Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Aus dem Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ist der frühere Kollege Hauff als stellvertretendes Mitglied ausgeschieden. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger Herrn Abgeordneten Schäfer vor. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Damit ist Herr Kollege Schäfer (Offenburg) als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die Beratung des Tagesordnungspunktes 6 auf Freitag, 10 Uhr, zu verschieben sowie Tagesordnungspunkt 9 nach Tagesordnungspunkt 12 und Tagesordnungspunkt 13 nach Tagesordnungspunkt 7 aufzurufen. Weiterhin ist vereinbart worden, Punkt 17 von der Tagesordnung abzusetzen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1. Aktuelle Stunde: Forschungsförderung des Bundes in Berlin
2. Aktuelle Stunde: Einfluß der NPD und anderer rechtsradikaler Parteien auf die Kommunalpolitik und deren Auswirkung auf den Bund3. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes— Drucksache 11/5303 —4. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPDund FDP zur Änderung des Abgeordnetengesetzes— Drucksache 11/5304 —5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Unruh und der Fraktion DIE GRÜNEN: Sterbegeld für Abgeordnete— Drucksache 11/3109 —Sind Sie mit diesen Änderungen einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Überweisungen im vereinfachten Verfahrena) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Kapitalverkehrsteuergesetzes— Drucksache 11/4711 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GOb) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zu den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Mexikanischen Staaten— Drucksache 11/4345 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeitc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. April 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 11/5288 —Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Auch damit sind Sie einverstanden, da ich keinen Widerspruch höre und sehe.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerster , Dr. Laufs, Fellner, Regenspurger, Dr. Kappes, Dr. Blank, Dr. Blens, Clemens, Dr. Hüsch, Kalisch, Krey, Neumann (Bremen), Dr. Jobst, Dr. Olderog, Weiß (Kaiserslautern), Frau Dr. Wisniewski, Zeitlmann, Jäger, Schemken, Schmitz (Baesweiler), Dr. Schwörer, Dr. Möller, Jung (Limburg) und Genossen und der Fraktion der
Metadaten/Kopzeile:
12384 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Vizepräsident StücklenCDU/CSU sowie der Abgeordneten Richter, Dr. Hirsch, Lüder, Baum, Beckmann, Bredehorn, Frau Folz-Steinacker, Funke, Gries, Heinrich, Hoppe, Irmer, Kleinert , Dr. Graf Lambsdorff, Mischnick, Neuhausen, Nolting, Rind, Frau Dr. Segall, Dr. Solms, Frau Würfel, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des 2. Haushaltsstrukturgesetzes— Drucksache 11/4416 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 11/5292 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Nöbel SuchDr. KappesRichterb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 11/5293 —Berichterstatter:Abgeordnete Kühbacher Kleinert
DeresFrau Seiler-Albring
Interfraktionell ist vereinbart worden, für die Aussprache eine Stunde vorzusehen. Auch damit sind Sie einverstanden? — Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Regenspurger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mit der Ihnen heute zur zweiten und dritten Lesung vorliegenden Initiative der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP zur Novellierung des 2. Haushaltsstrukturgesetzes ziehen wir einen Schlußstrich unter ein jahrelanges bitteres Ärgernis für rund 700 000 ehemalige Beamte und Soldaten. § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes und § 55 a des Soldatenversorgungsgesetzes in der Fassung des 2. Haushaltsstrukturgesetzes von 1981 gehören künftig als Grund für Beschwerden gegenüber den Fraktionen, gegenüber dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung der Vergangenheit an. Die Härten der rückwirkenden Ausdehnung der Rentenanrechnung auf Versorgungsbezüge werden ganz entscheidend gemildert.Wie konnte es überhaupt zu dieser Ungerechtigkeit kommen? Bereits 1965 ist eine Bestimmung in das Beamtenversorgungsrecht eingeführt worden, wonach Renten aus einem privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnis auf Versorgungsbezüge aus einem Beamtenverhältnis anzurechnen waren. Diese Regelung war sicher berechtigt; denn sie sollte verhindern, daß jemand durch entsprechende Laufbahngestaltung eine Versorgung aus zwei öffentlichen Kassen aufbauen konnte. Diese Möglichkeit hat zudem diejenigen Beamten benachteiligt, die nur Beamte waren und deshalb nur einen Versorgungsanspruch erwerben konnten. An dieser damaligen, auch beamtenpolitisch richtigen Entscheidung ändert sich nichts.Entscheidend aber war, daß diese Regelung für die Zukunft, d. h. ab dem 1. Januar 1966, getroffen wurde. Alle, die unter den Voraussetzungen alten Rechts vor dem 1. Januar 1966 in das Beamtenverhältnis eingetreten waren, haben wir, CDU/CSU, damals aus Gründen des Vertrauensschutzes von der Neuregelung ausgenommen.Diesen Vertrauensschutz hat die mehr als fragwürdige Initiative der SPD-geführten Bundesregierung 1981, als ihr die Schulden bis zum Halse standen, aufgehoben. Sie dehnte die Rentenanrechnung rückwirkend auch auf die Beamten aus, die vor dem 1. Januar 1966 Beamte geworden waren.Die als Milderung dieser unbilligen Härte gedachte Gewährung von Ausgleichsbeträgen, die ständig abgeschmolzen wurden, verschärfte für die Betroffenen noch ihre Empfindung, von ihrem Staat, von ihrem Dienstherrn, über das Ohr gehauen worden zu sein. Nicht nur, daß sie diese Abschmelzungstechnik im Detail kaum noch nachvollziehen konnten, sie erinnerte sie Monat für Monat mit jedem Versorgungsbescheid immer wieder an das aus ihrer Sicht bestehende Unrecht des § 55. Sie war für viele ehemalige Beamte und Soldaten der Alptraum ihres Ruhestandes; sie fühlten sich am Ende ihres Berufslebens betrogen.Die Lebensplanung und die Altersvorsorge von Hunderttausenden von Beamten und Soldaten — zumeist Angehörige des einfachen und mittleren Dienstes — war zerstört. Dieser Schlag traf und trifft bis heute diese Menschen besonders deshalb, weil sie bereits durch Krieg und Nachkriegszeit hart gelitten haben. In den meisten Fällen schieden sie auch nicht aus den Spitzenämtern ihrer Laufbahn aus, sondern oft nur aus dem gerade erreichten ersten Beförderungsamt.Als beamtenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion habe ich in Hunderten von Fällen Bitternis gespürt, die mir dargebracht wurde, weil sich diese Leute eben betrogen fühlten.
Ich glaube, daß es an der Zeit ist, hier etwas zu tun.Frau Kollegin Unruh, Sie haben es nötig; Sie wollen die Beamten sowieso abschaffen. Sie haben es also gerade nötig, hier einen Zwischenruf zu machen.
Wenn wir uns heute in Dankbarkeit des 40jährigen Bestehens der Bundesrepublik Deutschland erinnern, insbesondere der Aufbauleistung nach dem Kriege, sollten wir dies nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten tun, und wir sollten diesen Menschen ihr Vertrauen in die Bestandskraft von Gesetzen zurückgeben.Natürlich kann man fragen: Warum geschieht dies erst jetzt? Zunächst weise ich darauf hin, daß wir, d. h. die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP, be-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12385
Regenspurgerreits 1984 und dann noch einmal 1985 20 % der Rente von der Anrechnung auf die Versorgung ausgenommen haben.Die Erfolge unserer Wirtschafts- und Haushaltspolitik gestatten uns heute, diesen Betrag auf 40 % zu erhöhen, d. h. zu verdoppeln. Wir tun dies aus der Überzeugung heraus, daß diese Regelung — auch sozial-gerecht ist, obwohl das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu § 55 festgestellt hat, daß die Kürzung mit der Verfassung vereinbar ist.Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, aus meinen Ausführungen folgt, daß wir Vertrauensschutz wiederherstellen wollen. Das heißt, die Anwendung des § 55 auf die nach dem 1. Januar 1966 ernannten Beamten bleibt bestehen. Dies wird manchem der Betroffenen unverständlich sein; aber jeder, der nach dem 1. Januar 1966 Beamter wurde, konnte, ja mußte wissen, daß er Rente und Versorgungsbezüge nicht ungekürzt erhalten würde. Hier ist — ich wiederhole es — das Vertrauen nicht verletzt worden.Uns liegen, wie wahrscheinlich allen Fraktionen, Anträge vor, z. B. Knappschaftsrenten oder Renten wegen Erwerbs- und Berufsunfähigkeit vollständig aus der Anrechnung herauszunehmen. Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, dies wäre nicht nur nicht finanzierbar; damit würde auch das Tor zu einer erneuten Diskussion über den gesamten § 55 aufgestoßen. Es muß deshalb bei der von uns vorgeschlagenen Regelung bleiben, den anrechnungsfreien Rentenbetrag von 20 % auf 40 % zu verdoppeln. Die positiven Stellungnahmen der Spitzenorganisationen des öffentlichen Dienstes zeigen uns, daß wir auf dem richtigen Weg sind.Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich betone abschließend: Unsere Initiative zeigt, daß sich der öffentliche Dienst auf uns verlassen kann. Wir wissen, was wir all denen, die unsere Gesetze ausführen, auch dann schuldig sind, wenn sie nicht mehr im aktiven Dienst, sondern im Ruhestand sind.Wir halten Wort. Ich danke all denen, die unsere Initiative unterstützt haben, und bitte, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, einen besonderen Beifall verdiene ich sicherlich deshalb, weil ich meine Redezeit nicht ausgeschöpft habe.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat verdienstvoll, daß der Kollege Regenspurger es sich verkniffen hat, die Vorgeschichte dieses Gesetzentwurfs in epischer Breite darzustellen. Da aber die öffentliche Debatte ständig um diese Vorgeschichte gekreist hat und sich möglicherweise der Kollege Richter auch noch in historischen Reminiszenzen ergeht,
möchte ich nur ein paar Anmerkungen zu dieser Geschichte machen. Zu den Fällen, die wir heute behandeln, wird mein Kollege Nöbel sprechen.Wenn man darüber redet, spricht man immer sehr zartfühlend von der SPD-geführten Bundesregierung, die 1981 an all dem Unheil schuld gewesen wäre,
das über die Pensionäre gekommen sei. Bei einer anderen Wortwahl wäre natürlich der heutige Koalitionspartner mit zu erwähnen gewesen, und es wäre wohl auch die Frage aufgetaucht, welcher Partei denn eigentlich der Innenminister des Jahres 1981 angehört hat. Es gab und gibt also Gründe für die noble Zurückhaltung. Ich schelte deswegen niemanden, ich füge es nur an.Bei der öffentlichen Debatte vermisse ich ein paar weitere Fakten in der Darstellung, z. B. die Tatsache, daß die CDU-Fraktion weiland das Unrecht als nicht ganz so schwerwiegend empfunden haben muß wie heute. Sie haben damals der gesetzlichen Regelung in dieser Frage nicht etwa mannhaft widerstanden, Sie haben sich der Stimme enthalten
— Sie haben dagegen gestimmt — , weil Ihnen offensichtlich die damalige Sparmaßnahme nicht ganz unlogisch erschien. Das Gesamtpaket, in dem der veränderte § 55 enthalten war, ist letztlich von der großen Mehrheit der Unionsfraktion mitgetragen worden.Wir suchen — wohlgemerkt — an diesem Tage nicht nach Mitschuldigen, wir merken dies nur an, ebenso wie wir anmerken, daß der damalige Sparbeschluß vom Bundesrat, in dem die Union die Mehrheit hatte, mitgetragen wurde.
Die Länder werden ihre Gründe dafür gehabt haben, und diese dürften auch Ihnen nicht unbekannt gewesen sein, denn es wäre doch sehr unwahrscheinlich, daß Sie gänzlich ohne Kenntnis des Länderverhaltens im Bundestag Ihre Entscheidung trafen.
Ich sage das alles nicht, um „Mittäter" haftbar zu machen. Ich sage es nur, weil Sie sich in der Debatte oft allzu selbstgefällig Ihrer heutigen Entscheidung rühmen.Die Wahrheit ist nämlich wie so oft banaler. Es schien der damaligen Bundesregierung und im Grunde auch den Ländern logisch, in einer Zeit, in der nicht wenigen Bundesbürgern Opfer zugemutet wurden, auch die sogenannte Überversorgung abzubauen. Niemand hat damals gewußt, daß damit gleichzeitig neue Härten geschaffen wurden, die keiner wollte; erst allmählich zeichnete sich das ab.Bundestag und Bundesrat haben mit dem 2. Haushaltsstrukturgesetz auch nicht die Verfassung verletzt, wie von den Betroffenen beklagt wurde — das Bundesverfassungsgericht hat dies dem Gesetzgeber ausdrücklich bestätigt —, aber man kann auch verfas-
Metadaten/Kopzeile:
12386 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Lutzsungskonform Tatbestände schaffen, die von den Betroffenen als ungerecht empfunden werden.
So war das bei diesem Gesetz der Fall.
Politiker pflegen in solchen Fällen leider allzuoft rechthaberisch auf ihren einmal eingenommenen Standpunkten zu verharren. Diesmal war es nicht so: Alarmiert durch die sehr beredten Klagen der Betroffenen hat meine Fraktion schon 1983 nach Korrekturen gesucht.
Eine Verständigung darüber war mit Ihnen damals nicht möglich. 1985 kam es mit Ihnen gemeinsam zu einer ersten Korrektur, die Sie in Ihrer heutigen Geschichtsbetrachtung, Herr Kollege Regenspurger, als alleiniges Verdienst beanspruchen. Geschenkt!
Wir hätten damals gern einen anderen Weg, nicht den Weg der pauschalen Nichtanrechnung von 20 % der Rente, auf die Versorgung beschritten, einen Weg der auf die Einzelfälle besser zugeschnitten ist. Sie sagten damals, das sei nicht möglich; also verständigten wir uns mit Ihnen auf eine pauschale Korrektur. Unser Verdacht, daß sich dies auch nicht als ausreichend erweisen würde, hat sich recht schnell bestätigt. Die Klagen rissen nicht ab. Der Bundestag mußte einsehen, daß eine nochmalige Nachbesserung wohl kaum zu umgehen sein würde. Das geschieht heute, und es wird wieder mit unserer Zustimmung geschehen.
Die Regelung ist wieder pauschal — Frau Unruh, sie ist übrigens ziemlich teuer — , aber es ist ein Weg, der den Beschwerden gerecht wird.Damit allerdings sind wir am Ende der Möglichkeiten der Korrektur der Entscheidung von 1982 angelangt. Ich glaube, alle Beteiligten sehen es so. Die völlige Wiederherstellung des alten Zustandes würde neue Ungerechtigkeiten produzieren. Schlechtem parlamentarischen Brauch entspräche es jetzt, wenn wir noch eine Zeitlang mit der Frage herumkaspern würden, warum erst jetzt diese Lösung zustande kam.
Als Regierungsfraktion hatten Sie natürlich das Heft des Handelns in der Hand. Aber auch Sie mußten sich der Zustimmung Ihres Finanzministers und der von Ihnen regierten Bundesländer versichern.
Daß das nicht einfach ist, räume ich gerne ein. Schließlich geht es ja nicht um einen Pappenstil, sondern immerhin um Mehrausgaben aller öffentlichen Arbeitgeber, einschließlich Post und Bahn, von 441 Millionen DM im Jahre 1990, steigend auf 509 Millionen DM zwei Jahre später.
Herr Abgeordneter Lutz, gestatten Sie Zwischenfragen von Herrn Abgeordneten Regenspurger und der Frau Abgeordneten Unruh? — Bitte sehr.
Herr Kollege Lutz, würden Sie mir zustimmen, daß es gerade der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Rau, lange Zeit abgelehnt hat, überhaupt über § 55 nachzudenken, und kategorisch verneint hat, daß eine Lösung notwendig sei?
Herr Kollege Regenspurger, ich war nicht Gesprächspartner des Herrn Rau in dieser Frage. Ich kann Ihnen also nicht bestätigen, was Sie behaupten.
Frau Abgeordnete Unruh, bitte.
Können Sie mich bitte aufklären,
ob Beamte, die über 3 500 DM Pension bekommen, auch noch diesen zusätzlichen Nutzen haben?
Unrecht bleibt Unrecht, ob es sich nun um 150 DM oder um 2 000 DM handelt.
Solche Summen loszueisen, meine Kolleginnen und Kollegen, ist nicht einfach.
— Frau Kollegin Unruh, ich höre Ihre Stimme immer sehr gern. Wenn Sie aber schweigen, ist das auch schön.Wenn es um solche Summen geht, wie ich sie genannt habe, ist es natürlich eine ziemliche Versuchung, sie wählerwirksam zu verkaufen,
noch dazu, wenn im nächsten Jahr eine ganze Reihe von Wahlen anstehen, denen Sie mit äußerst gemischten Gefühlen entgegensehen. Das erklärt ganz sicher so manches Wort in der öffentlichen Debatte. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob wir damit der Sache gerecht werden. Es geht wirklich nicht darum, Bonbons zu verteilen und das Erstgeburtsrecht in Anspruch zu nehmen. Es geht darum, eine Bestimmung zu korrigieren, die Bitterkeit ausgelöst hat. Wenn sich das ganze Haus dazu bereit findet — ich unterstelle das einmal — , dann ist das gut für die Sache, gut für die Betroffenen und gut für das Ansehen des ganzen Parlaments.Solche Gemeinsamkeit ist natürlich einfacher herzustellen, wenn es darum geht, Gutes zu tun und sich bei den Bürgern in angenehme Erinnerung zu bringen. Schwieriger wird es schon, wenn im Interesse der Sache nicht Wohltaten beschlossen werden können, sondern Korrekturen mitzutragen sind, die von den Bürgern etwas fordern. Das geschieht in nicht allzu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12387
Lutzferner Zukunft bei der abschließenden Beratung der Rentenreform und den Veränderungen im Versorgungsrecht der Beamten. Da ist die Versuchung ungleich größer, Mitverantwortung abzulehnen.Eine Fraktion hat sich dann auch prompt schon in der Anfangsphase aus den gemeinsamen Bemühungen ausgeklinkt. Meine Fraktion indessen ist auch hier zur Mitgestaltung bereit, obwohl die Position des Neinsagens für eine Oppositionspartei sehr viel bequemer wäre.
Wir hätten es, meine Kollegen, für gut gehalten, wenn dies zeitgleich, im Guten wie im weniger Erfreulichen, hätte bewiesen werden können. Der Zeitplan hätte dem nicht im Wege gestanden. Alle genannten Vorhaben hätten noch fristgerecht in Kraft gesetzt werden können. Aus wenig einsichtigen Gründen waren Sie dazu nicht bereit. Sie leugneten einen Sachzusammenhang und argumentierten etwa so: Die Neuregelung der Beamtenversorgung hat mit der Korrektur der §-55-Fälle nichts zu tun.
— Natürlich, Herr Regenspurger, besteht ein Sachzusammenhang. Es handelt sich nämlich in beiden Fällen um Versorgungsprobleme mit ganz erheblichen finanziellen Folgen.
Sie haben mehrfach öffentlich den Verdacht geäußert, wir hätten die Absicht, unsere Zustimmung zur Korrektur des § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes als Hebel zur Durchsetzung unserer Ansichten bei der Reform der Beamtenversorgung zu nutzen. Wir haben im Ausschuß klipp und klar gesagt, daß dem nicht so ist. Sie bestanden trotzdem auf der vorgezogenen Verabschiedung.Warum also Ihre Eile? Ein Schelm, der sich etwas Böses dabei denkt. Es waren wohl taktische Überlegungen, die Ihr Verhalten bestimmten, etwa nach dem Motto: Beim Unangenehmen ist es angenehm, die Sozis mit im Boot zu wissen; die Rosinen verteilen wir lieber allein. Es ist nicht verwerflich, so zu denken. Klug ist es nicht, denn die Motivation ist allzu durchsichtig und fällt letztlich den Bürgern auf. Sei dem, wie es sei, es lohnt nicht, weitere Worte auf derlei taktische Mätzchen zu verschwenden.Die heutige Entscheidung ist ein Willensakt des ganzen Hauses. Das macht sie zukunftssicher, und das kann den davon Betroffenen nur nützlich sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß wir heute abschließend über ein Gesetz beraten, das lange Zeit für Enttäuschung und Empörung bei den betroffenen Versorgungsempfängern gesorgt hat. Die Regelung des 2. Haushaltsstrukturgesetzes bei § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes und § 55 a des Soldatenversorgungsgesetzes hat einen Vertrauensschaden ange-
richtet, der nur schwer wiedergutzumachen sein wird. Vertrauen kann nicht durch die bloße Rücknahme einer als Unrecht empfundenen Kürzung des Versorgungsanspruchs wiedergewonnen werden. Wir müssen vielmehr durch eigenes Handeln die Gewähr dafür bieten, daß sich ein ähnlicher Sündenfall der Gesetzgebung nicht wiederholt.
Ich sage dies deshalb, Herr Kollege Lutz, weil es Bestrebungen gegeben hat, einen Zusammenhang zwischen unserem Beratungsgegenstand und der Novellierung der Beamtenversorgung im Zuge der Rentenreformgesetzgebung herbeizureden.
Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Es besteht weder ein zeitlicher noch ein sachlicher Zusammenhang.
Wer versucht, meine Damen und Herren, diesen Zusammenhang künstlich zu konstruieren, der wird die Wogen nicht glätten und wird das Vertrauen nicht wiederherstellen.
Aber wir haben, Herr Kollege Lutz, den Fehler, den wir, das ist eingeräumt, damals mitverschuldet haben, erkannt, und wir nutzen den jetzt entstandenen finanziellen Spielraum, um einen erkannten Mißstand zu beheben. Ich freue mich, daß wir dabei auf Ihre Zustimmung rechnen können.
Die FDP hat seit Jahren immer wieder darauf gedrängt, insbesondere auch mein Kollege Dr. Hirsch, daß die Versorgungsempfänger wenigstens den Anteil zurückerhalten, den sie selbst eingezahlt haben.
Wir haben auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betont, daß das Urteil keine Alibifunktion haben darf und der Gesetzgeber trotz oder gerade wegen dieser Rechtsprechung gefordert ist. Das ist bei Mehrausgaben für Bund, Länder und Gemeinden von 441 Millionen DM im Jahre 1990, 509 Millionen DM im Jahre 1991 und 593,4 Millionen DM im Jahre 1993 kein leichtes Unterfangen gewesen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?
Bitte, gern. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Herr Kollege Richter, damit hier keine Geschichtsklitterung entsteht: Sie erinnern sich doch genauso gut wie ich, daß, als diese Regelung seinerzeit eingeführt wurde, der Beamtenminister von Ihrer Partei gestellt wurde?
Metadaten/Kopzeile:
12388 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Wenn Sie meinen Ausführungen eben zugehört haben, Herr Kollege Penner, dann ist Ihnen nicht entgangen, daß ich, auf den Kollegen Lutz zielend, genau das eingeräumt habe.
Ich habe von einem Fehler der Vergangenheit gesprochen. Die Verantwortung will ich mit keinem Wort von unserer Partei wegschieben, aber wir haben damals die Auswirkungen genau wie Sie nicht in diesem Ausmaß abgeschätzt. Das war der Fehler der Gesetzgebung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Unruh?
Ja, bitte. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß, wenn Menschen freiwillige Beiträge eingezahlt haben, sie diese auch zurückbekommen müssen, wenn diese freiwilligen Beiträge z. B. wie in der Rentenversicherung nicht auf die spätere Rente angerechnet werden?
Frau Kollegin Unruh, was diesen speziellen Fall angeht, glaube ich, daß ein großer Mißstand hätte vermieden werden können, würde man das Prinzip der umgekehrten Nachversicherung anwenden. Das ist problematisiert worden, und es gibt in diesem Hause auch unterschiedliche Meinungen dazu; das weiß ich wohl. Mir persönlich wäre ein System der umgekehrten Nachversicherung am liebsten, weil man dann solche Probleme gar nicht erst aufkommen ließe. Denn ich stimme Ihnen in einem zu: Die Leute können mit Recht erwarten, daß sie zumindest ihre selbst eingezahlten Beiträge angerechnet bekommen; das ist durchaus ein ernstzunehmender Wunsch.
Dieses Problem war ja auch der Motor der Entwicklung, die zu diesem Gesetzentwurf geführt hat.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Bitte, gern. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Herr Kollege, wenn hier schon durch eine Zwischenfrage die „Kriegsschuldfrage" aufgeworfen wird:
Stimmen Sie mit mir darin überein, daß der Finanzminister seinerzeit von der Fraktion der SPD gestellt wurde und daß die CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat der Entscheidung zugestimmt haben?
In der Tat war es so, Herr Kollege Dr. Hirsch.
Und es ist im Grunde ein müßiges Spiel, Vergangenheitsbewältigung jeweils zu Lasten des Partners betreiben zu wollen.
Meine Damen und Herren, die Lage der Versorgungsempfänger, insbesondere derjenigen, die aus dem einfachen und mittleren Dienst kommen, ist nach jahrzehntelanger Pflichterfüllung dieser Menschen insgesamt unbefriedigend. Deswegen haben wir in diesem Bereich auf eine Verbesserung gedrängt. Denn das Alimentationsprinzip gilt auch für diesen Personenkreis. Das wird in der öffentlichen Diskussion leider allzuoft vergessen.Über strukturelle Verbesserungen, insbesondere auch im Bereich des einfachen und mittleren Dienstes, werden wir ja — hoffentlich bald — bei der Beratung des Strukturgesetzes debattieren können. Aber es ist hier nicht nur der Gesetzgeber gefordert. Ich will deshalb die Gelegenheit nutzen, kritisch anzumerken, daß Arbeitszeitverkürzungen im öffentlichen Dienst bei deren Anrechnung auf die Besoldungsanpassung eindeutig eine Benachteiligung der Versorgungsempfänger darstellen. Die Tarifvertragsparteien sollten sich dieses Problems bewußt sein.Meine Damen und Herren, wir haben diesen Gesetzentwurf am 1. Juni 1989 eingebracht. Wir haben ihn zügig beraten; das Gesetz kann am 1. Januar 1990 in Kraft treten. Für die angenehme Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner, Herr Regenspurger, möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich danken.
— Nein, die ist immer sehr angenehm und sachbezogen und deswegen auch erfolgreich, Herr Kollege Lutz. — Auch nach der Einbringung erreichten mich noch zahlreiche Schreiben, in denen eine Änderung des § 55 Beamtenversorgungsgesetz gefordert wurde. Hier gibt es offensichtlich noch einen Nachholbedarf an Aufklärung.
Ich nehme an, daß diese abschließende Debatte jetzt für die nötige Klarheit sorgt.Abschließend noch ein Wort zu Forderungen, die generell gegen eine Anrechnung der Renten erhoben werden. Bei der Neuregelung der Beamtenversorgung im Jahr 1965 hat sich der Gesetzgeber dazu entschlossen, für alle Beamtenverhältnisse, die nach dem 31. Dezember 1965 begründet worden sind, die Rentenanrechnung ohne jede Einschränkung — Ausgleichsregelung, Härtemilderung — vorzusehen, und zwar von bestimmten Höchstbeträgen an. Der Grund dafür war, daß die Beamten, die Ansprüche aus der Rentenversicherung und Pensionsansprüche gleichzeitig haben, nicht besser dastehen sollten als diejenigen, die ihr ganzes Leben im Beamtenverhältnis gestanden haben. Nähme man jetzt die Rentenanrechnung völlig zurück, so hätte das auch Auswirkungen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12389
Richterauf die Regelung des § 55 Beamtenversorgungsgesetz generell, also auch auf die Beamten, die nach dem 31. Dezember 1965 ins Beamtenverhältnis berufen worden sind. Dies kann weder politisch gewollt sein, noch erscheint es mir in irgendeiner Weise durchsetzbar — allein schon aus sozial- und finanzpolitischen Gründen.Die getroffene Regelung erscheint der FDP-Fraktion als ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen der Versorgungsberechtigten einerseits, die wenigstens den Wert ihrer Eigenbeiträge zu ihrer Rentenversicherung ungeschmälert zurückerhalten möchten, und den nach wie vor bestehenden Notwendigkeiten zur Konsolidierung der Finanzlage in Bund, Ländern und Gemeinden und zur Begrenzung des Personalkostenanteils in den öffentlichen Haushalten andererseits. Damit ist zugleich auch der finanzielle Spielraum für eine befriedigende Lösung ausgeschöpft.Angesichts des langanhaltenden Widerstandes, insbesondere von seiten der Finanzminister in Bund und Ländern, können alle Betroffenen mit dem, was wir erreicht haben, zufrieden sein.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nöbel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel des Gesetzgebers waren 1965 wie 1981 natürlich Einsparungen. Aber Ziel war auch Gerechtigkeit: Auf der einen Seite sollten die Bezieher einer Rente nicht benachteiligt werden, auf der anderen Seite sollte Überversorgung verhindert werden. Darüber hinaus sollte es nicht zwei Klassen von Beamten geben. Ich glaube, das ist zusammengefaßt das, worum es geht.Dann, Herr Dr. Penner, gab es aber in Wirklichkeit zunächst 500 000 und heute 700 000 unmittelbar Betroffene;
betroffene Familien kommen hinzu.
Unsere parlamentarischen Initiativen, die der SPD, sind bekannt. Gewiß, Herr Kollege Richter, Ihr Alleingang hat uns nicht gefallen, weil er einige Wochen vor der Verabschiedung der Strukturreform der Beamtenversorgung isoliert stattfindet und keinen Zeitgewinn bringt. Nur, lassen wir uns heute nicht mehr darüber streiten!
In der Sache sind wir uns einig, und deshalb stimmen wir zu. Es geht um die Beseitigung von Härten, die zwar vom Verfassungsgericht als verfassungsgemäß klassifiziert worden sind, die aber erst durch Urheberschaft unterschiedlich gefärbter Mehrheiten dieses Hauses bei gleichbleibender Beteiligung der FDP entstehen konnten — ich will das einmal sagen — und moralisch der Rücknahme bedürfen.Damit auch die nicht so sehr mit der Thematik Befaßten oder durch die Thematik Betroffenen wissen,worum es eigentlich geht, habe ich mir Einzelfälle herausgesucht. Ich erlaube mir, einiges zu zitieren:Als zu den Kriegsjahrgängen gehörend und bedingt durch die Kriegswirren bin ich erst nach dem Kriege und Gefangenschaft im Jahre 1946 in den Polizeidienst eingetreten.
— Natürlich, ich zitiere Petenten.Aus meiner Beschäftigung in der freien Wirtschaft vor dem Kriege hatte ich einen Anspruch auf Rente aus der Arbeiterrentenversicherung erworben.Ich habe bis zum Jahre 1978 Polizeidienst versehen und mußte dann nach dreimaligem Herzinfarkt zwei Jahre vor dem Erreichen der Pensionsgrenze aus dem Dienst ausscheiden. Zu dieser Zeit war ich schwer krank und habe mich mit der vorzeitigen Pensionierung einverstanden erklärt, weil ich mit meiner korrekten Einstellung zum Staat nicht zwei Jahre lang eine Planstelle auf einer kleinen Dienststelle blockieren wollte, indem ich diese Zeit im Krankenstand verbringe. Ich habe durch das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienst meine Einstufung von der Besoldungsstufe A 9 zu A 9 mit Zulage und meine Abfindung in Höhe von 8 000 DM verloren. Überwiegend ausschlaggebend zu meinem damaligen Entschluß war zu dieser Zeit die Tatsache, daß ich mit einer kleinen Rente aus der Arbeiterrentenversicherung rechnen konnte und so einen kleinen Ausgleich zu meinem Verlust sah. Für diese Entscheidung, die ich aus Gewissenhaftigkeit dem Land Hessen gegenüber getroffen habe, werde ich nun mit aller Härte bestraft, indem das Urteil des BVG zum Tragen kommt und meine Pension in Höhe der Rente gekürzt wird.Ich finde dieses Urteil auch deshalb als Bestrafung, weil hier ein Personenkreis betroffen wird, der zu den am härtesten betroffenen Kriegsjahrgängen gehört.— Das ist meistens so. —Nicht nur, daß uns die Jugend genommen wurde , haben wir nach dem Kriege unter primitivsten Bedingungen und Verhältnissen unseren Staat wiederaufbauen helfen. Gerade in meinem Polizeiberuf mußten wir unzählige Überstunden leisten und dies alles für 160 RM im Monat. Auf dem Schwarzmarkt konnte man um diesen Betrag gerade zwei Pakkungen Zigaretten kaufen.— Wir reden ja vom Frust in der öffentlichen Meinung. —Ich kann mich gut erinnern, wenn der Hessische Minister des Innern oder einer seiner Vertreter bei Dienstbesprechungen unseren aufopfernden Einsatz lobte und davon sprach, daß der Staat dies eines Tages danken müsse und würde.
Metadaten/Kopzeile:
12390 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Dr. NöbelIch glaube, das bedarf keiner Kommentierung. Das ist ein langer Brief, ich habe ihn mir aber besonders zu Herzen genommen.
Die Schwere dieses Härtefalls, Kollege Regenspurger, ist kein Einzelfall, den ich hier als Exempel irreführend vortrüge. Meist sind es Betroffene, die schwerste Schicksale, besonders in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, hinter sich gebracht haben oder immer noch mit sich herumtragen müssen.Ein anderer schreibt:Ich bin Jahrgang 1910. Habe noch siebenmal Kaisers Geburtstag mitfeiern können. Habe zwei Weltkriege erlebt, einen davon mitgemacht, halbtot aus Gefangenschaft nach Hause gekommen und dann auch noch zwei Jahre weiter gehungert, bis wieder einigermaßen normale Verhältnisse eingetreten waren. So habe ich auch die sogenannte Weimarer Zeit erlebt, als ... die gewählten Abgeordneten sich nur noch mit Parteienstreitigkeiten beschäftigten, den Reichstag zum Selbstbedienungsladen machten und sich kaum noch um das Wählervolk kümmerten.
— Frau Unruh, das freut Sie. Es freut mich auch, daß ich Ihnen einmal eine Freude machen kann.Er sagt am Schluß:Die dritte Sorte Beamte sind wir, die in schlechten Zeiten ihren Mann gestanden haben, sich in der Wirtschaft bewährt und nach dem Zweiten Weltkrieg den Staat wieder mit aufgebaut haben. Dafür werden wir nun bestraft. Ich werde vor diesem Hintergrund nicht mehr zu einer Wahl gehen.
Sie wissen, warum ich das zitiere. Der nächste:1949 als Polizeibeamter in NRW begonnen, 1959 nach langer Krankheit wegen Dienstuntauglichkeit in den Ruhestand versetzt, verblieb ich als Angestellter im Polizeidienst. In der Privatwirtschaft hätte ich keine Kürzung meiner Ruhebezüge erfahren.
Das sollten sich unsere Sozialpolitiker einmal merken.... ich bin doppelt bestraft. Man wollte bei Schaffung des § 55 BeamtVG eine Überzahlung bei Doppelversorgung erreichen — —— Frau Unruh, das Grauen! — Die Grauen? — Das Grauen, am frühen Morgen!
— Wissen Sie, Sie gehen mir auf die Nerven, Frau Unruh. Das müssen Sie wissen.
Herr Präsident, darf ich fortfahren?Man wollte bei Schaffung des § 55 BeamtVG eine Überzahlung bei Doppelversorgung erreichen, doch keine Doppelbestrafung wie in meinem Fall.Ein anderer sagt:.. die jetzige Regelung empfinden alle Betroffenen als sozial unausgewogen und im hohen Maße als Unrecht.Ein anderer sagt:1. 5. 1898 geboren ... Hierzu erläutere ich noch, daß ich beide Weltkriege als Frontkämpfer mitgemacht habe. Nach dem 2. Weltkrieg war ich als Flüchtling teils arbeitslos, teils als Hilfskraft beschäftigt, ehe ich wieder meinen Beruf als Zollbeamter aufnehmen konnte.Meine Damen und Herren, abschließend noch einen Satz aus einem langen Schreiben dieses Mannes— ich habe gesagt: Frust in der Öffentlichkeit — :Vom Bundesamt für Finanzen — Besoldungsstelle — 5300 Bonn 3 — wurden mir kürzlich Vordrucke übersandt, in denen ich Angaben über die Höhe meiner Rentenbezüge machen soll zur evtl. Neuberechnung meiner Versorgungsbezüge. Nach Ausfüllung soll ich die Vordrucke meiner Pensionsregelungsbehörde übersenden. Mit dieser Aufforderung wird von mir verlangt, den Strick zu liefern, mit dem ich gehängt werden soll, in diesem Fall mich selbst meiner rechtmäßigen Verdienste berauben lassen soll.
Dazu gehört auch noch, daß ich die dabei entstehenden Kosten selbst tragen soll. Das scheint mir doch wohl eine Zumutung zu sein.Meine Damen und Herren, es gibt zigtausende dieser Fälle. Ich habe nicht das Schlimmste zitiert, sondern das, was ich als Normalfall bezeichne. Ich hoffe— das konnten wir, Herr Kollege Regenspurger und Herr Kollege Richter, nicht nachprüfen, weil uns die Apparaturen nicht zur Verfügung stehen — , daß durch die pauschale Regelung, wie sie jetzt vorgesehen ist und der wir zustimmen, alle diese Fälle und die anderen, die wir vielleicht noch nicht sehen, zufriedenstellend geregelt werden. Deshalb, wie gesagt, stimmen wir zu.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; wir sind am Ende der Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP auf Drucksachen 11/4416 und 11/5292. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 bis 3,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12391
Vizepräsident StücklenEinleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Drei Enthaltungen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei drei Enthaltungen ist der Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte— Drucksache 11/3253 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 11/5264 —Berichterstatter:Abgeordnete EylmannDr. de With
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind 30 Minuten für die Aussprache vorgesehen. Das Haus ist damit einverstanden? — Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Eylmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von 1977 bis 1988 stieg die Zahl der in der Bundesrepublik zugelassenen Rechtsanwälte von gut 31 000 auf gut 54 000. Angesichts eines starken Zustroms zum Jurastudium einerseits — wir hatten Anfang vorigen Jahres über 84 000 Jurastudenten — und einer vergleichsweise geringen Aufnahmekapazität von Staat und Wirtschaft für Juristen andererseits ist auch in Zukunft mit steigenden Anwaltszahlen zu rechnen. Das ist allerdings keine singuläre Situation bei der Anwaltschaft; in anderen Fächergruppen, z. B. bei den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, sind die Studentenzahlen in den letzten Jahren noch stärker gestiegen.Die Folgen der sogenannten Anwaltsschwemme werden gern dramatisiert. Von „anwaltlichen Kümmerexistenzen" ist die Rede; man klagt darüber, daß sich junge Anwälte als Aushilfstaxifahrer über Wasser halten müßten.Zu diesem Bild paßt nicht, daß nach einer Untersuchung, die gemeinsam vom Bundesministerium der Justiz und vom Deutschen Anwaltverein in Auftraggegeben worden ist und deren Ergebnisse Anfang 1988 veröffentlicht wurden, lediglich 4 % der jungen Anwälte ihre Tätigkeit als enttäuschend bezeichnet haben. Dieser hohe Grad von Berufszufriedenheit ist angesichts des zweifellos vorhandenen Expansionsdrucks erstaunlich. 56 % der jungen Anwälte empfinden ihre derzeitige Berufsposition als Wunschposition, 82 % würden wiederum ein Jurastudium wählen.Meine Damen und Herren, daß die deutsche Anwaltschaft mit ihrem raschen Anwachsen in den letzten Jahren relativ gut gut fertiggeworden ist, hängt damit zusammen, daß ihre Expansion nicht auf einen stagnierenden, sondern auf einen wachsenden Markt anwaltlicher Dienste trifft. Die Bundesrepublik verwandelt sich wie die anderen Industriestaaten immer schneller in eine moderne Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft, deren Bedürfnisse immer differenzierter werden. Für die deutschen Anwälte kommt es entscheidend darauf an, daß sie der gestiegenen Nachfrage nach Rechtsberatung und Rechtsvertretung in allen Bereichen des Rechts in bestmöglicher Qualität gerecht werden können.Das anwaltliche Berufsrecht, ob nun in der Bundesrechtsanwaltsordnung kodifiziert oder in den berufsständischen Standesrichtlinien niedergelegt, hat sich bei dieser dynamischen Entwicklung zunehmend als ein zu starres Korsett erwiesen. Unter diesem Gesichtspunkt könnte es sich geradezu als ein Glücksfall erweisen, daß das Bundesverfassungsgericht in zwei Entscheidungen vom 14. Juli 1987 das gesamte in den Standesrichtlinien niedergelegte anwaltliche Standesrecht kassiert hat, weil es nicht auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruht. Eine grundlegende Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts ist damit unumgänglich geworden.Sie erfolgt allerdings noch nicht mit der vorliegenden Novelle. Diese beschränkt sich auf ein Teilgebiet, auf dem sich die Notwendigkeit einer Änderung als besonders dringlich erwiesen hat. Sie will die internationale Tätigkeit deutscher Rechtsanwälte und deren Zusammenarbeit mit Anwälten aus anderen Staaten fördern und erleichtern. Zu diesem Zweck sieht sie vor, daß deutsche Anwälte künftig auch im Ausland tätig werden können. Sie werden von ihrer Residenzpflicht im Inland befreit. Sie haben das Recht, Zweigstellen im Ausland einzurichten, können aber auch unter Beibehaltung ihrer heimischen Berufszulassung ihre Berufstätigkeit vollständig ins Ausland verlegen.Indem also die Vorlage die nationalen Grenzen für anwaltliche Dienstleistungen durchlässig macht, eröffnet sie den deutschen Anwälten gleichsam die Welt als neuen, unbeschränkten Tätigkeitsbereich. Ich bin sicher, viele junge Anwälte werden dies nutzen und auch auf diese Weise dazu beitragen, die Anwaltschaft von gewissen provinziellen Einengungen zu befreien.Öffnen wir die Grenzen für unsere deutschen Anwälte, bedeutet das gleichzeitig, daß wir uns gegen ausländische Anwälte nicht abschotten dürfen. Anwälte aus Mitgliedstaaten der EG dürfen sich nach der heute zur Verabschiedung anstehenden Vorlage künftig unter ihrer heimischen Berufsbezeichnung in
Metadaten/Kopzeile:
12392 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Eylmannder Bundesrepublik als Mitglied einer deutschen Rechtsanwaltskammer niederlassen, um hier Rechtsbesorgung auf dem Gebiet ausländischen und internationalen Rechts zu betreiben. Wollen sie allerdings auch im deutschen Recht tätig sein, müssen sie sich auf der Grundlage der EG-Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 einer Eignungsprüfung unterziehen. Diese EG-Richtlinie wird in Kürze in nationales Recht umgesetzt.Im Zuge der Beratungen der Berufsrechtsnovelle im Rechtsausschuß sind wir einstimmig zu der Auffassung gelangt, den Kreis der Anwälte aus den EG-Mitgliedstaaten, die sich in der Bundesrepublik niederlassen können, um die Rechtsanwälte aus anderen Staaten zu erweitern, sofern die Gegenseitigkeit mit dem Herkunftsstaat verbürgt ist, in diesem Staat also auch ein deutscher Anwalt tätig sein darf. Es erschien uns z. B. nicht gerechtfertigt, daß sich zwar ein Anwalt aus Straßburg in Mainz niederlassen darf, nicht aber ein Anwalt aus Basel in Freiburg. Hier möchten wir gern eine Gleichbehandlung.Meine Damen und Herren, wir eröffnen der deutschen Anwaltschaft nicht nur neue Marktchancen im Ausland, wir setzen sie auch im Inland der ausländischen Konkurrenz aus, deren Quantität allerdings nicht überschätzt werden sollte. Sorgen brauchen sich nach meiner Auffassung die deutschen Anwälte nicht zu machen. Zwar wird. es manchen Zwang geben, die Berufsausübung zu modernisieren. Wer dies tut, wird aber aus diesem Wandlungsprozeß gestärkt hervorgehen.Ich erwähnte schon, daß eine grundlegende Neuordnung des Berufsrechts notwendig ist, von dem wir hier nur einen Teilausschnitt regeln. Diese Neuordnung wird der nächsten Legislaturperiode vorbehalten bleiben. Es erscheint zweckmäßig, den Meinungsbildungsprozeß innerhalb der Anwaltschaft abzuwarten. Die Auffassung, daß das anwaltliche Berufsrecht modernisiert werden muß, scheint sich durchzusetzen.Es wird darauf ankommen, zwischen dem, was seinen Sinn verloren hat und der Anwaltschaft den notwendigen Anpassungsprozeß erschwert, und dem zu unterscheiden, was zu den Grundvoraussetzungen einer freien und leistungsfähigen Advokatur gehört und deshalb auch in dem künftigen neuen Berufsrecht seinen Niederschlag finden muß.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn der Bundestag heute das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte in zweiter und dritter Lesung verabschiedet, muß dem eigentlichen Thema, eben diesem Gesetzentwurf, kein allzu großer Raum gewidmet werden. Er ist unstreitig. Er ermöglicht unseren Anwälten, Zweit- und Drittkanzleien im Ausland zu errichten, und gestattet ausländischen Advokaten die Niederlassung bei uns. Schließlich folgt er der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und paßt einige Bestimmungen dementsprechend an. Bei dieser Gelegenheit kommt es des weiteren zu technischen Anpassungen.Dennoch lohnt es sich zu debattieren. Dieser Gesetzentwurf ist der erste wirkliche Schritt heraus aus dem traditionellen deutschen Berufsrecht der Anwälte, dem weitere, das Bild des Berufsstandes ändernde gewichtige Schritte folgen werden.Das bisher allein auf die Betätigung im nationalen Bereich ausgerichtete deutsche Berufsrecht der Anwälte mit dem Zweigstellenverbot und der Residenzpflicht wird geändert. Damit wird der deutschen Advokatur der Anschluß an das Berufsrecht der Anwälte in den großen Industriestaaten, vornehmlich des angloamerikanischen Rechts, ermöglicht. Etwas provokant gesagt: Dem bisher vom Gesetzgeber verordneten Spitzweg-Dasein wird die grenzüberschreitende, ja weltumspannende internationale Kanzlei mit der Möglichkeit mehrerer Zweigstellen im Ausland beigesellt.Denn nunmehr — um es noch einmal aufzuzählen — kann ein Anwalt mit einer Kanzlei in der Bundesrepublik weitere — nicht nur eine — Kanzleien in anderen Staaten errichten, muß ein Anwalt, der seine Kanzlei ausschließlich in einem anderen Staat errichtet, grundsätzlich von der Residenzpflicht befreit werden, ist ein Anwalt aus der EG berechtigt, sich in der Bundesrepublik zur Besorgung auf dem Gebiet ausländischen und internationalen Rechts niederzulassen, und kann ein Anwalt aus einem Staat außerhalb der EG bei uns eine Kanzlei errichten, wenn die Gegenseitigkeit verbürgt ist und sich die Rechtsberatung auf das Recht des Herkunftslandes beschränkt.Der deutsche Anwalt kann damit zum ersten Male mit seinen Dienstleistungen Handel, Gewerbe und Industrie im Export, wenn ich das so ausdrücken darf, folgen. Er wird zum ersten Male internationalem Wettbewerb ausgesetzt, und er wird sich ohne Zweifel Terrain zurückerobern müssen, das ausländische Großkanzleien bereits besetzt haben.Das bedeutet sicher nicht, daß die herkömmliche, überwiegend auf den — ich darf das so formulieren — eigenen Landgerichtsbezirk ausgerichtete Kanzlei einfach passé wäre. In vielen Fällen wird hierfür ein Bedürfnis — auch von den Rechtsuchenden her — weiterbestehen. Dies alles wird jedoch Auswirkungen auch auf die Aus- und Weiterbildung haben. Anders ausgedrückt: Absolvierten bisher 11 % aller Referendare eine Wahlstation im Ausland — immerhin nicht so ganz wenige — , so wird dieser Prozentsatz mit einiger Sicherheit steigen, und ich sage: steigen müssen. Gibt es bisher nicht überall an den Universitäten ein ausreichendes Angebot zur Einführung in das EG-Recht oder in das Rechtsgebiet wichtiger Industriestaaten, so wird sich dies zwangsläufig ändern müssen.Aber ich sagte, der zweite Schritt und weitere Schritte werden folgen müssen. Nach den zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1987 zum Werbeverbot und Sachlichkeitsgebot im Berufsrecht der Anwaltschaft wird das nunmehr 110 Jahre alte Standesrecht nicht nur auf gesetzliche Füße gestellt werden, sondern auch vom In-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12393
Dr. de Withhalt her gewichtige Änderungen erfahren müssen wie wohl nie zuvor in seiner Geschichte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es wird in der Literatur hin und her erwogen. Ich kann denen, die es angeht, nur raten, nicht mehr allzu lange zu warten.
Am 1. Januar 1981 — um einmal von der anderen Warte her ein paar Zahlen zu nennen — gab es 37 314 zugelassene Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland. Am 1. Januar 1989 waren es 54 555. Zum 1. Januar 1995 wird die Zahl der zugelassenen Anwälte auf 70 000 bis 75 000 geschätzt, wahrscheinlich eher untertreibend als übertreibend. Aber nicht nur die Neuankömmlinge und die schon bisher Zugelassenen sollten sich rasch an den neuen Standesregeln orientieren können. Auch das rechtsuchende Publikum hat ein Recht, zu wissen, an welchen Kodex sich der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten zu halten hat.
Die Rechtsanwälte stellen das Gros der Juristen. Das Bild von der Rechtswelt insgesamt ist jedoch ganz offensichtlich — folgt man Horst Sendler in dessen Festvortrag auf dem letzten deutschen Anwaltstag — ein schwankendes und nicht nur deshalb verbesserungsbedürftig. Es zirkulieren eine Menge Sprüche über Richter und Rechtsanwälte, die uns schmunzeln machen, oft aber — wie es bei einer guten Pointe so ist — den Punkt treffen. Allen denen, die judizieren, hat der Jurist, Dichter und Diplomat Jean Giraudoux — Sie wissen, ich zitiere immer gern — das böse Wort zugerufen: „Noch nie hat ein Dichter die Natur so frei ausgelegt wie ein Jurist die Wirklichkeit. "
Das mag so allgemein nicht richtig sein, doch als Staatsanwalt, Richter, Mensch in einem Ministerium und nunmehr Rechtsanwalt habe auch ich so manche Erfahrungen machen müssen.
Ich glaube, die Kolleginnen und Kollegen werden dem beipflichten.
Deswegen meine Bitte: Regeln wir Rechtsanwälte zusammen mit dem Gesetzgeber recht bald wenigstens unsere Standeswirklichkeit; aber, bitte schön, ohne Ärmelschoner und mit dem Blick über die Grenzen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gries.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute morgen dieschwierige Aufgabe, hier den Kollegen Kleinert zu vertreten.
Ich werde ihn nicht ersetzen können, aber ich will versuchen, ihn zu vertreten. Herr Kleinert ist, wie Sie wissen, beim Festakt in Frankfurt aus Anlaß des 40jährigen Bestehens der Gerichtsbarkeiten.Ich will die Debatte hier gar nicht verlängern, sondern nur sagen, daß ich denke, daß das, was hier als Gesetzentwurf vorliegt, ein erster und, wie ich finde, sehr bescheidener Schritt im Rahmen der Heranführung des Berufsrechts der Anwälte und der Anwaltschaft an die Europäische Gemeinschaft ist. Im Gesetzentwurf stehen Selbstverständlichkeiten unter dem Aspekt des Zieles, im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft das Niederlassungsrecht der deutschen und ausländischen Anwaltschaft zu verbessern.Ich denke allerdings — ich nehme deshalb diese Diskussion gern zum Anlaß, das zu sagen — , daß nicht nur bei den Politikern, sondern auch im Berufsstand ein großes Maß an Aufgeschlossenheit, Umdenken und Offenheit erforderlich ist, um den Weg nach Europa, der uns vorgeschrieben ist, auch wirklich zu gehen. Ich hoffe, daß das gemeinsam geschehen kann.Wichtiger ist — meine Vorredner haben das auch getan —, über das, was hier nicht geregelt ist, als über das zu reden, was im Gesetzentwurf steht. Dazu gehört die umfassende Reform des Standes- und Berufsrechts. Auch diesbezüglich wünsche ich mir sehr viel Liberalität und Realitätssinn. Alle anderen Folgen des europäischen Binnenmarkts ab 1993 sind für die freien Berufe insgesamt offen.Entsprechend den Beratungen im Ausschuß wurde die Neuordnung des Rechts der Patentassessoren verschoben. Ich denke, man sollte mit etwas weniger Voreingenommenheit an diese Regelung herangehen. Davon bin ich ganz persönlich und auch als Abgeordneter betroffen. Hier wünsche ich mir ein bißchen mehr Aufgeschlossenheit.Wir haben in der Anwaltschaft — leider ist diesbezüglich der Konsens nicht groß — eine lebhafte Diskussion über die Sozietäten, über die Niederlassungsmöglichkeiten, über die mögliche Anwendung des GmbH-Rechts, über die Wettbewerbsmöglichkeiten. Ich meine, hier sollte man ein bißchen offener als in der Vergangenheit denken und ein wenig reformerischer sein. Es nützt dem Berufsstand nichts, wenn er an traditionellen Regeln festklebt.Was ich jetzt sage, ist natürlich nicht mehr Kleinert; ich weiß das. Aber ich benutze die Gelegenheit hier, wenn ich sie schon habe, ein wenig meine Gedanken in die Diskussion zu bringen.Ich habe nicht den Eindruck, daß die Anwaltschaft so homogen ist, wie es die Funktionäre des öfteren darstellen. Wir haben insofern einen großen Fortschritt zu verzeichnen — dieses Stichwort hat mir Herr Kleinert noch mitgegeben — , als jetzt zum erstenmal wieder eine gemeinsame Sitzung der Berufsrechtskammern der Anwaltschaft stattgefunden hat. Das ist ein ermutigendes Zeichen. Dabei wollen wir allen Be-
Metadaten/Kopzeile:
12394 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Griesteiligten helfen; denn wir müssen uns um einvernehmliche Regelungen bemühen.Wir als FDP sind offen für neue Anstöße, für sachgerechte Überleitungen in den europäischen Markt. Ich glaube, wir alle miteinander sind der Meinung, daß man die Neuordnung des Berufsrechts und des Standesrechts wirklich nicht den Einzelfallentscheidungen der Gerichtsbarkeit überlassen kann.Wir haben festgestellt, daß das Berufsrecht keine Rechtsgrundlage mehr hat. Es ist Aufgabe sowohl der Betroffenen als auch der Politiker, das entsprechende neue Recht zu schaffen. Ich wünsche mir, daß die Politiker in dieser Hinsicht nicht alleingelassen werden, sondern daß die Anwaltschaft ganz tatkräftig mitarbeitet, und zwar durch Vorschläge, durch einen konstruktiven Beitrag.Ich will für die FDP abschließend feststellen, daß wir diesen offenen Dialog suchen, daß wir in intensive Beratungen mit allen Betroffenen eintreten werden. Ich denke, daß wir dabei zu Ergebnissen kommen, die letztendlich von allen getragen werden können.Ich versuche jetzt einmal, wie Herr Kleinert zu reden: Die FDP weiß nicht alles, aber in ihr sind überproportional viele Anwälte vertreten. Das sollte ein Beitrag dazu sein, daß am Ende ein gutes Ergebnis herauskommt.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.
Liebe Anwesende! Wir haben zu diesem Gesetzesvorhaben ein zwiespältiges Verhältnis. Das hängt damit zusammen, daß der Gesetzesentwurf nichts Halbes und nichts Ganzes ist. Das haben meine Vorredner in gewisser Weise ja auch festgestellt.
Das alte anwaltliche Berufsrecht hat ausgedient. Noch aber scheut sich der Gesetzgeber vor den notwendigen Konsequenzen. Auf Druck des EG-Binnenmarktes findet sich der Gesetzesentwurf dazu bereit, Erleichterungen für die internationale Tätigkeit von Anwältinnen und Anwälten und deren Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern zu schaffen. Für diese Änderung ist ein praktisches Bedürfnis gegeben. Es dient den Interessen der Mandanten an optimaler anwaltlicher Dienstleistung.
Dieses praktische Bedürfnis ist aber nicht auf die EG beschränkt; denn es gibt inzwischen überallhin vielfältige Auslandsbeziehungen, Tourismus, Arbeitsimmigration und andere Verflechtungen, wodurch rechtliche Probleme aufgeworfen und anwaltliche Hilfe gefragt sind. Statt die internationale anwaltliche Zusammenarbeit weltweit zu erleichtern, weicht der Gesetzgeber hier aber zurück, anscheinend vor der Panik eines Teils der Anwaltschaft, die meint, internationale Konkurrenz befürchten zu müssen. Ich wüßte keine andere Erklärung dafür.
Tatsächlich wird diese Konkurrenz den Großteil der Anwältinnen und Anwälte, die vor Ort Scheidungen, Strafverfahren, Verkehrssachen und anderes zu betreuen haben, nicht betreffen; denn die Zahl der ausländischen Kolleginnen und Kollegen, die sowohl das deutsche Rechtssystem wie auch die Sprache so perfekt beherrschen, daß sie eine Konkurrenz darstellen könnten, ist verschwindend gering.
Vor notwendigen Konsequenzen scheut sich der Gesetzgeber auch, was die Reform des anwaltlichen Berufsrechts überhaupt angeht. Statt hier den „Muff unter den Roben" zu beseitigen,
wird dieses sogar in einigen Punkten noch verschärft.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 14. Juli 1987 das überholte Standesrecht gekippt. Noch bemühen sich allerdings konservative Kräfte, dieses Standesrecht auf neuer Rechtsgrundlage zu erhalten. Dieses Standesrecht und das besondere anwaltliche Berufsrecht, wozu Ehrengerichte, öffentlich-rechtliche Kammern, Werbeverbot, Zweigstellenverbot, Lokalisationsgebot, Residenzpflicht, Kanzleipflicht, Zwangsmitgliedschaft in den Kammern gehören, wird sich auf Dauer nicht halten lassen.
— Nein, ich habe zu wenig Redezeit.
Mit der Zunahme der Anwältinnen und der Anwälte hat die Anwaltschaft auch ihr Gesicht verändert.
Geben Sie denn einer Zwischenfrage Raum?
Wenn Sie es mir nicht auf die Zeit anrechnen, Herr Präsident.
Nein, nein. Das ist alles in Ordnung. — Bitte sehr.
Frau Kollegin Nickels, ich frage mit einiger Verzögerung. Das liegt aber daran, daß Sie sehr schnell reden.
Sollte Ihnen entgangen sein, daß wir im Rechtsausschuß die Grenze nicht nur für die EG-Anwälte, sondern für die Anwälte aus der ganzen Welt geöffnet haben und über die Vorlage insoweit hinausgegangen sind, also genau das getan haben, was Sie soeben beklagt haben?
Für meine Begriffe ist das aber nicht hinreichend. Da müßten wir noch einmal genau über den entsprechenden Paragraphen diskutieren, Herr Eylmann. Ich weiß, daß wir das diskutiert haben, meine aber, daß es noch immer nicht hinreichend ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12395
Frau Nickels— Nein, da müßten Sie sich noch einmal mit mir zusammen den genauen Wortlaut anschauen. Wir müssen dann über die einzelnen Paragraphen streiten. Es sind immer viele Gummiparagraphen darin enthalten. Wir können gern noch einmal an Hand der Beschlußempfehlung im Detail darüber diskutieren.Mit der Zunahme der Anwältinnen und Anwälte hat die Anwaltschaft auch ihr Gesicht verändert. Die Anwaltschaft ist in arm und reich gespalten, abhängig davon, was ihre Klientel ist. Mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger nehmen anwaltliche Leistungen in Anspruch.Wir sind für die freie Advokatur, für den Anwalt als Interessenvertreter des Mandanten, nur diesem verantwortlich, nicht den Kammern und nicht den Ehrengerichten. Daß ein Anwalt seinen Mandanten nicht betrügen darf, daß er keine Gelder unterschlagen, daß er andere Prozeßbeteiligte nicht beleidigen darf, folgt ebenso aus dem Strafrecht wie das Recht, zur Wahrnehmung berechtigter Interessen einen weiten argumentativen Spielraum auszunutzen.Wenn ein Anwalt in einem Konflikt seinen Gegner unsachlich angreift, so mag er damit Mängel in der Qualität seiner Leistung offenbaren. Das ist jedoch kein Tatbestand, der irgendwelche disziplinarische Maßnahmen auslösen darf. Es ist darüber hinaus ziemlich fragwürdig, daß gerade die Staatsanwaltschaft befugt sein soll, Ehrengerichtsverfahren gegen Anwältinnen und Anwälte einzuleiten; denn oft genug stehen sich diese Parteien im Prozeß feindlich gegenüber. Es kann nicht angehen, daß auf diese Weise die Staatsanwaltschaft noch als Kontrolleur der Anwälte auftritt.Ebenso fragwürdig sind besondere Zulassungshindernisse, wie die „Unwürdigkeit" und mangelnde Staatstreue. Wenn ich zum Friseur gehe und mir die Haare schneiden lasse, interessieren mich Würde und Staatstreue überhaupt nicht. Wichtig ist für mich: Hauptsache, daß der Friseur gut arbeitet. Das gleiche Maß lege ich auch beim Anwalt an.
Als neue Zulassungsschranke wird mit diesem Entwurf der sogenannte Vermögensverfall eingeführt. Hier sehen wir jedoch gerade die Gefahr, daß die Tür zur Anwaltschaft für die jungen Kolleginnen und Kollegen verschlossen werden könnte, die mit wenig Geld im Hintergrund eine Praxis aufmachen wollen. Diese neue Regelung ist so auslegungsfähig, daß sie je nach Interessenlage der von gutverdienenden, eingeführten Anwälten beherrschten Kammervorstände angezogen oder gelockert werden kann.Vom ständischen Denken muß Abschied genommen werden. Der Gesetzentwurf ist davon aber noch weit entfernt.Wir werden uns der Stimme enthalten.
Ich erteile dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hörten es bereits heute morgen: Das Berufsrecht der Rechtsanwälte befindet sich im Umbruch. Die Zahl der Rechtsanwälte ist in den letzten Jahren außerordentlich, wie manche meinen besorgniserregend, angewachsen.Zunehmender Konkurrenzdruck drängt zu der Prüfung, wie das gestiegene Angebot an anwaltlichen Dienstleistungen in einer für den rechtsuchenden Bürger und die Rechtspflege sinnvollen und verträglichen Weise eingesetzt werden kann. Diese Prüfung kann vor berufsrechtlichen Strukturen, die über Jahrzehnte das Bild der Rechtsanwaltschaft und damit die wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeit des einzelnen Rechtsanwalts bestimmt haben, natürlich nicht haltmachen. Hinzu kommen verfassungsrechtliche Entscheidungen und die Entwicklung zu einem europäischen Binnenmarkt, die einen tiefgreifenden Einfluß auf den Anwaltsberuf haben.Das Bundesverfassungsgericht verlangt bekanntlich in Abkehr von einer langjährigen Rechtsprechung, die standesrechtlichen Feststellungen, die bisher zur Konkretisierung der gesetzlichen Generalklausel über die beruflichen Pflichten herangezogen werden konnten, nach Ablauf einer Übergangszeit durch Rechtsnormen abzulösen. Herr Kollege Eylmann hat es bereits gesagt: Im europäischen Binnenmarkt muß sich die deutsche Rechtsanwaltschaft auf eine verstärkte Konkurrenz mit Anwälten aus den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften einstellen. Dabei geht es auch um die Frage, ob überkommenes Berufsrecht in diesem europäischen Kontext hinderlich oder förderlich ist.Meine Damen und Herren, in dieser Situation ist über die Ihnen heute vorliegende Novelle zum Berufsrecht zu entscheiden. Sie behandelt wichtige Teilaspekte, Frau Kollegin Nickels, der eingangs geschilderten Problematik. Ihre Behandlung kann nicht bis zu einer umfassenden Neuregelung des Berufsrechts aufgeschoben werden. So sieht es auch die Anwaltschaft, die sich nachdrücklich für diese Vorablösung eingesetzt hat.Wir wollen vor allem die internationale Tätigkeit deutscher Rechtsanwälte und deren Zusammenarbeit mit Anwälten aus anderen Staaten, vornehmlich den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, erleichtern. Wir schränken die Residenzpflicht und Kanzleipflicht bei der Begründung von Niederlassungen in anderen Staaten oder bei der vollständigen Verlegung der beruflichen Tätigkeit in andere Staaten ein. Damit werden deutsche Rechtsanwälte im internationalen Wettbewerb besser bestehen können.Ausländische Anwälte werden sich unter der beruflichen Bezeichnung ihres Heimatstaates zur Betätigung im ausländischen Recht in der Bundesrepublik Deutschland mit einer dem deutschen Rechtsanwalt weitgehend angenäherten beruflichen Stellung niederlassen können. Ich verspreche mir hiervon eine fruchtbare Zusammenarbeit mit deutschen Rechtsanwälten. Sie kann einer verstärkten Ausrichtung der deutschen Anwaltschaft auf die internationale Tätigkeit nur förderlich sein. Damit wird der weltweiten
Metadaten/Kopzeile:
12396 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Parl. Staatssekretär Dr. JahnAktivität der deutschen Wirtschaft auch Rechnung getragen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der umfassende Neubau des Berufsrechts der Rechtsanwaltschaft, der sich einschneidend auf die berufliche Betätigung und die wirtschaftliche Lage des einzelnen Anwalts auswirken wird, kann nicht ohne eine umfassende Beteiligung des Berufsstandes getroffen werden. Dem Berufsstand muß Gelegenheit bleiben, seine Vorstellungen zu entwickeln und diese in die Gesetzesvorbereitungen einzubringen.Frau Kollegin Nickels, Sie haben kritisiert, daß das Gesamtwerk noch nicht hinreichend vorbereitet sei. Die Vertreter aller anderen Fraktionen — Herr Kollege de With, Herr Kollege Gries — haben soeben gesagt, daß auch sie davon ausgingen, daß die beteiligten Rechtsanwälte bzw. die Anwaltschaft selbst sagen sollten, wie sie die Reform vorantreiben wollen. Gerade die GRÜNEN, die sonst immer für mehr Mitbeteiligung sind, gehen hier offensichtlich einen ganz anderen Weg und kritisieren, daß das Reformwerk noch nicht übergebracht ist. Ich sehe darin einen Widerspruch.Die hierfür eingesetzten Gremien der Anwaltschaft haben sich dieser Aufgabe bereits mit großem Nachdruck angenommen. Ich gehe davon aus, daß die eindrucksvollen Anstrengungen auch zu einem sachgerechten Abschluß gebracht werden können.Was wir schon heute für die Modernisierung des Berufsrechts tun können, sollten wir ohne Zögern in die Wege leiten. Ich bin davon überzeugt, daß der vorliegende Entwurf ein wichtiger Schritt ist, der uns voranbringen wird.Ich begrüße ausdrücklich, Herr Kollege de With, den Konsens, der über Parteigrenzen hinweg gefunden worden ist, und werte dies als ein gutes Omen für die beabsichtigte umfassende Reform der berufsrechtlichen Strukturen der Anwaltschaft.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte Drucksache 11/3253 in der Fassung der Beschlußempfehlung Drucksache 11/5264.
Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Zwei Enthaltungen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Zwei Enthaltungen. Damit ist
dieser Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Knabe, Brauer, Dr. Daniels , Frau Flinner, Frau Garbe und der Fraktion DIE GRÜNEN
Verbot von Fluor- Chlor-Kohlenwasserstoffen und anderen ozonschädigenden Substanzen
— Drucksache 11/4900 —
Überweisungsvorschlag des Ältestensrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller , Schäfer (Offenburg), Ganseforth, Dr. Hartenstein, Jung (Düsseldorf), Adler, Bachmaier, Dr. Böhme (Unna), Dr. von Bülow, Blunck, Conradi, Fischer (Homburg), Dr. Hauchler, Huonker, Ibrügger, Kastner, Kiehm, Kirschner, Dr. Klejdzinski, Kretkowski, Dr. Kübler, Leidinger, Lennartz, Menzel, Meyer, Müller (Pleisweiler), Müller (Schweinfurt), Oesinghaus, Purps, Reimann, Reuter, Schanz, Dr. Scheer, Schmidt (Nürnberg), Dr. Schöfberger, Schreiner, Schütz, Dr. Sperling, Stahl (Kempen), Stiegler, Vosen, Waltemathe, Weiermann, Dr. Wernitz, Weyel, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Schutz der Ozonschicht — Drucksache 11/5268 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Knabe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute nicht zum erstenmal über die Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe, aber wir reden heute ganz konkret über zwei Anträge, den der GRÜNEN — FCKW-Verbot — und den drei Monate später eingereichten Antrag — Schutz der Ozonschicht — der SPD.Diejenigen, die mit der Problematik nicht näher vertraut sind, werden sicherlich denken: O Gott, schon wieder FCKW. Das hatten wir doch schon zigmal. Ist das nicht längst abgehakt? Sie glauben, daß mit dem weitgehenden Verschwinden dieser Stoffe als Treibgas in den Spraydosen das Thema mehr oder minder vom Tisch ist. Ganz im Gegensatz dazu erhielten fast
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12397
Dr. Knabealle Abgeordneten Briefe aus ihrem Wahlkreis, mit der Forderung: Fort mit den FCKWs! Wann endlich verbietet der Bundestag diese gefährlichen Stoffe? Haben die das immer noch nicht verstanden?Die letzten Menschen haben recht. Unser Antrag belegt die Notwendigkeit eines Verbots.
Als vor mehr als zwei Jahren die GRÜNEN im Bundestag ihr Klimaschutzprogramm einbrachten und drei Monate später die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" ins Leben gerufen wurde, war der gesellschaftliche Bewußtseinsstand in Sachen Ozonabbau und Treibhauseffekt noch eher unterentwickelt. Viele Politiker, insbesondere aus den Reihen der Koalitionsfraktionen, haben das Thema damals für eine zu vernachlässigende Marginalie gehalten
und versucht, es herunterzuspielen. Unterfüttert wurde ihr Abwiegelungsverhalten durch unverantwortliche Scheinargumente der Industrie, die in der Kritik an FCKW nichts anderes zu sehen vermochte als ökologische Kassandrarufe ewig Gestriger.
— Herr Bohl, es wurden keine Sofortmaßnahmen beschlossen. Diese Verbindung von Ignoranz und Interessen führte zur Ablehnung des Antrags der GRÜNEN, der Sofortmaßnahmen gegen Ozonabbau und Treibhauseffekt vorsah, obwohl die Forderungen im Licht der neuen Erkenntnisse eher moderat formuliert waren.In den letzten zwei Jahren hat sich die Stimmung verändert. Das Theme Klimaschutz ist heute kein randständiges Thema mehr. Es wird viel darüber geredet. Bei einer Umfrage würde sicherlich das Gros der Befragten mit Begriffen wie Ozonloch, Treibhauseffekt oder FCKW etwas anzufangen wissen. Viele haben dazu beigetragen, daß der Klimaschutz von der Peripherie ins Zentrum der politischen Debatte gerückt worden ist. Kritische Wissenschaftler haben das Problem angesprochen. Nationale und internationale Umweltverbände haben es in die Öffentlichkeit gebracht. Die Verbraucherverbände haben praktische Wege aufgezeigt, und Teile der Medien haben den Bewußtseinswandel unterstützt.Einen wesentlichen Anteil hatte hierbei die Arbeit der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre". Die Kommission hat in qualifizierter Weise zur Erhellung des Themas beigetragen, hat Empfehlungen ausgearbeitet und durch die Verbreitung des Zwischenberichts die gesellschaftliche Debatte positiv beeinflußt.Die Empfehlung, eine Reduktion um 95 % in der Bundesrepublik bis 1995, in der EG bis 1997 und weltweit bis 1999 zu erreichen, war ein deutlicher Fortschritt gegenüber Montreal. Unsere Fraktion hat ihr deshalb am 9. März 1989 zugestimmt, auch wenn wir — wie ich gleich ausführen werde — weitergehendeVorstellungen hatten und haben. Die Einstimmigkeit in der Enquete-Kommission und im Bundestag hat das Gewicht der Empfehlung erhöht. Das wurde mir in vielen Gesprächen bestätigt.An dieser Stelle muß ich mir doch eine Randbemerkung erlauben. Wenn der Kommissionsvorsitzende diese Einstimmigkeit im Interesse des Klimaschutzes jetzt vollmundig als Erfolg der Koalitionsfraktionen verkauft — wie jüngst geschehen — , dann wird damit eine weitere Kooperation nicht sehr gefördert. Nein, Herr Schmidbauer, die Versuche, ausgerechnet CDU/ CSU und FDP, deren Bande mit der Chemieindustrie und der Energiewirtschaft allen bekannt sind, als Motoren der Klimaschutzdebatte hinzustellen, haben schon fast komische Züge.
Der gemeinsame Beschluß war ein Erfolg vernünftiger Politiker in allen Fraktionen und nicht Verdienst einer einzelnen Partei.
Doch zurück zur FCKW-Problematik. Seit der Empfehlung der Enquete-Kommission in dem Beschluß des Bundestages vom März 1989 stagniert die FCKW-Debatte. Offenbar hat im politischen Raum ein Denken Platz gegriffen, das so einer Art Abhakmentalität entspricht: Man hat einen Beschluß gefaßt; schön, das war es. — Wenn man das Thema jetzt neu aufrollt, so erscheint das als ein Profilierungsversuch auf Kosten der Kommission. Ganz so einfach ist es nicht; es gibt wahrlich genug Gründe, sich darum zu kümmern. Ich nenne nur die wesentlichsten.Die FCKW tragen nicht nur zur Zerstörung der Ozonschicht bei; denn wenn ein Molekül FCKW 10 000mal so stark Wärme zurückhält wie ein Molekül CO2, dann tragen die in der Bundesrepublik produzierten 110 000 t FCKW mehr zum Treibhauseffekt bei als die 320 Millionen t aus der Verbrennung von Braun- und Steinkohle oder als die 328 Millionen t aus der Verbrennung von Erdöl. Das sind ungeheure Zahlen. Das haben wir noch nicht genügend berücksichtigt.Es gibt keinen Zweifel mehr daran, daß wir die FCKW unverzüglich auf Null bringen müssen.
Die bundesdeutsche FCKW-Produktion ist trotz der intensiven Diskussion in Politik und Gesellschaft nicht zurückgegangen. Nein, die Politik der freiwilligen Vereinbarung ist gescheitert.
Deshalb kann man den Ankündigungen der chemischen Industrie wenig Glauben schenken. Sie hat die Produktion nur von den Sprays in den Export oder in andere Anwendungszwecke verlagert. Dem Klima und der Ozonschicht ist es aber völlig egal, wo das FCKW emittiert wird. Entscheidend ist, daß es in die Atmosphäre gelangt; dann wirkt es.Schließlich bleibt als Hauptgrund für die heutige Behandlung dieses Themas die Untätigkeit der Regie-
Metadaten/Kopzeile:
12398 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Dr. Knaberung. Bisher hat sich Umweltminister Töpfers Politik auf Drohgebärden gegenüber der chemischen Industrie beschränkt. Die jüngste stammt vom Montag. Der Minister lasse — so ist aus seinem Hause zu hören — eine FCKW-Verbotsverordnung im Rahmen des Chemiekaliengesetzes vorbereiten. Eine weitere Drohung ohne Gehalt? Sie sehen, wir müssen uns damit befassen.Es geht wirklich nicht darum, die Vorschläge der Enquete-Kommission herunterzureden oder den gemeinsamen Beschluß vom 9. März 1989 zu verwerfen. Als Grundorientierung hat beides nach wie vor Gültigkeit. Aber das möchte ich mit aller Klarheit sagen: Wenn der politische Wille vorhanden ist, können wir die Ziele schneller erreichen.
Wir sind jetzt im parlamentarischen Raum aufgefordert, weiterzugehen und der Lösung des Problems eine neue Dynamik zu verleihen.Es ist erfreulich: Unser Verbotsantrag hat Bewegung in die Debatte gebracht. In der vergangenen Woche legte die SPD einen Antrag vor, der zwar andere Schwerpunkte setzt, aber in vielem unsere Vorstellungen trifft. Am Montag kündigte Umweltminister Töpfer Verbote an. Am Dienstag verlautbarte die chemische Industrie, daß sie bis 1995 aus der FCKW-Produktion aussteigen wolle. Am Mittwoch erklärt der Kommissionsvorsitzende Schmidbauer, daß die Politik der freiwilligen Vereinbarung gescheitert sei und daß jetzt auch schärfere Maßnahmen her müßten. Uralte Forderungen der GRÜNEN, wie etwa das vollständige Verbot von FCKW-haltigem Verpackungsmaterial und Wegwerfgeschirr werden aufgegriffen. Das begrüßen wir nachdrücklich.Doch zu unserem Antrag: Grundgedanke dieses Antrages ist die Erkenntnis, daß ein sofortiger Ausstieg aus den FCKW geboten ist, da die Folgen für Klima, Menschen, Tiere, Pflanzen und ganze ÖkoSysteme nicht länger zu verantworten sind.
Im einzelnen sieht der Antrag ein Verbot von FCKW, Halonen und anderen die Ozonschicht schädigenden chlorierten Kohlenwasserstoffen vor. Dies betrifft die Produktion, die Verwendung, den Import und den Export der genannten Substanzen, aber auch der Produkte, die mit diesen hergestellt worden sind oder die diese enthalten.Nach Inkrafttreten des Antrags der GRÜNEN, würden unverzüglich 90 % — ich wiederhole: 90 % — der FCKW, der Halone und anderer ozonschädigender Stoffe in der Bundesrepublik verschwinden.Für eng definierte Anwendungsbereiche, etwa im medizinischen oder im Laborbereich, sind unter bestimmten Bedingungen zeitlich begrenzte Ausnahmegenehmigungen möglich. Diese Produktionsmengen sind zu beantragen, so daß das Dunkel in bezug auf die Quantitäten, in dem wir heute herumstochern, erhellt würde. Die Anwender haben einen Nachweis zu führen, daß auf FCKW nicht verzichtet werden kann, und sie müssen die Mengen nennen. Hierdurch wird quasi die Beweislast umgekehrt. Die Ausnahmegenehmigungen sind befristet und können bei neuem Erkenntnisstand angepaßt werden. Grundsätzlich gilt allerdings, daß diese Ausnahmegenehmigungen maximal bis 1991 oder 1992 zu beschränken sind.Wir müssen vermeiden, daß die FCKW durch andere Stoffe ersetzt werden, die ebenfalls schädliche Wirkungen entfalten, also etwa durch die teilhalogenierten FCKW. FCKW 22, das Hoechst so propagiert, ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Denn es trägt maßgeblich zum Treibhauseffekt mit bei.Für die übergangsweise zugelassenen FCKW-Anwendungsbereiche schlagen wir folgende Begleitmaßnahmen vor: technische Rückhaltung, Recycling, Kennzeichnungspflicht, Mengendeklarationspflicht und FCKW-Abgaben.Meine Damen und Herren, es ist jetzt an uns, Verantwortung für die sich verschärfenden globalen Probleme zu übernehmen, hier konkret für den Schutz der Ozonschicht.Als im Frühjahr dieses Jahres bekannt wurde, daß in Neuseeland und in Australien, den der Antarktis und damit dem Ozonloch am nächsten gelegenen Staaten, die Hautkrebsraten bedrohlich gestiegen sind, habe ich den Regierungen und Parlamenten beider Länder geschrieben. Aus den Antworten spricht große Sorge über die Auswirkungen des Ozonabbaus in der Zukunft.Wir sollten diese Sorgen ernst nehmen. Nur wenn wir auf nationaler Ebene eine konsequente AntiFCKW-Politik machen, werden wir unserer globalen Verantwortung gerecht. Das sollte aus der heutigen Debatte klar werden, und das sollte aus den Beschlüssen klar werden, die wir hier fordern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am 9. März 1989 haben die Fraktionen des Deutschen Bundestages einstimmig beschlossen, Produktion und Verbrauch von FCKW und Halonen drastisch zu reduzieren.Herr Kollege Knabe, ich habe nicht die Absicht, hier über Verdienste und weniger große Verdienste und andere Dinge in der Enquete-Kommission zu referieren; das sollten wir dort besprechen. Ich gehe davon aus, daß die Enquete-Kommission bei ihrer Gemeinsamkeit und bei ihrem gemeinsamen Handeln bleibt. Dazu hat der Vorsitzende, Herr Kollege Knabe, in der Vergangenheit sicher einen wesentlichen Beitrag geleistet. Davon lasse ich mich auch nicht durch Anträge, die der Tagespolitik dienen, abbringen.Meine Kolleginnen und Kollegen, im Vergleich zu allen anderen Produktionsländern fordert dieser Beschluß vom 9. März für die Bundesrepublik Deutschland den schnellsten und weitestgehenden Verzicht auf diese Stoffe. Wir wollen dies mit einer Doppelstrategie erreichen — dies war auch gemeinsamer Wille in diesem Parlament — : zuerst mit der Möglichkeit einer Selbstverpflichtung, und wenn diese nicht rechtzeitig erfolgt oder nicht eingehalten wird, sind gesetz-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12399
Schmidbauerliche Regelungen zur Erreichung dieses Ziels vorgesehen.
