - das versucht die SPD uns hier darzustellen -, daß der Inbegriff von Instabilität niedrige Zinsen und niedrige Preissteigerungsraten sind? - Verhält es sich nicht vielmehr so, daß zwar diejenigen, die von Kapitalerträgen leben, nicht von den niedrigen Zinsen begünstigt werden, daß aber diejenigen, die von ihrem Ersparten leben müssen, durch niedrige Preissteigerungsraten mit Sicherheit bessergestellt werden?
Ich denke, niedrige Preissteigerungsraten sind flächendeckend die beste Sozialpolitik, die wir überhaupt machen können.
Nun haben Sie uns, Herr Diller, derartig interessante Graphiken gezeigt, daß man Ihnen fast wünschen kann, daß Sie möglichst lange im Bundestag bleiben - nicht nur, weil Sie ein so netter Kollege sind, sondern weil Sie ansonsten wieder auf die Kinder in Ihrem Lande losgelassen würden.
Sie haben wirklich nette Graphiken gezeigt. Aber eine Graphik fehlte nach meiner Meinung. Es war die Graphik über die Mehrausgaben, die die SPD Jahr für Jahr hier fordert, ohne daß sie einen Finanzierungsvorschlag macht.
Herr Diller, ich unterstelle Ihnen dabei keine böse Absicht; ich nehme an, ein so großes Stück Papier haben Sie nicht auftreiben können, um das darzustellen.
Die Debatte in dieser Woche sollte der Öffentlichkeit nicht nur die guten Vorschläge der Regierung präsentieren, sondern sie sollte auch über die Positionen der Fraktionen informieren. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, scheinen dieses aber anders verstanden zu haben. Sie haben ein Elends- und Schuldenszenario ausgemalt; Sie informieren nicht, Sie verbreiten Falschmeldungen und verunsichern die Menschen draußen mit Ihren Horrorprognosen. Das ist nach meiner Meinung höchst unverantwortlich. Sie schüren die Sorgen der Menschen und ziehen aus diesen Sorgen dann noch Ihren Profit. Letztendlich müssen Sie Jahr für Jahr überrascht sein, daß sich alle Ihre bösartigen Voraussagen in den Resultaten dieser Jahre, und zwar in
Dankward Buwitt
den Ist-Rechnungen, nicht wiederfinden und daß wir Jahr für Jahr besser abgeschnitten haben, als es die Annahmen, die den eingebrachten Haushalten zugrunde lagen, erwarten ließen.
Nun kann man sicher nicht erwarten, daß sich die Opposition hier hinstellt und die Bundesregierung lobt, selbst da nicht, wo es unumgänglich wäre. Auch wir sind letztendlich nicht mit allem einverstanden. Wahr ist doch aber - das ist in dieser Woche oft genug gesagt worden -, daß neben Luxemburg Deutschland das einzige Land ist, das die strengen Kriterien erfüllt, die im Vertrag von Maastricht bezüglich Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit für die Währungsunion aufgestellt worden sind. Sicher, die Schulden der anderen machen die eigenen Defizite nicht besser. Natürlich wären auch für uns geringere Schulden wünschenswert. Aber das aus den Reihen der SPD beschworene Existenzrisiko für unser Land entbehrt nun wirklich jeder realen Grundlage.
Es ist bereits gesagt worden, daß laut dem in der letzten Woche vorgestellten Bericht der OECD das Haushaltsdefizit 1994 in Deutschland erheblich geschrumpft und mit einem Anteil von 2,5 % am deutschen Bruttoinlandsprodukt auf das niedrigste Niveau seit der Wiedervereinigung gefallen ist. Die OECD hat der Bundesregierung beeindruckende Erfolge bei der Konsolidierung des Haushalts bescheinigt. Sie sehen, der eingeschlagene Weg wird auch von Dritten als richtig erachtet.
Natürlich, meine Damen und Herren, ist Sparen noch keine Politik. Wir schaffen damit die Grundlage für gestaltende Politik, für Fortschritte im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Ziel unseres Sparens ist die Absenkung der Staatsquote auf das Maß vor der deutschen Einheit. Auch dies ist selbstverständlich kein Selbstzweck, wie dies die Opposition darzustellen versucht, sondern ein wichtiger Eckwert für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik.
Es ist unbestreitbar - Sie haben es angesprochen, Herr Metzger -, daß die steuerliche Belastung unserer Arbeitnehmer und Unternehmer an einer absoluten Höchstgrenze angelangt ist. Diese Belastung zurückzuführen ist fester Bestandteil unserer Arbeit in den nächsten zwei Jahren.
Mit dem Jahressteuergesetz 1996 sind wir diesem Ziel nur ein Stück nähergekommen.
Meine Damen und Herren von der SPD, mehrfach habe ich in dieser Debatte gehört, Sie hätten uns zu den vorgesehenen Entlastungen gezwungen, und sie seien Ihr Erfolg aus den Beratungen des Vermittlungsausschusses. Ich finde das ungeheuerlich.
