Rede von
Oswald
Metzger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Theo Waigels Milchbubenrechnung hat sich in den letzten Tagen bereits in erstaunlicher Dramatik bestätigt. Er stellt sich am Dienstag hier hin und sagt: Das ist ein Sparhaushalt par excellence. - Die Opposition - obwohl zugegebenermaßen nicht in bester Form - erwähnt die Haushaltsrisiken. Dann kamen gestern die Arbeitsmarktdaten, die die FAZ, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", heute als Hiobsbotschaft für den Finanzminister bezeichnet. Und heute früh kamen vom Statistischen Bundesamt die neuen Leistungs- und Handelsbilanzdaten, die ganz klar belegen, daß es im Juni dieses Jahres im Vergleich zum letzten Jahr einen Abwärtstrend von im Saldo über 4 Milliarden DM gibt. Auch das zeigt, wie die Konjunktur tatsächlich verläuft.
Sich dann als Finanzminister hier hinzustellen und zu sagen: „Bei diesem Haushalt kommen wir mit einer Neuverschuldung von knapp 60 Milliarden DM hin; dieser Haushalt repräsentiert seit langem die erste große Entlastungsaktion für den Steuerzahler", das paßt mit der tatsächlichen Entwicklung nicht zusammen. Denn die Entlastung, die Sie für das nächste Jahr versprechen, finanzieren sie auf Pump.
Sie reden hier immer von symmetrischer Finanzpolitik, von der Senkung der Steuer- und Abgabenquote und gleichzeitiger Absenkung der Verschuldung. Doch man muß klar sagen: Im nächsten Jahr müssen Sie nach dem Haushalt 1996 10 Milliarden DM Schulden machen, um die Entlastung für den Steuerzahler zu finanzieren. Zum anderen drücken Sie mit einer politischen Luftbuchung 3,4 Milliarden DM auf die kommunale Seite ab, und zwar durch die Senkung der Arbeitslosenhilfe, die Sie politisch nie und nimmer durchbekommen.
Der Kollege Riedl hat heute früh in seiner Auftaktrede gesagt, die Opposition operiere nur mit Horrorzahlen. Dazu sage ich: Im März dieses Jahres habe ich selber in der Abschlußdebatte prophezeit, daß dem Kollegen Roth das Drücken der Neuverschuldung im 95er Haushalt auf knapp unter 50 Milliarden DM wie ein Bumerang um die Ohren fliegen werde, daß im nächsten Jahr eine Neuverschuldung von 13 bis 15 Milliarden DM realistisch sei. - Wenn das eine Horrorzahl sein soll und wenn Sie die Opposition hier so undifferenziert darstellen, dann weiß ich nicht, wo wir stehen.
Wenn Sie sich die jetzigen Zahlen im Haushaltsplan Waigels angucken, die schon genannten 10 Milliarden DM, das Risiko der Arbeitslosenhilfe mit 3,4 Milliarden DM - wie gesagt, eine politische Luftbuchung -, keine Zahlungen an die Bundesanstalt für Arbeit, was auf Grund der Arbeitsmarktdaten absehbar nicht einzuhalten ist, dann wissen Sie genau, daß die Neuverschuldung realistischerweise eher über 13 bis 15 Milliarden DM als darunter liegen wird. Außerdem müssen Sie noch 1,6 Milliarden DM für die sich aus dem Jahressteuergesetz ergebenden Mehrkosten aufbringen, die aus der Lastenverschiebung zwischen Ländern und Bund resultieren. Das sind herkulische Aufgaben, auch in der kurzfristigen Finanzpolitik.
Wie die herkulische Aufgabe der deutschen Wiedervereinigung geschultert wurde, ist in dieser Woche bereits ausführlich diskutiert worden, nämlich zum größeren Teil auf den Schultern der Beitragszahler der Renten- und Sozialversicherungen, nicht aber durch die Steuerzahler. Wenn andere Kostenträger das zahlen, kann man sich hier natürlich breitschultrig hinstellen und sagen: Wir machen eine solide Finanzpolitik, wir senken die Kreditfinanzierung des Haushalts. So spielt die Musik nicht!
Es gibt eine weitere Begriffsverirrung hier im Gremium: Wo ist denn die Senkung der Staatsquote im nächsten Jahr? Wie aussagekräftig ist denn die ominöse Staatsquote, die in der mittelfristigen Finanzplanung von Theo Waigel bis zum Jahr 1999 auf 46 % zurückgeführt werden soll? Im nächsten Jahr sinkt durch die Veränderung in der Systematik der Kinder-
Oswald Metzger
geldzahlung, die zu einer Einnahmeverschlechterung beim Bund führt, die Staatsquote um etwa 0,7 Prozentpunkte. Das ändert aber nichts an den Nettoeinkommen der Bevölkerung. Die Staatsquote ist wirtschaftspolitisch gesehen sowieso weniger aussagekräftig, als Sie immer behaupten. Wesentlich aussagekräftiger ist die Steuer- und Abgabenquote. Sie wird auch im nächsten Jahr trotz des Jahressteuergesetzes bei etwa 44 % liegen. Sie stagniert praktisch.
Das ist die Realität. Damit sollten Sie sich einmal wirtschafts- und finanzpolitisch seriös auseinandersetzen.
Der Aussage, daß wir die Ausgaben senken müssen, stimme ich voll zu. Die Verteilung der Ausgabenlasten ist in diesem Bundeshaushalt viel zu stark dominiert durch die Finanzierung und auch die Subventionierung ökologisch falscher Industriemuster und gleichzeitig durch einen außerordentlich unglücklichen Denkansatz in der Sozialpolitik. Wir müssen angesichts der Vorbelastung durch eine Riesenverschuldung auch als Grüne akzeptieren, daß mit sozialpolitischen Lösungsansätzen keine Finanzpolitik des Staates mehr zu betreiben ist.
