Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte in dieser Woche hat gezeigt: Diese Bundesregierung sitzt in der Zinsfalle ihrer eigenen Verschuldungspolitik.
Was Sie als Sparhaushalt bezeichnen, Kollege Erich Riedl, ist in Wahrheit das Eingeständnis der Bundesregierung, einen immer geringeren Beitrag zur Bewältigung notwendiger Strukturveränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten. In weiten Bereichen sind die Ausgabenansätze des Bun-
Karl Diller
deshaushaltes dadurch bestimmt, gerade noch die eingegangenen Verpflichtungen der Vorjahre zu erfüllen. Für die Gestaltung der Zukunft reicht das aber nicht aus.
Was ich hier in Händen halte, Kollege Dr. Weng, zeigt das Ergebnis Ihrer Finanzpolitik.
Es zeigt den Anteil der Zinsausgaben am Bundeshaushalt.
Der Unterschied zwischen der Belastung 1982 hier und 1991 dort läßt die Zinsfalle deutlich werden, in die uns Herr Waigel hineingeführt hat.
Innerhalb von nur vier Jahren hat sich der Anteil der Zinsen am Bundeshaushalt verdoppelt.
Die Zinsen für das Schuldenmassiv des Herrn Waigel von fast 1 380 Milliarden DM fressen die Steuereinnahmen förmlich auf.
- Das kann ich Ihnen nachfühlen, denn, Herr Waigel, 1991 haben Sie 13 % Ihrer Steuereinnahmen für Zinsen ausgeben müssen. Das ist roundabout jede achte Steuermark. Heute brauchen Sie schon jede vierte Steuermark, um die Zinslast zu bedienen - geschweige denn, daß Sie irgend etwas tilgen können.
Unter diesen Bedingungen ist gestaltende Politik fast unmöglich geworden.
Herr Bundesfinanzminister, Sie versuchen, diese bedrohliche Zinsfalle mit einer absurden Aufrechnung der Zinsen gegen die Nettokreditaufnahme - Sie haben am Dienstag den Kollegen Roth zitiert -
zu verniedlichen, so als wäre der Anstieg der Neuverschuldung auf mehr als 60 Milliarden DM halb so schlimm, weil dem Kapitalmarkt gleichzeitig 95 Milliarden DM an Zinsen zufließen. Das ist eine völlig verdrehte Logik.
Nach dieser Logik hätte Herr Waigel nämlich sozusagen noch einen Spielraum von 35 Milliarden DM für zusätzliche Schulden. Was Sie als für den Kapitalmarkt positiv bewerten, ist in Wahrheit eine skandalöse Umverteilung von Einkommen.
Die Steuergroschen der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen schieben Sie den Kapitalanlegern in die Taschen.
Ludwig Erhard würde bei diesen Zahlen rotieren; denn der verstand noch etwas von sozialer Symmetrie. In seinen schlechtesten Zeiten flossen gerade einmal 2,4 % der Steuereinnahmen in die Zinsausgaben.
Das Gebirgsmassiv, das Sie hier sehen, meine Damen und Herren, sind die Zinsen für den Bundesschuldenberg.
Zu Ihrer Information: Das hier ist der Schuldenstand des Bundes und seiner Schattenhaushalte des Jahres 1982.
Sie wissen, was ich damit sagen will. Das hier ist das Waigelsche Gebirgsmassiv an Schulden.
Um die Zinsen für den Bundesschuldenberg zu bezahlen, muß im Durchschnitt jeder, vom Säugling bis zum Greis, wenn man es auf die Einwohner umrechnet, 1 150 DM pro Jahr nur an den Bund Steuern zahlen, also mehr als 4 500 DM von einer vierköpfigen Familie. Herr Waigel, uns allen würde es heute sehr viel besser gehen, wenn Sie die Bürger weniger geschröpft hätten oder wenn Sie den Bürgern die überhöhten Steuern zumindest in Form von Arbeitsplätzen, einem besseren Verkehrssystem, besseren Aus-
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bildungen oder mehr Wohnungen in den neuen Ländern zurückgegeben hätten.
Die Formel Ihrer Finanzpolitik lautet seit Jahren: Steuern und Abgaben herauf, staatliche Leistungen herunter! Was daran symmetrisch sein soll, bleibt Ihr Geheimnis.