Das von uns ursprünglich angestrebte Steuersenkungsvolumen von rund 22,5 Milliarden DM wurde im Zuge des Kompromisses auf jetzt 19 Milliarden DM gesenkt. Richtig ist, Sie haben uns 3,5 Milliarden DM weniger Entlastung abgezwungen. Aber das sind immer noch 7 bis 9 Milliarden DM mehr, als Sie den Bürgern ursprünglich zugestehen wollten. Außerdem konnte die Koalition im Vermittlungsausschuß die von Ihnen geforderten Steuererhöhungen einschließlich der neuen Ökosteuern verhindern. Die positiven Erfolge, vor allem die erheblichen Entlastungen für die Familien und Bürger mit kleinem und mittlerem Einkommen, können sich mit Sicherheit vor den Bürgern sehen lassen.
Ein Wort zur Debatte über die Verlängerung des Solidaritätszuschlags. Dieser Solidaritätszuschlag war und ist als befristeter Beitrag gedacht. Wer ihn über Jahrzehnte ausdehnen will, der muß deutlich sagen, was er will,
nämlich eine Steuererhöhung und keinen Zuschlag. Ich stimme dem Finanzminister ausdrücklich zu - Bundeskanzler Kohl hat in seiner Rede ja die Kriterien genannt -: Der Solidaritätszuschlag muß so schnell, wie dies möglich ist, gesenkt und dann ersatzlos gestrichen werden. Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung haben wir den Menschen viel abgefordert. Die Menschen können sich darauf verlassen, daß wir jeden sich bietenden Spielraum nutzen, um die Steuerbelastung zu reduzieren.
Der Abbau von Steuern und die Senkung von Abgaben ist doch das beste, was wir für die Zukunft des Standortes Deutschland tun können.
Unsere größte Sorge ist und bleibt nun einmal die Arbeitslosigkeit vieler Menschen in unserem Land. Um hier wirkungsvoll helfen zu können, brauchen wir gute Standortvoraussetzungen, damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden können und die vorhandenen bei uns bleiben und nicht an günstige Standorte exportiert werden. Ein guter Standort Deutschland - das ist das einzige auf Dauer wirksame Rezept gegen das schwerwiegendste innenpolitische Problem, nämlich die Arbeitslosigkeit.
Während der letzten vier Tage haben wir darüber gesprochen, daß wir zur Verbesserung des Standortes Deutschland viele Veränderungen brauchen. Wir müssen die Verkrustungen in Wirtschaft und Verwaltung aufbrechen, die Verwaltung reduzieren und auf ihre ursprünglichen Aufgaben zurückführen, Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten flexibler gestalten und vieles andere mehr. Dies ist Politik für mehr und für sichere Arbeitsplätze.
Seit Beginn dieses Jahres sind die neuen Länder und Berlin gleichberechtigt im Finanzausgleich eingebunden. Gleichzeitig ist jedoch die Bundeshilfe für Berlin in diesem Jahr ausgelaufen. Dies zu kompen-
Dankward Buwitt
sieren fiel angesichts der enormen Probleme schwer. Durch einen strikten Abbau von Administration, durch eine klare Prioritätensetzung bei den Aufgaben, durch konsequente Privatisierung und eine Verdreifachung der Steuerkraft seit 1990 hat Berlin die prognostizierte Deckungslücke von 15 Milliarden DM auf 6 Milliarden DM begrenzen können und eine Haushaltsnotlage wie in Bremen und im Saarland abgewandt.
Neben der endgültigen Überwindung der Teilung müssen wir Berlin jetzt fitmachen als Hauptstadt Deutschlands. Dabei geht es nicht um eine Zentralisierung, sondern darum, eine leistungsfähige Hauptstadt aller als Symbol unseres gemeinsamen föderalen Staates zu entwickeln.
In der Zeit des Dritten Überleitungsgesetzes für Berlin hatte es sich eingebürgert, eine Vielzahl von Aufgaben aus dem Berliner Landeshaushalt zu finanzieren, auch wenn es sich dabei weder um kommunale noch um Landesaufgaben handelt. Dies war angesichts einer über 50 %igen Mitfinanzierung des Berliner Haushalts durch den Bund natürlich auch vertretbar. Mit dem Wegfall der Bundeshilfe ist es jetzt richtig und wichtig, wenn der Bund die Aufgaben übernimmt, die im gesamtstaatlichen Interesse wahrgenommen werden und der gesamtstaatlichen Repräsentation dienen.
Es ist mehrmals angesprochen worden: Zur Hauptstadtfunktion gehört natürlich auch der Umzug von Regierung und Parlament. Wir müssen diesen Umzug dazu nutzen, die Bundesministerien zu modernisieren. Verkrustete, veraltete und ineffektive Strukturen dürfen nicht einfach eingepackt und dann in Berlin wieder ausgepackt werden. Herr Metzger hat es angesprochen: Der Umzug von Parlament und Regierung eröffnet die Möglichkeit, eine noch leistungsfähigere Administration zu schaffen, die Vorbild für moderne, multimediale und schlanke Verwaltung auf Landes- und kommunaler Ebene sein kann.
Wie wir unsere Verwaltung leistungsfähiger machen können, wo eingespart, wo angepaßt werden muß, wer weiß dies besser als die Mitarbeiter selbst? Im Einzelplan 60 über die allgemeine Finanzverwaltung wird in jedem Jahr ein Betrag von 1,2 Millionen DM für die Förderung des Vorschlagswesens in den Bundesverwaltungen eingestellt.
