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    Plenarprotokoll 13/53 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 53. Sitzung Bonn, Freitag, den 8. September 1995 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Wolfgang Weiermann 4471 A Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 (Haushaltsgesetz 1996) (Drucksache 13/2000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 (Drucksache 13/2001) Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU 4471 B Karl Diller SPD 4473 D Dr. Hermann Otto Sohns F.D.P. 4479 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4482 B Dr. Barbara Höll PDS 4484 B Dankward Buwitt CDU/CSU 4486 B Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 4488 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 4492 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU 4493 A Nächste Sitzung 4494 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 4495* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 4495* D 53. Sitzung Bonn, Freitag, den 8. September 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 8. 9. 95 Beck (Bremen), BÜNDNIS 8. 9. 95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Büttner (Ingolstadt), SPD 8. 9. 95 Hans Feilcke, Jochen CDU/CSU 8. 9. 95 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 8. 9. 95 Frick, Gisela F.D.P. 8. 9. 95 Graf (Friesoythe), SPD 8. 9.95 Günter Grießhaber, Rita BÜNDNIS 8. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Hempelmann, Rolf SPD 8. 9. 95 Heym, Stefan PDS 8. 9. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 8. 9. 95 Hoffmann (Chemnitz), SPD 8. 9. 95 Jelena Dr. Jobst, Dionys CDU/CSU 8. 9. 95 Dr. Jork, Rainer CDU/CSU 8. 9. 95 Dr. Knake-Werner, Heidi PDS 8. 9. 95 Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 8. 9. 95 Angelika 90/DIE GRÜNEN Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 8. 9. 95 Leidinger, Robert SPD 8. 9. 95 Lemke, Steffi BÜNDNIS 8. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 8. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Lohmann (Witten), SPD 8. 9. 95 Klaus Lotz, Erika SPD 8. 9. 95 Lüth, Heidemarie PDS 8. 9. 95 Mattischeck, Heide SPD 8. 9. 95 Möllemann, Jürgen W F.D.P. 8. 9. 95 Neuhäuser, Rosel PDS 8. 9. 95 Neumann (Berlin), Kurt SPD 8. 9. 95 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 8. 9. 95 Saibold, Halo BÜNDNIS 8. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Schätzle, Ortrun CDU/CSU 8. 9. 95 Schaich-Walch, Gudrun SPD 8. 9. 95 Schenk, Christa PDS 8. 9. 95 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schewe-Gerigk, BÜNDNIS 8.9.95 Irmingard 90/DIE GRÜNEN Schlee, Dietmar CDU/CSU 8. 9. 95 Schmidt (Aachen), Ursula SPD 8. 9. 95 Schmidt-Zadel, Regina SPD 8. 9. 95 Schmitt (Langenfeld), BÜNDNIS 8. 9. 95 Wolfgang 90/DIE GRÜNEN Schönberger, Ursula BÜNDNIS 8. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Schultz (Everswinkel), SPD 8. 9. 95 Reinhard Dr. Schwaetzer, Irmgard F.D.P. 8. 9. 95 Simm, Erika SPD 8. 9. 95 Späte, Margarete CDU/CSU 8. 9.95 Dr. Stadtler, Max F.D.P. 8. 9. 95 Stübgen, Michael CDU/CSU 8. 9. 95 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 8. 9. 95 Tröscher, Adelheid SPD 8. 9. 95 Vosen, Josef SPD 8. 9. 95 Wettig-Danielmeier, Inge SPD 8. 9. 95 Wieczorek-Zeul, SPD 8.9.95 Heidemarie Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 687. Sitzung am 14. Juli 1995 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß § 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: - Siebzehntes Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (17. BAföGÄndG) - Zweites Gesetz zur Änderung des Tierseuchengesetzes - Gesetz zur Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an das EG-Recht - Gesetz zu dem Abkommen vom 14. Juli 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Pakistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen - Gesetz zu dem Abkommen vom 22. August 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Mongolei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Gesetz zu dem Protokoll Nr. 11 vom 11. Mai 1994 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) - Gesetz zur Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrechtlicher, beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften - Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten (1. EMVGÄndG) - Gesetz über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen (HIV-Hilfegesetz - HIVHG) - Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Zu den beiden letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat die folgenden Entschließungen gefaßt: Zum Gesetz über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen (HIV-Hilfegesetz - HIVHG): Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, kurzfristig einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Haftung nach dem Arzneimittelgesetz auf der Grundlage des Berichtes des 3. Untersuchungsausschusses des 12. Bundestages vorzulegen. Dabei sind folgende Eckpunkte zu berücksichtigen: - Einbeziehung der sekundär, aber „unmittelbar" an eigenen Rechtsgütern Geschädigten in § 84 Satz 1 AMG, - Erleichterung der Beweisführung und/oder der Beweislast für die Kausalität der Rechtsgutverletzung durch Arzneimittel in § 84 Satz 1 AMG, - Einführung einer Entschädigungsregelung („Fondslösung") in Fällen ungeklärter Kausalität bei der Einnahme mehrerer Arzneimittel und beim Fehlen einer Arzneimittelzulassung und/oder Deckungsvorsorge, - Erleichterung des Kausalitätsnachweises bzw. Entschädigungsregelung („Fondslösung") bei Langzeitschäden von Arzneimitteln, - Umkehr der Beweislast für die „Unvertretbarkeit" der schädlichen Arzneimittelwirkungen zugunsten des Verletzten, - Erhöhung der Höchstbeträge in § 88 AMG, - Erweiterung der Schadenshaftung auf immaterielle Schäden (Schmerzensgeld) in § 86 bzw. § 87 AMG. Ein besserer Schadensausgleich für Arzneimittelgeschädigte ist humanitären Hilfelösungen mit überwiegend staatlicher Kostentragung vorzuziehen. Zum Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes: Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, in Ergänzung zu diesem Gesetz die Anstrengungen zur Umsetzung langfristig wirksamer Ozonminderungsmaßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene zu forcieren. Weiterhin bittet der Bundesrat die Bundesregierung, unter Einbeziehung bereits existierender Erkenntnisse (z. B. Ozonversuch Heilbronn/Neckarsulm, Aktionsprogramm und Maßnahmenplan Ozon) eine zentrale Stelle zu beauftragen, ein wissenschaftliches Begleitprogramm zur Untersuchung der mit den temporären und langfristigen Maßnahmen erreichten Ozonminderungserfolge durchzuführen und daraus den Bedarf weiterer Regelungen abzuleiten. Insbesondere sollten folgende Fragestellungen beantwortet werden: - Haben sich die Regelungen des Ozongesetzes in der Praxis bewährt und durch welche Regelungen sollte das Gesetz ggf. ergänzt bzw. fortgeschrieben werden, um bis zum Greifen der langfristigen Maßnahmen die Ozonspitzenkonzentrationen zu senken? - Welche Emissionsminderungen bei den Vorläufersubstanzen wurden während einzelner Ozonepisoden durch die eingeleiteten temporären Maßnahmen erzielt und welche Immissionsminderungen bei Ozon resultierten daraus? - In welchem Umfang wurden Ausnahmeregelungen für nicht schadstoffarme Kraftfahrzeuge in Anspruch genommen und welche Probleme gab es dabei? - Welche Resonanz fanden die Appelle zur Nichtbenutzung von Kraftfahrzeugen? -- Welche Akzeptanz fanden die ausgesprochenen Verkehrsverbote bei der Bevölkerung? Darüber hinaus wird die Beanwortung folgender Fragen für erforderlich gehalten: - Welche Emissionsminderungen bei den Vorläufersubstanzen und welche Immissionsminderungen bei Ozon resultieren aus den eingeleiteten langfristigen Maßnahmen und wie sind diese im Vergleich zu den temporären Maßnahmen zu bewerten? - Werden weitere Maßnahmen (z. B. Emissionsbegrenzungen im Anlagenbereich von Industrie und Gewerbe, Minderung der Lösemittelemissionen durch Produkte, weitere Emissionsbegrenzungen an Kraftfahrzeugen) für erforderlich gehalten, um die Emissionen der Ozonvorläufersubstanzen weiter zu senken? Die Bundesregierung wird gebeten, durch jährliche Zwischenberichte bis jeweils zum 31. Dezember über die aktuellen Erkenntnisse aus diesem Begleitprogramm zu informieren. Begründung: Mit der Befristung des Ozongesetzes bis zum 31. Dezember 1999 wird der Versuchscharakter dieses Gesetzes dokumentiert. Um die Regelungen dieses Gesetzes ggf. zu ergänzen oder fortzuschreiben, ist es erforderlich, durch ein wissenschaftliches Begleitprogramm die eingeleiteten Maßnahmen zu untersuchen und zu bewerten. Eine hohe Vergleichbarkeit der Erkenntnisse aus den einzelnen Ozonepisoden in den Ländern kann nur durch ein bundeseinheitlich und zentral durchgeführtes Begleitprogramm erreicht werden. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/44 Innenausschuß Drucksache 13/765, Nr. 1.1 Finanzausschuß Drucksache 13/1234, Nr. 1.9 Drucksache 13/1234, Nr. 1.12 Drucksache 13/1234, Nr. 1.19 Haushaltsausschuß Drucksache 13/1338, Nr. 2.8 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/725, Nr. 83 Drucksache 13/725, Nr. 84 Drucksache 13/725, Nr. 86 Drucksache 13/725, Nr. 87 Drucksache 13/725, Nr. 88 Drucksache 13/725, Nr. 89 Drucksache 13/725, Nr. 101 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/218, Nr. 88 Drucksache 13/614, Nr. 3.1 Drucksache 13/725, Nr. 138 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/1799, Nr. 2.9 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/1338, Nr. 1.7 Drucksache 13/478, Nr. 1.3 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/343, Nr. 2.3 Drucksache 13/343, Nr. 2.5 Drucksache 13/343, Nr. 2.7 Drucksache 13/343, Nr. 2.10 Drucksache 13/343, Nr. 2.13 Drucksache 13/343, Nr. 2.24 Drucksache 13/765, Nr. 1.8 Drucksache 13/765, Nr. 1.10 Drucksache 13/765, Nr. 1.11 bis 1.15 Drucksache 13/765, Nr. 1.18 Drucksache 13/765, Nr. 1.19 Drucksache 13/1096, Nr. 2.2 Drucksache 13/1096, Nr. 2.13 Drucksache 13/1096, Nr. 2.14 Drucksache 13/1096, Nr. 2.18 Drucksache 13/1234, Nr. 1.4 Drucksache 13/1234, Nr. 1.5 Drucksache 13/1234, Nr. 1.13 Drucksache 13/1338, Nr. 2.5 Drucksache 13/1338, Nr. 2.7 Drucksache 13/1338, Nr. 2.10 Drucksache 13/1338, Nr. 2.11 Drucksache 13/1338, Nr. 2.14 Drucksache 13/1338, Nr. 2.16 Drucksache 13/1442, Nr. 1.1 Drucksache 13/725, Nr. 45 Drucksache 13/725, Nr. 105 bis 131 Drucksache 13/614, Nr. 2.1 bis 2.6 Drucksache 13/614, Nr. 2.9 Drucksache 13/614, Nr. 2.12 bis 2.14
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    Rede von Karl Diller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte in dieser Woche hat gezeigt: Diese Bundesregierung sitzt in der Zinsfalle ihrer eigenen Verschuldungspolitik.