Angesichts des Gefährdungspotentials der FCKW, die nicht nur den Ozonabbau in der Stratosphäre verursachen, sondern auch zum Treibhauseffekt beitragen, ist die exakte Umsetzung dieses Beschlusses unabdingbar notwendig.Die Bedeutung einer sofortigen FCKW-Reduktion nicht nur für den Ozonabbau, sondern auch für den Treibhauseffekt wird durch folgende Überlegung deutlich. Herr Kollege Knabe, Sie haben etwas aufgegriffen, was ich neulich von dieser Stelle aus gesagt habe; ich will das erweitern, damit Sie die korrekten Zahlen in der Zukunft auch so verwenden können. Die in der Bundesrepublik Deutschland produzierten etwa 100 000 Tonnen FCKW tragen im Ergebnis ungefähr genausoviel zum weltweiten Treibhauseffekt bei wie die jährlich bei uns freigesetzten energiebedingten fast 800 Millionen Tonnen CO2, und das mag für viele überraschend sein. Das macht die Priorität deutlich, auf die Sie auch hingewiesen haben. Ich kann Ihnen die Rechnung nachher gern erläutern.Diese gewaltige Herausforderung verlangt eine gewaltige Anstrengung, gemeinsam und von allen Seiten. Es ist nicht damit getan, zu versuchen, pressewirksame Anträge zu stellen. Dazu zähle ich auch die beiden heute von den Oppositionsfraktionen im Zusammenhang mit dem Beschluß des Deutschen Bundestages eingebrachten Anträge, mit denen — aus welchen Gründen auch immer — der Eindruck erweckt wird, als könnten sie in der Sache weitergehende Ziele erreichen. Wir wollen dies sehr genau überprüfen. Überprüft man die Anträge genau, stellt man fest, daß sie im gewollten Ergebnis mit dem Bundestagsbeschluß deckungsgleich sind, d. h. in der Sache keine Veränderung bringen. Der Unterschied zwischen unseren Positionen und derjenigen der Oppositionsfraktionen besteht darin, daß wir dort, wo es notwendig ist, die Ziele des Bundestagsbeschlusses durch spezifische Verbotsregelungen erreichen wollen, die GRÜNEN demgegenüber ein grundsätzliches Verbot mit einer Vielzahl von Ausnahmeregelungen wollen. Im Ergebnis kann dadurch weder etwas grundlegend anderes noch etwas wesentlich Schnelleres erreicht werden.
Soll hiermit — so frage ich jetzt, Herr Kollege Knabe — die bisherige Gemeinsamkeit unseres Ringens um eine möglichst schnelle Reduzierung dieser umweltschädlichen Stoffe aufgekündigt werden,
oder sollten wir nicht unabhängig davon jetzt auch bei der Beratung die Dinge sehr konkret daraufhin abklopfen, ob wirklich etwas schnell erreicht werden kann?Die SPD fordert bestimmte Änderungen des Chemikaliengesetzes. Ich finde, dies geschieht zu Recht; darüber wollen wir uns unterhalten. Ich frage mich nur, ob es sinnvoll ist, Änderungsvorschläge in einem gesonderten Antrag im Plenum einzubringen, wenngleichzeitig die Gesetzesberatung im Ausschuß erfolgt. Ich finde, dort ist dann auch der richtige Ort fürÄnderungsanträge. Sie formulieren Anträge, und— Herr Kollege Knabe, Sie haben das eben zu Recht ausgeführt — wir arbeiten bereits an konkreten Verordnungsentwürfen.
— „Zu lange", ich komme darauf nachher zu sprechen.Ich will an dieser Stelle durchaus einmal sagen— ich habe das gestern auch vor der Presse erklärt —: Die Koalitionsfraktionen arbeiten sehr eng mit Umweltminister Töpfer auf diesem Gebiet zusammen. Ich bedanke mich hier ausdrücklich für den Einsatz. Herr Knabe, es ist nicht nur so, daß Sie Briefe schreiben, sondern es sind auch Kollegen aus anderen Fraktionen, Frau Kollegin Garbe, Herr Irmer, Herr Porzner und ich, vor kurzer Zeit bei dem neuen Premierminister Palmer gewesen und haben dieses Gespräch bei den Betroffenen in der südlichen Hemisphäre geführt. Es ist gut zu wissen, daß der Beschluß der Regierung von Neuseeland genau dem Beschluß des Deutschen Bundestages entspricht und genau dieselben Reduktionsquoten, dieselben Ziele festlegt.Wir streben Regelungen an, die die gesetzlichen Grundlagen zum Erlaß notwendiger Verordnungen zur FCKW-Reduktion schaffen oder verbessern. Die neuesten — das erfüllt mich und, wie ich weiß, auch andere Mitglieder der Enquete-Kommission mit Sorge — wissenschaftlichen Meßergebnisse aus den USA zeigen bereits heute eine noch alarmierendere Entwicklung in der Antarktis als bisher, was ich gestern noch einmal abgefragt habe.
Es zeichnet sich bereits jetzt ab, daß das diesjährige Ozonloch auf jeden Fall größer als im vergangenen Jahr ist und wahrscheinlich sogar noch über das bisher beobachtete Ozonminimum von 1987 hinausgeht. Das war von uns übrigens auch so angenommen. Ich erinnere nur daran, daß im letzten Jahr in der Presse stand, daß es wieder kleiner wird und die ganzen Dinge damit auch verharmlost wurden.
Ich will feststellen: Dies haben wir so erwartet, und dies muß auch die letzten wachrütteln, auch diejenigen, die noch mit einer möglichen Entwarnung gerechnet hatten.Diese weltweite Bedrohung betrifft uns alle und kann nur gemeinsam und global gelöst werden. Das publikumswirksame Werben mit neuen, im Ergebnis gleichen Anträgen kann uns in der Sache nicht voranbringen. Erforderlich ist, die im Beschluß vorgesehenen Regelungen schnellstmöglich auf den Weg zu bringen. Die Zielsetzungen müssen ohne Zeitverlust erreicht werden, denn die Industrie hat von der Möglichkeit der Selbstverpflichtung bisher keinen bzw. nicht genügend Gebrauch gemacht.Ich komme nun zu den einzelnen Vorschlägen. Was den Aerosolbereich betrifft, so konnte der Verbrauch
Metadaten/Kopzeile:
12400 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Schmidbauerinzwischen beachtlich reduziert werden. Während in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1976 noch 53 000 Tonnen FCKW verwendet wurden, lag der Verbrauch 1988 unter 5 000 Tonnen und wird 1989 voraussichtlich bei etwa 2 500 Tonnen liegen. Der Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. März 1989 legt für diesen Bereich fest, daß die jährliche FCKW-Einsatzmenge in Spraydosen ab dem 1. Januar 1990 1 000 Tonnen nicht überschreiten soll. Die Verwendung ist ausschließlich auf lebenserhaltende, medizinische Systeme zu beschränken.Die zur Sicherstellung dieser Zielsetzung geforderte Selbstverpflichtung der Industriegemeinschaft Aerosole ist bereits überfällig. Nach ihren Angaben werden angeblich ab 1990 noch mindestens 1 500 Tonnen FCKW benötigt. Dem stimmen wir nicht zu. Nach unseren Einschätzungen sind im Spraybereich noch weitere Minderungspotentiale vorhanden, die sofort zu nutzen sind. Bisher wurde noch kein Beweis dafür erbracht, daß die von uns festgelegte Höchstmenge von 1 000 Tonnen überschritten werden muß.Wir fordern deshalb, daß für jedes FCKW-Sprayprodukt der Verwendungs- und Notwendigkeitsnachweis erbracht wird, damit auch in medizinischen und technischen Anwendungsbereichen überprüft werden kann, ob der Einsatz der gefährlichen Substanzen tatsächlich lebensnotwendig bzw. unumgänglich ist.
Dies ist umgehend durch Gesetz oder Verordnung zu regeln. Ich sagte: umgehend. Ich kann hier aber keinen Dissens bei allen Anträgen feststellen.Ich bin sicher, daß bei strikter Anwendung dieser Nachweispflicht, und zwar sowohl für den Inlandsverbrauch als auch für den Export, die Zielvorgabe einer Verbrauchsmenge von weniger als 1 000 Tonnen pro Jahr ab 1990 noch deutlich unterschritten wird. Auch bezüglich des Exports müssen die nationalen Beschränkungen angewandt werden.Das Ziel muß sein, so schnell wie möglich Ersatzstoffe zu bekommen. Dabei gilt, daß beim Einsatz von FCKW-Ersatzstoffen besonders auf die Umweltverträglichkeit zu achten ist. So wird als FCKW-Ersatzstoff in Spraydosen fast ausschließlich das brennbare und ebenfalls ökotoxikologisch bedenkliche Kohlenwasserstoffgemisch Propan/Butan verwendet. Dies ist zwar eine Alternative, aber wir müssen hier auch sehr genau die Entwicklung betrachten.Eine umweltfreundliche Alternative stellt in einer Reihe von Anwendungsfällen beispielsweise die mit reiner Preßluft betriebene Druckgaspackung dar. Obwohl dieses Produkt keinerlei schädliches Treibmittel enthält, eine große Abfallentlastung bedeutet und auch keine Brand- und Explosionsgefahr zu befürchten ist, kann sich diese Technik bislang auf dem Markt nicht durchsetzen.Wir fordern deshalb eine Pflicht zur Kennzeichnung der entsprechenden Inhaltsstoffe. Sie gibt den Verbrauchern die Möglichkeit, sich umweltgerechter zu verhalten.Der zweite Bereich: Kälte- und Kühlmittel. Der Beschluß des Deutschen Bundestages sieht vor, daß biszum 1. April 1989 ein Entsorgungskonzept vorzulegen ist. Bisher wurde von der chemischen Industrie nur ein überarbeiteter Entwurf eines früheren Selbstverpflichtungsvorschlages zur Rücknahme, Aufarbeitung und Verwendung gebrauchter Kühlmittel vorgelegt. Eine bindende Selbstverpflichtung ist seit einem halben Jahr überfällig. Sie muß sofort auf den Tisch. Der Text scheint weitgehend abgestimmt zu sein. Sollte sich dies wider Erwarten nicht realisieren lassen, ist auch hier eine gesetzliche Regelung notwendig.Des weiteren halten wir eine Verpflichtungserklärung der entsprechenden Industrie und des Handels für notwendig. Sie muß zum Inhalt haben, daß spätestens ab 1992 nur noch Ersatzstoffe als Kühl- und Kältemittel eingesetzt werden, die auf lange Sicht als Ersatzstoffe dienen können. Ich weiß sehr wohl, was ich sage. Ich weiß auch, was ich über mich von der betreffenden Seite schon alles nachlesen durfte. Trotzdem bleibe ich dabei: Dies ist unser Ziel. Auch wenn das Umweltbundesamt und der Deutsche Kälte- und Klimatechnische Verein dies gegenwärtig anders sehen, betrachten wir die Einhaltung dieser Forderungen nach wie vor als realisierbar.Was wir brauchen, sind Zukunftsstrategien, die mit Intelligenz und Erfindungsgeist in der Lage sind, die notwendigen Technologien voranzubringen — nicht defensive Haltung, sondern fortschrittliches Bemühen — und z. B. auch den FCKW-freien Kühlschrank zu entwickeln. Die deutsche Kälte- und Klimatechnik kann sicher sein: Sie wird nicht zum Buhmann gemacht. Erstens ist die im Bereich Kälte und Klima eingesetzte FCKW-Menge nicht von zentraler Bedeutung, und zweitens scheint inzwischen auch hier bei den Verantwortlichen mehr Sachlichkeit und damit auch Dialogfähigkeit eingekehrt zu sein. Der Hinweis der DKV, für einen vernünftigen Kompromiß offen zu sein, dialogfähig zu sein, wird von uns ernst genommen. Dabei muß man dann aber auch entsprechende Publikationen der Vergangenheit von dieser Seite noch einmal aufarbeiten.Die Absicht, die teilhalogenierte Verbindung H-FCKW 22, die ebenfalls ozon- und klimaschädigend ist, als langfristige Alternative einzuführen, ist auf jeden Fall abzulehnen. Lediglich als eine zeitlich und mengenmäßig eng begrenzte Übergangslösung kann dieser Stoff toleriert werden. Im übrigen — darauf will ich hinweisen — wird F 22 bereits seit Jahrzehnten in der Kälteindustrie eingesetzt. Ich denke, es ist auch im Interesse dieser Industrie, daß Zukunftstechnologien auf den Weg gebracht werden und man sich nicht mit Übergangslösungen zufrieden gibt.
Die Erfahrung mit anderen Umweltproblemen hat gezeigt, daß sie um so schneller zu lösen sind, je klarer die politischen Vorgaben sind. Dies wird von der Industrie immer wieder angemahnt. Die Beschlußempfehlung vom 9. März 1988 spricht hier eine deutliche Sprache. Für Großanlagen steht in diesem Bereich der Ersatzstoff Ammoniak zur Verfügung. Darüber hinaus kann die Absorptionstechnik einen Großteil der Anforderungen erfüllen. Für Kleinanlagen wird voraussichtlich ab 1992 der ozonunschädliche Ersatzstoff
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12401
Schmidbauer134 a in handelsüblichen Mengen verfügbar sein. Wir wollen dies einmal abwarten.Im Bereich der Kunststoffverschäumung ist, so denke ich, mittlerweile klar, daß eine FCKW-Verbotsregelung unverzichtbar ist. Die gemäß dem Bundestagsbeschluß vorgesehene FCKW-Verringerung um 80 % ab dem Jahre 1992 wurde von der Industrie bisher nicht in Aussicht gestellt. Das Angebot des Industrieverbandes, Polyurethan-Hartschäume zur Verminderung des FCKW-Einsatzes in diesem Bereich zu reduzieren, ist nicht ausreichend, so daß Regelungen zur Erreichung der Zielvorgabe getroffen werden müssen. Bei der Herstellung von Weichschäumen kann und muß bereits heute vollständig auf FCKW verzichtet werden. Gleichzeitig ist der Import dieser Waren zu unterbinden.FCKW-haltiges Verpackungsmaterial und Wegwerfgeschirr wird in Kürze durch eine Verordnung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit verboten. Auch an dieser Stelle darf ich Ihnen, Herr Professor Töpfer, dafür danken. Dies wird unser gemeinsamer Weg sein, und wir lassen uns von niemandem davon abbringen.Darüber hinaus fordern wir, daß auch andere Verwendungsbereiche, in denen FCKW sinnlos eingesetzt werden, wie z. B. in den Fußballtröten, in eine Verbotsregelung einbezogen werden.Bei Reinigungs- und Lösemitteln ist der FCKW-Einsatz gemäß Bundestagsbeschluß ab dem 1. Januar 1992 auf unumgängliche Bereiche zu beschränken und bis Ende des Jahres 1995 um 95 % zu reduzieren. Eine diesbezügliche Verpflichtungserklärung ist bis zum 31. Dezember dieses Jahres vorzulegen. Da es sich bereits abzeichnet, daß wegen der großen Zahl der Anwender und mangels eines für die Gesamtbranche verantwortlichen Industrieverbandes eine Selbstverpflichtung bis dahin nicht vorliegen wird, ist auch hier angesichts der hohen FCKW-Verbrauchsmengen und der starken Expansion des Industriezweiges eine gesetzliche Regelung dringend notwendig. Wir haben hier in der Tat eine Verlagerung von einem Anwendungsbereich in einen anderen, und der Weg über Selbstverpflichtungen bereitet hier Schwierigkeiten. Auch auf diesem Gebiet wird die Koalition, wird der zuständige Bundesminister eine entsprechende gesetzliche Regelung vorbereiten.Die fast ausschließlich zur Feuerlöschung verwendeten Halone besitzen im Vergleich zu den FCKW ein deutlich höheres Ozonzerstörungspotential. Fortschritte zur Emissionsreduzierung wurden entsprechend den Forderungen des Bundestagsbeschlusses bereits in zwei Bereichen erreicht: durch den Verzicht auf die Halonverwendung bei Feuerlöschübungen im militärischen Bereich und durch die Regelung des Verbandes der Sachversicherer, Probeflutungen ohne Halone durchzuführen. Die drastisch zunehmende Anzahl der Halon-Feuerlöschanlagen und die stark gestiegene Jahresproduktion bei Halonen insgesamt — ich gehe in der Bundesrepublik Deutschland von mindestens 4 000 t aus — und deren Bedeutung im Hinblick auf das im Vergleich zu den FCKW höhere ODP, das Ozonzerstörungspotential, macht deutlich, daß hier weitergehende Maßnahmen notwendig sind.Wir fordern, eine Anmeldepflicht für Halon-Neuanlagen zu schaffen; nur in Ausnahmefällen eine Genehmigung zu erteilen; die exakten Produktions- und Verbrauchszahlen — wie bei den FCKW — offenzulegen sowie die vollständige Wiederverwertung der Halone zu gewährleisten.Ich will nicht auf die Öffentlichkeitsarbeit eines Konzerns eingehen, der Halone herstellt. Die Dinge scheinen inzwischen durch ein Gespräch mit Minister Töpfer ausgeräumt zu sein. Ich gehe davon aus, daß sich dieser Betrieb für seine sogenannte Öffentlichkeitsarbeit entschuldigt hat. Aber die Maßnahmen, die ich soeben als erforderlich vorgelesen habe, sind eine Reaktion von unserer Seite auf dieses Verhalten.Bei allen nationalen Maßnahmen ist es notwendig, daß unsere Entscheidungen im EG-Bereich harmonisiert werden. Wir wollen keine Wettbewerbsverzerrungen. Wir wollen nicht, daß unsere Reduktionsschritte durch Importe aufgehoben werden und dadurch das ökologische Ziel nicht erreicht wird.Für die EG sieht unser Beschluß eine 95%ige FCKW-Reduzierung bis zum Jahre 1997 vor. Die EG selbst hat bereits eine 85%ige Reduktion bis 1995 vorgesehen.Wichtig ist, jetzt ein Instrumentarium zur Durchsetzung und Überwachung dieser Zielvorgaben zu entwickeln. Es muß auch sichergestellt werden, daß weitergehende nationale Reduktionspläne nicht behindert werden, d. h., daß nationale Importverbote von FCKW-haltigen oder mit FCKW hergestellten Produkten möglich sind.Dies ist sicher effektiver als die in einem uns vorliegenden Antrag erhobene Forderung, eine Initiative einzubringen, um die Entschließung der EG-Umweltminister vom Juli 1989 über eine 85%ige Verringerung der im Montrealer Protokoll verfaßten FCKW und Halone für den 31. Dezember 1989 verbindlich festzulegen.Was den internationalen Bereich betrifft, so soll das Montrealer Protokoll — gemäß unserem Beschluß — mit dem Ziel einer 95%igen Reduzierung bis zum Jahre 2000 verschärft werden.Die erste Folgekonferenz zum Montrealer Protokoll im Mai diesen Jahres in Helsinki war ein wichtiger Fortschritt. Sie führte zu der gemeinsamen Erklärung zum Schutz der Ozonschicht. Man einigte sich darauf, baldmöglichst — aber nicht später als bis zum Jahr 2000 — auf Produktion und Verbrauch der FCKW zu verzichten. Darüber hinaus wurde eine Verkürzung des Reduktionszeitplans des Montrealer Protokolls für notwendig erachtet. — Herr Präsident, wenn ich die restlichen vier Minuten, die mir noch zustehen, auch noch in Anspruch nehmen darf.
Das geht dann auf Kosten der Gesamtredezeit; ist in Ordnung.Aber wenn Sie schon unterbrochen haben, darf ich darauf aufmerksam machen, daß auf der Mitteltribüne einige Herren sind, die ihren Hut aufhaben. Aber ei-
Metadaten/Kopzeile:
12402 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Vizepräsident Stücklengentlich ist es kein Hut; es ist ein Trachtenhut, der zum Trachtenanzug gehört.
— Halt, keine Ovationen da oben! Wenn Sie Ihren Trachtenhut heute ausnahmsweise einmal auf den Schoß legen würden, damit die hinter Ihnen sitzenden Besucher auch den Blick zum Redner haben, dann wäre die Hausordnung wieder völlig hergestellt. — Danke schön.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herzlichen Dank, Herr Präsident.
Besondere Berücksichtigung fand auf dieser Konferenz die Situation der Schwellen- und Entwicklungsländer. Sie sollen — auch dafür müssen wir sorgen — einen modernen Technologie-Transfer haben; dabei müssen wir sie unterstützen. Es muß auf jeden Fall unser Ziel sein, darauf hinzuwirken, daß diese Länder keine umweltzerstörenden Produkte zum Einsatz bringen; daß sie nicht die gleichen technischen Entwicklungsstufen wie wir durchlaufen, sondern daß sie nur umweltfreundliche Technologien übernehmen.
In Anbetracht der finanziellen Situation in der Dritten Welt ist es unumgänglich, daß sich der Beitrag der Industriestaaten in erster Linie auf die Entwicklung und Bereitstellung erforderlicher finanzieller Instrumente richtet. In welcher Form die technische und finanzielle Hilfe an die noch zu entwickelnden Länder geleistet werden kann und muß, ist noch genauer abzustimmen. Dies ist eine der Aufgaben für diese Folgekonferenz.
Die UNEP-Konferenz in Nairobi Anfang September 1989 über die Verschärfung des Montrealer Protokolls war ebenfalls ein, wie ich denke, wichtiges Glied in dieser Kette. Sie zeigte einerseits den Willen zum gemeinsamen Handeln, andererseits wurde sehr deutlich, daß die einzelnen Vertragsstaaten teilweise stark divergierende Vorschläge unterbreiten. Da konkrete Ausarbeitungen zur Protokolländerung im Dezember diesen Jahres vorliegen müssen, ist, finde ich, große Eile geboten.
Die im Frühjahr 1990 in London stattfindende Konferenz, welche die Verschärfung des Montrealer Protokolls beschließen wird, muß neben den geregelten Stoffen — und auch hier besteht wohl Einmütigkeit — auch andere, ebenfalls ozon- und klimawirksame Stoffe wie Tetrachlorkohlenstoff, Methylchloroform und teilhalogenierte FCKW mit einbeziehen.
Allen Staaten muß klar sein, daß die Zeit drängt
— ich hatte vorhin die neuen Meßergebnisse in Kürze dargestellt —, daß eilends eine globale Strategie der Verminderung vereinbart werden muß. Es muß auch klar sein, daß es keine Gewinner und Verlierer gibt, sondern nur Verlierer oder nur Gewinner, daß nationale Egoismen demnach keinen Platz mehr haben können, daß der Wunsch nach dem gemeinsamen Überleben all unser Denken und Handeln bestimmen muß, daß nur durch eine übergeordnete internationale Behörde, z. B. die Vereinten Nationen, die erforderlichen Maßnahmen vorgegeben, überwacht und durchgesetzt werden können. Dies allein kann der Weg zu einer Besserung der Situation sein.
Ich möchte mich zum Abschluß bei allen bedanken, besonders bei Ihnen, Herr Minister Töpfer, für die gerade in den letzten Wochen einvernehmlich getätigte Vorbereitung auf die Konsequenzen aus diesem Beschluß. Ich bedanke mich besonders bei den Mitgliedern der Enquete-Kommission.
— Es ist zuwenig; da haben Sie recht. Ich habe nicht mehr Redezeit; ich hätte ihm etwa zehnmal danken müssen. Wenn man einem politischen Freund dankt
— öffentlich dankt — , dann ist es bei uns um so wichtiger, dies auch von dieser Stelle zu tun. Auf nichts reagiert die Opposition sensibler, als wenn sie feststellt, daß in der Koalition Einigkeit, auch Gemeinsamkeit und Einvernehmen im politischen Handeln besteht. Wir, mein Freund Töpfer und die Koalition,
werden gemeinsam diesen Bereich gewaltig voranbringen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Ganseforth.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmidbauer kann so schön von der Einigkeit seiner Fraktion mit dem Minister sprechen, weil die Anwesenheit bei der CDU/ CSU hier nicht sehr groß ist. Im Alleingang kann man das sehr gut machen.Ich möchte — wie meine Vorredner — an die Debatte vom März anknüpfen. Am 9. März haben wir einstimmig einen Beschluß gefaßt. Dieser Beschluß war ein Kompromiß zur Reduktion der ozonzerstörenden Chemikalien.Aus unserer Sicht war dieser Beschluß die zweitbeste Lösung, weil er im ersten Schritt Vereinbarungen mit der Industrie vorsah, und nur dann, wenn diese Vereinbarungen nicht zum Erfolg führten, sollte es zu Verboten kommen.Wir haben in unserer Fraktion lange und intensiv darüber diskutiert und haben schließlich schweren Herzens zugestimmt. Denn unserer Meinung nach war die beste und einzig gangbare Lösung ein sofortiges Verbot der FCKWs und der Halone.Wir hatten damals einen Antrag eingebracht, der übrigens, Herr Knabe, von den GRÜNEN als zu weitgehend und zu radikal bezeichnet worden ist.
Aber wie gesagt: Wir waren der Meinung, daß dasEinvernehmen ein deutlicheres Signal gegenüber der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12403
Frau GanseforthIndustrie war und haben diesem Kompromiß zugestimmt.Jetzt, nach mehr als einem halben Jahr, müssen wir feststellen: Der Versuch, im Einvernehmen mit der Industrie zu den nötigen Reduktionsquoten zu kommen, hat keinen Erfolg gehabt. Es war ein untauglicher Versuch. Das hätte man gleich wissen können; denn schon im Vorfeld war deutlich, daß die Industrie nicht bereit war, nur einen Schritt freiwillig zurückzugehen.Es handelt sich dabei in der Bundesrepublik um die beiden Firmen Kali-Chemie und Hoechst. Sie leisten nach wie vor hinhaltenden Widerstand. Sie versuchen, die Tatsachen zu verschleiern und — wie auch vorher — uns mit Zahlentricks und Taschenspielertricks etwas vorzumachen.Mir ist die Haltung der Industriellen nicht mehr verständlich; denn auch diejenigen, die im Management der Industrie sitzen, sind für die Folgen ihres Handelns verantwortlich.
Wir haben bis heute beispielsweise keine belastbaren Produktionszahlen, Verbrauchszahlen, Import- und Exportzahlen über FCKWs vorliegen.Zum Beispiel im Geschäftsbericht der Kali-Chemie von 1988 heißt es:Die Fluorsparte verzeichnete gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung des konsolidierten Umsatzvolumens um 5,5 To ... Dabei gewannen auch 1988 die Auslandsmärkte für die Sparte weiterhin an Bedeutung, während das Inlandsgeschäft Sondereinflüssen unterlag.
Diese Sondereinflüsse sind wohl die Diskussion über die Gefährlichkeit der FCKWs und das Verhalten der Verbraucher, die zu diesen Spraydosen nicht mehr in dem Maße gegriffen haben wie in den vorherigen Jahren.
— Der Geschäftsbericht ist von 1988, also noch von vor dem Beschluß.Weiter heißt es in dem Geschäftsbericht zu den Halonen:Der Absatz des Feuerlösch- und Brandschutzmittels Halon konnte weiter gesteigert werden.
Das heißt im Klartext: Die Produktion von Halon wurde speziell bei Feuerlöschern ausgeweitet; Herr Schmidbauer hat darauf hingewiesen. Dabei ist das Ozonzerstörungspotential eines Halonatoms um den Faktor 3 bis 10 größer als das eines FCKW-Moleküls. Das hält den Hersteller nicht davon ab, an Feuerwehrleute Probelöscher mit Halon zu verschenken und große Anzeigenserien zu schalten. Wenn das beendet wird, ist das nur eine Selbstverständlichkeit. Es ist ein Skandal, daß dies trotz der Beschlüsse, die gefaßt worden sind, trotz der Diskussion und der wissenschaftlichen Tatsachen noch stattfinden konnte.
Ein zweites Beispiel neben dem Halon: In unserem einstimmigen Beschluß im März haben wir gesagt — dazu will ich ein Zitat bringen — :Dabei soll der FCKW-Einsatz bei den Polyurethan-Hartschäumen um mindestens 50 % verringert werden.Herr Töpfer hat uns jetzt von der Interpretation der Industrie berichtet: Wenn bei der Herstellung von Polyurethan-Hartschäumen 50 % weniger FCKW verwendet werden, heißt das nicht, daß nicht die Gesamtproduktion ausgeweitet werden kann. Dies beinhaltet unser Beschluß nicht. Das ist eine unglaubliche Ignoranz gegenüber dem, was wir akzeptiert haben.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Unruh?
Ja. Vizepräsident Stücklen: Bitte schön.
Frau Kollegin, können Sie mir sagen, warum nur drei von der CDU da sind?
Sie müßten die Frage an jemanden von der CDU richten. Aber ich denke, daß das auch etwas mit dem Interesse zu tun hat.
Ein weiteres Beispiel: Wir haben in unserem Beschluß die medizinischen, die lebenserhaltenden Systeme von dem Verbot ausgenommen. Es ist aber deutlich, daß immer mehr Anwendungen als medizinisch deklariert werden, um sie von dem Verbot auszunehmen.
Ein weiteres Beispiel: Der Verbrauch der FCKW-haltigen Produkte ist zwar zurückgegangen, die Produktion nimmt aber nicht im gleichen Maße ab. Weil die FCKW-Produktion exportorientiert ist, wird die Verbrauchsreduzierung durch Exportsteigerung teilweise ausgeglichen. Genaueres wissen wir nicht. Siehe, was ich am Anfang sagte: Wir haben noch immer keine vernünftigen, belastbaren Zahlen. So sieht also die Realität sechs Monate nach unserem eindeutigen Beschluß und nach unseren Aussagen aus. Dabei ist es unverantwortlich, jetzt weiter zuzuwarten.
Auch die Wissenschaftler haben an vielen Stellen gesagt, daß sie nun erwarten, daß die Politiker und Politikerinnen endlich handeln. Herr Töpfer, seit zwei Jahren reden wir über dieses Thema. Es wird immer in dramatischen Worten geschildert, die Konsequenzen sind klar. Ich finde es unglaublich, daß sich Herr Schmidbauer hier hinstellt und immer wieder von Forderungen spricht, die gestellt werden müssen, und die ganzen Forderungen auflistet, z. B. die Pflicht zur
Metadaten/Kopzeile:
12404 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Frau GanseforthKennzeichnung von FCKW-haltigen Produkten. Das ist so lächerlich! Das hat Herr Töpfer schon vor Jahren angesprochen. Wann kommt das denn?
Abgesehen davon, daß die Kennzeichnung wirklich nicht der richtige Schritt ist. Sie gehören verboten.
Aber selbst über diesen kleinen Schritt reden wir seit über zwei Jahren, ohne weiterzukommen. Herr Töpfer schildert das hier als eine Forderung, die aus dem Verhalten der Industrie hervorgeht.Seit 15 Jahren wissen wir, daß die Ozonzerstörung durch die FCKW erfolgt. Seit zwei Jahren reden wir hier dramatisch. Das, was wir gehört haben, gibt mir nicht die Hoffnung, daß wir die Zeit, die wir verloren haben, noch aufholen.Auch die Anhörungen haben ergeben — im Juni haben wir noch einmal eine Anhörung zum Ozonabbau gehabt — , daß auch über dem Nordpolarbereich ein Ozonabbau stattgefunden hat und daß der Polarwirbel durch die Chlorchemie stark gestört ist. Herr Schmidbauer hat gesagt: Wir in der Enquete-Kommission wissen ja schon lange, daß in diesem Jahr ein noch größeres Loch bzw. das größte Loch über der Antarktis zu erwarten ist. Worauf warten wir noch?
Frau Abgeordnete, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Knabe?
Ja. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Frau Kollegin Ganseforth, Sie haben vorhin zitiert, ich hätte erklärt, der Antrag der SPD sei zu radikal gewesen. Ist es nicht vielmehr so gewesen, daß wir gemeint haben, die SPD habe bei ihrem damaligen Antrag nicht bedacht, wie die Ersatzstoffproblematik zu lösen sei, sie habe nicht Vorsorge getroffen, daß nicht gefährlichere Stoffe kämen, und sie habe Halone und andere chlorierte Kohlenwasserstoffe nicht mit erwähnt?
Ich weiß nicht genau, was Sie sich dabei gedacht haben. Ich habe mich nur über dieses Zitat gewundert; denn wir haben sehr genau überlegt — —
— Ich habe es in Ihren Unterlagen gefunden. Welches Ihre Motive waren, weiß ich nicht. Aber ich denke, wir sollten jetzt sehen, daß wir bei diesem Thema gemeinsam weiterkommen.
Das Ozonloch über der Antarktis und das Ozonloch über der Arktis werden jedes Jahr größer. Worauf warten wir noch?
Herr Schmidbauer, es geht uns wirklich nicht um pressewirksame Aktionen. Das könnte man eher Ihnen und Ihrer Seite vorwerfen. Wir meinen, wir müßten das machen, wozu wir von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt sind, nämlich Schaden von ihnen
abwenden. Und das geht nicht mit Appellen, sondern da muß endlich ein Verbot kommen. Und wir wissen, wie schwierig das ist.
— Ja, das sagen Sie aber schon seit so langer Zeit.
Wir haben jetzt die Initiative ergriffen, nicht aus Pressegründen, sondern weil es überfällig ist. Und wir hätten es viel eher tun sollen. Verbieten wir endlich die Produktion und den Export von FCKW und Halonen!
Schönen Dank:
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Ganseforth, in unserem Antrag vom 9. März steht das alles drin, was Sie gesagt haben. Das ist auch unsere gemeinsame Politik gewesen. Ich habe überhaupt keinen Vorschlag gehört, der in der Wirkung weiterginge als das, was wir, die Koalition, Herr Töpfer, hier vertreten.
— Aber überhaupt nichts. Das werden wir im Ausschuß genau analysieren.Wir sind doch genauso wie Sie dafür, daß wir eine drastische Reduzierung fortführen. Und wir tun das doch auch. Ich weise also die Vorwürfe an die Koalition in diesem Punkte zurück. Sie haben keine Grundlage.Sie haben mit uns im März gesagt: Herr Töpfer wird beauftragt, die und die Schritte einzuleiten, und wenn es nicht läuft, gibt es Verbote. — Jetzt sehen wir, daß es in einigen Bereichen nicht läuft. Und jetzt gibt es die Verbote. Das war unsere gemeinsame Linie.Ich will hier nicht in Selbstzufriedenheit verfallen. Aber nennen Sie mir ein einziges Land der Welt, das in der Verbrauchsreduzierung weitergegangen ist als wir! Bitte, stehen Sie auf, nennen Sie mir ein einziges Land! — Das ist nicht der Fall.
— Ich will mich auf unserem Fortschritt nicht ausruhen. Aber es ist die Anstrengung aller Fraktionen des Bundestages am 9. März gewesen, hier einen Anstoß zu geben und die Regierung zu bestärken.Wir haben in der Verbrauchsreduzierung erhebliche Fortschritte erzielt. Das ist unbestreitbar.
Sie reichen nicht aus.
— Herr Präsident, ich werde gefragt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12405
Sie wollen eine Zwischenfrage zulassen? — Bitte sehr.
Herr Baum, könnten Sie uns bitte auch sagen, welches Land die größte Produktion von FCKW hat und an welcher Stelle die Bundesrepublik steht, ob wir nicht einen besonderen Grund haben, hier noch weiterzugehen?
Die Bundesrepublik ist sicherlich ein großer Produzent. Wie sind ein Produzent, der 10 % der Weltproduktion zu verantworten hat.
— Ich komme gleich auf die Produktion, Frau Kollegin. Ich habe über den Verbrauch gesprochen. Ich bin überhaupt nicht zufrieden in Sachen der Produktion. Das werde ich gleich ausführen.Der Abbau der Ozonschicht ist alarmierend und erfordert sofortiges Handeln, hat der Weltwirtschaftsgipfel im Juli 1989 gesagt. Wir begrüßen die Forderungen der Regierungschefs auf dem Weltwirtschaftsgipfel, den völligen Verzicht auf die Herstellung und die Verwendung von FCKW sobald wie möglich zu erreichen. Und wir teilen auch die Meinung des Umweltbundesamtes, daß schon heute ein weitgehender Verzicht möglich ist.Wir müssen jetzt diesen Beschluß vom 9. März, den ich bekräftige, weiter ausfüllen, und wir müssen ihn fortschreiben. Darüber werden wir miteinander im Ausschuß reden. Es besteht also trotz erheblicher Erfolge ein dringender Handlungsbedarf, dem wir uns stellen.Meine Zufriedenheit, meine Damen und Herren, bezieht sich nicht auf die Produktion von FCKW. Nach allem, was ich gehört habe, müssen wir davon ausgehen, daß der Rückgang des FCKW-Verbrauchs nicht von einem nur annähernd gleichen Rückgang der Produktion begleitet ist. Im Gegenteil: Ich muß vermuten, daß die Produktion relativ stabil geblieben ist. Das möchten wir nicht hinnehmen. Herr Professor Töpfer, hier muß gehandelt werden. Ich finde es auch für das Parlament nicht erträglich, daß wir — das ist kein Vorwurf an Sie, Herr Töpfer, die Produktionszahlen nicht wissen,
daß wir in einem so wichtigen Bereich im Nebel herumstochern. Wir möchten die Produktionszahlen wissen, wenn es sein muß, in einer vertraulichen Sitzung des Ausschusses.
— Ich weiß nicht, was es datenschutzrechtlich zu beachten gibt. — Ich möchte das wissen.Wir sind hier unzufrieden. Was die chemische Industrie angekündigt hat, die vollhalogenierten FCKW ab 1995 nicht mehr zu produzieren, ist ein Schritt auf dem richtigen Wege. Wir fragen uns, ob diese Beendigung nicht schon früher möglich ist. Wir müssen darauf bestehen, daß bis zum Endtermin nur noch das produziert wird, was durch Ersatzstoffe wirklich nichtersetzt werden kann. Wir weisen darauf hin, daß die Zusagen der chemischen Industrie nicht die teilhalogenierten FCKW und nicht die Halone betrifft. Auch hier müssen Regelungen getroffen werden.Im Aerosolbereich, im Verbrauch der Spraydosen, ist eine erhebliche Reduzierung erfolgt. Ich schließe mich dem an, was Herr Schmidbauer gesagt hat. Die Industriegemeinschaft Aerosol sollte verpflichtet werden, FCKW nur noch dann zu verwenden, wenn sie aus medizinischen Gründen durch nichts ersetzt werden können.Im Kälte- und Klimabereich ist die vom Bundestag geforderte Reduktion, Frau Kollegin, so wie wir sie gemeinsam gefordert haben, nicht erreichbar. Das habe ich einsehen müssen. Um so wichtiger sind die in Aussicht genommenen Entsorgungskonzepte. Sie sind überfällig. Wir erwarten eine Selbstverpflichtung zur Rücknahme, Aufarbeitung und Verwendung gebrauchter Kältemittel. Auch hier droht Rechtsverordnung, falls das nicht läuft. Die Entsorgung von Haushaltskältegeräten ist sicherzustellen. Der Einsatz von teilhalogenierten FCKW im Kälte- und Klimabereich kann nur kurzfristig eine Rolle spielen.Im Verschäumungsbereich kann und muß bei Weichschäumen vollständiger Verzicht verlangt werden. Es kann und muß auf FCKW-haltiges Verpakkungsmaterial und Kunststoffgeschirr sofort verzichtet werden. Das wird in die Wege geleitet.
Bei Hartschäumen zur Verdämmung ist Ersatz durch andere, umweltfreundlichere Dämmstoffe möglich.Im Reinigungs- und Lösungsmittelbereich — hier gibt es den höchsten Verbrauch— wird es gar nicht anders möglich sein, als durch Rechtsverordnungen, also mit gezielten Verboten zu arbeiten. Im sonstigen FCKW-Anwendungsbereich, z. B. Treibgasfanfaren, Rohrfrostern, ist die FCKW-Verwendung sofort verzichtbar und, falls durch Vereinbarung nicht erreichbar, durch Rechtsverordnung zu regeln.Wir begrüßen einige Fortschritte im Bereich der Halonenverwendung im militärischen Bereich und bei Probeflutungen durch die Versicherer. Ein weitgehender Halonersatz ist bei Neuanlagen durch Einsatz der früheren und heute noch üblichen ebenfalls sicheren alternativen Lösungsmittel möglich. Notwendig sind auch hier entsprechende Selbstverpflichtungen der Branche. Wenn sie nicht in Kürze herstellbar sind, Herr Töpfer, muß es mit Rechtsverordnung geregelt werden.Im übrigen darf ich einmal sagen: Wir hätten im Aerosolbereich eine solche drastische Reduzierung so schnell nicht erreicht, wenn wir mit Rechtsverordnung gearbeitet hätten. Es hätte länger gedauert: Notifizierung bei der EG usw. Hier war die Selbstverpflichtung wirklich hilfreich.Notwendig im Halonenbereich sind also die Selbstverpflichtungen, wenn nicht, auch Rechtsverordnungen. Im übrigen ist ein Entsorgungskonzept zur Rückgabe von Halonlöschgeräten notwendig.
Metadaten/Kopzeile:
12406 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
BaumIm internationalen Bereich unterstützen wir die Bemühungen der Bundesregierung im Rahmen der UNEP, jetzt zu einer Verbesserung der Vereinbarung von Montreal zu kommen. Hier gibt es einen heftigen Streit. Die Meinungen gehen sehr weit auseinander. Das Ziel ist, die Montrealer Vereinbarung zu verbessern. Dieses Ziel unterstützen wir. Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung hier eine sehr gute Verhandlungsposition hat. Weil sie darauf hinweisen kann, daß sie im eigenen Lande Erhebliches erreicht hat, kann sie nun auch von anderen etwas verlangen.
— Ich sage Ihnen noch einmal: Nennen Sie mir ein einziges Land, das besser ist. Nennen Sie mir eines.
Das muß man auch einmal feststellen. Wir machenalles, was notwendig ist. Sie, haben nichts gesagt— das will ich am Ende noch einmal sagen —,
Sie haben nichts genannt, was in der Wirkung besser ist als das, was wir in unserem Beschluß vom 9. März vorschlagen, den Sie noch mitgetragen haben.
Sie wollen den Eindruck erwecken, als sei es Ihnen mit dieser Sache ernster als uns.
Das stimmt nicht. Diesen Vorwurf weisen wir zurück.
Wir tun das, was nötig und möglich ist und lassen uns durch Sie in dieser wichtigen Frage überhaupt nicht überbieten.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Töpfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Am 9. März dieses Jahres, also vor fast exakt sieben Monaten, hat dieser Deutsche Bundestag einstimmig einen Beschluß zum Schutz der Ozonschicht gefaßt.
Dieser Beschluß ist außerordentlich detailliert. Er ist detailliert bezüglich der prozentualen Verminderungsraten. Er ist detailliert bezüglich der zeitlichen Vorgaben. Und er ist detailliert bezüglich der einzuschlagenden Verfahren. Dieser Beschluß ist in seinem Zeitrahmen und in seiner umfassenden Darstellung so herausfordernd, daß er weltweit eindeutig an der Spitze steht.Die Bundesregierung hat diesen Fahrplan für den Ausstieg aus den ozonschädigenden Stoffen FCKW voll akzeptiert und zur Grundlage ihres Handelns gemacht. Die Bundesregierung ist darüber hinaus bemüht, diesen Ausstiegsfahrplan nicht nur einzuhalten, sondern ihn, wo immer möglich, national und international zu beschleunigen.
— Nach sieben Monaten kann Bilanz vorgelegt werden, Frau Abgeordneten Ganseforth. Wir haben das nicht erst hier getan, sondern ich persönlich habe das im Umweltausschuß des Deutschen Bundestages in aller Breite getan und bin Ihnen zur Diskussion zur Verfügung gestanden.Wenn wir diese Bilanz jetzt ziehen, zeigt sich — ich gehe nach der Gliederung dieses Beschlusses vor — :Erstens. Verschärfung des Montrealer Protokolls weltweit: Gefordert wurde am 9. März dieses Jahres, von der Bundesregierung aus eine Verminderung zu erreichen, und zwar bis Ende 1992 um 20 %, bis Ende 1995 um 50 % und bis spätestens Ende 1999 um 95 %, also praktisch einen völligen Verzicht; außerdem eine Einbeziehung weiterer Stoffe in dieses Protokoll.Was wurde erreicht? In besonderer Weise auf Initiative und dank der Arbeit der Bundesregierung haben wir bei der Konferenz in Helsinki erreicht, daß international die Geschwindigkeit der Verwirklichung des Montrealer Protokolls verdoppelt wird, also ein 100%iger Ausstieg bis 1999. Erreicht wurde auch, daß die hier schon genannten Stoffe Tetrachlorkohlenstoff und Methylchloroform in dieses Protokoll einbezogen werden. Erreicht wurde auch, daß die Halone nicht mehr nur mit einem Freezing, einem Einfrieren, sondern möglichst im selben Zeitraum wie die anderen FCKW-Stoffe einbezogen werden. Daß wir dies, Herr Abgeordneter Müller, bei der offiziellen Folgekonferenz von Montreal im Frühjahr 1990 in London auch formal fixieren müssen, trifft zu.Ich nehme hier sehr genau das auf, was der Herr Abgeordnete Schmidbauer gesagt hat. Ich freue mich darüber, Herr Abgeordneter Schäfer, daß es hier tatsächlich noch freundschaftliche Zusammenarbeit innerhalb einer Fraktion und innerhalb der Bundesregierung gibt.
— Möglicherweise erstaunt Sie das insofern sehr, als Sie noch zu sehr die Diskussion in Ihrem Fraktionsvorstand mit Ihrem Parteifreund Lafontaine über das Programm „Fortschritt '90" im Kopf haben. Da mag es durchaus möglich sein, daß Sie sich darüber wundern, daß es bei uns noch völlig abgestimmte freundschaftliche Zusammenarbeit gibt.
— Nein, Ihre Vorstandssitzung hat uns da ja Interessantes geliefert.Zurück zu dem Thema. Wir werden das — ich greife auf, was der Abgeordnete Schmidbauer gesagt hat —international nur dann durchsetzen — auch das habe ich im Ausschuß deutlich gesagt — , wenn wir dazu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12407
Bundesminister Dr. TöpferMechanismen des Technologietransfers und der Finanzierung mitliefern. Deswegen ist auf Initiative wiederum dieser Bundesregierung eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die bis zu dem Treffen in London diesen Finanzierungsmechanismus vorlegen soll. Hierzu, Herr Abgeordneter Knabe, frage ich zurück: Haben wir abgehakt, oder haben wir gearbeitet?Ich komme zum zweiten Teilbereich: Für die EG haben Sie uns vor sieben Monaten folgenden Fahrplan vorgegeben, den wir durchsetzen sollten: Verminderung bis Ende 1992 um 50 %; bis Ende 1995 um 75 %, bis Ende 1997 um 95 %. Das haben Sie uns vor sieben Monaten in die Verhandlungen nach Brüssel mitgegeben. Die Bundesregierung hat von sich aus einen Antrag gestellt.Und was ist erreicht worden? Es wurde erreicht, daß wir bis Ende 1991/92 eine Minderung um 50 % bekommen, daß wir eine Verminderung um 85 %, also um 10 % mehr, als hier vor sieben Monaten gefordert wurde, erreichen und daß wir ein Phasing out, also eine Beendigung, bis spätestens 1999 bekommen, wahrscheinlich früher.Haben wir nicht gearbeitet, Herr Abgeordneter Knabe? — Wir haben dies in sieben Monaten in Europa so durchgesetzt.Ich muß hinzufügen, daß ich der Kommission der Europäischen Gemeinschaften dankbar dafür bin, daß sie das nicht nur beschlossen hat, sondern auch alles daransetzt, unserem Vorbild folgend in Verhandlungen mit der Industrie dies auch durchzusetzen. Sie arbeitet sehr intensiv. Fragen Sie bitte bei Herrn Brinkhorst, bei Herrn Ripa di Meana und anderen nach. Dann werden Sie feststellen, daß das nicht nur eine Zahl ist, sondern daß man sich bemüht, entsprechend unserem Verfahren vorzugehen.Nunmehr komme ich zum nationalen Fahrplan, meine Damen und Herren. Der nationale Fahrplan, der uns vor sieben Monaten gesetzt wurde, ist noch enger, und zwar zu Recht. Sie haben gesagt: Holt dieses in der EG heraus, aber macht es bei euch selbst noch schneller. Sie haben uns ebenfalls gesagt, wie wir es tun sollen.Sie haben gesagt: zunächst freiwillige Vereinbarungen. Sie haben nicht deshalb von freiwilligen Vereinbarungen gesprochen, weil Sie glauben, wir könnten blauäugig alles erwarten, sondern Sie kannten auch die Tatsache, daß eine freiwillige Vereinbarung keine Problematik im Hinblick auf das Europarecht beinhaltet. Deswegen beschreiten wir auch diesen Weg.Eine Verbotsregelung, die ich heute vornehme, muß ich in Europa notifizieren. Allein der dafür erforderliche Zeitbedarf ist größer, als wenn wir in den von Ihnen vorgegebenen Zeiträumen eine freiwillige Vereinbarung erreicht hätten. Nicht wegen eines schwachen Rückgrats gegenüber der Industrie, sondern in Kenntnis der europarechtlichen Möglichkeiten haben wir diesen Weg als richtig empfunden. Wir empfinden diesen Weg immer dann als richtig, wenn die Fristen eingehalten werden können. Dies war die Vorgabe.Genau das haben wir getan. Darüber habe ich Sie im Umweltausschuß in aller Breite unterrichtet. Wir haben gesagt: Im Bereich der Aerosole ist die freiwillige Vereinbarung gegenwärtig nur in der Größenordnung von 1 500 bis 1 700 Tonnen zu bekommen. Sie erwarten von uns 1 000 Tonnen. Diese Grenze haben wir weit überschritten. Deswegen haben wir festgehalten: Dieses ist nicht zu erreichen, also werden wir durch eine entsprechende Verordnung nach § 17 des Chemikaliengesetzes sicherstellen, daß diejenigen, die FCKW hier weiter einsetzen wollen, uns bzw. dem Bundesgesundheitsamt oder dem Umweltbundesamt belegen müssen, ob diese Form der Darreichung lebensnotwendig und lebensrettend ist. Dann kann es genehmigt werden, andernfalls nicht.Dies ist keine Änderung des Fahrplans, sondern der Vollzug dessen, was Sie hier beschlossen haben. Das deckt sich in vollem Umfang mit dem, was Sie uns jetzt, nur andersherum formuliert, Herr Abgeordneter Knabe, anbieten.Ich möchte ganz ganz deutlich sagen, daß es natürlich auch für uns wichtig ist zu klären: Wie sind die Produktionszahlen? Ergänzend kann ich Ihnen nur sagen, daß wir während unserer Präsidentschaft die Umsetzung des Montrealer Protokolls in europäisches Recht durchgesetzt haben. Art. 11 der entsprechenden EG-Verordnung regelt die Datenübermittlung. Wir haben für das erste Halbjahr 1989 die offiziellen Produktionsdaten der beiden deutschen Firmen bekommen. Sie liegen mir vor, und zwar seit dem 30. August dieses Jahres. Sie liegen mir detailliert nach einzelnen Stoffen und einzelnen Absatzbereichen in der Welt vor.In Art. 11 Abs. 4 der EG-Verordnung steht: Die Kommission trifft geeignete Maßnahmen, um die Vertraulichkeit der übermittelten Daten zu gewährleisten. Daran sind wir gebunden. Ich habe Ihnen ebenfalls im Umweltausschuß bereits zugesagt, daß wir rechtlich prüfen, wie wir auch Ihnen diese Zahlen zugänglich machen können.Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß wir nichts zurückhalten wollen. Die Zahlen liegen jetzt vor, aber ich kann nicht an einer europäischen Verordnung vorbei sagen: um den Schutz der Vertraulichkeit kümmere ich mich nicht. Ich glaube, wir haben gemeinsam das Anliegen, das Recht hier zu wahren.Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren: In anderen Bereichen wurden die freiwilligen Vereinbarungen ebenfalls nicht in vollem Umfang erreicht. Ich füge hinzu: Das, was wir von der Industrie auf diesem Gebiet angeboten bekommen haben, geht allerdings deutlich über das hinaus, was von der Industrie europaweit angeboten wird. Hier wird also nicht gemauert. Die beiden in Frage kommenden Firmen haben gesagt: Wir beenden die Produktion bis 1995. Ich wäre dankbar, wenn wir ein solches Angebot von allen Produzenten in der Europäischen Gemeinschaft hätten.Daß wir damit nicht zufrieden sind, daß wir weitergehen wollen, nehme ich gerne auf. Nur, wir sollten nicht eine Frontstellung einnehmen, die Sie ganz sicherlich auch bei Ihrem Fraktionsmitglied Rappe nicht durchsetzen könnten; als würde dort unverant-
Metadaten/Kopzeile:
12408 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Bundesminister Dr. Töpferwortlich in der chemischen Industrie gehandelt, gegen jede Überlegung, die sinnvoll ist.
Lassen Sie uns diese Argumentation doch bitte wirklich wegnehmen! Ich bin der festen Überzeugung, daß auch und gerade sehr verantwortliche Persönlichkeiten bei Arbeitnehmern und bei Arbeitgebern sehr genau sehen, was auf diesem Gebiet notwendig ist.Die freiwilligen Vereinbarungen werden bei uns deswegen wohl nicht in dem erforderlichen Umfang funktionieren können, weil wir die Importe damit nicht in den Griff bekommen. Das ist der Knackpunkt — nicht die deutsche Industrie. Der Knackpunkt ist vielmehr der, daß ich über eine freiwillige Vereinbarung die Importe nicht hinreichend in den Griff bekomme.
— Die Exporte sind weg, wenn nichts mehr produziert wird, Frau Abgeordnete Garbe; das ist doch wohl sehr eindeutig. Und wenn wir die Importe nicht in den Griff bekommen, dann haben wir nicht der Umwelt gedient, sondern der Produktionsverlagerung.Deswegen, meine Damen und Herren, muß eine verantwortlich handelnde Regierung das mit auf greifen. Ich darf Ihnen sehr herzlich danken für die Unterstützung, die wir bekommen haben, und ich wäre auch in der Tat sehr, sehr daran interessiert, daß wir wieder auf die Gemeinsamkeit, voll und ganz bis in die Argumentationskette, zurückkommen, in der wir am 9. März dieses Jahres, vor sieben Monaten, hier gewesen sind, in der wir, ich glaube in allen Fraktionen, nach guten Überlegungen und sehr bewußt diesem damaligen Entschließungsantrag zugestimmt haben.Recht herzlichen Dank!
Herr Abgeordneter Müller, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich die Ausgangssituation beschreiben. Die Ausgangssituation ist die, daß seit 1974, damals zum ersten Mal von den amerikanischen Professoren Molina und Rowland, die Vermutung geäußert wurde, daß durch bestimmte Emissionen die Ozonschicht geschädigt werde. Damals waren auch hochfliegende, also stratosphärische Flüge im Gerede.
1975 wurde zum ersten Mal auch von dem amerikanischen Wissenschaftler Ramanathan darauf hingewiesen, daß Chlorprodukte auch einen Beitrag zur Erwärmung der Erde leisten. Um also die Ausgangsbedingung nur klarzustellen — : Die Diskussion ist 13, 14 Jahre alt. 1974 und 1975 waren die beiden Ausgangsdaten für Klimaschädlichkeit durch Chlorprodukte.
1977 fand die erste internationale Konferenz zum Schutz der Ozonschicht, speziell zur Einschränkung der Spraydosen in Washington statt.
1978 hat die damalige sozialliberale Regierung, hier im Bundestag wie bei der Europäischen Gemeinschaft, begonnen, über bestimmte Verpflichtungsmaßnahmen zu einer Reduzierung der Spraydosen zu kommen.
Nach anderen Studien, die im Jahre 1982 veröffentlicht wurden, hat die Aerosolindustrie nach ersten Reduzierungen wieder aufgedreht und eine öffentliche Kampagne gestartet, es sei einfach eine Umwelthysterie mit der Ozonschicht. Die Produktion — auch im Aerosolbereich — wurde gesteigert. Zwischendurch ging sie übrigens in den anderen Anwendungsbereichen des FCKW sowieso stetig nach vorn.
Der große Schock kam 1985 mit den Messungen in der Antarktis, der Halley-Bay-Station, wo sozusagen von heute auf morgen ein ganzes luftchemisches System zusammengebrochen war.
1986 begann dann die breite internationale Debatte über die Reduzierung der FCKW.
1986 hat die SPD allen Fraktionen Gespräche angeboten, um zu Sofortmaßnahmen zum Schutz der Ozonschicht zu kommen. 1987 haben wir im Bundestag einen Antrag eingebracht, und zwar zum Thema der Verbote. Er hat damals im übrigen — nicht nur bei den Koalitionsfraktionen — keine Mehrheit gefunden. Es ist leider richtig, was die Kollegin Ganseforth zitiert hat. In der Klimaschutz-Broschüre der GRÜNEN aus diesem Jahre steht:
Der ... Einwand gegen den SPD-Antrag ist seine verbale Radikalität, mit der Verbote in praktisch allen FCKW-Anwendungsbereichen gefordert werden. So geht es nicht ... Leider müssen wir jedoch konstatieren, daß ein Verbot in diesen Bereichen
— damit meinen Sie Kältetechnik und Schaumstoffe —
ein Wunschdenken ist.
Und jetzt, im Klimaschutzprogramm 1989, Wilhelm Knabe, an derselben Stelle, ist das weg; statt dessen steht dort:
Was sagen die Altparteien: Die Forderungen der SPD zum Klimaschutz berühren sich in verschiedenen Bereichen mit den Vorschlägen der GRÜNEN.
— Jetzt kommt es — :
Auch die SPD ist in der Zwischenzeit für drastische FCKW-Reduzierungen.
Also, Wilhelm, so geht es wirklich nicht.
Wir sollten in dieser Frage fair bleiben. Wir sollten hier keine fragwürdigen Scheingefechte austragen. Vielmehr sollten wir politisch alles tun, um zu einer wirklichen Reduzierung und Beendigung von FCKW zu gelangen und so der Gefährdung der Ozonschicht entgegenzuwirken.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Knabe?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12409
Nur wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. — Wilhelm, lassen wir es doch einmal so stehen.
— Ja, das könnt ihr tun. Ich kann es euch auch zuschicken.1989 erging im Bundestag der einstimmige Beschluß. Dies war sicherlich ein großer Fortschritt. Ich möchte betonen, daß das, was da geleistet wurde, ein Fortschritt für dieses Parlament war. Das ist gar keine Frage.Aber ich muß auch darauf hinweisen, daß die SPD schon damals erhebliche Vorbehalte gegen die vorgesehenen Instrumente geäußert hat. Von unserer Seite wurde deutlich gesagt, daß eine gesetzliche Grundlage für uns der wichtigste Schritt ist. Es ist ein Kompromiß gefunden worden, der gesetzliche Maßnahmen mit Selbstverpflichtungen koppelt. Das war die Grundlage, auf der wir damals zugestimmt haben: Einerseits Selbstverpflichtungsabkommen, aber gleichzeitig sollen Rechtsempfehlungen vorbereitet werden, die im Falle der Nichteinhaltung ein halbes Jahr später Anwendung finden sollten.Wir sind nach wie vor der Meinung, daß der Beschluß vom 9. März in der Frage der gesetzlichen Grundlage und auch hinsichtlich der Zahlenweitergabe unzureichend ist. Herr Töpfer, wenn es darum geht, auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft einmal einen Konflikt zu wagen: Ein Verbot von FCKW wäre für die Bundesrepublik Anlaß gewesen, einen derartigen Konflikt zu riskieren.
Es tut mir leid, aber das sehe ich anders als Sie. Das wäre wahrscheinlich ein Konfliktanlaß gewesen, und zwar auch deshalb: Wir stellen 25 % der Produktion in der Europäischen Gemeinschaft. Unser Anteil an der Weltproduktion beträgt 10 %, in der EG 25 %. Wenn es überhaupt einen Anlaß für einen Konflikt in der Europäischen Gemeinschaft gegeben hätte, dann wäre es hier gewesen. Ich kann Ihre Position nicht verstehen. Ich an Ihrer Stelle hätte in dieser Frage einen Konflikt gewagt.Was hat sich geändert? Der Grund dafür, warum wir zu Recht über eine Verschärfung des rechtlichen Instrumentariums nachdenken, sind die Recherchen hinsichtlich der realen Produktionszahlen. Ich nenne das Ergebnis meiner Recherchen: Wir hatten 1986 eine Produktion von etwa 112 000 t für die acht Montreal-Stoffe, die drei Halone und fünf FCKW. 1987 hatte die Produktion etwa denselben Umfang. 1988 lagen wir meiner Einschätzung nach immer noch bei fast 110 000 t. Auch in diesem Jahr ist die reale Produktion nur relativ geringfügig zurückgegangen. Wenn ich es richtig sehe, haben wir gleichzeitig — Ausgangsbasis ist wieder das Jahr 1986 — etwa 50 000 t exportiert. 1987 lagen wir bei etwa 60 000 t. Diese Zahl ist in der Zwischenzeit meiner Einschätzung nach auf über 70 000 t angestiegen. Dem steht gleichzeitig noch ein Import gegenüber.Auf Grund dieser Zahlen ergibt sich ein trauriges Bild: Die Anwendung von FCKW ist in Teilbereichen zwar rückläufig, aber der Export von FCKW hat dieReduktion unterlaufen. Es ist der Ozonschicht aber letztlich völlig egal, ob die FCKW bei uns oder in der DDR oder in Österreich — oder wohin auch immer sie exportiert worden sind — freigesetzt werden. Deshalb können wir uns mit dem bisherigen Beschluß nicht mehr zufriedengeben. Wir müssen zu weiterreichenden Regelungen kommen.
Dazu gehört beispielsweise auch die Veröffentlichung der Zahlen, die hinsichtlich der Halone verbreitet worden sind. Die Kali-Chemie sagt die ganze Zeit, es sei von 2 000 t auszugehen. Nach Recherchen geht sie einigen Aussagen zufolge jetzt auf 4 000 t. Es gibt sogar ernst zu nehmende Hinweise, daß es 9 000 t sind. Die Kollegin Ganseforth hat schon darauf hingewiesen, daß das ein besonders problematischer Stoff ist. Lesen Sie einmal den Geschäftsbericht 1988 von Kali. Wenn es dort heißt, daß die Umsatzsteigerung bei den Halonen — insbesondere bei Halon 1211, was ein besonders problematischer Stoff ist — im wesentlichen dem Mengenwachstum dieses Stoffes entspreche, dann ist das ein industriepolitischer Skandal, den niemand — ganz egal, wo er politisch steht — hinnehmen kann. Das ist ein Skandal!
Insofern müssen wir in Richtung der Industrie deutlich sagen: Sie hatte nach Sandoz, nach den alltäglichen chemiepolitischen Skandalen die Chance, am Beispiel FCKW zu beweisen, daß sie lernfähig ist. Sie hat diese Chance vertan.
Die Industrie hat eine große Chance vertan, um wieder Akzeptanz herzustellen. Sie braucht sich nicht zu wundern, wenn man ihre Politik überaus mißtrauisch beobachtet.Meine Damen und Herren, aber ich muß auch das sagen: Manche öffentliche Aussage der Bundesregierung hat wahrlich nur zur Klarheit beigetragen. Ich nenne beispielsweise die großartigen Erfolgsmeldungen im Hinblick auf die Reduzierung von Spraydosen. Sie haben den Blick dafür verstellt, daß die Produktion und die Anwendung in vielen anderen Bereichen kaum zurückgegangen ist. Wir haben leider viele Diskussionen und Veranstaltungen erlebt, bei denen die Bürger gesagt haben: Gott sei Dank, jetzt stellen wir weniger Sprühdosen her. Damit ist das Problem doch gelöst. — Dies war eine Form von Desinformation der Öffentlichkeit,
u. a. durch einseitige Erfolgsmeldungen, ohne tatsächlich zu reduzieren, und natürlich auch deshalb, weil die Zahlen nicht auf dem Tisch liegen.
Das kann nicht hingenommen werden.
Vorletzte Bemerkung: Warum sind wir für eindeutige Verbote, und zwar für sofortige Verbote mit Ausnahmevorbehalten in den Bereichen, wo heute nachweislich kein Ersatzstoff vorhanden ist — und das sind ganz wenige Bereiche?
Metadaten/Kopzeile:
12410 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Müller
Wir sind vor allem deshalb für Verbote, weil das Bild der Ozonzerstörung heute erst durch die Emissionen von bis vor 15 Jahren geprägt wird. Im Augenblick haben wir etwa noch 18 bis 20 Millionen t, die in der Aufstiegsphase unterwegs sind, die erst in den nächsten Jahren ihre ozonschädigende Wirkung entfalten werden. Es wird nach heutiger Berechnung selbst bei einem Sofortverbot, 150 Jahre dauern, bis die Ozonschicht saniert ist. Auf diese Herausforderungen kann man nicht mehr mit den traditionellen Mitteln der Politik reagieren, sondern man muß anders — nämlich konsequenter — handeln. Man muß notfalls sehr viel stärkere Konflikte riskieren. Es wird gar nicht anders gehen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung, weil ich eine Reihe von neueren Studien über die Wirkung der Ozonausdünnung auf den Menschen und vor allem auf die Körperabwehr, das Immunsystem gelesen habe.
— Ja, auch Tiere, aber ich spreche jetzt nur diesen Bereich an. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß wir alarmierende Zahlen über die Verschlechterung des Immunsystems des Menschen haben; Zunahme der Allergien u. a. Dies ist vor allem auf die hohen chemischen Belastungen zurückzuführen. Wenn jetzt gleichzeitig noch verstärkte UV-B-Strahlungen hinzukommen, wenn das Immunsystem sowohl durch Umweltchemikalien als auch durch den Einfluß der Ausdünnung der Ozonschicht geschädigt wird, dann sehe ich dramatische Entwicklungen auf uns zukommen.Meine Damen und Herren, wir haben deshalb heute eine gewaltige Verantwortung. Darüber müssen wir uns alle im klaren sein. Deshalb brauchen wir ein Sofortverbot, auch wenn dies mit Konflikten verbunden ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Baum.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe noch etwas Redezeit.
— Sie stöhnen, weil Sie wissen, was jetzt kommt. Herr Kollege Müller, ich möchte noch einmal festhalten, daß Sie von Ihrer Seite — wenn Sie anderen vorwerfen, sie würden das Bild nicht richtig darstellen — doch zunächst einmal anerkennen müssen, daß unser gemeinsames Bemühen Erhebliches bewirkt hat.
— Gut. dann könnten Sie sich ja auch einmal dazu durchringen, das Tun der Bundesregierung anzuerkennen. Die Bundesregierung hat sich international für unsere Position geschlagen.
— Warum sollen wir denn hier nach diesem FreundFeind-Verhältnis vorgehen?
Die Wahrheit ist, daß die Bundesregierung gemäß unserem Beschluß international für unsere Vorstellungen — und das sogar mit einigem Erfolg — gekämpft hat. Das ist die erste Feststellung.
Herr Kollege Müller, die zweite Feststellung ist diese. Ich habe Ihren Antrag hier. Ich habe ihn noch einmal gelesen. Ich kann keinen Punkt entdecken, der über das, was wir gemeinsam wollen und gewollt haben, hinausgeht. Sie reden jetzt vom Sofortverbot. Wir haben am 9. März gesagt, daß dort, wo wir keine Selbstverpflichtung erreichen, Verbote ausgesprochen werden müssen, wobei sich all die Probleme stellen, die Herr Töpfer hier aufgezeigt hat. Wo gehen unsere Meinungen hier denn um Himmels willen auseinander? Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, Sie seien besser, effizienter und problembewußter als wir, aber das stimmt einfach nicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Baum?
Ja.
Bitte, Herr Müller.
Herr Kollege Baum, ich gehe auf das erste jetzt nicht ein. Das können wir bei anderer Gelegenheit weiter diskutieren.
Sehen Sie nicht den wirklich entscheidenden Punkt in unserem Antrag, wenn wir sagen: Wir wollen die Bewertungsstellen sofort in die Lage versetzen, Verbote auszusprechen — und zwar Sofortverbote —, so daß jede weitere Anwendung unter dem Erlaubnisvorbehalt steht? Sehen Sie darin nicht einen qualitativen Unterschied zu dem, was wir bisher gemacht haben? Wenn Sie das nicht sehen, dann haben Sie das doch wohl noch nicht richtig verstanden.
Ich sehe das nicht so. Herr Töpfer hat doch z. B. zu dem einen Punkt — Aerosole — genau das gesagt, was Sie fordern. Wir werden die Rechtsverordnung jetzt bekommen. Darin wird stehen, wie das geregelt wird.Der Kernpunkt ist, daß unser Bemühen, in einigen Bereichen durch Vereinbarungen zurechtzukommen, nicht zum Erfolg führt und wir jetzt die gemeinsam ins Auge gefaßten staatlichen Maßnahmen treffen müssen. Das ist keine Änderung der Politik. Das entspricht der bisherigen gemeinsamen Politik. Deshalb bringt Ihr Antrag überhaupt nichts Neues.Wir wollen allerdings — und dabei rechnen wir auf Ihre Mitwirkung — den alten Antrag auf Grund der Ergebnisse, die wir bisher erzielt haben, fortschreiben. Daß ich hier einen Streit sehe, das kann ich nicht sagen. Sie bauen künstlich etwas auf, was es nicht gibt. Hier gibt es keine Rechtfertigung für eine Kritik an der Koalition.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12411
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kübler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst auf Herrn Baum eingehen. Ihr Engagement zeigt, daß offensichtlich von der SPD doch der Kern getroffen worden ist. Zwar sind die Dinge bis zum März dieses Jahres gemeinsam betrieben worden, und es ist ein gemeinsames Ergebnis erzielt worden — das muß ja nicht unbedingt ein Lob für die Bundesregierung sein; vielleicht haben ja die SPD und die GRÜNEN mehr gezogen, während die CDU/CSU ein bißchen mehr geschoben worden ist —, aber es ist doch wohl ganz unbestritten, daß sich in der Zwischenzeit verschiedenes geändert hat. Deshalb streiten wir jetzt darüber, ob wir nicht noch etwas konsequenter sein müssen. Ich sage das sehr zurückhaltend.
Herr Baum, wenn es so einfach wäre, wie Sie es dargestellt haben, daß wir nämlich nichts anderes beantragten als das, was Sie auch wollten, könnten Sie
— verzeihen Sie, wenn ich das so sage — den Anträgen zustimmen.
: Sie können den alten Antrag
bekräftigen! Darin steht es!)
— Von Ihnen ist auf jeden Fall kein Antrag gestellt worden. Vom Verfahren her müßten Sie daher jetzt korrekterweise unserem Antrag zustimmen.
Ich will versuchen, zu verdeutlichen, daß es erkennbare Unterschiede zwischen dem Beschluß vom März 1989 und unserem Antrag gibt. Herr Schmidbauer, wenn ich heute in die „FAZ" und die „Frankfurter Rundschau" schaue — in beiden sind Sie zitiert worden —, dann lese ich, daß Sie ohne Wenn und Aber gesetzliche Verbote fordern. Sie heben also nicht mehr auf die Möglichkeiten der Selbstverpflichtung ab, sondern sagen ausdrücklich: Diese waren bis jetzt unzureichend.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe das Gefühl, daß Sie heute morgen noch weniger konsequent formuliert haben. Mag sein, daß ich mich täusche. Aber ich glaube nicht, daß ich es tue.Ich komme auf einen Zwischensatz von Ihnen zurück, Herr Schmidbauer, in dem Sie Ihrer Erwartung und Hoffnung Ausdruck gegeben haben, daß die Folge Ihrer Androhung — sie ist sicherlich eindeutig — in der Tat eine entsprechende Selbstverpflichtung der Industrie sein werde und Sie dann um eine gesetzliche Verbotsregelung herumkämen. Hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen Ihnen und uns. Wir sind in der Tat der Auffassung, daß die Chancen zur Selbstverpflichtung nicht genutzt worden sind. Wir sollten uns nicht erneut darauf einlassen, daß die Chance zur Selbstverpflichtung genutzt wird. Ich sage allerdings ganz allgemein sehr deutlich: Auch das Instrument der Selbstverpflichtung muß ein mögliches Mittel in der Zukunft bleiben.Ich darf die Gelegenheit wahrnehmen, zwei oder drei grundsätzliche Bemerkungen deshalb zu machen, weil dieser Ozonkiller und der Treibhauseffektetwas sind, was wohl noch gravierender, noch problematischer ist als die Gefahren der Kernenergie, Atomwaffen oder andere Sachen. Die chemische Industrie hätte hier — das ist das Bedenkliche gerade an diesem Beispiel — aus staatspolitischer Verantwortung in einer ganz anderen Weise mitmachen müssen.Es gilt ja wohl in allen Parteien — egal, wie Sie es nennen; ich habe mir noch einmal das von der CDU auf ihrem Bremer Parteitag verabschiedete Umweltprogramm angeschaut, in dem schon fast von ökologischer Erneuerung die Rede ist, also mit den Begriffen der SPD argumentiert wird — das Prinzip der ökologischen Erneuerung der Wirtschaft. Ich habe allerdings immer noch den Eindruck — ich wäre dankbar, wenn das in einer solchen Debatte zum Ausdruck käme, auch von seiten der Regierung —, daß die grundsätzliche Akzeptanz dieser ökologischen Erneuerung durch die chemische Industrie nicht gegeben ist, daß die chemische Industrie nach wie vor nicht bereit ist, bei der Durchsetzung dieser ökologischen Erneuerung mitzumachen. Deshalb muß die Politik angesichts dieser Konfliktsituation in bezug auf FCKW ganz eindeutig den Vorrang haben. Ordnungsrechtliche Maßnahmen müssen hier jetzt Platz greifen.Ich bin nicht der Auffassung, daß die Industrie an sich nicht innovationsfähig wäre. Ich frage auch einmal in aller Öffentlichkeit, um zum Nachdenken anzustoßen, warum die Industrie hier nicht viel schneller schaltet. Es können doch letztlich nicht nur wirtschaftliche Gründe dafür ausschlaggebend sein, weil ja neue Produkte Investitionen verlangen, Arbeitsplätze schaffen und dabei natürlich auch wieder Gewinne herauskommen.Wir haben immer noch — das ist ein typisches Beispiel — einen grundsätzlichen Streit über die Akzeptanzsituation. Solange die Industrie ihrerseits die ökologische Erneuerung der Wirtschaft nicht akzeptiert, wird natürlich auch in der Bürgerschaft ein relativ geringes Maß an Akzeptanz gegenüber der chemischen Industrie vorhanden sein.Das Beispiel der FCKW ist auch ein gutes Beispiel für eine andere grundsätzlichere Frage, nämlich für die Technologiefolgenabschätzung. Ich fordere die chemische Industrie an dieser Stelle auf — ich habe ja vorhin gesagt, auch in Zukunft müßten nicht nur ordnungsrechtliche Maßnahmen, sondern auch Selbstverpflichtungsmaßnahmen eine Rolle spielen — , in ihrem Bereich die Technologiefolgenabschätzung, also die Abschätzung von Folgen neuer Produkte — das ist ja nun ein mächtiger und ein finanzstarker Bereich und in meinen Augen auch ein innovationsfähiger Bereich — viel stärker als bisher zu beobachten.Ich komme auf die FCKW zurück. Wir verlangen ein Verbot. Ich hoffe, Herr Schmidbauer, wir stehen dabei tatsächlich in Übereinstimmung. Wenn ich Ihre Pressemitteilungen lese, habe ich den Eindruck, daß dies der Fall ist. Ich frage Sie allerdings, ob Sie ausreichende gesetzliche Grundlagen z. B. auch für ein Sofortverbot sehen, worin Sie sie sehen und wann die
Metadaten/Kopzeile:
12412 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Dr. Küblervon Ihnen heute morgen angekündigten Rechtsverordnungen kommen werden.
— Ein Sofortverbot ist sicherlich politisch noch wirksamer, als wenn wir — diese Botschaft soll man auch übermitteln — allein von gesetzlichen Verboten sprechen würden.Ich bitte Sie noch einmal, dem Antrag der SPD auch aus Ihrer grundsätzlichen Haltung heraus zuzustimmen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat Bundesminister Dr. Töpfer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, nur ganz wenige Bemerkungen zu dem zu machen, was der Abgeordnete Müller gesagt hat.
Erstes Stichwort: Konflikt. In dem Antrag, den Sie, Herr Abgeordneter Müller, vor sieben Monaten hier mitgetragen haben, steht, daß wir eine rechtliche Regelung finden sollen, die EG-konform ist. Darum bemühen wir uns. Gehen Sie bitte davon aus, daß eine Verbotsverordnung, die wir anstreben, von vielen in der EG nicht als EG-konform angesehen werden wird, daß wir jedoch äußerst intensiv daran arbeiten werden und daß das erhebliche Konflikte begründen wird.
Zum zweiten Punkt, zur Frage der Fehlinformation. Faktum ist: 1986 gab es in der deutschen Produktion von Spraydosen noch 26 000 t Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Faktum ist — Herr Schmidbauer hat darauf hingewiesen — , daß wir in diesem Jahr bei etwa 2 000 t liegen und daß das Angebot der Aerosolindustrie bei unter 2 000 t liegt. Dies ist keine Fehlinformation; dies ist ein Faktum. Wir haben nie gesagt, daß das zu einer endgültigen Beseitigung der Probleme führt, sondern wir haben gesagt: Dies ist der erste und deswegen bedeutendste Teilbereich, weil bei den Spraydosen FCKW unmittelbar in die Umwelt austreten. Wir haben mit Ihrer Zustimmung gesagt: Dort, wo das FCKW in geschlossenen Systemen eingesetzt wird, ist es eine andere Sache. Aber auch in diesem Bereich sollten wir — bis hin zu Recyclingsystemen — etwas tun. Das hat also nichts mit Fehlinformation zu tun, sondern es ist in aller Offenheit und in aller Deutlichkeit so gesagt worden. Ich unterstreiche es noch einmal.
Dritter Punkt: Risiken, auch bis hin zur Kennzeichnung. Frau Abgeordnete Ganseforth, wenn Sie sich darüber unterrichtet hätten, wüßten Sie, daß diesem Hohen Hause die Novelle zum Chemikaliengesetz vorliegt, in dem gerade die Kennzeichnungsmöglichkeit — auch die Positivkennzeichnung — vorgesehen ist. Faktum ist, daß wir darauf warten, daß diese Novelle hier verabschiedet wird und wir diese Kennzeichnung auch vornehmen können. Dies ist nicht Ankündigung, das liegt diesem Hohen Hause vor.