Herr Buwitt, kommen Sie zum Schluß. Ihre Redezeit ist beendet.
Leider wird dieser Betrag nie voll ausgeschöpft. Deshalb würde ich die Mitarbeiter ermuntern, Ihre Vorschläge zur Verbesserung der Verwaltung zu machen.
Lassen Sie mich nur noch sagen: Herr Dreßler hat gestern die Frage gestellt, wer in der Bundesrepublik die letzten 13 Jahre regiert hat. Gott sei Dank war dies eine Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. An den Taten ist dies abzulesen, und nach meiner Meinung ist es auch für die Bürger erkennbar gemacht worden.
Recht herzlichen Dank.
Zum Abschluß dieser Debatte spricht der Bundesfinanzminster Dr. Theodor Waigel.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich bei Ihnen allen für eine sehr erfolgreiche und auch schöne Haushaltswoche bedanken. Mein erster Dank gilt der Koalition, allen Rednern, allen, die anwesend waren. Aber mein herzlicher Dank gilt auch Ihnen von der Opposition, denn Sie haben uns doch zu einer, wie ich meine, erfolgreichen und guten Woche verholfen,
die jedem im Land klargemacht hat, wo finanzpolitische Kompetenz ist und wo regierungspolitische Unfähigkeit herrscht, von der sich die Opposition auch ein Dreivierteljahr nach der, verlorenen Wahl nicht erholt hat.
Schade, daß der Kollege Struck jetzt nicht da ist. Ich hätte sonst noch einmal über das Jagen gesprochen. Wie schnell man vom gewollten Jäger zum Gejagten werden kann, kann ich als Nichtjäger nicht beurteilen. Aber es ist schon ganz schön beschämend.
Herr Kollege Diller, Sie hätten auch noch die Tabellendarstellung von einem Troikaner aus dem Saarland holen können. Dieser stand auch einmal so ähnlich wie Sie dort und hat genausowenig wirksam mit Lichtbildern und ähnlichem etwas vorgeführt.
Sie regen sich über das Existenzminimum auf. Von Ihnen ist nicht ein einziger Vorschlag gekommen. Von Ihnen ist nicht eine einzige Alternative gekommen.
Sie haben zur Gegenfinanzierung aus der Giftliste nichts vorgeschlagen.
Was nun die BAföG-Reform und Ihre Krokodilstränen anbelangt: Wie ist das eigentlich mit einer sozialdemokratischen Politik vereinbar, die im Interesse des Arbeitnehmers liegen soll, der auch selbständig werden und die Chance haben möchte, durch einen Leistungsausgleich auch zwischen den Akademikern und den Nichtakademikern seinen Weg zu gehen? Das ist die eigentliche Chancengleichheit, wie Sie sie einmal gefordert haben und wir sie jetzt verwirklichen, auch im Bildungsbereich.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Der Schluß Ihrer Rede geriet zu einem großen Melodrama, das Sie hier vorgeführt haben. Bei mir kam Angst auf, daß Sie mich am Schluß noch zum Rücktritt auffordern;
dann hätte ich mich auf dem CSU-Parteitag heute nachmittag nicht mehr sehen lassen können. Ich bin Ihnen unendlich dankbar, daß ich jetzt also doch relativ gelassen meine Zelte abbrechen und in München noch etwas schärfer über Sie herfallen kann, als mir das die Präsidentin des Deutschen Bundestages erlaubt.
Zuvor müssen aber noch einige Dinge richtiggestellt werden. Es ist falsch, die Übertragung des Schienenpersonennahverkehrs auf die Länder den Bundesausgaben hinzuzurechnen, wie Sie das eben vorgeführt haben. Sie haben berechnet, daß die Bundesausgaben dadurch um 0,4 % steigen würden. Richtig ist: Beim Bund entfallen die Aufwendungen für den Schienenpersonennahverkehr in Höhe von 7,7 Milliarden DM ab 1996. Wir übernehmen ab 1996 zusätzlich aber einen weiteren Zuschuß zum Bundeseisenbahnvermögen mit über 8 Milliarden DM und beenden gleichzeitig Ende 1995 die eigene Kreditaufnahme des Bundeseisenbahnvermögens. Wir haben die Eckwerte des Haushalts 1996 also selbstverständlich korrekt dargestellt.
Herr Kollege Metzger, wie man hinsichtlich der Konjunktur von einer Abwärtsbewegung sprechen kann, bleibt mir ziemlich unerfindlich. Ob die Konjunktur um 3 %, 2,9 % oder 2,8 % zunimmt: Es ist immer noch ein Konjunkturaufschwung und kein -abschwung.
In den Überschriften der Zeitungen und bei den Beobachtern ist sehr wohl deutlich geworden, daß die Konjunktur in ruhigerem Fahrwasser verläuft, aber auf gar keinen Fall von einem Abschwung geredet werden kann.
Wenn Sie die Erhöhung der Nettokreditaufnahme um 10 Milliarden DM beklagen, dann hätten Sie zunächst sagen müssen, daß wir in den letzten beiden Jahren 40 Milliarden DM weniger Schulden gemacht haben, als im Finanzplan vorgesehen. Sie machen da eine Milchmädchenrechnung auf.