    (Beifall bei der SPD)

    Was Sie als Sparhaushalt bezeichnen, Kollege Erich Riedl, ist in Wahrheit das Eingeständnis der Bundesregierung, einen immer geringeren Beitrag zur Bewältigung notwendiger Strukturveränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten. In weiten Bereichen sind die Ausgabenansätze des Bun-

    Karl Diller
    deshaushaltes dadurch bestimmt, gerade noch die eingegangenen Verpflichtungen der Vorjahre zu erfüllen. Für die Gestaltung der Zukunft reicht das aber nicht aus.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Schwarzmalerei!)

    Was ich hier in Händen halte, Kollege Dr. Weng, zeigt das Ergebnis Ihrer Finanzpolitik.

    (Der Redner hält ein Schaubild hoch Dr. Erich Riedl [München] [CDU/CSU]: Das ist ein leeres Blatt! Bundesminister Dr. Theodor Waigel: So stand der Lafontaine im Saarland auch da!)

    Es zeigt den Anteil der Zinsausgaben am Bundeshaushalt.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja furchtbar!)

    Der Unterschied zwischen der Belastung 1982 hier und 1991 dort läßt die Zinsfalle deutlich werden, in die uns Herr Waigel hineingeführt hat.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Nehmen Sie einen Zeigestock!)

    Innerhalb von nur vier Jahren hat sich der Anteil der Zinsen am Bundeshaushalt verdoppelt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und jetzt nehmen Sie 1978 bis 1982!)

    Die Zinsen für das Schuldenmassiv des Herrn Waigel von fast 1 380 Milliarden DM fressen die Steuereinnahmen förmlich auf.

    (Zurufe von der SPD: Hört! Hört! Dr. Peter Struck [SPD]: Unglaublich! Ina Albowitz [F.D.P.]: Ach, red' doch nicht so einen Quatsch! Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Nach der Rede traue ich mich nicht mehr auf den Parteitag! Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    - Das kann ich Ihnen nachfühlen, denn, Herr Waigel, 1991 haben Sie 13 % Ihrer Steuereinnahmen für Zinsen ausgeben müssen. Das ist roundabout jede achte Steuermark. Heute brauchen Sie schon jede vierte Steuermark, um die Zinslast zu bedienen - geschweige denn, daß Sie irgend etwas tilgen können.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Schlimm!)

    Unter diesen Bedingungen ist gestaltende Politik fast unmöglich geworden.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider!)