Ich sage abschließend dazu: Die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, sind noch gar nicht voll abzusehen. Was machen Sie denn, Herr Abgeordneter Müller, gegen den Import von Weichschäumen, bei denen Sie nicht wissen können, ob sie mit FCKW oder mit anderen Stoffen geschäumt worden sind? Diese Dinge gehen doch bis in die Diskussion hinein, wie wir das europarechtlich umsetzen können.
Zusammengefaßt noch einmal: Wir sind der festen Überzeugung, daß wir hier auch in der Europäischen Gemeinschaft bis an die Grenze der rechtlichen Möglichkeiten gehen und daß wir dies auch in der Vergangenheit getan haben, daß wir dem Konflikt nicht ausgewichen sind, sondern den Konflikt geradezu herbeigeführt haben.
Ein Letztes. Herr Abgeordneter Kübler, ich finde die feinen Unterschiede zwischen Sofortverbot und rechtlicher Grundlage für ein Verbot sehr bemerkenswert. Ich weiß nicht, wie Sie ein Sofortverbot ohne eine rechtliche Grundlage vornehmen wollen. Aber gehen Sie ganz klar davon aus — ich habe das eben gesagt; ich wiederhole es, damit Sie es wissen — : Wir legen eine Verordnung auf der Grundlage des § 17 des Chemikaliengesetzes vor, in der wir entsprechend den uns gegebenen Vorgaben dieses Hohen Hauses ein normatives Verwendungsverbot für diese Stoffe vorsehen. Dies ist der Weg, den wir rechtlich abzusichern versuchen werden, auch auf der Grundlage des § 14 des Abfallgesetzes, weil wir wissen, daß von beiden Seiten her gesehen — Verwendung und Abfallbeseitigung — Schwierigkeiten auftauchen könnten. Die Hauptschwierigkeit, um es noch einmal deutlich zu machen, sehen wir in der europarechtlichen Absicherung, und wir wären sehr dankbar und sehr froh, wenn Sie alles das nutzen könnten, was Sie möglicherweise auch in Europa beeinflussen können, um uns in dieser Richtung zu unterstützen und uns zu folgen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will auf einige der Punkte noch kurz eingehen. Weltweit haben wir in der Tat eine FCKW-Produktion von 1 Million t, in der Bundesrepublik etwas über 100 000 t bei einem Verbrauch von etwa 60 000 t. Wir reduzieren den Verbrauch auch im Aerosolbereich, Herr Kübler, und bringen in diesem Anwendungsbereich nur noch 1 % zum Einsatz, und zwar mit diesen vernünftigen Mitteln, die bis zur Anmeldepflicht gehen, um nur noch lebensrettende Systeme zuzulassen. Im Blick auf alle anderen Bereiche habe ich das gesagt, was Sie auch aus der Pressemeldung hier zitiert haben, nämlich daß wir über eine Zeitachse Spielraum haben; wenn diese Zeitachse nicht ausgenutzt wird — Beschluß vom 9. März — , werden wir entsprechend den Mechanismen des Beschlusses vom 9. März handeln. Das tun wir.Ich will auch den globalen Bereich und die Konflikte in der EG ansprechen, Herr Kollege Müller. Es gibt, wenn man Konflikte mit der EG sucht, sicher keinen besseren Bereich als diesen, um die Nagelprobe zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12413
Schmidbauermachen, wozu wir im Weichschaumbereich und in anderen Anwendungsbereichen bereit sind. Wir sagen: Wir können hier mit Selbstverpflichtungen auf Grund der großen Anzahl der Anwender keinen Erfolg haben; wir müssen eine gesetzliche Regelung treffen.Jetzt kommt das Problem, das wir auch bei anderen Stoffen haben und hatten — ich denke an PCP; viele von uns haben damit Erfahrungen gemacht — : Es wird nicht notifiziert, wir setzen uns in der EG nicht durch. Ein Produzent innerhalb der EG nutzt die Marktnische und importiert den bei uns verbotenen Stoff in die Bundesrepublik Deutschland.
Das Problem ist, daß die Selbstverpflichter natürlich sagen: Wir wären ja bereit, Null im Weichschaumbereich einzusetzen. Aber wie sorgt ihr eigentlich dafür, daß unsere Konkurrenten, die Produzenten von Weichschäumen, dann nicht mit Importen aus allen Bereichen, nicht nur aus der EG, den Markt wieder auffüllen? — Hier in diesem Bereich machen wir die Nagelprobe. Hier werden wir durch eine Verordnung, durch ein Verbot auch mit der EG die Nagelprobe machen.Ich bin allerdings nicht sicher, wie sie ausgeht. Ich gehe davon aus, daß die Europäische Gemeinschaft mit uns gemeinsam handelt. Wenn Sie mit den Verantwortlichen in Frankreich, in Großbritannien — ich komme jetzt gerade aus solchen Besprechungen — reden, dann hören Sie, daß ähnliche Positionen bezogen werden, daß diese Länder ebenfalls sensibilisiert sind, daß überall die verantwortlichen Staatschefs, die Minister sagen: Wir ziehen mit.Im übrigen wird der Beschluß vom 9. März zitiert. Auch darin kommt zum Ausdruck, daß es gut ist, daß wir gemeinsam vorgehen.Ich will der Opposition dies sagen: Haben Sie keine Angst vor Gemeinsamkeiten in diesem Punkt. Ich habe das Gefühl, Sie haben solche Ängste. Deshalb wird unter Umständen versucht, politisch in eine andere Richtung zu gehen.Lesen Sie bitte das nach, was ich heute morgen Stück für Stück im Blick auf alle Anwendungsbereiche sehr präzise gesagt habe. Ich bin sehr froh, wenn diese Gemeinsamkeit weiter besteht.Es lohnt sich auch, über den einen oder anderen Punkt Ihrer Anträge nachzudenken. Ich habe gerade gegen die Perspektive im europäischen Bereich überhaupt nichts. Den Punkt, die Klimarelevanz und stratosphärische Ozonabbaurelevanz in das Chemikaliengesetz einzubeziehen, haben wir durch den Begriff „umweltverträglich" eigentlich abgedeckt. Ich hätte das gern in dieser Richtung präzisiert. Auch darüber lohnt es sich nachzudenken.Das sind konkrete Ansätze, wie wir Kriterien im Bereich der Chemie — des Verwendens, des Einsetzens chemischer Substanzen — auf den Tisch bringen. Wir freuen uns auf die Diskussion.Herzlichen Dank im übrigen auch für diese faire Diskussion.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Das ist vielleicht ganz hilfreich für das Parlament.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Streit geht vor allem um zwei Punkte: Erstens. Verfolgen wir eine anwendungsorientierte oder eine produktionsorientierte Reduzierungsstrategie?
— In erster Linie verfolgen Sie eine anwendungsorientierte, kaum eine produktionsorientierte Reduzierungsstrategie. Sonst könnten sich diese Zahlen, wie wir sie haben, nicht ergeben.
— Entschuldigung, diese Zahlen sind seit langem in der Diskussion. Wenn sie für Sie neu sind, dann finde ich das problematisch.Der zweite Streitpunkt besteht in der Frage: Selbstverpflichtung als richtiger Weg oder nicht? Auch das ist ein alter Streit, den wir führen müssen. Wenn Sie beispielsweise, Herr Töpfer, sagen — was wir begrüßen — : Wir gehen nach § 17 Abs. 1 des Chemiekaliengesetzes vor, dann muß man natürlich sehen, daß wir das vor zwei Jahren hätten tun können und müssen. Ich weiß nicht, ob der Weg geht; aber das werden wir ja sehen. Wir haben aber faktisch dadurch, daß nach Ihrer Strategie vorgegangen wurde, die wir immer kritisiert haben — ich möchte das noch einmal sagen: in erster Linie nicht die Zielsetzung, sondern die Strategie —, zwei Jahre verloren. An dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei. Das ist auch der entscheidende Punkt unserer Kritik heute. Wir müssen nämlich nach zwei Jahren feststellen, daß es in diesem lebenswichtigen Bereich „Schutz der Ozonschicht" kein Primat der Politik gibt.
Das ist eigentlich auch der Skandal bei dieser ganzen Geschichte: Wir sind politisch weitgehend einer Meinung, bislang aber nicht in der Lage — jedenfalls mit Ihren Methoden nicht — , die gewünschten Erfolge zu erzielen.Die Kritik daran ist, daß das Primat der Politik in einer lebenswichtigen Frage nicht vorhanden ist. Das ist der entscheidende Punkt, den wir hier zu kritisieren haben. Viele Leute, die über die Zerstörung der Ozonschicht und die Erhöhung der Erdtemperatur besorgt sind, sagen uns: Wir glauben dir, daß du handeln willst, aber sieh dir einmal an, was dabei herauskommt! — Wenn wir so weitermachen, können wir ihnen nicht erklären, warum wir als Politiker nicht in der Lage sind, bestimmte Ziele durchzusetzen.
Insofern müssen wir alle ein Interesse daran haben, indieser entscheidenden Frage das Primat der Politik
Metadaten/Kopzeile:
12414 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Müller
wiederherzustellen und dafür auch Konflikte zu riskieren.
— Entschuldigung, es ist ganz eindeutig. Ich lese die Zahl, daß wir immer noch bei rund 110 000 t sind.
— Auch im letzten Jahr — also nach dem Beschluß von Montreal — gab es die Zahl schon.Herr Baum, wir wollen doch hier keine schiefen Argumentationen benutzen. Im letzten Jahr war in Montreal schon die Reduzierungsquote bekannt, und schon im letzten Jahr waren die Mengen bei der Industrie noch stabil.
Die Industrie geht mit den Mengen aus einem ganz einfachen Grund nicht nach unten — weil es nämlich ein höchst lukratives Geschäft ist — , wenn man sie nicht wirklich nachdrücklich dazu verpflichtet. Insofern kommt es auf das Primat der Politik an. Lassen Sie uns bitte gemeinsam darauf verständigen, daß wir dieses Primat wiederherstellen. Das ist im Interesse der ganzen Politik und nicht nur einzelner Fraktionen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Anträge auf den Drucksachen 11/4900 und 11/5268 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Erhebt sich Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung des Mietpreisanstieges und zum Schutz vor überhöhten Mieten
— Drucksache 11/4554 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Kein Widerspruch. Auch das ist beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Trenz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle in Vertretung der wohnungspolitischen Sprecherin meiner Fraktion, Jutta Oesterle-Schwerin, heute den Gesetzentwurf der GRÜNEN zur Änderung des Miethöhegesetzes vor. Meine Kollegin ist leider verhindert.Als Mitglied im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung bin ich ständig mit einer Bundesregierung konfrontiert, die Sozialleistungen kürzt und immer mehr Menschen an den Rand der Gesellschaft drängt. Am Ende der Kette v h gekürzten Sozialleistungen steht oftmals der Verlust der Wohnung, drohen Obdachlosigkeit und Wohnungsnot. Damit sind wir bereits mitten im Thema.Die Wahlerfolge der Republikaner bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen zeigten existentielle Bedrohung, und hierzu gehört ganz zentral die Angst, die Wohnung nicht mehr bezahlen zu können und dann auf der Straße zu liegen. Diese berechtigte Existenzangst trägt mit dazu bei, den Boden für Rechtsextreme, für Menschenverachtung und Fremdenhaß zu bereiten. Auch die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung ist dafür verantwortlich und führt dazu, daß Menschen auf rechtsextreme Orientierungen zurückgreifen.Meine Damen und Herren, wie kommt es, daß wir heute wieder von Wohnungsnot in der Bundesrepublik reden müssen, und dies in einem der reichsten Länder der Erde? Hat die Bundesregierung eine fehlerhafte Politik betrieben, wie manche sagen? Wir GRÜNEN sagen: Nein, dies ist keine fehlgeleitete Politik. Vielmehr betreibt die Bundesregierung die systematische Verknappung und die systematische Vernichtung von preiswertem Wohnraum. Das Ziel sind steigende Mieten und steigende Gewinne der Haus- und Grundbesitzer. Je mehr preiswerte Wohnungen vernichtet werden, desto schärfer wird die Konkurrenz zwischen den Wohnungssuchenden. Welche Auswirkungen es haben wird, wenn die derzeitige Masseneinwanderung so weitergeht, ist noch völlig unübersehbar. Nur eines ist sicher: Die Mieten werden deshalb nicht fallen. Die Mieten werden immer unbezahlbarer.Es ist schlimm genug, daß soziale Mietwohnungen, die mit enorm hohen öffentlichen Subventionen finanziert wurden, nur ca. 30 Jahre sozial gebunden sind. Die außerplanmäßigen Ausstiegsmöglichkeiten aber sind ein Skandal und haben dazu geführt, daß der Ablauf der Bindungen dramatisch beschleunigt wurde. In den letzten sechs Jahren sind bereits eine Million Sozialwohnungen verlorengegangen. Geht es im gleichen Tempo weiter, fallen bis 1995 weitere zwei Millionen Wohnungen aus der Bindung. Von ursprünglich etwa vier Millionen sind dann nur noch knapp eine Million Sozialwohnungen übrig.Wir haben immer den Grundsatz vertreten: einmal öffentlich gefördert, dauerhaft sozial gebunden. Nur so wird verhindert, daß der Mangel an preiswerten Wohnungen die Mieten immer mehr in die Höhe schnellen läßt.Meine Damen und Herren, die Mieten werden aber auch durch die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen — das ist der zweite Strang einer wohnungsvernichtenden Politik — in die Höhe gedrückt. Jedes Jahr gehen auf diese Art und Weise ca. 100 000 zumeist preiswerte Altbauwohnungen für immer der Wohnungsversorgung für Bezieher unterer Einkommen verloren. Deshalb haben wir immer wieder verlangt, die steuerliche Einkommensförderung ersatzlos zu streichen, denn sie hilft nicht den Wohnungssuchenden mit geringem Einkommen. Steuerliche Eigentumsförderung hilft nur den obersten Ein-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12415
Frau Trenzkommensklassen, und dies lassen Sie sich jährlich 8,5 Milliarden DM kosten, auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.Ich wiederhole: Die Bundesregierung betreibt die systematische Vernichtung von preiswerten Wohnungen. Da immer mehr Menschen eine preiswerte Wohnung suchen, sind sie den Mietforderungen der Hausbesitzer schutzlos ausgeliefert. Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir dieser Politik entgegenwirken. Die Mietrechtsänderungen von 1983 müssen zurückgenommen werden, weil sie mit dafür verantwortlich sind, daß die Mieten immer weiter steigen; sie sind dafür verantwortlich, daß immer mehr Menschen von Obdachlosigkeit bedroht sind.Meine Damen und Herren, ich möchte Sie an das Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen erinnern. 1983 wurde in diesem Hause propagiert — ich zitiere — :Die Mieterhöhungen von heute sind die Neubauwohnungen von morgen.Wenn ich mir allerdings die Situation auf dem Wohnungsmarkt heute ansehe, muß ich sagen: Das war eine glatte Lüge, mit der die Öffentlichkeit getäuscht werden sollte. Das genaue Gegenteil ist eingetreten.Deshalb sieht unser Gesetzentwurf folgendes vor: Erstens. Die bisherigen Kappungsgrenzen für Mietsteigerungen müssen von 30 % auf 15 % gesenkt werden.Zweitens. Die Vergleichsmietenregelung von vor 1983 muß wiederhergestellt werden. Es müssen wieder alle Mieten in den Mietspiegel aufgenommen werden — nicht nur die überteuerten Mieten, die in den letzten drei Jahren zu verzeichnen waren.Drittens. Wir fordern, daß die Mieterhöhung bei Modernisierung gesenkt wird. Es gibt kein Naturgesetz, wonach 11 % der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete umgelegt werden müssen; 7 % reichen nach unserer Meinung aus.Viertens. Wir fordern, daß bei Neuvermietungen höchstens die ortsübliche Vergleichsmiete verlangt werden darf.Fünftens. Wir fordern, daß der Schutz vor überhöhten Mieten verbessert wird. Deshalb müssen die Geldstrafen für Haus- und Grundbesitzer, die die Notlage der Mieterinnen und Mieter ausnutzen, von 50 000 DM auf 100 000 DM erhöht werden.Unser Gesetzentwurf verfolgt das Ziel, die Mietenexplosion zu stoppen; die Verdrängung von Mieterinnen und Mietern durch Luxusmodernisierung zu verhindern; den Spekulanten die Lust an der Umwandlung zu verderben und Wohnungssuchenden dazu zu verhelfen, bezahlbare Angebote zu bekommen. Denn zum Wohnen gibt es keine Alternative. Das Recht auf sicheres Wohnen darf nicht länger den Wohnungseigentümern vorbehalten werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Geis.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Agitation wegen der Verknappung des Wohnraums geht unvermindert weiter; ganze Wahlkämpfe werden damit bestritten.
Wie aber ist die Lage wirklich? Die Mehrheit der Bundesbürger scheint jedenfalls die Meinung so mancher Massenmedien und Meinungsmacher nicht zu teilen. Eine neueste Umfrage des Institutes Emnid ergab, daß 90 % aller Bundesbürger mit ihrer Wohnsituation „gut bis sehr gut" zufrieden sind. Nur 5 % sind der Auffassung, daß sie schlechte Wohnungsverhältnisse haben.Dennoch kann und darf nicht beschönigt werden, daß es für einen Wohnungssuchenden, vor allem in den Ballungszentren, schwierig sein kann, eine geeignete Wohnung zu finden. Und es gibt — das wird auch nicht verschwiegen — Wohnungsnotfälle, also Menschen, die buchstäblich draußen vor der Tür stehenbleiben müssen. Eine allgemeine Wohnungsnot aber, wie sie gerade von Ihnen wieder an die Wand gemalt worden ist, gibt es bei uns nicht.
Es sind kaum zwei Jahre her, da war alle Welt mit der Wohnungssituation in der Bundesrepublik Deutschland hochzufrieden. Wir denken an den Bankrott der Neuen Heimat.
Wir denken daran, wie die Forderung erhoben worden ist, leerstehende Wohnungen abzureißen. Wir denken an den Verfall von Immobilien, in manchen Regionen 20 %, in manchen Regionen sogar 40 %.Heute, knapp zwei Jahre später, propagieren die gleichen, die gestern noch den Ausstieg aus dem sozialen Wohnungsbau gefordert haben, eine dramatische Wohnungsnot und fordern utopische Summen für Neubauprogramme. Trotz der guten Jahre von 1984 bis 1986 haben wir in diesem Zeitraum eine Million neue Wohnungen geschaffen und vor allen Dingen den Bestand verbessert, so daß wir — im Vergleich zu 1984 und 1986, als alle Welt mit unserer Wohnungssituation einverstanden war — heute eine bessere Marktlage haben als damals — besser, weil wir mehr und bessere Wohnungen haben.Dennoch ist es richtig — das wiederhole ich — , daß der Markt heute — allerdings bei einem hohen allgemeinen Versorgungsniveau — angespannt ist und daß davon insbesondere Wohnungssuchende in manchen Teilgebieten hart getroffen werden.Was ist der Grund für diese Situation? Warum haben wir eine so große Nachfrage nach Wohnraum, obwohl die Ergebnisse der Volkszählung beweisen, daß wir heute eine um ein Vielfaches bessere Situation haben als noch vor 20 Jahren?Hauptgrund der derzeitigen Nachfrage nach Wohnraum ist die hohe Welle von Aussiedlern, von Obersiedlern, von Flüchtlingen, die schon andauernd auf uns zukommt und in diesem Jahr verstärkt auf uns zukommen wird. Wir werden in diesem Jahr sicher für 500 000 Flüchtlinge, Aussiedler und Übersiedler
Metadaten/Kopzeile:
12416 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Geisneuen Wohnraum schaffen müssen, zusätzlich zu dem Wohnraum, den wir für die Bedürftigen, die in unserem Land wohnen, schaffen müssen.Ursache für den sprunghaften Anstieg der Nachfrage nach Wohnraum ist auch das ständig wachsende, real verfügbare Einkommen unserer Bürger. Unsere Bürgerinnen und Bürger haben das Geld, um sich eine bessere, eine schönere, eine komfortablere, eine größere Wohnung leisten zu können.
— Sie waren nicht da. Sie sollten nicht gleich, wenn Sie hereinkommen, einen Zwischenruf machen, sondern sich erst einmal hinsetzen und zuhören.Junge Mitbürger, die gerade aus dem Jugendalter entwachsen sind, können sich vom Familienband lösen, weil sie sich eine neue Wohnung finanziell leisten können. Alte Menschen können — dafür sollten wir dankbar sein —, weil sie eine genügend große Rente haben, in ihrer angestammten, ursprünglichen Familienwohnung auch dann bleiben, wenn sie allein sind. Das ist freilich mitursächlich für die derzeitige angespannte Marktlage; das darf man nicht übersehen.Wie können wir dieser Situation gerecht werden? Keinesfalls, wie ich meine, durch Mietbegrenzungsmaßnahmen, wie es der Gesetzentwurf der GRÜNEN vorsieht. Natürlich ist es jetzt verlockend, nach Mietbegrenzung und nach Mietzwangswirtschaft zu rufen. Aber wer danach ruft, handelt im Grunde genommen populistisch und nutzt vor allen Dingen denen nichts, die wirklich eine neue Wohnung suchen, weil er verhindert, daß private Investoren bereit sind, sich im Wohnungsbau zu engagieren.Als die Wohnungsverknappung sichtbar wurde, hat die Bundesregierung gehandelt. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau wurden aufgestockt und in diesem Jahr auf 1,6 Milliarden DM ausgeweitet.
Der Staat allein kann aber unmöglich die vorhandene Lücke im Wohnungsmarkt schließen; das ist allgemein anerkannt. Gefordert sind vor allem die privaten Investoren. Deshalb hat die Bundesregierung in den zurückliegenden Beschlüssen und auch in dem neuesten Beschluß Anfang dieser Woche Anreize für private Investitionen geschaffen.Völlig falsch und fatal wäre es, wenn wir in dieser Situation jetzt eine allgemeine Mietbegrenzung vorschlagen und beschließen würden. Die privaten Investoren würden durch solche Maßnahmen abgeschreckt werden. Die Engpässe würden zunehmen, die Nachfrage würde verschärft werden. Es würde ein Anreiz entstehen, nicht neue Wohnungen zu bauen, sondern alte Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln oder gar abzureißen, um die Grundstücke wirtschaftlich besser nutzen zu könen.Wir brauchen jetzt Ruhe auf dem Wohnungsmarkt. Wir müssen für die privaten Investoren Vertrauen schaffen. Deshalb kann nur gelten: Hände weg vom Mietrecht. Es darf nicht zu einer Verschärfung des Mietrechtes kommen. Wer dies fordert, handelt letztlich gegen die Interessen der sozial Schwachen.Das heißt aber nicht — das möchte ich betonen —, daß wir nicht denen das Handwerk legen, die glauben, sich in der momentanen Situation wie Raubritter aufführen zu müssen, und die versuchen, die Zwangssituation von manchen Wohnungssuchenden rücksichtslos auszunutzen.Es gibt die Initiative der Bayerischen Staatsregierung für die Verlängerung des Kündigungsschutzes von drei auf sieben Jahre bei Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen. Eine solche Maßnahme ist verfassungsrechtlich nicht ganz unproblematisch. Ich meine aber, daß in der jetzigen Situation eine solche Maßnahme unter dem Gesichtspunkt der Sozialpflichtigkeit des Eigentums ohne weiteres vertreten werden kann.Im Blick auf die Spekulationen im Mietmarkt ist die Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsrechtes in der Diskussion. Man befürchtet eine Explosion der Mieten. Vorgesehen ist eine Kappung der Mietanhebung auf 30 % innerhalb von drei Jahren. Die GRÜNEN wollen eine Herabsetzung auf 15 %. Eine solche Kappung wäre aber falsch.Im übrigen sieht das Gesetz jetzt schon vor, daß eine Landesregierung eine Verordnung erlassen kann, daß die Miete in Gegenden, wo Wohnraum knapp ist, nur um 5 % pro Jahr angehoben werden darf. Dies ist schon jetzt möglich; wir brauchen insoweit also kein neues Gesetz.In der jetzigen Situation ist viel Phantasie erforderlich. Wir sollten uns hüten, in den Mietspiegel zu gehen. Die Voraussetzungen des Mietspiegels zu ändern würde bedeuten, daß wir neue Unruhe für die Investoren schaffen. Sie würden es sich überlegen, ob sie ihr Vermögen im privaten Bau investieren.Wir brauchen Phantasie. Wir müssen Wohnungen für Übersiedler, für Aussiedler und für Flüchtlinge schaffen.
Wir müssen Wohnungen für Leute schaffen, die einen neuen Hausstand gründen: junge Familien, Studenten, aber auch Auszubildende.
Gerade bei den jungen Familien ist an die Erhöhung und an die Verlängerung der Bezugsdauer von Baukindergeld zu denken. Weil die Familien oft kein großes Eigenkapital haben, müssen wir auch daran denken, ob der Staat nicht Bürgschaft für solche jungen Familien leisten kann, die sich eine eigene Wohnung, ein Eigenheim schaffen wollen. Ein solches Eigenheim würde natürlich nicht nur für diese Familie neuen Wohnraum schaffen, sondern auch für die, die in die freigewordene Wohnung einziehen. Insofern sind Investitionen auch in der — ich will es einmal so ausdrücken — höheren Etage sinnvoll, weil die Besserverdienenden — um dieses Schlagwort einmal zu gebrauchen — , die sich ein Eigenheim leisten können, Wohnraum für die unteren Einkommensschichten freimachen.Ich meine also, daß es wichtig ist, daß wir mit viel Phantasie ans Werk gehen, daß wir aber auch den Versuch unternehmen müssen, all den Spekulanten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12417
Geisim politischen Bereich — hier meine ich insbesondere radikale neue Gruppierungen — das Wasser abzugraben, damit sie aus dem derzeitigen Engpaß, der zweifellos besteht, kein politisches Kapital schlagen können.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Menzel.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Geis, als ich soeben Ihre Rede gehört habe, habe ich mich gefragt, ob Sie überhaupt wissen, was draußen im Lande vor sich geht.
So, wie Sie hier gesprochen haben, hat der vorherige Wohnungsbauminister über die ganzen Jahre gesprochen; letztlich hat ihn das den Stuhl gekostet.
Die Tatsache, daß wir uns hier im Parlament in letzter Zeit öfter mit der Situation — ja, da unterscheide ich mich grundsätzlich von Ihnen; man muß schon sagen: mit der katastrophalen Situation — auf dem Wohnungsmarkt und ihren Folgen für die Mieter auseinandersetzen müssen, zeigt, daß die Wohnungsversorgung in fast allen Gebieten der Republik zu einem mittlerweile beherrschenden Thema geworden ist.
Auch der vorliegende Antrag der Fraktion der GRÜNEN, den wir heute in erster Lesung beraten, behandelt die Folgen der Politik, die Sie seit dem 1. Oktober 1982 betrieben haben, einer Politik zu Lasten der breiten Schichten, zu Lasten der Mieter in diesem Volk. Das sind die Folgen.
— Warum sind Sie denn so aufgeregt? Sie scheinen ja Juckpulver im Pelz zu haben.
Das sind die Folgen. Die Mieten steigen zweieinhalbmal so schnell wie die übrigen Lebenshaltungskosten. Mit einer weiteren Beschleunigung des Mietanstiegs ist auf Grund der zunehmenden Wohnungsknappheit zu rechnen. Bei einem Mieterwechsel ist es üblich geworden, die Miete um zweistellige Prozentsätze zu erhöhen.
Die Mietbelastung vor allem für einkommensschwächere Haushalte wächst. Wenn heute im ganzen Land Wohnungen zur Mangelware geworden sind, wenn die Mieten häufig unkontrolliert drastisch steigen, wenn Familien in zu kleinen Wohnungen wohnen müssen — ja, man muß manchmal sagen: hausen müssen — , wenn die Schlangen an den Wohnungsämtern länger und länger werden, dann ist das die Folge der Politik, die Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, seit dem 1. Oktober 1982 betrieben haben.
Ihre Politik weg von der Objektförderung hin zur Subjektförderung — „Der Markt wird es schon richten, soziale Härten gleichen wir durch Wohngeld aus" — ist die Hauptursache für die Situation, die wir heute auf dem Wohnungsmarkt zu beklagen haben, unter der ständig mehr Menschen leiden.
Natürlich ist diese Situation durch die Welle der Übersiedler noch verstärkt worden; das kann doch niemand leugnen. Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, die Sie jetzt versuchen, die Welle der Übersiedler als alleinige Ursache für die Wohnungsnot in unserem Lande verantwortlich zu machen:
— Wenn Sie bestätigen, daß es nicht die alleinige Ursache ist, sondern daß sich hier die Folgen Ihrer Politik zeigen, sind wir uns ja einig.
Die alleinige Ursache, die Hauptursache der jetzigen Situation sind die Folgen Ihrer Politik. — Wenn mir die Frage nicht angerechnet wird, herzlich gerne.
Herr Geis, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
Sind Sie mit mir einer Meinung, daß Aussiedler, Übersiedler und Flüchtlinge zugegebenermaßen einen erheblichen Anteil an dem jetzigen Engpaß haben, daß darüber hinaus vor allem aber auch der Umstand eine Rolle spielt, daß viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger auf Grund der Tatsache, daß sie ein höheres, real verfügbares Einkommen haben, sich eine bessere, eine schönere Wohnung leisten können, daß damit die Nachfrage insbesondere in diesem Bereich stärker steigt?
Herr Kollege Geis, natürlich — ich habe es doch gerade gesagt — hat die Tatsache, daß Zigtausende von Übersiedlern in die Bundesrepublik kommen, auch Auswirkungen auf die Wohnungssituation. Es wäre unrealistisch, das leugnen zu wollen. Aber die anderen Erscheinungen, die Sie ansprachen, z. B. daß immer mehr junge Menschen eine Wohnung haben wollen, waren doch vorhersehbar. Sie haben doch 1982, als Sie die Regierung übernahmen, ein Überangebot an Wohnungen vorgefunden. Damals standen über 200 000 Wohnungen zusätzlich zur Verfügung. Sie haben dieses Erbe verwirtschaftet. Das ist die Hauptursache.
— Nun hören Sie doch mit der ollen Kamelle auf! Wenn Sie mit Ihrem Latein am Ende sind, kommen Sie mit der Neuen Heimat.
Metadaten/Kopzeile:
12418 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
MenzelStehen Sie doch zu Ihrer Politik! Ich nehme zur Kenntnis daß die CDU/CSU-Fraktion nicht bereit ist, über die Folgen ihrer Politik zu reden.
Sie haben die Objektförderung des sozialen Wohnungsbaus bis zum letzten Jahr um 75 % gekürzt — eine der Ursachen der jetzigen Entwicklung. Sie sind aus der Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus ganz ausgestiegen — eine überaus folgenschwere Entscheidung.
Sie haben das Mietrecht geändert, um Wohnungen zu schaffen, und weniger Neubau und steigende Mieten bewirkt.
Sie haben das Wohngeld zum zentralen politischen Instrument erklärt, aber verweigern die Anpassung an die gestiegenen Kosten. Sie haben durch katastrophale Fehlprognosen falsche Signale gesetzt und einen sensiblen Markt verunsichert.Noch vor zwei Jahren hat der damalige Wohnungsbauminister unter dem Beifall der CDU/CSU-Fraktion erklärt, 200 000 bis 220 000 Wohnungen im Neubau seien ausreichend. Dieses Ziel lag schon damals um 100 000 Wohnungen zu niedrig. Wenn Sie heute erklären, daß die Flüchtlinge, die Übersiedler die Hauptursache seien, dann ist das der beste Beweis. Die Hauptursache liegt in Ihrer verfehlten Wohnungspolitik.
Bitter rächt sich heute — und das alles spielt sich auf dem Rücken der Mieter ab —, daß durch Ihre Politik in den letzten Jahren 400 000 Wohnungen, die eigentlich hätten gebaut werden müssen und hätten gebaut werden können, wenn Sie unsere erfolgreiche Politik fortgesetzt hätten, nicht gebaut worden sind.
Der Wohnungsmangel schwächt die Stellung der Mieter am Markt. Eine neuere Tendenz der Rechtsprechung z. B. beim Geltendmachen von Eigenbedarf tut das Zusätzliche.Der beste Mieterschutz, meine Damen und Herren, ein ausreichendes Wohnungsangebot, wurde zwar von allen Wohnungsbauministern, von Schneider und auch von seiner Nachfolgerin, immer wieder bekundet. Aber Sie haben nicht die Voraussetzungen für ein ausreichendes Wohnungsangebot geschaffen, ja sie haben das Erbe eines ausreichenden Wohnungsangebots, das Sie 1982 vorgefunden hatten, durch Ihre verfehlte Wohnungspolitik verspielt.
Heute versuchen Sie, die Aussiedlerwelle als alleinige Ursache für die jetzige Situation darzustellen.
Auch der Laie weiß, meine Damen und Herren, daß es eine ganze Zeit dauert, bis sich beschlossene Maßnahmen tatsächlich in fertigen Wohnungen niederschlagen. Wir alle wissen aus der Praxis aber auch, daß die zum Teil verheerende Situation, die durch den Wohnungsmangel draußen im Lande für die Mieter entsteht, dringender Maßnahmen bedarf, um die Mieter vor nicht zumutbaren Härten und Benachteiligungen zu schützen. Zu solchen Maßnahmen gehört, wenn Sie sich den Mietern gegenüber verantwortungsvoll verhalten wollen, meine Damen und Herren von der Koalition, auch die Bereitschaft, sich von Entscheidungen, die sich in der Praxis als falsch erwiesen haben, zu verabschieden und diese Entscheidungen zu korrigieren.
— Das werde ich Ihnen gleich sagen.
Letztlich hat der Gesetzentwurf, mit dem wir uns heute hier in erster Lesung zu befassen haben, diese Aufgabe. Dabei möchte ich daran erinnern, daß verschiedene Punkte dieses Gesetzentwurfs schon in unserem Sofortprogramm für eine aktive Wohnungspolitik enthalten waren. Dieser Antrag wurde von uns bereits am 24. Februar dieses Jahres eingebracht und wird in Kürze Gegenstand einer ausführlichen Anhörung sein.Ich will noch klarstellen: Das Angebot an bezahlbaren Wohnungen muß dringend ausgeweitet werden. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Darüber hinaus müssen die Mieter besser als bisher vor ungerechtfertigten Mietsteigerungen geschützt werden. Denn eines können wir aus den Erfahrungen der letzten Jahre lernen: Sie, CDU und FDP, haben die Erleichterung von Mieterhöhungen und die Einführung von Staffelmieten mit der Schaffung von mehr Wohnungen begründet. Aber was ist passiert? Die Mieten steigen seitdem schneller als die Lebenshaltungskosten, aber die Zahl der neugebauten Wohnungen ist Jahr für Jahr niedriger und nicht höher geworden. Ihre Politik hat zu steigenden Mieten, aber zu weniger Neubau geführt.
Minusrekorde in jeder Hinsicht!
— So einfach ist das. Das ergibt sich aus den Zahlen, die Sie im statistischen Bericht der Bundesregierung nachlesen können.Wir halten in dieser Situation und vor diesem Hintergrund Korrekturen am Mietrecht für erforderlich. Die Entwicklung der letzten Jahre hat eben gezeigt, daß der oft so behauptete Zusammenhang zwischen Investitionen im freifinanzierten Wohnungsbau und im Mietrecht nicht existiert. Was die Investoren brauchen, sind verläßliche Rahmenbedingungen und keine Stop-and-go-Politik, wie Sie sie praktizieren.
Und sie brauchen einen funktionierenden Ausgleich zwischen Mietern und Vermietern.
Uns ist bewußt, daß wir uns hier in einem sehr sensiblen Bereich bewegen. Die Praxis zeigt, daß soziale Korrekturen erforderlich sind.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12419
MenzelIch will es mir ersparen, die Punkte, die auch in unserem Antrag stehen, im Antrag der GRÜNEN noch einmal besonders zu bewerten. Hinweisen möchte ich auf ein paar Lücken, die im Antrag der GRÜNEN enthalten sind. Es werden keine Konsequenzen aus der veränderten Situation der Rechtsprechung über Eigenbedarf gezogen. Die notwendige Verbesserung des Schutzes der Mieter vor Umwandlung und Verdrängung ist nicht angesprochen. Der Mieterhöhungsspielraum von 30 % , der einmal als Grenze eingesetzt worden ist, nimmt immer mehr den Charakter einer normal zulässigen Marge und nicht den einer Obergrenze an. Deswegen ist eine Absenkung erforderlich.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege Menzel?
Aber gern.
Herr Abgeordneter Grünbeck, bitte.
Herr Kollege Menzel, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß 95 % aller Mietverträge durch die Mieter und nicht durch die Vermieter gekündigt werden?
Durch die Mieter und nicht durch Vermieter gekündigt werden?
— Das ist doch völlig klar.
— Aber Herr Kollege Grünbeck, das ist doch nicht die entscheidende Frage.
Das Entscheidende sind die Folgen, die für denjenigen entstehen, der in eine leerstehende Wohnung einzieht. Sie wünschen wie wir alle, daß derjenige, der eine zu große Wohnung bewohnt — die früher durchaus gerechtfertigt war — , die Wohnung frei macht, damit eine Familie in entsprechender Größe hinein kann, und er eine kleinere Wohnung bezieht. Das sind natürliche Vorgänge, die wir im Grunde genommen wünschen. Das Problem liegt doch darin, daß der Vermieter beim Nachmieter die jetzige Situation in vielen, vielen Fällen schamlos ausnutzt.
Das ist das Problem.
Die Staffelmiete hat sich nicht bewährt. Die miettreibenden Elemente der Ermittlung des im Prinzip richtigen Instruments der ortsüblichen Vergleichmiete müssen geändert werden.
Meine Damen und Herren, die schlimme Situation zu Lasten der Mieter macht es dringend erforderlich, daß wir im Mietrecht Konsequenzen ziehen. Die SPD-
Fraktion ist zu einer zügigen Behandlung des Antrags bereit.
Recht schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hitschler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lehre, die wir aus diesem Antrag, der die Intentionen, welche er zu erreichen vorgibt, völlig verfehlen müßte, würde er hier beschlossen werden, ziehen müssen, kann nur lauten: Hände weg vom Mietrecht!Eingriffe in das Mietrecht in der Form, wie sie hier beantragt werden, bewirken keine Verringerung der Knappheitsverhältnisse am Wohnungsmarkt.
Keine einzige Wohnung würde zusätzlich gebaut werden.
Im Gegenteil: Eingriffe in das Mietrecht würden sehr nachhaltig die in Gang gekommene Baukonjunktur beeinträchtigen, weil das Vertrauen der Investoren in langfristig wirksame Rahmenbedingungen, die für die Investitionsrechnung von Bedeutung sind, gröblichst verletzt würden. Attentismus wäre die Folge, wenn das Vertrauen in die Verläßlichkeit des rechtlichen Ordnungsrahmens der Mietverhältnisse mißbraucht würde.Eingriffe in das Mietrecht würden also auf Dauer den Mietern nicht helfen, sondern insbesondere den Wohnungssuchenden schaden, da sie angebotsverknappend wirken.
Wenn es zuwenig Wohnungen gibt, müssen mehr Wohnungen gebaut und muß nicht das Mietrecht geändert werden. Das Mietrecht ist kein geeignetes Mittel der Wohnungspolitik.
Es darf und sollte nicht Konjunkturschwankungen unterworfen werden. Die Intention des Mietrechts ist die Sicherung der Rechtsstellung der Mieter und Vermieter. Es eignet sich jedoch keineswegs dazu, durch seine Veränderung etwa Einfluß auf das Marktgeschehen am Wohnungsmarkt nehmen zu wollen.Gesetzlich vorgeschriebene Mietbegrenzungen beispielsweise würden zunächst zu einer völligen Inflexibilität des Wohnungsmarkts führen. Denn wenn die Mieten künstlich gegen die Marktentwicklung unter der Marktmiete gehalten würden, würde niemand mehr eine so preiswerte Wohnung freimachen. Die Wohnungsbesitzer hätten zunächst einen Vorteil, die Wohnungssuchenden aber eine lange Nase, weil sie überhaupt keine Chance mehr hätten, eine Wohnung zu bekommen,
Metadaten/Kopzeile:
12420 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Dr. Hitschlerda der private Wohnungsneubau völlig zum Erliegen kommt —
eine Erscheinung übrigens, die Ihnen in Form der Fehlbelegung ja nicht ganz unbekannt geblieben sein dürfte. Mieten, die zwangsweise unter den Marktmieten gehalten würden, hätten andererseits zur Folge, daß die wenigen, die sich aus bestimmten Gründen, beispielsweise einer beruflichen Veränderung wegen, bereit fänden, eine Wohnung freizumachen, sich dies ganz schön durch Abstandszahlungen unter dem Tisch vergolden ließen. Es entstünde ein Grauer Markt, wie wir es von anderen Regionen her kennen, auf dem diejenigen, denen zuliebe Sie diesen Antrag angeblich einbringen, überhaupt keine Chance mehr hätten, zum Zuge zu kommen.Nicht nur der Rückgang im Neubau wäre die Folge, sondern auch eine Qualitätsverschlechterung im Bestand, weil Modernisierungen unterblieben. Und genau dies schlagen Sie vor, wenn Sie die Umlagefähigkeit der Modernisierungskosten begrenzen wollen. Dies wäre ein Beitrag zur Verrottung der vorhandenen Wohnungen
und vor allen Dingen natürlich ein Schlag gegen Bemühungen, durch bessere Wärmedämmung, durch energiesparenden Fenstereinbau, durch moderne Energieversorgungsinvestitionen im Heizungs- und Heißwasserbereich, durch wassersparende Sanitäranlagen einen Beitrag zum Umweltschutz im Wohnungsbereich zu leisten.
Wer, vor allem im sozialen Wohnungsbau, sollte denn überhaupt noch bereit sein, das Investitionsrisiko für Neubauten auf sich zu nehmen, wenn er per gesetzliche Vorschrift höhere Kapitalkosten auf Grund steigender Zinsen oder wegen auslaufender öffentlicher Förderung nicht mehr auf die Mieten umlegen darf? Wer soll denn noch Wohnungen bauen, wenn im vorhinein bestimmt wird, daß sich das eingesetzte Kapital nicht verzinsen darf, ja, daß der Investor bewußt den wirtschaftlichen Ruin in Kauf nehmen soll?Wir wissen, wie Ihre Antwort lautet: Die öffentliche Hand soll das tun. Wie unrealistisch und wirklichkeitsfremd das ist, mag Ihnen folgende kleine Rechnung zeigen: Einen Bedarf von 1 Million Wohnungen gegenwärtig unterstellt, würde sich bei einer Förderung nach den Richtlinien von Nordrhein-Westfalen von 100 000 DM pro Wohnung im 1. Förderweg ein Finanzbedarf von 100 Milliarden DM ergeben, eine Zahl, die selbst Sie wohl nicht mehr als darstellbar empfinden dürften.
Wir sagen deshalb: Hände weg vom Mietrecht! Wir setzen dagegen auf den privaten Wohnungsbau und auf die besondere Förderung von Eigentumsmaßnahmen, denn dieser Weg allein verspricht den Erfolg, die Wohnungsknappheit durch eine angebotsorientierte Politik zu überwinden.Wir haben jetzt ein weitgehend ausgewogenes Mietrecht, das den Interessen sowohl der Mieter wie der Vermieter Rechnung trägt. Die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Eigenbedarfskündigung hat dies augenfällig deutlich werden lassen. Wir bekommen mit Unterstützung der Maßnahmen dieser Regierung wieder eine einigermaßen akzeptable Renditeerwartung, und schon kommt der Wohnungsbau, gerade der private Mietwohnungsbau, wieder ganz schön in Schwung.Mit dem vorliegenden Antrag auf Änderung des geltenden Mietrechts beabsichtigen die Antragsteller, den Wohnungsmarkt mit einer höheren Regelungsdichte und strengeren Regeln zu überziehen. Der Antrag mag auf den ersten Blick die Faszination einer grünen Wundertüte haben, bei der Kinder flehentlich sagen: Das möchten wir haben. Doch die silbernen und güldenen Hoffnungen entschwinden beim Öffnen und weichen der Enttäuschung. Ein blechernes Ringelchen und überflüssiger Krimskrams kommen zum Vorschein. So verhält es sich mit Ihrem Antrag. Dazu sagen wir: Hände weg vom Mietrecht! Die Knappheit staatlich zwangsverwalten zu wollen ist nun einmal kein seriöses Unterfangen.Die Bundesregierung hat daher in der Wohnungspolitik die einzige richtige Linie eingeschlagen: das Angebot an Wohnungen zu vergrößern. Wir benötigen keine unbrauchbaren Mietrechtsänderungen; wir brauchen die Abschreibungserleichterungen, die Ausweitung der Haushaltsmittel und die Einführung des 3. Förderwegs, wie sie die Bundesregierung und die Koalition beschlossen haben, die, wie erwartet, erste Erfolge zeigen.Von Januar bis einschließlich Juli dieses Jahres sind die Bewilligungen beispielsweise allein im sozialen Wohnungsbau um rund 50 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Das zusätzlich hinzugekommene Programm, das Frau Ministerin Hasselfeldt in dieser Woche vorgestellt hat, das die Möglichkeit der erhöhten Abschreibung in fünf Jahren bzw. alternativ die zinsverbilligte Inanspruchnahme von KfW-Krediten für den Ausbau von Wohnungen im vorhandenen Wohnungsbestand vorsieht, wird einen erheblichen Beitrag zur Mobilisierung von zusätzlichen Wohnungen aus bisher nicht zu Wohnzwecken genutzten Gebäulichkeiten leisten.Die angebotsverstärkende Politik der Bundesregierung bedarf allerdings auch der Unterstützung durch die Länder und natürlich durch die Kommunen. Die Kommunen ihrerseits bleiben aufgefordert, sowohl ihre Baugenehmigungspraxis zu entbürokratisieren und zu beschleunigen als auch mehr Bauland auszuweisen.
Dort liegt der wirkliche Engpaß am Wohnungsmarkt, den man nicht dem Bund in die Schuhe schieben kann. Darum mögen sich die Oberbürgermeister Kronawitter und insbesondere Rommel, die sich auf dem Laufsteg der Öffentlichkeit geradezu wie Mannequins gerieren,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12421
Dr. Hitschlerim eigenen Hause um ihre eigene Kollektion kümmern!Meine sehr verehrten Damen und Herren, sozial Schwachen ist nicht mit den in diesem Antrag vorgeschlagenen Mitteln zu helfen; sie bedürfen der gezielten Förderung über das Wohngeld sowie über die Sicherung von Belegungsrechten durch die Kommunen. Auch auf diesem Feld wird diese Regierung mit Unterstützung der Koalitionsfraktionen das Notwendige zur rechten Zeit veranlassen.Genauso gezielt und nicht mit globalen, alle treffenden Mitteln muß gegen Mißbräuche, wie sie zweifelsohne am Wohnungsmarkt vorkommen und die es bei Knappheitsverhältnissen immer geben wird, Herr Menzel, vorgegangen werden.Deshalb ist dieser Mietrechtsantrag nicht nur überflüssig, sondern geradezu schädlich. Da wir verpflichtet sind, die Bürger vor Schäden zu bewahren, kann er unsere Unterstützung nicht finden.Namens meiner Fraktion beantrage ich im übrigen, entgegen der ausgewiesenen Empfehlung des Ältestenrats diesen Antrag federführend dem Rechtsausschuß zu überweisen, der nach unserer Auffassung für Änderungen von Mietrechtsbestimmungen nach bisheriger Übung zuständig war und dies auch bleiben sollte.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer die Debatte hier aufmerksam verfolgt, Herr Kollege Menzel, merkt, daß aus einer vorgesehenen und angekündigten Mietrechtsdebatte eine Wohnungsbaudebatte geworden ist. Ich glaube, das war für viele erkennbar. Deshalb ist auch die Frau Ministerin, die für das Bauwesen zuständig ist, hier anwesend.
Ich möchte einige Bemerkungen zu dem machen, was Sie, Herr Kollege Menzel, gesagt haben. Sie haben gesagt: Es ist mehr Nachfrage vorhanden. Das ist unbestritten. Über die Frage, inwieweit diese erhöhte Nachfrage vorhersehbar war, werden wir uns streiten. Aber über eines streiten wir sicherlich nicht: Der Umfang der Nachfrage war nicht vorhersehbar.
Ein zweiter Punkt: Herr Kollege Menzel, Sie haben von den Folgen der Politik dieser Koalition geredet. Was sind diese Folgen? Es sind dies: Steigerung des Bruttosozialprodukts, keine Inflation, mehr Geld im Portemonnaie. Deshalb sind in zehn Jahren die Ansprüche gestiegen. Ein Teil der Nachfrage ist also echte Wohlstandsnachfrage.
Wenn Sie die Statistik aufschlagen, sehen Sie, daß die
Bürger der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr
wie vor zehn Jahren 25 qm Wohnfläche beanspruchen, sondern inzwischen 35 qm. Herr Kollege Menzel, wenn Sie das als Folge unserer Politik bezeichnen, dann stecken wir das gern als Erfolg ein.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön.
Herr Menzel, bitte sehr. Menzel : Herr Minister,
ist Ihnen unbekannt, daß zum Zeitpunkt Ihrer Regierungsübernahme — Sie waren ja lange Zeit im Wohnungsbauministerium verantwortlich tätig — ca. 400 000 Wohnungen pro anno gebaut wurden, und zwar mit einem hohen Anteil von sozial geförderten Mietwohnungen, und daß diese Zahl 1987 auf 195 000 zurückgegangen ist, worunter ca. 17 000 geförderte Mietwohnungen waren? Meinen Sie nicht, daß auch das Auswirkungen auf die jetzige verheerende Wohnungssituation hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Menzel, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar. Ich kann die Zahl, die Sie für 1987 genannt haben, nicht bestätigen. Ich werde Ihnen jetzt, weil Sie danach fragen, sagen, was während unserer Regierungszeit jährlich gebaut wurde: 1983 341 000 Wohnungen, 1984 398 000 Wohnungen, 1985 312 000 Wohnungen, 1986 252 000 Wohnungen, 1987 217 000 Wohnungen, 1988 209 000 Wohnungen. 1989 werden es nach heutiger Hochrechnung wieder 260 000 Wohnungen sein, weil die Nachfrage gegenüber früher erkennbar stärker geworden ist.
Das bedeutet, Herr Kollege Menzel, daß während unserer Regierungszeit rund 2 Millionen Wohnungen gebaut worden sind, und das kann sich sehen lassen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, wenn mir das nicht angerechnet wird.
Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Vielleicht habe ich mich unklar ausgedrückt. Niemand bestreitet ja die von Ihnen genannten Wohnungsbauzahlen.
Ich habe doch nur gefragt, ob Ihnen bekannt ist, daß durch die Veränderung, die Ihre Politik geschaffen hat, weniger Wohnungen als unter Ihrer Vorgängerregierung gebaut worden sind, und ob das für die jetzige Wohnungssituation mitentscheidend ist.
Metadaten/Kopzeile:
12422 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Menzel, Sie haben nach der Zahl für 1987 gefragt. Sie haben sie wohl mit 195 000 angegeben. Ich sage Ihnen: Dies stimmt nicht; es sind 217 000 Wohnungen gebaut worden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn hier heute also Kritik geübt wird und die Folgen unserer Politik als ursächlich dafür bezeichnet werden, dann haben Sie, Herr Kollege Menzel, zum Teil recht, indem nämlich die Steigerung des Bruttosozialprodukts mit ursächlich dafür war, daß die Bürger gerade auf dem Gebiet des Wohnens auch vermehrt Ansprüche stellen konnten.Frau Kollegin Trenz, Sie haben ein Horrorgemälde gemalt. Ihr Vorschlag bedeutet: an Stelle von mehr Wohnungen — weniger Wohnungen, an Stelle des Marktes — Staat, an Stelle der Freiwilligkeit — Zwang, an Stelle von Eigeninitiative — Bürokratie. Das ist nicht die Wohnungsbaupolitik dieser Regierung.Mit dem, was Sie vorgelegt haben, kommen Sie nicht weiter, wohl aber mit dem, was die Bauministerin vorgestern angekündigt hat. Ich darf Sie auf die Presseinformation des Bauministeriums verweisen, in der Frau Ministerin Hasselfeldt folgendes ausgeführt hat:Die Maßnahmen bekräftigen das Ziel der Bundesregierung, in den nächsten drei Jahren für den Bau einer Million neuer Wohnungen zu sorgen. Die heute— also vorgestern —b eschlossenen wohnungspolitischen Sofortmaßnahmen umfassen ein Kreditvolumen von insgesamt zwei Milliarden DM.Die Frau Ministerin hat ausgeführt, daß wir unser Ziel in den nächsten drei Jahren erreichen, nämlich eine Million neue Wohnungen zu schaffen.Herr Kollege Menzel, schon heute haben wir rund 25 % mehr Wohnungsbaugenehmigungen als im vergangenen Jahr. Im Geschoßwohnungsbau beträgt der Anstieg sogar bereits rund 60 %.
So weit, meine Damen und Herren, zu diesem Kapitel, zu dem, was Sie hier angeheizt haben! Wenn Sie schon danach fragen, dann sollen hier auch die Zahlen genannt sein.Nun zu dem eigentlichen Gesetzentwurf, Frau Kollegin Trenz! Wenn Sie vor dem Deutschen Bundestag kritisieren, es geschähe nicht viel auf diesem Gebiet, dann ist Ihnen auch heute noch entgegenzuhalten, wie Sie jahrelang das Volkszählungsgesetz boykottiert haben, damit wir keine verläßlichen Zahlen darüber bekamen, wie es im Sinne von Angebot und Nachfrage draußen wirklich aussieht.
Der erste Vorschlag, den Sie heute machen, geht dahin, die für das Mietniveau maßgebende ortsübliche Vergleichsmiete wie vor 1983 aus den Mieten aller bestehenden Mietverträge zu ermitteln, nicht nur aus den Mietvertragsabschlüssen der letzten drei Jahre.Dazu möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen, daß genau eine solche Lösung wie die jetzt vorgeschlagene uns zu Beginn der 80er Jahre in eine Wohnungssituation geführt hat, die damals schon, Herr Kollege Menzel, als „neue Wohnungsnot" bezeichnet worden ist. Wir haben damals auf diese Situation reagiert und haben die Vergleichsmiete so ausgestaltet, daß sie dem aktuellen Stand, der Lage auf dem Wohnungsmarkt, gerecht wurde, nicht der Marktlage von vor fünf, zehn oder zwanzig Jahren.Deshalb: Die Vergleichsmiete darf nicht eingemottet werden, sondern soll das aktuelle Geschehen, die hier und heute sich ändernden Wünsche, Bedürfnisse und Möglichkeiten am Wohnungsmarkt, widerspiegeln. Dieser Sinn würde verfehlt, wenn lange zurückliegende Mietabschlüsse das Mietniveau bestimmen würden und die Mietspiegel obendrein, wie in dem Entwurf vorgeschlagen, nur alle drei Jahre fortgeschrieben werden dürften. Wir hätten dann, meine Damen und Herren, keine aktualisierte, sondern eine antiquierte Vergleichsmiete.
Zweitens. Ebenfalls abwegig, Frau Kollegin Trenz, sind die Vorschläge, die auch bei Neuvermietungen die Freiheit der Bürger beschneiden wollen, den Mietzins nach eigenen Vorstellungen auszuhandeln.
So sollen durch einen § 2 a Ihres Entwurfs die Mietvertragsparteien bei Neuvermietungen an die ortsübliche — von mir als antiquiert bezeichnete — Vergleichsmiete gebunden sein. Ich halte es für ausgeschlossen, daß mit einer solchen Regelung mehr Mietwohnungen gebaut werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber bei seinen Regelungen über die Miethöhe die Wirtschaftlichkeit auch des Grundeigentums zu gewährleisten.Drittens. Frau Kollegin Trenz, ein innerer Widerspruch kennzeichnet den Vorschlag, die Kappungsgrenze von 30 % auf 15 % herabzusetzen. Ich stelle Ihnen die Frage: Weshalb eigentlich soll ein Vermieter, der zugunsten des Mieters mit seinen Mietforderungen hinter der ortsüblichen Vergleichsmiete zurückgeblieben ist, den Mietzins nicht wieder an die ortsübliche Vergleichsmiete heranführen dürfen? Ich möchte auf die sehr wahrscheinliche Folge Ihres Vorschlages eingehen: Wir würden als Folge der vorgeschlagenen Regelung zwar geringere, aber desto häufigere Mieterhöhungen bekommen.
Viertens. Für Ordnungswidrigkeiten bei der Vermietung von Wohnungen soll nach Art. 2 Ihres Entwurfs der Bußgeldrahmen in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf von 50 000 auf 100 000 DM heraufgesetzt werden. Dies wird damit begründet, daß bei einem angespannten Wohnungsmarkt die Geldbußen von maximal 50 000 DM durch zukünftige Gewinne mehr als ausgeglichen werden können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12423
Parl. Staatssekretär Dr. JahnFrau Kollegin Trenz, offenbar waren sich die Verfasser des Entwurfs darüber im klaren, daß nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten das gesetzliche Höchstmaß der Geldbuße überschritten werden kann, wenn dieses Höchstmaß nicht ausreicht, um den wirtschaftlichen Vorteil abzuschöpfen, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat. Das aber scheint den Verfassern des Entwurfs nicht zu genügen. Nach ihrer Vorstellung sollen die Geldbußen auch die zukünftigen Gewinne ausgleichen, also offenbar auch die Gewinne aus noch gar nicht begangenen Ordnungswidrigkeiten.
Damit allerdings werden die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit überschritten. Sanktionen für noch nicht begangene Gesetzesverstöße — darauf läuft dieser Gesetzesvorschlag hinaus — wären nicht nur in unserer, sondern auch in der Rechtstradition aller westlichen Demokratien neu und einmalig. Das ist mit dieser Bundesregierung nicht zu machen.
— Bei den GRÜNEN offensichtlich.Frau Kollegin Trenz, unzutreffend ist auch die Annahme in der Begründung, daß die vereinbarte Miete nach geltendem Recht so lange gezahlt werden müsse, bis ein überhöhter Mietpreis amtlich festgestellt werde. Richtig ist demgegenüber, daß der Mieter die Zahlung eines überhöhten Mietzinses jederzeit verweigern und den zuviel gezahlten Betrag nach geltendem Recht zurückfordern kann. Damit entfällt auch die vorgeschlagene amtliche Festsetzung des Mietpreises bei einem Verdacht auf Mietpreiserhöhung.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die Reihe der Einwände, die sich gegen diesen Gesetzentwurf vorbringen lassen, könnte noch verlängert werden. Unsere derzeitige Wohnungsversorgung ist nicht zufriedenstellend. Das haben wir festgestellt. Über die Ursachen, über den Umfang und über die Verantwortlichkeit streiten wir. Man sollte aber nicht die Wohnungssituation durch Gesetze nach dem hier vorgelegten Muster noch mehr verschlechtern. Mißachtung marktwirtschaftlicher Grundsätze, Verstärkung der Behördenmacht und Verschärfung staatlicher Zwangsmaßnahmen, Frau Kollegin Trenz, das dürfen nicht die Rezepte für die Kräftigung des Wohnungsmarktes werden.
Unwirtschaftlichkeit des Hausbesitzes, Staatseingriffe bei bloßem Verdacht und Sanktionen für nicht begangene Verstöße: Damit sollten wir unsere rechtspolitische Landschaft nicht belasten.Dieser Entwurf — ich muß das leider feststellen — enthält Elemente der Mißachtung des Grundgesetzes und der Verachtung des privaten Eigentums. Wer wollte bei einem solchen Mietrecht noch Wohnungen vermieten, wer wollte noch Mietwohnungen bauen? Ich glaube, daß dieser Entwurf in keiner Weise geeignet ist, die Probleme zu lösen. Wir bauen auf das Konzept, das die Bundesbauministerin, gestützt auf einen Koalitionsbeschluß, vorgestern der Öffentlichkeit vorgestellt hat.
Die Abgeordnete Frau Trenz hat noch einen Geschäftsordnungsantrag gestellt, dem ich nicht entsprechen kann. Da sie aber ihre Redezeit nicht ausgeschöpft hat, erlaube ich ausnahmsweise eine zweiminütige Begründung der unterschiedlichen Auffassung über den Überweisungsvorschlag zu diesem Antrag. Ich bitte Sie aber, verehrte Frau Trenz, jetzt nicht wieder in die Debatte einzutreten. Sie haben das Wort.
Ich kann mich vor ,,Begeisterung" kaum zurückhalten, aber ich werde es trotzdem tun.Ich möchte begründen, warum meine Fraktion der Auffassung ist, daß die Federführung zu unserem eigenen Gesetzentwurf beim 16. Ausschuß — dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — liegen muß. Was passiert, wenn sich Finanzpolitiker in der Wohnungspolitik versuchen, können wir bei der Abschaffung der Wohnungsbaugemeinnützigkeit sehen. Allen Beteiligten ist klar, daß die Mieten in 3,3 Millionen zumeist preiswerten Wohnungen steigen werden. Wieder sind diejenigen mit geringem Einkommen betroffen, die eine preiswerte Wohnung dringend brauchen. Dies passiert, weil Finanzpolitiker mit der Abschaffung der Wohnungsbaugemeinnützigkeit vielleicht 50 oder 100 Millionen DM einsparen bzw. an Steuern einnehmen werden. Das Vielfache werden wir zur Zahlung von mehr Wohngeld brauchen.
— Ich rede nicht zu dem Gesetzentwurf, sondern zur Geschäftsordnung.Wenn wir die Federführung für den 16. Ausschuß fordern, so bedeutet dies für uns, daß die Begrenzung des Mietanstiegs zuallererst ein soziales und wohnungspolitisches Problem ist und erst in zweiter Linie ein juristisches. Ziel unseres Gesetzentwurfes ist es, die Verschärfung der Wohnungsnot durch die Explosion der Mieten zu verhindern. Nach unserer Auffassung ist der Rechtsausschuß gefordert, die sozialpolitischen und wohnungspolitischen Vorgaben
des federführenden Ausschusses in eine rechtlich einwandfreie Form zu bringen. Es geht um nichts anderes.
— Ja, mir ist klar, daß es hier in diesem Hause einsam ist.
Ich beantrage es trotzdem. Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch.
Metadaten/Kopzeile:
12424 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Meine Damen und Herren, damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Überweisung des Gesetzentwurfs der GRÜNEN auf Drucksache 11/4554. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen, daß dieser Gesetzentwurf zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß überwiesen wird.
Die Fraktion der SPD sowie die Fraktion der GRÜNEN beantragen dagegen eine Überweisung des Gesetzentwurfes zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Ich lasse zuerst über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist beschlossen, daß der Antrag zur Federführung an den Rechtsausschuß überwiesen wird. Mitberatend sind die anderen in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Dementsprechend entfällt die zweite Abstimmung.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur ergänzenden Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den gesetzlichen und betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit
— Drucksachen 11/1526 Nr. 3.3, 11/4773 —
Berichterstatter: Abgeordneter Fuchtel
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Regelung viehseuchenrechtlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Schafen und Ziegen
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 72/462/EWG zur Regelung gesundheitlicher und viehseuchenrechtlicher Fragen bei der Einfuhr von Rindern und Schweinen und von frischem Fleisch aus Drittländern im Hinblick auf die Einbeziehung von Schafen und Ziegen
— Drucksachen 11/4081 Nr. 2.15, 11/5098 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Adler
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat über steuerliche Maßnahmen, die die Gemeinschaft im Zusammenhang mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu treffen hat
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über ein gemeinsames System einer Quellensteuer auf Zinsen
Entwurf eines Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/799/EWG über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten in den Bereichen der direkten und der indirekten Steuern
— Drucksachen 11/4337 Nr. 2, 11/5191 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Meyer zu Bentrup
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 132 zu Petitionen
— Drucksache 11/5260 —
Meine Damen und Herren, wir stimmen zuerst über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 11/4773 ab. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der GRÜNEN angenommen.
Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Drucksache 11/5098 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen von SPD und GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 11/5191 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist — bei traditionsgemäßer Enthaltung der GRÜNEN — mit großer Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/5260 zu Sammelübersicht 132 ab. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde— Drucksache 11/5281 —Zunächst einmal rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Bundesminister Dr. Töpfer höchstpersönlich zur
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12425
Vizepräsident CronenbergVerfügung. Das nimmt das Haus mit besonderem Wohlwollen zur Kenntnis, Herr Minister.Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Diller auf :Warum akzeptiert die Bundesregierung den Vollausbau des Atomkraftwerkes Cattenom, obwohl die Errichtungsgenehmigung für die Blöcke III und IV rechtswidrig ist, weil für die Leistungserhöhung von 900 auf 1 300 Megawatt kein neues Planfeststellungsverfahren durchgeführt wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage 23 des Abgeordneten Diller beantworte ich wie folgt.
Der Französische Staatsrat hat in seiner letztinstanzlichen Entscheidung vom 16. Juni 1989 keineswegs die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung für die Blöcke Cattenom III und IV festgestellt, sondern er hat diese Frage unter Hinweis auf die wegen der Versäumnis von Rechtsmittelfristen eingetretenen Unanfechtbarkeiten ausdrücklich dahingestellt sein lassen.
Die jetzt aus anderen Gründen neu erteilten Ableitungsgenehmigungen enthalten hinsichtlich der flüssigen Ableitungen in Konkretisierung des Minimierungsgebotes erstmals eine ausdrückliche Verpflichtung des Betreibers, die Ableitungen auf 20 % des höchstens zulässigen Wertes, also auf maximal 3 Ci pro Block und Jahr, zu begrenzen. Diese Verpflichtung war bisher gegenüber der Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verbindlich zugesagt, aber nicht ausdrücklich in den Ableitungsgenehmigungen aufgenommen.
Für die Ableitungsgenehmigungen wurde im übrigen schon früher eine „enquete publique" bezogen auf die Leistungserhöhung von 900 auf 1 300 Megawatt durchgeführt. Die Aufnahme der Ableitungsbegrenzung auf 3 Ci im Genehmigungsbescheid bestätigt die von der Bundesregierung stets vertretene Linie, durch Verhandlungen Fortschritte zu erzielen. Darauf wird die Bundesregierung auch weiterhin setzen.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Minister, teilt die Bundesregierung die Auffassung der Kreisverwaltung Trier-Saarburg, daß die Leistungserhöhung von 900 auf 1 300 Megawatt bei den Blöcken III und IV ein neues Planfeststellungsverfahren nötig macht? Falls nein, warum nicht?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, diese Frage habe ich Ihnen gerade beantwortet. Ich habe Ihnen soeben geantwortet, daß der Französische Staatsrat letztinstanzlich festgestellt hat, daß diese Genehmigung keine Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung für die Blöcke Cattenom III und IV feststellt. Dies ist die Meinung des letztinstanzlichen Gerichts in Frankreich.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Diller.
Herr Minister, teilt die Bundesregierung die Auffassung der Kreisverwaltung Trier-Saarburg, daß das Minimierungsgebot von 20 % der genehmigten radioaktiven Ableitungen, von dem Sie eben sprachen, keine rechtlichen Auswirkungen hat, weil für den Fall der Überschreitung keine Sanktionen festgelegt sind? Falls nein, warum nicht?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Auch diese Frage, Herr Abgeordneter Diller, habe ich Ihnen gerade beantwortet. Nebenbei hat Ihnen diese Frage auch Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gröbl bereits vor wenigen Wochen beantwortet. Sie wissen, daß die Zusage von 3 Ci pro Block und Jahr der Bundesregierung bereits völkerrechtlich verbindlich gegeben worden ist und daß wir es als einen wesentlichen Fortschritt der Verhandlungen mit Frankreich ansehen können, daß dies nun auch in den Genehmigungsbescheid integriert worden ist.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gröbl hat Ihnen ebenfalls schon gesagt, daß die Begrenzung auf 3 Ci nicht gleichzeitig eine Gewährleistung von 3 Ci ist, sondern daß das Minimierungsgebot auch noch unterschritten werden kann und daß die bisherigen Erfahrungswerte bei 0,7 Ci pro Block und Jahr liegen. Dies möchte ich hier wiederholen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Herr Minister, nachdem die Bundesregierung im Gegensatz zu den allermeisten öffentlichen Körperschaften im grenznahen Raum den vollen Ausbau der Atomzentrale Cattenom unterstützt, frage ich Sie, ob die Bundesregierung konsequenterweise auch den von der französischen Seite seit längerem vorgetragenen Wunsch unterstützt, den bundesdeutschen Energiemarkt für Atomstromexporte aus Cattenom zu öffnen?Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter Schreiner, in Ihrer Frage sind zwei Feststellungen, die so nicht stimmen.
— Ich versuche nur, Ihre Frage zu beantworten.
Zunächst einmal unterstützt die Bundesregierung überhaupt keine Ausbaupläne, sondern sie hat zur Kenntnis zu nehmen, daß die französische Regierung in voller Souveränität ihre Ausbaupläne durchführt. Wir nehmen durch Verhandlungen auf den Sicherheitsstandard Einfluß, und dies geschieht nicht nur durch diese Bundesregierung, sondern dies wurde, wie Sie sehr genau wissen, auch von den Vorgängern dieser Bundesregierung so gesehen. Wir bedauern allerdings, daß nicht früher mit der gleichen Nachdrücklichkeit verhandelt worden ist, wie das gegenwärtig passiert. Dies zum ersten.Zum zweiten wissen Sie ganz genau, daß wir bemüht sind, die Energiepolitik der Bundesregierung so zu gestalten, daß sie in enger Abstimmung mit Frankreich und im Rahmen der europäischen Verträge
Metadaten/Kopzeile:
12426 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Bundesminister Dr. Töpferdurchgeführt werden kann. Daran wird sich nichts ändern.
Das überlasse ich Ihrer Beurteilung, Herr Abgeordneter Schreiner.
Jetzt eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Conrad.
Da Sie, wenn ich das richtig verstanden habe, bestritten haben, daß die Bundesregierung dem Vollausbau von Cattenom zustimmt, frage ich Sie: Wo und wann hat die Bundesregierung versucht, den Vollausbau von Cattenom zu verhindern? Was hat sie zusätzlich getan, um die Erhöhung der Kapazität von 900 auf 1 300 Megawatt zu verhindern?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Frau Abgeordnete Conrad, ich darf Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Bundesregierung keine Zustimmung zu einer Ausbauplanung eines souveränen Staats in Europa zu geben hat. Wir sind hier nicht Zustimmungspflichtige oder Zustimmungsberechtigte, sondern wir haben die Interessen der deutschen Bevölkerung wahrzunehmen, und zwar mit Blick auf die Sicherheitsanforderungen. Exakt das haben wir getan. Ich sage noch einmal: Es wäre ein Einfluß auf die Ausbauplanungen möglicherweise dann gegeben gewesen, als sie beschlossen worden sind. Dies ist lange vor dieser Bundesregierung passiert.
Es wäre außerordentlich hilfreich, wenn Sie auch dies noch einmal zur Kenntnis nähmen. In vielen sehr guten Anfragen hier ist danach gefragt worden, und das ist entsprechend beantwortet worden.
Herr Abgeordneter Diller, ich kann Ihnen jetzt keine Zusatzfrage mehr geben; Sie haben Ihre beiden Fragen verbraucht. Sie haben gleich bei Ihrer nächsten Frage 24 die Möglichkeit, Zusatzfragen zu stellen. — Hier haben wir jemanden, der das vielleicht ersatzweise macht. Bitte schön.
Nein, ich stelle meine Frage.
Herr Bundesminister, meinen nicht auch Sie, daß in unserer europäischen Situation der Begriff der „vollen Souveränität" den Sie jetzt zweimal gebraucht haben, in dieser Form, bei solchen Anlagen und bei solchen politischen Kontroversen im grenznahen Bereich im Sinne eines gemeinsamen Europas vielleicht etwas abgemildert werden sollte?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich bin ganz und gar Ihrer Überzeugung. Ich bin der festen Überzeugung, daß dies gerade deswegen mit
zu einem gutnachbarschaftlichen Verhandeln mit den Nachbarn führen muß. Ich darf Sie auch darauf hinweisen, daß wir seit langem einen Euratom-Vertrag haben, in dem auch die Verfahrensschritte bei solchen Einrichtungen festgelegt sind.
Sie wissen, daß gerade die Diskussion über die Genehmigungssicherheit davon ausgegangen ist, daß möglicherweise oder tatsächlich eine entsprechende Verletzung von Euratom-Recht hier stattgefunden hat, die geheilt worden ist.
Dies ist also voll und ganz meine Überzeugung. Ich wäre sehr dankbar, wenn man auf diesem Weg der gemeinsamen Planung schon wesentlich weiter wäre, als wir das sind. Aber ich kann hier nicht Fragen mit Hoffnungsaussagen beantworten, sondern ich kann sie hier nur mit dem beantworten, was gegenwärtig Rechtsgrundlage ist, und ich habe noch einmal zu unterstreichen, daß die Bundesregierung nicht zuzustimmen hat, sondern daß sie die berechtigten Ansprüche der deutschen Bevölkerung wahrzunehmen hat, und zwar mit Blick auf den Sicherheitsstandard dieses Kernkraftwerks in Frankreich.
Nun rufe ich die Frage 24 des Abgeordneten Diller auf:
Warum akzeptiert die Bundesregierung den Vollausbau des Atomkraftwerkes Cattenom, obwohl die Erstellung einer Auswirkungsstudie vor der Erteilung der neuen Genehmigungen versäumt wurde?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frage wie folgt beantworten.
Wie bereits in meiner Antwort auf Frage 23 ausgeführt, sind die Baugenehmigungen für die Blöcke Cattenom III und IV, zumindest seit Anfang 1986, unanfechtbar rechtskräftig. Die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung verpflichtet die Mitgliedsstaaten, das nationale Recht bis zum 1. Juli 1988 entsprechend anzupassen; sie berühren schon deshalb diese genannten, bereits erteilten Baugenehmigungen auch zu unserem Bedauern nicht mehr.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Diller.
Sieht die Bundesregierung angesichts der Urteile, die im Sommer erlassen worden sind, keine Notwendigkeit, die französische Seite auf Einhaltung dieser UVP-Richtlinie zu drängen?Dr. Töpfer, Bundesminister: Ich habe Ihnen gesagt, Herr Abgeordneter Diller, daß diese Einhaltung der UVP-Richtlinie durch europäisches Recht ab dem 1. Juli 1988 verpflichtend ist. Dies gilt für alle Mitgliedstaaten.Ich darf Ihnen dazu sagen, daß wir natürlich immer und immer wieder die französische Seite gedrängt und mit ihr hart verhandelt haben, um Besserungen in der Gesamtbeurteilung herbeizuführen.Dazu darf ich noch einmal auf die Antworten verweisen, die Ihnen der Parlamentarische Staatssekretär Gröbl im September dieses Jahres — das ist also
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12427
Bundesminister Dr. Töpfernoch nicht einmal drei Wochen her — hier gegeben hat.
Weitere Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Minister, wie beurteilen Sie die Haltung der CDU-Kreistagsfraktion Trier/Saarburg, die am 24. August 1989 folgendes mitgeteilt hat: Die CDU-Kreistagsfraktion sieht in der neu erteilten Ableitungsgenehmigung für die im Bau befindlichen Blöcke III und IV der Atomzentrale Cattenom eine Mißachtung der bisherigen Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des französischen Staatsrats. Zudem widerspreche das jetzt vom französischen Industrieministerium praktizierte Verfahren dem Geist freundschaftlicher und gutnachbarschaftlicher Beziehungen in einem grenzfreien vereinigten Europa. Es sei daher an der Zeit, die juristischen Widerstände deutscher und luxemburgischer Kommunen sowie des Saarlandes durch politische Schritte der Bundesregierung zu ergänzen. — Das ist, wie gesagt, vom 24. August 1989.
Dr. Töpfer, Bundesminister: Wie gesagt, Herr Kollege Diller, sind diese Schritte nicht zu ergänzen. Sie sind vielmehr schon seit langem gemacht worden. Wir haben in politischen Verhandlungen nachhaltig und in Kenntnis beider Landesregierungen diese Ziele mit angestrebt. Ich glaube, das war nicht ohne Erfolg, wie ich es Ihnen in der Beantwortung der Frage 23 sehr klar ausgeführt habe.
Ich begrüße es natürlich, daß sich auch in dem Grenzraum möglichst viele immer wieder Gedanken darüber machen, wie dies noch weiter vorangebracht werden kann.
Ich wäre nebenbei auch sehr dankbar gewesen, wenn etwa diese Frage von saarländischer Regierungsseite dem Kollegen Fauroux, der als Industrieminister in Frankreich für die Genehmigung zuständig ist, gestellt worden wäre, als er vor einiger Zeit in Saarbrücken gewesen ist, um über eine andere Sache mit der saarländischen Regierung zu sprechen.
Herr Abgeordneter Müller .
Herr Bundesminister, nachdem Sie dankenswerterweise bei der Beantwortung der Frage 23 festgestellt haben, daß die Leistungsteigerung der beiden Cattenom-Kraftblöcke von 900 auf 1 300 Megawatt zu Zeiten der Schmidt-Regierung erfolgt sind, darf ich Sie in Ergänzung der Beantwortung zu Frage 24 fragen, wie Sie die rechtliche Qualität seitens der EG-Kommission einschätzen, wenn gefordert wird, daß die Erstellung einer Auswirkungsstudie verlangt wird? Hat es — je nachdem, wie diese Auswirkungsstudie erfolgt — irgendeinen rechtlichen Einfluß auf den Bau oder Nichtbau dieser Kraftwerksblöcke?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Ich glaube, wir müssen jetzt einmal drei Teilbereiche unterscheiden. Das eine ist die nach Art. 37 des EG-Vertrages notwendige vorhergehende Überprüfung dieser Anlage. Dies war der Anlaß, warum es zu einer entsprechenden gerichtlichen Überprüfung gekommen ist. Sie ist zu spät eingeleitet worden.
Auf der anderen Seite gibt es — ich sage es noch einmal — mit Wirkung vom 1. Juli 1988 die europäische Umweltverträglichkeitsrichtlinie, die für bestimmte Anlagen, die genau fixiert worden sind, eine vorherige Überprüfung der Umweltverträglichkeit erforderlich macht. Diese konnte in diesem Fall nicht eingefordert werden, weil diese Entscheidungen bereits vor dem 1. Juli 1988 gefällt worden sind.
Natürlich ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung immer mit dem Ziel anzufertigen, möglicherweise vorhandene Probleme für die Umwelt zu erkennen und durch Änderung der Planung oder durch Verzicht auf ein Projekt diese Umweltbelastung zu vermeiden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.
Herr Minister, nachdem Sie soeben angedeutet haben, die saarländische Landesregierung habe bei einem Besuch von Herrn Fauroux in Saarbrücken notwendige Fragen nicht gestellt, frage ich Sie: Erstens, woher wissen Sie, welche Fragen die saarländische Landesregierung gestellt hat; und zweitens, welche Fragen haben Sie gestellt?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Ich kann Ihnen darauf hinweisend nur sagen, daß Herr Fauroux, der Industrieminister Frankreichs, für die Genehmigungsfragen von Cattenom zuständig ist.
Ich kann Ihnen ebenfalls noch einmal sagen, daß Herr Fauroux vor nicht langer Zeit im Zusammenhang mit Fragen der eisenschaffenden Industrie im Saarland gewesen ist und daß wir bis zur Stunde über irgendwelche damit verbundenen Verhandlungserfolge der saarländischen Landesregierung im Gespräch mit Herrn Fauroux nichts gehört haben. Dies habe ich aufgegriffen, und das möchte ich wiederholen.
Herr Abgeordneter Schreiner, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß der direkte Bezug zur Frage nur schwer herstellbar gewesen ist. Es war mehr ein Bezug zur Antwort — , ohne jetzt Haarspalterei zu betreiben.