Mit „symmetrischer Politik" wollen Sie jetzt die Staatsquote bis zum Jahr 2000 auf 46 % senken. Kollege Riedl sprach davon. Ich halte das für ein finanzpolitisches Märchen; denn das hieße doch nach Ihrer Rechnung, daß Sie über einen finanzpolitischen Handlungsspielraum von 140 Milliarden DM verfügen müßten, 70 Milliarden davon zur Senkung des Defizits und über 70 Milliarden DM für zusätzliche Steuerentlastungen. Wenn diese Zahlenspielerei auch nur etwas mit der Wirklichkeit zu tun hätte, dann schreiben Sie das doch in Ihre Finanzplanung hinein, Herr Waigel.
Dann machen Sie doch Schluß mit dem koalitionsinternen Hickhack um den Abbau des Solidaritätszuschlags. Dann sagen Sie ohne Wenn und Aber: Der Bundesfinanzminister wird spätestens 1998 39 Milliarden DM Solidaritätszuschlag den Bürgern zurückgeben. Dafür bräuchten Sie doch gerade einmal die Hälfte Ihres angeblichen Steuersenkungsspielraums. Sie wissen, daß dies ein Märchen ist. Deshalb unterlassen Sie das.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben gesagt: Auch die Politik muß ehrlich arbeiten. Wir sagen: Dann halten Sie sich endlich einmal daran!
Denn daran hat es in Ihrer Finanzpolitik seit der deutschen Einheit gefehlt.
Mit Ihrer Behauptung, 1996 würden die Ausgaben des Bundes sogar sinken, ist Ihnen ein medienwirksamer Gag gelungen. Das müssen wir zugestehen. Aber ehrlich, Herr Waigel, ist das doch nicht, denn die Bundesausgaben steigen um 0,4 % gegenüber dem Vorjahr. Das ist nicht viel. Aber sie steigen. Weil es ihm nur um das Plus und Minus ging, konnte er es sich wieder nicht verkneifen zu mogeln.
Denn während Sie die Bundesausgaben um die Systemumstellung beim Familienleistungsausgleich bereinigen, verschweigen Sie die zur gleichen Zeit stattfindende Systemumstellung des schienengebundenen Nahverkehrs von der Ausgabenseite auf die Einnahmeseite;
eine Bilanzverkürzung genauso wie beim Kindergeld. Auf der Einnahmeseite werden dafür
8,7 Milliarden DM im nächsten Jahr abgesetzt. Bis
1999 wird der Betrag auf 13,2 Milliarden DM sogar steigen. Verfälschen Sie, Herr Waigel, mit solchen Buchungstricks nicht den wahren Anstieg der Bundesausgaben!
Herr Waigel, Sie haben am Dienstag behauptet, beim Lean management, neudeutsche Vokabel für Personalabbau, könne sich der Bund im Dreijahresvergleich 1992 bis 1995 sehen lassen. Sie haben sogar den Vergleich zum Personalabbau bei DaimlerBenz gezogen. Im Gegensatz zu Daimler-Benz allerdings kommen Sie nie aus den roten Zahlen heraus.
Zutreffend ist: Die Personalstellen des Bundes sollen von 1992 bis 1995 - das ist Ihr Zeitraum - von 380 000 auf 325 000 zurückgeführt werden. Von diesem Rückgang aber entfallen allein 45 000 Stellen, also 82 %,
auf die Truppenreduzierung der Bundeswehr. Soll das etwa die Modernisierung der Verwaltung sein?
Geradezu peinlich wird es bei den Ministerien. Da wachsen die Personalstellen in dem von Ihnen genannten Zeitraum, von 1992 bis 1995, trotz aller angeblichen Kürzungen sogar noch um 511 auf 21 570.
Vielleicht verstehen Sie in der Koalition unter Lean management ja etwas ganz anderes. Beispielsweise die Frühpensionierung eines Botschafters, der im Alter von 59 Jahren anschließend wieder fit genug ist, zu seiner Pension eine gutbezahlte Nebentätigkeit bei einem deutschen Konzern zu übernehmen.