    Herr Bundesfinanzminister, Sie versuchen, diese bedrohliche Zinsfalle mit einer absurden Aufrechnung der Zinsen gegen die Nettokreditaufnahme - Sie haben am Dienstag den Kollegen Roth zitiert -

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Der war gut!)

    zu verniedlichen, so als wäre der Anstieg der Neuverschuldung auf mehr als 60 Milliarden DM halb so schlimm, weil dem Kapitalmarkt gleichzeitig 95 Milliarden DM an Zinsen zufließen. Das ist eine völlig verdrehte Logik.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Nach dieser Logik hätte Herr Waigel nämlich sozusagen noch einen Spielraum von 35 Milliarden DM für zusätzliche Schulden. Was Sie als für den Kapitalmarkt positiv bewerten, ist in Wahrheit eine skandalöse Umverteilung von Einkommen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch barer Unfug!)

    Die Steuergroschen der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen schieben Sie den Kapitalanlegern in die Taschen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nichts als Klassenkampf! Keine Konzepte! Letztes Jahrhundert!)

    Ludwig Erhard würde bei diesen Zahlen rotieren; denn der verstand noch etwas von sozialer Symmetrie. In seinen schlechtesten Zeiten flossen gerade einmal 2,4 % der Steuereinnahmen in die Zinsausgaben.

    (Der Redner präsentiert ein weiteres Schaubild)

    Das Gebirgsmassiv, das Sie hier sehen, meine Damen und Herren, sind die Zinsen für den Bundesschuldenberg.

    (Lachen bei der CDU/CSU Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind doch nicht in der Schule, Herr Diller!)

    Zu Ihrer Information: Das hier ist der Schuldenstand des Bundes und seiner Schattenhaushalte des Jahres 1982.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Keiner knipst!)

    Sie wissen, was ich damit sagen will. Das hier ist das Waigelsche Gebirgsmassiv an Schulden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD Zuruf von der CDU/CSU: Es ist doch Volksverdummung, was Sie hier machen!)

    Um die Zinsen für den Bundesschuldenberg zu bezahlen, muß im Durchschnitt jeder, vom Säugling bis zum Greis, wenn man es auf die Einwohner umrechnet, 1 150 DM pro Jahr nur an den Bund Steuern zahlen, also mehr als 4 500 DM von einer vierköpfigen Familie. Herr Waigel, uns allen würde es heute sehr viel besser gehen, wenn Sie die Bürger weniger geschröpft hätten oder wenn Sie den Bürgern die überhöhten Steuern zumindest in Form von Arbeitsplätzen, einem besseren Verkehrssystem, besseren Aus-

    Karl Diller
    bildungen oder mehr Wohnungen in den neuen Ländern zurückgegeben hätten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Fragen Sie einmal die Bürger in den neuen Bundesländern, wie es ihnen geht!)

    Die Formel Ihrer Finanzpolitik lautet seit Jahren: Steuern und Abgaben herauf, staatliche Leistungen herunter! Was daran symmetrisch sein soll, bleibt Ihr Geheimnis.
    Mit „symmetrischer Politik" wollen Sie jetzt die Staatsquote bis zum Jahr 2000 auf 46 % senken. Kollege Riedl sprach davon. Ich halte das für ein finanzpolitisches Märchen; denn das hieße doch nach Ihrer Rechnung, daß Sie über einen finanzpolitischen Handlungsspielraum von 140 Milliarden DM verfügen müßten, 70 Milliarden davon zur Senkung des Defizits und über 70 Milliarden DM für zusätzliche Steuerentlastungen. Wenn diese Zahlenspielerei auch nur etwas mit der Wirklichkeit zu tun hätte, dann schreiben Sie das doch in Ihre Finanzplanung hinein, Herr Waigel.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja!)

    Dann machen Sie doch Schluß mit dem koalitionsinternen Hickhack um den Abbau des Solidaritätszuschlags. Dann sagen Sie ohne Wenn und Aber: Der Bundesfinanzminister wird spätestens 1998 39 Milliarden DM Solidaritätszuschlag den Bürgern zurückgeben. Dafür bräuchten Sie doch gerade einmal die Hälfte Ihres angeblichen Steuersenkungsspielraums. Sie wissen, daß dies ein Märchen ist. Deshalb unterlassen Sie das.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundesfinanzminister, Sie haben gesagt: Auch die Politik muß ehrlich arbeiten. Wir sagen: Dann halten Sie sich endlich einmal daran!

    (Beifall bei der SPD)

    Denn daran hat es in Ihrer Finanzpolitik seit der deutschen Einheit gefehlt.
    Mit Ihrer Behauptung, 1996 würden die Ausgaben des Bundes sogar sinken, ist Ihnen ein medienwirksamer Gag gelungen. Das müssen wir zugestehen. Aber ehrlich, Herr Waigel, ist das doch nicht, denn die Bundesausgaben steigen um 0,4 % gegenüber dem Vorjahr. Das ist nicht viel. Aber sie steigen. Weil es ihm nur um das Plus und Minus ging, konnte er es sich wieder nicht verkneifen zu mogeln.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn das Nullwachstum erfunden?)

    Denn während Sie die Bundesausgaben um die Systemumstellung beim Familienleistungsausgleich bereinigen, verschweigen Sie die zur gleichen Zeit stattfindende Systemumstellung des schienengebundenen Nahverkehrs von der Ausgabenseite auf die Einnahmeseite;

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!)

    eine Bilanzverkürzung genauso wie beim Kindergeld. Auf der Einnahmeseite werden dafür
    8,7 Milliarden DM im nächsten Jahr abgesetzt. Bis
    1999 wird der Betrag auf 13,2 Milliarden DM sogar steigen. Verfälschen Sie, Herr Waigel, mit solchen Buchungstricks nicht den wahren Anstieg der Bundesausgaben!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Waigel, Sie haben am Dienstag behauptet, beim Lean management, neudeutsche Vokabel für Personalabbau, könne sich der Bund im Dreijahresvergleich 1992 bis 1995 sehen lassen. Sie haben sogar den Vergleich zum Personalabbau bei DaimlerBenz gezogen. Im Gegensatz zu Daimler-Benz allerdings kommen Sie nie aus den roten Zahlen heraus.
    Zutreffend ist: Die Personalstellen des Bundes sollen von 1992 bis 1995 - das ist Ihr Zeitraum - von 380 000 auf 325 000 zurückgeführt werden. Von diesem Rückgang aber entfallen allein 45 000 Stellen, also 82 %,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Roundabout!)

    auf die Truppenreduzierung der Bundeswehr. Soll das etwa die Modernisierung der Verwaltung sein?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Geradezu peinlich wird es bei den Ministerien. Da wachsen die Personalstellen in dem von Ihnen genannten Zeitraum, von 1992 bis 1995, trotz aller angeblichen Kürzungen sogar noch um 511 auf 21 570.

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das sind Waigeleien!)

    Vielleicht verstehen Sie in der Koalition unter Lean management ja etwas ganz anderes. Beispielsweise die Frühpensionierung eines Botschafters, der im Alter von 59 Jahren anschließend wieder fit genug ist, zu seiner Pension eine gutbezahlte Nebentätigkeit bei einem deutschen Konzern zu übernehmen.

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist wirklich kleinkariert!)