Wohin diese Situation führt, können wir diskutieren, wenn wir den Bereich Ökosteuer ansprechen. Hier, so muß ich Ihnen, Herr Kollege Solms, attestieren, lesen Sie die grüne Programmatik zu kurz. Für uns ist klar - das möchte ich zum wiederholten Male hier festhalten; das sagen alle unsere Redner in Plenardebatten, die Wirtschafts- wie die Finanzpolitiker, auch die Haushaltspolitiker -: Wir wollen die Steuer- und Abgabenquote in dieser Republik nicht erhöhen.
- Wir wollen sie nicht erhöhen. Wir wollen eine andere finanzielle Herangehensweise an sozialpolitische Lösungsansätze, ob beim BAföG oder bei der Sozialhilfe. Wir wollen Arbeitsplätze in dieser Gesellschaft schaffen, weil es für die Gesellschaft viel billiger ist, Arbeitsplätze zu schaffen, als Arbeitslosigkeit zu finanzieren.
Wir wollen vor allen Dingen durch das Einziehen einer neuen Säule in das Finanzsystem dieser Republik, nämlich der Ökosteuer, Ressourcen besteuern und auf der anderen Seite die Faktoren Einkommen und Arbeit entlasten. Ich weiß natürlich, was die Forderung bedeutet, Ökosteuern einzuführen, und zwar möglichst kostenneutral - insbesondere wenn man in das Bundestagswahlprogramm unserer Partei schaut und sich die programmatische Fortentwicklung der konkreten Modelle durch unsere Fraktion ansieht -: Dies bedeutet, daß wir im konsumtiven Bereich die Staatsausgaben reduzieren müssen.
Ich habe am Dienstag hier gesagt - Kollege Riedl hat es heute früh für die Koalitionsfraktionen auch angesprochen -, daß das Unternehmen Bundesrepublik den Umzug nach Berlin nutzen muß, um im Hinblick auf die Ministerien und den eigenen Verwaltungsapparat eine Organisationsanalyse zu erstellen. Die Baumaßnahmen und auch das Raumprogramm muß man dann auf eine neue Organisationsstruktur abstimmen. Dabei haben Sie von uns, zumindest von der politischen Ausgangsbotschaft her, Zustimmung. Jeder Betrieb, der eine solche Betriebsstättenverlagerung plant, würde zunächst eine Organisationsanalyse erstellen und erst dann die konkrete Investitionsentscheidung treffen. Das ist auch nur vernünftig. Wenn von der Regierungskoalition solche Vernunft gezeigt wird, dann kann man dem auch als Oppositionspolitiker nach einer solchen Haushaltswoche nur zustimmen.
Wir brauchen in der Finanzpolitik eine redliche Auseinandersetzung. Gestern gab es ein Gespräch unserer Fraktion mit der BDI-Spitze. Im BDI wird inzwischen bereits befürchtet, daß die Finanzpolitiker der Regierungskoalition und auch die Haushaltspolitiker der Regierungskoalition auf grüne Versuchungen in Sachen Ökosteuer hereinfallen und die Ökosteuer unter dem Ökolabel nur als zusätzliches Mittel zur Deckung der Löcher im Haushalt ansehen. Ich glaube, diese Befürchtung ist nicht unberechtigt; denn in der Vergangenheit hat die Bundesregierung, auch der Finanzminister, eine durchaus politischideologische, pharisäerhafte Haltung eingenommen, als es um die Mineralölsteuererhöhung ging. Man sprach immer von einer ökologischen Infrastrukturförderung, während man mehr oder weniger klammheimlich billigend in Kauf genommen hat, daß die Mehreinnahmen durch die Mineralölsteuererhöhung zur Deckung von Haushaltslöchern verwendet wurden. So war es doch.
- Die Bahnreform, Herr Finanzminister, sieht doch so aus, daß Sie die Bahninvestitionen im Haushalt für das nächste Jahr herunterfahren. Auch das ist ein ökologisch falsches Signal.
Im Straßenbau wird nur geringfügig gekürzt - der Kollege Diller hat es schon gesagt -, bei der Bundesbahn dagegen sind es im investiven Bereich über 2,3 Milliarden DM. Dennoch hat der zuständige Finanzminister am Dienstag gesagt: Wir möchten ökologische Elemente in die Steuerpolitik einführen. - Das ist die Glaubwürdigkeitslücke in der konkreten Politik.
Gestern hatten wir die Landwirtschaftsdebatte. Ein kleiner Einschub zum Thema Ermüdungserscheinung dieses Parlaments angesichts zweier Haushaltsdebatten in diesem Jahr: Im März waren bei der Schlußdebatte über den Landwirtschaftshaushalt, die damals nachts um halb zwei stattfand, nicht weniger als 140 Kolleginnen und Kollegen da. Gestern abend bei der ersten Runde zu diesem Einzelplan, zu einer viel besseren Zeit, nämlich zwischen 19 und 20 Uhr, saßen sage und schreibe 50 Kolleginnen und Kolle-
Oswald Metzger
gen hier im Raum. Entweder hat man diese Debatten praktisch satt, oder das bekannte Spiel, daß man im Parlament viel zuwenig differenziert politisch argumentiert, treibt die Leute buchstäblich aus dem Haus.
- Es freut mich, wenn Sie alle mitzählen und behaupten, Sie seien hier gewesen. Ich könnte Ihnen sogar fraktionsweise genau sagen, wie viele Kolleginnen und Kollegen da waren.
- Ihre Aufregung ehrt mich.