Oder Sie verstehen darunter das Ausscheiden eines Staatssekretärs aus dem Innenministerium, liebe Kollegin Albowitz, der im Alter von 46 Jahren gegangen wurde - bei voller Pension. Der Mann hatte ein Dienstvergehen begangen. Da wäre ein Disziplinarverfahren mit drastisch verkürzten Bezügen angebracht gewesen. Statt dessen hat der Mann heute einen neuen Job. Zusätzlich zur Pension verdient er noch als Vorstandsvorsitzender einer Krankenkasse.
Herr Bundesfinanzminister, Ihre Frage nach dem Konzept der SPD für eine moderne Politik, für eine wirkliche Alternative - -
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- Herr Waigel?
- Herr Waigel!
- Herr Waigel, ich gönne Ihnen die Unterhaltung mit dieser Kollegin natürlich, das ist völlig klar.
Das ist bestimmt angenehmer, als sich unsere Vorhaltungen anzuhören.
Herr Waigel, Ihre Frage nach dem Konzept der SPD für eine moderne Politik, für eine wirkliche Alternative, diese Frage, die Sie am Dienstag gestellt haben, ist an Scheinheiligkeit nicht mehr zu überbieten;
denn es ist doch die Koalition, die auf Grund ihrer eigenen Handlungs- und Reformunfähigkeit gezwungen ist, Stück um Stück sozialdemokratische Alternativen zu übernehmen.
Erstes Beispiel. Es war doch die Koalition, der nach den Urteilen zur Verfassungswidrigkeit beim Familienleistungsausgleich sowie beim steuerfreien Existenzminimum 1991, 1992, 1993, 1994 nichts einfiel, die nichts vorlegte.
Erst auf den letzten Drücker legten Sie einen Gesetzentwurf vor, der erneut verfassungswidrig war und von der Fachwelt in der Luft zerrissen wurde.
Die mit dem Jahressteuergesetz 1996 erreichten Verbesserungen für Normalverdiener und Familien, der Einstieg in die Korruptionsbekämpfung und in den Abbau ungerechter Steuersubventionen sind doch der Erfolg der SPD. Deshalb erinnere ich nochmals an unsere Alternativen.
Herr Riedl hat vorhin gemeint, man solle sich das eine oder andere aufschreiben. Lieber Kollege Riedl, deshalb zum Notieren: Sie hatten einen unausgegorenen Gesetzentwurf mit dem häßlichen Buckeltarif vorgelegt. Wir, die SPD, haben erreicht, daß sich die Steuerentlastung nun auf die kleinen und mittleren Einkommen konzentriert.
Sie wollten das Existenzminimum auf höchstens 12 000 DM begrenzen.
Wir, die SPD, haben erreicht, daß das Existenzminimum bis 1999 auf 13 000 DM angehoben wird. Damit helfen wir erneut den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen.
Sie wollten die ungerechte Familienförderung fortsetzen. Wir, die SPD, haben für das Jahr 1996 eine Verbesserung des Kindergeldes für das erste und zweite Kind auf 200 DM, für 1997 auf 220 DM, für das dritte und vierte Kind sogar auf 300 DM bzw. 350 DM durchgesetzt. Es ist das Verdienst der Sozialdemokratie, daß ab 1996 für 95 % aller Kinder in diesem Land ein einheitliches, vom Einkommen der Eltern unabhängiges, gleiches Kindergeld gezahlt wird.
Sie haben eine Steuervereinfachung immer wieder angekündigt, aber nie in Angriff genommen.
Wir, die SPD, haben jetzt erreicht, daß die ersten Steuervereinfachungen in Kraft treten. Dabei ist es ein steuerpolitisches Signal für mehr Ehrlichkeit und Gerechtigkeit im Steuerrecht - das sage ich vor allem an die Verweigerer in der F.D.P. -, daß wir endlich die Abzugsfähigkeit von Bestechungs- und Schmiergeldern abgeschafft haben.
Das ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Korruption, gegen den sich die Koalition und insbesondere die F.D.P. jahrelang mit Händen und Füßen gewehrt haben.
Ein zweites Beispiel: Sie wollten jahrelang von einer gerechten Neuregelung der steuerlichen Wohneigentumsförderung nichts wissen. Wir Sozialdemokraten haben immer wieder gefordert, die bisherige progressionsabhängige Förderung in einen für alle Bürger gleich hohen Förderbetrag umzuwandeln.