    Oder Sie verstehen darunter das Ausscheiden eines Staatssekretärs aus dem Innenministerium, liebe Kollegin Albowitz, der im Alter von 46 Jahren gegangen wurde - bei voller Pension. Der Mann hatte ein Dienstvergehen begangen. Da wäre ein Disziplinarverfahren mit drastisch verkürzten Bezügen angebracht gewesen. Statt dessen hat der Mann heute einen neuen Job. Zusätzlich zur Pension verdient er noch als Vorstandsvorsitzender einer Krankenkasse.

    (Zuruf von der SPD: Ist ja unglaublich!)

    Herr Bundesfinanzminister, Ihre Frage nach dem Konzept der SPD für eine moderne Politik, für eine wirkliche Alternative - -

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel entfernt sich von seinem Platz)


    Karl Diller
    - Herr Waigel?

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Ich komme wieder! Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Bei der Rede kann man verstehen, daß er wegläuft!)

    - Herr Waigel!

    (Zuruf von der SPD: Wo ist er denn jetzt? Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Er waigelt wieder! Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Es wird mir doch noch erlaubt sein, daß ich mich von meinem Platz entferne!)

    - Herr Waigel, ich gönne Ihnen die Unterhaltung mit dieser Kollegin natürlich, das ist völlig klar.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Neid!)

    Das ist bestimmt angenehmer, als sich unsere Vorhaltungen anzuhören.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Herr Waigel, Ihre Frage nach dem Konzept der SPD für eine moderne Politik, für eine wirkliche Alternative, diese Frage, die Sie am Dienstag gestellt haben, ist an Scheinheiligkeit nicht mehr zu überbieten;

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    denn es ist doch die Koalition, die auf Grund ihrer eigenen Handlungs- und Reformunfähigkeit gezwungen ist, Stück um Stück sozialdemokratische Alternativen zu übernehmen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Erstes Beispiel. Es war doch die Koalition, der nach den Urteilen zur Verfassungswidrigkeit beim Familienleistungsausgleich sowie beim steuerfreien Existenzminimum 1991, 1992, 1993, 1994 nichts einfiel, die nichts vorlegte.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Wie immer!)

    Erst auf den letzten Drücker legten Sie einen Gesetzentwurf vor, der erneut verfassungswidrig war und von der Fachwelt in der Luft zerrissen wurde.

    (Beifall bei der SPD)

    Die mit dem Jahressteuergesetz 1996 erreichten Verbesserungen für Normalverdiener und Familien, der Einstieg in die Korruptionsbekämpfung und in den Abbau ungerechter Steuersubventionen sind doch der Erfolg der SPD. Deshalb erinnere ich nochmals an unsere Alternativen.
    Herr Riedl hat vorhin gemeint, man solle sich das eine oder andere aufschreiben. Lieber Kollege Riedl, deshalb zum Notieren: Sie hatten einen unausgegorenen Gesetzentwurf mit dem häßlichen Buckeltarif vorgelegt. Wir, die SPD, haben erreicht, daß sich die Steuerentlastung nun auf die kleinen und mittleren Einkommen konzentriert.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie wollten das Existenzminimum auf höchstens 12 000 DM begrenzen.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Herr Riedl, was sagen Sie dazu?)

    Wir, die SPD, haben erreicht, daß das Existenzminimum bis 1999 auf 13 000 DM angehoben wird. Damit helfen wir erneut den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie wollten die ungerechte Familienförderung fortsetzen. Wir, die SPD, haben für das Jahr 1996 eine Verbesserung des Kindergeldes für das erste und zweite Kind auf 200 DM, für 1997 auf 220 DM, für das dritte und vierte Kind sogar auf 300 DM bzw. 350 DM durchgesetzt. Es ist das Verdienst der Sozialdemokratie, daß ab 1996 für 95 % aller Kinder in diesem Land ein einheitliches, vom Einkommen der Eltern unabhängiges, gleiches Kindergeld gezahlt wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben eine Steuervereinfachung immer wieder angekündigt, aber nie in Angriff genommen.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Leider wahr!)

    Wir, die SPD, haben jetzt erreicht, daß die ersten Steuervereinfachungen in Kraft treten. Dabei ist es ein steuerpolitisches Signal für mehr Ehrlichkeit und Gerechtigkeit im Steuerrecht - das sage ich vor allem an die Verweigerer in der F.D.P. -, daß wir endlich die Abzugsfähigkeit von Bestechungs- und Schmiergeldern abgeschafft haben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Das ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Korruption, gegen den sich die Koalition und insbesondere die F.D.P. jahrelang mit Händen und Füßen gewehrt haben.
    Ein zweites Beispiel: Sie wollten jahrelang von einer gerechten Neuregelung der steuerlichen Wohneigentumsförderung nichts wissen. Wir Sozialdemokraten haben immer wieder gefordert, die bisherige progressionsabhängige Förderung in einen für alle Bürger gleich hohen Förderbetrag umzuwandeln.
    Ihr Gesetzentwurf vom 8. August greift unsere Forderungen auf, ist aber noch unzureichend und muß in mehreren Punkten nachgebessert werden, z. B. bei der von uns geforderten Zusammenlegung der dem einzelnen Ehegatten zustehenden Förderung auf eine gemeinsame Wohnung. Sonst greift diese Reform zu kurz.
    Was jetzt geschieht, ist nach der Sozialdemokratisierung der Steuerpolitik die Sozialdemokratisierung der Wohnungspolitik.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir Sozialdemokraten haben Sie mit unserem Konzept in der Steuer- und Wohnungspolitik gezwungen, Stück um Stück unseren Kurs zu übernehmen.

    Karl Diller
    Drittes Beispiel: Bei der ökologischen Steuerreform wird es Ihnen nicht besser ergehen. Weil Sie noch keine eigene Konzeption vorstellen können, versuchen Sie, unsere Konzeption als ideologische Träumerei abzutun. Das sind wir gewohnt. Ich wette, Sie werden sich auch hier auf Dauer unserer zukunftsweisenden Konzeption nicht entziehen können.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir Sozialdemokraten wollen die ökologische Erneuerung und die wirtschaftliche Modernisierung miteinander verknüpfen. Unser Ziel ist, die Verbesserung der Leistungskraft unserer Volkswirtschaft und der Wettbewerbschancen der Unternehmen in Ost- wie in Westdeutschland mit dem Schutz von Umwelt und Gesundheit sowie der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu verbinden.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Alles Phrasen!)

    Unverzichtbarer Bestandteil dieser Strategie ist eine Steuerreform, die zwei Ziele miteinander verknüpft: Die Preise für Energie müssen langfristig die Kosten der Umweltbelastung durch Energieerzeugung und Energieverbrauch widerspiegeln. Dieses Ziel verbinden wir mit einem steuerlichen Konzept, das die notwendigen Kostenentlastungen für Unternehmen wie für Arbeitnehmer durch eine Senkung der Lohnnebenkosten kombiniert.
    Dieses Konzept ist komplett aufkommensneutral, beim Staat wird keine müde Mark verbleiben. Alles wird zurückgegeben. Eine Mehrbelastung von Bürgern und Wirtschaft findet nicht statt.
    Das ist ein anspruchsvolles, ein ehrgeiziges Konzept, ein Vorschlag, mit dem die Politik den Bürgern wieder eine Reformperspektive bietet und von dem wir deshalb überzeugt sind, daß er irgendwann eine Mehrheit finden wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Ihre Politik dagegen wird durch fortwährende Angriffe gegen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, gegen Tarifautonomie und Mitbestimmungsrechte, gegen paritätische Finanzierung der Krankenversicherung, gegen Arbeitslosen- und Sozialhilfe, gegen Arbeitszeitverordnungen usw. geprägt.
    Wer Kostensenkungen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit nur auf der Personalseite und nur durch Entlassungen sucht, gibt einen entscheidenden Standortvorteil Deutschlands auf: unser Kapital an hervorragend ausgebildeten Wissenschaftlern, Ingenieuren und Arbeitnehmern im Osten wie im Westen. Wer wie Sie der Entwertung menschlicher Arbeit zum reinen Kostenfaktor Vorschub leistet, fällt hinter Ludwig Erhard zurück und schwächt die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft, statt sie zu stärken.