Frau Abgeordnete Conrad, Sie wollen noch eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Kann ich nach den bisherigen Äußerungen davon ausgehen, daß die Bundesregierung der Meinung ist, daß das Genehmigungsverfahren für die Blöcke III und IV rechtmäßig und ordentlich abgelaufen ist, obwohl die Genehmigung, die vorher für 900 Megawatt erteilt worden ist, plötzlich für 1 300 Megawatt gültig wurde, und ist dies mit unseren Vorstellungen in Übereinstimmung zu bringen?Dr. Töpfer, Bundesminister: Frau Abgeordnete, davon können Sie nicht ausgehen. Ich habe Ihnen hier dargestellt, wie die letztinstanzliche Aussage in Frankreich, das, was der Staatsrat in Paris gesagt hat, lautet. Dies ist für uns die Basis, auf der wir unsere Verhandlungen mit Frankreich über eine Verbesse-
Metadaten/Kopzeile:
12428 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Bundesminister Dr. Töpferrung sowohl im Blick auf Ableitungsbedingungen als auch mit Blick auf Informationen und andere dieses Kernkraftwerk betreffende Fragen weiterhin führen werden. Ich glaube, das ist der sinnvollste, beste Weg, den wir hier gehen können, gerade auch im Hinblick auf die von Ihrem Kollegen in der Frage angeprochenen gutnachbarschaftlichen Beziehungen. Die sollten wir nutzen und ausbauen, dann tun wir das Beste für die Sicherheit der Menschen in diesem Raum.
Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Vahlberg werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 27 des Abgeordneten Schreiner auf:
Aus welchen Gründen hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Töpfer, den Wunsch der saarländischen Landesregierung auf Errichtung der Europäischen Umweltagentur im Saarland nicht unterstützt?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verhehle nicht, daß ich mich über diese Fragen in ganz besonderer Weise gefreut habe. Ich darf sie wie folgt beantworten.
— Ich weiß nicht, ob Sie das als Ist-Bestand kennzeichnen; dann haben Sie recht. Dazu, wieweit Sie das als Prognose verstanden wissen wollen, möchte ich keine Stellung nehmen, Herr Abgeordneter.
Der Staatssekretär in meinem Ministerium hatte die Amtschefs der Bundesländer für den 12. September 1989 zur Erörterung der von verschiedenen Bundesländern vorgelegten Bewerbungen über den Standort der Europäischen Umweltagentur eingeladen. Durch ein Telefax der Staatssekretärin im Ministerium für Umwelt des Saarlandes, das am Mittag eben dieses Tages, also des 12. September 1989, in meinem Ministerium einging, wurde ich durch gleichzeitige Übermittlung der Abschriften von Briefen des saarländischen Ministers für Bundesangelegenheiten und besondere Aufgaben vom 10. Februar 1989 und vom 27. Juni 1989 an den EG-Kommissar Ripa di Meana erstmals über die Bewerbung des Saarlands um den Sitz der Agentur unterrichtet. Bis zum 12. September 1989 lag mir mithin eine Bewerbung des Saarlandes um den Standort der Europäischen Umweltagentur, die ich, wie Sie fragen, hätte unterstützen können, nicht vor. Einen Antrag, der nicht vorliegt, kann ich beim besten Willen nicht unterstützen, Herr Abgeordneter.
Am 14. September 1989 hatte sich das Bundeskabinett unter Abwägung der Vor- und Nachteile der vorgeschlagenen Standorte für eine Bewerbung der Bundesrepublik Deutschland mit dem Standort Berlin entschieden. Diese Bewerbung der Bundesrepublik Deutschland, diese Entscheidung des Bundeskabinetts mit dem Standort Berlin habe ich am 19. September 1989 im EG-Umweltministerrat eingebracht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Minister, ich möchte Sie fragen, ob Sie meiner Interpretation, daß Sie soeben die Unwahrheit gesagt haben, insoweit folgen können, als am 10. Februar 1989 das Bewerbungsschreiben der saarländischen Landesregierung in Brüssel schriftlich vorlag, dieses Bewerbungsschreiben am 27. Juni 1989 in einem weiteren Vorgang konkretisiert worden ist und sich die saarländische Landesregierung insoweit objektiv mehrfach bei dem zuständigen EG-Kommissar in Brüssel schriftlich beworben hat, über diesen Vorgang zudem in der Landespresse ausführlich berichtet worden ist — ich vermute, daß Sie als Ministerpräsidentenkandidat zumindest gelegentlich die „Saarbrücker Zeitung" lesen — und zudem nach den Erklärungen in der Zeitung auch die CDU im Saarland der Bewerbung der Landesregierung zugestimmt habe? Stimmen Sie mir zu, daß nach all diesen Vorgängen Ihre Äußerung von eben, es liege keine Bewerbung vor, mit der Wahrheit offenkundig ein bißchen — ein bißchen viel — über Kreuz liegt?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich bin nicht für die Wertung von Fragen zuständig. Aber ich weise mit allem Nachdruck zurück, daß hier irgendein Satz, den ich gesagt habe, mit der Wahrheit irgendwo über Kreuz läge.
Ich möchte mit allem Nachdruck und in aller Deutlichkeit und Klarheit sagen und Ihnen noch einmal vorlesen, was ich gesagt habe, nämlich daß mir mit Datum vom 12. September 1989 mittags mitgeteilt worden ist, daß im Februar und im Juni entsprechende Schreiben des Ministers für Bundesangelegenheiten nach Brüssel gesandt worden sind. Bis zu diesem 12. September lag der Bundesregierung — und dies habe ich hier gesagt — ein Antrag des Saarlandes auf Errichtung dieser Agentur im Saarland nicht vor. Das ist keine Verdrehung von Wahrheiten oder Tatsachen, sondern das ist die Situation. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. Und ich bitte Sie vor allen Dingen, zurückzunehmen, daß hier mit der Wahrheit in irgendeiner Form nicht richtig umgegangen worden sei.
Ich gebe Ihnen das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage.
— Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Bundesminister, Sie haben auf dem Landesparteitag der CDU im Saarland am 10. September 1989 ausweislich des Protokolls folgendes formuliert:Die Landesregierung des Saarlandes hat keinerlei Bewerbung für den Standort der Europäischen Umweltagentur vorgelegt.Können Sie der Wertung zustimmen, daß dieser Satzangesichts des mehrfachen Vorlegens einer Bewer-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12429
Schreinerbung in Brüssel nicht nur die Unwahrheit ist, sondern eine glatte Lüge war?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich werde Sie darauf hinweisen dürfen, daß das die Frage 28 ist. Aber ich will Ihnen die hier schon gern mitbeantworten.
— Das ist die Frage 28, die Sie jetzt ansprechen. Sie fragen nach meinen Äußerungen auf dem Landesparteitag der CDU im Saarland. Das ist die Frage 28, die Sie gestellt haben, und die darf ich Ihnen gerne beantworten, wenn der Herr Präsident dies erlaubt.
Ich habe keine Einwendungen dagegen. Ich werde deswegen allerdings nicht die Fragemöglichkeiten des Herrn Abgeordneten beschränken.
Ich rufe also nun auch die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Schreiner auf:
Trifft es zu, daß der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Töpfer, am 10. September 1989 in Saarbrücken erklärt hat, er wolle eine „gezielte Vorbereitung des Saar-Lor-Lux-Raums, der Städte Metz, Luxemburg, Saarbrücken als Standortregion für europäische Institutionen", und welche Einrichtungen hat er dabei ins Auge gefaßt?
Bitte sehr, Herr Minister.
Dr. Töpfer, Bundesminister: Beim Landesparteitag der CDU-Saar am 9. September 1989 in Saarbrücken, also zu einem Zeitpunkt, zu dem mir eine Bewerbung der saarländischen Landesregierung — wie gerade ausgeführt — um einen Standort der Europäischen Umweltagentur im Saarland noch nicht vorlag, habe ich mein Erstaunen darüber zum Ausdruck gebracht, daß es seitens der saarländischen Landesregierung offenbar an einer gezielten Vorbereitung des SaarLor-Lux-Raumes unter Einbindung der Städte Metz, Luxemburg und Saarbrücken als Standortregion europäischer Institutionen fehle. Sodann habe ich wörtlich ausgeführt:
Die Landesregierung des Saarlandes hat keinerlei Bewerbung für den Standort der Europäischen Umweltagentur vorgelegt — weder für das Saarland, geschweige denn einen Antrag, der innerhalb des Saar-Lor-Lux-Raumes abgestimmt wäre.
Ich stelle fest, daß der Ministerpräsident des Saarlandes dieses Defizit inzwischen wohl ebenfalls erkannt hat. Am 3. Oktober 1989 ist mir nachrichtlich ein Schreiben des saarländischen Ministerpräsidenten an den französischen Premierminister Rocard vom 28. September 1989 zugegangen, in dem der saarländische Ministerpräsident die französische Regierung um Unterstützung seines Vorschlages bittet, die Agentur als gleichberechtigte deutsch-französische Einrichtung zu betreiben und als Sitz je einen saarländischen und lothringischen Standort zu benennen.
Das ist also exakt das, was ich am 9. September auf unserem Landesparteitag eingefordert habe. Und ich sage noch einmal: Am 9. September lag mir, lag der
Bundesregierung ein Antrag der saarländischen Landesregierung nicht vor.
Herr Abgeordneter Schreiner, ich bitte jetzt um Ihr Verständnis dafür — denn wir sind ja in die nächste Frage geraten —, daß ich zunächst einmal die Zusatzfragen der Kollegen zur Frage 27 abwickele. Das heißt, zunächst einmal haben der Abgeordnete Schreiber, die Abgeordnete Frau Conrad und der Abgeordnete Müller das Wort. Dann haben Sie die Möglichkeit, zwei Fragen zur Frage 28 zu stellen. Dies nur zur Klärung der Geschäftslage.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schreiber.
Da nun zweifelsfrei feststeht, daß das Saarland keinen Antrag beim Bund auf Berücksichtigung des Sitzes der Umweltagentur im Saarland eingereicht hat, frage ich: Wie beurteilt die Bundesregierung die Ernsthaftigkeit der Bewerbung des Saarlandes um den Sitz der Umweltagentur und insbesondere auch die Beschreitung des Weges, um zu erreichen, daß diese Umweltagentur ihren Sitz im Saarland hat?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter Schreiber, ich kann nur — ohne jede weitere Wertung — feststellen, daß der Bundesregierung eine Vielzahl von ganz konkreten Standortwünschen aus den Bundesländern vorgetragen worden ist und daß die auf verschiedenste Art und Weise begründet worden sind. Ich möchte deswegen auch ganz klarmachen, daß eine Bewerbung um so eher Chancen haben kann, auch in Europa mit Erfolg vertreten zu werden, wenn sie über die jeweilige nationale Regierung eingebracht wird. Ich kann darauf aufmerksam machen, daß zehn von den zwölf Mitgliedstaaten der Gemeinschaft diese Bewerbung über die jeweiligen Landesregierungen eingebracht haben. Wer dies nicht macht, wird die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs eines solchen Vorschlags sicherlich deutlich vermindern.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Conrad.
Herr Minister, sind Sie bereit, zu bestätigen, daß der Erörterungstermin, der von Ihnen in der Beantwortung der ersten Frage genannt worden ist, nämlich der 12. September, der saarländischen Landesregierung nicht als der besagte Termin, an dem entschieden werden soll, bekannt war, weil das Saarland neben den Ländern Nordrhein-Westfalen und Hamburg zunächst einmal keine Einladung zu diesem Erörterungstermin hatte?
Sind Sie weiter bereit, zu erklären, daß die Terminsetzung kurzfristig erfolgt ist, nachdem die Staatssekretärin im Umweltministerium am Rande der Umweltministerkonferenz am 8. September erfahren hat, daß dieser Erörterungstermin, an dem die Entscheidung fallen sollte, am 12. September stattfindet und daß für die saarländische Landesregierung bis dahin kein Zeitdruck bestanden hat, weil sie nicht wissen konnte, daß dieser Termin bevorstand, eben weil sie
Metadaten/Kopzeile:
12430 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Frau Conradkeine Einladung erhalten hat? Sind Sie bereit, dies zu bestätigen?Dr. Töpfer, Bundesminister: Frau Abgeordnete, ich bin natürlich nicht bereit, das zu bestätigen. Ganz im Gegenteil: Sind Sie möglicherweise bereit, einzusehen, daß man sich Gedanken darüber macht, ob man ein Bundesland einlädt, das vorher keinen Antrag gestellt hat, bei einem Standort berücksichtigt zu werden?
Diese Frage war ungleich naheliegender zu stellen als die umgekehrte Frage, wann man zu einem solchen Abstimmungsgespräch einlädt. Von daher gesehen kann ich überhaupt keinen Grund für diese Kritik sehen.Ich muß noch einmal sagen: Ganz so überraschend kann es nicht gewesen sein; sonst hätten wir nicht gerade am 12. September, just zu diesem Termin, zur Mittagszeit das Fernschreiben aus Saarbrücken bekommen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Müller .
Herr Minister, ich habe eine Frage zur Kleiderordnung — die Kollegen heben ja auf ein angebliches Schreiben eines Landesministers am 10. Februar nach Brüssel ab — : Ist es üblich, solche Anträge direkt von der Landesregierung an die EG-Kommission zu richten, oder ist es nicht üblicherweise so, daß man sich zunächst an die nationale Regierung wendet und dann einen Antrag formuliert, der von der EG-Kommission zu entscheiden ist?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter Müller, ich bin der festen Überzeugung, daß jede Landesregierung, die an einem solchen Standort ein Interesse hat, alle Möglichkeiten nutzen wird, um ihrem Interesse auch wirklich zum Durchbruch zu verhelfen. Das heißt, sie wird sicherlich alles daransetzen, die Bundesregierung davon zu überzeugen, daß sie diesen Standort als einzigen in Brüssel einbringt. Sie wird flankierend darum bemüht sein, auch in Brüssel die vorhandenen Informationsmöglichkeiten zu nutzen und darauf Einfluß zu nehmen.
Sie sollte vor allen Dingen dann, wenn es sich um ein Land handelt, das an der Grenze in Europa liegt, alles daransetzen, ihren nationalen Nachbarn entsprechend mit hinter diese Kandidatur zu bringen, weil sie damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, in Brüssel tatsächlich die Mehrheit zu finden. Auf diesen drei Wegen ist es, glaube ich, möglich, eine solche Kandidatur um eine im Standort außerordentlich umstrittene Agentur für sich positiv zu beeinflussen.
Nun kommen die Zusatzfragen des Abgeordneten Schreiner zu der Frage 28. Ich bitte aber — das trifft auch auf die letzte Frage zu, Herr Abgeordneter Müller den direkten
Zusammenhang zum Kern der Frage nicht ganz außer acht zu lassen.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Minister, da ich in der vorangegangenen Frage den im parlamentarischen Raum ansonsten nicht üblichen Vorwurf der Unwahrheit und der Lüge erhoben hatte, frage ich Sie, ob Sie mein nach wie vor vorhandenes Empfinden nachvollziehen können, weil Sie hier im Parlament anders als auf dem Landesparteitag der CDU argumentiert haben, und zwar insoweit, als Sie hier antworten, die Landesregierung habe bei Ihnen keine Bewerbung eingereicht, und auf dem Saarbrücker Landesparteitag formuliert haben, die Landesregierung habe generell keine Bewerbung eingereicht, was bekanntermaßen nicht zutrifft. Ich frage Sie, ob Ihnen bewußt ist, daß am 10. Februar eine schriftliche Bewerbung beim zuständigen EG-Kommissar eingereicht worden ist, und ich frage Sie zusätzlich, ob Ihnen bewußt ist, daß die Landtagsfraktion der CDU in Saarbrücken diese Bewerbung ebenfalls unterstützt hat. Falls Ihnen dieses nicht bewußt ist, frage ich Sie, wie Sie das Vorgehen der Landtagsfraktion in Saarbrücken bewerten.
Dr. Töpfer, Bundesminister: Ich darf Ihnen dazu sagen, daß ich diese Wertung nicht teile. Ich habe das Wort „generell", wie Sie es gerade zitiert haben, weder hier noch auf dem Parteitag der CDU im Saarland gebraucht. Ich habe deutlich gemacht, daß mir eine Information über den 10. Februar am 9. September nicht vorlag. Ich habe Ihnen gesagt, wann meinem Ministerium diese Informationen zugegangen sind. Von daher sehe ich überhaupt keinen Unterschied zwischen der Aussage vom 9. September auf dem Landesparteitag und der hier. Ich habe Ihnen das sogar wörtlich zitiert. Ich kann beim besten Willen nichts anderes tun, als die Zitate, wenn Sie das gerne möchten, noch einmal vorzutragen. Ich wiederhole sehr gerne, daß der Ministerpräsident des Saarlandes diese Wertung ganz offenbar teilt. Wäre es nicht so, hätte er ja wohl nicht mit Datum vom 28. September ebenfalls an Herrn Präsidenten Rocard noch einmal geschrieben genau in die Richtung, die ich damals auf dem Landesparteitag der CDU in Saarbrücken eingefordert habe. Insofern fühle ich mich im nachhinein sogar in hohem Maße in dem bestätigt, was ich damals gesagt habe.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schreiner.
Da Sie offenkundig nicht lernfähig sind, Herr Minister, gebe ich jetzt den Versuch auf, auf die erkennbaren Unterschiede zu den Formulierungen aus Saarbrücken hinzuweisen, wo Sie gesagt haben: Eine Bewerbung liegt nicht vor. Hier haben Sie gesagt, eine Bewerbung liege Ihnen nicht vor. Das ist ein absoluter, qualitativer Unterschied. In Saarbrücken haben Sie die Unwahrheit gesagt, hier haben Sie versucht — —
Herr Abgeordneter Schreiner, ich möchte Sie bitten!
Deshalb frage ich jetzt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12431
Das wollte ich gerade sagen.
Auch ein Minister kann ja mal einen Fehler zugeben. Es ist doch kein Beinbruch, wenn er sagt, er habe in Saarbrücken danebengelegen.
Sie diskutieren weder mit dem Präsidenten noch mit dem Minister. Bitte stellen Sie Ihre Frage.
Gut, dann frage ich Sie jetzt, Herr Töpfer. Da Sie in Saarbrücken sinngemäß formuliert haben, daß es sehr wünschenswert sei, wenn auch ins Saarland eine europäische Einrichtung käme, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, daß wir im Saarland, was nationale Einrichtungen anbelangt, gegenüber anderen Bundesländern weit im Hintertreffen sind, weil wir erst seit dem 1. Januar 1957 bundesdeutsches Bundesland sind, frage ich Sie, was Sie an Überlegungen ins Auge gefaßt haben, um im Zuge Ihrer Ministerpräsidentenkandidatur entsprechende Einrichtungen ins Saarland zu bringen.
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ganz ohne jeden Zweifel steht es einem Minister gut an, wenn er einen Fehler gemacht hat, dies zuzugeben. Genauso gut würde es einer Landesregierung anstehen, wenn sie einen Fehler gemacht hat, das zuzugeben. Es ist aus meiner Wertung heraus ganz unstrittig, daß die Landesregierung des Saarlandes einen Fehler gemacht hat. Dies ist eine politische Wertung, und diese werden wir sicherlich an vielen Stellen im Saarland und anderswo weiter austragen. Ich glaube nicht, daß Sie an dieser Stelle zu weiterführenden Informationen kommen werden. Ich sage noch einmal: Für meine Begriffe wäre es gut, wenn die Landesregierung des Saarlandes zugeben würde, daß sie an dieser Stelle eine wichtige Chance verpaßt hat, indem sie einen vernünftigen, gut vorbereiteten Antrag nicht gestellt hat.
Nun hat die Abgeordnete Frau Conrad zu der Frage 28 eine Zusatzfrage.
Wenn wir davon ausgehen können, daß Sie zumindest auf dem Bundesparteitag, wenigstens auf informellem Wege, von einem Interesse des Saarlandes oder des Saar-Lor-Lux-Raums an einer solchen europäischen Umweltbehörde wußten, wenn wir davon ausgehen können, daß Sie zwischen Februar und Oktober mehrmals mit dem saarländischen Umweltminister zusammengetroffen sind, wenn wir davon ausgehen können, daß sich auch die saarländische CDU, die ja diesen Antrag öffentlich unterstützt hat, des weiteren die FDP mit Ihnen zumindest auf informellem Wege Kontakt aufgenommen hat, können wir heute wohl sicherlich festhalten, daß Sie wußten, daß sich das Saarland um eine solche Einrichtung bemüht.
Die Frage sollte kurz und präzise sein, Frau Conrad. Ich bitte Sie herzlich, es nicht zu übertreiben.
Was hat der Umweltminister getan, nachdem wir sicherlich festhalten können, daß er auf informellem Wege davon wußte,
um dem Saarland die Möglichkeit zu geben, sich an diesem Bewerbungsverfahren, wenn es nun einmal in Bonn stattfinden sollte, zu beteiligen? Gab es diesbezüglich von Ihrer Seite als Ministerpräsidentenkandidat irgendwelche Kontakte?
Frau Abgeordnete, Sie dürfen keine fünf Fragen stellen, sondern eine. Ich bitte, das jetzt präzise zu machen. Man kann die Großzügigkeit des amtierenden Präsidenten bewußt und gezielt ausnutzen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie darauf verzichten würden. — Bitte schön, Herr Minister.
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie können nicht unterstellen, daß ich informell informiert war.
Sie können hinnehmen und noch einmal zur Kenntnis nehmen, daß es eine offizielle Bewerbung des Saarlandes für den Sitz nicht gegeben hat und daß ich in der Öffentlichkeit des öfteren angemahnt habe, diese Bewerbung vorzunehmen. Ich bin sicher, daß Sie auch meine Äußerung beim Landesparteitag nicht erst jetzt zur Kenntnis genommen haben, sondern möglicherweise am 9. September direkt. Es wäre hervorragend gewesen, wenn man darauf nicht wie gekennzeichnet reagiert hätte, sondern mit dem Hinweis, zu retten, was zu retten wäre. Dies ist zu meinem Bedauern nicht passiert, sondern erst mit Schreiben vom 28. September dieses Jahres an Herrn Rocard durch den Ministerpräsidenten des Saarlandes. Auch hier — lassen Sie mich das hinzufügen — vermisse ich außerordentlich so etwas wie eine abgestimmte Antragslage mit Luxemburg und Lothringen. Ich möchte ganz deutlich sagen, daß das ein Anlaß wäre, daß die saarländische Landtagsfraktion eine Anfrage an die saarländische Landesregierung stellt, warum es immer noch keinen mit Luxemburg und Lothringen abgestimmten Antrag für diese Agentur gibt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Knabe.
Herr Minister Töpfer, macht Ihnen eigentlich dieses kleinliche Hin- und Hergezanke und Recht-haben-Wollen auf beiden Seiten Spaß?
Herr Abgeordneter Dr. Knabe, angesichts des nicht direkten Zusammenhangs mit der Frage ist es auch bei wohlwollendster Interpretation nicht möglich, diese Frage zuzulassen. Falls Sie allerdings Wert darauf legen, eine Berner-
Metadaten/Kopzeile:
12432 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Vizepräsident Cronenbergkung dazu machen zu wollen, Herr Minister, habe ich keine Einwände.Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Präsident, ich schließe mich Ihrer Wertung vorbehaltlos an.
Damit sind wir am Ende der Fragen aus diesem Geschäftsbereich.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht uns Staatsminister Schäfer zur Verfügung.
Die Frage 37 der Frau Abgeordneten Geiger sowie die Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Herkenrath werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Hedrich auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach Aussagen der Gefangenen der SWAPO und nach Aussagen eines bekannten deutschen Pastors die SWAPO-Führer Nujoma und Hamutenya die Erdloch-Gefängnisse der SWAPO besucht hatten und Hamutenya selbst durch Folter erpreßte Geständnisse der Häftlinge per Video aufgenommen hat?
Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf Ihre Frage, Herr Kollege Hedrich, mit dem Satz beantworten: Diese Aussagen sind der Bundesregierung bekannt.
Zusatzfrage? — Nein.
Dann rufe ich die Frage 41 des Abgeordneten Hedrich auf:
Ist die Bundesregierung im Rahmen der besonderen deutschen Verantwortung für Namibia bereit, humanitäre Hilfe, Stipendien-, Start- und Existenzhilfen auch den Opfern der SWAPO zu gewähren?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Angebote der Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit einem unabhängigen Namibia schließen selbstverständlich keine Bevölkerungsgruppe aus. Auch die bisher bereits von Nichtregierungsorganisationen durchgeführten Programme beziehen sich keineswegs nur auf Anhänger der SWAPO, sondern stehen grundsätzlich allen Bevölkerungsgruppen offen.
Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, ob Sie möglicherweise diese Hilfe für die Opfer der SWAPO, insbesondere diejenigen, die sich in den Erdlöcher-Gefängnissen der SWAPO haben aufhalten müssen, präzisieren?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt Behauptungen, die von der SWAPO-Führung nachdrücklich bestritten werden. Uns liegen auch keine beweiskräftigen Belege für diese speziellen gerade von Ihnen genannten Behauptungen vor.
Weitere Zusatzfrage? — Zusatzfrage des Abgeordneten Waldburg-Zeil.
Herr Staatsminister, würden Sie die Aussagen von Gefolterten als nicht beweiskräftig ansehen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich will mich jetzt mit Ihnen nicht in eine Rechtsdiskussion einlassen. Ich habe darauf hingewiesen, daß bestimmte Aussagen, die bezüglich der Erdhöhlenaufenthalte, von der SWAPO-Führung nachdrücklich bestritten werden. Ich kann dazu nur sagen, daß uns beweiskräftige Belege dafür fehlen — außer der von Ihnen genannten Behauptung der Betroffenen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lowack.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß bei Gesprächen, die die Kommission des Deutschen Bundestages in Windhuk geführt hat, vom Parents Committee doch beweiskräftiges Material durch einen Zeugen vorgelegt werden konnte, das von der SWAPO bei dem Gespräch, das wir am nächsten Tag geführt haben, nicht in Frage gestellt wurde, und wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß ein führender SWAPO-Mann wie Lubowski eingeräumt hat, daß man diese Leute, die noch nicht freigelassen worden waren, z. B. nach Tansania verbracht habe?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, das ist eine Frage, die erst später gestellt wird. Ich möchte jetzt noch nicht auf diese Frage eingehen, weil sie einen neuen Gesichtspunkt aufwirft.
Ich kann dazu nur sagen: Ich habe in bezug auf diese eine spezielle Tatsache Erdhöhlen zum Ausdruck gebracht, daß uns keine Beweise hierfür vorliegen. Wir sind uns über menschenrechtliche Verletzungen der SWAPO im klaren. Das habe ich nicht bestritten. Ich bin nur nicht in der Lage, Ihnen jetzt ganz konkret zu ganz konkreten Vorwürfen zu sagen: Das ist bewiesen. — Sie sagten ja, Sie berufen sich auf bestimmte Zeugenaussagen. Daß es Menschenrechtsverletzungen gegeben hat, ist von mir nicht bestritten worden.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Timm.
Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, daß unsere humanitäre Hilfe allen Opfern dieses entsetzlichen Bürgerkrieges gelten werde und damit natürlich auch Opfern von im Bürgerkrieg von der SWAPO begangenen Verbrechen?
Schäfer, Staatsminister: Selbstverständlich wird unsere humanitäre Hilfe nicht nach ideologischen Gesichtspunkten, sondern immer nach dem Gesichtspunkt der Hilfe für die Menschen ausgerichtet.
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es im Hinblick auf eine drin-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12433
Toetemeyergend notwendige Versöhnung in Namibia wenig Sinn macht, Opfer gegeneinander aufzurechnen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie beziehen sich, wenn ich Sie recht interpretiere, auf schwere Menschenrechtsverletzungen, die es natürlich auch während der südafrikanischen Besatzung im Norden Namibias gegeben hat, insbesondere im OvamboLand.
Ich nehme an, daß Sie das gemeint haben. Von daher kann ich nur sagen, daß wir jetzt im Augenblick alles tun wollen, um in der letzten Phase des Wahlkampfs dazu beizutragen, daß die Gegensätze nicht von neuem aufbrechen, sondern daß sie nach Möglichkeit in der Wahl überwunden werden, damit es zu einem freien Namibia kommen kann, in dem sich auch die Gegner von gestern heute verständigen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, sind Ihnen nicht Aussagen von Betroffenen über die Unterbringung in Erdlöchern bekannt?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß uns solche Aussagen zwar bekannt sind, aber daß das Bekanntwerden von Aussagen noch nicht Beweiskraft haben muß, wenn die andere Seite das bezweifelt bzw. zurückweist.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil auf:
Wie bewertet die Bundesregierung im Hinblick auf die Resolution 435 und die Menschenrechtsbilanz der SWAPO das Dreierprotokoll vom März 1989 zwischen der SWAPO, der Regierung Angolas und des UNHCR, wonach die SWAPO und nicht der UNHCR regelmäßig die Protokollpartner über die Situation der Namibier in den SWAPO-Lagern informiert?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, die Regierung Angolas und die SWAPO haben diese Vereinbarung in eigener Verantwortung geschlossen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß der UNHCR und die angolanische Regierung davon überzeugt waren, die bestmögliche Lösung für die Repatriierung aller in Angola lebenden Flüchtlinge gefunden zu haben. Rückblickend hätte man sich gewünscht, daß es dem UNHCR vor Beginn der Rückführung ermöglicht worden wäre, sich durch eigene Besuche in allen Lagern ein Bild von den Verhältnissen dort zu verschaffen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Dann hat der Abgeordnete Hedrich eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, liegen Ihnen Informationen vor oder können Sie dieselben bestätigen, daß z. B. den Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes nach wie vor der Zugang zu SWAPO-Lagern in Angola verwehrt wird?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, mir liegt noch nicht der endgültige Bericht der Kommission vor, die sich auf Anweisung des Generalsekretärs nach Angola begeben hat. Aber es liegen uns schon Hinweise von der Botschaft bzw. von unserer Vertretung in Windhuk über das vor, was ein deutscher Mitarbeiter, der im Stab des UN-Sonderbeauftragten in Angola gewesen ist, jetzt schon mitgeteilt hat: daß es nach seinen Erfahrungen, nach der Arbeit dieser Kommission dort erkennbar keine Lager mehr gibt.
Aber wir müssen den offiziellen Bericht der Kornmission abwarten, bevor wir sagen können, daß das voll zutrifft.
Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, daß auch der internationalen Kommission des Roten Kreuzes Zugang zu den betreffenden Gegenden verschafft wird?
Schäfer, Staatsminister: Wir waren immer der Meinung, Herr Kollege, daß allen nur denkbaren Gruppierungen, die für sich Neutralität in Anspruch nehmen können — das Rote Kreuz gehört natürlich dazu — , der Zugang zu solchen Gebieten eröffnet wird. Aber ich weise noch einmal darauf hin, daß es eine Abmachung für die Reise mit dem UN-Sonderbeauftragten gegeben hat, die inzwischen erfolgt ist, und daß das Ergebnis dieser Reise zwar noch nicht vorliegt, aber erste Hinweise da sind, daß bestimmte Behauptungen, an bestimmten Stellen seien noch Lager, offensichtlich nicht mehr zutreffen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß gegenüber der Delegation des Auswärtigen Ausschusses, die Ende August in Namibia war und die diese Frage ausdrücklich angesprochen hat, seitens des Beauftragten der UNO, Herrn Ahtisaari, bestätigt worden ist, daß eine Kommission mit genau dem Ziel, das Sie dargestellt haben, gebildet werden würde?
Schäfer, Staatsminister: Das ist uns aus Ihren Berichten bekannt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lowack.
Herr Staatsminister, wenn Sie erfreulicherweise und fairerweise schon einräumen, daß man sich vor dieser Vereinbarung, die zwischen der SWAPO und dem UNHCR abgeschlossen wurde, schon eher hätte über die Lage in Angola informieren sollen, würden Sie mir zustimmen, daß heute vielleicht eine besondere Verpflichtung des UNHCR bestünde, den Darstellungen des Parents-Komitees und anderer nachzugehen, daß entgegen den SWAPO-
Metadaten/Kopzeile:
12434 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
LowackBehauptungen noch eine Reihe von Menschen unter grausamen Bedingungen festgehalten werden?Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich fände es gut, den uns in den nächsten Tagen zugehenden Bericht der Kommission abzuwarten, bevor wir weiterhin Behauptungen aufgreifen, die offensichtlich nicht mehr ganz so stimmen. Ich bitte Sie, den Bericht mit uns abzuwarten. Wir sollten daraus dann unsere Schlüsse ziehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.
Herr Staatsminister, meinen nicht auch Sie, daß es jeder Fraktion dieses Hauses freisteht, die Beschuldigungen gegen die SWAPO so genau der SWAPO vorzutragen, wie es unsere Kollegin Eid in ihrem offenen Brief an die SWAPO getan hat; und ist Ihnen ein ähnlicher Brief aus CDU-Kreisen bekannt?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es ist nicht Übung, daß Abgeordnete uns ihre Briefe mitteilen und ans Auswärtige Amt etwa zur Begutachtung geben. Aber ich kenne den Brief von Frau Eid; er ist mir bekannt geworden. Ich kann jetzt natürlich nicht bestätigen, welche Kollegen außerdem einen Brief geschrieben haben. Doch ich gehe davon aus, daß sich auch andere Fraktionen, sei es brieflich, sei es mündlich, geäußert haben.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Äußerungen von Anton Lubowski, die dieser wenige Tage vor seiner Ermordung in einem Interview geäußert hat , denen zufolge die noch bei der SWAPO inhaftierten Gefangenen inzwischen aus Angola abtransportiert und nach Tansania sowie in die Volksrepublik Kongo verbracht worden seien, und hat die Bundesregierung bereits Schritte eingeleitet, um eine Klärung dieser Vorgänge in diesen beiden Ländern zu betreiben?
Schäfer, Staatsminister: Die SWAPO-Führung hat bestritten, daß Lubowski solche Äußerungen gemacht hat. Ihre Authentizität läßt sich nach dem kaltblütigen Mord an Herrn Lubowski nicht mehr feststellen. Die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse in dieser Angelegenheit.
Zusatzfrage. Bitte schön.
Herr Staatsminister, hielten Sie es nicht für richtig, daß die Bundesregierung von sich aus Nachforschungen anstellt, da es hier nicht um eine Störung des Befriedungsprozesses, sondern um eine Rettung möglicher Opfer geht?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, wir sind natürlich bemüht, über unsere Botschaften, soweit es möglich ist, solchen Behauptungen nachzugehen. Aber wir haben bis zur Stunde keine Bestätigung dieses Zitats aus der „Neuen Zürcher Zeitung".
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil? — Nein.
Herr Abgeordneter Dr. Hirsch, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, bei Würdigung aller anerkennenswerten Motive dieser Fragen frage ich: Sind auch Sie der Meinung, daß man gerade im Endstadium eines Wahlkampfs in einem Land, das einen 13jährigen Bürgerkrieg hinter sich hat, bei der Würdigung aller solcher Darstellungen mit äußerster Zurückhaltung vorgehen und sie sehr sorgfältig auf den Wahrheitsgehalt prüfen muß?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Hirsch, ich hatte soeben genau dies in einer Antwort zum Ausdruck gebracht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.
Muß die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß eine große Zahl bisher Vermißter noch fehlt, nicht annehmen, daß sie entweder anderswohin verbracht oder möglicherweise umgekommen sind und daß daher, auch wenn man unmittelbar vor Wahlen ist, aller Anlaß besteht, so etwas vielleicht gerade im Interesse der Angeschuldigten aufzuklären?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es ist sicher richtig, wenn Sie hier an die Bundesregierung besorgte Fragen stellen, die mit dem Verschwinden und möglicherweise mit Todesfällen in Zusammenhang stehen. Wir versuchen, so gut wie möglich solchen Spuren nachzugehen. Aber ich mußte Ihnen heute schon mehrmals sagen, daß bestimmte Behauptungen von uns nicht verifiziert werden konnten und daß keinerlei neue Erkenntnisse vorliegen, wir uns vielmehr weithin auf die Nachrichten verlassen müssen, die wir etwa von der Kommission, die sich in Angola und Sambia um die Klärung dieser Fragen bemüht hat, zu erhalten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lowack.
Herr Staatsminister, darf ich mich denn in voller Würdigung der Frage des Kollegen Hirsch und Ihrer Antwort darauf erkundigen, ob sich die Bundesregierung bei den Regierungen der Republiken Kongo und Tansania besonders im Hinblick auf unsere sehr umfangreiche Entwicklungshilfe bereits konkret erkundigt bzw. die entsprechenden Kontakte aufgenommen hat, um diese Äußerungen, die Lubowski gemacht haben soll, zu verifizieren?Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie werden bitte Verständnis dafür haben, daß Äußerungen, die jemand gemacht haben soll, die in einer Zeitung erschienen sind und jetzt von Ihnen hier aufgegriffen worden sind, uns nicht sofort veranlassen, jeder einzelnen Äußerung nachzugehen; da müssen eigentlich schon stärkere und mehr Hinweise existieren. Wir haben auch von unseren befreundeten Staaten keine
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12435
Staatsminister Schäfersolchen Hinweise; und sie alle unterhalten Botschaften in den von Ihnen genannten zwei Ländern.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Graf Huyn auf:
In welcher Weise ist die Bundesregierung gegenüber der SWAPO und den Regierungen Angolas und Sambias tätig geworden, nachdem die Berichte teils freigelassener, teils geflüchteter SWAPO-Häftlinge über ihre Haftbedingungen und die durchlittenen schweren und systematischen Folterungen bekannt wurden?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung verurteilt die Menschenrechtsverletzungen der SWAPO. Dies habe ich in meiner Antwort am 2. August auf eine schriftliche Anfrage des Herrn Kollegen Hedrich bereits zum Ausdruck gebracht.
Die Bundesregierung hat die SWAPO aufgefordert, die freie und ungehinderte Rückkehr aller Namibier entsprechend der Resolution 435 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sicherzustellen.
Zusatzfrage, bitte sehr, Graf Huyn.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß, um diese Tatbestände aufzuklären, mit allem Nachdruck nachgefragt und nachgeforscht werden sollte, sowohl bei der SWAPO in Namibia als auch in den möglicherweise mit betroffenen Staaten wie Sambia, Angola oder Tansania?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, was Angola und Sambia betrifft, können wir wirklich davon ausgehen, daß es dort kein Interesse gibt, in irgendeiner Weise Vorgänge zu stützen oder zu verschleiern, die in diesem Zusammenhang stehen. Ich glaube, daß dort das Interesse an einer friedlichen Beilegung des Konflikts wesentlich größer ist als das Interesse, irgendwelche Machenschaften einer Organisation, die nicht bewiesen sind, zu stützen. Das ist wirklich unser Eindruck. Ihn habe ich auch sehr nachhaltig von der Volksrepublik Kongo.
Aber abgesehen davon muß man vielleicht auch die Frage stellen, wieso Berichte über solche Folterungen zum Teil von Leuten verfaßt werden, die über lange Jahre hinweg — zum Teil auch als Seelsorger — für die SWAPO tätig gewesen sind. Wieso kommen solche Berichte so spät?
Weitere Zusatzfrage, Graf Huyn, bitte schön.
Auf die Ursache der Berichte hin wollte ich nur noch zusätzlich fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich selbst auch mit Mitgliedern des Parents Committee gesprochen und von diesen solche Hinweise bekommen habe.
Schäfer, Staatsminister: Uns ist bekannt, Herr Kollege, daß solche Hinweise bei Ihren Gesprächen und bei Gesprächen des Auswärtigen Ausschusses gegeben worden sind. Wir sind dem nachgegangen. Wir
haben natürlich auch die SWAPO aufgefordert, Stellung zu nehmen.
Es gibt hier Widersprüche. Es gibt inzwischen seitens der SWAPO zu bestimmten Vorwürfen das Zugeständnis, daß Menschenrechtsverletzungen begangen worden sind. Das bestreitet die SWAPO ja nicht mehr allgemein, sondern nur zu ganz bestimmten Vorwürfen. Einer wurde hier heute besonders genannt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es Aufgabe deutscher Politik und dieses Hauses sein sollte, in der gegenwärtigen schwierigen Phase der Auseinandersetzungen zwischen politischen Gruppen alles zu tun, um Gewalt zu vermeiden, statt dessen zum Frieden aufzurufen und Menschenrechtsverletzungen, von wem auch immer sie begangen werden, anzuprangern?
Würden Sie darin jenen deutschen Staatsbürger Horst Krenz einschließen, der inzwischen verhaftet wurde, weil er nachweislich an dem Überfall auf das UNO-Büro im Norden des Landes am 10. August beteiligt war?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe hier wiederholt zum Ausdruck gebracht — auch der Bundesaußenminister hat das immer wieder getan —, daß wir Gewalt und Gegengewalt für kein Mittel halten, den Prozeß Namibias in Richtung Unabhängigkeit zu erleichtern. Wir wollen vielmehr wirklich alles tun — deshalb sind Mitglieder des Bundesgrenzschutzes dort hingegangen —, in Namibia dafür zu sorgen, daß dieser Prozeß gut verläuft, daß die Wahlen gut verlaufen und dann ein Versöhnungsprozeß zustande kommt, an dem sowohl die SWAPO als auch ihre Gegner beteiligt sein müssen.
Abgeordneter Lowack, eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit anzuerkennen, daß diese Frage auch so verstanden sein kann, daß es weniger darum geht, Untaten im Namen der SWAPO anzuprangern, sondern vor allen Dingen darum, den Menschen, die möglicherweise noch unter grausamen Bedingungen gehalten werden, in irgendeiner Art und Weise zu helfen, und zwar nicht irgendwann später, sondern jetzt?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich hätte Sie nie anders verstehen können.
Zusatzfrage des Abgeordneten Verheugen.
Herr Staatsminister, teilen Sie meinen Eindruck, daß die Veranstaltung, die wir hier erleben, in erster Linie dazu bestimmt ist, den Wahlkampf in Namibia noch zu beeinflussen?
Metadaten/Kopzeile:
12436 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Herr Abgeordneter, ich bedaure, diese Frage nicht zulassen zu können, da sie nicht in direktem Zusammenhang mit der ursprünglich gestellten Frage steht. Ich nehme aber an, daß der von Ihnen gewünschte Effekt allein schon durch die Frage eingetreten ist.
Die Fragen 45 des Abgeordneten Marschewski, 46 des Abgeordneten Vosen, 47 des Abgeordneten Stiegler und 48 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Duve auf:
Wie bewertet die Bundesregierung Dokumente, die auf der „Konferenz der amerikanischen Streitkräfte" im November 1987 in Mar del Plata/Argentinien von hochrangigen nord- und lateinamerikanischen Militärs diskutiert wurden und in denen u. a. anerkannte internationale Hilfsorganisationen (z. B. „Brot für die Welt", „Adveniat", „amnesty international") in das Umfeld einer angeblich weltweit operierenden kommunistischen Bewegung gestellt werden?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, der Bundesregierung sind die angeführten Dokumente nicht bekannt. Das vom Plenum der sogenannten Konferenz der amerikanischen Heere angenommene Schlußdokument schlug den Regierungen Informationsaustausch und Kooperation zwischen den Polizeien und den amerikanischen Heeren auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung vor. Diese Ziele sollten — ich zitiere — „im demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmen durch Vereinbarungen der Regierungen erreicht werden".
Die Konferenz befaßte sich auch intensiv mit konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Verhältnisse, also mit dem Kampf gegen die Armut und nicht gegen die Armen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Duve; bitte.
Ist die Bundesregierung bereit, sich die umfänglichen Dokumente, die inzwischen veröffentlicht worden sind, anzusehen und bis zu einem bestimmten Zeitpunkt dann diese Frage, die sehr präzise hier von mir gestellt worden ist, zu beantworten?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe Zweifel — und damit die Bundesregierung offensichtlich auch — , daß es sich bei dem, was Sie Dokumente nennen, die unter der Überschrift „Totaler Krieg gegen die Armen" erschienen sind und eine angebliche Vereinbarung aller amerikanischen Heere sein sollen
— es heißt ja dann auch „geheime Strategiepapiere"
— , wirklich um Dokumente handeln kann. Nach unserer Erkenntnis würden wir ein solches Dokument, nach allem, was wir aus unseren politischen Erfahrungen mit unseren amerikanischen Freunden wissen
— „amerikanisch" bedeutet hier: alle amerikanischen Staaten, also auch aus Südamerika —, kennen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, bitte, Herr Duve.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß diese Dokumente, unabhängig von dem in Deutschland gewählten Titel, in Lateinamerika und in verschiedenen Staaten Osteuropas zu erheblichem Aufsehen geführt haben und daß die Diskriminierung und die Angriffe auf die Hilfsorganisationen auch zu Reaktionen von Mitarbeitern dieser Hilfsorganisationen geführt hatten, wenn solche Hilfsorganisationen im Zusammenhang mit der Bekämpfung sogenannter kommunistischer Umtriebe selber in Lebensgefahr gebracht wurden?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, zunächst ist das der Inhalt Ihrer nächsten Frage. Wenn Sie gestatten, darf ich diese sogleich mit beantworten.
Ich wäre sehr dankbar. Das wäre auch vernünftig; denn wir nähern uns ohnehin dem Ende der Fragestunde. Ich nehme an, daß alle Beteiligten einverstanden sind. — Herr Abgeordneter, ja?
Ja, ich habe dann nur noch meine beiden Fragen.
Ich rufe auch Frage 50 des Abgeordneten Duve auf:
Was tut die Bundesregierung, um Bundesbürger, die in Ländern Lateinamerikas in solchen Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen arbeiten, die von der „Konferenz" als „kommunistisch" eingestuft werden, zu schützen?
Schäfer, Staatsminister: Einmal kann ich nur wiederholen, was ich gerade gesagt habe: daß es natürlich absolut nicht zutrifft, daß sich die Führer, die Militärführer aller amerikanischen Staaten verständigt haben, einen Krieg gegen die Armen zu führen und diese Menschenrechtsorganisationen als kommunistisch einzustufen.
Was nun Ihre letzte Frage betrifft, so darf ich sagen, daß Bundesbürger, die in lateinamerikanischen Staaten in Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen arbeiten, wenn sie sich wirklich gefährdet fühlen sollten, engen Kontakt mit unseren jeweiligen Botschaften halten müssen.
Nach Auffassung der Bundesregierung sind Angehörige internationaler Menschenrechts- und Hilfsorganisationen in Argentinien zur Zeit nicht gefährdet. Ich kann nur darauf hinweisen, daß die Arbeit unserer Menschenrechtsorganisationen in fast allen lateinamerikanischen Staaten durchaus sehr beachtet wird.
Ich lasse jetzt nur eine Zusatzfrage zu.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, diese Dokumente ohne diesen von Ihnen nicht akzeptierten Buchtitel, wenn ich sie Ihnen in einer der Sprachen, in denen sie vorliegen, überlasse, zu prüfen und zu studieren, um die Besorgnis, die ich hier zum Ausdruck gebracht habe, möglicherweise dann auch teilen zu können?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12437
Schäfer, Staatsminister: Wir werden selbstverständlich allen Besorgnissen nachgehen, die uns übermittelt werden.
Bitte schön! Wir haben noch Zeit.
Herr Staatsminister, diese Konferenz war nicht die erste ihrer Art. Ich bin erstaunt darüber, daß die Bundesregierung über sie nichts weiß. Es ist eine gemeinsame Konferenz der Armeen der USA und der lateinamerikanischen Staaten gewesen.
Liegen der Bundesregierung über ähnliche Konferenzen irgendwelche Erkenntnisse vor?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es handelt sich dabei um die im Rahmen der Organisation amerikanischer Staaten auch stattfindenden Besprechungen von Militärs aus diesen Staaten. Aber ich kann nur sagen: Sowenig wie sich die Organisation amerikanischer Staaten bei allen Streitfragen bisher geeinigt hat, so wenig scheint mir hier eine Einigkeit bei den Heerführern der Staaten zu bestehen, daß man den Kommunismus dadurch bekämpft, daß man nun, wie es im Titel ihrer Dokumentation heißt, einen „Krieg gegen die Armen" führt. Das ist sicher nach allen unseren Erkenntnissen unzutreffend.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Herr Staatsminister Schäfer, ich bedanke mich bei Ihnen.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Einfluß der NPD und anderer rechtsradikaler Parteien auf die Kommunalpolitik und deren Auswirkung auf den Bund
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem erwähnten Thema verlangt.
Meine Damen und Herren, bevor wir mit der Aussprache beginnen, möchte ich Sie davon unterrichten, daß der Ältestenrat in seiner Sitzung soeben davon unterrichtet worden ist, daß sich die beiden Parlamentarischen Staatssekretäre beim Bundesminister des Innern in den Flüchtlingslagern in Bayern aufhalten. Es ist weiterhin mitgeteilt worden, daß der Bundesminister Schäuble an der Beerdigung der verstorbenen Kollegin Lilo Berger teilgenommen hat und sich etwas verspäten wird. Er müßte unterwegs sein; er dürfte gleich hier eintreffen. Bis dahin vertritt Herr Staatssekretär Neusel das Ressort.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Abgeordnete Kleinert das Wort.
— Dieser Hinweis aus der Fraktion der FDP ist in der Tat gerechtfertigt. Ich korrigiere mich: Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Donnerstag der vergangenen Woche hat sich in der nordhessischen Kreisstadt Bad Hersfeld eine Mehrheit aus CDU und NPD zur Wiederwahl eines Bürgermeisters zusammengefunden.
Dieser Vorgang ist empörend, und er hat weit mehr als nur regionale oder nur landespolitische Bedeutung. Zum erstenmal seit den 60er Jahren hat sich ein schwarz-braunes Bündnis zusammengefunden.
Seit einer Woche amtiert in der Bundesrepublik ein Bürgermeister, der von der Unterstützung einer NaziPartei abhängig ist.Diese Entwicklung muß alle Demokraten in der Bundesrepublik außerordentlich beunruhigen.
Die NPD ist eine rassistische Partei; sie ist eine nationalistische Partei; sie ist eine ausländerfeindliche Partei, und sie ist eine antisemitische Partei. In ihr sind alte und neue Nazis vertreten.
In der NPD wirken Leute wie der ehemalige Frankfurter NPD-Stadtrat und frühere NPD-Landesvorsitzende Gutjahr, die den Bundespräsidenten — jetzt zitiere ich aus der „Frankfurter Rundschau" — als „größten Lump, der hier im Lande rumläuft" betrachten, die gegen Ausländer mit Sprüchen aus dem Wörterbuch des Unmenschen vorgehen und die über Juden Ansichten wie — ich zitiere wieder diesen Herrn Gutjahr — : „Sie plündern uns schon wieder aus" vertreten; Zitat „Frankfurter Rundschau" , 27. Mai 1989.Meine Damen und Herren, das sind die Leute, mit denen Ihre Freunde in Bad Hersfeld ein Bündnis geschlossen haben.
Mit Leuten dieses Kalibers haben Sie sich zusammengetan. Dieser Vorgang muß uns hier beschäftigen. Kommen Sie jetzt nicht mit der Ausrede, dies sei ein Einzelfall.
Es gibt andere Vorgänge, die zeigen, daß in Teilbereichen der CDU längst mit den Stimmen und der Unterstützung von Rechtsradikalen kalkuliert wird.
Der Bremer CDU-Parteitag hat einen Beschluß gefaßt, der jede Zusammenarbeit zwischen CDU und Rechtsradikalen ausschließt.
Metadaten/Kopzeile:
12438 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Kleinert
Maßgebliche Repräsentanten der CDU, der Bundeskanzler ebenso wie der ehemalige und der heutige Generalsekretär, haben eine Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen öffentlich abgelehnt.
Aber ich frage Sie: Wie glaubwürdig können solche Deklamationen, wie glaubwürdig können solche Parteitagsbeschlüsse sein, wenn Gliederungen Ihrer Partei gleichzeitig in der Praxis das genaue Gegenteil davon betreiben?
Wie glaubwürdig kann Ihr Bekenntnis zu Demokratie und Toleranz sein, wenn man gleichzeitig lesen muß, daß ausgerechnet der politisch Verantwortliche für den Verfassungsschutz in Hessen zu den Hauptdrahtziehern gehört, die das schwarz-braune Bündnis in der nordhessischen Kreisstadt mit auf den Weg gebracht haben?
Meine Damen und Herren, wir erwarten zu diesen Vorgängen deutliche Worte von den maßgeblichen Repräsentanten der Unionsführung. Es kann nicht ausreichen, wenn hessische Landespolitiker der CDU nunmehr gemerkt zu haben scheinen, welche Wirkungen von dieser Entwicklung ausgehen können, und das Ganze am liebsten wieder rückgängig machen würden.Herr Kohl und sein Generalsekretär selbst sind es, die in diesem Zusammenhang gefordert sind. Sie müssen hier klarstellen, wie die CDU es mit rechtsradikalen Parteien wirklich hält. Oder müssen wir damit rechnen, daß sich in der Bundesrepublik in absehbarer Zeit das wiederholt, was sich 1969 zugetragen hat, als CDU und NPD gemeinsam in der Bundesversammlung den Bundespräsidentschaftskandidaten Schröder gegen Gustav Heinemann durchsetzen wollten? Müssen wir damit rechnen, daß zu Beginn der 90er Jahre in der Bundesrepublik eine ähnliche Entwicklung in Gang kommt? Sagen Sie hier an dieser Stelle ein klares Wort dazu.
Gelten Ihre Beschlüsse in den Ländern anders als im Bund und in den Gemeinden anders als in den Ländern? Auf diese Fragen sind Sie uns eine Antwort schuldig und nicht nur uns, sondern der gesamten demokratischen Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland.Es ist schon schlimm genug, daß Sie mit Ihrer Politik in einigen Bereichen mit dazu beigetragen haben, daß die politischen Themen der neuen Rechtsradikalen in der Bundesrepublik salonfähig geworden sind.
Ich verweise hier noch einmal auf den Kommunalwahlkampf in Hessen. Soll diese politische Aufwertung des Rechtsradikalismus, vor der Ihr ehemaliger Generalsekretär immer gewarnt hat, jetzt noch durchoffene oder heimliche Bündnisabsprachen verstärkt werden?Meine Damen und Herren, über eines sollte in diesem Parlament nach unserer Auffassung Einigkeit bestehen — über alle sonstigen Differenzen hinweg —, und zwar darüber, daß keine der im Bundestag vertretenen Parteien zum Zwecke des politischen Machtgewinns Koalitionen, Absprachen oder Tolerierungen mit Hilfe rechtsradikaler Stimmen betreiben darf.
In der Bundesrepublik darf keine Bundesregierung, kein Ministerpräsident und auch kein Landrat und kein Bürgermeister von der Unterstützung durch Rechtsradikale abhängig sein. Das müssen Sie hier und heute beantworten. Wir erwarten von Ihnen hier und heute eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob es diesen Konsens in dieser einen Frage gibt oder nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerster.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wenn ich nicht im Parlament wäre, würde ich jetzt sagen, daß der Kollege Kleinert ein dreister Lügner ist — ich sage das hier natürlich nicht, ich denke es nur —; denn es gibt kein schwarzbraunes Bündnis in Bad Hersfeld und auch sonst nirgendwo.
Die CDU/CSU hat ihre Beschlüsse klar gefaßt. Wir lehnen Koalitionen mit den GRÜNEN, mit der Deutschen Kommunistischen Partei, mit der NPD, mit den Republikanern und mit anderen Radikalen von links und rechts entschieden ab.Meine Damen, meine Herren, was dort in Bad Hersfeld passiert ist, was wir bedauern und was korrigiert werden muß, ist die Tatsache, daß ein Bürgermeister — der übrigens überhaupt nicht mehr der CDU angehört hat —
kandidiert hat und eine Mehrheit bekommen hat. Er konnte vorher wie niemand wissen, wer ihn wählt oder nicht wählt.
Der Rückschluß, den Sie ziehen, würde ja heißen, daß dann, wenn radikale Parteien in einem Parlament sind, Kandidaturen von Demokraten nicht mehr stattfinden können. Das kann ja nicht richtig sein. Wir unterscheiden uns bei der Beurteilung der Rechtsradikalen überhaupt nicht. Die Wahrheit ist: Wir lehnen die NPD, wir lehnen die Republikaner, und wir lehnen auch andere rechtsradikale Parteien ab. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12439
Gerster
Wir sehen den Unterschied zu den GRÜNEN darin, daß sie — wie z. B. in der Stadt Oppenheim am Rhein — mit den Kommunisten eine gemeinsame Alternative Liste gegründet haben, daß bei der Kommunalwahl in diesem Jahr dort von der Liste nur Kommunisten gewählt wurden — die GRÜNEN-Vertreter wurden wegkumuliert — und daß anschließend die SPD mit dieser Alternativen Liste eine Koalition gebildet und einen SPD-Bürgermeister gewählt hat.
Was Sie uns vorhalten, meine Damen, meine Herren, ist ein Ablenkungsmanöver von der Tatsache, daß GRÜNE gemeinsame Sache mit Kommunisten machen und daß leider Gottes auch Teile der SPD inzwischen bereits Koalitionen mit Kommunisten abschließen.Damit das klar ist: Die CDU/CSU wird an ihren Beschlüssen festhalten. Die CDU/CSU wird diese Beschlüsse auch durchsetzen.
Für uns darf es diese Koalitionen nicht geben.Was in Bad Hersfeld auch entscheidend ist,
ist die Tatsache, daß gerade die Sozialdemokraten das Bemühen der Demokraten unterbunden haben, einen derartigen Vorfall nicht stattfinden zu lassen. Ich appelliere an die Sozialdemokraten, nicht nur genauso wie wir Abgrenzungsbeschlüsse zu radikalen Parteien zu fassen und einzuhalten, sondern in derartigen Fällen auch das Gespräch der Demokraten zu suchen, damit es nicht zu derartigen Vorkommnissen kommt.
Das wäre ein bedeutender Schritt.Derartige Appelle richte ich schon gar nicht an die GRÜNEN.
— Darf ich einmal ganz kurz fragen: Können mir die GRÜNEN erklären, warum sie z. B. nicht dagegen protestieren, daß in Dietzenbach in Hessen ein Bürgermeister mit den Stimmen der Kommunistischen Partei gewählt worden ist? Das regt Sie nicht auf. Es kann Sie nicht aufregen, weil Sie selbst in den Kommunen Bündnisse mit den Kommunisten eingehen.Das regt offenbar auch die SPD nicht auf, was deutlich macht, daß diese Diskussion von Ihnen nicht geführt wird, um eine Abgrenzung zwischen Demokraten und Nichtdemokraten herbeizuführen. Vielmehr ist es so, daß Sie zwar im wesentlichen nach einer Seite hin eine Mauer bauen, aber nach der anderen die Schleusen längst geöffnet haben. Sie machen gegen Radikale von Links nicht nur nichts, sondern Sie bündeln mit ihnen.Ich halte diese Aktuelle Stunde für überflüssig. Ich halte das Verhalten der GRÜNEN für nicht glaubwürdig, weil sie vor Ort anders handeln, als sie hier reden.
Dem Abgeordneten Stratmann erteile ich wegen des Zwischenrufs „Lügner" einen Ordnungsruf.
— Lassen Sie mich bitte ausreden.
Ich denke mir, daß der Abgeordnete Gerster für die Gedanken, die er zum Ausdruck gebracht hat, einen Ordnungsruf verdient hätte.
Jetzt hat der Abgeordnete Wittich das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, Herr Gerster, eine Anmerkung: Herr Boehmer ist 24 Stunden vor seiner Wiederwahl aus der CDU ausgetreten. Das ist Fakt und nichts anderes.
Die CDU in Bad Hersfeld hat am Donnerstag letzter Woche geradezu exemplarisch demonstriert, wie man durch eine skandalöse Abstimmung den guten Ruf der Festspielstadt ruinieren und unermeßlichen Schaden für die parlamentarische Demokratie anrichten kann.
Kurz nach der eindeutigen Aussage des Bundeskanzlers, Demokraten dürften niemals mit Radikalen zusammenarbeiten, hat die Stadt-CDU mit der braunen Seilschaft des Franz Knoll paktiert und in trauter Eintracht mit den Ewiggestrigen Hartmut Boehmer zum ersten Bürgermeister von NPD Gnaden gewählt.Das ganze Ausmaß des Verfalls der politischen Moral läßt sich nur ermessen, wenn man weiß, mit wem sich die CDU in Bad Hersfeld eingelassen hat. Dieser 80jährige Kreisvorsitzende Franz Knoll hat — man höre und staune — einen Nachruf auf Rudolf Heß, den Stellvertreter Adolf Hitlers, in der „Hersfelder Zeitung" veröffentlichen lassen.In diesem Zusammenhang frage ich: Hat nicht das deutsche Volk zweimal in diesem Jahrhundert den nationalistischen Größenwahn der Alldeutschen, der Deutschnationalen und der Nazis mit militärischen Niederlagen katastrophalen Ausmaßes und dem Verlust seiner nationalen Einheit bezahlen müssen?
Deshalb sage ich an die Adresse der CDU: Wer mit der NPD, die erneut versucht, die politische Dummheit zu mobilisieren, zusammenarbeitet, verliert seine Glaubwürdigkeit und trägt zum Niedergang der politischen Moral, zum Verfall der politischen Kultur bei. Ja, wer so handelt, verspielt das Vertrauen der Menschen in
Metadaten/Kopzeile:
12440 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Wittichdas demokratisch verfaßte Gemeinwesen und schadet der Demokratie.
In Wirklichkeit ging es der CDU einzig und allein um die Erhaltung der Macht zum Nulltarif. Deshalb war sie bereit, die Unterstützung durch die NPD in Kauf zu nehmen. Aber das gerade war der Ausverkauf von Anstand und Moral, die Absage an die demokratische Tradition und der Verlust der Glaubwürdigkeit der CDU.Daß die Ereignisse in Bad Hersfeld von ihrer Bedeutung her weit über die Grenzen der Stadt hinausreichen, beweist die Intervention des hessischen Ministerpräsidenten Wallmann mit dem Ziel, den angerichteten Schaden zu begrenzen und den schwarzbraunen Sumpf auszutrocknen. Dieser Schritt ist richtig; ich hebe es hervor. Aber er kommt zu spät. Er erfolgte erst, als die Würfel schon gefallen waren und der wiedergewählte Bürgermeister Boehmer ausgepackt hatte.In einem Gespräch mit der „Hersfelder Zeitung" erklärt Bürgermeister Boehmer wörtlich:Die CDU hat sich stark gemacht für eine Lösung mit der NPD.Die NPD ist nun einmal eine verfassungsfeindliche Partei. Aus seiner Sicht sei vor allem der CDU-Kreisvorsitzende und Staatssekretär im hessischen Innenministerium, Reinhold Stanitzek, für die Kumpanei mit der NPD verantwortlich. Mehrfach sei er von diesem zur Minna gemacht worden. Augen zu und durch! hätten ihm Oberbürgermeister Hamberger aus Fulda und Bürgermeister Aßmann aus Bad Homburg auf dem Hessischen Städtetag geraten. Aber auch die Landes-CDU habe geschwiegen und alles in Kauf genommen.Deshalb frage ich:Erstens. Wird der Vorsitzende des CDU-Landesverbandes und Ministerpräsident des Landes Hessen, Walter Wallmann, die Frage restlos klären, welche Rolle der für den Schutz der Verfassung zuständige Innenstaatssekretär Reinhold Stanitzek beim Zustandekommen dieses schwarz-braunen Bündnisses gespielt hat?
Zweitens. Warum hat der hessische Ministerpräsident im Vorfeld dieser verhängnisvollen Entscheidung geschwiegen und die rechtsextremistischen Bündnisneigungen der CDU tatenlos hingenommen?
Drittens. Welche Initiativen haben der Bundesvorsitzende der CDU, Bundeskanzler Helmut Kohl, und Generalsekretär Rühe speziell in dieser Frage ergriffen, um die Zusammenarbeit zwischen CDU und NPD auszuschließen?
Wir werden Sie nicht aus der Verantwortung lassen, diese Fragen unmißverständlich zu beantworten, damit wir wissen, auf welcher Seite Sie stehen.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht nur pflichtgemäß darauf aufmerksam machen, daß bei den Vorgesprächen durch die Präsidentin klargestellt worden ist, daß diese Aktuelle Stunde nur insoweit zulässig ist, als die bundespolitische Relevanz erörtert wird. Ich wäre dankbar, wenn bei den jeweiligen Beiträgen — wobei ich mir darüber klar bin, daß das nicht ganz einfach ist — entsprechende Rücksicht genommen würde. Ich möchte die Redner nur ungern unterbrechen; aber ich wäre wirklich dankbar, wenn darauf Rücksicht genommen würde.
Nun hat der Abgeordnete Gries das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es mir gelingt, aber ich würde Ihre Bemerkungen gerne zum Anlaß nehmen, darauf hinzuweisen, daß ich das Ganze hier weder für eine große parteipolitische Schlacht noch für einen Festakt von SPD und GRÜNEN halte.
Ich will es auch begründen. Ich habe eher den Eindruck, daß es sich hier um ein peinliches provinzielles Schmierentheater am Rande der sonst sehr renommierten Bad Hersfelder Festspiele handelt.
Aber ich will auch nicht mit der Kritik hinter dem Berg halten, daß — ich sage das den Freunden aus der CDU/CSU — in der Tat eine große demokratische Partei hier ins Zwielicht gekommen ist.
Sie hat wissentlich und wollentlich die Hilfe der NPD in Kauf genommen. Daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln.
Der ganz berühmte 24-Stunden-vorher-Austritt dieses Bürgermeisters, der 12 Jahre Ihr Bürgermeister war, mit dem Sie die Kommunalwahl gewonnen haben und gegen den Sie die Kommunalwahl verloren haben — das war Ihr Mann und ist Ihr Mann — , ist unglaubwürdig, ist peinlich und ist auch inkonsequent.
Ich sage hier einmal als Hesse, als Abgeordneter und als Liberaler meine Meinung: Es ist für mich sehr pikant, daß der Staatssekretär des hessischen Innenministeriums, dem ich selber einmal vorgestanden habe, dort der CDU-Kreisvorsitzende ist. Ich würde auch gerne hoffen, daß der Hessische Landtag, der vielleicht zuständiger ist als wir, ein bißchen mehr
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12441
Griesdarüber erfährt, welche Rolle dieser Mann dort gespielt hat.
Meine Damen und Herren, aus diesen im Grunde kommunalen, Herr Präsident, und deshalb vielleicht auch hier nicht zu behandelnden Irrungen und Wirrungen ist ein für alle Demokraten beschämender und skandalöser Vorgang geworden. Ich glaube, daß wir alle aufgefordert sind, uns hier eindeutig zu bekennen, damit das sehr oft beschworene Solidaritätsempfinden aller Demokraten nicht hohl bleibt und um deutlich zu machen, daß das von demokratischen Parteien nicht getragen werden kann und daß dieser Sündenfall schnellstens repariert werden muß, und zwar nicht durch Worte, sondern durch Taten, so daß tatsächlich am 12. Oktober dieser Mann abgewählt wird und dort ein Demokrat gewählt wird.
Aber diese Aufforderung — ich sage das auch — gilt natürlich für alle. Da ist zuerst die CDU gefordert, aber, meine Damen und Herren von der SPD und von den GRÜNEN, Sie sitzen im gleichen Glashaus. Sie haben z. B. aus der Ämtergefräßigkeit Ihrer örtlichen SPD heraus verhindert, daß es zu einem vernünftigen Bündnis zwischen CDU und SPD in Bad Hersfeld gekommen ist
— lassen Sie sich die Details erzählen, meine Zeit reicht dafür nicht aus —, Sie haben in Hessen Bündnisse geschlossen — wenn wir über Abgrenzungsstrategien und Glaubwürdigkeit von Parteien sprechen — mit Kommunisten in Dietzenbach, in Langenselbold, und — Sie, Herr Kleinert, wissen das — Sie haben zusammen mit den Sozialdemokraten im RheingauTaunus-Kreis, vor kurzem die Hilfe der Reps in Anspruch genommen, um einen stellvertretenden Landrat der FDP nicht wiederzuwählen.
Ich sage das, und ich kenne den Einwand. Liebe Heide Wieczorek, ich bin auch bereit, das hier zu sagen: Ihr habt die Kurve gekriegt und habt es repariert, aber ihr habt es erstmal auch gemacht. Jetzt wird das in Bad Hersfeld repariert. Herr Kleinert, die Paktierfähigkeit der GRÜNEN ist hier so sprichwörtlich, daß ich dafür gar keine Beispiele mehr zu bringen brauche.Ich sage für die FDP ganz eindeutig: Für die Liberalen gibt es kein Paktieren, kein Verhandeln und Kooperieren mit Rechtsradikalen, ob das die NPD oder die Republikaner sind.
Wir haben im Gegensatz zu vielen von Ihnen keine Berührungsängste, wir setzen uns mit ihnen politisch auseinander, wir stellen sie im Wahlkampf, wir stellen sie, wenn sie in die Parlamente gewählt werden, in derpolitischen Auseinandersetzung, aber wir werden uns — das ist das Entscheidende — von ihnen nicht abhängig machen, damit die FDP etwa Ämter bekommt. Das ist der Vorwurf gegen die demokratischen Parteien im ganz konkreten Fall. Um des Machterhalts willen oder des Machterwerbs willen paktieren Sie mit solchen Gruppierungen. Das werden wir auf jeden Fall nicht tun, und das Entscheidende ist, daß diese Rechtsradikalen, wie immer sie heißen, in dieser Gesellschaft keinen Einfluß gewinnen. Darauf werden wir achten, und darauf kommt es auch an.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Böhm .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Bad Hersfeld hat es keine Absprachen, keine Zusammenarbeit zwischen CDU und NPD gegeben. Mit großem Aufwand versuchen allerdings gegenwärtig in Hessen und anderswo, auch hier im Bundestag, SPD und GRÜNE, künstlich den falschen Eindruck einer solchen Zusammenarbeit zwischen CDU und NPD in Bad Hersfeld zu erwecken.
Hier wird ein Buhmann aufgebaut, hier wird ein Thema erörtert, in der Spekulation darauf, daß niemand die Wahrheit und die Einzelheiten kennt. Wenn wir uns nun schon mit der Kommunalpolitik in Bad Hersfeld beschäftigen, muß ich Ihnen hier klar und deutlich darlegen — —
Wir sollten uns nicht mit der Kommunalpolitik beschäftigen, Herr Abgeordneter.
Ja — Ja, aber das Präsidium hat in seiner Weisheit dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt, und deshalb muß überhaupt erst einmal erklärt werden, was sich in Bad Hersfeld wirklich ereignet hat.Die Wähler haben bei dieser Kommunalwahl eine unklare Mehrheit geschaffen.
— Vielleicht informieren Sie sich zunächst.
Die CDU hat 20 Sitze, die SPD 19, GRÜNE und NPD haben beide je 3 Sitze. Die CDU hatte bei diesem Wahlergebnis einen Zuwachs von 5 % zu verzeichnen, nicht zuletzt ein Erfolg der Politik des Bürgermeisters Hartmut Boehmer, der sofort erklärte, daß er die Stimmen der NPD für seine Wiederwahl auf keinen Fall haben wollte. Die Sozialdemokraten hatten bei dieser Kommunalwahl einen erheblichen Stimmenverlust von über 7%.
Metadaten/Kopzeile:
12442 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Böhm
Angesichts dieser Situation steuerte die CDU von Anfang an auf eine Zusammenarbeit mit der SPD zu,
obwohl diese dem von der CDU als stärkster Fraktion vorgeschlagenen Kandidaten für das Amt des Stadtverordnetenvorstehers allen parlamentarischen Gepflogenheiten entgegen ihre Stimme verweigerte.
Wenig später ließen sich die Kandidaten der SPD für die Ämter des Vorsitzenden des Bau- und Planungsausschusses und des stellvertretenden Vorsitzenden des Haupt- und Finanzausschusses von den Vertretern der NPD wählen.
Kurz darauf überlegten sie es sich anders — das kann ja vorkommen — und legten diese Ämter wieder nieder. Die CDU sprang ein und verhalf den Kandidaten der SPD zur Mehrheit. Das war ein Zeichen des guten Willens.
Die CDU hatte keine Gegenleistung verlangt.
Die SPD forderte bei den zahlreichen Gesprächen, die der Wiederwahl des Bürgermeisters dienten, die Neuschaffung der Position eines hauptamtlichen Beigeordneten, der für das Dezernat Bauwesen zuständig werden sollte. Die CDU ging nach manchem Hin und Her und gegen den Willen des Bürgermeisters auf diese Forderung ein. Die SPD hingegen verlangte, wie die Vorsitzende ihrer SPD-Fraktion wörtlich erklärte, die Aufteilung der Macht. Einen Tag vor der Wiederwahl des Bürgermeisters forderte die SPD dann, daß der neu zu wählende hauptamtliche Beigeordnete nicht nur das Baudezernat, sondern zugleich auch die Stadtkämmerei verwalten sollte. Jeder, der auch nur die geringste Ahnung von der Kommunalpolitik hat, weiß, daß dann der Bürgermeister zu einer Art Frühstücksdirektor geworden wäre. Für die CDU und den Bürgermeister war diese Forderung von der SPD nicht mehr zumutbar.Der Bürgermeister, der schon einmal im Mai dieses Jahres seinen Austritt aus der CDU erklärt hatte, verließ nun die CDU erneut, um bei seiner Wiederwahl, wie er meinte, für die SPD wählbar zu sein. Diese Hoffnung trog. So erhielt der Bürgermeister bei seiner Wiederwahl nur 23 Stimmen, während 22 Stadtverordnete gegen ihn votierten. Der Bürgermeister nahm die Wahl an, erklärte später in der Öffentlichkeit, daß man doch seine Abwahl betreiben solle. Hierbei spielen gewiß die Bestimmungen der hessischen Gemeindeordnung über die Bezüge der kommunalen Wahlbeamten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die CDU jedenfalls hat nun beschlossen, einen Antrag auf Abwahl des bisherigen Bürgermeisters zu stellen, die am 12. Oktober vorgenommen werden soll.Aus diesen sicherlich verworrenen und schwierigen kommunalpolitischen Verhältnissen eine Konspiration von CDU und NPD mit Auswirkungen auf dieBundespolitik konstruieren zu wollen grenzt an Dreistigkeit und Unverfrorenheit.
Diese hier veranstaltete grün-rote Klamotte auf niedrigstem Niveau mit dem Motto „es wird schon etwas hängen bleiben",
fällt auf diejenigen zurück, die das hier, in Hessen und in anderen Teilen der Bundesrepublik veranstalten.
Wer, wie die SPD, an verschiedenen Orten Bündnisse mit Linksradikalen praktiziert, hat in der Tat kein Recht, über diejenigen herzufallen, die mit Rechten nicht paktieren.
Herr Abgeordneter, Ihre Zeit ist abgelaufen. Ich muß in der Aktuellen Stunde sehr darauf achten, daß die Zeit nicht überschritten wird. Im übrigen haben Sie sich überhaupt nicht an die Bitte der Präsidentin und auch an meine Bitte gehalten.
Herr Präsident, es muß hier über die Tatsachen gesprochen werden. Offenbar wissen die meisten hier anwesenden Kollegen von SPD und GRÜNEN überhaupt nicht, was sich in Bad Hersfeld ereignet hat. Sonst würden Sie nämlich diesen Unfug und diesen Blödsinn hier im Bundestag nicht verkünden.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert .
Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß die Oppositionsparteien dieses Hauses diesen ungeheuerlichen Vorgang in Bad Hersfeld hier zum Anlaß nehmen, eine solche Diskussion als Unfug und Blödsinn zu bezeichnen, ist mit dem Wort Unverschämtheit schon gar nicht mehr richtig zu kennzeichnen.
Wer hat denn diesen Vorgang angerichtet? Sie und Ihre Freunde in Nordhessen waren es, die dafür gesorgt haben, daß wir uns hier mit diesem Thema befassen müssen.
— Herr Böhm, es ist absurd, wie Sie hier etwas zu begründen versucht haben, was so nicht begründbar ist. Sie verkaufen die Leute ja für dumm. Sie können doch nicht glauben, Sie könnten mit der Tatsache, daß es irgendwelche Nichteinigungen zwischen SPD und CDU in der Frage von Ausschußvorsitzenden und Dezernatsvergabe gab, begründen, wieso Ihnen dann kein anderer Ausweg mehr blieb, als mit der NPD zu koalieren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12443
Kleinert
Wo leben wir denn?
In diesen Bundestag — das sage ich noch einmal in aller Ruhe — gehören nicht die Einzelheiten der Bad Hersfelder Kommunalpolitik. Da hat die Frau Präsidentin völlig recht. In diesen Bundestag gehört allein der bundespolitische Aspekt dieses Themas.
Dieser bundespolitische Aspekt dieses Themas lautet — zu dieser Frage habe ich bislang keine klare Antwort gehört —: Ist ein solch schwarz-braunes Bündnis möglicherweise ein Beispiel, das sich anderswo wiederholen kann, oder ist es das nicht?
Wie ernst nimmt die CDU in der politischen Praxis ihre eigenen Beschlüsse?Letztens — ich sage das noch einmal — : Gibt es im Rahmen der im Bundestag vertretenen Parteien Einigkeit darüber, daß keine der hier vertretenen Parteien zum Zwecke des politischen Machtgewinns oder Machterhalts Koalitionen, Absprachen oder Tolerierungen
mit Hilfe rechtsradikaler Stimmen betreibt? Gibt es eine Einigkeit darüber, daß in dieser Bundesrepublik keine Regierung von der Unterstützung durch Rechtsradikale und von neuen und alten Nazis abhängig sein darf?
Geben Sie eine klare Antwort darauf, ob es diesen Konsens gibt oder nicht!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer meiner Vorredner hat gesagt, das Präsidium habe in seiner unergründlichen Weisheit diese Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung gesetzt — wieso Weisheit?
Hier wird doch mit großem rhetorischem Aufwand der Versuch gemacht, ein bundespolitisches Nichts, eine Provinzposse zu einer großen politischen Grundsatzentscheidung zu machen.
Jeder hat hier versucht — meine Fraktion gottlob ausgeschlossen — dem anderen rhetorisch nach Kräften zu schaden. Wo ist der Nutzen für die Demokratie?
— Hat Ihre Fraktion, gnädige Frau, nicht auch ihr Fett abbekommen?
— Das werden wir dann noch hören.
Ich halte dies für eine traurige Veranstaltung und habe mich die ganze Zeit gefragt, was eigentlich die Zuhörer dazu sagen, daß der Deutsche Bundestag in diesen Tagen über keine anderen politisch relevanten Themen zu sprechen sich veranlaßt sieht als über Vorgänge dieser Art in Hersfeld.
Ich finde das nicht gut, weil sich hier allmählich ein Mechanismus einschleift, der uns alle zum Nachdenken bringen sollte: Wenn irgendwo Rechtsradikale in diesem Land zu einer Veranstaltung aufrufen oder sie veranlassen, dann ist damit der Hauptteil ihrer Tätigkeit beendet; alles andere erledigen die demokratischen Fraktionen und Parteien, indem sie übereinander herfallen. Wollen wir das eigentlich fortsetzen, und wie lange wollen wir das tun?
Ich erkläre für meine Fraktion noch einmal, daß es für uns mit Rechtsradikalen auf keiner Ebene ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken gibt.
Was man an dieser Diskussion vermissen muß, ist auch nur der mindeste Versuch der demokratischen Fraktionen dieses Hauses, einmal gemeinsam zu überlegen, wie es denn kommt, daß in diesen Tagen bestimmte rechtsradikale Gruppierungen einen teilweise beachtenswerten Anteil von Stimmen auf sich vereinigen.
Was spielt sich dort ab? Haben wir das gemeinsam überlegt, haben wir das analysiert, und tragen wir mit dieser Debatte dazu bei, diese Entwicklung zu verhindern?
Nun hat das Wort Frau Dr. Sonntag-Wolgast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herrn! Wieder einmal scharren, man hat es eben gehört, im Lager der CDU/CSU einige ungeduldig mit den Hufen, um nach dem schwarz-braunen Trauerspiel von Bad Hersfeld
Metadaten/Kopzeile:
12444 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Frau Dr. Sonntag-Wolgastschnell wieder eine Gegenrechnung in Richtung Rotgrün aufzustellen,
denn die Gruppe der schlimmen Vereinfacher ist ja mit der Entthronung des Heiner Geißler nicht verstummt, sondern versucht sich etwas gröberer Nachahmung.Deshalb gleich vorweg: Es geht hier nur um Bündnisse und Absprachen mit rechtsradikalen Parteien, um nichts anderes.