Wären wir bei den alten Zahlen des Finanzplans geblieben, dann hätten wir eine Reduktion. Sie wissen sehr wohl, womit das zusammenhängt, nämlich mit 35 Milliarden DM Zusatzbelastung, vor allen Dingen mit Steuer- und Abgabenentlastungen, die für den Bund zwischen 20 Milliarden und 30 Milliarden DM ausmachen.
Meine Damen und Herren, die Debatte zeigt: An der richtigen und erfolgreichen Finanzpolitik der Bundesregierung können Sie allenfalls kleinkarierte oder polemische Kritik üben. Aus den Troikanern sind längst Trojaner geworden, die in alle Winde zerstreut worden sind.
Sie können uns nicht immer wieder zumuten, jedes Jahr erneut eine Bank zu füllen und die Leute dann wieder abzuschieben. Irgendwann hätten wir ganz gern ein Stück Verläßlichkeit. Wenn wir uns in den nächsten vier Jahren voll auf Sie verlassen können, daß Sie in der Bank bleiben, wäre uns das sehr recht. Es wäre uns sehr recht, wenn Sie nicht immer nur aus den Ländern partielle Hilfe holten; wir fürchten uns aber auch vor denen nicht.
- Ich weiß, Ihnen, Frau Kollegin Matthäus-Maier, ist es lieber, daß die Kameraden verschwunden sind.
Darauf wollen wir im einzelnen jetzt nicht eingehen.
Nach dieser Einleitung und bevor ich auf die Finanzpolitik zu sprechen komme, sei mir ein Wort als frei gewähltem Abgeordnetem und als CSU-Vorsitzendem erlaubt. Ich bitte um Verständnis dafür. Ich bin in der Debatte von Herrn Fischer und auch von Ihnen, von der SPD - von Ihnen allerdings sachlich, von Herrn Fischer nicht - mehrfach auf das KruzifixUrteil angesprochen worden. Ich nehme mir die Freiheit, dazu jetzt kurz Stellung zu nehmen. Es ist infam, was Redner der Grünen in dieser Debatte zur öffentlichen Diskussion über das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum besten gegeben haben.
Den Gipfel der Heuchelei und politischen Gemeinheit habe ich durch Herrn Fischer erlebt. Von ihm habe ich aber auch nichts anderes erwartet.
Ich habe bisher jedes Bundesverfassungsgerichtsurteil respektiert, auch wenn ich manchmal anderer Meinung war. Das Bundesverfassungsgericht hat durch seine verantwortungsvolle Arbeit wesentlich zur Stabilität und Fortentwicklung des Rechtsstaats beigetragen. Aber der Beschluß zum Kruzifix wird den christlichen und kulturellen Traditionen und den ethischen Grundlagen unserer Demokratie nicht gerecht.
Er dient nicht der Toleranz, es problematisiert den Rechtsfrieden. Freiheit und kulturelle Traditionen können keine Gegensätze sein. Auch der freiheitliche Staat hat eine kulturelle und ethische Basis. Das ist unsere 2 000jährige Verankerung in christlicher Kultur und in christlichen Grundwerten. Das Grundgesetz und die bayerische Verfassung bekennen sich zur Verantwortung vor Gott.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Das Kreuz ist das Zeichen des Friedens, der Toleranz, der Versöhnung und der Hoffnung. Das Kreuz ist nicht Ausdruck aggressiver Missionierung, sondern unser Bekenntnis zur christlich-abendländischen Kultur,
auf der die Wertordnung unserer Verfassung und unseres Staates beruht. Diese Wurzeln unserer Tradition werden wir auch in Zukunft verteidigen.
Ich bin Ihnen auf allen Seiten dankbar, daß Sie mir die Möglichkeit zu dieser auch persönlichen Erklärung gegeben haben. Ich hätte sie nicht abgegeben, wenn ich nicht am Dienstag in dieser Form auf das Thema angesprochen worden wäre.
Ich komme jetzt auf die Finanzpolitik zurück.
Jetzt sagen Sie: Nun können Sie wieder polemisieren. Es kam das Uraltargument von der Schulden- und Zinsfalle zur Sprache. Meine Damen und Herren, auch ständige Wiederholungen machen dieses Argument nicht richtig.
Es ist doch so: Die hohen Zinslasten beruhen - das wissen Sie doch alle ganz genau - auf den Erblasten der ehemaligen DDR und den früher übernommenen Schulden. Es ist schon ein starkes Stück, wenn Sie behaupten, Sie hätten das anders finanziert. Sie hätten doch nie die Kraft gehabt, zwei Drittel der Kosten, die dadurch entstanden sind, durch Umschichtungen und Einsparungen zu finanzieren. Das haben wir erreicht.
Eines ist übrigens auch richtig: Je mehr wir sparen, desto größer wird zwangsläufig der Anteil der Zinsen am Budget, bei denen wir wie auch bei anderen Rechtsverpflichtungen nicht sparen können.