    (Beifall bei der SPD)

    Ziel unserer Politik ist, die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß mit innovativen Produkten Arbeitsplätze ebenso schnell aufgebaut werden können, wie sie bei den traditionellen Industrien wegbrechen.
    Sonst kommen wir von den immensen Kosten der Arbeitslosigkeit von 140 Milliarden DM im Jahr nie herunter, und die Konsolidierung des Staatshaushaltes rückt in weite Ferne.
    Wir haben mit unserem Arbeitsmarkt- und Strukturförderungsgesetz einen konzeptionell neuen Ansatz vorgelegt. Wir fordern Sie im Interesse von Millionen arbeitslosen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zwischen Stralsund und Trier, zwischen Flensburg und Garmisch auf: Verweigern Sie sich nicht weiter dieser Aufgabe! Beschreiten Sie mit uns die neuen Wege zu einer Arbeitsmarktpolitik, die zu mehr Beschäftigung führt!

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Minister, Sie sprechen von „zukunftsweisenden Schwerpunkten und Akzenten" Ihres Haushaltsentwurfs. Schauen wir sie uns an. Ihrem Umweltetat haftet nach wie vor Alibicharakter an. Dieses Ministerium - die Älteren erinnern sich - wurde nach der Tschernobyl-Katastrophe gegründet, nur um einen politischen Gag hervorzuzaubern und eine Landtagswahl gewinnen zu können. Heute ist der Umweltetat zum Steinbruch Waigelscher Finanzpolitik geworden. Ein Beispiel: Die Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen betrugen 1992 noch über 200 Millionen DM. Im nächsten Jahr sollen es nur noch 58 Millionen DM sein. Dies ist ein besonders trauriges Beispiel für Ihr Versagen in der Umweltpolitik.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben sich als unfähig erwiesen, den Herausforderungen der Industriegesellschaft gerecht zu werden. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, die von Ihnen eingegangene Selbstverpflichtung bezüglich des CO2-Gehalts in Politik umzusetzen. Sie betreiben ökologischen und ökonomischen Unfug, wenn Sie den Kohlepfennig durch eine Haushaltsfinanzierung ersetzen, die in Milliardenhöhe der Bundesanstalt für Arbeit Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik im Gegenzug streicht. Hier haben sich CDU und CSU wohl gegen bessere Einsicht von der F.D.P. parteipolitisch mißbrauchen lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ihre falsche Weichenstellung setzt sich in der Struktur des Verkehrshaushalts fort. Sie konnten Ihre politische Entscheidung von 1994, die zweite Stufe der Bahnreform durch Einnahmen aus dem Verkehrsbereich zu finanzieren, politisch nicht einlösen, weil Sie sich in dem Gestrüpp von Finanzierungsvorschlägen - Mineralölsteuererhöhung, CO2- Abgabe, Straßenbenutzungsgebühren, Vignettenlösung und und und - verstrickten. Herausgekommen ist nun die schlechteste aller denkbaren Lösungen. Das Finanzierungsloch bei der Bahnreform in Höhe von 6 Milliarden DM wollen Sie durch eine drastische Kürzung der Verkehrsinvestitionen stopfen. Ein Musterbeispiel für falsche Prioritätensetzung! Jedermann ist klar, daß der tägliche Verkehrsinfarkt auf unseren Straßen nur durch eine Verlagerung auf die

    Karl Diller
    Schiene gebremst werden kann. Dennoch kürzen Sie die Bahninvestitionen um 2,3 Milliarden DM. Sie schnüren der neuen Bahn die Luft ab, bevor sie überhaupt die Chance hat, sich zu bewähren.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    In Ihrer Verkehrspolitik stimmt gar nichts mehr. Da lehnen Sie bei den Haushaltsberatungen für dieses Jahr den SPD-Vorschlag, 250 Millionen DM beim Autobahnneubau zugunsten von Lärmschutzmaßnahmen an Straßen- und Schienenwegen umzuschichten, rundweg ab. Was macht diese Koalition für 1996? Sie greifen diesen Vorschlag auf, aber nicht, um die Lebenssituation der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern, sondern um Haushaltslöcher zu stopfen. Sie kürzen die Investitionsmittel für die Bundesstraßen um sage und schreibe 22 %, um mehr als ein Fünftel. Das bedeutet, daß dringend notwendige Ortsumgehungen zur Verkehrsentlastung der innerstädtischen Verhältnisse nicht in Angriff genommen werden können. Ich verstehe den Zorn der Bürgerinnen und Bürger sehr gut, die diesen krassen Fehlgriff von Waigel als Anschlag auf ihre Gesundheit empfinden müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn Sie angesichts eines Fehlbestands von zwei Millionen bezahlbarer Wohnungen die investiven Mittel für den sozialen Wohnungsbau um 600 Millionen DM zusammenstreichen, dann setzen Sie in der Wohnungspolitik einfach die falschen Akzente.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Warenhauskatalog!)

    Neubestimmung der Prioritäten heißt für Kanzler Kohl, daß er von seiner Zusage in der Regierungserklärung nichts mehr wissen will, das Wohngeld einkommens- und mietengerecht anzupassen. Mit keinem Satz bietet die mittelfristige Finanzplanung irgendeine Perspektive. Das heißt, zwischen 1990 und 1999 soll nach Ihrem Willen in Sachen Wohngeld überhaupt nichts passieren. In dieser Zeit wird sich die durchschnittliche Mietbelastung, gemessen am verfügbaren Einkommen, mehr als verdoppelt haben.
    Daß der Herr Töpfer, jetzt fachlich zuständig, als Umweltminister nur ein Ankündigungsminister war, wissen wir alle. Das beweist sich auch hier; denn er hat für 1996 eine Wohngelderhöhung angekündigt. Aber ich mache darauf aufmerksam: Hier handelt es sich um eine Regierungserklärung. Hier ist der Bundeskanzler persönlich im Wort.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ihr Akzent im Verteidigungshaushalt ist der Ausgabenanstieg. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben unsere kritische Wertung des Verteidigungshaushaltes am Dienstag mit haltlosen Bemerkungen garniert. Der Verteidigungshaushalt ist für uns kein Steinbruch der Haushaltspolitik; das sage ich, damit das klar ist.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist ja etwas ganz Neues!)