Also, keine Ablenkungsmanöver nach dem Motto: Wenn ihr mich der Kumpanei nach rechts hin bezichtigt,
schaue ich mal schnell nach links außen, was ihr da tut. Diese Blitzableitermethode taugt nicht zur Argumentation. Lassen Sie endlich ab davon, rechts und links ewig in einen Topf zu werfen!
— Denn es gibt nun einmal Bündnisse, die keinenVergleich dulden, Herr Fellner.
Sie haben hier zu erklären, wie es in Bad Hersfeld zu der Kungelei von Union und NPD kommen konnte
und wie Sie verhindern wollen, daß das Beispiel andernorts Schule macht; darum geht es hier.
— Natürlich will ich das. — Auf dem Bremer Parteitag klang es noch so: Sogenannte Republikaner und NPD— so hieß es — stehen für eine andere Republik; Zusammenarbeit komme nicht in Frage.
Aber was die Parteispitze da unter dem Beifall der Öffentlichkeit sagt, wird an der Basis wohl nicht so ernst und so genau gesehen, wenn es um sogenannte Sachzwänge und Machterhalt geht.
Und das ist das Verheerende, Herr Hirsch, an solchen schwarz-braunen Mauscheleien. Darum gehört der Fall Boehmer hier sehr wohl als Thema in den Bundestag, Herr Böhm.Ich fürchte, es ist eben nicht nur die Provinzposse, der Einzelfall, der mit dem Ausdruck des Bedauerns korrigiert wird — und damit ist das Thema erledigt. Nein, ganz offensichtlich geht da ein Bazillus um.
Was auf Landes- oder auf Bundesebene vorher noch entrüstet zurückgewiesen wird, läßt sich im Dunstkreis der Kommunalpolitik vielleicht schon einmal ausprobieren. Da hört man dann Argumente wie diese: Das nehmen wir in der Kommunalpolitik alles nicht so streng. Da geht's vielleicht um ein Bauvorhaben, und da können wir uns auch einmal mit den Leuten der anderen Seite ins Benehmen setzen. Da guckt man nicht so genau hin.Das mag ja alles sein. Aber solch augenzwinkerndes Einverständnis
darf eben nicht gelten bei Parteien wie der NPD, die rassistisch gefärbte Agitation betreibt und demokratische Einrichtungen verunglimpft. Wollen Sie das leugnen? Es darf nicht gelten bei Parteien wie den sogenannten Republikanern, die den Spielraum der Gewerkschaften beschneiden wollen, die Ausländer als Gäste einstufen und die Medien durch Kontrollorgane gängeln wollen. Wer mit solchen Leuten kommunale Absprachen trifft,
gibt ihnen die Ehre einer schleichenden Aufwertung und macht sie auf leisen Sohlen salonfähig, vielleicht auch für Kooperationen auf Landes- und Bundesebene; darum geht es hier.
Meine Damen und Herren, in Schleswig-Holstein haben wir Ende März nächsten Jahres Kommunalwahlen. In meinem Kreis und sicherlich auch anderswo wird darüber diskutiert, wie man sich in Versammlungen der Republikaner verhält: ob mit Gegenkundgebungen oder lieber mit Stillschweigen. Auch über Verhaltensweisen wird geredet für den Fall, daß sonst anerkannte Organisationen Podiumsteilnehmer laden, unter denen auch Republikaner sind. Soll man darüber hinweggehen, boykottieren oder gegenargumentieren? Ich finde, schon auf dieser Ebene muß bereits der strikte Kurs der Abschottung besiegelt sein — nicht erst im Zwielicht von Gesprächen oder Kungeleien, ob in Bad Hersfeld oder anderswo.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12445
Frau Dr. Sonntag-WolgastWehren wir uns dagegen, die Kommunalpolitik zum Testgebiet zu machen, wo man klammheimlich übt, was man in Bund und Land vielleicht noch nicht riskiert oder entschieden und vornehm von sich weist!
Demokratie ist gerade da verletzlich, wo die Bürger Politik besonders hautnah erleben. Was sagen die Parteien? — Wir wollen die Rechtsradikalen offensiv bekämpfen. Das sagen sie. Wenn sie das im lokalen Bereich nicht schaffen, dann können sie gleich einpacken.Ich danke Ihnen.
Bevor ich der Abgeordneten Frau Limbach das Wort erteile, erteile ich dem Abgeordneten Pfeffermann einen Ordnungsruf.
So, bitte schön, Frau Abgeordnete.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Donnerstag, dem 5. Oktober, beschäftigt sich derjenige unter unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, der die Zeitung aufschlägt, der das Radio andreht, der in das Fernsehen schaut, mit dem bewegenden Umstand, daß Tausende von Menschen Haus und Hof, Nachbarn und Freunde, Familien und Schulfreundschaften aufgeben,
weil sie es nicht mehr ertragen können, bevormundet, gegängelt und daran gehindert zu werden, sich frei zu bewegen.
— Also, dieses Thema muß Sie ja furchtbar aufregen, daß Sie mich hier nicht einmal ausreden lassen können. — An einem solchen Tag, an dem solche auch mich wirklich bewegende Dinge passieren, beschäftigt sich der Deutsche Bundestag mit den angeblichen Auswirkungen eines Vorgangs in einer von mehr als 8 500 Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland auf die Bundespolitik und ist zudem noch gekränkt, wenn sich einer der Redner einmal die Mühe macht, die Grundlage für diese Vorwürfe so darzustellen, daß man überhaupt erkennen kann, ob solche Vorwürfe, wie sie erhoben worden sind, richtig sind oder nicht.
Nun hat meine Partei ganz gewiß keinen Grund, besorgt zu sein. Denn wir haben uns nicht nur durch die Aussage unseres Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers Kohl, durch den Beschluß unseres Präsidiums, unseres Vorstandes, unzähliger Landes- und Kreisvorstände, nein auch durch einen Beschluß unseres höchsten beschlußfähigen Gremiums, nämlich unseres Bundesparteitags, eindeutig von Koalitionen, Vereinbarungen und Absprachen mit radikalen Kräften distanziert, und wir haben klargemacht, daß
solche Absprachen gegen den Geist, den Sinn und das politische Wollen der CDU gerichtet sind.
Dies müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Gerade Sie, Herr Kleinert, stellen sich hier in der Rolle eines schwertschwingenden Erzengel hin und fordern Dinge ein, die schon längst geleistet wurden, und Sie betreiben dabei das Geschäft, das Radikale in unserem Land hochkommen läßt.
Jeder, jede Frau und jeder Mann, der nur ein wenig Kenntnis von den Problemen hat, die zum Untergang der Weimarer Republik geführt haben und die dazu geführt haben, daß auf deutschem Boden zwölf Jahre lang eine schlimme Diktatur menschenverachtend, menschentötend und Krieg über die Welt bringend geherrscht hat,
weiß, daß das unter anderem daran gelegen hat, daß sich die Demokraten im Kampf gegen alles Radikale, gegen alles, was Gewalt zur Durchsetzung seiner Politik nimmt, nicht einig waren. Die Definition, was radikal ist, kann man nicht Radikalen überlassen, sondern das müssen die Demokraten selber definieren.
Es ist schon — und das ist ein sehr wichtiger Satz — von bundespolitischer Bedeutung — da gebe ich dem Kollegen Hirsch recht — , daß man darüber einmal diskutiert, warum z. B. in einer dieser 8 500 Gemeinden die SPD sich einem Bündnis mit der CDU entzieht
und damit überhaupt erst die Möglichkeit schafft, daß nicht SPD-Stimmen, sondern Stimmen von anderen
gezählt werden.
Ich bin sehr besorgt, wenn sich jemand mit einer Haltung hier hinstellt, die viele Leute möglicherweise als scheinheilig empfinden könnten, und von Demokraten Konsens einfordert, ohne sich selbst nur einen Fingerbreit zu rühren, damit dieser Konsens hergestellt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Wissen Sie, Frau Limbach, wenn das in Hessen ein Einzelfall wäre, könnte man darüber hinweggehen.
Ich komme aus Bayern, und von dort vernimmt manim CSU-Lager Töne, die sehr nachdenklich stimmen.Natürlich begreift auch die CSU die Schönhubers als
Metadaten/Kopzeile:
12446 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Lutzrechtsradikale Schmuddelkinder und bekämpft sie mit papierenden Erklärungen. Gleichzeitig richtet sie aber den Blick auf die Kommunalwahlen des nächsten Jahres, und da klingt die Distanzierung von den Rechten schon sehr viel gedämpfter.
— Ich sage es Ihnen gleich.
Vor die Frage gestellt, die alleinige Macht in einer ganzen Reihe von Gemeinderäten einem Konsens der Demokraten opfern zu müssen oder sich die Zustimmung der Repse gefallen zu lassen, wird man sich für den letzteren Weg entscheiden. Die bayerischen Schwarzen sind unter solchen Umständen durchaus zu sehr realen Vorleistungen fähig.Ich will als Beispiel nur den skandalösen Vorgang im Bezirkstag von Mittelfranken nennen, wo mit CSU-Hilfe ein Bezirksrat der Republikaner einen Ausschußsitz zugesprochen bekam, den er, wenn die Gemeinsamkeit der Demokraten funktioniert hätte, nicht bekommen hätte.Ein kleines Schlaglicht? Ein bayerischer Ausrutscher? Ich fürchte, das ist es leider nicht. In allzu vielen Orten kennt man einander aus früheren gemeinsamen Tagen. In allzu vielen Orten wird die gemeinsame Abneigung gegen die Roten die lokalen Kuhhändel erleichtern. Man wird mit treuherzigem Augenaufschlag verkünden, man könne sich schließlich gegen Zustimmung und Beifall aus der falschen Ecke für eine gute Sache nicht schützen. Das ist, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, eben nicht nur eine Folgeerscheinung der typisch bayerischen Speziwirtschaft; das geht, so fürchte ich, tiefer.Die gemeinsame Abneigung gegen alles Linke wird mit Sicherheit allzuoft letzte demokratische Hemmnisse wegspülen. Die Frage muß erlaubt sein, wie man denn verfahren wird, wenn sich das nach den Märzwahlen als ein durchaus brauchbares Verfahren erweisen sollte. Dann wird aus lokalen Ausrutschern, die dann keineswegs mehr vereinzelt sind, eine sehr handfeste neue Dimension im weiß-blauen Poker um Machterhalt und Machtsicherung.
Diese Aussicht macht mich frösteln. Wenn alle Ihre verbalen Bannflüche, die Sie gegen die Repse schleudern, von Ihnen wirklich ernstgemeint sind, müßten Sie das ebenso empfinden.Ich meine, Sie sollten es ruhig zugeben: Viele Ihrer Funktionäre sehen die eigentliche Gefahre in Bayern in uns Sozialdemokraten. Wir sind diese Gefahr,
weil allein wir Ihrer arroganten Machtausübung gefährlich werden könnten.
Deshalb bleiben wir — Rechtsradikalismus hin, vermeintlicher Linksradikalismus her, Sie paktieren aucheinmal mit den GRÜNEN, wenn es in den Kram paßt— in Bayern all Ihrer Empörung zum Trotz die Hauptziele Ihrer Angriffe.
Die reale Gefahr für unsere Demokratie erwächst aus solchen Freund-Feind-Bildern. Wo Gegnerschaft schon traditionell nur mühsam die Feindschaft überdeckt, kann man auch gar nicht anders denken und handeln. Ich bin übrigens der guten Hoffnung, daß derartige Schemata nicht mehr allzu lange tragen. Sie können nicht im Bund und Sie können nicht in Bayern jede Wahl zur Jahrhundertauseinandersetzung zwischen Demokraten — das sind natürlich Sie — und den freiheitsbedrohenden Sozialisten — das sind natürlich wir — hochstilisieren.
Die Welt, meine Kolleginnen und Kollegen, geht nicht unter, wenn wir oder Sie eine Wahlschlappe einstecken müssen. Unsere Demokratie aber gerät in ernsthafte Turbulenzen, wenn sich rechte Kalauer und Parolen, wenn rechte Feindbilder, die Sie allzuoft billigend in Kauf nehmen, wenn nicht gar in Umlauf setzen lassen,
in den Köpfen der Menschen verfestigen sollten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Doss.
Sie lassen aber auch wirklich keine Gelegenheit aus, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Oppositionsparteien, uns zu diskriminieren. Das war heute mittag ein hervorragendes Beispiel; aber ich werde Ihnen nicht den Gefallen tun, daß ich nur über dieses Bad Hersfeld mit all seinen Konsequenzen rede. Ich werde mich auch mit Ihnen beschäftigen, wenn es über die Auswirkungen kommunalpolitischer Ereignisse auf die Bundespolitik geht.Die kategorische Absage der Union an Kooperationen mit Radikalen und Extremisten ist von meinen Fraktionskollegen hinreichend zum Ausdruck gebracht worden, Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren. Unsere Position ist in dieser Frage absolut eindeutig.
Es sind vielmehr Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Opposition in diesem Hause angebracht. Kooperationen mit Radikalen, die Sie uns unterstellen, praktizieren Sie selbst.
Grüne fusionieren auf kommunaler Ebene mit der DKP, um unter der Bezeichnung AL nach Berliner Muster mit der SPD koalieren zu können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12447
DossSPD-Bürgermeister finden überhaupt nichts dabei, mit den Stimmen von Kommunisten gewählt zu werden, wie z. B. in Dietzenbach und Langenselbold.
Hier spielen Sie die politischen Tugendwächter, und im Lande paktieren Sie mit Kommunisten. Damit beweisen Sie Ihre doppelte Moral.
Sie sollten sich mit den gleichen Maßstäben messen, mit denen Sie uns zu messen versuchen.
— Ich spreche von Tatsachen. Das ist alles beweisbar.In der Stadt Oppenheim hat sich ein SPD-Bürgermeister ganz selbstverständlich von zwei Kommunisten wählen lassen, obgleich andere Mehrheiten, nämlich mit uns, möglich gewesen wären.
Sie haben es noch nicht einmal ernsthaft probiert. Welch ein Wandel in der SPD!
Kurt Schumacher hat Kommunisten noch als „rotangestrichene Nazis" bezeichnet. Mit Ihrem heutigen Kurs wäre er mit Sicherheit nicht einverstanden. Oppenheim ist leider kein Einzelfall, sondern der Beleg dafür, daß Teile der SPD dabei sind, die historisch begründete Distanz zu den Kommunisten zu verkürzen. Während sich der Kommunismus weltweit in einem Erosionsprozeß befindet, Menschen sich in diesen Tagen zu Tausenden auf der Flucht vor den Kommunisten befinden, werden aus Teilen der SPD heraus die Hemmschwellen langsam nach unten gezogen und lokale Bündnisse mit den SED-Ablegern bei uns begründet.Der Kommunismus ist ein politischer Dinosaurier ohne Zukunft, eine Weltanschauung von vorgestern, in der das menschliche Individuum, das sich in Freiheit selbstverwirklichen will, keinen Platz findet.
— Es ist hochinteressant, daß Sie darüber lachen. Ich habe immer gedacht, das sei Konsens.Wer sich mit Kommunisten verbündet, arrangiert sich mit den Feinden unserer demokratischen Grundordnung.
Es ist für eine Demokratie eine gefährliche Illusion, zu glauben, man könne vor den Rechtsradikalen warnen und gleichzeitig mit den rotgrünen Kommunisten koalieren. Rechts Dämme bauen und links die Schleusen öffnen, damit wollen Sie unser demokratisches Staatswesen schützen?Ihnen sollte der Blick nicht getrübt sein durch Ihre vielfachen Dialoge mit der SED. Die SPD sollte zum demokratischen Konsens der uneingeschränkten Ablehnung des linken wie rechten Extremismus zurückfinden. Die Bedrohung von rechts wie links können wir nur gemeinsam abwehren. Von unserer uneingeschränkten Bereitschaft dazu können Sie ausgehen.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus dem, was Herr Böhm hier gesagt hat, geht hervor, daß er nicht verstanden hat, worum es in Bad Hersfeld ging.
In Bad Hersfeld ging es nicht um die Frage, ob ein Sozialdemokrat oder CDU-Mann Bürgermeister wird, es ging nicht um parteipolitische Fragen, sondern es ging um die Frage, ob die demokratischen Parteien die Rechtextremisten politisch isolieren, ja oder nein.
Und die CDU hat da versagt.
Es ging zweitens um die Frage, welche Rolle der Staatssekretär Stanitzek dabei gespielt hat.
Es ging drittens um die Frage, ob sich die CDU-Basis an den Abgrenzungstexten ihrer Oberen orientiert. Das hat sie nicht.Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, sage ich Ihnen: Das gemeinsame Stimmverhalten von CDU und NPD in Bad Hersfeld war kein Betriebsunfall. Im Kreis Wetterau — hören Sie gut zu — , in der Gemeinde Wölfersheim, wo die NPD bei den hessischen Kommunalwahlen 1989 17,5 % der Stimmen erhalten hatte, stimmte die CDU am 17. April 1989 mit der NPD für eine Änderung der Hauptsatzung, um so den Rechtsextremisten zu Sitz und Stimme im Gemeindevorstand zu verhelfen und dort eine Mehrheit gegen die SPD zu erreichen.
Der Titel in den örtlichen Zeitungen: „Union unterstützt NPD-Vorschlag — CDU will NPD Chance geben" . Die FAZ — hören Sie gut zu — hat das am 20. April 1989 folgendermaßen kommentiert:Das Verhalten von CDU-Abgeordneten in Wölfersheim und Gelnhausen scheint geeignet, Wasser auf die Mühlen derjenigen zu gießen, die der Union im allgemeinen und mit Blick auf den Kommunalwahlkampf im besonderen unterstellen,
Metadaten/Kopzeile:
12448 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Frau Wieczorek-Zeulkaum Berührungsängste mit den wiedererstarkten Rechtsextremisten zu haben. Es bedarf kaum Phantasie, um sich auszumalen, wie argwöhnische Beobachter im Ausland auf die Nachricht reagieren werden, daß wenige Monate vor der 50. Wiederkehr des Kriegsausbruchs Mitglieder einer Partei, die in Bonn Regierungsverantwortung trägt, mit der NPD an einem Strang ziehen.
Wo war da das Machtwort
des hessischen Ministerpräsidenten und CDU-Vorsitzenden Walter Wallmann
und des Bundesvorsitzenden der CDU, Kohl? Erfolgt es nur, wenn die CDU bundesweit erwischt worden ist und es öffentlich gemacht worden ist? Das scheint so. Die CDU muß deshalb mehr tun, als nur mit SPD und GRÜNEN zusammen Herrn Boehmer in Bad Hersfeld abzuwählen. Walter Wallmann muß sich von seinem Staatssekretär Stanitzek trennen, der im Innenministerium für den Schutz der Verfassung in Hessen zuständig wäre
und statt dessen in Bad Hersfeld offensichtlich mit der NPD auf Mehrheiten kalkuliert hat.
Das ist ein absoluter politischer Skandal.
Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, — —
— Herr Präsident — —
Ich werde versuchen, die Ruhe herzustellen.
Nicht nur die Ruhe. Es geht auch auf meine Zeit. Deshalb bitte ich um Berücksichtigung bei der Redezeit.
Das ist mir nicht möglich.
Jetzt möchte ich Ihnen am Beispiel Rheingau-Taunus zeigen, wie eine Partei,
die politisch verantwortlich handelt, mit einer solchen Situation umgeht.
— Sie, die hier reden, haben überhaupt keine Ahnung. Ich weiß, wovon ich rede.
Ich habe die Situation nämlich verfolgt. Die SPD hat im Rheingau-Taunus-Kreis ihren zweiten Abwahlantrag im September gegen den FDP-Kreisbeigeordneten Michael Denzin zurückgezogen,
weil in der ersten Abstimmung SPD, GRÜNE und Reps die Mehrheit zur Abwahl hatten.
Sie hat daraufhin gesagt, sie wird den Abwahlantrag nicht mehr stellen. Deshalb ist Michael Denzin von der FDP mit den Stimmen der SPD heute in Amt und Funktion.
Merken Sie sich das.
So geht eine Partei um, die die Rechtsextremisten politisch isoliert.
Meine Herren, ich bitte Sie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will an dieser Stelle noch ein Wort sagen. Die Gleichsetzung von Nazis und Kommunisten ist offensichtlich falsch. Das hat schon Herr Kohl bei seinem peinlichen Vergleich zwischen Gorbatschow und Goebbels spüren müssen.
Wenn Sie hierherkommen und sagen: „Keine Bündnisse mit den GRÜNEN" :
Mein Gott, in Mühltal im Kreis Darmstadt Dieburg gibt es ein schwarz-grünes Bündnis. Sie haben doch überhaupt keine Hemmungen, wenn es um die politische Macht geht, überhaupt keine Hemmungen in diesen Fragen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12449
Frau Wieczorek-ZeulNun versuchen Sie auch noch die DKP anzusprechen. Sie ist in der Bundesrepublik zu Recht bedeutungslos. Die CDU kann sich aber nicht hinter einer solchen Splitterpartei verstecken,
um Absprachen mit den stark gewordenen Rechtsextremisten zu verharmlosen.Ich sage an dieser Stelle klar:
Wer sich nicht klar zu der Frage der Menschenrechte und der Situation in der DDR und zu politischem Pluralismus äußert, kann auch örtlich nicht Partner der SPD sein.
Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete, ich möchte an das Haus appellieren,
die notwendige Ruhe herzustellen. Dabei ist keine Seite des Hauses besser als die andere. Ich möchte Sie nachdrücklich auffordern, diese Aktuelle Stunde nicht zu einer Demonstration der Unfähigkeit demokratischer Parteien, miteinander zu diskutieren, zu veranstalten.
Ich lege Wert auf folgende Feststellung — der Herr Bohl war nicht imstande, weil er nie zuhören wollte. Ich habe gesagt: Wer sich in der Frage der Menschenrechte und der Situation der DDR und zu politischem Pluralismus nicht klar äußert, kann auch örtlich nicht Partner der Sozialdemokratie sein. Nehmen Sie das zur Kenntnis.
Im übrigen an Ihre Adresse: Wir brauchen überhaupt keine Nachhilfe in Demokratie.
Wir haben nämlich unseren stolzen Namen
nach dem Nationalsozialismus beibehalten können. Wir können auf unsere Geschichte stolz sein.
Wir haben für Freiheit, Demokratie und Pluralismus gestanden, —
Frau Abgeordnete, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.
— als die bürgerlichen Parteien schon längst mit den Diktaturen paktiert haben.
Frau Abgeordnete!
Wir brauchen keine Nachhilfe in Demokratie.
Fragen Sie sich, —
Frau Abgeordnete!
— warum Sie Ihren Namen nach der nationalsozialistischen Diktatur ändern mußten. Wir brauchten das nicht.
Frau Abgeordnete, ich muß Ihnen jetzt das Mikrophon abstellen.
Danke. Ich bin ohnehin fertig.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zeitlmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann eigentlich nur mit Erstaunen feststellen: Wenn wir, der Deutsche Bundestag, einzelne Vorkommnisse in den 8 500 Gemeinden im Bundesgebiet jeweils zum Anlaß einer solchen heftigen Auseinandersetzung machen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, daß an den Flanken der demokratischen Parteien Kräfte zuwachsen. Entschuldigen Sie, daß ich dies sage: Ich finde es unerträglich, daß wir — ich habe sehr genau zugehört — auf der einen Seite nur das Extreme von rechts ablehnen — was ich mit allem Nachdruck tue — und auf der anderen Seite so tun, als ob es im linken Spektrum keinen Extremismus gäbe.Letzteres ist nicht unser Thema. Das Thema, das von den GRÜNEN beantragt und von der Präsidentin zugelassen wurde, war: Rechtsextremismus und dessen Auswirkung auf den Bund. Nur, wenn ich höre, daß der Kollege Lutz von der SPD hier so tut, als wenn die kommunale Seite Bündnisse ermöglichte, muß ich sagen: Herr Lutz, gerade in Bayern kennen wir da ja keine Koalitionen und keine Bündnisse; da wird der Bürgermeister direkt vom Volk gewählt.Gehen wir doch bitte schnell ein Beispiel durch. Da sind zwei Bürgermeisterkandidaten, einer von der CSU und einer von der SPD. Nehmen Sie ein paar extreme Kandidaten dazu. Beim ersten Wahlgang erzielt keiner die erforderliche Mehrheit. Es kommt zu
Metadaten/Kopzeile:
12450 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Zeitlmanneiner Stichwahl. Ich unterstelle, der CSU-Kandidat und der SPD-Kandidat gehen in die Stichwahl. Dann wird es irgendein Wahlverhalten der Extremen — von links oder von rechts — geben. Unterstellen wir, der SPD-Kandidat erhält die Mehrheit. Ich könnte Ihnen aus meinem Wahlkreis genug Orte nennen, wo die SPD zwischenzeitlich nach der Mehrheitspartei und hinter einer rechtsradikalen Partei auf den dritten Rang gefallen ist. Dort kann es sehr gut sein, daß unser Kandidat oder Ihr Kandidat mit Unterstützung vielleicht der Wähler von rechts oder von links letztlich eine Mehrheit erhält.
Mir geht es darum, klarzustellen: Die kommunale Ebene entzieht sich hier irgendwelchen Möglichkeiten der Bewertung. Sie können dann Ihren Bürgermeister nicht dazu bringen, daß er zurücktritt, weil er nicht beweisen kann, daß er nur demokratische Stimmen hinter sich hat.Das ist doch eine Farce, was wir hier durchziehen. Auf der einen Seite haben Ihnen meine Kollegen hier Beispiele dafür genannt, daß Sie mit Linksaußen auf kommunaler Ebene einen Mann gewählt haben.
— In Ordnung. Es geht um andere Sachen. Es geht doch letztlich darum: Meine Partei und die Union insgesamt haben sich ganz klar festgelegt und ganz klar in ihrem Entscheidungsgremium geregelt, daß es keine Bündnisse, keine Absprachen, auch kein Augenzwinkern mit Rechtsextremismus und auch mit Linksextremismus und — ich füge das dazu — mit GRÜNEN gibt.
Ich sage noch einmal: Das heißt aber doch nicht, daß Sie bei jeder einzelnen Kommunalabstimmung der Wähler für einen Kandidaten oder, wie jetzt, bei einer geheimen Wahl in einem Gemeinderat für einen Referenten hinterher analysieren können, wer wen gewählt hat.
— Ich bin ja Ihrer Meinung: vorher darauf achten. Aber das, was wir hier heute aufgezogen haben, ist wirklich kontraproduktiv. So kommen wir auf Dauer nicht weiter. Das wollte ich nur ganz klar sagen.Wir haben uns klar abgegrenzt. Wir sagen: Die kommunale Ebene ist wegen der Situation des bayerischen Kommunalrechts gar nicht geeignet, hier Absprachen zu treffen. Es gibt sie nicht.Auf der anderen Seite muß ich sagen: Lassen Sie uns gemeinsam um Gottes willen die Ursachen beseitigen, die für alle Extremismen letztlich vorhanden sind. Der Rechtsextremismus lebt von Ihrer Hafenstraße und lebt von den Gewaltdiskussionen, die in Deutschland geführt werden, und von den Unsinnigkeiten, die wir haben.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist zu Ende.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes
— Drucksache 11/4154 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
— Drucksache 11/5283 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schmidt
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5325 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist abgesprochen, daß die Aussprache über den Tagesordnungspunkt 10 90 Minuten dauern soll. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden. Es wird so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Verhülsdonk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Frau in Südafrika trägt Drillinge für ihre Tochter aus. Nach unserer Rechtsvorstellung sind die drei Kinder Geschwister der Tochter. Genetisch gesehen ist, da die befruchteten Eizellen von der Tochter stammen, die Tochter aber die Mutter der Drillinge. Die gebärende Frau ist zugleich Mutter und Großmutter der Kinder. Die Fachsprache spricht hier von einer Ersatzmutter.Dieser Fall ging ebenso durch die internationale Presse wie der Fall des sogenannten Baby M. Hier hatte sich die Frau eines Müllfahrers in den Vereinigten Staaten mit dem Samen eines Wissenschaftlers befruchten lassen, verweigerte aber die Herausgabe des Kindes und damit die Einhaltung des Leihmuttervertrags nach der Niederkunft.Noch ein dritter Fall ist bekannt geworden. Eine Frau trägt die befruchtete Eizelle einer fremden Frau aus. Das Kind ist nach der Geburt behindert. Keiner will das Kind haben. Das Kind lebt jetzt in einem Kinderheim.Diese drei Fälle, meine Damen und Herren, beleuchten in unterschiedlicher, aus meiner Sicht bedrückender und im letzten Fall erschreckender Art und Weise konkrete Folgen des technischen Fortschritts auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin. In den beiden zuletzt geschilderten Fällen war der Kontakt zwischen der Leihmutter und den Paaren über eine Vermittlungsagentur zustande gekommen, die gewerbsmäßig Leihmütter vermittelt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12451
Frau VerhülsdonkWas in den Vereinigten Staaten möglich ist, sollte nach dem Willen amerikanischer Geschäftemacher auch in der Bundesrepublik Deutschland Fuß fassen. Dies konnte auf Grund der bei uns herrschenden Rechtslage mühsam verhindert werden.Dennoch wird an den geschilderten Fällen deutlich, daß unser Wertekodex und unser Rechtssystem keine Antwort auf die Folgen des rasanten Fortschritts auf dem Gebiet der Fertilisations- und Fortpflanzungsmedizin haben; denn die mit der Fortpflanzungsmedizin geschaffenen Möglichkeiten verändern das Grundmuster aller Lebensprozesse. Müssen wir die überlieferten Begriffe Vater, Mutter, Eltern neu definieren? Die psychologischen, sozialen und juristischen Folgeprobleme, die neue Fortpflanzungstechnologien mit sich bringen, sind so vielfältig und uferlos, daß sie sozial unbeherrschbar werden können.Dabei lehrt uns doch die neuere Soziologie, daß Elternschaft und Familie keine archaischen und überholten Strukturen sind, die man ohne Schaden für die Menschheit einfach abschaffen kann. Ohne Zweifel: Menschen, deren Kinderwunsch unerfüllbar bleibt, machen bisweilen die Erfahrung sehr schmerzlicher Entbehrung. Das kann der Medizin von ihrem Grundanliegen her, den Menschen zu helfen, nicht gleichgültig sein.Dennoch stellt sich uns immer dringlicher die Frage: Ist es vernünftig, alles zu verwirklichen, was technisch möglich ist? Dies ist die Grundfrage nach den Grenzen des menschlichen Fortschritts schlechthin.Meine Damen und Herren, der heute hier zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf der Bundesregierung regelt nur einen winzigen, wenngleich sehr bedeutsamen Folgefall der Möglichkeiten, die die künstliche Befruchtung schon jetzt bietet.Der Gesetzentwurf verbietet jede Form der Vermittlung von Ersatzmüttern, auch die unentgeltlichen gewerbsmäßigen Vermittlungstätigkeiten werden künftig mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet.Beim Kinderhandel, wenn Kinder aus dem Ausland in die Bundesrepublik oder von hier ins Ausland gebracht werden, droht eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Schon die Veröffentlichung von Anzeigen zur Anbahnung solcher Vermittlungen wird mit einem Bußgeld von bis zu 10 000 DM belegt. Davon werden auch unmittelbar Betroffene, z. B. Personen, die ein Kind oder eine Leihmutter suchen, erfaßt.Die Verschärfung der Strafvorschriften gegen den Kinderhandel geht auf eine Initiative des zuständigen Bundestagsausschusses zurück, der den Regierungsentwurf in diesem Bereich richtigerweise ergänzt hat. Indem die Vermittlung von Ersatzmutterschaft unter Strafe gestellt wird, indem auch die gewerbliche Vermittlung von Babys aus Ländern der Dritten Welt gegen die Zahlung bisweilen horrender Summen künftig schärfer bestraft wird, wird zumindest der skrupellosen Geschäftsmacherei mit der Not vieler Frauen und dem Wunsch nach Kindern von ungewollt kinderlos gebliebenen Eltern ein Riegel vorgeschoben. Das ist sehr wichtig und wird von der CDU rückhaltlos unterstützt.Die Vermittlung von Adoptivkindern unter Anwendung illegaler Praktiken ist ebenso wie die Vermittlung von Leihmüttern Ausdruck eines Denkens, das Kinder zur Handelsware degradiert. Das Kind wird zum Objekt der Befriedigung emotionaler Bedürfnisse der Eltern, ohne daß die Frage nach den Konsequenzen für dieses kleine Lebewesen überhaupt in Betracht gezogen wird.Die Leihmutter wird zur Gebärmaschine degradiert. Die im Lauf einer Schwangerschaft emotional gewachsenen Bindungen werden einfach nicht zur Kenntnis genommen.Es ist schon erstaunlich, wie vordergründig oft diese schwierige Problematik öffentlich diskutiert wird. In seriösen Zeitungen wie in der Wochenzeitung „Die Zeit" wurde z. B. die Frage aufgeworfen, was denn eigentlich dagegen spräche, ungewollt kinderlos gebliebenen Eltern Kindern aus der Dritten Welt zuzuführen; diese Kinder erhielten doch zumindest in materieller Hinsicht eine günstigere Lebenserwartung, als sie sie bei ihrer leiblichen Mutter gehabt hätten. Eine solche Betrachtungsweise ignoriert tiefgehende psychologische Folgeprobleme für das Kind. Sie fragt nicht nach den Belastungen, denen ein Kind ausgesetzt ist, wenn es in einem fremden Kulturkreis aufwächst. Auch liebevolle und pädagogisch erfahrene Eltern können diese bestenfalls mildern. Wie soll ein Kind damit fertig werden, daß es möglicherweise käuflich erworben wurde?Das Wohl des Kindes darf nicht dem Wunsch eines kinderlosen Paares, durch ein Kind Glück und Erfüllung zu finden, untergeordnet werden. Es kann keinen Anspruch darauf geben, sein persönliches Glück kaufen zu dürfen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz wird zunächst nur dem kommerziellen Gewinnstreben privater Vermittler Einhalt geboten. Entscheidend ist für uns jedoch, daß es erst gar nicht so weit kommt, daß eine Aufspaltung der Mutterschaft bzw. Elternschaft in eine genetische und eine soziale Elternschaft Realität wird.Deshalb streben wir mit dem in Kürze dem Deutschen Bundestag zur Beratung vorliegenden Entwurf eines Embryonenschutzgesetzes ein Verbot der Leih- und Ersatzmutterschaft grundsätzlich an. Die Erzeugung menschlicher Embryonen mit dem Ziel, sie auf eine andere Frau als die genetische Mutter zu übertragen, wird ebenso unter Strafe gestellt wie die Durchführung einer künstlichen Befruchtung bei einer Frau, die das von ihr ausgetragene Kind auf Dauer Dritten zu überlassen beabsichtigt.Es ist kritisch angemerkt worden, daß der Standort für das Verbot der Vermittlung von Leihmüttern im Adoptionsvermittlungsgesetz nicht glücklich gewählt sei.
Es hätte sicherlich viel dafür gesprochen, wenn auch das Vermittlungsverbot in einem Gesamtgesetz zur Regelung der Anwendung und der Folgen moderner Fortpflanzungsmedizin Eingang gefunden hätte. Dies gilt um so mehr, als wir guten Grund haben, den Vor-
Metadaten/Kopzeile:
12452 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Frau Verhülsdonkgang der Adoption nicht mit solch unerfreulichen Praktiken in Zusammenhang zu bringen.
Für den jetzt beschrittenen Weg spricht allerdings, daß angesichts der rasanten Entwicklung in anderen Ländern eine klare gesetzliche Regelung keinen Aufschub mehr duldete. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen wir uns ja nicht die Möglichkeit, diesen Regelungsbereich später noch in ein Gesamtgesetz aufzunehmen.Meine Damen und Herren, menschliches Leben ist einzigartig und unverfügbar. Das gilt für jede Form menschlichen Lebens. Die Vermittlung von Leihmüttern ist nur eine Facette einer weitreichenden ethischen Herausforderung an unsere Gesellschaft. Die biologische Revolution marschiert schneller denn je. Was not tut, sind ethische Richtungskriterien. Durch die laufende Anwendung der Fortpflanzungsmedizin sind weltweit und auch in unserem Land bereits Tatsachen geschaffen worden, denen gegenüber die Ethik nur noch eine entweder legitimierende oder eine kritisierende Funktion hat. In jedem Fall kommt sie bereits zu spät. Dennoch, ethische Normen sind unverzichtbar, jetzt mehr denn je. Eine solche Ethik muß im Gegensatz zu einer Ethik des Machens eine Ethik des Verzichts und im Sinne Albert Schweitzers eine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es sind drei Quellen, aus denen die Vorgänge gespeist werden, die mit der Novelle des Adoptionsvermittlungsgesetzes beeinflußt und bekämpft werden sollen: erstens die seelische Not deutscher Paare, die ungewollt kinderlos bleiben und oft verzweifelt nach Auswegen aus dieser Lage suchen; zweitens die Armut von Familien, speziell von Frauen im Inland wie im Ausland, die dazu geführt hat, Kinder gegen Geld zur Adoption freizugeben oder sich als Frau zu biologischen Manipulationen bereit zu finden, und drittens schließlich eine steigende Kriminalität, die sich nunmehr auch auf Feldern breitmacht, die früher tabu waren, weil sie zum sozialen Umfeld der Familie gehörten.Wenn man den Hintergrund ausleuchtet, stellt man fest, daß in den 70er Jahren die Zahl der Ehepaare, die unfreiwillig kinderlos blieben, sprunghaft zugenommen hat. Zugleich ergab sich wegen des allgemeinen Geburtenrückgangs auch eine Abnahme der Zahl der Kinder, die für Adoptionen zur Verfügung standen. Die Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes von 1976 mit seinen Erleichterungen führte außerdem dazu, die vorhandenen Adoptionsmöglichkeiten schnell auszuschöpfen. Auf diese Weise sind seit Jahren die Wartezeiten und der ungeheure Druck auf die adoptionswilligen Paare enorm gestiegen. Dies erhöhte naturgemäß den Unmut und die Enttäuschung unter den Betroffenen, was jeder, der sich einmal mit Paaren in dieser Verfassung unterhalten hat, gut nachvollziehen kann.Daraus entstand zunehmend eine Akzeptanz der Auslandsadoptionen. Sie wurden gleichzeitig von dem Wunsch genährt, den in den Entwicklungsländern lebenden Kindern zu helfen und Überlebenschancen zu bieten. Dennoch bauten sich auch vor diesem Hintergrund der Adoptionsdruck und die lange Wartezeit nicht wesentlich ab. Wie immer, wenn derartiger öffentlicher Druck entsteht, entwickeln sich bekanntermaßen leider auch kriminelle Machenschaften. Im Falle der Adoptionen und ihres Umfeldes sind diese besonders verwerflich, weil sie letztlich eine besondere Form von Menschenrechtsverletzungen und von Menschenhandel darstellen.Insoweit ist der Grundgedanke, den die Novelle des Adoptionsvermittlungsgesetzes, die wir heute hier behandeln, in sich birgt, von uns voll und ganz zu begrüßen.Allerdings hatte die Bundesregierung bei der Vorlage des Entwurfs im März 1989 zunächst nur das Ziel im Blick, das Problemfeld der Ersatzmutterschaften zu regeln. Allen Beteiligten wurde jedoch schnell klar, daß es sich hierbei lediglich um einen Teilbereich neuer Methoden zur Manipulation der Entstehung menschlichen Lebens handelt, die mit dem Gesamtbegriff „Fortpflanzungsmedizin" mittlerweile gemeinhin umschrieben werden.Insofern kam auch von vielen Organisationen bereits kurz nach der Vorlage des Gesetzentwurfs eine berechtigte Kritik darüber auf, daß mit der Novelle zum Adoptionsvermittlungsgesetz zwar ein wichtiger, allerdings, wie Frau Verhülsdonk soeben auch mit Recht betont hat, eben nur ein kleiner Teil der Gesamtproblematik angefaßt werde. In dieser Bewertung waren sich alle Wohlfahrtsverbände, eine Reihe von Familien- und Frauenverbänden, Terre des hommes und schließlich auch der Bundesrat einig. In der Debatte um den Gesetzentwurf verfestigte sich in den vergangenen Monaten immer deutlicher die fachliche Meinung, daß der Gesamtproblematik mit einem Gesetz zur Regelung der Fortpflanzungsmedizin sinnvoll und zeitgerecht Rechnung getragen worden wäre.Die zweifelhafte Unterbringung des Verbots der Vermittlung von Ersatzmüttern unterstreicht die an-tragstellende Bundesregierung selbst durch den von ihr ergänzend in § 1 des Adoptionsvermittlungsgesetzes angefügten Satz 3. Dort heißt es:Die Ersatzmuttervermittlung gilt nicht als Adoptionsvermittlung.An dieser Stelle und bei dieser Gelegenheit will ich im übrigen kurz darauf verweisen, daß in Fachkreisen auch schon der Begriff Ersatzmutter umstritten ist. Wenn man sich darüber einig ist, daß es sich in diesem Falle darum handelt, daß Frauen ihre biologische Funktion als Gebärerinnen leih- bzw. mietweise zur Verfügung stellen, hätte man — statt des im Rahmen der Jugendhilfe bereits anderweitig belegten Begriffes Ersatzmutter — durchaus auch unproblematisch den Begriff der Leihmutterschaft verwenden sollen.Aber nun zurück zur Rechtssystematik: Die Weiterentwicklung der Fortpflanzungsmedizin hat inzwischen eine Reihe anderer, dringend regelungsbedürftiger Faktoren hervorgebracht. Dabei spielen sowohl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12453
Schmidt
die Regeln des Embryonenschutzes als auch die Rolle der Ärzte in diesem Bereich eine bedeutende Rolle. Dies alles bleibt nun weiterhin im Dunkeln, jedenfalls zunächst, Herr Kollege Marschewski.
— In ein paar Monaten kann manches auf diesem Felde zu spät sein; auch darauf will ich gern eingehen. Im übrigen bleibt es dadurch bei einer Zersplitterung des Rechts, bei einer nicht unbeträchtlichen Rechtsunsicherheit und für die Zeit bis zur Inangriffnahme dieser gesetzlichen Regelung bei einem rechtsfreien Raum.Es bleibt zu hoffen, daß dieser „Flickenteppich" bald — jedenfalls so bald wie möglich — aufgearbeitet und systematisch komplettiert wird. Ihre Ankündigung nehmen wir hier heute insofern zufrieden zur Kenntnis,
aber wir sollten alle gemeinsam dafür sorgen, daß diese Ankündigungen auch in die Tat umgesetzt werden.Dabei dürfte übrigens gerade die am 22. September vom Bundesrat gegebene Ermächtigung und prinzipielle Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung mit dem Ziel der endgültigen und klaren Kompetenzverlagerung in diesem Rechtsgebiet auf den Bund eine hilfreiche Funktion erfüllen. Die hierdurch erreichte neue Ausgangsposition entspricht den von der SPD-Bundestagsfraktion seit längerem diskutierten und in entsprechende Gesetzentwürfe gebrachten Rechtsauffassungen zum Gesamtkomplex der Fortpflanzungsmedizin.Für meine Fraktion fordere ich daher die Bundesregierung auf, nunmehr beschleunigt alle übrigen regelungsbedürftigen Bereiche durch entsprechende Gesetzentwürfe in die parlamentarische Arbeit einzubringen. Dabei gilt übrigens auch der Hinweis, bei den Straf- und Bußgeldvorschriften möglichst synchron zu der heute hier besprochenen Novelle zum Adoptionsvermittlungsgesetz zu verfahren.Zum Gesetzentwurf an sich stelle ich für die SPD-Fraktion fest, daß er in den begrenzten Sektoren des Gesamtproblems durchaus sinnvolle Regelungen trifft. Wir werden insofern dem Gesetzentwurf unsere Zustimmung nicht versagen. Es geht darum, das Verbot der Vermittlung von Ersatzmüttern durchzusetzen; dies ist mehr als überfällig.Schließlich müssen der immer mehr um sich greifenden Manipulation und Kommerzialisierung menschlichen Lebens entsprechende Barrieren entgegengesetzt werden. Daß der Gesetzentwurf auch die Vermittlungstätigkeit erfaßt, die eine fälschliche Vaterschaftsanerkennung für ein nichteheliches Kind zum Inhalt hat, entspricht einer neueren Erkenntnis über Praktiken, deren Vielfalt und Phantasie offensichtlich von uns auch nicht im entferntesten ausreichend eingeschätzt worden sind.Ausgangspunkt ist dabei immer wieder die besondere persönliche Notlage von Paaren, die nicht das Glück haben, Eltern leiblicher Kinder sein zu können.Diese menschliche Notlage auf der einen Seite und der Drang nach kommerzieller Ausnutzung und Geschäftemacherei auf der anderen Seite führen offensichtlich zu immer neuen Methoden.Insofern erhebt sich bereits jetzt die Frage, wann der Gesetzgeber denn erneut gefragt sein wird, um dieser Praxis zu folgen und weitere Abwehrtatbestände einzuführen.Unser gesamtes Rechtssystem ist auf diese Veränderungen kaum vorbereitet. Schon der Einfluß auf familienrechtliche, auf erbrechtliche oder auf Tatbestände ähnlicher Art ist im Falle der Ersatzmutterschaft und der fälschlichen Vaterschaftsanerkennung kaum meßbar. Neben den prinzipiell ethischen, vor allem menschenrechtsorientierten Abwehrüberlegungen ist es also auch ein Rechtssicherheitsgebot, das auf diese Weise realisiert werden muß.Ein weiterer bedeutender Aspekt ist leider durch die Bundesregierung gewissermaßen erst in letzter Minute durch die Aufnahme weiterer Strafbestimmungen in den Gesetzentwurf eingefügt worden, nämlich die Verhinderung des illegalen Kinderhandels. Erinnern wir uns an die Zeit vor nur wenigen Monaten, als Menschen mit skrupelloser kommerzieller Einstellung die persönliche Not anderer Menschen ausnutzten, die keine eigenen Kinder bekommen können. Ausgangspunkt der Notsituation war hier wie im Falle der Ersatzmuttervermittlung die Tatsache, daß die Zahl der unfreiwillig kinderlos bleibenden Paare in den letzten 15 Jahren sprunghaft zugenommen hat, während zugleich wegen des starken Geburtenrückgangs viel weniger Kinder für eine Adoption zur Verfügung standen. Die letzte Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes hat auch in dieser Hinsicht ein übriges getan, diese Dinge zu beschleunigen.Wenn man die Erfahrungsberichte von Terre des hommes, vom Internationalen Sozialdienst und von Einzelpersonen wie Heinz G. Schmidt ernst nimmt, müßte eigentlich auch auf dem Gebiet des illegalen Kinderhandels konsequenter gehandelt werden, als es der vorliegende Gesetzentwurf vorsieht. Ich möchte Ihnen ein Beispiel dessen geben, was Schmidt in seinem Buch „Kindermarkt — Reportagen vom schmutzigsten Geschäft der Welt", erschienen im Lenos-Verlag 1988, geschrieben hat. Ich zitiere:Da hatte nämlich das Ehepaar Alcoser eine famose Idee: In einem der Elendsbarrios am Rand der Hauptstadt Lima richtete es ein Waisenhaus für Findelkinder und Kinder alleinstehender Mütter ein. Von einer französischen Hilfsorganisation ließ es sich den Bau und den Unterhalt der ersten Jahre finanzieren, dann kam es auf die Idee, die Finanzierung selbst in die Hand zu nehmen.Gemeinsam mit dem Jugendrichter Joaquin Barriga fanden Teodosio Alcoser und seine Frau Luz Sanchez heraus, daß es in Europa eine große Nachfrage nach Kindern gibt, die leicht über die relativ freien Adoptionsgesetze des Landes zu befriedigen wäre. Und da die Zahl der bisher von Bewohnern des Viertels abgegebenen Findelkinder und Kinder alleinstehender Mütter nicht aus-
Metadaten/Kopzeile:
12454 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Schmidt
zureichen schien, begann man damit, auch in anderen Elendsvierteln Limas nach werdenden Müttern zu fahnden, die bereit wären, ihr Kind nach der Geburt gegen ein geringes Honorar an das Waisenhaus abzuliefern. Das Geschäft muß floriert haben: Als 21 peruanische Mütter gemeinsam vor Gericht gingen, um die Machenschaften der Familie Alcoser anzuklagen, kamen die Fälle von mehr als 300 nach Frankreich, in die Niederlande und nach Deutschland vermittelter Kinder zutage.Jugendrichter Barriga hatte jeweils die Adoptionsunterlagen erstellt, sobald das Ehepaar Alcoser mit Hilfe seiner beiden Töchter wieder einmal eine Gruppe von Kindern zusammengestellt hatte. Über verschiedene Organisationen in den drei europäischen Ländern, die übrigens nie bekanntgeworden sind, wurden die Kinder zum Preis von 8 000 D-Mark ausgeführt.Nachdem das Geschäft gut zu funktionieren schien, setzte das Trio noch eins drauf: Nun verschwanden auch Kinder, die lediglich in Pflege gegeben worden waren, unter dem Vorwand, sie seien schwer erkrankt und müßten zur Behandlung ins Ausland. In anderen Fällen wurde den Eltern der Kinder weisgemacht, man habe einen Pflegeplatz im Ausland gefunden; wieder andere verstarben angeblich plötzlich.In Kolumbien nutzen allein rund 100 ausländische Adoptionsorganisationen diese Notlage aus; in Indien sind es 300.Die Verwerflichkeit des Kindeshandels ergibt sich vor allem aus der Ausnutzung der materiellen Not von Kindeseltern in den Entwicklungsländern, die ihre Kleinkinder nicht selten für ein Taschengeld weggeben. Es sind auch Fälle bekanntgeworden — ansatzweise eben aus dem Buch von Schmidt zitiert — , in denen Kinder entführt worden waren. Die Vermittler sorgen dann auf der anderen Seite, nämlich bei den hiesigen Adoptionsbewerbern, für eine zum Teil völlig überzogene Geldzahlung, meist in Höhe von mehreren 10 000 DM.Natürlich gäbe es zahlreiche Möglichkeiten, der wachsenden Armut und Verelendung vieler Menschen in den unterentwickelten Ländern wirksam zu begegnen. Organisationen wie Terre des hommes beweisen mit ihrem Einsatz diese These. Denn zuallererst gilt es, den Menschen in ihrer Heimat die Not lindern zu helfen und ihnen damit den Gedanken an den Verkauf ihrer Kinder zu nehmen. Es gibt aber trotz dieser weit verbreiteten Notlage und trotz einer viel zu geringen Entwicklungshilfe der Industrieländer wie der Bundesrepublik nicht annähernd die Zahl von verlassenen Kindern in der Dritten Welt, wie sich das einige Menschen bei uns vorstellen.So läßt sich nach verläßlichen Quellen sagen, daß heutzutage höchstens 40 % aller Auslandsadoptionen auf den offiziell anerkannten Wegen zustande gekommen sind. Allerdings sind genaue Angaben nicht zu machen, weil die beteiligten Adoptionseltern meistens alle Auskünfte verweigern.Besonders pikant erscheint es, daß nach Aussage der gemeinsamen zentralen Adoptionsstelle der viernorddeutschen Länder nicht nur Rechtsanwälte, Ärzte und Geschäftsleute, sondern auch Priester und Ordensschwestern in diese Geschäfte verwickelt sind.Halten wir noch einmal fest: Es ist unheimlich belastend, wenn junge Paare in unserem Land ihren Wunsch nach eigenen Kindern nicht erfüllt bekommen können und dann auch noch wegen der zu großen Nachfrage zum Teil über mehrere Jahre mit Hilfe der offiziellen Adoptionsvermittlung nicht ein anderes Kind erhalten. Es ist aber mindestens ebenso bedrükkend, wenn Menschen in den unterentwickelten Ländern um das nackte Überleben kämpfen und in dieser Notlage ohne Hilfe von außen ihre leiblichen Kinder gegen Geld verkaufen.Trotz mancher Skepsis bleibt zu hoffen, daß die neuen Vorschriften die erhoffte Wirkung erzielen. Ich will deshalb heute bereits eine permanente und kritische Kontrolle hinsichtlich dieser Wirksamkeit anmelden.Ich will im übrigen darauf hinweisen, daß die SPD-Fraktion nicht ausschließt, daß sie in einem weiteren Verfahrenszug dann auch Verbesserungen auf dem gesetzlichen Wege zu erreichen versucht.Der heute hier von den GRÜNEN vorgelegte Antrag wird von uns nicht mitgetragen, weil er in den Ansätzen noch nicht vollends ausgegoren zu sein scheint. Wir werden uns der Stimme enthalten. Wir sind allerdings der Meinung, daß er tendenziell durchaus richtige Wege aufzeigt. Wir glauben jedoch, daß zunächst einmal die Chance mit diesem Gesetzentwurf erfüllt werden kann und muß, nun auch auf diesem Wege der Geschäftemacherei auf diesem Sektor beizukommen.Es ist der Wunsch meiner Fraktion, daß die mit dieser Gesetzesnovelle beabsichtigten Wirkungen im Bereich der Auslandsadoptionen und der Ersatzmutterschaft schnell eintreten. Wegen der beschriebenen Unzulänglichkeiten unterstreiche ich noch einmal den Hinweis auf Nachbesserungsbedarf in einem Gesamtwerk der Fortpflanzungsmedizinregelung.Zugleich möchte ich aber auch der Hoffnung Ausdruck geben, daß mit einer Reihe weiterer nicht normativer Maßnahmen eine Entkrampfung in diesem Problemkreis begleitet wird. Hierzu rechne ich eine Verbesserung der Entwicklungshilfeprojekte und eine verstärkte Unterstützung der Organisationen, die sich um die Verbesserung der sozialen Lage der Familien in den unterentwickelten Ländern bemühen.Mit Blick auf die nächsten Monate, meine Damen und Herren, und die zu erwartende UNO-Kinderrechtskonvention wird die Bundesregierung aber auch ihre Haltung überprüfen und revidieren müssen, die eine Visumspflicht und damit eine Abwehr der Einreise von unbegleiteten Flüchtlingskindern vorsieht. Es geht einfach nicht an, daß man ohne wirksame Hilfsangebote die Augen vor den großen sozialen Problemen und vielen Menschenrechtsverletzungen in den Ländern der sogenannten Dritten Welt verschließt. Überhaupt wird die UNO-Konvention weltweit, speziell auch in Teilbereichen unserer Gesellschaft einen Umdenkungsprozeß zugunsten der Kinder einleiten, hoffentlich jedenfalls.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12455
Schmidt
Im Interesse der Gestaltung der Zukunftschancen aller Menschen ist es gut, wenn bei allen politischen Entscheidungen zunehmend an die Kinder gedacht und für die Kinder gehandelt wird. Dieses Gesetz leistet dazu einen bescheidenen Beitrag; aber immerhin leistet es einen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh und dankbar, daß dieses sehr ernste Thema auch mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit hier bei uns behandelt wird.Die Fortpflanzungsmedizin hat viele Fortschritte gebracht und hat vielen geholfen, die sich Kinder gewünscht haben und sie nicht bekommen konnten. Aber diese Medizintechnik greift auch in den sensibelsten Bereich des Menschseins ein und berührt unmittelbar die Würde des Menschen. So ist es nicht verwunderlich, daß neben vielen guten Aspekten die Probleme nicht zu übersehen sind, ja vielleicht sogar größer sind als das, was an Gutem getan werden kann.Der jetzt zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes behandelt nur einen Teil dessen, was zu regeln ist. Das haben meine Vorredner schon angesprochen. Die Probleme der Embryonenübertragung, der Behandlung von Embryonen, die tiefgefroren sehr lange lagern können und zur Zeit auch schon gelagert werden, werden hier nicht geregelt. Aus systematischen Gründen ist dies einem eigenen Gesetz, nämlich dem Embryonenschutzgesetz, vorbehalten. Dieses Gesetz wird allerdings noch schwerwiegendere Entscheidungen erfordern als das vor uns liegende Adoptionsgesetz, das wir heute behandeln. Es gibt noch einen Grund, warum wir das getrennt haben, und das ist die Eilbedürftigkeit, denn das, was heute zur Behandlung ansteht, ist durch gewisse Praktiken besonders eilbedürftig gewesen.Meine Damen und Herren, auf den ersten Blick ist alles so einfach: Es ist unmoralisch, mit Kindern zu schachern, damit einen Handel zu treiben und Profit zu erzielen. Was passiert aber, wenn dies uneigennützig geschieht, z. B. wenn eine Frau für ihre Schwester ein Kind austrägt? Es wird nicht immer einfach sein, festzustellen, aus welchen Absichten Ersatzmütter und Bestelleltern handeln. Wir müssen aber von der Unantastbarkeit der Menschenwürde, wie dies im Grundgesetz formuliert ist, ausgehen und feststellen, daß Kinder, in welcher Form auch immer, ob schon geboren oder noch nicht, nicht zum Gegenstand von Geschäften werden dürfen.Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes hat die Bundesregierung Konsequenzen aus den üblen Praktiken um und mit der Leihmutterschaft gezogen und klare Verbotsnormen geschaffen. Kommerzieller Handel mit Ersatzmüttern ist verwerflich, Kinder als käufliches Gut auf der Palette des breiten Warenangebots, dazu ein klares Nein von uns Liberalen, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß fast 15 aller Paare ungewollt kinderlos sind und die Erfüllung ihres Kinderwunsches sehnlichst herbeiwünschen, koste es, was es wolle, dürfen wir die gesellschaftspolitische Bedeutung ihres Handelns nicht außer acht lassen.Ein Verbot der kommerziellen Ersatzmutterschaft schützt die Betroffenen, schützt die Ersatzmutter, auch wenn die Bilder von französischen Müttern, die bereit waren, für 30 000 oder 50 000 Francs ein fremdes Kind auszutragen, ihre lachenden Gesichter gezeigt haben. Werden diese Mütter noch lächeln können, wenn sie später an das Kind zurückdenken, das sie abgegeben haben? Wir wissen heute noch viel zuwenig, wie sich emotionale Beziehungen zum ungeborenen Leben aufbauen. Eines ist für mich heute jedoch bereits sicher: Mir ist nicht vorstellbar, daß sich eine Frau, die ein Kind ausgetragen hat, seelisch abrupt von ihm abwenden kann.Das Gesetz schützt aber auch die Leihfamilie. Auch hier sind Probleme in vielfältiger Breite denkbar. Ich zähle hier nur in Stichworten auf: das Verhalten des Partners gegenüber seiner Partnerin, die durch die Auftragsschwangerschaft ein Stück ihrer eigenen Souveränität abgetreten hat und für die Zeit der Schwangerschaft auch von ihrem Partner einiges abverlangt. Aber auch die Kinder der Leihfamilie können unüberwindbaren Problemen gegenüberstehen. Wie sollen sie sich ihrer Mutter, wie dem ungeborenen Leben gegenüber verhalten? Was werden sie sagen, wenn die Mutter das Kind abgibt? Werden sie fürchten, auch abgegeben zu werden, Handelsware zu sein? Seelische Schäden werden also auch bei ihnen vorprogrammiert. Was passiert, wenn die Leihmutter das Kind nicht mehr hergeben will, wenn die Bestelleltern das Kind nicht mehr nehmen wollen, weil sie es sich anders überlegt haben oder — Ihr Beispiel, Frau Kollegin — weil das Kind vielleicht behindert ist?Ganz gleich, welche Rechtsnormen wir für ein derartiges Problem auch immer finden würden, es gäbe wohl keine Lösung, die man uneingeschränkt als gerecht bezeichnen könnte. Es ist wohl besser, wenn solche Rechtsprobleme gar nicht erst bestehen, wenn Kinder nicht zur Ware degradiert werden, wenn das Postulat der unantastbaren Menschenwürde vorher bedacht wird.Dieses Gesetz soll aber auch das Kind schützen. Ein Kind mit zwei Müttern, noch vor Jahren allenfalls Horrorvision und Stoff für Science-fiction-Romane, heute ist das alles Wirklichkeit. Die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes ist meiner Meinung nach auch hier vorgezeichnet. Rechtliche Probleme, die in ihrer ganzen Tragweite noch nicht abschätzbar sind, würden auf dem Rücken der Kinder ausgetragen. Von Kindesglück kann dann nicht mehr die Rede sein, wenn gespaltene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Bezugspersonen, hier Leihmutter, dort Adoptivmutter, entstünden.Heute wollen wir alle Formen der Ersatzmuttervermittlung und das Anbieten und Werben von Leihmüttern unter Strafe stellen. Wir Liberalen begrüßen die vorliegende Novelle zum Adoptionsvermittlungsgesetz.
Metadaten/Kopzeile:
12456 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Eimer
Gestatten Sie mir aber zum Schluß noch eine Bemerkung. Das Nein zur Leihmutterschaft bedeutet für die Liberalen vorrangig ein Nein zur kommerziellen Form der Leihmutterschaft, die den Körper der Frau und das Kind zur Ware degradiert und menschliches Leben und seine Entwicklung unverantwortbaren Risiken aussetzt. Staatliche Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts der Frau dürfen jedoch nur dann gelten, wenn das Allgemeinwohl, wenn die Werteordnung des Grundgesetzes in Frage gestellt werden. Dies muß jedoch bei einer freiwilligen Leihmutterschaft nicht gegeben sein — ich verweise auf das Beispiel zweier Schwestern. Aber auch da müssen wir die gleichen Fragen stellen wie bei der kommerziellen Vermittlung von Leihmüttern. Die Probleme dabei habe ich schon aufgezählt.Ob wir befriedigende Antworten erhalten, bezweifle ich. Wir werden in Zukunft mit sehr viel mehr Ernsthaftigkeit über die Frage nachdenken müssen, wie wir zu Regelungen kommen. Wir haben ja noch einiges vor uns.Im Rahmen der Beratungen zu einem Gesamtkonzept der Fortpflanzungsmedizin werden wir ausreichend Zeit haben müssen, diese Probleme eingehend zu erörtern. Wir müssen uns aber bewußt sein, daß wir allzu leicht in der Gefahr sind, unsere eigenen Moralvorstellungen anderen über ein Gesetz aufzudrängen, obwohl dies vielleicht nicht unbedingt notwendig ist.Es geht aber bei diesem Gesetz und bei dem kommenden Embryonenschutzgesetz um den Schutz der auf diese Weise gezeugten Kinder, um den Schutz der Leiheltern vor Ausbeutung, um den Schutz aller, auch den Schutz der Bestelleltern vor unlösbaren Rechtskonflikten und um den Schutz der Menschenwürde. Diese Menschenwürde ist besonders einfach zu formulieren. Hier sind aber die konkreten gesetzlichen Formulierungen besonders schwierig, weil moralische Forderungen die Freiheit einschränken können und oft auch einschränken.Die Entscheidung, kommerzielle Vermittlung von Leihmüttern und Bestelleltern zu verbieten, fällt nicht schwer. Ich gebe aber zu, daß mir die Entscheidung über dieses Gesetz trotzdem nicht leichtgefallen ist. Die Angst bleibt, daß wir zuviel regeln könnten, aber auch — gerade in dem Bereich — , daß wir vielleicht zuwenig getan haben. Gebe Gott, daß wir das richtige Maß in dieser Sache gefunden haben!Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde im wesentlichen nicht zu dem vorliegenden Gesetzentwurf reden. Dazu haben meine Vorredner und meine Vorrednerinnen schon einiges gesagt. Was zur Fortpflanzungsmedizin und zur Leihmutterschaft zu sagen ist, werden wir im wesentlichen dann sagen, wenn das Embryonenschutzgesetz vorliegt.Ich muß aber sagen: Ich verstehe nach dieser Debatte die Welt nicht mehr.
— Ich rede zu unserem Änderungsantrag zum Gesetzentwurf.Herr Schmidt, Sie haben eine Rede gehalten, die ich auch hätte halten können, erklären aber dann, daß Sie sich bei unserem Antrag enthalten werden.Frau Verhülsdonk, Sie haben in Ihrer Rede auch gesagt, Sie wollen dem Kinderhandel mit der Dritten Welt einen Riegel vorschieben, es gibt keinen Anspruch, ein Kind kaufen zu können. Es waren viele Worte in diese Richtung. Im Ausschuß, wo dieser Antrag auch schon in leicht abgeänderter Form vorlag, haben Sie aber gegen diesen Antrag gestimmt.Das ist mir irgendwie überhaupt nicht mehr zu vermitteln. Der Antrag, den wir hier vorlegen, basiert auf Forderungen, die vom Kinderhilfswerk Terre des Hommes aufgestellt wurden, um dem privaten und kommerziellen Kinderhandel einen Riegel vorzuschieben. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es nur um den kommerziellen Kinderhandel und nicht um den privaten Kinderhandel, der 60 % ausmacht und der sich in der Grauzone der Legalität bewegt.Ich denke — das ist heute auch schon zum Ausdruck gekommen —, daß Terre des Hommes eine Organisation ist, die von Ihnen allen beachtet und geschätzt wird.
Diesen Forderungskatalog hat Terre des Hommes sehr breit verschickt. Das ist schon Monate her. Terre des Hommes hat auf die Verschickung dieser Kataloge sehr aufschlußreiche Reaktionen erhalten.So hat z. B. der Abgeordnete der CDU Herbert Werner den Forderungen im wesentlichen zugestimmt.
Die Kollegin Däubler-Gmelin von der SPD hat den Forderungen im wesentlichen zugestimmt.
Die Kollegin Renate Schmidt von der SPD hat im Namen ihrer Fraktionskolleginnen und -kollegen zugesagt, den Forderungskatalog bei der Beratung des Gesetzentwurfes zu berücksichtigen.Da frage ich mich: Wann ist denn zwischen April 1989 und Oktober 1989 der so nett bekundete Einsatzwille auf der Strecke geblieben? Und vor allen Dingen: Warum bloß? Warum ist es möglich, ganz blitzartig — zumindest für den parlamentarischen Ablauf blitzartig — auf die Einrichtung einer Leihmutteragentur in Frankfurt zu reagieren, bei der zunehmenden Zahl privater und kommerzieller Adoptionen aber buchstäblich zehn Jahre lang nur Verlautbarungen „abzusondern" und dann, wenn wirklich etwas getan werden könnte, die eigenen Verlautbarungen als das zu entlarven, was sie offenbar immer waren, nämlich Makulatur?
Warum lassen Sie die Gelegenheit verstreichen, ohne Not, wie ich meine, einmal fraktionsübergrei-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12457
Frau Schmidt
fend sinnvolle Arbeit zu machen? Daß die Annahme unseres Änderungsantrages sinnvoll wäre, das kann von Ihnen ja wohl niemand ernsthaft bestreiten.Im übrigen, Herr Schmidt, selbst wenn er etwas unausgegoren sein sollte, wie Sie sagen, hat dieser Forderungskatalog seit April vorgelegen. Die Fraktionen hätten selber Möglichkeiten gehabt, ihn in einen Gesetzesantrag zu gießen. Im übrigen hatten wir den Antrag auch im Ausschuß gestellt. Er hätte noch einmal in den Rechtsausschuß überwiesen werden und sorgfältig geprüft werden können.Ich möchte Ihnen unseren Antrag näher erläutern. Inlandsadoptionen sind durch das geltende Adoptionsrecht hinreichend reglementiert. Dies gilt allerdings nicht für Auslandsadoptionen. Durch die steigende Zahl ungewollt kinderloser Paare und die abnehmende Zahl der zur Adoption freigegebenen Säuglinge — es geht im wesentlichen um Säuglinge; es gibt in Heimen auch ältere Kinder, aber die sind für die Adoptionsinteressierten nicht so interessant — wird für die meisten Adoptionswilligen eine Inlandsadoption unmöglich. Das Verhältnis liegt inzwischen bei 20 : 1. Um sich nun den dringenden Kinderwunsch doch noch zu erfüllen, suchen diese ungewollt kinderlosen Paare nach anderen Wegen, um einen Säugling zu bekommen. Dabei stoßen sie natürlich auf die Mär von den Millionen verlassenen Kindern in der Dritten Welt, die ohne ihre Hilfe den Hungertod sterben müßten. Sie fahren also, oft genug mit dem Eignungsbericht des Jugendamtes in der Tasche, in das jeweilige Land, holen sich dort mit Hilfe von Anwälten, Vermittlern und anderen Personen ein Kind und bringen es in die Bundesrepublik. Nur am Rande möchte ich bemerken, daß diese Kinder nicht wirklich aus den ärmsten Ländern der Welt geholt werden, sondern aus den sogenannten Schwellenländern. Aber da sind die Kinder auch nicht so schwarz und nicht so schrecklich mager.Dies alles ist nicht illegal, wirft aber, wie sattsam bekannt, viele Probleme auf. Zunächst einmal fallen Kinder nicht vom Himmel und wachsen dann auf der Straße auf, auch nicht in der Dritten Welt, sondern sie werden geboren und von ihren Müttern geliebt. Nur die extreme Armut zwingt diese Mütter, ihr Kind wegzugeben, nur die extrem schwierige Lage alleinerziehender Mütter bringt sie dazu, sich von ihrem Kind zu trennen. Wäre es da nicht viel sinnvoller, diesen Müttern und ihren Kindern im eigenen Land zu helfen?
Statt dessen wird die Dritte Welt für die reiche Industrienation Bundesrepublik Deutschland nun auch noch zur Quelle für die Ware Kind. Die Dritte Welt als Kreißsaal für die Erste Welt? Eine scheußliche Idee, finden Sie nicht? Nur daß eben dies schon keine bloße Idee mehr ist, sondern bereits Fakt.Bei näherem Hinsehen müßte Ihnen auch auffallen, daß diese Tatsache schon sehr nahe an die von Ihnen — von uns allerdings auch — bekämpfte Leihmutterschaft heranreicht. Eine Frau in der Dritten Welt trägt für eine Frau aus der Ersten Welt ein Kind aus; sie bekommt oft genug auch noch Geld für das Kind, wenn auch nur einen Bruchteil dessen, was eine weiße Leihmutter kassieren kann.Warum setzen Sie sich für diese Mütter und ihre Kinder nicht mit derselben Verve ein, mit der Sie Leihmutterschaft hierzulande ablehnen? Ich darf kurz den Bundesjustizminister zitieren:Sie— die Ersatzmutterschaften —gefährden das Wohl des Kindes, weil sie die durch Schwangerschaft entstehende Bindung zwischen Mutter und Kind mißachten und zu psychischen und sozialen Konflikten für alle Beteiligen führen können... Der Mensch darf nicht zur Handelsware reduziert werden. Gilt diese Feststellung vielleicht nicht für Kinder und Mütter aus der Dritten Welt? Gibt es da vielleicht gar nicht die Bindung zwischen Mutter und Kind? Gibt es diese Bindung vielleicht nur in den reichen Industrienationen? Sind Kinder aus der Dritten Welt es nicht wert, daß auch wir uns für sie einsetzen? Haben wir die steigende Zahl ungewollt kinderloser Paare hier nicht selbst verschuldet, nämlich durch die Produktion von Umweltgiften, durch die Verpestung der Luft, durch verpestete Arbeitsplätze, durch Konsum von Gift aller Arten?
Es ist wirklich an der Zeit, allen interessierten Personen die Einfuhr von Kindern aus der Dritten Welt unmöglich zu machen oder sie zumindest erheblich zu erschweren.Die Bestimmungen in unserem Änderungsantrag sind dafür geeignet.
Sie müssen nur gleich bei der Abstimmung Ihre Hand heben, und dann sind wir einen Schritt weiter. — Dann können wir später noch zusätzliche Sachen machen.
Aber dieser Entwurf liegt jetzt vor, und Sie hätten die Möglichkeit, ihm zuzustimmen.Ich will noch einige Punkte des Antrags erläutern. Wir halten die Zusammenarbeit der anerkannten Vermittlungsstellen hier und im Herkunftsland für notwendig, weil nur so gewährleistet werden kann, daß es für ein Kind keine andere Lösung mehr geben kann als eine Vermittlung in ein fremdes Land. Erst dann, wenn die Vermittlungsstelle im Herkunftsland bestätigt, daß es keine Möglichkeit mehr gibt, das Kind im eigenen Land zu versorgen, soll eine Auslandsadoption in Betracht kommen können. Das Urteil hierüber muß aber wirklich den Fachleuten überlassen werden; es darf nicht von Privatpersonen gefällt werden, die ihre subjektiven Interessen verfolgen.Mit dem Verbot der Herausgabe des Eignungsberichts soll verhindert werden, daß Paare sozusagen offiziell legitimiert im Ausland ein Kind holen können, ohne daß sie ausreichend informiert und beraten werden. Gerade die Adoption eines ausländischen und meist andersfarbigen Kindes kann Probleme verschärfen, die oft genug auch bei Inlandsadoptionen auftauchen. Besonders häufig tauchen Akzeptanz-
Metadaten/Kopzeile:
12458 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Frau Schmidt
probleme seitens der Adoptiveltern und Identitätsprobleme seitens der Kinder in der Pubertät auf, einer Lebensphase der Kinder also, die für beide, Eltern und Kinder, schwierig ist. Schwierig ist dies natürlich auch zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern, aber im ersten Fall kommen erschwerende Bedingungen hinzu. Es sind genügend Fälle bekannt, in denen dann aus der Dritten Welt adoptierte Kinder ,,zurückgegeben" werden, allerdings nicht in ihr Herkunftsland, sondern in ein deutsches Heim.Die Bestimmungen im Änderungsantrag schützen also beide: Kinder und Adoptiveltern. Die anerkannten Adoptionsvermittlungsstellen können nämlich fachlich beraten und Hilfestellung leisten, auch wenn das Angebot dringend ausgeweitet werden müßte, was die Vermittlungsstellen betrifft. Das gilt übrigens auch für Beratungs- und Hilfsangebote für ungewollt kinderlose Paare, deren Probleme ich hier keinesfalls leugnen will. In solchen Beratungsgesprächen könnte dann auch einmal problematisiert werden, wie es dazu kommen kann, daß in unserer Gesellschaft der Wunsch nach einem Kind so stark werden kann, daß er auch mit kriminellen und illegalen Praktiken und unter Verstoß gegen die Menschenwürde erfüllt werden muß.Im übrigen gibt es auch noch andere Dinge, die zu regeln wären. So wird in § 7 des Adoptionsvermittlungsgesetzes seit 1976 verlangt, etwas in Sachen Adoptionsvermittlungsordnung zu tun. Angeblich sollen seit Ende der 70er Jahre in den Schubladen des Ministeriums entsprechende Entwürfe liegen. Wir warten darauf, daß die jetzt endlich einmal in bearbeitungsfähige Vorlagen gebracht werden; denn auch damit könnte ein weiterer Schritt getan werden.Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf trotz aller Mängel zustimmen. Er tut nämlich einige Schritte in die richtige Richtung: durch das Verbot der Leihmutterschaft, aber auch durch sein ausdrückliches Verbot und die Strafbewehrung falscher Vaterschaftsanerkenntnisse, durch die Ausweitung der Bußgeldvorschriften und einiges andere mehr. Aber es ist halt so, daß dieses Gesetz auch wieder nur Stückwerk ist. Deswegen möchte ich Sie alle ernsthaft bitten, sich Ihr Abstimmungsverhalten noch einmal zu überlegen und unserem Änderungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.Danke.
Ich erteile das Wort der Frau Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die heutige zweite und dritte Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes zunächst zum Anlaß nehmen, dem Hohen Haus für den intensiven Einsatz bei der Beratung dieser Initiative gegen die Ersatzmutterschaft zu danken; ebenso für das bereitwillige Aufgreifen der ergänzenden Vorschläge gegen den Kinderhandel; ebenso für die sachliche und ruhige Diskussion dieser so überaus wichtigen Thematik.Es wurde bereits gesagt: Schwerpunktmäßig stellt der Entwurf jede Form der Vermittlung von Ersatzmüttern unter Strafe. Besonders geahndet werden jedoch gewerbliche Vermittlungsformen. Ein weiteres Element des Regierungsentwurfs vom März 1989, das bußgeldbewehrte Verbot der Kindervermittlung über die wahrheitswidrige Übernahme von Vaterschaften, wurde im Zuge der Ausschußberatungen zu einem aufeinander abgestimmten System von Strafvorschriften gegen den Kinderhandel ausgebaut. Danach wird nunmehr der entgeltliche Kinderhandel strafbar, mag er sich nun als unbefugte Adoptionsvermittlung oder als sonstige Vermittlung in eine Familie darstellen. Strafverschärfend soll sich die auf Dauer angelegte — also die gewerbs- oder geschäftsmäßige — Betätigung auswirken. Alle genannten Strafdrohungen treffen jedoch nur den Vermittler, nicht die unmittelbar Betroffenen, also nicht die Eltern und die sogenannten Bestelleltern.Um aber den legalen und fachlich verantworteten Vermittlungen von Kindern, auch aus dem Ausland, positive Impulse zu geben, werde ich mich bemühen, die Arbeit der hiermit befaßten Adoptionsvermittlungsstellen zu stärken. Unnötige Schwierigkeiten gehören abgebaut. Bedenken wir, daß 12 bis 15 % der Ehepaare ungewollt kinderlos sind, daß sich beispielsweise im Jahr 1987 20 800 Ehepaare um die Adoption eines Kindes bemühten, daß jedoch nur 7 694 Kinder zur Verfügung standen — 3 770 davon wurden von Verwandten adoptiert — , dann wird deutlich, daß hier ein sehr großer Bedarf und auch eine Bereitschaft vorhanden sind.Die erfreuliche Bilanz, mit der der Gesetzentwurf innerhalb kurzer Beratungszeit in gutem Zusammenwirken im federführenden Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und im mitberatenden Rechtsausschuß jeweils einstimmig verabschiedet werden konnte, ist über den Anlaß hinaus eine große Ermutigung. Sie zeigt, daß es möglich ist, rechtsethisch und rechtspolitisch nicht haltbaren Mißbräuchen schnell mit klaren strafrechtlichen Verboten entgegenzutreten.Dabei sollen durch die Vorschriften gegen die Ersatzmuttervermittlung vor allem die hiervon betroffenen Mütter gegen dadurch bedingte gesundheitliche und psychische Gefährdungen geschützt werden. Gesundheitliche Gefahren, die eine Schwangerschaft mit sich bringen kann, lassen sich bei Frauen nicht ausschließen. Es geht aber vor allem um menschenunwürdige Konflikte aus einer Übernahme von Schwangerschaften als Dienstleistung und nicht zuletzt darum, mögliche Streitigkeiten um die Herausgabe des Kindes auszuschließen. Frau Abgeordnete Verhülsdonk hat an den drei Fallbeispielen die Problematik sehr anschaulich geschildert.Beim Kinderhandel steht die rechtspolitische Erwägung im Vordergrund, daß weder die materielle Not der abgebenden Mütter aus der Dritten Welt noch die ideelle Not unfreiwillig kinderloser Paare für Zwecke gewissenloser Geschäftemacher ausgenutzt werden dürfen. Außerdem verstößt die Herabwürdigung der betroffenen Kinder zu Gegenständen des Handelsver-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12459
Bundesminister Frau Dr. Lehrkehrs durch die Tatsache ihrer Vermittlung gegen Entgelt an zahlende Bewerber in eklatanter Weise gegen ihre Menschenwürde.Ebensowenig darf hingenommen werden, daß dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland dadurch geschadet wird, daß Vermittler straflos Möglichkeiten finden, entgegen den Rechtsordnungen von Ländern der Dritten Welt Kinder zu Adoptionszwecken hierher zu verbringen.Schließlich müssen die notwendigen Konsequenzen aus der Erfahrung gezogen werden, daß die kommerzielle Vermittlung den vorrangigen Gesichtspunkt, nämlich das Kindeswohl auch unter den besonders schwierigen Bedingungen der Verbringung in einen anderen Kulturkreis zu wahren, typischerweise vernachlässigt.Meine Damen und Herren, zu dem Antrag der GRÜNEN, der in den Ausschußberatungen abgelehnt worden ist und nunmehr erneut gestellt und begründet wurde, möchte ich nur ganz kurz folgendes bemerken:Zunächst bedaure ich es, hier im Plenum aus Zeitgründen nur kurz darauf eingehen zu können, weil ich das Engagement der Antragsteller sehr wohl zu schätzen weiß.In der Sache allerdings muß ich auf folgendes hinweisen: Wie bereits gesagt, ist der Antrag unausgewogen. Die Koalitionsfraktionen haben im Ausschuß gegen diesen Antrag gestimmt, weil die Regelungen neben dem geltenden Recht und den beschlossenen Vorschriften gegen den Kinderhandel nicht notwendig sind, zum Teil bereits Geregeltes wiederholen, zum Teil in der Praxis nicht umsetzbar sind, weil sie im Ausland keine Wirkungen entfalten können, und insgesamt die Lösungsmöglichkeiten für Probleme mit Auslandsadoptionen nicht effektiv zu lösen geeignet sind.Eine Regelung, daß die Vermittlung eines Kindes nur durch anerkannte Vermittlungsstellen erlaubt sein darf, ist, was die inländischen Vermittlungsstellen betrifft, bereits jetzt geltendes Recht. Dem Ausland können wir jedoch aus Achtung vor der Souveränität fremder Staaten keine Vorschriften machen, wenn sie die Vermittlung von Adoptionen gestatten.Dasselbe gilt für die Bescheinigung der generellen Eignung der Adoptiveltern. Diese ist bei uns bereits gängige Praxis, soweit anerkannte Vermittlungsstellen eingeschaltet sind. Unbefugten ist die Adoptionsvermittlung, wie ich bereits gesagt habe, jedoch verboten.Hinsichtlich der Forderung, das Kind müsse der bundesdeutschen Vermittlungsstelle bekannt sein, sehen die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter und der überörtlichen Erziehungsbehörden zur Adoptionsvermittlung vor, daß vor der Ausreise des Kindes alle bekannten Daten, wie Herkunft, Abstammung oder gesundheitliche Entwicklung, übermittelt werden sollen.Soweit nach dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN eine Bescheinigung der ausländischen Stellen verlangt wird, daß das Kind dort nicht vermittelt werden kann, so verkennt das die Strukturen im Ausland, sodaß der Vorschlag nicht vollzogen werden könnte. Die Prüfung der Einwilligung bei Auslandsadoptionen ist im deutschen Recht im übrigen ausreichend geregelt. Die Herausgabe des Eignungsberichts ist bereits in den genannten Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung befriedigend gelöst.Schließlich weise ich noch darauf hin, daß bereits das geltende Adoptionsvermittlungsrecht keine Unterschiede zwischen Inlands- und Auslandsadoptionen macht, so daß sich eine Gleichstellungsklausel erübrigt.Meine Damen und Herren, die von mir zuvor vorgetragenen Erwägungen sozialethischer und rechtsethischer Art begründen neben den spektakulären Vorgängen der Übergabe von ausländischen Kindern am Frankfurter Flughafen, von denen die Medien berichtet haben, auch die Dringlichkeit, die Vorschriften gegen den Kinderhandel nunmehr schnell zu verabschieden.Nichts anderes gilt für die Regelungen zur Leihmuttervermittlung. Diese Normen stellen über ihren eigenen Inhalt und ihren rechtsethischen und rechtspolitischen Hintergrund hinaus den Einstieg in einen größeren, durch den wissenschaftlichen Fortschritt relevant gewordenen Bereich dar. Wir tun hiermit nämlich den ersten Schritt zur Erledigung des notwendigen Regelungsbedarfs der modernen Fortpflanzungsmedizin.Ich möchte an dieser Stelle die Hoffnung ausdrükken, daß wir kooperativ fortfahren und mit dem von der Bundesregierung im Sommer dieses Jahres vorgelegten Entwurf eines Embryonenschutzgesetzes dann auch gemeinsam zügig vorankommen.Danke.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes in der Ausschußfassung, Drucksachen 11/4154 und 11/5283.Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/5325 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD ist dieser Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dieser Artikel ist also einstimmig angenommen.Ich rufe die Art. 2 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Damit sind die Art. 2 bis 4 einstimmig angenommen.