Ein Teil dessen, was Sie heute mit Ihrer Kritik beklagen, hat vor gar nicht so langer Zeit noch Ihre ausdrückliche Zustimmung gefunden. Mit Ihrem vollen Einverständnis zahlt der Bund die Zinsen für den Fonds Deutsche Einheit in Höhe von 7 Milliarden DM und für den Erblastentilgungsfond in Höhe von 25 Milliarden DM.
Ein Wort zur Nettokreditaufnahme: Ich habe klar erläutert, warum sie 1996 etwas steigt, auch wenn sie noch voll im gegenwärtig gültigen Finanzplan liegt. Woran liegt es, wenn Deutschland heute die niedrigsten Zinsen in Europa hat? Es liegt doch auch daran, daß wir in den letzten Jahren die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes rasch und deutlich zurückgeführt haben. Es liegt auch an der niedrigeren Nettokreditaufnahme und der Übernahme der Sondervermögen in den Bundeshaushalt.
Nur am Rande: Die Kapitalmarktbelastung ist 1996 um ein Drittel niedriger als 1994. Das sind Zahlen und Signale für die Finanzmärkte im In- und Ausland, über die Sie reden sollten.
Wenn die D-Mark so stark ist, dann ist das doch auch Ausdruck des Vertrauens und der Verläßlichkeit, die nicht nur unsere Haushaltspolitik 1995 und 1996, sondern auch den Kurs darüber hinaus prägen. Dafür sprechen auch die niedrigen Zinsen und die Leitzinsentscheidung der Bundesbank.
Ich habe gemeinsam mit meinen Kollegen auch die Risiken genannt. Wir sehen natürlich die Risiken. Dennoch werden wir die Obergrenze einhalten, und wenn Risiken hinzutreten, muß an anderer Stelle gespart werden, so hart das auch ist.
Ich möchte noch ein Wort zu den Investitionen sagen. Die SPD weiß genau: Der 1995 besonders hohe Betrag für Investitionen von über 72 Milliarden DM ergibt sich aus zwei Regelungen im Föderalen Konsolidierungsprogramm, denen die SPD zugestimmt hat: den erstmals aus dem Bundeshaushalt den neuen Ländern zu gewährenden zweckgebundenen Finanzhilfen für investive Ausgaben in Höhe von 6,6 Milliarden DM jährlich nach dem Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost und den ebenfalls erstmals unmittelbar aus dem Bundeshaushalt zu finanzierenden Ausgaben für die Nachfolgeorganisation der Treuhandanstalt, die 1996 mit rund 3,8 Milliarden DM zu Buche schlagen.
Im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 1994 betrugen die Investitionen des Bundes rund 63,5 Milliarden DM jährlich. 1996 werden die Investitionen des Bundes mit 66,7 Milliarden DM um über 5 Milliarden DM über dem Ergebnis des Jahres 1994 und um über 3 Milliarden DM über dem Durchschnitt der Jahre 1991 bis 1994 liegen.
1989 betrugen die Investitionen des Bundes 39,2 Milliarden DM. Wenn ich für die neuen Länder, deren Bevölkerungsanteil bei etwa einem Fünftel liegt, ein Drittel dieses Betrages drauflege, komme ich auf rund 52 Milliarden DM. Wenn der Bund 1999, also neun Jahre nach der Wiedervereinigung, 61 Milliarden DM für Investitionen ausgibt, dann bedeutet das: Für Investitionsausgaben stehen jährlich 9 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung.
Eine Milchmädchenrechnung ist das, was Sie zum Umweltetat gesagt haben. Richtig ist, der Ansatz des Umweltetats fällt 1996 40 Millionen DM niedriger aus als 1995. Aber Sie wissen doch, daß es da Durchlaufposten gibt und Sonderfaktoren im Volumen von 53 Millionen DM die Rechnung beeinflussen. Wenn Sie das mit einbeziehen, stehen für die regelmäßigen Umweltausgaben des Bundes 13 Millionen DM bzw. 1 % mehr zur Verfügung. Das ist nicht viel, aber immerhin. Wenn insgesamt gekürzt wird, wenn neun Etats mit weniger auskommen müssen, dann zeigt dies, daß dieser Etat jedenfalls besser als normal behandelt wurde.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Ein Wort noch zu den Verteidigungsausgaben. Sie beliefen sich für das alte Bundesgebiet 1989 auf rund 52,5 Milliarden DM. Das waren seinerzeit 18,1 % der Gesamtausgaben. 1996 werden wir 48,4 Milliarden DM für die militärische Verteidigung aufwenden. Das sind nur noch 10,7 % der Gesamtausgaben und mehr als 4 Milliarden DM weniger als 1989. Wenn man dann noch berücksichtigt, daß seitdem auch die Militärausgaben der ehemaligen DDR vollständig entfallen sind, dann dürfte es kaum ein Land in West- und Mitteleuropa geben, dessen Aufwendungen für militärische Verteidigung einen so deutlichen Rückgang verzeichnen. Dann ist es ein Popanz, wenn Sie jetzt einen gewissen Aufwuchs polemisch gegen uns verwenden wollen.
Meine Damen und Herren, ein Wort noch zu den Einsparungen bei der Arbeitslosenhilfe. Ich habe bereits am Dienstag ausgeführt, Mehrbelastungen für Länder und Kommunen sind insgesamt nicht zu erwarten. Im gleichen Artikelgesetz wird es zu einer Entlastung der Länder und Kommunen um rund 1,3 Milliarden DM im Rahmen der Novelle zum Asylbewerberleistungsgesetz kommen.