Ihr Gesetzentwurf vom 8. August greift unsere Forderungen auf, ist aber noch unzureichend und muß in mehreren Punkten nachgebessert werden, z. B. bei der von uns geforderten Zusammenlegung der dem einzelnen Ehegatten zustehenden Förderung auf eine gemeinsame Wohnung. Sonst greift diese Reform zu kurz.
Was jetzt geschieht, ist nach der Sozialdemokratisierung der Steuerpolitik die Sozialdemokratisierung der Wohnungspolitik.
Wir Sozialdemokraten haben Sie mit unserem Konzept in der Steuer- und Wohnungspolitik gezwungen, Stück um Stück unseren Kurs zu übernehmen.
Karl Diller
Drittes Beispiel: Bei der ökologischen Steuerreform wird es Ihnen nicht besser ergehen. Weil Sie noch keine eigene Konzeption vorstellen können, versuchen Sie, unsere Konzeption als ideologische Träumerei abzutun. Das sind wir gewohnt. Ich wette, Sie werden sich auch hier auf Dauer unserer zukunftsweisenden Konzeption nicht entziehen können.
Wir Sozialdemokraten wollen die ökologische Erneuerung und die wirtschaftliche Modernisierung miteinander verknüpfen. Unser Ziel ist, die Verbesserung der Leistungskraft unserer Volkswirtschaft und der Wettbewerbschancen der Unternehmen in Ost- wie in Westdeutschland mit dem Schutz von Umwelt und Gesundheit sowie der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu verbinden.
Unverzichtbarer Bestandteil dieser Strategie ist eine Steuerreform, die zwei Ziele miteinander verknüpft: Die Preise für Energie müssen langfristig die Kosten der Umweltbelastung durch Energieerzeugung und Energieverbrauch widerspiegeln. Dieses Ziel verbinden wir mit einem steuerlichen Konzept, das die notwendigen Kostenentlastungen für Unternehmen wie für Arbeitnehmer durch eine Senkung der Lohnnebenkosten kombiniert.
Dieses Konzept ist komplett aufkommensneutral, beim Staat wird keine müde Mark verbleiben. Alles wird zurückgegeben. Eine Mehrbelastung von Bürgern und Wirtschaft findet nicht statt.
Das ist ein anspruchsvolles, ein ehrgeiziges Konzept, ein Vorschlag, mit dem die Politik den Bürgern wieder eine Reformperspektive bietet und von dem wir deshalb überzeugt sind, daß er irgendwann eine Mehrheit finden wird.
Ihre Politik dagegen wird durch fortwährende Angriffe gegen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, gegen Tarifautonomie und Mitbestimmungsrechte, gegen paritätische Finanzierung der Krankenversicherung, gegen Arbeitslosen- und Sozialhilfe, gegen Arbeitszeitverordnungen usw. geprägt.
Wer Kostensenkungen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit nur auf der Personalseite und nur durch Entlassungen sucht, gibt einen entscheidenden Standortvorteil Deutschlands auf: unser Kapital an hervorragend ausgebildeten Wissenschaftlern, Ingenieuren und Arbeitnehmern im Osten wie im Westen. Wer wie Sie der Entwertung menschlicher Arbeit zum reinen Kostenfaktor Vorschub leistet, fällt hinter Ludwig Erhard zurück und schwächt die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft, statt sie zu stärken.
Ziel unserer Politik ist, die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß mit innovativen Produkten Arbeitsplätze ebenso schnell aufgebaut werden können, wie sie bei den traditionellen Industrien wegbrechen.
Sonst kommen wir von den immensen Kosten der Arbeitslosigkeit von 140 Milliarden DM im Jahr nie herunter, und die Konsolidierung des Staatshaushaltes rückt in weite Ferne.
Wir haben mit unserem Arbeitsmarkt- und Strukturförderungsgesetz einen konzeptionell neuen Ansatz vorgelegt. Wir fordern Sie im Interesse von Millionen arbeitslosen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zwischen Stralsund und Trier, zwischen Flensburg und Garmisch auf: Verweigern Sie sich nicht weiter dieser Aufgabe! Beschreiten Sie mit uns die neuen Wege zu einer Arbeitsmarktpolitik, die zu mehr Beschäftigung führt!