Metadaten/Kopzeile:
12460 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Vizepräsident StücklenWir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagespunkt 11 auf:Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kolbow, Horn, Erler, Fuchs , Gerster (Worms), Heistermann, Dr. Klejdzinski, Koschnick, Leonhart, Steiner, Zumkley, Dr. von Bülow, Gansel, Dr. Götte, Kühbacher, Leidinger, Nagel, Opel, Traupe, Voigt (Frankfurt), Walther, Dr. Sonntag-Wolgast, Dr. Hauchler, Dr. Pick, Wieczorek-Zeul, Dr. Timm, Bamberg, Büchler (Hof), Dr. Glotz, Dr. Haack, Kißlinger, Lutz, Dr. Martiny, Porzner, Schmidt (München), Schmidt (Nürnberg), Dr. Schöfberger, Sieler (Amberg), Stiegler, Vahlberg, Verheugen, Wimmer (Neuötting), Dr. de With, Stahl (Kempen), Catenhusen, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDLandschaftsverbrauch und Naturzerstörung durch militärische Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland— Drucksachen 11/3722, 11/4586 —Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. Das Haus ist damit einverstanden; wir werden so verfahren.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Kastner.
— Ich habe Frau Kastner gemeldet bekommen.
— Somit spricht Herr Kolbow als erster. Sie lassen also einem Herrn den Vortritt vor einer Dame.
Bitte schön, Herr Kolbow.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unterfränkisch ist das kein Problem, wie Sie wissen. Frau Kollegin Kastner kommt ja aus der Nachbarschaft und noch aus derselben Fraktion. Insoweit ist für eine kollegiale Reihenfolge bei einem wichtigen Thema Sorge getragen.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben uns schon sehr früh dafür eingesetzt, daß in unserem Land endlich ein Konzept für Streitkräfte im Frieden entwickelt wird. Ein solches Konzept muß im Rahmen hinlänglicher Verteidigungsfähigkeit das Vermeiden und Verringern von Beeinträchtigungen, Schäden und Gefahren für die Zivilbevölkerung beinhalten. Obwohl sich die Einsicht immer mehr durchsetzt, daß unter den Bedingungen der modernen Technostruktur in hochindustrialisierten Ländern weder konventionelle noch nukleare Kriege führbar oder gar gewinnbar sind, müssen die Folgerungen für eine zivilisationsverträgliche und konsensfähige Landesverteidigung in Friedenszeiten erst noch gezogen werden.Bevor ich zu Betrachtungen über die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion „Landschaftsverbrauch und Naturzerstörung durch militärische Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland" komme, liegt mir daran, im Gesamtzusammenhang mit dem überlebenswichtigen Thema Umweltschutz festzustellen: Auch ohne die Einwirkungen militärischer Übungen und militärischer Infrastruktur ist die strukturelle Störanfälligkeit des modernen industriellen Systems gewachsen, wächst weiter und ist bis an die Grenzen der Funktionsfähigkeit getrieben. Bei der Belastung von lebenswichtigen Elementen wie Luft, Wasser und Boden sind diese Grenzen teilweise bereits überschritten. Technische und industrielle Betriebsunfälle sowie militärische Großkatastrophen können unter diesen Umständen auch im Frieden zur Existenzgefährdung ganzer Regionen führen. Verteidigungsmaßnahmen müssen deshalb in ihrer Art, ihrem Umfang und ihrer Durchführung anders und entschiedener als bisher auf diese Gesamtsituation Rücksicht nehmen.Es wäre gut, wenn an dieser Stelle der Vertreter des Bundesministeriums der Verteidigung, der verantwortliche Minister oder zumindest ein Staatssekretär, hier säße. Daß das nicht so ist, liegt sicherlich auch im schnellen Ablauf der vorhergehenden Tagesordnungspunkte begründet.
Insoweit äußere ich Verständnis. Aber die schnelle Einsatzfähigkeit insbesondere der Vertreter des Verteidigungsministeriums wäre natürlich wünschenswert.Wir fordern, meine sehr verehrten Damen und Herren, von der Bundesregierung einen umfassenden Bericht zur Zivilisationsverträglichkeit, so wie wir dies auf unserem letzten Parteitag in Münster einmütig beschlossen haben. Wir fordern einen Bericht zur Zivilisationsverträglichkeit der heute gültigen Verteidigungskonzeption unter Einschluß aller Übungen und Infrastrukturmaßnahmen, die zu deren Aufrechterhaltung für nötig gehalten werden. Wir verlangen vom Bundesminister der Verteidigung die unverzügliche Vorlage eines umweltpolitischen Gesamtkonzeptes für die Streitkräfte. Ein solches Konzept muß personell und inhaltlich geeignet sein, die Probleme der Bundeswehr im Bereich des Umweltschutzes zivilisationsverträglich zu lösen.In diesem Konzept müssen auf der Grundlage einer anspruchsvollen Systemprüfung und gründlichen Bestandsaufnahme gleichermaßen Lösungen für den Arbeits- und Betriebsschutz, für den technischen und „grünen" Umweltschutz sowie für den Umgang mit gefährlichen Stoffen enthalten sein.Bei einem umfassenden Bericht zur Zivilisationsverträglichkeit einer Verteidigungskonzeption für die Streitkräfte im Frieden müssen folgende Punkte untersucht und beurteilt werden: erstens die Gefähr-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12461
Kolbowdung durch und von Atomkraftwerken, Anlagen der chemischen Großindustrie und anderen sensiblen Einrichtungen unserer modernen Technostruktur z. B. durch den militärischen Flugbetrieb, zweitens die Nutzung und der Verbrauch von unersetzlichen Ressourcen und qualifizierter menschlicher Arbeitskraft für militärische Zwecke, drittens die Beeinträchtigung der Sicherheit, der Gesundheit, der Verkehrssicherheit und der Lebensqualität eines Teils der Bevölkerung durch militärischen Tiefflug und andere militärische Übungen, viertens die finanziellen Belastungen und Risiken der gegenwärtigen Verteidigungskonzeption einschließlich fiskalischer Auswirkungen auf andere zur Erhaltung von Zivilisation und Umwelt relevante Bereiche und schließlich fünftens der Verbrauch von Grund und Boden und die Umweltbelastung durch militärische Einrichtungen und Übungen.Dieser letzte Punkt umfaßt damit den Landschaftsverbrauch und die Naturzerstörung durch militärische Einrichtungen in der Bundesrepublik, um die es heute geht. Bei der Betrachtung des Naturschutzes zeigen sich ebenso gravierende Mängel wie in allen anderen Umweltbereichen. Das ist im übrigen nicht nur die Auffassung meiner Fraktion, sondern auch Inhalt der herben Kritik der von der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft, kurz IABG genannt, für das Verteidigungsministerium erarbeiteten Studie „Verbesserung der Umweltschutzarbeit in der Bundeswehr".Meine Kollegin Kastner wird später darauf eingehen, welche Defizite in der Abfallwirtschaft, im Bodenschutz, im Umgang mit Chemikalien und gefährlichen Stoffen, beim Gewässerschutz und beim Lärmschutz in den Streitkräften vorhanden sind. Wir wollen so die Debatte nutzen, den Fragenkomplex nicht verengt, sondern so umfassend zu behandeln, wie er behandelt werden muß. Denn die Umweltsünden der Bundeswehr und auch der Stationierungsstreitkräfte im Bereich Luftreinhaltung, Wasser, Abwasser, Müll, Sondermüll und, meine Damen und Herren, die Sonderrechte, die sie in allen Umweltgesetzen in Anspruch nehmen, sind genauso zu diskutieren wie die Natur- und Landschaftszerstörung durch Bodenversiegelungen, Übungen oder Manöver.
Zu Recht geht die Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr zum Thema „Bundeswehr und Umweltschutz" von der Auffassung aus, daß Umweltschutz, Umweltbewahrung und Umweltpflege eine der bedeutendsten Aufgaben des Staates geworden sind, der sich auch die Bundeswehr selbst bei oberster Prioritätenzuweisung für die Erfüllung des Verteidigungsauftrags nicht entziehen kann. Sie muß nicht nur den Staatsbürger in Uniform über die militärischen Erfordernisse hinaus dazu befähigen, seinem den Frieden bewahrenden Dienst in Kaserne und im Gelände, auf Schießplätzen und im Manöver nachzugehen, ohne gravierend in die Umwelt einzugreifen und ohne sie fahrlässig, mutwillig oder aus Unkenntnis heraus irreparabel zu schädigen, sondern sie muß auch den Infrastrukturplanern beim Militär und in den Verwaltungen deutlich machen, daß wirSonderrechte für den Friedensbetrieb der Streitkräfte ablehnen müssen.Dabei ist von Interesse, daß auch im Meinungsbild der Soldaten der Umweltschutz Vorrang vor den Belangen der Verteidigung hat. Das ist richtig, weil dem Umweltschutz zu Recht Verfassungsrang gebührt, was in Bayern bereits verwirklicht ist. Die Kolleginnen und Kollegen von der CSU sollten sich hier einmal mehr die Frage stellen, ob sie nicht auch in Bonn das tun wollen, was sie im Bayerischen Landtag schon längst und richtigerweise getan haben. Vielleicht wollen Sie, Herr Kollege Kraus, diese Botschaft bitte weitergeben.
Doch, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie steht es dabei mit der personellen Ausstattung zur Sicherung des Umweltschutzes für die gerade geschilderten mannigfachen Aufgaben im Bundesministerium der Verteidigung? Zwar nimmt militärisches Gelände fast 2 % der gesamten Fläche der Bundesrepublik Deutschland ein, zumindest doppelt soviel wie alle Naturschutzgebiete zusammen, doch für den Umweltschutz sind im Bundesministerium der Verteidigung gerade sechs hauptamtliche Mitarbeiter tätig, von denen keiner eine entsprechende Fachausbildung hat, die aber trotzdem ihre Arbeit ehrenwert tun.Noch schlimmer ist freilich die Wehrverwaltung dran, in deren Auftragsbereich der Umweltschutz konkret fällt. Dort gibt es bisher überhaupt keine hauptamtlichen ausgebildeten Umweltschützer. Wir begrüßen die Einbringung von 30 Stellen für Umweltschutzingenieure im Entwurf des Haushalts 1990 sehr. Aber ich nutze schon heute die Gelegenheit, um Sie davor zu warnen, Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, aber insbesondere im Verteidigungsministerium, diese Stellen in den 30 von 184 Standortverwaltungen so zu nutzen, daß sie nur zur Lösung von Beförderungsproblemen herangezogen werden. Wir werden mit Sicherheit nachfragen, ob diese Stellen wirklich dazu verwendet wurden, fachlich qualifizierte Umweltingenieure neu einzustellen, die mit ihrem Fach- und Sachverstand dann darauf einwirken sollen und können, daß die Belange des Landschafts- und Naturschutzes besser beachtet werden, als es in der Vergangenheit der Fall war. Denn nur so kann ein Beitrag dazu geleistet werden, daß Landschaftsverbrauch und Naturzerstörung durch militärische Einrichtungen in der Bundesrepublik verringert bzw. vermieden werden.Bevor ich nun beispielhaft die Lage bei dem Landschaftsverbrauch und der Naturzerstörung aufzeige, möchte ich das Problem von Sonderrechten für den Friedensbetrieb der Streitkräfte ansprechen. Ich meine, daß die in der Antwort zur Großen Anfrage zum Ausdruck gebrachte Selbstbindung der Bundeswehr durch eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung anstelle einer gesetzlich geregelten Umweltverträglichkeitsprüfung nicht genügen kann.
Insoweit ist der Erlaß des Bundesministers der Verteidigung vom 15. März 1988 unzureichend. Er beinhal-
Metadaten/Kopzeile:
12462 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Kolbowtet, daß ab dem 1. September 1988 bei allen umwelterheblichen Infrastrukturvorhaben der Bundeswehr eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung vorzunehmen ist. Was soll aber selbst diese Umweltverträglichkeitsuntersuchung, wenn sich die Bundeswehrverwaltung nicht daran hält und wenn z. B. für den geplanten Bau der Depots in Güntersleben und Aub im Landkreis Würzburg solche Untersuchungen überhaupt nicht existieren und auch intensive Umweltverträglichkeitsstudien, in denen soziale, landschaftsökologische sowie tier- und pflanzenökologische Gesichtspunkte als Gegenstand der Bauvorhaben intensiv untersucht werden, nicht gemacht worden sind und nicht gemacht werden?Die SPD-Bundestagsfraktion erklärt hiermit eindeutig, daß sie gesetzlich verankerte Umweltverträglichkeitsprüfungen für umweltrelevante Maßnahmen jeglicher Art bei der Bundeswehr und den Stationierungsstreitkräften verlangt und deren gesetzliche Fixierung so gestaltet wissen will, daß Sonderrechte für den Umweltschutzbereich der Streitkräfte im Frieden ausgeschlossen sind.
Denn in Friedenszeiten muß nicht so geübt und auch nicht so durch militärische und verwaltungsmäßige Entscheidungen gehandelt werden, als stünden wir am Vorabend eines Krieges.
Wenn, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort selbst sagt, Planungen, insbesondere Depotplanungen, auf der gültigen Bundeswehrstruktur beruhen und eine Reduzierung des Landbedarfs vom Ergebnis der derzeitigen Abrüstungsbemühungen abhängig ist, dann darf eben, wenn Veränderungen erkennbar bevorstehen, nicht so weiter geplant und so weiter gebaut werden, wie man es vor etwa 15 oder 20 Jahren beabsichtigt bzw. beschlossen hat. Wenn in den kommenden fünf Jahren 11 Depots um 91,6 ha erweitert und 31 Depots mit 329,6 ha neu gebaut werden sollen, dann ist deren Planung und deren Bau zu überprüfen und auf alle Fälle zunächst ein Planungs- und Baustopp anzuordnen, da sonst unwiederbringbar Land und Natur verbraucht bzw. zerstört werden. Leider haben die Koalitionsfraktionen einen entsprechenden Antrag der SPD-Fraktion im Verteidigungsausschuß bei den Haushaltsberatungen abgelehnt.Wie sieht es denn aus mit den Depotvorhaben in Haberskirch bei Augsburg oder Güntersleben im Landkreis Würzburg? Bürgerinitiativen haben sich gebildet, denen alle kommunalpolitischen Kräfte vor Ort angehören. Die Menschen können nicht begreifen, daß über hunderttausend Quadratmeter Wald abgeholzt werden
und wichtige Erholungsgebiete für die Bevölkerung zerstört werden. Die Menschen können nicht begreifen, daß dies auf Grund von Planungen geschieht, die — man höre und staune — bis in das Jahr 1967 zurückreichen, auch wenn in diesem Fall glücklicherweise die langsamen Verwaltungsmühlen erst 1989die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung dieser beiden Depots erlauben, so daß wir diese jetzt noch stoppen können.In seltener Einmütigkeit fordern Abgeordnete der Parlamente von Stadt, Land und Bund quer durch alle Parteien eine Aussetzung des Baubeginns in Güntersleben, in Haberskirch und anderswo und eine nochmalige Überprüfung. Unser Tenor der Argumentation ist: Angesichts der laufenden Abrüstungsgespräche, die den Abbau von Truppen und Waffen zum Ziel haben, ist die Schaffung weiterer militärischer Kapazitäten unangebracht und unverantwortlich.Wenn Sie von den Regierungsparteien sich hier dieser Argumentation nicht anschließen können, dann nehmen Sie wenigstens die Auffassung der CSU vor Ort zur Kenntnis, die zu Recht sagt, daß die Projekte wegen mangelnder Umweltverträglichkeit nicht verwirklicht werden dürfen. Zu dieser Einsicht ist auch schon der bayerische Ministerpräsident, Herr Streibl, gelangt. Nehmen Sie sich an ihm in dieser Sache ebenso wie in der Deutschlandpolitik ein Beispiel, meine Damen und Herren.
— Partielle Übereinstimmung, verehrter Herr Kollege, muß auch hier zum Ausdruck gebracht werden. Wenn der Mann recht hat, hat der Mann recht.Was wir also für die Depotplanung in der Bundesrepublik brauchen, ist eine „Denkpause" der Bundesregierung, eine Pause nicht vom Denken — dies ist ja gelegentlich auch der Fall — , sondern zum Denken, also ergänzende Anhörungsverfahren zum Landbeschaffungsgesetz und verbindliche Umweltverträglichkeitsprüfungen zur Vermeidung ökologischer Schäden. Es darf nicht geschehen, daß man lediglich über das Wahljahr 1990 kommen will und dann nach dem bereits widerlegten Motto des Bundesministeriums der Verteidigung handelt: Am Bedarf für das Depot — so wörtlich in einigen Schreiben an die Menschen vor Ort — ändert sich nichts.Ich möchte ein zweites kurzes Beispiel anführen. Ebenfalls im fränkischen Raum, nämlich in der Mainschleife zu Volkach und Nordheim, vollzieht sich das Trauerspiel mit den Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Kaserne in Volkach. Statt zu den notwendigen Aufforstungen von etwa 50 Hektar sind die Behörden lediglich bereit, 3,5 bis 4,5 Hektar als Wald wieder aufzuforsten. Bis heute ist noch kein einziger Baum wieder gepflanzt worden.Dies ist ein eklatanter Widerspruch zu den heute geltenden Grundsätzen, wonach ein Eingriff in die Natur erst dann ausgeglichen ist, wenn nach seiner Beendigung keine erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigung des Naturhaushalts zurückbleibt und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auch hier auseinander. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage kann diesen Widerspruch nicht ausräumen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen heute alle, daß die Bedeutung der Umweltpolitik weiter anwachsen wird und muß. Die Streitkräfte dür-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12463
Kolbowfen sich hier nicht ausschließen. Wir wissen, daß in der Bundeswehr viel guter Wille und gute Ansätze vorhanden sind. Die Reduzierung von Großmanövern ist dafür ein Beispiel. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang insbesondere beim Inspekteur des Heeres, General Ondarza, nicht nur für sein Verständnis, das er für das Problem hat, bedanken, sondern auch für seine Fähigkeit zum Handeln.
Mit unserer Großen Anfrage ist erst der Einstieg in die weitere Behandlung des Themas unternommen. Die in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage und in amtlichen Veröffentlichungen zum Umweltschutz in der Bundeswehr grundsätzlich offenbarte Haltung wird zunehmend auf Widerspruch in der Bevölkerung stoßen und ähnlich wie in der Frage des militärischen Fluglärms die Streitkräfte vor zusätzliche Akzeptanzprobleme stellen.Ich möchte abschließend sagen: Bundeswehr und Bündnis sind — heute und für absehbare Zeit — ein Teil der Lösung des Problems der Friedenserhaltung, wovon unser Leben und Überleben abhängt. Aber sie sind auch ein Teil des Problems der Umweltzerstörung, die unser und mehr noch unserer Kinder Leben gefährdet. Verteidigung und Verteidigungsvorbereitung im Frieden dürfen aber nicht zerstören, was für alles Leben die wichtigste Bedingung ist: unsere Umwelt, d. h. unsere Welt.Nun wünsche ich von dieser Stelle aus, weil auch das zu dieser Welt gehört, meiner Kollegin Kastner Ihre Aufmerksamkeit für — wenn sie nachher drankommt — ihre erste Rede im Deutschen Bundestag.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Breuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage nach dem Umweltschutz bewegt uns alle,
und sie ist natürlich auch für Großorganisationen wie die Bundeswehr berechtigt.
Organisationen, jeder Betrieb in unserem Land, jeder einzelne, meine Damen und Herren, muß sich selbst danach fragen und danach fragen lassen, welche Auswirkungen — das gilt auch für militärische Einrichtungen, für Streitkräfte — das Handeln auf die Umwelt hat, in der wir gemeinsam leben.Ohne jeden Zweifel haben Streitkräfte belastenden Einfluß auf unsere Umwelt. Zweifellos gilt aber auch — Herr Kollege Kolbow, es ist nur zum Teil in Ihrer Rede deutlich geworden — , daß sich die Bundeswehr den Herausforderungen des Umweltschutzes — und ich glaube, da ist sie im internationalen Vergleich durchaus als zufriedenstellend zu bewerten — seit Jahren stellt.Zwar gibt es für die Landesverteidigung und damit auch für die Bundeswehr Ausnahmeregelungen bezüglich des Umweltschutzes, zum Beispiel beim Bundesnaturschutzgesetz oder beim Bundesimmissionsschutzgesetz, die auf den ersten Blick, aber nur auf den ersten Blick, der Landesverteidigung einen gewissen Vorrang einräumen.
Aber der Vorrang der Landesverteidigung gilt nicht a priori. Vielmehr gilt er erst dann, wenn im Nebeneinander von Verteidigungsfähigkeit und Erfordernissen des Umweltschutzes das Abwägungsgebot beachtet wurde, aber nach Suchen und Finden von Kompromissen dennoch ein Konflikt bleibt.Hier bestimmt beispielsweise die Richtlinie des Bundesministers der Verteidigung zur Durchführung des Bundesnaturschutzgesetzes in Liegenschaften der Bundeswehr, veröffentlicht im VM-Blatt 1978 auf Seite 269 — ich darf zitieren —Bei der Abwägung sind sowohl die Belange der Verteidigung als auch die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu berücksichtigen. Die Belange der Verteidigung haben gegenüber denen des Naturschutzes und der Landschaftspflege nur dann Vorrang, wenn sie anderweitig nicht oder unter unverhältnismäßigem Aufwand zu verwirklichen wären.Das heißt im Ergebnis, meine Damen und Herren, mit der Art und Weise des gedanklichen Ansatzes bezüglich des Umweltschutzes in unserem Recht bzw. in der Praxis des Bundesverteidigungsministeriums kann man an sich zufrieden sein.Es gibt eine Reihe anderer positiver Ansätze, die ich hier vortragen möchte. Nach meiner Erfahrung wird dem Gebot, das ich hier soeben zitiert habe, weitestgehend Rechnung getragen. Wenn ich mich meiner Erfahrungen über 20 Jahre hinweg mit der Bundeswehr erinnere und einmal danach frage, wie das vor 20 Jahren auf den Truppenübungsplätzen und den Standortübungsplätzen ausgesehen hat — Herr Kollege Kolbow wird das nachvollziehen können —, dann ist festzustellen, daß die Realität heute ein erheblicher Fortschritt ist.In der Art und Weise, wie für Landschaftsschutz in der Eingrenzung militärischer Aktivitäten, in der Art und Weise, wie in Pflegemaßnahmen auf Truppen- und Standortübungsplätzen bei uns etwas getan wird, stehen wir, gemessen an anderen Realitäten im internationalen Bereich, sicher an der Spitze. Das bedeutet: Man muß sich, wenn man über militärische Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Auswirkungen auf den Umweltschutz redet, fragen wie man sie denn wirklich bewerten kann. Ich meine, daß in der Art und Weise, wie darüber gesprochen wird, oftmals über das Ziel hinausgeschossen wird.Ich will als weiteres Beispiel einer positiven Aktivität der Bundeswehr bezüglich des Umweltschutzes das ehrgeizige Projekt der Sanierung der Heizanlagen nennen. Von 1982 bis 1994 investiert die Bundeswehr 1,4 Milliarden DM in die Sanierung und Verbesserung der Heizungsanlagen in militärischen Einrichtungen. Bisher sind 400 Millionen DM ausgegeben worden. Die Realisierung dieses Projekts wird dazu führen, daß nur noch 10 % des einstmaligen Schwefeldioxidgehalts in den Abgasen verbleiben. Wenn man
Metadaten/Kopzeile:
12464 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Breuerdas mit der Realität vergleicht, die man in manchen anderen Bereichen unserer Gesellschaft hinsichtlich der Zielsetzungen vorfindet, dann, meine ich, kann sich das durchaus sehen lassen.Meine Damen und Herren, ich will mich kritisch mit der Großen Anfrage der SPD auseinandersetzen. Herr Kollege Kolbow, wenn ich mir in diesem Zusammenhang anschaue, welche Fragen hier gestellt werden, dann ist zuzugeben, daß Sie viele wichtige und richtige Fragen stellen.
Ich glaube allerdings, daß Sie in der Auswahl sehr einseitig gewesen sind.
— Ich weiß das. — Man findet in dieser langen Liste von Fragen selten solche, in denen beispielsweise einmal versucht wird, zeitliche Entwicklungen positiv zu würdigen. Es finden sich immer wieder Fragen, in denen sehr einseitig versucht wird, die Auswahl des negativ besetzten Titels Ihrer Anfrage zu rechtfertigen. Der Titel lautet: „Landschaftsverbrauch und Naturzerstörung durch militärische Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland. "In der vergangenen Legislaturperiode hat die Fraktion DIE GRÜNEN eine Große Anfrage eingebracht; sie datiert aus dem Jahre 1985. Der Titel dieser Großen Anfrage lautete: „Umweltschutz und Bundeswehr." Ich muß einmal sagen: Die SPD sollte einmal überprüfen, ob sie angesichts der Art und Weise, wie sie Titel ihrer Großen Anfragen auswählt, nicht in der Gefahr steht, die GRÜNEN noch überholen zu wollen.
— Nun warten Sie ab; ich mache weiter. — Wenn einerseits die Anfrage der GRÜNEN aus dem Jahre 1985 den Titel „Umweltschutz und Bundeswehr" trägt und Ihre jetzige Große Anfrage andererseits den Titel „Landschaftsverbrauch und Naturzerstörung durch militärische Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland" trägt, dann frage ich mich: Was für einen Eindruck will man denn erwecken? Ich kann es Ihnen sagen: Der Eindruck, der erweckt wird, ist der, den man bei der SPD auf der örtlichen Ebene überall in unserem Lande hinsichtlich militärischer Einrichtungen und Aktivitäten beobachten kann. Dort trifft man auf die Einstellung: Bundeswehr, na ja. Aber wir sind gegen Manöver. Wir sind gegen Schießlärm. Wir sind gegen Tiefflug. Wir sind gegen dieses und jenes.
— Ja, Sie bestätigen es.Bei aller Notwendigkeit von Verbesserungen: Ein Stück Mitverantwortung für das, was Sie ja selbst einfordern, nämlich die Notwendigkeit militärischer Aktivitäten, die sich in vielen Fällen natürlich in einem Spannungsverhältnis zur Umwelt befinden, kann man von Ihnen schon verlangen. Natürlich ist hinsichtlich des Umweltschutzes in der Bundeswehr nicht alles in Butter. Auch ich habe Wünsche.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kolbow?
Ja, bitte.
Herr Kollege Breuer, könnten Sie mir nach Ihren negativen Einlassungen über Initiativen meiner Fraktion bitte erklären, warum wir gemeinsam den Unterausschuß „Militärischer Fluglärm/Truppenübungsplätze" ins Leben gerufen haben?
Herr Kollege Kolbow, ich kann Ihnen das gerne erklären, zumal ich selbst Mitglied in diesem Unterausschuß bin und mich dort engagiere.
Wir sehen natürlich genauso wie Sie die Notwendigkeit, Probleme durch Entlastungsmaßnahmen zu lösen. Aber die Frage ist, wie man grundsätzlich damit umgeht. Ich meine, wenn man den Soldaten nur sagt: „Du bis Landschaftszerstörer, du bist Landfresser, du bist Naturzerstörer" — wie das bei Ihnen auf der unteren Ebene Ihrer Partei geschieht, Hand in Hand zusammen mit den GRÜNEN — , dann müssen Sie sich irgendwann fragen, ob Sie sich nicht bessere und andere Verbündete suchen sollten.
Meine Damen und Herren, bei mir leuchtet hier die rote Lampe. Ich hätte gerne noch etwas dazu gesagt, wo ich meine, daß Veränderungen notwendig sind. Ich will versuchen, es in zwei Sätzen zu tun.Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß die Abrüstungsperspektiven auf die Planungen der Bundeswehr stärker übertragen werden müssen. Das heißt aber nicht, daß ich dazu bereit bin, heute zu sagen: Stopp überall! Die Planungen müssen ganz einfach auf der Zeitachse gestreckt werden, um Zeit zu gewinnen
und Überprüfungen vorzunehmen.Was die Institutionalisierung des Umweltschutzes im Verteidigungsministerium angeht, so wissen Sie, Herr Kollege Kolbow, daß die Koalitionsfraktionen im Verteidigungsausschuß einen Antrag zum Haushalt 1990 gestellt haben, der beinhaltet, daß mehr als 20 Stellen für eine einzurichtende Unterabteilung Umweltschutz im Bundesverteidigungsministerium eingerichtet werden sollen.
Es gibt eine ganze Reihe von Aktivitäten und Gemeinsamkeiten, um den Umweltschutz in der Bundeswehr voranzutreiben.
Abschließend sei aber festgestellt: Die Bundeswehr und die Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland haben es nicht verdient, daß man sie einseitig als Umweltzerstörer und als Naturzerstörer betrachtet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12465
BreuerWir wünschen uns eine stärkere Differenzierung in der Betrachtungsweise dieses Themas.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Brauer.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Freilich ist an dem Militär die Umweltdebatte nicht gänzlich vorbeigegangen. Auf den ca. 260 000 ha Truppen- und Standortübungsplätzen, Depots usw., die ihnen letztlich ohne jede Einschränkung für die vollständige Zerstörung bereitstehen, leben natürlich auch einige bedrohte Pflanzen- und Tierarten. In Abhängigkeit vom militärischen Nutzungskonzept sind auch Reste von naturnahen Flächen übriggebliben. Sie existieren nicht, weil man Natur erhalten will, sondern ihre Zerstörung war nicht geplant; sie sind davongekommen.
Durchaus mediengeschickt, in Faltblättern und bunten Broschüren, werden sie nun vorgezeigt. Es werden Bilder von hegenden und pflegenden Soldaten vorgeführt.Realität ist, daß in keinem anderen NATO-Land mehr Streitkräfte und Waffen stationiert sind und der Luftraum dichter beflogen wird als in der Bundesrepublik.Realität ist, daß in keinem anderen westeuropäischen NATO-Land die Streitkräfte bereits in Nichtkriegszeiten solche dauerhaften ökologischen Schäden verursachen.Obwohl in der Antwort der Bundesregierung zur Großen Anfrage dargestellt wird, daß sich die Bundeswehr an die Fachgesetze hält, verdeutlichen die folgenden Fakten, daß sie fortlaufend Rechtsvorschriften mißachtet.Rund die Hälfte der großen Heizanlagen der Bundeswehr verstößt gegen die TA Luft. Sie wurden erst anschließend nachgebessert. Sie überschreiten einen oder mehrere Emissionsgrenzwerte.
Flüsse und Grundwasser werden verschmutzt. Nur ein Drittel der Bundeswehrliegenschaften leitet seine Abwässer ordnungsgemäß in die Kanalisation.60 % der Bundeswehrmüllkippen haben einen wasserdurchlässigen Untergrund, und mehr als die Hälfte liegen in der Nachbarschaft von Wasserschutzgebieten.
Diese und eine Vielzahl weiterer belastender Fakten gehen aus einer geheimgehaltenen Studie, die die Bundeswehr bei der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft in Auftrag gegeben hatte, hervor.
Die Zeitschrift „natur" hat sie im April 1987 veröffentlicht.Wie unglaubwürdig die Bundesregierung mit ihrer sogenannten Umweltschutzarmee ist, zeigen drei aktuelle Beispiele.Im Naturschutz- und Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung — Staustufe Schlüsselburg — wird der Tauch- und Watübungsplatz für Kampfpanzer des norddeutschen Raumes angelegt. Ein wertvolles Gebiet mit einer individuenreichen Wasservogelfauna wird durch den Badeplatz für Panzer völlig entwertet. Herr Carstensen, wie sollen Segler und Kanuten im Nationalpark Wattenmeer einsehen, daß sie nur noch bestimmte Fahrwässer benutzen dürfen,
wenn sie mitbekommen, daß wenige Kilometer weiter die Bundeswehr Projektile aller Kaliber explodieren läßt und Tiefflieger riesige Flächen leerfegen, wo sonst Tausende von Vögeln rasten?
Wie erst jüngst in der Presse veröffentlicht, wurde in Massenunterkünften Kalziumhypochlorit gelagert. Jahrelang mißachtete man Gefahrstoff- und Störfallverordnung. Ständig waren schwerste Chlorgasdesaster möglich. Die Einhaltung der eben genannten selbstverständlichen Verordnungen kostet die Bundeswehr 16 Millionen DM. Im nächsten Jahr wird sie diesen Betrag wahrscheinlich als Umweltschutzausgaben abfeiern.Und was leistet sie sich beim UVP-Gesetz? In der Antwort auf die Große Anfrage nimmt die Bundesregierung den Mund sehr voll. Zitat:Die Bundesregierung teilt die Meinung, daß von Vorhaben, die der Landesverteidigung dienen, erhebliche Umweltauswirkungen ausgehen können und es daher aus Gründen der umweltpolitischen Sachgerechtigkeit erforderlich ist, Anlagen der Landesverteidigung in die Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung einzubeziehen.Als es darum ging, den Punkt Militär im UVP-Gesetz zu verankern, ging das Hickhack innerhalb der Regierungsparteien los und führte u. a. zur Verzögerung der Beratung. Übrig bleiben wird davon lediglich eine Kann-Bestimmung über eine Richtlinie, über Ausnahmegenehmigungen usw. usf. Das spricht für sich, meine ich.Offenkundig gilt weiter voll und ganz das Primat des Militärs. Er hat gesetzliche Privilegien. Es kontrolliert sich selbst. Es ist nach wie vor ein Staat im Staate.
Die GRÜNEN fordern hingegen:Erstens. Im Zuge weltweiter Abrüstungsverhandlungen ist der militärische Landfraß von über 12 000 ha in den nächsten Jahren natur- und friedensgefährdend. Statt dessen muß es Ziel sein, die Liegenschaften von Bundeswehr und NATO- Entsendestreitkräften stufenweise zu schließen.
Metadaten/Kopzeile:
12466 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
BrauerZweitens. In ökologisch sensiblen Gebieten — die Liste ist zu lang, um hier alles aufzuzählen — sterben noch immer seltene Tiere und Pflanzen den sogenannten ehrenhaften Heldentod fürs Vaterland. Hier sind jegliche militärische Aktivitäten sofort einzustellen.
Drittens. Panzerübungsgelände und 30 Jahre Manövertätigkeit haben die norddeutsche Heide strekkenweise in eine Mondlandschaft verwandelt. 20 % des Naturparks Lüneburger Heide werden von britischen Allierten verhunzt, um mit Löns zu sprechen. Daher ist das Soltau-Lüneburg-Abkommen sofort zu kündigen.
Viertens. Um mit dem Primat der Ökologie vor dem bislang praktizierten Primat des Militärs zu beginnen, sind ab sofort alle Manöver und jegliche Bundeswehraktivitäten in der freien Landschaft zu untersagen. Sie haben nur noch auf den dafür vorgesehenen Standort- und Truppenübungsplätzen stattzufinden.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bredehorn.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD zum Landschaftsverbrauch und zur Naturzerstörung durch militärische Einrichtungen beginnt bemerkenswerterweise mit der Feststellung, daß es seltene Biotoptypen und bedrohte Arten gibt, die nur noch auf militärisch genutzten Flächen vorkommen. Das ist doch ein deutliches Indiz dafür, daß unsere Soldaten und Alliierten bei ihren notwendigen Übungen die Verantwortung für Natur und Umwelt ernst nehmen.Zweifellos verursachen Streitkräfte wie unsere eigene Bundeswehr und die hier stationierten Truppen unserer Verbündeten auf verschiedenartigste Weise Belastungen für unsere Mitbürger und die Natur. Diese Belastung treten um so stärker in unser Bewußtsein, als einerseits das Gefühl für die Belange unserer Umwelt bei unseren Bürgern erfreulicherweise immer mehr zunimmt, andererseits die Entwicklung in den Staaten Mittel- und Osteuropas und die zu erwartenden Ergebnisse bei den Abrüstungsverhandlungen für konventionelle Streitkräfte die Einsicht in die Notwendigkeit noch erforderlicher militärischer Vorkehrungen abnehmen lassen.Unsere Streitkräfte und ihre Einrichtungen sind und bleiben aber Garant für unsere Sicherheit in Frieden und Freiheit,
gerade auch mit Blick auf die Abrüstungsverhandlungen in Wien. Wenn sich die Abrüstungsbemühungen so weiterentwickeln, wie sich dies im Moment überaus positiv in Wien abzeichnet, werden wir, ab dem nächsten Jahr beginnend, die Streitkräfte in Europa vermutlich verifizierbar und kontrollierbar verringern können. Ab diesem Zeitpunkt wird sich die Anzahlder militärischen Einrichtungen, der Truppenteile, ihrer Bewegungen, der Übungen und damit der Belastungen sicher anders darstellen.
Unter den von mir dargelegten Bedingungen muß jedoch ausdrücklich festgestellt werden, daß die von dieser Koalition getragene Bundesregierung und vor allem Bundesverteidigungsminister Stoltenberg auch auf Betreiben meiner Kollegen im Verteidigungsausschuß große Schritte zur Entlastung unserer Bürger und der Natur vorgenommen haben.Ich darf daran erinnern, daß wir erst in der letzten Woche das von Minister Stoltenberg vorgelegte Tiefflugkonzept hier debattiert haben. Es sieht vor, die Tieffluglärmbelastung in sogenannten Tiefstfluggebieten in Absprache mit den Alliierten um 50 % zu verringern. Maßnahmen wie die Verringerung der Fluggeschwindigkeit im Tiefflug werden bei diesen Einsätzen zu einer weiteren 25prozentigen Lärmreduzierung führen.Neben den Vereinbarungen über die Entlastung beim Fluglärm hat Minister Stoltenberg in einer Vereinbarung mit dem britischen Verteidigungsminister eine erste Entlastung der Bevölkerung im Raum Soltau-Lüneburg erreicht. Neben der Pause vom 25. August bis zum 1. September fanden jetzt auch vom 10. bis zum 25. September keine Übungen statt. Ab 1990 wird es zur Zeit der Heideblüte im Raum Soltau-Lüneburg eine vierwöchige Sommerpause geben. Die Übungen an Wochenenden ab Samstag 13 Uhr und an Feiertagen sollen auf das absolut notwendige Minimum beschränkt werden.Die bereits im April 1989 von deutscher Seite angeordnete Reduzierung der Großübungen des Heeres, der Soldaten und Fahrzeuge, um ca. 50 % wurde bereits bei der letzten Heeresübung „Offenes Visier" in Niedersachsen realisiert.Auch die vorliegende Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zeigt, daß die Umweltsensibilität und die Umweltanstrengungen bei der Bundeswehr erheblich zugenommen haben. Unsere Verteidigungsanstrengungen müssen sich auch an ihrer Umweltverträglichkeit messen lassen. Umweltschutz darf vor den Kasernentoren nicht haltmachen.Die Erhaltung der Umwelt gehört neben der Erhaltung des Friedens zu unserer wichtigsten Aufgabe. Lokale, regionale und weltweite Umweltprobleme zeigen, daß auf allen Ebenen und von allen Beteiligten Beiträge geleistet werden müssen, um die ökologischen Herausforderungen zu meistern.Der Bundeswehr kommt ebenso wie anderen öffentlichen Bereichen im Umweltschutz eine Vorreiter- und Vorbildfunktion zu. Dabei sollte sie den Abbau vorhandener Defizite offensiv betreiben und einen wirksamen Beitrag dazu leisten, daß wir nicht nur in Frieden, sondern auch in einer intakten Umwelt leben können.Unnötige Umweltbelastungen durch die Bundeswehr müssen vermieden werden. Belastungsfaktoren, mit denen sich die Bundeswehr vorwiegend auseinandersetzen muß, sind: Landschaftsverbrauch, Lärmbe-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12467
Bredehornlastung, Luftverschmutzung, Gewässerbelastung, Flurschäden und Abfälle.Die seit Jahren am Umweltverhalten der Bundeswehr geübte Kritik übersieht bei allem Handlungsbedarf, daß die Bundeswehr das Thema Umwelt aufgegriffen hat und sich ihrer Umweltverantwortung gerade in den letzten Jahren immer stärker bewußt wird.
Ich begrüße ausdrücklich auch die heutige Diskussion, die zu mehr Klarheit führen und zu einer weiteren Vertiefung dieser Thematik im Verteidigungs- und Umweltausschuß anregen wird.Die Notwendigkeit eines liegenschaftsbezogenen Umweltschutzes bei der Bundeswehr zeigt die Tatsache, daß immerhin 7,9 % der Liegenschaften der Bundeswehr an Landschaftsschutzgebiete, 5,4 % an Wasserschutzgebiete und noch 1,5 % an Naturschutzgebiete angrenzen. Schon. dies erklärt die Bedeutung, die etwa neue, der Landesverteidigung dienende Vorhaben, Flächenversiegelung und überhaupt Art und Intensität der militärischen Nutzung auch über die Bundeswehrgeländeflächen hinaus haben. Bei der hoffentlich zunehmenden Ausweisung von Wasserschutz- und Naturschutzgebieten werden sich diese Zahlen noch erhöhen.Die vorgesehene Erweiterung und der Neubau von Depots bedeutet eine Versiegelung weiterer Flächen. Es wird sehr genau zu prüfen sein, ob und in welchem Umfang tatsächlich Bedarf für Landschaftsverbrauch besteht und welche Ausgleichsmaßnahmen möglich sind.
Die Liegenschaften der Bundeswehr machen immerhin 2 % des Gebiets der Bundesrepublik aus, 80 000 Hektar Wald stehen auf Bundeswehrgelände. Auch die 130 000 Fahrzeuge der Bundeswehr, die Militärflugzeuge, die 3 400 Heizanlagen, 30 Millionen Kubikmeter jährlich anfallende Abwässer zeigen, daß Umweltschutz in der Bundeswehr alle Bereiche umfassen muß.Die Koalitionsfraktionen haben in der letzten Sitzung des Umweltausschusses dafür gesorgt, daß künftig grundsätzlich Landesverteidigungsanlagen in die Umweltverträglichkeitsprüfung mit einbezogen werden. Dies ist zu begrüßen und auch richtig, denn von Vorhaben, die der Landesverteidigung dienen, gehen erhebliche Umweltauswirkungen aus. Die umweltpolitische Sachgerechtigkeit erfordert auch für diesen Bereich eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Künftig kann der Bundesverteidigungsminister nur noch in Ausnahmefällen davon absehen, und dies auch nur gemäß Kriterien, die mit dem Bundesumweltminister abgestimmt sind.Der Bundesverteidigungsminister hat in seinen Vorbemerkungen zur Antwort auf die Anfrage der SPD darauf hingewiesen, daß Handlungsmaxime bei der Erfüllung des Auftrages selbstverständlich sein muß, daß die Umwelt so weit wie möglich geschont wird und — wo immer möglich — Beiträge zur Verbesserung der Umweltsituation geleistet werden müssen. Ich unterstütze diese Auffassung nachdrücklich. Nachdrücklich setze ich mich auch dafür ein, die bestehenden Möglichkeiten zur Entlastung der Umwelt seitens der Bundeswehr voll auszuschöpfen.Auf die Bedeutung einer Reihe von Bundeswehrflächen für den Naturschutz wurde bereits verschiedentlich hingewiesen. In die notwendigen Biotopverbundsysteme müssen auch die ökologischen Inseln im Bereich der Bundeswehr einbezogen werden. Geprüft werden muß, welche weiteren Flächen innerhalb der Bundeswehr naturnäher oder naturnah gestaltet werden können.Die Festlegung von Kriterien zur Erfassung von Biotopen auf den °bungs- und Flugplätzen der Bundeswehr ist ein erster richtiger Schritt. Entsprechend den Empfehlungen der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie zur stärkeren Berücksichtigung ökologischer Grundsätze sollten Übungsplätze nach ökologischen Gesichtspunkten umgestaltet werden, soweit dies mit der Wahrung des Auftrags der Bundeswehr vereinbar ist.Der Truppenübungsplatz Hammelburg in Unterfranken gilt als Paradebeispiel für das Gedeihen von Feuchtbiotopen und seltenen Pflanzen. Ich wünsche mir viele solcher Paradebeispiele in der Bundesrepublik.Interessenkonflikte zwischen Verteidigungsauftrag und Umweltschutz, die es immer geben wird, können häufig durch praktische Einzelmaßnahmen, z. B. durch Lärmschutzwälle, auf Standortübungsplätzen dazu beitragen, dem Umweltschutz auch für den Bürger sichtbar immer stärker Geltung im Bereich der Bundeswehr zu verschaffen.Ein Schwerpunkt des Umweltschutzes bei der Bundeswehr ist die Luftreinhaltung. Hier gibt es für die 3 400 Heizanlagen ein Sanierungsprogramm, das möglichst rasch abgeschlossen werden sollte.
Hinsichtlich der Dieselfahrzeuge muß, sobald die entsprechenden Rußfilter zur Verfügung stehen, eine umfassende Nachrüstung erfolgen. Die Bundeswehr sollte die vielfältigen Möglichkeiten der Energieeinsparung so stark wie möglich nutzen. Die Entwicklung leiserer Strahltriebwerke für militärisches Fluggerät sollte weiter vorangetrieben und entsprechend unterstützt werden. Die im zivilen Bereich am Fluggerät schon erreichten Fortschritte der Lärmminderung müssen auch bei militärischem Fluggerät realisiert und verbindlich vorgeschrieben werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lennartz?
Bitte.
Herr Kollege, ich habe eine Frage. Sie haben eben einen Maßnahmenkatalog vorgetragen, wo Sie der Auffassung sind, daß man hier zu Entscheidungen kommen müßte. Dürfte ich Sie bitten, uns einmal die zeitlichen Räume anzugeben, wo Sie gedenken gemeinsam als Koalition und Regierung die
Metadaten/Kopzeile:
12468 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Lennartzvon Ihnen vorgetragenen Maßnahmen zeitlich zu beenden?
Wenn ich hier sage, daß bei 3 400 Heizanlagen ein Sanierungsprogramm durchgeführt werden muß, dann werden Sie sicherlich verstehen, daß man das nicht alles noch in diesem Jahr machen kann.
Wir sind dabei, und wir werden dies konsequent weiterführen, so daß wir in den nächsten Jahren hier zu der Lösung kommen, die wir alle wollen.
Meine Damen und Herren, die von mir vorgetragenen Maßnahmen beweisen, daß diese Regierung in eigener Verantwortung, aber auch auf Druck der Regierungskoalition notwendige Maßnahmen zur Entlastung unserer Bürger und der Umwelt getroffen hat.
Die für die Verteidigungsplanung Verantwortlichen haben vieles auf den Weg gebracht. Die FDP erkennt an, daß unsere Soldaten und die unserer Verbündeten auch unter Berücksichtigung des von uns, vom Gesetzgeber, erteilten Verteidigungsauftrages Sensibilität für die Belange der Umwelt entwickelt haben und sich um noch bessere Lösungen bemühen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kastner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Umweltschutz ist Zukunftsbewältigung. Mit diesem Satz hat der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Würzbach unbestritten recht.Natur- und Umweltschutz sind neben der Friedenssicherung zur Überlebensfrage der Menschenheit geworden. Angesichts der drohenden Klimakatastrophe, der fortschreitenden Zerstörung der Wälder und Meere, angesichts des Aussterbens zahlreicher Tier- und Pflanzenarten muß die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen eine der wichtigsten Aufgaben für den Staat, für jeden einzelnen, aber auch für das Militär sein.
Darüber besteht Einigkeit in Reden und Programmen aller Fraktionen. Beim Handeln gilt aber immer noch die Devise „Weiter so!".
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zum Landschaftsverbrauch und zur Naturzerstörung durch militärische Einrichtungen zeigt ein erschreckendes Maß an Unbeweglichkeit, Unverständnis und auch Schönfärberei.
Wer diesen Ausführungen und den Werbebroschürendes Verteidigungsministeriums Glaub en schenkt,könnte meinen, daß die Truppenübungsplätze die bestgepflegten Biotope der Republik seien,
wo in den idyllischen Panzerspuren auch noch Kröten laichen können.Man könnte glauben, daß in den militärischen Einrichtungen alles Erdenkliche für den Umweltschutz getan wird. Die Wirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus. Die Bürgerinnen und Bürger wissen das nur allzugut.Wie wollen wir eigentlich Zustimmung bei den Sportvereinen für die notwendigen Befahrensregeln im Nationalpark „Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer" finden, die den Naturschutz in bestimmten Ruhezonen sicherstellen sollen, wenn die Bundeswehr bzw. Rüstungsfirmen zur gleichen Zeit in der Meldorfer Bucht weiter neue Raketen, Flugkörper, Rohrwaffen, elektronische Geräte und Meßverfahren erproben?
Wie soll dem Bürger die im Hinblick auf die Natur längst überfällige Geschwindigkeitsbeschränkung einsichtig werden, wenn gleichzeitig das umweltpolitische Vorzeigestück der Bundeswehr, der Truppenübungsplatz Hammelburg — der liegt in meinem Wahlkreis — , für ADAC-Ralleys freigegeben wird?Wie soll man den betroffenen Landwirten einsichtig machen, daß der übermäßige Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden zum Schutz unseres Trinkwassers schnellstmöglich eingeschränkt werden muß, wenn gleichzeitig von der Bundeswehr unbereinigtes und unzureichend behandeltes Abwasser in Bäche und Kanäle eingeleitet wird?
Dank der Zeitschrift „natur" und anderer Publikationen wissen wir heute trotz Geheimhaltung einiges über die Mißstände in der Bundeswehr in Sachen Gewässerschutz, Bodenschutz und Luftreinhaltung.Die Lärmbelästigung war immer schon unüberhörbar; hier war die Geheimhaltung eigentlich zwecklos.
Unsere Große Anfrage richtete sich vor allem auf den vom Sachverständigenrat für Umweltfragen als besonders kritisch bezeichneten Zustand von Natur und Landschaft. Wir wollten eigentlich darauf eine Antwort haben, nicht nur etwas über die Programme zur Sanierung von Heizzentralen, die Errichtung von Lärmschutzhallen und von abwassertechnischen Anlagen erfahren.
— Ich habe ja gesagt: nicht nur.Wenn die Bundesregierung ernsthaft für ein bundesweites Biotopverbundsystem eintritt und dafür etwa 15 % der Fläche der Bundesrepublik benötigt werden, können die Bundeswehr und die Gaststreitkräfte nicht immer neue, zusätzliche Flächen bean-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12469
Frau Kastnerspruchen, sie planieren, dann betonieren und auch noch mit Schadstoffen belasten.Im Zeichen des Willens zur Abrüstung u n d des Friedens auch mit der Natur sollten statt dessen Flächen in der Nähe oder in Natur- und Landschaftsschutzgebieten zur Schaffung dieses Biotopverbundsystems zur Verfügung gestellt werden. Statt in den letzten Moorflächen der Republik noch Truppenübungsplätze einzurichten, sollte die Bundeswehr endlich aufhören, nur zu reden und Umweltschutzbroschüren zu verteilen, und in ihrem Bereich anfangen und erste ernsthafte Schritte in Sachen Biotop- und Artenschutz wagen. Es darf keinen Bestandsschutz für militärische Einrichtungen in Natur-, Landschafts- und auch Wasserschutzgebieten geben.
Die im Bundesnaturschutzgesetz festgeschriebene Sonderrolle der Landesverteidigung muß bei der schon seit langem überfälligen Novellierung des Gesetzes genauso in Frage gestellt werden wie die Sonderregelung für die Landwirtschaft, die Jagd und die Fischerei. Herr Töpfer sollte endlich die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes vorlegen und den Bundesverteidigungsminister — ich freue mich, daß er inzwischen eingetroffen ist — veranlassen, z. B. die Schießübungen im Wattenmeer schnellstmöglich einzustellen.
Viele Sünden der Bundeswehr und der Gaststreitkräfte in Natur und Umweltschutz werden in der Antwort der Bundesregierung verharmlost oder gar nicht erst behandelt. Die durch Manöver verursachten Schäden sind hier besonders zu erwähnen.
Die Zerstörung eines Biotops mit besonders seltenen Pflanzenarten ist einfach nicht wiedergutzumachen. Entschuldigungen, wie „nachts könnten bestimmte Schutzgebiete nicht als solche erkannt werden" , sind lächerlich und für die Bürgerinnen und Bürger auch ärgerlich.
Manöver in einem Gebiet ohne die genaue Kenntnis der Naturschutzgebiete und Biotope müssen verboten werden.Es ist höchste Zeit, daß die Bundeswehr die Abfall- und Sondermüllbeseitigung vorbildlich organisiert. Die Verseuchung der Böden mit gefährlichen Chemikalien, wie sie immer wieder auftritt, muß unterbunden werden. Lagerung und Transport von wassergefährdenden Stoffen müssen endlich den Anforderungen des Wasserhaushaltsgesetzes entsprechend geregelt werden. Die Verseuchung des Grundwassers durch Deponiesickerwasser muß schnellstmöglich unterbunden werden.Die geplanten Baumaßnahmen der Bundeswehr müssen der Umweltverträglichkeitsprüfung ebenso unterzogen werden wie die Vorhaben anderer Institutionen. Statt dessen haben Sie Art. 1 des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes noch aufgeweicht. DerBundesminister der Verteidigung kann danach nach Absprache mit dem Umweltminister eine Umweltverträglichkeitsprüfung auch in Friedenszeiten umgehen, und das ist nicht korrekt. Ich wiederhole ausdrücklich die Forderung meines Kollegen Kolbow: Wir fordern die gesetzlich verankerte Umweltverträglichkeitsprüfung und keine Sonderregelung für Streitkräfte in Friedenszeiten. Dies in der Bundeswehr und bei den hier stationierten NATO-Streitkräften durchzusetzen, ist sicher eine schwierige Aufgabe, aber deswegen nicht weniger nötig.Die SPD-Fraktion wird zum Umweltschutz in der Bundeswehr und in den Gaststreitkräften weiter Fragen stellen, um auf die Mißstände hinzuweisen und schnellstmögliche Abhilfe einzufordern. Wenn das Verteidigungsministerium davon spricht, daß seine Art der Friedenssicherung bewußt und energisch auch die Anstrengungen zur Bewahrung einer lebenswerten Umwelt miteinschließt, dann müssen Sie weg von der Devise „Weiter so" und die Überprüfung der Sonderregelungen für die Landesverteidigung in den Umweltschutzgesetzen endlich angehen.
Noch wichtiger allerdings wäre eine dem Staatsziel „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" verpflichtete Politik im Bundesministerium der Verteidigung. Machen Sie nicht weiter so, sondern packen Sie dieses Staatsziel endlich an!Danke schön.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Friedrich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Kollegin Kastner zunächst einmal versichern, daß der Bundesumweltminister sein Bundesnaturschutzgesetz, das bis in den letzten Halbsatz formuliert ist, in dem Augenblick vorlegen wird,
in dem z. B. alle Länder, auch die SPD-Länder, bereit sind — uns würde schon eine Mehrheit im Bundesrat reichen —, die für den Vollzug dieses Gesetzes notwendigen Mittel bereitzustellen. Leider gibt es auch einige Sozialdemokraten, die das nicht möchten.Frau Kollegin Kastner könnte den Eindruck haben, daß ich einen Satz aus ihrem Manuskript, das ich natürlich gar nicht gekannt habe, abgeschrieben habe. Auch bei mir steht auf Seite 3: Die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und damit auch der Natur ist für uns von existentieller Bedeutung.
Was Sie, Frau Kollegin, machen müßten, ist folgendes: Sie müßten künftig von mir auch einmal den nächsten Satz übernehmen.
Metadaten/Kopzeile:
12470 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Dr. FriedrichDann haben Sie nämlich die volle Wahrheit bei dieser Debatte erfaßt. Der nächste Satz heißt: Zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen gehört auch Sicherheit. —
Das sage ich auch als Umweltpolitiker. Und ich sage ganz offen und ehrlich: Zwischen den Zielen Sicherheit für Menschen und Schutz ihrer Lebensgrundlagen gibt es leider sehr, sehr ernste Konflikte. Wir müssen den Soldaten — da wir die nicht allein in der Landschaft stehenlassen können — immer wieder öffentlich bestätigen, daß sie, wenn sie ihren Verteidigungsauftrag erfüllen, unseren Auftrag, den Auftrag dieses Parlaments erfüllen und dabei leider auch immer wieder Flächen versiegeln und Landschaft beschädigen müssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horn?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Kollege, damit es zu keiner Verfälschung kommt: Würden Sie nicht zugeben, daß es sich gar nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Politikern und unseren Soldaten handelt, die ihre Pflicht erfüllen, sondern daß es sich in der Zielsetzung und der Auseinandersetzung um politische Konflikte handelt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ganz allgemein hat ja auch der erste Redner der SPD diese Konfliktsituation dargestellt.
Ich bedaure nur eines, vor allem in der politischen Auseinandersetzung vor Ort: daß Sie, wenn Sie über Bundeswehr reden, nur in Frage stellen, nur problematisieren und nicht bereit sind, auf Grund des Verteidigungsauftrags, der doch auch Ihr Auftrag ist, im konkreten Fall auch einmal Verantwortung zu übernehmen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung konnte in ihren Antworten auf die Große Anfrage belegen, daß sie die Belange des Natur- und Umweltschutzes ernst nimmt und beachtliche Fortschritte erzielt hat.
Ich will einmal beispielhaft nur einige wenige positive Dinge — ich komme nachher zu den negativen — aufzeigen: Halbierung der Zahl der Übungen von Großverbänden mit mehr als 2 000 Soldaten seit 1978; Maßnahmen zur systematischen Erfassung der Naturausstattung unserer Bundeswehrliegenschaften; zunehmende Berücksichtigung — ich drücke mich sehr
vorsichtig aus, weil ich bei der Wahrheit bleiben will —
des Biotopschutzes in den Nutzungsplänen, vor allem für die Übungsplätze.
Der Biotopschutz ist angesichts des besorgniserregenden Artenschwundes eine ganz, ganz wichtige Aufgabe. Ich meine, wir sollten feststellen, daß der Bund hier in zweierlei Hinsicht eine Aufgabe hat: nicht nur als Gesetzgeber, wenn er, wie von Ihnen gefordert, das Bundesnaturschutzgesetz novelliert, sondern auch als „Großgrundbesitzer". Der Herr Bundesverteidigungsminister und der Herr Bundesfinanzminister vertreten bei der Verwaltung diesen „Großgrundbesitzer" ; die Zahlen sind hier schon genannt worden.
Aber wenn man die Sache differenziert darstellt, dann muß man wieder zweierlei feststellen: Es gibt auf diesen riesigen Flächen — die Bundeswehr nutzt etwa 1 % der Fläche des Bundesgebietes — einerseits zwar Naturzerstörung durch Befahren mit schweren Fahrzeugen und durch Scharfschießen, andererseits aber auch — das zur Kenntnis zu nehmen weigert sich der Herr Kollege Brauer — große Sicherheits-, Tarn- und Lärmschutzzonen, die militärisch überhaupt nicht beansprucht werden. Herr Kollege Breuer
— Brauer, Entschuldigung — , wenn Sie einmal Zeit haben und im Raum Nürnberg sind, besuchen Sie mich. Dann machen wir einen Spaziergang über einen Truppenübungsplatz ; ich wohne unmittelbar daneben. Hier zu behaupten, daß diese Fläche insgesamt, wie Sie gesagt haben,
zur Zerstörung freigegeben ist, ist schlicht und einfach die Unwahrheit.
— Bitte sehr.
Herr Kollege Brauer, Sie haben das Wort.
Könnten Sie bitte die Frage beantworten, wie es kommt, daß wir angesichts der Tatsache, daß gerade Standort- und Truppenübungsplätze auf Grenzertragsböden angelegt worden sind und daß gerade diese Grenzertragsböden eine reichhaltige Flora und Fauna und eine vielfältige Biotopzusammensetzung haben, so daß man eigentlich sagen kann, auf 90 % dieser Grenzertragsböden ist eine absolut erhaltenswerte Natur, unterrepräsentativ wenige Naturschutzgebiete haben?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12471
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Breuer, in dieser Feststellung sind wir uns völlig einig. Sie haben bloß nicht mehr Ihren Satz relativiert, den ich als falsch bezeichnet habe, daß diese Flächen, 90 %, wie von Ihnen beschrieben, zur Zerstörung freigegeben sind. Diesen Satz Ihrer Rede habe ich mir notiert. Sie werden den Beweis antreten müssen, und das wird Ihnen nicht gelingen.
Der Kollege Breuer, Brauer — Entschuldigung — —
— Das sind halt so Probleme. Ich halte mich sonst in einem anderen Ausschuß auf, und deswegen sind mir die Namen der Verteidigungspolitiker nicht so geläufig.Der Kollege Brauer hat den Zustand dieser Übungsflächen als ganz gut beschrieben. Das hängt übrigens auch damit zusammen, daß auf diesen Flächen nicht gedüngt wird, daß auf diesen Flächen grundsätzlich keine Pflanzenschutzmittel angewendet werden. Deshalb möchte ich Ihnen noch einmal ausdrücklich bestätigen: Es gibt dort eine ausgesprochene Artenvielfalt. Wir wollen uns gemeinsam darum bemühen, daß sie erhalten wird.Sie nehmen auch nicht zur Kenntnis, Herr Brauer— ich verweise auf eine Broschüre, der Text ist von Öko-Fachleuten formuliert — , daß selbst dort, wo die Bundeswehr eigentlich etwas zerstört, wo die Panzer rollen, sich ausgesprochene Mangelbiotope entwikkeln können. Die Fachleute sagen: Bitte, bringt dort nicht alles formal in Ordnung.
Meine Damen und Herren, man kann es, glaube ich, so formulieren: Wir sind unterwegs zu einem besseren und naturbewußteren Management der Bundeswehrflächen und auch der Flächen unserer Verbündeten, aber wir sind unterwegs und noch lange nicht am Ziel.Ich will die positiven Erfahrungen, die ich in meinem eigenen Bereich gewonnen habe, nicht näher schildern, obwohl es in meinem Manuskript steht. Ich will dem Bundesverteidigungsminister kurz sagen, wo ich noch nicht ganz glücklich bin.
Ich habe den Antworten auf die Große Anfrage entnommen, daß auf allen Übungsflächen, auch auf denen, die den Alliierten zur Verfügung gestellt wurden, das deutsche Recht zur Anwendung kommt. Ich habe fast den Eindruck, daß die Beantworter meinen, es gebe dort keine Vollzugsdefizite.Herr Bundesverteidigungsminister, wenn ich mich um meinen eigenen Übungsplatz kümmere, dann bekomme ich zwar vom Bundesfinanzminister die Auskunft: Selbstverständlich wird bei dieser oder jener Baumaßnahme emissionsschutzrechtlich alles geprüft, aber man muß manchmal noch lange hinterherlaufen, bis man wirklich jemanden findet, der ein Lärmschutzgutachten erstellt.Wir haben bei einigen allzu positiv ausgefallenen Antworten durchaus noch unsere Fragezeichen. Wir als Unionspolitiker werden nicht immer nur diesen Antworten vertrauen, sondern in der Praxis hin und wieder einmal kontrollieren. Das scheint mir erforderlich zu sein.
Ich darf einen weiteren Punkt ansprechen. In den Antworten auf die Fragen der SPD bleibt ein bißchen offen, ob die Länder — es wird auch nicht ganz geklärt, warum vielleicht nicht — auf diesen Übungsflächen systematisch die Biotope erfassen.Ich habe nun einmal ein bißchen nachgedacht— leider habe ich zu wenig Zeit gehabt, das telefonisch voll abzuklären — : Ich stelle fest, mein großer Übungsplatz im Raum Nürnberg ist ausmärkisches Gebiet. Ich fürchte, weder die Gemeinden noch die unteren Naturschutzbehörden fühlen sich für dieses Gebiet zuständig. Das könnte der Grund sein, warum die Länder diese Flächen nicht voll erfassen. Ich hätte übrigens keine Bedenken, wenn der Bund als Verwalter dieser Liegenschaften selber die Biotope systematisch erfaßt. Ich möchte nur sichergestellt haben, der eine oder andere muß es vernünftig machen.Lassen Sie mich abschließend noch eine mehr grundsätzliche 'Bemerkung machen, wo ich auf das zurückkomme, was der Kollege Kolbow ausgeführt hat: Das Ministerium gibt den zusätzlichen Flächenbedarf der Bundeswehr in den kommenden zehn bis 15 Jahren mit 12 500 ha an. Einige Flächen werden freigegeben. In der Bilanz ist es ein unbestreitbarer Mehrbedarf.Herr Kollege Kolbow, ich bin nicht Ihrer Meinung, daß der Bundesverteidigungsminister diese ganzen Pläne jetzt umschmeißen sollte. Ich bin einverstanden, wenn der Bundesverteidigungsminister sagt: Ich werfe meine Pläne erst dann um, wenn ich unterschriebene Vereinbarungen über kontrollierte Abrüstung habe. Nur, ich habe mit dem bayerischen Ministerpräsidenten die Bitte, diese Pläne jetzt doch nicht alle eilig zu vollziehen. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß man von Fall zu Fall eine gute Möglichkeit hat, eine alte Verwaltungspraxis zu nutzen, nämlich das eine oder andere für ein oder zwei Jahre auf Wiedervorlage zu legen.
— Ja.Wir sehen das also durchaus differenziert. Ich bin kein Fachmann; ich bitte um Verständnis. Ich kann niemandem vorschreiben, wo man ein bißchen zurückstellen kann. Aber ich habe den Eindruck: Wenn ich das, was ich über Abrüstungsverhandlungen gelesen habe, einigermaßen richtig verstanden habe, könnte man vielleicht doch einiges auf Wiedervorlage legen.
Metadaten/Kopzeile:
12472 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Dr. FriedrichWir alle haben die Hoffnung, daß wir eines nicht allzu fernen Tages auf einem etwas niedrigeren Niveau der Rüstung in Europa und auf dieser Erde ganz sicher leben können.
— Ich bin der Überzeugung, daß Sie am wenigsten dazu beitragen. Darüber bin ich mir völlig im klaren. Aber trotz dieser Störaktionen der GRÜNEN gibt es gute Chancen.Ich habe die herzliche Bitte an das zuständige Fachministerium und auch an die Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß — damit komme ich zum letzten Satz — : Bitte, wenn Sie eines Tages den einen oder anderen Standort verkleinern oder sogar wegfallen lassen können, wenden Sie dann nicht nur militärische Kriterien an, sondern berücksichtigen Sie auch ökologische Kriterien. Denken Sie bitte auch daran, daß einige dieser großen Übungsgelände und Kasernenanlagen heute mitten im städtischen Ballungsgebiet liegen und daß Abrüstung auch bedeuten kann, daß man nicht nur die Natur entlastet, sondern auch lärmgeplagte Menschen.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schilling.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Während in den Wiener Ost-West-Gesprächen über Truppenreduzierungen verhandelt wird, bauen und erweitern die Militärs, Bundeswehr, NATO- und US-Militärs, kräftig militärische Anlagen jeglicher Art aus, verbrauchen und verseuchen dabei unser Land, unseren Wald, unsere Luft und unser Wasser. Ab 1990 sollen dafür täglich ca. 150 Millionen DM fließen. Das sind nur die geschönten und untertriebenen Zahlen, wie wir wissen. Diese im Einzelplan 14 sogenannten Infrastrukturmaßnahmen sind im Haushalt 1990 um mehr als 16 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen.Der Moloch Militär frißt sich immer weiter in die Natur. Das Militär ist der größte Umweltvernichter.
Dieser Landfraß, dieser Landklau geschieht zum Zwecke unserer angeblichen Verteidigung,
einer Verteidigung, die alles zerstört, was verteidigt werden soll. Dabei berufen Sie sich auch noch auf die Verfassung. Das ist ein glatter Hohn. Die Verfassung redet von Verteidigung. Als sie gemacht wurde, war aus der historischen Erfahrung heraus auch noch klar, was das heißt. Aber auf Grund der seit 1982 gültigen Kriegsführungsstrategien,
denen auch die Bundeswehr unterliegt, geht es eben nicht mehr um Verteidigung, sondern um Angriff. Alles ist dem Ziel, den Feind physisch und ökologisch zu vernichten, untergeordnet. Dieser Meinung schließt sich Gott sei Dank mittlerweile auch die SPD an.
— Das haben Sie vielleicht noch nicht bemerkt.
Deshalb wird in der Zeit des Nichtkrieges ein Umweltkrieg solchen Ausmaßes geführt, daß bereits jetzt die Natur teils irreversibel so kaputt ist, daß sie vom sogenannten Feind kaum noch großartig zerstört werden kann.Dann macht uns die Bundeswehr ihr Theater von Bundeswehr und Umweltschutz mit Glanzbroschüren vor, in denen sie, z. B.1988 in der Broschüre „Bundeswehr und Umwelt", zugibt, daß es zwischen Verteidigungsauftrag und Umweltschutz wirklich Schwierigkeiten gibt. Da sagt sie nämlich:Die Bundeswehr kann ihren Verteidigungsauftrag beim gegenwärtigen Stand der Technik nur dann erfüllen, wenn ein unumgängliches Maß an Umweltbelastung akzeptiert wird.Dann heißt es weiter:Ein Krieg hätte die denkbar schlimmsten Folgen für die Menschen und die Umwelt. Die Fähigkeit zur Aufgabenerfüllung im Krieg ist der bestimmende Maßstab zur Erfüllung der Aufgaben im Frieden.Militär wird grundsätzlich vor Ökologie gesetzt. Seit Jahren verankert das Militär seine Rechte in allen möglichen Gesetzen, insbesondere auch die US-Militärs, und die bundesdeutschen Behörden gucken zu und sind nicht einmal in der Lage, geltendem deutschen Recht zum Durchbruch zu verhelfen. Selbst das NATO-Truppenstatut regelt diese Frage ganz eindeutig: Es gilt deutsches Recht. — Und da versagen die deutschen Behörden. Bisher hat auch niemand klar gesagt, was eigentlich „unumgänglich" , „absolut notwendig" heißt und wie der Verteidigungsauftrag lautet.Ich möchte einige Beispiele anführen: Die Kommunen fangen an, sich kräftig zu wehren, nach Recht und Gesetz. Seulingswald, Bad Hersfeld: 150 000 Bäume sollen gefällt werden. Und Sie faseln dann immer: Ja, das Waldsterben, und wir müssen dagegen irgendwie etwas tun. — Da können Sie anfangen!Hohenfels und Grafenwöhr: Das Land dazwischen wird so kaputtgemacht, daß das Ganze irgendwann zusammengenommen werden kann und noch mehr Land kaputtgemacht wird. Ich verweise auch auf die Folgen für Luft und Wasser und durch Manöver. Truppenübungsplatz Hohenfels: Ich möchte nur die Bodenerosionen erwähnen. Schlamm- und Geröllmassen fließen durch die angrenzenden Ortschaften!Dann der US-Flugplatz in Röhl. Dort sollen 71 000 qm asphaltiert werden. Dafür soll der Wald geopfert werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12473
Frau SchillingEs ist unvorstellbar, was alles kaputtgemacht wird. Kein Konzern könnte sich das heute noch leisten, aber das Militär leistet es sich.Ich möchte Ihnen zum Schluß noch einige Zahlen nennen: Für Übungs- und Ausbildungsmunition werden 1989 800 Millionen DM ausgegeben. 1990 werden es 870 Millionen DM sein. 1989 werden etwa 600 Millionen DM für Umweltmaßnahmen aufgewandt. Damit wird nur das repariert, was man vorher kaputtgemacht hat. Diese 600 Millionen DM werden nicht für echte Umweltmaßnahmen ausgegeben! Noch nicht einmal die Entschädigungsleistungen sind dabei.
Man kann also rundum sagen: Bei Ihnen geht Militär total vor Natur. Es muß umgekehrt sein. Es gibt hier nur ein Entweder-Oder. Sie müssen sich entscheiden. Anscheinend haben Sie sich entschieden. Wir stehen dafür, diese Entscheidung zu revidieren. Wir werden das mit allen uns zur Verfügung stehenden rechtlichen, tatsächlichen und politischen Möglichkeiten machen. Gewaltfreier aktiver Widerstand ist angesagt. Es ist nämlich unsere Heimat, unser Wald, unser Wasser und unsere Luft, und die machen Sie uns nicht kaputt, Herr Stoltenberg und Konsorten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung, Dr. Stoltenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fraglos stellen sich in der dichtbevölkerten Bundesrepublik Deutschland, einem Land mit einer Bevölkerungsdichte von 247 Einwohnern pro Quadratkilometer, die umweltpolitischen Fragen noch schärfer als in vielen anderen Regionen.
Und natürlich muß man in der Tat auch gründlicher über die oft schwierigen Prioritätsentscheidungen diskutieren. Auf der einen Seite steht der Einsatz- und Ausbildungsauftrag der Streitkräfte, der zumindest bei Festansprachen und Feierstunden in Gegenwart der Bundeswehr von der überwiegenden Mehrheit dieses Hauses nachdrücklich unterstützt wird — Sie rechne ich nicht zur überwältigenden Mehrheit, Frau Kollegin — , und auf der anderen Seite wollen wir den Schutz der Umwelt nachhaltiger und wirksamer gestalten. Da gibt es auch konkurrierende Gesichtspunkte, und sie müssen immer wieder gegeneinander abgewogen werden.
Von Herrn Kollegen Breuer, von Herrn Kollegen Bredehorn und anderen ist schon erwähnt worden: Gerade in jüngster Zeit haben wir eine Reihe wichtiger Entscheidungen herbeiführen können, die dem Umweltschutz eine höhere Priorität als in der Vergangenheit beimessen. Ich nenne die Stichworte erneut: ein neues Manöverkonzept, die Vereinbarung, die ich in der vergangenen Woche mit dem britischen Kollegen erzielt habe über eine wesentlich umweltschonendere Anwendung des Soltau-Lüneburg-Abkommens. Auch zu den Themen der letzten Woche gehörte eine Neuregelung für den Tiefflug, die drastisch die Lärmbelastung reduziert.Das Manöverkonzept sieht vor, daß Großverbandsübungen im freien Gelände in der Regel nicht mehr mit Volltruppe durchgeführt und die Ausbildungs- und Übungstätigkeit der Einheiten und Verbände stärker auf die Standort- und Truppenübungsplätze konzentriert werden.
— Wer für die Abschaffung der Bundeswehr ist, den langweilt das alles, Herr Kollege.
Ich rede aber unter der Prämisse, daß wir weiterhin eine Bundeswehr brauchen. Das unterscheidet uns eben von Ihnen.
Wenn in Zukunft z. B. eine Brigade an Stelle einer Volltruppenübung nur eine Rahmenübung durchführt, werden nicht mehr rund 275 Ketten- und 630 Radfahrzeuge unterwegs sein, sondern nur noch etwa 30 Ketten- und etwa 250 Radfahrzeuge. Wir brauchen daneben Volltruppenübungen in wesentlich geringerem Umfang. Auch ihr Umfang wird sich verringern. Wir haben das in der Heersübung „Offenes Visier" vor wenigen Wochen erlebt. Wir haben auch festgestellt, daß die Initiative, die in diesem Falle nicht von den geschätzten Umweltschutzpolitikern kam, sondern vom Inspekteur des Heeres, den militärischen Erfordernissen Rechnung trägt und wesentlich umweltentlastender ist als traditionelle Übungen.
— Die Debatte hat ein bißchen eher begonnen als geplant. Deswegen kam ich einige Minuten später.
— Ich freue mich, wenn wir uns einig sind, Herr Kollege Kolbow.
Ich freue mich, wenn wir uns einig sind.
Es ist auch sehr wichtig, daß die deutsche Initiative dazu führt, daß sich die gemeinsamen Übungen der NATO künftig stärker an diesen Möglichkeiten orientieren. Es ist auch so, daß unsere Verbündeten zuneh-
Metadaten/Kopzeile:
12474 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Bundesminister Dr. Stoltenbergmend solche Konzepte übernehmen und entwikkeln.