Ein Wort noch zur Steuerpolitik. Sie beklagen mangelnde Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Existenzminimum. Sie haben den Kinderfreibetrag abgeschafft. Wir haben ihn erst wieder eingeführt und auf diese Höhe gebracht, so daß Leistungen für Kinder von Steuern freigestellt werden.
Meine Damen und Herren, wenn seit 1982 die Ausgaben für Familienpolitik insgesamt von rund 27,5 Milliarden DM auf knapp 60 Milliarden DM gesteigert worden sind, dann ist das nicht die normale Steigerung von 3, 4 oder 5 % pro Jahr, sondern dann ist dies eine erhebliche Steigerung, die Sie nie zuwege gebracht haben. Wenn wir jetzt 7 Milliarden DM mehr ausgeben als ein Jahr zuvor, dann ist dies mehr, als wir im Wahlkampf versprochen haben.
Sie haben damit wenig zu tun, denn Sie haben das nicht durch die Finanzpolitik erarbeitet, sondern nur über Versprechungen, die Sie nie hätten einhalten können.
Meine Damen und Herren, die den deutschen Arbeitgebern sicherlich nicht nahestehende OECD schreibt in ihrem Deutschland-Bericht ganz eindeutig, die Besteuerung des Vermögens stellt eine hemmende Doppelbesteuerung dar. Im gleichen Atemzug wird übrigens die Gewerbekapitalsteuer genannt. Ich bleibe dabei: Die Vermögensteuer gehört eigentlich abgeschafft.
Nach einer jetzt veröffentlichten, vom Schweizer Weltwirtschaftsforum durchgeführten Untersuchung liegt Deutschland zwar noch an sechster Stelle der weltweiten Wettbewerbsfähigkeit, aber wir haben uns nicht mehr verbessert. Die USA und die Länder
Südostasiens liegen vor uns. Darum besteht dringender Handlungsbedarf. Darum sollten Sie, Herr Poß, nicht mehr hinter das, was jedenfalls Kollegen von Ihnen schon andeuten, zurückfallen.
Meine Damen und Herren, wir betreiben eine Politik der Wachstumsvorsorge. Wir stärken den Mittelstand und die gewerbliche Wirtschaft. Wir handeln für die Sicherheit und für neue Arbeitsplätze. Natürlich hat die Leitlinie der Bundesregierung „niedrige Steuersätze bei breiterer Bemessungsgrundlage" nach wie vor Gültigkeit. Uns trifft der Vorwurf, wir hätten uns gegen Subventionsabbau im Steuerbereich gewandt, nicht. Seit 1990 sind 41,5 Milliarden DM an Steuersubventionen abgebaut worden, um damit eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu schaffen und anderes im Steuerbereich finanzieren zu können.
Es wundert mich schon, Frau Kollegin MatthäusMaier, daß Sie bei Ihrem Sachverstand wieder mit dem Dauerbrenner „Kappung des Ehegattensplittings" kommen. Sie wissen ganz genau: Das Ehegattensplitting ist keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung, sondern eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare orientierte sachgerechte Besteuerung.
Wenn Sie die beiden Beschlüsse zur Vermögensteuer und zur Erbschaftsteuer lesen und genau nachlesen, was dort zu dem Thema „Ehe und Familie" und dessen Berücksichtigung im Steuerrecht gesagt wird, dann müssen Sie zu dem Ergebnis kommen, daß der von Ihnen im Vermittlungsausschuß und zuvor nur halbherzig gemachte Vorschlag, den auch Teile der SPD - jedenfalls in den Ländern - nicht mittragen, nämlich das Ehegattensplitting zu kappen, schlichtweg verfassungswidrig wäre und keine Chance hätte, verwirklicht zu werden.
Zum Thema Ökosteuern und Lohnnebenkosten. Wir wollen die Gewährleistung des Lenkungseffektes. Es ist für uns entscheidend, etwas Effizientes für die Umwelt zu tun. Wir wissen ganz genau - Kollege Repnik und Kollege Schäuble haben das gesagt -: Damit darf keine Gefährdung des Standorts Deutschland verbunden sein. Niemand würde es begreifen, wenn wenige Kilometer jenseits der bayerischen oder der baden-württembergischen Grenze in anderen Ländern Arbeitsplätze entstünden, weil Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig wäre.
Zu unseren Prinzipien gehört: keine Steigerung der Steuer- und Staatsquote. Auch muß die Finanzierungsfunktion des Steuersystems erhalten bleiben. Sozial gerechte Auswirkungen müssen bedacht werden. Darum werden wir vernünftig und pragmatisch an eine zielgerichtete Fortentwicklung dieser Dinge herangehen.
Man muß sich über eines im klaren sein: Wenn man nämlich mit Ökosteuern Soziallasten, Sozialversicherungssysteme oder was auch immer bezahlen
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
will, dann muß man dann, wenn die Ökosteuern zurückgehen, entweder immer stärker an der Steuerschraube drehen oder die Sozialleistungen kürzen. Das wäre die ganz logische Konsequenz.