Herr Minister, Sie sprechen von „zukunftsweisenden Schwerpunkten und Akzenten" Ihres Haushaltsentwurfs. Schauen wir sie uns an. Ihrem Umweltetat haftet nach wie vor Alibicharakter an. Dieses Ministerium - die Älteren erinnern sich - wurde nach der Tschernobyl-Katastrophe gegründet, nur um einen politischen Gag hervorzuzaubern und eine Landtagswahl gewinnen zu können. Heute ist der Umweltetat zum Steinbruch Waigelscher Finanzpolitik geworden. Ein Beispiel: Die Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen betrugen 1992 noch über 200 Millionen DM. Im nächsten Jahr sollen es nur noch 58 Millionen DM sein. Dies ist ein besonders trauriges Beispiel für Ihr Versagen in der Umweltpolitik.
Sie haben sich als unfähig erwiesen, den Herausforderungen der Industriegesellschaft gerecht zu werden. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, die von Ihnen eingegangene Selbstverpflichtung bezüglich des CO2-Gehalts in Politik umzusetzen. Sie betreiben ökologischen und ökonomischen Unfug, wenn Sie den Kohlepfennig durch eine Haushaltsfinanzierung ersetzen, die in Milliardenhöhe der Bundesanstalt für Arbeit Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik im Gegenzug streicht. Hier haben sich CDU und CSU wohl gegen bessere Einsicht von der F.D.P. parteipolitisch mißbrauchen lassen.
Ihre falsche Weichenstellung setzt sich in der Struktur des Verkehrshaushalts fort. Sie konnten Ihre politische Entscheidung von 1994, die zweite Stufe der Bahnreform durch Einnahmen aus dem Verkehrsbereich zu finanzieren, politisch nicht einlösen, weil Sie sich in dem Gestrüpp von Finanzierungsvorschlägen - Mineralölsteuererhöhung, CO2- Abgabe, Straßenbenutzungsgebühren, Vignettenlösung und und und - verstrickten. Herausgekommen ist nun die schlechteste aller denkbaren Lösungen. Das Finanzierungsloch bei der Bahnreform in Höhe von 6 Milliarden DM wollen Sie durch eine drastische Kürzung der Verkehrsinvestitionen stopfen. Ein Musterbeispiel für falsche Prioritätensetzung! Jedermann ist klar, daß der tägliche Verkehrsinfarkt auf unseren Straßen nur durch eine Verlagerung auf die
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Schiene gebremst werden kann. Dennoch kürzen Sie die Bahninvestitionen um 2,3 Milliarden DM. Sie schnüren der neuen Bahn die Luft ab, bevor sie überhaupt die Chance hat, sich zu bewähren.
In Ihrer Verkehrspolitik stimmt gar nichts mehr. Da lehnen Sie bei den Haushaltsberatungen für dieses Jahr den SPD-Vorschlag, 250 Millionen DM beim Autobahnneubau zugunsten von Lärmschutzmaßnahmen an Straßen- und Schienenwegen umzuschichten, rundweg ab. Was macht diese Koalition für 1996? Sie greifen diesen Vorschlag auf, aber nicht, um die Lebenssituation der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern, sondern um Haushaltslöcher zu stopfen. Sie kürzen die Investitionsmittel für die Bundesstraßen um sage und schreibe 22 %, um mehr als ein Fünftel. Das bedeutet, daß dringend notwendige Ortsumgehungen zur Verkehrsentlastung der innerstädtischen Verhältnisse nicht in Angriff genommen werden können. Ich verstehe den Zorn der Bürgerinnen und Bürger sehr gut, die diesen krassen Fehlgriff von Waigel als Anschlag auf ihre Gesundheit empfinden müssen.
Wenn Sie angesichts eines Fehlbestands von zwei Millionen bezahlbarer Wohnungen die investiven Mittel für den sozialen Wohnungsbau um 600 Millionen DM zusammenstreichen, dann setzen Sie in der Wohnungspolitik einfach die falschen Akzente.