Meine Damen und Herren, wir haben zu erheblichen Entlastungen beigetragen, indem wir mit einem beträchtlichen finanziellen Aufwand Übungen außerhalb der dicht besiedelten Bundesrepublik Deutschland durchführen. Wir schulen unsere Piloten in den USA, in Kanada, in Großbritannien. Die Panzertruppe und die Panzergrenadiere üben mit ihren Waffensystemen in Kanada,
in Großbritannien in solchen Regionen, die nicht vergleichbar dicht besiedelt sind wie unser Land. Das bedeutet nicht nur etwas für den Steuerzahler, es bedeutet auch erhebliche Mehrbelastungen für unsere Soldaten. Auch dem sind gewisse Grenzen gesetzt.Schließlich nutzen wir neue Technologien. Bei uns ist die Anwendung von Simulatoren, um die Belastung der Umwelt auf Grund der Ausbildungstätigkeit zu verringern, rasch vorangekommen. Wir sehen hier ein weiteres Potential, die Nutzung noch zu verstärken, ob es die erfolgreiche Nutzung von Panzerfahrschulsimulatoren und Schießsimulatoren sind: Es gibt andere Beispiele für unsere Anstrengungen auf diesem Gebiet. Wir bringen hohe Investitionen für eine auf Simulatoren gestützte Ausbildung auf. Wir sind, wie wir letzte Woche erneut betont haben, das erste Land, das den Weg geht, mit Zustimmung des Deutschen Bundestages einen Tiefflugsimulator zu entwickeln und zu erproben.Aber auf der anderen Seite muß man auch den Anspruch auf qualifizierte Ausbildung für die Soldaten und die Bundeswehr ernst nehmen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schilling?
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Stoltenberg, wo Sie jetzt die Simulatoren erwähnt haben, würde mich interessieren, wie Sie zu folgendem stehen. Die Amerikaner lehnen diese Simulatoren mit der Begründung ab, die Unfallhäufigkeit steigt; denn man kann den ganzen Streß und all das, was dazugehört, nicht simulieren. Man kann bestimmte Übungen machen. Aber die Einsatzhäufigkeit nach der Übung auf Simulatoren steigt. Das bedeutet vermehrte Tiefflugtätigkeit plus Steigerung der Unfallhäufigkeit. Die Amerikaner lehnen Simulatoren mit dieser Begründung ab. Wie stehen Sie dazu? Müssen Sie die gleichen Fehler wie die Amerikaner wiederholen, oder könnten wir das vielleicht vermeiden?
Nein. Wir haben, wie Sie wissen, mit Zustimmung des Deutschen Bundestages den ersten Auftrag zur Entwicklung eines Simulators im Bereich Flug und Tiefflug vergeben. Wir tun das in eigener Verantwortung. So verstehen wir auch das Bündnis. Das schließt nicht aus, daß Fachleute in Amerika, vielleicht auch in der militärischen Führung im Pentagon, eine andere Auffassung haben. Aber im Gegensatz zu Ihrer oft geäußerten Meinung haben wir ein größeres Maß an Entscheidungsfähigkeit, als Sie jetzt offenbar unterstellen.
Zum zweiten will ich Ihnen sagen, daß die Amerikaner in anderen Bereichen der Simulatoren mit Umweltentlastung kräftig vorangehen. Der Trend zu Simulatoren ist also schon heute international.Ich sprach soeben von der Notwendigkeit anspruchsvoller Ausbildung. Man muß es sich wirklich einmal anschaulich machen: Jedes Jahr werden 30 000 Offiziere und Unteroffiziere, 200 000 Grundwehrdienstleistende und über 200 000 Reservisten ausgebildet oder fortgebildet. Wir haben dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Das kann man nicht alles im Lehrsaal oder auf dem Kasernenhof tun. Bestimmte Übungen im Gelände, vor allem natürlich auf den genannten Truppenübungsplätzen, sind unvermeidbar.Wir müssen also die 1,6 % des Gebietes unseres Landes bereithalten, um den Ausbildungsauftrag der eigenen und der verbündeten Streitkräfte erfüllen zu können. Wir wollen das auch dort umweltschonend tun. Aber man soll auch nicht den Eindruck erwecken, daß Übungen im wesentlichen auf gut 1 % der Fläche der Bundesrepublik Deutschland die wirklich größte Umweltbedrohung sind, mit der wir es zu tun haben. Das ist eine groteske Verzerrung der wirklichen Umweltprobleme, die wir meistern müssen.
Wir müssen natürlich einen entsprechenden Aufwand zur Pflege der Standort- und Truppenübungsplätze treiben. Das Thema der Biotope ist hier behandelt.Ich will auch ein wenig zu dem etwas aggressiven Wort „Landverbrauch und Landschaftszerstörung" sagen.
Es gibt eine sehr interessante kurze Datenreihe in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage. Die Landbeschaffung für die Bundeswehr betrug 1957 noch 10 971 ha. Natürlich, das war eine Aufbauphase. Sie ging in den zehn Jahren bis 1967 auf weniger als ein Drittel zurück. 1967 waren es 3 414 ha. Zehn Jahre später, 1977, waren es noch 1 280 ha. Das war ein weiterer Rückgang — um fast ein Drittel — gegenüber dem vorgenannten Wert.
1987 waren es noch ganze 595 ha.
— Ich sage es ja. Aber in einer dramatischen Degression! Darauf weise ich hier einmal hin. Sie können in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12475
Bundesminister Dr. Stoltenbergder Antwort auf die Große Anfrage auch nachlesen, daß wir nicht mehr genutzte Flächen zunehmend freigeben können. Der Eindruck, daß die Bundeswehr unersättlich einen immer größeren Teil der Bundesrepublik Deutschland für ihre Zwecke in Anspruch nimmt, ist also einfach falsch.
Ich begrüße diese Entwicklung.Wir haben im Verteidigungshaushaltsentwurf 1990 rund 1 Milliarde DM für Zwecke des Umweltschutzes eingesetzt.
Die Umrüstung älterer Heizanlagen wird durchgeführt.Herr Kollege Brauer, man muß korrekt zitieren. Die ja von uns, dieser Regierung und Koalition, durchgesetzten strengeren Umweltschutzstandards wie etwa die TA Luft geben den privaten und öffentlichen Betreibern der vorher gebauten Anlagen natürlich Übergangsfristen. Das ist eine bare Selbstverständlichkeit. Wenn wir die Übergangsfristen bis 1994 oder 1995 nutzen — deswegen geben wir diese gewaltigen Beträge für die Modernisierung von Heizungsanlagen aus —, kann man uns doch nicht einen Verstoß gegen die Gesetze vorwerfen. Das ist völlig absurd.
Wir nutzen diese Fristen. Wir verwenden jährlich rund 200 Millionen DM allein für den Bereich Umweltinvestitionen, damit sie zum vorgesehenen Zeitpunkt auch den strengsten Standards entsprechen. Das ist in diesem Haus anzuerkennen und nicht zu verurteilen, wenn man noch vernünftig miteinander redet.
Ich habe mit einer gewissen Belustigung gehört, was einige Kollegen, auch von der SPD, zum Thema „Meldorfer Bucht" sagten. Das ist ein Zeichen, daß Sie die gar nicht kennen. Ein kurzer Besuch in Begleitung von Medienvertretern ersetzt nicht die Vertrautheit mit dieser Landschaft, in der der Kollege Carstensen und ich zu Hause sind.
Ich will nur eines sagen: Vor 25 Jahren war eine Vordeichung mit nachhaltigen ökologischen Ausgleichsflächen
nur durch einen Vertrag zwischen Land und Bund möglich. Natürlich ist damals die unbefristete Nutzung in einer umweltverträglichen Weise der Grund gewesen, daß der Bund dies ermöglicht hat. Das ist ein geltender, nicht kündbarer Vertrag. Die kommunale Selbstverwaltung hat das ausdrücklich begrüßt — ich war schon damals politisch in dieser Gegend zu Hause — , und zwar überparteilich. Das ist heute einegroße Qualitätsverbesserung der Situation für dieses schöne Land Dithmarschen.
Immer wenn ich diese gewaltigen Parolen dagegen höre, fahre ich einmal dorthin, weil es fast bei mir zu Hause ist. Ich habe schlicht — zuletzt in diesem Sommer — festgestellt, daß die dort lebenden Menschen, die ja die militärischen Übungen erleben und begrenzte Belästigungen zu ertragen haben, der Meinung sind, daß das vertretbar ist. Irgendwelche Sommertouristen der SPD oder der Grün-Alternativen,
die ein paar Medienvertreter mobilisieren, sind überhaupt nicht in der Lage, die dort lebende Bevölkerung und ihre ökologischen Interessen zu vertreten. Das will ich hier einmal in aller Kürze sagen.
Nein, wir müssen uns den Fragen ernsthafter zuwenden, als das zum Teil geschieht.
— Ich bleibe sachlich. Aber ich nehme zu einer Sache, die ich nun etwas besser kenne als einige hier, einmal etwas engagiert Stellung.Es gibt große Herausforderungen für uns. Die Debatte hat einige Denkanstöße gebracht, wenn wir es auf den Kern zurückführen. Wir werden alles tun, damit die Bundeswehr auch weiterhin Verantwortung für den Umweltschutz wahrnimmt.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Erklärung vom 11. Dezember 1986 zu dem Übereinkommen vom 3. Dezember 1976 zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride— Drucksache 11/2273 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksache 11/5169 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Lippold KiehmFrau Garbe
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Metadaten/Kopzeile:
12476 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Vizepräsidentin RengerVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 86/278/EWG über den Schutz der Umwelt und insbesondere der Böden bei der Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft — in bezug auf Chrom— Drucksachen 11/3831 Nr. 31, 11/5192 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Friedrich Dr. Wernitzc) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über die Wirkungen des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes vom 19. Dezember 1986— Drucksache 11/4315 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Jugend, Familie, Frauen und GesundheitIm Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieses Tagesordnungspunkts 30 Minuten vorgesehen. — Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Schutz der Gewässer ist eine zentrale Aufgabe der Umweltpolitik der Bundesregierung, und zwar national und international. Eine bedeutende Nährstofffracht kam in der Vergangenheit durch die Phosphate aus Wasch- und Reinigungsmitteln in die Gewässer. Der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht an den Deutschen Bundestag über die Wirkungen des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes vom Dezember 1986 zeigt, daß die Belastung der Gewässer durch Phosphate aus Wasch- und Reinigungsmitteln außerordentlich stark zurückgedrängt werden konnte. Während die Phosphorbelastung der Gewässer durch Wasch- und Reinigungsmittel im Jahre 1975 noch bei 42 000 Tonnen lag, betrug sie Ende 1988 nur noch rund 6 000 Tonnen. In diesem Jahr wird sie unter 5 000 Tonnen sinken. Dieser starke Rückgang des Phosphateintrags ist auch dem verstärkten Einsatz phosphatfreier Waschmittel zuzuschreiben. Immerhin sind heute mehr als 80 % aller Waschmittel phosphatfrei.Dazu haben Selbstverpflichtungen der Industrie entscheidend beigetragen. Der Mengenverbrauch ist seit 1983 nicht mehr gestiegen.Ein weiteres wesentliches Ziel des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes ist die Verbesserung der Information der Verbraucher über die Inhaltsstoffe und die Dosierungen von Wasch- und Reinigungsmitteln.Die Europäische Kommission hat vor wenigen Tagen eine entsprechende Empfehlung beschlossen, auf die wir gedrängt haben, nämlich in Kürze durch freiwillige Selbstverpflichtungen der jeweiligen Industrieverbände auf nationaler Ebene solche Informationen umzusetzen. Wir begrüßen das sehr, weil uns diese freiwilligen Selbstverpflichtungen rascher voranbringen. Wir alle wissen, wie sehr durch Aufklärung und Information auch bei uns noch mehr getan werden könnte, um den zweckmäßigen Einsatz von Waschmitteln voranzubringen.Der Abschluß des Übereinkommens über die Chloridbelastung des Rheins ist ein weiteres Beispiel für eine grenzüberschreitende, von Solidarität getragene Gewässerschutzpolitik.Im Hinblick auf die Verwendung des Rheinwassers zur Bewässerung der niederländischen Gemüsekulturen und die dortige Trinkwassergewinnung einigten sich die Rheinanliegerstaaten 1976 auf die Reduzierung der Salzeinleitungen in den Rhein. Dabei übernahm Frankreich die Verpflichtung, in zwei Schritten die Salzeinleitungen in der Größenordnung von 60 Kilogramm pro Sekunde — das entspricht 2 Millionen Tonnen per annum — aus den elsässischen Kaliminen zu reduzieren, bei anteiliger Kostentragung für diese Maßnahmen durch sämtliche Rheinanliegerstaaten.Nach Überwindung von Anlaufschwierigkeiten wird der erste Teilschritt entsprechend 20 Kilogramm pro Sekunde in Frankreich ab Anfang 1987 tatsächlich verwirklicht. Mit dem vorliegenden Vertragsgesetz will die Bundesregierung der dafür notwendigen Vertragsanpassung zustimmen.Ich hoffe, daß auch über den zweiten Schritt zur weiteren Verringerung der Salzeinleitungen über 40 Kilogramm je Sekunde im Elsaß Einigung erzielt werden kann. Nachdem die Niederlande zunächst ihre finanzielle Beteiligung an den damit verbundenen Kosten auf der Rheinminister-Konferenz am 11. Oktober 1988 in Bonn abgelehnt hatten, werden wir nun über einen neuen niederländischen Vorschlag auf der nächsten Rheinminister-Konferenz am 30. November dieses Jahres verhandeln.Ich bitte den Bundestag, dem Vertragsgesetz betreffend den ersten Schritt zur Realisierung der Salzrückhaltung über 20 Kilogramm pro Sekunde im Elsaß zuzustimmen. Dieser Teilschritt ist sinnvoll und sollte in jedem Falle weiter vollzogen werden, auch wenn über den weiteren Schritt noch Verhandlungen im Gange sind.Bei der Verabschiedung der EG-Klärschlammrichtlinie am 12. Juni 1986 wurden für das Schwermetall Chrom weder Boden- noch Klärschlammgrenzwerte festgelegt, da wissenschaftlich fundierte Daten für den europäischen Bereich noch nicht vorlagen.Die nunmehr von der EG-Kommission vorgelegten Vorschläge für Boden-, Klärschlamm- und Frachtwerte liegen deutlich niedriger als die zunächst in der EG diskutierten Werte. Die EG schlägt als maximal zulässigen Frachtwert 4,5 kg Chrom pro Jahr vor. Wir halten diesen Wert für zu hoch und folgen damit auch der Empfehlung des Umweltausschusses vom 19. April 1989, der eine Reduzierung des Frachtwertes auf 2 Kilogramm je Hektar und Jahr vorsieht.Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die organischen Schadstoffe im Klärschlamm hinweisen, die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12477
Parl. Staatssekretär Grünerja sicher kein spezifisches Problem der Bundesrepublik Deutschland sind. Wir haben deshalb der EG-Kommission die von uns initiierten Untersuchungen hinsichtlich der organischen Schadstoffe zugeleitet mit dem Ziel, auch für diese Schadstoffe EG-weite Rahmenregelungen zu erreichen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wernitz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Blickpunkt der drei Vorlagen, die jetzt beraten bzw. entschieden werden, steht das Ringen um eine bessere Qualität unserer Gewässer. Dabei möchte ich den Bericht der Bundesregierung über die Wirkungen des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes in den Mittelpunkt meiner Ausführungen stellen.Dabei will ich wiederum zunächst einmal auf die Zielrichtung, die ja in § 1 dieses Gesetzes enthalten ist, abheben. Ich zitiere:Wasch- und Reinigungsmittel dürfen nur so in den Verkehr gebracht werden, daß nach ihrem Gebrauch jede vermeidbare Beeinträchtigung der Beschaffenheit der Gewässer, insbesondere im Hinblick auf den Naturhaushalt und die Trinkwasserversorgung, und eine Beeinträchtigung des Betriebs von Abwasseranlagen unterbleibt.Darauf wird noch gelegentlich zurückzukommen sein.Der Bericht, der ursprünglich bis Ende 1988 vorgelegt werden sollte, wurde am 7. April 1989 im Kabinett beschlossen und wird heute hier im Plenum diskutiert und dann an die Ausschüsse überwiesen.Auch wenn Umweltminister Töpfer in einer Broschüre erklärt hat — ich zitiere — :Der Bericht zeigt auf, daß Wirkungen des Gesetzes schon deutlich erkennbar sindso ist er vor allem ein Dokument — das glauben wir Sozialdemokraten — der Untätigkeit, der Defizite und in diesem Bereich auch der Erfolglosigkeit der Bundesregierung vermeidbare Beeinträchtigungen der Gewässer, des Naturhaushalts, der Trinkwasserversorgung und der Abwasserreinigungsanlagen zu verhindern bzw. nachhaltig zu vermindern.
Ich bin da also durchaus bereit zu differenzieren.So, meine Damen und Herren, stellt sich die Lage dar, und das ist das Entscheidende:Punkt 1. Phosphate in Wasch- und Reinigungsmitteln sind, wie wir seit langem wissen, vermeidbar. Aber immer noch werden die Gewässer durch ca. 6 000 t Phosphate aus Wasch- und Reinigungsmitteln belastet. Es gibt kein stufenweises Verbot für Wasch- und Reinigungsmittel mit Phosphaten. Die Phosphathöchstmengen-Verordnung gilt nur für Waschmittel. Reinigungsmittel im Haushalt, im Gewerbe und in der Industrie sind bislang nicht erfaßt.Punkt 2. Die Anforderungen an die biologische Abbaubarkeit von Tensiden und anderen Inhaltsstoffen sind in den Rechtsverordnungen so unzureichend geregelt, daß diese Stoffe in den Klärschlamm, die Sedimente und in den Boden gelangen. Ein Verstoß gegen den von mir genannten § 1 des Gesetzes und die darin enthaltene Zielrichtung wird hingenommen, obwohl wir alle z. B. auf Wäscheweichspülmittel gut verzichten könnten.Punkt 3. Die Information der Verbraucher über Inhaltsstoffe und Dosierung von Wasch- und Reinigungsmitteln ist immer noch nicht geregelt. Von Herstellern wird diese Information bis heute verweigert. Es gibt bislang weder eine entsprechende nationale Verordnung noch eine EG-Regelung.Punkt 4. Das Umweltbundesamt kann die Hersteller von Wasch- und Reinigungsmitteln bis heute nicht zwingen, Angaben zur Umweltverträglichkeit der Produkte schriftlich mitzuteilen. Es ist auf die freiwillige Erfüllung von Verfahrensregelungen zur Mitteilung der Angaben der Umweltverträglichkeit nach § 9 durch die Mitgliedsfirmen von vier Industrieverbänden angewiesen, obwohl eine Ermächtigung für eine entsprechende Rechtsverordnung im Gesetz enthalten wäre. Meine Damen und Herren, gefragt sind also auch hier nicht Worte, Ankündigungen und Absichtserklärungen, sondern endlich Taten.
Punkt 5. Bisher ist keine Rechtsverordnung erlassen worden, die das Inverkehrbringen bestimmter Inhaltsstoffe in Wasch- und Reinigungsmitteln vorsorglich beschränkt oder verboten hätte. Da die Bundesregierung bisher über die Umweltverträglichkeit vieler Stoffe wenig oder nichts weiß — und wir mit ihr in dem Punkt nichts wissen — und erwartet, daß im Falle kritisch zu bewertender Inhaltsstoffe von Industrieseite Selbstbeschränkungsmaßnahmen ergriffen werden, sind die für den Schutz der Umwelt notwendigen Regelungen, Beschränkungen und Verbote von der Bundesregierung in nächster Zukunft wohl nicht zu erwarten. Bei der zunehmenden Belastung der Klärschlämme mit gefährlichen Chemikalien auch aus Wasch- und Reinigungsmitteln ist diese Haltung ohne Zweifel unverantwortlich.Punkt 6. Als künftige Aufgabenschwerpunkte sieht die Bundesregierung nach dem Bericht — ich nenne die einzelnen Aspekte — , daß die Verbraucher die Wasch- und Reinigungsmittel gewässerschonend verwenden, die Werbung mit Umweltschutzargumenten nicht so unbefriedigend defizitär bleibt wie bisher, die freiwilligen Verpflichtungen der Industrieverbände von Erfolgskontrollen begleitet werden, die Verfahrensregelungen einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Datenlage über die Umweltverträglichkeit liefern. Die Wasch- und Reinigungsmittelindustrie würde damit also auch in Zukunft daß Maß der Umweltverträglichkeit ihrer Produkte im wesentlichen selbst bestimmen. Eine Durchsetzung des Grundsatzes in § 1 des Gesetzes scheitert bislang vor allem am völlig unzureichenden Vollzug des Gesetzes. Klare Rahmenregelungen im Gesetz und in Verordnungen sind aber dringend notwendig, um das Gesetz für den Gewässerschutz wirksam werden zu lassen.
Metadaten/Kopzeile:
12478 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Dr. WernitzMeine Damen und Herren, es besteht also ein dringender Beratungs- und Handlungsbedarf. Die SPD-Fraktion stimmt der Überweisung des Berichts an die vorgeschlagenen Ausschüsse zu. Wir werden die kommenden Beratungen zum Anlaß nehmen, unsere Forderungen aus dem Jahre 1986 zur Verschärfung des Waschmittelgesetzes erneut einzubringen, und hoffen auf einen sachlich-konstruktiven Dialog mit dem Ziel und dem Ergebnis, das Gesetz in dem von mir skizzierten Sinne zu verbessern.Nun zu den beiden anderen Vorlagen, die wir heute in zweiter Beratung und Schlußabstimmung zu behandeln haben. Hierzu hat Herr Grüner ja schon bereits einiges gesagt.Es geht zunächst um den Gesetzentwurf zu der Erklärung vom 11. Dezember 1986 zu dem Übereinkommen vom 3. Dezember 1986 zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride. Ich will dazu im einzelnen nichts mehr ausführen. Ich will mir das aus Zeitgründen sparen. Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zwar zu; dazu liegt ja auch die Beschlußvorlage aus dem Umweltausschuß vor. Ich verweise hier auf die von uns und im Ausschuß allgemein akzeptierte Entschließung mit der Zielrichtung — worauf Herr Grüner ja auch Bezug genommen hat — , weitere Verhandlungen zu führen. Wir hoffen, daß diese Verhandlungen dann auch zu dem gewünschten Erfolg führen. Mit dieser Maßgabe stimmen wir dem Gesetzentwurf zu.Schließlich darf ich mich noch der Beschlußempfehlung und dem Bericht zur Änderung der EG-Klärschlamm-Richtlinie in bezug auf Chrom zuwenden. Wir haben uns im Umweltausschuß darauf verständigt, daß die vorgesehenen Frachtwerte überhöht sind. Auch das ist hier schon erwähnt worden. Ich darf das deshalb abkürzen. Wir stimmen der Beschlußempfehlung zu.Meine Damen und Herren, generell ist bei dieser Gelegenheit heute hier festzuhalten, daß im Hinblick auf die Klärschlammproblematik bei den Verhandlungen in Brüssel auch die Grenz- und Frachtwerte für andere Schadstoffe herabgesetzt werden müssen. Bei den Beratungen der Vorlage im Umweltausschuß hat die SPD-Fraktion herausgestellt, daß nach dem Vorsorgeprinzip die Klärschlammausbringung auf Grünland und Futteranbauflächen unterbleiben müßte. Was wir aber darüber hinaus dringend brauchen, ist ein Gesamtplan zur Vermeidung und Beseitigung bzw. Entsorgung von Klärschlämmen. Mit erheblichem Befremden mußten wir im Umweltausschuß kürzlich zur Kenntnis nehmen, daß Bundesminister Töpfer offensichtlich von seiner früheren Forderung abgerückt ist, Klärschlamm nicht mehr auf Grünland und Feldfutteranbauflächen aufbringen zu lassen. Über die heute hier behandelten Vorlagen hinaus bleibt grundsätzlich festzuhalten, daß beim Thema Klärschlamm dringend Handlungsbedarf besteht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte, Kollege Göhner.
Herr Kollege Wernitz, da Sie gerade betont haben, daß die SPD im Ausschuß die Position unterstützt habe, Klärschlamm nicht auf Grünland und Futteranbauflächen aufzubringen, darf ich Sie dann fragen, ob die SPD-Fraktion damit ihren Standpunkt, den sie früher ja auch im Plenum vorgebracht hat, Klärschlammaufbringung auf landwirtschaftliche Böden gänzlich zu unterbinden, aufgegeben hat?
Nein, lieber Kollege Göhner, ich glaube, da haben Sie mir nicht richtig zugehört. Ich habe nämlich auf diese aktuelle Maßnahme, die dringend notwendig ist, die ja 1988 auch der Umweltminister angesprochen hat und die wir als richtigen, aber nicht ausreichenden Schritt begrüßt haben, hingewiesen. Dies ist unstrittig. Ich habe aber eben auch darauf hingewiesen, daß darüber hinaus ein Gesamtplan notwendig ist. Wir haben klipp und klar im Ausschuß und auch in der Öffentlichkeit die Position vertreten, wegen der notwendigen Planungssicherheit für die Kommunen und für die Landwirte ein Gesamtkonzept, ein Stufenkonzept zu entwickeln, mit dem wir in einem Zeitrahmen von etwa fünf bis zehn Jahren — wobei das eher bei zehn Jahren liegt — dazu kommen müssen, daß der Klärschlamm als Abfall einzustufen und zu entsorgen ist. Ich habe wiederholt im Ausschuß darauf hingewiesen, daß wir politisch — das ist eine Frage, die wir offen diskutieren müssen — an den Gutachten des Umweltbundesamtes und auch des Bundesgesundheitsamtes nicht vorbeikommen werden. Das ist unsere Auffassung. Deshalb sollte man hier besser heute als morgen an ein solches Gesamtkonzept herangehen.
Ich habe mit großem Interesse registriert, daß die bayerische Staatsregierung am Dienstag letzter Woche in dieser Richtung durchaus bemerkenswerte Vorschläge entwickelt hat. Deshalb bleibt dies in der Diskussion, lieber Herr Göhner.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Wernitz, ich würde gerne noch präzise nachfragen, nachdem Sie dies als Ihre persönliche Meinung für ein solches Stufenkonzept gekennzeichnet haben. Bedeutet das, daß dié Forderung der SPD-Bundestagsfraktion — die seinerzeit von Ihrem Kollegen Schäfer hier vorgetragen wurde — nach einem sofortigen vollständigen Verbot der Aufbringung von Klärschlamm auf landwirtschaftliche Flächen, von Ihnen nicht mehr auf rechterhalten wird?
Entschuldigung, es gibt immer wieder Akzentuierungen und Darstellungen querbeet in diesem Hause. Das ist ganz klar. Es wäre schrecklich, wenn das in einem Parlament nicht möglich sein könnte.Ein Gesamtkonzept ist von uns allen in der SPD-Fraktion gefordert worden. Das geht nicht von heute auf morgen, auch wenn dies wünschenswert wäre. So habe ich den Kollegen Schäfer bisher auch immer verstanden. Daß das nicht sofort machbar ist, da wir eine Infrastruktur zur Entsorgung brauchen — da sind ja
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12479
Dr. Wernitzviele Aspekte bei der technischen Umsetzung geboten — , das ist ganz klar. Aber wir dürfen die Verantwortlichen an der Basis, ob Landwirte oder Kommunen, nicht dergestalt im Stich lassen, daß wir hier reden und die nicht wissen, wohin die Reise geht.
Hier muß die Zeit genutzt werden. Das ist unsere Aufgabe. Das sage ich ohne jede Polemik. Deshalb muß das möglichst bald, umfassend und optimal kommen.Damit, meine Damen und Herren, bin ich auch am Ende meines Beitrags. Wir werden die Beratung im Umweltausschuß fortsetzen.Auch der vorgeschlagenen Überweisung des Tagesordnungspunktes 12 c an die anvisierten Ausschüsse stimmt die SPD-Fraktion zu.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dörflinger.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stimmen wahrscheinlich darin überein, daß falsche Selbstzufriedenheit für verantwortungsbewußte Umweltpolitiker genauso wenig am Platz ist wie das Ignorieren von Tatsachen. In der ansonsten sehr sachlichen Rede des Kollegen Wernitz hat mich nur gestört, daß er sich offensichtlich das falsche Thema ausgesucht hat, um die angebliche Inkompetenz der Regierung zu kritisieren. Die 6 000 t hören sich für sich allein betrachtet halt hoch an. Nur, wenn man sie in eine Relation zu der Summe von 42 000 t im Jahr 1975 bringt, sieht die Phosphatbelastung durch Waschmittel im Jahre 1989 natürlich ganz anders aus.Ich sagte, es bestehe kein Anlaß zu Selbstlob. Trotzdem greife ich dem Ergebnis unserer vertiefenden Beratungen in den Ausschüssen nicht vor und bestreite auch nicht die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen, wenn ich sage: Der Bericht der Bundesregierung über die Wirkungen des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes macht deutlich, daß wir mit diesem Gesetz in Sachen Gewässerschutz in einem wichtigen Teil Fortschritte gemacht haben.Die Zahlen wurden bereits genannt. Ich will sie dadurch ergänzen, daß ich darauf hinweise, daß der Anteil der Waschmittelphosphate an der Gesamtbelastung der Gewässer von ursprünglich 40 % auf 10 %, zurückgegangen ist. Der Bericht bestätigt auch, daß die Bundesregierung auf diesem Sektor der Umweltpolitik mit ihrem ordnungspolitischen Instrumentarium auf dem richtigen Weg ist: zunächst einmal gesetzliche Vorgaben zu machen, dann aber auch die Chance einzuräumen, in zumutbaren Fristen auf umweltfreundliche Praktiken und Produkte umzustellen und schließlich Vertrauen in die marktwirtschaftliche Dynamik zum Ausdruck zu bringen, die über Informationen, über mehr Transparenz und auch über das Schärfen des Bewußtseins der Bevölkerung zu umweltfreundlichem Kaufverhalten führt.Zwar hat die einschlägige Industrie noch wichtige Herausforderungen vor sich, auch hier; darüber gibt es gar keinen Zweifel. Ich nenne nur die Geschirrspülmittel oder Feinwaschmittel. Aber sie hat — das darf man in dieser Stunde auch einmal anerkennen — die Bemühungen der Regierung auch honoriert. Ich meine, sie hat ein Stück weit auch Respekt vor der Ernsthaftigkeit des Wollens der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition zum Ausdruck gebracht, in den Fällen, in denen der Versuch, in einer angemessenen Frist auf umweltfreundliche Praktiken und Produkte umzustellen, fehlschlägt, weitere gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen.Der dritte wichtige Punkt: Von unseren Bemühungen sind auch wichtige Impulse auf die EG insgesamt und einige Länder ausgegangen. Ich erinnere an die Lösung für das Kennzeichen der Inhaltsstoffe und die Dosieranweisungen. Ich erinnere aber auch an die verstärkte Diskussion zum Thema Waschmittel in England und Frankreich, nachdem diese Diskussion beispielsweise in den Niederlanden schon seit einigen Jahren mit großer Intensität geführt wird. Für einen Abgeordneten, der aus der Dreiländerecke kommt, haben diese internationalen Aspekte des Gewässerschutzes ganz besonderes Gewicht.Ich unterstütze stetes Drängen ebenso wie die Bereitschaft zu Kompromissen dort, wo sie notwendig sind. Wir sollten Kompromisse nicht immer verteufeln; denn nur die Kompromißbereitschaft sichert der Bundesrepublik die Möglichkeit zu einer offensiven Mitgestaltung europäischer Umweltpolitik. Jeder international durchgesetzte Fortschritt ist wichtiger als eine deutsche Solovorstellung, an der wir uns ergötzen mögen, die uns international aber nicht weiterbringt.Die Grenze des Kompromisses — gestatten Sie mir diesen Ausflug in ein anderes Metier — ist allerdings dann erreicht, wenn die EG-Kommission, wie in diesen Tagen geschehen, von uns etwa die Rücknahme der mutigen, zukunftsweisenden Entscheidung über die Bepfandung und die Rücknahmepflicht bei Kunststoffflaschen verlangt. Aber Kompromißbereitschaft bleibt notwendig.Vor diesem Hintergrund sagen wir mit Einschränkungen, Vorgaben und klaren Zielprojektionen ja zur Anpassung des Übereinkommens zum Schutz des Rheins gegen die Verunreinigung durch Chloride. Wir sagen allerdings auch ein entschiedenes Ja, wenn es um die Rückenstärkung der Bundesregierung bei ihrem Bemühen geht, in den weiteren Verhandlungen über die EG-Richtlinie zur Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft in bezug auf Chrom einen wesentlich niedrigeren Frachtwert zu erreichen.Die ursprünglich vorgeschlagene Fracht von 10 kg pro Jahr und Hektar war eine Zumutung. Aber auch der letzte Vorschlag der EG-Kommission, nämlich ein Frachtwert von 4,5 kg, ist zu hoch. Deswegen war es richtig, daß der Umweltausschuß hier klar gesagt hat, was unsere Vorstellung ist und was wir uns auch als europäische Zielprojektion vorstellen.Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Was die Situation der Kaliminen im Elsaß angeht, empfinden wir am Hochrhein und am Oberrhein das, was dort
Metadaten/Kopzeile:
12480 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Dörflingergeschieht, seit Jahren als eine große Belastung. Ich kann die Bundesregierung nur dazu auffordern, in den internationalen Verhandlungen dieses Problem nicht nur als Problem der Gemüsebauern in den Niederlanden zu begreifen, sondern auch als ein Problem der Bundesrepublik Deutschland.Lassen Sie mich zusammenfassen: Ich meine, es zeigt sich hier, je besser die Bundesrepublik ihre umweltpolitischen Hausaufgaben erledigt, um so größer ist ihre Chance, sich in der EG durchzusetzen. Nur ein Ignorant könnte übersehen, daß wir mit dem, was die Bundesregierung in diesem Bericht vorträgt und was wir vertiefend im Umweltausschuß beraten, ein Signal dafür bekommen, um auf einem wichtigen Sektor, nämlich der Umweltpolitik, Fortschritte machen zu können.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Garbe.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Was uns unter diesem Tagesordnungspunkt beschäftigt — Chrom, Chloride und Waschmittel — , läßt sich nur schwer unter einen Hut bringen, dafür aber um so leichter in unsere Oberflächengewässer.
Erstens zum Chrom: Chrom hat im Klärschlamm nichts zu suchen, verehrte Kollegen und Kolleginnen. Die EG-Richtlinie — es wurde schon angeführt —nennt einen viel zu hohen Grenzwert. Deshalb haben wir unsere Zustimmung davon abhängig gemacht — wie alle anderen auch — , daß die Bundesregierung alles daransetzen soll, um bei der EG-Kommission den Grenzwert für Klärschlämme mindestens auf die Hälfte herunterzudrücken.
Was zweitens die Chloride betrifft, so können die Ablagerungen auf Kalihalden, die unterirdische Verpressung oder das Ableiten in die so titulierten Vorfluter unter Umweltgesichtspunkten überhaupt nicht befriedigen. Denn die Versalzung unserer Oberflächengewässer, ob Weser, ob Rhein, hat schon zu grundlegenden Veränderungen geführt.
Ich kann nichts Gutes und nichts Schönes daran finden, daß nun dadurch die Salzwassergarnelen einen größeren Lebensraum bekommen haben. Das Grundwasser versalzt, und die Trinkwassergewinnung leidet. Ebenso sind enorme Korrosionsschäden zu beklagen.
Die Methode der Wahl wäre eine Reduzierung des Kalibergbaus und des Düngereinsatzes durch die Ausweitung der biologischen Landbewirtschaftung. Wir werden uns deshalb der Stimme enthalten, da diese Alternative nicht zur Debatte steht.
Eine Bemerkung erlauben Sie mir noch — Herr Kollege Dörflinger, Sie haben eben darauf abgezielt — : Wir sollten bei all den Diskussionen um die elsässischen und thüringischen Salzfrachten nie vergessen, daß unsere chemische Industrie selber enorme Mengen von Alkalichloriden in die Oberflächengewässer entläßt.
Lassen Sie mich jetzt aber, meine Herren und Damen, auf den Waschmittelbericht eingehen. Hier ist Betroffenheit stärker gegeben. Wir alle waschen uns mehr oder weniger gründlich, und schmutzige Wäsche gibt es in jeder Fraktion zu waschen. Insofern listet der Bericht der Bundesregierung komprimiert auf, wie wir alle zur Gewässer- und Klärschlammbelastung beitragen.
Die Reklamewelle von Procter und Gamble ist in dieser Hinsicht eher irreführend. Nach diesen könnten die Verbraucher und Verbraucherinnen mit den modernen Flüssigwaschmitteln sogar die Umwelt hygienisch machen. Liest man aber die Zahlen über die Umweltbelastungen im Waschmittelbericht der Bundesregierung, dann muß man sich von der Waschmittelreklame eingeseift fühlen.
Meine Herren und Damen, allein die Wasch- und Reinigungsmittel tragen zu einem Viertel zur Gewässer- und Klärschlammbelastung bei. Es gibt eine Menge Probleme. Ich möchte nur auf die hohe Fischgiftigkeit der Tenside, die ungeklärte chronische Toxizität dieser Substanzen, die umweltproblematischen Komplexbildner wie EDTA, die fähig sind, die Schwermetalle in biologische Kreisläufe hineinzutransportieren, die ungeklärte Wirkung der Carboxylate in Gewässern und vor allem im landwirtschaftlich genutzten Klärschlamm verweisen.
Was immer noch fehlt, ist eine Risikoanalyse der Waschsubstanzen. Beschämend ist daher, daß das Umweltbundesamt immer noch keine ökologischen Daten der Inhaltsstoffe von den Herstellern erhalten hat. Hier hat unserer Meinung nach die Bundesregierung zu zögerlich gehandelt, und des weiteren hat sie mit der Phosphathöchstmengenverordnung, wie ich meine, lediglich einen Sieg auf einem Nebenschauplatz errungen, denn die Phosphateutrophierung unserer Gewässer ist bisher nur kosmetisch angegangen worden.
Meine Herren und Damen, lassen Sie mich die Bilanz ziehen: Ob Dioxan in Haarwaschmitteln, Formaldehyd, Perchlorethylen, ob EDTA, Phosphonate, Polycarboxylate oder APEO — solche schwierigen Sachen sind das alles — , die Bundesregierung überläßt das Feld der PR-Maschine der chemischen Industrie. Die Bundesregierung nimmt unserer Meinung nach das Wäschewaschen und die gesamte Waschpolitik ökologisch nicht ernst.
Danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! „Salz im Rhein — Rost im Rohr", mit dieser plakativen Aussage hat die internationale Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke im Rheineinzugsgebiet vor einiger Zeit auf eines der Probleme des zu hohen Salzgehaltes des Rheins aufmerksam gemacht. Insbesondere für die Wassergewinnung aus dem Rhein stellt die Salzbelastung nach wie vor
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12481
Frau Dr. Segalleines der Hauptprobleme der Rheinwasserverschmutzung dar. Das für den Menschen lebensnotwendige Salz ist im Übermaß schädlich, nicht nur für den Menschen, sondern auch für unsere Flüsse, besonders den Rhein.Einen wichtigen Anteil an der Salzbelastung haben die elsässischen Kaliminen, die seit 1931 in hohen Mengen Salz einleiten. Am schnellsten und wirkungsvollsten kann zur Reduzierung des Salzgehalts des Rheins bei den Kaliminen im Elsaß angesetzt werden, auch wenn die Bundesrepublik ebenfalls einen wesentlichen Anteil an dem hohen Salzgehalt im Rhein hat. So leiten neben den elsässischen Kaligruben etwa die Steinkohlegruben in unserem Land beträchtliche Mengen Kochsalz in den Rhein.Das Chloridübereinkommen von 1976 hat sein Ziel, die Salzbelastung des Rheins wesentlich zu reduzieren, bisher nicht erreicht. Auch die Abwehr vom Verursacherprinzip, indem sich die anderen Rheinanliegerstaaten zu Zahlungen an Frankreich verpflichteten, hat nichts bewirkt. Frankreich will nun auch noch von der Versenkung der Salze in den elsässischen Untergrund abgehen und sie statt dessen deponieren. Hier wie in vielen anderen Umweltbereichen zeigt sich wieder einmal: Die Umweltentlastung des einen Mediums wirft gleich andere Umweltfragen auf. Wir appellieren an die Bundesregierung, weiterhin in Verhandlungen darauf hinzuwirken, daß die Belastung des Rheins mit Neutralsalzen durch die elsässischen Kalibergwerke reduziert wird. Die zweite Phase, nämlich die Reduzierung der Salzfracht des Rheins um 40 Kilogramm je Sekunde, muß so schnell wie möglich realisiert werden.Auch der EG-Richtlinienvorschlag, betreffend Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft, zeigt, daß auf europäischer Ebene in vielen Bereichen noch erhebliche Fortschritte notwendig sind. Nötig ist für Chrom ein möglichst strenger Wert, wie er vom Umweltausschuß und auch vom Bundesrat vorgeschlagen wurde.Der Bericht der Bundesregierung über die Wirkungen des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes vom Dezember 1986 gibt einen erfreulich umfassenden und detaillierten Überblick über die Entwicklung. Bemerkenswert ist z. B., daß die Phosphatkonzentration in den letzten zehn Jahren in den wichtigsten Flüssen der Bundesrepublik Deutschland halbiert worden ist. Die Auswirkungen unserer Gewässerschutzpolitik — ich nenne hier nur Phosphat-Höchstmengen-Verordnung, Einführung phosphatfreier Waschmittel und Ausbau der Kläranlagen — schlagen immer stärker zu Buche.Der Bericht zeigt die Fortschritte, die mit dem Wasch- und Reinigungsmittelgesetz erzielt wurden. Ein bedeutsames Instrument in diesem Bereich ist das Kooperationsprinzip, also freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie, wie sie etwa zur Mitteilung der Rahmenrezepturen und sonstiger Daten zur Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln vorliegt.Der Bericht macht deutlich, daß noch mehr Transparenz im Wasch- und Reinigungsmittelbereich notwendig ist. Ziel der letzten Novelle war u. a., die Information der Verbraucher über die Produkte zu verbessern. Zum Teil hat die Industrie positiv reagiert und fügt ihren Produkten ausführliche Informationen und Teststreifen zum Messen der Wasserhärtegrade bei. Leider gibt es aber noch Firmen und Anwendungsbereiche, z. B. die Geschirrspülmittel, bei denen ein Informationsdefizit festzustellen ist.Auch die Phosphatminderung in Waschmitteln zeigt, daß häufig Umweltentlastungen mit Umweltbelastungen an derer Art erkauft werden. So einfach, wie es sich viele in der Umweltpolitik machen, nämlich Ruf nach Verboten, ohne zu überprüfen, welche Ersatzmittel zur Verfügung stehen, kann man es sich eben nicht machen.
Die Arbeitsgemeinschaft der Rheinwasserwerke hat vor wenigen Wochen in ihrem Jahresbericht 1988 darauf hingewiesen, daß die Minderung des Phosphats in Waschmitteln zum Teil mit dem Einsatz anderer wasserbelastender Substanzen wie insbesondere EDTA erkauft worden ist. Die Belastung des Rheins mit diesem Phosphor-Ersatzstoff steigt seit Jahren. Diese Substanz ist bei der Wasseraufbereitung für die Trinkwasserversorgung sehr schwer zu entfernen, so daß die Wasserwerke fordern, auf die Verwendung von EDTA zu verzichten. Hier muß rasch eine Lösung gefunden werden. Wir haben hier ein typisches Beispiel für die Substitutionsproblematik. Das gute alte Phosphat läßt sich nämlich durch Phosphatfällung in Kläranlagen beseitigen. Das ist etwas, was wir jetzt vorantreiben.Insgesamt hat sich das Wasch- und Reinigungsmittelgesetz bewährt. Wir erwarten durch freiwillige Maßnahmen und Ausfüllung des Gesetzes künftig noch mehr Transparenz auf dem Waschmittelmarkt, bessere Verbraucherinformationen und damit eine weitere Entlastung unserer Gewässer.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu der Erklärung vom 11. Dezember 1986 zu dem Übereinkommen vom 3. Dezember 1976 zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride auf den Drucksachen 11/2273 und 11/5169. Das ist der Tagesordnungspunkt 12a.Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen der GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen.Es ist noch über eine Entschließung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit abzustimmen, dessen Annahme der Ausschuß auf Drucksache 11/5169 unter Nr. 2 empfiehlt. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen der GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen.
Metadaten/Kopzeile:
12482 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Vizepräsidentin RengerTagesordnungspunkt 12b! Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 11/5192. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig so beschlossen.Zu Tagesordnungspunkt 12 c schlägt der Ältestenrat vor, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 11/4315 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Kein Widerspruch. Auch dies ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zuder Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über ihre Maßnahmen zur Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG in den Jahren 1984 und 1985— Drucksachen 11/2572, 11/5082 —Berichterstatter: Abgeordnete Duve Dr. CzajaLüderFrau Dr. VollmerDer Ältestenrat schlägt vor, für die Beratung eine Stunde vorzusehen. — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Duve.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Sie die bewegende kleine Reportage von Marion Dönhoff in der „Zeit" vor einigen Wochen gelesen haben. Sie schildert einen Besuch in Königsberg auf ihrem ehemaligen Besitz. Hinten im Kofferraum transportierten sie und ihr Neffe eine Meine Kant-Statue von Christian David Rauch. Sie hatte diese bronzene Erinnerung an den größten deutschen und Königsberger Philosophen mit dem, wie sie schreibt, „hochdotierten Heine-Preis der Stadt Düsseldorf " finanziert.Das ist ein Beispiel für ostdeutsche Kulturarbeit in der viererlei und vielerlei steckt: erstens die Anerkennung der heute bestehenden Verhältnisse und zugleich die Aufforderung an die jetzt in Königsberg Lebenden, den großen Philosophen als gemeinsames Erbe zu würdigen — sie beschreibt sehr eindringlich, daß das geschieht —; zweitens die Verantwortung dafür, Erinnerung an die Vergangenheit wachzuhalten, ohne sie restaurieren zu wollen; drittens: die Betonung der einfachen Tatsache, daß ostdeutsche Kulturarbeit zugleich immer deutsche und europäische Kulturarbeit ist; dann kann man das Geld, was man für Heine bekommen hat, gut für Kant benutzen. Und viertens: Der kulturelle Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen den ehedem dort lebenden Deutschen und den heutigen polnischen oder sowjetischen Bürgern, geht uns, meine verehrten Kollegen, und auch Sie alle an, ob wir nun von dort stammen, ob unsere Kinder sagen können: „Unsere Großeltern stammen von dort her" , oder nicht.Die ostdeutsche Kulturarbeit bedarf nach meiner Auffassung einer gründlichen Überprüfung.
Wir haben diese gründliche Überprüfung in mehreren Anträgen schon im Jahre 1986 versucht einzubringen. Es geht um eine Verstärkung des Geistes der Versöhnung und des Friedens und auch der kulturellen Zusammenarbeit. Diese Überprüfung ist damals abgelehnt worden. Im Innenausschuß haben wir in der Diskussion über den Bericht diesen Versuch wiederholt. Wir werden diese gründliche Überprüfung weiter einfordern. Dieser Überprüfung bedarf es, damit in den nächsten 20 Jahren von kulturell interessierten Menschen wirklich wahrgenommen wird, was dort früher war, und nicht nur von berufsmäßigen Verwaltern, der in die Musealität verbannten Geschichte.Die Verbände versuchen sich über dieses Dilemma hinwegzusetzen, indem sie Begriffe wie die „Erlebnisgeneration" und „Bekenntnisvertriebenen" erfinden. Das sind problematische Begriffe. Ein Bekenntnisvertriebener, der sagt: „Aber ich bin aus Hannover, und ich bleibe in Hannover", das ist eine schwierige Geschichte. Ich warne vor solchen Dingen. Damit kommen wir nicht weiter.
Die großen Leistungen der vertriebenen Schriftsteller wie Günter Grass, Siegfried Lenz und vielen, vielen anderen liegt gerade darin, daß sie uns alle, die wir aus Hamburg oder aus München stammen, an ihrer kulturellen und sozialen Wirklichkeit, an ihren Jugenderfahrungen in Danzig, Schlesien oder in Ostpreußen teilnehmen ließen. Daß zu den wenigen international gefeierten Autoren deutscher Sprache Schriftsteller gehören, die für alle Welt dieses Erbe lebendig gemacht haben, ist von den Verbänden weiß Gott selten genug gewürdigt worden, ja, manchmal haben sie sich sogar an den Kampagnen, etwa gegen Günter Grass und andere, beteiligt. Aber das war Literatur, und das war große, wichtige ostdeutsche Kulturarbeit.Mit Bewegung habe ich in den letzten Tagen die Memoiren des jüdischen Musikers Michael Wieck — heute erster Geiger in Stuttgart — , Titel des Buches „Zeugnis vom Untergang Königsbergs", gelesen. Da berichtet ein sogenannter Geltungsjude, der mit seiner Mutter als einzige Überlebende der jüdischen Gemeinde den Einmarsch der Russen 1945 erlebt hat, den gelben Stern noch auf dem Arm, über den Untergang Königsbergs und den Untergang der jüdischen Gemeinde, die auch zu dieser Geschichte gehört. Es lassen sich unzählige Persönlichkeiten aus der Kulturwelt anführen, die von der ostdeutschen offiziellen und staatlich so sehr geförderten Kulturarbeit wenig wahrgenommen worden sind und die doch für die Erinnerung an diesen Untergang so unendlich viel geleistet haben.Bitter vermerkt Horst Bienek im Februar 1985, also in unserem Berichtszeitraum, nach dem unsäglichen Artikel eines jungen Bundesrepublikaners im „Schlesier" — ich zitiere — :Schlesien ist mir zu heilig, als daß ich die Erinnerung, die geistige Aura, das kulturelle Erbe, das
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12483
Duvesich damit verbindet, den Schlesierverbänden überlassen möchte.Er kritisiert die Exponate im Museum Hösel und erinnert an ein in seiner Erinnerung anderes Schlesien als das dort ausgestellte:Dieses Oberschlesien war eine moderne Provinz. Poelzig hat dort gebaut, Erich Mendelsohns moderne Werkanlagen, Siedlungen waren entstanden. Im Museum ist von Auschwitz nicht die Rede und nicht vom KZ Roesenberg.Er zitiert Siegfried Lenz' „Heimatmuseum" : „Keine Heimat zu haben, ist ein Verlust, daran ist nicht zu deuteln", und er fügt einen Gedanken von Jean Amery an: „Die Heimat ist das Kindsein und Jugendland". Wer sie verloren hat, bleibt ein Verlorener. "Meine Damen und Herren, es ist doch vielleicht die größte Leistung der Bundesrepublik Deutschland, und an der haben, Herr Dr. Czaja, auch die Verbände ihren großen Anteil, daß sich trotz dieser bitteren Wahrheit — ein „Verlorener" — viele Millionen Menschen hier im westlichen Deutschland eingebürgert, eingelebt haben. Wir haben hier eben keine kulturellen Ghettos, sondern die Menschen fühlen sich hier zu Hause: als Bürger Westfalens, Bayerns und Schleswig-Holsteins. Sie sind Kulturbürger geworden, die auf die Frage „Wo ist eure Heimat?" wahrscheinlich zu 80 % oder 90 % antworten: Hier ist unsere Heimat.Das gilt um so mehr für die nächste Generation. Es muß deshalb vor allem vor der Politisierung von Gefühlen und Erinnerungen gewarnt werden, wo sie der wirklichen Befindlichkeit nicht mehr entsprechen. Das ist ein lebensgefährliches Unterfangen.Hier liegt vielleicht auch ein Teil der Leistung der Vertriebenenverbände und zugleich ein Grund dafür, daß sie dabei sind, sich zu überleben. Es haben sich bei uns keine Kulturnischen und Ghettos entwickelt, und darum ist sozusagen das „Personal" auch nicht mehr da. Die Vertriebenen haben unsere Kultur bereichert, haben Lebensformen ins westliche Deutschland gebracht, die jetzt hier zu uns gehören, haben uns hier verändert; ich denke, alles in allem sehr, sehr positiv. So konnte die Bundesrepublik Heimat werden für Millionen Menschen und weiterhin ein Heimatangebot sein, wie wir es auch in diesen Tagen erleben.Heute gilt es, die Pflege der Erinnerung zu einem wirklichen Teil unserer eigenen gesamtstaatlichen Kulturpolitik zu machen. Aus der Vertriebenenpolitik muß eine Kulturpolitik werden, bei der die Verbände gewiß ein Mitspracherecht behalten werden; aber sie dürfen die Inhalte und den Geist dieser Arbeit auf Dauer nicht allein bestimmen.
Die Erinnerungen an Königsberg und Kant, an Schlesien und Eichendorff gehören nicht nur den Vertriebenenfunktionären, sie gehören uns allen. Diese Erinnerungen gehören auch den Polen, auch den Sowjets, die jetzt dort leben. Solche „ostdeutsche Kulturpolitik", die auf die Zukunft gerichtet ist und den Frieden zur obersten Richtschnur macht — wir haben das in verschiedenen Anträgen auch immer so formuliert —,hätte Sinn. Sie wird dann nämlich auch in künftigen Jahrzehnten von allen getragen werden können.Ich warne davor, daß die Verbände versuchen, sich hier ihre eigenen kulturellen Zirkel zu bilden, in denen sie bestimmten, wer z. B. Direktor solcher Einrichtungen sein soll und wer nicht. Das Pilotprojekt der neuen Linie — das wir durchaus mitgetragen haben — , das Ostpreußische Landesmuseum in Lüneburg, ist bereits nach kurzer Zeit zum Symbol für diesen schlimmen Zugriff geworden. Wir müssen die Frage noch einmal stellen: Gehört das Museum jenen Lüneburger Bürgern, deren Eltern aus Ostpreußen stammten, oder gehört es allen Bürgern? Daß die Trägervereine den jungen Direktor, Dr. Friedrich Jacobs, nach ganz kurzer Zeit fristlos rausgeschmissen haben, ist ein schlimmes Zeichen, ein schlimmes Zeichen, Herr Dr. Czaja, für all das, was Sie — —
— Er ist fristlos gekündigt worden, gut. Wenn die fristlose Kündigung kein Rausschmiß ist, dann weiß ich es nicht. — Wir werden künftig sehr genau hinsehen, wie Sie und Ihre Freunde mit einem Kulturerbe umgehen, das uns allen gehört.Vielleicht noch eine Schlußbemerkung — Herr Dr. Nöbel und ich, wir haben uns darüber verständigt — : In allen Staaten Osteuropas sind wir Zeugen gewaltiger säkularer politischer Veränderungen, und wir sind es auch heute. Diese sind aber zugleich immer auch kulturelle Veränderungen. Von Gorbatschow ist mit der Glasnost-Losung eine Kulturrevolution in Gang gesetzt worden. Auch wir, die wir ostdeutsche Kulturpolitik im Geiste der Versöhnung, des Friedens und des endgültigen Respekts vor Grenzen betreiben wollen, müssen uns auf diese Veränderung endlich alle gemeinsam einstellen. Was muß es für die neue polnische Regierung, was muß es für Walesa bedeuten, wenn just zu dieser Zeit die Grenzfrage erneut in die Debatte geworfen wird, selbst von Regierungsmitgliedern!
Wir wollen im künftigen Europa so leben, daß niemand vor seinen Nachbarn oder vor der Geschichte Angst zu haben braucht. Dazu müssen alle Maßnahmen, die der Erinnerung dienen, beitragen, also auch all das, was wir hier verhandeln.Ich weiß, daß viele Wissenschaftler in den von uns geförderten Institutionen in diesem Geiste denken und arbeiten. Ich bin von vielen Aufsätzen in der Zeitschrift „Deutsche Studien", sehr beeindruckt, wo in diesem Geist geschrieben wird. Aber ich sage an dieser Stelle: Wir werden diese Leute vor dem Geist, der in Lüneburg gesiegt hat, schützen müssen.Ich fordere darum uns, die Parteien des Bundestages, auf, unserer Anregung zu folgen, im nächsten Frühjahr zu diesem Thema eine umfassende Anhörung im Sinne eines großen Kulturgesprächs durchzuführen, damit wir dann gemeinsam zu einer neuen Qualität dieser Arbeit kommen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Metadaten/Kopzeile:
12484 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Duve, Sie haben einige Grundsatzfragen angeschnitten, die in großen Schwüngen und großen Aussagen weit über die Problematik der ostdeutschen Kulturarbeit und des § 96 BVFG hinausgehen. Man müßte für diesen Dialog einige Zeit haben, aber ich möchte, nach dem, was ich von Ihnen hörte, hier nur einige Anmerkungen machen.Ich möchte Sie bitten, daß Sie die ideologischen Scheuklappen — nachdem Sie das hier angesprochen haben, muß ich das schon sagen — ablegen, wenn Sie meinen, die Vertriebenenverbände wollten nur verwalten und restaurieren. Das ist nicht der Fall. Im § 96 des Bundesvertriebenengesetzes steht nicht nur „erhalten", sondern auch „entfalten".Wenn Sie von mir etwas wissen wollen: Ich habe mein ganzes Leben darum gerungen, daß die Erfahrung der Vergangenheit nach den Gesetzen des Lebens weitergegeben wird.Zum Entfalten: Sie haben das Oberschlesische Landesmuseum angesprochen. Ich weiß nicht, ob Herr Bienek es oft besucht. Aber er hätte zu der Ausstellung „Oberschlesische Synagogen" kommen können, die bis hinüber nach Israel und Lateinamerika außerordentlichen Anklang gefunden hat. Oder vielleicht sollte er sich die wissenschaftlichen Projekte durchsehen, die beispielsweise das oberschlesische Zeitungswesen von 1800 bis zur Gleichschaltung und diese behandeln. Vielleicht sollte er sich im Oberschlesischen Jahrbuch die zahlreichen Beiträge über den Widerstand in Oberschlesien einmal durchlesen. Dann würde er eine etwas andere Meinung dazu haben.Ich bin nicht hier, um mich mit Herrn Bienek auseinanderzusetzen. Ich kann es nicht anders sagen, als daß Herr Bienek in der Darstellung der Heimat bei vielen Oberschlesiern — ich vertrage vieles — auf Widerstand stößt.Wir verwalten nicht und restaurieren nicht, sondern wir haben gerade im wissenschaftlichen Bereich gesagt: Es geht nicht so weiter, daß man in der wissenschaftlichen Durchforschung der Landeskunde zwischen 1930 und 1980 eine Riesenlücke hat und daß man populistisch auf Schriften nach 1930 oder auf Schriften vor 1930 zurückgreift. Vielmehr müssen wir eine neue Entfaltung — nicht eine Restaurierung — haben. — Darauf wollte ich Sie hinweisen.Gerade die Vertriebenen haben gesagt — ich muß bedauern, daß das die großen Kulturpäpste in der Bundesrepublik ungenügend aufgegriffen haben — : Im Kafka-Jahr hätten wir uns vielmehr mit Kafka beschäftigen sollen. Das ganze westliche Ausland hat Kafka als großen Dichter bezeichnet, nicht immer als Deutschen; aber er war ein großer deutscher Dichter. Er hat übrigens sehr Interessantes zur Vertreibung geschrieben. Lesen Sie einmal in der Novelle „Die Hochzeitskuh" nach, was er zur Vertreibung und über die Beseitigung der Unrechtsfolgen sagt. Er sagt: Bei der Beseitigung der Unrechtsfolgen ist das Gefährlichste die Ungeduld.Herr Duve, wir waren nicht ungeduldig, sondern wir haben — damit komme ich zum § 96 BVFG — auch im Politischen nicht das gemacht, was Sie meinten: aufgegeben — das war einmal, das kommt nie wieder. Vielmehr haben wir uns überlegt, wie in zeitgemäßen Formen auch für die Zukunft die Mitarbeit der Deutschen in der Heimat und anderswo in einem freien europäischen Staatenbund verwirklicht werden kann und welche Strukturelemente dazu notwendig sind.Daß die Heimat nicht ganz verloren ist, habe ich unlängst in einem Interview des Kardinal Meisner von Köln gelesen. Er wurde gefragt: Herr Meisner, haben Sie sich in Köln gut eingelebt, das ist Ihre neue Heimat? — Herr Meisner hat gesagt: Ja, ich gehe auf die Straße, spreche mit den Leuten und gehe zum Friseur. Ich fühle mich hier sehr wohl. Aber wenn Sie mich nach Heimat fragen, muß ich sagen: Meine Heimat ist Schlesien und Oberschlesien; das hat mich geprägt. —Damit haben Sie die Antwort im Hinblick auf „Erlebnisgeneration". Ich benutze den Begriff „Bekenntnisgeneration" oder „Erlebnisgeneration" ja nicht. Ich bin der Meinung, daß insbesondere die 12- und 15jährigen, die die Heimat verlassen mußten oder vertrieben wurden, auch noch zur Erlebnisgeneration gehören. Sie sind heute nicht 60 Jahre alt; sie sind voll in unsere Arbeit einbezogen.Dann möchte ich, um Sie ein bißchen für unsere Arbeit zu gewinnen, doch noch einmal Herrn Rau zitierten, der erst im Juni dieses Jahres in Düsseldorf ausdrücklich gesagt hat -- ich zitiere wörtlich — :Das Erfahrungswissen der Schlesier, der Oberschlesier, der Ostpreußen, der Pommern, der Sudentendeutschen und anderer Volksgruppen muß für uns genutzt werden.Er hat bemerkt, das Erfahrungswissen habe große Bedeutung. Er hat ausdrücklich gesagt: Wir müssen etwas tun, daß das auch der Jugend vermittelt wird. Ich bin sehr froh, daß wir in einem großen Teil der Vertriebenenverbände viele Jugendliche haben. Wenn Sie unsere Arbeit ein bißchen näher betrachten, werden Sie das merken.Herr Kollege Duve, wir hatten lange Zeit Übereinstimmung; ich will das hier nicht zitieren. Wir haben eine grundsätzliche Aussprache bei der ersten Lesung gehabt. Ich konnte mit dem, was Dr. Nöbel sagte, bis auf einen Punkt völlig übereinstimmen. Ich bekam dann auch von allen Seiten Beifall. Sie waren damals vielleicht nicht da, als ich diesen Grundkonsens vorgelegt habe. Sie haben in Anträgen etwas anderes gewollt, was ich bejahe, aber nicht hinsichtlich des § 96 BVFG nämlich die kulturellen Hilfen für die Deutschen in Rumänien, in Ungarn und in der Sowjetunion. Diese Aufgabe muß aus dem Kulturhaushalt des Auswärtigen Amtes finanziert werden.Lassen Sie mich zur Beschlußempfehlung noch einiges sagen. Dem meisten haben Sie im Auswärtigen Ausschuß und auch Herr Nöbel zugestimmt und haben dann gesagt: Wir enthalten uns. Ich möchte Sie ja wiedergewinnen und erreichen, daß Sie sich nicht der Stimme enthalten, sondern zustimmen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12485
Dr. CzajaIch möchte Ihnen eines sagen, was Herr Rau sehr wohl erkannt hat: Ich will einen Dialog führen.
— Ich gebe Ihnen gleich die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage. Ich bitte, einen Moment zu warten.Sie sollten nicht versuchen — das wäre ungut, für alle — , „Vertriebenenfunktionäre" zu verdrängen und zu sagen: Ihr habt nichts mehr zu tun oder wenig zu tun; wir müssen zu etwas ganz Neuem kommen. — Verlangen Sie von den Menschen nicht Sonderopfer, indem Sie sagen: Wir befassen uns nur mit der gesamtdeutschen Kultur. Das wollen auch wir tun. Aber jeder, von dem Sonderopfer gefordert werden, die auch sonst nicht sehr moralisch sind, wird in die Ecke gedrängt, wird radikalisiert! Machen wir uns davon kein falsches Bild: Das ist leider der Fall; ich begrüße das ja nicht. Das dient nicht der Verständigung mit unseren Nachbarn.
Wenn wir die Verständigung mit unseren Nachbarn wollen, meine Damen und Herren, dann müssen Sie den sachkundigen Deutschen — auch denen von der Grenze — und ihren Kindern die fundamentalen Erfahrungen und Erkenntnisse vermitteln und die wissenschaftlichen Projekte ermöglichen, damit der Dialog auf guter Grundlage geführt wird.In dem Dialog werden wir nicht immer einer Meinung sein. Ich habe gestern bei einem Interview meinem polnischen Interviewer gesagt: Mit Herrn Walesa würde ich in Fragen der Menschenrechte und Nichtunterdrückung der Völker völlig einig sein.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage, Herr Kollege Dr. Czaja?
Ja, gleich.
Über Gebietsfragen müßte ich mit Herrn Walesa allerdings einen sehr ernsthaften Dialog führen, aber auch mit Ihnen; aber leider ist hier nicht die Zeit dazu. Ich könnte mir denken, daß, wenn wir über die Strukturelemente einer zukünftigen europäischen Ordnung sprechen, wir uns treffen könnten.
Bitte sehr!
Herr Duve, Sie haben jetzt das Wort.
Jeder Dialog müßte davon ausgehen, daß es nicht mehr um die Gebietsfrage geht. Aber ich habe mich gemeldet, weil Sie aus dem Ausschuß berichteten. Für das Protokoll halte ich es doch für sehr wichtig, Sie zu fragen, ob Sie sich erinnern, daß in dieser Ausschußsitzung die SPD einen Antrag eingebracht hat, der signalisiert hat, daß wir in wesentlichen Punkten — nicht überall — übereinstimmen — Sie haben das eben so ein bißchen beiseite geschoben — , und daß dieser Antrag in dem Bericht des Ausschusses noch einmal, obwohl abgelehnt, abgedruckt worden ist?
Ja. Dagegen habe ich mich überhaupt nicht gewehrt. Ich habe nur gesagt: In denmeisten Punkten waren wir einig, außer in einem Punkte, den Sie heute hier nicht angesprochen haben, nämlich in bezug auf den Vorschlag, die erwähnten kulturellen Hilfen aus dem Haushalt des Innenministers zu finanzieren und das andere einzufrieren.
Das haben Sie hier nicht so gesagt. Das ist aufgegeben worden. Ich bedanke mich dafür.Ich möchte nur das wieder haben, was früher war. Sie haben ja früher diesem Aktionsprogramm und den Haushalten zugestimmt. Wir haben das gemeinsam getan. Das mit dem Sonderopfer habe ich Ihnen nicht umsonst gesagt. Ich meine, daß die Vermeidung der Radikalisierung einer betroffenen Gruppe unseres Volkes Aufgabe aller freiheitlich-demokratischen Parteien ist.Sie haben die Schwerpunkte angesprochen. Deswegen will auch ich zu den Schwerpunkten der Beschlußempfehlung, in die wir einige Ihrer Punkte aufgenommen haben, noch einige Hinweise geben: Wir haben gewünscht, daß das Aktionsprogramm flexibel sein soll. Wir haben gewünscht — das geht auf Ihren Antrag zurück — , daß die Mitteldeutschen in Zukunft in den Grundsätzen stärker berücksichtigt werden. Wir sind allerdings der Meinung, daß bei der Förderung der kulturellen Breitenarbeit und der wissenschaftlichen Aufgaben auch die Zeitzeugen — auch die ostdeutschen Landsmannschaften — mit berücksichtigt werden sollten. Ich bin der Meinung, daß die sachliche Qualifikation eines Direktors oder Wissenschaftlers entscheidend sein sollte.
Wenn in einer Institution, in der ich bin, einer entschieden verfassungswidrig versuchte, etwas durchzusetzen, würde auch ich seine Ablösung verlangen; denn wir sind, wenn Sie das Grundgesetz durchsehen, auch geistig eine wehrhafte Demokratie.Noch einige wesentliche Punkte, die Sie interessieren werden:
Wir haben in den Beschlußempfehlungen gefordert, daß sich die ersten Ergebnisse der wissenschaftlichen Projekte, die wir vorwärtsgetrieben haben, auch in Publikationen niederschlagen und, Herr Staatssekretär, daß — wegen der Ergebnisse — auch für die Publikationen in Zukunft mehr Mittel gegeben werden. Herr Staatssekretär, Sie sollten auch mit den Ländern noch energischer sprechen. Dort, wo es gemeinsame institutionelle Aufgaben gibt, darf es nicht so sein, daß der Bund ein Stück vorzieht und das Land bremst oder gar nicht vorziehen will. Das würde die Gemeinsamkeit behindern. Deshalb muß ich bitten, daß wir neben institutionellen Förderungen auch wissenschaftliche Einzelprojekte, wie das schon jetzt der Fall ist, berücksichtigen.Selbstverständlich wollen wir für das Bundesinstitut in Oldenburg auch den guten Kontakt mit den von Ihnen angesprochenen Verbänden. Wir wollen — vielleicht, Herr Duve, helfen Sie uns dabei — , daß
Metadaten/Kopzeile:
12486 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Dr. Czajanicht nur drei Ressorts der Bundesregierung die Erfüllung dieser Aufgaben mit Mitteln fördern, sondern daß auch das Forschungsministerium und das Wissenschaftsministerium hier noch stärker eintreten und eine Koordinierung vorgenommen wird. Wir möchten im nächsten Bericht darüber etwas sehen.Ich fasse zusammen, Herr Duve: Wir wollen nicht neue und alte — ich bin nicht rerum novarum cupidus — , sondern eine solide ostdeutsche Kulturarbeit haben. Herr Duve, wir brauchen wieder mehr Verständigung. Ich möchte Sie auffordern — ich spreche Sie bewußt an — , das für alle freiheitlich-demokratischen Parteien geltende Wort des Ministerpräsidenten Rau von der SPD vom 17. September 1986 zu verwirklichen:Weiterhin soll nach Kräften— ich möchte hinzufügen: auch mit innerem Engagement —gefördert werden die Weiterführung der bisherigen ostdeutschen kulturellen und wissenschaftlichen Arbeiten im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes, denen größte Bedeutung zukommt.Schreiben Sie sich das ins Notizbuch: „größte Bedeutung".
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Dr. Czaja?
Noch eine Frage?
Ja, von Herrn Dr. Penner. Lassen Sie diese Zwischenfrage zu?
Es ist mein letzter Satz. Vizepräsidentin Renger: Dann sind Sie fertig?
Nein, ich wollte noch einen Satz sagen.
Dann lassen wir ihn noch fragen? — Herr Dr. Penner.
Herr Dr. Czaja, können Sie sich vorstellen, daß Sie in Ihrem Werben um unsere Zustimmung noch überzeugender wirken würden, wenn Sie sich endlich dazu entschließen könnten, die nach dem Kriege geschaffenen Realitäten zu akzeptieren?
Lieber Herr Kollege, ich wirke schon überzeugend. Das haben Sie zugegeben.
Sie möchten, daß ich noch überzeugender wirke. Ich
möchte Ihnen sagen: Noch überzeugender kann ich
wirken, wenn ich sage: Wir müssen uns das Wort „Realitäten" genauer ansehen.
Zu Realitäten, Herr Kollege, gehören auch Rechtsgehorsam gegenüber dem Grundgesetz und Rechtsgehorsam gegenüber den Verträgen und Rechtsgehorsam gegenüber dem Völkerrecht. Sie wissen, Herr Penner, besser als ich, daß wir keine friedensvertraglichen Regelungen, keine endgültigen Grenzen haben. Ich bitte Sie: Helfen Sie mir, daß wir uns auf dem Weg des Rechtsgehorsams bewegen und von diesem Ausgangspunkt ausgehend zu einem Ausgleich treffen, der für alle Beteiligten tragfähig ist. Dann bin ich gerne bereit, mit Ihnen zu diskutieren.
Frau Präsidentin, ich darf diesen Punkt abschließen. Ich meine, wir könnten alle einig sein, daß die zukünftigen Regierungsvorschläge, Herr Waffenschmidt, aber auch die Haltung der Parteien quer durch die Gruppen auch auf dem eben zitierten Satz von Herrn Rau aufbauen können. Ich habe hier nicht Herrn Mischnick zitiert, den ich letztes Mal zitiert habe. Ich könnte eine Linie von Maihofer über Genscher, Baum und Zimmermann bis Schäuble ziehen,
die für diese Sache immer sehr viel übrig hatten. Versuchen wir einen gemeinsamen Weg zu beschreiten, damit wir nicht der Doppeldeutigkeit geziehen werden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Dr. Lippelt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über einen Bericht, über den der Wind der Geschichte, Herr Czaja, nun doch hinweggeblasen hat.
Während ein Lech Walesa, den Sie eben zitiert haben, über die Rolle nachsinnt, die die deutsche Minderheit in Polen spielen könnte, und das schöne Wort von der Brückenfunktion prägt, bekommen wir hier den Bericht, routinemäßig wie seit Jahrzehnten, über die Kulturarbeit in einem imaginären Raum, der Ostdeutschland genannt wird und heute doch Polen ist. Herr Czaja, auf den ganzen 41 Seiten wird das Wort Polen ängstlich vermieden. Auch das Wort Ostmitteleuropa taucht nicht auf.
Ostpreußen, Schlesien, Pommern, das ist ein Raum der Erinnerung, Herr Czaja, schmerzlicher Erinnerungen, ein Raum, der Anteil hatte und sehr beitrug zur deutschen Kultur, ein Raum, in dem Kant, Gryphius, Eichendorff und viele andere lebten, ein Raum, der auch dem Einfluß benachbarter Kultur immer offen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12487
Dr. Lippelt
war. Der Pole Kopernikus war bekanntlich Domherr in Frauenburg.
— Verzeihung, das ist ein Pole gewesen.
An diese Kultur zu erinnern ist deshalb sinnvoll. Sie zu pflegen ist richtig. Nur: In wessen Gedächtnis soll sie gepflegt werden? In dem derer, die sich als ihre Pfleger aufwerfen und sie für sich vereinnahmen, oder im Gedächnis derer, die sie bewundern?Diese Kultur wird ja nicht nur von den Funktionären des Bundes der Vertriebenen gewürdigt. Sie wird z. B. von den polnischen Germanisten an der Universität Wroclaw geliebt, und sie wird von den polnischen Steinmetzen geliebt, die die Altstadt von Danzig wiedererbauten oder die großartige Architektur der Marienburg wiederaufgebaut haben. Das ist eine große Leistung, die wohl nur ein so geschichtsbewußtes Volk wie das polnische zustande bekam: die Altstadtkerne jener zerstörten ostdeutschen Städte wiederaufzubauen. Und auf der anderen, auf unserer Seite? Da sehen wir bei jedem Schlesiertreffen — Herr Czaja, Sie wissen es — Trachtengruppen, finanziert auch aus diesem Etat. Dann hören wir die Reden über das Schlesien, das „unser ist und bleibt",
und über die Oder-Neiße-Grenze, die noch nicht das letzte Wort der Geschichte sei, wie wir es eben wieder gehört haben. So erleben wir denn dieses ganze krampfige Bemühen von der Verleihung vielfältiger Kulturpreise bis hin zum Ankauf eines Breslauer Dekkelhumpens.
Damit wir uns recht verstehen: Bewahren der Erinnerung ist ein unerläßlicher Charakterzug menschlicher Existenz. Wer sich darum in einer nur auf dieses Ziel konzentrierten Form bemüht, soll und muß unterstützt werden. Das mag in wissenschaftlichen Instituten wie dem Herder-Institut in Marburg oder auch in Trachtengruppen geschehen. Voraussetzung ist aber, Herr Czaja, daß es um seiner selbst willen geschieht. Wenn es so geschieht, ist es offen für die Teilnahme der Nachbarn.Der Bericht allerdings spricht eine ganz andere Sprache. Er spiegelt eine isolierende Betrachtungsweise des Nur-Deutschen, die ängstlich jeden Blick auf den polnischen Nachbarn und die heute dort lebende Bevölkerung vermeidet.In solch bewußt isolierender Betrachtungsweise wird dem Menschen dann notwendige Erinnerung zur Ideologie und Rechtfertigung verworrener Träume und Ambitionen. Man könnte es auch ganz anders Herr Czaja, und sehr direkt sagen: Der Einfluß des BdV und der Landmannschaften auf diese Arbeit ist für diese Arbeit einfach viel zu groß.Dieses einengende isolierende Bewußtsein treibt sehr skurrile Blüten. Da erreicht uns und, ich glaube, auch die anderen Fraktionen beispielsweise der Briefeines gebürtigen Schlesiers, der als Maler und Graphiker in Paris eine Ausstellung seiner Werke eröffnet, bei der er sich durch das Nichterscheinen eines offiziellen Vertreters des Ostdeutschen Kulturrats derart brüskiert fühlt, daß er uns in einem Schreiben bittet, diesen Umstand bei den nächsten Haushaltsberatungen doch nun einmal zu würdigen.Ich finde, Herr Czaja, der Mann hat recht,
wenn auch in einem viel weiterreichenden Sinn. Interessen und Geist, welche die Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit bestimmen, müssen nämlich endlich klar zur Sprache kommen. Wie also sollte solche Arbeit aussehen, wenn wir sie weiter unterstützen sollen?Erstens. Es sollte jener imaginäre Raum Ostdeutschland mit der politischen Realität gefüllt werden, und wir sollten von der Kultur Ostmitteleuropas sprechen.Zweitens. Wir sollten nicht so tun, als gäbe es dort heute keine die Vergangenheit pflegenden kulturellen Institutionen mehr.
Deshalb sollten die, die diese Gedächtnispflege treiben, die Kooperation der polnischen Institute und Universitäten in diesem Raum suchen, und wir sollten kooperative Projekte unterstützen.Es gibt ein sehr schönes Beispiel — Herr Duve hat es erwähnt — für den Geist, in dem wir uns der Pflege der historischen Kultur dieses Raums zuwenden können. Vor mehreren Monaten druckte die Gräfin Dönhoff in der „Zeit" den Brief des sowjetischen Vorsitzenden des Kulturfonds der Stadt Kaliningrad, genannt auch Königsberg.
Er berichtete von den Bemühungen um die Rekonstruktion der Geschichte dieser Stadt in ihren Bauwerken. Die „Zeit" hat damals eine Spendenkampagne initiiert. Ein historisches Haus in Königsberg wurde restauriert. Das sind erste Zeichen gemeinsamer Arbeit an einer einst deutschen Vergangenheit, die jetzt von den heutigen wie von den einstigen Bewohnern als gemeinsame begriffen wird. Vergleichbares findet sich in diesem ganzen Bericht nicht an einer einzigen Stelle — bis auf eine kleine subversive Bemerkung. Da hat doch das etwas weltläufige Auswärtige Amt tatsächlich im Rahmen des von ihm unterstützten Vortragszyklus „Portugal — Deutschland" in Lissabon die Tagebücher des im 19. Jahrhundert nach Portugal entsandten preußischen Diplomaten und Kunsthistorikers Graf Raczynski präsentiert — und der BdV hat es nicht gemerkt.
Diese Ausgabe unterstützen wir nachdrücklich. Wir unterstützen natürlich auch die Arbeit eines Instituts wie des Herder-Instituts.
Metadaten/Kopzeile:
12488 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Dr. Lippelt
Die Gesamttendenz dieser Arbeit und des Berichts können wir aber nicht mittragen. Deshalb, Herr Czaja, schließen wir uns dem Vorschlag von Herrn Duve an: Wir sollten einmal ein gründliches Hearing machen und über diese Arbeit neu gründlich nachdenken.
Sie sind zwar schon am Ende der Redezeit. Gestatten Sie dennoch eine Frage?
Gern.
Herr Kollege, wissen Sie, daß die Grafen Raczynski auch eine große Rolle am preußischen Hof gespielt haben?
Aber selbstverständlich.
Und ich weiß, daß die Manteuffels in Polen und im Baltikum und anderwärts eine große Rolle spielten
und nicht nur Vertriebenenfunktionäre waren.
Es handelt sich hier um eine gebildete Gesellschaft. Ich finde das schon ganz schön toll.