    Aber Sie müssen uns und den Bürgern begründen, weshalb die Verteidigungsausgaben um eine halbe Milliarde DM steigen können, während für Wohngeld kein Geld da ist.
    Wir haben allen Grund zu der Annahme, daß im Verteidigungshaushalt nicht sparsam genug mit dem Geld des Steuerzahlers umgegangen wird. Denn Sie können den Verteidigungsminister auf die Schnelle anweisen, Hunderte von Millionen DM für den Bosnien-Einsatz in seinem Haushalt zusammenzusuchen.

    (Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Ähnlich schnell ging es beim Golfkrieg!)

    Wenn ich Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel nennen darf: Auf der Hardthöhe realisiert man jetzt ursprünglich nicht geplante Beschaffungsvorhaben - 20 Millionen DM für neue Tarnanzüge -, für die es im Dezember letzten Jahres bei Ihnen noch hieß: 1995 kein neuer Bedarf, da ausreichend Vorräte vorhanden. Bei so viel Luft unseren Antrag, für 1995 eine Wehrsolderhöhung vorzusehen, abzulehnen zeigt Ihre wahre Einstellung.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie bezeichnen es als einen weiteren Akzent Ihres Haushaltsentwurfs, daß die Aufwendungen für Forschung und Technologie um 270 Millionen DM oder 2,9 % steigen. Auch das ist nur die halbe Wahrheit. Forschung und Bildung gehören nämlich zusammen. Die Ausgaben für diesen vielbeschworenen Zukunftsetat des Ministers, der bei dieser Regierung nicht in der ersten, sondern in der letzten Reihe der Regierungsbank sitzt, steigen um klägliche 0,6 %. Damit wird nicht einmal die Preissteigerung wettgemacht. Bis 1999 sollen die Ausgaben praktisch bei 15,5 Milliarden DM stagnieren. Das heißt, die Leistungen gehen wegen der Preisentwicklung real deutlich zurück. Das ist keine Innovationsoffensive; das ist ein Armutszeugnis.

    (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Bundesfinanzminister, Sie haben der von Ihnen beabsichtigten Umstellung der BAföG-Finanzierung Modellcharakter für andere Reformen zugesprochen. Tatsächlich wäre die BAföG-Umstellung zum ersten ein Musterbeispiel für Ihre verfehlte Sachpolitik. Die geplante Umstellung der staatlichen Förderung auf Bankdarlehen - hochverzinslich - spricht dem Ziel bildungspolitischer Chancengleichheit hohn. Ihre Pläne führen zu einer Verdopplung des zurückzuzahlenden Darlehensbetrages bei Vollförderung von rund 35 000 auf 72 000 DM.
    Wenn zwei Absolventen einer Hochschule heiraten, haben sie zu gewärtigen, daß sie zusammen 140 000 DM Schulden haben. Eine absurde Förderung für junge Familien! In den Lebensjahren, in denen andere für ihr Häuschen sparen, sollen die Rüttgers-Studenten ihren Ausbildungskredit abstottern. Ihre Pläne, junge Menschen mit einer solchen Hypothek in das Erwerbsleben zu schicken, lehnen wir ab.

    Karl Diller
    Jeder weiß, daß heutzutage hohe Qualifikation keine Einkommensgarantie mehr darstellt. Sie befreit auch keineswegs von dem persönlichen Arbeitsplatzrisiko oder dem Risiko einer unterwertigen Beschäftigung.
    Ihre Pläne sind das Gegenteil der angekündigten Qualifizierungs- und Innovationsoffensive. Sie wollen fähige junge Leute aus einfachen Verhältnissen vom Studium abhalten.

    (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wir brauchen aber keine bildungspolitische Abschreckungsstrategie, sondern eine Strategie zur Ausschöpfung unserer Bildungspotentiale.
    Zum zweiten wäre die BAföG-Umstellung ein Musterbeispiel für Ihre unsolide Finanzpolitik. Diese Pläne sind finanzpolitisch unsolide, weil der Bundeshaushalt nur vorübergehend Spielraum für Umschichtungen bekäme. Die Bankenlösung ist nichts anderes als ein neuer Schattenhaushalt. Die Auslagerung der Darlehen auf das Bankensystem führt in der Zeit staatlicher Zwischenfinanzierung übrigens zu kumulativen Zinsausgaben und wird spätestens nach zehn Jahren den Haushalt von Bund und Ländern teurer als das bestehende System kommen. Deshalb lehnen die Bundesländer zu Recht Ihren Vorschlag völlig ab.
    Zum dritten wäre die BAföG-Umstellung ein Musterbeispiel für Ihre Art der Lastenverschiebung auf die Länder. Sie versuchen, dieses Angebot den Ländern mit einer Paketlösung schmackhaft zu machen: Da habt Ihr 80 Millionen DM mehr für den Hochschulbau. Damit lösen Sie zum einen nicht die strukturellen Probleme im Hochschulbau, und zum anderen versteckt sich hinter diesem Angebot eine massive Umverteilung der Kosten auf die Länder. Das nämlich, was Sie als Reform der Hochschulfinanzierung vorgestellt haben, z. B. die Anhebung der Bagatellgrenze oder die geplante Reduzierung des Medizinanteils, würde im Ergebnis für die Länder zusätzliche Mehrbelastungen in Höhe von 1 000 Millionen DM pro Jahr bedeuten. Ihre rückwärtsgewandte Bildungspolitik wird deshalb zu Recht nahezu einhellig von den Ländern, dem Wissenschaftsrat, den Hochschulen und selbst den Ihnen nahestehenden Studentenverbänden abgelehnt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wer mit seiner Politik zu Hause so wenig überzeugen kann, dem fällt ein Stein vom Herzen, wenn er einmal vom Ausland gelobt wird, in Ihrem Falle von der OECD. Wir fragen uns aber, was die 3 Millionen Arbeitslosen in Ost- und Westdeutschland damit anfangen sollen. Glauben Sie ja nicht, daß die Arbeitslosen sagen: Prima, eine solche Note von der OECD ist es uns wert, daß die Bundesregierung die Arbeitsmarktpolitik um 12 Milliarden DM zusammenstreicht!
    Mit Maastricht-Kriterien allein können Sie die Bürgerinnen und Bürger nicht überzeugen, Herr Waigel.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Diese erfahren nämlich im Osten wie im Westen tagtäglich am eigenen Leib, daß diese Bundesregierung keine Strategie für mehr Arbeitsplätze, keine Strategie für eine moderne und umweltgerechte Wirtschaftspolitik, keine Strategie für ein bedarfsgerechtes Ausbildungssystem und auch keine Strategie für die Schaffung ausreichenden, bezahlbaren Wohnraums hat.
    Die meisten Bürgerinnen und Bürger leben mit der bitteren Erfahrung, wegen einer erdrückenden Steuer- und Abgabenlast jede Mark zweimal umdrehen zu müssen. Der Einzelhandel kann in diesen Tagen ein Lied davon singen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die meisten Bürgerinnen und Bürger leben mit der bitteren Erfahrung, daß die Regierung Kohl/Kinkel Stück um Stück aus dem Sozialhaushalt bricht.
    Ihre Finanzpolitik verstärkt die Fehlentwicklungen der Vergangenheit und stellt die Weichen für die Zukunft unseres Landes in die falsche Richtung. Das Motto Ihrer Politik, Herr Waigel, ist in Wahrheit nicht „Sparen und Gestalten", sondern „Verschieben und Spalten" und wird deshalb von uns entschieden bekämpft.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Es spricht jetzt der Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Dr. Solms.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Otto Solms


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Abschluß dieser Haushaltsdebatte nur einige Stichworte aufgreifen.
    Ihnen, Herr Kollege Diller, will ich sagen: Ihren Mut und Ihre Bemühungen in Ehren, gegen die miserable Presse für die Opposition anzureden - allein, es wird nichts fruchten, insbesondere nicht mit den Buchhalterargumenten, mit denen Sie uns hier zu unterhalten versucht haben.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Aber zuerst, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich dem Bundesfinanzminister gratulieren.