Neubestimmung der Prioritäten heißt für Kanzler Kohl, daß er von seiner Zusage in der Regierungserklärung nichts mehr wissen will, das Wohngeld einkommens- und mietengerecht anzupassen. Mit keinem Satz bietet die mittelfristige Finanzplanung irgendeine Perspektive. Das heißt, zwischen 1990 und 1999 soll nach Ihrem Willen in Sachen Wohngeld überhaupt nichts passieren. In dieser Zeit wird sich die durchschnittliche Mietbelastung, gemessen am verfügbaren Einkommen, mehr als verdoppelt haben.
Daß der Herr Töpfer, jetzt fachlich zuständig, als Umweltminister nur ein Ankündigungsminister war, wissen wir alle. Das beweist sich auch hier; denn er hat für 1996 eine Wohngelderhöhung angekündigt. Aber ich mache darauf aufmerksam: Hier handelt es sich um eine Regierungserklärung. Hier ist der Bundeskanzler persönlich im Wort.
Ihr Akzent im Verteidigungshaushalt ist der Ausgabenanstieg. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben unsere kritische Wertung des Verteidigungshaushaltes am Dienstag mit haltlosen Bemerkungen garniert. Der Verteidigungshaushalt ist für uns kein Steinbruch der Haushaltspolitik; das sage ich, damit das klar ist.
Aber Sie müssen uns und den Bürgern begründen, weshalb die Verteidigungsausgaben um eine halbe Milliarde DM steigen können, während für Wohngeld kein Geld da ist.
Wir haben allen Grund zu der Annahme, daß im Verteidigungshaushalt nicht sparsam genug mit dem Geld des Steuerzahlers umgegangen wird. Denn Sie können den Verteidigungsminister auf die Schnelle anweisen, Hunderte von Millionen DM für den Bosnien-Einsatz in seinem Haushalt zusammenzusuchen.
Wenn ich Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel nennen darf: Auf der Hardthöhe realisiert man jetzt ursprünglich nicht geplante Beschaffungsvorhaben - 20 Millionen DM für neue Tarnanzüge -, für die es im Dezember letzten Jahres bei Ihnen noch hieß: 1995 kein neuer Bedarf, da ausreichend Vorräte vorhanden. Bei so viel Luft unseren Antrag, für 1995 eine Wehrsolderhöhung vorzusehen, abzulehnen zeigt Ihre wahre Einstellung.
Sie bezeichnen es als einen weiteren Akzent Ihres Haushaltsentwurfs, daß die Aufwendungen für Forschung und Technologie um 270 Millionen DM oder 2,9 % steigen. Auch das ist nur die halbe Wahrheit. Forschung und Bildung gehören nämlich zusammen. Die Ausgaben für diesen vielbeschworenen Zukunftsetat des Ministers, der bei dieser Regierung nicht in der ersten, sondern in der letzten Reihe der Regierungsbank sitzt, steigen um klägliche 0,6 %. Damit wird nicht einmal die Preissteigerung wettgemacht. Bis 1999 sollen die Ausgaben praktisch bei 15,5 Milliarden DM stagnieren. Das heißt, die Leistungen gehen wegen der Preisentwicklung real deutlich zurück. Das ist keine Innovationsoffensive; das ist ein Armutszeugnis.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben der von Ihnen beabsichtigten Umstellung der BAföG-Finanzierung Modellcharakter für andere Reformen zugesprochen. Tatsächlich wäre die BAföG-Umstellung zum ersten ein Musterbeispiel für Ihre verfehlte Sachpolitik. Die geplante Umstellung der staatlichen Förderung auf Bankdarlehen - hochverzinslich - spricht dem Ziel bildungspolitischer Chancengleichheit hohn. Ihre Pläne führen zu einer Verdopplung des zurückzuzahlenden Darlehensbetrages bei Vollförderung von rund 35 000 auf 72 000 DM.
Wenn zwei Absolventen einer Hochschule heiraten, haben sie zu gewärtigen, daß sie zusammen 140 000 DM Schulden haben. Eine absurde Förderung für junge Familien! In den Lebensjahren, in denen andere für ihr Häuschen sparen, sollen die Rüttgers-Studenten ihren Ausbildungskredit abstottern. Ihre Pläne, junge Menschen mit einer solchen Hypothek in das Erwerbsleben zu schicken, lehnen wir ab.
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Jeder weiß, daß heutzutage hohe Qualifikation keine Einkommensgarantie mehr darstellt. Sie befreit auch keineswegs von dem persönlichen Arbeitsplatzrisiko oder dem Risiko einer unterwertigen Beschäftigung.