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn auf meine drei Vorredner eingehen.Herr Duve, ich meine — da greife ich auf das zurück, was wir im Innenausschuß auch zu erkennen gegeben haben — , daß ein, wie Sie es genannt haben, umfassendes kulturpolitisches Gespräch — so darf ich es sinngemäß zitieren — , um zu überprüfen, was wir in der Zukunft machen sollen, sinnvoll ist, wenn wir den nächsten Bericht, der drei Jahre umfaßt, bekommen haben. Dann haben wir ein aktualisierteres Material. Bisher war immer von einem Hearing und dergleichen die Rede. Wir wollten nichts tun, bei dem wir nichts versprechen können.Von da aus bleibe ich dabei, daß wir offen sind für ein gründliches und umfassendes kulturpolitisches Gespräch, auch um zu sehen, wie in den heutigen Zeiten — das ist zwischen der Ausschußberatung und heute vielleicht noch deutlicher geworden, wenn ich an die Aussiedlerthematik und anderes denke — für die Zukunft dieses Feld neu gestaltet und besser bearbeitet werden kann. Niemand sollte den Anspruch erheben, zu sagen: Es muß immer so weitergehen wie bisher.Zweitens. Herr Lippelt, man kann nicht einen Vorwurf daraus herleiten, daß wir uns heute mit dem 85er Bericht befassen. Er liegt nun einmal vor, und wir haben uns mit dieser Materie heute hier zu befassen.Ich glaube, daß Sie dem nicht ganz gerecht geworden sind.
Drittens. Lieber Herr Czaja, gerade weil ich nachher vielleicht manches sage, was Sie schmerzen wird, möchte ich vorwegschicken: Ich habe ein hohes Maß an Respekt vor der politischen Verantwortung, mit der Sie Ihre Arbeit hier und in anderen Institutionen geleistet haben, auch wenn ich nicht immer zugestimmt habe oder zustimmen konnte. Ich glaube, wenn am Ende seiner politischen Laufbahn jeder von uns so zurückblicken kann auf das, was geleistet worden ist, wie Sie, dann hätten wir ein Parlament von hohem Niveau. Das will ich einfach einmal deutlich machen.
Wenn wir heute über den Zweijahresbericht über ostdeutsche Kulturarbeit diskutieren, der natürlich nur im Rahmen des § 96 BVFG, Herr Lippelt, erstellt werden konnte und nicht anders — das ist im Rahmen eines Gesetzes gegeben — , dann müssen wir uns die Frage stellen, warum eigentlich das geleistet und mit öffentlichen Mitteln unterstützt wird, worüber wir hier reden, nämlich ostdeutsche Kulturarbeit. Wir müssen jene Frage stellen — lassen Sie mich ein bißchen sehr hoch greifen — , die Friedrich Schiller genau vor 200 Jahren formulierte, als er seine Antrittsvorlesung in Jena für sein Lehrfach „Universalgeschichte" hielt: „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? "Dementsprechend möchte ich fragen: Was heißt und zu welchem Ende kümmert sich die Bundesrepublik Deutschland unter Einsatz öffentlicher Mittel um ostdeutsche Kulturarbeit? Dazu möchte ich im Rahmen einer Antwort einige Stichworte anführen.Seit mehr als 700 Jahren — das kann man nicht einfach so wegtun — ist in den von Deutschen besiedelten Gebieten Mittel- und Osteuropas jenseits von Oder und Neiße — also nicht nur in den früher deutschen Gebieten, sondern auch in den von Deutschen besiedelten Gebieten jenseits von Oder und Neiße — auf nahezu allen Gebieten der Kultur Immenses geschaffen, Unersetzliches geleistet worden, ohne das die europäische Kulturgeschichte nicht denkbar wäre.Unsere deutsche Kulturgeschichte wäre amputiert, wenn wir verschweigen oder übergehen würden, was von deutschen Gelehrten in diesen historischen Ostgebieten erdacht, gesagt und vollendet wurde.
Kant und Comenius, Hauptmann und Herder seien stellvertretend erwähnt.Ich will noch einmal Schiller aus seiner akademischen Antrittsrede zitieren, weil ich meine, daß seine Worte auch für das gelten, was wir heute als ostdeutsche Kulturarbeit gewahrt wissen wollen. Er sagte:Fruchtbar und weit umfassend ist das Gebiet derGeschichte. In Ihrem Kreise liegt die ganz moralische Welt. Durch alle Zustände, die der Mensch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12489
Lüdererlebte, durch alle abwechselnde gestaltende Meinung, durch seine Torheit und durch seine Weisheit, seine Verschlimmerung und seine Veredelung begleitet sie ihn. Von allem, was er sich nahm und gab, muß sie Rechenschaft ablegen.„Von allem" — wir können und wollen uns nicht vor der Vergangenheit verschließen. Wir müssen und wollen anerkennen und würdigen, was im deutschen Sprachraum Mittel- und Osteuropas, im früher deutschen Gebiet und außerhalb kreiert wurde. Gerade weil bei uns viele Landsleute aus den früheren Ostgebieten Aufnahme gefunden haben, sind wir um so mehr verpflichtet, die frühere ostdeutsche Kultur wachzuhalten, die Erinnerung an die deutsche Kultur und Geschichte umfassend zu wahren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?
Ja, nach dem nächsten Gedanken. — Ich halte dies gerade in diesen Jahren für notwendig, in denen sich die Erkenntnis rechtlich und völkerrechtlich — ich betone: und völkerrechtlich; Herr Czaja, hier gehen unsere Meinungen auseinander — Anerkennung und Bestand verschafft, daß es auch im 50. Jahr nach dem Überfall Deutschlands auf Polen und in der Zukunft keine Forderung nach Ausweitung deutschen Territoriums über das hinaus geben kann, das heute in zwei deutschen Staaten existiert.
Herr Duve, Sie haben das Wort.
Herr Kollege, Sie haben lange aus der berühmte Rede von Schiller zitiert, die ja damit beginnt, daß er eine scharfe Attacke gegen die sogenannten Brotgelehrten führt. Er unterscheidet diese Brotgelehrten von jenen, die mit heißem Herzen und wachem Geist sozusagen die wahren Gelehrten sind.
Um was es hier doch nur geht, ist zu verhindern, daß in Zukunft dieses richtig beschriebene Erbe ausschließlich von diesen wenigen kargen, manchmal auch funktionärshaften — damit meine ich nun überhaupt nicht Herrn Dr. Czaja; er ist sozusagen von der ganzen Statur her das Gegenteil — Brotgelehrten wahrgenommen wird. Vielmehr muß es von uns allen mit großer Zustimmung und Begeisterung wahrgenommen werden.
Herr Kollege Duve, ich stimme Ihnen mit einer Ausnahme zu: Das Zitat, das ich gebracht habe, stand vor der Attacke gegen die Brotgelehrten.
— Wir können es gemeinsam nachlesen. — Ich
stimme Ihnen in der Tendenz zu, daß wir uns nicht an
dem, was Schiller mit „Brotgelehrten" umschrieb, orientieren.
— Wir können sie gerne einer gemeinsamen Lesung unterziehen. Sie ist immer noch nachdenkens- und nachlesenswert. — Frau Präsidentin, jetzt haben Sie mir die Zeit für die Zwischenfrage von meiner Redezeit abgezogen. Ich muß deswegen bitten, daß Sie mir die eine Minute noch geben.
Gerade weil wir wissen, daß es jenseits von Oder und Neiße kein deutsches Territorium mehr geben wird, gerade weil wir wissen, daß der polnische Bürger im früheren Küstrin und in Stettin als Pole auf polnischem Territorium lebt — und ich vermute: auch in Zukunft leben wird — und Anspruch auf Selbstbestimmungsrecht auch für seinen Aufenthaltsort hat, müssen wir alles tun, um nicht die deutsche Vergangenheit vergessen zu lassen. Damit wollen wir mit dazu beitragen, daß der Pole, der heute durch Krakow geht, um die historische Bedeutung Krakaus weiß. Wir sollten es ans nicht so leichtmachen, nur zu sagen, daß es früher vielleicht einmal etwas gab. Das war mir zu leicht formuliert, lieber Herr Lippelt.
Wer Königsberg besuchen will und ein Visum für Kaliningrad beantragt, sollte Wert darauf legen, daß Kaliningrad lange als Königsberg große deutsche Geschichte gemacht hat.
Diesem sollten wir gerecht werden. Weil wir nicht verdrängt, nicht vergessen, sondern gerade gewürdigt wissen wollen, was zu unserer gemeinsamen europäischen Geschichte und Kultur gehört, bitte ich Sie um Zustimmung zu der Beschlußempfehlung des Innenausschusses.
Ich erteile dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte bewußt am Beginn meiner Ausführungen sagen: Wir stehen hier vor einer Aufgabe, die das gesamte deutsche Volk angeht. Hier sind wir alle gefordert. Wir legen in der Arbeit unseres Hauses und im Kontakt mit den anderen Ressorts bewußt sehr großen Wert darauf, daß dies auch bei den vielfältigen Initiativen personeller und sachlicher Art deutlich wird.An die Adresse einiger Vorredner möchte ich sagen: Bitte schauen Sie doch noch einmal in die Unterlagen und auf die aktuellen Initiativen. Es ist gerade das Bestreben des neuen Aktionsprogramms, es ist das Bestreben unserer neuen Initiativen, aus der Gegenwart unseres gesellschaftlichen Lebens viele in
Metadaten/Kopzeile:
12490 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidtdie Wahrung dessen, was uns als gemeinsames Kulturgut anvertraut ist, mit einzubeziehen. Es geht eben darum, daß wir die Erfahrungen und Möglichkeiten, die uns über die Verbände der Vertriebenen vermittelt werden, zusammenfügen. Aber es geht auch darum, daß wir auch breiter Grundlage in den Ländern, in den Städten und Gemeinden, über vielfältige andere kulturelle Initiativen gemeinsam das pflegen, was uns hier anvertraut ist.Meine Damen und Herren, ich bin hier sehr zuversichtlich, denn viele Institutionen, die wir zu dem Gesamtbereich der ostdeutschen Kulturpolitik und der ostdeutschen Kulturpflege rechnen dürfen, erfahren ja gerade in diesen Monaten ein wachsendes Interesse.Ich habe vor einigen Tagen eine Zwischenbilanz ziehen können, etwa auch über das Interesse junger Menschen an dem, was in den Museen im Hinblick auf die Pflege des Kulturguts angeboten wird. Ich möchte an dieser Stelle einmal feststellen — ich denke, das kann uns alle freuen — , daß sich gerade junge Menschen erneut historisch gewachsenen Kulturgütern zuwenden. Ich finde es gut, daß sich immer mehr junge Menschen in unserer heutigen Welt, die etwa hier im Westen Deutschlands aufgewachsen sind, diesem Kulturgut zuwenden und es als wichtig für unsere gesamte deutsche Kultur ansehen. Diese wichtige, gute Entwicklung sollten wir begrüßen, meine Damen und Herren.
Das Aktionsprogramm, das wir vorgelegt haben, zieht eine Bilanz. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme zeigt es auf, wo in den nächsten Jahren dringender Handlungsbedarf besteht. Notwendige Förderungsschwerpunkte — das will ich gerne noch einmal sagen — werden danach u. a. der Ausbau ostdeutscher Einrichtungen, vor allem der Landesmuseen, zur Information der gesamten Bevölkerung sein.Herr Kollege Duve, daran sollen alle mitwirken. Es könnte hier fast der Eindruck entstehen, als würden die Stellenpläne nur noch vom Bund der Vertriebenen gestaltet. Das ist eine irrige Annahme. Ich muß als einer der Zuständigen im Hause des Bundesinnenministers sagen: Wir bemühen uns darum — ich selbst bemühe mich ganz bewußt darum, denn nur das dient der Sache —, das auf eine breite Grundlage zu stellen. Wer in die Unterlagen sieht, kann viele neue Ansätze dazu finden.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Duve?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne. Bitte schön, Herr Kollege Duve.
Herr Waffenschmid, ich bin Ihrer Anregung gefolgt und habe in die Unterlagen geguckt. Mir liegen Unterlagen über die Art und Weise des Rausschmisses von Herrn Dr. Jacobs in Lüneburg vor.
— Nein, Sie sind unschuldig. — Ich frage die Bundesregierung, was sie gegen diesen massiven Eingriff in die autonome wissenschaftliche Führung dieses neuen Instituts in Lüneburg durch den Trägerverein, der dann mit der fristlosen Kündigung endete, getan hat. Was hat die Bundesregierung dagegen getan, und was wird sie tun, um so etwas künftig auch institutionell zu vermeiden? Ich weiß, daß es Ihnen sehr peinlich war, aber ich frage Sie dennoch: Was haben Sie getan?
Ich möchte zu Ihrer Frage zweierlei sagen:Wir sollten uns darüber einig sein, daß wir eine personelle Angelegenheit, die Sie hier ansprechen, nicht in allen Einzelheiten zum Gegenstand einer Plenardebatte machen. Ich erkläre mich gerne bereit, mit Ihnen über diese Sache zu sprechen.Weil Sie dieses konkrete Museum angesprochen haben, möchte ich Ihnen hier ganz persönlich gerne sagen: Ich persönlich habe über den Auftrag dieses Museums und die Art und Weise, wie man die Arbeit dort wahrnehmen könnte, sehr intensive Diskussionen geführt. In diesem Zusammenhang habe ich sehr, sehr intensive Gespräche mit Leuten geführt, die mir etwa gesagt haben, aus ihrer Sicht müsse das im Hinblick auf die Akzentsetzung noch ganz anders laufen. Ich habe gesagt: Das darf nicht einseitig werden. Was in diesem Landesmuseum gezeigt wird, muß unser kulturelles Erbe auf einer breiten Grundlage allen in unserem Volke deutlich und akzeptabel machen. Das wird unser aller Bestreben in der künftigen Arbeit sein. Deshalb brauchen Sie da gar keine Besorgnis zu haben. Über die Aufarbeitung dieses einen Vorgangs, den Sie angesprochen haben, können wir gerne miteinander reden,
oder wir können auch im Ausschuß noch einmal darüber reden. Dann lasse ich mir die Unterlagen noch einmal geben. Ich glaube, es wird einer Debatte — das möchte ich hier jetzt auch einmal feststellen — über die gesamte ostdeutsche Kulturpolitik, die so wichtig ist, nicht gerecht, Herr Duve, wenn wir jetzt einen Einzelfall einer personellen Entwicklung zum Symbol jeglicher Pflege und Bewahrung ostdeutschen Kulturguts machen. Das lehne ich allerdings ab. Deshalb sollten wir das hier nicht in den Vordergrund stellen.Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir einmal zu dem Aktionsprogramm, das wir gemeinsam betreiben wollen. Die Sicherung ostdeutschen Kulturguts, welches bereits vielfach durch Ankäufe von privater Seite, auch aus dem Ausland, verlorengegangen ist, muß für die ostdeutschen Museen Vorrang haben. Dies gilt auch für die Schließung von Forschungslükken und die Aufbereitung wissenschaftlicher Arbeiten für die Wissensvermittlung sowie für die Pflege und Vermittlung des ostdeutschen Brauchtums, ostdeutscher Literatur, ostdeutscher Kunst und ostdeutscher Musik. Das im Aktionsprogramm geforderte Wissen um die deutsche Geschichte und Kultur im Osten ist meines Erachtens für die gesamte deutsche Kulturpflege unverzichtbar.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12491
Pari. Staatssekretär Dr. WaffenschmidtAber ich will auch gleich die Akzente im Brückenbau zu unseren Nachbarländern hinzufügen. Dies Wissen gehört nicht nur zur kulturellen und geschichtlichen Bildung unserer Bevölkerung. Es hilft auch, diejenigen deutschen Mitbürger — das sollten wir, glaube ich, gerade auch an einem solchen Tag sagen — besser zu verstehen, die heute in so großer Zahl als Aussiedler aus diesen Gebieten zu uns kommen.Ich finde, ohne umfassende Kenntnisse über den ostdeutschen Anteil an der gesamten deutschen Geschichte und Kultur wird man auch nur schwer einen fruchtbaren und verantwortungsbewußten Dialog mit unseren Nachbarvölkern führen können. Aber ich sage hier ganz nachdrücklich — auch nach vielen Gesprächen, die ich mit Vertretern ostdeutscher Nachbarstaaten geführt habe — : Dieser Dialog ist in dieser Zeit — in der wir ja versuchen, auch neue Formen der Zusammenarbeit zu finden — notwendiger denn je. Das kommt ja hier zum Ausdruck. Wer etwa sieht, wie die Reise des Bundeskanzlers nach Polen vorbereitet wird, wer sieht, was hier alles an Überlegungen hineingebracht wird, auch die Brückenfunktion — die ja angesprochen wurde — wahrzunehmen, der muß doch feststellen, daß bewußt auch neue Akzente gesetzt werden. Es gibt ein völlig falsches Bild — da gebe ich doch Herrn Czaja recht — , wenn hier gesagt wird, daß das eine einzige Restauration von Vergangenem wäre. Ich muß sagen, auf dem bewährten Vergangenen wird ein ganz starker Impuls aufgebaut, der uns heute und morgen helfen kann, im gemeinsamen Haus Europa etwas für die große Friedensordnung zu tun, die wir alle anstreben. Es ist eine Fülle neuer Akzente vorgesehen.Ich möchte an dieser Stelle auch die Medien bitten, sich doch noch mehr diesen Aufgaben zuzuwenden. Dies gilt auch für die staatlichen Bildungseinrichtungen, für die kulturpolitischen Schwerpunkte bis hinein in die Schulpolitik der Länder.Ich finde, daß der Zustrom der deutschen Aussiedler, die jetzt zu uns kommen, uns auch helfen kann, neue Ideen, Initiativen und Aktivitäten zusammenzustellen. Meine Damen und Herren, unser Haus hat bewußt einen neuen Weg beschritten. Wir haben eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der öffentlichen Hand, aber auch der freien Wohlfahrtspflege, der Einrichtungen der Jugend, der Kultur und der Bildungsarbeit und — freilich auch — der Vertriebenenverbände, die hier das ihre einbringen, eingesetzt. Sie sehen doch die Breite der Grundlage. Auf dieser breiten Grundlage möchten wir überlegen, wie wir denn, auch angesichts der Aussiedler, die zu uns kommen, die Pflege des Kulturguts aktivieren können.Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Ich habe mit dem Sozialminister von Nordrhein-Westfalen, Herrn Heinemann, die ostdeutsche Bibliothek in Herne eingeweiht. Hier ist ein Musterbeispiel gefunden, Herr Kollege Duve, wie wir gewachsenes ostdeutsches Kulturgut in eine aktuelle Nutzung und in eine aktuelle Bildungsarbeit für viele Menschen einbringen.Ich finde, das setzt doch Zeichen. Das zeigt, daß wir bewußt über den Tag hinaus denken und versuchen, für die Zukunft zu handeln.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Bitte schön.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir in unserer Auffassung zu , daß es für die kulturelle Arbeit mit den Aussiedlern aus Polen und aus der Sowjetunion um das geht, was Sie eben gesagt haben, daß es aber doch vor allem darum gehen muß, daß ihre neue Heimat kulturell von ihnen wahrgenommen werden kann und daß sie kulturell an dem teilnehmen können, was hier in der Bundesrepublik Deutschland kulturell — auch in der politischen Kultur — los ist; d. h., daß das Sich-Öffnen zu einer Zukunft für die neue Heimat ein ganz wichtiger Aspekt dieser kulturellen Arbeit ist und daß deswegen der Träger solcher kulturellen Arbeit nicht unbedingt der häufig in die Vergangenheit blickende Vertriebenenverband sein kann?
Ich stimme Ihnen darin zu, daß wir diese Arbeit auch mit dem wichtigen Schwerpunkt sehen müssen, die deutschen Landsleute, die zu uns kommen, in das hineinzuführen, was gesellschaftlich bei uns gewachsen ist. Ich will an der Stelle sagen: Ich bin sehr dankbar dafür, daß sich etwa — ich nenne diese Einrichtungen für mehrere — die politischen Stiftungen, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Friedrich-Naumann-Stiftung, der Aufgabe annehmen, Kurse, Seminare durchzuführen, in denen sie z. B. den jungen Aussiedlern, die jetzt zu uns kommen, die gesellschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland vermitteln. Auch die Kirchen und andere Einrichtungen machen so etwas. Das ist zu begrüßen.
— Volkshochschulen und viele andere mehr.
Wenn das auch noch die Landsmannschaften und die Vertriebenen zusätzlich tun, möchte ich an alle appellieren: Wenn wir einerseits diese weite Grundlage wählen — da sollten wir uns gar nicht auseinanderdividieren lassen —, sollten wir doch auf der anderen Seite nicht die Erfahrungen der Vertriebenen und Landsmannschaften ausgrenzen. Vielmehr gehört das mit dazu.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Czaja?
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß zu dem Öffnen des Blicks der Aussiedler auch die Entzerrung eines falschen Bildes der deutschen Geschichte in den letzten Jahrzehnten gehört, die sie daheim als rein faschistoide Geschichte mitbekommen haben,
Metadaten/Kopzeile:
12492 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Dr. Czajadaß dazu auch gehören sollte und müßte das Öffnen des Blicks für die Entwicklung der rechtsstaatlichen, freien Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, wie sie sich in der Nachkriegszeit entwickelt hat, für die Wahrung der Grundrechte und der Menschenrechte für alle Deutschen, auch wenn die Bürokratie das hier und dort ein bißchen minimiert? Aber trotzdem: Müssen wir nicht vor allem dafür den Blick öffnen?
Herr Kollege Czaja, dem stimme ich zu. Ich möchte nachdrücklich unterstreichen: Es ist ein ganz wichtiger Tatbestand, daß die jungen Menschen, die jetzt zu uns kommen und die Sie angesprochen haben, vermehrt sehr stark daran interessiert sind, diese geschichtliche Entwicklung kennenzulernen. Wir sollten dieses Interesse nutzen.
Ein letzter Gedanke: Eine weitere wichtige Ergänzung der ostdeutschen Kulturarbeit ist erforderlich —damit setzen wir einen weiteren Akzent für die Zukunft und bleiben nicht nur beim herkömmlich Gewachsenen — : Die Deutschen, die in ihren Heimatgebieten verblieben sind, bedürfen unserer Hilfe, um ihre Bindungen an die deutsche Kultur zu erhalten und weiterzuentwickeln. Sie müssen in die Lage versetzt werden, ihre Bindungen an die deutsche Kultur in den Dialog mit den Nachbarvölkern im Osten konkret vor Ort einzubringen. Vor Ort wird sich die Verständigung, die wir wollen, bewähren können.
Diese Erweiterungen der ostdeutschen Kulturarbeit können und dürfen jedoch wegen ihres engen sachlichen Zusammenhangs nicht zu Lasten der Aufarbeitung der im Aktionsprogramm aufgezeigten Schwerpunkte bei der Förderung ostdeutscher Kulturarbeit gehen. Sie bedürfen zusätzlicher Anstrengungen, auch zusätzlicher Haushaltsmittel. Aber hier wird deutlich,
Herr Kollege Duve, daß wir neue Akzente setzen, daß wir Neues hinzufügen, daß wir gar nicht nur bei dem Bisherigen bleiben, sondern die große Chance nutzen, auch über den Weg der ostdeutschen Kulturarbeit mit den deutschen Landsleuten, die in ihren Heimatgebieten verblieben sind, eine Brückenfunktion wahrzunehmen und gemeinsam an einer europäischen Friedensordnung zu bauen, die als ein wesentliches Element auch die guten Werte gewachsener deutscher Kulturarbeit durch viele Jahrhunderte hat.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nöbel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns mit ostdeutscher Kulturpolitik befassen, sollten wir, wenn es um Kultur geht und wenn wir uns eigentlich darin einig sind, daß es immer eine deutsche Kultur in unterschiedlichen Landschaften gegeben hat, versuchen, hier auch politische Kultur zu wahren. Die Debatte war sehr interessant.Ich würde ansonsten sagen: Herr Dr. Czaja — wir kennen uns lange genug — , „Dawno uczyte swova wrudzenie domnie snuf". Das heißt — um die Stenographen nicht in Verlegenheit zu bringen — : „Längst verbrauchte Worte kamen zu mir zurück." Das sage ich als einer, der in Bonn geboren ist. Herr Dr. Czaja hat das verstanden. Er weiß auch, wie es gemeint ist. Ich sage das ohne jede Arroganz. Denn Dr. Czaja ist am 5. November 1914 — ich müßte es jetzt im Kürschner nachsehen — in Teschen geboren, und ich bin 22 Jahre später am gleichen Tag in Bonn geboren. Wir haben sehr viel gemeinsam gemacht; ich will das hier nicht verschweigen. Wir haben damals in der sozialliberalen Koalition sehr viel getan, um die ostdeutsche Kulturarbeit zu fördern. Mein Wort gilt: Es bleibt dabei.Ich will aber eines festhalten: Wenn ich das jetzt so sage, müssen wir hier auch dafür sorgen, daß das politische Kultur ist und bleibt. Wenn es uns nicht gelingt, in Kulturfragen bei verschiedenen Akzentuierungen — diese sind klar — , ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit zu bewahren, dann können wir einpacken.
Deshalb greife ich den Vorschlag des Kollegen Duve und meiner Fraktion auf: Laßt uns diese Anhörung gründlich vorbereiten, und laßt uns versuchen, was wir gemeinsam erreichen können!Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Es ist natürlich sehr schnell verdächtig, wenn man sagt, es gibt deutsche Kultur, und wir wollen das integrieren. Da sind wir alle im Systematischen einer Meinung. Da gibt es jetzt plötzlich eine Entwicklung, die die Regierung zu meiner Zeit nicht geschafft hat, Herr Kollege Waffenschmidt. Das Ganze ist seit 1982 um das Fünffache eskaliert.
Dann haben wir Akzente gesetzt. Dabei geht es um Soziokultur und andere Fälle. Da besteht ein Riesenbedarf in dieser Bundesrepublik. Es sind 7 Millionen Leute. Trotzdem werden 93 % von dem, was eigentlich getan werden könnte, nicht erfüllt.
Ich will das jetzt nicht vertiefen; ich will nur ein Angebot machen. Wir sollten insbesondere in diesen Fragen fair miteinander umgehen und sollten versuchen, gemeinsam einen Beitrag dazu zu leisten, daß dieses Problem gegenseitiger Vorwürfe oder die Außerungen von Verbänden auf der einen oder auf der anderen Seite oder wie auch immer, oder die Frage, wer denn nun kompetent ist und ob es nicht alle sind — ich glaube, das Letzte stimmt; wir sind es alle — beseitigt werden und daß wir versuchen, ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit in der politischen Kultur und in der Förderung von Kulturarbeit zu bewahren.Ich sehe auch eine große Chance. Es wäre jedoch schlimm, wenn sich ein Eindruck verbreiten würde, daß das Ganze in irgendwelche Verbandsegoismen oder sogar auf eine parteipolitische Schiene abdriften würde.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12493
Dr. NöbelWir brauchen, um dieses Erbe langfristig zu bewahren, einen breiten Konsens.Mehr wollte ich nicht sagen. Ich habe meine Zeit nicht ausgenutzt. Ich glaube, auch das ist ein Beitrag zur Kultur. Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/5082. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 130 zu Petitionen — Drucksache 11/5189 —
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5306 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 30 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich stelle fest, dies ist so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschen in der ehemaligen Kreisstadt Büdingen und den umliegenden Gemeinden sind enttäuscht und empört über die Art und Weise, wie hier im Deutschen Bundestag ihre Petition erledigt werden soll. Mehr als 2 600 besorgte und betroffene Bürgerinnen und Bürger hatten ihre ganze Hoffnung in den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages gesetzt und am 1. September 1987 eine Petition an uns gerichtet. Herr Karl Mörschel, der Vorsitzende der Bürgerinitiative, schrieb damals u. a.:... mit dieser Petition bitte ich Sie im Namen der Büdinger Bürgerinitiative „Keine Militärhubschrauber in Büdingen!" , mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln darauf hinzuwirken, daß von den Plänen Abstand genommen wird, in Büdingen den seit einigen Jahren vorübergehend „stillgelegten" US-Heliport auszubauen und dort 21 Militärhubschrauber zu stationieren.Die bereits vorhandene Belastung des Büdinger Raumes durch eine Vielzahl militärischer Einrichtungen, wie Kaserne, Standortübungsplatz, Panzerverladerampe und Munitionsdepot, in dem vermutlich chemische Kampfstoffe gelagert werden, durch häufige Übungen und Manöver sowie durch Tiefflüge von Düsenjägern vor allem im Bereich der östlichen Stadtteile, würde durch die Verwirklichung der Pläne für die Einwohner Büdingens ins Unerträgliche gesteigert.Auf Grund des schwierigen Sachverhaltes, meine Damen und Herren, hat der Petitionsausschuß am 3. Februar eine Ortsbesichtigung beschlossen, aber erst am 7. Oktober durchgeführt. Ich will jetzt nichtkritisieren und darlegen, warum es zu dieser Verzögerung kam; es waren Terminschwierigkeiten.Bei diesem Ortstermin haben Vertreter der US-Streitkräfte ihre Ausbaupläne erläutert, und auch die Bürgerinitiative hatte die Möglichkeit, ihre Bedenken vorzutragen. Bei dem Ortstermin haben uns die Amerikaner aber verschwiegen, daß sie, ohne die Ausbaumaßnahmen abzuwarten, die 21 Hubschrauber stationieren werden, und zwar noch in diesem Oktober, wo wir in Büdingen waren. Sie haben es vorgezogen, die Presse darüber zu informieren und haben damit praktisch die Petition unterlaufen.In der gebotenen Kürze kann ich hier überhaupt nicht alle Facetten vortragen, wie es dazu kam, daß aus dem Büdinger Bereich und aus der hessischen Staatskanzlei diese Petition unterlaufen wurde. Ich bin Ihnen, Herr Dr. Pfennig, als unserem Ausschußvorsitzenden dafür dankbar, daß Sie damals erreicht hatten, daß die Baumaßnahmen gestoppt wurden, weil es keinen Sinn macht, erst über eine Petition zu verhandeln, wenn die Baumaßnahmen schon längst in Gang gesetzt sind.
Als die Petition abgegeben wurde, um eine Stellungnahme des Unterausschusses des Verteidigungsausschusses einzuholen, kam auf einmal im Sommer Leben in die ganze Geschichte, indem der Büdinger Bürgermeister Bauner ohne Mehrheit im Parlament an den Verteidigungsminister, an den Ausschußvorsitzenden einen Brief mit der Aufforderung schreibt, nun doch endlich die bürokratischen Hemmnisse beiseite zu lassen und die Baumaßnahmen dort durchzuführen. Obwohl die Büdinger Bürgerinnen und Bürger nach wie vor ganz nachhaltig gegen diese Maßnahmen sind, hat der Bürgermeister an seinen ihm anempfohlenen Bürgerinnen und Bürgern vorbei die Sache jetzt ins Laufen gebracht. Morgen abend wird die Stadtverordnetenversammlung in Büdingen auf Grund der dortigen Mehrheiten einen Beschluß fassen, den ich Ihnen vortragen darf:Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Büdingen lehnt die Stationierung von Miliärhubschraubern in Büdingen, die Erweiterung und den Ausbau des Hubschrauberplatzes nach wie vor ab. Der Stadtverordnetenvorsteher wird beauftragt, sämtliche Beschlüsse, die die Stadtverordnetenversammlung diesbezüglich gefaßt hat, an die hessische Staatskanzlei, das Verteidigungsministerium, den Verteidigungsausschuß, den Finanzausschuß des Deutschen Bundestages sowie an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages zu senden. Die Stadtverordnetenversammlung mißbilligt die Aktivitäten des Bürgermeisters in den letzten Monaten bezüglich des Hubschrauberlandeplatzes. Er hat damit gegen die Beschlüsse der städtischen Gremien gehandelt.Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf, unserem Änderungsantrag zu folgen und zu beschließen, daß diese Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen wird. Tragen Sie nicht mit dazu bei, daß das Unrechtshandeln in der Region Bü-
Metadaten/Kopzeile:
12494 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Reuterdingen auch noch durch einen Beschluß des Deutschen Bundestages sanktioniert wird!
Sie müssen die Sorgen der Menschen dort ernst nehmen.Ich hatte erst am vergangenen Sonntag Gelegenheit, mit betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen. Da sind Eltern, die mir sagen, daß ihre Kinder aus Angst unter den Tisch kriechen, wenn die Hubschrauber in geringer Höhe über die Häuser fliegen.Wir dürfen nicht zulassen, daß eine Seilschaft, bestehend aus Herrn Gauland, dem Chef der Staatskanzlei in Hessen, Herrn Bauner, und Herrn Staatssekretär Wimmer, dabei ist, auch das Petitionsrecht zu unterlaufen.Ich bin immer noch der Meinung, daß hier ein verfassungsgemäß garantiertes Recht ausgeschöpft werden sollte und daß wir die Sorgen der Büdinger Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen sollten. Bitte stimmen Sie meinem Vorschlag zu.Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen. Herr Kollege Reuter, es gibt hier keine Seilschaften, sondern Abgeordnete, Kommunalpolitiker, die sich sehr ernsthaft bemühen, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Das gilt auch für den Petitionsausschuß und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Wir nehmen die Belastungen der Anwohner militärischer Einrichtungen sehr ernst. Das wird auch an dem vorliegenden Fall deutlich.
— Ich kann ihn nicht so oft wiederholen, daß auch Sie ihn verstehen, Frau Kollegin.
Wir haben in diesem Bereich durch die Vornahme eines Ortstermins und auch durch die Einholung der Stellungnahmen, auch durch die Diskussionen in Büdingen deutlich gemacht, daß wir uns nach allen Seiten hin unterrichten und daß wir durchaus abwägen.
Auch wir sind der Auffassung, daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, um die durch den militärischen Flugbetrieb bedingten Belastungen zum Schutz der Bevölkerung auf ein Mindestmaß zu beschränken. Allerdings — das sage ich mit gleicher Deutlichkeit; und das habe ich auch damals bei dem Gespräch mit der Bürgerinitiative gesagt — ist es für die militärische Sicherheit unabdingbar, Streitkräfte zu unterhalten und diesen auch durch Übungen ihre Verteidigungsfähigkeit zu belassen.
Die Union ist deshalb der Auffassung, daß aus verteidigungspolitischen Gründen gewisse, mit militärischen Einrichtungen einhergehende Belästigungen
von der Bevölkerung hingenommen werden müssen. Die Petition mit dem Inhalt, keinerlei Militärhubschrauber in Büdingen zu stationieren, kann deshalb an die Bundesregierung nicht zur Berücksichtigung überwiesen werden.
Es muß dabei im übrigen darauf hingewiesen werden, daß dort schon seit 1946 Hubschrauber stationiert waren, daß sie nur für eine gewisse Zeit mit der Begründung, die dortige Anlage zu modernisieren, abgezogen worden sind und daß jedem klar war, daß die Amerikaner auf ihr Nutzungsrecht dort nicht verzichten werden. Im übrigen steht dieser Platz den US-Streitkräften zur Nutzung nach den völkerrechtlichen Vereinbarungen zu.
Es ist auch der Hinweis notwendig, Herr Kollege, daß sich z. B. Wohngebiete im nordöstlichen Bereich des Hubschrauberplatzes trotz Kenntnis der militärischen Einrichtungen gebildet haben, obwohl in dem damaligen Offenlegungsverfahren zum Bebauungsplan deutlich gemacht wurde, daß hier mit Beeinträchtigungen zu rechnen ist.
Wir sind der Auffassung, daß es sinnvoll ist, die Petition als Material an die zuständigen Bundesminister zu überweisen. Natürlich muß dabei sichergestellt werden, daß die amerikanischen Streitkräfte — das haben sie auch zugesichert — den Flugbetrieb auf das unbedingt notwendige Maß beschränken.
Ich weise in diesem Zusammenhang außerdem darauf hin, daß die US-Streitkräfte bereit sind, auch die Anflugschneisen — dies ist debattiert worden — unter den Gesichtspunkten der Lärmvermeidung und der Bürgerinteressen auszuwählen.
Außerdem ist wichtig — jetzt komme ich auf den Entscheidenden Gesichtspunkt — , daß bei den Baumaßnahmen der deutsche Standard im Umwelt- und Abwasserbereich beachtet wird. Durch die Planung der Baumaßnahmen seitens der deutschen Bauverwaltung muß sichergestellt werden, daß die angesprochenen Kriterien volle Beachtung finden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es nicht auf meine nur sehr knappe Zeit angerechnet wird.
Das geht auf unsere Rechnung.
Herr Kollege Jung, was erwarten Sie denn, was die Bundesregierung machen wird, wenn Sie jetzt die Petition als Material überweisen, wenn in Büdingen die Infrastruktur dafür geschaffen wird, nicht nur 21 Hubschrauber, sondern möglicherweise noch viel mehr aufnehmen zu können?
Sie wissen aus den bisherigen Diskussionen, daß die Zahl der Hubschrauber, die dort stationiert werden sollen, jetzt geringer ist als früher. Jetzt ist nämlich die Rede von 21, während es früher deutlich mehr waren. Außerdem werden Panzer, die dort derzeit stationiert sind, abgezo-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12495
Jung
gen, so daß sich unter dem Stich, auch durch die Verbesserung des Platzes selbst, keine zusätzlichen Belastungen der Bevölkerung mehr ergeben, sondern diese eher abgebaut werden.Das ist genau der Punkt, den der Bürgermeister in seinem pflichtgemäßen Handeln gesehen hat. Er wies nämlich darauf hin — auch das haben Sie bei Ihrer Darstellung unterlassen zu erwähnen — , daß die Stadt ein verwaltungsgerichtliches Eilverfahren mit dem Ziel angestrengt hatte, den Flugbetrieb dort zu untersagen, und daß durch eine Zwischenverfügung des zuständigen Verwaltungsgerichts deutlich wurde, daß es dafür keine Chance gibt. Der Bürgermeister sagte dann: Aus meiner Verantwortung gegenüber meiner Stadt und aus meiner Sicht muß ich den Schaden begrenzen und dafür sorgen, daß der Platz besser hergerichtet wird. — Sie hätten aus dem Brief des Bürgermeisters zitieren sollen, weshalb er gesagt hat, daß hier bald eine Entscheidung kommen soll. Er sagte:Es gibt keine geordnete Oberflächenentwässerung, keine Ölabscheider. Auch kleinere Einstellungs- und Wartungsarbeiten und die damit verbundenen Probeläufe der Motoren müssen im Freien stattfinden. Dadurch entsteht sehr viel vermeidbarer Lärm.Der entscheidende Gesichtspunkt, den Sie auch nicht erwähnt haben, ist, daß die Maßnahmen bei den Amerikanern bereits finanziell abgesichert waren, daß aber diese Mittel mehrfach in neue Haushaltsjahre übertragen worden sind und daß jetzt die Frist abläuft, innerhalb der die Mittel noch in Anspruch genommen werden können. Der Bürgermeister, den Sie hier so attackieren und der sich nicht wehren kann, hat dies aus Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern seiner Stadt getan.
Dies sollten wir ebenfalls tun. Deswegen sollten wir bei der Mehrheitsentscheidung des Petitionsausschusses bleiben.Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Garbe.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Hubschrauberknattern trifft ins Mark. Anders als bei Brahmsschen Symphonien wird der Krach von hörenden Geistern als störend empfunden. Daß sich eine Bürgerinitiative in der Gemeinde Büdingen die Ruhe nicht nehmen lassen will und daß schließlich die ganze Gemeinde rebellisch wurde, ist nur zu verständlich, und es sind keine rot-grünen Sommergäste, wie Herr Minister Stoltenberg heute behauptet hat, die sich dagegen wehren. Schließlich handelt es sich um ein Erholungsgebiet und um eine Talkessellage. Hubschraubergetöse stört dort in ganz besonderer Weise. Da hilft auch nicht das notwendig einzuhaltende Maß, wie Kollege Jung hier gesagt hat.
Seit 1982 wurde der Flugplatz von der US-Armee zum Glück nicht mehr genutzt. Jetzt sollen — wie es heißt, bereits bis Ende Okober — wieder Hubschrauber stationiert werden, ausgerüstet mit Nachtsichtgeräten. Die Horrorvision der Petenten: nachts startende und landende Hubschrauber im mittelalterlichen Städtchen Büdingen.
Meine Herren und Damen, der Petitionsausschuß war vor Ort — Kollege Reuter wies darauf hin — und hat darauf gedrungen, daß bis zum Abschluß des Petitionsverfahrens keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden. Eine gerichtliche Auseinandersetzung über ein luftverkehrsrechtliches Genehmigungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Obwohl dies dem Bundesminister der Verteidigung bekannt war, hat er mit einem Schreiben vom 2. August 1989 mitgeteilt, daß er beabsichtigt, „dem Bauvorhaben nunmehr Fortgang zu geben".
Meine Herren und Damen, wenn der Bundesminister der Verteidigung diese Entscheidung sofort vollzieht, wäre dies ein Vorgriff auf die abschließende Entscheidung des Petitionsausschusses, denn der beschloß am 19. April 1989, die Beratung der Petition auszusetzen, um der Stadt Büdingen Gelegenheit zu geben, ein luftverkehrsrechtliches Genehmigungsverfahren durchzuführen. Ist das geschehen? Nein. Aber gegen den Willen der Magistratsmehrheit in Büdingen — Sie haben das schon gesagt — hat der Bürgermeister auf Aufhebung des Baustopps votiert. Dem hat sich der Chef der hessischen Staatskanzlei wohlwollend angeschlossen. Warum diese Eile? Was steckt dahinter? Das ist die Frage.
Wir GRÜNEN fordern, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Die Bundesregierung hätte dann die Aufgabe, unsere lärmenden amerikanischen Freunde von ihrem ruhestörenden Reaktivierungsvorhaben möglichst abzubringen.
Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, in einer Zeit, wo ganze Waffensysteme im Sinne des Völkerfriedens verschrottet werden, wollen wir die Hoffnung nicht aufgeben, daß auch militärische Flugplätze eingemottet werden und im Falle Büdingens eingemottet bleiben könnten.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Jung hat schon ausführlich dargelegt, warum sich die Mehrheit des Petitionsausschusses so und nicht anders entschieden hat. Ich glaube, daß dem nur wenig hinzuzufügen ist.Wenn sich der , Petitionsausschuß mit einem Vorgang von solcher Tragweite beschäftigt, dann hat er natürlich auch den Bürgermeister der Stadt zu hören; dies ist geschehen. Ursprünglich war der Bürgermeister der Auffassung, daß der Petition stattzugeben ist. Er hat später sehr intensiv darum gebeten, den Baustopp aufzugeben. Der Petitionsausschuß richtet sich natürlich danach, wer für die Stadt Büdingen rechtsverbindliche Erklärungen abgeben kann, und das ist
Metadaten/Kopzeile:
12496 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Funkenun einmal in erster Linie der Bürgermeister, nicht der Rat der Stadt oder andere Gremien.
Wir als Petitionsausschuß jedenfalls müssen rechtsverbindliche Erklärungen des Bürgermeisters als richtig ansehen.
Auch der Sache nach hat sich der Petitionsausschuß in sehr langen Beratungen und auf Grund einer Ortsbesichtigung davon überzeugt, daß die Errichtung eines Hubschrauberlandeplatzes an dem vorgesehenen Ort zumutbar ist. Natürlich ist es einfach, dem Sankt-Florians-Prinzip nachzugeben und den lieben Gott zu bitten, das Haus des Nachbarn anzuzünden und nicht das eigene.
Der Bundesminister der Verteidigung hat in Übereinstimmung mit der hessischen Landesregierung — mit der Staatskanzlei —
überzeugend darlegen können, daß dieser Hubschrauberlandeplatz zur Landesverteidigung notwendig ist. Und, Herr Kollege Reuter: Es ist für eine Gemeinde, die unter Militärbelastungen und Lärmbelästigungen so stark zu leiden hat, sicherlich hart, aber in einem bestimmten Umfang müssen wir in der Bundesrepublik Deutschland diese Belastungen hinnehmen.
— Das habe ich nicht gesagt! Ich habe nicht „ohne Rücksicht auf Verluste" gesagt.Hinzu kommt — darauf hat Kollege Jung hier auch hingewiesen — , daß eine entsprechende Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Darmstadt vorliegt und wir im Petitionsverfahren natürlich auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten vorgehen müssen. Unter diesen Umständen sehen wir keinen Anlaß, vom mehrheitlichen Votum des Petitionsausschusses abzuweichen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5306. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. -- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Dann ist dieser Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/5189 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Damit ist diese Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 131 zu Petitionen — Drucksache 11/5190 —
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5294 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag von fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich stelle fest, so ist es.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weiss .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der vorliegenden Petition geht es darum, daß dem Petenten nicht einsichtig ist, warum die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und andere das Privileg genießen, bei der Bahn umsonst zu fahren. Dabei geht es aber nicht darum, daß dieses Recht bestritten wird, sondern vor allem darum, daß die Bahn überhaupt keinen finanziellen Ausgleich dafür erhält, daß sie Leistungen für die Mitglieder des Deutschen Bundestages, des Bundesrates, des Bundesverfassungsgerichts, für die bundesdeutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments und — was zwar hier im Deutschen Bundestag nicht zur Debatte steht, aber mit bedacht werden sollte — für die Mitglieder der Landtage erbringt.
Es ist eigentlich unverständlich, daß ein Verkehrsträger, die Eisenbahn, anders behandelt wird als z. B. der Flugverkehr. Die Luftverkehrsgesellschaften erhalten selbstverständlich einen finanziellen Ausgleich für die Leistungen, die sie in Form von Flügen erbringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach EG-Recht sind diese Leistungen als sogenannte Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes anzusehen, die der Deutschen Bundesbahn aus Gründen der Wettbewerbsharmonisierung abzugelten sind. Auch § 5 des Bundesbahngesetzes legt fest, daß Leistungen der Deutschen Bundesbahn für den Bund abzugelten sind.So die Stellungnahme des Verkehrsministeriums!Ich weiß, daß eine andere Stellungnahme des Finanzministeriums vorliegt, die besagt: Es gibt eine gesetzliche Verpflichtung, also haben die zu zahlen. Nur denke ich: Der Wortlaut des § 5 des Bundesbahngesetzes ist eindeutig: Leistungen, die die Bahn „für den Bund" erbringt, sind finanziell abzugelten.Es handelt sich in jedem Fall um Leistungen, die die Bahn für den Bund erbringt. Ob diese Leistungen auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung oder auf Grund eines Vertrages erbracht werden, ist dabei völlig egal. Der Wortlaut des Gesetzes ist somit ein-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12497
Weiss
deutig. Es ist eigentlich verwunderlich, daß der Deutsche Bundestag schon seit Jahren gegen dieses Gesetz verstößt, indem er der Bahn einen Ausgleich dafür verweigert.Im übrigen ist auch festzustellen, daß der Bund eine merkwürdige Einstellung zu dem Bundesunternehmen Bahn hat. Stellen Sie sich einmal vor, der Bundestag würde ein Gesetz machen und beschließen, daß irgendein Papierhersteller das Schreib- oder Büromaterial für die Abgeordneten umsonst zu liefern hätte. Selbstverständlich würde das so verpflichtete Unternehmen bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen und recht bekommen. Nur bei der Bahn schaut es offensichtlich anders aus.Wenn bei uns im Land irgendeine Gesellschaft oder irgendeine Gruppe beschließen würde, daß sie offensichtlich das Recht hat, die Bahn umsonst zu benutzen, und dementsprechend nichts zahlte, würde man das gemeinhin als Schwarzfahren bezeichnen. Was ist eigentlich der Unterschied in der Bewertung, wenn dies der Deutsche Bundestag tut? Er versucht sozusagen, ein Gesetz zu machen, er versucht, die Bahn zu verpflichten, diese Leistungen umsonst zu erbringen, und dann bezahlt er nicht dafür. In diesem Sinne macht sich der Bundestag damit zur größten bundesdeutschen Vereinigung von Schwarzfahrerinnen und Schwarzfahrern bei der Bundesbahn.
— So ist es doch!
Aber darauf kommt es nicht so sehr an. Es ist ein typisches Zeichen dafür, wie das Unternehmen Bundesbahn gepflegt wird, wenn der Bundestag so mit ihm umgeht, daß er ihm die notwendigen Ausgleichszahlungen für die von der Bahn erbrachten Leistungen verweigert. Ich denke, daß es schon ein politisches Signal ist, wenn es hier weiterhin abgelehnt wird, der Bahn für nachweisbar erbrachte Leistungen einen finanziellen Ausgleich zukommen zu lassen.Deshalb können wir die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, der die Petition nur den Fraktionen zur Kenntnis geben will, nicht mittragen. Wir verlangen, daß bei künftigen Haushaltsberatungen, bei künftigen Haushaltsentwürfen, bei Entwürfen zur mittelfristigen Finanzplanung die finanziellen Mittel eingeplant werden, die notwendig sind, um einen entsprechenden Ausgleich zu gewähren. Deshalb möchten wir, daß die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen wird, damit diese Planungen entsprechend erfolgen können.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haungs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag des Herrn Kollegen Weiss hat mir ausgesprochen Spaß gemacht; denn er sieht die Bundesbahn endlich genauso, wie wir sie sehen: als ein Unternehmen, das im Wettbewerb steht, das Verkehrsleistungen erbringt, das genauso behandelt werden will wie die Lufthansa oder andere Verkehrsunternehmen. Insofern ist die Petition, die Sie inhaltlich dargestellt haben, voll berechtigt.Das Bundesbahngesetz muß geändert werden.
Der Haushaltsausschuß muß die notwendigen Mittel bereitstellen. Es ist keine gute Sache, daß man der Bundesbahn Leistungen auferlegt, die sie nicht bezahlt bekommt. Ich hoffe, daß Sie, sehr geehrter Herr Kollege, und Ihre Freunde bei allen anderen Forderungen die Dinge bei der Bundesbahn ähnlich sehen und daß es dann nicht heißen wird: Die Bundesbahn muß dieses tun, sie muß jenes tun; sie ist ja ein Verkehrsunternehmen im Besitz des Staates und muß der Allgemeinheit Leistungen erbringen, ohne daß man fragt, wofür bezahlt wird.Insofern ist der ökonomische Realitätssinn dieser Petition ausgesprochen zu begrüßen. Es geht jetzt nur darum, ob der Ausschuß sie mit Mehrheit richtig beschieden hat oder nicht. Ich bin der Meinung, das, was wir getan haben, nämlich das Anliegen des Petenten, das ich unterstütze, den Fraktionen zur Kenntnis zu geben, ist richtig;
denn es ist nicht Aufgabe des Petitionsausschusses, Gesetzentwürfe einzubringen. Das ist Aufgabe der Fraktionen oder der Regierung.
— Herr Weiss, so viel gescheitert sind auch Sie nicht. Sie haben in den fünf Minuten ja den Sachverhalt vorgetragen, daß das Verkehrsministerium die Sache so sieht, daß es das Finanzministerium etwas anders sieht, wobei ich Ihnen ja recht gebe:
Die Argumente des Finanzministers sind etwas schwach. Er begründet es nur mit der Tradition. Er sagt, traditionellerweise werde dies so getan.
— Wir schließen uns den Argumenten des Finanzministers ja auch nicht an.Die Bundesbahn kann von der Tradition nicht leben, sondern muß am Markt Verkehrserträge erbringen. Wenn Bundestags- oder Landtagsabgeordnete oder Verfassungsrichter fahren, dann müssen die entsprechenden Titel in den Haushalten eingestellt werden, damit dies der Bundesbahn honoriert wird. Dies ist ja auch richtig.Damit hier Klarheit geschaffen wird, müßte man beispielsweise im § 47 des Bundesbahngesetzes nach c) einfügen:
Metadaten/Kopzeile:
12498 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
HaungsDie Leistungen der Deutschen Bundesbahn sind von den genannten Gebietskörperschaften, für die Mitglieder des Europäischen Parlamentes vom Bund abzugelten.Das ist eine Ergänzung des Bundesbahngesetzes.
— Gut, Sie sind anderer Meinung. Sie ist meiner Meinung nach notwendig.Deshalb haben wir diese Petition den Fraktionen zur Kenntnis gegeben, damit dann über die Initiativen die Gesetzesänderungen kommen, sei es über das Rechtsbereinigungsgesetz, sei es über ein anderes Gesetz. Es ist nicht Aufgabe des Petitionsausschusses, die Wege genau aufzuzeigen.
Ich bin also der Meinung, die Petition ist vom Inhalt her berechtigt, und sie so, wie der Ausschuß mehrheitlich entschieden hat, zur Kenntnis zu nehmen, ist auch richtig. Ich hoffe, daß in allen weiteren Diskussionen über ökonomische Erträge der Bundesbahn die GRÜNEN genauso an der Seite der Koalition stehen.
nämlich daß alle vier Fraktionen der Meinung gewesen sind, daß — dem wurde nicht widersprochen, als ich das im Ausschuß gesagt habe — die Frage des Ausgleichs mit der Zielsetzung aufgegriffen werden soll, daß die Bundesbahn diesen Ausgleich in Zukunft bekommt.
Wenn das richtig ist, dann ist zu fragen: Was ist damit beabsichtigt? Ich habe Verständnis, wenn der Kollege Weiss die Petition dazu benutzt, seine Auffassung kundzutun, daß sich die Bundesregierung gegenüber der Bundesbahn nicht immer verkehrspolitisch und finanzpolitisch verantwortlich verhält. Das sehen auch wir in der SPD-Fraktion so. Aber die Petition hier gibt das meines Erachtens nicht her; denn in
dieser Frage muß der unterschiedlichen Rechtsauslegung entweder auf dem Wege der Rechtsfindung über die Gerichte abgeholfen werden, oder die Fraktionen des Deutschen Bundestages könnten mit einer klarstellenden Novelle des Bundesbahngesetzes Abhilfe schaffen. Dafür haben wir in den Grundsätzen des Petitionsausschusses das Votum vorgesehen, die Petition den Fraktionen zur Kenntnis zu geben, weil sie als Anregung für eine parlamentarische Initiative geeignet erscheint. Das soll dieses Votum auch zum Ausdruck bringen. Und es gibt zu dieser Petition auch eine Begründung, aus der deutlich wird, daß alle vier Fraktionen zu einer Lösung kommen wollen. Wir wollen, daß im Haushaltsplan 1990 tatsächlich die Mittel in irgendeiner Form ausgewiesen werden, die der Bundesbahn zustehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Herr Weiss.
Herr Kollege, wenn es konträre Rechtsauffassungen zweier Bundesministerien gibt, halten Sie es dann nicht für angebracht, daß sich der Bundestag als Gesetzgeber — im Plenum oder im Petitionsausschuß — entscheidet, welcher Rechtsauffassung er nun zustimmt?
Da gebe ich Ihnen völlig recht. Es war der Inhalt meiner Ausführungen in den letzten zwei Minuten, daß wir darüber Einigkeit haben, daß wir gemeinsam eine Rechtsgrundlage schaffen oder bestätigen wollen,
die dazu führt, daß die Bundesbahn das ihr zustehende Geld bekommt.
Wenn Sie diese Petition politisch als Vehikel benutzen, über die Verkehrspolitik zu diskutieren, liegt das für mich an der Grenze zur Überdehnung des § 112 der Geschäftsordnung. Vielmehr gilt es das, was mit unserem Votum erreicht werden soll, auch in die Wege zu leiten, um zu einer Gesetzesklarstellung, möglicherweise zu einer Gesetzesänderung, zu kommen. Dazu müssen sich die Fraktionen ja äußern.
Im übrigen ist es mir im Bundestag noch nie passiert, daß ich, wenn ich das Wort für fünf Minuten hatte, schon nach vier Minuten fertig war.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke dem Kollegen Peter sehr dafür, daß er in seiner ruhigen und sachlichen Art das Problem wieder auf den Kern zurückgeführt hat. In der Tat müssen wir sehen, wie das Votum des Petitionsausschusses lautet. Diese Petition soll den Fraktionen zur Kenntnis gegeben werden. Das heißt, wir als Gesetzgebungsorgan sind, wenn wir einen Tatbestand vor-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12499
Funkefinden, der zumindest rechtsunklar ist, aufgerufen zu regeln. Dazu haben die GRÜNEN, dazu hat die SPD und dazu haben die Koalitionsfraktionen sicherlich hinreichend Möglichkeiten.Ob nun der Weg über das Rechtsbereinigungsgesetz richtig wäre, wage ich zu bezweifeln. Wenn Sie mal hineinsehen, Herr Kollege Weiss — Herr Kollege Haungs, Sie haben hineinguckt; das weiß ich aus einem anderen Vorgang heraus — , werden Sie feststellen, daß es ein so großer „Oschi" ist, daß es wenig zweckmäßig erscheint, auch noch diese Frage ohne richtige parlamentarische Beratung zu regeln.Schließlich ist es auch so, daß dieses Recht ja nicht erst seit 1949, seitdem der Bundestag zusammengetreten ist, besteht. Schon im Reichstag gab es entsprechende Regelungen. Ich meine, daß das Bundesverkehrsministerium mit seiner Auffassung nicht recht hat. Es spricht auch zu Unrecht vom „öffentlichen Dienst". Wir sind Gott sei Dank noch nicht der öffentliche Dienst, und ich möchte auch nicht, daß das Parlament mit dem öffentlichen Dienst gleichgestellt wird.
Ich glaube, wir müssen uns auch genau überlegen, wie die Abgeltung für die Deutsche Bundesbahn aussehen soll. Nehmen Sie einmal mich als Beispiel. Ich nehme die Rechte aus dieser Freifahrkarte überhaupt nicht in Anspruch, allenfalls einmal für eine S-BahnFahrt von der Innenstadt Hamburgs bis Altona, aber nicht mehr.
Aber auch da darf der Bundesbahn natürlich nicht mehr abgegeben werden, als ihr eigentlich zusteht.Hinzu kommt, daß wir hier reden, als ob es sich bei der Bundesbahn um ein sehr gutes, florierendes Unternehmen handelte. Das ist ja nicht der Fall.
Es ist im Grunde genommen: rechte Tasche — linke Tasche, nichts anderes. Sie reiten hier eine Sache zu Tode, ohne daß sich das für den Bundesverkehrsminister oder für den Bundesfinanzminister finanziell in irgendeiner Weise positiv auswirken wird. Ich gebe Ihnen allerdings zu, daß hier der Grundsatz der Klarheit und Wahrheit der Bundeshaushaltsordnung nicht eingehalten ist. Deswegen werden wir bereit sein, mit Ihnen einem Gesetz zuzustimmen, um hier Rechtsklarheit zu schaffen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 11/5294. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/5190 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei vier Enthaltungen ist diese Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses angenommen.
Ich rufe den Punkt 16 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Lebensmittelstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts sowie des Fleischhygienerechts
— Drucksache 11/4309 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Rechtsausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Vieh- und Fleischgesetzes
— Drucksache 11/4727 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 11/5287 —
Berichterstatter: Abgeordneter Michels
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser beiden Punkte 30 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es wird so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kossendey.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen, die uns jetzt verlassen, gehen wahrscheinlich zum wohlverdienten Abendessen. Wir alle essen und trinken gern und gut und manchmal etwas zuviel. Das Zuviel liegt in unserer eigenen Verantwortung. Die Güte des Essens hingegen wird vom Staat überwacht.
Für die Gesetze, die dafür maßgeblich sind, sind wir hier verantwortlich.Zunehmend wird in der Öffentlichkeit darauf geachtet, daß all das, was auf den Tisch kommt, mehr als bisher überprüft wird, daß es nach all den möglichen Verfahren, die wir haben, so sauber und gesund ist, daß niemand von uns ein Risiko läuft. Die Praxis der
Metadaten/Kopzeile:
12500 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
KossendeyVergangenheit hat allerdings gezeigt, daß bei diesen Bestimmungen Verbesserungen notwendig sind, daß wir mehr als bisher tun müssen, um den vorbeugenden Schutz bei der Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften zu gewährleisten.Wir begrüßen daher die Initiative des Bundesrates, weil z. B. durch eine Änderung der Strafvorschriften sichergestellt wird, daß Verstöße gegen die geltenden Vorschriften in diesem Bereich schärfer als bisher geahndet werden können. Damit wird auch den Interessen der Verbraucher nachhaltig Rechnung getragen.Gerade im Hinblick auf die uns noch gut vor Augen stehenden Hormonskandale ist es unumgänglich, Ängsten in der Bevölkerung vor nicht einwandfreien Fleischprodukten Rechnung zu tragen. Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang auch die Entschließung des Bundesrates, durch Änderung lebensmittelrechtlicher Vorschriften die Möglichkeit einer späteren mißbräuchlichen Umwidmung von Lebensmitteln und deren Export zu verhindern. Die hier bestehende gesetzliche Lücke ist in der Tat zu schließen. Wir haben die Bundesregierung aufzufordern, bei den weiteren Beratungen hier entsprechende Änderungsvorschläge zu unterbreiten.Im übrigen hebe ich hervor, daß hier durch die Anhebung des Bußgeldrahmens auf 50 000 DM nach dem Fleischhygienegesetz ebenfalls ein Beitrag geleistet wird, der Anwendung dieser Vorschriften mehr Nachdruck zu verleihen.Ich frage mich allerdings, ob die pauschale Anknüpfung des Lebensmittelstrafrechts an den Begriff des In-Verkehr-Bringers richtig ist. Unabhängig von einem konkreten Tatbeitrag wird jeder in der Nahrungsmittelkette, der nicht mit verkehrsfähigen Produkten in Berührung kommt, zumindest unter dem Begriff der Fahrlässigkeit mit einer Straf- oder Bußgeldandrohung überzogen. Mit anderen Worten: Wenn im Tante-Emma-Laden eine Dose mit Erbsen entdeckt wird, deren Inhalt nicht verkehrsfähig nach dem Lebensmittelrecht ist, dann steht Tante Emma genauso wie der Produzent unter Straf- oder Bußgeldandrohung.Hier sollten wir, gerade um einer ausufernden Bürokratie vorzubeugen, uns auf das Wesentliche, nämlich den Produzenten, konzentrieren. Es kann meines Erachtens nicht so sein, daß der Handel auch für nicht sichtbare Mängel des Lebensmittels, die im Verantwortungsbereich des Erzeugers allein entstanden sind, strafrechtlich verantwortlich gemacht wird. Wir sollten uns sehr wohl die Stufen der Verantwortung deutlicher als bisher vor Augen führen und dann auch im rechtlichen Sinn trennen. Die Effizienz von Straf- und Bußgeldvorschriften setzt nämlich deren Akzeptanz voraus. Akzeptanz kann man aber nur dann erreichen, wenn die inkriminierten Tatbestände jedem potentiellen Täter klar erkennbar sind. Hieran scheint es mir im vorliegenden Fall noch etwas zu fehlen.Wer den Gedanken dieses Gesetzentwurfs ernst nimmt, muß die tatsächlichen Täter härter bestrafen. Mit pauschalen Strafandrohungen, die häufig ins Leere gehen, ist uns nicht geholfen. Wir sollten die Strafandrohung so kanalisieren, daß der, der sich tatsächlich gegen die Gesetze vergeht, wirklich gegriffen wird und daß der, den wir vielleicht nur vorsorglich mit Strafandrohung überziehen, dies gar nicht erst ertragen muß.Ich rege daher an, den Gesetzentwurf zum Anlaß zu nehmen, der hier skizzierten Frage noch einmal näherzutreten, damit wir im Rahmen der Behandlung vielleicht noch etwas ändern können.Generell sollten wir uns darüber einig sein, diesen Gesetzentwurf zügig über die Bühne zu bringen, damit wir bei widerrechtlichem Verhalten mit größerer Wirksamkeit als bisher agieren können. Wir alle haben einen Anspruch darauf, beim Verzehr von Lebensmitteln nicht ständig in der Angst zu leben, daß uns im Rahmen eines Skandals wieder etwas auf den Tisch kommt, was uns Sorge macht, daß wir etwas verpaßt haben könnten.Einen Satz noch zur Änderung des Vieh- und Fleischgesetzes. Hierdurch wird die bisherige, nicht gerade sehr gute Markttransparenz bei der Preisfeststellung für Schlachtvieh insbesondere durch die jetzt vorgenommenen Vereinfachungen wesentlich verbessert.Zu dieser Vorlage bitte ich um Ihre Zustimmung. Schönen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Becker-Inglau.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! „Sage mir, welche Krankheit du hast, und ich sage dir, welches Fleisch du essen mußt." So spaßig dieser Satz klingt, so ernst müssen wir ihn leider nehmen. Denn immer wieder, so auch in jüngster Zeit, erhalten wir als Verbraucher Schreckensmeldungen über die Verseuchung von Lebensmitteln.Ein besonders trauriges Kapitel ist hierbei der Einsatz von Pharmaka in der Tiermast. In diesem Zusammenhang erinnere ich an den Hormonskandal des Jahres 1988, wo in großem Umfang in Nordrhein-Westfalen, aber auch in anderen Bundesländern die Anwendung eines Hormoncocktails nachgewiesen werden konnte.Selbst die durch mehrere Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Münster als zulässig anerkannten damaligen Kälbertötungsaktionen und die hiermit verbundenen schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen für die Besitzer der Tiere waren offensichtlich nicht geeignet, einige Tiermäster von der Anwendung verbotener Mittel generell abzuhalten.
— So ist es.
Als traurige Beweise hierfür gelten die Nachweise des ausschließlich als Humanarzneimittel zugelassenen Salbutamol bei Mastkälbern in diesem Jahr. Ebenso wurde das in der Human- und Tiermedizin vor allem
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12501
Frau Becker-Inglaubei Erkrankung der oberen Luftwege eingesetzte Mittel Clenbuterol nachgewiesen.Die neuerlichen Fälle der Anwendung von illegalen Masthilfsmitteln sind erschreckend, weil es offensichtlich immer noch Unbelehrbare mit offenkundig fehlendem Unrechtsbewußtsein gibt. Deshalb ist es notwendig, das Instrument des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts verstärkt einzusetzen, um diesen Machenschaften besser begegnen zu können.Dazu müssen die Vorschriften des Lebensmittelstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts sowie des Fleischhygienerechts verschärft werden. Hierzu leistet die vorliegende Gesetzesinitiative einen wesentlichen Beitrag. Ich gehe davon aus, daß damit nicht nur den Verbrauchern, sondern auch den ordnungsgemäß wirtschaftenden Landwirten und damit der deutschen Landwirtschaft insgesamt gedient wird.Von besonderer Bedeutung ist es, möglichst bald eine Vorschrift zu erlassen, um einen Export von hormonbehandelten Kälbern zu verhindern. Dies ist auf Grund der jetzigen Rechtslage nicht möglich.Bislang konnte der Export von 259 nachweislich mit Hormonen behandelten Tieren aus Nordrhein-Westfalen nur verhindert werden, weil die Empfangsländer darüber informiert wurden, daß es sich um illegal hormonbehandelte Kälber handelte. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß es den Besitzern dieser Tiere gelingt, ein Exportland ausfindig zu machen, das diese Tiere zur Einfuhr zuläßt.Durch ein solches Verfahren könnte zum einen ein striktes Hormonverbot unterlaufen werden. Zum anderen ist es meines Erachtens aber auch als höchst unmoralisch anzusehen, Fleisch hormonbehandelter Tiere, die man dem eigenen Verbraucher nicht zumutet, anderen Ländern anzubieten.Meine Damen und Herren, auch wenn die Erhöhung des Strafmaßes schon einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der illegalen Machenschaften darstellt, so reichen diese Bestimmungen offensichtlich allein nicht aus, diese Mißstände zu beseitigen. Ganz entscheidend ist deshalb eine Änderung der bestehenden Rahmenbedingungen insgesamt. Hierzu gehört beispielsweise eine möglichst schnelle Verabschiedung der Kälberhaltungsverordnung.Es ist zwar zutreffend, daß der Entwurf der nationalen Haltungsverordnung nach der Richtlinie 83/189/ EWG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften erst in Brüssel notifiziert werden muß. Diese Vorschrift sieht jedoch auch vor, daß ein Mitgliedstaat aus dringenden Gründen des Gesundheitsschutzes von Menschen und Tieren nationale Regelungen erlassen und durchführen kann.Deshalb bitte ich an dieser Stelle die Bundesregierung, möglichst bald eine nationale Verordnung zum Schutz von Kälbern bei der Stallhaltung zu erlassen, wie Herr Weng es vorhin schon erwähnt hat.Insbesondere bitte ich Sie, Frau Ministerin: Setzen Sie sich dafür ein, daß die in der EG-Vorlage vorgesehenen Übergangsfristen erheblich verkürzt werden.
— Sie ist noch nicht da.
— Entschuldigung. Ich habe Sie nicht auf einem Abgeordnetenplatz, sondern auf der Regierungsbank vermutet.Spätestens nach der Vollendung des EG-Binnenmarkts, ab 1. Januar 1993, müssen die geltenden Bestimmungen der Kälberhaltungsverordnung in die Rechtsetzungsvorhaben der EG Eingang gefunden haben.Wegen der internationalen Verflechtungen der Organisationen, die sich an den illegalen Praktiken beteiligen, sollte möglichst kurzfristig eine EG-weite Arbeitsgruppe zur Bekämpfung illegaler Mastmethoden und des illegalen Arzneimittelmarkts eingesetzt werden. Dies ist schon deshalb notwendig, weil der gesicherte Nachweis bei importierten Tierkörpern bisher nicht erbracht werden kann.Von besonders großer Bedeutung ist eine EG-einheitliche Durchführung der Rückstandskontrollrichtlinie. Es darf und kann nicht hingenommen werden, daß beispielsweise für den gesamten Bereich der Niederlande 300 Untersuchungen auf Hormone und 300 Untersuchungen auf Clenbuterol als ausreichend angesehen werden sollen, wenn für den Bereich der Bundesrepublik beispielsweise im Jahre 1988 etwa 15 000 Untersuchungen durchgeführt wurden.Ich bitte die Bundesregierung deshalb eindringlich, in Brüssel mit Nachdruck für einen EG-einheitlichen Untersuchungslevel einzutreten.Besonders wichtig ist es, eine Lücke im Chemikalienhandel zu schließen: Stoffe, die eine pharmakologische Wirkung haben, aber für andere Verwendungszwecke vorgesehen sind, können von Chemikalienherstellern und -händlern unkontrolliert in den Verkehr gebracht und so zur Herstellung illegaler Masthilfsmittel verwendet werden. Hier ist eine Nachweis- und Überwachungsregelung notwendig, um auch diesen Bereich wirksam kontrollieren zu können.Ich bitte deshalb die Bundesregierung, möglichst bald für eine zufriedenstellende Lösung zu sorgen.Zusammenfassend möchte ich feststellen, daß die SPD-Fraktion den vom Bundesrat am 10. Februar 1989 beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Lebensmittelstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts sowie des Fleischhygienerechts, der maßgeblich auf eine Gesetzesinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen zurückgeht, begrüßt. Wir halten diese für einen wesentlichen Beitrag zum Schutz des Verbrauchers. Deshalb bitten wir um eine möglichst rasche Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs.Weiterhin bitte ich, auch eine größere Markttransparenz bei der Preisfestsetzung für Schlachtvieh zu gewährleisten und den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Vieh- und Fleischgesetzes deshalb zuzustimmen.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
12502 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989
Frau Becker-InglauIch möchte noch sagen: Ich habe zwei Minuten eingespart.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl keine Frage, daß der Anlaß der heutigen Debatte und die Ursache der Gesetzesänderung außerordentlich bedauerlich sind; meine Vorredner haben darauf hingewiesen.
Es hat sich als notwendig erwiesen, den Strafrahmen im Lebensmittelstrafrecht und im Fleischhygienerecht zu erweitern und auch zu verschärfen.
Es kann keinen Zweifel daran geben, daß der Verbraucherschutz ohne jede Einschränkung einen höheren Stellenwert hat als das wirtschaftliche Interesse einiger landwirtschaftlicher Betriebe. Zum Glück handelt es sich hinsichtlich des Anlasses dieses Gesetzes aber nur um wenige Betriebe. Gleichwohl hat die öffentliche Diskussion gezeigt, daß auch diese wenigen Betriebe in der Lage sind, das Vertrauen in die deutsche Landwirtschaft und in die Sicherheit der Qualität der Lebensmittel nachhaltig zu erschüttern. Aus diesem Grund sind wir mit den Gesetzentwürfen und den vorgelegten, zum Teil drastischen Erhöhungen des Strafmaßes, einverstanden.
Die Diskussion darüber verläuft natürlich kontrovers. Die einen werfen uns vor, wir täten zuviel, die anderen, wir täten zuwenig. Ich kann mich beiden Auffassungen nicht anschließen.
Die Gegner der vorliegenden Gesetzentwürfe müssen berücksichtgen, daß Verstöße gegen das Lebensmittelstrafrecht und das Fleischhygienerecht jeweils mit einer massiven Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung verbunden sein können. Das ist keinesfalls hinnehmbar. Der durchgängig sehr hohe Qualitätsstandard unserer Lebensmittel muß erhalten bleiben. Betriebe, die sich in der bekannten Art und Weise unerlaubter Praktiken bedienen, um aus der gesundheitlichen Gefährdung breiter Bevölkerungsschichten materielle Vorteile zu ziehen, müssen in Zukunft mit dem Verlust ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage rechnen.
Den Kritikern auf der anderen Seite wiederum halte ich entgegen, daß wir mit einem solchen Gesetzentwurf das Augenmaß bewahren müssen, damit es den Aufsichtsbehörden erlaubt ist, leichte von schweren Fällen zu trennen und differenziert zu verfahren.
Inwieweit wir uns den Vorstellungen des Bundesrates in allen Teilen anschließen, muß sich bei der Beratung im parlamentarischen Verfahren ergeben. Die Vorschläge des Herrn Kollegen Kossendey halte ich für sehr sympathisch. Auch Ihre Vorschläge und Ihre Anmerkungen, Frau Kollegin, werden wir im Ausschuß prüfen müssen.
— Selbstverständlich, wie es typisch ist für uns.
Ich wünsche mir jedoch, daß es in dieser Frage zu einem breiten Konsens kommt, der über die Grenzen der Koalitionsfraktionen hinaus reichen sollte. Die bisherige Diskussion deutet darauf hin.
Ich meine, daß damit den berechtigten Interessen der Verbraucher am ehesten gedient ist. Lassen Sie mich zur Änderung des Vieh- und Fleischgesetzes nur noch sagen, daß wir diesem Gesetz zustimmen werden.
Vielen Dank.
Ich habe ebenfalls zwei Minuten eingespart.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Saibold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verschärfung von Strafvorschriften, Umwandlung von Ordnungswidrigkeiten in Straftaten und zusätzliche gesetzliche Ermächtigungen, wie sie der vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, sind im Grundsatz zu begrüßen. Es muß nämlich endlich in die Köpfe der Erzeuger und Verarbeiter, daß es sich bei Verstößen gegen Vorschriften auf dem Lebensmittelsektor nicht um Kavaliersdelikte handelt, die mit einem Griff in die Portokasse oder aber mit wohlmeinenden Ermahnungen abgetan werden können. Denn schließlich geht es in diesem Bereich um nicht weniger als um die Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen. Ich möchte auch hier wieder einmal an die Kinder erinnern.
Von schwarzen Schafen in der Nahrungsmittelwirtschaft, die in unverantwortlicher Weise gegen Vorschriften verstoßen, kann doch schon längst keine Rede mehr sein. Die Mißstände — insbesondere auf dem Fleischsektor — sind praktisch an der Tagesordnung.Verschärfte Strafvorschriften dürfen allerdings nicht isoliert stehenbleiben. Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz erfordern wesentlich mehr.Veränderte Strafvorschriften müssen deswegen in ein Gesamtkonzept eingebettet werden, das Produktionsumstellungen, verbesserte Kontrollmöglichkeiten, Schwerpunktstaatsanwaltschaften für den Bereich Lebensmittelrecht und ungehinderten Informationsfluß zu den Verbrauchern und Verbraucherinnen umfaßt. So werden der Mißbrauch von Tierarzneimitteln, der gewinnsteigernde Einsatz von chemischen Hustensäften als Masthilfe und ähnliche kriminelle Methoden letztlich erst dann unattraktiv, wenn sich mit der schnellen Mast nicht mehr die schnelle Mark machen läßt.
Das bedeutet konkret: Verbot der Massentierhaltung, Einführung von flächengebundenen Bestandsobergrenzen und, solange es die Massentierhaltung noch gibt, eindeutige Kennzeichnung von Fleisch und Fleischprodukten aus der Massentierhaltung. Die tierquälerische und qualitätsmindernde Haltung von Tie-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Oktober 1989 12503
Frau Saiboldren muß für die Käufer und Käuferinnen endlich kenntlich gemacht werden.Dazu kommt: Die Lebensmittelkontrolleure stehen heute vor massiven Problemen, den Schadstoffen, Panschereien und sonstigen Betrügereien überhaupt auf die Spur zu kommen. Finanzielle und personelle Engpässe der Ämter, die schon seit Jahren beklagt werden, sowie auch die Tatsache, daß die Betrüger insbesondere im Arzneimittelbereich immer wieder neue und raffiniertere Methoden entwickeln, machen die Idee einer effektiven Lebensmittelkontrolle zur Wunschvorstellung. Was wir z. B. in den Bundesländern bräuchten, wäre so etwas wie den Wirtschaftskontrolldienst in Baden-Württemberg, der wenigstens noch eine gewisse Effektivität nachweisen kann.Wenn man bei dieser Situation noch bedenkt, daß z. B. auch die Richter angesichts der Unzahl von in der Lebensmittelverarbeitung angewendeten chemischen Stoffen und des völlig unübersichtlichen Lebensmittelrechts restlos überfordert sind, wird endgültig deutlich, daß die Verschärfung der Strafvorschriften zwar notwendig ist, aber letztlich nicht mehr sein kann als ein Mosaiksteinchen auf dem Weg zu einer an gesundheitlichen und ökologischen Kriterien ausgerichteten Lebensmittelwirtschaft.Nun noch kurz zum Gesetzentwurf zur Änderung des Vieh- und Fleischgesetzes. Ich möchte hier einen wesentlichen Punkt herausgreifen. Die Bauern werden immer noch nach Handelsklassen bezahlt. Das heißt: Je höher die Handelsklasse, in der das Fleisch eingestuft wird, desto mehr bekommt der Erzeuger dafür. Beim Schweinefleisch stehen wir vor der paradoxen Situation, daß in der am besten bezahlten Handelsklasse — angeblich der besten — der Anteil von PSE-Fleisch, also dem qualitativ minderwertigsten Fleisch, besonders hoch ist.
— Weil Sie sich nicht erkundigen. — Das heißt also: Für das minderwertigste Fleisch wird nach den heutigen Kriterien das meiste bezahlt. Das ist eigentlich Irrsinn. Die landwirtschaftlichen Erzeuger haben bei einer derart absurden Handelsklassenregelung keinerlei Anreiz, gutes, wohlschmeckendes Fleisch von gesunden Tieren zu erzeugen, Fleisch, das eben nicht von völlig überzüchteten, kreislaufschwachen und streßanfälligen Tieren stammt.Vorrangig ist nach Ansicht der GRÜNEN also nicht, ausgeklügelte Preissysteme und Abrechnungsmodelle zu installieren, die veraltete Qualitätskriterien zementieren und für die Schlachthöfe noch erhöhte finanzielle Belastungen bringen. Was nottut, sind neue Qualitätskriterien, die die Haltung, die Fütterung und auch die Rückstandsproblematik mit einbeziehen, statt z. B. nur auf den Fettgehalt zu schielen.Deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. Danke.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 11/4309 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu weitere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Vieh- und Fleischgesetzes; Drucksachen 11/4727 und 11/5287. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei vier Gegenstimmen mit großer Mehrheit angenommen.
— Die große Mehrheit resultiert aus der Tatsache, daß die zwei großen Fraktionen einschließlich der FDP diesem Gesetz zugestimmt haben. Das ist eine große Mehrheit.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Vier Gegenstimmen. Damit ist das Gesetz mit großer Mehrheit angenommen.
Wir sind am Schluß der heutigen Tagesordnung angekommen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 6. Oktober 1989, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.