Ich bitte Sie, darüber noch einmal sehr entschieden nachzudenken.
Meine Damen und Herren, übrigens trägt der Bund auch bei dem Thema „versicherungsfremde Leistungen" ganz erheblich zur Finanzierung der Sozialversicherung bei. Die Bundesausgaben stiegen hier von 49 Milliarden DM in 1989 auf 93 Milliarden DM in 1995. Der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten beträgt 20 % der gesamten Rentenausgaben. Wer die Lohnnebenkosten senken will, muß auch in Zukunft bei den Leistungen, den Kosten und der Effizienz der Sozialversicherungen ansetzen.
Anfang Oktober beginnt in Washington die Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Auch die Finanzpolitik wird wieder im Mittelpunkt stehen. Wir stehen vor dem globalen Problem der Kapitalknappheit. Dazu wird eine Studie der G-10-Gruppe vorgelegt und diskutiert werden. Wir müssen alles daran setzen, daß genügend Kapital für Investitionen zu akzeptablen Preisen bereitsteht. Darum ist Sparen unverzichtbar. Darum ist auch die zusätzliche Förderung des Sparens bei uns sehr wichtig. Damit kann ein Beispiel für andere gegeben werden, die Ersparnisbildung zu erhöhen.
Deutschland wird hier, ohne daß wir damit angeben, Vorbild sein. Unser Rat ist gefragt. Viele andere Industrieländer haben noch einen langen und steinigen Weg vor sich, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren und das private Sparen anzuregen. Wir werden unseren Weg weitergehen: heute die Probleme angehen, die richtige Richtung einschlagen, langfristig denken und zukunftsorientierte Lösungen umsetzen. So können wir Deutschland für die Probleme des nächsten Jahrhunderts rüsten.
Ich danke Ihnen.
Um das Wort für eine Kurzintervention hat die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier gebeten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Finanzminister, wir erleben hier zum zweitenmal innerhalb eines Jahres etwas, was mich überrascht: daß Sie im Laufe der Debatte nicht auf meine Rede eingehen, sondern die allerletzte Rede am Freitag dazu benutzen, zu argumentieren und zu polemisieren. Darauf kann man nicht mehr antworten. Deswegen habe ich im Rahmen der Kurzintervention jetzt nur zwei Minuten, um drei Bemerkungen zu machen. Wir werden das in Zukunft ändern müssen.
Erste Bemerkung. Sie sprachen erneut die Erhöhung des Kindergeldes an. Wir sind stolz auf diese Erhöhung. Da wir uns darüber streiten, wie Kollege Repnik es getan hat, von wem der Vorschlag des einheitlichen Kindergeldes kam, darf ich nur daran erinnern - auch die Menschen an den Fernsehern -, wer im Wahlkampf 1994 250 DM gefordert hat und immer dafür eingetreten ist.
Wenn wir jetzt zusammen 200 DM und in 1997 220 DM realisieren, dann muß man feststellen, daß das ein Fortschritt ist. Aber ich bleibe dabei: Wir brauchen auch in Zukunft eine stärkere Entlastung der Familien mit Kindern. Das Bisherige reicht nicht aus.
Wenn Sie sagen, unser Finanzierungsvorschlag sei verfassungswidrig, dann weise ich das zurück. Denn wir wollen eine Steuersubvention nicht beliebig ändern, sondern sachgerecht aus dem Splitting etwas zu Familien mit Kindern herüberholen. Was wir jetzt gemacht haben, ist ein erster Schritt. Aber es bleibt dabei: Es darf nicht sein, daß Kinder Armutsrisiken für Familien werden.
Zweite Bemerkung. Wir sind in einer Zinsfalle. Übrigens, wenn wir jetzt regierten, steckten wir Sozialdemokraten genauso in der Zinsfalle.
Wir werfen Ihnen vor, daß Sie uns ohne Not mit maßloser Verschuldung dort hineingetrieben haben. Aber, Herr Waigel, gerade wenn wir fast keinen finanziellen Handlungsspielraum haben, müssen die Schwerpunkte richtig gesetzt werden. Dazu sage ich nur - Herr Kollege Diller hat das ausgeführt -: Umwelthaushalt runter, Etat für Arbeit und Arbeitsmarkt runter, Bahn- und Schieneninvestitionen runter, BA-
föG runter
und gleichzeitig Kernenergie und Verteidigungshaushalt massiv hoch, das sind falsche Schwerpunkte, und das müssen wir ändern.
Dritte und letzte Bemerkung. Gerade weil der Handlungsspielraum so gering ist, müssen wir alle miteinander umschichten. Sie müssen umschichten, wir müssen umschichten. Deswegen begrüße ich es, daß Herr Solms heute morgen gesagt hat, er halte unseren Vorschlag für eine Ökosteuerreform für überlegenswert. Verbohren Sie sich nicht in ein Nein! Wer auch immer regiert, wird die Kosten der Arbeit in diesem Lande senken müssen.
Deswegen: Runter mit den Arbeitlosenversicherungsbeiträgen und gleichzeitig Investitionen
Ingrid Matthäus-Maier
- warum regen Sie sich eigentlich so auf? - im Umweltschutz und im Energieeinsparbereich rauf! Machen Sie mit uns mit! Lassen Sie uns gemeinsam in den nächsten Wochen beim Bundeshaushalt Umschichtungen in Richtung Familienfreundlichkeit, mehr Arbeitsplätze und mehr Umweltschutz vornehmen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Repnik.