Ihre Pläne sind das Gegenteil der angekündigten Qualifizierungs- und Innovationsoffensive. Sie wollen fähige junge Leute aus einfachen Verhältnissen vom Studium abhalten.
Wir brauchen aber keine bildungspolitische Abschreckungsstrategie, sondern eine Strategie zur Ausschöpfung unserer Bildungspotentiale.
Zum zweiten wäre die BAföG-Umstellung ein Musterbeispiel für Ihre unsolide Finanzpolitik. Diese Pläne sind finanzpolitisch unsolide, weil der Bundeshaushalt nur vorübergehend Spielraum für Umschichtungen bekäme. Die Bankenlösung ist nichts anderes als ein neuer Schattenhaushalt. Die Auslagerung der Darlehen auf das Bankensystem führt in der Zeit staatlicher Zwischenfinanzierung übrigens zu kumulativen Zinsausgaben und wird spätestens nach zehn Jahren den Haushalt von Bund und Ländern teurer als das bestehende System kommen. Deshalb lehnen die Bundesländer zu Recht Ihren Vorschlag völlig ab.
Zum dritten wäre die BAföG-Umstellung ein Musterbeispiel für Ihre Art der Lastenverschiebung auf die Länder. Sie versuchen, dieses Angebot den Ländern mit einer Paketlösung schmackhaft zu machen: Da habt Ihr 80 Millionen DM mehr für den Hochschulbau. Damit lösen Sie zum einen nicht die strukturellen Probleme im Hochschulbau, und zum anderen versteckt sich hinter diesem Angebot eine massive Umverteilung der Kosten auf die Länder. Das nämlich, was Sie als Reform der Hochschulfinanzierung vorgestellt haben, z. B. die Anhebung der Bagatellgrenze oder die geplante Reduzierung des Medizinanteils, würde im Ergebnis für die Länder zusätzliche Mehrbelastungen in Höhe von 1 000 Millionen DM pro Jahr bedeuten. Ihre rückwärtsgewandte Bildungspolitik wird deshalb zu Recht nahezu einhellig von den Ländern, dem Wissenschaftsrat, den Hochschulen und selbst den Ihnen nahestehenden Studentenverbänden abgelehnt.
Wer mit seiner Politik zu Hause so wenig überzeugen kann, dem fällt ein Stein vom Herzen, wenn er einmal vom Ausland gelobt wird, in Ihrem Falle von der OECD. Wir fragen uns aber, was die 3 Millionen Arbeitslosen in Ost- und Westdeutschland damit anfangen sollen. Glauben Sie ja nicht, daß die Arbeitslosen sagen: Prima, eine solche Note von der OECD ist es uns wert, daß die Bundesregierung die Arbeitsmarktpolitik um 12 Milliarden DM zusammenstreicht!
Mit Maastricht-Kriterien allein können Sie die Bürgerinnen und Bürger nicht überzeugen, Herr Waigel.
Diese erfahren nämlich im Osten wie im Westen tagtäglich am eigenen Leib, daß diese Bundesregierung keine Strategie für mehr Arbeitsplätze, keine Strategie für eine moderne und umweltgerechte Wirtschaftspolitik, keine Strategie für ein bedarfsgerechtes Ausbildungssystem und auch keine Strategie für die Schaffung ausreichenden, bezahlbaren Wohnraums hat.
Die meisten Bürgerinnen und Bürger leben mit der bitteren Erfahrung, wegen einer erdrückenden Steuer- und Abgabenlast jede Mark zweimal umdrehen zu müssen. Der Einzelhandel kann in diesen Tagen ein Lied davon singen.
Die meisten Bürgerinnen und Bürger leben mit der bitteren Erfahrung, daß die Regierung Kohl/Kinkel Stück um Stück aus dem Sozialhaushalt bricht.
Ihre Finanzpolitik verstärkt die Fehlentwicklungen der Vergangenheit und stellt die Weichen für die Zukunft unseres Landes in die falsche Richtung. Das Motto Ihrer Politik, Herr Waigel, ist in Wahrheit nicht „Sparen und Gestalten", sondern „Verschieben und Spalten" und wird deshalb von uns entschieden bekämpft.