    (Lachen bei der SPD)

    Einen besseren Haushalt und eine schönere Haushaltswoche hat er in seinem Berufsleben, glaube ich, noch nicht erlebt.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Nun ist es leider so: Der Sieg von heute könnte eine Niederlage von morgen bedeuten; das ist wie beim Ring des Polykrates. Wir werden jedoch hart daran arbeiten, daß dieser erfolgreichen Haushaltswoche eine Reihe noch erfolgreicherer folgen werden. Das ist unser Bemühen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Dr. Hermann Otto Solms
    Meine Damen und Herren, es führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen Ausgaben einsparen, um Gestaltungsspielräume zur Erneuerung unserer gesellschaftspolitischen Verhältnisse zu erreichen.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSUJ)

    Dieser Haushalt ist ein Beweisstück dafür, daß die Ausgaben trotz der Notwendigkeit, den Einnahmeausfall durch den Wegfall des Kohlepfennigs auszugleichen - dies zeigt die große Anstrengung, die da -hintersteht -, seit 40 Jahren zum erstenmal tatsächlich absolut gesenkt werden.
    Ich bin auch heute der Meinung, daß es richtig war, dies so zu machen - es hat sich gezeigt, daß das machbar ist -, weil nur dadurch der Druck erhalten bleibt, nicht mehr notwendige Subventionen tatsächlich abzubauen. Ohne den Druck der leeren Kassen geht das eben nicht.
    Meine Damen und Herren, jetzt geht es darum, weiter an der Auflösung der Verkrustungen zu arbeiten und mehr Handlungsspielraum, insbesondere mehr Beschäftigungsmöglichkeiten im Standort Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist der richtige; allerdings ist er noch lange nicht zu Ende.
    Dabei braucht man eine Opposition, die treibt, die anregt, die kritisiert, die hilft.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Die auch eigene Vorschläge bringt!)

    Ich kann die SPD nur auffordern, diese Aufgabe zu übernehmen. Allein, die SPD scheint gegenwärtig so sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, daß sie manövrierunfähig ist wie das Schiff von Frau WieczorekZeul in den Weiten des Südpazifiks. Ein Kollege aus der sozialdemokratischen Fraktion hat mir beiläufig gesagt, es wäre gar nicht schlecht, wenn das Schiff mit seiner Fracht noch lange dort liegenbliebe.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Interessant, welche Aussagen Sie heute morgen zu machen haben!)

    - Aber, bitte, ich berichte das nur; das ist nicht meine Meinung.
    Meine Damen und Herren, der bekannte langjährige Fraktionsvorsitzende der SPD in NordrheinWestfalen, Friedhelm Farthmann, hat in einem sehr lesenswerten Interview in der „Wirtschaftswoche" von gestern auf die Frage „Ist die Krise des Interventionismus nicht die Krise der Sozialdemokratie?" gesagt:
    Wir
    - nämlich die SPD -
    mißtrauen noch immer den Marktkräften und erwarten statt dessen das Heil von staatlichen Regelungen. Das gilt zwar nicht für die ganze Partei, hat aber die Entwicklung seit Beginn der siebziger Jahre stark geprägt.
    So ist es.
    In diesem Zusammenhang dauert mich Herr Scharping schon; denn es ist schwer, eine geradlinige Politik gestalten zu wollen, wenn die Truppen nicht stehen, wenn die Partei auf eine Linie gebracht werden soll, aber die Funktionäre auf den Parteitagen das anders sehen, wenn die Fraktion gegen den Bundesrat kämpft, wenn innerhalb der Fraktion und zwischen den Ministerpräsidenten Schaukämpfe ausgetragen werden. Trotzdem: Denkblockaden müssen, was ideologische Positionen anbetrifft, aufgehoben werden.
    Wenn ich mir die Debattenbeiträge ansehe, die gestern beispielsweise Herr Schreiner oder Herr Dreßler oder am Dienstag Frau Matthäus-Maier hier abgeliefert haben, dann kann ich keine Verbesserungen erkennen.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Inhaltlich völlig erstarrt!)

    Es wird mit Wortgewalt und großer rednerischer Begabung etwas getan, was die SPD in ihren Positionen geradezu blockiert und den Befreiungsschlag, der notwendig wäre, nicht möglich macht.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Aber, meine Damen und Herren, es geht ja jetzt darum, weitere Fortschritte zu erzielen. Wir müssen die Steuerbelastung, die Bürger und Unternehmen so sehr in ihrer Leistung hemmt und ihnen die Leistungsbereitschaft erschwert, dringend senken.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wenn Sie allerdings, Frau Matthäus-Maier, erklären, die Steuerpolitik, die wir mit dem Jahressteuergesetz machen, sei eigentlich SPD-Politik, dann ist das eher peinlich; denn die gravierenden Unterschiede gerade beim Familienlastenausgleich überdecken Sie. Sie haben 250 DM Kindergeld für alle vorgeschlagen - gleichmacherisch - und dabei verschwiegen, daß dies ein verfassungwidriger Vorschlag ist. Wir haben einen Vorschlag gemacht, der verfassungskonform ist und den Kinderfreibetrag um über 50 % anhebt, aber eine gestaffelte Kindergeldlösung bringt, die bei Familien mit mehreren Kindern sogar zu Leistungen führt, die deutlich höher sind, als die, die Sie angeboten haben. Sie sollten also die Vaterschaft dort belassen, wo sie hingehört.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wir müssen bei der Steuerentlastung aber weiter vorangehen. Sie wissen, daß wir uns darüber streiten, wann der Solidaritätszuschlag abgebaut werden soll und kann - wir meinen: so bald wie irgend möglich; er darf 1998 nicht überleben -, allerdings nicht zu Lasten der Fördermaßnahmen in den neuen Bundesländern. Das ist machbar. Der Solidaritätszuschlag belastet die Arbeitnehmer und Unternehmen im Osten genauso wie die im Westen. Deswegen ist es auch für diese notwendig, daß er abgebaut wird. Allerdings müssen die Fördermaßnahmen da, wo notwendig, insbesondere beim produzierenden Gewerbe, über einen längeren Zeitraum erhalten werden,