Es muß sein, daß ich nach diesem Beitrag noch etwas sage. Liebe Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich hätte so kurz vor einem schönen, runden Geburtstag, den Sie morgen feiern, Ihnen freundlicher entgegnen wollen; aber sie geben mir dazu wirklich keine Chance.
Zunächst stelle ich noch einmal fest: Sie können im Zusammenhang mit dem Familienleistungsausgleich so oft behaupten, wie sie wollen, daß es Ihr Erfolg sei. Gerade angesichts laufender Kameras gilt es, folgendes festzuhalten.
Erstens. Die SPD hatte ein einheitliches Kindergeld von 250 DM vorgeschlagen, und dieser Vorschlag war eindeutig verfassungswidrig.
Dieser Vorschlag war nicht umzusetzen.
Zweitens. Dieser Vorschlag wurde im Bundesrat von der Mehrzahl der SPD-Ministerpräsidenten mangels Masse abgelehnt. Er war nicht zu realisieren.
Drittens in diesem Zusammenhang: Wir haben gesagt, daß wir diese alte sozialistische Gleichmacherei nicht mitmachen, sondern versuchen, den persönlichen, familiären Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Deshalb haben wir differenziert.
Wir haben uns heute gemeinsam für 200 DM ab dem 1. Januar 1996 für das erste und zweite Kind entschieden, und wir werden das Kindergeld in einer Stufenfolge auf 220 DM aufbessern. Wir haben für das dritte Kind 300 DM und darüber hinaus 350 DM für jedes weitere Kind durchgesetzt - das ist unser Vorschlag -, weil wir damit der speziellen familiären Situation Rechnung tragen wollen. Uns geht es nicht
um Gleichmacherei, sondern um eine den Verhältnissen angepaßte Regelung.
Zu dem, was der Kollege Diller hier vorgetragen hat - das war schon starker Tobak -, möchte ich noch einmal folgendes festhalten.
Erstens. In den ersten sechs Jahren dieser Regierung Helmut Kohl, also ab dem Oktober 1982 mit dem damaligen Finanzminister Stoltenberg, war es diese Koalition, die den Schuldenberg abgetragen und die Staatsquote abgebaut hat. Sie hatten die Staatsquote auf über 50 % hinaufgeschraubt; wir haben sie in einem schwierigen Akt auf 46 % hinuntergefahren.
Zweitens. Woher nehmen Sie eigentlich den ungeheuren Mut, angesichts der Verhältnisse in den neuen Bundesländern und der ungeheuren Aufbauleistungen dieser Koalition und Deutschlands insgesamt auf Grund der Zinssituation den Eindruck zu erwecken, es liege an dem Finanzminister? Theo Waigel hat mit der Vorlage dieses Haushalts gezeigt, daß er spart. Er hat auf die internationale Situation, auf die Bonität Deutschlands hingewiesen.
- Sie hat das Recht in Anspruch genommen zu intervenieren; ich antworte ihr.
Trotzdem ist Ihre Redezeit jetzt beendet.
Nur noch einen Satz, Frau Präsidentin!
Wir haben staatliche Transferleistungen zum Aufbau in den neuen Ländern und zur Anpassung der Lebensverhältnisse von über 1 000 Milliarden DM. Wir haben im Haushalt 1996 weit über 100 Milliarden DM Transferleistungen, denen 60 Milliarden DM Neuverschuldung gegenüberstehen. Dies sind doch die Fakten. Nehmen Sie sie zur Kenntnis. Es ist eine solide, eine seriöse Finanzpolitik.
Jetzt haben wir die Redezeiten zwischen beiden Kurzinterventionen gerecht verteilt. Ich schließe damit die Debatte.
- Noch eine Kurzintervention? - Ich kündige jetzt an, daß das die letzte Kurzintervention ist, weil unsere Kollegen auf eine bestimmte Zeit eingestellt sind. Danach muß Schluß sein.
Karl Diller [SPD]: Frau Präsidentin! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil der Kollege Repnik eben wahrheitswidrig behauptet hat, die Koalition habe in den 80er Jahren den Schuldenberg abgebaut. Wahrheit ist: Bundeshaushalt und Schattenhaushalte betrugen 1982, im letzten Regierungsjahr der SPD, 349 Milliarden DM. Im Jahre 1986 - um ein mittleres Jahr zu nehmen - waren sie nicht abgebaut, sondern auf 457 Milliarden DM gewachsen.
Im letzten Jahr der alten Republik, im Jahre 1989, sind die Ausgaben gar auf 542 Milliarden DM gewachsen. Es ist wahrheitswidrig, zu behaupten, Sie hätten in den 80er Jahren den Schuldenberg abgebaut.
Der Finanzminister verzichtet auf sein Recht zu antworten. Es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor.
Das Haushaltsgesetz 1996 und der Finanzplan 1995 bis 1999 sollen nach § 95 der Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 20. September 1995, 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende im Wahlkreis.
Die Sitzung ist geschlossen.