    Dr. Hermann Otto Solms
    Meine Damen und Herren, es geht jetzt um die Unternehmensteuerreform. Ich stelle mit Freude fest, daß hier ein Lerneffekt auf seiten der Opposition eingetreten ist. Man erkennt, daß die Gewerbekapitalsteuer eine ausgesprochen beschäftigungswidrige Abgabeform ist, weil sie die Substanz der Unternehmen belastet und sozusagen die Kosten erhöht.
    Das gleiche gilt in weitem Maße, Frau MatthäusMaier, für die Vermögensteuer. Es hat doch keinen Sinn, sofort, nur weil das Wort Vermögen ausgesprochen und damit assoziiert wird, es könne sich nur um die ganz Reichen handeln, eine sachgerechte Diskussion zu verhindern. Wie sieht es bei der Vermögensteuer aus? Im letzten Jahr betrug das Aufkommen 6,6 Milliarden DM; davon stammen etwa 60 % aus der betrieblichen Vermögensteuer.
    Für die betriebliche Vermögensteuer gilt genau das gleiche wie für die Gewerbekapitalsteuer. Sie belasten die Substanz der Unternehmen. Sie werden in anderen Industrieländern nicht erhoben und müssen dringend verschwinden.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Was bleibt dann übrig? Es bleibt eine Vermögensteuer mit einem Volumen von 2 bis 3 Milliarden DM übrig, die sehr aufwendig zu erheben ist. Schauen Sie sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes an! Wenn Sie dieses Urteil verwirklichen - das hat beispielsweise der „Spiegel" sehr gut analysiert -, dann wird die private Vermögensteuer, die verbleibt, von den Besitzern mittlerer Vermögen - von den Kleinen ohnehin nicht, da sie kein Geld haben - bezahlt werden müssen. Für die Großen gelten die Freistellungskriterien aus dem Urteil, so daß sie gar nicht mehr zum Zuge kommen.
    Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, darüber zu diskutieren, ob wir diese Steuerart nicht abschaffen, eine erhebliche Vereinfachung erzielen und eine Verrechnung mit anderen Steuerarten vornehmen können. Dann können wir über die Verteilungswirkung diskutieren. Damit habe ich gar kein Problem.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Mein Appell dient nur dazu, daß man nicht vordergründige Argumentationen aufbaut, die die sachgerechte Behandlung der Probleme verhindern.
    Das gleiche gilt für die Frage der Arbeitsplätze. Es ist die zentrale Problemfrage in unserer Gesellschaft. Wie können wir erreichen, daß in Deutschland im ersten Arbeitsmarkt wieder Arbeitsplätze entstehen und geschaffen werden können? Wie können die Wettbewerbsverhältnisse verbessert werden? Man muß doch erst einmal eine schonungslose Analyse vornehmen, bevor man die Argumente der anderen niederknüppelt.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Dies ist mein Appell an Herrn Dreßler: Bemühen Sie sich, nicht nur über den zweiten Arbeitsmarkt zu reden, der seine Berechtigung hat, der aber das Problem nicht lösen kann, sondern lassen Sie uns über den ersten Arbeitsmarkt diskutieren und schauen, wo wir helfen können!
    Eines ist doch klar: Die erste Verantwortung in diesem Punkt haben die Tarifvertragsparteien. Wenn Sie nicht wollen, daß weiterhin Arbeitsplätze verlorengehen und daß die Einkünfte der Arbeitnehmer sinken, dann müssen Sie zumindest mehr Flexibilität bei den Arbeitszeitgestaltungsregelungen oder auch bei den Tarifen möglich machen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Sonst können wir dem nicht begegnen.
    Der jetzige Kampf bei Volkswagen ist ein typisches Beispiel dafür. Bei BMW hat man den Samstag als Regelarbeitstag schon seit langen Jahren. Kein Mensch regt sich auf, auch nicht die IG Metall. Bei Volkswagen soll das Ganze nicht zugelassen werden. Das Ergebnis kann doch nur sein, - -

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lenken Sie doch nicht immer ab! Die Tarifverhandlungen sind noch nicht zu Ende!)

    - Entschuldigung, ich hätte von Ihnen erwartet, daß auch Sie dazu einen Beitrag leisten und sagen: Kinder, wenn wir die Lohnhöhe sichern wollen, dann müssen wir an anderer Stelle dazu beitragen, daß die Lohnkosten für die Unternehmen sinken, damit sie wettbewerbsfähig bleiben.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir äußern uns nicht zu Tarifverhandlungen, wenn sie noch laufen! Das ist doch Unsinn! Herr Solms, Sie kapieren es immer noch nicht!)

    Das gleiche gilt natürlich auch für die Sozialleistungen und die Lohnzusatzkosten. Wir sind uns darüber doch gar nicht uneinig, daß die Lohnzusatzkosten gesenkt werden müssen. Laßt uns doch darüber streiten, wie wir es machen!
    Lassen Sie mich zum Schluß ein Argument aufgreifen, das Frau Kollegin Fuchs gestern angesprochen hat und bei dem es ein kleines Mißverständnis zwischen ihr und mir gab. Das Mißverständnis lag darin, daß ich von dem, was sie sagte, vielleicht etwas falsch verstanden habe oder sie sich mißverständlich geäußert hat. Wenn das Gesamtmanöver aufkommensneutral vonstatten gehen soll, hat sie meine volle Zustimmung. Das ist gar keine Frage. Ich bin der SPD dankbar, daß sie sich nicht von den Grünen hat verführen lassen, in diesem Bereich einen falschen Weg zu gehen.
    Die Vorschläge der Grünen, was die Einführung von Öko-Steuern betrifft, bedeuten - wenn man einmal nachzurechnen versucht -, daß die Belastung der Steuerpflichtigen von 21 Milliarden DM Minimum am Anfang bis auf etwa 70 Milliarden DM steigt. Das

    Dr. Hermann Otto Solms
    kann in einer Zeit der zu hohen Steuern und Abgaben wirklich nicht das richtige Instrument sein.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Deswegen halte ich die Vorschläge der SPD, die ich zwischenzeitlich genau gelesen habe, für eine sehr gute Anregung zu einer sachgerechten Diskussion. Man muß ja auch einmal loben, wenn etwas lobenswert ist, auch wenn es von der Opposition kommt.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist leider selten!)

    Auf diese Vorschläge gehen wir gerne ein. Über die Einzelheiten wird man reden müssen.
    Aber die Linie, das aufkommensneutral zu gestalten, ist richtig. Auch darf bei der Einführung ökologischer Elemente ins Steuersystem die Arbeitsplatzsituation nicht beschädigt werden. Das ist eine der zwingenden Voraussetzungen dafür, daß bei der Diskussion ein vernünftiges Ergebnis herauskommt.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Das wollte ich etwas differenzierend darstellen, meine Damen und Herren.
    Es geht jetzt darum, daß wir uns über die praktischen, aber notwendigen Fragen einigen und daß wir nicht von vornherein die Diskussion mit Totschlagsargumenten tottreten, so daß sie sich gar nicht erst entwickeln kann. Wenn es uns gelingt, diese Diskussion so zu führen, werden wir, auch was die Arbeitsplätze anbetrifft, wieder größere Erfolge erzielen.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)